Schulung für die Juristische Praxis: Ein induktives Lehrbuch [5. neubearb. Aufl., Reprint 2020] 9783112317440, 9783112306178


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German Pages 1215 [1220] Year 1962

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Table of contents :
Aus dem Vorwort zur I. Auflage
Vorwort zur 4. Auflage
Vorwort zur 5. Auflage
Inhaltsverzeichnis
Es haben bearbeitet
Erste Abteilung: Zivilprozeß
1. Kapitel. Beim Prozeßrichter des Amtsgerichts
2. Kapitel. In der Zivilkammer
3. Kapitel. In der Kammer für Handelssachen
4. Kapitel. In der Ehekammer
5. Kapitel. In der Berufungs- und Beschwerdekammer
Zweite Abteilung: Zwangsvollstreckung und Konkurs
6. Kapitel. Beim Gerichtsvollzieher
7. Kapitel. Beim Zwangsvollstreckungsrichter
8. Kapitel. Beim Zwangsversteigerungsrichter
9. Kapitel. Beim Konkursrichter
10. Kapitel Beim Konkursverwalter
Dritte Abteilung: Freiwillige Gerichtsbarkeit
11. Kapitel. Beim Notar
12. Kapitel. Beim Vormundschaftsgericht
13. Kapitel. Beim Nachlaßgericht
14. Kapitel. Beim Grundbuchamt
15. Kapitel. Beim Registergericht
Vierte Abteilung: Strafsachen
17. Kapitel. Beim Staatsanwalt
18. Kapitel. Beim Untersuchungsrichter
19. Kapitel. Beim Einzelrichter für Strafsachen
20. Kapitel. Beim Schöffenrichter
21. Kapitel. Beim Jugendrichter
22. Kapitel. In der Strafkammer
Fünfte Abteilung: Arbeits- und Verwaltungssachen, Rechtsanwaltschaft, Oberlandesgericht
23. Kapitel. Beim Arbeitsgericht
24. Kapitel: Bei den Verwaltungsgerichten
25. Kapitel: Beim Rechtsanwalt
26. Kapitel: Beim Oberlandesgericht
Sachregister
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Schulung für die Juristische Praxis: Ein induktives Lehrbuch [5. neubearb. Aufl., Reprint 2020]
 9783112317440, 9783112306178

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LUX SCHULUNG FÜR DIE JURISTISCHE PRAXIS

SCHULUNG für die

JURISTISCHE PRAXIS Ein induktives Lehrbuch begründet von

DR. W A L T E R LUX f

5. n e u b e a r b e i t e t e A u f l a g e bearbeitet von

DR. HANS B E R G

PAUL J A N S E N

Oberlandesgerichtsrat in Köln

Kammergerichtsrat in Berlin

DR. E R W I N KRAUS

DR. DIRK N E U M A N N

Oberverwaltungsgerichtsrat in München

Arbeitsgerichtsrat in Köln

DR. KARL S C H Ä F E R Senatspräsident in Frankfurt a. M.

1962

J. S C H W E I T Z E R V E R L A G B E R L I N W 30

Gesamtherstellung: Graphische Betriebe Dr. F. P. Datterer & Ge. - loh. Sellier - Freising Alle Rechte, einschließlich des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

Aus dem Vorwort zur i. Auflage Die in vieljähriger Lehrtätigkeit an Studenten und Referendaren, in gerichtlichen und privaten Kursen gesammelten Erfahrungen haben mich überzeugt, daß unsere juristischen Lehrmittel, so vorzüglich sie in ihrer Art sind, einer Ergänzung bedürfen. Das vorliegende Buch ist ein Versuch, die in der Literatur vorhandene Lücke auszufüllen und zugleich für die Reform des Rechtsunterrichts und des Vorbereitungsdienstes praktische Anregungen zu geben. Seine Eigenart liegt nicht im Stoff, sondern in der angewandten Methode: 1. Es ist induktiv. Im Gegensatz zu den deduktiv-systematischen Werken, die bestimmte Rechtsmaterien behandeln und, vom Allgemeinen zum Besonderen führend, durch Beispiele erläutern, schildert es unmittelbar die juristische Praxis und entwickelt am konkreten Falle die Rechtssätze und -institute. 2. Es verzichtet auf Vollständigkeit und begnügt sich mit der Darstellung typischer Ausschnitte aus den verschiedenen Zweigen der juristischen Tätigkeit. 3. Es ist ein Lehrbuch. Die Erläuterung der Fälle hält zwischen den kurzen Anmerkungen, mit denen die Studien-Aktenstücke die Beziehung auf das Gesetz herstellen, und der Breite einer Monographie die Mitte, und die Fälle sind so gewählt, daß aus allen Rechtsgebieten eine Anzahl wichtiger Materien abgehandelt werden kann. 4. Während die vorhandenen Lehrmittel induktiver Art sich meist auf formelles Recht beschränken, wird hier auch materielles Recht gelehrt. Das Buch will nicht bloß zeigen, wie es in der Praxis gemacht wird, sondern auch warum man es so macht. Deshalb erklärt es weiterhin, was für Bestrebungen und Ziele hinter den formal-juristischen Vorgängen stecken: Rechtstatsachen, Zusammenhänge mit Erscheinungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Die äußere Einteilung lehnt sich an die Stationen des Vorbereitungsdienstes an. Daß ich dabei eine Station „Gerichtsvollzieher" und eine Station „Konkursverwalter" eingefügt habe, wird gewiß keinen Widerspruch hervorrufen. Die oberlandesgerichtliche Station (5. Abteilung) entwickelt an dem Rohmaterial eines in der 1. Abteilung (im 3. Kapitel) behandelten Falles die Technik des Referats, Votums und Urteils, wie sie ja auch in der Praxis vorzugsweise zur Vervollkommnung in diesen Künsten benutzt wird Breslau, im Juni 1920

Dr. L u x

Vorwort zur 4. Auflage Lux, Schulung für die juristische Praxis, war für die Juristengenerationen der letzten Jahrzehnte ein Begriff. Wer dieses anschauliche Lehrbuch durchgearbeitet hatte, konnte sich beruhigt zur großen Staatsprüfung melden. Dem Verlag gebührt Dank, daß er das Buch nunmehr neu auflegt. Da die letzte Auflage in den Jahren 1932—36 erschien, waren bei der Neuauflage Änderungen der Gesetze, der Rechtsprechung und Rechtslehre seit über 20 Jahren zu berücksichtigen. Auch mußten die als Beispiele wiedergegebenen Urteilsentwürfe und Relationen ihrer äußeren Darstellungsform wegen vielfach neugefaßt werden,

VI da der Aufbau mit den modernen Regeln nicht mehr übereinstimmte. Hiervon abgesehen ist das Buch aber in seiner Anlage unverändert. Es zerfällt entsprechend der Ausbildung der Referendare im Vorbereitungsdienst in 5 Abteilungen. I. Abteilung: Zivilprozeß. II. Abteilung: Zwangsvollstreckung, Konkurs, Zwangsversteigerung. III. Abteilung: Freiwillige Gerichtsbarkeit einschl. Notariat und Aufgebotsverfahren. IV. Abteilung: Strafsachen einschl. Schutzaufsicht und Fürsorgeerziehung. V. Abteilung: Arbeits- und Verwaltungssachen, Rechtsanwaltschaft, Oberlandesgericht. Das Buch soll dem jungen, in der Ausbildung stehenden Juristen, insbesondere dem Referendar, in allen Stationen seines Ausbildungsganges ein steter Begleiter sein. Es führt ihm anschaulich vor, was sich täglich beim Prozeßrichter, dem Vollstreckungsrichter, dem Vormundschafts-, Nachlaß-, Grundbuch- und Registerrichter oder in den übrigen Zweigen der Gerichtsbarkeit, auch beim Rechtsanwalt und Notar, ereignen kann. Indem diese Personen bei der Verwirklichung des Rechts praktisch handelnd vorgestellt werden, vermittelt das Buch einen jederzeit greifbaren Anschauungsunterricht, soweit er durch Bücher überhaupt gegeben werden kann, und möchte auf diese Weise dazu beitragen, dem jungen Juristen die Kunst der RechtsanWendung nahe zu bringen. Auch dem jungen Rechtspfleger, der seine Kenntnisse vertiefen möchte, wird das Werk von Nutzen sein. Es ist zu hoffen, daß das Buch in seiner neuen Gestalt sich wieder den Platz erobern wird, den der alte „Lux" in den Jahren 1920—1936 eingenommen hat. Im Juni 1956

Die Bearbeiter

Vorwort zur 5. Auflage Die freundliche Aufnahme, welche die nach langer Pause erschiene 4. Auflage des Lux allenthalben, nicht zuletzt bei den jungen Juristen, gefunden hat, ermöglicht es, bereits nach wenigen Jahren eine neue Auflage folgen zu lassen. Die Rechtsentwicklung, an der Spitze das Gleichberechtigungsgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung, machte in vielen Teilen eine Neubearbeitung erforderlich. Dabei wurde an dem im Vorwort zur 1. Auflage dargelegten Grundsätzen festgehalten, denen dieses Lehrbuch seine Eigenart verdankt, und nach ihnen die Darstellung weiter ausgebaut und vervollkommnet. Im Februar 1961

Die B e a r b e i t e r

Inhaltsverzeichnis Erste Abteilung: Zivilprozeß Seite i . Kapitel: Beim Prozeßrichter des Amtsgerichts

i

Schiedsurteil. H a f t u n g für A u s k u n f t , Rat, E m p f e h l u n g S. i . — Mahnverfahren S. 7. — Abzahlungssache. Versäumnisverfahren S. 14. — Streitige Mietsache. Schriftliche Entscheidung. Beweisbeschluß S. 21. — Parteivernehmung. Beweislast für Stundung S. 32. — Urteil in einer Unterhaltssache S. 37. — Scheckprozeß S. 45. — Arrestverfahren. Verarbeitung gestohlener Sachen S. 53. — In der Geschäftsstelle S. 63. 2. Kapitel: In der Zivilkammer

67

Hypothekenurteil. Betrug beim Grundstückskauf S. 67. — Verlöbnissache. Feststellungsklage. Armenrecht S. 74. — N o t w e n d i g e Streitgenossenschaft S. 79. — G u t achten in einer Interventionssache S. 85. — Mäklerprozeß. Zedent als Z e u g e . A u s setzung nach § 148 Z P O S. 93. — V o r t r a g in einer Unfallsache. Eisenbahn-, Kraftfahrzeug- und Kraftposthaftung. Vorabentscheidung über den G r u n d des Anspruchs S. 97. — Prozeßvergleich S. 112. — Freigabe v o n Sicherheiten S. I I J . 3. Kapitel: In der Kammer für Handelssachen

118

Wechsel-Vorbehaltsurteil S. 118. — Kaufmännische Warenklage. Urkunden im geschäftlichen Verkehr. Unzuständigkeitseinrede S. 124. — Schadensersatz w e g e n Nichterfüllung eines Sukzessivlieferungsvertrags S. 133. — Unterbrechung und Aussetzung. Erbenhaftung im Prozeß S. 154. 4. Kapitel: In der Ehekammer

160

Scheidungsklage und -Widerklage. Mitschuldigerklärung S. 161. — Klageabweisendes Eheurteil. A u f h e b u n g der häuslichen Gemeinschaft S. 172. — Kostenentscheidung nach T o d einer Partei S. 178. 5. Kapitel: In der Berufiings- und Beschwerdekammer

182

Berufungsurteil in einem Pferdeprozeß S. 182. — Spiel-Darlehn. Berufung. Anschlußberufung S. 189. — Deliktsanspruch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Gesetzlicher Forderungsübergang auf Versicherungsträger S. 195. — Gastwirtshaftung. Schaden eines Dritten. Klageänderung. Versäumnisverfahren in der Berufungsinstanz S. 199. — Beschwerdebeschluß. Zwangsvollstreckung aus einem Immissionsurteil S. 203.

Zweite Abteilung: Zwangsvollstreckung und Konkurs 6. Kapitel: Beim Gerichtsvollzieher Pfändung für mehrere Gläubiger. Vollstreckung eines Herausgabeanspruchs. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung S. 207. — Sachen i m Gewahrsam eines Dritten. Mindestangebot. Ergänzungspfändung S. 225. — Vollstreckung gegen einen Landwirt. Beschränkte Erbenhaftung in der Zwangsvollstreckung S. 227. — Vollstreckung eines Zug-um-Zug-Urteils. Wechselpfändung S. 231.

207

VIII

Inhaltsverzeichnis Seite

7. Kapitel: Beim Zwangsvollstreckungsrichter

*33

Offenbarungseid S. 233. — Hypothekenpfändung S. 240. — Vollstreckung in Anteilsund Nacherbenrechte S. 246. — Hinterlegungsbeschluß S. 249. — Erinnerung gegen Vollziehung einer einstweiligen Verfügung S. 254. — Verteilungsverfahren S. 259. 8. Kapitel: Beim Zwangsversteigerungsrichter

263

Zwangsversteigerung eines Mühlengrundstücks S. 263. — Zwangsversteigerung gegen den nicht eingetragenen Erben S. 304. — Einstellung des Verfahrens nach Schluß der Versteigerung S. 307. — Versteigerung mehrerer Grundstücke. Gesamthypothek S. 309. — Tilgungs- und Zinsrückstandshypothek. Pfändving von Eigentümergrundschulden. Aufrechnung des Erstehers S. 312. — Zwangsverwaltung eines städtischen Mietgrundstücks bei gleichzeitiger Zwangsversteigerung S. 322. 9. Kapitel: Beim Konkursrichter

334

Vergleichsverfahren S. 334. — Konkurseröffnung S. 350. — Erste Gläubigerversammlung S. 359. — Prüfungstermin S. 363. — Zwangsvergleich S. 373. — Schlußverfahren nach Zwangsvergleich S. 384. — Schlußrechnung und Schlußverzeichnis in einem Nachlaßkonkurs S. 387. 10. Kapitel: Beim Konkursverwalter

393

Bestellung und erste Maßnahmen S. 393. — Erfüllung der Verträge S. 395. — Feststellung der Teilungsmasse S. 401. — Konkursprozesse S. 412. — Verkauf des Geschäfts an die Ehefrau S. 416. — Ausschüttung der Masse S. 418.

D r i t t e A b t e i l u n g : F r e i w i l l i g e Gerichtsbarkeit 11. Kapitel: Beim Notar

423

Beglaubigung einer Hypothekenabtretung. Akten- und Kostenwesen S. 426. — Sicherungsvertrag S. 431. — Grundstückskaufvertrag S. 439. — Gesellschaftsvertrag einer offenen Handelsgesellschaft S. 451. — Vollstreckbare Urkunde und Hypothekenbestellung S. 460. — Ehevertrag S. 464. — Testament S. 470.—Wechselprotest. Haftung des Notars S. 480. — Anhang: Sonstige Organe des Beurkundungswesens S. 486. 12. Kapitel: Beim Vormundschaftsgericht

488

Uneheliche Kindschaft S. 488. — Vaterschaftsanerkenntnis. Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Entlassung des Vormundes S. 497. — Elterliche Gewalt S. 504. — Inventar. Auseinandersetzungspflegschaft S. 512. — Vormundschaft mit Vermögensverwaltung S. 519. — Annahme an Kindes Statt S. 526. — Regelung der elterlichen Gewalt bei Eheauflösung und Getrenntleben. Religiöse Kindererziehung S. 532. — Wohnungsund Hausratsauseinandersetzung nach geschiedener Ehe S. 543. Vorläufige Vormundschaft. Gebrechlichkeitspflegschaft S.548. —Pflichtteilspflegschaft S. j55. — Deszendenzpflegschaft S. 558. 13. Kapitel: Beim Nachlaßgericht Sicherung des Nachlasses. Erbschaftsausschlagung. Nachlaßpflegschaft S. 560. — Nachlaßverwaltung S. 569. — Inventarfrist S. 574. — Testamentseröffhung S. 576. — Testamentsanfechtung S. 581. — Erbschein bei gesetzlicher Erbfolge. Einziehung und öffentlicher Glaube des Erbscheins S. 583. — Erbschein bei testamentarischer Erbfolge. Beschwerde S. 591. — Testamentsvollstreckerzeugnis S. 597. — Gemeinschaftliches Testament S. 599. — Vermittlung der Erbauseinandersetzung S. 60j.

560

Inhaltsverzeichnis

IX Seite

i4> Kapitel: Beim Grundbuchamt

614

Grundbuchblatt eines Vorortgrundstücks S. 616. — Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit S. 63 5. — Löschung auf Lebenszeit beschränkter Berechtigungen S. 638. — Hypothekenlöschungen. Währungsumstellung. Legitimationsfragen S.639.— Parzellierung S.651. — Eintragung einer Hypothek auf Grund Rangvorbehalts. Zwischenverfügung. Zwangshypothek S. 662.—Umwandlung einer Höchstbetragshypothek in eine Grundschuld S. 669.—Umwandlung einer Eigentümergrundschuld in eine Hypothek. Tod des Vollmachtgebers S. 673. — Teilabtretung. Ordnungswidrig bewirkte Eintragungen S. 676. — Gleitender Zinssatz. Beschwerde. Antragsrücknahme. Rangvertauschung S. 681. — Auflassungsvormerkung S. 687. 15. Kapitel: Beim Registergericht

693

Einzelfirma. Registerzwang. Prokura S. 693. — Zweigniederlassung. Umschreibung auf den Erben S. 702. — Kommanditgesellschaft S. 704. — Gläubiger-GmbH. S. 708. — Sanierung einer Aktiengesellschaft durch Herabsetzung des Grundkapitals, verbunden mit der Ausgabe neuer Aktien S. 719. — Liste der Genossen S. 726. — Eintragung eines Vereins in das Vereinsregister S. 732. — Ermächtigung Zur Einberufung einer Mitgliederversammlung S. 737. — Entziehung der Schlüsselgewalt S. 739. — Geschmacksmustereintragung S. 742. 16. Kapitel: Beim Aufgebotsrichter

747

Todeserklärung S. 747. — Krafdoserklärung von Vollmachten S. 751. — Krafdoserklärung verzinslicher Inhaberschuldverschreibungen S. 752. — Aufgebot eines Sparkassenbuchs S. 758. — Aufgebot der Nachlaßgläubiger S. 761.

Vierte Abteilung: Strafsachen 17. Kapitel: Beim Staatsanwalt

763

Urheber- und Verlagsrechtsverletzung. Strafantrag. Verweisung auf den Weg der Privatklage. Aufbau der Staatsanwaltschaft. Beschränkung des Legalitätsprinzips S. 763. — Ermitdungsverfahren wegen Wechselfälschung. Einstellungsverfugung. Gerichtliche Entscheidung S. 769. — Untreue- und Unterschlagungsfall (Schöffengerichtssache), Durchsuchung, Beschlagnahme, Postbeschlagnahme, Sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte, Mitteilungen in Strafsachen S. 783. — Schwurgerichtsanklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Kausalzusammenhang. Durch den Erfolg qualifizierte Delikte S. 799. — Strafvollstreckung. Begnadigung S. 802. — Strafregister und „Verkehrssünderkartei" S. 813. 18. Kapitel: Beim Untersuchungsrichter

820

Brandsüftungssache. Haftverfahren. Beobachtung des Geisteszustandes S. 820. — Unzulässige Voruntersuchung S. 837. 19. Kapitel: Beim Einzelrichter für Strafsachen

840

Vorbereitung der Hauptverhandlung. Hausfriedensbruch, Bedrohung, Widerstand und ruhestörender Lärm S. 840. — Strafbefehlverfahren und Urteil wegen Wilderei S. 844. — Richterliche Strafverfügung S. 853. — Privatklagesache wegen Beleidigung S. 860. — Gerichtliche Nachprüfung eines Bußgeldbescheids S. 873. 20. Kapitel: Beim Schöffenrichter Eröffnungsverfahren. Versuchte Erpressung. Sachverhalts- und Verbotsirrtum S. 883. — Beschleunigtes Verfahren („Schnellverfahren"). Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Hehlerei, Vortäuschung einer Straftat. Gerichtliche Aussetzung der Strafvollstreckung S. 891. — Urteil in einer Beamtenbestechungssache S. 898.

883

X

Inhaltsverzeichnis Seite

2 1 . Kapitel: Beim Jugendrichter

902

Schutzaufsicht S. 902. — Fürsorgeerziehung S. 905. — Jugendstrafsache S. 912. 22. Kapitel: In der Strafkammer

927

Erstinstanzliche Hauptverhandlung wegen Rückfallbetrugs S. 927. — Berufungsverfahren. Siegel- und Arrestbruch, Vollstreckungsvereitelung und Pfandkehr S. 942. — Berufungsurteil in einer Pressebeleidigungssache. Verjährung. Urteilsveröffentlichung. Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die Presse S. 9J2. — Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Abtreibungssache. Entschädigung wegen unschuldig erlittener Strafhaft S. 961. — Hauptverhandlung wegen Meineids. Mehrtägige unterbrochene Hauptverhandlung. Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. Verwertbarkeit früherer Zeugenaussagen bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung. Beratung und Abstimmung. Entschädigung wegen unschuldig erlittener Untersuchungshaft S. 971.

Fünfte Abteilung: Arbeits- und Verwaltungssachen, Rechtsanwaltschaft, Oberlandesgericht 23. Kapitel: Beim Arbeitsgericht

987

Urteil über Tarifansprüche S. 987. — Kündigungsprozeß S. 997. — Betriebsrisiko, Streik S. 1009. — Beschlußverfahren S. 101 j . 24. Kapitel: Bei den Verwaltungsgerichten

1021

Vorbemerkung S. 1021. — Erstinstanzielles Urteil in einer Wohnungssache; Verfahren bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, insbesondere allgemeine Grundsätze S. 1023. — Urteil der Berufungsinstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in einer Anfechtungssache nach dem Gaststättengesetz S. 1042. — Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Revisionsverfahren, Beamtenrecht S. 1054. 25. Kapitel: Beim Rechtsanwalt

1066

Maschinenlieferungsvertrag mit Nachbesserungsklausel. Mündliche Nebenabreden S. 1066. — Verschlechterung der Vermögenslage des Käufers S. 1073. — Rechte des Käufers bei Ankunft schwimmenden Gutes mit Mängeln. Beweissicherung. Streitverkündung S. 1076. — Tierhalterhaftung. Verjährung S. 1086. — Außergerichtlicher Vergleich. Besserungsschein S. 1092. — In der Sprechstunde S. 1094. — Bauhandwerkervormerkung S. 1106. — Umschreibung der Vollstreckungsklausel S. i m . 26. Kapitel: Beim Oberlandesgericht

inj

Bericht S. 1 1 1 5 . — Gutachten S. 1126. — Urteil S. 1147. — Anhang: Zur Technik der juristischen Arbeiten S. 1158. Sachregister zur 1.— 5. Abteilung

. 1161

Es h a b e n b e a r b e i t e t : Die Kapitel: „Beim Prozeßrichter des Amtsgerichts", „In der Zivilkammer", „In der Kammer für Handelssachen", „In der Ehekammer", „In der Berufungs- und Beschwerdekammer", „Beim Gerichtsvollzieher", „Beim Zwangsvollstreckungsrichter", „Beim Konkursrichter", „Beim Konkursverwalter", „Beim Rechtsanwalt" und „Beim Oberlandesgericht" O b e r l a n d e s g e r i c h t s r a t Dr. Hans Berg, Köln Die Kapitel: „Beim Zwangsversteigerungsrichter", „Beim Notar", „Beim Vormundschaftsgericht", „Beim Nachlaßgericht", „Beim Grundbuchamt", „Beim Registergericht" und „Beim Aufgebotsrichter" Kammergerichtsrat Paul Jansen, Berlin Das Kapitel: „Bei den Verwaltungsgerichten" O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t s r a t Dr. E r w i n K r a u s , M ü n c h e n Das Kapitel: „Beim Arbeitsgericht" A r b e i t s g e r i c h t s r a t Dr. D i r k N e u m a n n , K ö l n Die Kapitel: „Beim Staatsanwalt", „Beim Untersuchungsrichter", „Beim Einzelrichter für Strafsachen", „Beim Schöffenrichter", „Beim Jugendrichter" und „In der Strafkammer" S e n a t s p r ä s i d e n t D r . K a r l S c h ä f e r , F r a n k f u r t a.M. Das Sachregister: Dorothee Bäthge, Berlin

i. Kapitel

Beim Prozeßrichter des Amtsgerichts Schiedsurteil. Haftung für Auskunft, Rat, Empfehlung Klage. „Klage des Pferdehändlers Robert Taschner in Brühl, Marktstr. 5,

Brühl, den JI. Januar i960, Klägers,

gegen den Fleischermeister und Pferdehändler Karl Aigner in Weiß, Kreis Köln,

Beklagter. Am 4. Januar d. J. verkaufte ich auf dem hiesigen Pferdemarkt dem Beklagten Aigner einen hellbraunen Wallach mit Blässe, den Aigner an demselben Tag an den Gastwirt Steiner in Rondorf bei Köln weiterverkaufte. Wenige Tage nachher erhielt ich von Aigner einen Brief, daß der Wallach ein Kehlkopfpfeifer sei, daß Steiner deshalb den Kauf mit Aigner rückgängig machen wolle und daß ich die Sache mit Steiner in Ordnung bringen solle. Ich fuhr darauf am 15. Januar nach Köln, nahm den dortigen Kreistierarzt Dr. Lämcben mit nach Rondorf und ließ den Wallach untersuchen, wobei sich herausstellte, daß das Pferd mit keinem Gewährsmangel behaftet war. An Dr. Lämcben habe ich für die Untersuchung und das Attest . . . . 31,— DM gezahlt, das Auto von Köln nach Rondorf und zurück hat gekostet 12,50 DM zusammen: 43,50 DM Aigner weigert sich, diese Kosten zu ersetzen, obgleich ich sie in seinem Auftrage aufgewandt habe und meine Reise durch die von Aigner an mich weitergegebene unrichtige Mitteilung des Steiner veranlaßt war. Ich bitte deshalb um Anberaumung eines Verhandlungstermins wegen meines Anspruchs. Als Beweismittel gebe ich den Brief Aigners, die Postkarte des Steiner, meine Quittungen und Belege sowie das Gutachten und Zeugnis des Dr. Lämcben an. Letzteren bitte ich zum Termin alsbald vorzuladen, damit ich sofort ein Urteil erhalten kann, (entwertete Gerichtskostenmarke über 3,— DM) Abschrift anbei. An das Amtsgericht Köln. Robert Taschner." T e r m i n s a n b e r a u m u n g u n d L a d u n g . Der Antrag entspricht nicht dem § 25311 Z . 2 Z P O . Gleichwohl wird der Amtsrichter Termin bestimmen, weil der Mangel heilbar ist und der Richter im Termin auf Stellung eines ordnungsmäßigen Antrags hinwirken wird. Nach § 1 1 1 G K G soll, der Fall der Bedürftigkeit ausgenommen, Termin nicht vor Zahlung der Gerichtsgebühr anberaumt werden. Taschner hat die Gebühr in Höhe des Mindestbetrags von 3 D M ( § 9 G K G ) deshalb bereits in Kostenmarken entrichtet. Die Partei soll den Schriftsätzen, die sie bei Gericht einreicht, die für die Z u stellung erforderliche Zahl von Abschriften beifügen (§ 49611 S. 2). Unterläßt sie dies, so läßt die Geschäftsstelle auf ihre Kosten die Abschriften fertigen (§ 9 1 1 Ziff. 2 GKG). Die Sache wird als neue Akte unter dem Aktenzeichen 49 C 23/60 geführt. Dieses Aktenzeichen setzt sich wie folgt zusammen: 1. Nummer der Abteilung des AmtsL u x , Schulung.

Aufl. (Berg)

1

2

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Verhandlungstermin

gerichts (49. Abteilung), 2. Buchstabe C, der besagt, daß es sich um eine allgemeine Zivilsache handelt (B = Mahnsachen, D = Urkunden- und Wechselprozeß, G = Arrest oder einstweilige Verfügung), 3. laufende Nummer 23 des Jahrgangs i960

(23/60).

Bei der Terminsbestimmung ist die Einlassungsfrist zu beachten. Da der Beklagte im Bezirk des Prozeßgerichts wohnt, müssen zwischen der Zustellung der Ladung und dem Termin mindestens 3 Tage liegen (§ 4991). Nach Bestimmung des Termins werden die Parteien gemäß §§ 496, 497, 498 von Amts wegen durch die Geschäftsstelle in folgender Form geladen. „Geschäftsnummer 49 C 23/60.

Ladung in Sachen Taschner gegen Aigner Auf die in beglaubigter Abschrift beigefügte, bei Gericht am 2. Februar i960 eingegangene Klageschrift vom 31. Januar i960 werden Sie zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits auf den 15. Februar i960, 10 Uhr vor das Amtsgericht hier, Köln, Reichenspergerplatz, 3. Stockwerk, Zimmer 334 geladen. Etwaige Einwendungen und Beweismittel wollen Sie unter genauer Bezeichnung der zu beweisenden Tatsachen dem Gericht Zwecks Vorbereitung der Verhandlung unverzüglich in 2 Stücken mitteilen oder beim Amtsgericht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären. Ihr Erscheinen im Termin wird jedoch durch eine solche Mitteilung nicht entbehrlich. Wenn Sie nicht erscheinen und sich auch nicht durch eine mit schriftlicher Vollmacht versehene volljährige Person vertreten lassen, kann auf Antrag entweder Versäumnisurteil oder Entscheidung nach Lage der Akten ergehen. Köln, den 2. Februar i960 Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle."

Die vom Antragsteller gewünschte, an sich nach § 272 bn Z. 4,5 zulässige Ladung des Dr. Lämchen hat der Richter nicht angeordnet. Die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen zum ersten Termin ist immer bedenklich. Tatsachen, die nach der Klage als streitig und beweisbedürftig erscheinen, werden in der Verhandlung oft unstreitig, andrerseits als unstreitig vorgetragene bestritten, so daß vorgeladene Personen unvernommen nach Hause geschickt werden müssen und wegen fehlender Zeugen die Sache ohnehin nicht zum Abschluß gelangt. Die Ladung wird mit der Klageschrift zugestellt. Die Ladung des Klägers braucht nicht zugestellt zu werden. §§ 4 9 6 1 V S. 1, 4 9 7 1 S. 3 , 4 9 8 . Verhandlung. „Gegenwärtig: Köln, den 15. Februar i960. Amtsgerichtsrat Richter als Richter, Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. in Sachen Taschner gegen Aigner erschienen bei Aufruf: 1. der Kläger Taschner in Person, 2. der Beklagte Aigner in Person."

Der Richter erörtert gemäß §§4951,139 den Sachverhalt mit den Parteien und sucht gemäß § 4 9 5 1 1 einen gütlichen Ausgleich herbeizuführen. Doch gelingt das trotz allen Zuredens nicht, weil Aigner es ablehnt, selbst aus Billigkeitsgründen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht vergleichsweise etwas an Taschner zu zahlen. Nunmehr setzt der Richter dem Kläger ausemander, daß der Anspruch aller Wahrscheinlichkeit nach aus Rechtsgründen abgewiesen werden müßte und empfiehlt ihm die Zurücknahme der Klage, um Kosten zu sparen.

3

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Schiedsurteil

Doch Taschner bleibt halsstarrig und verlangt ein Urteil. Der Richter veranlaßt, daß der Kläger einen richtigen Antrag formuliert (§1591) „ D e r Kläger beantragt: den Beklagten zu verurteilen, 43,50 D M nebst 6°/ 0 Zinsen seit dem 24. Januar i960 an den Kläger zu zahlen. Der Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen. Die Parteien verhandelten sodann zur Sache. Der Kläger überreichte einen Brief, eine Postkarte und ein kreisärztliches Attest. E r beantragt, den Beklagten darüber als Partei zu vernehmen, daß er ihn am 14. Januar i960 telephonisch angerufen und erinnert habe, die Sache mit Steiner in Ordnung zu bringen und daß der Kläger erwidert habe: ,Gut, dann werde ich morgen fahren.' Der Beklagte erklärte sich mit seiner Vernehmung einverstanden. Vorgelesen, genehmigt."

Festlegung von Anträgen auf Parteivernehmung und der Erklärung der Gegenseite hierzu im amtsgerichtlichen Verhandlungsprotokoll und sonstige Erfordernisse des Protokolls: 510a. „ E s wurde folgendes Schiedsurteil verkündet: Der Kläger wird mit der Klage abgewiesen und hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Richter.

Urktad."

Schiedsurteil. Das auf § 510c beruhende Schiedsurteüsverfahren findet bei Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche statt, wenn der Wert des Streitgegenstandes zur Zeit der Einreichung der Klage 50 DM nicht übersteigt. Das in diesem Verfahren ergehende Urteil ist als Schiedsurteil zu bezeichnen und steht einem rechtskräftigen Urteil gleich. Die Besonderheit der Schiedsurteilssachen liegt darin, daß das Gericht sein Verfahren nach freiem Ermessen bestimmen kann. Jedoch muß den Parteien das rechtliche Gehör gewährt werden (vgl. § 579111). Der Begriff des rechtlichen Gehörs ist der gleiche wie im schiedsrichterlichen Verfahren (§ 1041 4 ZPO), das heißt, daß die Parteien Gelegenheit haben müssen, alles das vorzubringen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich erachten. Sie haben aber keinen Anspruch darauf, daß das Gehör gerade in der Form der mündlichen Verhandlung gewährt wird; auch können sie die Mitteilung von Beweisergebnissen nur verlangen, falls in der Beweisaufnahme neues Tatsachenmaterial oder neue rechtliche Gesichtspunkte hervorgetreten sind. R G 1 1 2 , 3 i j , H R R 35, 304. Will das Gericht im Schiedsurteüsverfahren bei Ausbleiben einer Partei statt des dem Einspruch unterliegenden Versäumnisurteils alsbald unanfechtbares Schiedsurteil erlassen, so muß es die Parteien auf die beabsichtigte Abweichung vom normalen Verfahren vorher hinweisen.

Auf schriftliche Begründung des Schiedsurteils können die Parteien in der Verhandlung verzichten, jedoch nicht auf schriftliche Abfassung der Urteilsformel. Der Verzicht ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 510 ein). In unserem Fall ist kein Begründungsverzicht erklärt worden. Das Urteil lautet: „Schiedsurteil. Verkündet am 15. Februar i960. Urkmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Im Namen des Volkes! In Sachen des Pferdehändlers Robert Tascbner in Brühl, Marktstr. 5, Klägers,



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Prozeßlichter des Amtsgerichts — Tatbestand gegen den Fleischermeister und Pferdehändler Karl Aigner in Weiß, Kreis Köln, Beklagten, wegen Forderung hat das Amtsgericht in Köln auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar i960 durch den Amtsgerichtsrat Richter durch Schiedsurteil für Recht erkannt: Der Kläger wird mit der Klage abgewiesen und hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. „Tatbestand. Am 4. Januar i960 verkaufte und übergab der Kläger dem Beklagten auf dem Pferdemarkt in Brühl einen hellbraunen Wallach mit Blässe. Der Beklagte verkaufte das Pferd am selben Tag weiter an den Gastwirt Steiner in Rondorf bei Köln und übergab es dem Steiner. Am 7. Januar i960 schrieb Steiner dem Beklagten folgende Postkarte: Teile Ihnen mit, daß der Wallach ein arger Kehlkopfpfeifer ist. Selbstverständlich trete ich vom Kauf zurück und werde Sie verklagen, wenn Sie das Pferd nicht innerhalb 3 Tagen zurücknehmen. Am 8. Januar i960 schickte der Beklagte diese Postkarte dem Kläger mit folgendem Begleitschreiben: Beifolgend eine heute eingegangene Postkarte von Steiner, dem ich den hellbraunen Wallach weiterverkauft habe. Ich ersuche Sie, die Sache mit Steiner in Ordnung zu bringen. Am 14. Januar i960 fand zwischen den Parteien ein Telephongespräch statt, bei dem, wie der Kläger mit Antrag auf Parteivernehmung behauptet, der Beklagte ihn erinnert und der Kläger darauf erwidert haben soll: ,Gut, dann werde ich morgen fahren'. Am 15. Januar i960 fuhr der Kläger nach Köln, nahm den dortigen Kreistierarzt Dr. Lämcben mit nach Rondorf hinaus und ließ das Pferd bei Steiner untersuchen. Der Kreistierarzt hat darüber nachstehendes Attest ausgestellt: Der heute im Stalle des Gastwirts Steiner in Rondorf von mir untersuchte hellbraunes Wallach mit Blässe, den Steiner nach seiner Angabe am 4. d. M. auf dem Pferdemarkt in Brühl vom Fleischermeister und Viehhändler ^/¿wer-Weiß gekauft hat, leidet nicht an einer durch einen chronischen und unheilbaren Krankheitszustand des Kehlkopfs oder der Luftröhre verursachten und durch ein hörbares Geräusch gekennzeichneten Atemstörung (Kehlkopfpfeifen), sondern an einem akuten Rachenkatarrh. Köln, den 15. Januar i960. Dr. Lämcbm. Kreistierarzt. Der Kläger hat für die Untersuchung und das Attest des Kreistierarztes 31 D M und für ein Auto von Köln nach Rondorf 12,50 DM gezahlt. Der Beklagte ist zur Zahlung dieser 43,50 DM am 24. Januar i960 erfolglos gemahnt worden. Der Kläger hält den Beklagten zur Erstattung für verpflichtet, weil die Aufwendungen im Auftrage des Beklagten gemacht und die Reise durch die vom Beklagten an ihn weitergegebene unrichtige Mitteilung des Steiner veranlaßt worden sei. Er beantragt: den Beklagten zu verurteilen 43,50 DM(i. W.)nebst6% Zinsen seit dem 24. Januar i960 an den Kläger zu zahlen. Der Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen, Er behauptet, er habe bei dem Telephongespräch am 14. Januar i960 lediglich gefragt: ,was macht die Sache mit Steiner?', worauf der Kläger erwidert habe: .morgen fahre ich hin'. Mit seiner Vernehmung als Partei erklärt er sich einverstanden."

D e r erste Teil des Tatbestandes bringt die unstreitigen Tatsachen in historischer Reihenfolge. Dabei ist das Telephongespräch vom 14. Januar, obgleich bestritten, in den unstreitigen Sachverhalt (die „Geschichtserzählung") an der Stelle eingefugt, w o es dem Zusammenhang nach hingehört. Eine Notwendigkeit, den bestrittenen Sachverhalt immer erst nach der Geschichtserzählung mitzuteilen, besteht nicht; nur muß deutlich hervortreten, was bestritten und was unbestritten ist.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Entscheidungsgründe

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Über die Höhe der Aufwendungen hatten die Parteien anfänglich gestritten. Nachdem sie sich geeinigt haben, sind die Aufwendungen als unstreitig mitzuteilen. Denn der Tatbestand soll den Sach- und Streitstand so wiedergeben, wie er bei Erlaß des Urteils lag und die Grundlage der gerichtlichen Entscheidung bildet. Daß ein jetzt unstreitiger Punkt früher einmal bestritten war, interessiert nur insofern, als sich möglicherweise daran Kostenfolgen aus § 96 ZPO knüpfen können oder eine stattgehabte Beweisaufnahme dadurch verständlich wird. Die überreichten Schriftstücke hat der Richter, statt auf sie Bezug zu nehmen, wörtlich eingerückt. Das ist (nicht bloß in Prüfungsarbeiten, sondern auch in Urteilen der Praxis) bei nicht zu langen Urkunden empfehlenswert, weil das Urteil dadurch den Parteien, für die es berechnet ist, besser verständlich wird. Rechtsausführungen der Parteien brauchen an sich nicht in den Tatbestand aufgenommen zu werden. Hier sind die rechtlichen Gesichtspunkte, auf die Taschner seine Klage stützt, kurz angedeutet, weil sie sich nicht von selbst ergeben und die Klage, die nicht schlüssig ist, sonst unverständlich sein könnte. Bei der rechtlichen Würdigung hat das Gericht (von den prozessualen Vorfragen abgesehen) stets erst zu prüfen, ob der Rechtsstreit nicht schon auf Grund des eigenen Vorbringens der Parteien zur Entscheidung reif ist. Zu diesem Zweck wird das tatsächliche Vorbringen der Parteien grundsätzlich ohne Rücksicht auf die von ihnen geäußerten Rechtsansichten nach allen in Betracht kommenden juristischen Möglichkeiten untersucht („iura novit curia", „da mihi facta, dabo tibi ius"). Zuerst wird der klägerische Vortrag daraufhin geprüft, welche A n s p r u c h s g r u n d l a g e in Betracht kommt („qualis sit actio?") und ob der V o r t r a g ausreicht, die erforderlichen gesetzlichen Tatbestandsmerkmale auszufüllen („actio an sit fundata?", sog. S c h l ü s s i g k e i t s p r ü f u n g der Klage). Ist der Vortrag des Klägers schlüssig, so ist nunmehr der Vortrag des Beklagten daraufhin zu untersuchen, ob er geeignet ist, den Klageanspruch zu Fall zu bringen („actio an sit exceptionibus elisa?", „qualis sit exceptio?", „exceptio an sit fundata?", sog. E r h e b l i c h k e i t s p r ü f u n g der Einlassung des Beklagten). Erst wenn feststeht, daß die Parteivorträge schlüssig bzw. erheblich sind, ist über die bestrittenen Behauptungen durch Beweisbeschluß Beweis zu erheben ( T a t s a c h e n f e s t s t e l l u n g ) . Näheres siehe bei Berg, „Gutachten und Urteil", Schäffers Rechtsfälle Band 12. In unserem Falle ist der Richter schon bei Prüfung der Schüssigkeit des Klagevortrags zur Endentscheidung gelangt. Eine nicht schlüssige Klage ist unbegründet, ohne daß es auf die Einlassung des Beklagten und auf Beweise ankommt. „Entscheidungsgründe." Der Klageanspruch ist nicht begründet. Der Kläger kann den Beklagten nicht auf Grund des Briefes vom 8. Januar i960, in dem dieser ihn „ersuchte, die Sache mit Steiner in Ordnung zu bringen", für die ihm entstandenen Aufwendungen bzw. Schäden in Anspruch nehmen. Das Ersuchen war keine Offerte zu einem Auftrag, den der Kläger durch die Reise nach Rondorf oder durch das Telephongespräch vom 14. Januar angenommen hätte. Denn der Beklagte hatte kein Interesse daran, sich durch Erteilung eines Auftrags dem Kläger gegenüber zum Ersatz der diesem entstehenden Aufwendungen gemäß § 670 B G B zu verpflichten. E s kann sich lediglich um einen nach § 676 B G B unverbindlichen Ratschlag gehandelt haben, den der Beklagte dem Kläger in dessen eigenem Interesse gab und den dieser in seinem eigenen Interesse befolgte. Denn der Kläger hatte damit zu rechnen, daß Steiner an den Beklagten und der Beklagte an ihn Gewährleistungsansprüche erheben würde und daß er schließlich genötigt wäre, das Pferd zurückzunehmen und womöglich die Kosten zweier Prozesse zu tragen. Denn Kehlkopfpfeifen gehört zu den gesetzlichen Hauptfoängeln, für die der Verkäufer dem Käufer mit einer Gewährfrist von 1 4 Tagen seit Übergabe haftet (§§ 482, 483, 446 B G B , § i 1 Ziff. 4 kais. V O vom 27. HI. 1899,

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Haftung für Auskunft, Rat, Empfehlung RGBl. 219). Die Anzeigefrist des § 485 B G B war durch die Postkarte des Steiner und den Brief des Beklagten gewahrt. Die Beurteilung würde sich auch dann nicht ändern, wenn die Parteien am 14. Januar das vom Kläger behauptete Telephongespräch miteinander geführt haben sollten. Die behauptete „Erinnerung" des Beklagten würde lediglich als Erkundigung, die Erklärung des Klägers, daß er morgen zu Steiner fahre, als eine rein tatsächliche Mitteilung aufzufassen sein. Auf die vom Kläger über den Inhalt des Gesprächs beantragte Parteivernehmung kommt es daher nicht an. Eine sonstige Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist nicht ersichdich. Insbesondere kann den ganzen Umständen nach nicht angenommen werden, daß der Beklagte dem Kläger gegenüber schlechthin die Gewähr für die Richtigkeit der mit dem Schreiben vom 8. Januar weitergegebenen Mitteilungen Steiners übernehmen wollte. Daß die Unrichtigkeit der Angaben dem Beklagten bekannt gewesen sei, hat der Kläger selbst nicht behauptet.

Haben sich die Parteien am 14. Januar darüber geeinigt, daß Taschner am folgenden T a g zu Steiner nach Rondorf fahre, so war damit ein Vertrag im Rechtssinn nur geschlossen, wenn beide den Willen hatten, rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben. Erklärungen, bei denen der „animus sese iuridice obügandi" fehlt, sind rein tatsächliche V o r g ä n g e und begründen Ansprüche lediglich unter den Voraussetzungen der unerlaubten Handlung (§§ 8 2 3 f . ) oder ungerechtfertigten Bereichetung (§§ 8izL). Solche tatsächlichen Erklärungen sind z . B . das Versprechen des ersten Tanzes, die Verabredung eines Besuchs, einer gemeinsamen Reise und ähnliche gesellschaftliche Abmachungen, das Mitfahrenlassen eines müden Handwerksburschen auf der Landstraße, der Hilferuf eines Überfallenen. Dagegen ist Vertrag anzunehmen bei der Einladung eines Automobilhändlers zur Probefahrt an eine Person, die er zum Ankauf eines Wagen bestimmen möchte. A u c h bei der Aufforderung eines Polizeibeamten an junge Leute, ihm bei der Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers behilflich zu sein, hat R G J W 14, 676 einen privatrechtlichen (richtiger wohl öffentlich-rechtlichen) A u f t r a g angenommen, der den A n spruch auf A u f wendungsersatz gemäß § 670 gibt (vgl. im einzelnen hierzu den Fall 15 bei Berg, D i e Klausurarbeit im Referendarexamen, Schäffers-Rechtsfalle Bd. 1 1 ) . Auskünfte, Ratschläge, Empfehlungen werden überwiegend aus Gefälligkeit und ohne Verpflichtungswillen erteilt, können aber — besonders wenn eine H o n o rierung erfolgt — auch Gegenstand eines Vertrages sein. Darum sagt § 676, daß Rat und Empfehlung „unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis oder aus einer unerlaubten Handlung ergebenden Verantwortlichkeit" nicht schadensersatzpflichtig machen. H a f t u n g f ü r A u s k u n f t , R a t , E m p f e h l u n g : 1. Vertragshaftung. Auskunft, Rat und Empfehlung können a) Gegenstand eines selbständigen Vertrages (Anwalt, Arzt, Auskunftsbüro) oder b) Nebenverpflichtungen im Rahmen eines anderen Vertragsverhältnisses sein (z. B. Beratung des Kunden durch den Bankier). In beiden Fällen besteht, Verschulden vorausgesetzt, die gewöhnliche Verttagshaftung. Doch ist gerade bei den Auskunfteien der formularmäßige Ausschluß der Ersatzpflicht in den Geschäftsbedingungen, welche der Kunde durch Unterschrift als maßgebend anerkennen muß, üblich; dann können Ansprüche nur erhoben werden, wenn der Inhaber der Auskunftei (nicht ein bloßer Angestellterl) bei der unrichtigen Auskunft vorsätzlich unrichtig handelte. §§ 276II, 278 S. 2. 2. Deliktshaftung besteht in der Regel nur unter den Voraussetzungen des § 826, da kein bestimmtes absolutes Recht (§ 8231), sondern lediglich das Vermögen als Ganzes durch die unrichtige Auskunft verletzt wird. Dabei wird wichtig, daß Vorsatz schon gegeben ist, wenn der Auskunfterteilende über die in der Auskunft behandelten Verhältnisse gar nichts Bestimmtes weiß, während er sich den Anschein gibt, gut informiert zu sein. E r braucht also nicht das positive Bewußtsein der Unrichtigkeit der von ihm gemachten Angaben zuhaben. Vgl. Staudinger ( 1 1 . Aufl.) Anm. 34 zu § 676. Deliktsansprüche aus unrichtiger Auskunft werden meist von demjenigen erhoben, der im Vertrauen auf eine günstige Auskunft Kredit gewährt hat; doch kommt auch der umgekehrte Fall vor, daß der Beauskunftete sich durch ungünstige Auskunft benachteiligt fühlt.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Anfechtung des Schiedsurteils

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Haftung für Dritte nach § 8 31, also mit Exkulpationsmöglichkeit, außer wenn der Fall des § 3 1 (Filialleiter) oder der §§ 31,89 (verfassungsmäßig bestellter Leiter einer öffentlichen Bankanstalt oder Sparkasse) gegeben ist. G e f ä l l i g k e i t s f a h r t : Gegenüber dem durch das Fahrzeug Beförderten besteht keine Gefährdungshaftung aus dem StVG, es sei denn daß es sich um eine entgeltliche Beförderung durch ein dem öffentlichen Verkehr dienendes Fahrzeug handelt (§ 8a StVG). Auch eine Vertragshaftung ist bei unentgeltlicher Gefälligkeitsfahrt im Regelfall zu verneinen, BGH 21/107. Darüber hinaus kann sogar die aus §§ 823 f. BGB folgende Deliktshaftung durch stillschweigende Vereinbarung oder aus dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen sein. Hierzu genügt freilich die Unentgeltlichkeit für sich allein noch nicht; der Verletzte muß sich vielmehr der Möglichkeit einer Gefährdung durch den Umstand, der für den Unfall ursächlich geworden ist, bewußt gewesen sein (BGH NJW 1958, 905, VRS 59/81), z. B. Kraftwagenfahrt zur Weinprobe (RG 128/229) oder auf einem überfüllten LKW ohne feste Sitze (OGH Köln, NJW 1950, 143). Ob ein Haftungsausschluß sich nur auf das normale oder sogar auf das durch grobe Fahrlässigkeit des Fahrers entstehende erhöhte Risiko bezieht, kann zweifelhaft sein. Vgl. BGH VRS 5 5/324 und wegen der Anbringung eines auf eine Haftungsbeschränkung hinweisenden Schildes R G 145, 395. Ist die Haftpflichtversicherung des Kraftfahrzeughalters dem Mitfahrer bekannt, so kann ein Verzichtswille des Gefälligkeitsfahrers zu verneinen sein. Vgl. über teilweisen Haftungsverzicht BGH NJW i960, 1197 und über Haftungsausschluß und Handeln auf eigene Gefahr bei einer entgeltlichen Beförderung BGH 2/159. Treibjagd: Lädt der Jagdinhaber zu einer Treibjagd ein, deren Leitung er übernimmt, so vergewissert er sich zwar der Zustimmung seiner Gäste, aber es liegen beiderseits Gefälligkeiten ohne rechtlichen Charakter vor, insbesondere „beauftragt" er nicht etwa die Gäste mit dem Abschuß des Wildes. Also auch keine Haftung des Einladenden für andere Gäste aus § 278 oder § 831, sondern lediglich aus eigenem Verschulden (§ 823). R G 128, 39. Unterschied von vertraglich bindender Zusicherung beim Kaufvertrag und bloß tatsächlicher Mitteilung: unten S. 70. V o n den Nebenpunkten braucht nur die Kostenentscheidung behandelt zu werden, denn die Stellungsnahme zum Zinsanspruch hat sich durch die Klageabweisung erledigt, und ein Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit erübrigt sich, weil die Geschäftsstelle auf Grund der Bezeichnung als „Schiedsurteil" ohne weiteres Rechtskraftattest erteilt. „Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger als unterlegener Teil nach § 91I S. i ZPO zu tragen.

Richter."

A n f e c h t u n g des S c h i e d s u r t e i l s . Das das Schiedsurteil einem im ordentlichen Verfahren ergangenen rechtskräftigen Endurteil gleich steht, sind ordentliche Rechtsmittel ausgeschlossen. Zum Ausgleich erweitert § 5 79111 Z P O den außerordentlichen Behelf der Nichtigkeitsklage analog den gegenüber einem Schiedsspruch nach § 1041 Z P O bestehenden Aufhebungsgründen. Außerdem kann die Nichtigkeitsklage gegen das Schiedsurteil darauf gestützt werden, daß der Partei in dem Verfahren kein „rechtliches Gehör" (S. 3) gewährt worden oder daß das Schiedsurteil „nicht mit Gründen versehen" sei. Dieser Nichtigkeitsgrund liegt nicht schon dann vor, wenn die Gründe unrichtig, oberflächlich, unklar oder widerspruchsvoll sind; wohl aber, wenn in ihnen ein ganzer Rechtsbehelf (z. B. eine Klagebegründung oder Einrede) mit Stillschweigen übergangen wird. R G 119, 29; H R R 36, 9 1 1 .

Mahnverfahren M a h n g e s u c h . P r ü f u n g . Mahnsachen müssen den in § 690 vorgeschriebenen Inhalt haben, sie können schriftlich oder mündlich bei Gericht gestellt werden. Bei mündlicher Anbringung ist die Aufnahme eines Protokolls nicht erforderlich (§ 702). E s genügt, daß der aufnehmende Beamte den Zahlungsbefehl nach den A n -

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Schuldner und Bürge

gaben des Gläubigers durch Ausfüllung eines Formulars entwirft und nachher dem zur Entscheidung zuständigen Rechtspfleger vorlegt. Gesuche, die eine zusammenhängende Sachdarstellung nach Art der Klage enthalten, sind selten; in der Geschäftsstelle wird das Gesuch nur dann zu Protokoll genommen, wenn der Urkundsbeamte es für unbegründet hält und die Partei gleichwohl darauf beharrt, § 12IV Aktenordnung vom 28. November 1934 (in der am 1. März 1939 gültigen Fassung). In der Mehrzahl der Fälle reicht der Gläubiger lediglich einen mehr oder weniger vollständig ausgefüllten Zahlungsbefehlsentwurf mit kurzem Anschreiben bzw. Begleitvermerk als Mahngesuch ein, gewöhnlich in 3, bei mehreren Schuldnern in entsprechend mehr Exemplaren (§ 12 V). In dieser Form beantragt Gastwirt Finke aus Köln für seine Ehefrau, als deren Prozeßbevollmächtigten er sich bezeichnet, gegen 1. Frau Johann Rädler, Anna geb. Reuter in Weiß, Auf der Ruhr 10; 2. Anstreichermeister Josef Reuter, Wesseling, Hauptstr. 4 Zahlungsbefehl wegen 1200 D M nebst 6 % Zinsen seit 1. Januar i960. „aus dem Frau Rädler von der Gläubigerin gewährten, Ende Dezember 1959 fälligen Darlehn, für das sich deren B r u d e r Josef Reuter in Wesseling schriftlich als Selbstschuldner verbürgt hat; Gerichtsstand Köln ist vereinbart".

Unrichtig wäre es, wenn Finke von Frau Rädler und Reuter Zahlung als „Gesamtschuldner" verlangt hätte. Schuldner und Bürge sind keine Gesamtschuldner, auch wenn der Bürge sich als Selbstschuldner verpflichtet hat. Eine Gesamtschuld besteht aus ebensovielen Verpflichtungen wie Mitschuldner vorhanden sind. Jede dieser Verpflichtungen kann ihr besonderes rechtliches Schicksal haben, soweit nicht die Zweckeinheit ein anderes erfordert, vgl. §§ 422—425 BGB. Dagegen handelt es sich bei der Bürgschaft um eine Verpflichtung, die zwar die Erfüllung der Hauptverpflichtung sichern soll, für die aber nach § 767 B G B der jeweilige Bestand der Hauptverpflichtung maßgebend ist. Das rechtliche Schicksal der Hauptverpflichtung wirkt also bestimmend auf den Umfang der Bürgschaftsverpflichtung ein. Wird die Hauptschuld durch Verzug oder Verschulden des Hauptschuldners geändert, so ändert sich — entgegen § 42 5 11 B G B — auch der Umfang der Bürgschaftsverpflichtung. Der Bürge wird ferner frei, wenn die Erfüllung der Hauptschuld durch Zufall unmöglich wird. Diese Abhängigkeit der Bürgschaft von der Hauptschuld besteht, auch wenn sich der Bürge als Selbstschuldner verbürgt. Ein solcher Bürge tritt damit nicht in das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ein; er wird nicht Gesamtschuldner, sondern verzichtet nur auf die Einrede der Vorausklage. R G 134/128. B G H N J W 1955/1398. — Auch hinsichtlich des Rückgriffrechts des Bürgen wirkt sich der Unterschied aus. Die §§ 425, 426 B G B sind nicht anwendbar; an deren Stelle gelten die §§ 767, 774 BGB. 1. Kostenzahlung Entsprechend dem bereits für das Streitverfahren festgestellten Prinzip, die Gerichtskasse gegen Ausfälle nach Möglichkeit zu sichern (S. oben S. 1), werden Zahlungsbefehle grundsätzlich erst nach Gebührenzahlung erlassen (§ m i i GKG). Die Gebühr beträgt 8/10 (§§ 311 S. 1). Die hiernach zu entrichtenden 21 D M sind in Kostenmarken beigefügt. 2. Zulässigkeit des Mahnverfahrens Mahnverfahren, Urkundenprozeß und exekutorische Urkunde sind nur für Ansprüche auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder Leistung einer bestimmten Quantität anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere gegeben. §§ 6881, 592, 794® ZPO. Daß der dingliche Hypothekenanspruch (§§ 1 1 1 3 , 1147 BGB), der üblicherweise auf Verurteilung: „die Zwangsvollstreckung in das Pfandgrundstück

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Mahnverfahren

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•wegen einer Summe von . . . zu dulden" tenoriert wird, im Sinne der angeführten Bestimmungen Anspruch auf „Zahlung" einer bestimmten Geldsumme ist, sagt das Gesetz ausdrücklich. Da Frau Finke sowohl von Frau Rädler als auch von Herrn Reuter Z a h l u n g e i n e r b e s t i m m t e n G e l d s u m m e verlangt, bestehen in dieser Hinsicht gegen die Zulässigkeit des Verfahrens keine Bedenken. Auch die übrigen in § 690 ZPO aufgeführten Erfordernisse (insbesondere Ziff. 1: genaue Bezeichnung der Parteien; Ziff. 3: bestimmte Angabe des Betrags und Grundes des Anspruchs) sind gegeben. Bei dem Antrag auf Erlaß eines Zahlungsbefehls ist immer im Auge zu behalten, daß er nach Vollstreckbarerklärung Grundlage einer Zwangsvollstreckung ist. Es liegt daher im eigenen Interesse des Gläubigers, den Schuldner so genau zu bezeichnen, daß gegen ihn die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Bei einem Zahlungsbefehl gegen einen Kaufmann ist daher Zweckmäßig nicht nur seine Firma, sondern auch sein Vor- und Zuname anzugeben, z. B. gegen den „unter der Firma Martin Schultze handelnden Kaufmann Johann Schmitz". Andernfalls können sich Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung in das persönliche Vermögen ergeben, namentlich bei einer Vollstrekkung in das unbewegliche Vermögen (vgl. den lehrreichen Fall BayObLG NJW 1956/1800) und beim Offenbarungseidverfahren, wo die persönliche Ladung des Schuldners vorgeschrieben ist, § 900111 S. 1 ZPO. Die genaue Angabe des Grundes des Anspruchs ist erforderlich, um die Wirkung eines rechtskräftig gewordenen Vollstreckungsbefehls festzulegen. Leider verleitet der in der Praxis übliche Vordruck, der mit den Worten „aus" oder „wegen" beginnt und zum Ausfüllen nicht viel Platz läßt, zu ungenügenden und mangelhaften Angaben. Vgl. die Beispiele bei Petermann, Rechtspfleger 1957 S. 398: „ . . . aus Zession", ohne Bezeichnung der zedierten Forderung, „wegen Pachtrückstand für das von Ihnen gepachtete Objekt X " , ohne Angabe, für welchen Zeitraum der Pachtzins verlangt wird.

Zuständig für den Erlaß des Zahlungsbefehls ist das Amtsgericht, das für die im ordentlichen Verfahren erhobene Klage zuständig sein würde, § 689 ZPO. Das ist nach Wahl des Gläubigers der Wohnsitz des Schuldners oder der Erfüllungsort (§§ T3> 2 9 ZPO). Frau Rädler wohnt im Bezirk des Amtsgerichts Köln, Herr Reuter dagegen im Bezirk des Amtsgerichts Bonn. Der Erfüllungsort für eine Darlehnsschuld ist im Zweifel der Wohnsitz des Schuldners, § 269 BGB. Das gilt aber nicht für die Bürgschaft, die für das Darlehn übernommen wurde. Die Akzessorietät der Bürgschaft (§ 767 BGB) hat grundsätzlich nur Bedeutung für den materiellen Inhalt der Bürgschaftsschuld, nicht für die prozessuale Frage des Gerichtsstandes. RG 137, ix; Staudinger-Brändl (11. Aufl.) Anm. 37 vor §§ 765ff. BGB. Das ist der Grund, warum Frau Finke mit Reuter Köln als Gerichtsstand vereinbart hat, § 2691 BGB. Der Rechtspfleger hat vor Erlaß des Vollstreckungsbefehls die Zuständigkeit unter Zugrundelegung der Angaben des Gläubigers von Amts wegen zu prüfen. Baumbach, Anm. 2 zu § 689 ZPO. Mangels Zuständigkeit wäre der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. — Hätte Frau Finke versäumt, mit Reuter den Gerichtsstand Köln zu vereinbaren, so müßte sie entweder zwei Prozesse führen (gegen Frau Rädler in Köln, gegen Herrn Reuter in Bonn) oder sie müßte gemäß § 36 Ziff. 3 ZPO für beide ein gemeinsames Gericht durch das im Rechtszuge zunächst höhere Gericht bestimmen lassen. Das höhere Gericht wäre hier das Oberlandesgericht Köln gewesen; wohnte Reuter in einem anderen Lande der Bundesrepublik, etwa in Frankfurt (Land Hessen), so wäre der Bundesgerichtshof das zunächst höhere Gericht.

3. Vollmacht Mahngesuch und Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl sind vom Vollmachtszwang befreit (§703). Erst beim Antrag auf Vollstreckungsbefehl bzw. beim Einspruch gegen den Vollstreckungsbefehl hat sich der Bevollmächtigte, der Regel des § 8 8 n gemäß, durch schriftliche Vollmacht zu legitimieren.

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Schlüssigkeit des Anspruchs

4. Schlüssigkeit des Anspruchs Nach § 691 wird das Mahngesuch zurückgewiesen, wenn sich „aus dem Inhalt des Gesuchs ergibt, daß der Anspruch überhaupt oder zur Zeit nicht begründet ist". Es werden also, wie das auch im Versäumnisverfahren geschieht, die einseitigen Angaben des Gläubigers der Prüfung zugrunde gelegt und etwaige Gegenrechte des Schuldners (Verjährung und sonstige Einreden im Sinne des materiellen Rechts, Recht auf Herabsetzung einer Vertragsstrafe usw., §§ 202, 222, 343 BGB) ignoriert. Die — tatsächlichen — Angaben des Gläubigers müssen ergeben, daß das Zahlungsbegehren „schlüssig" ist, d. h. sie müssen den (rechtlichen) Schluß auf die begehrte Rechtsfolge zulassen. Ob das Vorbringen Finkes in diesem Sinne ausreicht, ist zweifelhaft. Die Verpflichtung Frau Rädlers wird lediglich mit einem „Ende 1959 fälligen Darlehn" begründet. „Darlehn" und Fälligkeit" sind an sich Rechtsbegriffe, keine tatsächlichen Angaben. Immerhin handelte es sich bei dem Wort „Darlehn" um einen Rechtsbegriff des täglichen Lebens, der — wie „Kauf", „Miete" — als Tatsache angesehen werden kann, falls der übrige Vortrag der Parteien keinen Zweifel aufkommen läßt, daß der Begriff richtig verwandt wurde. Vgl. B G H NJW 1958/ 1968 und Berg, Gutachten und Urteil (14.—17. Aufl. i960) S. 47f. unter II. Bedenklicher steht es mit der „Fälligkeit" des Darlehns. Hier handelt es sich nicht um einen einfachen Rechtsbegriff. Ob das Darlehn wirklich Ende 1959 fällig war, läßt sich erst sagen, wenn eine dahingehende besondere Parteivereinbarung oder eine vorhergehende dreimonatliche Kündigung behauptet wird, § 609 BGB. Die Praxis setzt sich jedoch regelmäßig über solche Bedenken hinweg. Ihr genügt die Behauptung, daß das Darlehn zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig geworden sei. Diese Praxis erklärt sich aus der Überlastung der Mahnabteilung. Würde der Rechtspfleger jedes Mahngesuch sorgfältig auf seine Schlüssigkeit prüfen, so ergäben sich zahlreiche Rückfragen, die zu einer noch stärkeren Beanspruchung führen. Immerhin ist das keine ausreichende Rechtfertigung für die oft recht oberflächliche Prüfung der Mahngesuche. Vgl. Petermann a. a. O. S. 401 und das dort angeführte Beispiel aus der täglichen Praxis : Gesuch um Erlaß eines Zahlungsbefehls über DM „wegen Schadenersatzes aus Verkehrsunfall vom Ein solches Gesuch ist zwar z u l ä s s i g i. S. des §690 Z P O , da Betrag und Grund bestimmt genug angegeben sind; es läßt sich aber nicht daraus ersehen, ob es auch b e g r ü n d e t (richtiger: schlüssig) i. S. des § 691 Z P O ist, da nicht daraus hervorgeht, ob der Anspruch auf § 823 B G B oder § 7 S t V G oder auf beides gestützt wird.

Bedenken bestehen bei dem Gesuch Finkes auch hinsichtlich des Zinsanspruchs in Höhe von 6% ab 1. Januar i960. Mangels näherer Angaben entsteht ein Zinsanspruch erst ab Zustellung des Zahlungsbefehls und nur in Höhe von 4%, §§ 2841 S. 2, 2881 BGB. Der frühere und höhere Zinsanspruch Finkes wäre nur begründet, wenn die Rückzahlung des Darlehns auf den 31. Dezember 1959 festgelegt worden wäre, es also einer Mahnung nicht bedurft hätte („Dies interpellât pro homine", § 2841 BGB), und wenn ein Verzugsschaden in Höhe von 6% entstanden wäre (§ 288 n BGB), etwa durch Inanspruchnahme von Bankkredit. Vgl. hierzu O L G Köln NJW 1961, 31. Auch über diese Bedenken setzt sich die Praxis — leider! — meist großzügig hinweg ; sie unterstellt hier, daß Finke die für einen früheren und höheren Zinsanspruch benötigten Angaben konkludent vorgetragen habe. Die Zahlungspflicht des Bürgen Reuter ist schlüssig vorgetragen: „Bürgschaft für ein Darlehn" kann als Rechtsbegriff des täglichen Lebens und damit als Tatsachenvortrag angesehen werden. Die erforderliche Schriftform wird ausdrücklich behauptet. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Klagebefugnis Frau Finkes und die Passivlegitimation der Ehefrau Rädler. Die beim früheren Güterstand der Verwaltung und Nutznießung der Ehefrau bestehende Verfügungsbeschränkung bei

Prozeßrichter des Amtsgerichts —

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Prozeßführungsrecht der Ehefrau

Geltendmachung von Ansprüchen, die zum eingebrachten Gut gehörten, ist mit Eintritt der Gleichberechtigung seit dem i. April 1953 weggefallen. Der seit dem 1. Juli 1958 bestehende' gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft kennt Verpflichtungs- und Verfügungsbeschränkungen nur noch bei Verfügungen über das Vermögen im ganzen oder über Gegenstände des ehelichen Haushalts, §§ 1365, 1369 BGB n. F. (Sie gelten übrigens für b e i d e Ehegatten.) Es bedarf auch keines Duldungstitels mehr gegen den Ehemann, um in das Vermögen seiner Ehefrau zu vollstrecken, da dieses Vermögen seiner Verwaltung und Nutznießung nicht mehr unterliegt. Der Ehemann kann sich nicht einmal auf § 809 Z P O berufen mit der Begründung, daß er Gewahrsam an den Sachen seiner Frau habe, in die vollstreckt werden soll, und daß er zur Herausgabe nicht bereit sei. Denn nach der Neufassung des §739 Z P O gilt, soweit die Eigentumsvermutung des § 1362 B G B reicht, als G e w a h r s i n h a b e r und B e s i t z e r nur der Ehegatte, gegen den vollstreckt wird. Frau Finke kann im Amtsgerichtsprozeß den Rechtsstreit durch jede prozeßfähige Person als Bevollmächtigten führen lassen, also insbesondere durch ihren Ehemann, § 79 ZPO. Letzteres gilt uneingeschränkt i m Mahnverfahren. D a g e g e n sind in der m ü n d l i c h e n

Ver-

h a n d l u n g Personen, die die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten v o r Gericht g e s c h ä f t s m ä ß i g betreiben, als Bevollmächtigte und Beistände ausgeschlossen, § 1 5 7 1 Z P O . Geschäftsmäßig bedeutet nicht notwendig gewerbsmäßig; es bedarf nur öfterer Wiederholung der selbständigen T ä tigkeit, auch ohne Entgelt. Geschäftsmäßigkeit fehlt, w o Angestellte ihren Geschäftsherrn regelmäßig in Prozessen vertreten, Baumbach-Lauterbach zu § 157, 2 A . N i c h t unter das V e r b o t des § 157 fallen Rechtsanwälte, v o n der Justizverwaltung gemäß § 1 5 7 1 1 1 zugelassene Prozeßagenten



diese dürfen die den nach dem RechtsberatungsG v o m 13. Dezember 1935 Ermächtigten zustehende Bezeichnung „Rechtsbeistand" führen, § 4 der Verordnung v o m 3. April 1936 ( R G B l . I 359) — , ferner Beauftragte einer anerkannten Vereinigung der Hausbesitzer oder Mieter im Mietauf hebungsstreit ( § 1 2 M S c h G ) und Patentanwälte in Sachen des gewerblichen Rechtsschutzes (§ 9 1 1 1 PatentanwaltG, R G B l . 1933 I 669). —

D a ß § 157 Z P V nicht verfassungswidrig ist, hat das B V e r f G ( N J W

1960, 139) nunmehr ausdrücklich festgestellt.

Der Referendar: Wie ist es mit den Kosten des Zahlungsbefehls? Der Rechtspfleger: Da Schuldner und Bürge keine Gesamtschuldner sind, tritt keine gesamtschuldnerische Haftung für die Kosten des Prozesses ein, sondern es bleibt bei der Regel der Haftung nach Kopfteilen, § iooI>IV ZPO. Daran ändert auch die Bestimmung des § 76711 B G B nichts, wonach der Bürge für die Kosten haftet, die der Hauptschuldner dem Gläubiger zu ersetzen hat. Die materielle Haftung des Bürgen für die Kosten ist durch besonderen Klageantrag zu verfolgen. B G H NJW 1955/1398. — Übrigens ist das Streitobjekt bei einer gemeinsamen Klage gegen Hauptschuldner und Bürgen dasselbe, weil trotz rechtlicher Häufung der Ansprüche wirtschaftlich nur eine Leistung verfolgt wird. Insofern liegt es hier ähnlich wie bei einer einheitlichen Klage gegen Gesamtschuldner. Vgl. Baumbach, 2 B zu § 5 Z P O ; B G H 7/152ff. Das ist ein beachtlicher Grund, den Hauptschuldner und den selbstschuldnerisch haftenden Bürgen gemeinsam zu verklagen. Z a h l u n g s b e f e h l . Der als Entwurf eingereichte Zahlungsbefehl wird vom Rechtspfleger in formeller und sachlicher Hinsicht geprüft und sodann durch Unterschrift und Dienstsiegel vollzogen. Die Widerspruchsfrist wird — entsprechend der Einlassungsfrist für Klagen, die im Bezirk des Amtsgerichts zuzustellen sind — auf 3 Tage bestimmt. §§ 692 S. 2, 4991 ZPO. Die Geschäftsstelle stellt den Zahlungsbefehl im Amtsbetrieb an die Schuldner zu (§ 6931), indem sie aus je einem weiteren der eingereichten Entwürfe eine Ausfertigung herstellt. Die Zustellung erfolgt an beide Schuldner am 6. Februar i960. Erst nach Eingang der Zustellungsurkunden wird der Ehemann Finke als

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Verweisungsbeschluß

Prozeßbevollmächtigter der Gläubigerin durch Postkarte von der bewirkten Z u stellung benachrichtigt (§ 693m). A n t r a g auf V o l l s t r e c k u n g s b e f e h l und Widerspruch. V e r w e i s u n g s b e s c h l u ß . Der 1 1 . Februar bringt zwei Eingänge: „Vollmacht meiner Ehefrau überreichend, beantrage ich den in Sachen Finke gegen Rädler erlassenen Zahlungsbefehl — Aktenzeichen 21 B 60/60 — für vollstreckbar Zu erklären und mir den Vollstreckungsbefehl zu übersenden. Rondorf, den 9. Februar i960. Erich Finke." „In Sachen Finke gegen Rädler — Aktenzeichen 21 B 60/60 — erhebe ich, zugleich namens der Frau Rädler, Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl. Wesseling, den 10. Februar i960. Josef Reuter." Wegen der Vollmachten s. S. 9. Die Widerspruchsfrist war bereits am 9. Februar abgelaufen. Über die eigentliche Frist hinaus kann aber nach § 6941 der Schuldner so lange Widerspruch erheben, als der Vollstreckungsbefehl noch nicht „verfügt", d. h. unterzeichnet ist. Der Gläubiger hat also das größte Interesse daran, den Antrag auf Vollstreckungsbefehl immer unmittelbar nach Ende der Widerspruchsfrist zu stellen, weil er sonst unfreiwillig dem Schuldner die Widerspruchsfrist verlängert. Wenn die Gläubiger die Zeit nicht richtig ausnutzen, so trägt die Schuld daran vielfach der Umstand, daß infolge der in den Geschäftsstellen und Gerichtskanzleien herrschenden Überlastung die Nachrichten von der Zustellung des Zahlungsbefehls (§ 693 111 ) mit mehrtägiger Verspätung herausgehen. Ein praktisches Bedürfnis spricht daher dafür, daß der Gläubiger schon im Mahngesuch beantragen darf „für den Fall, daß innerhalb der Widerspruchsfrist kein Widerspruch erhoben wird, den Zahlungsbefehl für vollstreckbar zu erklären." Ein solcher Eventualantrag wird entsprechend den anderen im Mahnverfahren ausdrücklich aufgeführten Eventualanträgen (§§ 6961 S. 2, 697 11 S. 1) heute meist zugelassen. Baumbach zu § 699 Anm. 2 A., L G Dortmund NJW 1956/1484. Im Mahngesuch hatte Finke für den Fall der Widerspruchserhebung um Verweisung an die Zivilkammer des Landgerichts gebeten (§ 69711 S. 1). Der Richter erläßt daher folgenden „Beschluß. In Sachen . . . erklärt sich das Amtsgericht nach erhobenem Widerspruch für unzuständig und verweist den Rechtsstreit gemäß dem von der Gläubigerin gestellten Antrag an das Landgericht, Zivilkammer, hier. Köln, den 13. Februar i960. Amtsgericht Richter." Der Beschluß wird gemäß § 329 1 1 1 beiden Parteien von Amts wegen zugestellt, und die Akten der für Darlehnssachen zuständigen Kammer übersandt. Mit Zustellung des Beschlusses gilt die Sache als im ordentlichen Rechtsstreit beim Landgericht anhängig (§ 69711 S. 2) und erhält dort ein O-Aktenzeichen. Der Prozeßbevollmächtigte der Gläubigerin hat außerdem sofort Nachricht von dem erhobenen Widerspruch erhalten (§ 69411). Über die Fortsetzung des Verfahrens beim Landgericht vgl. unten S. 79 ff Anderweitiger Abschluß des Mahnverfahrens: 1. Fall: Bei einem amtsgerichtlichen Objekt wird rechtzeitig Widerspruch erhoben. Hier ist grundsätzlich zu warten, bis eine Partei

Prozeßrichter des Amgtserichts — Zahlungs- und Vollstreckungsbefehl

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Antrag auf Terminsanberaumung stellt. War der Termin schon im voraus für den Fall des Widerspruchs beantragt (s. das untenstehende Formular), so wird er sofort nach Eingang des Widerspruchs angesetzt. § 696. 2. Fall: Bei einem Landgerichtsobjekt ist rechtzeitig Widerspruch erhoben, der Gläubiger hat aber statt des Verweisungsantrags den Antrag auf Terminsanberaumung vor dem Amtsgericht gestellt, ohne zu behaupten, daß die amtsgerichtliche Zuständigkeit vereinbart sei. Diesem Antrag muß entsprochen werden. Bleibt aber im Termin der Beklagte aus, so kann ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten nicht erlassen werden, da ein unzuständiges Gericht erst durch vorbehaltloses Verhandeln des Beklagten zur Hauptsache zuständig wird (§39). Der Antrag auf Erlaß des Versäumnisurteils muß zurückgewiesen werden (§335 Ziff. 1 ZPO. Jedoch kann der Kläger Verweisung an das Landgericht beantragen (§ 276). 3. Fall: Nach Ablauf der Widerspruchsfrist beantragt der Gläubiger Vollstreckungsbefehl, ohne daß inzwischen vom Schuldner Widerspruch erhoben worden ist. Der Vollstreckungsbefehl wird vom Urkundsbeamten (§ 699I S. 2) auf die Urschrift des Zahlungsbefehls gesetzt. Hätte beispielsweise im Fall Finke gegen Rädler die Schuldnerin keinen Widerspruch erhoben, so würde der vollstreckbare Zahlungsbefehl folgendermaßen ausgesehen haben: „Es wird um Erlaß des nachstehenden Zahlungsbefehls und für den Fall des Widerspruchs um [Ansetzung eines Termins zur mündlichen Verhandlung] Verweisung des Rechtsstreits wegen Unzuständigkeit an das Landgericht, Zivilkammer [Kammer für Handelssachen] gebeten. [Erfüllungsort und Gerichtsstand . . . sind vereinbart]. Rondorf, den 1. Februar i960. Für Anna Finke geb. Guder; Erich Finke. (entwertete Gerichtskostenmarken über 21,— DM)

Geschäftsnummer: 21 B 60/60. Zahlungsbefehl. Auf den am 2. Februar i960 bei Gericht eingegangenen Antrag der Gastwirtsfrau Anna Finke geb. Guder in Rondorf, Hauptstr. 17 Gläubigerin, Prozeßbevollmächtigter: Gastwirt Erich Finke in Rondorf, ebenda wird Ihnen aufgegeben, binnen einer vom Tag der Zustellung dieses Befehls laufenden Frist von drei Tagen bei Vermeidung sofortiger Zwangsvollstreckung: die Gläubigerin wegen des Anspruchs auf Zahlung von 1200 D M (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 1. Januar i960 aus dem der Schuldnerin zu 1. von der Gläubigerin gewährten, Ende Dezember i960 fälligen Darlehn, für das sich der Schuldner zu 2. selbstschuldnerisch schriftlich verbürgt hat, sowie 21 DM Kosten dieses Zahlungsbefehls zu befriedigen, oder, wenn Sie Einwendungen gegen den Anspruch haben, bei dem unterzeichneten Gericht Widerspruch zu erheben. Köln, den 3. Februar i960. Amtsgericht Pfleger. Justizinspektor als Rechtspfleger. An 1. Frau Anna geb. Reuter, Jobann Rädler in Weiß, Auf der Ruhe 10 2. Anstreichermeister Josef Reuter, Wesseling, Hauptstr. 4.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Abzahlungsklage

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(Rückseite) Vollstreckungsbefehl. Der umstehende, am 6. Februar i960 zugestellte Zahlungsbefehl wird in Höhe der darin angegebenen Beträge [sowie wegen . . . Anwaltskosten für das Gesuch um Erlaß des Vollstreckungsbefehls1)] für vollstreckbar erklärt. Köln, den 9. Februar i960. Amtsgericht. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle." Nach § 12 VIII ,] ef Aktenordnung wird der Original-Zahlungsbefehl nicht mehr dem Gläubiger ausgehändigt, sondern verbleibt in den Gerichtsakten. Der Gläubiger erhält eine Ausfertigung, deren Erteilung auf der Urschrift zu vermerken ist. Zur Herstellung der Ausfertigung verwendet die Geschäftsstelle das letzte der vom Gläubiger eingereichten Exemplare des Zahlungsbefehls (S. 8). Der Vollstreckungsbefehl steht einem für vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich (§ 700 S. 1). Deshalb hat die Geschäftsstelle seine Zustellung im Auftrage des Gläubigers zu vermitteln, wenn nicht der Gläubiger eine gegenteilige Erklärung abgegeben hat (§ 6991 S. 5, vgl. § 508I). Finke hatte z. B. um Aushändigung des Vollstreckungsbefehls an ihn, d. h. um Unterlassung der gerichtlichen Zustellungsvermittlung gebeten (S. 11), weil er offenbar die Zustellung mit der Mobiliarpfändung verbinden will. Vgl. II. Abteilung, 6. Kap. Dem Schuldner steht gegen den Vollstreckungsbefehl Einspruch innerhalb der amtsgerichtlichen Notfrist von einer Woche (§ 508H) zu. 4. Fall: Weder wird vom Schuldner Widerspruch erhoben, noch vom Gläubiger Vollstrekkungsbefehl beantragt. Alsdann verliert sechs Monate nach Ablauf der Widerspruchsfrist der Zahlungsbefehl seine Kraft, so daß er weder zur Grundlage eines Vollstreckungsbefehls werden noch (nach Erhebung eines Widerspruchs) die Überleitung in den Prozeß vermitteln kann (§ 701). Damit wird auch die durch Zustellung des Zahlungsbefehls bewirkte Unerbrechung der Verjährung (§ 2091 BGB) wieder hinfällig (§ 213 S. 2). Vom Verjährungsstandpunkt gesehen, ist es also für den Gläubiger vorteilhafter, wenn während der 6 Monate der Schuldner Widerspruch erhebt, als wenn gar nichts geschieht: denn im ersten Fall bleibt die Unterbrechungswirkung bestehen, und es beginnt lediglich eine neue Verjährungsfrist zu laufen, sobald das an den Widerspruch anschließende Streitverfahren in Stillstand gerät (§ 211 II). Gläubiger, die ihren Zahlungsbefehl erst an der Schwelle der Verjährung beantragt haben, können durch Versäumung der Sechsmonatsfrist leicht Schaden nehmen. A k t e n w e s e n im Mahnverfahren. Uber das Mahnverfahren wird in der Regel kein Aktenregister geführt, sondern die Sachen zu je 50 in loser Hülle aufbewahrt. Auf der Hülle sind Zeit des Eingangs (z. B. 10. März bis 31. März i960) und der Aktenzeitabschnitt (z. B. 2 1 B 55—100/60) vermerkt. In vorgedruckter Einteilung sind Gläubiger und Schuldner unter lfd. Nr. aufgeführt. § i2"AktO.

Abzahlungssache. Versäumnisverfahren Abzahlungsklage. „An das Amtsgericht hier.

Köln, den 2. Februar i960. Klage

des Kaufmanns Adolf Scboppe in Köln, Neumarkt 16, gegen den Kaufmann Emil Weinhold in Köln, Klosterstr. ;o,

Klägers, Beklagten.

Der Beklagte kaufte bei mir am 28. November 1958 2 Betten mit Matratzen und Nachttischen, Spiegel, Wäscheschrank, 1 Tisch, 4 Stühle, 1 Chaiselongue sowie 1 Exzelsior-Grammox

) Beim Gericht entstehen durch den Vollstreckungsbefehl keine weiteren Kosten (§ 38 GKG). Anwaltskosten: §43 Abs. I Ziff. 3 GebO f. R A ( 6 / 10 = Gebühr). Natürlich kann der Gläubiger an dieser Stelle auch andere Kosten (z.B. Porto) liquidieren. — Tschischgale (NJW 1958/1478) spricht sich dafür aus, daß auf Antrag des Gläubigers analog § 104 1 S. 2 ZPO auch bei einem Vollstreckungsbefehl auszusprechen sei, daß die Kosten mit 4% zu verzinsen seien.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Eigentumsvorbehalt und Abzahlungskauf

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phon nebst 10 Platten für den vereinbarten Preis von zusammen 780 DM auf Abzahlung unter Eigentumsvorbehalt. Im Kaufvertrag, welchen ich im Termin vorlegen werde, ist vereinbart, daß der Kaufpreis in wöchentlichen Raten von 6 DM, beginnend am 5. Dezember 1958, zu bezahlen ist, daß bei unpünktlicher Bezahlung von zwei Raten der ganze Restkaufpreis auf einmal fällig wird und der Verkäufer außerdem das Recht hat vom Vertrage zurückzutreten. Der Beklagte hätte bisher zahlen müssen 61 Raten zu je 6 DM = 366,— DM Er hat gezahlt 300,— DM ist also im Verzuge mit 66,— DM d. i. mehr als zwei Raten. Die letzte Zahlung hat. er am z. Januar d. J. geleistet. Nach dem Vertrag ist also der ganze Restkaufpreis von 480 DM fällig geworden. Für den Fall fruchtloser Zwangsvollstreckung erkläre ich schon jetzt mein vorbehaltenes Rücktrittsrecht und verlange die Herausgabe der gelieferten Sachen. In diesem Fall sind dem Beklagten die geleisteten Anzahlungen mit 300 DM zurückzugewähren. Dagegen hat der Beklagte für die Überlassung des Gebrauchs und der Benutzung unter Berücksichtigung der eingetretenen Wertminderung eine angemessene Vergütung zu zahlen. Für die Gebrauchsüberlassung werden pro Woche 3 DM, im ganzen 183 DM, als Wertminderung (Abnutzung) 150 DM, zusammen 333 DM, gefordert. Die geforderten Beträge sind angemessen. Beweis: Sachverständige. Der Beklagte hat daher bei Ausübung des Rücktrittrechts noch 33 DM zuzuzahlen. Ich erhebe Klage beim Amtsgericht Köln, beantrage die Anberaumung eines Verhandlungstermins und werde in diesem beantragen: I. den Beklagten zu verurteilen a) in erster Reihe dem Kläger 480 DM (i. W.) nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen, b) für den Fall fruchtloser Zwangsvollstreckung wegen des Anspruchs zu a: dem Kläger folgende Sachen herauszugeben 2 Betten mit Matratzen und Nachttischen, und noch 33 DM (i. W.) nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen. Der Anspruch zu a) kommt alsdann in Wegfall. II. die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen. IH. das Urteil, nötigenfalls gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die nach einem Streitwert von 663 DM berechnete Prozeßgebühr von 27 DM wird in Kostenmarken beigefugt. Abschrift der Klage liegt bei. Adolf Scboppe" Der Abzahlungskauf ist eine Abart des Kaufs mit E i g e n t u m s v o r b e h a l t . Die allgemeine Konstruktion dieses Kaufs gibt § 45 5 B G B : ein unbedingter obligatorischer Vertrag, bei dem das Erfüllungsgeschäft, die Übertragung des Eigentums auf den Käufer, unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung des Kaufpreises steht und der Verkäufer zurücktreten kann, wenn der Käufer mit der Zahlung in Verzug gerät. Der Eigentumsvorbehalt hat, hauptsächlich durch die formularmäßigen Lieferungsbedingungen der Fabrikanten- und Großhandelsverbände, so große Verbreitung erlangt, daß für ganze Branchen (Kraftfahrzeuge, Kralträder, Möbel, Rundfunkgeräte) geradezu die Ansicht vertreten wird, er sei mangels ausdrücklicher Abrede bei jedem Kreditkauf über derartige Waren als stillschweigend zu betrachten und der Weitererwerber solcher Sachen handle grobfahrlässig i. S. des § 932, wenn er sich nicht das vorbehaltlose Eigentum seines Veräußerers nachweisen lasse. Vgl. Staudinger-Berg, Anm. 24 zu § 932 B G B . Auch bei Waren, die zum Weiterverkauf oder zur Verarbeitung bestimmt sind, ist die Klausel üblich, unbeschadet der Befugnis des Käufers zur Verarbeitung bzw. Veräußerung; daraus

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Benutzungvergütung und Wertminderung

ergibt sich die eigenartige Rechtslage, daß der Käufer infolge Einwilligung des Verkäufers gemäß § 185 auf seinen Abkäufer volles Eigentum übertragen kann, selbst aber niemals Eigentümer der Kaufsache wird. Vielfach bauen die Formularbedingungen den Eigentumsvorbehalt nach dem Muster der fiduziarischen Bank-Sicherungsverträge mit Bestimmungen aus, nach denen die Forderungen aus dem Weiterverkauf der unter Eigentumsvorbehalt stehenden Sachen oder gar die Ersatzanschaflungen ohne weiteres dem Lieferanten gehören sollen. Die Zulässigkeit eines solchen „verlängerten Eigentumsvorbehalts" ergibt sich aus der rechtlich anerkannten Möglichkeit einer antezipierten Zession und des antezipierten Besitzkonstituts. Jedoch müssen die Surrogate der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Sache eindeutig bestimmbar sein, B G H 7/365. Im einzelnen s. Flume NJW 59/913. Zu der (lebhaft umstrittenen) Entscheidung B G H 30, 149 über Nichtigkeit einer Globalzession bei Zusammentreffen mit verlängertem Eigentumsvorbehalt vgl. Serick BB i960, 141 (einschränkend B G H NJW i960, 1003 und Betr. i960, 1306). Das Sonderrecht des A b z a h l u n g s k a u f s setzt voraus, daß der Kaufpreis in regelmäßigen (wöchentlichen, monatlichen usw.) Teilzahlungen berichtigt werden soll. § 1 AbzahlG vom 16. Mai 1894 (RGBl. 450). Der Verkäufer sichert sich beim typischen Abzahlungsgeschäft dinglich durch Eigentumsvorbehalt (ohne Ausdehnung auf Ersatzanschaflungen) und obligatorisch durch Rücktrittsrecht. U m die A b zahlungskäufer, welche in der Regel wirtschaftlich schwache, rechtlich unerfahrene kleine Leute sind, vor Ausbeutung zu schützen, schafft das Gesetz ius cogens. Hat der Verkäufer die Kaufsache auf G l und des ihm vorbehaltenen Eigentums wieder an sich genommen, so gilt das unweigerlich als Ausübung des Rücktrittsrechts (§5), so daß er dann nicht mehr Erfüllung des Vertrages vom Käufer verlangen kann. Der Rücktritt wird — in Übereinstimmung mit der Dispositiworschrift des § 346 B G B , aber hier zwingend — in der Weise durchgeführt, daß alle beiderseitigen Leistungen, namentlich die vom Käufer bereits bezahlten Abzahlungsraten, zurückzugewähren sind und der Verkäufer für die Überlassung des Gebrauchs und für die Abnutzung der Kaufsache durch den Käufer nur eine angemessene Vergütung erhält. §§ 1, 2 A b z G . Es geht also nicht an, daß der Verkäufer sich im voraus einen höheren Betrag als Gebrauchs- und Abnutzungsgebühr versprechen läßt oder gar mit dem Käufer ausmacht, daß die bewirkten Abzahlungen im Falle des Rücktritts als Gebrauchsund Abnutzungsentschädigung verfallen sollen. Freilich versuchen die Abzahlungshändler in der Praxis, wie die Schoppesche Klage zeigt, die Rechnving für den Rücktrittsfall nach § § 1, 2 so aufzumachen, daß sie nicht bloß die empfangenen Raten behalten, sondern noch Geld herauszubekommen haben. Nach § 2 hat der Käufer im Falle des Rücktritts a) dem Verkäufer für die infolge des Vertrags gemachten Aufwendungen und für s c h u l d h a f t e Beschädigungen der Sache Ersatz zu leisten (hierfür hat Schoppe nichts vorgetragen), b) für die Überlassung des Gebrauchs oder der Benutzung den Wert zu vergüten, „wobei auf die inzwischen eingetretene Wertminderung der Sache Rücksicht zu nehmen ist". Dementsprechend beantragt Schoppe sowohl eine Benutzungsvergütung von 3 D M wöchentlich als auch eine Wertminderung (Abnutzung) von 150 DM. Dabei wird aber nicht beachtet, daß bei Sachen, die üblicherweise vermietet werden, bei denen also ein verkehrsüblicher Mietzins besteht, regelmäßig in der Benutzungsvergütung bereits eine Entschädigung für die Wertminderung enthalten ist, die die Sache durch die Ingebrauchnahme (sei es durch Verlust der Neuheit, sei es durch Abnutzung) erleidet. Ein besonderer Entwertungszuschlag ist hier nur berechtigt, wenn eine stärkere Abnutzung vorliegt, als sie bei einer Vermietung üblicherweise erwartet wird, etwa wenn der Mietzins mit Rücksicht auf eine längere Mietdauer bemessen ist. R G 169,144 (Großer Ziv. Senat), B G H 19, 330. Über Richtsätze nach § 2 s. Crisolli-Ostler (5. Aufl.) Anhang zu §2 AbzG. Vgl. auch Odes NJW 1960, 1985. Schoppe kann daher im Hinblick auf den verhältnismäßig hohen Mietsatz von 3 D M wöchentlich und die lange Mietdauer von 61 Wochen nicht noch eine zusätzliche Wertminderung von 150 D M geltend machen. Wie verhält sich nun der Abzahlungsverkäufer bei Nichterfüllung des Käufers? A m liebsten wird er beim Vertrag stehenbleiben und die sofortige Fälligkeit des

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Eventualantrag

Restkaufpreises geltend machen, nicht dagegen das Rücktrittsrecht ausüben, weil ihm sonst (•wenigstens bei korrekter Durchführung der Abrechnung) der Verdienst aus dem Geschäft entgeht. Die Realisierung des Kaufpreisanspruchs stößt jedoch in der Zwangsvollstreckung auf Schwierigkeiten. Zwar darf der Verkäufer die von ihm selbst gelieferten und noch in seinem Eigentum stehenden Sachen pfänden, die Sachen sind aber, soweit es sich um Möbel, Hausrat, Kleidungsstücke handelt, vielfach durch §§ 811, 812 ZPO der Vollstreckung entzogen: denn die Unpfändbarkeit beruht auf ihrer Unentbehrlichkeit für den Schuldner und ist unabhängig davon, ob die Sachen im Eigentum des Schuldners oder eines Dritten stehen (DJ 39, 1090). Tritt dagegen der Verkäufer vom Kauf zurück und klagt er auf Grund des vorbehaltenen Eigentums und des Rücktritts auf Herausgabe, so findet keine „Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung" (§§ 803—863) und keine „Pfändung" (§ 8031 S. 1), sondern „Wegnahme" wegen eines „Herausgabeanspruchs" (§883) statt, für welche die Beschränkungen der §§ 811/12 nicht gelten — vorbehaltlich der Beschränkung nach § 765 a ZPO —; mithin kann er auf Grund des Herausgabetitels dem Käufer die gelieferten Sachen wieder fortnehmen lassen. (Crisolli-Ostler, Anm. 107 ff. zu § 5 AbzG.) Hieraus erklärt sich das von Schoppe eingeschlagene Verfahren. In erster Reihe begehrt er Verurteilung zu dem geschuldeten Restkaufpreis, für den Fall fruchtloser Vollstreckung wegen des Kaufpreisanspruchs erklärt er den Rücktritt vom Vertrag und verlangt Verurteilung zur Herausgabe der Sachen. Gegen den Eventualantrag bestehen aber erhebliche materielle und verfahrensrechtliche Bedenken: Materiell ist die Ausübung eines Gestaltungsrechts (Rücktritt, Kündigung, Anfechtung u. dgl.) unter einer Bedingung grundsätzlich unzulässig. Das spricht § 388 S. 2 BGB ausdrücklich für die Aufrechnungserklärung aus. Es gilt aber allgemein, weil das Gestaltungsrecht einseitig in eine fremde Rechtslage eingreift und keine Ungewißheit aufkommen lassen darf. Eine Ausnahme läßt sich nur bei einer solchen Bedingung rechtfertigen, die lediglich vom Willen des Gegners abhängt, weil der Gegner die Wirkung des Gestaltungsrechts hier selbst in der Hand hat (z. B. Kündigung, falls der Gegner nicht mit der Änderung des Vertrags einverstanden ist, vgl. R A G DR 43, 545). Ein „vom Unvermögen" des Schuldners abhängiger Rücktritt ist keine solche Potestativbedingung, da das Unvermögen nicht rein vom Willen des Schuldners abhängt. Auch die Tendenz des AbzG, die dahin geht, klare Rechtsverhältnisse zu schaffen, spricht dagegen (vgl. Klauss, Abzahlungsgeschäfte, 1950, Anm. 291). Verfahrensrechtlich gesehen handelt es sich nicht um einen echten Eventualantrag, da der Hilfsantrag nicht für den Fall gestellt wird, daß der Hauptantrag abgewiesen wird. Es ist ein sog. unechter Eventualantrag : Der Kläger will beides, sowohl Verurteilung zur Zahlung als auch Verurteilung zur Rückgabe im Falle der Zahlungsunfähigkeit. Das Eventualverhältnis besteht also nicht hinsichtlich des Klageantrags, sondern erst für die Zwangsvollstreckung. Eine unechte Eventualklage ist — abgesehen von dem hier nicht gegebenen Falle des § 510b ZPO — nur unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO zulässig, also wenn „die Besorgnis gerechtfertigt ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde". Hierzu genügt, daß der Schuldner den Anspruch ernstlich, wenn auch gutgläubig, bestreitet. Dagegen genügt nicht, daß der Schuldner voraussichtlich zahlungsunfähig ist (Baumbach zu § 259 Anm. 1 B). Der Hilfsantrag ist deshalb schon aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückzuweisen. Klauss a. a. O. Anm. 288 und NJW 50/765 ff., Baumbach zu § 260 Anm. 2 D a. E. Zulässig soll dagegen eine Klage auf Herausgabe in Verbindung mit einer Abwendungsbefugnis durch Zahlung des Kaufpreises sein. Der Verkäufer tritt hier unbedingt zurück, gestattet aber dem L a x , Schulung. J . Auii. (Berg)

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Eventualantrag

Käufer, die Zwangsvollstreckung durch die Erbringung einer anderen Leistung abzuwenden. Vgl. Klauss Anm. 305 ff. Bei Stellung von echten Eventualanträgen ist als Objekt der Wert des höheren Antrags maßgebend, Crisolli-Osder Anm. 55 zu § 3 AbzG. Bei unechten Eventualanträgen müßten streng genommen beide Anträge zusammengerechnet werden, da der Kläger beide zugesprochen haben will. Es ist aber nicht zu verkennen, daß der Kläger nur einmal Befriedigung will, sei es durch Zahlung, sei es durch Rückgabe der Sache. Es erscheint daher gerechtfertigt, auch hier nur das Objekt des höheren Antrags zugrunde zu legen. Bei der Scboppesche.11 Klage ist der Hilfsantrag der höhere: zum Wert der herauszugebenden Sachen (780 D M minus 150 D M Abnutzung) treten die herauszuzahlenden 33 DM. So ergibt sich das Objekt von 663 DM, nach dem Schoppe die Prozeßgebühr berechnet und bezahlt hat (§§ 10, 25 1 Ziff. 1 GKG).

Terminsanberaumung. Der Richter beraumt Termin zur Verhandlung auf den 17. Februar i960 an und läßt die Parteien nach dem S. 2 wiedergegebenen Formular laden. Versäumnisantrag. Im Termin erschienen bei Aufruf: „ 1 . für den Kläger dessen gerichtsbekannter Prokurist Theodor Schwab aus Köln, 2. für den Beklagten niemand."

Der Prokurist ist ohne besondere Vollmacht befugt, den Geschäftsherrn im Prozeß zu vertreten (§ 491 HGB). „Der Kläger nahm Bezug auf den Antrag der Klageschrift."

Der Richter stellt aus den Akten fest, daß Klage und Terminsladung dem Beklagten am 9. Februar zugestellt sind. Die Einlassungsfrist von 3 Tagen (§ 499 ZPO) ist also reichlich gewahrt, und ein Versäumnisurteil an sich möglich. Der Richter erörtert sodann die Zulässigkeit der Eventualklage, da es sich hier um eine verfahrensrechtliche Voraussetzung handelt. Er legt dem Kläger dar, daß der Eventualantrag aus den oben S. 17. angeführten Gründen unzulässig ist; er müßte durch Prozeßurteil (vgl. S. 127) abgewiesen werden. (Baumbach zu § 331, 3 C.) Es stände dem Kläger aber frei, bei späterem Zahlungsunvermögen den Rücktritt unbedingt zu erklären und sodann die Rückgabe der Sache unter Berücksichtigung der Abnutzungsgebühr im Klagewege herauszuverlangen. Der Kläger läßt sich belehren und stellt nunmehr nur noch den Antrag zu a). Die darin liegende teilweise Rücknahme der Klage ist ohne Zustimmung des Beklagten zulässig (§ 271 1 ZPO) und bedarf auch als ein „Weniger" nicht der sonst gemäß § 3 3 5 1 Ziff. 3 ZPO vorgeschriebenen rechtzeitigen Mitteilung an den Gegner (Baumbach zu § 335, 4A). Nachdem die Rücknahme des Antrags zu b) im Protokoll vermerkt ist (§ 5 x0a, oben S. 3), bespricht der Richter mit Schwab den Antrag zu a): Nach der Klage befindet sich Weinhold erst mit 66 DM, also weniger als V10 des Kaufpreises, im Verzug. Die sofortige Fälligkeit der Restschuld ist also nach § 4 1 1 AbzahlG noch nicht eingetreten. Schwab: Der Vertrag, den ich vorlegen kann, besagt ohne jede Einschränkung, daß die Schuld durch Verzug mit zwei aufeinanderfolgenden Raten fallig wird. Weinhold ist außerdem Kaufmann, kann sich also nach § 8 AbzahlG nicht auf die Schutzvorschriften dieses Gesetzes berufen. Richter: Behaupten Sie, daß Weinhold im Handelsregister als Kaufmann eingetragen sei? Schwab: Weinhold ist Expedient bei Ch. F. Müller & Co. Er selbst steht nicht im Handelsregister. Richter: Dann liegen die Voraussetzungen des § 8 also nicht vor, und die gesetzliche Mindest-Verzugssumme von Vio m u ß gewahrt sein. Wie viele Raten sind seit

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Versäumnisverfahren gegen Beklagten

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Einreichung der Klage weiterhin fällig geworden und wieviel hat der Beklagte seitdem b e 2 a h l t ? Schwab: Es sind 2 weitere Raten zu je 6 DM fällig geworden. Bezahlt hat Weinhold nichts. Richter: Dann würde der Verzug heute 78 DM, also gerade den zehnten Teil des Kaufpreises, ausmachen. Sie können aber kein Versäumnisurteil bekommen, weil die Behauptung, daß der Beklagte mit weiteren 12 DM in Verzug geraten sei, nicht mittels Schriftsatzes zugestellt worden ist. Beantragen Sie Vertagung und lassen Sie dem Beklagten zum neuen Termin einen Schriftsatz zustellen. Schwab: Daß die beiden Raten seit dem 3. Februar fällig geworden sind und daß er sie nicht bezahlt hat, weiß Weinhold ganz gut. Ich verlange ein Versäumnisurteil. — Protokoll: „ D e r Kläger behauptete, daß der Beklagte seit Abfassung der Klage mit zwei weiteren Wochenraten im Gesamtbetrag von 1 2 D M in Verzug gekommen sei und beantragte gegen den Beklagten wegen des Antrages zu a) das Versäumnisurteil zu erlassen. Vorgelesen, genehmigt."

Während das Versäumnisurteil gegen den Kläger ohne jede rechtliche Prüfung, lediglich auf Grund der Säumnis, ergeht (§ 330 ZPO), begründet Versäumnis des Beklagten nur die Fiktion eines Geständnisses des tatsächlichen mündlichen Vorbringens des Klägers (§ 3311), so daß Versäumnisurteil gegen ihn bloß dann erlassen wird, wenn nach der rechtlichen Prüfung des Gerichts die als zugestanden anzusehenden Tatsachen den Klageantrag rechtfertigen (§ 33111). Die Fiktion des Geständnisses beschränkt sich auf die in der Klage oder durch besonderen Schriftsatz rechtzeitig zugestellten Behauptungen des Klägers: denn der Beklagte, dem eine rechtlich nicht schlüssige Klage zugestellt wird, soll sich darauf verlassen dürfen, daß er im Termin nicht auf Grund neuer Behauptungen oder Erklärungen des Klägers verurteilt werden wird. Hieraus ergeben sich für das Versäumnisverfahren gegen den Beklagten drei Möglichkeiten: 1. War die Klage schon nach Maßgabe der zugestellten Klageschrift begründet, so kann Versäumnisurteil ergehen. 2. Fehlt der Klage, auch unter Berücksichtigung der etwa im Termin nachgeschobenen tatsächlichen Anführungen, die Schlüssigkeit und beantragt der Kläger gleichwohl Versäumnisurteil, so wird die Klage durch kontradiktorisches Urteil abgewiesen, gegen welches (bei Erreichung der Berufungs summe) Berufung stattfindet (§ 33 i n )- 3- Wird durch die dem Beklagten mitgeteilten Behauptungen der Klageantrag nicht gerechtfertigt, reicht aber der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung aus: so erfolgt keine Klageabweisung, sondern es wird lediglich der Erlaß des Versäumnisurteils durch Beschluß abgelehnt (§ 3 3 5 ® ) . So liegt hier der Fall. Die Bestimmung des § 411 AbzahlG, daß die Vereinbarung der vorzeitigen Fälligkeit „rechtsgültig nur für den Fall getroffen" werden könne, daß sich der Käufer mit zwei aufeinanderfolgenden Raten und mit mindestens Vio der Kaufsumme im Verzug befindet, wird ausgelegt, als ob sie lautete: „die Vereinbarung der sofortigen Fälligkeit ist nur für den Fall wirksam, daß usw.". Das Gesetz will ja bloß verhüten, daß die vorzeitige Fälligkeit gegen einen Käufer geltend gemacht wird, der mit einer kleineren Summe im Verzuge ist; man soll die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen gesetzliche Bestimmungen nicht weiter ausdehnen, als es der Zweck des Verbots erfordert. RG 64, 92. Die im Termin nachgeschobene Behauptung des Klägers würde also, wenn sie dem Beklagten rechtzeitig zugestellt worden wäre, seine Verurteilung tragen: 2*

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Abgekürztes Versäumnisurteil „Es wurde der Beschluß verkündet: Der Antrag auf Erlaß des Versäumnisurteils wird zurückgewiesen, weil dem Beklagten ein für die Begründung der Klage wesentliches mündliches Vorbringen, nämlich die Behauptung, daß er seit Abfassung der Klage mit weiteren 12 DM in Verzug gekommen sei, nicht mittels Schriftsatzes mitgeteilt worden ist. Neuer Termin wurde auf den 7. März i960 vormittags io'/a Uhr bestimmt. Richter.

Urhmd."

Zum neuen Termin wird Weinhold wieder geladen. § 3 3 5 1 1 Z P O . (Ausnahme von § 218.) V e r s ä u m n i s u r t e i l in a b g e k ü r z t e r F o r m . Gegen den Beschluß hat Schoppe sofortige Beschwerde (§ 336 1 ). E r fügt sich aber der Ansicht des Richters und läßt dem Beklagten die Behauptung durch Schriftsatz zustellen. A m 7. März ist Weinhold wiederum nicht vertreten: „Der Kläger nahm Bezug auf den Antrag der Klageschrift) und beantragte] gegen den Beklagten das Versäumnisurteil zu erlassen. Vorgelesen, genehmigt." Diesmal bestehen keine Bedenken: „Es wurde Versäumnisurteil nach Klageantrag zu a), Zinsen seit 9. Februar i960, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, verkündet und in abgekürzter Form auf die Klageschrift gesetzt. Richter. Urkund." Das Versäumnisurteil wird gemäß § 313111 neben den Antrag der Klageschrift gesetzt. Entspricht es dem Klageantrag in vollem Umfange, so geschieht dies durch Stempel oder auf entsprechendem Vordruck nach dem Muster: „Verkündet am 7. März i960. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes I Versäumnisurteil. Erkannt nach dem Antrag der Klageschrift. Zinsen seit 9. Februar i960 Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Amtsgericht Richter." Wird der Klageantrag abgeändert, so ist eine Neuformulierung des Tenors angebracht. In unserem Falle würde auf die Klageschrift oder eine Anlage hierzu zu setzen sein: „Versäumnisurteil. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 480 DM nebst 4% Zinsen ab 9. Februar i960 zu zahlen. Soweit Verurteilung erfolgt ist, werdendem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar." Die Mehrkosten der Differenz bis zum Objekt von 665 DM trägt der Kläger. § 271 1 1 1 . Die Verpflichtung hierzu ist aber gemäß § 2 7 1 1 1 1 ZPO nur auf Antrag des Beklagten durch Beschluß auszusprechen. Für A u s f e r t i g u n g eines in abgekürzter Form erlassenen Versäumnis- oder Anerkenntnisurteils stehen nach § } I 7 I V zwei Wege zur Auswahl. Entweder kommt Ausfertigung des obigen

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Räumungsklage

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Urteilsvermerks auf eine beglaubigte Abschrift der Klage, oder aber das Urteil wird ohne Klageschrift ausgefertigt, dafür durch Kopf und Formel (S 3 1 3 1 * e ) vervollständigt: „Ausfertigung. Verkündet am 7. März i960, (gez.) Urkmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Versäumnisurteil. Im Namen des Volkes I In Sachen des Kaufmanns Adolf Scboppe in Köln, Neumarkt 16, gegen den Kaufmann Emil Weinbold in Köln, Klosterstraße 50,

Klägers, Beklagten, ^

hat das Amtsgericht in Köln auf die mündliche Verhandlung vom 7. März i960 durch den Amtsgerichtsrat Richter für Recht erkannt: Der Beklagte wird verurteilt usw. (gez.) Richter. Ausgefertigt. Köln, den 8. März i960. (Siegel)

Urkmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle."

Von den Erfordernissen des normalen Urteils (§ j 131) fehlen der vervollständigten Ausfertigung Tatbestand und Entscheidungsgründe; sie werden durch die Uberschrift „Versäumnis- (bzw. Anerkenntnis-) Urteil" ersetzt. F i n a n z i e r u n g s g e s c h ä f t e : Häufig erfolgt die Bezahlung einer auf Abzahlung gekauften Sache durch ein Finanzierungsinstitut. Dieses zahlt den Kaufpreis ganz oder doch zum größten Teil an den Verkäufer oder gibt dem Käufer ein Darlehen zur Zahlung des Kaufpreises. Es läßt sich dafür vom Verkäufer dessen Ansprüche gegen den Käufer abtreten oder verpflichtet den Käufer zur ratenweisen Rückzahlung gegen Sicherungsübereignung des gekauften Gegenstandes. Solche Vereinbarungen fallen meist ebenfalls unter die Bestimmungen des Abzahlungsgesetzes, namentlich wenn zwischen Finanzierungsgeschäft und Verkäufer eine enge Bindung besteht. Vgl. § 6 A b z G und die lehrreiche Entscheidung L G Berlin NJW 1959,105 (mit Übersicht über die Rechtsprechung).

Streitige Mietsache. Schriftliche Entscheidung. Beweisbeschluß Mietzins- und Räumungsklage. „ A n das Amtsgericht hier.

Köln, den 15. Februar i960. Klage.

des Kaufmanns Albin Noack in Köln, Annostr. 15, Prozeßbevollmächtigter: R A . Schwarz in Köln, gegen den Krankenkassenrendanten Alois Nickel in Köln, Annostr. 15, wegen Mietzins und Räumung.

Klägers, Beklagten,

Auf Grund des nachstehenden Sachverhalts erhebe ich Klage beim Amtsgericht Köln und beantrage die Anberaumung eines Verhandlungstermins, in welchem ich beantragen werde: den Beklagten kostenpflichtig zu verurteilen a) unter sofortiger Aufhebung des zwischen den Parteien bestehenden Mietverhältnisses seine Wohnung im zweiten Stock des Hausgrundstücks Annostr. 15, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad nebst zugehörigem Keller und Bodenkammer an den Kläger herauszugeben,

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Wohnungszwangswirtschaft b) dem Kläger 180 DM (i. W.) nebst4% Zinsen von 90 DM seit dem 1. Januar i960 und von weiteren 90 DM seit dem 1. Februar i960 zu zahlen. Begründung. Mit Zustimmung des Wohnungsamts hat der Kläger dem Beklagten ab 1. Juli 1959 die im Klageantrag bezeichnete Wohnung gegen eine im voraus zahlbare Monatsmiete von 90 DM vermietet. Beweis: Auskunft des Wohnungsamts."

Das Wohnungsrecht des B G B ist infolge der durch den 1. und 2. Weltkrieg entstandenen Wohnungsnot weitgehenden Schutzbestimmungen unterstellt. Diese betreffen namentlich den Abschluß des Mietvertrags (Wohnraumbewirtschaftung), die Mietbildung und die Beendigung des Mietverhältnisses. Die Beschränkungen werden gemäß dem Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht vom 23. Juni i960 (BGBl. I 389) beseitigt. Für den Abschluß des Mietvertrags ist das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz vom 31. März 1953 in der Fassung des Gesetzes vom 23. Juni i960 maßgebend. Danach dürfen freie bzw. überschüssige Wohnräume grundsätzlich nur mit Genehmigung der Wohnungsbehörden zur Benutzung überlassen werden. Die Genehmigung ist entsprechend dem Antrag des Verfügungsberechtigten zu erteilen, sofern nicht gewichtige Gründe der Wohnraumbewirtschaftung dem entgegenstehen. Ein Z u w e i s u n g s v e r f a h r e n , das mit einem Zwangsmietvertrag enden kann, greift nur Platz, wenn ein Antrag auf Benutzungsgenehmigung nicht rechtzeitig gestellt oder einem solchen Antrag nicht entsprochen wird. Über die zahlreichen Ausnahmen vgl. §§ 3, 3a — 3e des Gesetzes. Über die M i e t b i l d u n g vgl. das 1. Bundesmietengesetz vom 27. Juli 1955 (BGBl. I 458) in der Fassung des 2. Wohnungsbaugesetzes vom 27. Juni 1956 sowie das 2. Bundesmietengesetz (Art I. des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft vom 23. Juni i960). Für die B e e n d i g u n g des Mietverhältnisses ist das Mieterschutzgesetz vom 15. Dezember 1942 (RGBL I 712), zuletzt geändert durch das Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft, maßgebend. Danach können Mietverhältnisse gegen den Willen des Mieters grundsätzlich nur aus besonderen Aufhebungsgründen durch Urteil des Amtsgerichts aufgehoben werden. Ausnahmen gelten namentlich für Gebäude im Eigentum der öffentlichen Hand, Kleinsiedlerstellen und Räume einer Wohnungsgenossenschaft sowie möblierte Zimmer, sofern hier nicht eine selbständige Haushaltung geführt wird (§§24, 24a, 32—34 MSchG),ferner für Mietverhältnisse über steuerbegünstigte und frei finanzierte Wohnungen gemäß §§ 31a, 31b MSchG. Bei den dem Mieterschutz unterliegenden Wohnungen sind als Aufhebungsgründe nur anerkannt: erhebliche Belästigung oder Gefährdung (§ 2), Zahlungsverzug (§ 3) und Eigenbedarf (§ 4). Das Gesetz soll spätestens am 31. Dezember 1965 außer Kraft treten (§ 54). Die Klage fährt fort: „Der Beklagte hat weder die am 1. Januar i960 fallige Januarmiete noch die am 1. Februar i960 fällige Februarmiete bezahlt. Beweis: Parteivernehmung. Daher rechtfertigt sich sowohl die Mietaufhebungsklage aus § 3 MSchG als auch die Mietzahlungsklage." Gemäß § 3 M S c h G kann der Vermieter auf Aufhebung des Mietverhältnisses klagen, wenn der Mieter mit mehr als einer Monatsmiete in Verzug ist. Bei einem den Betrag von 2 Monaten nicht erreichenden Rückstand ist die Erhebung der Klage aber erst zwei Wochen nach Fälligkeit zulässig. Daher wurde die Klage erst am 15. Februar eingereicht. Der Beweisantritt rechtfertigt sich daraus, daß der Vermieter die Voraussetzungen des

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Zahlungs- und Aufhebungsklage

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§ 3 M S c h G als anspruchbegründende Tatsachen des Räumungsanspruchs darlegen und beweisen muß. Hätte der Kläger allein auf Zahlung geklagt, so hätte er als anspruchsbegründende Tatsache nur das Mietverhältnis darlegen müssen ( § 5 3 5 S. 2 BGB). E s wäre Sache des Beklagten gewesen, die Zahlung der Miete als anspruchvernichtenden Einwand zu behaupten und zu beweisen (§ 362, vgl. auch § § 3 4 5 , 358 B G B ) . Die Zulässigkeit der Verbindung von Zahlungs- und Aufhebungsklage ergibt sich aus §15 MSchG. Danach kann der Vermieter neben dem Aufhebungsanspruch auch andere Ansprüche geltend machen, sofern sie das gleiche Mietverhältnis betreffen und das Gericht für sie zuständig ist. Auf Antrag des Beklagten ist aber die Trennung anzuordnen. Das Gericht kann auch von Amts wegen abtrennen. Im einzelnen vgl. § i 5 n I > I v MSchG. Die allgemeine Regelung des § 260 ZPO wird durch § 15 MSchG namentlich insofern eingeschränkt, als die mehreren Ansprüche „das gleiche Mietverhältnis" betreffen müssen. Für die Zahlungsklage gilt die allgemeine Kompetenzgrenze bis zu 1000 DM (§ 23 1 GVG). Für die Aufhebungsklage ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Mietgegenstand befindet, ausschließlich zuständig (§7 MSchG). In den vom Mieterschutz ausgeschlossenen Fällen ist für eine Räumungsklage zwar auch das Amtsgericht ohne Rücksicht auf den Streitwert, aber nicht ausschließlich zuständig (§23 GVG.) Zwischen der Aufhebungsklage auf Grund des Mieterschutzgesetzes und der Räumungsklage auf Grund des BGB besteht übrigens ein grundlegender Unterschied. Die erste ist Gestaltungsklage; das Urteil wirkt konstitutiv. Das Gericht hat „das Mietverhältnis aufzuheben und den Mieter zur Räumung zu verurteilen". In dem Urteil ist der Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses anzugeben. In den Fällen der § § 2, 3 kann das Mietverhältnis mit „sofortiger Wirkung" aufgehoben werden, § 5 MSchG. Aus diesen Bestimmungen erklärt sich der Klageantrag zu a). Die Räumungsklage auf Grund des BGB ist dagegen eine Leistungsklage. Das Gericht entscheidet nur deklaratorisch über die Berechtigung der außergerichtlich erfolgten Kündigung und verurteilt lediglich zur Räumung zu dem durch die Kündigung bewirkten Zeitpunkt. Die Klage fährt fort: „Die Räumungsklage ist aber auch aus dem Gesichtspunkt der erheblichen Belästigung und Vernachlässigung der Mietsache gemäß § 2 MSchG begründet. Der Beklagte hat — entgegen den einen Bestandteil des Mietvertrags bildenden §§5 und 7 der Hausordnung — im Dezember 1959 trotz Verbots der Hausmeisterin wiederholt bis 13 1 / 2 Uhr nachmittags Teppiche klopfen lassen, wodurch die übrigen Hausbewohner in ihrer Ruhe gestört wurden, und hat im gleichen Monat seine Badeeinrichtung neunmal benutzt. Beweis: Hausmeisterin Griindel in Köln, Annostr. i j . Die §§5 bzw. 7 der Hausordnung lauten: Ruhe und Ordnung dürfen im Hause, auf den Treppen, im Hofe, Garten usw. nicht gestört werden. Das Teppichklopfen ist nur am Freitag und Sonnabend vormittags zwischen 8 und 12 Uhr erlaubt." „Wasserleitungen, Ausgüsse und Badeeinrichtungen müssen in maßvoller Weise benutzt werden. Jede überflüssige Entnahme von Wasser ist dem Mieter untersagt." Die Klage schließt ab: Meine Vollmacht sowie eine zur Zustellung an den Beklagten bestimmte Abschrift der Klage liegen bei. Ferner werden 45 DM als Prozeßgebühr in Kostenmarken beigefügt. Für den Kläger: Schwarz, RA." Vollmacht des Anwalts: § 8 8 n Z P O . Vorschußweise Zahlung der Prozeßgebühr: § i n 1 S. 1 G K G . Berechnung der Prozeßgebühr: Die Bestimmungen der §§ 3ff. ZPO haben in erster Linie Bedeutung für die Zuständigkeit des Gerichts und die Zulässigkeit eines Rechtsmittels (§ 2

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Hinterlegungsbefugnis

ZPO). Darüber hinaus sind sie aber auch für die Berechnung der Gebühren maßgebend, soweit nicht Sonderbestimmungen des G K G oder sonstiger Gesetze eingreifen (§ 22 GKG). Für die Wertberechnung bei der Aufhebungsklage gibt § I 3 I V MSchG eine Sonderbestimmung. Danach ist — abweichend von § 8 ZPO — der Betrag des für die Dauer eines Jahres zu entrichtenden Mietzinses maßgebend. Eine ähnliche Bestimmung findet sich in § 1 2 1 1 G K G für die Räumungsklage auf Grund des BGB. Die Prozeßgebühr für die Aufhebungsklage berechnet sich daher nach einem Objekt von 12 mal 90 DM zuzüglich des Zahlungsanspruchs von 180 DM (§5 ZPO) = 1260 DM. Der Richter set2t Termin an (S. 1 , 1 8 ) . Gleichzeitig hat die Geschäftsstelle eine •weitere Abschrift der Klage der Fürsorgebehörde unter Hinweis auf ihre Fürsorgepflicht gemäß § 1011 M S c h G zuzustellen. Grund s. § 31u S. 1 MSchG. K l a g e b e a n t w o r t u n g . A b z u g s - und S c h a d e n s e r s a t z r e c h t e des M i e ters. W i d e r k l a g e . Für den Beklagten meldet sich R A Weiß, überreicht Vollmacht und beantragt: „die Klage abzuweisen, für den Fall der Verurteilung: dem Beklagten die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nachzulassen." Das Sicherheitserbieten des Beklagten hat nur praktische Bedeutung, wenn das Urteil ohne Sicherheitsleistung des Klägers für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist; und selbst in diesem Fall kann der Kläger durch sein Sicherheitserbieten die Hinterlegungsbefugnis des Beklagten aus dem Felde schlagen (unten S. 28). Der Beklagte hat mit einer ohne Sicherheit des Klägers vorläufig vollstreckbaren Verurteilung nur bezüglich der Zahlung zu rechnen, da dieser Anspruch die Summe von 500 D M (§ 709 4 ) nicht übersteigt. Das Aufhebungsurteil ist nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da nicht glaubhaft gemacht ist, daß die Aussetzung der Vollstreckung dem Vermieter einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ ijii S. 2 MSchG). Dem Mieter ist sogar von Amts wegen eine angemessene Räumungsfrist zu bewilligen, bei Aufhebung wegen erheblicher Belästigung oder Gefahrdung allerdings nur unter besonderen Umständen (§§ 5a, 6 MSchG). Ein vorsichtiger Beklagter beantragt regelmäßig, auch wenn das Objekt über 500 DM hinausgeht, Vollstreckungsnachlaß gemäß § 7 1 3 1 1 . Denn vielleicht gibt das Gericht der Klage nur in Höhe von 500 DM oder weniger statt, oder es erläßt Teilurteil über eine im Rahmen des § 7091 liegende Summe, und dann würde es für den Beklagten eine empfindliche Schädigung bedeuten, wenn er nicht in der Lage ist, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Praktische Bedeutung der Hinterlegungsbefugnis: s. §§ 720, 739 ZPO und 6 Kap. „Mobiliarpfandung für mehrere Gläubiger". „Begründung. Dem Kläger steht weder ein Mietzinsanspruch für Januar und Februar i960 noch ein Aufhebungsgrund zu: x. Am Abend des 3. Januar i960 hat die Hausmeisterin des Klägers es trotz der herrschenden Kälte von —90 unterlassen, den Hauptwasserhahn abzusperren, weil sie Radio hörte. Infolge dessen platzte während der Nacht das Wasserrohr in der Küche des Beklagten. Die ganze Küche wurde unter Wasser gesetzt und ist erst am 20. Januar i960 wieder benutzbar geworden. Beweis: die Ehefrau des Beklagten. Gemäß § 537 BGB ermäßigt sich also die Januarmiete um den Betrag, der auf die Küche für 16 Tage zu rechnen ist, d. s. mindestens 12 DM. Beweis: Sachverständige." Die mangelhafte Erfüllung vertraglicher Schuldverpflichtungen begründet Schadensersatzansprüche nur im Fall des Verschuldens oder der Garantie, während die „ädilizischen" Rechtsbehelfe der Wandelung, Minderung usw. vom Verschul-

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unfall der Ehefrau des Mieters

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den unabhängig sind. Vgl. für den Kauf § 463 gegen § 462 BGB. Die nach § 537 eintretende gänzliche oder teilweise Befreiung des Mieters von der Mietzahlung zählt zur zweiten Gruppe. Für das Abzugsrecht würde es daher keiner Erörterung der Schuldfrage bedurft haben. „ 2 . Bei der Überschwemmung der Küche ist ein dem Beklagten gehörender Sack mit Weizenmehl im Wert von 40 D M verdorben. Beweis: die Ehefrau des Beklagten. Diesen Betrag hat der Kläger dem Beklagten zu vergüten."

Hier macht der Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß § 538 geltend. Dieser steht dem Mieter zu: 1. wenn der Mangel schon bei Vertragsschluß vorhanden war, 2. wenn er (was hier in Betracht kommt) infolge eines vom Vermieter zu vertretenden Umstandes (Haftung für Erfüllungsgehilfen: § 2781) entstanden ist, 3. wenn der Vermieter mit Beseitigung des verschuldeten oder unverschuldeten Mangels in Verzug gerät. Der erste Fall beruht auf dem Gedanken, daß der Vermieter für Tauglichkeit der Mietsache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine stillschweigende Garantie übernehme. Maßgebend ist dabei nicht das Hervortreten des Mangels, sondern sein objektives Vorhandensein. Bestand der Mangel schon beim Vertragsschluß, wurde er aber zunächst von niemandem bemerkt und führte erst erhebliche Zeit später zu einem Schaden, so muß der Vermieter den Schaden unbedingt ersetzen. R G 81, 200; 169, 87. Vgl. Punkt 3 der Klagebeantwortung. „ 3 . A m 10. Januar i960 hat die Frau des Beklagten ein Bad zubereitet. Plötzlich fiel ohne jeden äußeren Anlaß der Warmwasserhahn heraus und das heiße Wasser strömte heraus, so daß der Frau beide Hände und Unterarme verbrüht wurden. Beweis: die Ehefrau des Beklagten. Die hierdurch notwendig gewordene ärztliche Behandlung hat einschließlich Medikamenten 160 D M gekostet. Beweis: die vom St.-Elisabethinerinnen-Krankenhaus ausgestellten quittierten Rechnungen, die ich im Termin vorlegen werde Ferner war der Beklagte genötigt vom 10. bis 24. Januar i960, während dessen seine Frau arbeitsunfähig war, Beweis: Dr. med. Sebald, Stationsarzt im Elisabethinerinnen-Krankenhaus, die häuslichen Arbeiten durch die Aufwartefrau Scbmudicke verrichten zu lassen, welche dafür 30 D M erhalten hat. Beweis: Frau Scbmudicke in Köln, Herderstraße 3 1 . Wenn der Kläger, wie es jeder sorgfältige Hauswirt tut, von Zeit zu Zeit die Badeeinrichtung durch eine sachverständige Person hätte nachsehen lassen, wäre der Unfall vermieden worden, da der Hahn schon längere Zeit, mindestens seit Abschluß des Mietvertrags der Parteien, morsch und defekt war. Beweis: Sachverständiges Zeugnis und Gutachten des Klempnermeisters Gtese in Köln, Lewaldstr. 44. Der Kläger hat deshalb dem Beklagten auch die 160 D M sowie 30 D M zu vergüten."

Sind wegen des Unfalls der Ehefrau, die nicht Vertragspartei ist, Schadensersatzansprüche gegeben? Die Pflicht, die Mietsache während der Vertragsdauer in gebrauchsfähigem Zustand zu erhalten (§ 536) und die aus einer mangelhaften Beschaffenheit sich ergebenden Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum abzuwenden, obliegt dem Vermieter nicht bloß gegenüber dem Mieter, sondern auch gegenüber den vom Mieter in die Wohnung aufgenommenen Angehörigen und solchen Angestellten, denen der Mieter gemäß § 618 haftet. Daraus folgt einmal, daß Nickel den ihm durch den Unfall seiner Frau zugefügten Schaden nach Maßgabe des § 538 vom Vermieter fordern kann. R G 81, 200, 214; 90, 65; 169, 87.

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Vertrags- und Deliktsschaden

Außerdem hat aber auch Frau Nickel wegen des ihr selbst an der Gesundheit entstandenen Schadens vertragliche Ansprüche an den Vermieter Noack: der Mietvertrag ist Vertrag zugunsten des geschädigten Dritten. R G 91, 2 1 ; 102, 231. Vertrag zugunsten D r i t t e r : Ob ein beteiligter Dritter lediglich solutionis causa adiectus ist (wie der Neffe, dem auf Bestellung des Onkels ein Anzug angemessen oder der photographiert wird) oder ob er ein eigenes Recht auf die Leistung erwirbt, hängt bei der elastischen Fassung des § 328 von der Lage des Einzelfalls, besonders vom Zweck des Geschäfts, ab. Die Vereinbarung eines begünstigten Dritten kann auch stillschweigend getroffen werden, ohne daß sich die Vertragschließenden dessen bewußt sind. Ahnliche Grundsätze wie für Angehörige und Angestellte des Mieters hat die Praxis bei Werkverträgen aufgestellt: zugunsten der Frau und Tochter, für die eine Taxe genommen wird; zugunsten des Kassenmitglieds, welches von der Kasse vertraglich in einem Krankenhaus untergebracht wurde; zugunsten der Hausangestellten, deren Gesundheit geschädigt wird, weil eine vom Dienstherrn bestellte Revision des Gasanschlusses nicht ordnungsmäßig ausgeführt worden ist. RG 127, 218 (mit Übersicht über die Entwicklung der Rechtsprechung). Vgl. ferner RG 152/176 (Arztvertrag des Vaters zugunsten des Kindes), RG 160, 155; 164, 397; BGH in NJW 51/437 (Girovertrag für Begünstigte), BGH 2/94 (kein vertraglicher Anspruch des Ehemannes, der beim Besuch seiner Frau im Krankenhaus infolge Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verletzt wird). Nach BGH NJW 1959, 1676 haben auch solche Personen vertragliche Schadensersatzansprüche, die nicht — wie bei § 328 — einen eigenen Anspruch auf die vertragliche Leistung haben, „an deren Schutz aber der eine Vertragsteil ein für den anderen Vertragsteil erkennbares objektiv begründetes Interesse hat", z. B. Familien- und Werkangehörige eines Bestellers gegenüber einem Bauunternehmer oder einem Maschinenlieferanten, durch dessen Leistung oder Lieferung sie Schaden erleiden. Vgl. auch BGH VersR 1959, 1009 und Lorenz J Z i960, 108 (Die Einbeziehung Dritter in vertragliche Schuldverhältnisse), ferner Heiseke und Larenz NJW i960, 77. Wie verhält sich Noacks vertragliche Ersatzpflicht zu seiner Haftung aus unerlaubter Handlung? Die Voraussetzungen des Vertrags- und des Deliktsanspruchs sind selbständig zu prüfen. Hinsichtlich des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen, der Verjährung und der Beweislast ist das Vertragsrecht dem Geschädigten günstiger als der Deliktsanspruch. Vgl. § 2 7 8 gegen § 8 3 1 , § 1 9 5 gegen § 8 5 2 . Nach § 823 muß der Geschädigte das Verschulden des Schädigers beweisen. Dagegen legt das Gesetz in den Fällen der Unmöglichkeit (§ 282) und des Verzuges (§ 285) die Beweislast ausdrücklich dem Schuldner auf. Das gilt nach heute h. A. analog auch für das Verschulden bei der positiven Vertragsverletzung. Vgl. BGH 23, 288; 28, 251; VersR 1959, 948; Enneccerus-Lehmann § 55 II 3. Aus dem Vertragsverhältnis läßt sich nur Ersatz des dem Vertragsgegner (bzw. dem begünstigten Dritten im Fall des § 328) selbst erwachsenen Vermögensschadens (§ 253) herleiten. Alle darüber hinausgehenden Ansprüche, nämlich die Ansprüche der Hinterbliebenen des Getöteten (§ 844), der Anspruch des Ehemanns oder der Eltern wegen Entziehung der ihnen nach § § 1 3 5 6 , 1 6 1 7 gesetzlich zustehenden Dienste des Verletzten (§ 845), der Anspruch des Verletzten auf Ersatz des immateriellen Schadens, sog. „Schmerzensgeldes" (§ 847), setzen voraus, daß der Tatbestand der unerlaubten Handlung nachgewiesen wird. Die für die Aufwartefrau geforderten 30 D M fallen an sich unter § 845. Da dieser Schaden aber gleichzeitig ein Vermögensschaden ist, der adäquat durch die Vertragsverletzung verursacht wurde, kann Nickel ihn auch unter dem Gesichtspunkt des Vertragsschadens geltend machen. „Bereits Anfang Januar hat der Beklagte dem Kläger erklärt, daß er wegen der Minderung nicht die volle Miete zahle. Sofort nach Zustellung der Klage hat er erklärt, daß er im übrigen mit seinen Schadenersatzforderungen aufrechne. Beweis: Parteivernehmung." Hat sich der Mietanspruch auf Grund des § 537 automatisch gemindert, so liegt kein Verzug gemäß § 3 M S c h G vor. Ebenso ist die Aufhebung nicht mehr zu-

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Vertragswidriger Gebrauch

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lässig, wenn bis zum Ablauf eines Monats seit Klageerhebung der Mieter eine zulässige Aufrechnung erklärt, § 3 111 MSchG. Der Aufhebungsanspruch besteht sogar schon dann nicht, wenn der Verzug auf nicht fahrlässige Annahme eines Aufrechnungs- oder Minderungsrechts zurückzuführen ist § 3 1 1 MSchG. Es gibt Mietvertragsformulare, in denen dem Mieter die Befugnis zur Minderung und Aufrechnung ganz entzogen wird. Eine solche Klausel kann sittenwidrig sein und wird in den Vorschlägen zu einem Deutschen Einheitsmietvertrag ausdrücklich mißbilligt. Vgl. Enneccerus-Lehmann § 13 5 II. Es darf indes nicht verkannt werden, daß die Aufrechnung mit größeren Forderungen auf längere Zeiträume den Vermieter, der Hypothekenzinsen und Steuern laufend zahlen muß, in eine üble Lage bringen kann. Der Deutsche Einheitsmietvertrag (DJ 34, 304) läßt eine Aufrechnung oder Minderung nur zu, wenn der Mieter dies mindestens einen Monat vor der Fälligkeit des Mietzinses dem Vermieter angekündigt hat. § 28 MSchG bestimmt ähnlich bei einem vertraglichen Ausschluß der Aufrechnung, daß der Mieter gleichwohl aufrechnen kann, aber nur, wenn er dem Vermieter die Absicht der Aufrechnung mindestens einen Monat vor Fälligkeit des Mietzinses schriftlich angezeigt hat. Der Schriftsatz geht jetzt zu dem zweiten Kündigungsgrund über: „ 4. Aus der angeblichen Verletzung der Hausordnung kann der Kläger gleichfalls keinen Aufhebungsgrund herleiten. Es sind nur ein einziges Mal nach 12 Uhr mittags Teppiche geklopft worden, als die Aufwartefrau infolge häuslicher Verhinderung erst um 3/412 Uhr zur Arbeit kommen konnte. Die Badeeinrichtung hat der Beklagte im Dezember 1959 nicht öfter als 3 oder 4mal benutzt. Beweis: Die Ehefrau des Beklagten. Von erheblichen Belästigungen, wie sie § 2 MSchG voraussetzt, kann also nicht die Rede sein. Auch wird die dort vorgesehene Abmahnung des Vermieters bestritten." Nach § 2 MSchG muß die Belästigung des Vermieters oder der Hausbewohner erheblich sein und der unangemessene Gebrauch den Mietraum erheblich gefährden. Angesichts der noch immer bestehenden Wohnungsnot muß ein strenger Maßstab angelegt werden. Die vom Kläger gerügten Verletzungen der Hausordnung reichen nicht aus, zumal sie nur im Dezember erfolgt sein sollen und neue spätere Verstöße vom Kläger nicht behauptet werden. Der Aufhebungsanspruch aus § 2 MSchG ist daher schon auf Grund des eigenen Vorbringens des Klägers unbegründet, so daß sich eine Beweiserhebung über den Umfang der Verstöße erübrigt. „5. Wegen der durch die Aufrechnung nicht verbrauchten Gegenforderungen des Beklagten erhebe ich Widerklage mit dem Antrag: den Kläger und Widerbeklagten zur Zahlung von 62 D M (i. W.) nebst 4 % Zinsen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu verurteilen. Weiß, R A . " V g l . § 1 5 " M S c h G , der den § 33 Z P O einschränkt. R e p l i k des K l ä g e r s . „Antrag: I. zur Klage erbietet sich der Kläger gemäß § 713 1 1 ZPO, vor der Vollstreckung Sicherheit zu leisten. II. Zur Widerklage wird beantragt: die Widerklage abzuweisen, hilfsweise: dem Kläger und Widerbeklagten die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten."

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Sicherheitsanerbieten des Klägers

Warum erbietet sich der Kläger zur Sicherheitsleistung hinsichtlich des Klageanspruchs, obwohl doch der Zahlungsanspruch ohne Sicherheit für vollstreckbar erklärt wird (oben S. 24) ? Der Beklagte hatte Vollstreckungsnachlaß für sich beantragt. Gibt also das Gericht dem Zahlungsanspruch statt, so müßte zwar die vorläufige Vollstreckbarkeit ausgesprochen, dem Beklagten aber die Abwendung der Vollstreckung durch Sicherheit vorbehalten werden. Deshalb hat der Kläger durch sein Sicherheitsangebot dasjenige des Beklagten übertrumpft. Gemäß § 713 1 1 tenoriert man im Verurteilungsfalle: „Der Beklagte wird verurteilt Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von . . . . abzuwenden. Leistet der Kläger Sicherheit in Höhe von so ist er trotz der vom Beklagten geleisteten Sicherheit zur Vollstreckung berechtigt."

Zur Sache trägt der Anwalt des Klägers vor: „Die Hausmeisterin Frau Gründet hat der Kläger alsbald nach der Herstellung des Hauses auf Grund der in der Anlage überreichten überaus lobenden Zeugnisse angestellt und sie hat sich während ihrer jahrelangen Tätigkeit beim Kläger niemals etwas zuschulden,kommen lassen. (wird näher dargelegt)."

Erheblich ist der hier vom Kläger gemäß §831 BGB für seine diligentia in eügendo angetretene Entlastungsbeweis nur, soweit Nickel Ansprüche aus einer von der Hausmeisterin begangenen unerlaubten Handlung erhebt, nicht auch, soweit er eigenes Verschulden des Klägers behauptet (S. 26) oder seine Ansprüche aus Vertragshaftung herleitet (S. 25). „Die Kälte betrug am Abend des 3. Januar höchstens — 1 ° oder —z°, so daß mit einem Rohrbruch nicht zu rechnen war. Darum und nicht aus Nachlässigkeit hat Frau Gründet die Absperrung unterlassen. Beweis: ihr Zeugnis."

Liegt bei der Hausmeisterin keine Fahrlässigkeit vor, so kann der Kläger für ihr Verhalten auch nicht nach § 278 verantwortlich gemacht werden. Dagegen ist im Fall des § 831 das Verschulden des Angestellten unerheblich; es genügt, daß er den Schaden objektiv „widerrechtlich" zugefügt hat. Denn die Haftung nach §831 findet ihren Rechtsgrund im Verschulden des Geschäftsherrn, welches den Gegenstand des von ihm zu führenden Entlastungsbeweises bildet (Abs. I S. 2). „Nach dem Rohrbruch hat der Kläger alles getan, um die Küche so schnell wie möglich wieder instandzusetzen. Beweis: Klempnermeister Giese"

Mit diesem Vorbringen will der Kläger die Schadensersatzhaftung wegen Verzuges mit der Mängelbeseitigung (S. 25 zu 3) abwenden. „Dem Beklagten kann durch die zeitweise Unbenutzbarkeit der Küche kein Schaden entstanden sein, weil er bei seiner im Hause wohnenden Schwiegermutter mitgekocht und dadurch sogar noch Kohle bzw. Gas erspart hat. Beweis: verw. Frau Inspektor Maiss."

Unerheblich, da Beklagter den Mietabzug nicht als Schadensersatz geltend macht, sondern auf den vom Verschulden abstrahierenden § 537 gründet. „Schlimmstenfalls beträgt der Abzug für zeitweise Unbenutzbarkeit der Küche nicht mehr als 8 D M . V o n der Gesamtmiete entfallen auf die Küche monatlich höchstens 15 D M . Beweis: Sachverständigen-Gutachten. Daß dem Beklagten durch die Überschwemmung der Küche Mehl verdorben sei, wird bestritten.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Geständnis und Nichtbestreiten

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Dagegen soll für diese Instanz nicht bestritten werden, daß die Frau des Beklagten sich eine Verbrühung an der Badeeinrichtung zugezogen hat und dem Beklagten dadurch die von ihm angegebenen Kosten entstanden sind."

Zwischen bloßem Nichtbestreiten und einem Zugeständnis im technischen Sinne besteht ein wesentlicher Unterschied. Der Widerruf eines Geständnisses ist nur wirksam, wenn die Partei beweist, daß es unrichtig (Umkehrung der Beweislast 1) und daß es außerdem durch einen Irrtum veranlaßt war (§ 290 ZPO), während bei nichtbestrittenen Behauptungen (§ 138 11 ) das Bestreiten jederzeit nachgeholt werden kann. Im Zweifel ist einfaches Nichtbestreiten anzunehmen. Zugestandene Tatsachen müssen — auch im Urteilstatbestand — wegen der besonderen Rechtsfolgen des Geständnisses besonders gekennzeichnet werden. „Der Unfall ist aber ausschließlich auf die eigene Unvorsichtigkeit von Frau Nickel zurückzuführen, die an dem Hahn so lange gerissen und gerüttelt hat, bis er herausfiel. Hahn und Badeeinrichtung waren von ordnungsmäßiger Beschaffenheit. Im übrigen könnte der Beklagte, wenn selbst der behauptete Mangel beim Vertragsschluß vorhanden gewesen sein sollte, dieserhalb keine Ansprüche erheben, weil er die Wohnung vorher eingehend besichtigt hatte und die Schadhaftigkeit entweder erkannt oder infolge von grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat. Beweis: Gutachten des Giese."

Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis wirken auf die Mängelrechte des Mieters in gleicher Weise ein wie auf Gewährleistungsansprüche des Käufers. Hat also der Mieter oder Käufer den Mangel beim Vertragsschluß positiv gekannt, so verliert er alle Rechte. Das Gleiche gilt bei grob fahrlässiger Unkenntnis, hier jedoch mit der Ausnahme, daß der Vermieter (Verkäufer) eine Zusicherung abgegeben oder arglistig gehandelt hat. Erkennt der Mieter (Käufer) den Mangel erst bei Übernahme der Sache, so kann er sich seine Rechte noch durch Vorbehalt wahren; grobe Fahrlässigkeit bei der Übernahme hat keine nachteiligen Folgen. §§ 539> 460, 464BGB. „Zum mindesten muß der Beklagte den Mangel bei früheren Benutzungen der Badeeinrichtung wahrgenommen haben. Beweis: Gutachten des Giese. Dann hat er aber die ihm gegenüber dem Kläger obliegende Anzeigepflicht verletzt. Eine Verpflichtung des Klägers zur regelmäßigen Kontrolle der Anlage bestand nicht, er durfte sich darauf verlassen, daß etwaige Mängel vom Mieter angezeigt werden würden."

Schuldhafte Nichterfüllung der Anzeigepflicht (§ 545) macht den Mieter für den daraus entstehenden Schaden ersatzpflichtig. Außerdem entzieht sie ihm die sonst wegen dieses Mangels zustehenden Abzugs- und Schadensersatzansprüche insoweit, als der Vermieter wegen Unterlassung der Anzeige nicht früher Abhilfe schaffen konnte. Nur das Recht des Mieters, eine gesundheitsgefährliche Wohnung fristlos zu kündigen (§ 544), wird durch Verletzung der Anzeigepflicht nicht berührt. „ E s wird jedoch auf alles das nicht ankommen, weil der Beklagte unstreitig die Januar- und Februar-Miete nicht pünktlich bezahlt hat, womit nach § 3 MSchG das Kündigungsrecht ohne weiteres gegeben ist, und weil erhebliche Verletzungen der Hausordnung im Sinne des § z MSchG vorliegen, der Beklagte auch wiederholt abgemahnt worden war. (folgen nähere Darlegungen)."

Vgl. dazu S. 22, 23, 26. „Überdies hat der Beklagte nach der Fälligkeit den Mietanspruch anerkannt und auf seine angeblichen Gegenforderungen bzw. die Aufrechnung mit ihnen verzichtet. Am 2. Februar i960 fuhren nämlich die Parteien zusammen im Autobus. Als der Kläger sich erkundigte, wie es dem Beklagten gehe, erwiderte dieser: ,Ach, Sie fragen wohl, weil ich die Miete noch nicht

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Schriftliche Entscheidung bezahlt habe ? Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, bis morgen früh haben Sie Ihr Geld. Ich war bloß etwas knapp bei Kasse, weil ich durch den Unfall meiner Frau so viele Extraausgaben hatte.' Beweis: Musiklehrer Amadeus Gemoll in Köln, Rehdigerstraße 68. Für den Kläger: Schwarz, R A . "

Ein abstraktes Anerkenntnis der Mietschuld kann die Äußerung des Beklagten (auch abgesehen von dem nicht gewährten Erfordernis der Schriftform, § 781) nicht sein, weil Nickel sicherlich nicht die Absicht hatte, einen vom bisherigen Rechtsverhältnis losgelösten Verpflichtungsgrund zu schaffen. Dagegen würde sie sich als Aufrechnungsverzicht auffassen lassen, denn am 2. Februar war dem Beklagten der Sachverhalt, aus dem er sein Aufrechnungsrecht herleitet, sicherlich bekannt. Streitige Verhandlung. S c h r i f t l i c h e Entscheidung. Im Termin scheitert der Versuch einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits (§49 5 1 1 ZPO). Der Beklagte bestreitet die in der Replik aufgestellten Behauptungen des Klägers. „Der Kläger stellte den Antrag aus der Klageschrift und dem Schriftsatz vom 27. Februar i960, der Beklagte den Antrag aus der Klagebeantwortung. Die Parteien verhandelten sodann zur Sache. Die Parteien erklärten sich mit schriftlicher Entscheidung einverstanden. Vorgelesen, genehmigt. Richter.

Urktmd."

Mit Einverständnis beider Parteien kann das erstinstanzliche oder Berufungsgericht — in allen Verfahrensarten, auch im Eheprozeß, und unabhängig davon, ob schon einmal mündlich verhandelt worden war — ohne mündliche Verhandlung entscheiden. § 128 11 ZPO. Von dieser Möglichkeit macht man teils in der Weise Gebrauch, daß überhaupt nicht mündlich verhandelt wird (z. B. in Punktensachen und sonstigen Prozessen mit unübersichtlichem Material, bei denen der nicht aus den Akten informierte Beisitzer dem Vortrag der Parteien nur schwer würde folgen können), teils wird, wie in unserem Fall, mündlich verhandelt und nur für die Entscheidung Schriftlichkeit vereinbart. Das zweite Verfahren ist deshalb nicht unbedenklich, weil es den §§300, 310 ZPO widerspricht, insbesondere den Richter von der Verpflichtung entbindet, ein Urteil binnen 1 Woche zu verkünden (Baumbach zu § 128, 4B). Die Entscheidung, zu der das Gericht im schriftlichen Wege gelangt, kann ein Urteil, ein Beweisbeschluß, ein Auflage-Beschluß gemäß § 139 oder eine einfache Vertagung sein. Ist es ein Urteil, so bedarf es förmlicher Zustellung des Urteilstenors an beide Parteien (§ 310 1 1 ZPO). Diese Zustellung ersetzt aber bloß die Verkündung ( § 3 1 0 ZPO); um die Rechtsmittelfristen in Lauf zu setzen und die Grundlage für Vornahme von Vollstreckungshandlungen zu schaffen, ist außerdem noch Zustellung im Parteibetrieb erforderlich. Berufung kann vor der Parteizustellung (arg. § 516), jedoch nicht vor der die Verkündung ersetzenden Offizialzustellung eingelegt werden. R G DR 44/384. Bei Beweisbeschlüssen und sonstigen Entscheidungen genügt formlose Mitteilung an die Parteien, § 3 2 9 ™ ZPO.

Beweisbeschluß: Die Entscheidung über die aus § 3 MSchG schlüssige Aufhebungsklage, über den Zahlungsanspruch und die Widerklage hängt von der Berechtigung der Minderung und der Schadensersatzforderungen des Beklagten ab. Der auf § 2 MSchG gestützte Aufhebungsanspruch ist aus den oben S. 26 f. angegebenen Gründen nicht schlüssig. Hieraus ergibt sich der Umfang der erforderlichen Beweisaufnahme.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Beweisbeschluß

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Erfordert die Beweisaufnahme kein besonderes Verfahren — beispielsweise die Vorlegung von Urkunden oder Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, die zur Stelle sind — , so bedarf es keines förmlichen Beweisbeschlusses (§ 358). In unserem Fall muß Beweisbeschluß (§ 359) erlassen werden. Die schriftliche Entscheidung, welche den Parteien übersandt wird, lautet demgemäß: „Beweisbeschluß in Sachen Noack gegen Nickel. I. Uber nachstehende Fragen soll Beweis erhoben werden: 1. Hat der Beklagte am 2. Februar i960 dem Kläger Zahlung der fälligen Miete zugesagt ? 2. Herrschte am Abend des 5. Januar i960 eine Kälte von —9° oder nur eine solche von —1° oder —20 ? Warum ist die Absperrung des Haupthahns der Wasserleitung an diesem Tag unterblieben? 3. Ist dem Beklagten durch Überschwemmung der Küche in der Nacht vom 3. zum 4. Januar i960 ein Sack mit Weizenmehl im Wert von 40DM verdorben? 4. Wie hat sich der Unfall am 10. Januar i960 zugetragen ? Hat die Frau des Beklagten am Hahn der Wasserleitung gerüttelt und gerissen, bis er herausfiel ? Oder fiel der Hahn, als die Frau des Beklagten ein Bad zubereitete, ohne jeden äußeren Anlaß heraus? 5. Ist anzunehmen, daß der Hahn der Warmwasserleitung im Badezimmer des Beklagten schon am 1. Juli 1959 morsch und defekt war ? 6. Ist anzunehmen, daß der Beklagte die mangelhafte Beschaffenheit des Hahnes der Warmwasserleitung im Badezimmer seiner Wohnung am 1. Juli 1959 auf Grund der vorausgegangenen Besichtigung hätte erkennen müssen und daß er sie infolge von grober Fahrlässigkeit nicht erkannte ? Wäre der Beklagte in der Lage gewesen, sie bei der Benutzung der Badeeinrichtung vor dem 10. Januar i960 zu erkennen ? durch Vernehmung a) des Musiklehrers Amadeus Gemoll in Köln, Rehdigerstr. 68, zu 1 b) der Hausmeisterin Frau Griindel in Köln, Annostr. 15 zu 2 c) der Ehefrau des Beklagten, bei diesem zu laden, zu 3 und 4 als Zeugen, zu a) und b) vom Kläger, zu c) vom Beklagten benannt, d) des Klempnermeisters Giese, Köln, Lewaldstr. 44, als sachverständigen Zeugen zu 5 vom Beklagten benannt und als Sachverständigen zu 6, vom Kläger benannt. Der Beweisbeschluß soll nach § 359 das B e w e i s t h e m a , das B e w e i s m i t t e l und den B e w e i s f ü h r er (d. i. die Partei, die sich auf das Beweismittel bezogen hat) angeben. Letzteres ist wichtig wegen des Vorschußpflicht (unten zu II) und der Möglichkeit eines Verzichts auf das Beweismittel (vgl. §§ 399, 436 ZPO). Dagegen erübrigt sich eine Angabe darüber, wer die Behauptung aufgestellt hat (in der Praxis üblich: „ E s soll Beweis erhoben werden über die Behauptung des Klägers . . . . , des B e k l a g t e n . . . " ) . Darin könnte eine Beeinflussung der Zeugen liegen. „II. DieLadung der Zeugen wird davon abhängig gemacht, daß der Kläger für diezula) undb), der Beklagte für die zu Ic) und d) genannten Zeugen einen Auslagenvorschuß von 5 DM für jeden Zeugen bis zum 15. März i960 hinterlegt oder eine schriftliche Verzichtserklärung des Zeugen auf Entschädigung beibringt. Die Ladung des Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, daß in der gleichen Frist der Kläger einen Vorschuß von 20 DM hinterlegt." Vgl. §§ 379, 402. Bei auswärtigen Beweisaufnahmen ist der Abgang des Ersuchungsschreibens (§ 362 1 Z P O ) vom Auslagenvorschuß bzw. der Verzichtserklärung abhängig zu machen. „HI. Termin zur Beweisaufnahme und weiteren mündlichen Verhandlung wird auf den 26. März i960 vormittags 1 1 Uhr bestimmt. Köln, den 5. März i960. Amtsgericht Richter"

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Parteivernehmung

Zu den beweisbedürftigen Punkten gehört an sich auch die unter den Parteien streitige Frage, ob der angemessene Mietsabzug wegen zeitweiliger Unbenutzbarkeit der Küche 12 oder bloß 8 D M beträgt. § 287 11 gestattet aber dem Gericht, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung und ohne Schätzungseid (Satz 3, 4 des I. Absatzes sind in Abs. II nicht mit zitiert I) zu entscheiden, falls die vollständige Aufklärung aller maßgebenden Umstände „mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen". Die durch den angebotenen Sachverständigenbeweis entstehenden Kosten sind eine solche Schwierigkeit, deshalb hat der Richter von seiner Erhebung abgesehen. Minima non curat praetor! In Höhe der 8 DM, die der Kläger selbst als richtige Mietminderung bezeichnet, steht das Abzugsrecht des Beklagten schon jetzt fest, so daß insoweit Teilurteil hätte ergehen können (§ 301 1 ). Bei der Geringfügigkeit der Summe hat der Richter kein Teilurteil erlassen (§ 301 1 1 ). Nur im Fall des Teil-Anerkenntnisses darf der Erlaß des Teilurteils (als Teil-Anerkenntnisurteil) nicht abgelehnt werden (§ 307). Übrigens ist das Gericht an die im Beweisbeschluß niedergelegte Rechtsansicht nicht gebunden. Gelangt der Richter bei nochmaliger Überlegung — oder sein Nachfolger im Dezernat — zu einer anderen Auffassung der tatsächlichen oder Rechtsfragen, so hat er, unbehindert durch den Beweisbeschluß, seiner letzten Überzeugung zu folgen (arg. §318). Parteivernehmung. Beweislast für Stundung A n t r a g auf P a r t e i v e r n e h m u n g . Schneidermeister Nadel klagt gegen den Zahnarzt Kiefer in Köln-Ehrenfeld auf Bezahlung eines Frackanzuges. Kiefer läßt durch R A Weiß Klageabweisung beantragen: „ 1 . Bei der Bestellung Anfang Januar d. J . erklärte der Beklagte dem Kläger sofort, daß er nicht bald bezahlen könne. E r heiratete im April und erhalte im Mai, spätestens Juni von seinem künftigen Schwiegervater zur Erweiterung seines Betriebes 3000 D M , aus denen er auch den Anzug bezahlen wolle. Der Kläger sagte: .Das tut nichts, Herr Kiefer, Sie sind mir gut.' Hierüber beantrage ich, vorbehaltlich der Geltendmachung anderer Beweismittel und unter Protest gegen die Beweislast, die Parteivernehmung des Klägers. 2. Der Anzug ist vollkommen unbrauchbar. (folgen nähere Darlegungen unter Angabe von Beweismitteln). Für den Beklagten: Weiß, R A . "

Die beiden vom Beklagten bei dem Antrag auf Parteivernehmung gemachten Vorbehalte sind überflüssige Formeln. Die Parteivernehmung ist letztes und schwächstes Beweismittel. Gemäß § 445 ZPO kann daher nur eine Partei sie beantragen, „die den ihr obliegenden Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat". Eine Parteivernehmung von Amts wegen ohne Rücksicht auf die Beweislast ist gemäß § 448 nur zulässig, „wenn das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um das Gericht von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache zu überzeugen", also nur wenn bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptung besteht. Selbst ein die Parteivernehmung anordnender Beschluß kann noch ausgesetzt werden, wenn später neue Beweismittel über die zu beweisende Tatsache vorgebracht werden, § 45 ° n Mit der Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448) ist nicht die Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 1 4 1 zu verwechseln. Sie dient

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Beweislast

der Vervollständigung des Parteivortrags auf Grund des § 139 und ist keine Beweisaufnahme über strittige Tatsachen. R G 149, 63. Sie kann erzwungen werden (§ i 4 i n I ) > die Parteivernehmung nicht. Vgl. auch unten S. 169 über die Abgrenzung zu § 619.

Der Referendar: Ich sehe nicht ein, warum der Beklagte die Vernehmung des Klägers beantragt hat. Den Beklagten trifft zwar die Beweislast, wenn er gegenüber einer Vertragsurkunde, in welcher über die Fälligkeit nichts gesagt wird, Stundung behauptet, oder wenn er eine erst nachträglich vereinbarte Stundung geltend macht. Im ersten Fall spricht gegen sein Vorbringen die Vermutung, daß jede Vertragsurkunde den Inhalt der Abmachungen vollständig und richtig wiedergibt; im zweiten handelt es sich um eine Abänderung des zunächst ohne Stundung abgeschlossenen Geschäfts und es ist feststehender Grundsatz, daß Abänderungen von der Partei zu beweisen sind, die sie behauptet. In unserer Sache soll aber die Stundung von Anfang an ausbedungen gewesen sein, und ein Schriftstück kann Nadel nicht vorlegen. Wenn der Beklagte den vom Kläger behaupteten Werklieferungsvertrag nur mit der Nebenabrede der Stundung gelten lassen will, so bedeutet das rechtlich kein Geständnis der Klagebehauptung unter Hinzufügung einer selbständigen Einrede, sondern der Beklagte gibt ein anderes Geschäft zu, als der Kläger behauptet. Er leugnet in substantiierter Weise den Klagegrund. Folglich muß der Kläger beweisen, daß der Vertrag so, wie er ihn behauptet, geschlossen worden ist und muß die Stundung widerlegen. Daß diese, von Stölzel aufgestellte Ansicht dem Gesetz entspricht, wird durch die Fassung des § 271 BGB bekräftigt. Denn indem das BGB dem Gläubiger ein Recht auf sofortige Fälligkeit gewährt, falls „eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen" ist, belastet es ihn mit der Verpflichtung, die Voraussetzung, daß keine Leistungszeit vereinbart war, zu beweisen. R G 68, 305. Der Richter: Im Prinzip erkenne ich die Stölzel sehe Theorie vom motivierten Bestreiten als richtig an. Der Satz: negativa non sunt probanda hat keine allgemeine Gültigkeit, z. B. muß bei Bereicherungsansprüchen der Kläger dartun, daß die Vermögensverschiebung „ohne rechtlichen Grund" erfolgt war, d. h. er muß alle vom Beklagten verteidigungsweise vorgebrachten Rechtsgründe widerlegen. Richtig ist auch, daß der Beklagte substantiiert zu bestreiten hat, dafür aber beim substantiierten Bestreiten hinsichtlich der Beweislast nicht schlechter behandelt werden darf, als wenn er generell bestritten hätte. Insbesondere macht es keinen Unterschied, ob die vom Beklagten vorgetragene weitere Abrede zu den essentialia oder accidentaüa negotii zählt. Macht also z. B. der Beklagte geltend, die Ware vom Kläger nicht fest gekauft, sondern „in Kommission" genommen, d. h. unter der Bedingung des Weiterverkaufs gekauft zu haben, so sind das vom Kläger behauptete und das vom Beklagten zugestandene Geschäft nicht identisch und der Kläger muß die Kommissionsklausel widerlegen. Ebenso wenn der Kläger den angemessenen Preis fordert, der Beklagte Vereinbarung eines niedrigeren Preises behauptet. Es gibt aber eine Grenze. Verteidigt sich der Beklagte damit, daß der Kläger ihm eine Garantie geleistet habe, die nicht erfüllt sei, daß die Verjährungsfrist abgekürzt worden, daß ihm ein Wiederverkaufsrecht eingeräumt worden sei, so wäre es unbillig, dem Kläger die Widerlegung solch ungewöhnlicher Modalitäten des Vertragsschlusses aufzubürden. Auch § 271 spricht nicht für, sondern gegen die Beweislast des Klägers. Sein Inhalt geht dahin, daß die sofortige Fälligkeit als Dispositivnorm die Regel bildet; unmöglich kann man der Partei, welche sich auf den Regelfall beruft, zumuten, zunächst alle Ausnahmemöglichkeiten zu entkräften. Bei dem sprachlich ganz ähnlich gefaßten § 269 fällt es niemand ein, in solcher Weise den Sinn des Gesetzes in sein Gegenteil zu verkehren. Überhaupt sollte man Beweislastprobleme weniger nach abstrakt-logischen oder grammatikalischen Gesichtspunkten L u x . Schulung, J. AuH. (Berg)

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Beweislast

entscheiden, als vielmehr nach Billigkeit. Wem nach Lage der Sache die Beweisführung am ehesten zuzumuten ist, der hat die Beweislast. Kaum eine andere Einwendung wird so oft 2u Unrecht und lediglich zur ProzeßVerschleppung vorgebracht, wie gerade der Stundungseinwand. Wie hier Enneccerus-Lehmann § 24 1 Anm. 1. Gesetzliche R e g e l u n g der B e w e i s l a s t : Wie wir durch Planck (Einl. zum Allg. Teil) und aus den Protokollen der IL Kommission (Bd. 6 S. 384) wissen, wollten die Redaktoren des BGB durch die Fassung der negativen Bedingungssätze die Beweislastverteilung ausdrücken: a) „Wenn nicht" = „es sei denn daß": der Inhalt des Konditionalsatzes ist Ausnahme. Beispiel § 4 7 7 1 S. 1: die Arglist muß Gegner beweisen, b) „Wenn . . . nicht": die Negation gehört zum Prädikat, ist also keine Ausnahme. Beispiel: § 151 S. 1. c) .„wenn er (sie, es) nicht" = „es sei denn daß": die Trennung von „wenn" und „nicht" durch das persönliche Fürwort ist nach den Regeln der deutschen Sprache unvermeidlich, daher ohne Einfluß auf die Beweislast. Beispiel § 485 S. 1: die Absendung der Anzeige ist Ausnahme. — Wie oben an §§ 269, 2 7 1 gezeigt, sind die Planckschen Regeln mit Vorsicht anzuwenden. Expressis verbis bestimmt das BGB die Beweislast z.B. in § § 2 8 2 , 345. 358, 3 6 3 , 2 3 3 6 1 1 1 . Ferner durch Aufstellung von „Vermutungen", die gemäß § 2 9 2 ZPO widerlegt werden können (z.B. § § 4 8 4 , 1 5 9 1 1 1 S. 1, 1 7 2 0 1 1 , 2 2 5 5 1 1 BGB). Auch darin, daß die Rechtssätze nach dem Verhältnis von Regel und Ausnahme aufgebaut werden, kommt die Beweislast zum Ausdruck. Wer sich auf die Regel beruft, hat keinen besonderen Beweis nötig; wer die Ausnahme für sich in Anspruch nimmt, muß ihre Voraussetzungen dartun. So leitet z. B. § 104 die Lehre von der „Geschäftsfähigkeit" damit ein, daß die Fälle der Geschäftsunfähigkeit aufgezählt werden. Damit ist die volle Geschäftsfähigkeit als Normalfall anerkannt, was sich mit der allgemeinen Ansicht deckt, daß Mängel der Geschäftsfähigkeit besonders zu behaupten und zu beweisen sind. Die gleiche Bedeutung hat die Wendung „es sei denn daß". Vgl. z. B. § 9 3 2 1 S. 1: der böse Glaube bildet die Ausnahme und muß bewiesen werden. Für den Stölzelschen Fall Knod gegen Brede (Streit, ob angemessener oder vereinbarter Preis) erklärt RG 57, 46 den Kläger für beweispflichtig. Vgl. auch BGH BB 57, 799. Behauptet aber der Darlehnsschuldner eine von § 609 BGB abweichende Hinausschiebung der Fälligkeit, so muß er beweisen (RG 57, 46). Macht der auf Erfüllung des Kaufvertrags belangte Verkäufer ein angeblich vereinbartes Wiederkaufrecht geltend, so legt ihm RG 107, 405 die Beweislast auf. Prima f a c i e - B e w e i s (Beweis des ersten Anscheins): Bei sog. typischen Geschehensabläufen, d. h. in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand vorgetragen wird, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist, braucht der Beweispflichtige nur den normalen Tatbestand, der die Ursache wahrscheinlich macht, nachzuweisen. Es ist Sache des Gegners, die ernsthafte Möglichkeit eines anomalen Verlaufs darzutun und zu beweisen. Gelingt es ihm aber, die Möglichkeit des Normalverlaufs zu erschüttern, so trifft nunmehr den gesetzlich Beweispflichtigen die volle Beweislast. Es handelt sich daher beim Anscheins-Beweis nicht um eine Umkehr der Beweislast, sondern um eine Erleichterung in der Beweisführung. Uber die praktische Auswirkung dieses Unterschieds s.Berg, Gutachten und Urteil (14. — 1 7 . Tsd. 1 9 6 0 ) 8 . 8 8 . Der Anscheinsbeweis hat einegroße Bedeutung beim Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs und des Verschuldens. Fährt z. B. ein Kraftwagen gegen einen Baum, so spricht der erste Anschein für Verschulden des Fahrers oder Versagen der Lenkvorrichtung. BGH 8 , 2 4 0 ; NJW i 9 6 0 , 9 9 . Bei einem Blutalkoholgehalt von i , 5 ° / o o ist anzunehmen, daß ein Unfall auf der Bewußtseinsstörung beruht, BGH 1 8 / 3 1 1 . Dagegen spricht keine allgemeine Vermutung für ein Verschulden des Arztes, wenn das Leiden des Patienten sich verschlimmert, RG JW 38, 2 1 5 2 . Vgl. aber auch BGH JR 1959, 63. Ebensowenig läßt sich die innere Einstellung eines Menschen (z. B. Arglist) als „typisch" bezeichnen, BGH NJW 1 9 5 7 , 988; vgl. aber auch NJW 1958, 1 7 7 . Eine echte Umkehr der Beweislast wird angenommen, wenn der Gegner schuldhafterweise dem Beweispflichtigen die Führung des Beweises unmöglich macht oder erheblich erschwert, z. B. durch Vernichtung von Beweisstücken. RG 1 0 5 , 259; BGH 6, 227. Von einer Umkehr der Beweislast zu sprechen, erscheint jedoch nicht angebracht. „Denn niemand braucht für seinen Gegner einen Beweis zu führen", Baumbach, Anh. § 282, 3 D. Die „Umkehr der Beweislast" ergibt sich aus der Verletzung der durch das Prozeßverhältnis begründeten Förderungspflicht, vgl. JW 3 4 , 3 2 9 9 . Der Referendar: Kann die Beweislastfrage, nachdem eine der Parteien vernommen ist, noch aufgerollt werden?

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Parteivernehmung

D e r Richter: Grundsätzlich interessiert die Beweislast nicht mehr, wenn durch eine Beweisaufnahme das Beweisthema für das Gericht geklärt ist. Dabei ist gleichgültig, ob die v o n einer nicht beweispflichtigen Partei benannten Zeugen das Beweisthema bestätigt haben. Zeugen sind dritte Personen, die über die durch sie unter Beweis gestellten Fragen objektiv auszusagen haben. Sie haben nicht etwa nur die Behauptungen d e r Partei, die sie benannt hat, zu bestätigen. Bei der Parteivernehmung aber ist es anders. D e r Interessenkonflikt, in den die beweispflichtige Partei kommt, wenn sie über ihre eigene Behauptung aussagen soll, hat den Gesetzgeber veranlaßt, nur die Vernehmung des Gegners zuzulassen (§ 445), und die eigene Vernehmung nur dann, wenn der Gegner einverstanden ist (§ 4 4 7 ) oder wenn das Gericht sie v o n A m t s wegen anordnet unter der Voraussetzung, daß bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptung besteht (§ 448). Sind diese Bestimmungen außer acht gelassen, so ist die Vernehmung der beweispflichtigen Partei immer verdächtig, mag ihre Aussage auch im einzelnen Falle glaubhaft sein. Die Beweislastfrage spielt daher auch nach derParteivernehmung noch eine Rolle. Ihre Nichtbeachtung ist ein Revisionsgrund. Baumbach, zu § 4 4 5 , 2 C. D o c h wird diese Frage praktisch meist nicht bedeutsam, da ein vorsichtiger Richter in Zweifelsfällen entweder das Einverständnis des Gegners einholt (§ 4 4 7 ) oder die Vernehmung v o n A m t s wegen gemäß § 448 anordnet. Abgesehen von § 445 spielt die Beweispflicht in der Praxis nicht eine so große Rolle, wie man annehmen könnte. Das gilt selbst dann, wenn noch keine Beweisaufnahme durchgeführt ist. Sind, wie es fast immer geschieht, Zeugen von beiden Seiten benannt, so sind die Beweise beider zu erheben : der des Beweispflichtigen als „Hauptbeweis", der des Nicht-Beweispflichtigen als „Gegenbeweis". Welches der Haupt- und welches der Gegenbeweis ist, braucht der Richter vorläufig nicht zu entscheiden, da ja der Beweisbeschluß die Partei, die sich auf das Beweismittel berufen hat, lediglich als „Beweisführer" angibt (S. 30). Hinzukommt, daß das Gericht auch ohne Beweisantritt weitgehend den Sachverhalt von sich aufklären kann, z. B. durch Vernehmung von Sachverständigen, Augenscheinseinnahme, Anfordern von Urkunden und Akten, Anordnung der richterlichen Parteivernehmung (§§ 142, 143, 144, 272 b 2 , 448 ZPO). Zur Frage der Beweislast wird in den meisten Fällen erst praktisch, wenn der Beweis nicht erbracht ist, da die Folgen der Beweislosigkeit den Beweispflichtigen treffen. Vgl. auch Baumbach, Anh. zu § 282, 1 A. B e w e i s b e s c h l u ß ü b e r P a r t e i v e r n e h m u n g : I m Termin beruft sich R A Weiß zum Beweis, daß dem Beklagten Stundung bewilligt worden sei, auf den Lehrling Appel beim Kläger. A p p e l ist alsbald zur Stelle und sagt bei seiner V e r nehmung aus: „Ich war anfangs zugegen, als die Parteien über die Bestellung des Anzugs verhandelten. Der Beklagte sagt, daß er nicht sofort bezahlen könne, er heirate im April und erhalte im Mai, spätestens Juni, von seinem künftigen Schwiegervater mehrere Tausend Mark, dann würde er denAnzug bezahlen. Der Kläger erwiderte, daß er bei seiner großen Kapitalknappheit keinen Kredit mehr gewähren könne. Der Beklagte blieb dabei, daß er Zeit haben müsse. Ich mußte dann einen Anzug abtragen gehen und habe das Weitere nicht mehr gehört. Als ich wegging, sprachen die Parteien immer noch über die Bezahlung. v. g . " Angesichts dieser Aussage besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Behauptung des Beklagten. Das Gericht ordnet daher durch Beweisbeschluß ( § 4 5 0 ) v o n A m t s wegen die Vernehmung des Beklagten an. „ E s wurde der Beweisbeschluß verkündet: I. Es soll Beweis erhoben werden über folgende Fragen: 1. Hat der Kläger dem Beklagten bei Vertragsschluß Stundung bis spätestens Juni d. J . gewährt ? 3»

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Prozeßrichter der Amtsgerichts — Parteivernehmung 2. Ist der vom Kläger dem Beklagten gelieferte Frackanzug vollkommen unbrauchbar, insbesondere sind . . . (folgt Aufführung der vom Beklagten im einzelnen gerügten Mängel)? durch Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 Z P O zu 1., durch Vernehmung eines Sachverständigen, um dessen Benennung die Handwerkskammer in Köln ersucht werden soll, zu 2. I L Die Ladung des Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, daß der Beklagte bis zum 3 1 . März i960 einen Auslagenvorschuß von 20 D M bei der Gerichtskasse einzahlt. III. Termin zur Vernehmung des Beklagten und zur weiteren mündlichen Verhandlung wird auf den 28. März i960, vormittags IO3/4 Uhr bestimmt. Z u diesem Termin ist der Beklagte unter Mitteilung des Beweisbeschlusses persönlich durch Zustellung von Amts wegen zu laden."

Vgl. § 4501 ZPO. Im Interesse der Prozeßbeschleunigung hat das Gericht sofort Beweis über die behaupteten Mängel miterhoben, obwohl die Klage abgewiesen werden muß, wenn die derzeitige Nichtflläigkeit der Forderung bewiesen wird. Es hat jedoch den Termin zur Einzahlung des Auslagenvorschusses nach dem Vernehmungstermin gelegt. Wird am 28. März die Stundung bewiesen, so kann das Gericht ohne weiteres den überflüssig gewordenen Teil des Beweisbeschlusses aufheben. § 360 ZPO steht dem nicht entgegen, da er nicht die Aufhebung des Beweisbeschlusses betrifft, sondern nur seine Änderung, d. h. seine Erfüllung mit anderem Inhalt. Vgl. R G 150, 330, 336 und unten S. 85 und 123. Ausbleiben erscheinen nur:

der zu vernehmenden Partei. Im Termin vom 28. März

„ 1 . der Kläger in Person, 2. für den Beklagten R A Weiß. Der Beklagte ist trotz zugestellter Ladung nicht erschienen. R A Weiß erklärte, über den Grund des Nichterscheinens nicht unterrichtet zu sein und beantragte neuen Vernehmungstermin. Der Kläger widersprach dem Antrag."

Der Referendar: Da eine Entschuldigung für das Ausbleiben nicht vorliegt, wird man wohl die Stundung als nicht bewiesen ansehen. Es kommt nunmehr auf den Eingang des Auslagenvorschusses und das Ergebnis des Sachverständigengutachtens an. Der Richter: Ich gebe zu, daß man hier die Aussage als verweigert ansehen kann (§ 45 41)- Das bedeutet, daß unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage nach freier Uberzeugung die Stundung als nicht bewiesen gelten kann (§§ 453 11 , 446). Eine endgültige Entscheidung läßt sich aber noch nicht treffen, da der Beklagte bis zum Erlaß des Urteils die Möglichkeit hat, sich zu entschuldigen und zur Aussage bereitzuerklären. Eine Ungehorsamsfolge sieht § 454 nicht vor (Baumbach, zu § 454, 1 B). Immerhin halte ich die Anberaumung eines neuen Vernehmungstermins für nicht geboten. Es ist daher „zur Hauptsache zu verhandeln". § 454 11 . Das bedeutet im vorliegenden Falle, daß der Beweisbeschluß bezüglich der Mängelfrage durchzuführen ist. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als den Eingang des Auslagenvorschusses abzuwarten, um dann entweder die Ladung des Sachverständigen zu verfügen oder den Beklagten mit diesem Beweismittel gemäß § 283 ZPO zurückzuweisen (Baumbach, zu § 379, 2). Ich will kurzfristig die Sache auf einen Termin nach dem 31. März vertagen. Inzwischen wird wohl auch der von der Handwerkskammer angeforderte Vorschlag eines Sachverständigen beantwortet sein. „ E s wurde der Beschluß verkündet: Der Antrag auf Anberaumung eines neuen Vernehmungstermins wird abgelehnt.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhaltsprozeß

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Die Parteien verhandelten darauf weiter zur Hauptsache und erklärten sich mit einer kurzfristigen Vertagung nach dem 31. März i960 einverstanden. b. u. v. Die Sache wird auf den 5. April i960 vertagt." Urteil in einer Unterhaltssache „Geschäftsnummer: 21 C 1632/60. Verkündet am 1 1 . Februar i960. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Im Namen des Volkes! In Sachen 1) der Frau Zigarrenhändler Natalie Bredow geb.Marquardt in Köln, Elsaßstr. 54. 2) der am 28. Oktober 1948 geborenen Liselotte Bredow, vertreten durch ihren Pfleger, Malermeister Anselm Kunst in Köln, Tulpenstr. 38, Kläger, Prozeßbevollmächtigter zu 1 und 2: RA Schwarz in Köln, gegen den Zigarrenhändler Hans Joeben Bredow in Köln, Riehlerstr. 17 Beklagten, Prozeßbevollmächtigter: RA Weiß in Köln, wegen Unterhalts hat das Amtsgericht in Köln auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar i960 durch den Amtsgerichtsrat Richter für Recht erkannt: 1. Der Beklagte wird verurteilt: a) der Klägerin zu 1. vom 21. November 19 5 9 an eine Unterhaltsrente von monatlich 180 DM (i.W.), b) der Klägerin zu 2. zu Händen ihres Pflegers vom 21. November 1959 an eine Unterhaltsrente von monatlich 40 DM (i. W.) zu zahlen, und zwar die rückständigen Beträge sofort, die laufenden Beträge jeweils am i. eines Monats im voraus, 2. Mit dem Anspruch auf Unterhalt vom 1. Oktober bis 20. November 1959 werden die Klägerinnen abgewiesen. 3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2000 DM (i. W.) abzuwenden." Bei Z u s a m m e n l e b e n der Familie ist die Mutter gemäß §§ 1360, 1360a B G B n. F. berechtigt, vom anderen Ehegatten den angemessenen Unterhalt der F a m i l i e , also auch den Lebensbedarf der g e m e i n s a m e n u n t e r h a l t s b e r e c h t i g t e n K i n d e r zu verlangen. Einer besonderen Klage des Kindes auf Grund der §§ 1601 ff. B G B bedarf es daher in der Regel nicht. Bei G e t r e n n t l e b e n muß dagegen jeder Unterhaltsberechtigte seinen Anspruch selbst geltend machen, da § 1 3 6 1 nur dem Ehegatten einen Unterhaltsanspruch für sich selbst gewährt. Die Mutter kann daher den Unterhaltsanspruch des Kindes nur geltend machen, wenn sie die gesetzliche Vertretungsmacht hat. Nach der Entsch. des B V e r f G v. 29. Juli 1959 (abgedr. F a m R Z 1959, 416) haben aber — entgegen § 1629 B G B n. F. — b e i d e E h e g a t t e n zusammen die Vertretungsmacht. Die Mutter muß sich daher erst gemäß §§ 1672, 167X 1 "" IV B G B n. F. die elterliche Gewalt (d.i. Sorgerecht und Vertretungsmacht) übertragen lassen, ehe sie berechtigt ist, im Namen des Kindes gegen den Vater vorzugehen. Die Bestimmung des § 1629 11 S. 2 (Halbsatz 2) hilft nicht weiter, da sie die alleinige Vertretungsmacht eines Elternteils voraussetzt. V g l . Beitzke J R 1959, 401 ff. (404 zu III 2); abw. Schaub N J W i960, 84. Der einfachere Weg ist die Bestellung eines Pflegers gemäß § 1909. Vgl. L G Köln N J W 1959, 1044. Dieser Weg wurde deshalb hier eingeschlagen.

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Prozeßrichtet des Amtsgerichts — Unterhaltsprozeß „Tatbestand. Die Klägerin zu i. und der Beklagte sind Eheleute, die Klägerin zu 2. das einzige Kind aus dieser Ehe. Anfang 1957 erfuhr die Klägerin zu 1, daß der Beklagte ein Liebesverhältnis mit der Kellnerin Engelmayer unterhielt. Sie verließ darauf unter Mitnahme der Klägerin zu 2 die Ehewohnung und wohnt seitdem möbliert. Am 3. November 1958 kamen die Klägerin zu 1 und der Beklagte zu einer Aussprache zusammen. Man war sich darüber einig, daß sie gegen ihren Mann Scheidungsgründe habe, nicht aber umgekehrt. Der Beklagte wünschte die Scheidung. Die Klägerin sträubte sich zunächst und verlangte Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft, doch erklärte ihr der Beklagte, er wolle niemals wieder mit ihr zusammen leben, und wenn sie sich der Scheidung widersetze, würde sie im Bösen überhaupt keinen Unterhalt von ihm bekommen. Darauf gab die Klägerin nach und es wurde folgender vom Beklagten entworfener Vertrag geschlossen und von beiden Eheleuten unterschrieben: Die Eheleute Bredow vereinbaren hierdurch, daß die eheliche Gemeinschaft ab heute aufgelöst wird. Frau Bredow wird innerhalb 6 Monaten die Scheidungsklage erheben und auf ehewidrige Beziehungen zu Fräulein Amanda Engelmayer stützen. Herr Bredow wird gegen die Scheidung keinen Widerspruch erheben. Sowohl für die Dauer des Getrenntlebens wie nach vollzogener Scheidung zahlt Herr Bredow an Frau Bredow als Unterhalt monatlich 130 D M (i. W.), und zwar ohne Rücksicht darauf, wer bei der Scheidung für schuldig erklärt wird und ob Herr Bredow infolge Wiederverheiratung und mit Rücksicht auf die Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Kindern gesetzlich seiner jetzigen Frau nur zu einem geringeren Betrage verpflichtet sein würde. Auf Mehrforderungen verzichtet Frau Bredow unwiderruflich. Den Unterhalt für das Kind zahlt Herr Bredow außerdem in angemessener Höhe. Sollte Frau Bredow Strafanzeige gegen ihren Mann erstatten, so verliert sie jeden Unterhaltsanspruch.

Der letzte Satz bezog sich darauf, daß der Beklagte befürchtete, wegen Steuerhinterziehung denunziert zu werden. Die Klägerin zu 1. hat die Scheidungsklage nicht erhoben. Der Beklagte hat bis Ende Oktober 1959 die vereinbarten 130 D M monatlich sowie 40 D M als monatlichen Unterhalt für die Klägerin zu 2 gezahlt. Seither hat er die Zahlungen eingestellt. Im Oktober 1959 war nämlich auf die Anzeige eines gewissen Gran^ow gegen den Beklagten in den Akten 7 J s 1049/59 der hiesigen Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet worden, das mit der Einstellung geendet hat. Mit dem 21. November 1959 Zugestellten Klage beantragen die Klägerinnen: den Beklagten zu verurteilen: a) der Klägerin zu i . v o m 1. November 1959 an eine Unterhaltsrente von monatlich 180DM, b) der Klägerin z u 2. vom 1. November 1959 an eine Unterhaltsrente von monatlich 40DM zu zahlen, und zwar die rückständigen Beträge sofort, die laufenden Beträge jeweils am 1. eines Monats im voraus. D i e Klägerin zu 1. hatte ursprünglich auch beantragt, „an sie einen Kleiderschrank, einen Eßtisch, 2 Stühle und ein Sofa herauszugeben". Sie hatte diesen A n t r a g damit begründet, daß sie Eigentümerin der Sachen sei und diese zur Führung eines abgesonderten Haushalts benötige. D e r Beklagte hatte dem A n t r a g widersprochen, da die Sachen s e i n Eigetum seien. D a eine gütliche V e r ständigung nicht möglich war, war der Prozeßrichter zur Entscheidung nicht zuständig, § 1 3 6 1 a 1 1 1 B G B . Vielmehr entscheidet das nach der HausratsVO ( H V O ) v . 2 1 . 10. 1944 (i. d. Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes) zuständige Gericht. Das ist nach §§ 18 a, 1 1 in der Regel das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die letzte gemeinsame Wohnung der Parteien befand, und es handelt sich um eine A n gelegenheit der f r e i w i l l i g e n G e r i c h t s b a r k e i t (§ 13 H V O ) . D e r Prozeßrichter hat deshalb gemäß § 18 H V O die Sache an die zuständige Abteilung des Amtsgerichts abgegeben. Hinsichtlich der Gerichtskosten ist das bisherige Verfahren v o r dem Prozeßgericht als Teil des Verfahrens v o r dem übernehmenden Gericht zu

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behandeln, § 23 H V O . Der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheidet über die Kosten nach billigem Ermessen, § 20 H V O . Für die Entscheidung des Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Sache selbst ist in erster Linie das Eigentum an den Haushaltsgegenständen maßgebend, jedoch nicht ausschlaggebend. V g l . § 1 3 6 1 a 1 ' 1 1 B G B . Eine Eigentumszuteilung, wie sie § 8 m H V O bei g e s c h i e d e nen Eheleuten zuläßt, ist aber bei nur g e t r e n n t l e b e n d e n Eheleuten nicht vorgesehen. S. § i3Öia I V B G B und Erman-Finke. Nebenband zum B G B , Anm. 3 zu § 1361a. Bei einem Scheidungsprozeß kann das L a n d g e r i c h t als Prozeßgericht auf Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 627 ZPO die Benutzung des Hausrats einstweilen regeln. Die Regelung bleibt im Falle der Scheidung bis zu einer anderweitigen Regelung nach den Vorschriften der HVO wirksam. § 19 HVO Den Anspruch zu a stützt Frau Bredow auf die gesetzliche Unterhaltspflicht des Beklagten, in Höhe von 130 DM auch auf das Abkommen vom 3. November 1958. Sie trägt vor, zum Getrenntleben berechtigt zu sein, da der Beklagte bis in die neueste Zeit mit Amanda Engelmayer Ehebruch getrieben habe. Die letzte Behauptung hat der Beklagte, nachdem die Engelmayer als Zeugin vernommen worden ist, nicht mehr bestritten." Das Urteil gibt den Sach- und Streitstand zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung wieder. Der Antrag auf Herausgabe von Haushaltsgegenständen ist infolge der Verweisung nach § 18 H V O überholt und daher wegzulassen. E i n Beweisbeschluß und eine Beweisaufnahme über eine Tatsache, die zu diesem Zeitpunkt unstreitig geworden ist, ist nur noch insoweit kurz zu erwähnen, als es für die Kosten des Rechtsstreits von Bedeutung ist (oben S. 5). Ebensowenig interessieren in der Regel Daten aus der Prozeßgeschichte. Sie belasten den Tatbestand unnötig und lenken die Aufmerksamkeit des Lesers nur ab. Wenn oben das Datum der Klagzustellung erwähnt wird, so deshalb, weil die Rechtshängigkeit hier für die Unterhaltsforderung infolge des § 1 6 1 3 von Bedeutung ist (S. 44). V g l . Berg, Gutachten und Urteil, S. n 6 f f . , insbes. S. n 8 f . „Die Klägerin zu 1. nimmt als standesmäßigen Unterhalt monatlich 180 DM, die Klägerin zu 2 monatlich 40 DM in Anspruch, indem sie behaupten, der Beklagte habe ein Jahreseinkommen von mindestens 10000 DM (Beweis: Parteivernehmung). Der Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen, für den Fall der Verurteilung: ihm die Abwendung der ZahlungsVollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten. Er macht geltend, daß er nach dem Vertrag vom 3. November 1958 von der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Frau frei sei, weil Gran%pw die Strafanzeige auf ihr Betreiben eingereicht habe. Außerdem habe sie im Jahre 1959 mit dem inzwischen verstorbenen Dekorateur Polster Ehebruch begangen. Auch mit anderen, nicht namentlich benannten Männern habe sie mehrfach Ehebruch begangen. Hierüber beantragt er Parteivernehmung der Klägerin zu 1 . " Nicht, wie manchmal gesagt wird: er „beantrage" Parteivernehmung. Der Antrag auf Parteivernehmung ist keine streitige Parteibehauptung, wenn er auch mit solchen zusammenhängt, sondern ein objektiv feststehender Vorgang des Prozesses. Entsprechend „er bestreitet", „er ficht an", „er rechnet a u f " usw. „Die Voraussetzungen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs in Geld seien für keine der beiden Klägerinnen gegeben. Er sei bereit, die Klägerin zu 2. in seinem Hause zu verpflegen. Sein Einkommen betrage nicht mehr als 6600 DM. Gegenüber dem Antrag auf Parteivernehmung bezieht sich der Beklagte auf seine Veranlagung zur Einkommensteuer und erklärt sich damit einverstanden, daß seine Geschäftsbücher durch einen vereidigten Büchersachverständigen geprüft werden. Die Klägerin zu 1. die vor der Eheschließung Privatsekretärin gewesen sei, könne sich mit Leichtigkeit ihren Unterhalt selbst verdienen und sei hierzu in Hinblick auf sein geringes Ein-

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhaltsprozeß kommen verpflichtet. Zum mindesten seien alle über 130 D M hinausgehenden Ansprüche durch den im Vertrag v o m 3. November ausgesprochenen Verzicht ausgeschlossen. Die Klägerin zu 1. hat sich mit ihrer Partei Vernehmung bereit erklärt. A u f Befragen des Gerichts hat sie erklärt, daß sie auch jetzt noch bereit sei, mit dem Beklagten zusammenzuleben. Dagegen hat der Beklagte das Zusammenleben auch für den Fall, daß die behaupteten Eheverfehlungen der Klägerin nicht bewiesen werden sollten, abgelehnt. Das Gericht hat die Klägerin zu 1 über die Behauptung des Beklagten, sie habe mit dem inzwischen verstorbenen Dekorateur Polster im Jahre 1959 Ehebruch begangen, als Partei vernommen. Die Klägerin hat die Frage verneint."

Gehört an den A n f a n g der Urteilsgründe eine Erörterung der sachlichen Z u ständigkeit? Die Klageansprüche überschreiten bei weitem die allgemeine K o m p e tenzgrenze des § 23 1 G V G . A b e r der Beklagte hat zur Hauptsache verhandelt, ohne die Unzuständigkeit zu rügen. D a der Prozeß einen vermögensrechtlichen G e g e n stand hat und ausschließliche Gerichtsstände nicht in Betracht kommen, ist das Amtsgericht damit in jedem Fall zuständig geworden. § § 3 9 , 40 Z P O . E s wäre daher falsch, noch auf die Zuständigkeitsfrage einzugehen (Berg, a. a. O . S. 19 f., 24). Auch abgesehen von der, in dem vorbehaltlosen Verhandeln des Beklagten liegenden, stillschweigenden Vereinbarung ist hier die amtsgerichtliche Zuständigkeit gegeben. Der 6. Fall des §23® G V G : „Ansprüche auf Erfüllung einer durch Ehe oder Verwandtschaft begründeten gesetzlichen Unterhaltspflicht" wird, über den Wortlaut hinaus, allgemein auf den Unterhalt nach Schei.dung der Ehe (§§ 58 fr. EheG) und auf vertragliche Unterhaltsansprüche bezogen. R G 149, 30. Leben die Eheleute zusammen, so hat die Frau einen Anspruch auf Gewährung v o n Unterhalt in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise, §§ 1360, 1360a B G B . O b dieser Anspruch durch Herstellungsklage oder durch eine gewöhnliche Unterhaltsklage geltend zu machen ist, war im Rahmen des früheren § 1360 streitig. R G 97,286 hatte eine Klage der Frau auf Gewährung von Taschengeld als Herstellungsklage angesehen, für die das Landgericht gemäß § 606 Z P O ausschließlich zuständig ist und bei der ein Urteil nicht vollstreckbar ist, § 888n Z P O . Richtiger Ansicht nach wird man eine vor dem Amtsgericht anzustrengende Unterhaltsklage annehmen müssen, bei der ein Urteil vollstreckbar ist, wenn nur eine bestimmte Leistung, insbesondere Geld gefordert wird, z. B. Zahlung der Kosten für eine notwendige Kur oder von Vorschuß für die Kosten eines Rechtsstreits gemäß § i3Öa I V B G B . Vgl. Erman-Finke, Nebenband z. B G B , Anm. 5 zu § 1360a und bezüglich des Taschengeldes Meier-Scherling, FamRZ 1959, 392. E i n s t w e i l i g e V e r f ü g u n g : D a Unterhaltsprozesse meist mit großer Erbitterung geführt werden, vergeht bis zum Erlaß eines Urteils oft geraume Zeit. Es besteht daher ein Bedürfnis nach Erlaß einer einstweiligen Verfügung gemäß § § 935 ff. 940 Z P O . Bedenken gegen den Erlaß einer auf Unterhaltszahlung gerichteten einstweiligen Verfügung könnten sich allerdings aus dem Wesen der einstw. V f g . ergeben: Arrest und einstw. V f g n . haben im allgemeinen die Aufgabe, dem A n tragsteller nur eine S i c h e r u n g zu verschaffen, nicht aber, ihm wegen seiner Ansprüche zur B e f r i e d i g u n g zu verhelfen. Unterhaltsbeträge sollen ja nicht bloß hinterlegt, sondern an den Unterhaltsberechtigten zum Zwecke des Verbrauchs ausgezahlt werden. Die einstw. V f g . , die eine Unterhaltszahlung anordnet, dient also ausnahmsweise der Befriedigung. Indes zeigt schon § 1716 B G B , daß eine einstw. V f g . auf Zahlung von Unterhalt zulässig ist. Ebenso läßt § 627 Z P O — allerdings im Rahmen einer einstw. A n o r d n u n g , vgl. darüber unten S. 164 — die Anordnung von Unterhaltszahlungen zu. Aus § 1716 B G B und § 627 Z P O leitet deshalb die Praxis den allgemeinen Rechtssatz ab, daß auch außerhalb der dort vorgesehenen Fälle Geldzahlungen durch einstw. V f g n . auferlegt werden dürfen, falls die vorläufige Regelung dringend erforderlich ist und bloße Hinterlegung nicht ausreicht. So gibt man insbesondere auch bei Schadensersatzprozessen dem Beklagten durch einstw. V f g . auf, dem Kläger bis zur Entscheidung der Hauptsache eine Rente in Höhe dessen, was der Kläger zum Leben unbedingt bedarf, sowie einmalige Beiträge für Heilverfahren u. dgl. zu zahlen. Man stützt diese einstw. V f g . vielfach auf § 940 Z P O . In Wahrheit handelt es sich um eine Weiterbildung des Gesetzes. Die provisorische Befriedigung des Gläubigers einer Geldforderung auf Grund bloßer Glaubhaftmachung stellt eine von § § 9 3 ; , 940 Z P O durchaus verschiedene Verfahrensart dar. So genügt z. B. zur „Vollziehung" einer solchen einstw. V f g . im Sinne des § 929111 S. 2 Z P O , daß sie innerhalb eines Monats nach Erlaß z u g e s t e l l t ist.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhaltsprozeß

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Obgleich die einstw. Vfg. auf Zahlung von Unterhalt zur Befriedigung führt, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis an der Durchführung des Hauptprozesses auf Zahlung des Unterhalts. Denn nur im Hauptprozeß wird eindeutig festgestellt, ob und in welchem Umfang ein Unterhaltsanspruch besteht. Die dem Schuldner drohende Gefahr, daß aus 2 Titeln gegen ihn vollstreckt wird, kann das Gericht dadurch mindern, daß es im Tenor des Haupturteils darauf hinweist, daß der Gläubiger sich die auf Grund der einstw. Vfg. gezahlten Beträge anrechnen lassen muß. Im übrigen kann der Schuldner durch Vorlage von Quittungen oder Postscheinen gemäß § 775 Ziff. 5 ZPO einen Einstellungsbeschluß wegen einer erneuten Zwangsvollstreckung erwirken. Im einzelnen vgl. den instruktiven Aufsatz Schuler NJW 1959, i8oiff. („Die auf Leistung lautende einstw. Vfg.") mit Übersicht über Rechtsprechung und Literatur. Kostenberechnung im Unterhaltsprozeß: Wie bei der Aufhebungs- (Räumungs-)klage in Mietprozessen (S. 24), finden sich für die Gebührenberechnung in Unterhaltsprozessen Sonderbestimmungen. Abweichend von § 9 ZPO ist bei Ansprüchen auf Erfüllung einer auf „gesetzlicher Vorschrift" beruhenden Unterhaltspflicht der Wert des einjährigen Bezugs maßgebend, falls nicht — ausnahmsweise — der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist, § i } 1 G K G . Geht der aus einem Vertrag geforderte Unterhalt über den gesetzlichen hinaus, so gilt allerdings § 9 ZPO für den Mehrbetrag, R G DR 40, 2267. — Im vorliegenden Fall ist das Objekt: 180 mal 12 = 2160 DM -f- 40 mal 1 2 = 480 DM zusammen: 2640 DM. Dazu kommen die v o r Klageerhebung (1.—20. n . 1959) liegenden Beträge. Vgl. BGH NJW 1960, 1459. — In einstweiligen Anordnungen anläßlich eines Scheidungsprozesses berechnet sich der Wert für die Dauer des Prozesses (§ 627 ZPO) auf 3 Monate und für die vorläufige Regelung nach dem Urteil (§ 627 b ZPO) auf 6 Monate (§ 1 0 " GKG). Grundsätzlich gehört an den Anfang der sachlichen Ausführungen der Entscheidungsgründe die Anspruchsgrundlage. Als solche kommt hier zunächst der Vertrag vom 3. November 1958 in Betracht. Eine vertragliche Anspruchsgrundlage ist in der Regel vor einer gesetzlichen zu erörtern, da eine gesetzliche Regelung oft durch eine vertragliche geändert oder beeinflußt wird. Vgl. Berg, Die Klausurarbeit im Referendarexamen, Schäffers Rechtsfälle Bd. 1 1 , 4.—6. Aufl. 1955, S. 21. Zudem berufen sich hier beide Parteien auf den Vertrag: die Klägerin, um einen Teil ihrer Ansprüche unabhängig von der Schuldfrage und der Leistungsflicht des Beklagten zu begründen, der Beklagte, um die Leistungspflicht gegenüber seiner Frau in Abrede zu stellen. „Entscheidungsgründe. Die Klagen sind im wesentlichen begründet: I. Als Anspruchsgrundlage kommt allerdings nicht die Vereinbarung vom 3. November 1958 in Betracht. Diese Vereinbarung behandelt die Unterhaltsregelung sowohl für die Zeit vor als auch nach der Scheidung. Für die Zeit nach der Scheidung können die Ehegatten grundsätzlich abweichend von den Vorschriften der §§ 5 8 ff. EheG ihren Unterhalt regeln. (§72 EheG). Für die Zeit v o r der Scheidung ist aber, sofern ein Recht zum Getrenntleben gegeben ist, nur eine Regelung bezüglich der Art und des Maßes der Unterhaltsleistung zulässig. Keinesfalls darf die Frau in ihren laufenden gesetzlichen Unterhaltsansprüchen schlechter gestellt werden. Das verbietet die zwingende Vorschrift des § 1614 1 BGB, wonach auf Unterhalt für die Zukunft nicht verzichtet werden kann. Diese Bestimmung ist in § 1360a 111 für die Unterhaltsforderungen der Ehegatten ausdrücklich bezogen. Die Vereinbarung vom 3. November 1958 verstößt gegen diese Bestimmung, da sie der Klägerin auch für die Zeit vor der Scheidung nur einen Anspruch auf monatlich 130 DM gewährt, während ihr, wie aus den weiteren Ausführungen hervorgeht, der eingeklagte Betrag von 180 DM zusteht. Erst recht konnte nicht der gänzliche Wegfall der Unterhaltspflicht des Beklagten für den Fall einer Strafanzeige gegen ihn bedungen werden." Ob wegen der teilweisen Nichtigkeit des Vertrags nach § 139 B G B der ganze Vertrag nichtig ist, braucht nicht erörtert zu werden, da die Klägerin nicht geschieden ist und deshalb keine Ansprüche für die Zeit nach der Scheidung geltend macht. Der Vertrag wäre nicht schon wegen der Schweigekkusel nichtig. Da abgesehen von wenigen Ausnahmefällen (wie § 139 StGB) keine Privatperson verpflichtet ist, die Straftat eines anderen

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhalt bei Getrenntleben

zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden zu bringen, kann man rechtswirksam die Nichterstattung einer Strafanzeige versprechen. Unsittlich ist bloß der sog. Schweigegeldvertrag, d. h. die Abhängigmachung dieses Versprechens von einer dafür zu gewährenden besonderen Vergütung. Staudinger-Coing ( n . Aufl.) Anm. i 8 w zu § 138 BGB. Dagegen verstößt die in dem Vertrag bedungene Verpflichtung zur Erhebung der Scheidungsklage gegen die guten Sitten. Das Urteil wendet sich nunmehr der gesetzlichen Anspruchsgrundlage zu. „II. Der Anspruch der Klägerin zu 1. ist demnach lediglich unter den Voraussetzungen des § 1361 B G B begründet. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung besteht bei Trennung ein Unterhaltsanspruch, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind vor allem die Gründe, die zur Trennung geführt haben, sowie die Bedürfnisse und Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten zu berücksichtigen. Diese Grundregel wird aber durch Abs. 2 eingeschränkt. Danach kann ein Mann, der die Trennung allein oder in erheblich überwiegendem Maße verschuldet hat, nur in Ausnahmefällen eine nicht-erwerbstätige Frau darauf verweisen, daß sie ihren Unterhalt selbst verdienen solle. Diese Regelung dient einmal dem Schutz der Frau, sodann aber auch dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Ehe. Sie will einer leichtfertigen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft durch den Mann entgegenwirken. ErmanFinke, Nebenband z. B G B , Anm. 5 zu § 1361 BGB. Der Sonderfall des § 1361 Abs. 2 B G B ist hier gegeben. Der Beklagte hat durch seine ehewidrigen Beziehungen zu einer anderen Frau die Trennung allein oder doch in erheblich überwiegendem Maße verschuldet. E r weigert sich grundlos, die eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen, obwohl die Klägerin sich wiederholt, zuletzt noch in der Schlußverhandlung vor dem Gericht, zur Wiederherstellung bereit erklärt hat. Die Voraussetzungen, unter denen der Beklagte trotz dieser Sachlage die Klägerin auf eigene Erwerbstätigkeit verweisen kann; sind nicht gegeben. Die Klägerin wäre bei Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft nicht zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet gewesen. Sie hat sich bisher in der Ehe im wesentlichen um den Haushalt und die Sorge für das noch schulpflichtige Kind gekümmert und der Beklagte hat •— wie noch ausgeführt wird — ein ausreichendes Einkommen. Die andere in § 1 3 6 1 1 1 B G B aufgeführte Ausnahme, daß die Inanspruchnahme des Beklagten im Hinblick auf die kurze Dauer der Ehe grob unbillig sein kann, ist nicht gegeben, da die Ehe seit fast 13 Jahren besteht. Schließlich ist auch eine vor der Eheschließung ausgeübte Erwerbstätigkeit der Klägerin als Privatsekretärin angesichts der langen Dauer der Ehe sowie im Hinblick auf das Kind und das grob ehewidrige Verhalten des Beklagten kein Grund, daß sie nunmehr selbst zu ihrem Unterhalt beitragen muß." Durch die Neufassung des § 1 3 6 1 B G B auf Grund des Gleichberechtigungsgesetzes v o m 18. Juni 1 9 5 7 (in K r a f t seit 1. Juli 1958) wird die seit dem Eintritt der Gleichberechtigung (1. April 1 9 5 3 ) mehrfach vertretene Auffassung abgelehnt, daß bei einer Trennung jeder Ehegatte sich grundsätzlich selbst unterhalten müsse. D a die E h e als solche noch besteht, bestehen auch Unterhaltsansprüche. Sie verwandeln sich aber in Geldansprüche und müssen „der Billigkeit entsprechen", Beispiele zur Billigkeit bringen die im Urteil angeführten Absätze 1 und 2 des § 1 3 6 1 . D e r Unterhaltsanspruch entfällt ohne weiteres nur für den Ehegatten, der gegen den Willen des anderen ohne Grund die Herstellung des ehelichen Lebens verweigert, § 1 3 6 1 1 1 1 . Der beklagte E h e m a n n könnte also, falls er bedürftig, seine Frau aber finanziell gut gestellt wäre, v o n seiner Frau keinen Unterhalt verlangen. N a c h d e r S c h e i d u n g richten sich die Unterhaltsanspriiche nach §§ 5 8 ff. E h e G , soweit diese Bestimmungen nicht dem Grundsatz der Gleichberechtigung widersprechen. Demnach hat heute grundsätzlich der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehegatte dem anderen den nach den Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen des anderen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen, § 5 8 1 E h e G . (Diese Bestimmung gilt nunmehr für b e i d e Ehegatten, § 58 1 1 E h e G ist nicht mehr anzu-

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder

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wenden. Erman-Ronke, i zu § 5 8 E h e G . ) D e r schuldlos oder minder schuldig geschiedene Ehegatte muß sich auf eine zumutbare Arbeit verweisen lassen. O b und wieweit einer unterhaltsberechtigten Frau Arbeit zumutbar ist, hängt v o n den verschiedensten Umständen ab: Alter, Vorbildung, soziale Stellung, Zahl und Alter der zu betreuenden Kinder usw. Im einzelnen vgl. Erman-Ronke, 4 B zu § 58 E h e G . ; B S G N J W 1959, 647. Das Urteil behandelt nunmehr die Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin zu 1 : „Die Höhe des geforderten Betrags ist angemessen. Selbst wenn das Einkommen des Beklagten nur die von ihm angegebene Höhe von jährlich 6600 D M erreicht und davon jährlich die der Klägerin zu 1 zugesprochenen 2160 D M ( = monatlich 180 DM) und die der Klägerin zu 2 zugesprochenen 480 D M ( = monatlich 40 DM), insgesamt also 2640 D M abgehen, so verbleiben ihm für seine eigenen Bedürfnisse noch jährlich 3960 DM, also fast das Doppelte der der Frau zu zahlenden Summe. Mit 3960 D M kann der Beklagte als einzelner Mann seiner Lebensstellung entsprechend leben. Das Vorbringen des Beklagten, die Klägerin habe sich ihrerseits einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht, kann die H ö h e des Unterhaltsanspruchs wesentlich beeinflussen. Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen der §§ 1 6 1 1 1 1 , 2335 B G B sind neben den in 1 3 6 1 ™ S. 3, 1360a 1 1 1 bezogenen §§ 1 6 1 3 bis 1 6 1 5 anwendbar. Erman-Finke, Nebenband z. B G B , A n m . 7 zu § 1 3 6 1 . „Die Klägerin zu i.ist auch nicht auf Grund der §§ 1 6 1 1 1 1 , 2 3 3 5 B G B auf den notdürftigen Unterhalt beschränkt. Sie hat sich keiner Verfehlung schuldig gemacht, die den Beklagten zur Scheidungsklage berechtigt. Sie hat bei ihrer Vernehmung als Partei mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, mit Polster ehebrecherische Beziehungen unterhalten zu haben. Das Gericht hält diese Aussage auf Grund seines persönlichen Eindrucks von der Klägerin für glaubwürdig, zumal der Beklagte nähere Umstände über die angeblichen Beziehungen der Klägerin zu Polster nicht angeben kann (§ 453 1 ZPO). Es hat deshalb auch von einer Beeidigung der Klägerin Abstand genommen (§ 452 ZPO). Die weitere Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe noch mit anderen Männern mehrfach Ehebruch getrieben, kann nicht Gegenstand einer Parteivernehmung sein, solange nicht die Namen der beteiligten Personen oder sonstige Merkmale — Zeit, Ort, Begleitumstände — angeführt werden. Bei diesem Beweisantritt handelt es sich um den unzulässigen Versuch, den Gegner auszuforschen, um erst auf diese Weise die Grundlage für einen Einwand zu bekommen. R G H R R 40, 619." Unzulässige Ausforschungsbeweise werden in Alimentationsprozessen häufig angetreten. Namentlich bei der Unterhaltsklage des unehelichen Kindes (§ 1708 B G B ) wird immer wieder die Vernehmung der Kindesmutter über Mehrverkehr mit nicht benannten Männern beantragt. Dieses Beweisangebot ist jedenfalls unzulässig, wenn nicht genügend Anhaltspunkte für einen Mehrverkehr angegeben werden. V g l . O L G Düsseldorf N J W 1959, 298 und Haußer N J W 1959, 1 8 1 1 mit weiteren Hinweisen. „ m . Der Anspruch der Klägerin zu 2. ist aus §§ 1601, 1602 11 , 1603 11 , 1606 111 B G B begründet. Danach müssen die Eltern alle verfügbaren Mittel zu ihrem und des Kindes Unterhalt gleichmäßig verwenden. Die Mutter erfüllt ihre Verpflichtung in der Regel durch die tatsächliche Sorge, die sie dem Kinde zuteil werden läßt (vgl. § i6o6 m , S. 2 i. Vbdg. mit § 1360 S. 2 BGB). Dem Vater obliegt es, die hierzu erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Das Kind ist berechtigt, den Vater deswegen in Anspruch zu nehmen." O b die Eltern zu gleichen Teilen oder entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, ob als Einzelschuldner oder als Gesamtschuldner haften, ist umstritten. Beitzke ( J R 1 9 5 9 , 45) nimmt als Korrelat der gemeinsamen elterlichen Gewalt (§ 1626) eine g e s a m t s c h u l d n e r i s c h e Unterhaltspflicht an und sieht in § 1 6 o 6 m lediglich

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder

eine Regelung über den internen Ausgleich zwischen den Eltern. Jedenfalls hat das Kind die Wahl, ob es sich an den Vater oder die Mutter halten will. Lebt es im Haushalt der Mutter, so besteht lediglich ein Bedürfnis, vom Vater den Ergänzungsbeitrag zu verlangen. Vgl. Erman-Wagner, Nebenband z. B G B , 3 zu § 1606. „Der Beklagte kann auch nicht geltend machen, er sei bereit, die Klägerin zu 2. in seinem Hause zu verpflegen. Nach § 1612 1 BGB ist der Unterhalt grundsätzlich durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Nach § 1612 1 1 ist zwar bei einem unverheirateten Kinde eine andere Art der Unterhaltsgewährung, namentlich in Form von Naturalleistungen, möglich und — bei Zusammenleben der Familie — auch üblich. Sie erfordert aber einen übereinstimmenden Willen der Eltern. Da sich die Eltern über die Art der Unterhaltsgewährung nicht einigen können, besteht nur die Möglichkeit, das Vormundschaftsgericht anzurufen und eine Entscheidung gemäß §§ 1672, 1671 BGB herbeizuführen. Bis zu einer solchen Entscheidung muß es bei der allgemeinen Regel des § 1612 1 BGB verbleiben. Der Unterhalt ist demnach durch Entrichtung einer Geldrente zu entrichten. Vgl. Erman-Seiler, Nebenband z. BGB, Anm. 3 zu § 1612; Siebert NJW 1955, i f f . ; BayOLG FamRZ 1958,141." Will der Beklagte das Kind ernsthaft wieder zu sich nehmen, so muß er das Vormundschaftsgericht gemäß § 1672 B G B bitten, ihm die elterliche Gewalt allein zu übertragen. Nach dieser Vorschrift ist bei dauernder Trennung der Eltern die für die Scheidung geltende Bestimmung des § 1671 B G B entsprechend anwendbar. Mangels eines übereinstimmenden Vorschlags der Eltern trifft dann der Vormundschaftsrichter „die Regelung, die unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem Wohl des Kindes am besten entspricht", § 1 6 7 1 m . E r prüft hierbei auch die Schuld der Eltern an der Trennung (§ 1671 1 1 1 S. 2). Der Beklagte wird mit einem solchen Antrag daher keinen Erfolg haben, zumal keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben ist, daß das Kind von der Mutter vernachlässigt wird. Uberträgt das Vormundschaftsgericht dem anderen Elternteil die elterliche Gewalt oder — gemäß § 1 6 7 1 ^ S. 2 ausnahmsweise nur das Sorgerecht — so kann es seine Anordnung gemäß § 33 11 F G G notfalls mit Gewalt durchsetzen. Deshalb besteht für eine Herausgabeklage des einen Elternteils gegen den anderen nach § 1632 BGB kein Rechtsschutzbedürfnis, BGH 19, 185. Die Neufassung des § 1632 11 BGB stellt dies nunmehr ausdrücklich klar. Auch eine einstweilige Verfügung des ordentlichen Gerichts wäre unzulässig. OLG Köln, JMB1. NRW 1959,120. Anders, wenn D r i t t e r das Kind vorenthält, BGH NJW i960, 2099. Das Urteil fahrt fort: „Die Höhe des eingeklagten Betrages von 40 DM erscheint angemessen und beläßt dem Beklagten den für ihn notwendigen Unterhalt, wie bereits oben ausgeführt wurde. Die Unterhaltsansprüche beider Klägerinnen sind aber erst vom Tage der Klagezustellung, dem 21. November 1959, begründet. Für die vorangegangene Zeit würde es einer Mahnung bedurft haben, die von den Klägerinnen nicht behauptet ist (§§ 1613, 1360a 1 1 1 BGB). Für die der Klage vorhergehende Zeit waren die Ansprüche somit abzuweisen." „In präteritum non vivitur." Nur der uneheliche Vater haftet ohne Rücksicht auf Rechtshängigkeit oder Verzug von der Geburt des Kindes an. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerinnen für die Zeit vom 1. November bis 20. November 1959 bleibt wegen ihrer Geringfügigkeit und weil besondere Kosten dadurch nicht entstanden sind, außer Betracht, § 92 11 ZPO. Das Urteil war gemäß § 708, ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, dem Beklagten gemäß § 7 i 3 n Z P O Vollstreckungsnachlaß zu gewähren. Richter" § 708* Z P O beschränkt die vorläufige Vollstreckbarkeit o h n e Sicherheitsleistung auf die hier begehrten Zahlungen seit Klagerhebung und das letzte Vierteljahr vor der Klage. Für weiter zurückliegende Forderungen kämen § 709 4 oder § 710 S. 1 Z P O in Betracht.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Getrennt lebende Ehefrauen

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Dadurch daß das Gesetz die Hinterlegungsbefugnis gemäß § 71311 Z P O schlechthin gibt, also auch dem Unterhaltsschuldner, wird die Wirkung des § 708 6 praktisch illusorisch (vgl. §§ 720, 859 ZPO). Abhilfe gewährt die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung. V g l . oben S. 40 f. Der Referendar: Jetzt wird Frau Bredow wohl Scheidungsklage einreichen, da der Ehebruch des Mannes feststeht, während durch ihre Vernehmung bewiesen ist, daß er keinen Scheidungsgrund gegen sie hat? Der Richter: Die Feststellungen des Unterhaltsprozesses beschränken ihre Wirkung auf den Unterhaltsanspruch, die Gründe nehmen an der Rechtskraft nicht teil (§ 322 1 ). Durch die Vernehmung der Frau wird der Mann nicht gehindert, im Scheidungsprozeß der Frau den Ehebruch mit Polster nachzuweisen. Umgekehrt würde, wenn Frau Bredow bei uns ihre Vernehmung verweigert hätte, für den Scheidungsprozeß höchstens ein gewisser Verdacht des Ehebruchs begründet werden. Im übrigen gibt es viele Frauen, die von ihrem Scheidungsrecht keinen Gebrauch machen und es vorziehen, als Ehefrau getrennt zu leben. Getrennt lebende E h e f r a u e n : Getrenntleben ist für die Frau finanziell vorteilhafter als Scheidung: 1. Nach der Scheidung ist ihr eine eigene Erwerbstätigkeit eher zuzumuten als vorher. Vgl. oben S. 42. Im übrigen verliert sie mit der Scheidung ihr gesetzliches Erbrecht (§1931 BGB)und Pflichtteilsrecht (§230}). Daß die Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber der unschuldig geschiedenen Frau passiv vererblich ist (§70* EheG, Ausnahme von §1615), bedeutet keinen vollen Ausgleich,denn der Erbe kann die Unterhaistrente bis auf einen Betrag herabsetzen, der bei Berücksichtigung seiner Verhältnisse und der Ertragsfähigkeit des Nachlasses der Billigkeit entspricht (§ 70 1 1 S. 2 EheG). 2. Beamtenfrauen verlieren ferner durch Scheidung die Witwenpension, haben also nach dem Tode des Mannes keinen Ersatz für den ihnen bis dahin vom Manne gezahlten Unterhalt. Der schuldlos geschiedenen Ehefrau, die im Falle des Fortbestehens der Ehe Witwengeld erhalten hätte, ist allerdings ein Unterhaltsbetrag bis zur Höhe des Witwengeldes insoweit zu gewähren, als ihr der Verstorbene zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte. Eine später eintretende Veränderung der Verhältnisse kann berücksichtigt werden. §§ 71 1 Ziff. 3, 73 BeamtenrechtsrahmenG v. 1. Juli 1957 (BGBl. I 667). 3. Läßt sich die Frau scheiden und heiratet der Mann zum zweiten Male, so leidet darunter auch der Unterhaltsanspruch der unschuldig geschiedenen ersten Frau, da nach §59* S. 2 EheG auch die Bedürfnisse und wirtschaftlichen Verhältnisse des neuen Ehegatten und etwaiger Kinder zu berücksichtigen sind. Kann die erste Frau ihren Unterhalt aus der Substanz ihres Vermögens bestreiten, so soll der geschiedene Mann, dessen Mittel nicht ausreichen, um seinen sämtlichen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, ihr gegenüber sogar ganz befreit sein (§ 59IIf>. Die Praxis schränkt das allerdings dahin ein, daß der geschiedenen Frau das Angreifen ihres Kapitals nur zugemutet wird, falls ihr noch ein Betrag verbleibt, der zusammen mit ihrem sonstigen Erwerb voraussichtlich ausreicht, um den Unterhalt für ihre ganze Lebenszeit zu decken. Erman 5 zu § 59 EheG. Kann die Frau dauernd vom Manne getrennt leben und Unterhalt in Geld fordern ? Solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist, läuft die Scheidungsfrist von 6 Monaten ab Kenntnis des Scheidungsgrundes nicht (§ 501 S. 3). Läßt der Mann die Aufforderung aus § 501 S. 4 an sie ergehen, so wird damit die Frist in Lauf gesetzt, und zwar unabhängig davon, ob dem Manne an der Rückkehr der Frau ernstlich etwas gelegen war (RG 61, 160). Zehn Jahre nach Eintritt des Scheidungsgrundes ist die Scheidung aber nicht mehr zulässig. Diese Frist läuft trotz Aufhebung der Gemeinschaft (Erman 3 zu § 50 EheG). Nach ihrem Ablauf kann die Frau sich auch nicht darauf berufen, daß das Herstellungsverlangen des Mannes einen Mißbrauch darstelle, § 1353 11 S. 3 BGB.

Scheckprozeß K l a g e im S c h e c k p r o z e ß . „Köln, den 12. Februar i960. K l a g e im Scheckprozeß des Kaufmanns Ottokar Ehlers in Köln, Nikolaistraße 36, gegen 1. die offene Handelsgesellschaft Gebr. Schellenberg,

Klägers

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Scheckprozeß

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2. deren Inhaber: a) Kaufmann Max Schellenberg, b) Kaufmann Moritz Schellenberg, sämtlich in Köln, Klosterstraße 88, wegen Anspruchs aus Scheckrecht.

Beklagte,

Auf Grund des nachstehenden Sachverhalts erhebe ich beim Amtsgericht Köln Klage im Scheckprozeß und bitte um Anberaumung eines Verhandlungstermins, in welchem ich beantragen werde: die Beklagten kostenpflichtig als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger 357,80 DM (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 5. Februar i960 zu zahlen. Begründung Die Beklagte zu 1 haftet als Ausstellerin des dieser Klage in Abschrift beigefügten, laut Bescheinigung des Bezogenen vom 6. Februar i960 auf Vorlegung nicht eingelösten Schecks Nr. 3266 dem Kläger als dem legitimierten Inhaber des Schecks auf den Scheckbetrag von 357,80 DM nebst 6% Zinsen seit dem Vorlegungstag. Die Beklagten zu 2 a und b sind ausweislich des in Abschrift beigefügten Registerauszugs Gesellschafter der Beklagten zu 1 und haften als solche für die Verbindlichkeit der Gesellschaft als Gesamtschuldner. Die Urkunden werde ich im Termin vorlegen und bez. der Echtheit ihrer Unterschrift die Parteivernehmung der Beklagten zu 1 beantragen. 3 Abschriften zur Zustellung an die Beklagten sowie 16 DM in Kostenmarken1) werden beigefügt. Ottokar Ehlers." „Abschrift. (Vorderseite)

5 § ^ j3 5 Si ¿H U ¡>

Das Bankhaus Ferdinand Schilling in Köln wolle gegen diesen Scheck aus unserem Guthaben an Herrn Ottokar Ehlers, Köln oder Überbringer den Betrag von )J7,So DM., in Worten dreihundertsiebenundfünfcig Deutsche Mark achtzig Deutsche Pfennige zahlen. Köln, den 4. Februar i960. Nr. 3266.

(gez.) Gebr. Schellenberg.

(Rückseite) Dieser Scheck ist heute zur Verrechnung vorgelegt und nicht eingelöst worden. Köln, den 6. Februar i960. Ferdinand Schilling. (gez.) p. pa. Fürst." „(Abschrift des Registerauszugs betr. die Firma Gebr. Scbellenberg)." Nach Art. 40 ff. ScheckG begründet die Nichteinlösung rechtzeitig vorgelegter Schecks eine abstrakte Haftung entsprechend dem Vorbild des Wechselrechts. A b §§ Io11 » 251 Ziff.i, i n 1 S. 1 GKG. Die Gebühren sind im Urkunden- und ordentlichen Prozeß gleich.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Klageformalien im Urkundenprozeß

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weichungen: i. Die Haftung besteht nicht bloß für den Aussteller und die Indossanten eines Orderschecks, sondern auch die quasi-Indossanten des Inhaberschecks, nämlich alle Personen, die ihren Namen auf die Rückseite des Schecks gesetzt haben (Art. 20). Der Inhaberscheck (Scheck mit „Überbringerklausel"), wie er hier vorliegt, ist in der Praxis die vorherrschende Scheckform. 2. Statt eines förmlichen Protestes (Art. 40 1 ) genügt zum Nachweis der Vorlegung und Nichteinlösung eine schriftliche Erklärung des Bezogenen auf dem Scheck (Art. 40 2 ' 3 ). 3. Eine scheckmäßige Haftung des „Bezogenen" (d. i. des Bankiers, auf den der Scheck gezogen ist, Art. j) findet nicht statt, mag er selbst im Verhältnis zum Aussteller zur Honorierung des Schecks verpflichtet sein. Sogar ein Akzept, das der Bezogene etwa auf den Scheck gesetzt hat, gilt pro non scripto (Art. 4). Demgemäß endet der Scheckregreß beim Aussteller. B e s t ä t i g t e r S c h e c k : Da der Annahmevermerk als nicht geschrieben gilt, kann er auch nicht als selbständiges Schuldversprechen aufrechterhalten werden ( R G 105,562). Häufig fragt der Schecknehmer vor oder nach Empfang des Schecks das bezogene Bankhaus an, ob der Scheck gedeckt sei und eingelöst werden würde. Bestätigt hierbei die Bank den Scheck, so kann darin unter besonderen Umständen ein Garantievertrag liegen. Gewöhnlich aber gibt die Bestätigung dem Scheckinhaber keine Rechte. Die einzige Ausnahme besteht im Bundesgebiet für die Deutsche Bundesbank. Diese Bank darf auf sie gezogene Schecks mit einem Bestätigungsvermerk versehen, durch den sie sich zur Einlösung des Schecks bei Vorlegung innerhalb einer Frist von 8 Tagen (vom Tage der Ausstellung des Schecks an gerechnet) verpflichtet. § 17 Ges. über die Deutsche Bundesbank v. 26. Juni 1957 (BGBl. I 745). Die Haftung ist keine Annehmerhaftung, sondern rückgriffsähnlich. Sie besteht gegenüber dem Inhaber, dessen Vormännern und dem Aussteller. Zweck der Bestätigung ist, Bargeld Zu ersparen, wenn größere Zahlungen Zug um Zug gegen eine Leistung zu machen sind und ein gewöhnlicher Scheck keine genügende Sicherheit bietet. Vgl. Baumbach-Hefermehl, Anm. 2—4 zu Art. 4 ScheckG.

Daß es sich um einen Verrechnungs- (oder „gekreuzten") Scheck handelt, hat für den Regreß keine Bedeutung. Zwar darf der Bezogene solche Schecks nur durch Gutschrift (Verrechnung), nicht durch Barzahlung honorieren (Art. 39 ScheckG), aber der Regreß gegen Aussteller und Nachmänner geht, wie immer, auf Geldzahlung. R G 95, 241; 104, 37. Nach B G H 26, 273 und N J W 1959, 1276 ist der Ankauf von Verrechnungsschecks gegen bar ein ungewöhnliches Geschäft, das den Erwerber zur eingehenden Prüfung der Persönlichkeit und der Berechtigung des Veräußerers verpflichtet. Kritisch hierzu Woeste N J W i960, 1 3 1 ff.

Die Haftung der Firmeninhaber Max und Moritz Schellenberg aus dem von der Gesellschaft ausgestellten Papier folgt materiell aus § 128 HGB. Bei o.H.G. und K . G. werden Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter für die Zwangsvollstreckung scharf auseinander gehalten: ein gegen die Firma lautender Titel kann nur ins Gesellschaftsvermögen, ein gegen die Gesellschafter lautender nur ins Privatvermögen vollstreckt werden (§§ 12411, 129IV). Will man also einen überall realisierbaren Titel erlangen, so klagt man gegen Gesellschaft und Gesellschafter als Gesamtschuldner, wie Ehlers es getan hat. Z i n s e n : Sie betragen nach Art. 45 2 ScheckG und Art. 48 2 , 49 2 W G 6% und nach dem aufrecht erhaltenen Ges. vom 3. Juli 1925 (RGBl. I 93) 2% über dem jeweiligen Reichs-, jetzt Bundesbankdiskont, mindestens aber 6%. K l a g e f o r m a l i e n : Der „Scheckprozeß" ist, wie der „Wechselprozeß", eine Abart des Urkundenprozesses, auf welchen alle Besonderheiten des Wechselprozesses Anwendung finden (§ 605 a ZPO). Damit ein Rechtsstreit im allgemeinen Urkundenprozeß, Wechsel- oder Scheckprozeß geführt werde, muß bereits der einleitende Akt, also die Klageschrift, eine entsprechende Erklärung enthalten. Ist sie versäumt worden, so besteht in diesem Verfahren keine Möglichkeit mehr, sie nachzuholen. Entsprechend setzt das Urkunden-Mahnverfahren voraus, daß das einleitende Gesuch auf einen Urkunden- (Wechsel-, Scheck-)Zahlungsbefehl gerichtet war (§ 703 a ZPO). Umgekehrt

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Klageformalien im Urkundenprozeß

kann dagegen der Kläger von der speziellen Verfahrensart zur allgemeineren (z. B. vom Scheckzum Urkunden- oder ordentlichen Prozeß) stets einseitig übergehen (§596 ZPO), in der 2. Instanz jedoch nur — entsprechend den Grundsätzen der Klageänderung (§ 264) — bei Einwilligung des Beklagten oder nach Zulassung wegen Sachdienlichkeit, JW 38, 1426. Wird eine Scheck-Regreßklage als „Klage im Wechselprozeß" bezeichnet, so gilt sie als „Scheckprozeß". RG 96, 100. Die Geltendmachung der S o l i d a r h a f t u n g der o.H.G.-Gesellschafter aus der Scheckzeichnung der Firma ist Anspruch „aus" dem Scheck im Sinne des § 602, daher der Scheckprozeß auch gegen die beiden Gesellschafter gegeben. Es müssen jedoch nach dem allgemeinen Grundsatz des § 592 alle klagebegründenden Tatsachen durch Urkunden beweisbar sein. Deshalb beruft sich Kläger auf den Registerauszug. S t r e i t i g e V e r h a n d l u n g i m S c h e c k p r o z e ß . V e r t a g u n g . Im Termin erscheinen: „1. der Kläger in Person, 2. der Beklagte Max Sehellenberg, vertretungsberechtigter Gesellschafter der Beklagten zu 1, Vollmacht des Beklagten zu 2 b1) und Schriftsatz überreichend. Abschrift des Schriftsatzes wurde dem Kläger ausgehändigt. Der Kläger stellte den Antrag aus der Klageschrift, die Beklagten beantragten Klageabweisung, für den Fall der Verurteilung die Befugnis zur Sicherheitsleistung. Die Parteien verhandelten zur Sache. Der Kläger legte den der Klage zugrunde liegenden Scheck Nr. 3266 mit Bescheinigung des Bankhauses Ferdinand Schilling sowie den Registerauszug betreffend die Firma Gebr. Schellenberg vor. Die Beklagten erkannten die Echtheit des Schecks und der Bescheinigung an." Im Urkunden-, Wechsel- und Scheckprozeß müssen alle klagebegründenden Tatsachen durch Urkunden bewiesen -werden, die der Beweisführer selbst vorlegt (§§ 59 2 S. 1, 59511). Diese Voraussetzung wird sowohl bei streitiger Entscheidung wie im Versäumnisfalle vorweg von Amts wegen geprüft. § 59711. Baumbach zu § 597 Anm. 3 läßt ein Versäumnisurteil auch ohne Vorlegung der Originalurkunden zu, weil die mit der Klageschrift mitgeteilten Urkunden gemäß § 3311 als zugestanden anzusehen seien, somit keines Beweises bedürften (§ 288) und darnach das Erfordernis des § 592 S. 1 entfalle. Dem widerspricht, daß es sich nicht um gewöhnliche Tatsachen handelt, sondern daß die Beweiskraft durch Urkunden eine selbständige Rechtsschutzvoraussetzung ist. Der Zwang, die Originalurkunden vorzulegen, hat auch seine innere Berechtigung: die der Klage beigefugten Abschriften sind häufig nicht ganz zuverlässig, besonders hinsichtlich durchstrichener Indossamente, und der Richter muß sich von der Ordnungsmäßigkeit der Urkunden, der Wechsel- bzw. scheckmäßigen Legitimation (Art. 16 WG, Art. 19 ScheckG) usw. selbst überzeugen können. Jonas-Schönke III 1 2 zu § 597; KG, JW 31, 3567. Der Kläger, der einzelne klagbegründende Tatsachen nicht urkundenmäßig belegen kann, gelangt auch dadurch nicht sofort zum Versäumnisurteil, daß er vom Urkundenprozeß Abstand nimmt; die Abstandnahme muß vielmehr dem Beklagten zugestellt sein, bevor auf ihrer Grundlage Versäumnisurteil im Ordinarium möglich ist (vgl. S. 19). Jetzt wird der überreichte Schriftsatz verlesen und erörtert: „Schriftsatz in Sachen Ehlers gegen Gebr. Schellenberg und Genossen, 21 D 30/60. Wir haben den Scheck dem Kläger zur Bezahlung eines Postens Tabak am 3. Februar nachmittags gegeben. Als am 6. Februar früh die Ware angerollt wurde und wir sie durch unseren Werkmeister Unkel untersuchen ließen, stellte sich heraus, daß der Tabak nicht, wie uns der Kläger u. a. versichert hatte, aus lauter Deckblättern bestand und frei von Rippen war, sondern eine vollkommen minderwertige Ware. Wir haben daher sofort den Scheck bei unserem Bankhaus telefonisch sperren lassen. Am 6. Februar kam der Kläger, nachdem das Bankhaus die Einlösung des Schecks verweigert hatte, zu uns, ließ sich von unserem Lagerhalter Jeenel den Tabak zeigen und hat selbst erklärt, daß er die Ware zurücknehmen müsse. Beweis: Zeugnis der Herren Unkel und Jeenel, Vorlegung von Proben der gelieferten Ware und Gutachten Sachverständiger. J)

Als Vertreter der o. H. G. bedarf Max Schellenberg keiner Vollmacht.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Einwendungen aus dem Kausalgeschäft

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Ferner beantragen wir die Parteivernehmung des Klägers über seine Zusicherungen und darüber, daß er arglistig gehandelt hat. Der Klageanspruch ist also unbegründet, denn 1. war Deckung für den Scheck vorhanden, wie wir durch Bescheinigung der Bank jederzeit nachweisen können, und wir haben den Scheck ordnungsmäßig gesperrt, 2. sind wir nicht verpflichtet, die gelieferte Ware abzunehmen und zu bezahlen." Der Richter (zu Schellenberg): Mit dem ersten Einwand haben Sie unrecht. Der Scheck wird im Verkehr wie bares Geld betrachtet, und wenn Sie jemand einen Scheck geben, so garantieren Sie ihm unbedingt für Einlösung. Ist also der Scheck innerhalb der 8tägigen Vorlegungsfrist (Art. 29 ScheckG) der Bank vorgelegt und von dieser nicht honoriert worden, so steht dem legitimierten Inhaber des Papiers der formale Scheck-Regreßanspruch an Sie zu, gleichviel ob die Nichteinlösung darauf beruht, daß das Konto überzogen war, oder daß Sie den Scheck gesperrt hatten, oder daß die Bank die Honorierung grundlos verweigert hat. Der Widerruf (so lautet die gesetzliche Bezeichnung für die „Sperrung") hat nur für das Verhältnis des Ausstellers zum Bezogenen, nicht für sein Verhältnis zum Scheck-Nehmer Bedeutung. Bei gewöhnlichen Anweisungen kann der Aussteller bis zur Annahme bzw. Erfüllung frei widerrufen (§ 790 BGB). Beim Scheck wird das Widerrufsrecht durch die Vorlegungsfrist beeinflußt: 1. Präsentiert der Scheckinhaber den nicht widerrufenen Scheck innerhalb der Vorlegungsfrist und löst die Bank ihn ein, so kann sie den Betrag dem Aussteller belasten; verweigert sie die Honorierung, so hat der legitimierte Inhaber Regreß an Aussteller und Nachmänner. 2. Wird ein widerrufener Scheck in der Vorlegungsfrist präsentiert, so kann die Bank für Rechnung des Ausstellers einlösen, denn man mutet ihr nicht zu, vor der Einlösung jedesmal Nachforschungen wegen eines etwaigen Widerrufs anzustellen (Art. 32 1 ScheckG). Lost der Bezogene nicht ein, so besteht der zu I angegebene Regreß. 3. Ein nicht widerrufener Scheck wird nach Fristablauf präsentiert: dann ist zwar der Bezogene immer noch zur Einlösung der Rechnung des Ausstellers befugt (Art. 32 11 ). Löst er aber nicht ein, so entfällt jeder Regreß, weil der Inhaber die Frist versäumt hatte (Art. 40). 4. Ein widerrufener Scheck wird nach Fristablauf zur Einlösung vorgelegt: hier darf der Bankier nicht mehr für Rechnung des Ausstellers einlösen und der Inhaber hat wegen der Nichteinlösung kein Regreßrecht. (zu Ehlers): Was sagen Sie zu den Anführungen der Beklagten, daß der Scheck zur Bezahlung gekaufter Waren gegeben, daß die Ware nicht in vertragsmäßiger Beschaffenheit geliefert worden sei und daß Sie sich selbst mit der Rücknahme einverstanden erklärt hätten? Ehlers: Im Scheckprozeß sind derartige Einwendungen nicht zulässig, auch nicht beweisbar. Richter: Gegenüber dem Scheckanspruch haben die Beklagten alle Einwendungen, die ihnen unmittelbar gegen Sie zustehen (vgl. Art. 22 ScheckG). Wenn die Beklagten zur Wandelung oder Anfechtung des Kaufs berechtigt sind, so würde der rechtliche Grund, aus dem der Scheck gegeben wurde, weggefallen sein, und die Beklagten könnten den Scheck von Ihnen nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung zurückfordern, ebenso wie sie im Fall barer Zahlung das für die Ware gegebene Geld zurückfordern würden. Die Beweisfrage lassen wir vorläufig aus dem Spiel. Zunächst müssen Sie zu den Behauptungen der Beklagten Stellung nehmen. Daraus wird sich ergeben, ob die Entscheidung des Prozesses überhaupt von bestrittenen Behauptungen abhängt und dann ist erst auf die Zulässigkeit der angetretenen Beweise einzugehen. Art. 22 entspricht dem wechselrechtlichen Art. 17 WG. Unbeschadet der „abstrakten", d. h. vom Schuldgrund losgelösten, Haftung kann der Wechsel- oder Scheckschuldner — gegenüber seinem unmittelbaren Nachmann — mit der exceptio condictionis (§§ 8I2* 1 , 821 BGB) die Erfüllung verweigern, wie auch gegenüber der abstrakten Grundschuld Mängel des Kausalgeschäfts mittels condictio geltend gemacht werden. Über Abschneidung der Einwendungen aus der Person des Vormanns vgl. 3. Kap. „Wechsel-Vorbehaltsurteil". Im Verhältnis von Wechsel-(Scheck-)Geber L u x , Schulung. 5. Aufl. (Berg)

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Einwendungen aus dem Kausalgeschäft

und -Nehmer bedeutet die Abstraktheit der Haftung praktisch nur eine Umkehrung der Beweislast. Bestreitet Z.B.Ehlers, den Scheck zur Bezahlung des Tabaks empfangen zu haben und gibt er einen anderen Rechtsgrund an, so müssen die Beklagten seine Darstellung widerlegen. Die hier behandelte „Erheblichkeit" oder „Schlüssigkeit" der Einwendungen ist eine Frage des materiellen Rechts und hat mit der Frage der Beweismöglichkeit nichts zu tun. Wird z. B. eine Wechsel- oder Scheckklage von Anfang im ordentlichen Verfahren geltend gemacht, oder leitet der Kläger die Sache durch Abstandnahme ins ordentliche Verfahren über (S. 46), oder kommt es zum Nachverfahren, so besteht überhaupt keine Beschränkung der Beweismittel. Außerdem werden bisweilen gerade die Behauptungen des Beklagten, die im Urkundenprozeß nicht zu beweisen sind, vom Kläger nicht bestritten. Im Urkundenprozeß lassen sich freilich Einwendungen aus dem Kauf im allgemeinen nur schwer beweisen. Der Beklagte kann (anders als der Kläger bei derf klagebegründenden Tatsachen, oben S. 48) seine Behauptungen, außer durch präsente Urkunden, auch durch Antrag auf Parteivernehmung beweisen (§ 595 I 1 1 ZPO). Wird die Arglist des Verkäufers streitig (etwa im Hinblick auf § 377 T H G B oder auf eine Anfechtung des Kaufs), so ist die Parteivernehmung über die Arglist möglich, denn auch „innere Tatsachen" sind Gegenstand der Parteivernehmung. Auf die Arglist kommt es jedoch erst an, wenn der objektive Tatbestand feststeht. Deshalb macht sich bei Einwendungen wegen eines Sachmangels die Ausschließung des Zeugen- und Sachverständigenbeweises sehr fühlbar. Ehlers bestreitet die meisten Behauptungen der Beklagten. Die Beklagten machen ergänzende Anführungen und beantragen Parteivernehmung. Richter: Im heutigen Termin ist so viel Neues vorgebracht worden, daß ich es im Interesse beider Parteien für richtig halte, wenn vertagt und der neue Termin durch Schriftsätze vorbereitet wird. A u c h würde ich Ihnen raten, lieber Anwälte zuzuziehen, damit Sie nicht aus Unkenntnis der rechtlichen Folgen Erklärungen abgeben, die später nicht wieder gutzumachen sind. Über V e r t a g u n g e n entscheidet das freie Ermessen des Gerichts. Zwar sollen neue tatsächliche Behauptungen, Beweismittel und Anträge von den Parteien dem Gegner so zeitig vor dem Termin mitgeteilt werden, daß er die etwa erforderlichen Erkundigungen einzuziehen vermag (§ 272 ZPO), im Anwaltsprozeß sind außerdem die Schriftsatzfristen des § 152 zu wahren. Die Parteien haben aber kein absolutes Vertagungsrecht wegen neuen Vorbringens oder verspäteter Schriftsatzzustellung. Lehnt das Gericht der durch neues Vorbringen überraschten Partei die Vertagung ab, so bestimmt es ihr eine Erklärungsfrist und setzt geräumigen Verkündungstermin an; in diesem Fall werden die von der Partei innerhalb der Frist durch Schriftsatz gemachten Anführungen so berücksichtigt, als ob sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden wären. § 272 a. Die Parteien sind einverstanden: „Die Parteien beantragten übereinstimmend Vertagung. Vorgelesen, genehmigt. Es wurde der Beschluß verkündet: Die Sache wird auf den 3. März i960, vormittags i o 1 ^ Uhr vertagt. Richter.

Urkund".

V o r b e h a l t s u r t e i l . Die Parteien folgen dem Rat des Richters und nehmen sich Anwälte, die bis zum neuen Termin Schriftsätze einreichen. A m 3. März erscheinen: „ 1 . der Kläger in Person und für ihn R A Schwang, 2. der Beklagte Max Schellenberg und für die Beklagten R A Weiß. Die Parteien stellten die gleichen Anträge wie im Termin am 18. Februar d. J . und verhandelten streitig zur Sache. Die Beklagten beantragten die Vernehmung des Klägers über die Behauptung, er habe am 6. Februar d. J . bei Besichtigung des verkauften Tabaks im Speicher der Beklagten zu 1 erklärt, er sehe selbst ein, daß es eine minderwertige Ware sei und daß er sie zurücknehmen müsse, weil gar keine Deckblätter, dagegen eine Menge Rippen, Abfall und Bruch dabei wären."

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Vorbehaltsurteil

Lehnt der Kläger ab, sich vernehmen zu lassen oder gibt er auf Verlangen des Gerichts keine Erklärung ab, so kann eine vereinbarte Wandelung (§465 B G B ) als bewiesen angenommen werden (§ 446 ZPO), und es kommt nicht mehr darauf an, ob den Beklagten das gesetzliche Wandelungsrecht zusteht, dessen Voraussetzungen im Urkundenprozeß nicht beweisbar sind. „ D e r Kläger erklärte sich zur Vernehmung bereit. Hierauf nahmen die Beklagten den Antrag auf Parteivernehmung zurück. Vorgelesen, genehmigt."

Wie ist dieses Verhalten der Beklagten zu erklären? Hätte Ehlers seine gegenteilige Behauptung bestätigt, so hätte das Gericht gemäß §§453, 286 Z P O wahrscheinlich angenommen, daß keine Wandelung vereinbart wurde. Diese Beweiskraft der Parteivernehmung würde auch im Nachverfahren gewirkt haben. Denn aus der bindenden Kraft des Vorbehalturteils (§ 318) folgt, daß im Nachverfahren nicht anders entschieden werden darf, außer soweit das Vorbehaltsurteil auf der dem Urkundenprozeß eigentümlichen Beschränkung der Beweismittel beruht (Baumbach, zu § 600 1 C). Die Beklagten hätten sich also der Möglichkeit beraubt, die Abrede im Nachverfahren durch die ihnen zur Verfügung stehenden Zeugen zu beweisen. Da der Antrag auf Parteivernehmung einfacher Beweisantritt ist, kann er be ebig zurückgenommen werden (Baumbach zu Das Nachverfahren hat gerade den Zweck, dem Beklagten, der im Urkundenprozeß infolge der dort herrschenden Beschränkung der Beweismittel unterlegen ist, die Ausführung seiner Rechte zu ermöglichen. Deshalb wird der Vorbehalt schon gemacht, wenn der Beklagte „dem geltend gemachten Anspruch widersprochen", d. h. Klagabweisung beantragt hat (§ 5991). Um sich den Übergang ins Nachverfahren offenzuhalten, braucht er also im Urkundenprozeß seine Einwendungen nicht einmal zu substanziieren, und wenn er sieht, daß er im Urkundenprozeß doch nicht durchdringen wird, nimmt er — für den Urkundenprozeß — am besten von jeder näheren Darlegung Abstand. Hat das Vorbehaltsurteil eine Einwendung des Beklagten, die nicht mit im Urkundenprozeß zulässigen Beweismitteln belegt ist, aus Rechtsgründen für unschlüssig erklärt, und erlangt das Vorbehaltsurteil Rechtskraft, so wird damit dem Beklagten die Einwendung auch für das Nachverfahren endgültig abgeschnitten. E r muß dann, um noch eine Chance für das Nachverfahren zu behalren, gegen das Vorbehaltsurteil Berufung einlegen und die Klageabweisung beantragen, bloß damit das Berufungsgericht seine Berufung mit der Begründung zurückweist, die Einwendungen seien wegen des Fehlens zulässiger Beweisantritte nicht zu beachten, aber immerhin materiell erheblich. Im übrigen ist der Beklagte durch das Vorbehaltsurteil nicht gehindert, neue Tatsachen vorzutragen und klagebegründende Tatsachen zu bestreiten, die er im Vorverfahren nicht bestritten hat; hierbei ist es unerheblich, ob der Kläger, falls der Beklagte dies im Vorverfahren vorgebracht hätte, es durch Urkunden hätte widerlegen können. B G H N J W i960, 100 und 576.

Die Verurteilung der Beklagten ist jetzt nicht mehr abzuwenden: „ E s wurde das Urteil verkündet: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger 357,80 D M (i. W.) nebst 6 % Zinsen seit dem 6. Februar i960 zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 400 D M (i. W.) nachgelassen. Den Beklagten wird die Ausführung ihrer Rechte vorbehalten." 4*

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Nachverfahren

Vgl. §§ 5991. 7084. 713 n Gegen das Urteil haben die Beklagten zwei verschiedene Behelfe: sie können Berufung einlegen, oder sie können das Nachverfahren aufnehmen. Sind ihre Einwendungen nur mit Zeugen oder Sachverständigen zu belegen, so verspricht die Berufung keinen Erfolg. Trotzdem wurde sie früher häufig durchgeführt, um die Vollstreckung des Vorbehaltsurteils hinauszuziehen, da der Vollstreckungsnachlaß aus § 713 1 1 mit der Rechtskraft des Vorbehaltsurteils seine Wirkung verliert. Die Verurteilten liefen sonst bei einem vermögenslosen Kläger Gefahr, den ihnen nach erfolgreichem Nachverfahren gemäß §§6oo n , 302 iy S. 3 zustehenden Ersatzanspruch nicht realisieren zu können. Die heute herrschende Ansicht gestattet aber in entsprechender Anwendung der §§ 7191, 707, 769 eine Einstellung der Zwangsvollstreckung im Nachverfahren mit der Einschränkung, daß bei der Entscheidung über die Einstellung die Aussicht des Nachverfahrens scharf zu prüfen ist, da andernfalls der Wechselprozeß seinen Sinn verliert. Vgl. Berg, DRiZ 51/59; O L G Karlsruhe MDR 1959/397 mit weit. Nachweisen. Läßt man die Einstellung zu, so erübrigt sich die Einlegung einer im Wechselverfahren aussichtslosen Berufung. N a c h v e r f a h r e n . Wenn auch das Vorbehaltsurteil in bezug auf Rechtsmittel und Vollstreckbarkeit einem Endurteil gleichsteht (§ 5 9 9 m ) , ist es doch seiner Natur nach Zwischenurteil und der Rechtsstreit von selbst im ordentlichen Verfahren anhängig geblieben (§ 6001). Durch die mit dem Vorbehaltsurteil abschließende Verhandlung ist der Termin nicht „verbraucht". Deshalb lassen manche Richter nach Verkündung des Vorbehaltsurteils alsbald im Nachverfahren weiter verhandeln oder beraumen hierzu von Amts wegen neuen Termin an; andere warten den Antrag der einen oder der anderen Partei ab, für welche eine Frist nicht besteht. In unserem Fall wird sofort weiter verhandelt: „Sodann beantragen die Beklagten: unter Aufhebung des ergangenen Vorbehaltsurteils die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragte: das Urteil vorbehaltslos aufrecht zu erhalten. Die Parteien verhandelten im ordentlichen Verfahren. Vorgelesen, genehmigt."

Hat der Kläger bereits vollstreckt, so kann der Beklagte die von ihm beigetriebene Summe und etwaigen durch die Vollstreckung entstandenen Schaden im Nachverfahren geltend machen (§§ 302IV S. 4, 60011). Den Antrag des Klägers formuliert man auch: „das im Scheckprozeß ergangene Urteil zu bestätigen" oder: „den Vorbehalt für erledigt zu erklären". „ E s wurde der Beweisbeschluß verkündet: I. E s soll Beweis erhoben werden über folgende Fragen: 1. Hat der Kläger bei Verkauf des Tabaks an die Beklagten zu 1 ausdrücklich zugesichert, daß es sich um prima Ware, fast nur Deckblätter, frei von Rippen handle? 2. Ist der gelieferte Posten Tabak nicht prima Ware, fast nur aus Deckblättern bestehend und frei von Rippen? Ist die Ware vielmehr minderwertig, zum großen Teil Rippen und fast gar keine Deckblätter ? Kann sie als Handlungsgut mittlerer Art und Güte bezeichnet werden ? 3. Hat der Kläger bei Besichtigung des verkauften Tabaks am 6. Februar d. J . im Speicher der Beklagten zu 1 erklärt, er sehe selbst ein, daß es eine minderwertige Ware sei und daß er sie zurücknehmen müsse?

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Verarbeitung gestohlener Sachen

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durch Vernehmung a) des Werkmeisters Unkel, Köln, Klosterstr. 88, als Zeugen zu i , h) des Tabak-Großhändlers Stefan Klabn, Köln, Weidenbach 3, als Sachverständigen zu 2, c) des Lagerhalters Jeenel, Köln, Klosterstr. 88 als Zeugen zu 3. zu a) vom Kläger, im übrigen von den Beklagten benannt Nachdem die Beweisaufnahme die Behauptungen der Beklagten bestätigt hat, ergeht das Endurteil: „Das im Scheckprozeß ergangene Vorbehaltsurteil vom 3. März 1956 wird aufgehoben. Der Kläger wird mit der Klage abgewiesen und hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

Arrestverfahren. Verarbeitung gestohlener Sachen Arrestgesuch. „An das Amtsgericht Köln.

Aachen, den 12. Februar i960. Arrestgesuch

des Altwarenhändlers Viktor Humid in Aachen, Marktplatz 5, Gläubigers, Prozeßbevollmächtigter: RA Grün in Aachen, gegen den Kaufmann und Fabrikbesitzer Hubert Knoke in Köln, Bonner Str. 49, Schuldner. Im Januar d. J. hat der in der Stoiberger Filiale des Gläubigers angestellte Christian Pape etwa 600 Ztr. feinen Tuchabfall heimlich aus dem unter seinem Verschluß befindlichen Speicher des Gläubigers zu dem Handelsmann Nikolaus Pape in Köln, seinem Vetter, schaffen lassen. Nikolaus Pape hat die Ware an den Schuldner geliefert, der sie in seiner Lumpenreißerei und Spinnerei zu etwa 7500 Decken verarbeitet hat. Nach der ganzen Sachlage besteht kein Zweifel, daß die drei Personen auf Verabredung gehandelt haben und daß insbesondere der Schuldner durch Erwerb der Ware bösgläubig an der Schädigung des Eigentums mitgewirkt hat. Der Gläubiger ist deshalb berechtigt, Herausgabe der aus dem gestohlenen Tuchabfall hergestellten Decken oder — falls angenommen werden sollte, daß das Eigentum an den Decken dem Schuldner zusteht — Zahlung des Werts der gestohlenen Abfalle vom Schuldner zu verlangen. Der Wert beträgt mindestens 7200 DM. Im Hinblick auf die Strafbarkeit der Handlungsweise des Schuldners muß damit gerechnet werden, daß er versuchen wird, die Decken und sein sonstiges Vermögen dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen. Ein Strafverfahren gegen den Schuldner und die beiden Pape wegen Unterschlagung und gewerbsmäßiger Hehlerei schwebt bereits. Zur Glaubhaftmachung tiberreiche ich eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers Altboff und Brief des allgemein beeidigten Sachverständigen Nolte. Ich überreiche ferner meine Vollmacht und beantrage: a) wegen der dem Gläubiger zustehenden Ansprüche auf Herausgabe der Decken oder auf Wertersatz der Tuchabfälle in Höhe von 7200 DM (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 1. Februar i960 sowie wegen 1200 DM (i. W.) Kostenpauschquantum den dinglichen Arrest in das Vermögen des Schuldners anzuordnen, b) in Vollziehung des Arrestes die Forderung desSchuldners an dieKölner Kreditbank A . G . in Köln aus seinem laufenden Konto von 3000 DM (i. W.) für den Gläubiger zu pfänden. Für den Gläubiger: Grün, R A . " Christian Pape hatte an den in seiner tatsächlichen Gewalt befindlichen Waren nur die Rechtsstellung eines Besitzdieners (§855 BGB). Sachen des Dienstherrn,

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Verarbeitung gestohlener Sachen

die der Besitzdiener beiseite schafft, sind vom Standpunkt des Besitzherrn „abhanden gekommen" (§ 935 1 S. 2). Daraus folgt, daß Knoke, selbst wenn er gutgläubig gewesen sein sollte, kein Eigentum an den entwendeten Tuchabfällen erworben hat. Dagegen würde Knoke durch die in seinem Betrieb vorgenommene Verarbeitung der Abfälle gemäß § 950 Eigentümer der hergestellten Decken geworden sein, sofern nicht — was Hunold zu beweisen hat — der Wert der Verarbeitung „erheblich geringer" war als der Wert des Stoffes. Hat hiernach Knoke erst durch die Spezifikation Eigentum an den Decken erlangt, so ist er nach §9511 verpflichtet, Hunold den Wert der Abfälle nach den Grundssätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu vergüten, so daß Hunold die Voraussetzungen einer schuldhaften Schädigung seines Eigentums (§§989^, 95 m ) nicht nachzuweisen braucht. Andrerseits wird Knokes Spezifikationserwerb, weil rein tatsächlicher Natur, durch seinen etwaigen bösen Glauben nicht ausgeschlossen. Der Arrestanspruch auf Herausgabe der Decken oder auf Wertersatz ist also vom guten oder bösen Glauben des Schuldners durchaus unabhängig. Dagegen hat Knokes Bösgläubigkeit, wie wir noch sehen werden, erhebliche Bedeutung für den Arrestgrund (unten S. 55). Ob Hunold ein Recht auf Herausgabe der Decken oder ein Recht auf Ersatz des Wertes der Tuchabfälle in Geld zusteht, ist noch unklar. Das hindert jedoch den Erlaß des beantragten Arrestes nicht: denn der Arrest findet sowohl zur Sicherung von Geldforderungen als von solchen Individualansprüchen statt, deren Ubergang in eine Geldforderung möglich ist (§ 9161). Gemäß §§ 989^ B G B kann sich der Eigentumsanspruch an den Decken in eine Schadensersatzforderung verwandeln. F o r m a l i e n : Der Arrest zählt zu den Verfahren mit fakultativer Mündlichkeit, welche in der Terminologie der ZPO nicht durch „Antrag", sondern durch „Gesuch" eingeleitet werden. Vgl. § 9201 ZPO. Damit hängt weiter zusammen, daß das Gesuch auf der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden kann, daß es — was für Arrest- und einstweilige Verfügungssachen beim Land- und Oberlandesgericht wichtig wird — keinem Anwaltszwang unterliegt und daß die Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten nachgewiesen werden muß. §§ 920m, 78'!, 8811. Die gesetzlichen Parteibezeichnungen beim Arrest sind „Gläubiger" und „Schuldner" (§ 929I). Bei einstweiligen Verfügungen spricht man von „Antragsteller" und „Antragsgegner". Statt dieser schwerfälligen Formeln sind auch (für Arrest und einstweilige Verfügung) die Ausdrücke „Arrestkläger" und „Arrestbeklagter" oder — nachdem das Verfahren durch Widerspruch in die Mündlichkeit übergeleitet worden ist — einfach „Kläger" und „Beklagter" üblich. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts zum Erlaß des Arrestes über eine so hohe Summe folgt daraus, daß Knoke in Köln ansässig und deshalb mit dem Vorhandensein von Pfandobjekten im Gerichtsbezirk zu rechnen ist (§919). Das Amtsgericht konkurriert, auch wenn der Fall nicht besonders dringlich ist, mit dem Gericht der Hauptsache: Landgericht Köln als allgemeiner Gerichtsstand oder als forum delicti commissi (§§ 13, 32). Als Arrestgericht besitzt das Amtsgericht Köln auch die Zuständigkeit zur Pfändung von Forderungen in Vollziehung des Arrestbefehls; die Zuständigkeit des in § 82811 bezeichneten Gerichts wird dadurch ausgeschlossen. §§ 930I S. 2, 802.

P r ü f u n g . A r r e s t g e g e n S i c h e r h e i t s l e i s t u n g . In seiner eidesstattlichen Versicherung schildert Geschäftsführer Althoff ausführlich, wie er, nachdem das Verschwinden der Abfälle entdeckt worden war, mit dem Kölner Kriminalkommissar die Spur verfolgt habe, dabei nach Köln zu Knoke gekommen sei und an den noch herumliegenden Resten der größtenteils schon verarbeiteten Abfälle sowie durch die in Gegenwart des Kommissars von Knoke und seinen Leuten abgegebenen Erklärungen die Identität der zur Herstellung der Decken verwandten und der aus dem Hunoldschen Speicher fortgeschafften Ware einwandfrei festgestellt habe. Der Referendar: Für den behaupteten Wert hat der Gläubiger nichts beigebracht als folgenden Brief:

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Glaubhaftmachung

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„Herrn Viktor Hunold, Aachen. Da ich mir die Tuchabfälle s. Z. bei Ihnen nur flüchtig angesehen habe, kann ich Ihrem Wunsch wegen eines Gutachtens über den Wert leider nicht entsprechen. Es kann aber sein, daß der Wert 10—12 DM je Zentner beträgt. Hochachtungsvoll Köln, den 9. Februar i960.

Wilhelm Nolte vereidigter Sachverständiger für Altmaterialien."

Solche ganz unbestimmte Angaben, deren Richtigkeit Nolte nicht einmal eidesstattlich versichert, stellen keine Glaubhaftmachung dar. Hinsichtlich des Arrestgrundes (§917) fehlt es an jeder Substanziierung, geschweige denn Glaubhaftmachung. Der Richter: Im Wesen der Glaubhaftmachung liegt, daß bei ihr ein geringerer Grad von Überzeugungswert ausreicht als beim eigentlichen Beweis. Deshalb wird in Glaubhaftmachungsfällen die eidliche Zeugen- und Sachverständigenaussage meist durch eidesstattliche Versicherung ersetzt(§294).Aber nirgends ist es vorgeschrieben, daß andere als eidesstattliche Erklärungen zur Glaubhaftmachung ungeeignet wären. Auch für die Glaubhaftmachung gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§286) und das Gericht kann sich nach seinem Ermessen mit formloser Erklärung eines Dritten begnügen.Vgl. B S G NJW1958,1989. Ebenso wie man z . B . ärztliche Atteste allgemein als Glaubhaftmachung anerkennt, halte ich durch den Brief Noltes, der als gerichtlicher Sachverständiger sich seine vorsichtige Schätzung jedenfalls wohl überlegt hat, den Wert von 10—12 D M für glaubhaft gemacht. — Was den Arrestgrund anlangt, so müssen wir bei einem Manne, der sich Vermögensvorteile durch eine strafbare Handlung verschafft, auch darauf gefaßt sein, daß er bestrebt sein wird, sich die Früchte seiner Straftat nötigenfalls durch Vermögensverschiebung zu erhalten. Es ist das, abgesehen vom Ausländerarrest (§ 91711), geradezu der typische Arrestgrund. Vielleicht sind die Voraussetzungen der einfachen oder gar gewerbsmäßigen Hehlerei (§§ 259t. StGB) nicht glaubhaft gemacht, aber nach dem ganzen Sachverhalt besteht doch gegen Knoke ein starker Verdacht. Das Gericht soll Arrestgesuche, besonders bezüglich des Arrestgrundes, mit einem gewissen Wohlwollen behandeln; denn wenn der Antragsteller die causa arresti ganz einwandfrei glaubhaft zu machen vermag, kommt der Arrest erfahrungsgemäß zu spät. Auf der anderen Seite ist es mißlich, auf Grund einseitiger Angaben des Gläubigers so einschneidende Maßnahmen zu treffen. Zur Beseitigung dieses Dilemmas zunächst den Schuldner zu hören oder gemäß §921* Z P O mündliche Verhandlung über das Arrestgesuch anzuordnen, wäre gefährlich. Der Schuldner könnte dadurch gewarnt und veranlaßt werden, noch in letzter Stunde den Erfolg des Arrestschlags durch Verschiebungen zu beseitigen; dagegen kann bei einstweiligen Verfügungen die Anordnung der mündlichen Verhandlung oftmals sachgemäß sein. Darum will ich den Arrest nur gegen Sicherheit erlassen (§ 921 1 ). Daß Hunold nicht, wie das häufig geschieht, sich zur Sicherheitsleistung besonders erboten hat, stört nicht. Bestehen gegen den Erlaß eines Arrestes ohne Kaution Bedenken, so hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob nicht dem Gesuch gegen Sicherheitsleistung stattzugeben wäre. Referendar: Wenn nun Hunold die Sicherheit nicht leisten kann oder will? Richter: Dann bleibt ihm die Beschwerde. Als Rechtsmittel gegen die Ablehnung von Arrestgesuchen ist einfache unbefristete Beschwerde aus § 5 67 gegeben, nicht sofortige Beschwerde aus § 793: denn das Arrestverfahren wird zwar im 8. Buch der ZPO geregelt, ist aber keine Zwangsvollstreckung, sondern eine summarische Prozeßart. Mache ich den Arrest von einer Sicherheit des Gläubigers

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Prozeßrichtet des Amtsgerichts — Arrest- und Pfändungsbeschluß

abhängig, so bedeutet das eine Zurückweisung des auf bedingungslosen Erlaß des Arrestbefehls gerichteten Prinzipalantrags und Hunold kann sich demgemäß nach § 567 beschweren. Verfügung: „1. A n R A Grün-. In Sachen . . . wird der Erlaß des Arrestbefehls davon abhängig gemacht, daß der Gläubiger binnen 10 Tagen gemäß § 1081 S. 2 Z P O Sicherheit in Höhe von 10000 D M leistet. Falls der Gläubiger aus besonderen Gründen eine andere Art der Sicherheitsleistung wünscht, wird ihm anheimgegeben, entsprechende Anträge zu stellen (§ 1081 S. 1). 2. Nach 10 Tagen." Die Sicherheit haftet dem Schuldner für seinen etwaigen Schadensersatzanspruch aus § 945, muß also reichlich bemessen werden. Ist die Glaubhaftmachung teilweise beigebracht, so kann das Gericht mit Rücksicht darauf, daß keine große Wahrscheinlichkeit für die künftige Aufhebung des Arrestes besteht, die Sicherheit auch unter dem Betrag der Arrestforderung bestimmen. Das Gericht gibt entweder zunächst dem Gläubiger die Sicherheitsleistung auf, um nach erfolgter Hinterlegung den Arrest in unbedingter Form zu erlassen, oder es ordnet sofort den Arrest an und macht lediglich seine Vollziehung von Leistung der Sicherheit abhängig. Baumbach zu § 921, 2 B. Die zweite Methode, bei welcher erst das Vollstreckungsorgan die Sicherheit nachprüft, hat den Vorzug, daß es dem Gläubiger Zeit erspart. Für unseren Fall kommt es nicht in Betracht, weil die erbetene Forderungspfändung keinesfalls vor Nachweis der Sicherheitsleistung erfolgen darf. A r r e s t - u n d P f ä n d u n g s b e s c h l u ß . Nachdem Hunold die Sicherheit geleistet hat, ergeht der „Arrestbefehl und Pfändungsbeschluß. Geschäftsnummer: 21 G 13/60 In Sachen des Altwarenhändlers Viktor Hunold in Aachen, Marktplatz j , Prozeßbevollmächtigter: R A Grün in Aachen,

Gläubigers,

gegen den Kaufmann und Fabrikbesitzer Hubert Knoke in Köln, Bonner Str. 49, Schuldner. Der Gläubiger hat geltend gemacht (folgt kurz die Sachdarstellung des Arrestgesuchs). Diese Behauptungen sind teilweise durch . . . glaubhaft gemacht. Der Gläubiger hat ferner durch Bürgschaftserklärung der Dresdner Bank Filiale Aachen vom 16. Februar i960 Sicherheit in Höhe von 10000 D M geleistet. Auf Antrag des Gläubigers wird daher gemäß §§ 916, 917, 919, 921, 922, 923, 91, 930I S. 3 Z P O angeordnet: 1. Wegen der Forderung des Gläubigers auf Herausgabe von etwa 7500 aus feinem Tuchabfall hergestellten Decken, beziehungsweise auf Vergütung des Wertes der zu den Decken verarbeiteten Tuchabfalle in Höhe von 7200 D M (i. W.) nebst 6 % Zinsen seit 1. Februar i960 sowie gegen 1200 D M (i. W.) Kostenpauschquantum wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Schuldners angeordnet." Obgleich die Zuständigkeit des Gerichts auf dem im Amtsgerichtsbezirk befindlichen Vermögen des Schuldners beruht, wird der Arrest doch ohne Beschränkung auf dieses Vermögen erlassen; er bildet in allen deutschen Ländern einen Vollstreckungstitel. Baumbach zu § 919, 3. „2. Die Kosten des Arrestverfahrens fallen dem Schuldner zu Last." O b der Arrestbeschluß über die Kosten mit entscheiden darf, ist nicht unbestritten. Baumbach zu § 9 1 , 2 B. Lehnt das Arrestgericht die Kostenentscheidung ab, so muß der Arrestkläger die Kosten zunächst selbst tragen, kann sie aber durch besondere Klage (oder als Nebenanspruch im Hauptprozeß) geltend machen, weil

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Zustellung des Arrestbefehls

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sie durch den Verzug oder die unerlaubte Handlung des Arrestbeklagten notwendig geworden sind. „3. In Voll2iehung des Arrests wird die Forderung des Schuldners an die Kölner Kreditbank A . G. in Köln aus seinem laufenden Konto auf Zahlving von 3000 D M (i. W.) für den Gläubiger gepfändet. 4. Durch Hinterlegung eines Geldbetrags von 9000 D M (i. W.) wird die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Schuldner zu dem Antrag auf Aufhebung des vollzogenen Arrestes berechtigt. Köln, den 18. Februar i960. Amtsgericht.

Richter."

Abweichend von § 329111, welcher Offizialzustellung nicht verkündeter Beschlüsse an beide Parteien vorschreibt, stellt das Gericht den Beschluß nur dem RA Grün zu, und zwar in einfacher, nicht in vollstreckbarer Ausfertigung (§ 9291). Der Gläubiger hat dann die Zustellung an Knoke sowie an den Drittschuldner im Parteibetrieb zu besorgen (§ 92211). Das hängt damit zusammen, daß Arreste und einstweilige Verfügungen vor der Zustellung an den Schuldner vollzogen werden dürfen (§ 929111): der Gläubiger soll es deshalb in der Hand haben, den Zeitpunkt der Zustellung an den Schuldner selbst zu bestimmen. Formlose Aushändigung des Beschlusses an R A Grün würde nicht genügen, weil von der Zustellung an ihn die einmonatliche Vollziehungsfrist (§ 92911) läuft. Wahrscheinlich wird der Anwalt des Gläubigers zunächst die Zustellung an die Kreditbank als Drittschuldnerin der gepfändeten Forderung vornehmen, dann den Gerichtsvollzieher mit Mobiliarpfändung in Geschäftslokal und Wohnung des Schuldners beauftragen, und erst danach den Arrest dem Schuldner selbst zustellen lassen. Diese gesetzlich sanktionierte Überrumpelung ist für Knoke sehr unangenehm. Er hat nicht einmal ein Recht darauf, daß der Gerichtsvollzieher ihm bei der Pfändung das Aktenzeichen der Arrestsache mitteilt und ihm damit die sofortige Erhebung des Widerspruchs ermöglicht!

Widerspruch. „ A n das Amtsgericht hier.

Köln, den 23. Februar i960.

In der Arrestsache Humid gegen Knoke überreiche ich Vollmacht des Schuldners auf mich und erhebe gegen den Beschluß vom 18. d. M. Widerspruch, Ich werde beantragen: den Arrestbefehl aufzuheben und die Kosten des Verfahrens dem Gläubiger aufzuerlegen."

In Arrestsachen müssen 1. das rein schriftliche Beschlußverfahren (§§ 9211, 9221), 2. die Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit des Arrestes durch Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung (§§ 924, 9251), 3. die „Hauptsache", d. h. die endgültige Entscheidung über den Arrestanspruch im gewöhnlichen Prozeß, unterschieden werden. Hatte das Amtsgericht mündliche Verhandlung über den Arrestanspruch angeordnet, so ergeht die Entscheidung alsbald durch Urteil (§ 9221) und schließt die Frage der Rechtmäßigkeit in sich; die Stadien 1 und 2 werden dann zusammengezogen. Sonst bildet der — an keine Frist gebundene — Widerspruch das Mittel, durch welches der Schuldner die Sache aus dem Beschluß- ins Rechtsmäßigkeitsstadium überleitet. Ein Rechtsmittel findet gegen Arrestbeschlüsse nicht statt. Der Termin wird von Amts wegen bestimmt (§ 92411).

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — § 816 B G B „Begründung. 1. Der Schuldner war bei Erwerb der Tuchabfälle in gutem Glauben. (wird näher dargelegt). 2. Der Wert betrug nicht 2700, sondern höchstens 4500 D M . Der Wert der Verarbeitung übersteigt erheblich den des Materials. (wird näher dargelegt). 3. Der Schuldner hatte die Abfälle von Pape für 4500 D M gekauft und diesen Betrag an Pape bar bezahlt. Die 4500 D M müssen in jedem Fall von der Arrestforderung in Abzug gebracht werden."

Damit hat der Anwalt unrecht. Wären die Abfälle bei Knoke noch unverarbeitet vorgefunden worden, so hätte er sie auf Vindikation des Bestohlenen herausgeben müssen, ohne wegen der an Pape gezahlten Summe ein Lösungsrecht zu haben. Dem entspricht es, daß auch gegenüber dem Wertersatzanspruch aus §9511 B G B Aufwendungen, die der Spezifikant für den Erwerb des Eigentums von einem nicht berechtigten Dritten gemacht hat, nicht in Rechnung gestellt werden dürfen. R G 106, 4; B G H 9, 336; 14, 9. „4. V o n den Decken, die der Schuldner aus den Abfällen hergestellt hat, waren bei Zustellung des Arrestbefehls 1250 Stück bereits an verkauft. Wegen dieser Decken bzw. des Wertes der zu ihrer Herstellung verwandten Abfälle — etwa */« des Gesamtquantums — kann sich der Gläubiger daher nur an die Käufer halten."

Falls wegen der Geringwertigkeit der Verarbeitung Hunold nach § 9501 S. 1 Eigentümer der Decken sein sollte, ist er es trotz der Weiterveräußerung durch Knoke geblieben, da die Käufer — trotz guten Glaubens — an res furtivae kein Eigentum erwerben konnten. Folglich hat Hunold, streng genommen, nur die Vindikation gegen die Käufer, nicht aber den Bereicherungsanspruch aus § 8161 S. 1 an Knoke: denn dieser Bereicherungsanspruch setzt voraus, daß die Verfügung Knokes wirksam war, und die Abkäufer sind wegen §9351 nicht Eigentümer der Decken geworden. Durch nachträgliche Genehmigung seitens des Berechtigten wird aber die an sich unwirksame Verfügung eines Nichtberechtigten wirksam (§ 18511), und indem Hunold den Erlös der verkauften Decken von Knoke fordert, genehmigt er die Veräußerung an die Käufer. Mithin muß Knoke seinen Erlös an Hunold herausgeben. R G 106, 44; 1 1 5 , 3 1 ; B G H 29, 157. Hatte Knoke Spezifikationseigentum erlangt, so ist gegenüber seiner dann bestehenden Haftung aus §9511 S. 1 der Weiterverkauf unerheblich. Wenn jedoch seine Abkäufer zahlungsunfähig sind, würde dieser Umstand den Einwand des Wegfalls seiner eigenen Bereicherung (§ 818m) begründen. „5. E s fehlt an einem Arrestgrund. (wird näher dargelegt). Die Glaubhaftmachung der Angaben zu 1 bis 5 werde ich im Termin erbringen und die von mir benannten Zeugen und Sachverständigen zum Termin stellen. Ich bitte: im Wege der Prozeßleitung die Strafakten der Staatsanwaltschaft in Köln gegen Pape und Gen. Aktenzeichen 4 J s 125/60, zum Termin beizuziehen. Für den Schuldner: Weiß, R A . "

Der Richter gibt dem Wunsch des Schuldners statt und ersucht bei Anberaumung des Termins die Kölner Staatsanwaltschaft um schleunige Übersendung der Strafakten.

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Beweisaufnahme im Widerspruchsverfahren

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V e r h a n d l u n g u n d E n t s c h e i d u n g ü b e r die R e c h t m ä ß i g k e i t . Im Widerspruchstermin melden sich bei Aufruf: „ i . für den Arrestkläger RA Schwang Untervollmacht des RA Grün überreichend und der Arrestkläger in Person, 2. für den Arrestbeklagten RA Weiß und der Arrestbeklagte in Person. RA Schwarz beantragte: den Arrestbefehl vom 18. Februar i960 zu bestätigen. RA Weiß stellte den Antrag aus der Widerspruchsschrift vom 23. Februar i960. Die Parteien verhandelten hierauf zur Sache. Die Akten der Staatsanwaltschaft in Köln gegen Pape und Genossen, 4 Js 125/60, lagen vor. Der Arrestkläger überreichte: Der Arrestbeklagte überreichte: Es wurden folgende Zeugen und Sachverständigen vernommen: 1. Zeugin Klapper: Z. P.: Ich heiße Frida Klapper, bin 26 Jahre alt, Stenotypistin in Köln im Geschäft des Arrestbeklagten, mit keiner der Parteien verwandt oder verschwägert. Z. S.: Der Arrestbeklagte hat für die etwa 600 Ztr. feine Tuchabfälle mit dem Verkäufer Nikolaus Pape aus Köln einen Gesamtpreis von 4500 DM vereinbart, nachdem Pape zuerst 8 DM für den Zentner verlangt, der Arrestbeklagte 7 DM geboten hatte. Ich hatte den Eindruck, daß es den Beteiligten bei dem Handeln um den Preis ernst war und daß sie nicht bloß zum Schein den Preis vereinbart haben. Bei der Bezahlung, die sofort erfolgen sollte, war nicht ich, sondern unser damaliger Korrespondent Lang zugegen. Ich wurde, als es so weit war, vom Chef mit einem Auftrage in die Reißerei geschickt. Als ich zurückkehrte, war Pape bereits fortgegangen. Lang ist einen Tag, nachdem der Gerichtsvollzieher bei uns im Geschäft aus dem Arrest gepfändet hatte, verschwunden. Den Grund kenne ich nicht. Unter dem Personal wurde behauptet, daß er in eine Falschspielersache verwickelt sei. Andere sprachen von einer Liebesgeschichte mit halbwüchsigen Mädchen. Vorgelesen, genehmigt. Die Zeugin blieb unbeeidigt. 2. Sachverständiger Grote-. Z. P.: Ich heiße Mathias Grote, bin 59 Jahre alt, Altmaterialienhändler in Köln, mit den Parteien weder verwandt noch verschwägert. Z. S.: Nach den mir heute vom Arrestbeklagten vorgelegten, vom Arrestkläger als richtig anerkannten Proben halte ich unter der Voraussetzung, daß die Proben dem Durchschnitt der Ware entsprechen, einen Betrag von 12 DM für den Zentner für angemessen, da es sich um besonders gute Tuchabfälle handelt. Im Verkehr wird eine solche Ware allerdings manchmal auch mit 8—10 DM bezahlt, weil nach so guter Ware wenig Nachfrage besteht. Die aus dem Tuchabfall hergestellten Decken haben einen Handelswert von 2,10—2,30 DM das Stück. Da aus einem Zentner Abfall 12—13 Decken gewonnen werden, sind als Wert des verarbeiteten Tuchabfalls etwa 0,96 DM pro Decke einzusetzen. An weiteren Materialen rechne ich pro Decke 0,10 DM, an Arbeitslöhnen einschließlich Generalunkosten 0,50—0,60 DM. Vorgelesen, genehmigt. Der Sachverständige blieb unbeeidigt. 3 Das Rechtmäßigkeitsverfahren ist immer noch Arrestprozeß (mit dem alten G-Aktenzeichen) und unterliegt als solches dem Prinzip der „Glaubhaftmachung" (§ 92011 ZPO). Die Glaubhaftmachung wird nach mancher Richtung gegenüber dem Beweise erleichtert (S. 5 3), auf der anderen Seite bestimmt jedoch § 29411, daß eine Beweisaufnahme, welche nicht sofort erfolgen kann, unstatthaft ist. Diese Beschränkung auf präsente Beweismittel gilt für Zeugen, Sachverständige und Urkunden in gleicher Weise. E s gibt keine Zeugen- und Sachverständigenladungen durch das Gericht, sondern die glaubhaftmachungspflichtige Partei muß entweder

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Beweisaufnahme im Widerspruchsverfahren

die fertige eidesstattliche (oder sonstige) Erklärung dem Gericht überreichen, oder den Zeugen bzw. Sachverständigen zum Termin „stellen": daher der Schwärm von Beweispersonen, mit denen die Anwälte in Arrest- und einstweiligen Verfügungsterminen in foro aufzutreten pflegen. Vernimmt das Gericht die herbeigeschafften Personen, so haben sie die Richtigkeit ihrer Aussage bzw. ihres Gutachtens nicht bloß an Eides Statt zu versichern, sondern unter den Voraussetzungen des § 391 zu beschwören. Daß die Zeugen und Sachverständigen ohne Beweisbeschluß vernommen worden sind, ist übrigens keine Eigentümlichkeit des Arrestoder Glaubhaftmachungsverfahrens, sondern folgt daraus, daß die Beweisaufnahme durch sofortige Vernehmung präsenter Personen kein „besonderes Verfahren" erfordert (§358, oben S. 30). Auch Urkunden müssen zur Stelle sein, einen Beweisantritt durch den Antrag, dem Gegner die Vorlegung aufzugeben oder dem Beweisführer eine Frist zur Herbeischaffung zu bestimmen oder eine Behörde um Mitteilung zu ersuchen (§§421, 428, 432), gibt es in den Fällen der Glaubhaftmachung nicht. Soweit es sich jedoch um Akten handelt, wird das durch den in allen Verfahrensarten anwendbaren § 272 b3 gemildert, nach dem das Gericht Akten zur Vorbereitung des Termins im Wege der Prozeßleitung einfordern darf. Macht das Gericht — von Amts wegen oder auf Parteianregung — von dieser Befugnis Gebrauch und sind die Akten zum Termin da (wie hier die Strafakten Pape), so kann ihr Inhalt als präsentes Beweismittel verwertet werden; liegen sie nicht vor, so hat die Partei kein Recht, ihre Herbeischaffung zu verlangen oder die Verhandlung vertagen zu lassen. Der Arrestanspruch ist für das Gericht glaubhaft gemacht, und zwar nach dem Groteschen Gutachten als Bereicherungsanspruch aus §§9501, 9511 BGB, weil der Wert der Verarbeitung jedenfalls nicht „erheblich geringer" war als derjenige des Stoffes. Aber auch den Arrestgrund vermag Knoke nicht zu erschüttern, denn die Papeschen Strafakten enthalten Belastendes gegen ihn und das Verschwinden des wichtigen Zeugen Lang unmittelbar nach der Arrestpfandung ist verdächtig. Die Lücken und Schwächen der Glaubhaftmachung gleicht die Sicherheitsleistung des Klägers aus (§§92111 S. 1, 92511 ZPO). „Die Parteien verhandelten unter Wiederholung der früheren Anträge zur Sache und über das Ergebnis der Beweisaufnahme. Vorgelesen, genehmigt. Es wurde das Urteil verkündet: Der Arrestbefehl vom 18. Februar i960 wird bestätigt. Die weiteren Kosten des Verfahrens werden dem Arrestbeklagten auferlegt.

Richter.

Urkund."

A u f h e b u n g w e g e n v e r ä n d e r t e r Umstände. Was soll ein Arrestbeklagter in Knokes Lage noch gegen den Arrest tun? 1. Im Widerspruchsverfahren steht ihm Berufung ans Landgericht zu, welches über die Rechtmäßigkeit des Arrests endgültig entscheidet (auch bei landgerichtlichen Arresten gibt es nur zwei Instanzen, sogar in revisiblen Objekten, § 54511). Da das Berufungsgericht wiederum an die Regeln der Glaubhaftmachung gebunden ist, verspricht das Rechtsmittel keinen Erfolg. 2. Knoke muß also versuchen, die Sache ins ordentliche Verfahren überzuleiten. Dies geschieht, indem er gegen Hunold im gewöhnlichen Prozeß negative Feststellungsklage (§256) erhebt. Will er nicht selbst klagen, so läßt er dem Arrestkläger

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Rechtsbehelfe des Arrestbeklagten

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gemäß § 9261 eine Frist bestimmen, in der dieser Klage zur Hauptsache erheben muß. Das ist auch nach rechtskräftiger Bestätigung des Arrests möglich. Die Fristsetzung erfolgt im Beschlußverfahren durch den Rechtspfleger (§19 Ziff. 11 RechtspflG); nach fruchtlosem Ablauf der Frist wird auf weiteren Antrag des Arrestbeklagten beim Arrestgericht ein Verhandlungstermin anberaumt und in diesem der Arrest durch Urteil aufgehoben. § 92611. 3. Ferner kann der Arrestbeklagte jederzeit, auch nach rechtskräftiger Bestätigung des Arrestes, seine Aufhebung wegen veränderter Umstände durch Urteil des Arrestgerichts herbeiführen (§ 927). Die „veränderten Umstände" können namentlich betreffen: den Wegfall des Arrestanspruchs (z. B. bei Abweisung im ordentlichen Verfahren), des Arrestgrundes (z. B. bei hinreichender Sicherheitsleistung durch den Schuldner) oder der Vollziehbarkeit des Arrestes (z. B. nach Ablauf der Vollziehungsfrist des § 92911). Das Verfahren ist Arrestsache mit dem Prinzip der Glaubhaftmachung und dem Aktenzeichen G ; für eine besondere Klage auf Aufhebung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. R G 132, 180. 4. Liegt dem Arrestbeklagten weniger an der Aufhebung der Arrestanordnung als vielmehr an der Aufhebung der gegen ihn ergangenen Vollziehungsmaßregeln, so hinterlegt er den zu 4 des Arrestbefehls bezeichneten Betrag und läßt sodann den Arrestvollzug im Beschlußverfahren aufheben (§9341, m). Zuständig ist der Rechtspfleger (§ 19 Ziff. 12 RechtspflG), das Arrestgericht selbst nur, wo es nach § 9301 S. 3 gepfändet hat. Knoke läßt das Urteil rechtskräftig werden, stellt auch keinen Antrag aus § 926. Dagegen reicht nach Verlauf mehrerer Monate sein Anwalt einen Antrag aus § 927 ein: „In der Arrestsache Hmold gegen Knoke beantrage ich namens des Arrestbeklagten gemäß § 927 Z P O die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über die Aufhebung des Arrestes wegen veränderter Umstände. Ich werde beantragen: den Arrestbefehl vom 18. Februar i960 aufzuheben. Begründung. 1. Im Strafverfahren gegen Pape u. Gen. ist der Arrestbeklagte, nachdem der Zeuge Lang ermittelt und gemäß § 66 StPO eidlich vernommen worden war, durch den hiermit überreichten Beschluß der Strafkammer des Landgerichts Köln vom 13. Juni i960 von der Anschuldigung der gewerbsmäßigen Hehlerei außer Verfolgung gesetzt worden (§ 1981 StPO). 2. In das Geschäft des Arrestbeklagten ist laut beiliegendem beglaubigtem Auszug aus dem Handelsregister am 18. Juni i960 der Kaufmann Ferdinand Bimsen als persönlich haftender Gesellschafter eingetreten. Bunsen besitzt nach der gleichfalls überreichten Bankauskunft ein Barvermögen von 50 000 D M . V o n einer Gefährdung der Forderung des Arrestgläubigers kann mithin nicht mehr die Rede sein. Abschrift usw. Für den Arrestbeklagten: Weiß, R A . "

Der Ausschluß der Haftung für die Verbindlichkeiten des bisherigen Inhabers (§ 2811 HGB) ist im Register nicht eingetragen. Die Haftung aus der Firma gemäß §§25, 28, 130 sowie die Vertretungsmacht des offenen Handelsgesellschafters (§ 1261) und die Solidarhaftung der Gesellschafter (§ 128) beschränken sich nicht auf vertragliche Verpflichtungen. Man wendet diese Grundsätze auch auf gesetzliche Obligationen (zu denen der bereicherungsartige Anspruch aus § 9511 BGB gehört) an, ja sogar auf Ansprüche aus Delikten und Quasi-Delikten, die auf dem

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Versäumnisurteil § 945 ZPO

Geschäftsbetrieb beruhen (z. B. Kraftfahrzeug- und Tierhalterhaftung, Boykott, unlauterer Wettbewerb, Patentverletzung, § 831 B G B ) . R G 46, 1 8 ; 76, 35. Der Arrestkläger gibt jetzt die Sache verloren. Im Termin erscheint: „ 1 . für den Arrestkläger niemand, 2. für den Arrestbeklagten RA Weiß. RA Weiß nahm Bezug auf den Antrag des Schriftsatzes vom und beantragte, gegen den Arrestkläger das Versäumnisurteil zü erlassen. Vorgelesen, genehmigt." Für das Versäumnisverfahren gelten, je nachdem es sich gegen den Kläger oder gegen den Beklagten richtet, verschiedene Grundsätze (S. 18). Wird Hunold als Kläger oder als Beklagter behandelt? Der Unterschied der § § 3 3 0 und 331 Z P O beruht auf dem Gedanken, daß die angreifende Partei ohne weitere Sachprüfung, die angegriffene Partei nur nach Prüfung der Schlüssigkeit verurteilt werden darf. Im Widerspruchsverfahren hat noch der Arrestkläger die Klägerrolle, weil der Arrestbeschluß ohne Anhörung des Gegners erlassen war und darum nicht als vollwertige Entscheidung zählen kann. Dagegen tritt im Aufhebungsverfahren des § 927 eine „Umkehrung der Parteirollen" ein: denn jetzt greift der Arrestbeklagte eine ordnungsmäßig zustande gekommene Entscheidung mit der Behauptung neuer selbständiger Aufhebungsgründe an. Baumbach zu § 927, 3 D . Folglich ist gemäß § 331 zu prüfen, ob die als zugestanden anzusehenden Behauptungen des Arrestbeklagten die Aufhebung des Arrestes rechtfertigen. „Es wurde folgendes

Versäumnisurteil verkündet: Der Arrestbefehl vom 18. Februar i960 und das ihn bestätigende Urteil vom 5. März i960 werden aufgehoben. Der Arrestkläger hat die Kosten des Aufhebungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar." Vgl. § § 9 1 , 7o8 5 . Über die Kosten des Arrestbeschluß- und des Widerspruchsverfahrens ergeht keine neue Entscheidung, da die Rechtmäßigkeit des bisherigen Arrestverfahrens durch die Aufhebung nicht berührt wird. Baumbach zu § 927, 3 D. Schadensersatz wegen ungerechtfertigten Arrestes: §945 statuiert eine vom Verschulden unabhängige Ersatzpflicht des Arrestklägers, wenn ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung sich als von Anfang an ungerechtfertigt erwiesen hat oder wegen Nichtbeachtung derFristen aus § 926 (oben S. 59) oder § 942 1 1 1 aufgehoben worden ist. Die Ersatzpflicht umfaßt sowohl den Schaden der Vollziehung selbst wie auch den Schaden, der dem Arrestbeklagten dadurch entsteht, daß er Sicherheit zur Abwendung der Vollziehung geleistet hatte. Er kann das Interesse des Arrestklägers an der Erwirkung des Arrestes um ein Vielfaches übersteigen: man denke etwa an einstweilige Verfügungen aus gewerblichem Rechtsschutz, durch welche die gewerbliche Produktion eines Fabrikanten lahmgelegt wird, oder an Zerstörung des geschäftlichen Kredits des Schuldners durch die Arrestvollziehung. Der Anwalt sollte, bevor er einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung beantragt, stets die Partei auf die ihr hieraus drohende Gefahr aufmerksam machen. Die Fälle der §§ 926, 942 1 1 1 sind klar: wer als Arrestkläger die ihm gesetzte Frist zur Klage im Hauptprozeß bzw. zur Ladung über die Rechtmäßigkeit verstreichen läßt, zeigt damit, daß er zu seiner Sache kein rechtes Vertrauen besitzt und muß die Folgen tragen. Was aber bedeutet „von Anfang an ungerechtfertigt", besonders bei Aufhebung wegen veränderter Umstände, wie sie in Sachen Hunold gegen Knoke geschehen ist? Das im Widerspruchsverfahren ergangene Urteil hat für die Schadensersatzfrage bindende Wirkung, jedoch vorbehaltlich der Entscheidung, die später im Hauptprozeß über den Arrestanspruch erlassen wird. Wenn also der Arrest auf Widerspruch aufgehoben war und die Begründung

Prozeßrichter des Amtsgerichts — Gerichtskostenrechnung

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ergibt, daß das Arrestgericht seine Voraussetzungen von Anfang an verneint, so steht damit die Ersatzpflicht des Arrestklägers endgültig fest. Wurde der Arrest rechtskräftig bestätigt, so ist es immer noch möglich, daß im ordentlichen Verfahren die Abweisung der Klage erfolgt, -woraus sich dann die Unrechtmäßigkeit des Arrestes und damit die Schadensersatzpflicht des Arrestklägers ergeben würde. Baumbach zu § 945, 3 B . War im Arrestverfahren über die Rechtmäßigkeit des Arrests kein Urteil ergangen, so ist der Regreßrichter in der Beurteilung der Rechtmäßigkeitsfrage frei. E r soll dabei auf den Zeitpunkt des Arrestes und auf den Standpunkt der Glaubhaftmachung stellen und hinsichtlich des Arrestgrundes prüfen, ob ein ruhiger und vernünftiger Mann damals bei gewissenhafter Überlegung objektiv berechtigt war, sich ernstlich beunruhigt zu fühlen und deshalb den Arrest zur Wahrung seiner Interessen als notwendig zu betrachten. R G 67/365. Die Aufhebung wegen veränderter Umstände besagt für die Rechtmäßigkeit und für die Schadensersatzpflicht natürlich nichts. Während die verwandten Ansprüche der §§ } 0 2 I V , 600II, 7 1 7 1 1 im ursprünglichen Verfahren durch Inzidentantrag geltend gemacht werden können, erfordert der Anspruch aus § 945 stets einen Hauptprozeß (im ordentlichen Gerichtsstand), weil er des Beweises bedarf und die im Arrestverfahren herrschende Glaubhaftmachung nicht genügen würde. E r unterliegt der 3 jährigen Deliktsverjährung (§852 BGB). Die Verjährung beginnt, sobald der Arrestbeklagte Kenntnis von dem durch die Vollziehung entstandenen Schaden hat und die Erfolgsaussicht des Ersatzprozesses einigermaßen sicher ist. R G 157/21. Auf den Steuerarrest (§ 378 AbgO) findet § 945 Z P O weder direkte noch analoge Anwendung, der Staat haftet also nur für schuldhafte Amtspflichtverletzung seiner Beamten gemäß Art. 34 G G , § 839 B G B . Dagegen gelten die eigentlichen Verfahrensvorschriften der Z P O auch für Steuerarreste. R G 108, 253; R F H 10, 34.

In der Geschäftsstelle G e r i c h t s k o s t e n r e c h n u n g . Das Gericht erhebt in Prozeßsachen je eine volle Gebühr nach dem G K G für das Verfahren im allgemeinen („Prozeßgebühr"), für die Anordnung einer Beweisaufnahme („Beweisgebühr") und für ein kontradiktorisches Urteil („Urteilsgebühr"). § 25 G K G . Der Abschluß eines gerichtlichen Vergleichs begründet eine besondere Gebühr (von 1 / 4 ) nur insoweit, als der Gegenstand des Vergleichs den des Prozesses überschreitet (§ 44): z. B. wenn nach Erhebung einer Teilklage das Gesamtobjekt verglichen wird. Dafür fällt durch den Vergleich eine in der Instanz etwa bereits entstandene Beweisgebühr — nicht hingegen sonstige Gebühren — weg (§ 29). Die Gebühren entstehen in jeder Instanz von neuem (§ 31), sie betragen in der Berufungsinstanz 15 / 10 , in der Revisionsinstanz 20 / 10 der gewöhnlichen Sätze (§ 34). Dazu treten dann noch „Auslagen" (§§ 91 f.), z . B . Zeugen- und Sachverständigengebühren und Schreibgebühren. Wer ist Kostenschuldner? Einmal die Partei, welche das Verfahren der Instanz beantragt hat, also der Kläger bzw. Berufungs- oder Revisionskläger (§951 S. 1). Liegt aber eine gerichtliche Entscheidung oder ein Vergleich über die Kosten vor, so haftet außerdem die Partei, welcher die Kosten auferlegt worden sind bzw. welche sie übernommen hat (§ 99). In erster Reihe soll die laut Urteil oder Vergleich kostenpflichtige Partei (sog. „Erstschuldner") zur Zahlung herangezogen werden; ist die Beitreibung von ihr erfolglos geblieben oder von vornherein aussichtslos, so wird der Antragsteller der Instanz — als „Zweitschuldner" — haftbar gemacht. § 1 0 3 1 1 . Die Berechnung der Gerichtskosten zählt zu den Obliegenheiten der Geschäftsstelle. Das Verfahren ist nach der Justizkassenordnung vom 30. Januar 1937 folgendes: Der Kostenbeamte stellt, sobald Gebühren oder Auslagen fällig sind, eine Kostenrechnung mit Angabe des Zahlungspflichtigen auf, die er unterzeichnet und für deren Richtigkeit er die Verantwortung trägt. Von jeder Rechnung übermittelt er der Gerichtskasse die Urschrift und eine Reinschrift. Auf Grund der Rechnung wird der Kostenbetrag in den Büchern der Kasse registriert und erhält ein „Kassenzeichen" („Sollbuch-Nr."). Mit dem Kassenzeichen versehen, gelangt die Rechnungsurschrift wieder zu den Prozeßakten, in denen sie weiterhin verbleibt. Die Reinschrift wird von der Kasse an den Kostenschuldner gesandt, sie enthält die Aufforderung: „die nachstehend berechnete Kostenschuld von binnen einer Woche nach Empfang an die Gerichtskasse unter Angabe des Kassenzeichens zu zahlen oder mit Angabe dieses Kassenzeichens portofrei einzusenden. Andernfalls kann ohne weitere Mahnung die zwangsweise Beitreibung erfolgen."

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Anwaltskosten

Die Zahlungsaufforderung trägt die Namensunterschrift des Buchhalters. Für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gilt die Gerichtskasse als selbständige Vollstreckungsbehörde ( § 2 Justizbeitreibungsordnung vom i i . März 1937). Als Titel gilt die Eintragung im Kostensollbuch auf Grund der Rechnung des Kostenbeamten. Die Gerichtskasse handelt auch hier wieder durch den Buchhalter, in gewissen Fällen durch den Kassenleiter oder sogar durch den Behördenvorstand (LGPräsident). Zulässig sind alle Vollstreckungsarten (in bewegliches und unbewegliches Vermögen, in Forderungen, Offenbarungseid und Konkurs, §§ 78fr. JKassO). Der Kostenbeamte hat demnach nur dafür zu sorgen, daß die dem Fiskus zustehenden Gebühren und Auslagen von der Kasse registriert werden, während die Einziehung nachher Sache der Kasse ist. — Das Verfahren vereinfacht sich, soweit Gerichtskosten und Auslagen in Kostenmarken entrichtet werden. K o s t e n f e s t s e t z u n g . In Sachen Noack gegen Nickel (S. 21 ff.) ist der Beklagte auf die Klage nur zur Zahlung von 120 D M nebst Zinsen verurteilt, der Kläger mit dem weitergehenden Zahlungsund dem Aufhebungsanspruch, der Beklagte mit der Widerklage abgewiesen worden. Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung, der Beklagte Anschlußberufung eingelegt. Beide Berufungen sind, nachdem ein vom Kläger benannter Zeuge in Duisburg vernommen worden war, vom Landgericht zurückgewiesen worden. V o n den Kosten beider Instanzen hat der Kläger 1 0 / u , der Beklagte und Widerkläger 1 / 11 zu tragen. R A Weiß überreicht eine Berechnung der dem Beklagten entstandenen Kosten und beantragt: „die vom Kläger nach dem Urteil des Landgerichts vom 7. Juli i960 an den Beklagten zu erstattenden Kosten nach Maßgabe der dort bestimmten Verteilung festzusetzen und mir vollstreckbare Ausfertigung des Festsetzungsbeschlusses mit Bescheinigung der Zustellung an den Kläger zu erteilen." Verfügung des Urkundsbeamten (§§ 104I S. 1, 106I S. 1 ZPO). „ 1 . Aufforderung an R A Schworz, binnen einer Woche seit Zustellung die Berechnung der dem Kläger entstandenen erstattungsfähigen Kosten bei der Geschäftsstelle einzureichen, widrigenfalls die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Kosten des Klägers erfolgen wird. Nachdem auf die ergangene Aufforderung auch der Kläger seine Kostenaufstellung eingereicht hat, werden die geltend gemachten Einzelpositionen, besonders die Anwaltskostenrechnung, vom Kostenbeamten auf ihre Erstattungsfähigkeit (§ 91) geprüft. Auf Grund der GebO f. R A steht dem Anwalt je eine volle Gebühr zu für den Geschäftsbetrieb einschließlich der Information („Prozeßgebühr"), für die mündliche Verhandlung („Verhandlungsgebühr") und für die Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren oder bei der Parteivernehmung nach § 619 („Beweisgebühr"). Für die Mitwirkung beim Vergleich erhält der Anwalt die volle Gebühr („Vergleichsgebühr"), § 23. Der nicht zum Prozeßbevollmächtigten bestellte Anwalt, der lediglich den Schriftwechsel mit dem Prozeßbevollmächtigten führt („Verkehrs"- oder „Korrespondenzanwalt") hat die „Korrespondenzgebühr" in Höhe der Prozeßgebühr zu beanspruchen (§ 52 1 ); der Anwalt, der lediglich einen Beweistermin wahrnimmt, je 5/10 der Prozeß- und der Beweisgebühr (§ 54). In der Berufungs- und Revisionsinstanz erhöhen sich die Anwaltsgebühren um drei Zehntel (§ n 1 S. 2). Neben den Gebührensätzen und Auslagen enthält die Anwaltskostenrechnung auch Umsatzsteuerbeträge. Nach § i 1 UmsStG v. 16. 10. 34 i. d. Fassg. v. 26. 12. 54 wird nämlich Umsatzsteuer nicht bloß von den Einnahmen der Geschäftsleute, sondern auch von den Entgelten für die Tätigkeit der meisten freien Berufe erhoben. Der Rechtsanwalt darf sie der Partei besonders in Rechnung stellen, weil er nach einer gesetzlich festgesetzten Gebühr zu liquidieren hat (§10). In einem kontradiktorischen Prozeß mit Beweiserhebung und Urteil entstehen also in jeder Instanz regelmäßig 3 Gerichts- und Anwaltsgebühren, im Fall des Vergleichs eine Gerichts- und 4 Anwaltsgebühren. Demgemäß lautet in Sachen Noack gegen Nickel die zusammenfassende Gerichtskostenrechnung: .Wert des Streitgegenstandes: 1300—1400 D M 1 ) 1. Prozeßgebühr 2. Beweisgebühr J)

I.Instanz, §§ 10,25 1 G K G I.Instanz, §§ 10, 25" G K G

. . . . . .

(10/io) 4 8 , - D M (10/IO)

4 8 - D M

Objekt der Klage 1260 D M (oben S. 24), dazu nach § 16 G K G die 62 D M der Widerklage.

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Kostenfestsetzungsbeschluß 5. 4. 5. 6. 7

Urteilsgebühr Prozeßgebühr Beweisgebühr Urteilsgebühr

1. Instanz, 2. Instanz, 2. Instanz, 2. Instanz,

(10/10) ( ls /io) (16/io) (16/io)

§§ 10, 25' G K G §§ 10, 251, 34 G K G §§ 10, Z52, 34 G K G §§ 10, 25®, 34 G K G

48,—DM 7 2 >—DM 7 2 «—DM 7 2 »—DM

(folgen die Zeugen- und Sachverständigengebühren und sonstigen Auslagen)." Jeder der beiden Prozeßbevollmächtigten liquidiert: „Wert des Streitgegenstandes: 1300—1400 DM 1. Prozeßgebühr 1. Instanz, §§ 11, 311 GebO f. RA . . . . (10/10) 71,—DM 2. Verhandlungsgebühr . . 1. Instanz, §§ 11, 312 GebO f. RA . . . . (10/10) 7 1 »—DM 3. Beweisgebühr I.Instanz, §§ 11, 313 GebO f. RA . . . . ( 10 / 10 ) 71,—DM 1 4. Prozeßgebühr 2. Instanz, §§ n S. 2, 3 1 1 GebO f. RA ( 13 / 10 ) 92,30 DM 1 5. Verhandlungsgebühr. . 2. Instanz, §§ n S. 2, 3 1 2 GebO f. RA (13/io) 92,30 D M 6. Beweisgebühr 2. Instanz, §§ 11 S. 2, 3 1 3 GebO f. RA ( 13 / 10 ) 92,30 DM 7. 4% Umsatzsteuer 19,60 DM (folgen die besonders zu erstattenden Auslagen, vgl. §§ 25 f.)." RA Blau in Duisburg, der für den Beklagten den dortigen Beweistermin wahrgenommen hat (der Kläger war unvertreten), setzt an Gebühren auf: „1. Prozeßgebühr, §§ n ' S . 2, 54 GebO f. RA ( 5 / 1 0 von 13 / 10 ) 46,20 DM 1 2. Beweisgebühr, §§ n S. 2, 54 GebO f. RA ( 5 / 10 von 13 / 10 ) 46,20 DM dazu Umsatzsteuer und Auslagen. Berücksichtigt werden nur die „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen" Kosten (§911 S. 1 ZPO). Die Kosten eines Anwalts sind immer erstattungsfähig, selbst wenn kein Anwaltszwang bestand (§ 9 1 1 1 ) . Da die Kosten des Duisburger Anwalts niedriger sind, als wenn RA Weiß zum Termin nach Duisburg gefahren wäre, sind auch diese Kosten erstattungsfähig. Regelmäßig genügt „Glaubhaftmachung" der Ansätze, hinsichtlich der Auslagen an Post- und Fernsprechgebühren sogar die Versicherung des Rechtsanwalts (§ 104 1 1 ). Hiervon besteht jedoch praktisch eine Ausnahme hinsichtlich der Gerichtskosten. Es muß nämlich verhindert werden, daß der Erstschuldner (z. B. Noack bezüglich der ihm durch das Urteil auferlegten 10 /n) im Festsetzungsbeschluß Gerichtskosten f ü r sich festsetzen läßt, die er noch gar nicht bezahlt hat und zu deren Zahlung an die Gerichtskasse der Gegner möglicherweise einmal als „Zweitschuldner" gezwungen sein wird (z. B. Nickel bezüglich der Kosten der von ihm eingelegten Anschlußberufung). Deshalb setzt der Urkundsbeamte Gerichtskosten, deren Zahlung ihm nicht nachgewiesen ist, zwar auf Antrag mit fest, aber er macht ihre Beitreibung vom Zahlungsnachweis der Partei abhängig. Aus den Prozeßakten ergibt sich die Zahlung nur, wenn sie in Kostenmarken erfolgt war; andernfalls muß sie durch Anfrage bei der Kasse festgestellt oder die Quittung von der Partei beigebracht werden. Falls die Gerichtskosten bereits bei der Aufstellung der Kostenrechnung entsprechend quotisiert sind, brauchen sie im Kostenfestsetzungsverfahren nicht berücksichtigt zu werden. Es verbleiben dann nur die außergerichtlichen Kosten der Parteien. Läßt man hier die Gerichtskosten außer Betracht, so wird der Kostenbeamte folgenden Festsetzungsbeschluß erlassen: In Sachen werden die von dem Kläger an den Beklagten nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts in Köln vom 7. Juli i960 zu erstattenden Kosten auf 504,20 D M (i. W . )

festgesetzt. Als erstattungsfähig sind zu berücksichtigen die in der anliegenden Aufstellung berechneten Kosten des Klägers mit 509,50 DM und die in der anliegenden Aufstellung berechneten Kosten des Beklagten mit 605,59 DM, zusammen 1115,09 DM. Hiervon hat der Kläger 10 In r n it 1013.70 DM, der Beklagte 1 / 11 mit 101,37 DM zu tragen, so daß der Kläger an den Beklagten noch 504,20 DM außergerichtliche Kosten zu erstatten hat. Köln, den 15. August i960. Amtsgericht, Geschäftsstelle. Urkund als Kostenbeamter. L u x , Schulung. 3. Aufl. (Berg)

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Prozeßrichter des Amtsgerichts — Aufrechnung mit Kostenerstattungsansprüchen

Durch den Festsetzungsbeschluß entstehen keine besonderen Gerichtsgebühren mehr. Der Festsetzungsbeschluß wird dem Gegner von Amts wegen zugestellt, dem Antragsteller, wenn sein Antrag ganz oder teilweise zurückgewiesen wird (§ 104I S. 2, 3). Binnen der Notfrist von zwei Wochen kann gegen den Beschluß des Kostenbeamten „Erinnerung" an das Gericht, binnen einer weiteren Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung der gerichtlichen Entscheidung kann sofortige Beschwerde erhoben werden, sofern der Beschwerdewert 50 D M übersteigt (§§ 1 0 4 1 1 1 , 577 1 1 , 567 1 1 ). Der Beklagte erhält vollstreckbare Ausfertigung mit Bescheinigung, an welchem Tage die Zustellung an den Kläger erfolgt ist, weil die Zustellungsurkunde in den Akten verbleibt und er den Zeitpunkt der Zustellung später den Vollstreckungsorganen nachzuweisen hat. Außer dem hier dargestellten „selbständigen" Kostenfestsetzungsbeschluß gibt es noch die „unselbständige" Festsetzung auf dem Urteil (§ 105), welche für den Kostengläubiger den Vorteil hat, daß er sofort bei Zustellung vollstrecken darf, während beim selbständigen Festsetzungsbeschluß eine Wartefrist von einer Woche einzuhalten ist (§ 798). Die Festsetzung auf dem Urteil setzt voraus, daß bei Anbringung des Festsetzungsgesuchs noch keine Urteilsausfertigung erteilt war und daß keine Verzögerung in der Ausfertigung eintritt, sie kommt also im Fall der Kostenausgleichung nach § 106 nicht in Frage. Der Referendar: Nach dem Urteil soll Nickel an Noack 30 D M nebst Zinsen, nach dem Festsetzungsbeschluß Noack an Nickel 250,33 D M zahlen. Ist zwischen den beiderseitigen Ansprüchen Aufrechnung möglich? Der Kostenbeamte: Der Kostenerstattungsanspruch ist ein privatrechtlicher Anspruch, wenn auch seine Voraussetzungen in der Z P O geregelt sind; daher bestehen gegen eine Aufrechnung keine Bedenken. Fraglich kann nur sein, von welchem Zeitpunkt an die Aufrechnung möglich ist. Die h. L . ( R G 145, 1 5 : Baumbach, Üb. vor § 91, 3 B) nimmt an, daß der Kostenerstattungsanspruch bereits mit der Rechtshängigkeit entsteht, aber aufschiebend bedingt ist durch den Erlaß eines den Gegner in die Kosten verurteilenden Urteils. Erst mit Erlaß des Urteils verwandelt er sich, und zwar zunächst in einen auflösend bedingten und mit der Rechtskraft des Urteils in einen unbedingten Anspruch. E r ist daher frühestens mit der Verkündung des Urteils als dem Eintritt der (aufschiebenden) Bedingung aufrechenbar, da Aufrechnung mit einer nur aufschiebend bedingten, also noch nicht fälligen Forderung nicht zulässig ist (§ 387 BGB). Der Festsetzungsbeschluß selbst ist für die Aufrechnungsfähigkeit bedeutungslos, da er nur noch die ziffernmäßige Höhe feststellt, die schon vor seinem Erlaß objektiv bestimmbar war. — Steht zu befürchten, daß die Partei, welche einen Teilbetrag der Hauptforderung zugesprochen erhält, aber den Hauptteil der Kosten zu tragen hat, sich der Kostenzahlung entziehen werde, so kann der Gegner sofort nach Urteilsverkündung und vor Kostenfestsetzung die Aufrechnung mit seinem Kostenerstattungsanspruch erklären, daraufhin gegen seine Verurteilung in der Hauptsache Vollstreckungsgegenklage erheben und einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil nach §§ 767, 769 Z P O erwirken, sofern er die ungefähre Höhe seines Erstattungsanspruchs glaubhaft macht. Vgl. A G Köln M D R 1959, 313 mit Anm. Pohle. Referendar: Muß der Anwalt der im Kostenpunkt obsiegenden Partei sich die Aufrechnung gefallen lassen? E r hat doch oftmals keine volle Vorschußdeckung von seiner Partei und ist darauf angewiesen, seine Kosten vom Gegner beizutreiben. Kostenbeamter: Der Armenanwalt darf nach § 124 seine Kosten auf seinen Namen festsetzen lassen und von dem in die Kosten verurteilten Gegner einziehen. Von diesem Ausnahmefall abgesehen, steht der Erstattungsanspruch des § 91 Z P O der Partei, nicht dem Anwalt zu. Der Anwalt hat Ansprüche nur an seinen Auftraggeber. Für diese kann er sich aber gemäß § 19 GebO f. R A alsbald einen vollstreckbaren Festsetzungsbeschluß durch die Geschäftsstelle ohne besonderen Prozeß verschaffen und dann die Ansprüche seines Mandanten pfänden. Davon abgesehen ist er dadurch, daß er die Akten in der Hand hat, die Festsetzung betreibt und sich den Festsetzungsbeschluß geben läßt, praktisch regelmäßig gesichert. Doch kommt es auch vor, daß die Partei den Kostenerstattungsanspruch zur Aufrechnung verwendet, sich die Kosten vom Gegner auszahlen läßt oder gar — zum Schaden des Anwalts, der ihr den Prozeß gewonnen hatl — sich mit der Gegenpartei über die Kosten vergleicht. Will der Anwalt sich hiergegen schützen, so muß er sich den Kostenerstattungsanspruch abtreten lassen, was bisweilen formularmäßig in der Prozeß vollmacht geschieht. Jedoch kann der Gegner, so lange er die Abtretung nicht kennt, kraft seines guten Glaubens die Partei als legitimierten Inhaber des Kostenerstattungsanspruchs betrachten. §§ 406, 407 B G B .

2. Kapitel.

In der Zivilkammer Hypothekenurteil. Betrug beim Grundstückskauf „Geschäftsnummer: 4 O 257.59. I m N a m e n des V o l k e s ! Verkündet am 22. Februar i960. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In Sachen des Likörfabrikanten Max Prozeßbevollmächtigter: R A Schwarz gegen den Gastwirt Hermann Freitag Prozeßbevollmächtigter: R A Weiß in •wegen Anspruchs aus Hypothek und

Brandler in Köln . . . . in Köln, in Rodenkirchen bei Köln, Köln, Kauf

Klägers, Beklagten,

hat das Landgericht 4. Zivilkammer in Köln auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar i960 d u r c h . . . . für Recht erkannt: Unter Abweisung im übrigen wird der Beklagte verurteilt, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück Rondorf Band III Blatt 69 wegen eines Betrages von 7000 D M (i. W.) nebst 6 % Zinsen seit dem 1. Juli 1959 zu dulden. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung des Klägers in Höhe von 8000 D M vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Beklagte ist eingetragener Eigentümer des im Grundbuch von Rondorf, Kreis Köln Band III Blatt Nr. 69 verzeichneten Gasthausgrundstücks „ Z u m Lindenhof", das er durch notariellen Vertrag vom 17. Februar 1957 von dem Voreigentümer, dem inzwischen verstorbenen Fabrikbesitzer Camphausen in Köln, für 39000 D M gekauft hat. In § 3 Absatz I V des Kaufvertrags war vereinbart, daß das Restkaufgeld in Höhe von 7000 D M gegen dreimonatliche Kündigung gestundet, mit 6 % nachträglich in Vierteljahrsraten verzinst und auf dem Kaufgrundstück hypothekarisch eingetragen werden sollte. Die Kündigung des Gläubigers wurde für einen früheren Zeitpunkt als den 2. Januar 1962 ausgeschlossen, doch sollte der Gläubiger zur sofortigen Geltendmachung der Forderung berechtigt sein, falls eine Zinsrate am sechsten Tage nach der Fälligkeit nicht bezahlt sein würde. Die Hypothek ist in Abt. III unter Nr. 3 für den Verkäufer Camphausen eingetragen worden. Beim Kaufabschluß war der Verkäufer durch den Gastwirt Uchteblau, der auch das Geschäft vermittelt hat, als Bevollmächtigten vertreten. Lichteblau hat das Grundstück vom 1 . April 1951 bis 31. März 1957 als Pächter bewirtschaftet. Die Auflassung hat Camphausen persönlich am i . A p r i l 1957 erklärt. Zusicherungen über Umsatz oder Ertrag der Gastwirtschaft sind im Vertrag nicht enthalten. Im Dezember 1957 wurden Forderung und Hypothek an den Kläger abgetreten und auf ihn im Grundbuch umgeschrieben. Die am 30. September 1959 fälligen Zinsen für das 3. Vierteljahr 1959 hat der Beklagte nicht bezahlt. Der Kläger hat daher am 7. Oktober 1959 Forderung und Hypothek durch Einschreibebrief zur sofortigen Rückzahlung gekündigt und Klage erhoben mit dem Antrag: 5*

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Zivilkammer — actio hypothekatia 1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 7000 D M (i. W.) nebst 6 % Zinsen seit dem 1. Juli 1959 zu zahlen, 2. wegen des zu 1. genannten Betrags die Zwangsvollstreckung in das Grundstück Rondorf Band III Blatt 69 zu dulden.

Welchem Zweck dient die zu 2 erhobene actio hypothecaria ? Der Grundstückseigentümer als solcher ist nicht Schuldner der Hypothekensumme. Er hat das Recht, nicht auch die Pflicht, den Gläubiger zu befriedigen. Deshalb kann zwar der Eigentümer gegenüber der Hypothek mit einer ihm an den Gläubiger zustehenden Forderung aufrechnen, auch wenn sich der Gläubiger im Konkurs befindet, nicht aber steht dem Gläubiger eine entsprechende Aufrechnungsbefugnis zu: denn die Aufrechnung des Gläubigers würde auf eine Befriedigung aus dem sonstigen Vermögen des Grundstückseigentümers hinauslaufen, auf die er keinen Anspruch hat. Die bestimmungsgemäße Realisierung des hypothekarischen Rechts geschieht so, daß der Gläubiger aus dem Grundstück und den mithaftenden Gegenständen seine Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung (nicht bloß der Zwangsversteigerung) sucht. §§ 1 1 1 3 , 1142, 1147 BGB. Um nun zur Vollstreckung zu gelangen, braucht der Hypothekengläubiger einen vollstreckbaren Schuldtitel. Da Freitag zugleich persönlicher Schuldner der Kaufpreisforderung ist, würde der Kläger sich durch die persönliche Klage einen Titel gegen ihn verschaffen können, auf Grund dessen das gesamte Vermögen des Beklagten, also auch das Grundstück, zur Zwangsvollstreckung gestellt wird. Aber nicht immer sind Eigentümer und persönlicher Schuldner identisch, und bei der Grundschuld fehlt es überhaupt an einem persönlichen Schuldner. Gegen einen Eigentümer, der nicht gleichzeitig die Schuldnerrolle hat, kann der Hypothekengläubiger nur „dinglich" — auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück oder auf Zahlung aus dem Grundstück — klagen. Und auch in unserem Fall tut der Kläger gut daran, sich nicht mit der persönlichen Schuldklage zu begnügen. Wenn er nämlich die Zwangsvollstreckung ins Grundstück aus persönlichem Schuldtitel betreiben wollte, würde er in der Zwangsvollstreckung die Rechtsstellung eines persönlichen Gläubigers haben. Ins geringste Gebot wären daher nicht nur die seiner Hypothek vorgehenden Rechte, sondern sämtliche Belastungen einschließlich seiner eigenen Hypothek aufzunehmen; eine Mietpfändung aus persönlichem Titel hätte nicht die Wirkung der „Beschlagnahme" gemäß §§ 1123/24; die §§ 325m ZPO, 26 Z V G wären unanwendbar. Andrerseits wird zweckmäßig die persönliche Klage mit der actio hypothecaria verbunden, weil der Kläger nicht wissen kann, ob er nicht bei der Befriedigung aus der Immobiliarmasse einen Ausfall erleidet und dann auf Freitags persönliche Haftung zurückgreifen muß. „ D e r Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen, hilfsweise: dem Beklagten die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten. E r behauptet: Bei den Kaufverhandlungen habe Uchteblau, um die von Camphausen für den Fall des Verkaufs ausgesetzte Provision zu verdienen, den Beklagten über den Umsatz getäuscht und ihm wider besseres Wissen eine durchschnittliche Tageslosung von über 100 D M , an Sonnund schönen Sommertagen von über 200 D M vorgespiegelt, obgleich der Durchschnitt in Wahrheit bloß 50—60 D M betragen habe. E r habe ursprünglich nicht mehr als 30000 D M für das Grundstück geben wollen, sei aber durch die Angaben Lichteblaus bewogen worden, die schließlich vereinbarten 39000 D M zu bewilligen. Ohne die arglistige Täuschung durch Lichteblau würde der Kauf zu einem Preis von höchstens 32000 D M zum Abschluß gekommen sein. Trotz größten Fleißes und vielfacher Anstrengungen sei es ihm nicht gelungen, den Umsatz über 70 D M im Tagesdurchschnitt zu steigern. Wenn die von Lichteblau genannten Zahlen

Zivilkammer — Tatbestand

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die richtigen gewesen wären, so würde das Grundstück 15 000 DM mehr wert gewesen sein. Diesen Betrag müsse ihm der Verkäufer Compbausm als Schaden ersetzen. Unstreitig hat der Beklagte schon im Mai 1957 Camphausen brieflich mitgeteilt, daß er von Uchteblau betrogen worden sei und Herabsetzung des Kaufpreises verlange. Camphausen hat damals abgelehnt. Der Beklagte hat dann Strafanzeige gegen Licbteblau erstattet, doch ist das Verfahren eingestellt worden, nachdem das als Hauptzeugin benannte Fräulein Stiebel als Verlobte des Lichteblau ihr Zeugnis gemäß § 52 1 StPO verweigert hatte. Der Beklagte behauptet weiter: Im September 1959 habe er durch Frl. Stiebel, die das Verlöbnis mit Lichteblau inzwischen gelöst hat, den genauen Sachverhalt erfahren. Er stellt nunmehr einen Teilbetrag seiner Schadensersatzforderung gegenüber der eingeklagten Hypothek und den Zinsen zur Aufrechnung. Der Kläger habe beim Erwerb der Hypothek die Täuschung gekannt, das ergebe sich schon daraus, daß er sowohl mit Licbteblau als auch mit Camphausen freundschaftlich verkehrt habe." In den Zusammenhang des streitigen Vorbringens des Beklagten sind eine Reihe unstreitiger Tatsachen — die Erklärung des Beklagten vom Mai 1957, der Verlauf des Strafverfahrens gegen Lichteblau, die Aufrechnung — eingefügt worden. Sie wären bei Wiedergabe der unstreitigen „Geschichtserzählung" unverständlich gewesen und hätten den Zusammenhang gestört (S. 4). „Der Kläger bestreitet die Behauptungen des Beklagten, hält sie aber für unerheblich, weil das Grundstück auch bei dem von Lichteblau tatsächlich erzielten Umsatz über 45 000 DM wert gewesen sei (Beweis: Sachverständige), der Beklagte also durch den Kauf keinen Schaden erlitten habe. Camphausen habe, indem er Lichteblau mit den Verkaufsverhandlungen beauftragt habe, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, denn Licbteblau habe damals in Fachkreisen allgemein als unbedingt zuverlässig und gewissenhaft gegolten (Beweis: Brauereidirektor Methner)."' Hier teilt das Urteil zum erstenmal Beweisantritte der Parteien mit. In den Tatbestand gehören nur die noch unverbrauchten Beweise, da der Tatbestand den Sach- und Streitstand z. Z . der letzten mündlichen Verhandlung wiedergibt und die Parteien zu diesem Zeitpunkt keine Beweise mehr beantragen, die bereits erhoben sind oder sich auf Tatsachen beziehen, die unstreitig geworden sind (vgl. oben S. j 9 ) . „Auf Grund des Beweisbeschlusses vom 6. November 1959 sind die Ehefrau des Beklagten, Frl. Stiebel und Licbteblau als Zeugen, der Brauereibesitzer Hopf und der Bücherrevisor Adam Riese als Sachverständige vernommen worden. Auf den Inhalt des Beweisbeschlusses sowie auf die Protokolle vom 2}. November 1959 und 4. Januar i960 wird Bezug genommen. Ferner haben die Strafakten der hiesigen Staatsanwaltschaft gegen Licbteblau wegen Betruges, Aktenzeichen 5 Js 460.57 vorgelegen, aus denen . . . . zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind." Die Angabe der Daten des Beweisbeschlusses und der Beweisaufnahme ist nur nötig zur Kenntlichmachung der Bezugnahme. Sie ist überflüssig bei einem ungekürzten Tatbestand, der den Beweisbeschluß und die Beweisaufnahme inhaltlich wiedergibt. Bei Heranziehung von Akten sind die Teile, welche zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, im Tatbestand genau zu bezeichnen. Urkundenbeweislich können solche Beiakten auch bei Widerspruch des Gegners des Beweisführers gewürdigt werden. Als Zeugenaussagen können darin enthaltene Aussagen dritter Personen aber nur gewertet werden, wenn beide Parteien sie als solche gelten lassen wollen. R G 105, 2 2 1 ; B G H 7, 1 1 6 . „Der Beklagte hat die Vernehmung des Klägers darüber beantragt, daß er im Jahre 1957 mit Lichteblau und mit Camphausen freundschaftlich verkehrt und alle wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten mit ihnen besprochen habe. Der Kläger hat sich zur Vernehmung bereit erklärt, hält diese aber für unerheblich.

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Zivilkammer — Zugesicherte Eigenschaften Entscheidungsgründe Mit der Klage macht der Kläger sowohl die persönliche Kaufgeldforderung wie die dingliche Hypothekenhaftung des Grundstücks geltend. Beide Ansprüche sind fällig, da durch die unstreitige Nichtbezahlung der Zinsen der Kläger zur sofortigen Forderung der 7000 D M berechtigt wurde. Es ist jedoch nur der dingliche Anspruch begründet. I. Soweit der Kläger die ihm abgetretene p e r s ö n l i c h e K a u f g e l d f o r d e r u n g geltend macht, muß er sich alle Einwendungen aus der Person seines Vormanns Camphausen und die vom Beklagten deswegen erklärte Aufrechnung entgegenhalten lassen, §§ 404, 406."

Beim Forderungserwerb wird der gutgläubige Zessionar nicht geschützt. „Mit Recht beruft sich der Beklagte darauf, daß Uchteblau als Bevollmächtigter Camphausens ihm bei den Kaufverhandlungen arglistig unrichtige Angaben über den Umsatz der Gastwirtschaft gemacht und ihn dadurch bewogen habe, einen um 7000 D M zu hohen Preis zu bewilligen. Zwar ist der Umsatz nicht Gegenstand einer Zusicherung (§ 459 1 1 ) gewesen. Denn der Beklagte trägt selbst nicht vor, daß er von Lichteblau eine Versicherung der Richtigkeit der Zahlen gefordert oder daß Lichteblau sie ihm gegeben hätte. Da der notarielle Vertrag keine Umsatzgarantie enthält, ist vielmehr anzunehmen, daß die Angabe des Lichteblau keinen rechtsgeschäftlichen Charakter trug, sondern eine beiläufige, rein tatsächliche Mitteilung war. R G 54, 2 1 9 " A l s „Eigenschaften" der Kaufsache werden, auch im Sinne des § 1 1 9 1 1 , neben den natürlichen Eigenschaften v o n der Rechtsprechung solche dauernden wirtschaftlichen Beziehungen der Sache anerkannt, welche deren Wert nach der Verkehrsauffassung wesentlich beeinflussen, wie Umsatz, Mietertrag u. dgl. D e r abstrakte Wert oder der Börsenkurs als solcher ist keine Eigenschaft R G 1 1 6 , 1 5 ; Zusicherungen brauchen nicht notwendig im notariellen Kaufvertrag beurkundet zu sein, denn gemäß § 3 1 3 S. 2 wird die nicht ordnungsmäßig beurkundete Nebenabrede mit dem ganzen Vertrag durch Auflassung und Eintragung des Käufers wirksam, vorausgesetzt, daß zur Zeit der Auflassung die Vertragsparteien über die Abrede noch einig sind. R G 5 2, 4 ; 1 3 4 , 244. Damit aber überhaupt eine Zusicherung vorliegt, muß der animus sese iuridice obligandi (S. 6) feststellbar sein. Hat der Käufer die Angabe der werterhöhenden Eigenschaft nicht als vertragsmäßig bindend verlangt, der Verkäufer sie nicht in dieser Weise erklärt, so liegt keine Zusicherung, sondern bloß eine tatsächliche Mitteilung des Verkäufers v o r : nicht jedes „ d i c t u m " ist auch ein „promissum". Dazu kommt die „ V e r m u t u n g der Vollständigkeit und Richtigkeit" der Urkunde, nach welcher die nicht in den endgültigen Vertrag aufgenommenen Abreden im Zweifel fallen gelassen worden sind. „Waren aber die Umsatzangaben arglistig, so kann der Beklagte wegen Gleichheit des Rechtsgrundes mit § 463 vom Verkäufer fordern, durch Schadensersatz wegen Nichterfüllung so gestellt zu werden, wie wenn der Verkäufer den Umsatz als Eigenschaft des Grundstücks zugesichert hätte. R G 132, 78. Ob der Wert des Grundstücks mit dem Umsatz, der tatsächlich erzielt wurde, den vereinbarten Kaufpreis übersteigt, ist, wie immer bei Zusicherungen, unerheblich. Der Verkäufer hat hierfür nach § 278 B G B einzustehen, da es sich um einen vertragsmäßigen Anspruch handelt und Lichteblau sich im allgemeinen Rahmen seiner Vollmacht gehalten hat. E r kann sich daher für di e behaupteten arglistigen Vorspiegelungen seines Vertreters nicht mit dem Nachweis entlasten, daß er Lichteblau mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ausgesucht habe. R G 83, 241." Wenn Freitag über den Gastwirtschaftsumsatz arglistig getäuscht wurde, so könnte er gemäß §§ 82311 wegen Betruges Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen. D e r Schadensersatz würde aber in Herstellung des Zustandes bestehen, der ohne das zum Schadensersatz verpflichtende T u n gegeben wäre (§ 249), d. h. der Käufer würde damit — ebenso wie mit der ihm ebenfalls offenstehenden A n fechtung aus § 1 2 3 — im allgemeinen bloß die Rückgängigmachung das ganzen G e schäfts erreichen, während Freitag doch das Grundstück behalten will. § 463 ist

Zivilkammer — Arglistiges Vorspiegeln von Eigenschaften

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direkt nicht anwendbar, denn Satz i setzt eine verbindliche „ Z u s i c h e r u n g " voraus, und nach Satz 2 muß ein „ F e h l e r " , im Sinne v o n § 4 5 9 1 vorliegen, der arglistig „verschwiegen" wurde. Die Rechtsprechung gibt dem Käufer aber den Anspruch in Analogie des § 463. M a n fragt dabei nicht, ob der Käufer ohne die arglistige Täuschung billiger gekauft haben würde und ob der Verkäufer, wenn der Käufer darauf bestanden hätte, die arglistig vorgespiegelte Eigenschaft auch vertragsmäßig bindend zugesichert haben würde: w e r seinem Vertragsgegner Angaben wider besseres Wissen macht, muß sich so behandeln lassen, als seien die Angaben zugesichert. D a der Anspruch als ein vertraglicher aufgefaßt wird, hat der Verkäufer für Arglist seines Vertreters nach § 278 einzustehen und kann sich nicht gemäß § 831 exkulpieren; ferner verjährt der Anspruch erst nach 30 Jahren (§§ 195, 4 7 7 , Fall der Arglist!), nicht 3 Jahre seit Kenntnis ( § 8 5 2 ) . Die Praxis geht sogar noch weiter und gibt dem Käufer auch Wandelung oder Minderung an Stelle des Schadensersatzes. R G 92, 295. Damit wird im Ergebnis neben die beiden gesetzlichen Gewährleistungsfalle des § 45 9 — Gebrauchsmangeln und zugesicherte Eigenschaft — die arglistige Vorspiegelung einer nicht zugesicherten Eigenschaft als dritter selbständiger Fall gesetzt. „Die arglistige Vorspiegelung Uchteblaus bei Vertragsschluß steht auf Grund der Beweisaufnahme fest." Die Entscheidungsgründe trennen nicht, wie das Gutachten, die S c h l ü s s i g k e i t s p r ü f u n g (d. h. die lediglich r e c h t l i c h e Prüfung des Vortrags der Parteien) v o n der T a t s a c h e n f e s t s t e l l u n g . Vielmehr wird nach Anführung der in Betracht kommenden Rechts sätze alsbald ausgeführt, daß die nach dem Gesetz erforderlichen Tatbestandsmerkmale gegeben sind, sei es weil sie unbestritten oder bewiesen sind. Die Entscheidungsgründe sind also nicht, wie das Gutachten, „mehrschichtig", sondern „einschichtig". V g l . Berg, Gutachten und Urteil, S. 145 fr., insbes. S. 1 4 7 f. „Wie die übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen Hopf und Reise ergeben, hat Lichteblau während seiner Pachtzeit im „Lindenhof" nur Umsätze von jährlich 17000 bis 19500 DM, also täglich knapp 50 D M erzielt. Als nun für den 16. Februar 1957 der Besuch des damals in Hessen wohnhaften Beklagten angemeldet wurde, äußerte Uchteblau nach Bekundung der Zeugin SHebel: ,den schlauen Hessen wollen wir mal ordentlich einseifen', lud alle seine Freunde und Bekannten für den Besichtigungstag ein und bat sie, ihm zu Liebe eine recht hohe Zeche zu machen, so daß das Gasthaus am 16. Februar ungewöhnlich stark besucht war und die Tageslosung 1 1 7 DM betrug. Uchteblau hat dem nicht widersprochen, vielmehr sein Zeugnis darüber, ob er die von der Stiebel bekundete Äußerung getan habe, auf Grund von § 3842 ZPO verweigert. Das Gericht ist deshalb bei aller Berücksichtigung des zwischen der Stiebel und Uchteblau bestehenden feindseligen Verhältnisses zu der Überzeugung gelangt, daß die mit großer Sicherheit abgegebene und beschworene Aussage der Stiebel den Tatsachen entspricht. Weiterhin steht durch die Beweisaufnahme fest, daß Uchteblau abends in Gegenwart des Beklagten Kasse machte und dabei, als er die Summe von 1 1 7 DM herausgerechnet hatte, ungefragt bemerkte: ,Das ist bei uns immer so, Sonntags und an schönen Sommertagen haben wir das Doppelte.' Der Erklärung des Uchteblau, daß er diese Worte nur ,zum Spaß' gesagt habe, hat das Gericht keinen Glauben schenken können. Es nimmt vielmehr nach der ganzen Sachlage an, daß Uchteblau, um sich die von Camphausen versprochene Vermittlerprovision von 500 D M zu verdienen, durch planmäßige Täuschung in dem Beklagten die Ansicht erwecken wollte, die Tageslosung von 1 1 7 D M sei eine Durchschnittslosung. Das ist ihm auch gelungen. Denn wie weiterhin als erwiesen anzusehen, hat der Beklagte, der vorher um den Preis scharf gehandelt hatte und nicht über 30000 D M für das Grundstück bewilligen wollte, nach jener Äußerung des Uchteblau erklärt, er sei mit dem Preis von 39000 D M einverstanden und die Sache solle am folgenden Tage notariell gemacht werden. Uchteblau hat glaubwürdig bekundet, daß Camphausen die Bemessung des Preises ihm überlassen habe und aller Wahrscheinlichkeit nach auch für 30000 D M verkauft haben würde.

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Zivilkammer — Sicherungs- und Verkehrshypothek Nach dem Hopfsehen Gutachten, dem sich das Gericht anschließt, ist das Grundstück mit 39000 D M nicht überzahlt, würde aber 8—12000 D M mehr wert sein, wenn die Gastwirtschaft eine durchschnittliche Tageslosung von 100 D M ergeben hätte. Der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzanspruch gegen Campbausen in Höhe von 7000 D M ist daher begründet." „II. Soweit der Kläger den din g l i c h e n Anspruch aus d e r H y p o t h e k geltend macht, versagen die Einwendungen des Beklagten an seinem guten Glauben. § 1138 B G B . "

Wird eine Sicherungshypothek abgetreten, so erwirbt der Zessionar, wie die Forderung, auch die Hypothek behaftet mit allen Einwendungen aus der Person des Zedenten, weil die Sicherungshypothek (ebenso wie Mobiliarpfand und Schiffspfandrecht) ein streng akzessorisches Recht ist. Bei der Verkehrshypothek will das Gesetz dem gutgläubigen Erwerber die Gewißheit geben, daß er unter allen U m ständen das hypothekarische Recht erlangt. Deshalb verleiht ihr § 1138 „Orderqualität", indem er den öffentlichen Glauben des Grundbuchs „für die H y p o t h e k " auf die Forderung und die ihr entgegenstehenden Einreden ausdehnt. B e s o n d e r h e i t e n d e r V e r k e h r s h y p o t h e k : Außer in der Frage des Schutzes des gutgläubigen Zessionars, unterscheiden sich Sicherungs- und Verkehrshypothek noch bezüglich der Rechtsstellung des gutgläubigen Eigentümers und der Kündigung: 1. Zahlt bei einer Sicherungshypothek der Eigentümer in Unkenntnis der Abtretung an den Zedenten, oder nimmt er gutgläubig ein sonstiges Rechtsgeschäft mit diesem vor, so wird er wegen der akzessorischen Natur der Sicherungshypothek gemäß §§ 406f. befreit. Bei Verkehrshypotheken wird durch § n j 6 , d e r die Kehrseite des § 1138 darstellt, die Anwendung der §§ 406f. „hinsichtlich der Hypothek" ausgeschlossen. Neben dem Schutz des gutgläubigen Zessionars ist für einen Schutz des gutgläubigen Eigentümers kein Raum. 2. Sicherungshypotheken werden durch Kündigung der persönlichen Forderung fällig gemacht, die der Gläubiger an den persönlichen Schuldner, oder der persönliche Schuldner an den Gläubiger zu erklären hat. Bei Verkehrshypotheken muß „ f ü r die Hypothek" die Kündigung zwischen Gläubiger und Gundstückseigentümer erfolgen. Systematisch ist die Regelung der Sicherungshypothek die einfachere und verständlichere. Das B G B geht aber von der Verkehrshypothek als dem Normalfall aus. Demgemäß modifiziert es zunächst in §§1138, 1141, 1156 die aus dem Wesen des akzessorischen Pfandrechts folgenden Regeln, um nachher in § 1185II für Sicherungshypotheken die Abweichungen außer Kraft zu setzen und damit die Regel wiederherzustellen. § 1139, der in § 1185II unter den Unterschieden der beiden Hypothekenformen mit aufgeführt wird, enthält eine Einschränkung des § 1138; er ist ohne erhebliche praktische Bedeutung, da Buch-Darlehns-Verkehrshypotheken im Verkehr kaum vorkommen. Eine (hie» nicht in Betracht kommende) Ausnahme gilt für Zinsen v o n V e r kehrshypotheken. Mit der Fälligkeit löst sich die Zinsrate v o m Stammrecht ab und verliert ihren Immobiliarcharakter. Deshalb werden rückständige Zinsen nach § 1 1 5 9 w i e gewöhnliche Forderungen ohne Briefübergabe (bei Briefhypotheken) und ohne Grundbuchumschreibung (bei Buchposten) abgetreten. Das Verhältnis des Eigentümers zum neuen Gläubiger bestimmt sich nach Obligationenrecht, d. h. der gute Glaube des Schuldner-Eigentümers, nicht derjenige des Zessionars, wird geschützt. In der Frage des guten Glaubens werden die obligationenrechtlichen Grundsätze durch § 1158 sogar auf die noch nicht fälligen Zinsen des folgenden Quartals erstreckt. Praktischer Grund: der Eigentümer soll gefahrlos Zinsen für ein Quartal im voraus an den ihm bekannten letzten Gläubiger zahlen können, ohne daß er jedesmal dessen sachenrechtliche Legitimation nachzuprüfen braucht. Damit hängt wiederum zusammen, daß in § 1160111 das Recht des Schuldner-Eigentümers auf Vorlegung des Hypothekenbriefs hinsichtlich der Zinsen ausgeschlossen wird. „ D e r Beklagte hat den ihm obliegenden Beweis, daß der Kläger beim Erwerb der Hypothek die Gegenforderung des Beklagten, insbesondere die von Lichteblau begangene arglistige Täuschung kannte, nicht erbracht."

Zivilkammer — Verschiedene Entscheidung über Hypothek und Forderung

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Wenn der Beklagte nicht auch für die Bösgläubigkeit des Klägers Beweis angetreten hätte, so wäre im ersten Termin ohne Beweiserhebung durch Teilurteil (§ 301 Z P O ) seine Verurteilung auf die dingliche K l a g e ausgesprochen worden. „Weder Licbteblau noch Stiebel haben bekunden können, daß der Kläger über die Art und Weise des Vertragsabschlusses im einzelnen unterrichtet war. Auch durch die vom Beklagten beantragte Parteivernehmung des Klägers würde der Beweis der Bösgläubigkeit des Klägers nicht erbracht. Selbst wenn es richtig ist, daß der Kläger im Jahre 1957 mit Licbteblau und mit Camphausen freundschaftlich verkehrt und alle wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten mit ihnen besprochen hat, so folgt daraus nicht, daß er über den Sachverhalt, aus dem sich der Schadensersatzanspruch des Beklagten ergibt, unterrichtet war. Der Kläger mußte um so mehr an die Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche glauben, als der Beklagte die Zinsen bis Ende Juni 1959 pünktlich gezahlt hat. Der Beklagte war also auf die Hypothekenklage zur Zahlung der 7000 D M nebst Zinsen seit 1. Juli 1959 zu verurteilen; dagegen war die auf persönliche Verurteilung gerichtete Klage abzuweisen, weil insoweit die Aufrechnung mit der Schadensersatzforderung durchgreift. Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß § 92 1 ZPO gegen einanderaufgehoben worden. Das Urteil war gemäß § 710 S. 1 ZPO gegen eine vom Kläger zu leistende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Antrag des Beklagten, ihm gemäß § 7 1 3 1 1 ZPO die Abwendung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung vorzubehalten, ist dadurch gegenstandslos. Richter I.

Richter II.

Richter III.

V g l . Baumbach, § 7 1 3 A n m . 2. D e r Referendar: Wenn das Urteil Rechtskraft erlangt, so hat sich doch die H y pothek in eine Grundschuld verwandelt? D e r Richter: I m praktischen Ergebnis haben Sie nicht unrecht. Das Gesetz vermeidet jedoch die Grundschuldkonstruktion. E s faßt das Rechtsverhältnis so auf, daß die Hypothek akzessorisches Recht bleibt und die Forderung nur „ f ü r die H y p o t h e k " — d. h. soweit sie den notwendigen Unterbau für das hypothekarische Recht bildet — als bestehend fingiert wird, während sie sonst — als Forderung — nicht besteht. §§ 1 1 3 8 , 89z B G B . Wir wollen lieber sagen: das Urteil zeigt augenfällig, daß Verkehrshypothek und Forderung verschiedene rechtliche Schicksale haben können. A u c h aus § 1 1 5 6 sowie aus der Kündigungsvorschrift des § 1 1 4 1 ergeben sich Möglichkeiten des Auseinanderfallens der beiden Haftungen. Verkehrshypothek und Forderung werden in diesen Punkten ähnlich behandelt wie mehrere Gesamtschuldner (vgl. § 425). V o l l s t r e c k b a r e U r k u n d e . Die vorstehend besprochene persönliche und dingliche Klage aus einer hypothekarisch gesicherten Forderung erübrigt sich, wenn der persönliche Schuldner und Grundstückseigentümer — wie es in der Praxis die Regel ist — auf Verlangen des Gläubigers in einer notariellen oder gerichtlichen Urkunde sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, § 794 Ziff. 5 ZPO. Der Gläubiger bzw. der Rechtsnachfolger des Gläubigers kann sich eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen lassen (§ 797*- 1 1 ZPO) und die Zwangsvollstreckung sofort betreiben. Es ist Sache des Schuldners, klageweise gegen den Gläubiger vorzugehen, und zwar im Wege der sog. Vollstreckungsgegenklage, wenn er Einwendungen gegen den Anspruch geltend machen will (§§ 767, 797 V 1 ZPO). Notfalls kann er die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 ZPO erwirken. — Der Gläubiger ist aber auch bei einer vollstreckbaren Urkunde gemäß § 7941 Ziff. 5 ZPO nicht gehindert, die hier angestrengte Klage zu erheben, da er bei Durchführung der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde mit einer Vollstreckungsgegenklage des Schuldners rechnen muß. Das Rechtsschutzinteresse ist in einem solchen Falle zu bejahen; auch liegt noch keine rechtskräftige Entscheidung vor, da einer vollstreckbaren Urkunde keine Rechtskraftwirkung zukommt. B G H N J W 1957, i m .

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Zivilkammer— Armenieehtsgesuch

Verlöbnissache Feststellungsklage. Armenrecht Sportlehrer Kraft aus Köln-Lindenthal hat auf der Rechtsantragsstelle des Landgerichts folgendes Armenrechtsgesuch ( § § 1 1 5 , 118, 1 1 9 ZPO) zu Protokoll erklärt: „Ich beabsichtige gegen die am 28. August 1940 geborene Bibliotheksgehilfin Annette Gudehrn, vertreten kraft elterlicher Gewalt durch ihre Mutter verw. Archivrat Irene Gudebus geb. Vulpius in Düsseldorf, Dorotheenstr. 15 auf Grund des nachstehenden Sachverhalts Klage zu erheben. Die Beklagte war ungefähr i 1 ^ Jahre lang in Köln als Hilfsbibliothekarin beschäftigt. Wir lernten uns auf einer Skitour kennen und haben seitdem kameradschaftlich und freundschaftlich mit einanderverkehrt, uns geduzt, geküßt, zusammen Ausflüge unternommen und uns gegenseitig Geschenke gemacht, uns jedoch nicht verlobt. Vielmehr hat die Beklagte, wenn ich von Verloben und Heiraten sprach, jedesmal erwidert: das sei vorläufig ganz aussichtslos, denn in ihrer Familie halte man nur von Literaturmenschen etwas und wollte keine .Muskelidioten', ich müßte bis zu ihrer Volljährigkeit warten. Im September v. J . besuchte ich auf Einladung eines meiner Kunden das Freiluftbad Jungfernsee' und traf dort zufällig mit einer Freundin der Beklagten, Sonja Brettler, zusammen. Das wurde der Beklagten in der Weise hinterbracht, als ob ich mich mit Sonja Brettler verabredet hätte. Sie schickte mir darauf meine Geschenke zurück und verlangte die ihrigen heraus. Ich gab ihr Aufklärung, doch blieb sie dabei, daß sie mit mir nichts mehr zu tun haben wolle, und ist bald nachher von Köln abgereist. Die Geschenke habe ich ihr nicht zurückgegeben, weil ich sie dadurch zwingen wollte, sich später wieder mit mir auszusöhnen. Im Dezember erhielt ich von der Beklagten den hiermit überreichten Brief: Lieber Kurt! Du weißt, daß ich s. Z. Deinetwegen die Stelle beim .Verein der Bücherfreunde' in Dortmund ausgeschlagen habe. Ich würde dort mit 160 D M monatlich sofort fest angestellt worden sein und hätte Aussicht auf Gehaltszulage gehabt. Jetzt kann ich trotz aller Bemühungen keine feste Stellung bekommen, sondern muß froh sein, ab und zu mit Vertretungen ein paar Mark zu verdienen. 1500 D M habe ich bis' jetzt schon eingebüßt. D u bist mir moralisch und juristisch zum Ersatz verpflichtet, denn ich habe Dortmund nur um Deinetwillen abgelehnt, und durch die Sache mit dem Freiluftbad und Sonja hast D u mich gezwungen, unser Verlöbnis aufzulösen. Also schreibe mir bald, in welcher Weise Du Deine Schuld tilgen willst. Außerdem verlange ich nochmals meine Bilder und die übrigen Geschenke (Zigarettenetui, Armbanduhr, Medaillon) zurück. Mit Gruß Annette. Ich erwiderte am 16. Dezember: Liebe Annettel E s ist mir etwas ganz Neues, vonDir zu erfahren, daß wir verlobt gewesen sind. Früher hast Du vom Verloben nichts wissen wollen. Da Deine Mutter mit unseren Beziehungen nicht einverstanden war, wäre ein wirkliches Verlöbnis auch gar nicht möglich gewesen. Wieso D u mir einen Vorwurf daraus machst, daß ich nach .Jungfernsee' gegangen bin, verstehe ich auch nicht, da ich dort nichts Unmoralisches begangen habe. Du wolltest ja sogar gern einmal in ein Freiluftbad mit mir gehen. Also muß ich Deine Schadensersatzansprüche zurückweisen. Solche Ansprüche würden Dir höchstens dann zustehen, wenn wir verlobt gewesen wären und ich grundlos von der Verlobung zurückgetreten wäre. Auch gebe ich Dir Deine Geschenke nicht zurück, denn sie sind mir eine liebe Erinnerung und ich hoffe immer noch, daß D u vernünftig werden wirst und daß wir wieder zusammenkommen. Mit vielen Grüßen Dein Kuri.

Zivilkammer — Rechtsnatur des Verlöbnisses

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Nunmehr schreibt mir die Mutter der Beklagten: Einschreiben! Düsseldorf, den i. Februar

i960.

Herrn Kurt Kraft, Köln-Lindenthal Im Anschluß an den Brief meiner Tochter vom 3. Dezember v. J . fordere ich Sie auf, binnen 10 Tagen die dort bezeichneten Bilder und Geschenke herauszugeben und 1550 D M Verlöbnisschaden zu zahlen. Genaue Schadensberechnung steht Ihnen auf Wunsch zur Verfügung. Nach fruchtlosem Ablauf der gestellten Frist werde ich annehmen, daß Sie die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung wünschen. Irene Gudehus, geb. Vulpius."

Die Rechtsnatur des Verlöbnisses ist streitig. Manche fassen es als rein tatsächliches Verhältnis, die Ansprüche der §§ 1298 f. B G B als deliktsähnliche Obligationen auf. Andere betrachten das Verlöbnis als Vertrag familienrechtlicher Art, auf den die Geschäftsfähigkeitsvorschriften des allgemeinen Teils keine Anwendung finden (vgl. Palandt, Einf. 1 zu §§ 1297 fr.). Nach diesen Ansichten kann zwischen nicht voll Geschäftsfähigen ein wirksames Verlöbnis ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bestehen. Nach herrschender Meinung ist jedoch das Verlöbnis ein Vertrag, dem nur der Erfüllungszwang fehlt (§ 1297), während er sonst den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften unterliegt, woraus die Notwendigkeit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters folgt. Andererseits gibt man dem minderjährigen Verlobten das Recht, selbständig vom Verlöbnis zurückzutreten, weil er gegen seinen Willen doch nicht zur Eheschließung gezwungen werden könnte. R G 98, 13 c. cit. Schadenersatzansprüche können aus einem aufgelösten Verhältnis erwachsen, wenn ein Teil die Verlobung grundlos aufhebt (§ 1298) oder wenn er dem anderen Rücktrittsgründe gibt (§ 1299). Der Unterschied ist bloß der, daß die Ersatzpflicht des Zurückgetretenen schon durch das Vorhandensein eines objektiven „wichtigen Grundes" (z. B. schwere Krankheit und Siechtum) ausgeschlossen wird, während der Anspruch gegen den Nichtzurückgetretenen nur durch solche „wichtige Gründe" gerechtfertigt wird, die ein Verschulden darstellen. Der Deflorationsanspruch des § 1300 setzt den Tatbestand entweder des § 1298 oder des § 1299 voraus. Dieser Anspruch besteht auch nach Eintritt der Gleichberechtigung weiter, da die weibliche Geschlechtsehre auf Grund der naturgegebenen Verschiedenheit von Mann und Frau auch heute noch eines besonderen Schutzes bedarf. Vgl. B G H . 20, 195 und N J W 1959, 531. Neben diesen, auf wichtigen Grund bzw. Verschulden abgestellten Schadensersatzforderungen gewährt § 1301 beiden Verlobten bei jeder Auflösung des Verlöbnisses, außer durch Tod, die Kondiktion dessen, was sie dem anderen Verlobten geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben haben (Verlobungsringe!). Trägt eine Partei die Schuld an der Aufhebung des Verlöbnisses, so versagt man ihr die Rückforderung der eigenen Geschenke gemäß § 815, wenn sie „wider Treu und Glauben" die Eheschließung verhindert hat. Palandt Anm. 2 zu § 1301. Mit dieser Begründung kann sich aber Kraft der Rückgabe der ihm gemachten Geschenke nicht entziehen: Annette Gudehus hat vielleicht einen harmlosen Vorfall übermäßig aufgebauscht, keinesfalls jedoch dabei gegen ihre bessere Überzeugung gehandelt, so daß ihr ein Verstoß gegen Treu und Glauben sicherlich nicht zur Last zu legen ist. „Ich will Feststellungsklage erheben mit dem Antrag: die Beklagte zu verurteilen anzuerkennen: 1. daß der Besuch eines Freiluftbades keinen Grund zur Auflösung eines Verlöbnisses darstellt,

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Zivilkammer — Feststellungsklage 2. daß ein Eheversprechen zwischen uns niemals stattgefunden hat, j . daß der Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz und auf Herausgabe von Geschenken an mich zusteht."

Das Verhältnis von Recht und Rechtsschutz war im älteren römischen Recht so geregelt, daß nur klagen konnte, wem eine spezielle Klagformel zu Gebote stand. Später wurde dieses „Aktionensystem" — bei dem die actio als materiellrechtlicher Anspruch im Grunde bloß Abstraktion aus der durch die actio als prozessuale Klagformel geschaffenen Klagmöglichkeit war — aufgegeben und der Grundsatz anerkannt, daß jeder zivilrechtliche Anspruch durch Klage auf die entsprechende Leistung („Leistungs-" oder „Verurteilungsklage") geltend gemacht werden könne. Dagegen blieb die „Feststellungsklage" lange Zeit hindurch auf einzelne besondere Fälle („Präjudizial" und „Provokationsklagen") beschränkt, bis die Z P O sie unter den Voraussetzungen des §256 generell zuließ. Für die dritte Klagart, die auf rechtsänderndes Urteil gerichtete „Rechtsgestaltungs"- oder „Konstitutivklage", gilt noch jetzt das Aktionensystem, denn sie findet ausschließlich in den gesetzlich bestimmten Fällen statt. Die Rechtsgestaltungsklagen zerfallen wieder in zwei Gruppen: Klagen auf Änderung materieller Rechtsverhältnisse (z. B. Ehescheidung, Ausschließung eines offenen Handelsgesellschafters, Auflösung einer oHG oder GmbH) und Klagen auf Beseitigung prozessualer Akte (Restitutions- und Nichtigkeitsklage, Anechtungsklage gegen Entmündigungsbeschluß oder Ausschlußurteil, Vollstreckungsgegenklage, Interventionsklage, Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs u. dgl.). — Wenn Feststellungsklagen auf „Verurteilung" zur „Anerkennung" tenoriert werden, so ist das auf die Unklarheit zurückzuführen, die — in Nachwirkung des alten römischen Aktionensystems mit seiner Doppeldeutigkeit des Begriffs der actio — über das Wesen der Klage und ihr Verhältnis zum materiellen Recht vielfach auch bei Juristen herrscht. Man glaubt, daß jeder Klage ein zwischen den Prozeßpartein bestehender materieller Anspruch zugrunde liegen müsse (wie es bei der weitaus häufigsten Form, der Leistungsklage, tatsächlich der Fall ist), und gelangt so bei der Feststellungsklage zu einer Art zivilrechtlicher obligatio ad agnoscendum. In Wahrheit ist die Klage im modernen Recht nicht mehr Ausfluß der materiellen Berechtigung. Das beweist gerade die negative Feststellungsklage, bei der ja der Kläger keine solche Berechtigung für sich in Anspruch nimmt, vielmehr lediglich eine ihm durch den Beklagten drohende Gefährdung seiner Rechtssicherheit abwehren will. Das Urteil wird also, wenn Kraft Erfolg hat, nicht auf Verurteilung zur Anerkennung, sondern auf Feststellung des Nichtbestehens der Ansprüche der Beklagten lauten müssen. Tenor: „ E s wird festgestellt, daß . . . " oder einfacher: „der Beklagten stehen keine Ansprüche auf. . . aus . . . . gegen den Kläger zu". § 256 spricht (bei der Urkundenechtheitsklage) von „ A n erkennung" der Urkunde, meint aber damit Anerkennung durch das Gericht, nicht durch den Beklagten. — Die unkorrekte Fassung eines Feststellungsantrags bildet natürlich keinen Grund die Klage abzuweisen. Zulässig ist aber nur die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses. Unzulässig ist die Feststellung von bloßen Tatsachen, wenn man von dem in § 256 genannten praktisch bedeutungslosen Ausnahmefall der Feststellung der Echtheit einer Urkunde absieht. Unzulässig ist ferner die Feststellung abstrakter Rechtsfragen. Der Antrag zu 1. erscheint bedenklich, weil er seiner Fassung nach eine abstrakte Rechtsfrage klären will, der Antrag zu 2., weil er als Feststellung der Tatsache eines Eheversprechens aufgefaßt werden kann. Eine Umdeutung erscheint aber nicht angebracht, weil beide Anträge schon aus einem anderen Grunde unzulässig sind. Das Gericht muß notwendigerweise zu ihnen Stellung nehmen, um den Antrag zu 3. zu entscheiden. E s fehlt daher das in § 256 geforderte rechtliche Interesse an einer gesonderten Feststellung. Vgl. auch unten S-99f über die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage.

Zivilkammer — Beweislast bei negativer Feststellungsklage

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Das für den Feststellungsantrag zu j . erforderliche „rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung" ist durch den Einschreibebrief der Mutter mit seiner K l a g e drohung gegeben. Das wirtschaftliche Interesse, „ z u wissen, woran man ist", genügt. Kraft braucht nicht zu warten, bis innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist (§ 1302 B G B ) von Frau Gudehus (oder nach erreichter Volljährigkeit v o n Annette Gudeaus selbst) die Leistungsklage erhoben wird. „ Z u m Beweis beziehe ich mich auf die beiden hiermit überreichten Originalbriefe, über deren Echtheit ich die Klägerin bzw. ihre gesetzlichen Vertreterin als Partei zu vernehmen beantrage. Darüber, daß wir uns die Ehe nicht versprochen und daß wir keine Ringe ausgetauscht haben, werde ich ebenfalls Parteivernehmung beantragen." K r a f t glaubt augenscheinlich, daß er als Kläger das Nichtbestehen der A n sprüche des Beklagten beweisen müsse. A b e r dadurch, daß der angebliche Schuldner der K l a g e des Gegners mit der negativen Feststellungsklage zuvorkommt, wird an der sonst gegebenen Verteilung der Beweislast nichts geändert (Baumbach zu § 256 A n m . 4 D ) . Das Verlöbnis im Rechtssinn, d. h. Einverständnis über die spätere Eheschließung mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Braut und die übrigen anspruchsbegründenden Tatsachen hat also die Beklagte zu beweisen. Überhaupt hängt die Beweislast immer an der materiellen Rechtsstellung, nicht an der Parteirolle im Prozeß. Wenn in der Praxis der negative Feststellungskläger häufig Beweis für die Nichtentstehung des vom Beklagten behaupteten Anspruchs antritt, so beruht das wiederum auf der falschen Vorstellung einer obligatio ad agnoscendum als eines der condictio verwandten Rechts. — Wäre die von Kraft beantragte Parteivernehmung erheblich, so wäre nach § 45 5 1 1 S. 1 Z P O nicht die gesetzliche Vertreterin, sondern die nicht prozeßfähige Annette Gudehus als Partei zu vernehmen. Das Gesuch schließt ab: „Ich überreiche Armutszeugnis der Stadtverwaltung v o m 1. und Bescheinigung des Finanzamts Köln-Süd vom 8. Februar i960 und beantrage: mir für die erste Instanz einschließlich der Zwangsvollstreckung das Armenrecht zu bewilligen und mir zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung meiner Rechte einen beim Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt und zur vorläufig unentgeltlichen Bewirkung von Zustellungen und Vollstreckungshandlungen einen Gerichtsvollzieher beizuordnen. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben. Kurt Kraft. Geschlossen: Urkund." Die Bescheinigungen ergeben, daß Kraft ein Einkommen v o n weniger als 1200 D M und kein Vermögen, dagegen ungefähr 1000 D M Schulden hat, also außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn notwendigen Unterhalts die Kosten zu bestreiten (§ 1141). Nach § 118 1 1 S. 1 wird die Armut regelmäßig durch ein „ v o n der obrigkeitlichen Behörde der Partei" ausgestelltes Zeugnis nachgewiesen. Das ist regelmäßig die Stadt- bzw. die Gemeindeverwaltung, bei Personen unter Vormundschaft oder Pflegschaft das Vormundschaftsgericht ( § 118 1 1 S. 2 Z P O ) ; zur Erhebung der Alimentenklage seitens eines unehelichen Kindes bedarf es überhaupt keines Armutszeugnisses ( Z P O § 118 1 1 S. 2 letzter Halbsatz). In dem vorgeschriebenen Formular muß der Antragsteller das Finanzamt zur Erteilung von Auskünften über seine Steuerverhältnisse ermächtigen, und es ist eine Finanzamtsbescheinigung beizubringen. V O des RFinM v o m 8. April 1922 (prMBl. i. V . 629). Unbeschadet dieser Zeugnisse und Bescheinigungen kann das Gericht selbständig weitere Ermittlungen über die Vermögenslage anstellen und kann die Voraussetzungen des § 114 verneinen.

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Zivilkammer — Armenrechtsverfahren

Kann eine Partei die Kosten voraussichtlich in Raten bezahlen, so ist zwar die Bewilligung eines „Raten"armenrechts unzulässig; es ist aber zulässig, mit der Bewilligung des Armenrechts einen Nachzahlungsbeschluß (Nachzahlung in Raten) nach § 125 ZPO zu verbinden, BGH 10, 139. Bezüglich der Geschenke befindet sich Kraft jedenfalls im Unrecht. Denn lag ein von der Mutter genehmigtes Verlöbnis vor, so sind sie nach § 1 3 0 1 B G B , andernfalls wegen der Minderjährigkeit der Beklagten herauszugeben. Dagegen bietet die negative Feststellungsklage über die angedrohten Schadensersatzansprüche eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 1 1 4 1 S. 1 ZPO). Die Zuständigkeit des Landgerichts Köln folgt nach der Vertragstheorie (S. 75) aus § § 2 9 Z P O , 269 B G B : die „streitige Verpflichtung", nämlich die Ersatzpflicht Krafts, ist dort zu erfüllen, wo er bei Entstehung des Rechtsverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, also in Köln. Nach § n 8 a i S. 2 soll vor der Bewilligung des Armenrechts der Gegner gehört werden. Verfügung: „ 1 . Abschrift des Armenrechtsgesuchs einschließlich der Briefe erhält verw. Frau Archivrat Gudehus zur Erklärung mit Frist von 2 Wochen. Nach dem überreichten Armutszeugnis und der überreichten Bescheinigung des Finanzamts hat der Antragsteller ein Einkommen von weniger als 1200 DM und kein Vermögen, dagegen ungefähr 1000 DM Schulden. Wird im Hinblick hierauf die Klageandrohung des Briefes vom 1. Februar d. J. aufrechterhalten? 2. Nach 2 Wochen." Vielleicht erklärt Frau Gudehus, daß sie eine Klage gegen Kraft mit Rücksicht auf die Unbeitreibbarkeit der Forderung nicht beabsichtige. Dann würde das rechtliche Interesse Krafts an der alsbaldigen Feststellung beseitigt, mithin die Feststellungsklage nicht mehr aussichtsvoll sein. Zum mindesten wäre dann anzunehmen, daß eine Partei, die nicht im Genuß des Armenrechts ist, bei verständiger Würdigung des gleichen Sachverhalts vom Prozessieren absehen würde und demgemäß müßte die Ablehnung des Armenrechts wegen „Mutwilligkeit" erfolgen. § 1141 S. 1. Ergeben sich aus der Erklärung von Frau Gudehus tatsächliche Streitpunkte von Erheblichkeit, so kann das Gericht gemäß 118 al S. 1 und 5 vom Antragsteller eine „Glaubhaftmachung" (S. 55,60) verlangen oder Ermittlungen anstellen. Das Gericht kann aber auch das Armenrecht bewilligen und die Klärung der Tatfragen dem Prozeß überlassen, denn „hinreichende Aussicht auf Erfolg" bedeutet nicht volle Sicherheit des Erfolges, und es ist unerwünscht, wenn die Ermittlungen nach § 118 al, über Einholung von Akten, Auskünften u. dgl. hinausgehend, die Beweisaufnahme des späteren Rechtsstreits vorwegnehmen. Vgl. BGH NJW i960, 98. Verspätete Armenrechtsbewilligung: Sucht eine Partei das Armenrecht zur Erhebung des Einspruchs oder eines Rechtsmittels nach und ergeht die Entscheidung, die das Armenrecht versagt, erst nachdem für die arme Partei die Einspruchs- bzw. Rechtsmittelfrist versäumt ist, so gibt man auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Notfrist (§ 2351 ZPO). Die durch § 234 ZPO gesetzte zweiwöchige Frist für diesen Antrag beginnt alsbald nach Bekanntgabe der Entscheidung. — Die verzögerte Behandlung des Gesuchs durch das Gericht gilt als „unabwendbarer Zufall" i. S. des § 233 ZPO. Dabei genügt es, daß das Armenrechtsgesuch am letzten Tag der Frist eingereicht wird. Jedoch müssen bis zu diesem Tage alle erforderlichen Unterlagen (insbes. betr. Armut) vorliegen; jedenfalls muß die Partei alles getan haben, um die Unterlagen rechtzeitig einzureichen. BGH 16,1; 27, 132; NJW 1959, 1322; B A G NJW 1961 45. Das rechtzeitig und vollständig eingereichte Armenrechtsgesuch schützt auch vor der Verjährung, wenn es eine Klage betrifft, mit der die Verjährung unterbrochen werden sollte. Die Armut der Partei und die Verzögerung der Armenrechtsbewilligung sind „Verhinderung" des Berechtigten durch „höhere Gewalt", daher wird die Verjährung gehemmt. § 20311 BGB. Vgl. BGH VersR i960, 991. Armenrecht in besonderen Fällen: i. Das Armenrecht kann in allen zivilprozessualen Verfahrensarten, also auch im Mahnverfahren, Urkundenprozeß, Entmündigungs- und Aufgebotsverfahren sowie der Zwangsvollstreckung bewilligt werden. Ebenso für Konkurs und Vergleichs-

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Zivilkammer — Einzelrichter

verfahren (§§72 K O , 1 1 5 VerglO). Durch das Armenrecht wird der Konkurs-Antragsteller aber nicht von dem Massekostenvorschuß (§§ 107I S. 2, 204I S. 2 K O ) befreit, denn dieser Vorschuß fällt nicht unter die Gerichtskosten und,,baren Auslagen" des § 1 1 5 1 ZPO. 2. Im Strafprozeß gibt es ein Armenrecht für den Privatkläger (§ 3 7 9 1 1 1 StPO). 3. Nach § 14 R F G G , § 1 8 1 1 RNotO kann das Armenrecht auch für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere für notarielle Amtshandlungen, bewilligt werden. Der Notar, welcher im Armenrecht tätig werden soll, entscheidet selbst über die Bewilligung; lehnt er ab, so hat der Antragsteller Beschwerde an den Landgerichtspräsidenten im Dienstaufsichtswege. Das Armenrecht bezieht sich nur auf die Gebühren, nicht auf Auslagen. Ein Anspruch auf Gebührenzahlung an die Staatskasse steht dem Notar nicht zu. J W 3 1 , 2036 2 (KG). 4. Einer Partei kraft Amtes (Konkursverwalter, Testamentsvollstrecker, Nachlaß- oder Zwangsverwalter) kann das Armenrecht bewilligt werden, wenn die zur Prozeßführung erforderlichen Mittel weder aus der verwalteten Masse noch von den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten (Konkursgläubiger, Erben usw.) aufzubringen sind (§ H 4 m ) . Der Nachlaßpfleger ist nicht Partei kraft Amtes sondern gesetzlicher Vertreter: für ihn gilt § 1 1 4 I . 5. Inländische juristische Personen können unter den Voraussetzungen zu 4 das Armenrecht bekommen, wenn außerdem „die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder -Verteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde" (§ i i 4 I V ) , d.h. wenn die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen würde, B G H 25, 183. Diese Bestimmung ist auf eine o H G nicht entsprechend anzuwenden; vielmehr ist für die Bewilligung des Armenrechts hier ausreichend, wenn weder sie noch ihre Gesellschafter in der Lage sind, die Prozeßkosten zu bestreiten N J W 1954, 1933.

Notwendige Streitgenossenschaft V o r b e r ei t e n d e r S c h r i f t s a t z w e c h s e 1. In der durch den Verweisungsbeschluß vom 1 1 . Februar i960 beim Landgericht anhängig gewordenen Sache Finke gegen Rädler (S. 8 ff.) läßt R A Schwarz als Anwalt der Klägerin durch Schriftsatz vom 18. Februar i960 die Beklagten zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits laden. „Ich werde beantragen: 1. die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 1200 D M (i. W.) nebst 6% Zinsen seit 1. Januar i960 zu zahlen, 2. das Urteil, nötigenfalls gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Im November 1958 erhielt die beklagte Ehefrau auf ihr Ersuchen von der Klägerin, ihrer Kusine, ein bares Darlehn von 1200 DM, dessen Rückzalung vereinbarungsgemäß spätestens Ende Dezember 1959 erfolgen sollte. Der Beklagte zu 2. hat sich für dieses Darlehn in schriftlicher Erklärung selbstschuldnerisch verbürgt. Gerichtsstand Köln ist vereinbart. Beweis: Zeugnis des Ehemanns der Klägerin, Vorlage der Bürgschaftserklärung. 21 D M Restprozeßgebühr werden in Kostenmarken beigefügt. Für die Klägerin: SchwärRechtsanwalt."

Wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit und der Vorschußzahlung vgl. § 710 S. 1 ZPO, §§ 38111, i m S. 2 G K G , oben S. 1, 9. Auf den Antrag bestimmt der Vorsitzende binnen 24 Stunden Termin vor der Kammer. Die Ladung des Gegners erfolgt auch beim Landgericht von Amts wegen. Sie hat die Aufforderung an den Gegner zu enthalten, einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Anwalt zu bestellen, §§215, 216 ZPO. Bei Anberaumung des ersten Termins ist nicht die Einlassungs- (§§ 261, 262), sondern bloß die einwöchige Ladungsfrist (§ 217) zu wahren, weil die Sache bereits mit der Zustellung des Verweisungsbeschlusses als beim Landgericht anhängig gilt (S. 12). A n sich ist gemäß § 348 S. 1 jede Sache zunächst vor dem Einzelrichter zu verhandeln, der auch Termin hierzu bestimmt. Einzelrichter ist bei Zivilkammern der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmendes Mitglied der Kammer, bei der Kammer für Handelssachen der Vorsitzende (§ 350I). Der Einzelrichter ist nicht beauftragter Richter, sondern steht an Stelle des Kollegiums. E r hat einen

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Zivilkammer — Versäumnisurteil gegen Streitgenossen

selbständigen Machtbereich und ist an Weisungen des Vorsitzenden oder Kollegiums nicht gebunden. Die Einrichtung des Einzelrichters hat sich jedoch in der Praxis nicht bewährt und meist nur zu unnötigen Verzögerungen geführt. Es wird daher regelmäßig hiervon abgesehen, wozu § 348 S. 2 die gesetzliche Handhabe bietet. V o r dem Termin meldet sich für die beklagte Ehefrau R A Weiß mit Klagebeantwortung: „Antrag: die Klage gegen die beklagte Ehefrau abzuweisen, im Falle einer ohne Sicherheitsleistung der Klägerin vorläufig vollstreckbaren Verurteilung: der beklagten Ehefrau die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten." Vgl. § 71311, dazu oben S. 24. „Begründung. 1. Die beklagte Ehefrau war von dem Töpfermeister Hans Guier in Sürth, welcher ein Vetter sowohl der Klägerin wie der beklagten Ehefrau ist, um ein Darlehen angegangen worden. Beweis: Hans Guder. Aus diesem Grunde bat sie die Klägerin, die mit ihrem Manne zu Besuch in Weiß weilte, um das Darlehen. Die Klägerin gab der beklagten Ehefrau das Geld. Diese hat später dem Hans Guder die 1200 DM gegeben und ihm gesagt, daß sie sich das Geld von der Klägerin habe leihen müssen und daß Hans Guder nun endlich anfangen solle, ein sparsames und ordentliches Leben zu führen. Beweis: Hans Guder. 2. Im August 1959 war die beklagte Ehefrau zu Besuch bei der Klägerin. Sie erzählte ihr, daß Hans Guder gar nicht daran denke, ihr die 1200 DM zurückzuzahlen, und bat die Klägerin, ihr die Rückzahlung zu erlassen, weil sie in guten Verhältnissen sei. Hierauf ging die Klägerin ein, nachdem ihr Ehemann ihr sagte: ,Tue es. Schließlich ist der Hans ebensogut Dein Vetter wie von der Hedwig.' Beweis: Parteivernehmung. Für die beklagte Ehefrau: Weiß, Rechtsanwalt." Verhandlung. Notwendige Streitgenossenschaft. Versäumnisurteil und B e w e i s b e s c h l u ß . „öffentliche Sitzung Köln, den 5. März i960, der 4. Zivilkammer des Landgerichts. Gegenwärtig: Landgerichtsdirektor X als Vorsitzender Landgerichtsräte Y und Z als Beisitzer, Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In Sachen Finke gegen Rädler und Genossen erschienen bei Aufruf der Sache: 1. für die Klägerin RA Schaar 2. für die beklagte Ehefrau RA Weiß. Für den Beklagten zu 2. war niemand erschienen. RA Schwär^ verlas den Antrag aus dem Schriftsatz vom 18. Februar i960, RA Weiß verlas den Antrag der Klagebeantwortung vom 29. Februar i960. Die Klägerin und die beklagte Ehefrau verhandelten hierauf zur Sache. Gegen den Beklagten zu 2. beantragte RA Schmarl Erlaß des Versäumnisurteils. Es wurde festgestellt, daß der Schriftsatz vom 18. Februar i960 nebst Ladung und Terminsbestimmung zum heutigen Termin dem Beklagten zu 2. am 20. Februar i960 zugestellt worden ist. Vorgelesen, genehmigt."

Zivilkammer — Notwendige Streitgenossenschaft

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Darf das beantragte Versäumnisurteil ergehen? Die Rechtskraft der Urteile beschränkt sich grundsätzlich auf die Parteien, ihre Rechtsnachfolger und gewisse andere Personen, deren Rechte wahrzunehmen die Partei befugt war (§§325 f. Z P O ) . Denn der Zivilprozeß beruht auf der Verhandlungsmaxime, und es wäre unbillig, die Wirkungen eines objektiv unrichtigen Urteils, das vielleicht nur durch fehlerhafte oder nachlässige Prozeßführung der Partei — durch Anerkenntnis, Versäumnis, Nichtbenennung oder verspätete Benennung von Zeugen, Unterlassung der Einlegung von Rechtsmitteln usw. — zustande gekommen ist, auf einen Dritten auszudehnen. Hätte Frau Finke die Beklagten in zwei gesonderten Prozessen verklagt, so müßte Herr Reuter zweifellos verurteilt werden, obgleich der Hauptschuldner (die Beklagte zu 1) einen von der Klägerin bewilligten Schulderlaß (§ 397) geltend macht und die Verurteilung des Hauptschuldners materiell ungerechtfertigt sein würde, falls der Erlaß bewiesen wird. U m derartige widerspruchsvolle Entscheidungen zu verhindern, schreibt § 62 Z P O vor, daß in den Fällen der „notwendigen Streitgenossenschaft", wenn einzelne Streitgenossen einen Termin oder eine Frist versäumen, die Säumigen als durch die Nichtsäumigen vertreten gelten. Ein Versäumnisurteil gegen den säumigen Streitgenossen darf daher nicht ergehen. Ferner hemmt die von einem Streitgenossen eingelegte Berufung oder Revision die Rechtskraft zugunsten aller. (Umgekehrt ist das g e g e n nur einen notwendigen Streitgenossen eingelegte Rechtsmittel unzulässig, B G H 23, 73.) § 62 setzt voraus a) die Notwendigkeit gemeinsamer Rechtsverfolgung („sonstiger Grund" i. S. des § 62); sie liegt vor, wenn aus Gründen des materiellen Rechts nur alle zusammen aktiv oder passiv legitimiert sind; b) die Notwendigkeit „einheitlicher Feststellung" (1. Alt. des §62); hier liegt die Notwendigkeit nicht in der Rechtsverfolgung, sondern in der Urteilswirkung, sei es daß die Rechtskraft sich auf alle erstreckt, sei es daß der Streitgegenstand für die Streitgenossen völlig identisch ist. Vgl. eingehend B G H 30, 1960. Die F ä l l e n o t w e n d i g e r S t r e i t g e n o s s e n s c h a f t sind selten. Z. B. müßten nach der Struktur der Gesamthandberechtigung die Gesamthänder eigentlich zusammen klagen (Fall a), doch gibt § 2039 B G B dem Miterben die Befugnis, selbständig auf Zahlung zum ungeteilten Nachlaß zu klagen, und nach Analogie dieser Vorschrift wird die Klage des BGB-Gesellschafters auf Leistung an die Gesamtheit der Gesellschafter zugelassen. Vgl. Staudinger (11. Aufl.) Anm. 55 fr. zu § 705 BGB. Mehrere Schuldner sind nach B G B fast immer Gesamtschuldner und als solche einzeln belangbar. Bedarf es zur Vollstreckung in ein Gesamthandsvermögen eines Titels gegen sämtliche Mitberechtigten (z. B. nach § 747 Z P O zur Vollstreckung in den ungeteilten Nachlaß eines gegen alle Erben ergangenen Urteils), so kann sich der Gläubiger die Schuldtitel nacheinander durch Einzelklagen verschaffen. Nur wenn von den Miterben eine von ihnen gemeinschaftlich vorzunehmende (§ 20401 BGB) Verfügung, wie Zustimmung zu einer Grundbuchberichtigung, verlangt wird, ist die Gesamthandklage der einzige Weg. Aber selbst hier braucht der Gläubiger solche Miterben, gegen die schon ein Urteil vorliegt oder die ihm eine formgerechte Urkunde ausstellen, nicht mitzuverklagen. Vgl. Staudinger (11. Aufl.) Anm. 20 zu § 2040 BGB. — Positive Beispiele der notwendigen Streitgenossenschaft zu a): Prozessuale Gestaltungsklagen, die mehrere betreffen, z. B. Klagen mehrerer Gesellschafter auf Entziehung der Geschäftsführung oder Vertretungsmacht oder auf Ausschließung (§§117, 127, 133, 140 HGB), die Nichtigkeitsklage des Staatsanwalts bei Doppelehe gegen beide Eheleute (§ 63 211 ZPO), Wandlung mehrerer oder gegen mehrere (§§467, 356 BGB); zu b): Erstreckung der Rechtskraft auf alle liegt namentlich vor bei den Gestaltungsklagen des Ehe- und Kindschaftsrechts, bei Klagen auf Nichtigkeit einer A k t G , GmbH, Genossenschaft (§§200, 216 A k t G , 75 GmbHG, 51, 96 GenG). Völlige Identität des Streitgegenstandes ist namentlich gegeben bei der Klage auf Feststellung zur Konkurstabelle gegen mehrere Widersprechende, R G 96, 254, aber auch wenn mehrere Gesamthandberechtigte (Miterben, Miteigentümer bei Klage auf Herausgabe), die an sich nicht notwendig zusammen L u x , Schulung. J. Aufl. (Berg)

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Zivilkammer — Einfache Streitgenossenschaft

klagen müssen, also nicht unter a) fallen, tatsächlich zusammen klagen, R G 96, 53; 119,168, OGH NJW 50, 597; Rosenberg, Lehrbuch des ZPRechts (8. Aufl.) § 95 II i b . E s ist rechtlich nicht möglich, einen Fall, in dem nur aus Gründen der Logik eine einheitliche Entscheidung notwendig oder wünschenswert wäre, den in § 62 Z P O aufgeführten Fällen der notwendigen Streitgenossenschaft gleichzustellen, B G H 30, 199t. Hauptschuldner und Bürge sind daher einfache Streitgenossen, so daß in dieser Hinsicht gegen das beantragte Versäumnisurteil gegen den Beklagten zu 2. keine Bedenken bestehen. Bedenken wegen der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts (oben S. 9) werden durch die Behauptung der Klägerin, die Zuständigkeit des Kölner Gerichts sei vereinbart, ausgeräumt. Diese Behauptung gilt gemäß § 331 1 1 ZPO „als zugestanden". Hätte die Klägerin den Gerichtsstand Köln nicht behauptet, so hätte allerdings kein Versäumnisurteil ergehen dürfen, da das Gericht nicht zuständig gewesen wäre. Die in § 39 ZPO vorgesehene Prorogation des Gerichtsstandes ist nur möglich, wenn der Beklagte zur Hauptsache mündlich verhandelt, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen. Er muß also im Termin vertreten sein. — Hätte die Klägerin erst im Termin behauptet, Köln sei als Gerichtsstand vereinbart, so hätte gleichfalls kein Versäumnisurteil ergehen dürfen, da diese Behauptung zunächst dem Beklagten zugestellt werden muß. Vgl. oben S. 19. Einfache Streitgenossen: Abgesehen von dem Fall des Hauptschuldners und Bürgen sind einfache Streitgenossen namentlich: Aussteller und Akzeptant eines Wechsels (RG 48, 215); einzelne Miterben, gegen die auf Feststellung der Nichtigkeit eines Testaments geklagt wird (BGH 23, 73); Gesellschafter einer OHG, gegen die auf Feststellung geklagt wird, daß ein Mitgesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschieden sei (BGH 30, 195). Da Hauptschuldner und Bürge nur einfache Streitgenossen sind, hat das Urteil gegen den Hauptschuldner keine Rechtskraftwirkung gegen den Bürgen. Der Bürge kann daher trotz rechtskräftiger Verurteilung des Hauptschuldners den Bestand der Hauptschuld bestreiten. Er kann insbesondere einen dort abgewiesenen Aufrechnungseinwand weiter geltend machen, R G 122, 148. Wird die Aufrechnung vom Hauptschuldner erst nach seiner rechtskräftigen Verurteilung erklärt, so kann er die Einrede des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 BGB erheben, wenn diese dem Hauptschuldner vor seiner Verurteilung zugestanden hat. BGH 24, 97. Umgekehrt kann der Bürge, wenn er rechtskräftig zur Zahlung verurteilt wurde, nicht geltend machen, daß die Klage gegen den Hauptschuldner später abgewiesen wurde. Es bleibt ihm nur die Möglichkeit, sich an dem Hauptschuldner schadlos zu halten mittels einer Regreßklage, bei der das Bestehen der Hauptschuld neu erörtert wird. Es wird daher gegen den Beklagten zu 2. Versäumnisurteil nach dem Antrag vom 18. Februar i960, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar verkündet und in abgekürzter Form auf die Klageschrift vom 18. Februar i960 gesetzt. Vgl. S. 20; wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit: § 708 3 . Über die Klage gegen Frau Rädler wird streitig verhandelt. E s ergeht dann folgender „Beschluß I. Es soll Beweis erhoben werden über folgende Fragen: Hat die Klägerin im August 1959 die Bitte der Beklagten zu 1. ihr die Rückzahlung des Darlehns zu erlassen, abgelehnt? Oder hat sie den Erlaß erklärt, weil Hans Guder nicht daran denke, der Beklagten zu 1. die 1200 DM zurückzuzahlen, und weil sie selbst in guten Verhältnissen sei ? Hat sie sich hierzu bereit erklärt, nachdem ihr Ehemann ihr gesagt haben soll: ,Tu es. Schließlich ist der Hans ebensogut Dein Vetter wie von der Hedwig ?' durch Vernehmung des Ehemannes der Klägerin, Gastwirts Erich Finke in Godesberg als Zeugen, von der Klägerin benannt.

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Zivilkammer — Entscheidung nach Aktenlage

II. Die Vernehmung des Zeugen soll durch das Amtsgericht in Godesberg im Wege der Rechtshilfe erfolgen. III. Das Vernehmungsersuchen ist davon abhängig, daß (folgt Auflage gemäß § 379 Z P O , oben S. 31) Landgerichtsdirektor X

Urkund."

Auf das Zeugnis des Ehemanns Finke, der ja nicht Partei ist (S. 11), konnte sich Rechtsanwalt Schwarz gegenüber der zu 2 der Klagebeantwortung beantragten Parteivernehmung berufen. Denn die Parteivernehmung soll letztes Beweismittel bleiben. Vgl. oben S. 32 und § 450 n . Der Referendar nach dem Termin zum Richter: Hätte R A Schwarz statt des Versäumnisurteils nicht lieber Urteil nach Aktenlage (§ 331 a) gegen Herrn Rädler nehmen sollen? Der Richter: Urteil nach Aktenlage wäre schon darum nicht möglich gewesen, weil es — zum Unterschied von dem nach Aktenlage erlassenen Beweisbeschluß — voraussetzt, daß bereits einmal mündlich verhandelt worden war (§§ 251 a 1 S. 2, 3 3 1 a S. 2). Die Entscheidung nach Lage der Akten ist aber überhaupt nicht sehr praktisch, weder in dem Fall, daß sie bei Nichterscheinen beider Parteien nach eigenem Ermessen des Gerichts an die Stelle der Anordnung des Ruhens des Verfahrens (§25ia), noch daß sie bei Nichterscheinen einer Partei auf Antrag des Anwesenden an Stelle eines Versäumnisurteils tritt. Denn soll die Entscheidung nach Aktenlage ein Urteil sein, .so darf dieses nicht alsbald verkündet werden, sondern das Gericht muß zur Verkündung Termin nicht unter einer Woche ansetzen, den Termin der nicht erschienenen Partei durch Einschreibebrief bekanntgeben und von der Verkündung absehen, falls die Partei vor der Verkündung glaubhaft macht, daß sie im Verhandlungstermin unverschuldet ausgeblieben sei. Dann ist das Verfahren ins Wasser gefallen und die in der Beratung des Gerichts geleistete Arbeit umsonst getan. Für den Beweisbeschluß nach Aktenlage besteht allerdings keine solche Erschwerung. Aber wenn die Parteien nicht erscheinen, so hat das in der Regel seine triftigen Gründe, und ein verständiger Richter wird sich scheuen, einen Beweisbeschluß zu erlassen und auszuführen, während die Parteien vielleicht auf dem Wege zur Verständigung sind oder sich gerade über die in den Beweisbeschluß aufgenommenen, früher streitig gewesenen Punkte verständigt haben. E i n s p r u c h . E i n s t e l l u n g der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g . „ A n das Landgericht 4. Zivilkammer hier.

Köln, den 9. März i960.

In Sachen Finke gegen Rödler u. a., Aktenzeichen 4 O 127.60, lege ich namens des Beklagten Josef Reuter gegen das am 5. d. M. verkündete, noch nicht zugestellte Versäumnisurteil Einspruch ein. Ich werde beantragen: unter Aufhebung des Versäumnisurteils die Klage gegen Josef Reuter abzuweisen, im Fall einer ohne Sicherheitsleistung der Klägerin vollstreckbaren Verurteilung: dem Beklagten zu 2. die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten. Zur Begründung werde ich den Inhalt der Klagebeantwortung der Beklagten z u i . vom 29. Februar i960 vortragen. 6*

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Zivilkammet — Kompetenz des Einzelrichters Gleichzeitig beantrage ich: die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisutteil einstweilen einzustellen. Beglaubigte Abschrift zur Zustellung an die Klägerin liegt bei. Für den beklagten Ehemann: Weiß, Rechtsanwalt."

Vgl. §§ 338—340a, 707, 719. — Solange das Versäumnisurteil noch nicht zugestellt ist, beginnt die zweiwöchige Einspruchsfrist (§339) nicht zu laufen; die §§ 516, 552, wonach Berufungs- und Revisionsfrist spätestens 5 Monate nach Verkündung des Urteils zu laufen beginnen, sind auf die Einspruchsfrist nicht entsprechend anwendbar, BGH 30, 299. Ein Versäumnisurteil sollte daher im eigenen Interesse des Obsiegenden stets alsbald nach Erhalt zugestellt werden! Auf den Einspruch wird Verhandlungstermin angesetzt und die Akten werden vom Amtsgericht Godesberg zurückgefordert. Könnte ein Einzelrichter selbständig über den E i n s t e l l u n g s a n t r a g befinden? Er hat die allgemeine Aufgabe, die Sache so weit zu fördern, daß sie später vom Kollegium möglichst in einem einzigen Termin erledigt wird („Konzentrationsmaxime"). Er ist also z. B. befugt, Termine anzuberaumen und zu vertagen, Beweisbeschlüsse zu erlassen, auszuführen und aufzuheben, auswärtige Gerichte um Beweishandlungen zu ersuchen, als „Prozeßgericht" über Beeidigung von Zeugen gemäß § 391 zu entscheiden, Fristen nach § 356 zu bestimmen, sein Verfahren (nicht dagegen das Verfahren vor der Kammer) zur Feriensache zu erklären und wieder als Feriensache abzusetzen (§ 200IV GVG). Von Entscheidungen weist ihm § 3491 ZPO insbesondere zu: die nicht kontradiktorischen Urteile, Verweisungen zwischen Zivilkammer und KfHS, die Entscheidung über die meisten prozeßhindernden Einreden einschließlich der sich daraus ergebenden Verweisungen. Erklären sich beide Parteien einverstanden, so kann der Einzelrichter außerdem in vermögensrechtlichen Prozessen (also nicht z. B. in Ehesachen 1) streitige Urteile erster Instanz fällen, gegen die dasselbe Rechtsmittel stattfindet wie gegen die Entscheidung der Kammer. §§ 349 111 , 350 11 , 523 a. Dagegen fehlt ihm die Zuständigkeit für Armenrechtsbewilligung (vgl. Erhard DRiZ 1960/18ff.), Festsetzung des Streitwerts, Arrest-, einstweilige Verfügungs- und Einstellungsbeschlüsse, Vollstreckbarkeitserklärung gemäß § 5 34, zur Aussetzung des Verfahrens und zur Vorlage an BVerfG zur Entscheidung nach Art. 1001 G G (vgl. BVerfG NJW 1959/524). Denn alle diese Akte haben nichts mit der Vorbereitung der Entscheidung des Kollegiums zu tun. — Ein Einstellungsantrag muß also von der Kammer entschieden werden, OLG Oldenburg NJW 1958/1931 (bestr.). Im Rahmen seiner Kompetenzen ist ein Einzelrichter, solange die Sache bei ihm schwebt, „das Gericht". Deshalb brauchen die von ihm und die von der Kammer erlassenen Beweisbeschlüsse im Tatbestand (Bericht) nicht auseinandergehalten zu werden. Sieht der Einzelrichter die Sache als reif zur Verhandlung vor dem Prozeßgericht an, so wird das Einzelgerichtsverfahren „geschlossen", die Sache an die Kammer „verwiesen". Daß dies auf Grund mündlicher Verhandlung geschieht, ist üblich, jedoch nicht unbedingt erforderlich. Der Vorsitzende bestimmt dann von Amts wegen Termin vor der Kammer (§ 349 1 1 S. 3). Die Kammer kann — auf Grund mündlicher Verhandlung — den Prozeß nochmals an den Einzelrichter verweisen, wenn sie meint, daß er weiterer Vorbereitung bedarf. Dagegen kann der Einzelrichter weder von den Parteien noch vom Vorsitzenden oder von der Kammer gezwungen werden, sein Verfahren zu schließen, bevor es nach seiner Meinung kammerreif ist; seine Stellung besitzt in dieser Hinsicht eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen des Untersuchungsrichters. Von der Zuständigkeit des Einzelrichters muß diejenige des Vorsitzenden (der bei der K f H S zugleich der Einzelrichter ist, oben S. 79) für eilige Beschlüsse in Arrest- und einstweiligen Verfügungssachen (§ 944) unterschieden werden.

Zivilkammer — Änderung von Beweisbeschlüssen

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Ergänzung des Beweisbeschlusses. Offenbar hat die Gefahr, als Bürge rechtskräftig verurteilt zu werden und dann keine Möglichkeit mehr zu haben, die Schuldzahlung abzuwenden, selbst wenn die Klage gegen die Hauptschuldnerin abgewiesen wird (vgl. oben S. 82), den Beklagten zu 2. veranlaßt, Einspruch einzulegen. Noch vor dem Einspruchstermin reicht R A Weiß einen weiteren Schriftsatz ein: „In Sachen Finke gegen Rädler u. a. beantrage ich, den Beweisbeschluß vom 5. März i960 dahin zu ergänzen, daß Frau Rottmann in Weiß, Auf der Ruhr 10, darüber vernommen wird, daß die Klägerin kurz nach dem Gespräch mit der Beklagten zu 1. im August 1959 dieser Zeugin — einer Nachbarin — erklärt hat, sie habe der Beklagten zu 1. die Darlehnsschuld erlassen. Verzichtserklärung der Zeugin auf Zeugengebühren liegt bei."

Gemäß § 61 ZPO kann jeder (einfache) Streitgenosse Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, selbst wenn sie denen der anderen Streitgenossen widersprechen. Er darf selbständig über den Prozeßgegenstand verfügen, soweit er ihn betrifft; er kann anerkennen, sich vergleichen, selbständig Rechtsmittel einlegen. Fristen laufen für jeden Streitgenossen getrennt usw. Vgl. Baumbach, Anm. 2 B zu § 61 ZPO. Ist die beantragte Erweiterung des Beweisbeschlusses prozessual zulässig? Grundsätzlich hat keine Partei ein Recht auf Abänderung eines einmal erlassenen Beweisbeschlusses vor seiner vollständigen Durchführung (§ 360 S. 1). Jedoch kann das Gericht — mit oder ohne mündliche Verhandlung — unter Zustimmung der anderen Partei jede gewünschte Änderung, und ohne Zustimmung solche Änderungen vornehmen, bei denen es sich bloß um Berichtigung oder Ergänzung handelt (§ 360 S. 2). Allerdings sollen die Parteien vorher „tunlichst" gehört werden (§ 360 S. 4). Die Befugnis steht nach ausdrücklicher Gesetzesbestimmung (§ 360 S. 3) sogar einem beauftragten oder ersuchten Richter, erst recht also dem Einzelrichter zu. Nach Anhörung der Klägerin wird also der beantragte Ergänzungsbeschluß erlassen. — Über Aufhebung eines Beweisbeschlusses vgl. S. 123. Gutachten in einer Interventionssache Wildhändler Gottwald in Rommerskirchen hat aus einem Schuldtitel gegen den Restaurateur Fichtner über 2600 D M pfänden lassen. Sägewerksbesitzer Gallwitz — der Ehemann der verstorbenen Schwester Frau Fichtners — interveniert auf Grund eines notariell beglaubigten Vertrages vom 30. September 1958 mit dem Antrag: „die am 15. November 1959 in der Zwangsvollstreckungssache des Beklagten gegen den Restaurateur Alex Fichtner in Köln durch den Obergerichtsvollzieher Pfänder in Köln vorgenommene Pfändung: a) eines Bierdruckapparats, b) einer Registrierkasse Nr. 37800, c) von jo Flaschen Wein mit Etikett „Haute Sauterne 1948" (Nr. 2, 3, 11 des Pfändungsprotokolls) für unzulässig und das Urteil, nötigenfalls gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären."

Gemäß §§ 771 111 , 76911 ZPO hat der Kläger außerdem Einstellung der Zwangsvollstreckung und Aufhebung der erfolgten Vollstreckungsmaßregeln bis zur rechtskräftigen Erledigung des Interventionsprozesses nachgesucht; dem Antrag wird entsprochen, die Aufhebung der Pfändung jedoch von einer Sicherheit des Klägers in Höhe von 3500 D M abhängig gemacht.

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Zivilkammer — Interventionsklage

Nachdem Schriftsätze gewechselt sind, erstattet der Referendar ein Gutachten: „ A . V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g e n : Die ausschließliche und daher von Amts wegen zu prüfende (§§ 802, 40 11 ZPO) Zuständigkeit ist gegeben, da die Zwangsvollstreckung im Bezirk des Kölner Gerichts erfolgte (§ 7 7 1 1 ) . Die Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich daraus, daß die Höhe der Forderung, für die gepfändet ist iooo D M übersteigt und der Wert der gepfändeten Gegenstände nicht unter dieser Summe bleibt (RG D R 41, 587, Baumbach zu § 6, j B und Zu § 771, 3 C)."

Das Ergebnis dieser Prüfung mitzuteilen, erübrigte sich, da Bedenken nicht erhoben werden. Das gilt auch bezüglich der ausschließlichen Zuständigkeit auf Grund des § 802 ZPO. Erst recht erübrigt sich diese Mitteilung bei einem mündlichen Vortrag. Vgl. S. 40, und Berg, Gutachten und Urteil, S. 19t., 208. „B. S a c h l i c h e P r ü f u n g : Die Interventionsklage setzt voraus, daß der Kläger ein die Veräußerung hinderndes Recht für sich in Anspruch nimmt und daß die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere steht in der Rechtsprechung fest, daß ein Gläubiger, dem zu seiner Sicherung Vermögensstücke des Schuldners fiduziarisch übereignet worden sind, der Zwangsvollstreckung widersprechen kann. R G 124, 73; B G H 7, i n ; 12, 2 3 2 . "

Daß Interventionen, Vollstreckungsgegenklagen, Klagen auf vorzugsweise Befriedigung (§ 805), die Klagen des beschränkt haftenden Erben (§§ 785/6) sowie die entsprechenden einstweiligen Einstellungs- bzw. Hinterlegungsbeschlüsse nur so lange zulässig sind, als eine Zwangsvollstreckung schwebt, folgt aus der Natur dieser Rechtsbehelfe. Hat der Gerichtsvollzieher die Pfandstücke bereits versteigert, aber den Erlös hinterlegt (z. B. wegen Widerspruchs gegen die beabsichtigte Verteilung, § 827 i[,iu ), SO ist die Vollstreckung noch nicht beendigt. Hat er den Erlös an den Gläubiger zu seiner freien Verfügung abgeführt, so werden Interventions- usw. klage und Einstellung unmöglich, und es kommt bloß noch ein Bereicherungsanspruch des früheren Interventionsberechtigten in Frage. Was bedeutet das „die Veräußerung hindernde Recht" des § 771? Früher galt die Intervention als Klage aus dem materiellen Recht des Intervenienten, eine Art negatoria, mit welcher der Eigentümer die durch Pfändung seiner Sache geschehene Beeinträchtigung abwehrt. Demgemäß lautete damals das Urteil gewöhnlich auf „Verurteilung" des Beklagten zur „Freigabe". Von diesem Standpunkt aus könnten nur absolute Rechte zur Intervention berechtigen, weil es sonst an einem Recht des Interventionsklägers gegenüber dem pfandenden Gläubiger fehlt. Die privatrechtliche Auflassung der Interventionsklage ist aber unrichtig und allgemein aufgegeben. Es handelt sich um eine prozessuale Gestaltungsklage (S. 76), durch die der Kläger auf rein prozeßrechtlicher Grundlage geltend macht, daß in ein dem Vollstreckungsschuldner nicht gehöriges Vermögensstück nicht vollstreckt werden darf. Daher wird im Urteil „die Zwangsvollstreckung" in die Pfandstücke „ f ü r unzulässig erklärt" (vgl. § 775 1 ). Weitere Folgerung: auch obligatorisch Berechtigte können intervenieren, sofern nur das streitige Objekt nicht im Eigentum des Vollstreckungsschuldners steht. Stein-Jonas-Schönke II 1 c zu § 771. I n t e r v e n t i o n auf G r u n d o b l i g a t o r i s c h e n R e c h t s : Das Gegenstück zur Intervention bildet für den Konkursfall die Aussonderungsklage. Daß obligatorische Rechte den Aussonderungsanspruch begründen können — vorausgesetzt daß der Gegenstand dem Gemeinschuldner nicht gehört — bestimmt § 43 K O ausdrücklich. Bei der engen Verwandtschaft der beiden Institute liegt es deshalb nahe, dem obligatorisch Berechtigten auch die Intervention zu gewähren. Deshalb gehört der mittelbare, auf ein Besitzmittlungsverhältnis im Sinne des § 868 gestützte Besitz (Leihe, Miete u. dgl.) hierher. Dagegen gibt ein obligatorischer Anspruch auf V e r s c h a f f u n g des Eigentums an einer noch dem Schuldner gehörenden Sache kein Interventionsrecht. Das gilt im Immobiliarvollstreckungsrecht selbst dann, wenn der Intervenient bereits unmittelbarer Besitzer des Grund-

Zivilkammer — Intervention und Klage auf vorzugsweise Befriedigung

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stücks ist und gegen den Schuldner einen Auflassungsanspruch aus einem notarischen Vertrag hat. R G 127, 8.

Umstritten ist die Abgrenzung des § 771 gegen § 805. Wirtschaftlich steht der Sicherheitseigentümer dem Pfandgläubiger gleich und im Konkurs des Fiduzianten hat nach jetzt feststehender Praxis der Fiduziar nicht Aussonderungs-, sondern bloß Absonderungsrecht. In § 27 1 1 VglO hat diese Praxis für das Vergleichsverfahren eine gesetzliche Anerkennung gefunden. Auch der Reichsfinanzhof (Bd. 19 S. 126) gab dem Sicherungseigentümer nur die Klage auf vorzugsweise Befriedigung gemäß § 346 AbgO und nicht die Interventionsklage gemäß § 328 AbgO. Die vom Referendar zitierten Entscheidungen halten jedoch die Intervention für gegeben. Die Frage ist von großer praktischer Bedeutung, weil die Interventionsklage den persönlichen Gläubigern den Zugriff in die übereigneten Gegenstände völlig abschneidet. Vielfach wird deshalb heute die Anwendung des § 805 Z P O befürwortet. So Baumbach zu § 771, 6 unter „Treuhand", und Stein-Jonas-Schönke II 1 a und Anm. 42 a zu § 771. Hier wird aber seltsamerweise die Interventionsklage gleichwohl zugelassen, wenn der Sicherungsnehmer m i t t e l b a r e n B e s i t z hat; damit wird praktisch die Anwendbarkeit des § 805 bei der Sicherungsübereignung ausgeschaltet, weil hier ein m i t t e l b a r e s B e s i t z v e r h ä l t n i s grundsätzliche V o r a u s s e t z u n g ist. Vgl. Bötticher. M D R 1950, 705 ff. Man wird wohl mit der h. L. die Interventionsklage im allgemeinen zulassen müssen, zumal die Sicherungsübereignung in der Regel nicht nur eine Sicherung des K r e d i t g e b e r s bezweckt, sondern auch den F o r t b e s t a n d eines U n t e r n e h m e n s sichern soll; diese S c h u t z f u n k t i o n läßt sich nur verwirklichen, wenn mit Hilfe der Drittwiderspruchsklage Einzelzwangsvollstreckungen vermieden werden können. Zur Verhinderung von Auswüchsen, namentlich bei Übersicherung, reichen die drohende N i c h t i g k e i t oder A n f e c h t b a r k e i t nach dem Anfechtungsgesetz bzw. der drohende Schadenersatzanspruch aus § 826 oder eine Haftung aus § 419 aus (vgl. dazu die folgenden Ausführungen des Gutachtens). Im Einzelfall kann auch die Geltendmachung der Drittwiderspruchsklage bei einer unangemessen hohen Sicherung eine u n z u l ä s s i g e R e c h t s a u s ü b u n g sein (§ 242) und aus diesem Grunde nur eine Klage aus § 805 Z P O gerechtfertigt sein. So Staudinger-Berg, 40ß zu § 929 B G B mit weiteren Nachweisen. „Die Zulässigkeit der fiduziarischen Sicherungsübereignung durch Besitzkonstitut steht in der Rechtsprechung fest. Ihre Voraussetzungen sind hier gegeben. Insbesondere sind die vom Kläger in Anspruch genommenen Pfandstücke im Vertrag namentlich aufgeführt, also hinreichend bestimmt. Die Klage ist somit aus § 771 Z P O auf Grund des behaupteten Eigentums schlüssig."

In Interventionsprozessen taucht oft die Frage nach der genügenden Bestimmtheit auf. Vgl. z. B. die lehrreiche Entsch. B G H 28, i6ff. über Bestimmtheit des Sicherungsguts bei einem Warenlager mit wechselndem Bestand. Diese Frage braucht hier nicht aufgeworden zu werden, da der Vertrag die Übereignung von Ersatzanschaffungen nicht vorsieht. Es handelt sich also nicht um eine sog. erweiterte Sicherungsübereignung (das Gegenstück des verlängerten Eigentumsvorbehalts oben S. 16). Das Gutachten wendet sich nunmehr der Prüfung zu, wieweit die E i n l a s s u n g des B e k l a g t e n der Interventionsklage gegenüber e r h e b l i c h ist. Die Reihenfolge der Prüfung richtet sich nach logischen und prozeßökonomischen Gesichtspunkten. Dasjenige Vorbringen ist zuerst zu würdigen, das die größte rechtliche Durchschlagskraft hat und das übrige Vorbringen des Beklagten überflüssig machen würde. Hierfür ist die Einteilung in „Bestreiten", „Einwendungen" und „Einreden" zwar ein Anhaltspunkt, aber nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Keinesfalls ist es nötig,

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Zivilkammer — Sittenwiclrigkeit von Sicherungsübereignungen

schon an dieser Stelle zu untersuchen, ob es sich bei dem Vorbringen um ein Bestreiten, eine Einwendung oder Einrede im technischen Sinne handelt. Das interessiert erst, wenn die Frage der Beweislast zu entscheiden ist, also meist zum Schluß des Gutachtens und oft überhaupt nicht. Hier kommt es nur darauf an, festzustellen, ob das Vorbringen des Beklagten geeignet ist, die Interventionsklage zu erschüttern. Vgl. Berg, Gutachten und Urteil S. 59, 62ff., und Berg in J R 50/614. „II. Erheblichkeit der Einlassung. 1. Bei dem Wein stellt der Beklagte die Identität der gepfändeten, mit den im Vertrag bezeichneten Flaschen in Abrede. Trifft das zu, so hat der Beklagte durch die Pfändung insoweit nicht in die Vermögenssphäre des Klägers eingegriffen. Das Vorbringen hinsichtlich der Identität des Weins ist also erheblich. 2. Der Beklagte hält weiterhin den ganzen Vertrag wegen Simulation (§ 117 BGB) und Unsittlichkeit (§ 138 1 BGB) für nichtig. a) Scheingeschäft Ist die Behauptung erheblich, der Vertrag habe nach dem Willen der Vertragsparteien ,dem Kläger wirtschaftlich nicht die volle Rechtsstellung eines Eigentümers verschaffen' sollen? Der im Wesen des fiduziarischen Rechtsgeschäfts liegende Zwiespalt zwischen juristischer Form und wirtschaftlichem Inhalt hat mit der Frage der Ernstlichkeit nichts zu tun. Haben die Vertragsparteien, wie hier, eine fiduziarische Eigentumsübertragung und Forderungsabtretung gewählt, weil auf andere Weise der Erfolg einer dinglichen Sicherung des Gläubigers nicht zu erreichen war, so haben sie die dingliche Sicherung des Gläubigers gewollt. Der Vertrag war. also ernstlich. Ging der Wille der Parteien allerdings, wie der Beklagte weiter behauptet, dahin, daß der Vertrag überhaupt keine materiellen Rechtswirkungen hervorrufen, daß vielmehr nur eine Urkunde geschaffen werden sollte, mit der pfändende Gläubiger abgeschreckt werden könnten, so würde der Vertrag simuliert und darum nichtig sein. Vgl. OGH Köln J R 51/281. Dieser Teil der Behauptung des Beklagten ist also erheblich." Daß sich der Schuldner im Sicherungsvertrag seines ganzen Besitzes, auch der unentbehrlichen Stücke entäußert hat, beweist noch nicht den Simulationscharakter des Geschäfts ( R G 62, 126). Der Beweis, daß nach dem Vertrag bloßes „Interventionseigentum" übertragen werden sollte, gelingt nur selten. ,,b) Sittenwidrigkeit Eine Sicherungsübereignung kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein, wenn der Schuldner entweder in seiner wirtschaftlichen Freiheit übermäßig beschränkt, insbesondere wenn ihm seine wirtschaftliche Selbständigkeit genommen wird (sog. Knebelvertrag) oder wenn durch den Schein der Selbständigkeit, der dem Schuldner belassen wird, Dritte über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden (Kredittäuschungsvertrag). Der Umfang der gegebenen Sicherheiten kann für die Frage der Sittenwidrigkeit ein Indiz sein, ist aber allein nicht ausschlaggebend. Beim Knebelvertrag muß hinzukommen, daß Beschränkungen besonderer Art vorliegen (z. B. Unterwerfung unter eine Geschäftskontrolle, ein Kontrahierungszwang), beim Kredittäuschungsvertrag, daß durch den Schein der Selbständigkeit, der dem Schuldner belassen wird, Dritte (gegenwärtige oder künftige Gläubiger) über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden. RG 136, 247ff. und 293; 1 4 3 , 5 1 ; BGH 10, 228; 20, 43 und NJW 1955, 1272; 1956, 417 und 585. Die Anführungen des Beklagten reichen nicht aus, um einen sittenwidrigen Knebel- oder Kredittäuschungsvertrag anzunehmen. Der Beklagte stellt jetzt nicht mehr in Abrede, daß dem Kläger nur ein reichliches Drittel der dem Schuldner damals gehörenden Werte übertragen wurde und daß die Deckung des Klägers nicht mehr als

Zivilkammer — Gläubigeranfechtung

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rund 1 3 0 % seiner Forderung ausmachte. Die Sicherung ist also schon ihrem Umfang nach keine übermäßige. Hinzukommt, daß keine Umstände f ü r eine „ K n e b e l u n g " des Schuldners dargetan sind. I m übrigen ist ein Schuldner nicht ohne weiteres zur Darlegung seiner Verhältnisse verpflichtet ( R G 136, 259), und ein Dritter muß mit Sicherungsübereignungen, wie sie hier vorliegen, rechnen."

Es ist gut, wenn der Gläubiger sich bei Sicherungsverträgen mit möglichst geringen Sicherheiten begnügt und dem Schuldner den Hauptteil seines Vermögens zur freien Verfügung beläßt. Um den Gläubiger wirklich zu sichern, muß der Vertrag nicht nur in dinglicher Hinsicht korrekt gefaßt, ernstlich gewollt sein und jedes Anfechtungsmoment ausschließen, sondern er soll auch keine übermäßige Sicherung enthalten. Die Annahme einer Nichtigkeit des Vertrags auf Grund des § 1 3 8 1 schützt die sonstigen Gläubiger weit über das Anfechtungsrecht (unten zu 3) hinaus gegen Vermögensverschiebungen durch Sicherungsverträge. Damit wird eine Lücke der außerkonkursmäßigen Anfechtung ausgefüllt, welche Sicherungen nicht besonders trifft. Aber auch in Konkursfall kann die Berufung auf § 138 von Bedeutung sein, weil dadurch Verträge, die lange vor der Zahlungseinstellung geschlossen wurden, unschädlich gemacht werden können. Jedoch begründet die Absicht der Gläubigerbenachteiligung seitens des Schuldners, die die A n f e c h t u n g eines Rechtsgeschäfts ermöglicht, allein noch nicht die N i c h t i g k e i t , R G 170, 332. Z u beachten ist auch, daß bei § 138 dem G l ä u b i g e r bewiesen werden muß, daß er mit der Möglichkeit einer Schädigung der übrigen Gläubiger des Schuldners als naheliegend gerechnet hat; eine Umkehr der Beweislast wie in § 30 2 K O tritt nicht ein. Ferner hilft der Gesichtspunkt der Nichtigkeit nur bei r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e r Sicherung, nicht gegenüber Vollstreckungsakten. Verstößt ein Sicherungsvertrag gegen die guten Sitten, so kann bei entsprechendem V o r s a t z des Sicherungsnehmers auch eine Schadensersatzpflicht aus § 826 B G B gegenüber den Gläubigern begründet sein, R G 143, 51. Die Gläubiger müßten dann dartun, daß sie durch die Geheimhaltung des Sicherungsvertrags getäuscht und zur Kreditgewährung an den Schuldner bestimmt worden sind. Wenn aber der Sicherungsvertrag ohnehin nichtig ist, werden die Gläubiger in der Regel dadurch nicht geschädigt, so daß es eines Zurückgreifens auf den Schadensersatzanspruch nicht bedarf. Bei einem „Knebelvertrag" kann auch Nichtigkeit infolge W u c h e r s nach § 1 3 8 1 1 vorliegen. Jedoch macht hier die Feststellung der „ N o t l a g e " und ihrer Kenntnis auf Seiten des Wucherers große Schwierigkeiten. Notlage ist nämlich nicht jede Geldverlegenheit, sondern nur ein die wirtschaftliche Existenz des Schuldners bedrohender Geldmangel. Braucht z. B. ein Unternehmer Geld zu einem hohen Gewinn versprechenden Geschäft, so befindet er sich in keiner Notlage, und es liegt kein Wucher vor, wenn er das Geld zu einem übermäßig hohen Zinsfuß aufnimmt.

Das Gutachten wendet sich nunmehr der G l ä u b i g e r a n f e c h t u n g zu. Diese ist zulässig, auch wenn die Sicherungsübereignung aus materiellen Gründen nichtig sein sollte. Das Gericht kann daher eine Klagabweisung nur auf Gläubigeranfechtung stützen und die Nichtigkeit dahingestellt lassen, wenn deren Voraussetzungen nicht zu erweisen sind. (RG 123, 363; Jaeger, Die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens [2. Aufl., 1938] zu § 1 Anm. 70, 71.) Die Gläubigeranfechtung darf mit der Anfechtung wegen Willensmangels (§§ IT9> I23> I 4 2 /j) nicht verwechselt werden. Während diese Anfechtung mittels formloser, außergerichtlicher, empfangsbedürftiger Erklärung geschieht und rückwirkende Nichtigkeit begründet, macht die Gläubigeranfechtung aus dem AnfG vom 2i. Juli 1879 bzw. §§ 29f. K O das Geschäft bloß relativ — nämlich außerhalb das Konkurses gegenüber dem anfechtenden Gläubiger (§§ 1, 7 AnfG), im Konkurs gegenüber der Gesamtheit der Konkursgläubiger bzw. der Konkursmasse bzw. dem Verwalter (§§ 29, 36, 37 KO) — unwirksam, und diese Anfechtung muß durch Klage oder Einrede, also gerichtlich, erfolgen (§§ 5, 9 AnfG). Außerhalb des Konkurses gibt es noch die provisorische außergerichtliche „Anfechtungsankündigung"

(§4).

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Zivilkammer — Delikts-Pauliana Der Anfechtung unterliegen: a) inner- und außerhalb des Konkurses: Handlungen, die der Schuldner in der dem anderen Teil bekannten Absicht der Gläubigerbenachteiligung vorgenommen hat („Delikts-Pauliana"), wobei im allgemeinen dem Anfechtungsgegner seine Bösgläubigkeit („conscientia fraudis") nachgewiesen werden muß; bei den im letzten Jahre mit gewissen nahen Angehörigen geschlossenen Geschäften dreht sich jedoch die Beweislast um, so daß die Anfechtungsbeklagten ihren guten Glauben zu beweisen haben (§§ 3 1 . 2 AnfG, 31 KO), b) innerhalb und außerhalb des Konkurses: unentgeltliche Verfügungen des Schuldners („Schenkungs-Pauliana"), und zwar regelmäßig mit Frist von einem Jahr, gegenüber dem Ehegatten mit Frist von zwei Jahren (§§ 33> 4 AnfG, 32 KO), c) nur im Konkurse: Sicherheiten und Leistungen, die ein Konkursgläubiger vor Konkurseröffnung, aber im Stadium des sog. „materiellen Konkurses", in Kenntnis der Lage des Schuldners erlangt hat („Konkurs-Pauliana", § 30 KO). Das Gutachten fährt fort: „3. Der Beklagte macht schließlich eine Anfechtung auf Grund des Anfechtungsgesetzes von 1879 und eine Haftung des Klägers aus dem Gesichtspunkt der Vermögensübernahme (§419 BGB) geltend. a) Anfechtung Die allgemeinen Voraussetzungen der Anfechtung — vollstreckbarer Schuldtitel, Fällig" keit der Forderung, fruchtlose ZwangsVollstreckung (§2 AnfG) — sind gegeben, die einredeweise Erhebung der Anfechtung gegenüber einer Interventionsklage ist unbedenklich (§ 5). Der Beklagte ficht den Vertrag a) in erster Linie als „unentgeltliche Verfügung" nach § 3' AnfG., b) hilfsweise als entgeltlichen, die Gläubiger des Ficbtner benachteiligenden Vertrag mit einer der in § 32 bezeichneten Personen, c) in letzter Reihe auf Grund der allgemeinen Delikts-Pauliana (§ 3 1 ) an. § 32- 3 AnfG scheiden von vornherein aus, weil die dort vorgeschriebene Ausschlußfrist von einem Jahre nicht gewahrt ist."

Die Ausschlußfristen werden außerhalb des Konkurses von der Anfechtung, im Konkursfall von der Eröffnung an zurückgerechnet. Gallwitz und Fichtner sind weder verwandt noch miteinander verschwägert: bloß zwischen Gallwitz und Frau Fichtner, ferner zwischen Fichtner und der verstorbenen Frau Gallwitz besteht bzw. bestand Schwägerschaft (§ 1590 BGB). Doch zählen zu den personae suspectae der §§ 3 2 A n f G , 3 1 2 K O neben dem eigenen Ehegatten des Schuldners, seinen gradlinigen Verwandten, seinen und seines Ehegatten Geschwistern auch „die Ehegatten einer dieser Personen" (übrigens der einzige Fall, in dem eine solche verwandtschaftliche Beziehung, für die es sogar an einem gesetzlichen Terminus fehlt, Rechtsfolgen hat!). Daß Frau Gallwitz verstorben ist, würde die Anwendung des § 3 2 nicht ausschließen, wenn nicht die Frist verstrichen wäre. § 1590 1 1 B G B , Art. 33 E G z. B G B , dazu R G 63, 92. „Wesentliche Voraussetzung der allgemeinen Delikts-Pauliana aus § 3 1 ist zweierlei: die Absicht des Schuldners, einen Gläubiger zu benachteiligen und die Kenntnis des Klägers von dieser Absicht. Für die Absicht der Gläubigerbenachteiligung ist nicht erforderlich, daß der Schuldner die Benachteiligung selbst als den Endzweck der Handlung gewollt hat. Es genügt, daß er sie als die mögliche Folge seines Handelns in seinen Willen mit aufgenommen hat (Jaeger, AnfG zu § 3 Anm. 11). Ein solches Bewußtsein wird schwerlich vorliegen, wenn es sich um eine sog. kongruente Deckung handelt, d. h. wenn der Schuldner Sicherheiten gibt für einen gleichwertigen Kredit, insbesondere wenn dieser Kredit für Sanierungszwecke gegeben wird. Handelt es sich dagegen um eine inkongruente Deckung, d. h. um die Gewährung von Sicherheiten, auf die der Kläger in dem Umfange und in der Art oder zu der

Zivilkammer — Vermögensübernahme

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Zeit keinen Anspruch hatte, so wird man in der Regel eine einseitige Bevorzugung dieses Gläubigers und damit eine Benachteiligungsabsicht annehmen können (Jaeger, a. a. O., Anm. 12, R G J W 30, 2055). Es kommt dann nur noch darauf an, ob der Kläger hierüber orientiert war. Der Beklagte trägt hierzu vor: Die Darlehnsforderung habe nur noch in Höhe von 1000 D M bestanden, das neue Darlehn sei überhaupt nicht ausgezahlt worden und der Schuldner Fichtner habe dem Kläger gegenüber als Hauptzweck des Vertrags angegeben, die Befriedigung seiner Lieferanten aus den dem Kläger übertragenen Vermögensstücken zu verhindern. Treffen diese Tatsachen zu, so liegt eine inkongruente Deckung vor; auch läßt sich aus ihnen die Benachteiligungsabsicht des Schuldners u n d die K e n n t n i s a u f Seiten

des Klägers folgern. Sie sind daher erheblich, da der Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen des Anfechtungsgesetzes verpflichtet ist, die ihm übereigneten Gegenstände als noch zum Vermögen des Schuldners gehörig zurückzugewähren, m. a. W., die vom Beklagten in diese Sachen vorgenommene Zwangsvollstreckung zu dulden (§ 7 1 AnfG). Das Gutachten zeigt die Schwierigkeiten, außerhalb des Konkurses einem Deckungsgeschäft mittels Anfechtung beizukommen. D i e Spezialvorschriften der Konkurs-Pauliana ( § 3 0 K O ) sind unanwendbar, weil sie auf der dem Konkurs eigentümlichen par conditio creditorum beruhen. Mithin kann die Bevorzugung eines einzelnen Gläubigers durch Sicherstellung oder Befriedigung nur unter dem Gesichtspunkt der Delikts- oder der Schenkungs-Pauliana angefochten werden. ,,b) V e r m ö g e n s ü b e r n a h m e Ob gegenüber derlnterventionsklage die Berufung auf eine Haftung des Klägers aus dem Gesichtspunkt der Vermögensübernahme (§ 419 BGB) zulässig ist, ist zweifelhaft. Man wies früher darauf hin, daß es in der Zwangsvollstreckung nicht auf das Bestehen materiell-rechtlicher Ansprüche ankomme, sondern auf das Vorliegen von Vollstreckungstiteln. Der Beklagte müsse sich also erst — notfalls im Wege der Widerklage — gegen den Kläger einen Titel für seinen Anspruch aus § 419 beschaffen. Die neuere Rechtsprechung und Literatur hält diesen Weg für einen unnötigen Formalismus und weist darauf hin, daß es Treu und Glauben widerspräche, wenn der Kläger Freigabe von Gegenständen fordere, obwohl er materiell mit diesen Gegenständen hafte. Jedoch gibt man ihm im Hinblick auf § 4 1 9 1 1 S. 2 mit §§ 1990 1 , 1991 II das Recht, sich wegen seiner eigenen Ansprüche an den ursprünglichen Schuldner aus dem Bestand des übernommenen Vermögens vorweg zu befriedigen. R G 145, 277, Stein-Jonas-Schönke zu § 771 III 4, Lange N J W 50, 567. Vgl. auch B G H 12, 232 und N J W i960, 1757. Die Haftung aus § 419 setzt nicht den Abschluß eines öffentlich beurkundeten Vertrags gemäß 5 m voraus: dieses Vertrages bedarf es lediglich für die obligatorische Verpflichtung, während nach § 419 die tatsächliche dingliche Übertragung des Vermögens entscheidet. Auch eine nur fiduziarische Übertragung kann daher eine Vermögensübernahme darstellen. Dabei braucht nach feststehender Rechtsprechung nicht das gesamte Vermögen übertragen zu werden, vielmehr genügt Übertragung der hauptsächlichsten Vermögensstücke, sofern es sich um Gegenstände handelt, die — wie Grundstücke, Erwerbsgeschäfte, Kostbarkeiten, aber nicht Kleidungsstücke, Möbel Haustiere — in der Verkehrsanschauung als .Vermögen' gelten. Nur muß der Erwerber bei der Übernahme von einzelnen Gegenständen die Verhältnisse des Schuldners kennen, aus denen sich ergibt, daß mit dem überlassenen Gegenstand das ganze oder so gut wie das ganze Vermögen auf ihn übergeht. R G 154, 375; 160, 14; Erman-Westermann, Anm. 4 zu § 419 B G B . Aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich weder, daß die auf den Kläger übertragenen einzelnen Gegenstände die Hauptmasse des Fichtnerscheii Vermögens bildeten noch daß sich der Kläger bewußt gewesen ist, mit diesen Gegenständen das wesentliche Vermögen des Schuldners zu übernehmen. Wie bereits oben zu 2 b) bei Prüfung der Sittenwidrigkeit des Vertrags ausgeführt wurde, betrug das übernommene Vermögen nur ein reichliches Drittel der dem Schuldner damals gehörenden Werte. Die Berufung auf § 419 B G B ist daher nicht schlüssig."

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Zivilkammer — Vermögensübernahme

§ 419 nimmt im System des Gläubigerschutzes eine überaus wichtige Stellung ein. Er kommt freilich nur den Altgläubigern des Schuldners zustatten. Für diese ist er aber wesentlich günstiger als das Anfechtungsrecht, weil er weder die Einhaltung irgendwelcher Formen und Fristen, noch einen deliktsähnlichen Tatbestand beim Vermögensübernehmer voraussetzt. Ferner muß bei der Anfechtungsklage der Antrag dahin gestellt werden, daß der Anfechtungsbeklagte wegen des Anspruchs des Klägers gegen den Schuldner aus einem bestimmten Schuldtitel die Zwangsvollstreckung in die auf anfechtbare Weise weggegebenen Vermögensstücke zu dulden habe (§7 AnfG), und die Rechtsprechung verlangt dabei genaue Bezeichnung der Vermögensstücke, selbst bei Veräußerung ganzer Geschäfte, wo der Anfechtungskläger diese Angaben kaum jemals machen kann. Im Fall des § 419 B G B wird dagegen der Beklagte einfach verurteilt, unter Beschränkung seiner Haftung auf den Bestand des vom Schuldner übernommenen Vermögens an den Kläger zu zahlen; auf Grund des Urteils vollstreckt der Kläger, und es ist Sache des Beklagten durch besondere Vollstreckungsgegenklage die Beschränkung seiner Haftung nach Analogie der beschränkten Erbenhaftung geltend zu machen. §§ 780, 781, 785, 786 ZPO, vgl. 3. Kap. „Unterbrechung und Aussetzung". — Aus der in der Praxis zur Übung gewordenen weitherzigen Anwendung des § 419 B G B ergibt sich übrigens eine gewisse Einschränkung der Nichtigkeit von Sicherungsverträgen wegen Übermäßigkeit. Umfaßt nämlich der Sicherungsvertrag den Hauptteil des Vermögens des Schuldners und tritt infolgedessen die auf die übernommene Vermögensmasse beschränkte kumulative Haftung des Sicherungsgläubigers ein, so sind die übrigen Gläubiger nicht geschädigt, und es entfallen damit die Merkmale des § 138 1 . „ D . E r g e b n i s : Die Klage ist schlüssig nach § 771 Z P O , aber bezüglich der Identität der gepfändeten Weine streitig. Der Einwand des Scheingeschäfts (II 2 a) und die Berufung auf das Anfechtungsgesetz § j 1 (II 3 a) sind schlüssig, aber von bestrittenen Behauptungen abhängig. Mithin kommt es auf die Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen an. Ich schlage folgenden B e w e i s b e s c h l u ß vor: I. Über nachstehende streitigen Parteibehauptungen soll Beweis erhoben werden: 1. Gehören die vom Obergerichtsvollzieher Pfänder am 15. November 1959 gepfändeten 30 Flaschen .Haute Sauterne 1948' zu den in § 1 des Sicherungsvertrags vom 30. September 1958 zu . . . . bezeichneten 45 Flaschen? 2. Waren bei Abschluß des Sicherungsvertrags vom 30. September 1958 die Vertragschließenden darüber einig, daß der Vertrag keinerlei Rechtswirkungen hervorrufen, sondern lediglich dazu dienen sollte, im Falle der Pfändung zur Intervention verwandt zu werden ? Oder entsprach der Vertrag dem wahren Willen der Vertragschließenden und hat der Kläger dem Schuldner Fichtner mehrfach erklärt: .Vorläufig behältst D u also die Sachen bei Dir, wenn D u aber in Verzug kommst, hole ich sie natürlich weg und lasse sie versteigern' ? 3. Hat die im Eingang des Sicherungsvertrages vom 30. September 1958 bezeichnete Darlehnsforderung des Klägers von 1100 D M nur noch in Höhe von 1000 D M bestanden? Ist das dort erwähnte weitere Darlehn bis zu 7500 D M nicht ausgezahlt worden? Wurde der Vertrag zu dem ausgesprochenen Zweck geschlossen, Fichtner vor seinen Gläubigern zu schützen? Hat Fichtner dem Kläger gesagt: er würde gar nicht daran denken sein Eigentum und seine Außenstände wegzugeben, aber er wolle nicht, daß seine Lieferanten sich aus diesen Objekten befriedigten und darum unterschreibe er den Vertrag?

Zivilkammer — Mäklerprozeß

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durch Vernehmung folgender Zeugen a) des Kellners August Nasse in K ö l n . . . zu i, b) des Restaurateurs Alex Ficblner in Köln . . . zu 2 und 3, zu a) vorp Kläger, zu b) von beiden Parteien benannt. II. Die Vernehmung der Zeugen wird davon abhängig gemacht, daß (folgen Auflagen gemäß § 379 ZPO, vgl. S. 31." Die Kammer tritt dem Vorschlag bei.

Mäklerprozeß. Zedent als Zeuge Aussetzung nach § 148 ZPO Landwirt Wunderlich klagt gegen Bäckermeister Neugebauer in Köln-Longerich auf 900 D M abgetretene Provisionsforderung: „Im November 1958 beauftragte der Beklagte den Grundstücksvermittler Fritz Läufer in Köln, ihm einen Darlehnsgeber oder stillen Teilhaber nachzuweisen, der eine Summe von 30 bis 50000 DM in das Geschäft des Beklagten einlegen würde. Als Vergütung versprach er ihm 3% vom Darlehns- bzw. Beteiligungsbetrage, und zwar ausdrücklich auch für den Fall bloßer Nachweisung. Beweis: Läufer. Eit} Satz von 3% ist übrigens auch üblich. Beweis: Sachyerständige. Laufer hat dem Beklagten den Ziegeleibesitzer Robert Heckner in Köln zugeführt und durch seine Vermittlung hat Heckner dem Beklagten ein Darlehn von 30000 DM gegen Zinsen und Gewinnbeteiligung gewährt. Beweis: Lauf er und Heckner. Den ihm hieraus erwachsenen Provisionsanspruch von 900 DM hat Laufer am 15. Januar i960 dem Kläger abgetreten, Beweis: die vorzulegende Abtretungserklärung, und den Beklagten von der Abtretung schriftlich in Kenntnis gesetzt. Beweis: Parteivernehmung." Termin vor der Kammer wird auf den 27. Februar i960 angesetzt. Die fehlende sachliche Zuständigkeit des Landgerichts bleibt vorerst außer Betracht, da Prorogation eintreten kann. Sie wird auch, wie wir sehen, später vom Beklagten nicht gerügt. Vgl. §§ 39, 40, 10 Z P O . E i n w a n d der S c h e i n z e s s i o n . Im Termin erscheint für den Kläger R A Schwarz. Für den Beklagten meldet sich R A Weiß, beantragt Klageabweisung und überreicht folgendes Schreiben: „Z. Z. Norden (Ostfriesland), Hotel .Reichsadler', den 25. Februar i960. Herrn RA Weiß, Köln. Anbei die Klage Wunderlich, die mir hierher nachgeschickt wurde und in der übermorgen Termin ansteht. Zur Information diene Ihnen folgendes: Am Sonntag den 4. Januar war ich in Begleitung des Gastwirts Ertrin Hielscher im .Prinzenhof' in Köln. Dort kam Lauf er an uns heran, fragte, wie es mit der Provision für die Hecknersche Beteiligung stehe, und als ich seine Ansprüche zurückwies, erklärte er: ,Gut, dann werde ich die Forderung abtreten'. Wenige Tage später erhielt ich die Mitteilung von der erfolgten Abtretung an Wunderlich. Hieraus geht klar hervor, daß die Abtretung nur pro forma-Sache ist und Wunderlich den Prozeß für Rechnung von Laufer führt, damit dieser als Zeuge gegen mich auftreten kann. Ich wäre schon vorige Woche zu Ihnen gekommen, bin aber auf der Einkaufsreise krank geworden und liege hier fest. Ich erwarte, daß die Klage wegen der Prozeßschiebung glatt abgewiesen werden wird. Adolf Neugebauer."

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Zivilkammer — Einwand der Scheinzession

Wird Neugebauer mit seinem Vorbringen Erfolg haben? Nach § 1 1 7 1 B G B sind Scheingeschäfte nichtig, und eine simulierte Abtretung kann Wunderlich nicht zum Gläubiger machen. Man darf auch nicht etwa den Einwand des Scheingeschäfts mit der Begründung für unerheblich erklären, daß es dem Beklagten gleich sein könne, an wen er zahle. Wenn § 409 bestimmt, daß der Zedent die von ihm angezeigte Abtretung gegenüber dem Schuldner unter allen Umständen als wirksam anerkennen müsse, so soll damit der debitor cessus geschützt, nicht ihm eine sonst berechtigte Einwendung abgeschnitten werden. R G 93, 74. Jedoch ist eine Abtretung, bei welcher der Zessionar die Forderung für Rechnung des Zedenten einziehen soll, kein simuliertes, sondern ein fiduziarisches Inkassogeschäft. R G 107, 132, Palandt zu § 398, 6. Sogar eine bloße L e g i t i m a t i o n s z e s s i o n („Ermächtigung", „gewillkürte Prozeßstandschaft"), bei welcher der Berechtigte einem Dritten lediglich die Befugnis Zur Geltendmachung überträgt, ohne ihm das Recht selbst auch nur fiduziarisch zu übertragen, wird von der Rechtsprechung auf Grund des § 185 B G B als rechtsgültig anerkannt. Doch schränkt man dieses bedenkliche Institut dahin ein, daß der ermächtigte Dritte ein des Rechtsschutzes würdiges eigenes Interesse haben müsse. Den wichtigsten Anwendungsfall bildet die Abtretung von Grundbuchberichtigungsansprüchen, die ihrer Substanz nach ohne das dingliche Recht nicht übertragbar sind. R G 91, 390; 1 3 3 , 2 4 1 ; B G H ( G Z S ) 4, 165; 25, 250fr. ( 2 5 9 Q ; N J W 1 9 5 8 , 339;Enneccerus-Lehmann

§ 79 IV.

Neugebauer fühlt sich (wie fast jeder von einem Zessionar Verklagte) vor allem deshalb benachteiligt, weil die fiduziarische Inkassozession dem Zedenten die Zeugenrolle im Prozeß verschaffen und so die „natürliche" Beweisführung — bei welcher der Zedent klagen und der Beklagte zur Parteivernehmung über die klagebegründenden Behauptungen kommen würde — umkehren soll. Verstößt eine derartige Abtretung gegen die guten Sitten? R G 81, 160 verneint die Unsittlichkeit des Geschäfts, solange nicht nachgewiesen werde, daß die Absicht der Zessionsparteien dahin gegangen sei, der Zedent solle als Zeuge die Unwahrheit aussagen. Falls allerdings eine Forderung an eine vermögenslose Person abgetreten wird, damit der Zessionar im Armenrecht klagt und den Prozeß ohne eigenes Kostenrisiko des materiell allein interessierten Zedenten führt, nimmt man Nichtigkeit aus § 1 3 8 an. Vgl. B G H VersR 1959, 907. Wichtiger als die materiell-rechtliche Konstruktion bleibt immer, daß der Richter, wenn er den Zedenten als Zeugen hört, die Aussage mit der nötigen Skepsis würdigt, ihn grundsätzlich unbeeidigt läßt und vielleicht noch zusätzlich Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448) anordnet. Das Gericht darf niemals vergessen, daß der Mann, der als Zeuge klare und bestimmte Aussagen abgibt und einen „guten Eindruck" macht, der eigentliche Kläger des Prozesses ist. — Der Vorsitzende: Wenn das, was der Beklagte in dem Briefe behauptet, zutrifft, so werde ich die Klagebehauptungen natürlich nicht auf Grund der bloßen Zeugenaussage Laufers als bewiesen ansehen. Indes kann ich nach Lage der Rechtsprechung den Kläger nicht abweisen, weil ihm der Anspruch nur zum Inkasso abgetreten wurde. Hat der Beklagte keine sachlichen Einwendungen? R A Weiß bittet um Vertagung. „ E s wurde der B e s c h l u ß verkündet: Die Sache wird auf den . . . . vertagt. Der Beklagte hat bis zum einen Schriftsatz einzureichen, in welchem seine sachlichen Einwendungen gegen den abgetretenen Provisionsanspruch unter Angabe der Beweismittel dargelegt werden."

Vgl. § 279 a.

Zivilkammer — Voraussetzungen des Mäkleranspruches E i n w e n d u n g e n g e g e n den M ä k l e r a n s p r u c h . A u s s e t z u n g Z P O . R A Weiß reicht den Schriftsatz fristgerecht ein:

95 a u s § 148

„I. Eine ernstliche und wirksame Abtretung an den Kläger liegt nicht vor: II. Ein Pro visionsanspruch ist für Lauf er niemals zur Entstehung gelangt: 1. Das in der Klage behauptete Provisionsversprechen wird bestritten. Der Beklagte hat lediglich gesprächsweise dem Laufer erzählt, daß er einen Geldmann für sein Geschäft suche. E r hat es jedoch abgelehnt einen Provisionsschein zu unterzeichnen und erklärt, er hoffe in erster Reihe durch Bekanntschaft einen Darlehnsgeber oder stillen Gesellschafter zu finden und würde Provision nur im Notfall und nur an denjenigen zahlen, der den Vertrag wirklich vermittle. Laufer erwiderte, er bekomme seine Provision gewöhnlich von den Auftraggebern, denen er eine Anlage für ihr Geld besorge. Gegen die Zeugenaussage des Laufer wird aus den Gründen zu I protestiert. Der Beklagte erklärt sich zur eidlichen Vernehmung als Partei bereit." Bei der „Nachweismäkelei" genügt es, daß der Vertrag infolge des Nachweises des Mäklers zustande kommt, d. h. der Vertragsgegner dem Auftraggeber durch den Mäkler bezeichnet wurde. Dagegen hat der „Vermittlungsmäkler" die Provision erst dann verdient, wenn der Mäkler sich vermittelnd betätigt, d. h. mehr oder weniger auf den Willen des Gegenkontrahenten eingewirkt hat und wenn diese Tätigkeit für den Vertrags Schluß kausal war. § 6 5 2 * S. 1 B G B . Daher das Interesse des Mäklers, das Geschäft als Nachweismäkelei hinzustellen. „2. Daß für Vermittlung oder gar für den Nachweis eines Darlehns oder einer Beteiligung eine Provision von 3% üblich sei, wird bestritten." N a c h § 6 5 3 bedarf es keines besonderen Provisionsversprechens, wenn die Leistung des Mäklers den Umständen nach nicht unentgeltlich zu erwarten ist; dem Mäkler steht in diesem Fall die übliche Provision zu. „3. Heckner wurde nicht durch Lauf er zum Abschluß bestimmt. Vielmehr hat ihn der Agent Leopold Hentschel aus Köln darauf aufmerksam gemacht, daß der Beklagte einen Geldmann brauche, worauf Heckner sich mit dem ihm persönlich bekannten Beklagten in Verbindung setzte und den Vertrag ohne jede Mitwirkung des Läufer abschloß. Beweis: Heckner und Hentschel." Die Kausalität der Tätigkeit Laufers für den Abschluß des Vertrages zu beweisen, wird Sache des Klägers sein. Der Umstand, daß Hentschel nachgewiesen oder vermittelt hat, schließt nicht aus, daß der Abschluß auch auf die Bemühungen des Laufer zurückzuführen ist. „4. Jedenfalls waren dem Beklagten, als er mi Heckner abschloß, die angeblichen Bemühungen des Lauf er unbekannt. Daher hat er dem Hentschel, obgleich ihm kein Auftrag erteilt worden war, freiwillig eine Vergütung von 300 D M gezahlt und dabei zum Ausdruck gebracht, daß er dies nur tue, weil er sons keine Provisionsverpflichtung habe. Beweis: Hentschel." D e r Beklagte muß mit Heckner in dem Bewußtsein abgeschlossen haben, es handle sich um ein von Laufer vermitteltes bzw. nachgewiesenes Geschäft, damit er die Provision bei der Preiskalkulation berücksichtigen kann. Dieses Bewußtsein gehört zu den v o m Kläger zu beweisenden Grundlagen des Mäkleranspruchs. „5. Gemäß § 654 B G B wird der Anspruch auch dadurch ausgeschlossen, daß Läufer von Heckner 500 D M Provision erhalten hat. Beweis: Heckner." Hier irrt der Beklagte. § 6 5 4 setzt voraus, daß der Mäkler „auch für den anderen Teil tätig gewesen" ist, also bei den Vertragsverhandlungen dessen Interessen wahrgenommen hat, und daß dies „ d e m Inhalt des Vertrags zuwider geschah". Z . B. liegt

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Zivilkammer

Aussetzung nach § 148 Z P O

beim bloßen Nachweismäkler in der Tätigkeit für den Gegenkontrahenten noch keine Vertragsverletzung gegenüber dem ersten Auftraggeber und auch der Vermittlungsmäkler hat bisweilen die Rolle eines gemeinschaftlichen Vertrauensmanns beider Vertragsteile. Solange der Beklagte jede Tätigkeit des Laufer bestreitet, wird er den Einwand aus § 654 nicht ausreichend substantiieren können. „III. Heckner hat den abgeschlossenen Darlehnsvertrag nachträglich wegen angeblicher arglistiger Täuschung durch den Beklagten angefochten, die sofortige Rückzahlung der bereits ausgezahlten Darlehnsbeträge gefordert und weitere Auszahlungen verweigert. Falls die Anfechtung für berechtigt erklärt werden sollte, würde ein Provisionsanspruch des Laufer auch aus diesem Grunde entfallen. Der Beklagte macht sich daher für den vorliegenden Rechtsstreit vorsorglich alle Anführungen zu eigen, die Heckner in den hiermit in bezug genommenen Akten Heckner gegen Neugebauer 4 O 179. 59 des hiesigen Landgerichts, zur Begründung seiner Anfechtung vorgetragen hat, obgleich er die Richtigkeit der Behauptungen gegenüber Heckner bestreiten muß."

Trifft es zu, daß Laufers Provisionsanspruch durch eine erfolgreiche Arglistanfechtung Heckners beseitigt wird? §6521 setzt lediglich den festen und unbedingten Abschluß des vom Mäkler zu vermittelnden bzw. nachzuweisenden Vertrages sowie den Eintritt etwaiger aufschiebender Bedingungen voraus. Ob der Vertrag zur Ausführung gelangt, ob er nachträglich durch Vereinbarung der Vertragsschließenden, nach § 326, auf Grund einer Wandelung od. dgl. wieder aufgehoben wird, ist für die Rechte des Mäklers grundsätzlich gleichgültig. Die Anfechtung vernichtet aber den Vertrag mit rückwirkender Kraft (§ 142 1 ). Deshalb spricht man im Falle der Anfechtung dem Mäkler die Provision ab, weil ein wirksamer Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen sei, und zwar sowohl wenn der Auftraggeber als auch wenn der Gegenkontrahent angefochten hat. Im Verhältnis zum Mäkler darf sich also der Auftraggeber auf seine eigene Arglist berufen! Der Mäkler hat keine Replik der Arglist, weil er durch die Arglist des Auftraggebers nicht geschädigt ist: denn hätte der Auftraggeber den anderen nicht getäuscht, so würde es nicht zum Vertragsschluß gekommen und die Provision ebenfalls nicht verdient worden sein. R G 76, 354. Vgl. aber auch OLG Karlsruhe NJW 1958, 1945. „Demnach wird beantragt: gemäß § 14S Z P O den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Sache Heckner gegen Neugebauer auszusetzen bzw. zur Verhandlung über die Aussetzung Termin vor der Kammer zu bestimmen. Für den Beklagten: Weiß, Rechtsanwalt."

Soll ausgesetzt werden ? Nach § 148 kann das Gericht aussetzen, wenn der andere Rechtsstreit für den vorliegenden präjudiziell ist. Diese Abhängigkeit ist nach dem oben Avisgeführten gegeben. Wenn auch das dort ergehende Urteil für den Mäklerprozeß keine Rechtskraft begründet, so hat doch die Frage der Arglistanfechtung für den eingeklagten Provisionsanspruch Bedeutung, und die Ergebnisse des Anfechtungsprozesses werden für unseren Rechtsstreit von Wichtigkeit sein. Im gegenwärtigen Stadium auszusetzen, wäre aber verfehlt. Allerdings unterliegt, wenn die Anfechtung durchgreift, die Wunderlichsche Klage der Abweisung, ohne daß es auf die übrigen streitigen Rechts- und Tatfragen noch ankäme. Endet dagegen der Anfechtungsprozeß mit einem Siege des Beklagten, so müßte nunmehr im Provisionsprozeß Beweis erhoben werden, und man würde durch die Aussetzung viele Monate nutzlos verloren haben. Deshalb ist es richtiger, zunächst den Provisionsprozeß bis auf den Einwand der Anfechtung durchzuführen und nicht eher auszusetzen, als bis sämtliche übrigen Punkte zugunsten des Klägers geklärt sind.

Zivilkammer — Verkehrsunfall

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Vortrag in einer Unfallsache. Eisenbahn-, Kraftfahrzeug- u. Kraftposthaftung. Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs Nachdem wiederholt Beweis erhoben und vor der Kammer verhandelt worden ist, haben die Parteien die Sache zur Entscheidung gestellt. Das Gericht will nach § 304 ZPO zunächst über den Grund des Anspruchs entscheiden. In der Beratung trägt der Referendar vor: „Die Musikerwitwe Konslanze Spielmann geb. Lautenschläger in Köln nimmt wegen eines Unfalls, den ihr verstorbener Ehemann und Erblasser Wolfgang Spielmann am 17. April 1959 in Köln erlitten hat, den Straßenbahnführer Buchbolz, die Stadtgemeinde Köln und den Bundespostfiskus in Anspruch. Die örtlichkeit wird durch die der Klageschrift beigefügte Zeichnung veranschaulicht:

Wolf gang Spielmann fuhr mit der städtischen Straßenbahn, Linie 16, Wagenführer Kremser, den Ring entlang in der Richtung vom Opernhaus zum Barbarossaplatz. Als sein Zug an der Haltestelle Zülpicher Platz (A der Skizze) gerade abgefertigt worden war und sich langsam wieder in Bewegung setzte, hielt an der Haltestelle Jahnstraße ( D der Skizze) ein vom Beklagten Buchholz geführter Zug der Linie 19 der städtischen Straßenbahn. Vom Barbarossaplatz her kam auf dem entgegengesetzten Fahrdamm des Rings ein Kraftwagen der Bundespost, Führer Dasbach, mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 Stundenkilometern heran, welcher Mitglieder des Geselligkeitsvereins .Harmonie' von einer Sonderfahrt aus Königswinter zurückbrachte. Plötzlich fuhr Buchholz mit seinem Zug in scharfem Tempo los. Um nicht mit ihm zusammenzustoßen, machte Dasbach einen Bogen nach links und steuerte seinen Kraftwagen im Verlauf der auf der Zeichnung punktierten Linie. E r gelangte auch glücklich über die L u x , Schulung. 5. Aufl. (Berg)

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Zivilkammer — Deliktesansprüche Dritter Gleise von Linie 19 hinüber, prallte aber dann an der auf der Skizze mit B bezeichneten Ecke an den Kremserschen Triebwagen an. Spielmann, der auf dem Vorderflur des Triebwagens stand, wurde am Kopf verletzt und zwei ihm gehörige Saxophone, die er unter dem Arm hielt, wurden zertrümmert. Zu einem Zusammenstoß der beiden Straßenbahnwagen kam es nicht, weil sie noch rechtzeitig bremsten. Am 21. Juni 1959 ist Spielmann im städtischen Krankenhaus Lindenburg verstorben, nachdem er noch am 9. Mai bei der Stadt und der Oberpostdirektion Ansprüche auf Ersatz seines Schadens und Zahlung eines Schmerzensgeldes angemeldet hatte. Alleinige Erbin wurde auf Grund eines privatschriftlichen Testaments die Klägerin. Die Klägerin fordert: 1. als Kosten der ärztlichen Behandlung ihres Mannes einschließlich Heilmittel 2. als entgangenen Arbeitsverdienst ihres Mannes während der Zeit vom 17. April bis 21. Juni 1959 monatlich 450 DM 3. für Vermehrung der Bedürfnisse ihres Mannes während des gleichen Zeitraums monatlich 150 DM 4. an Beerdigungskosten 5. für die beiden Saxophone

940,00 DM 975,00 DM 325,00 DM 784,50 DM 5 00,00 DM

zusammen: 3524,50DM ferner für die Zeit vom 22. Juni 1959 bis zum 10. Oktober 1989 (dem 64. Geburtstag ihres Mannes) eine Geldrente von vierteljährlich 550 DM." Beim Vortrag ist das Fassungs- und Erinnerungsvermögen des Zuhörers begrenzter als das des Lesers eines schriftlichen Gutachtens. Einzelheiten, auf die es nicht unbedingt ankommt, sind daher nicht wiederzugeben. V g l . Berg, Gutachten und Urteil S. 208. E s hätte daher genügt, an dieser Stelle zu sagen: „Die Klägerin fordert im einzelnen spezifiziert 3524,50DM als Kosten der ärztlichen Behandlung, entgangenen Arb^tsverdienst ihres Mannes vom Unfall bis zu seinem Tode und für Vermehrung seiner Bedürfnisse während des gleichen Zeitraums, sowie Beerdigungskosten und Ersatz für die beiden Saxophone. Sie fordert weiterhin für die Zeit nach dem Tode bis zum 64. Geburtstag ihres Mannes, den 10. Oktober 1989, eine Geldrente von vierteljährlich 550 DM." Der Referendar fährt fort: „Bezüglich der Saxophone ist unstreitig geworden, daß die Transport-Versicherungs-A.G. Phoenix in Frankfurt a. Main, bei der Spielmann sie gegen Transportschaden versichert hatte, der Klägerin die Versicherungssumme mit 500 DM ausgezahlt hat. Nach Behauptung der Klägerin erfolgte die Entschädigung 4 Tage nach Klagezustellung, nämlich am 3. August 1959, während die Beklagten den 20. Juli 1959 als Zahlungstag angeben." Die Klägerin erhebt ihre Ansprüche teils als Erbin ihres Mannes, teils aus eigenem Recht. Als Rechtsnachfolgerin des Wolfgang Spielmann verlangt sie den ihrem Erblasser entstandenen Personen- und Sachschaden: Kosten der ärztlichen Behandlung und Heilmittel (vgl. § § 3 a HaftpflG, 1 1 S t V G ) , entgangenen Arbeitsverdienst (§§ 84z B G B , 3a, 7 HaftpflG, 1 1 , 13 S t V G ) , Vermehrung der Bedürfnisse ( § § 8 4 3 ! B G B , 3 a, 7 HaftpflG, 1 1 , 13 S t V G ) , Wert der Saxophone (§ 249 B G B ) . Die Beerdigungskosten sind kein in der Person des Getöteten entstandener Schaden, stehen aber der Erbin als solcher zu, weil sie erbrechtlich für diese Kosten aufzukommen hat. §§ 844 1 , 1968 B G B , 31 S. 2, HaftpflG, 101 S. 2 S t V G . Hingegen hat die Geldrente vom Todestag an mit ihrer Erbeneigenschaft nichts zu tun, würde vielmehr auch dann begründet sein, wenn die Klägerin der Erbschaft entsagt hätte; sie beruht darauf, daß die Klägerin durch den Todesfall ihren Ernährer verloren hat. § § 8 4 4 " B G B , 3 1 1 , 7 HaftpflG, io 1 1 , 13 S t V G . Beerdigungskosten und Hinterbliebenenrente werden niemals wegen Verletzung eines mit dem Verstorbenen

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Zivilkammer — Schmerzensgeld

geschlossenen Vertrages geschuldet, sondern setzen eine unerlaubte Handlung des bürgerlichen Rechts oder die Quasidelikte des H a f t p f l G oder S t V G voraus. Eine ähnliche systematische Stellung wie die Hinterbliebenenrente nimmt der — hier nicht in Betracht kommende — A n s p r u c h des D i e n s t h e r r n des V e r l e t z t e n (§ 845 B G B , oben S. 26) ein. E r ist aber im HaftpflG und StVG nicht vorgesehen, mithin nur unter den Voraussetzungen der §§823 f. B G B gegeben. Wieder anders verhält es sich mit dem S c h m e r z e n s g e l d (§ 847: „billige Entschädigung in Geld wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist"). Der Anspruch wird weder durch vertragliche Haftung (S. 107) noch durch quasi-deliktisches Spezialgesetz, sondern ausschließlich durch eine unerlaubte Handlung des B G B begründet, und zwar sowohl bei Haftung für eigenen Vorsatz oder eigene Fahrlässigkeit wie bei Haftung für fremdes Verschulden (z. B. § 831) sowie bei der keine Exkulpation gestattenden Tierhalterhaftung für Luxustiere (§ 833 S. 1). E r entsteht aber in der Person des Verletzten selbst und wird erst durch vertragsmäßiges Anerkenntnis oder Rechtshängigkeit vererblich und übertragbar (§ 847 1 S. 2). Weil diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann Frau Spielmann kein Schmerzensgeld fordern. Der Klageantrag wird bei Schmerzensgeldansprüchen fast immer auf Verurteilung zu einem vom Gericht festzusetzenden Geldbetrag gerichtet, weil die Kläger fürchten, bei Angabe einer bestimmten Summe zum Teil abgewiesen und mit Kosten belastet zu werden (was bei richtiger Anwendung des § 9 2 1 1 ZPO gar nicht nötig ist). Die Rechtsprechung sieht solche Anträge als ausreichend „bestimmt" im Sinne des § 2 5 3 1 1 an. R G 21, 382 (Plenarentscheidung). Der Kläger muß aber in der Klageschrift dem Gericht die erforderlichen tatsächlichen Unterlagen angeben, die eine gerichtliche Feststellung des Forderungsbetrags ermöglichen. R G 140, 2 1 3 ; 165, 298. Vgl. auch B G H in N J W 52/382. Für den Versäumnisfall empfiehlt sich die Aufnahme einer festen (Mindest-)Summe in den Klageantrag. Uber das Ineinanandergreifen von Vertragshaftung, Deliktshaftung des B G B und spezialgesetzlicher Haftung in unserem Fall vgl. S. 104 fr. „Die Klägerin trägt vor: Alle drei Beklagten hätten schuldhaft gehandelt: Buchholz, indem er losgefahren sei, obgleich der bei C der Skizze stehende Verkehrsschutzmann seine Fahrtrichtung nicht freigegeben habe, Dasbach wegen seines für diese verkehrsreiche Stelle und Zeit (Spätnachmittag zur Zeit des Berufsverkehrs) viel zu schnellen und unvorsichtigen Fahrens, Kremser, weil er zu spät gebremst habe. Die Beklagten hätten deshalb für die Folgen des Zusammenstoßes aufzukommen, insbesondere für den Tod ihres Mannes, der ohne den Unfall bis in sein hohes Alter voll erwerbsfähig geblieben sein würde. Beweis für die einzelnen Schadenspositionen und ihre Höhe ist überall angetreten. Die Klägerin beantragt: die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen: a) 3524,50 DM (i. W.) nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen, und zwar 3024,50 DM mit Zinsen an die Klägerin und 500 DM mit Zinsen an die Transport-Versicherungs-A.G Phoenix in Frankfurt a. M., b) der Klägerin für die Zeit vom 22. Juni 1959 bis 10. Oktober 1989 eine vierteljährlich im voraus zu entrichtende Geldrente von vierteljährlich 550 DM (i. W.) zu zahlen, und zwar die fälligen Beträge sofort, die künftig fällig werdenden am 22. März, 22. Juni, 22. September und 22. Dezember eines jeden Jahres, und das Urteil, soweit erforderlich gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären." Hätte Frau Spielmann, statt auf Verurteilung zu ziffermäßig genau berechneten Beträgen, auch allgemein auf Feststellung der Schadensersatzpflicht klagen können ? Obgleich § 256 keinerlei Einschränkung enthält, läßt die Praxis Feststellungsklagen nur insoweit zu, als Rechtsschutz durch Leistungsklage nicht gewährt werden kann. Man begründet diese „Subsidiarität der Feststellungsklage" hauptsächlich mit der Gefahr, es würde sonst eine Verdoppelung der Prozesse eintreten, indem der Gläubiger zuerst auf Feststellung der Leistungspflicht, alsdann nochmals auf V e r urteilung zu der Leistung selbst klagt. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß die Parteien, wenn die Ersatzpflicht dem Grunde nach einmal festgestellt ist, sich über den 7*

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Zivilkammer — Subsidiarität der Feststellungsklage

Betrag oft ohne gerichtliche Entscheidung verständigen. Die Zulassung der Feststellung v o n Schadensersatz-, Pflichtteils- und ähnlichen Ansprüchen ist deshalb jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens zu einer sachgemäßen, weit einfacheren Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. B G H N J W 5 9 / 1 3 7 1 ; B G H 17/336. Die Auffassung v o n dem subsidiären Charakter des § 256 dürfte eine Nachwirkung der Anschauungen aus der Zeit sein, in welcher Feststellungsklagen als allgemeiner Behelf noch nicht anerkannt waren (S. 76). Hätte übrigens W o l f g a n g Spielmann selbst geklagt, so wäre er nicht genötigt gewesen, seine K l a g e auf reine Leistung zu richten. Denn die Folgen eines Unfalls, namentlich die Rückwirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten (vgl. §§ 843 B G B , 3 a H a f t p f l G , 1 1 S t V G ) , lassen sich erst nach längerer Zeit vollständig übersehen und zahlenmäßig berechnen. Deshalb gestattet man dem Verletzten, mit der Leistungsklage wegen eines zahlenmäßig bereits feststehenden Schadensbetrags die Feststellungsklage wegen des weiteren noch nicht feststellbaren Schadens zu verbinden, also z. B. „I. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger 940 D M nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen, II. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger auch den weiteren Schaden zu ersetzen, der ihm durch den Unfall vom 17. April 1959 noch entstehen wird." Infolge seines Todes ist der Schaden jetzt endgültig abgeschlossen, so daß eine Kombination v o n Leistungs- und Feststellungsklage für die W i t w e als Klägerin nicht mehr in Frage kam. K l a g e auf Leistung an die Versicherungs-Gesellschaft: S. 109. „Die Beklagten beantragen: die Klage abzuweisen, im Fall der Verurteilung ihnen die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten. Sie lehnen die Verantwortlichkeit für den Zusammenstoß ab, weil er von ihnen bzw. den Personen, für die sie einzustehen hätten, nicht verschuldet, vielmehr die Folge einer außergewöhnlichen Verkettung von Umständen, höhere Gewalt bzw. ein unabwendbares Ereignis gewesen sei. Im einzelnen geben sie voneinander abweichende Darstellungen." W i e wir wissen, berühren bei nicht-notwendigen Streitgenossen die Erklärungen und Handlungen des einen die Rechtsstellung der übrigen nicht ( § 6 1 Z P O , oben S. 81). Verteidigen sich die Beklagten in widersprechender Weise, so muß man gegenüber jedem einzelnen den Sach- und Streitstand besonders feststellen und entscheiden, gleich als ob sie in verschiedenen Prozessen belangt wären. „Bucbbolz will berechtigt gewesen sein, mit seinem Zuge anzufahren, da der Verkehrsschutzmann die Fahrtrichtung für ihn freigegeben habe, er schiebt die Schuld am Zusammenstoß Dasbach und Kremser zu. Die Stadt erklärt Dasbach für den Alleinschuldigen und legt dar, daß sie ihre beiden Triebwagenführer Buchholz und Kremser mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ausgewählt und überwacht habe. Der Postfiskus macht geltend, daß der Beklagte Buchbolz allein verkehrswidrig gehandelt habe. Dasbach hätte jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet. Bei Auswahl und Überwachung des Dasbach sei der Postfiskus sorgsam verfahren. Sämtliche Beklagten behaupten, Wolf gang Spielmann habe sich im Augenblick des Zusammenstoßes aus der Straßenbahn weit hinausgeneigt, um einem vorübergehenden Bekannten zuzuwinken. Nur aus diesem Grunde sei er und sein Eigentum bei dem Zusammenstoß verletzt worden. E r würde sonst, wie alle anderen Insassen des Straßenbahnzuges, mit dem bloßen Schrecken davongekommen sein. Was die Todesursache anlangt, so behaupten die Beklagten, daß Spielmann starker Alkoholiker gewesen sei und ein Fettherz gehabt habe. Ohne diese abnorme Körperbeschaffenheit wäre die an sich nicht gefährliche Kopfverletzung nicht tödlich verlaufen. Buchbolz behauptet sogar,

Zivilkammer — Kausalzusammenhang

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daß Spielmann auch ohne den Unfall nicht über den 21. Juni 1959 hinaus gelebt haben würde. Die Stadt macht Spielmann den Vorwurf, daß er sich der ihm von dem Oberarzt Dr. Andreas sofort angeratenen Operation 2 Wochen lang widersetzt und dadurch seinen Tod herbeigeführt hätte. Auch der Postfiskus führt den Tod auf die Verschiebung der Operation zurück, behauptet aber: Dr. Andreas habe dem Verunglückten von der Operation abgeraten und für die falsche Behandlungsweise des von ihm zugezogenen Arztes müsse Spielmann bzw. seine Witwe einstehen. Auf den Schaden der Klägerin seien in jedem Falle die 12000 D M anzurechnen, welche die Klägerin unstreitig von ihrem Manne geerbt, und die 600 D M , die sie ebenfalls unstreitig vom .Schwarzwaldboten' in Baden-Baden, dessen Leser Spielmann war, auf Grund einer Abonnentenversicherung ausgezahlt erhalten hat. Uber den Hergang des Unfalls, die Art und Weise, wie die Beklagten zu 2 und 3 ihre in Betracht kommenden Wagenführer ausgewählt und überwacht haben, die Todesursache des Wolfgang Spielmann und die vermutliche Dauer seines Lebens ohne den Unfall sind Zeugen und Sachverständige vernommen worden. Ferner haben die Parteien aus den Ermittlungsakten der hiesigen Staatsanwaltschaft gegen Buchholz und Genossen, Aktenzeichen 15 J s 565. 59 vorgetragen: "

Vgl. S. 69. „ A u f das Ergebnis der Beweisaufnahme werde ich, soweit es erforderlich ist, im Gutachten eingehen." 1 )

Der Referendar geht nunmehr zur rechtlichen Prüfung über, wobei er einleitend das Ergebnis in einem kurzen Vorschlag zusammenfaßt: „Ich schlage vor, den Klageanspruch dem Grunde nach für berechtigt zu erklären mit der Maßgabe, daß die Geldrente spätestens mit dem 10. Oktober 1981 endet. Die Rechtsgrundlage der Klage ist gegenüber den drei Beklagten eine verschiedene. 1 . H a f t u n g des Buchbolz Buchholz stand zu Spielmann in keinem Vertragsverhältnis und ist als bloßer Fahrer auch nicht aus dem HaftpflG verantwortlich. Seine Haftung bestimmt sich lediglich nach §§ 825 f. B G B . Wenn Buchholz ohne vorherige Freigabe seiner Fahrtrichtung mit seinem Zuge losgefahren ist, so hat er den Zusammenstoß durch seine Fahrlässigkeit verursacht, gleichviel ob Dasbach und Kremser sich richtig verhalten haben oder nicht. E s entspricht der allgemeinen Erfahrung, daß plötzliches und überraschendes Anfahren eines Straßenbahnzuges, während seine Fahrrichtung vom Verkehrsschutzmann gesperrt ist, weitere Regelwidrigkeiten anderer zur Folge haben und dadurch zu Zusammenstößen führen kann. Eine zufällige und außergewöhnliche Verkettung von Umständen würde darin nicht liegen. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mußte Buchholz auch die Folgen seines Verhaltens als möglich erkennen. Trifft also die Sachdarstellung der Klägerin zu, so hat dieser Beklagte nach § 823 allen dem Wolf gang Spielmann erwachsenen Personen- und Sachschaden, und unter der weiteren Voraussetzung, daß der Tod auf den Unfall zurückzuführen ist, auch den der Klägerin entstandenen Schaden nach Maßgabe des § 844 zu ersetzen. Hat der Verkehrsschutzmann dagegen, wie der Beklagte Buchholz vorträgt, die Verkehrsrichtung für ihn freigegeben, so war er berechtigt, mit seinem Zug anzufahren. Diese Behauptung ist daher der Anspruchsgrundlage aus § 823 B G B gegenüber erheblich2). Das weitere Vorbringen des Beklagten Buchholz — und auch der übrigen Beklagten —, daß ohne die abnorme Körperbeschaffenheit Spielmanns (Alkoholismus und Fettherz) die Körperverletzung nicht tödlich verlaufen wäre, richtet sich gegen die Kausalität des Unfalls für den Tod Spielmanns. Der ursächliche Zusammenhang wird aber durch eine bei dem Verletzten vorhandene 1 ) Das ist beim Vortrag zulässig, um sich knapper fassen zu können und Wiederholungen zu vermeiden. Vgl. Berg a. a. O. S. 209. 2 ) Bei mehreren Beklagten, gegen die verschiedene Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen und die sich verschieden verteidigen, kann es zweckmäßig sein, nach Prüfung der Anspruchsgrundlagen ihre Verteidigung sofort auf ihre Erheblichkeit zu untersuchen. Das trifft namentlich bei einem Vortrag aus dem oben S. 98 angegebenen Grunde zu.

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Zivilkammer — Kausalzusammenhang besondere körperliche Anlage nicht beseitigt. Es ist auch bei normaler Konstitution nicht ungewöhnlich, daß ein Schädelbruch, wie ihn Spielmann erlitten hat, zum Tode führt."

Ursache ist nach der im Zivilrecht herrschenden Theorie des „adäquaten Kausalzusammenhangs" jede Bedingung, ohne die der Schaden nicht eingetreten wäre (conditio sine qua non), es sei denn, daß sie ihrer allgemeinen Natur nach für die Entstehung des Schadens ganz gleichgültig (indifferent) war und nur infolge anderer außergewöhnlicher Umstände zu einer Bedingung des Schadens wurde. V g l . R G 1 5 2 , 4 0 1 ; 169, 9 1 ; B G H 7 , 2 0 5 ; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht ( 1 5 . Aufl.) § 1 5 1 1 1 . Diese negative Formulierung dürfte der positiven vorzuziehen sein, w o nach die als Ursache anzusprechende Bedingung „generell" oder „erfahrungsgemäß" geeignet sein muß, zu einem derartigen E r f o l g e zu führen. Zuweilen werden beide Formulierungen kombiniert, indem es heißt, die Handlung müsse „ i m allgemeinen" und nicht nur unter ganz unwahrscheinlichen „nach dem regelmäßigen Laufe der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen" zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolges geeignet gewesen sein. So R G 1 3 5 , 1 2 7 ; 158, 28. Immer jedoch ist zu berücksichtigen, daß die Frage der Adäquanz zwischen Bedingung und E r f o l g nicht allein logisch abstrakt nach dem Zahlenverhältnis der Häufigkeit des Eintritts eines derartigen E r f o l g s beantwortet werden kann. Vielmehr muß, da es sich um ein Problem der Verantwortlichkeit handelt, eine b e w e r t e n d e B e u r t e i l u n g hinzukommen. D e r B G H (3, 2 6 7 ; 18, 288) verlangt daher noch die Prüfung, ob dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen nach § 242 billigerweise zugemutet werden könne. Larenz ( N J W 1 9 5 5 , 1009; 1958, 627) hält diese F o r mulierung für zu subjektiv und stellt darauf ab, ob ein „innerer Zusammenhang" bestehe. V g l . auch Staudinger-Werner ( 1 1 . Aufl.) A n m . 29 und 36 v o r §§ 249ff., sowie Berg, Schadensersatzprobleme aus neuerer Sicht, Studium und Praxis 1 9 6 1 , iff. G r e n z f ä l l e , i n denen die Rechtsprechung adäquate Verursachung angenommen hat: zwischen der tödlichen Verletzung eines Kindes und dem nervösen Zusammenbruch der Mutter (RG 13 3, 272; 15 7 , 1 3 ) oder zwischen dem Unfalltod des Vaters und dem Nervenschock des Kindes (OLG München N J W 1959, 819); zwischen den körperlichen Schäden bei einem später geborenen Kinde und der Luesinfektion der Mutter (BGH 8, 249); zwischen einer äußeren Verletzung und der Grippe, die sich der wegen der Wunde ins Krankenhaus gebrachte Verletzte dort zuzog (RG 105, 264); zwischen einer Typhus-Zwangsimpfung und einer zum Tode führenden Geschwulst (BGH 18, 286); zwischen Selbstmord und einer auf einem Unfall beruhenden Schädel Verletzung (BGH N J W 1958, 1579) — anders bei Tod infolge eines ärztlichen Eingriffs, der nur g e l e g e n t l i c h einer unfallbedingten Operation zur Beseitigung eines nicht unfallbedingten Leidens vorgenommen wurde (BGH 25, 86, dazu Larenz N J W 1958, 627) — ; zwischen der Ausstellung eines ärztlichen Rezeptes in abgekürzter Form, welches dann der Apotheker mißversteht, und der dadurch bewirkten Vergiftung des Patienten (RG 125, 375); zwischen ungenügender Beaufsichtigung eines jugendlichen Kraftwagenführers durch den Halter und dem Schaden, den der Führer auf einer Schwarzfahrt anrichtet ( R G 135, 149); zwischen dem Anhalten eines Kraftwagens auf der Autobahn und dem Auffahren eines nachfolgenden Kraftfahrers (BGH N J W 1959, 573). Neuerdings versucht der B G H eine Beschränkung der Haftung auch dadurch herbeizuführen, daß er prüft, ob die Tatfolge, für die Ersatz begehrt wird, „in den Schutzbereich des Gesetzes fällt". Mit dieser Begründung wird Ersatz der Kosten, die durch ein Strafverfahren anläßlich eines Verkehrsunfalls entstanden waren, versagt (BGH 27, 137) und ein Eingriff in einen eingerichteten Gewerbebetrieb verneint, wenn durch Beschädigung eines Kabels lediglich die Stromzufuhr unterbrochen wurde (BGH 29, 65). Vgl. hierzu kritisch Staudinger-Werner, Anm. 3 0 E und 37 vor §§ 249 ffDaß a b n o r m e K ö r p e r b e s c h a f f e n h e i t bzw. besondere Disposition für Krankheiten den Kausalzusammenhang nicht aufhebt, entspricht der h.L. (RG69,344; 91,348). Die Frage wurde besonders bedeutsam bei der sog. P r o z e ß n e u r o s e (Rentenhysterie). Die mit dem Unfallsprozeß

Zivilkammer — Uberholende Kausalität

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für den Verletzten verbundenen Gesundheitsschädigungen sind in der Regel eine adäquate Folge der ursprünglichen Verletzung, mag auch eine beim Verletzten schon vorher bestehende psychopathische Anlage durch den Prozeß und seine Aufregungen hervorgerufen oder verstärkt worden sein. R G 159, 257; BGH VRS 1953, 484. Diese Rechtsprechung erklärt sich daraus, daß die Beklagten bzw. die hinter ihnen stehenden Haftpflichtversicherungsgesellschaften nicht selten sich alle einzelnen Ersatzansprüche „nur unter erheblichem Widerstand abringen lassen" und dadurch den Kläger immer mehr in den krankhaften Seelenzustand hineinstoßen. Jedoch nimmt BGH 20, 137 hier eine Einschränkung aus dem „Sinn des Schadensausgleichs" vor: Der Schadenersatz dürfe nicht „der Flucht des Rentenneurotikers in die Krankheit Vorschub leisten". Strebe der Geschädigte (wenn auch unbewußt) im wesentlichen nach einer Lebenssicherung und nehme er den Unfall nur als Anlaß, um den Schwierigkeiten des Lebenskampfes auszuweichen, so sei dem Schädiger nicht zuzumuten, „zur Verfestigung eines Zustandes beizutragen, der letztlich der körperlichen und seelischen Gesundung des Geschädigten abträglich sei". Vgl. auch BSG NJW 1959, 1005 und 2328. Der Referendar fährt fort: „Die weitere Behauptung des Beklagten, Spielmann würde auch ohne den Unfall nicht über den 21. Juni 1959 hinaus gelebt haben, ist dagegen erheblich. In diesem Falle wäre Spielmann nämlich nur an seinem Alkoholismus und Fettherz gestorben, während die Kopfverletzung außerhalb der Kausalreihe läge. Es bliebe dann nur der Anspruch auf Erstattung der Arzt- und Heilmittelkosten bis zu seinem Tode." Grundsätzlich wird ein einmal begründeter Schadenersatzanspruch nicht dadurch aufgehoben, daß nachträglich ein neues Ereignis eintritt, das ohne den die Haftung begründenden Vorgang nunmehr den gleichen Schaden herbeigeführt haben würde. B G H 29, ioyi. und N J W 1958, 705. Etwas anderes gilt aber, wenn der Zustand, der den gleichen Schaden herbeiführt, schon —• wie hier — im Zeitpunkt der Verletzung bestanden hat (sog. Schadensanlage). Der Unfall wird dann nur noch insoweit als kausal angesehen, als er „zu einem schwereren oder schnelleren Ausbruch der auf Grund der Anlage unvermeidbaren Erkrankung geführt hat", R G J W 34, 1 5 6 2 ; B G H V R S 4, 403. Spätere Änderungen haben allenfalls Bedeutung für die Fortzahlung bzw. die Höhe einer Schadenersatzrente. V g l . Staudinger-Werner Anm. 60 vor §§ 244ff. Die Berücksichtigung späterer Ereignisse für die Schadensfeststellung ist unter der Bezeichnung der „überholenden" oder „hypothetischen Kausalität" lebhaft erörtert worden. Der OGH Köln (NJW 49, 302) will sie in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich zulassen. Nach Larenz (NJW 50, 487ff.) handelt es sich nicht eigentlich um ein Problem der Kausalität — die einmal gegebene Kausalität könne nicht „überholt", d. h. wieder beseitigt werden — als vielmehr um ein Problem der Schadensberechnung auf Grund der §§ 249 fr. BGB. Wie der Schädiger nach § 252 BGB auch den entgangenen Gewinn ersetzen müsse, so müsse der Verletzte sich entgegenhalten lassen, daß ihm infolge der späteren Entwicklung der Dinge gar kein Schaden entstanden sei. Das gelte jedoch uneingeschränkt nur bei Nutzungsschäden, Erwerbsminderung u. dgl., also für mittelbare Schäden (insoweit zustimmend BGH 10, 6). Der unmittelbare Schaden werde grundsätzlich durch spätere Ereignisse nicht berührt. Würde man z. B. Schadenersatz für die aus einem Hause gestohlene Sache ablehnen, weil das Haus mitsamt aller übrigen Sachen später durch Brand zugrunde geht, so wäre der Bestohlene zweimal geschädigt: a) um die gestohlene Sache b) um den Entschädigungsanspruch. Der einmal entstandene Entschädigungsanspruch für die Sache als solche wird durch den Brand des Hauses nicht beeinträchtigt I Ausnahmen können sich im Einzelfall nur aus den Gesichtspunkt von Treu und Glauben ergeben. Vgl. Enneccerus Lehmann § 15 III 5 und insbesondere Staudinger-Werner Anm. 66 vor § § 249 (mit kritischer Stellungnahme zu BGH 10, 6; 20, 275). Schließlich nimmt der Referendar noch zu dem von Buchholz vorgetragenen mitwirkenden Verschulden des Verletzten Stellung: „Erheblich ist auch das Vorbringen des Beklagten, Spielmann und seine Instrumente seien nur deshalb verletzt worden, weil er sich im entscheidenden Augenblick aus dem Straßenbahnwagen weit hinausgelehnt habe. Hierin könnte möglicherweise ein mitwirkendes Verschulden (§ 254T) liegen, das seinen Ansprüchen und nach § 846 auch denen der Witwe entgegensteht.

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Zivilkammer — Höhere Gewalt E s wird wesentlich darauf ankommen, ob die Verletzung gerade durch das Hinausbeugen herbeigeführt wurde und ob das Hinausbeugen nach Lage der Umstände eine Fahrlässigkeit darstellte. 2. H a f t u n g der S t a d t K ö l n Hier kommen § i RHaftpflG vom 7. Juni 1871, § 1 Sachschaden-HaftpflG vom 29. April 1940, daneben die Vorschriften über Vertragsverletzung und Schadenersatz aus unerlaubter Handlung in Betracht. A . Die Voraussetzung des § 1 RHaftpflG von 1871 und des Sachschaden-HaftflG von 1940, daß die Schäden beim Betrieb einer Eisenbahn bzw. Straßenbahn eingetreten sind, ist gegeben."

Eisenbahnen i. S. des RHaftpflG sind nach der Rechtsprechung alle auf Schienen laufenden Beförderungsmittel, gleichviel ob sie durch motorische Triebkraft oder in anderer Weise (Pferdebahn 1) bewegt werden, ob sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen oder nicht (private Grubenanschlußbahn). Straßenbahnen fallen darunter und werden im Sachschaden-Haftpflichtgesetz ausdrücklich erwähnt. Die Worte „bei (nicht: in) dem Betriebe" werden hier (und für die analogen Bestimmungen der §§71, 18 StVG) nicht in dem engen, mechanischen Sinne verstanden, daß die Bahn sich gerade in Bewegung befunden haben müsse, sondern sind nach neuerer Auffassung unter verkehrstechnischen Blickpunkten auszulegen. So ist nach der grundlegenden Entscheidung B G H 29, 163 ein Kraftfahrzeug in „Betrieb" i. S. des § 7 StVG, wenn es auf der Autobahn wegen Motorschadens liegenbleibt. Unfälle i. S. des RHaftpflG sind solche beim Ein- und Aussteigen auf Haltestellen, B G H 1, 17. Dagegen haftet für Unfälle auf dem Bahnhof nach beendigtem Aussteigen die Bahn nur nach allgemeinem bürgerlichem Recht. J W 13, 122 9 , 648 12 ; 16, 73 72. B G H V R S 8, 1 1 7 verneint auch einen Unfall bei Betrieb einer Straßenbahn, wenn jemand, der eine Straßenbahn besteigen will, auf dem als Haltestelle gekennzeichneten Teil des Bürgersteigs durch einen Kraftwagen verletzt wird. Soweit das HaftpflG anwendbar ist, wirkt es — anders als in der Regel das StVG (unten S. 108) — sowohl zugunsten Außenstehender wie zugunsten der Passagiere der Bahn bzw. ihrer Hinterbliebenen. „ I . D i e Klageansprüche sind auf Grund des RHaftpflG aber nur soweit schlüssig, als es sich um den Personenschaden des Verunglückten und die Rente der Witwe handelt ( § § 3 , 3 a, 7 HaftpflG), nicht dagegen hinsichtlich des Sachschadens. Die Beschränkung der Rente auf einen Jahresbetrag von 15000 D M (§ 7a, Fassung vom 8. Dezember 1939) ist ohne praktische Bedeutung, weil der Klageanspruch diese Grenze nicht erreicht. Als Einwendungen der Bahn sind nur höhere Gewalt sowie eigenes Verschulden des Verletzten vorgesehen, während im übrigen die Schuldfrage gleichgültig ist. In unserem Fall kommt höhere Gewalt selbst dann nicht in Betracht, wenn die beiden städtischen Triebwagenführer Kremser und Buchholz, wie das die beklagte Stadt behauptet, sich korrekt verhalten haben und der Zusammenstoß lediglich durch Fahrlässigkeit des Dasbach herbeigeführt sein sollte. Denn zu den typischen Gefahren des Straßenbahnverkehrs gehört gerade die Möglichkeit des unsachgemäßen Eingreifens dritter Personen und Fahrzeuge. Die Betriebsgefahr ist aber niemals höhere Gewalt, mag sie auch zufällig sein."

Unter „höherer Gewalt" versteht man Ereignisse, die von außen her auf den Betrieb einwirken, außergewöhnlicher Natur sind, nicht vorhergesehen und auch durch die zweckmäßigsten Maßnahmen nicht abgewendet oder in ihren Folgen unschädlich gemacht werden können. Als höhere Gewalt wurden z. B. anerkannt: Schneesturm, Feuer, Blitz, Überschwemmung und ähnliche Elementarereignisse, ferner plötzliche Erkrankung des Lokomotivführers (RG 114, 12). Nicht aber, wenn unmittelbar am Ufer eines häufig Hochwasser führenden Baches liegende Bahngleise beim Abrutschen des Bahndammes brechen (RG D R 43, 993). Ferner nicht das Scheuen von Zugtieren (RG 62, 145), das Hinauswerfen von Gegenständen aus dem fahrenden

Zivilkammer — Verpflichtung zur Operation

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Zuge (JW i i , 192 27 ), unbedachtsames Hineinlaufen von Kindern oder anderen Personen in Straßenbahnen, Aufspringen auf einen fahrenden Zug. Hier kann der Betriebsunternehmer sich nicht auf höhere Gewalt berufen, sondern nur konkurrierendes Verschulden einwenden, sofern dessen subjektive Voraussetzungen (§ 2761 S. 3 827, 828 B G B ) erfüllt sind. R G J W 13, 218 36 , B G H VersR 1959, 632. Das gleiche gilt bei Zusammenstoß eines Kraftwagens mit einer Eisenbahn an einem unbeschrankten Bahnübergang. B G H VersR 1959, 49 (dazu Böhmer J R 1959, 91). Sogar einem Fahrgast, der vor kurzem an einem Eisenbahnunfall beteiligt gewesen war und nun in der — irrtümlichen —• Annahme, es werde ein Zusammenstoß stattfinden, beim Rangieren aus dem Zuge sprang, wurde zugute gehalten, daß seine Verwirrung durch einen früheren Betriebsvorgang hervorgerufen, also die gefährliche Natur des Eisenbahnbetriebes mit im Spiel war und demgemäß höhere Gewalt verneint. R G 95, 64. „Das eigene Verschulden begründet die Beklagte in doppelter Weise. Einmal behauptet sie Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens (vgl. § 2 5 4 1 B G B ) dutch unvorsichtiges Hinauslehnen aus dem Straßenbahnzuge: dieser Einwand ist aus den Gründen oben zu 1 erheblich. Sodann leitet sie mitwirkendes Verschulden bei der Abwendung oder Minderung des Schadens (§ 2 5 4 1 1 S. 1) daraus her, daß Spielmann seine Zustimmung zur Operation zunächst grundlos verweigert habe. Ablehnung von Operationen ist jedoch nur dann schuldhaft, wenn kein wesentliches Risiko zu befürchten war, was man bei einer Schädeloperation keinesfalls sagen kann. Staudinger-Werner, Anm. 58 zu § 254 B G B . „II. Zur Begründung des durch das HaftpflG nicht erfaßten S a c h s c h a d e n s dient das Sachschaden-HaftpflG von 1940. Nach § 1 der E r g V O vom 6. Mai 1941 gilt es auch für Sachen, die ein Fahrgast an sich trägt oder mit sich führt."

Dagegen findet das Gesetz keine Anwendung auf die Beschädigung von Sachen, die die Eisenbahn zur Beförderung angenommen hat (§ 10). Hier bewendet es bei der Haftung aus § 454 H G B in Verbindung mit der Eisenbahnverkehrsordnung und den allgemeinen Vorschriften. „Die Anmeldung des Schadens ist innerhalb der Ausschlußfrist von 3 Monaten erfolgt

(§ 5)" Ansprüche aus dem SachschadenG verjähren 2 Jahre nach erlangter Kenntnis (§6). Neben dieser, nur auf Einrede (§ 22 2 1 B G B ) zu beachtenden Verjährungsfrist steht die 3 monatliche Ausschlußfrist des § 5, welche wie alle Ausschlußfristen von Amts wegen geprüft wird. Hat der Ersatzpflichtige auf andere Weise Kenntnis vom Unfall erlangt, so bedarf es der Anmeldung nicht (§5 S. 2). Im HaftpflG gibt es bloß eine Verjährungsfrist von 2 Jahren, die nicht von der Kenntnis sondern vom Unfall (bezüglich der Ansprüche der Hinterbliebenen vom Tode) ab läuft (§8). „Die Ersatzpflicht ist gemäß § 2 nicht bei höherer Gewalt ausgeschlossen, sondern bei Eisenbahnen und insbesondere bei Straßenbahnen im eig. Sinne, d. h. bei Straßenbahnen, die .innerhalb des Verkehrsraums einer öffentlichen Straße liegen', nur bei einem unabwendbaren Ereignis, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs oder der Anlagen der Bahn noch auf einem Versagen ihrer Verrichtungen beruht."

Diese Regelung rechtfertigt sich daraus, daß solche Bahnen, die keinen eigenen Bahnkörper haben, mehr die Bedeutung eines Kraftfahrzeugs, insbesondere eines Kraftomnibusses haben (amtl. Begründung, D J 40, 545). Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses ist daher derselbe wie im StVG § 7, wenn auch die einzelnen im § 7 1 1 S. 2 StVG für ein unabwendbares Ereignis aufgeführten Beispiele im § 2 SachschadenG nicht erwähnt sind. Nach § 7 1 1 S. 2 StVG gilt ein Ereignis insbesondere dann als unabwendbar, wenn es auf das Verhalten des Verletzten oder eines nicht bei dem Betrieb beschäftigen Dritten oder eines Tieres zurückzuführen ist

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Zivilkammer — Unabwendbares Ereignis

u n d sowohl der Halter als der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses ist weiter als der Begriff der höheren Gewalt, Für das unabwendbare Ereignis ist nicht erforderlich, daß es von a u ß e r h a l b des B e t r i e b s einwirkt und daß es ganz a u ß e r g e w ö h n l i c h ist (vgl. oben S. I04f). Erforderlich ist nur, daß es v ö l l i g u n v e r s c h u l d e t ist, d. h. daß es „auch durch die äußerste, nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt nicht zu verhindern war", B G H VRS 9, 184. So ist als unabwendbares Ereignis angesehen worden der Zusammenstoß an einer Kreuzung, wenn der andere mit übermäßiger. Geschwindigkeit von links kommt (JW 37, 2361), oder wenn der Kraftfahrer durch das nicht voraussehbare, grob verkehrswidrige Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers zu einer geringfügig fehlerhaften Handlung veranlaßt wurde, durch welche dann ein Unfall entsteht (DR 39, 783), insbesondere wenn erwachsene Fußgänger, die mitten auf dem Fahrdamm gehen, beim Herannahen des Kraftwagens nach rechts ausweichen und plötzlich wieder nach links in die Fahrbahn hereinlaufen (DAR 1954, 108). Kein unabwendbares Ereignis dagegen ist das Reißen eines schadhaften Reifens oder der Zusammenstoß in der Mitte der Straße mit einem entgegenkommenden Kraftwagen beim Uberholen (JW 38, 2758 vgl. auch B G H V R S 1951, 420). Das Gutachten fährt demnach fort: „Um ein unabwendbares Ereignis i. S. des § 2 darzutun, muß die Beklagte nicht nur nachweisen, daß Bahnanlagen und Beschaffenheit der Fahrzeuge, insbesondere die Bremsvorrichtungen in Ordnung waren, sondern — wie in § 7 1 1 S. 2 StVG — daß sowohl Kremser, derFahrer der Linie 16, als auch Buchholz. der Fahrer der Linie 19, jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben. Letzteres wird ihr nicht gelingen, da unstreitig beide Fahrer angefahren hatten, der Verkehrsschutzmann aber nur eine Richtung freigegeben haben kann. Trifft somit der Haftungsausschluß des § 2 nicht zu, so kann doch die Schadenersatzpflicht teilweise oder sogar gänzlich wegfallen, je nachdem ein eigenes Verschulden des geschädigten Spielmann mitgewirkt hat (§ 3). Es gilt hier Gleiches wie oben zu 1 . " W a r bei einem Unfall der Geschädigte in das Fahrzeug hineingelaufen, ihm nicht aus dem Wege gegangen oder hat er sonst zu dem Unfall beigetragen, so ist zunächst zu prüfen, ob sein Verhalten — rein objektiv betrachtet, ohne Rücksicht auf V e r schulden — ein „unabwendbares E r e i g n i s " darstellt. Mit der Bejahung der Frage entfällt die Haftung des Halters gänzlich. Bei Verneinung setzt die weitere Prüf u n g unter dem Gesichtspunkt des „konkurrierenden Verschuldens" ein, die zur Verteilung des Schadens nach Maßgabe des § 2 5 4 B G B führen kann. Die alsbald zu besprechenden Höchstsätze des § 4 SachschadenG und § 1 2 S t V G werden erst angewandt, nachdem der an sich zu ersetzende Schadensbetrag gemäß § 254 ermittelt ist. R G 87, 4 0 2 ; 1 2 3 , 40. „Der geltend gemachte Sachschaden hält sich innerhalb des Höchstbetrags von 25 000 D M (§ 4 i. d. Fassung des Ges. vom 16. Juli 1957). B. Aus dem mit Spielmann abgeschlossenen B e f ö r d e r u n g s v e r t r a g haftet die beklagte Stadt für allen ihm entstandenen Schaden, auch den Sachschaden, und hat dabei nach § 278 B G B — ohne Exkulpationsmöglichkeit — für das Verschulden der Personen einzustehen, deren sie sich zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit bediente. Ein solcher Erfüllungsgehilfe war nicht bloß Kremser, sondern auch Buchholz, obgleich er nicht unmittelbar bei der Beförderung Spielmanns tätig war; denn derBetrieb der Straßenbahn ist ein einheitlicher. R G 8 3 , 348; 104, 145. Eine vertragliche Ersatzpflicht ist also gleichfalls gegeben, da entweder Kremser oder Buchholz die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat. Einwand des mitwirkenden Verschuldens: wie oben zu 1. C. Schließlich ist die Stadt aus § 8 3 1 1 S. 1 zum Ersatz alles dem Verunglückten und seiner Witwe durch Kremser und Buchholz in A u s f ü h r u n g der V e r r i c h t u n g e n , zu denensie bestellt waren, zugefügten Schadens verpflichtet, sofern nicht der von ihr angetretene Beweis gelingt, daß sie bei der Auswahl und Leitung die verkehrsmäßige Sorgfalt gewahrt habe (§ 831 1 S. 2) oder daß Spielmann ein eigenes Verschulden trifft (oben zu 1)."

Zivilkammer — Kraftfahrzeughaftung

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Die Ersatzpflicht der Eisenbahn aus § 831 wird besonders wichtig, wenn Ansprüche auf Schmerzensgeld oder Ersatz von Dienstleistungen erhoben sind, die weder aus dem HaftpflG noch aus vertraglicher Haftung hergeleitet werden können (oben S. 99), oder wenn die Rentenansprüche die Höchstsumme des § 7 a HaftpflG übersteigen. Der Entlastungsbeweis des § 831 1 S. 2 bezieht sich, was häufig übersehen wird, neben der Auswahl u. U. auch auf Leitung (Erteilung von Instruktionen u. dgl., vgl. B G H N J W 1959, 2302), und —- bei längeren Zwischenräumen zwischen der ersten Anstellung und Schadenszufügung — auf eine regelmäßige Überwachung, R G 142, 361. „ 3 . H a f t u n g des P o s t f i s k u s Sie ist in erster Reihe auf das S t V G , in zweiter auf § 831 B G B zu stützen. A . Der Postfiskus haftet nach § 7 S t V G als Kraftfahrzeughalter für Personen- und Sachschaden, weil der Unfall bei dem Betrieb eines von ihm gehaltenen Kraftfahrzeugs geschah."

Von der Haftung des Kraftfahrtrechts sind nach § 8 1 Fahrzeuge bis 20 km Höchstgeschwindigkeit, gleichviel ob sie der Personen- oder der Güterbeförderung dienen, ausgenommen. Sowohl von den verkehrspolizeilichen wie von den Haftpflicht- und Strafbestimmungen des Gesetzes befreit sind nach § 27 „Kleinkrafträder", d. s. Krafträder (Zweiräder, auch mit Beiwagen) und Fahrräder mit Hilfsmotor mit einem Hubraum bis zu 50 ccm (§ 67 a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13. November 1937, in der Fassung vom 29. März 1956, BGBl. I 271). Sie gehören zur Führerscheinklasse 4 (§§4,5 StVZO). Ersatzansprüche bestehen gemäß § 823 B G B gegen den Fahrer und gemäß § 831 gegen den Halter. „Die Anmeldung des Schadens ist binnen zwei Monaten erfolgt (15 S t V G ) . "

Anders als § 5 Sachschaden-HaftpflG beträgt die Anmeldepflicht hier schon 2 Monate. Im übrigen vgl. oben S. 105. „Die Ausführungen, mit denen der beklagte Postfiskus dartun will, daß der Zusammenstoß für ihn ein unabwendbares Ereignis (§ 7 1 1 StVG) gebildet habe, sind nicht schlüssig. E s mag sein, daß dem Führer Dasbach keine Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 1 S. 2 B G B zur Last fällt. Aber bei einer Geschwindigkeit von etwa 20 Stundenkilometern, mit der er sich der belebten Straßenkreuzung genähert hat, läßt sich nicht sagen, daß er ,jede' nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Erheblich ist der Einwand, daß Spielmann durch sein unvorsichtiges Hinausbeugen von dem Zusammenstoß betroffen worden sei (§§ 9 S t V G , 254 B G B , oben zu 1). Hingegen versagt der weitere Einwand aus der angeblich unsachgemäßen Behandlung durch Dr. Andreas. Seiner Verpflichtung zur Minderung des Schadens genügte Spielmann dadurch, daß er sich in ein städtisches Krankenhaus und in die Behandlung eines approbierten Arztes begab. Für etwaige Kunstfehler des Arztes hat der Beklagte einzustehen. Anders wäre es nur, wenn der Arzt entgegen allen Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung oder in verbrecherischer Weise die Heilung gestört hätte, so daß durch sein Dazwischentreten kein Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und dem Tod Spielmanns mehr bestände. Hierfür hat der Beklagte nichts angeführt. R G 72, 2 1 9 ; vgl. auch B G H 3, 268 und oben S. 102. A b w . Staudinger-Werner Anm. 68 zu § 254 B G B .

Die Möglichkeit, das Verschulden des Arztes in das Verhältnis des Verletzten zum Schädiger hineinzuziehen, gibt § 254 11 S. 2, der dem Geschädigten die Pflicht auferlegt, für Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und hierbei die entsprechende Anwendung des § 278 ausdrücklich vorschreibt. Nach dem äußeren Aufbau des Paragraphen kommt für das konkurrierende Verschulden bei der Entstehung des Schadens (Abs. I) eine Berücksichtigung des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen nicht in Frage. Die herrschende Rechtsprechung wendet gleichwohl § 278 auf Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens an, freilich unter der Voraussetzung, daß bereits eine gesetzliche, vertragliche oder sonstige Verbindlichkeit bestand, in deren Rahmen der Dritte als Erfüllungsgehilfe erscheint. Fehlt

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Ziviikammer — Kraftposthaftung

es hieran, so haftet der Geschädigte für Mitverschulden seines Beauftragten analog § 8 3 1 , also mit der Möglichkeit der Exkulpation. B G H 1, 248, einschränkend allerdings B G H 3, 4 6 ; 9, 3 1 6 ; 24, 325 und insbesondere die lesenswerte Entscheidung B G H V e r s R 1959, 1009, wonach der Geschädigte sich § 278 schon entgegenhalten lassen muß, wenn ein Vertrag für ihn Schutzwirkungen in dem oben S. 26 aufgezeigten Sinne mit sich bringt. F ü r eine analoge A n w e n d u n g des § 278 schlechthin setzt sich die Rechtslehre ein, vgl. Staudinger-Werner A n m . 61 zu § 2 5 4 B G B . „Die Ersatzpflicht des beklagten Postfiskus aus dem StVG wird durch die in § 1 2 1 Ziff. 1 u. 3 (i. d. Fassung vom 16. Juli 1957) festgesetzten Höchstsummen begrenzt. Der geforderte Sachschaden hält sich innerhalb der gesetzlichen Grenze von 10000 D M ; der Personenschaden übersteigt nicht die bei Tötung oder Verletzung eines einzelnen Menschen zulässigen Sätze (50000DM Kapitalbetrag oder 3 000 D M Jahresrente)." Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß die Gefährdungshaftung des S t V G anders als die des H a f t p f l G (oben S. 104) grundsätzlich nicht zugunsten der beförderten Insassen gilt. Eine Ausnahme macht § 8a (i. d. Fassung v o m 16. Juli 1957), wenn es sich um entgeltliche Beförderung durch ein dem öffentlichen V e r kehr dienendes Fahrzeug handelt. Diese Ausnahme kommt namentlich für K r a f t posten in Betracht, da die § § 7 — 1 6 S t V G in § 6 5 1 PostO (i. d. Fassung v o m 27. März 1940) bezogen sind. F ü r Sachschäden einschl. des Schadens an mitgeführtem Handgepäck haftet allerdings die Post in Abweichung v o n § 1 2 1 Ziff. 3 S t V G gemäß § 6 5 1 1 PostO nur bis zum Höchstbetrag v o n 500 D M . F ü r Reisegepäck gilt die Sonderbestimmung des § 66 PostO. Im einzelnen vgl. zur Haftung der Kraftposten Hellmuth, D J 40, 973 und 1 1 6 3 . S. auch B G H 1/99. „ B . Für den über § 12/ Ziff. 1 StVG hinausgehenden Schaden kommt § 839 B G B i. Vbdg. mit Art. 34 G G nicht in Betracht. Zwar ist die Personenbeförderung der Post im normalen Linienverkehr Ausübung öffentlicher Gewalt (BGH 20,102; vgl. auch N J W 1959, 985). Das trifft aber nicht zu, wenn ein Kraftwagen der Post von einem Verein zu einer Sonderfahrt gemietet wurde. Der Postfiskus haftet demnach nur nach Maßgabe des § 831 B G B , also vorbehaltlich des Beweises, daß er den Wagenführer Dasbach mit der notwendigen Sorgfalt ausgewählt und überwacht hat und vorbehaltlich des Nachweises eines Verschuldens des Verletzten (oben zu 1). Soweit mehrere der Beklagten für dieselben Ansprüche haften, sind sie nach § 8401 B G B Gesamtschuldner. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt hiernach von einer Reihe streitiger Punkte ab, nämlich vom Verschulden des Beklagten Buchholz und des Kremser, vom Verschulden der beklagten Stadt und der Post bei Auswahl und Beaufsichtigung der Führer Buchholz, Kremser und Dasbach, von dem unvorsichtigen Verhalten des Wolfgang Spielmann bei dem Zusammenstoß, von der Ursache des Todes des Wolfgang Spielmann. Nach dem Beweisergebnis ist eine eigene Schuld des Verletzten nicht bewiesen. Der Beklagte Buchholz hat den Zusammenstoß fahrlässig herbeigeführt. Die Stadt hat bezüglich Buchholz und Kremser, der Postfiskus bezüglich Dasbach die diligentia in eligendo et inspiciendo gewahrt. (Alles das wird näher dargelegt unter gleichzeitiger Wiedergabe des Ergebnisses der Beweisaufnahmen zu den einzelnen Punkten, vgl. oben S. 101 zu Anm. 1.) Über die Todesursache sagen die Sachverständigen übereinstimmend: der Tod sei als Folge der Schädelverletzung eingetreten. Allerdings würde die Verletzung wahrscheinlich nicht zum Tode geführt haben, wenn nicht der Verstorbene, der erst im 33. Lebensjahre stand, durch seinen Alkoholismus und seine Herzverfettung wenig widerstandsfähig gewesen wäre. Seine krankhafte Konstitution würde in jedem Fall die Dauer des Lebens und der Erwerbsfähigkeit abgekürzt haben und über das 5 5. Lebensjahr hinaus würde er ohne den Unfall bestimmt nicht erwerbsfähig geblieben sein.

Zivilkammer — § 265 Z P O

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Die Feststellung der voraussichtlichen Lebensdauer gehört zum Grund. Aus Zweckmäßigkeitsgründen kann hierüber allerdings beim Betrag entschieden werden. Jedoch muß das Grundurteil erkennen lassen, ob darüber entschieden ist, Baumbach zu § 304, 3 D. Ich will daher den 5 5. Geburtstag Spielmanns, den 10. Oktober 1981, in das Grund-Urteil aufnehmen."

Geldrenten aus § § 8 4 4 « B G B , 3 1 1 , 7 HaftpflG, io 1 1 , 13 S t V G dürfen, da sie von der mutmaßlichen Dauer des Lebens und der Leistungsfähigkeit des Getöteten abhängen, nicht ohne zeitliche Begrenzung zugesprochen werden.

Der Vorsitzende: Im Verfahren über den Grund ist stets die Frage der Sachlegitimation zu erledigen (Baumbach zu § 304, 3 C). Diese Frage mußte sogar im Gutachten zuerst geprüft werden. Denn wenn die Klägerin nicht befugt ist, den Anspruch geltend zu machen, erübrigt sich eine Entscheidung über den Anspruch selbst (Berg, Gutachten und Urteil S. 5 3 f., 63). Kann also die Klägerin nach Auszahlung der Saxophon-Versicherungssumme noch aufErsatz des Sachschadens klagen? Der Referendar: „ D i e Versicherung der Instrumente gegen Transportgefahr ist als solche für die Ersatzpflicht der Beklagten ohne Bedeutung. Dagegen hat die Entschädigungsleistung selbst nach dem für sämtliche Arten der Schadensversicherung (Feuer-, Hagel-, Vieh-, Transport-, Haftpflichtversicherung usw.) maßgebenden § 67 W G die Wirkung, daß die dem Versicherungsnehmer bzw. seiner Erbin an dritte Person zustehenden Ersatzansprüche in Höhe der g e l e i s t e t e n Entschädigung ipso iure auf den Versicherer übergingen. Wären die 500 D M vor Klageerhebung gezahlt worden, so würde der Klägerin die Aktivlegitimation gefehlt haben und die Klage in Höhe der 500 D M nebst Zinsen abzuweisen sein. Nach der von der Klägerin vorgelegten Originalquittung vom 3. August 1959, deren Echtheit die Beklagten nicht bestritten haben, ist aber anzunehmen, daß die Ersatzleistung erst nach Klagezustellung erfolgte. Gemäß § 26 5 1 1 S. 1 Z P O blieb sie daher befugt, den Anspruch weiter zu verfolgen. Durch Umstellung des Klageantrags auf teilweise Zahlung an die Versicherungsgesellschaft hat sie der veränderten materiellen Rechtslage Rechnung getragen."

§ 265 gilt für rechtsgeschäftliche und gesetzliche Zession und ist auf Pfändung und Überweisung von Forderungen entsprechend anzuwenden. Daß der Kläger nach Abs. II S. 1 die Legitimation behält, ist außer Streit, ebenso daß dies nur geschieht, wenn die Legitimation im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 25 3 1 ) gegeben war. Zweifel bestehen darüber, wie die nach Klagezustellung eingetretene materiellrechtliche Änderung prozessual zum Ausdruck gelangt. Manche fassen die gesetzliche Vorschrift, daß „die Veräußerung oder Abtretung auf den Prozeß keinen Einfluß" habe, so auf, als ob die Zession überhaupt zu ignorieren wäre. Das kann nicht richtig sein, weil dann die in Abs. 1 anerkannte Möglichkeit der Abtretung rechtshängiger Ansprüche wieder illusorisch sein würde. Nach richtiger Meinung verbleibt dem Kläger die Sachlegitimation als rein prozessuale Klagbefugnis: er muß den Antrag auf Leistung an den Zessionar umstellen, kann sich nicht mehr materiell über den Anspruch vergleichen, keinen Verzicht erklären usw. Stein-Jonas-Schönke I V 1 zu § 265. „Zusammenfassend ergibt sich also: der Klaganspruch ist gegen alle 3 Beklagten begründet, gegen Bucbholz aus § 823 1 B G B , gegen die Stadt aus dem HaftpflG, dem SachschadenG und vertraglicher Schadensersatzpflicht, gegen den Postfiskus aus § 7 StVG. Hieraus folgt die Anerkennung der gesamtschuldnerischen Ersatzpflicht mit der Einschränkung, daß die Rente der Klägerin spätestens am 10. Oktober 1977 endet, ferner die Abweisung der Geldrente über den 10. Oktober 1977 hinaus." „Ich schlage deshalb folgendes Urteil vor: 1. Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für berechtigt erklärt mit der Maßgabe, daß die Geldrente spätestens mit dem 10. Oktober 1981 endet. 2. Mit dem Anspruch auf Geldrente über den 10. Oktober 1981 hinaus wird die Klägerin abgewiesen. 3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten."

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Zivilkammer — Vorteilsausgleichung

„ S c h l u ß " - , nicht „ E n d u r t e i l " . Das Urteil ist Endurteil (Teilurteil, § 3 0 1 ) nur, soweit es die Klägerin abweist. Soweit es Ansprüche dem Grunde nach feststellt, ist es ein Zwischenurteil, wenn auch gemäß § 30411 selbständig anfechtbar wie ein Endurteil. Will bei Verbindung von Leistungs- und Feststellungssklage (S. 99 f) das Gericht die prinzipielle Ersatzpflicht des Beklagten ganz oder zu einer bestimmten Quote aussprechen, so muß der Urteilstenor die Grund-Entscheidung über den Leistungsanspruch und die Feststellung der Pflicht zum Ersatz des weiteren Schadens gesondert zum Ausdruck bringen. Die erste Entscheidung ist Zwischenurteil nach § 304, die zweite Endurteil (Teilurteil). Wird, wie es nicht selten geschieht, in der Urteilsformel bloß „der Anspruch des Klägers zur Hälfte für berechtigt erklärt", so entsteht die schwierige Frage, ob das auf den Feststellungsantrag mit zu beziehen ist. Vgl. R G 136,4, Reinicke N J W 5i/93f. und Steffen N J W 1956/859. D e r Vorsitzende zum Referendar: Sie sind nicht darauf eingegangen, ob und welchen Einfluß die der Klägerin angefallene Erbschaft und die ihr ausgezahlte Abonnentenversicherung auf die Klageansprüche hat. Die Frage gehört richtiger Ansicht nach auch zum Verfahren über den Grund, vgl. Baumbach § 304, 3 C. D e r Referendar: Die Klägerin darf den T o d ihres Mannes nicht zum Anlaß nehmen sich zu bereichern. Soweit der T o d ihr Vermögensvorteile gebracht hat, ist ihr kein Schaden entstanden: s. g. „Vorteilsausgleichung" (compensatio lucri cum damno). Man wendet dabei die Regeln der adäquaten Verursachung an. W a s der Witwe unmittelbar auf Grund gesetzlicher Vorschriften anfällt, ist Todesfolge, mindert den Schaden und damit die ihr zustehende Geldrente; was sie auf besonderer vertraglicher Grundlage erwirbt, bleibt außer Betracht. Daher wird die Erbschaft anzurechnen sein, freilich nicht mit dem Kapital, sondern bloß mit den aus ihr zu erwartenden Einkünften. B G H 8, 3 2 8 ; N J W 1 9 6 1 , 1 1 9 . A u c h gesetzliche Witwenpensionen und Hinterbliebenenrenten aus der Sozialversicherung sind anrechnungspflichtig. Die Versicherungssumme wird nicht berücksichtigt, weil sie auf einem von Wolfgang Spielmann abgeschlossenen Vertrag und den daraus bewirkten Leistungen beruht. Die A b o n n e n t e n v e r s i c h e r u n g ist gewöhnlich eine Sterbegeldversicherung auf den Todesfall, mit Erhöhung bei Tod durch Unfall. Da die volkswirtschaftlich besonders wichtigen Versicherungszweige (Lebens-, Unfall-, Feuer-, Hagel-, Haftpflicht-Versicherung) nur von behördlich überwachten Aktiengesellschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit betrieben werden dürfen (§ 7 n > 1 1 1 Vers.-AufsG), können die Zeitungsverleger, welche ihren Leserkreis durch Abonnenten Versicherung erweitern wollen, nicht selbst als Versicherer auftreten, sondern müssen bei einer zugelassenen Versicherungsgesellschaft eine Generalpolice zugunsten ihrer Abonnenten nehmen, deren Prämie sie selbst bezahlen. Im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird man eine Quote des Abonnementbetrages als Gegenwert für die Beteiligung an der General-Versicherungspolice zu betrachten haben. — Die Abonnentenversicherung hat zu der Frage geführt, ob das Anwerben von Abonnenten für Zeitungen mit derartiger Versicherung im Wandergewerbe gegen § 56 12 GewO verstößt. Vgl. dazu L Z 32, 89; JW 30, 3597. Die zivilrechtliche Verbindlichkeit des Vertragsverhältnisses wird durch eine etwaige Strafbarkeit jedenfalls nicht in Frage gestellt, da das Verbot sich nur gegen eine bestimmte Art der Werbung, nicht gegen den Abschluß als solchen richtet. Nach der heute herrschenden Auffassung ist das oben behandelte Problem der Vorteilsausgleichung nichts weiter als ein Fall der Schadensberechnung: Hat das schädigende Ereignis Nachteile u n d Vorteile gebracht, so ist als Schaden nur der Ü b e r s c h u ß (Saldo) zu ersetzen. Das schädigende und das vorteilbringende Ereignis brauchen nicht „identisch" zu sein, vielmehr genügt „adäquate Verursachung" in dem oben (S. 102) erörterten Sinne, d. h. der Vorteil ist nur dann zuzurechnen, wenn das zu mut bar erscheint. Vgl. B G H 8, 328; 1 0 , 1 0 7 ; 30,29 (betr. Abzug „neu für alt"). Nicht adäquat sind Wohltaten Dritter oder Ansprüche, die der Geschädigte auf Grund eines von ihm oder seinem Dienstherrn freiwillig abgeschlossenen Lebens- oder Unfallversicherungsvertrags erhält.

Zivilkammer — Ausgleichung unter Gesamtschuldnern

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B G H 1 0 , 1 0 7 ; 19, 95. A b w . Staudinger-Werner, Anm. m — 1 1 5 vor § 249 B G B . Muß der Dienstherr gemäß § 616 B G B eine Zeitlang die Dienstbezüge an den geschädigten Arbeitnehmer weiterzahlen, so ist das keine Vorteilsausgleichung; vielmehr kann der Geschädigte den seinem Dienstherrn entstandenen Schaden für diesen geltend machen oder diese Ansprüche an ihn abtreten, B G H 7, 30; vgl. dazu Peßler N J W 1959, 1207fr. — Bei den k r a f t G e s e t z e s bestehenden Ansprüchen gegen die Sozialversicherungsträger, entsteht das Problem der Vorteilsausgleichung nicht, da den Schadenersatzansprüche des Geschädigten kraft Gesetzes auf die Versicherungsträger übergehen. Vgl. § 1542 R V O , § 49 AngVersG, § 86 RVersorgG, § 218 ArbeitslosenVersG. Der Geschädigte ist hier zur Geltendmachung nicht aktiv legitimiert (vgl. unten S. 198). Das gilt entsprechend heute auch von Ansprüchen der Beamten auf Grund eines Dienstunfalls, die nach § 8 7 3 B B G (i. d. Fassung vom 18. September 1957) und den Landesbeamtengesetzen gleichfalls auf den öffentlichen Dienstherrn übergehen. Vgl. hierzu Pentz N J W 1958, 1069. Die Frage, ob der Geschädigte oder im Todesfalle seine Witwe verpflichtet sind, durch eigene Arbeit (evtl. nach Umschulung) die Schadensfolgen zu mindern, ist nicht eine Frage der Vorteilsausgleichung, sondern der Schadensminderung gemäß § 2 5 4 1 1 S. 1 B G B . Sie ist danach zu entscheiden, ob eine solche Tätigkeit dem Geschädigten zuzumuten ist. B G H 16, 2 7 5 ; V R S 1 1 , 2 5 ; Staudinger-Werner, Anm. 57 zu § 254 B G B .

Vorsitzender: Wie denken Sie sich im Innenverhältnis der Beklagten den späteren Ausgleich hinsichtlich der Beträge, für die sie solidarisch haften? Referendar: Nach § § 1 7 , 1 8 1 1 1 StVG hängt im Innenverhältnis die Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Ich würde Buchholz und, wenn er zahlungsunfähig ist, an seiner Stelle der Stadt den weitaus überwiegen den Teil des Schadens auferlegen. Vorsitzender: Ihre Entscheidung ist richtig, aber nicht die Begründung. Die von Ihnen angeführten Vorschriften des StVG treffen nämlich nicht alle Fälle. Sie gelten zwar nicht nur für Ansprüche auf Grund des StVG, sondern für alle „gesetzlichen" Ansprüche (z.B.aus § 823), BGHVersR 1960,636. Sie passen aber nicht,wenn wie hier Buchholz nicht als Fahrer eines Kraftwagens (§ i 8 m StVG), sondern als Fahrer einer Bahn in Anspruch genommen wird. Denn der Fahrer einer Bahn wird (anders als der Halter einer Bahn) nicht als Ersatzpflichtiger und damit auch nicht als Ausgleichspflichtiger in den §§ 17, 18 StVG genannt. Für solche Fälle muß man auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgehen, die sich bereits vor Erlaß des StVG in der Rechtsprechung für den Regreß unter Gesamtschuldnern herausgebildet hatten und von denen die §§ 17, 18 nur eine spezielle Anwendung darstellen. Bekanntlich schreibt § 426 B G B Regreß nach Kopfteilen vor „soweit nicht ein anderes bestimmt ist". Die andere Bestimmung kann nicht bloß in einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift enthalten sein, sondern sich auch aus der Natur des Schuldverhältijisses ergeben, und hierbei wird § 254 — der eigentlich bloß für das Verhältnis des Verletzten zum Schädiger gilt — auf die Gesamtschuldner untereinander analog angewandt. Also kommt es, wie auch das StVG sagt, auf die Umstände und auf das Maß der Kausalität des einzelnen an. R G 61, 56; 84,430; 93,96. Es macht keinen Unterschied, ob die mehreren Ersatzpflichtigen nach § 84oT B G B echte Gesamtschuldner sind oder ob sog. „unechte Solidarität" zwischen ihnen besteht, d. h. einige sowohl vertraglich wie außervertraglich, die übrigen nur aus unerlaubter Handlung bzw. HaftpflG bzw. StVG haften. R G 61,56. Im übrigen ist aus § 840 1 1 ' 1 1 1 B G B die allgemeine Regel abzuleiten, daß im Innenverhältnis in erster Reihe den Schaden zu tragen hat, wer aus eigenem nachgewiesenem Versthulden (z. B. § 823), in zweiter wer aus vermutetem Verschulden (z. B. § 831), in dritter wer bloß aus Gefährdung (§833 B G B , § 1 HaftpflG, §7 StVG) haftet.

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Zivilkammer — Klage auf Einräumung des Vorrangs

Prozeßvergleich Irrgang hatte Pechmann eine Hypothek in Höhe von 8000 DM und sodann Glücksmann eine solche in Höhe von 6000 D M auf seinem Grundstück bewilligt. Unglücklicherweise reichte er die Bewilligungserklärung für Glücksmann zuerst ein, so daß Glücksmann gemäß dem „Präsentatum" vor Pechmann als Hypothekengläubiger eingetragen wurde. Irrgang hat nun die Glücksmannsche Hypothekenbestellung wegen Irrtums angefochten und alsdann alle ihm auf Löschung oder Zurückrücken der Hypothek gegen Glücksmann zustehenden Rechte an Pechmann abgetreten. Pechmann klagt auf Bewilligung des Vorrangs für seine Hypothek und auf Vorlegung des Glücksmannschen Hypothekenbriefs an das Grundbuchamt zwecks Vermerks der Rangänderung (vgl. §§ 896 BGB, 41, 62 GBO). Die Zivilkammer hat beschlossen, die von den beiden Parteien benannten Zeugen darüber zu hören, ob der Beklagte bei den Vorverhandlungen sich ausdrücklich mit einer zweitstelligen Hypothek hinter 8000 D M begnügt hat und ob nach Entdeckung der Rangtauschordnung zwischen den Parteien unter Zustimmung des Grundstückseigentümers Irrgang die Bewilligung des Vorrangs für die Hypothek des Klägers vereinbart wurde. Mit Ausführung des Beweisbeschlusses ist der Berichterstatter beauftragt worden (§§361, 375 ZPO). „Landgericht, I V . Zivilkammer.

Köln, den 12. März i960,

Gegenwärtig: Landgerichtsrat Richter als beauftragter Richter, Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In Sachen des Kleinrentners Paul Pechmann in Köln, Severinstraße 17, Prozeßbevollmächtigter: R A Schwärz in Köln, gegen den Lotteriekollekteur Günther Glücksmann in Köln, Gartenstraße 22, Prozeßbevollmächtigter: R A Weiß in Köln, erschienen in dem zur Beweisaufnahme bestimmten Termin

Klägers, Beklagten,

I. seitens der Parteien: der Kläger und R A Schwang, der Beklagte und R A Weiß, II. als Zeugen: 1. Stellenbesitzer Wilhelm Irrgang aus Rodenkirchen, 2. Institutsinhaber Hermann Kroker aus Köln 3. Frau Lotterieeinnehmer Gerda Glücksmann aus Köln."

Der Richter läßt die Zeugen wieder abtreten und redet den Parteien zu, wegen der Zweifelhaftigkeit der Sache sich lieber zu vergleichen. Glücksmann: Ich sehe nicht ein, wozu ich mich vergleichen soll. Den Prozeß kann ich nicht verlieren. Daß der Kläger sich nicht auf gutgläubigen Erwerb, ungerechtfertigte Bereicherung und Irrtumsanfechtung berufen darf, die er in erster Reihe zur Begründung seiner Klage herangezogen hat, geht daraus hervor, daß das Gericht sonst nicht diesen Beweisschluß erlassen hätte. Richter: Der Kläger hat noch andere Klagegründe. Glücksmann: Mit denen wird er es auch nicht schaffen. Wir haben über den Rang der Hypothek nichts ausgemacht, und es ist nicht wahr, daß ich mich nachher verpflichtet haben soll, dem Kläger den Vorrang zu überlassen. Außerdem hätte das notariell sein müssen.

Zivilkammer — Prozeßvergleich

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Richter: In dieser Frage steht, wie Sie wieder aus dem Beweisbeschluß herauslesen können, die Kammer auf einem für Sie ungünstigen Rechtsstandpunkt. E s gibt keine gesetzliche Vorschrift, nach der die Verpflichtung zu grundbuchlichen Änderungen nur in notarieller oder beglaubigter F o r m möglich wäre. Insbesondere ist das nicht der Sinn des § 873 1 1 B G B , vielmehr bezieht sich die dort erwähnte „Bindung" auf die dingliche Einigung und bedeutet Wegfall der Widerrufsmöglichkeit, öffentlicher Beurkundung bedürfen Verträge, durch die sich jemand zur Übereignung eines Grundstücks (§ 313) oder zur Bestellung der Übertragung eines Erbbaurechts ( § 1 1 ErbbaurVO) oder zur Einräumung oder Aufhebung von Sondereigentum bei Wohnungseigentum (§ 4 1 1 1 W E G vom 15. März 1951) verpflichtet. Ferner unterliegt eine schenkungshalber eingegangene Verpflichtung dem Formzwang des §518 B G B . Im übrigen kann man nach dem allgemeinen Prinzip der Formfreiheit (§125) die obligatorische Verpflichtung zur Bestellung und Löschung von Grunddienstbarkeiten und Hypotheken, zu Abtretungen, Rangänderungen, Neuerungen und sonstigen Veränderungen der dinglichen Rechtsordnung mündlich vereinbaren. A b e r lassen wir einmal die Frage, wie der Prozeß ausgehen wird, ganz beiseite. D a Sie jedenfalls nicht auf Erststelligkeit Wert gelegt haben, sehe ich keinen Grund, warum Sie nicht im Vergleichswege, ohne damit irgend eine Rechtspflicht anzuerkennen, dem Kläger den Vorrang bewilligen. Glücksmann: Z u m mindesten müßte die Rückzahlung der Hypothek abgekürzt werden. Außerdem lehne ich jede Übernahme v o n Kosten ab. Pechmann: Ich bin bereit mich zu vergleichen, kann jedoch bei meiner bedrängten wirtschaftlichen Lage keine Kosten übernehmen. — Nunmehr wird Irrgang hereingerufen, dem der Richter klar macht, daß er nach den Akten dem Kläger unbedingt auf Verschaffung des ersten Ranges hafte und daher froh sein müsse, wenn er die Vorrangseinräumung durch einige Opfer gegenüber den Prozeßparteien erreichen könnte. Irrgang sieht das ein und es kommt zum Vergleich: „ V o r Eintritt in die Verhandlung schlössen die Parteien untereinander und mit dem als Zeugen erschienenen Stellenbesitzer Wilhelm Irrgang aus Rodenkirchen zur Beilegung des Rechtsstreits nachstehenden Vergleich: 1. Die Fälligkeitsbedingungen der für Herrn Glücksmann im Grundbuch von Rondorf, Landkreis Köln Band III Blatt Nr. 67 in Abt. III unter Nr. 1 hypothekarisch eingetragenen Darlehnsforderung von 6000 DM werden dahin geändert, daß am 1. Januar 1961 500 D M (i. W.) und am 1. Januar 1962 1000 D M (i. W.) ohne Kündigung zurückzuzahlen sind. Herr Irrgang verpflichtet sich als persönlicher Schuldner und als Eigentümer des Pfandgrundstücks zur pünktlichen Zahlung dieser Beträge. Im übrigen bleiben die bisherigen Kündigungsbedingungen bestehen. Herr Glücksmann und Herr Irrgang bewilligen, Herr Irrgang beantragt die Eintragung der Veränderung in das Grundbuch. 2. Herr Glücksmann und Herr Irr gang verpflichten sich Herrn Pechmann zur Abgabe aller Erklärungen, welche erforderlich sind, um den für Herrn Pechmann auf dem vorbezeichneten Grundstück in Abt. III unter Nr. 2 hypothekarisch eingetragenen 8000 D M den Vorrang vor den 6000 D M des Herrn Glücksmann Abt. III Nr. 1 zu verschaffen. Herr Glücksmann verpflichtet sich ferner, den Hypothekenbrief dem Grundbuchamt zwecks Eintragung der Rangänderung vorzulegen. 3. Die Herren Glücksmann und Pechmann sind darüber einig, daß die 8000 D M des Herrn Pechmann Abt. III Nr. 2 den Vorrang vor den 6000 D M des Herrn Glücksmann Abt. III Nr. 1 erhalten. Herr Irrgang stimmt als Grundstückseigentümer der Rangänderung zu. Die Herren Glücksmann, Pechmann und Irrgang bewilligen, Herr Pechmann beantragt die L u x , Schulung. j . A u f l . (Berg)

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Zivilkammer — Grundbuchbewilligung im Prozeßvergleich Eintragung der Rangänderung im Grundbuch von Rondorf, Landkreis Köln Band III Blatt Nr. 67. 4. Die Kosten des Rechtsstreits, des Vergleichs und der zu seiner Ausführung notwendigen Grundbucheintragungen übernimmt Herr Irrgang. Vorgelesen, genehmigt. R A Weiß war bei Beginn der Verlesung zu einer anderen Verhandlung abberufen worden. Geschlossen: Richter.

Urkund"

Die vorzeitige Entfernung des Anwalts des Beklagten ist der Wirksamkeit des Vergleichs unschädlich, da im Verfahren vor dem beauftragten Richter ohnehin kein Anwaltszwang gilt (§ 78 11 ZPO, anders beim Einzelrichter, der an Stelle der Kammer steht, oben S. 79 f). — § 2 des Vergleichs enthält die obligatorische Verpflichtung zur Vorrangseinräumung, § 3 die dinglichen Erklärungen des zurücktretenden und vortretenden Gläubigers sowie des Eigentümers (§ 88011 S. 2 BGB). Wird daraufhin die Eintragung im Grundbuch möglich sein ? § 794 1 ZPO verleiht den vor einem deutschen Gericht — ein solches ist auch der beauftragte Richter •— zwischen den Parteien oder zwischen den Parteien und einem Dritten abgeschlossenen Vergleichen die Eigenschaft der Vollstreckbarkeit. Daraus folgt an sich noch nicht, daß grundbuchmäßige Bewilligungen in den Vergleich aufgenommen werden dürfen, weil die „öffentliche" Beurkundung und Beglaubigung, welche § 29 G B O für Bewilligungen verlangt, technische Begriffe und im F G G näher geregelt sind. Nach § 167 F G G besitzen (außer den Notaren) nur die Amtsgerichte die Zuständigkeit für das Beurkundungswesen, während hier ein im Prozeß beauftragtes Mitglied des Landgerichts den Vergleich protokolliert hat. Außerdem schreibt § 177 für öffentliche Beurkundungen zwar nicht die Zuziehung eines Protokollführers, dafür aber, neben der Vorlesung und Genehmigung des Protokolls, seine Unterzeichnung durch die Beteiligten vor, an der es bei unserem Vergleich fehlt. Gleichwohl nimmt die h. L. wegen des erheblich praktischen Bedürfnisses an, daß der Prozeßvergleich jede Form ersetzt, soweit nicht eine andere Behörde sachlich ausschließlich zuständig ist, wie der Standesbeamte für die Eheschließung (RG 107, 285, Baumbach, Anh. nach § 307, 5 A). Ersetzt wird demnach auch die gerichtliche oder notarische Beurkundung, selbst wenn — wie beim Ehevertrag -— gleichzeitige Anwesenheit vorgeschrieben ist, sofern nur beide Teile vertreten sind. Die Zulässigkeit der A u f l a s s u n g im Prozeßvergleich wird durch § 925 1 S. 3 B G B i. d. Fassung des Gesetzes vom 5. März 1953 ausdrücklich bestimmt. Eine etwa erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wird natürlich durch den Vergleich nicht ersetzt (RG 133,259); solange nicht der Vormund die Genehmigung dem Gegner mitgeteilt hat, ist der Vergleich schwebend unwirksam, § 1829. Wie hat, wenn die Erklärungen in § 3 des Vergleichs aus irgendwelchen Gründen nicht ausreichen, die V o l l s t r e c k u n g der im V e r g l e i c h (§ 2) a u s g e s p r o c h e n e n V e r p f l i c h t u n g z u r A b g a b e v o n W i l l e n s e r k l ä r u n g e n zu geschehen? Da Vergleiche grundsätzlich den Urteilen als vollstreckbare Schuldtitel gleichgestellt sind (§ 794 1 ZPO), scheint es nahe zu liegen, gemäß § 894 die Erklärung als abgegeben zu betrachten. § 894 beschränkt indessen die Fiktionswirkung ausdrücklich auf „rechtskräftige" Urteile, und Rechtskraft in diesem Sinne ist, wie allgemein angenommen wird, bei Vergleichen nicht vorhanden. R G 5 5 , 5 7 will mit § 887 helfen, weil der Erfolg der abzugebenden Willenserklärung in der Regel mit Geld zu erreichen sei, mithin eine vertretbare Handlung vorliege; die Entscheidung beruft sich auf die Sonderregelung in § 848. Nach zutreffender Meinung (Stein-Jonas-Schönke I 1 zu § 894) ist die Willenserklärung eine unvertretbare Handlung, folglich nach § 888 vorzugehen.

Zivilkammer — Unwirksamkeit und Nichterfüllung des Prozeßvergleichs

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U n w i r k s a m k e i t des P r o z e ß v e r g l e i c h s : Der Prozeßvergleich kann aus p r o z e s s u a l e n Gründen (z. B. nicht ordnungsmäßige Protokollierung, mangelnde Prozeßvollmacht) oder aus m a t e r i e l l e n Gründen (z. B. wegen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften oder die guten Sitten oder auf Grund Anfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung) unwirksam sein. Sehr umstritten war die Frage, ob diese Unwirksamkeit durch Wiederaufnahme und Fortsetzung des bisherigen Prozesses oder durch eine neue Klage gegen die Wirksamkeit des Prozeßvergleichs geltend zu machen sei. Nach früherer Auffassung, namentlich des RG, konnten nur p r o z e s s u a l e Mängel durch W i e d e r a u f n a h m e des alten Verfahrens geltend gemacht werden; es wurden aber auch materielle Mängel Zugelassen, wenn sich der Streit über die Gültigkeit des Vergleichs in einer R e c h t s f r a g e erschöpfte oder wenn die Entscheidung von unstreitigen oder sonst keiner Beweiserhebung bedürftigen Tatsachen abhing. Die jetzt h. A. läßt wegen aller Mängel die Wiederaufnahme des alten Verfahrens zu. Vgl. die eingehend begründete Entsch. BGH 28, 171, ferner BArbG NJW i960, 2211; BSG NJW 1958, 1463 (s. aber auch BGH NJW 1959, 532). Das hat den Vorteil, daß ein neuer Prozeß mit weiteren Kosten vermieden wird, bereits erhobene Beweise alsbald benutzt werden können und in der Regel die Richter, die den Prozeßstoff kennen und an dem Vergleich mitgewirkt haben, über den Bestand des Vergleichs entscheiden. E i n w e n d u n g e n , die sich auf zeitlich vor dem Vergleichsabschluß liegende Tatsachen stützen, können bei einem Prozeßvergleich mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden. Die Einschränkung des § 76711 gilt hier nicht. BGH NJW 1953, 345. Die A u s l e g u n g eines r e c h t s w i r k s a m e n Vergleichs kann Gegenstand eines n e u e n R e c h t s s t r e i t s sein. Vgl. BGH 16, 388fr. N i c h t e r f ü l l u n g des P r o z e ß v e r g l e i c h s : Ein Gläubiger, der einem Schuldner im Vergleich Ratenzahlungen gewährt, glaubt vielfach, bei Nichteinhaltung der Raten ohne weiteres zur sofortigen Geltendmachung der vollen Vergleichssumme oder zum Rücktritt vom Vergleich befugt zu sein. Indes ist das zweifelhaft, so daß die Aufnahme einer entsprechenden Verfallklausel in den Vergleich stets angebracht ist. Eine Möglichkeit, vom Vergleich loszukommen, bietet vielfach § 326, sei es in seiner direkten Anwendung (Verzug mit Fristsetzung), sei es unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung (unten S. 146). Streitig ist auch hier, ob die Folgen des Rücktritts im alten Verfahren geltend zu machen sind (so BAG 3, 43) oder in einem neuen Rechtsstreit (so BGH 16, 388). Der letzteren Auffassung ist zuzustimmen. Vgl. auch die Literaturhinweise bei Staudinger-Brändl (11. Aufl.) Anm. 33, 34 zu § 779 BGB. Zur Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g aus s c h i e d s r i c h t e r l i c h e n V e r g l e i c h e n gehört, abweichend von den vor einem staatlichen Gericht geschlossenen Vergleichen, daß 1. die Parteien sich im Vergleich ausdrücklich der Vollstreckung unterworfen haben, 2. der Vergleich von den Parteien und sämtlichen Schiedsrichtern unterzeichnet, 3. die Vollstreckbarkeit vom Gericht in einem Verfahren ausgesprochen ist, das im wesentlichen mit der Vollstreckbarkeitserklärung von Schiedssprüchen übereinstimmt. § 1044 a ZPO.

Freigabe von Sicherheiten In Sachen Gallwitz gegen Gottwald (S. 85 fr.) ist die Zwangsvollstreckung auf die Klage für unzulässig erklärt worden und das Urteil hat Rechtskraft erlangt. Wir erinnern uns, daß auf Antrag des Klägers Einstellung der Zwangsvollstreckung und, gegen eine von ihm zu stellende Sicherheit von 3500 DM, Aufhebung der erfolgten Vollstreckungsmaßregeln angeordnet war. Gallwitz hat die Sicherheit geleistet, weil gerade Gelegenheit zum Verkauf des Fichtnerschen Geschäfts bestand und er bei dieser Gelegenheit vom Käufer des Geschäfts wegen seiner Forderung abgefunden werden sollte. Die Hinterlegungsstellen geben hinterlegte Beträge grundsätzlich nur heraus, wenn schriftliche Einwilligungserklärungen aller Beteiligten beigebracht werden, oder die Berechtigung des Empfängers durch rechtskräftige Entscheidung mit Wirkung gegen die Beteiligten festgestellt ist oder eine zuständige Behörde die Herausgabe angeordnet hat (§§13, 15 HinterlO vom 10. März 1937). Die meisten Fälle, in denen eine Prozeßsicherheit gegenstandslos geworden ist, erledigen sich ohne nochmalige Anrufung des Prozeßgerichts dadurch, daß die Partei, der die Sicherheit haftet, die Rückgabe an den Gegner b e w i l l i g t . Dabei verlangt die Hinterlegungsstelle, wenn sie die Unterschrift nicht kennt, Beglaubigung, kann sich aber mit der Beglaubigung durch eine zur Führung eines öffentlichen Siegels berechtigte Person (z. B. Polizeibehörde, Bürgermeister, Standesbeamter, 8*

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Zivilkammer — Freigabe von Sicherheiten

Schiedsmann) begnügen ( § 1 4 HinterlO). Das gleiche gilt, wenn eine Vollmachtsurkunde eingereicht wird. Kann der Hinterleger von seinem Gegner keine rechtsgeschäftliche Auszahlungsbewilligung erhalten, so müßte er an sich die Einwilligungsklage erheben und könnte erst nach Rechtskraft des Urteils (§ 894 ZPO) seine Sicherheit herausverlangen. Dieses zeitraubende und kostspielige Verfahren ist aber nur erforderlich, soweit nicht auf Grund eines der folgenden vereinfachten Beschlußverfahren mit einer alsbaldigen Anordnung der Rückgabe gerechnet werden kann. Andernfalls fehlt für eine solche Klage das Rechtsschutzbedürfnis. R G 156, 167. 1 . Hat der K l ä g e r , der ein gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Urteil erwirkt hatte, Sicherheit bestellt und nachher den Prozeß rechtskräftig gewonnen, so ordnet auf An trag das Prozeßgericht gegen Vorlegung des Rechtskraftzeugnisses sofort die Auszahlung an ihn an (§ 715). 2. War vom B e k l a g t e n zur Abwendung der Vollstreckung hinterlegt, so ordnet die Hinterlegungsstelle selbständig die Auszahlung an den Kläger an, wenn er nachweist, daß dieVerurteilung des Beklagten rechtskräftig geworden ist. Das beruht darauf, daß der Kläger durch die Hinterlegung des Beklagten ein Pfandrecht an der Forderung gegen das Land auf Rückerstattung erworben hatte (§§233 B G B , 7 HinterlO) und daß im Stadium der Pfandreife dem Pfandgläubiger die alleinige Einziehungsbefugnis zusteht (§ 1282 BGB). 3. Im übrigen sieht § 109 Z P O ein Provokationsverfahren vor, welches durch das Mittel der gerichtlichen Fristsetzung die Initiative zur Klageerhebung vom Hinterleger auf den Gegner abwälzt. Grundlage dieses Verfahrens bildet die Feststellung, daß die „Veranlassung für die Sicherheitsleistung weggefallen" ist. 4. Ein dem § 109 genau entsprechendes Provokationsverfahren bei der Hinterlegungsstelle — von dem aber bei Prozeßsicherheiten wenig Gebrauch gemacht wird — sieht § 16 HinterlO vor. Das Verfahren aus § 109 Z P O unterliegt keinem Anwaltszwang (§§ i o 9 m , 78 1 1 ), doch ist die Mitwirkung des Prozeßbevollmächtigten hier ebenso üblich wie bei der Kostenfestsetzung. Gallwitz überreicht also durch seinen Anwalt die mit Rechtskraftszeugnis versehene Urteilsausfertigung sowie Nachweis über die von ihm bewirkte Hinterlegung und beantragt: „dem Beklagten eine Frist gemäß § 109 1 Z P O zu bestimmen." W a n n ist im S i n n e des § 109 Z P O die V e r a n l a s s u n g f ü r e i n e S i c h e r h e i t w e g gefallen? Jede prozessuale Sicherheit trägt den Charakter eines Provisoriums. So lange das Schicksal des Rechtsstreits und der unter die Sicherheit fallenden Ansprüche sich in der Schwebe befindet, ist die Festlegung der Kaution gerechtfertigt. Dagegen fehlt es an einem Grunde, die Sicherheit zu verlängern, wenn durch die ergangenen Entscheidungen entweder die absolute Unmöglichkeit solcher Ansprüche oder aber feststeht, daß die entstandenen Ansprüche abgeschlossen sind und liquidiert werden können und daß die Entstehung weiterer Ansprüche ausgeschlossen ist. Denn die Fristsetzung soll ja gerade klarstellen, ob und in welcher Höhe die Sicherheit in Anspruch genommen werden kann. Alles das wird vom Gericht unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage nach freiem Ermessen geprüft. Hat z. B. ein Beklagter zur Abwendung der Vollstreckung hinterlegt und erkennt das Gericht später im Wechsel-Nachverfahren rechtskräftig auf Klageabweisung, so ist § 109 anwendbar. J W 02, 163 8 . Ebenso wenn ein Arrest (einstweilige Verfügung) rechtskräftig für ungerechtfertigt erklärt ist und der Arrestkläger Sicherheit geleistet hatte. R G 61, 300. Hat dagegen das Arrestverfahren mit rechtskräftiger Bestätigung geendet, steht aber die Entscheidung des Hauptprozesses noch aus,so kann die Arrestkaution nicht freigegeben werden: denn für den Fall, daß in der Hauptsache der Arrestanspruch verneint werden sollte, sind Schadensersatzansprüche des Arrestbeklagten aus § 945 möglich. R G 72, 27. Vgl. auch B G H 1 1 , 303: Hat Kläger aus einem gegen Sicherheitsleistung vorl. vollstr. Urteil eines L G nach Sich.Leistg. vollstreckt, so fällt Anlaß zur Sich.Leistg. nicht schon dadurch weg, daß das O L G das Urteil bestätigt und ohne Sich.Leistg. für vorl. vollstreckbar erklärt. Hierzu O L G Nürnberg N J W 1959, 535 und Lent N J W 1959, 946. Daß die von Gallwitz gestellte Sicherheit gegenstandslos geworden ist, kann nicht zweifelhaft sein. Sie sollte dem Interventionsbeklagten für den Fall der Klageabweisung an Stelle der ursprünglichen Pfandstücke haften. Wird rechtskräftig auf Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung erkannt und das Pfändungspfandrecht Gottwalds verneint, so sind Ansprüche des Beklagten auf die Sicherheit undenkbar. Vgl. R G 50, 376; 86, 36. —Verfügung des Rechtspflegers (§ 19 Ziff. 3 RPflG).

Zivilkammer — Freigabe von Sicherheiten

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„ i . B e s c h l u ß . In Sachen wird auf Antrag des Klägers dem Beklagten gemäß § 109 Z P O eine Frist von 2 Wochen, von der Zustellung dieses Beschlusses an gerechnet, bestimmt, binnen welcher der Beklagte entweder die Einwilligung in die Rückgabe der vom Kläger auf Grund des Beschlusses des unterzeichneten Gerichts vom zur Herbeiführung der Aufhebung der erfolgten Vollstreckungsmaßregeln geleisteten Sicherheit zu erklären oder die Erhebung der Klage wegen seiner Ansprüche nachzuweisen hat, weil die Zwangsvollstreckung in die Pfandstücke durch das rechtskräftige Urteil vom . . . . für unzulässig erklärt und damit die Veranlassung für die Sicherheitsleistung weggefallen ist. Köln, den 23. Mai i960 Landgericht. 4. Zivilkammer. Pfleger Justizinspektor als Rechtspfleger. 2. Zuzustellen

"

Der Beschluß ist der Anfechtung entzogen (arg. § i o 9 l v ) . Dagegen kann dem Beklagten, falls er klagen will und mit der Frist nicht auskommt, die Frist gemäß § 224 1 1 verlängert werden. Der Klagenachweis ist dem Gericht unaufgefordert zu erbringen. Nach Ablauf der Frist beantragt R A Schwarz, nunmehr die Freigabe anzuordnen. Verfügung: „ 1 . B e s c h l u ß . In Sachen wird auf Antrag des Klägers gemäß § 1 0 9 1 1 Z P O die Rückgabe der vom Kläger auf Grund des Beschlusses des unterzeichneten Gerichts vom . . . zur Herbeiführung der Aufhebung der erfolgten Zwangsvollstreckungsmaßregeln geleisteten Sicherheit an den Kläger angeordnet, weil der Beklagte die Erhebung der Klage wegen seiner Ansprüche innerhalb der ihm durch Beschluß vom 23. Mai 1960 bestimmten Frist nicht nachgewiesen hat. Köln, den 1 1 . Juni i960. Landgericht. 4. Zivilkammer. Pfleger Justizinspektor als Rechtspfleger. 2. Zuzustellen

"

Gegen den letzten Beschluß haben beide Parteien sofortige Beschwerde (§ I09 I V ), mit der auch geltend gemacht werden kann, daß die Veranlassung zur Sicherheit noch nicht weggefallen, die Fristbestimmung vom 23. Mai daher unzulässig gewesen sei. R G 97,127. Dagegen werden, wenn der Beklagte Klage wegen seiner Ansprüche erhoben hat, die Voraussetzungen des § 109 im Prozeß nicht mehr nachgeprüft. R G 86, 36; 97, 127. — Das Verfahren aus § 109 ist auch gegeben, wenn die Sicherheit in einer B a n k b ü r g s c h a f t besteht. Die Rückgabe der Bürgschaft erfolgt entweder durch Rückgabe der Bürgschaftsurkunde oder durch eine besondere Erklärung des Gläubigers, daß er den Bürgen aus seiner Haft entlasse. R G 156, 166.

}. Kapitel

In det Kammer für Handelssachen Wechsel-Vorbehaltsurteil „Geschäftsnummer: 22 P 67/60. Verkündet am 26. März i960. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. I m N a m e n des V o l k e s I In Sachen des Kaufmanns Ernst Schenk in Köln, Rhein-Ufer 8, Prozeßbevollmächtigter: R A Schwarz in Köln

Klägers,

gegen 1. den Gärtnereibesitzer Hans Klotz * n Düsseldorf, Andres-Gryphius-Straße 77, 2. den Apothekenbesitzer Fritz Kolbe in Brühl, Landkreis Köln,

Beklagte,

Prozeßbevollmächtigter: R A Weiß in Köln wegen Wechselforderung hat die II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts in Köln." — V o n den beiden Beklagten ist nur Kolbe als Apotheker Kaufmann (§ i 1 H G B ) ; der Umstand, daß die Apotheker hinsichtlich der zu führenden Ware und der V e r kaupfspreise obrigkeitlichem Z w a n g unterliegen, berührt ihre Kaufmannseigenschaft nicht (Staub 29, 44 zu § x). Wechsel- und Scheckansprüche gehören aber v o r die K f H S ohne Rücksicht auf die Kaufmannseigenschaft der Parteien. § 9 5 2 ' 3 G V G . Die örtliche Zuständigkeit für beide Beklagte folgt daraus, daß sich der Zahlungsort des Wechsels im Landgerichtsbezirk K ö l n befindet und daß der Mitbeklagte Kolbe hier seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. § 603 Z P O . Im übrigen dürfen, wenn einmal vorbehaltslos zur Sache verhandelt worden ist, weder die Kompetenz der K f H S noch die örtliche Zuständigkeit mehr geprüft werden. §§ 9 7 1 1 S. 1, 101 G V G , 38, 39 Z P O . — „auf mündliche Verhandlung vom 19. März i960 durch den Landgerichtsdirektor Richter als Vorsitzenden und die Handelsgerichtsräte Behrens und Lamm als Handelsrichter für Recht erkannt: Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger 2500 D M (i. W.) nebst 2% Zinsen über Bundesbankdiskont, mindestens aber 6% seit dem 25. Februar i960 sowie 23,80 D M (i. W.) Wechselunkosten zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3000 D M (i. W.) nachgelassen. Den Beklagten wird die Ausführung ihrer Rechte vorbehalten. Tatbestand. Der Beklagte Kolbe ist Aussteller, der Beklagte Klotz Akzeptant des am 29. November 1959 ausgestellten, am 25. Februar i960 fälligen, an eigene Order gestellten, in Brühl beim Beklagten Kolbe zahlbaren Klagewechsels über 2500 D M . " V g l . Art. i 6 , 3, 4 W G .

Kammer für Handelssachen — Wiedergabe von Anträgen im Tatbestand

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„ A u f der Rückseite des Wechsels stehen die Blankoindossamente ,Fritz Kolbe' und ,Eugen John1. Der Kläger befindet sich im Besitz des Wechsels und hat ihn am 27. Februar i960 gegen den Beklagten Klotz mangels Zahlung protestieren lassen. Wechsel und Protest sind vorgelegt."

Vgl. s. 47f. „Im Wechselprozeß klagend, beantragt der Kläger: die Beklagten kostenpflichtig als Gesamtschuldner zu verurteilen, dem Kläger 2500 DM nebst 6% Zinsen seit dem 25. Februar i960 sowie 23,80 D M Wechselunkosten zu zahlen. Die Beklagten beantragen: die Klage abzuweisen und das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären, für den Fall der Verurteilung: ihnen die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung sowie die Ausführung ihrer Rechte im ordentlichen Verfahren vorzubehalten." Anträge sind wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung für den Rechtsstreit im Tatbestand wörtlich wiederzugeben (s. §§ 308', 3 1 3 1 Ziff. 3). Überflüssig ist aber die Wiedergabe v o n Anträgen auf Entscheidungen, die das Gericht v o n A m t s wegen treffen muß. Insoweit handelt es sich um bloße Anregungen an das Gericht, deren Wiedergabe den Tatbestand unnötig belastet. So erübrigte sich die Wiedergabe des Antrags des Klägers, die Beklagten „kostenpflichtig" zu verurteilen. S. § 308 1 1 . Ebenso erübrigt sich ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung gemäß §§ 708, 709, 7 1 0 S. 1. E t w a s anderes gilt v o n Anträgen gemäß §§ 7 1 0 S. 2, 7 1 2 , 7 1 3 Z P O . Diese Anträge müssen gemäß § 7 1 4 ausdrücklich gestellt werden. V g l . Berg, Gutachten und Urteil, S. 1 4 4 „ D i e Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren" wird dem Beklagten schon vorbehalten, wenn er dem Klageanspruch „widersprochen" hat, § 599 1 . Deshalb war insoweit die Stellung eines förmlichen Antrags nicht erforderlich, jedoch ist die Wiedergabe dieses „ A n t r a g s " zur Klarstellung des Widerspruchs unschädlich. „Sie behaupten: In der Nacht vom 22. zum 23. November 1959 habe der Beklagte Kolbe im Hinterzimmer des Cafe ,Metropol* an den Chemiker Eugen John in Köln über 2500 D M verspielt, aber nicht bezahlen können. E r habe dem John versprochen, innerhalb von 3 Tagen einen Dreimonatswechsel über 2500 DM mit der Mitunterschrift des Beklagten Klotz, seines Schwiegervaters, beizubringen, der bei Ablauf prolongiert werden sollte. Kolbe sei am 24. November nach Düsseldorf gefahren und habe den Beklagten Klotz unter einem Vorwand gebeten, ihm ein Gefälligkeitsakzept über 2500 D M zu geben. Das habe Klotz getan. Kolbe habe unter Verwendung des Akzepts den Klagewechsel vom 25. November ausgestellt und dem John ausgehändigt. John habe das Papier, ohne Valuta dafür erhalten zu haben, an den Kläger giriert, um den Beklagten die Einwendung, daß der Wechsel zur Erfüllung einer Spielschuld gegeben und das Akzept ein Gefälligkeitsakzept sei, sowie die Einrede der Prolongation abzuschneiden. Der Kläger habe beim Erwerb des Wechsels diese Absicht des John und die den Beklagten gegenüber John zustehenden Einwendungen gekannt und im Einvernehmen mit John gehandelt. Zum mindesten habe der Kläger beim Erwerb des Wechsels damit gerechnet, daß dem Papier eine Spielschuld oder ein wucherisches Geschäft zugrunde liege und die Weiterbegebung an ihn den Zweck verfolge, den Schuldnern die Geltendmachung ihrer wohlberechtigten Einwendungen unmöglich zu machen. Der Kläger und John hätten nämlich häufig Geschäfte mit solchen Wechseln gemacht und dabei mit Fleischermeister Baumann und Zahntechniker Zange in Köln zusammengearbeitet. Sobald einer von ihnen einen ,Kavalierswechsel' von einem Dritten erhalten habe, habe er das Papier an die übrigen Mitglieder des Ringes indossiert, die es bei Fälligkeit vom Schuldner einziehen und nötigenfalls einklagen mußten, wobei sie sich als unbeteiligte gutgläubige Erwerber aufspielten, welche den Spiel- bzw. Wuchereinwand nicht gegen sich gelten zu lassen brauchten. Bei den Wucherwechseln sei der Verdienst unter die verschiedenen Genossen des Ringes verteilt worden, damit der Gewinn eines jeden von ihnen geringer erscheine und der Behauptung des Wuchers besser begegnet werden könne. Auf Grund dieses Sachverhalts schwebe bei der Staatsanwaltschaft in Köln gegen Baumann und Genossen ein Strafverfahren wegen Wuchers, in welchem bereits gerichtliche Voruntersuchung eröffnet sei.

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Kammer für Handelssachen — Parteivernehmung im Wechselprozeß Das Indossament des Klagewechsels an den Kläger sei nur geschehen, damit der Kläger ihn im eigenen Namen für Jobns Rechnung einziehe. Wenn aber der Kläger für den Wechsel einen Gegenwert gezahlt haben sollte, so sei das Papier jedenfalls nach dem Protest wieder von John eingelöst worden, so daß der Kläger es jetzt nur noch auf Rechnung des John geltend mache. Aus allen diesen Gründen handle der Kläger arglistig und verstoße gegen die guten Sitten, wenn er die den Beklagten gegenüber John zustehenden Einwendungen nicht anerkennen wolle. Der Kläger erwidert: John habe ihm beim Erwerb des Klagewechsels lediglich mitgeteilt, daß der Wechsel bei Abzahlung von 50% einmal prolongiert werden müsse. Hierzu habe er sich bereit erklärt. Die Beklagten hätten jedoch — wie unstreitig ist — weder abgezahlt noch ein Prolongationspapier eingesandt; damit sei der Einwand der Prolongation hinfällig geworden. Im übrigen bestreitet der Kläger das gesamte Vorbringen der Beklagten, und zwar soweit es sich auf Vorgänge zwischen den Beklagten und John bezieht, als ihm unbekannt, sonst als unrichtig. Das Gericht hat auf Antrag der Beklagten die Parteivernehmung des Klägers darüber angeordnet: 1. ob er den Klagewechsel ohne Zahlung eines Gegenwertes von John giriert erhalten habe, um ihn im eigenen Namen für Johns Rechnung einzuziehen, 2. ob John den Klagewechsel nach dem Protest dem Kläger gegenüber eingelöst habe, 3. ob der Klagewechsel dem John vom Beklagten Kolbe zur Erfüllung einer Spielschuld gegeben worden sei. Der Kläger hat bei seiner Parteivernehmung die Fragen zu 1 und 2 verneint. Darauf ist von seiner Parteivernehmung zu 3 Abstand genommen worden. Weiterhin haben die Beklagten die Parteivernehmung des Klägers darüber beantragt, daß zwischen ihnen und John uneingeschränkte Prolongation vereinbart worden sei und daß John gewußt habe, das Akzept des Beklagten Klotz s e ' gefälligkeitshalber gegeben. Der Kläger ist mit seiner Vernehmung hierüber einverstanden, hält sie aber für unerheblich. Dafür, daß der Kläger sich den Wechsel im Einverständnis mit John habe abtreten lassen, um den Beklagten ihre Einwendungen abzuschneiden, oder daß er zum mindesten mit dem Vorhandensein solcher Einwendungen gerechnet habe, ist von den Beklagten kein Beweis angetreten worden."

Die Erklärung dieses auffalligen Verhaltens der Beklagten s. S. 5 1 . „Entscheidungsgründe: I. Der Anspruch des als Wechselinhaber legitimierten Klägers auf gesamtschuldnerische Zahlung der Wechselsumme ist gegen die Beklagten als Akzeptanten bzw. Aussteller des rechtzeitig protestierten Klagewechsels begründet. Art. 16, 47 WG. D e r rechtzeitigen Protesterhebung bedurfte es nur zum Rückgriff gegen den Aussteller (und etwaige Indossanten). Der Akzeptant würde auch ohne Protest wechselmäßig haften, A r t . 53 W G . II. Die Einwendungen der Beklagten sind zum Teil unerheblich bzw. unbegründet, zum Teil haben die Beklagten hierfür keine Beweise angetreten. Ob P r o l o n g a t i o n des Wechsels mit oder ohne 50%ige Abzahlung vereinbart war, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst in dem den Beklagten günstigeren zweiten Falle hätten die Beklagten dem Kläger rechtzeitig den Prolongationswechsel zur Verfügung stellen müssen, um sich die Prolongationsreinrede zu erhalten. R G 104, 331. Das haben sie unstreitig nicht getan. D e r Prolongationswechsel soll dem Inhaber des ersten Wechsels als Zahlungsmittel dienen und wird meist durch Diskontierung zur Einlösung des fälligen Wechsels benutzt. M a n kann deshalb dem Wechselinhaber nicht zumuten, seine wechselmäßigen Rechte aufzugeben, bevor er in den Besitz des neuen Wechsels gelangt. Die Prolongation hängt damit zusammen, daß die Deutsche Bundesbank gemäß d) Ziff. 8 ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen nur Wechsel mit höchstens dreimonatlicher Laufzeit diskontieren darf. D a man mit einem nicht „bankfähigen"

Kammer für Handelssachen — Gefälligkeitsakzept

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Wechsel im Verkehr nichts anfangen kann, so wird, wenn zwischen den Parteien ein längerer Wechsellauf beabsichtigt ist, zunächst ein Dreimonatspapier in Umlauf gesetzt, an dessen Stelle bei der Prolongation ein ebensolches Papier mit gleichen Unterschriften tritt. „Ebensowenig kommt es darauf an, ob Jobn wußte, daß der Wechsel vom Beklagten K/ot% nur aus G e f ä l l i g k e i t akzeptiert war. Wer einen Wechsel gefälligkeitshalber zeichnet, will den künftigen Erwerbern des Papiers wechselmäßig haften. Seine Haftung wird also nicht dadurch ausgeschlossen, daß dem Erwerber der Gefälligkeitscharakter der Unterschrift bekannt war. R G 1 1 7 , 69."

Das Gefälligkeitsakzept unterscheidet sich vom gewöhnlichen Akzept — welches vom Warenkäufer, Darlehnsempfänger usw. „auf Schuld" gegeben wird — dadurch, daß der Akzeptant nicht mit eigenen Mitteln für die Einlösung des Wechsels einstehen will, vielmehr der Wechselnehmer gehalten sein soll, für die rechtzeitige Einlösung selbst Sorge zu tragen. Das Gefälligkeitsakzept kann eine bloße private Gefälligkeit sein. Es kommt im Wirtschaftsleben aber auch als sog. Finanzwechsel vor, der lediglich zum Zweck der Geldbeschaffung gegeben wird. Es leuchtet ein, daß die Gefälligkeitsabrede nur interne Bedeutung hat und einem Dritten grundsätzlich nicht entgegengesetzt werden kann. Denn dem Dritten gegenüber will der Gefälligkeitsakzeptant gerade eine Verbindlichkeit eingehen, um dem Wechselnehmer Kredit zu beschaffen. R G 117/76. Was hier vom Gefälligkeitsakzept gesagt wird, gilt in gleicher Weise für andere Gefälligkeitszeichnungen (Gefälligkeitsausstellung. Gefälligkeits-Indossament), die ja alle den Zweck haben, den Wechsel umlauffähiger zu machen und seinen Kreditwert zu erhöhen. Erklärt ein Indossant bei der Weiterbegebung, daß „die Sache die anderen auf dem Wechsel unterschriebenen Personen nichts angehe", so bedeutet das bloß, daß die übrigen Wechselunterschriften Gefälligkeitszeichnungen sind und deshalb der Indossant beabsichtigt, den Wechsel aus eigenen Mitteln einzulösen; folglich erlangt der Indossatar wechselrechtliche Ansprüche gegen alle ( R G a. a. O.). „Schließlich können die Beklagten auch nicht mit dem Einwand durchdringen, der Wechsel sei zur Tilgung einer S p i e l s c h u l d gegeben. Dieser Einwand betrifft lediglich die unmittelbaren Beziehungen zu einem früheren Inhaber des Wechsels."

Der Beklagte Kolbe hätte sich J o h n g e g e n ü b e r auf die Klaglosigkeit des Grundgeschäfts berufen und seiner Wechselklage die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung entgegensetzen können. Denn die Hingabe eines Wechsels zur Erfüllung einer klaglosen Verbindlichkeit (wie Spiel und Wette, § 762 BGB) bedeutet noch keine Erfüllung; erfüllt ist die Verbindlichkeit erst mit der tatsächlichen Einlösung des Wechsels. R G 51, 159. Jedoch handelt es sich hier lediglich um Rechtsbeziehungen zwischen den ursprünglichen Wechselparteien. Der Indossatar braucht sie sich grundsätzlich nicht entgegenhalten zu lassen. Der Wechselschuldner kann allenfalls, wenn er dem späteren Wechselinhaber gegenüber nicht freiwillig, sondern nur gezwungenermaßen zahlt, von seinem u r s p r ü n g l i c h e n Wechselnehmer, der durch die Weiterbegebung des Wechsels Valuta erhalten hat, den gezahlten Betrag entsprechend § 8 1 6 1 B G B herausverlangen. R G 77, 280, Palandt, B G B , zu § 762 Anm. 3.

Darin, daß der Wechselschuldner dem späteren Wechselgläubiger grundsätzlich keine Einwendungen entgegensetzen kann, die sich „auf seine unmittelbaren Beziehungen zu dem Aussteller oder zu einem früheren Inhaber gründen" (Art. 17 WG), zeigt sich gerade die dem Indossament beim Wechsel und allen übrigen indossablen Papieren (Art. 22 ScheckG, § 364 II HGB) eigentümliche „Transportfunktion", seine „Orderqualität", die es von einer gewöhnlichen Zession unterscheidet. Damit sind wir zum eigentlichen Problem des Prozesses gelangt: Wann kann der Wechselschuldner dem Indossatar Einwendungen aus der Person des Indossanten entgegensetzen?

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Kammer für Handelssachen — Einwendungen aus der Person des Indossanten

1. Unter den Voraussetzungen der in Art. 17 W G normierten Ausnahme, „daß der Inhaber bei dem Erwerb des Wechsels b e w u ß t zum N a c h t e i l des S c h u l d ners g e h a n d e l t hat." Danach bedeutet die Kenntnis des Bestehens von Einwendungen gegen den früheren Inhaber, z. B. daß die gelieferte Ware nicht einwandfrei sei, allein noch kein bewußtes Handeln zum Nachteil des Schuldners. Es kommt vielmehr darauf an, daß sich der Erwerber beim Erwerb auch bewußt ist, daß der Schuldner geschädigt wird. Dieses Bewußtsein kann ihm z. B. fehlen, wenn er genügend Gründe für die Annahme hat, daß die Differenzen wegen der mangelhaften Lieferung gütlich ausgetragen werden oder daß der Schuldner sich bei seinem ursprünglichen Kontrahenten völlig schadlos halten kann. Vgl. BaumbachHefermehl (6. Aufl.) Anm. 44 zu Art. 17 WG. 2. Beim „ v e r s t e c k t e n P r o k u r a i n d o s s a m e n t " — welches in der Regel mit dem „offenen Prokuraindossament" des Art. 18 W G darin übereinstimmt, daß es die Einziehung des Wechsels für Rechnung des Indossanten bezweckt, sich jedoch äußerlich als Voll-Indossament darstellt — muß der Indossatar sich Einwendungen aus der Person des Indossanten gefallen lassen, weil er materiell dessen Wechselrecht geltend macht. Auf guten oder bösen Glauben des Indossatars kommt es dabei nicht an. R G 4 1 , 1 1 5 ; 1 1 7 , 72. Etwas anderes gilt nur, wenn das versteckte Prokuraindossament gleichzeitig dem Interesse des Indossatars zur S i c h e r u n g seiner. A n s p r ü c h e gegen den Indossanten dient (sog. T r e u h a n d i n d o s s a ment). B G H 5, 292; Baumbach-Hefermehl 7 zu Art. 18 WG. Der Schuldner kann in dem Falle, daß der Indossatar im eigenen Namen aber für Rechnung des Indossanten klagt, auch die in der Person des K l ä g e r s begründeten Einwendungen geltend machen, insbesondere Gegenforderungen an ihn zur Aufrechnung stellen. Baumbach-Hefermehl 8 zu Art. 18 WG.

3. Wie ein verstecktes Prokuraindossament ist der Fall zu behandeln, daß das Indossament ursprünglich gegen Valuta oder auf Schuld erfolgte, daß aber der Indossant nachher den notleidend gewordenen Wechsel eingelöst und gleichwohl dem Indossatar belassen hat. Materiell gehört das Wechselrecht jetzt wieder dem Indossanten: der Indossatar besitzt nur die äußere Legitimation. R G 23, 124. 4. Das n a c h p r o t e s t l i c h e I n d o s s a m e n t hat bloße Zessionswirkung, weil es nicht der eigentlichen Wechselzirkulation dient, Art. 201 S. 2 WG. Die Einreden aus der Person des Vormanns bleiben daher gegenüber dem Indossatar bestehen (§404 BGB). 5. Gleiches gilt vom Indossament eines W e c h s e l b l a n k e t t s , das noch nicht durch Ausfüllung zu einem Voll-Wechsel geworden ist. Denn solange der Dritterwerber den Blankowechsel u n a u s g e f ü l l t in der Hand hat, ist lediglich das Ausfüllungsrecht seines Vormanns, soweit es diesem zustand, auf ihn übergegangen. R G 65, 409; 68, 418. A b r e d e w i d r i g e A u s f ü l l u n g v o n W e c h s e l b l a n k e t t e n : Sehr oft werden Wechselunterschriften „in blanco" geleistet. Kann dann der Wechselzeichner gegenüber gutgläubigen Erwerbern des später vervollständigten Papiers einwenden, daß die Ausfüllung des Blanketts abredewidrig erfolgt sei (zu hohe Wechselsumme: zu früher Verfalltag, der den Wechselschuldner zur vorzeitigen Zahlung nötigt: zu später Verfalltag, der die Dauer seiner Haftung verlängert) oder daß er mit dem Wechselnehmer die Vernichtung des Papiers vereinbart habe? Grundsätzlich bedarf es zur Entstehung einer Wechselverbindlichkeit eines B e g e b u n g s v e r t r a g s , d. h. einer Einigung zwischen den Wechselparteien, daß der Nehmer die Rechte aus dem Wechsel erwerben soll. Das gilt auch für die Verpflichtung des Bezogenen. Das ergibt sich daraus, daß dieser bis zur Rückgabe des Wechsels das Recht hat, das Akzept zu streichen (Art. 29 1 WG). Erst wenn er den angenommenen Wechsel zurückgibt, also einen Begebungsvertrag schließt, wird er endgültig verpflichtet. Die K r e a t i o n s t h e o r i e , wonach eine Wechselverpflichtung schon durch

Kammer für Handelssachen — Einwendungen aus der Person des Indossanten

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die einseitige, nicht empfangsbedürftige Unterzeichnung der Urkunde zustande kommt, ist abzulehnen. Der Einwand des mangelnden Begebungsvertrags, der auch bei vertragswidriger Ausfüllung eines Wechselblanketts vorliegt, betrifft demnach die Gültigkeit der Wechselerklärung selbst (vgl. § 364 11 1. Alt. HGB). Der Wechselnehmer ist nichtberechtigter Wechselinhaber. Der Wechsel kann von ihm vindiziert und nicht nur kondiziert werden. Im Interesse der Verkehrssicherheit kann diese Einwendung aber einem rechtmäßig legitimierten gutgläubigen — d. h. nicht grobfahrlässigen — Wechselerwerber nicht entgegengehalten werden (Art. 1 6 1 1 WG). Es gilt also für die Entstehung der Wechselverbindlichkeit eine durch den Rechtsschein m o d i f i z i e r t e V e r t r a g s t h e o r i e . Baumbach-Hefermehl, Grundzüge IV zum WG. Das bestimmt Art. io WG ausdrücklich auch für das abredewidrig ausgefüllte Wechselblankett. Vom Einwand der abredewidrigen Blankettausfüllung ist diejenige der V e r f ä l s c h u n g der Wechselsumme zu unterscheiden. Lautete das Papier z. Z. der Wechselzeichnung auf eine bestimmte Summe, die nachträglich durch Fälschung erhöht wird, so haftet der ursprüngliche Wechselschuldner nur nach dem früheren Text. Lediglich diejenigen, die nach der Fälschung ihre Unterschrift auf den Wechsel gesetzt haben, haften entsprechend dem geänderten Text (Art. 69 WG). Die Abgrenzung, ob Wechselfälschung oder Wechselblankett kann mitunter schwierig sein. Vgl. R G 164, 14, BGH NJW 1957, 1837 und Fall 63 bei Berg, Handelsrecht (Schäffers-Rechtsfälle Bd. 5, 10.—12. Tsd. i960). 6. Hat der Indossant gleichzeitig mit dem Wechsel die Forderung aus dem Kausalgeschäft (z. B. die Kaufpreisforderung) auf den Indossatar übertragen, so sollte nach früherer ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts ( R G 83, 97, J W 1934, 2 2 5 1 ) auch gegenüber dem Wechselanspruch §404 B G B Anwendung finden. Das wurde damit begründet, daß der Indossatar kraft der Zession an Stelle des Indossanten in das Kausalverhältnis eingetreten sei und sich darum alle Einwendungen aus diesem Rechtsverhältnis gefallen lassen müsse. Aber die Abtretung der Kausalforderung soll dem Indossatar eine weitere Sicherung geben, nicht seine Rechtsstellung verschlechtern. R G 166, 313 hat daher mit Recht den früheren Standpunkt aufgegeben; zustimmend B G H N J W 1953, 219. Demgemäß fahren die Gründe fort: „Durch das Indossament hat der Kläger ein von der Rechtsstellung seines Indossanten John unabhängiges Recht erworben. Einwendungen aus der Person seines Vormanns können ihm nur entgegengesetzt werden, wenn er beim Erwerb des Wechsels bewußt zum Nachteil des Schuldners gehandelt hat (Art. 17 WG) oder wenn ihm der Wechsel im Wege eines sog. versteckten Prokuraindossaments von John ohne Zahlung eines Gegenwerts lediglich zum Inkasso abgetreten wurde, weil er dann materiell das Wechselrecht des John geltend machen würde. RG 117, 72. Wie ein verstecktes Prokuraindossament wäre auch der Fall zu behandeln, wenn er vom Indossanten John, nachdem der Wechsel notleidend geworden war, durch Einlösung befriedigt worden ist. R G 23, 124. Für die über das Vorliegen einer Arglist des Klägers beim Erwerb des Wechsels aufgestellten Behauptungen haben die Beklagten keinen Beweis angetreten. Die Voraussetzungen des Art. 17 WG sind also nicht erwiesen. Das Vorliegen eines versteckten Prokuraindossaments ist — nachdem der Kläger die hierüber aufgestellten Behauptungen bei seiner Parteivernehmung glaubwürdig in Abrede gestellt hat (§453* ZPO) — nicht anzunehmen. Es kann also in diesem Verfahren dahingestellt bleiben, ob zwischen dem Beklagten Kolbe und John eine Spielschuld gegeben war. Von der Vernehmung des Klägers hierüber konnte Abstand genommen werden." Das Gericht kann seinen Beweisbeschluß als prozeßleitende Verfügung jederzeit von Amts wegen aufheben, etwa wegen Unerheblichkeit oder Änderung der Prozeßlage. Der § 360 Z P O steht dem nicht entgegen, da er nicht die Aufhebung des Beweisbeschlusses betrifft, sondern nur seine Änderung, d. h. seine Erfüllung mit anderem Inhalt. R G 150, 336. „III. Erweisen sich hiernach die Einwendungen im Wechselprozeß als nicht durchschlagend, so mußten die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung des: Wechselsumme verurteilt werden. Der Ansoruch auf Verzinsung richtet sich bei im Inland ausgestellten und im Inland

Kammer für Handelssachen — Kaufmännische Warenklage

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zahlbaren Wechseln nicht nach Art. 48 1 Ziff. 2 WG. Vielmehr gilt hier gemäß Art. 13 Anl. II des Abkommens über das WG und Art. 2 E G WG das Gesetz über Wechsel- und Scheckzinsen vom 3. Juli 1925 (RGBl. I 93). Danach beträgt der Zinssatz 2% über Reichsbank-, jetzt Bundesbankdiskont, mindestens aber 6%. Als Wechselunkosten stehen dem Kläger die ihm erwachsenen Protestkosten sowie 1 / 3 % der Wechselsumme als Provision zu (Art. 48 1 Ziff. 3, 4 WG). Diese Beträge sind in Höhe von zusammen 25,80 DM durch die auf dem Protest befindliche Rechnung glaubhaft gemacht (§ 605 11 ZPO)." W a r der eingeklagte Wechsel durch mehrere Hände gegangen, und ist er v o m K l ä g e r gegenüber seinem Nachmann eingelöst worden, so dienen zur G l a u b h a f t machung (welche hier ausnahmsweise die Stelle des vollen Beweises vertritt) der weiteren Nebenforderungen aus A r t . 49 W G die s. g . „ R i k a m b i o r e c h n u n g e n " der Nachmänner. „Den Beklagten mußte die Ausführung ihrer Rechte vorbehalten werden, weil sie dem Klageanspruch widersprochen haben. § 599 ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits haben die unterlegenen Beklagten als Folge ihrer gesamtschuldnerischen Verurteilung in der Hauptsache ebenfalls als Gesamtschuldner zu tragen. §§91, 100IV ZPO. Nach § § 7084, 7 1 3 1 1 ZPO ist das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt und den Beklagten die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nachgelassen worden. Richter.

Behrens.

Lamm."

Offenbar beabsichtigen die Beklagten im N a c h v e r f a h r e n zu beweisen, daß der K l ä g e r gemeinschaftlich mit J o h n , Baumann und Z a n g e den E r w e r b v o n Wucherund Spielwechseln in der auf S. 1x9 behaupteten Weise betreibt, u m dadurch das Gericht v o n dem Tatbestand der Arglisteinrede (S. 1 2 2 f.) zu überzeugen. Deshalb haben sie zunächst keine weiteren Beweise angetreten und sich lieber mit Vorbehalt verurteilen lassen. Kaufmännische Warenklage. U r k u n d e n i m geschäftlichen Verkehr. Unzuständigkeitseinrede Warenklage. Köln, den 20. März i960. Klage der offenen Handelsgesellschaft Pfeifer 776 S. 1. Mit der Hinterlegung braucht jedoch der Gerichtsvollzieher zunächst nicht zu rechnen, vielmehr ist es Aufgabe des Schuldners, dem Gerichtsvollzieher oder dem sonstigen Vollstreckungsorgan die erfolgte Sicherheitsleistung durch öffentliche Urkunden nachzuweisen. Aber auch wenn der Schuldner von seiner Befugnis noch keinen Gebrauch gemacht hat, wird die Zwangsvollstreckung durch sie beeinflußt. Denn so unwahrscheinlich es sein mag, daß ein in Vermögensverfall befindlicher Schuldner zur Abwendung der Vollstreckung hinterlegen wird, so könnte dieser Fall doch noch eintreten, und wenn dann der Gläubiger schon Befriedigung erhalten hätte, würde der Schuldner geschädigt sein. Deshalb bestimmt das Gesetz, daß so lange, wi£ die Hinterlegungsbefugnis des Schuldners dauert — nämlich bis zur Rechtskraft des Urteils —, gepfändetes Geld sowie der Erlös gepfändeter Gegenstände zu hinterlegen sind (§ 720): der Gläubiger darf in diesem Stadium kein Geld in die Hand bekommen, BGH 7,398. Etwas anderes gilt erst dann, wenn der Gläubiger auf Grund eines ihm gemäß § 713 11 letzter Halbsatz gemachten Gegenvorbehalts die Sicherheit, zu der er sich erboten hat, tatsächlich geleistet hat, BGH 12, 92; 16, 376. Über Forderungspfändung bei Hinterlegungsbefugnis: unten S. 245. Hieraus folgt, daß auch bei einem ohne Sicherheit vorläufig vollstreckbaren Urteil, falls dem Schuldner die Abwendung der Zwangsvollstreckung nachgelassen war, der Gläubiger das größte Interesse hat, den Vollstreckungsorganen den Eintritt der Rechtskraft (und damit die Erledigung der Hinterlegungsbefugnis) nachzuweisen; das geschieht durch ein von der Geschäftsstelle auszustellendes Rechtskraftzeugnis (§ 706). Das von Gabriel erwirkte Urteil hat das Amtsgericht als schriftliche Entscheidung (s. Abt. I S. 30) erlassen und den Parteien durch Zustellung der Formel mitgeteilt. Später hat sich die Klägerin vollstreckbare Ausfertigung (s. darüber unten zu 2) geben lassen. Bevor nun aus dem Urteil vollstreckt wird, muß es gemäß § 7501 nochmals im Parteibetrieb zugestellt werden. Die Offizialzustellung der Urteilsformel macht die Parteizustellung nicht entbehrlich: sie ersetzt lediglich die bei verkündeten Urteilen vorgeschriebene Verkündung (§§ 136™, 160®, 310 11 ZPO). Es ist hier ein dem Verkündungsvermerk (§ 315111 ZPO) entsprechendes Zustellungsvermerk am Kopf des Urteils zu machen, BGH 8, 308. Eine zwischen der Zustellung des Schuldtitels und dem Anfang der Zwangsvollstreckung einzuhaltende Respektfrist besteht bloß für „selbständige" (s. Abt. I S. 66) Kostenfestsetzungsbeschlüsse und für exekutorische Urkunden. Hier muß nach § 798 eine Woche gewartet werden, damit der Schuldner Gelegenheit hat ohne Vollstreckung zu zahlen, gegebenenfalls auch gegen die Vollstreckungsklausel oder den Schuldtitel Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage zu erheben und eine einstweilige Einstellung zu erzielen (§§ 767, 769,795,797). Bei Urteilen genügt Zustellung 14

L u x . Schulung. 5. Aufl. (Berg)

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Gerichtsvollzieher — Abgekürzte Ausfertigung

bei Beginn der Vollstreckung. Über Vollziehung von Arresten und einstweiligen Verfügungen vor Zustellung: vgl. Abt. V , 25. Kap. „Bauhandwerkervormerkung". Wenn also der Gerichtsvollzieher das Urteil, wie von Gabriel gewünscht, dem Schuldner zugestellt hat, darf er im unmittelbaren Anschluß daran die Zwangsvollstreckung vornehmen. 2. Abgekürzte Ausfertigung. Bankbürgschaft. Zwangsvollstreckung wegen Kosten. Vollmacht R A . Schwarz hat folgende Urkunden überreicht: „Vollstreckbare Ausfertigung. Im Namen des Volkesl Geschäftsnummer: 22 O 62. 60 In Sachen der Zigarrenfabrik Leo GirVerkündet am 1. Juni i960. tanner in Bremen, Hansastraße 17, (gez.) Urkund Klägerin, als Urkundsbeamter. Prozeßbevollmächtigter : RA. Schwärz in Die zu erstattenden Kosten werden auf Köln, 236,40 DM (i. W.) festgesetzt. gegen den Kaufmann Adolf Scballmg in Köln, den 2. Juni i960 Köln, Kantstraße 185, Beklagten, Landgericht, Geschäftsstelle Prozeßbevollmächtigter: RA. Weiß in Köln, (gez.) Urkund wegen Kaufpreisforderung als Urkundsbeamter. hat das Landgericht, 2. Kammer für Handelssachen, in Köln auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni i960 durch für Recht erkannt: Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1200 DM (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 19. Dezember 1959 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1500 DM (i. W). vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch Bürgschaft einer Großbank geleistet werden. Tatbestand: pp. Entscheidungsgründe : pp. (gez.) Richter (gez.) Behrens (gez.) Lamm. Vorstehende Ausfertigung wird der Klägerin zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt. Köln, den 3. Juni i960. Landgericht. Geschäftsstelle. (Siegel) Urkund als Urkundsbeamter." „Bürgschaftserklärung. Hierdurch übernehmen wir gegenüber dem Kaufmann Adolf Scballmg in Köln, Kantstraße 185 wegen aller Ansprüche, die ihm gegen die Zigarrenfabrik Leo Girtanner in Bremen aus der Vollstreckung des in Sachen Girtanner gegen Scballmg — 22 O 62. 60 des Landgerichts Köln — am 1. Juni i960 verkündeten Urteils über 1200 DM (i. W.) nebst Zinsen und Kosten zustehen werden, die Bürgschaft unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage. Bremen, den 4. Juni i960 Deutsche Bank, Filiale Bremen, p. pa. Brinkmann. Budde. (notarieller Beglaubigungsvermerk)." „(Registerauszug der Deutschen Bank Filiale Bremen über die Berechtigung der Herren Brinkmann und Budde Zur Firmenzeichnung)." „(Zustellungsurkunde über die am 7. Juni vollzogene Zustellung von Urteil, Bürgschaftserklärung und Registerauszug an RA. Weiß.)"

Gerichtsvollzieher — Bankbürgschaft

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„Vollmacht In unserer Sache gegen Schallwig wegen 1200 DM nebst Zinsen und Kosten erteilen wir Herrn RA. Schwarz in Köln hiermit Prozeßvollmacht. Die Vollmacht umfaßt die Befugnis, uns im Konkursverfahren über das Vermögen des Gegners zu vertreten und Hauptforderung, Zinsen und Kosten für uns beizutreiben und in Empfang zu nehmen. Bremen, den 25. April i960 Zigarrenfabrik Leo Girianntr."

Urteile mit Tatbestand und Entscheidungsgründen bekommt der Gerichtsvollzieher fast nie zu Gesicht. Bei den abgekürzten Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen sind Tatbestand und Gründe überhaupt nicht vorhanden (s. Abt. I S. 2of.), und bei Ausfertigung kontradiktorischer Urteile werden sie regelmäßig von der Geschäftsstelle weggelassen, wodurch dann die „abgekürzte Ausfertigung" der hier vorliegenden Art entsteht (§ 3 1 7 1 1 S. 2). Die Praxis erkennt auch die „Selbstabkürzung" an, d. h. Herstellung einer Abschrift der vomGericht erteilten vollständigen Ausfertigung, in der Tatbestand und Gründe weggelassen werden, durch die Partei zwecks Zustellung an den Gegner (RG 101, 25 3). Die abgekürzte Ausfertigung ist für Urteile aller Instanzen zugelassen, und ihre Zustellung hat für den Fristenlauf und die Zwangsvollstreckung grundsätzlich die gleiche Wirkung wie diejenige einer vollständigen Ausfertigung. Ausnahmen: die Frist für den Antrag auf Tatbestandsberichtigung beginnt immer erst mit Zustellung des vollständigen Urteils, und durch Zustellung der abgekürzten Ausfertigung eines Oberlandesgerichtsurteils wird die Revisionsfrist nicht in Lauf gesetzt (während sie als Grundlage der Zwangsvollstreckung genügt). §§ 3 1 7 1 1 S. 3, 3 2 0 " S. 1, 552. Die Bankbürgschaft ist vom Gericht auf Grund des ihm in § 108 1 S. 1 eingeräumten freien Ermessens zugelassen worden. Hätte das Urteil über die Art der Sicherheit nichts Besonderes besagt, so wäre sie durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren zu leisten gewesen (§ 108 1 S. 2). Geld für Kautionszwecke zu entbehren, sind aber Geschäftsleute selten in der Lage. Von Wertpapieren kommen nach dem Gesetz nur die mündelsicheren in Betracht; sie hätten mit Zins- und Erneuerungsscheinen hinterlegt werden müssen, und zwar in solcher Menge, daß drei Viertel des Kurswerts der hinterlegten Papiere die Kautionssumme von 15 00 DM ergeben hätten. §§ 234 n - m BGB, 108 1 1 ZPO. Darum hatte wohl die Klägerin beantragt, ihr Sicherheitsleistung durch Bürgschaft einer Großbank zu gestatten, die sich solide Firmen gegen Zahlung einer Provision leicht beschaffen können. Die Bürgschaftserklärung muß allerdings den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage enthalten (§ 239 1 1 BGB). — Die vom Gläubiger als Voraussetzung der vorläufigen Vollstreckbarkeit gestellte Sicherheit haftet dem Vollstreckungsschuldner für seine Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche, welche ihm im Falle der späteren Aufhebung des Urteils gemäß § 717 ZPO zustehen. Hieraus erklärt sich die Fassung der Bürgschaftsurkunde. Nach materiellem Recht bedarf die Bürgschaft keiner Beglaubigung; da aber nach § 7 5 1 1 1 die Sicherheitsleistung in mindestens beglaubigter Form nachzuweisen ist, so hat die Bank ihre Unterschrift beglaubigen lassen. Nun ist die Bürgschaft keine einseitige Erklärung sondern ein Vertrag (§ 765 1 BGB), bei dem allerdings von der Erklärung der'Annahme durch den Gläubiger — dessen Rolle für die zu sichernden Ansprüche der Vollstreckungsschuldner Schallwig innehat — gemäß § 1 5 1 B G B abgesehen werden kann. Es braucht daher nur der Zugang der Verpflichtungserklärung der Deutschen Bank an Schallwig nachgewiesen zu werden, mit welchem der Bürgschaftsvertrag in Wirksamkeit tritt. Daher die Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten des Schuldners. «4*

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Gerichtsvollzieher — Vollmacht in der Zwangsvollstreckung

Vielfach wird in der Praxis nicht die Bürgschaftserklärung selbst zugestellt sondern — wie bei der Sicherheitsleistung durch Geld oder Wertpapiere — die Urkunde über Hinterlegung der Bürgschaftserklärung bei der Hinterlegungsstelle. Aber eine Hinterlegung ist gar nicht erforderlich, außer wenn (was vorkommt) das Prozeßgericht im Rahmen seines Ermessens sie nach § 108 1 S. 1 ZPO besonders angeordnet hatte. Ferner sieht man in der Praxis häufig über die Beglaubigung der Unterschrift des Bürgen und den Nachweis der Berechtigung zur Firmenzeichnung hinweg. Vgl K G in JW 27, 1322 1 ; Stein-Jonas-Schönke zu § 108 V 2. Wie hier Baumbach zu § 108, 3 A und zu § 751, 2 B, L G Landau MDR 1959, 929. Obgleich § 108I S. 1 ZPO keinen besonderen Parteiantrag verlangt, wird doch die Bankbürgschaft kaum jemals von Amtswegen als Mittel der Sicherheitsleistung zugelassen. Hat das Gericht im Urteil nichts über die Art der Sicherheitsleistung gesagt, so kann das nachgeholt werden. Die Ergänzung der Urteilsformel ist sogar noch nach Einlegung der Berufung möglich und zwar immer durch das untere Gericht und ohne mündliche Verhandlung. Dieselben Grundsätze gelten, wenn eine andere gesetzliche Sicherheitsmöglichkeit gewünscht wird z. B. Zulassung von Hypotheken oder von nicht mündelsicheren Wertpapieren als Sicherheitsleistung. Vgl. Baumbach zu § 108, 2 A. D i e Prozeßkosten sind durch „unselbständigen" Beschluß auf dem Urteil festgesetzt (s. A b t . I S. 64) und können aus diesem Schuldtitel unbedenklich beigetrieben werden (§ 794 2 ). R A . Schwarz verlangt aber weiterhin Vollstreckung w e g e n seiner eigenen G e b ü h r e n , A u s l a g e n u n d Umsatzsteuer f ü r den Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g s a u f trag in H ö h e v o n 25,50 D M 1 ) . Hierüber liegt kein vollstreckbarer Titel v o r . E r ist auch nicht erforderlich, weil nach § 788 die Vollstreckungskosten mit dem zur Z w a n g s vollstreckung stehenden Hauptanspruch auf G r u n d des über diesen vorhandenen Titels eingezogen werden. Als Kosten der Zwangsvollstreckung kommen in unserem Fall vorläufig bloß die Anwaltskosten des Gläubigers sowie die beim Gerichtsvollzieher entstehenden Kosten in Betracht, ob auch die Kosten der Bankbürgschaft ist bestritten (vgl. L G Kiel MDR 1958, 699; OLG Oldenburg MDR 1957, 561 mit Ubersicht über die Rechtsprechung). Wenn jedoch die zunächst beantragte Mobiliarpfändung nicht zur vollen Befriedigung der Gläubigerin führt und sie später wegen des gleichen Anspruchs andere Vollstreckungsmaßregeln (z. B. Forderungspfändung, Grundstücksversteigerung, Offenbarungseid) betreibt, so werden dabei die Kosten sämtlicher vorangegangenen Vollstreckungsverfahren nach § 788 ohne besonderen Titel als Vollstreckungskosten mit eingezogen. Die Kosten sind dem jeweiligen Vollstreckungsorgan glaubhaft zu machen, was gewöhnlich durch Einreichung der Anwaltshandakten mit den Belegen geschieht. Bei größeren und verwickelten Sachen empfiehlt sich daher die — nach § 788 zwar überflüssige, aber keineswegs unzulässige — gerichtliche Festsetzung der Vollstreckungskosten, damit der umständliche und zeitraubende Nachweis nicht immer von neuem geführt zu werden braucht. Sie erfolgt nicht durch das Vollstreckungs-, sondern durch das Prozeßgericht. R G 85, 132. Baumbach zu § 788, 3 A. — Über nichterstattungsfähige Kosten bei unnötigen Vollstreckungsmaßnahmen s. O L G München NJW 1958, 1687. A u s welchem G r u n d e m a g R A . Schwarz seine Vollmacht eingereicht haben? Soweit Bevollmächtigte in der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g v o r dem Amtsgericht als V o l l streckungsgericht tätig werden, müssen sie nach dem allgemeinen Prinzip des § 8 8 1 1 eine schriftliche Vollmacht beibringen; hiervon w i r d nur dann abgesehen, w e n n der Bevollmächtigte i m Schuldtitel als solcher angegeben ist und w e n n nach den f ü r das vorausgegangene Verfahren maßgebenden Grundsätzen die Vollmacht v o n A m t s w e g e n zu prüfen w a r (wie bei Amtsgerichtsurteilen, Vollstreckungsbefehlen, Arrestbeschlüssen, v g l . §§ 7 8 n , 9 2 0 1 1 1 ) . D a s gilt jedoch nicht f ü r das V e r f a h r e n beim Gerichtsvollzieher. I h m gegenüber w i r d der A n w a l t schon durch den Besitz der vollstreckbaren A u s f e r t i g u n g ausreichend legitimiert ( § 7 5 4 ) . R A . Schwarz w i l l aber, w i e !) Darunter 22,5 o DM. Gebühr (3/io der Sätze des § 11 GebO f. RA., § 5 7). Das Objekt des Vollstreckungsauftrags beträgt 1200 + etwa 40 + 236,40 = 1476,40 DM, da abweichend von § 4 1 ZPO bei Vollstreckungsakten die Zinsen besonders berechnet werden (§§ 20II G K G , 8j GebO f. RA.). Der Grundsatz des § 91 ZPO, daß Kosten eines Anwalts stets erstattungsfähig sind, gilt auch für das Gebiet der Zwangsvollstreckung.

Gerichtsvollzieher — Vollstreckungskkusel

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sich aus seinem Begleitschreiben ergibt, daß Hauptsumme, Zinsen und Kosten vom Gerichtsvollzieher an ihn abgeführt werden. Die gewöhnliche Prozeßvollmacht des § 81 berechtigt ihn bloß zur Empfangnahme der Kosten, nicht auch von Hauptforderung und Zinsen, und darum war die Beifügung der weitergehenden Vollmacht erforderlich. Daß das Urteil dem Prozeßbevollmächtigten Schallwigs zugestellt worden ist, beruht auf §§ 176, 178 ZPO. Eine Zustellung des die Instanz beendigenden Urteils an den Schuldner selbst würde wirkungslos gewesen sein. Auch Ladungen vor das Prozeßgericht in den Fällen der §§ 88yf. oder zu sonstigen Terminen vor dem Vollstreckungsgericht müssen dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zugestellt werden, dagegen nicht Ladungen zum Offenbarungseidtermin, § 900 l n , zur Parteivemehmung, § 450 1 , oder zum persönlichen Erscheinen, §§ 141, 272b, 619. Nach § 81 umfaßt die Prozeßvollmacht sogar die aus der Zwangsvollstreckung hervorgehenden neuen Prozesse, wie Interventions- und Vollstreckungsgegenklagen, doch findet auf Interventionsprozesse mit Dritten § 178 keine Anwendung, so daß man bei ihnen zwischen Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten und an die Partei selbst die Wahl hat. Vgl. Baumbach zu § 178, 1. Auch der Girtannersche Vollstreckungsantrag erweist sich daher als ordnungsmäßig. 3. Vollstreckungsklausel Der Goebelsche Schuldtitel ist ein gerichtlicher Vergleich (s. das Muster S. 113 f.): „ 1 . Der Beklagte verpflichtet sich: a) dem Kläger das Fahrrad „Brennabor" Fabriknummer C 3 3 000 herauszugeben, b) 150 D M (i. W.) an den Kläger zu Zahlen. 2. Der Kläger verzichtet auf alle Mehrforderungen. 3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben."

Die überreichte Ausfertigung, welcher die Urkunde über die am 7. Juni im Auftrag Goebels bewirkte Zustellung an den Schuldner angeheftet ist, schließt ab: „Ausgefertigt. (Siegel)

Kreuznach, den 4. Juni 1960 Urktmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts."

Nach §§ 724, 725 erfolgt die Zwangsvollstreckung auf Grund einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen „vollstreckbaren" Ausfertigung, die Vollstreckungsklausel muß die Worte „zum Zwecke der Zwangsvollstreckung" enthalten. In der vollstreckbaren Ausfertigung verkörpert sich der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers. Ihr Besitz legitimiert den Gläubiger oder seinen Bevollmächtigten gegenüber dem Gerichtsvollzieher und den Gerichtsvollzieher gegenüber dem Schuldner und Dritten (§§ 754, 755); auf ihr wird die Eintragung einer Sicherungshypothek sowie die teilweise Befriedigung des Gläubigers (§§ 757 ZPO, 1 2 7 1 1 ZVG) vermerkt, und nach vollständiger Befriedigung muß sie der Gerichtsvollzieher dem Schuldner aushändigen (§757 ZPO). Von jedem Schuldtitel darf grundsätzlich nur eine einzige vollstreckbare Ausfertigung erteilt werden (§ 733); um die nochmalige Gewährung zu verhüten, wird die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung auf der Urschrift des Titels vermerkt (§ 734). Hieraus ergibt sich der Zweck der Einrichtung: der Schuldner soll vor der Gefahr der doppelten Beitreibung des Anspruchs und vor Überpfändung (§ 803 1 S. 2) geschützt werden. Bisweilen hat aber die Vollstreckungsklausel noch weitergehende Funktionen. Bei Rechtsnachfolge u. dgl. schreibt das Gericht, wenn die Rechtsnachfolge offenkundig oder durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen ist, die Klausel für oder gegen die Rechtsnachfolger um (§§ 727f.:

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Gerichtsvollzieher — Vollstreckung von Festsetzungsbeschlüssen und Wechselurteilen

„titelübertragende Klausel"); hängt die Vollstreckbarkeit des Titels von einer besonderen Voraussetzung ab (wichtigster Fall: Kündigung und sonstige Voraussetzungen der Fälligkeit bei exekutorischen Urkunden, § 794®), so wird vor Erteilung der Klausel die besondere Voraussetzung geprüft und der Gläubiger erhält, wenn er sie in beglaubigter Form nachweisen kann, die Klausel zwecks unbedingter Vollstreckung (§ 726: „titelergänzende Klausel"). In beiden Fällen hat die Klausel dem Gläubiger die Erhebung einer Klage erspart („titelersetzende Klausel"). Nicht unter die nach § 7261 vom Gläubiger zu beweisenden Tatsachen fällt die bei Prozeßvergleichen übliche Bedingung, daß bei Verzug des Schuldners mit einer oder mehreren Raten der jeweilige Restbetrag sofort fällig werde (sog. Verfall- oder kassatorische Klausel). Hier kann der Gläubiger sich sofort wegen der ganzen Forderung die vollstreckbare Ausfertigung geben lassen; es ist Sache des Schuldners, zu beweisen, daß er die laufenden Raten gezahlt habe und demnach die Bedingung nicht eingetreten sei. Baumbach, Anm. 2 D zu § 726 ZPO.

Der gewöhnlichen Vollstreckungsklausel bedarf es nicht bei vollstreckbaren Zahlungsbefehlen, weil der Vollstreckungsbefehl ja selbst eine Art Vollstreckungsklausel darstellt (vgl. das Muster Abt. I S. i j f ) . Die titelübertragende Klausel ist auch bei Vollstreckungsbefehlen notwendig (§ 7 9 6 D i e s e l b e n Regeln bestehen für Arreste und einstweilige Verfügungen (§§ 929 1 , 936). Dagegen gilt für Vergleiche keine Ausnahme. Aus der von Goebel eingesandten „einfachen" Ausfertigung darf also keine Zwangsvollstreckung stattfinden. Muß die Zustellung des Vergleichs, wenn Goebel sich die Vollstreckungsklausel auf ihn hat setzen lassen, später nochmals wiederholt werden ? Das Gesetz begnügt sich regelmäßig mit Zustellung des Schuldtitels (§ 7501). Nur bei der titelübertragenden und titelergänzenden Klausel wird die Zustellung der Vollstreckungsklausel verlangt, hier sind außerdem die Urkunden zuzustellen, auf Grund deren sie erteilt wurde, und zwar im allgemeinen bei Beginn der Vollstreckung, in den Fällen des § 798 (oben S. 209) eine Woche vorher, § 750 1 1 ; wichtige Ausnahme für die dingliche Vollstreckungsklausel: § 800 11 . In unserem Fall handelt es sich um keine titelersetzende, sondern um eine gewöhnliche Vollstreckungsklausel. Mithin genügt es, wenn der Vergleich in nicht vollstreckbarer Ausfertigung dem Schuldner zugestellt war und nachher die Vollstreckungsklausel auf ihn gesetzt wird. 4. Selbständiger Kostenfestsetzungsbeschluß Ausfertigungsvermerk des von Gabriel übersandten Festsetzungsbeschlusses (Muster: Abt. I S. 65): „Vorstehender Beschluß wird hiermit für die Klägerin zum Zwecke der Zwangsvollstrekkung ausgefertigt mit dem Bemerken, daß der Beschluß dem Beklagten am 7. Juni i960 zugestellt worden ist. Köln, den 8. Juni i960 (Siegel) Urkund als Urkundsbeamter."

Die in § 104 1 S. 2 vorgeschriebene Offizialzustellung des Festsetzungsbeschlusses genügt als Grundlage der Zwangsvollstreckung. Da sie aber erst am 7. Juni stattgefunden hat, kann nach § 798 frühestens am 15. Juni vollstreckt werden. 5. Vollstreckung von Wechselurteilen Frau Gundermann hat im Wechselprozeß folgendes Urteil gegen Schallwig erwirkt: „Der Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 250 DM (i. W.) nebst 7% Zinsen seit dem 2$. April i960 und 8,70 DM (i. W.) Wechselunkosten zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

Vollstreckungsklausel und Zustellung sind in Ordnung.

Gerichtsvollzieher — Pfändung

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Nach Art. 39 WG brauchen Wechselschuldner bloß gegen Rückgabe des Wechsels zu zahlen. Obgleich das Urteil nichts davon sagt, daß die Zahlung der Urteilssumme Zug um Zug gegen Aushändigung des Klagewechsels zu geschehen habe, verlangt die Praxis doch die Übergabe des Papiers an das Vollstreckungsorgan. Man nimmt an, daß Art. 39 auch in der Vollstreckungsinstanz und ohne Vorbehalt im Urteil gilt; außerdem könnte der Gläubiger seine Wechselrechte durch nachträgliches Indossament des Wechsels auf einen Dritten übertragen haben, so daß er erst durch Besitz und Vorlegung des Papiers als Berechtigter legitimiert wird. Die Vollstreckung von Wechselurteilen erfolgt nur „mit dem Wechsel in der Hand". Rechtsprechung bei Stein-Jonas-Schönke IV zu § 726. Vgl. § 62 Ziff. 3 1 1 1 GeschAnw. Der Gerichtsvollzieher läßt sich also von dem Boten den Wechsel übergeben. An Goebel hatte er schon gestern die Urteilsausfertigung zwecks Beibringung der Vollstreckungsklausel zurückgesandt. Gabriel erhält die Nachricht, daß die festgesetzten Kosten erst nach dem 14. Juni vollstreckt werden können. Pfändung. E i n w e n d u n g e n gegen die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g „ D - R . II 785. Köln, den 1 1 . Juni i960 In Sachen 1. der Tabakwarengroßhandlung Gabriel & Co. in Köln, 2. der Zigarrenfabrik Leo Girtanner in Bremen, vertreten durch den R A . Schwang in Köln, 3. der verw. Frau Kaufmann Rosa Gundermann geb. Kleinholz in Köln, Gläubiger, gegen den Kaufmann Adolf Scballwig in Köln, Kantstraße 185, Schuldner,"

— „Gläubiger" und „Schuldner" sind technische Bezeichnungen für die Parteien der Zwangsvollstreckung. In der Zwangsvollstreckung kommt es nicht auf die materiellen Rechtsverhältnisse, sondern auf das Vorhandensein und den Inhalt von vollstreckbaren Schuldtiteln an. Demgemäß heißt „Gläubiger", wer im Vollstreckungstitel (genauer: in der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels) als Gläubiger bezeichnet wird und als solcher das Verfahren betreibt; „Schuldner" die Person, welche der Titel als Schuldner bezeichnet und gegen die sich die Vollstreckung richtet. Dieser Sprachgebrauch gilt gleichmäßig für Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht, für Forderungspfändung und Offenbarungseidverfahren, für Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung; er gilt auch dann, wenn die Zwangsvollstreckung wegen eines rein dinglichen Rechts (z. B. aus einer Grundschuld) betrieben wird und daher ein Schuldner im Sinne des bürgerlichen Rechts gar nicht vorhanden ist. „habe ich mich heute vormittags 9 Uhr 15 Minuten in die Wohnung und das Geschäftslokal des Schuldners begeben, um im Auftrage der Gläubiger bzw. Vertreter nachstehende Beträge im Wege der Zwangsvollstreckung einzuziehen: zu 1 : auf Grund der vollstreckbaren Ausfertigung des dem Schuldner heute zugestellten Urteils des Amtsgerichts Köln vom 1. Juni i960 Aktenzeichen 21 C 3 1 5 . 6 0 : "

— über die soeben vorgenommene Zustellung wird eine besondere Zustellungsurkunde ausgestellt — „Hauptforderung

397.5° D M usw.

zu 2: auf Grund der vollstreckbaren Ausfertigung des dem Prozeßbevollmächtigten des Schuldners am 7. Juni i960 zugestellten Urteils des Landgerichts in Köln vom 1. Juni i960 mit dem auf das Urteil gesetzten Kostenfestsetzungsbeschluß vom 2. Juni i960, Aktenzeichen 22 O 62.60, und der dem Prozeßbevollmächtigten des Schuldners am selben Tage zugestellten Urkunde über die der Gläubigerin obliegende Sicherheitsleistung : Hauptforderung 1200 D M usw.

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Gerichtsvollzieher — Einwendungen gegen die Zwangsvollstreckung zu 3: auf Grund der vollstreckbaren Ausfertigung des dem Schuldner am 8. Juni i960 zugestellten Wechselurteils des Amtsgerichts in Köln vom 4. Juni i960, Aktenzeichen 21 D 43.60: Hauptforderung 250 DM usw. Ich habe den Schuldner selbst sowie dessen Vater, Steuererheber a. D. Friedrieb Schal folg' angetroffen, sie mit dem Zwecke meines Erscheinens bekannt gemacht und den Schuldner — zu 3 unter Vorlegung des Wechsels — aufgefordert, zur Vermeidung sofortiger Pfändung die oben berechneten Beträge sowie meine Gebühren und Auslagen zu zahlen. Der Schuldner erklärte sich zur Zahlung außerstande."

Hätte Schallwig gezahlt, so würden ihm die vollstreckbaren Ausfertigungen sowie der Wechsel ausgehändigt worden sein. Die Zahlung an den Gerichtsvollzieher hat befreiende Wirkung. § 754 Z P O , Art. 39 W G . „Nunmehr forderte ich ihn auf, mir zum Zwecke der Pfändung seine bewegliche Habe, zunächst die ihm entbehrlichsten Sachen, vorzuzeigen sowie alle Räumlichkeiten und die darin befindlichen Behältnisse, soweit erforderlich, zu öffnen." Schallwig gehört, wie sich jetzt zeigt, zu den Schuldnern, die ihren Gläubigern bei der Zwangsvollstreckung alle erdenklichen Schwierigkeiten bereiten: „Gegen die Vornahme der Zwangsvollstreckung erhob der Schuldner Widerspruch, weil die Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen beantragt sei. Er legte die ihm vom hiesigen Amtsgericht unter dem Aktenzeichen 53 N 57.60 zugegangene Ladung zum 14. Juni zur Erklärung auf den von dem Gläubiger gestellten Konkursantrag vor. Ich habe den Schuldner belehrt, daß bis zur Eröffnung des Konkurses Zwangsvollstreckungen statthaft sind." Mit Recht ist der Gerichtsvollzieher über diesen Einwand des Schuldners hinweggegangen. Eine Vollstreckungssperre—d. h. Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung — tritt erst als Folge der Konkurseröffnung ein ( § 1 4 K O ) , nicht schon durch den E r öffnungsantrag. Die Pfändung wird allerdings voraussichtlich keinen Bestand haben, falls es zur Eröffnung kommen sollte, weil sie dann der Anfechtung des Konkursverwalters nach § 30 2 unterliegt (unten S. 361). Das kann aber der Gerichtsvollzieher ruhig der Zukunft überlassen. Der K o n k u r s sperrt sowohl die Konkursmasse wie das konkursfreie Vermögen des Gemeinschuldners gegen Mobiliar- und Immobiliar-Zwangsvollstreckungen einzelner Konkursgläubiger, ohne Unterscheidung von bevorrechtigten und nicht bevorrechtigen (§ 14). Zulässig bleibt die Vollstreckung auf Grund von Aus- und Absonderungsrechten oder Masseansprüchen (§§ 4 1 1 , 43f., 47f., 57f.), doch bedarf es dazu eines Titels gegen den Verwalter (arg. § 6 11 ). Gläubiger, deren Ansprüche nach Konkurseröffnung entstanden und deren Ansprüche demgemäß keine Konkursforderungen sind (§ 3 1 ), können trotz des Konkurses in das konkursfreie Vermögen auf Grund eines gegen den Gemeinschuldner erwirkten Titels vollstrecken (arg. § 14 1 ). Der Konkurs geht aus dem Grundbuch hervor (§ 113). Eine ähnliche Sperre für Mobiliar- und Immobiliarvollstreckung fuhrt das V e r g l e i c h s v e r fahren herbei (§§ 47, 48 VerglO). Die von ihm betroffenen (s. g. „beteiligten") Gläubiger entsprechen im allgemeinen den Konkursgläubigern, doch werden Gläubiger, die im Konkursfall bevorrechtigt wären, sowie Gläubiger aus unerfüllten gegenseitigen Verträgen nicht betroffen (§§ 26, 36, unten S. 346). Soweit während schwebenden Vergleichsverfahrens eine Zwangsvollstreckung möglich ist, genügt ein Titel gegen den Vergleichsschuldner. Ins Grundbuch wird nicht das Vergleichsverfahren als solches, sondern nur eine etwa vom Gericht erlassene Verfügungsbeschränkung eingetragen (§§ 58, 59, 61, 63). Die weiteren Einwendungen Schallwigs richten sich gegen einzelne der beizutreibenden Forderungen: „Insbesondere der Zwangsvollstreckung für Girtanner widersprach der Schuldner, weil der Schuldtitel nicht ihm selbst sondern seinem Anwalt zugestellt sei. Ich habe den Einwand nach §§ 176, 178 ZPO für unbegründet erklärt und dem Schuldner, der sich bei dem Bescheide nicht beruhigen will, Erinnerung nach § 766 ZPO anheimgestellt."

Gerichtsvollzieher — Vollstreckungsgegenklage

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Vgl. S. 213. Die an keine besondere Form und Frist gebundene „Erinnerung" beim Vollstreckungsgericht ist der allgemeine R e c h t s b e h e l f , m i t d e m „ d i e A r t und Weise der Zwangsvollstreckung oder das bei derselben vom Gerichtsvollzieher zu beobachtende Verfahren", ferner die Weigerung des Gerichtsvollziehers, einen vom Gläubiger erteilten Vollstreckungsauftrag auszuführen, und Streitigkeiten über die Kosten des Gerichtsvollziehers zur gerichtlichen Nachprüfung gebracht werden. Sie steht beiden Parteien, unter Umständen auch Dritten zu. Vgl. unten S. 226, 258. „Der Schuldner legte ferner eine mit ,Rosa Gundermann' unterzeichnete Quittung über 280 DM ohne Datum und ohne Angabe des Zahlungsgrundes vor und widersprach der Zwangsvollstreckung für Frau Gundermann mit der Begründung, daß der Wechsel mit Zinsen und Unkosten bezahlt sei. Ich habe ihn auf die Geltendmachung seiner Einwendungen vor dem Prozeßgericht verwiesen." Da die Einspruchsfrist gegen das Wechsel-Versäumnisurteil noch läuft (§ 508 n ) , wird die prozessuale Geltendmachung des Zahlungseinwands dem Schuldner hier keine Schwierigkeiten bereiten. Wie steht es aber, wenn gegen einen bereits rechtskräftig festgestellten Anspruch Einwendungen erhoben werden sollen ? Das rechtskräftige Urteil hat die Aufgabe, den Streit der Parteien ein für allemal zu beenden. Deshalb schließt es das Vorbringen der unterlegenen Partei, daß der Prozeß unrichtig entschieden, daß neue Tatsachen oder Beweismittel ausfindig gemacht worden seien, grundsätzlich aus. Doch beschränkt sich diese Wirkung auf den Sachverhalt, der bei Erlaß des Urteils — genauer: im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, in welcher Tatsachen und Beweismittel noch vorgebracht werden konnten — gegeben war. Später eingetretene Tatsachen werden durch die Rechtskraft nicht konsumiert. Vielmehr kann der Schuldner seine neuen Einwendungen jederzeit durch „Vollstreckungsgegenklage" beim Prozeßgericht erster Instanz geltend machen und bei Glaubhaftmachung die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (durch das Prozeßgericht, im Falle der Dringlichkeit auch provisorisch durch das Vollstreckungsgericht) erwirken. §§ 767, 769. Was das Verhältnis der Vollstreckungsgegenklage zu den ordentlichen Anfechtungsmitteln anlangt, so ist zweifellos, daß bei streitigen Urteilen Vollstreckungsgegenklage und Berufung konkurrieren. Wird z. B. die Urteilsforderung zwischen der Schlußverhandlung und dem Ablauf der Berufungsfrist bezahlt, erlassen oder gestundet, so hat der Beklagte die Wahl, ob er Berufung einlegt (mit dem Antrag, die Hauptsache für erledigt zu erklären), oder aber das Urteil rechtskräftig werden läßt und sich gegebenenfalls später durch Vollstreckungsgegenklage schützt. Für den Vollstreckungsbefehl bestimmt § 796 1 1 , daß vor Zustellung des Vollstreckungsbefehls entstandene Einwendungen nicht durch Vollstreckungsgegenklage verfolgt werden dürfen, so daß also hierfür nur der Einspruch (§ 700) zur Verfügung steht. Dagegen ist wegen Einwendungen aus der Zeit nach Zustellung des Vollstreckungsbefehls Vollstreckungsgegenklage statthaft, gleichviel ob bei ihrer Entstehung die Einspruchsfrist bereits abgelaufen war oder nicht. Für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist die Frage streitig. Manche Schriftsteller und Entscheidungen gewähren auf Grund der Wortfassung des § 7 6 7 1 1 die Vollstreckungsklage wegen aller nach der Versäumnisverhandlung entstandenen Einwendungen, sofern nur bis zur Klageerhebung die Einspruchsfrist abgelaufen und damit der Einspruch unmöglich geworden war („durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden k ö n n e n " ) . Andere beschränken die Klagemöglichkeit auf Einwendungen, die nach Zustellung des Versäumnisurteils (analog dem Vollstreckungsbefehl!), manche auf solche, die nach Ablauf der Einspruchsfrist entstanden sind. Vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Z P (8. Aufl.) § 183 III 2a. Das praktische Bedürfnis spricht für Zulassung der Vollstreckungsgegenklage wegen aller nach Zustellung des Versäumnisurteils entstandenen

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Gerichtsvollzieher — Abänderungs- und Vollstreckungsgegenklage

Einwendungen. D e n Hauptfall bildet die Zahlung der Urteilssumme durch den Beklagten nach Erlaß des Urteils: wollte man hier den Beklagten nötigen, jedesmal Einspruch ein2ulegen und mit diesem die Zahlung geltend zu machen, so würde das eine unnütze Belastung der Parteien mit Prozeßkosten bedeuten, weil in der überwiegenden Zahl der Fälle der Kläger die Zahlung als Erledigung der Sache anerkennen wird. Hat aber der Beklagte gezahlt und stellt der Kläger trotzdem nachher das V e r säumnisurteil zu, so muß der Beklagte daraus entnehmen, daß die Angelegenheit nicht in Ordnung geht, und muß sich mit dem Kläger in Verbindung setzen, ihn zum förmlichen Verzicht auf die Rechte aus dem Versäumnisurteil bestimmen und gegebenenfalls rechtzeitig den Einspruch einlegen. Nach ständiger Rechtsprechung ist die A n f e c h t u n g eines durch rechtskräftiges Urteil zugesprochenen Anspruchs und die A u f r e c h n u n g gegen einen solchen Anspruch durch Vollstreckungsgegenklage mit Rücksicht auf die R ü c k w i r k u n g e n dieser Gestaltungsrechte schon unzulässig, wenn die V o r a u s s e t z u n g e n der Anfechtbarkeit oder der Aufrechenbarkeit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des früheren Prozesses vorlagen. Auf die Kenntnis der Voraussetzungen und die E r k l ä r u n g der Anfechtung bzw. Aufrechnung soll es nicht ankommen. Vgl. R G 64, 228; B A G N J W 1956, 1007; B G H 24, 97. Kritisch hierzu Schuler N J W 1956, i497ff. Die Vollstreckungsgegenklage ist gegenüber Schuldtiteln aller Art — Urteilen, Kostenfestsetzungsbeschlüssen, Vergleichen, exekutorischen Urkunden, Konkurstabellenauszügen usw. — zulässig. Bei den vollstreckbaren Urkunden (§§ 794°, 800) gilt die Besonderheit, daß hier die Beschränkung auf nova wegfällt (§ 797^), so daß auch von Anfang an bestehende Einwendungen (z. B. Nichtigkeit wegen Wuchers, Verstoß gegen gesetzliche Verbote) mittels Vollstreckungsgegenklage verfolgt werden können. Grund: bei diesen Urkunden hat keinerlei gerichtliche Kognition stattgefunden, der Begriff der „Rechtskraft" ist deshalb auf sie nicht anwendbar. Das einer Vollstreckungsgegenklage stattgebende Urteil tenoriert man gewöhnlich: „Die Zwangsvollstreckung aus dem (Bezeichnung des Schuldtitels) wird für unzulässig erklärt." Während die Vollstreckungsgegenklage den angegriffenen Titel bestehen läßt und ihm nur seine Vollstreckbarkeit nehmen will, wendet sich die Abänderungsklage nach § 323 ZPO gegen die Rechtskraft des ursprünglichen Urteils; sie ist nur gegeben, wenn die Voraussetzungen, die diesem Urteil zugrunde lagen, weggefallen sind (clausula rebus sie stantibus). Die Abänderungsklage wirkt bloß für die Zeit nach Klagerhebung ( § 3 2 3 " *) und steht, zum Unterschied von der Vollstreckungsgegenklage, beiden Parteien zu. Auch der Gerichtsstand kann ein anderer sein. Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist in § 323 nicht vorgesehen, jedoch in entsprechender Anwendung des § 769 ZPO zuzulassen. Im einzelnen vgl. über die Abgrenzung der beiden Klagen und ein mögliches Zusammentreffen bei vollstreckbaren Urkunden die lehrreiche Entscheidung O L G Köln in N J W 51/849, ferner L G Tübingen N J W 1961, 82 mit weiteren Hinweisen. Vollstreckungsgegenklage wie Änderungsklage sind als spezielle Erscheinungsformen des allgemeinen Satzes aufzufassen, daß die Rechtskraft alle nach der letzten Tatsachenverhandlung eingetretenen Veränderungen unberührt läßt. Fordert der Schuldner, der die Vollstreckungsgegenklage verabsäumt hatte, das aus einem rechtskräftigen Urteil von ihm Beigetriebene mit der Bereicherungsklage (§812 BGB) zurück und gelingt ihm der Nachweis, daß der Urteilsanspruch nachträglich erloschen, die Leistung also sine causa erfolgt war, so steht die Rechtskraft der condictio nicht entgegen. Entsprechend kann der rechtskräftig abgewiesene Kläger seine Klage erneuern, falls der Anspruch nachträglich begründet worden ist. W i r wissen, daß die Prüfung des zur Vollstreckung stehenden materiellen A n spruchs grundsätzlich den Vollstreckungsorganen entzogen und dem Prozeßgericht vorbehalten ist (S. 2 1 5 ) . Demgemäß interessieren die v o m Schuldner erhobenen Einwendungen den Gerichtsvollzieher erst, wenn ihm ein gerichtlicher Einstellungsoder Aufhebungsbeschluß vorgelegt wird (§§ 7 7 5 1 , 776 Z P O ) . N u r in zwei Fällen hat er ausnahmsweise selbständig zu prüfen und gegebenenfalls v o n sich aus die Z w a n g s vollstreckung einzustellen: wenn der Schuldner eine v o m Gläubiger nach Erlaß des Urteils ausgestellte Quittung oder Stundungsbewilligung (§ 775*), oder wenn er

Gerichtsvollzieher — Pfändungspfandrecht

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einen nach Erlaß des Urteils ausgestellten Postschein über die Einzahlung der Urteilssumme vorlegt (§ 77J 6 ). Alsdann ist nämlich prima facie Vollstreckungsgegenklage gegeben, so daß es gerechtfertigt erscheint, zur Entscheidung über solche „liquiden Einwendungen" das Vollstreckungsorgan zu ermächtigen und von dem sonst notwendigen gerichtlichen Einstellungsbeschluß zu dispensieren. Hätte die Quittung ein entsprechendes Datum getragen, so würde G V . Pfänder die Vollstreckung für Frau Gundermann eingestellt haben; da sie undatiert ist, hat er den Schuldner mit Recht auf den Prozeßweg verwiesen. „Sodann habe ich (. . . . D M bares Geld sowie) die in dem nachstehenden Verzeichnis unter Nr. i bis 9 aufgeführten Gegenstände gepfändet, indem ich sie in Besitz genommen habe."

Die Vollstreckung von Geldforderungen zerfällt regelmäßig in zwei Abschnitte: das Stadium der Pfändung (Beschlagnahme) und das Stadium der Verwertung. Die Pfändung beweglicher Sachen begründet für den Gläubiger das „Pfändungspfandrecht" (§ 804), das dann nachher im Wege der Versteigerung oder des freihändigen Verkaufs realisiert wird. Nur bei Bargeld entsteht kein Pfändungspfandrecht, hier gilt vielmehr die Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher als endgültige Zahlung seitens des Schuldners (§ 8 1 5 1 1 1 ) . Daraus folgt übrigens auch, daß sich das Geld auf Gefahr des Gläubigers in den Händen des Gerichtsvollziehers befindet, so daß, wenn es dem Gerichtsvollzieher vor der Ablieferung an den Gläubiger ohne sein Verschulden gestohlen oder geraubt wird, der Gläubiger den Schaden zu tragen hat. Wegen dieser besonderen Rechtsfolge empfiehlt es sich, Geld und andere Sachen im Pfändungsprotokoll auseinanderzuhalten. „Den gewöhnlichen Verkaufswert der gepfändeten Gegenstände habe ich geschätzt."

Vgl. unten S. 226. „ A u f Befragen erklärte der Schuldner, daß die gepfändeten Gegenstände seines Wissens durch andere Vollstreckungsbeamte nicht vorgepfändet seien."

Als andere Vollstreckungsbeamte, die möglicherweise schon einmal gepfändet haben könnten, kommen neben den besonderen Gerichtsvollziehern für Eilsachen oder dem Gerichtsvollzieher eines benachbarten Bezirks, der vielleicht einmal in Vertretung des G V . Pfänder tätig geworden ist, vor allem die Vollziehungsbeamten der Finanzämter oder sonstige Verwaltungsbehörden in Betracht. Eine Sicherheit, daß tatsächlich nicht vorgepfändet ist, wird durch die Auskunft Schallwigs natürlich nicht geschaffen. „ D a s Pfandstück Nr. 1 habe ich sogleich in meine Verwahrung genommen. Die Pfandstücke Nr. 2 bis 9 habe ich gemäß § 808 1 1 Z P O im Gewahrsam des Schuldners belassen, weil hierdurch die Befriedigung der Gläubiger nicht gefährdet wird. Die Pfändung der Gegenstände Nr. 2 bis 8 habe ich je durch Anlegung einer mein Dienstsiegel zeigenden Siegelmarke ersichtlich gemacht. Da sich wegen der Beschaffenheit des Pfandstücks Nr. 9 ein Pfandzeichen nicht anlegen ließ, habe ich das Pfandstück von anderen Sachen getrennt und an dem Orte, an dem sich das Pfandstück befindet, nämlich im Keller, eine mit meiner Unterschrift und meinem Dienstsiegel versehene Pfandanzeige des aus der Anlage ersichtlichen Inhalts an einer für jeden leicht sichtbaren Stelle, nämlich an der Kellertür, befestigt. Dem Schuldner habe ich eröffnet, daß der Besitz der Pfandstücke auf mich übergegangen ist und daß deshalb er sowie jeder andere bei Vermeidung der gesetzlichen Strafen jede diesen Besitz beeinträchtigende Handlung, wie die Veräußerung, die Wegschaffung oder den Verbrauch der gepfändeten Sachen, desgleichen auch jede Beschädigung oder Zerstörung der Pfandzeichen, zu unterlassen habe. Zur öffentlichen Versteigerung der Pfandstücke habe ich Termin auf S o n n a b e n d , den 2 . J u l i i 9 6 0 v o r m i t t a g s 9 U h r in der Pfandkammer Köln, Gräbschenerstraße 85 angesetzt."

Nr. i des Verzeichnisses ist ein goldener Brillantring, der als „Kostbarkeit" (§ 808 1 1 S. 1) nicht im Gewahrsam des Schuldners belassen werden darf. Nr. 2—8 sind Möbel

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Gerichtsvollzieher — Pfandanzeige

und Gerätschaften, sie werden mit Siegelmarken beklebt und bleiben beim Schuldner bis kur2 vor dem Versteigerungstermin, wo sie der Gerichtsvollzieher in die Pfandkammer schaffen läßt. Nr. 9 ist im Protokoll bezeichnet: „verschiedene Posten Zigarren, Taxwert.

. . . 600 D M . "

Die zugehörige, dem Protokoll abschriftlich beigefügte Pfandanzeige lautet: „Pfandanzeige In der Zwangsvollstreckungssache Gabriel 272; R G 136, 74). Außer der vorstehend erörterten gibt es noch eine andere bei den landschaftlichen Kreditanstalten übliche Art der Tilgungshypothek. Dort entsteht zufolge statutarischer Bestimmung keine Eigentümerhypothek, sondern es wird bei der Landschaft ein „Tilgungsfonds" angesammelt, auf den der zahlende Eigentümer einen obligatorischen Anspruch hat, während die Hypothek selbst bis zur Leistung der letzten Tilgungsrate in voller Höhe dem eingetragenen Gläubiger Zusteht. Meist darf der Anspruch auf den Tilgungsfonds nicht vom Grundstückseigentum getrennt, folglich auch nicht gesondert gepfändet werden. Es gibt jedoch auch Landschaftsstatuten, nach denen er einen „nicht wesentlichen" Bestandteil 'des Grundstücks [bildet. Vgl R G 30, 278; 64, 211; 74, 401; Brox, Rpfleger 1959, 176. Welchen Eigentümern gehören nun die einzelnen Tilgungsbeträge und welchen Rang haben sie untereinander? Allgemein ist zu sagen, daß Eigentümergrundschulden demjenigen zustehen, während dessen Eigentumszeit die Voraussetzungen ihrer Entstehung eingetreten sind. Hinsichtlich des Ranges gilt (wie bei allen gesetzlichen Rechtsübergängen) die Regel „nemo subrogat contra se", d.h. die Eigentümerpost darf nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. § 1176, vgl. §§ 2 6 8 " ! S. 2, 774I S. 2. Bestellt z. B. der Grundstückseigentümer A für X eine Hypothek von 100000 DM, wovon nur 95000 D M valutiert werden (§ 1163 1 S. 1), so hat die hierauf beruhende Eigentümergrundschuld

Zwangsversteigerungsrichter — Pfändung von Eigentümergrundschulden

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von 5000 D M den Rang hinter den 95000 D M des X . Alsdann zahlt er 10000 D M zurück (§ 1 1 6 3 1 S. 2), und damit spalten sich die 95 000 D M in erststellige 85 000 D M des X und nachstellige 1 0 0 0 0 D M des A . Wenn der nachfolgende Eigentümer B weitere 20 000 D M zurückzahlt, erwirbt er von den 85 000 D M des X die letzten 20000 D M usw. Das Rangverhältnis der Grundschulden der auf einander folgenden Eigentümer ist umgekehrt, wie die zeitliche Aufeinanderfolge ihres Eigentums: der letzte hat den besten, der erste den schlechtesten Abschnitt. Bei der Tilgungshypothek folgt aus der Verschiebung des Anteils von Zinsen und Kapitalzahlung weiterhin, daß der erste Eigentümer auch die kleinsten, der letzte die höchsten Beträge erwirbt.

Die Pfändung von Eigentümergrundschulden gehört zu den mühsamsten Aufgaben der juristischen Praxis. Manche Schriftsteller meinen, daß die Eigentümergrundschuld keine wahre Grundschuld sei, und befürworten deshalb die Anwendung des § 857 11 ZPO, nach welchem beim Fehlen eines Drittschuldners die Pfändung schon mit der Zustellung des Beschlusses an den Schuldner bewirkt ist. (Stein-JonasSchönke, ZPO, § 857 II 6; Rosenberg, ZPR, § 195 I; Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungsrecht, § 30IV; Sottung, Die Pfändung der Eigentümergrundschuld,i957). Diese Auffassung hat sich in der Rechtsprechung nicht durchgesetzt (RG 55, 379; OLG Frankfurt, NJW 1955, 1483). Denn die Zulassung einer solchen Pfändung würde den im Sachenrecht des BGB geltenden Publizitätsgrundsatz durchbrechen. Auch kann die Natur der Eigentümergrundschuld als Grundschuld nicht geleugnet werden (Wolff-Raiser, Sachenrecht, § 147 II). Sie wird deshalb wie eine Fremdgrundschuld behandelt und nach den für Hypotheken überhaupt aufgestellten allgemeinen Regeln gepfändet. §§ 830, 857VI. Der Pfändungsbeschluß ist leicht erwirkt und zugestellt. Aber die weiterhin erforderliche Wegnahme des Briefes (bei Buchhypotheken: Eintragung der Pfändung im Grundbuch) stößt fast immer auf das Hindernis, daß der Brief sich nicht im Besitz des Schuldners, sondern des eingetragenen Hypothekengläubigers befindet (oder die Post nicht auf den Schuldner umgeschrieben, sondern noch ganz für den Hypothekengläubiger eingetragen ist, so daß dem Grundbuchamt der Nachweis des Übergangs der Post auf den Eigentümer in der Form des § 29 GBO erbracht werden muß). Daraus ergeben sich für das weitere Verfahren folgende Abschnitte: zuerst Pfändung und Überweisung des Anspruchs auf Berichtigung des Grundbuchs aus § 894 BGB und — bei Briefhypotheken — auf Vorlegung des Briefes beim Grundbuchamt zum Zwecke der Bildung eines Teilbriefs nach den §§ 896, 1145 1 S. 2 BGB. Hierauf Geltendmachung dieses Anspruchs gegen den eingetragenen Hypothekengläubiger, notfalls im'Klagewege. Liegt die Berichtigungsbewilligung des Gläubigers in grundbuchmäßiger Form vor und ist der Teilbrief gebildet, so" kann^endlich der Schlußakt~der Hypothekenpfändung vor sich gehen, nämlich bei Buchhypotheken'die Eintragung'der" Pfändung im Grundbuch, bei Briefrechten die Übergabe des Teilbriefes, der'natürlich auf den Namen des Eigentümers als Teilgrundschuldbrief ausgestellt ist, von dem Hypothekengläubiger auf den Pfandungsgläubiger, wobei'diese Übergabe durch"eine Vereinbarung nach § 1 1 1 7 1 1 ersetzt werden kann, sodann Vermerk der nunmehr wirksam gewordenen Pfändung auf dem Teilbrief. Der Anspruch des Eigentümers aus § 1 1 4 5 1 S. 2 B G B bezieht sich nur auf die „teilweise Befriedigung" des Hypothekengläubigers, also auf den Fall des § 1 1 6 3 1 S. 2 (wegen der entsprechenden Anwendung des § 1 1 4 5 vgl. die §§ 1150, 1167, 1168 1 1 1 ). Beruht die'Eigentümergrundschuld auf der Nichentstehung der Forderung (§§ 1 1 6 3 1 S. 1, 1177 1 ), so ist § 1145 nicht anwendbar. Derselbe Anspruch läßt sich aber aus anderen Rechtsgründen herleiten. Der Eigentümer ist gemäß*§ 952 B G B Miteigentümer des Stammbriefs und kann nach den §§ 749, 752, 1 1 5 2 B G B Aufhebung der'Gemeinschaft und Teilung durch Herstellung eines Teilbriefes sowie nach § 896 B G B Vorlegung'des'Stammbriefs beim Grundbuchamt verlangen. In beiden Fällen des § 1163 genügt es also, wenn außer'der Eigentümergrundschuld der Anspruch des Eigentümers auf Vorlegung des Briefes beim'Grundbuchamt zur Bildung eines Teilgrundschuldbriefes und auf Berichtigung des Grundbuchs'gepfändet

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Zwangs Versteigerungsrichter — Pfändung von Eigentümergrundschulden

wird ( R G 59, 3 1 8 ; 69, 4 1 ; Bertin, J W 1933, 1988). Einer besonderen Pfändung des Miteigentums des Eigentümers am Brief (§ 952) und seines Anspruchs auf Aufhebung der Gemeinschaft (§ 749) bedarf es auch im Fall des § 1 1 6 3 1 S. 1 nicht. — so Baumbach-Lauterbach, § 857 Anm. 5 D

Alle diese Umständlichkeiten fallen mit einem Schlage fort, wenn das belastete Grundstück zur Zwangsversteigerung gebracht und die außerhalb des geringsten Gebots stehende Eigentümergrundschuld durch den Zuschlag erloschen ist. Mit dem Zuschlag verwandelt sich nämlich das Grundpfandrecht — nicht bloß Eigentümergrundschuld, sondern überhaupt jede Hypothek, Grund- oder Rentenschuld — nach dem Umwandlungsgrundsatz (oben S. 293) in Ansehung des dinglichen Rechts in ein gleichartiges Recht am Versteigerungserlös (§§52, 9 1 1 Z V G ) , das nicht mehr den für Hypotheken geltenden Bestimmungen der §§ 1154 B G B , 830 ZPO unterliegt. Die Pfändung vollzieht sich nunmehr nach den allgemeinen Vorschriften. War das durch den Zuschlag erloschene Recht eine Hypothek, so ist die durch sie gesichert gewesene persönliche Forderung nach § 829 ZPO zu pfänden; diese Pfändung erstreckt sich ohne weiteres auf den Anspruch auf Befriedigung aus dem Erlös als unselbständiges Nebenrecht der Forderung. Drittschuldner sind der Schuldner der persönlichen Forderung und der — mit ihm nicht immer personengleiche — Subhastat, der bis zum Zuschlag Eigentümer des Grundstücks war, weil er derjenige ist, der die Auszahlung des gepfändeten Betrages zu dulden hat (vgl. dazu die lesenswerten Untersuchungen von Stöber, Rpfleger 1958, 251). Das Versteigerungsgericht oder der Ersteher kommen als Drittschuldner in keinem Falle in Betracht. Ist eine gesicherte Forderung nicht vorhanden und ist — wie im Fall der Eigentümergrundschuld — der bisherige Grundstückseigentümer selbst der Hebungsberechtigte und somit für den Pfändungsbeschluß der Schuldner, so fehlt es an einem Drittschuldner und es genügt gemäß § 8 5 7 1 1 zur Pfändung nunmehr die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Schuldner. R G 63, 214; 64, 2 1 1 ; 125, 367. Wegen der besonderen Schwierigkeiten, welche die Durchführung des vorliegenden Verteilungsverfahrens bietet, legt der Rechtspfleger die Sache dem Richter vor (§ 5 1 Nr. 2 RechtspflG).

Der Referendar bei Vorbereitung des Teilungsplans: Das Liquidat, welches auf die Aderholdsche Eigentümergrundschuld entfällt, muß der Mittelstandsbank zugeteilt werden. Die Pfändung der Hypothek durch den ersten von Brachvogel erwirkten Beschluß hat mangels Briefübergabe keine Wirksamkeit erlangt. Die Pfändung des durch den Zuschlag an Stelle der Hypothek getretenen Anspruchs auf den Versteigerungserlös durch Brachvogels zweiten Beschluß war ordnungsmäßig, und zwar genügte die Zustellung an Aderhold. Bezüglich der Pfändung seines Rechts ist aber die Mittelstandsbank mit ihrer Pfändungsankündigung Brachvogel zuvorgekommen, und da der Pfändungsankündigung binnen drei Wochen die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an Aderhold nachfolgte, kommt es auf das Datum der Pfändungsankündigung an. § 845 ZPO. Der Richter: Im Ergebnis stimme ich Ihrer Auffassung zu. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, muß man jedoch noch folgende Erwägungen anstellen: Der erste von Brachvogel erwirkte Pfändungs- und Überweisungsbeschluß sprach nicht nur die Pfändung aus, sondern enthielt gemäß § 829 1 S. 2 auch das Gebot an den Schuldner, sich jeder Verfügung über die Grundschuld, insbesondere ihrer Einziehung, zu enthalten. Ein solches Verfügungsverbot hat nach den §§ 136, 13 5 1 B G B die Wirkung, daß nicht nur jede rechtsgeschäftliche, sondern auch jede im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgende weitere Verfügung über den Gegenstand dem Pfändungsgläubiger gegenüber unwirksam ist. Es führt also auch die relative Unwirksamkeit der später von weiteren Gläubigern des Schuldners erwirkten Pfändungen herbei. Die Wirksamkeit des Verfügungsverbots beginnt auch nicht

Zwangsversteigerungsrichter — Rang mehrfacher Hypothekenpfändungen

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erst mit der Vollziehung der Pfändung, also der Eintragung im Grundbuch oder der Wegnahme des Hypothekenbriefs, sondern, wie in § 830 1 1 für den Eintritt der Wirkungen des Leistungsverbots und der Pfändung gegenüber dem Drittschuldner ausdrücklich angeordnet ist, bereits mit der Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Schuldner. Auf diesen Zeitpunkt wird die Wirksamkeit des Verfügungsverbots jedoch nur zurückbezogen, sofern es später zu einer Vollziehung der Pfändung durch Wegnahme des Hypothekenbriefes oder Eintragung im Grundbuch kommt. Bis dahin tritt der in § 161 B G B geregelte Schwebezustand ein mit der Wirkung, daß der Drittschuldner nur noch an Gläubiger und Schuldner gemeinsam leisten darf (RG 76, 233; 97, 228; BayObLG 18, 9). Das im Pfändungsbeschluß enthaltene gerichtliche Verfügungsverbot hat daher sofortige, wenn auch durch die Vollendung der Pfändung bedingte Wirksamkeit. Die Frage ist streitig; wie hier WolffRaiser, Sachenrecht, 10. Bearb., § 153 Fußn. 14; Steiner-Riedel, Z V G , § 50 Anm. 6a; Baumbach-Lauterbach, ZPO, § 857 Anm. 5 E ; Graf, WürttNV 1954, 123; a.M. Meikel-Imhof-Riedel, GBO, 5. Aufl. S. 1416; RGRKomm., 10. Aufl. § 1190 Anm. i f ; Stöber, Rpfleger 1958, 251 zu V. Das ist insbesondere für den Rang des Pfändungspfandrechts von Bedeutung, der sich nicht nach dem Zeitpunkt der Wegnahme des Briefes, sondern nach der Zustellung des Pfändungsbeschlusses richtet. A . M . Stein-Jonas-Schönke, ZPO § 830 Anm. VII 2, die meinen, daß bei gleichzeitiger Wegnahme des Briefes durch den Gerichtsvollzieher für mehrere Pfändungsgläubiger Gleichrangigkeit eintrete. In unserem Falle kann sich die Pfändung der Eigentümergrundschuld durch Brachvogel nicht mehr vollenden, weil die Grundschuld durch den Zuschlag erloschen ist. Das Verfügungsverbot des ersten Pfändungsbeschlusses hat damit endgültig seine Kraft verloren. Die Pfändung ist auch nicht etwa durch das Erlöschen der Grundschuld wirksam geworden. Diese Folgerung wird von der Rechtsprechung abgelehnt (RG 70, 278; 76, 231; JW 1933, 2764), obwohl der dem Grundpfandgläubiger nach der Zwangsversteigerung zustehende Anspruch auf den Erlös nicht ein neues, durch die Zwangsversteigerung entstandenes Recht, sondern die unmittelbare Fortsetzung seines bisherigen Realrechts ist. Aber diese Rechtsprechung wird wohl durch die Erwägung getragen, daß sonst jede Pfändung eines Grundpfandrechts, die nur zur Zustellung an den Schuldner und Drittschuldner ohne Wegnahme des Hypothekenbriefes oder Eintragung im Grundbuch gediehen ist, ein Pfandrecht an dem in einem künftigen Zwangsversteigerungsverfahren anfallenden Versteigerungserlös begründen und damit das Recht anderer Pfändungsgläubiger, deren Pfändung nach den Erfordernissen des Gesetzes (§ 830 1 ) vollzogen ist, vereiteln würde, was dem Zweck dieser Vorschrift zuwiderläuft. Der Richter könnte sich darauf beschränken, dem Rechtspfleger seine Rechtsauffassung bekanntzugeben und die Sache dem Rechtspfleger zur weiteren Bearbeitung zurückzugeben (§ 5 1 1 RechtspflG) mit der Wirkung, daß die Rechtsauffassung des Richters für den Rechtspfleger bindend ist. Der Richter entschließt sich jedoch wegen der zu erwartenden Widersprüche und möglicherweise noch auftretenden weiteren Schwierigkeiten, den Verteilungstermin selbst wahrzunehmen (§ 5 1 1 Satz 1 RechtspflG), und zwar unter Hinzuziehung des Rechtspflegers in seiner Eigenschaft als Rechnungsbeamten (§ 1 1 3 1 Z V G ) . „C. I n d e n T e i l u n g s p l a n a u f z u n e h m e n d e A n s p r ü c h e . Aus der zu B festgestellten Teilungsmasse sind folgende Ansprüche in der nachstehend angegebenen Reihenfolge zu berichtigen: 3. Ansprüche aus der Hypothek Abt. III Nr. 1 von 20000 D M : a) Kosten (Anmeldung Blatt . . . .) b) 6 % Zinsen und 1 % jährlicher Tilgungszuschlag vom 1. April bis 20. A u g u s t 1959 ( A n m e l d u n g B l a t t . . . .)

246,50 D M , 544,44 D M ,

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Zwangs Versteigerungsrichter — Jus offerendi des Nießbrauchers c) Kapital, abzüglich der für die Zeit vom i. Oktober 1951 bis 31. März 1959 zur Tilgung des Kapitals geleisteten Beträge 18020,50 DM, zu a bis c der Landesversicherungsanstalt Berlin zustehend, d) Anspruch der Frau Franziska Christiani geb. Markus in Lankwitz auf 6% Zinsen und 1% Tilgungszuschlag für die Zeit vom 1. Oktober 1958 bis 31. März 1959 auf Grund der Abtretungen der Landesversicherungsanstalt Berlin vom 2. Januar und 31. März 1959 700,00 DM, e) Anspruch des Schuldners Aderhold auf Auszahlung desjenigen Teiles des Versteigerungserlöses, der auf die durch teilweise Tilgung während der Zeit vom 1. Oktober 1954bis 30. September 1958 für ihn entstandene, durch den Zuschlag erloschene Eigentümergrundschuld entfällt, durch Pfandungsankündigung vom 6., zugestellt am 7. Juli 1959, und Beschluß vom 16., zugestellt am 18. Juli 1959 für die Mittelstandsbank e.G.m.b.H. in Berlin gepfändet und ihr zur Einziehung überwiesen . 1042,05 DM, f) Anspruch des früheren Grundstückseigentümers Dix aus der während der Dauer seines Eigentums vom 1. Oktober 1951 bis 30. September 1954 durch teilweise Tilgung für ihn entstandenen Eigentümergrundschuld (Anmeldung Blatt ) 636,72 DM.''

Weiterhin sind unter C 4 für Dix als Gläubiger der Kaufgeldhypothek Abt. III Nr. 2 noch 8809,79 DM, unter C 5 für die Nießbraucherin Christian! eine Geldrente nach § 92 1 1 2 V G (S. 296) eingestellt. Nach Abschnitt D gelangen die Ansprüche zu C 3 vollständig, von C 4 ein Teilbetrag von 2409,79 DM zur Hebung, während der Rest von C 4 und das ganze Liquidat C 5 ausfallen. Bei der Aufstellung des Teilungsplans hat das Gericht gemäß § 1 1 4 aus dem Grundbuchauszug und den urkundlichen Unterlagen (Quittungen, Abtretungen, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen) die rechtlichen Folgerungen gezogen. Da aber die Nichtaufnahme angemeldeter Ansprüche in den Plan als Widerspruch gilt (oben S. 296), ist noch die bedingte Verteilung gemäß § 124 erforderlich. Aus Zweckmäßigkeitsgründen wird diese erst auf Grund der mündlichen Verhandlung vorgenommen: „E. Verhandlung über den Teilungsplan. Uber den Teilungsplan wurde verhandelt. Der Schuldner nahm seine Anmeldung wegen des zu C 3 e der Mittelstandsbank zugeteilten Anspruchs zurück. Dagegen erklärte Prof. Brachvogel, daß er seine Anmeldung bezüglich des gleichen Betrages aufrechterhalte und gegen die Zuteilung an die Mittelstandsbank Widerspruch erhebe. Vorgelesen, genehmigt. Beschlossen und verkündet: Für den Fall, daß der von Prof. Brachvogel erhobene Widerspruch für begründet erklärt wird, wird der Betrag z u C j e von 1042,05 DM ihm zugeteilt."

Ein weiterer Widerspruch richtet sich gegen den Anspruch der Frau Christiani. Werden Zinsen und andere wiederkehrende Leistungen der ersten Hypothek von nachstehenden dinglich Berechtigten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bezahlt, so geht das hypothekarische Recht in der Regel gemäß den §§ 268, 1150 BGB kraft Gesetzes auf den zahlenden Dritten über, natürlich mit dem Vorrang für die dem Gläubiger verbleibenden Ansprüche: ius offerendi et succedendi („Lösungsrecht"). Diese Befugnis wird vielfach zu Schiebungen mißbraucht. Verschuldete Grundstückseigentümer bestellen einem nahen Angehörigen, z.B. ihrer Frau, eine wertlose Schornsteinhypothek und lassen die Zinsen der ersten Hypothek der Form nach durch die Frau zahlen. Gelangt dann später das Grundstück zur Zwangsversteigerung, so meldet die Frau die von ihr bezahlten Zinsen im Rahmen

Zwangsversteigerungsrichter — Widerspruch gegen den Teilungsplan

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des § io4 ZVG, also bis zu zwei Jahren, mit dem Range der ersten Hypothek an und der zweite Hypothekar muß sie mit ausbieten I Um sich davor zu schützen, legen ganz vorsichtige zweite Hypothekengläubiger dem Eigentümer die Verpflichtung auf, die Zahlung der Zinsen der ersten Hypothek, als für Rechung des Eigentümers erfolgt, regelmäßig durch Vorlegung der Quittungen nachzuweisen, und bedingen sich für den Fall der Nichterbringung des Nachweises die sofortige Fälligkeit ihrer eigenen Post aus. Im übrigen hat das Gericht selbstverständlich die Voraussetzungen des Lösungsrechts genau nachzuprüfen. Hierbei wird wichtig, daß der Gläubiger zwar nicht schon die Zwangsvollstreckung zu betreiben braucht (wie bei dem Lösungsrecht des Schuldrechts, § 268 BGB), daß er aber immerhin „Befriedigung aus dem Grundstück verlangt" haben muß (vgl. § 115 o). Ist nun der zahlende Dritte ein Nießbraucher, so wäre der Übergang des Hypothekenrechts auf ihn besonders unbillig, da der Nießbraucher durch Zahlung der Zinsen lediglich eine ihm gegenüber dem Eigentümer auf Grund des Nießbrauchs obliegende Verpflichtung erfüllt (§ 1047). Deshalb sieht man es so an, als ob die Zahlung des Nießbrauchers für Rechnung des Grundstückseigentümers geschehen wäre, d. h. die Zinshypothek erlischt nach § 1178 1 S. 1. Darüber hinaus verneint die Rechtsprechung den Rechtsübergang aus §§ 268, 115 o, falls die Befriedigung des Gläubigers durch den Dritten nachweislich nicht den Zweck hatte, eine drohende Zwangsvollstreckung abzuwehren, sondern dem ablösenden Gläubiger gegenüber anderen Gläubigern einen besseren Rang sichern sollte R G 100, 155; 123, 340. Frau Christiani beruft sich allerdings auf ausdrückliche Abtretungserklärungen der Landesversicherungsanstalt und nicht auf die gesetzlichen Folgen des ius offerendi. Ob der Nießbraucher sich durch solche rein formalen Gesichtspunkte eine Vorzugsstellung vor einem ihm im Range vorgehenden Hypothekengläubiger verschaffen kann, erscheint recht fraglich (bejahend R G 100, 157; verneinend Palandt-Hoche, § 1047 Anm. 2). § 1047 spricht nur von den Zinsen. Nach der Verkehrsauffassung hat der Nießbraucher auch für die Tilgungsraten aufzukommen, doch ist das streitig. Soweit der Frau Christiani die Teilhypothek für die Tilgungsraten abgetreten worden ist, genügte übrigens nicht, wie gemäß § 1 1 5 9 für die Abtretung der Hypothek für die Zinsrückstände, die einfache Abtretungserklärung nach § 398, sondern es hätte die Form des § 1 1 5 4 gewahrt werden müssen. „Herr Dix erklärte: Ich widerspreche der Zuteilung des Anspruchs C 3 d an Frau Christiani, weil sie als Nießbraucherin Zur Zahlung von Zinsen und Tilgungszuschlag verpflichtet war und weil die Zahlung durch sie nicht dazu bestimmt war, eine drohende Zwangsvolllstreckung abzuwenden, sondern der Nießbraucherin gegenüber anderen Gläubigern einen besseren Rang zu sichern. Ich mache geltend, daß insoweit, als die von Frau Christiani geleisteten Zahlungen Zinsen darstellen, nämlich in Höhe von 549,64 DM, die Hypothek erloschen, und daß in Höhe der Tilgungsbeträge, nämlich 150,36 DM, eine Eigentümergrundschuld für Aderhold entstanden ist. Vorgelesen, genehmigt. Beschlossen und verkündet: Für den Fall, daß der von Herrn Dix erhobene Widerspruch für begründet erklärt wird, kommen von den 700 D M zu C 3 d 549,64 D M in Wegfall, und es gelangt infolgedessen Herr Dix zu C 4 mit einem weiteren Betrage von 549,64 D M zur Hebung, so daß sich sein Ausfall von 6400 D M auf 5850,36 D M verringert. Der Restbetrag des Liquidats mit 150,36 D M steht im Falle des erfolgreichen Widerspruchs nicht Frau Christiani sondern Herrn Aderhold zu."

Welches Interesse Dix daran hat, die 150,36 DM für Aderhold zu reklamieren, zeigt sich aus seiner folgenden Erklärung:

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Zwangsversteigerungsrichter — Aufrechung des Erstehers „ F . A u s f ü h r u n g des

Teilungsplans.

Der Ersteher Dix erklärte: Laut Teilungsplan stehen mir zu: unbedingt gemäß C }f unbedingt gemäß C 4a bis c, D zur Hebung gelangende femer gemäß C 3 d, E für den Fall, daß mein Widerspruch gegen den Anspruch der Frau Christiani Erfolg hat Mit diesen insgesamt rechne ich gegen mein Bargebot nebst Zinsen auf.

636,72 D M 2409,79 D M 549,64 D M 3596,15DM

Sodann rechne ich gegenüber den nach C 3 d, E für den Fall des erfolgreichen Widerspruchs dem Schuldner Aderhold zugeteilten 150,36DM mit einem gleich hohen Teilbetrag meiner unter C 4c, D, E festgestellten persönlichen Ausfallsforderung gegen Aderbold und gegenüber den gemäß C 3e, E der Mittelstandsbank e. G.m.b.H., unter Umständen Herrn Prof. Brachvogel als Rechtsnachfolgern des Schuldners Aderhold zugeteilten 1042,05 D M ebenfalls mit einem gleich hohen Teilbetrag meiner unter C 4 c, D, E festgestellten persönlichen Ausfallsforderung gegen Aderbold auf. Vorgelesen, genehmigt. Den nach Vornahme der Aufrechnungen verbleibenden Restbetrag des Gebots nebst Zinsen I von 933°»99 D M zahlte der Ersteher bar an das Gericht. Dieser Betrag wurde an die Berechtigten zu C 1 bis einschließlich 3 c ausgezahlt."

Jede Aufrechnung setzt voraus, daß zwei Personen „einander" gleichartige Leistungen schulden (§ 387). Teilungsmasse ist der Versteigerungserlös, der nach dem Umwandlunsgrundsatz an die Stelle des Grundstücks tritt. Bis zur Zahlung besteht die Teilungsmasse aus der Forderung gegen den Ersteher, die somit, wie vorher das Grundstück, zum Vermögen des Vollstreckungsschuldners gehört. Die Befriedigungsansprüche, die bis zum Zuschlag an dem Grundstück bestanden, setzen sich aber an der Forderung gegen den Ersteher fort und die Forderung gegen den Ersteher ist in gleicher Weise wie vorher das Grundstück der Beschlagnahme unterworfen (RG 64, 308; 72, 346; 84, 8; B G H 4, 84). Deshalb hat die vom Ersteher im Verteilungstermin zu leistende Zahlung in einheitlicher und ungeteilter Summe „an das Gericht" zu erfolgen (§ 1 0 7 1 1 ZVG), nicht an einzelne Befriedigungsberechtigte. Erst durch Übertragung der Forderung gemäß § 118 wird die von § 387 erforderte Gegenseitigkeit zwischen dem Ersteher als Schuldner des Gebots und den Gläubigern geschaffen. Der Ersteher hat allerdings die Befugnis, sich wegen der Ansprüche, die ihm selbst im Teilungsplan unbedingt zugesprochen und die nicht mit den Rechten Dritter belastet sind, für befriedigt zu erklären, weil darin nur eine Vereinfachung der Zahlungsart liegt. Würde der Ersteher seine Befriedigung nicht erklären, so wäre ihm im Falle der Nichtzahlung die Forderung gegen ihn selbst zu übertragen, wodurch Forderung und Schuld infolge Vereinigung erlöschen würden, so daß eine Sicherstellung (§ 128) nicht in Betracht käme. In allen anderen Fällen kommt es — sofern der Befriedigungsberechtigte sich nicht mit der Aufrechnung einverstanden erklärt — notwendigerweise zur Forderungsübertragung, mithin auch zur Eintragung der Sicherungshypothek nach § 128. Der Ersteher, der Forderungen an einen Befriedigungsberechtigten zu haben behauptet, kann nicht etwa daraufhin dem Anspruch dieses Befriedigungsberechtigten widersprechen: denn der Widerspruch setzt voraus, daß der Widersprechende ein besseres Recht am Erlöse geltend macht als der andere. Ein solches Recht am Erlöse hat der Ersteher aber nicht. E r hat in seiner Eigenschaft als Ersteher überhaupt kein Widerspruchsrecht, weil die Art der Verteilung des von ihm geschul-

Zwangsversteigerungsrichter — Bedingte Forderungsübertragung

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deten Erlöses seine Rechte nicht berührt (Steiner-Riedel, ZVG, 7. Aufl. § 115 Bern. 3 d). Demgemäß kommt für die endgültige Entscheidung über eine Aufrechnung nicht die Widerspruchsklage des § 878 ZPO, sondern die Vollstreckungsgegenklage gegen die vollstreckbare Forderungsübertragung (§ 767) oder die Grundbuchberichtigungsklage (§ 894) wegen der Sicherungshypothek in Betracht. Wird Dix mit der Aufrechnung aber auch gegenüber den Pfändungsgläubigern Mittelstandsbank bzw. Brachvogel durchdringen ? Als die Forderungsübertragung erfolgte und damit die Grundlage für eine Aufrechnung geschaffen wurde, war das Recht des Subhastaten Aderhold, gegen den sich die Gegenforderung des Dix richtet, bereits mit dem Pfandrecht belastet, so daß zwischen Dix und dem Subhastaten niemals eine Aufrechnungslage bestanden hat. Denn auch in der Zeit zwischen dem Zuschlag und der Pfändung war die Forderung gegen den Ersteher der freien Verfügung des Subhastaten entzogen. Er konnte sie nicht durch Einziehung oder Aufrechnung oder sonstwie zum Erlöschen bringen; sie konnte daher auch ihm gegenüber nicht aufgerechnet werden (RG 64, 3 1 1 ; Veith, JW 1934, 808). Aber im Augenblick des Zuschlags, durch den Dix zur Zahlung des Gebots verpflichtet wurde, war Aderhold noch Inhaber der ungepfändeten Eigentümergrundschuld gewesen, und dadurch hatte Dix eine, nur durch die künftige Übertragung der Meistgebotsforderung gemäß § 118 Z V G bedingte, Aussicht auf Aufrechnung erworben. Aus dem — unmittelbar nicht anzuwendenden — § 406 BGB ist der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß die Rechtslage eines Schuldners (hier: des Erstehers Dix) durch eine Übertragung keine Verschlechterung hinsichtlich der Aufrechnungsmöglichkeit erfahren darf. Derselbe Rechtsgedanke ist in § 392 BGB für die Beschlagnahme (Pfändung) ausgesprochen. Der Ersteher, der zugleich ausgefallener Hypothekengläubiger ist, schlägt also durch seine Aufrechnung alle aus dem Felde, welche die Eigentümergrundschuld erst nach dem Zuschlag gepfändet haben, und kann dadurch in Fällen der hier vorliegenden Art seinen Verlust einigermaßen vermindern. Dagegen steht ihm kein Aufrechnungsrecht zu, wenn eine Abtretung oder Pfändung der Eigentümergrundschuld des Subhastaten schon vor dem Zuschlag wirksam geworden war. R G 136, 321. „ I m übrigen wurde der Teilungsplan dadurch ausgeführt, daß von der Forderung gegen den Ersteher, Architekten Bernhard Dix, folgende Teilbeträge nebst Zinsen seit dem heutigen Tage an die nachstehenden Berechtigten in der angegebenen Reihenfolge übertragen wurden: a) 700 D M an Frau Franziska Cbristiani geb. Maskus in Lankwitz mit der Maßgabe, daß ein Teilbetrag von 549,64 D M in Wegfall kommt, falls der von dem Architekten Bernhard Dix gegen die Zuteilung an Frau Cbristiani erhobene Widerspruch für begründet erklärt wird, b) 1042,05 D M an die Mittelstandsbank e. G.m.b.H. in Berlin mit der Maßgabe, daß die Forderung dem Prof. Hellmuth Brachvogel in Berlin-Dahlem zusteht, falls der von ihm gegen die Zuteilung an die Mittelstandsbank erhobene Widerspruch für begründet erklärt wird."

Wird gegen einen Anspruch, auf den Zahlung erfolgen kann, Widerspruch erhoben, so muß der Betrag hinterlegt werden (§§120,124 1 1 ZVG). Im Falle der Forderungsübertragung (§ 118) bedarf es zur Wahrung der Rechte des Widersprechenden einer Hilfsübertragung. Auch die Sicherungshypothek (§ 128) wird unter Beifügung der Bedingung eingetragen, daß sie bei erfolgreichem Widerspruch dem Widersprechenden zusteht. Verfügung: „nach i Monat."

§ 8781 ZPO gilt auch für das Verteilungsverfahren der Grundstücksversteigerung (§ 1 1 5 1 S. 2 ZVG). Nach fruchtlosem Ablauf der Monatsfrist ordnet also das Gericht die Ausführung des Planes „ohne Rücksicht auf den Widerspruch" an. War Geld 21

L u x , Schulung, j . Aufl. (Jansen-Berg)

822

Zwangs Versteigerungsrichter— § 1 1 4 a Z V G

hinterlegt worden, so bedeutet das Auszahlung an den nach dem Teilungsplan Erstberechtigten. Bei Forderungsübertragungen gilt nach Fristablauf die Hilfsübertragung als nicht erfolgt, und demgemäß wird das Grundbuchamt nur um Eintragung der Sicherungshypotheken für die Erstberechtigten ersucht, wodurch sich die Rechtslage erheblich vereinfacht. — Der Referendar: Dix hat das Grundstück 1951 für 28 500 D M an Aderhold verkauft. Jetzt erwirbt er es für nur 24000 D M zurück, fällt also scheinbar mit mehreren Tausend Mark aus. Wahrscheinlich erhält er aber durch den Mehrwert des Grundstücks einen mehr als genügenden Ausgleich. Darf er trotzdem Ausfallsforderungen gegen Aderhold erheben oder durch Aufrechnung gegen seine Verpflichtung zur Zahlung des Meistgebots geltend machen ? Der Richter: Eine positive Regelung gibt der mit den Vorschriften über das Mindestgebot (§ 74a) zusammenhängende § 114a. Darnach gilt ein Befriedigungsberechtigter, der das Grundstück selbst erstanden hat, bis zur Höhe von 7 / 10 des Grundstückswerts immer als aus dem Grundstück befriedigt. Wer aus dem Grundstück befriedigt ist, hat natürlich auch gegen den persönlichen Schuldner keine Ansprüche mehr. Die Bestimmung paßt aber nicht auf unseren Fall, weil der Wert des Aderholdschen Grundstücks auf 25 000 D M festgesetzt war, das Gebot also 7/io des gemäß § 74a festgesetzten Grundstückswerts, der auch für § 1 1 4 a maßgebend ist (str.), sogar übersteigt. Auch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen wird Aderhold wahrscheinlich nicht zu helfen sein. Für das Problem der Anrechnung des Mehrwerts sind nämlich Schadensersatz- und sonstige Ansprüche zu unterscheiden: 1. Verlangt der ausgefallene Gläubiger Schadensersatz von einem Dritten (z. B. dem Anwalt, der ihn im Verfahren falsch beraten, oder dem Garanten, der ihm eine Ausbietungsgarantie gegeben hat), so wird nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung geprüft, ob das schädigende Ereignis das vorteilbringende ädäquat, wenn auch nur mittelbar verursacht hat. Das kann gerade auch bei der Ersteigerung gepfändeter Sachen unter dem Preis durch den Gläubiger einer Schadensersatzforderung zutreffen (RG 100, 255; 133, 223; 146, 278). Doch ist zu berücksichtigen, daß der Erwerb eines Grundstücks unter dem wahren Wert für einen Geschäftsmann eher als geldwerter Vorteil anzusehen sein kann, als für einen Privatmann, der nur den ruhigen Zinsgenuß seiner Hypotheken haben wollte. 2. Macht der ausgefallene Gläubiger gegen den Vollstreckungsschuldner oder dessen Rechtsnachfolger die der Hypothek zugrunde liegende Kauf-, Darlehns- usw. Forderung als „Ausfallsforderung" geltend, wie es Dix tut, so fällt der — aus der Natur des Schadensersatzes hergeleitete — Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung weg (RG 100, 90). Denkbar wäre höchstens, daß Aderhold eine ihm aus dem billigen Erwerb des Grundstücks zustehende besondere Forderung zur Aufrechnung stellt. Die Gegenforderung läßt sich aber nicht etwa aus ungerechtfertigter Bereicherung begründen: Der Zuschlag bildet einen „rechtlichen Grund" (§ 812 B G B ) für den billigen Erwerb. Hätte dagegen der Ersteher die Zwangsversteigerung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt, um das Grundstück unter dem wahren Wert erstehen zu können, so würde er dem Vollstreckungsschuldner aus § 826 zum Schadensersatz verpflichtet sein, und müßte sich die Aufrechnung mit dieser Schadensersatzforderung gefallen lassen. Zwangsverwaltung eines städtischen Mietgrundstücks bei gleichzeitiger Zwangsversteigerung E i n l e i t u n g des V e r f a h r e n s : Auf dem im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 1 Blatt 418 verzeichneten, dem Kaufmann Biedermann gehörenden Grundstück Zeppelin-Allee 3/5 haften in Abt. III:

Zwangsversteigerungsrichter — Zwangsverwaltung

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Nr. i : 35000 D M Darlehn, mit 5% zu verzinsen, für die „Sekuritas"-Lebensversicherungs-AG. in Hamburg. Die sofortige Zwangsvollstreckung ist zulässig. Die Gläubigerin ist zur fristlosen Kündigung u. a. berechtigt, wenn von anderer Seite die Zwangsversteigerung oder -Verwaltung des Grundstücks eingeleitet wird. Nr. 2: 16000 D M Restkaufgeld zu 6 % % für Tesch, Nr. 3: 3000 D M Darlehn zu 7 % für Ubbelode. In der II. Abteilung stand früher ein Nießbrauch für Nissen, der aber nach dem Tode des Nießbrauchers im Juni 1959 auf Bewilligung der Erben gelöscht wurde. Seitdem ist Abt. II unbelastet. Auf Grund eines von ihm für Tesch erwirkten dinglichen und persönlichen Versäumnisurteils über 5000 D M Teilbetrag nebst Zinsen beantragt R A . Schwarz am 25. August 1959 unter Beifügung der erforderlichen Anlagen (S. 264): „wegen 5000 D M nebst 6 7 a % Zinsen seit 1. April 1959 und 22,60 D M Kosten der Zwangsvollstreckung die Zwangsversteigerung des auf den Namen des Schuldners eingetragenen Grundstücks Lichterfelde Band 1 1 Blatt 418 anzuordnen und gemäß § 5 7 b 1 Z V G den Anordnungsbeschluß den nachbenannten Mietern des Grundstücks: zuzustellen."

Gleichzeitig beantragt er in einer zweiten Eingabe: „wegen 5000 D M usw. die Zwangsverwaltung des auf den Namen des Schuldners eingetragenen Grundstücks Lichterfelde Band xi Blatt 418 anzuordnen und gemäß § 2 2 1 1 S. 1 Z V G an die nachbenannten Mieter des Grundstücks: das Zahlungsverbot zu erlassen."

Worauf beruht die (in § 866? Z P O vorgesehene, sowohl bei der Vollstreckung in städtische Mietgrundstücke wie in größere landwirtschaftliche Besitzungen typische) Verbindung von Zwangsversteigerung und -Verwaltung? Einerseits hat der Ausschluß der Miet- und Pachtzinsen, der vom Boden getrennten Grundstückserzeugnisse (soweit sie nicht gemäß § 98 B G B Zubehör sind) und Forderungen aus der (Feuer-, Hagel- usw.) Versicherung solcher Erzeugnisse von der Versteigerungsbeschlagnahme (S. 267) für die Zwangsverwaltung keine Geltung: legt also der betreibende Gläubiger Wert darauf, auch die Mieten usw. zur Masse zu ziehen, so muß er die Zwangsverwaltung herbeiführen. Auf der anderen Seite werden die Gläubiger von Zinsrückstands- oder Hypothekenkapitalforderungen mit gutem Rangrecht durch die im Zwangsverwaltungsverfahren maßgebenden Verteilungsgrundsätze zum Antrag auf Zwangsversteigerung gedrängt. Denn die Zwangsverwaltung erfaßt nur die Nutzungen, nicht den Substanzwert des Grundstücks, und das Gesetz verteilt diese Nutzungen so, wie sie ein ordnungsmäßig wirtschaftender Eigentümer verwenden würde. § 15 j n berücksichtigt demgemäß in Klasse 3 und 4 nur laufende Beträge wiederkehrender Leistungen, während Kosten, Rückstände und Kapitalansprüche auf Klasse 5 verwiesen sind. Klasse 6,7 und 8 des § 10 geben in der Zwangsverwaltung überhaupt kein Recht auf Befriedigung. Die öffentlichen Lasten und dinglich Berechtigten können nicht — wie in der Zwangsversteigerung — ihren Vorrang innerhalb der Zweijahresgrenze (§ io3> 4 ) restlos ausnützen, sondern laufende Beträge selbst der schlechtesten Posten gehen immer noch den Rückständen und dem Kapital der ersten oder zweiten Hypothek vor. Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsantrag werden jeder für sich geprüft und führen zu getrennten Verfahren in besonderen Akten. Doch bestehen, wie wir noch sehen werden, mehrfache Rückwirkungen des einen Verfahrens auf das andere. Den Anträgen des Tesch steht kein Bedenken entgegen. 21*

324

Zwangsversteigerungsrichter — Nießbrauch und Zwangsverwaltung

N i e ß b r a u c h und Z w a n g s v e r w a l t u n g : Wäre der Nissensche Nießbrauch nicht gelöscht, so würde die Frage entstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen bei Vorhandensein eines Nießbrauchs Zwaagsverwaltung angeordnet werden darf. Da die Zwangsverwaltung mit dem Besitz- und Nutzungsrecht des Nießbrauchers (§§ 1030, 1036) unvereinbar ist, hängt ihre Zulässigkeit sachlichrechtlich von dem zwischen dem betreibenden Gläubiger und dem Nießbraucher bestehenden Rangverhältnis ab. Verfahrensrechtlich hat das Vollstreckungsgericht nach den §§ 17, 146 Z V G nur zu prüfen, ob der Schuldner als Grundstückseigentümer eingetragen ist. Es ordnet die Zwangsverwaltung also auch dann an, wenn ein Nießbrauch im Grundbuch eingetragen ist. Für die Durchführung der Zwangsverwaltung ist aber der Besitz des Zwangsverwalters unerläßlich. Befindet sich der Nießbraucher im (unmittelbaren oder mittelbaren) Besitz des Grundstücks, dann darf er nach den allgemeinen Grundsätzen des Vollstreckungsrechts seines Besitzes nur auf Grund eines gegen ihn gerichteten vollstreckbaren Titels entsetzt werden, auch wenn das Recht des betreibenden Gläubigers dem Nießbrauch im Range vorgeht. Der besitzende Nießbraucher kann im Wege der Erinnerung nach § 766 Z P O erreichen, daß die Zwangsverwaltung auf die Wahrung der Rechte des Eigentümers gegen den Nießbraucher beschränkt wird. Diese Anordnung unterbleibt, wenn der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel gegen den Nießbraucher vorlegt. Hierzu wird ihm zweckmäßig unter einstweiliger Einstellung des Verfahrens nach den §§ 161 I v , 28 Z V G eine Frist bestimmt, wenn der Nießbrauch dem Recht des Gläubigers im Range nachgeht. Hatte sich der Eigentümer nach den §§ 7946, 800 ZPO der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen und ist der Nießbrauch später eingetragen worden, so kann die Vollstreckungsklausel nach den §§ 795, 727 ZPO gegen den Nießbraucher als „Rechtsnachfolger" und Besitznachfolger des Eigentümers erteilt werden. Der nicht besitzende Nießbraucher ist darauf angewiesen, sein vermeintlich besseres Recht mit der Widerspruchsklage nach § 771 ZPO zu verfolgen (KG JW 1933, 2348; O L G KölnNJW 1957, 1769 mit Anm. Dempewolf). — Will der vorgehende Hypothekengläubiger die Mieten aus den vom Nießbraucher abgeschlossenen Verträgen pfänden (§ 8 6 ; n S . 2), so genügt nach RG 81,146 der dingliche Titel gegen den Eigentümer ohne Duldungstitel gegen den Nießbraucher, weil sich aus den §§ 879, ii2of. BGB die Haftung der Mieten für die Hypothek unmittelbar ergebe. Für einen Zwangsversteigerungsantrag bildet der Nießbrauch niemals ein Hindernis. Geht der Nießbrauch dem betreibenden Gläubiger vor, so kommt er ins geringste Gebot und muß vom Erstehet übernommen werden. Andernfalls erlischt er mit dem Zuschlag und wird gemäß § 92 11 Z V G im Teilungsplan in Gestalt einer Geldrente in Ansatz gebracht. Der Richter ordnet am 26. August die Zwangsversteigerung und die ZwangSr Verwaltung an und bestellt den Grundstücksverwalter Gotthard Redlich zum Zwangsverwalter. Das Zahlungsverbot an die Mieter erläßt der Rechtspfleger (§ 201 Nr. 3 RechtspflG). Zwecks Kostenersparnis können zu Zwangsverwaltern auch bestellt werden: 1. Als sog. Institutsverwalter Angestellte gewisser juristischer Personen des öffentlichen und privaten Rechts (z. B. Landschaften und Hypothekenbanken), vorausgesetzt, daß das Institut zu den Beteiligten ( § 9 ) gehört und die Mithaftung für den Verwalter aus § 154 S. 1 Z V G übernimmt, 2. bei ländlichen Grundstücken grundsätzlich der Schuldner selbst. Weder der Angestellte des Gläubigers noch der Schuldner erhalten als Zwangsverwalter eine Vergütung, doch darf der Schuldner nach Bestimmung des Gerichts Grundstückserzeugnisse zum notwendigen Unterhalt für sich und die Seinigen verwenden. Neben dem Schuldner ist eine besondere „Aufsichtsperson" einzusetzen. §§ 150a—e. Verfügung des Rechtspflegers zum Zwangsverwaltungsbeschluß: „ 1. Anordnungsbeschluß: a) dem Gläubiger z . H . des RA. Schwärb) dem Schuldner, c) Zwangsverwalter Redlich, zu a) formlos, Zu b) und c) zustellen. 2. Zahlungsverbot gemäß § 22 11 S. 1 Z V G den im Antrag bezeichneten Mietern zustellen. 3. Ersuchen gemäß § 19 Z V G zu den Grundakten." Ferner hat das Gericht dafür zu sorgen, daß der Zwangsverwalter den Besitz des Grundstücks erhält. Die Besitzeinweisung nimmt der Rechtspfleger in seiner Eigenschaft als Zwangsverwaltungsinspektor an Ort und Stelle unter Hinzuziehung des Zwangsverwalters und des Schuldners vor. Wenn Schwierigkeiten seitens des Schuldners nicht zu erwarten sind, genügt es, wenn der Zwangsverwalter im A n -

Zwangsversteigerungsrichter — Zwangsverwaltungsbeschlagnahme

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Ordnungsbeschluß ermächtigt wird, sich selbst den Besitz zu verschaffen. § 150 11 2 V G , §§ 2, 5 der (auf Grund des § 14 E G erlassenen) preuß. AV betr. die Geschäftsführung der Zwangsverwalter vom 10. Juli 1929 (JMB1 255). „4. Nachricht von der Einleitung der Zwangsverwaltung zu den Biedermann&chcn Zwangsversteigerungsafeten 5 K 18.56."

Entsprechend ergeht Nachricht von der Einleitung der Zwangsversteigerung zu den Verwaltungsakten, damit das Gericht von Zeit zu Zeit die gegenseitige Einwirkung der beiden Verfahren prüfen kann. „5. Nach 1 Woche (Übergabeverhandlung). 6. Nach 2 Wochen (Eingang der Nachrichten des Grundbuchamts). 7. Am 31. Oktober (Einreichung des Kontoauszugs des Zwangsverwalters)."

Nach den §§ 20/23 der A V führt der Verwalter außer einem für alle Verwaltungen gemeinsamen Kassenbuch für jede einzelne Verwaltung ein Konto, das vierteljährlich (am 15. Januar, 15. April, 15. Juli und 15. Oktober) abgeschlossen wird und bis Ende dieser Monate dem Gericht auszugsweise einzureichen ist. Auf das Ersuchen zu 3) der Verfügung trägt das Grundbuchamt — außer dem Zwangsversteigerungsvermerk — in Abt. II ein: „Die Zwangsverwaltung ist angeordnet."

Nach Eingang der Mitteilungen des Grundbuchamts benachrichtigt der Rechtspfleger die „Beteiligten" (S. 275) gemäß § 146 11 Z V G von der Anordnung der Zwangsverwaltung. Das hat zunächst zur Folge, daß die „Sekuritas" als Gläubigerin der ersten Hypothek die~eingetragene Fälligkeitsklausel geltend macht, sich vollstreckbare Ausfertigung der Unterwerfungsverhandlung erteilen läßt und wegen Kapital, Zinsen und Kosten beiden Verfahren als betreibende Gläubigerin beitritt. Im übrigen gehen Anmeldungen der zu befriedigenden Ansprüche ein. Beschlagnahme und V e r f ü g u n g e n über die Mieten. Z w a n g s v e r waltungsvorschuß. Am 28. August findet die Übergabe des Grundstücks an den Zwangsverwalter statt. Schon in dem zu den Zwangsverwaltungsakten gebrachten Übergabeprotokoll haben die angetroffenen Mieter Einwendungen der verschiedensten Art gegen ihre Verpflichtung zur Zahlung der Miete an den Zwangsverwalter vorgebracht. Am 12. September berichtet Redlich: „Auf erhebliche Mieteinnahmen für die Zwangsverwaltungsmasse ist vorläufig nicht zu rechnen. Eine große Sechszimmerwohnung im zweiten Stock, Jahresmietwert 1600 DM, bewohnt der Schuldner Biedermann mit seiner 7köpfigen Familie. Ihm einzelne Räume als nicht unbedingt erforderlich wegzunehmen, hätte keinen Zweck, da sich die Abtrennung der überzähligen Räume zum Zwecke der Vermietung an Dritte praktisch nicht durchfuhren läßt."

Die Zwangsverwaltung entzieht — auch hierin über die Zwangsversteigerung (S. 267) hinausgehend — dem Schuldner Verwaltung und Benutzung des Grundstücks. Doch beläßt man ihm die für seinen Hausstand „unentbehrlichen" Räume, so lange er nicht durch sein Verhalten die Zwangsverwaltung stört. §§ 1 4 8 1 4 9 . Biedermann kann also für die Dauer der Verwaltung seine herrschaftliche Wohnung mietefrei behalten! „Den sämtlichen Mietern hat der betreibende Gläubiger Tescb am 17. August 1959 Pfändungsankündigungen zugestellt. Die gerichtlichen Zahlungsverbote sind den Mietern am 27. August 1959 zugestellt worden. Am gleichen Tage hat die Beschlagnahme durch Zustellung an den Schuldner Wirksamkeit erlangt, da die Übergabe des Grundstücks an mich erst am 28. August erfolgte, das Ersuchen beim Grundbuchamt sogar erst am 29. August 1959 einging. Alle diese Zeitpunkte fallen in die zweite Augusthälfte."

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Zwangsversteigerungsrichter — Vorausverfügungen in der Zwangsverwaltung

Vgl. §§ 22, 1 5 1 1 TNG, 845 ZPO. Entsprechend der Forderungspfändung kann die mit der Zwangsverwaltung verbundene Mietbeschlagnahme durch private Pfändungsankündigung vorbereitet werden, was besonders wichtig wird, wenn der Gläubiger noch nicht in den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung gelangt ist oder der Schuldtitel noch zugestellt werden muß. Die Vorpfändung begründet die Beschlagnahmewirkung, sofern innerhalb drei Wochen die endgültige Beschlagnahme durch das Gericht stattfindet. „Der Mieter Markgraf macht geltend, daß er seine monatlich 45 D M betragende Miete auf Drängen des Schuldners an diesen bis einschließlich Oktober d. Js. im voraus bezahlt habe. Der Mieter Metzig, der ein Geschäftslokal für monatlich 60 D M und eine Wohnung für monatlich 40 D M inne hat, rechnet auf mit einer Forderung für Lebensmittel von 37 D M , geliefert vor dem 15. August 1959, und mit 190 D M Schadensersatz für Waren, die angeblich infolge Feuchtigkeit des Kellers verdorben sind. Außerdem will er für August und die folgenden Monate je 15 D M wegen Unbenutzbarkeit der Keller- und Bodenräume abziehen. Die Miete Michel (monatlich 55 D M ) nimmt bis einschließlich 31. Dezember d. J . das Bankhaus Ferdinand Schilling auf Grund einer Abtretung vom 17. Juli 1959 in Anspruch. Die Miete Modlich von monatlich 37 D M hat Schilling am 13. August 1959 wegen einer Forderung von über 400 D M gepfändet. Die Mieten werde ich — abgesehen von dem streitigen Abzugsrecht Met^igs — voraussichtlich vom 1. Oktober 1959 ab zur Masse ziehen können."

Ist das Grundstück vor der Beschlagnahme dem Mieter oder Pächter überlassen worden, so bleibt der Zwangsverwalter an den Miet-(Pacht-)Vertrag gebunden. § 1 5 2 " ZVG. Das außerordentliche Kündigungsrecht des Erstehers (S. 291) steht dem Zwangsverwalter nicht zu. Verfügungen, die vor der Beschlagnahme über die Miete getroffen worden sind, werden ebenso wie in den Fällen der rechtsgeschäftlichen Veräußerung, des Zuschlags und der Konkurseröffnung behandelt. Das Gesetz will dem Zwangsverwalter, dem Grundstückskäufer, Ersteher und Konkursverwalter vom nächsten Monat ab ein sicheres Recht auf die Mieten gewähren: deshalb sind Vorauszahlungen des Mieters, Aufrechnungen mit Gegenforderungen an den Vermieter, Abtretungen des Vermieters, Pfändungen der Miete durch seine persönlichen Gläubiger regelmäßig nur für den zur Zeit der Beschlagnahme (bzw. der Grundbuchumschreibung, des Zuschlags, der Konkurseröffnung) laufenden Kalendermonat wirksam. Fallen aber Beschlagnahme, Umschreibung, Zuschlag, Konkurseröffnung in die zweite Hälfte eines Kalendermonats, so erstreckt sich die Wirksamkeit ausnahmsweise noch auf den folgenden Monat. §§ 573/575, 1124/5 BGB, 57b ZVG, 2i n KO, § 12 der VO vom 26. Mai 1933 (RGBl I 302). Ob die Zwangsverwaltung wegen eines dinglichen oder persönlichen Anspruchs angeordnet ist, macht dabei keinen Unterschied (§ 2011 ZVG, RG JW 1933, 1658). Andrerseits gilt als „Beschlagnahme" im Sinne der §§ 1124/5 BGB auch die von einem Hypothekengläubiger auf Grund dinglichen Titels erwirkte Pfändung (§ 86511 S. 2 ZPO). Im Verhältnis des Zwangsverwalters (Grundstückserwerbers usw.) zu Zessionaren und Pfändungsgläubigern entscheidet stets der Zeitpunkt der tatsächlichen Beschlagnahme (Eigentumsübertragung usw.), während es gegenüber dem Mieter auf dessen Kenntnis ankommt. Die Aufrechnung kann im Rahmen des einen bzw. der zwei Kalendermonate sowohl mit Gegenforderungen aus dem Mietverhältnis als auch mit nicht konnexen Forderungen erklärt werden. Das Minderungsrecht aus § 537 BGB hat nichts mit Aufrechnung zu tun und steht dem Mieter so lange zu, bis seine Voraussetzungen beseitigt sind. „Außerdem weigert sich ein Hauptmieter des Grundstücks, Kaffeehausbesitzer Muther, vor Oktober nächsten Jahres Miete zu zahlen. Muther hat ein Geschäftslokal im Erdgeschoß sowie eine 4Zimmerwohnung im ersten Stock für jährlich zusammen 2500 D M gemietet. Der

Zwangsversteigerungsfichter — Z wangsverwal tungs Vorschuß

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Vertrag läuft vom i. Oktober 1959 bis 30. September 1966. Laut Vertrag soll die Miete des ersten Jahres durch die von Muther vorgenommenen sehr umfangreichen Ausbauarbeiten, die Miete des zweiten Jahres durch eine bei Vertragsschluß von ihm geleistete Zahlung von 2000 D M abgegolten sein. Über die Erhebung einer Klage gegen Muther werde ich mich noch schlüssig machen." D i e oben S. 2 9 1 dargelegten Grandsätze über die Wirksamkeit vertragsmäßiger Vorausentrichtung des Mietzinses gegenüber dem Erstehet gelten entsprechend auch f ü r den Zwangsverwalter, dem gegenüber Miet- und Pachtverträge nach § 1 5 2 " wirksam sind, w e n n das Grundstück v o r der Beschlagnahme dem Mieter oder Pächter überlassen war. E i n e K l a g e des Verwalters gegen Muther hätte daher keine Aussicht auf E r f o l g . D e r Verwalter wird v o m Rechtspfleger (§ 20 1 N r . 9 RechtspflG), nachdem dieser sich mit dem Richter beraten hat, entsprechend belehrt. Macht die Führung der Zwangsverwaltung einen Rechtsstreit erforderlich, so wird er von dem Verwalter im eigenen Namen gefuhrt. Der Verwalter hat nach § 152 Z V G die Pflicht und das Recht, alle Handlungen vorzunehmen, die zur Erhaltung des Grundstücks in seinem wirtschaftlichen Bestände und zur ordnungsmäßigen Benutzung erforderlich sind. Hierbei und bei der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche, auf welche sich die Beschlagnahme erstreckt, wird er (ähnlich wie Testamentsvollstrecker, Nachlaß- und Konkursverwalter) nicht als Vertreter des Schuldners, sondern kraft seiner eigenen Verwaltungs-, Verfügungs- und Prozeßführungsbefugnis über fremde Rechte tätig. E r kann Mietverträge kündigen und neu abschließen, und zwar nach außen hin zu beliebigen Bedingungen und auf beliebig lange Dauer, auch über das Ende der Zwangsverwaltung hinaus. Doch ist er disziplinarisch und zur Vermeidung der persönlichen Verantwortlichkeit (§ 154 S. 1) gehalten, Verträge über mehr als ein Jahr nur mit Zustimmung des Schuldners oder Genehmigung des Gerichts einzugehen. §§ 153 Z V G , 6 m > I V , 7 A V . A u s der Unmöglichkeit, die Mieten alsbald einzuziehen, und der schlechten baulichen Beschaffenheit des Grundstücks ergibt sich die Notwendigkeit eines Z w a n g s verwaltungsvorschusses : „Ich muß sofort eine umfangreiche Dachreparatur sowie eine Ausbesserung der Entwässerungsanlagen ausführen lassen, weil es in die Bodenräume einregnet und die Keller größtenteils feucht sind. Der Kostenaufwand wird sich auf 2000 D M und 850 DM, zusammen 2850 D M , belaufen, (folgen nähere Darlegungen über Notwendigkeit und Höhe). Ich beantrage: die Vornahme der Instandsetzungen zu genehmigen und die Zahlung eines Zwangsverwaltungsvorschusses von 2850 D M anzuordnen. Redlich, Zwangsverwalter." D a s Gericht genehmigt gemäß § § 15 3 1 Z V G , 1 3 A V die Instandsetzungen und gibt den betreibenden Gläubigern die Z a h l u n g des Vorschusses unter der A n d r o h u n g auf, daß sonst die A u f h e b u n g des Verfahrens erfolgen werde (§ i 6 i m Z V G ) . D a r a u f zahlt T e s c h den Vorschuß an den Verwalter. Tescb kann mit einer bevorzugten Berücksichtigung seines Anspruchs auf Erstattung des Vorschusses rechnen, nämlich als Ausgaben der Verwaltung, die nach § 155 1 vorweg zu bestreiten sind (Drischler, Rpfleger 1957, 212). Außerdem kann er Zinsen verlangen, die dasselbe Vorrecht wie die Vorschüsse selbst genießen (§ 15 S 111 )- E i kann den Ersatzanspruch sogar im Zwangsversteigerungsverfahren geltend machen, wenn die Verwaltung bis zum Zuschlage fortgedauert hat und die Auslagen nicht aus den Nutzungen des Grundstücks erstattet werden konnten (§ i o 1 Nr. 1). T e i l u n g s p l a n . D i e Verteilung der Masse in der Z w a n g s v e r w a l t u n g weicht v o n den Regeln der Zwangsversteigerung nicht bloß materiell (S. 3 2 3 ) , sondern auch formell ab. Hinsichtlich des Verfahrens sind drei Fälle zu unterscheiden: 1. D i e A u s g a b e n der V e r w a l t u n g und die v o n der Masse zu tragenden K o s t e n des Verfahrens berichtigt der Verwalter ohne jedes förmliche Verfahren und stellt sie in seine nächste Verwaltungsrechnung als Ausgabeposten ein (§ 15 5 r ). D a s gleiche gilt v o n den laufenden Beträgen öffentlicher Lasten (§ 1 5 6 1 ) .

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Zwangsversteigerungsrichter — Zwangsverwaltungs-Teilungsplan

2. Über alle übrigen Ansprüche wird ein allgemeiner Teilungsplan für die ganze Dauer des Verfahrens aufgestellt. Hierzu ist Termin anzuberaumen, sobald erwartet werden kann, daß Zahlungen auch auf andere als die unter i bezeichneten Ansprüche geleistet werden können ( § 1 5 6 ° S. 1). 3. Gelangt das Kapital einer Hypothek oder Grundschuld oder die Ablösungssumme einer Rentenschuld zur Hebung — naturgemäß ein recht seltener Fall —, so muß dafür jedesmal ein besonderer Verteilungstermin abgehalten werden (§ 158). Die Aufstellung des allgemeinen Plans zu 2, die Behandlung der Widersprüche usw. vollzieht sich ebenso wie im Erlösverteilungstermin der Zwangsversteigerung. Insbesondere gilt auch hier für alle Ansprüche, die nicht z. Z . der Beschlagnahme aus dem Grundbuch ersichtlich waren, der Anmeldezwang, ausgenommen laufende Beträge der nach dem Inhalt des Grundbuchs zu entrichtenden wiederkehrenden Leistungen (S§ r 5 6 n S. 4, 1 1 4 , oben S. 273). Der im Termin am 2. November 1959 aufgestellte Plan lautet: „Aus den Einnahmen der Zwangsverwaltung sind die folgenden Ausgaben und Ansprüche in der angegebenen Reihenfolge Zu berichtigen: 1. die Ausgaben der Verwaltung und die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen, welche durch die Anordnung des Verfahrens oder den Beitritt eines Gläubigers entstehen, sowie der von dem betreibenden Gläubiger, Fabrikbesitzer Karl Tesch in Berlin, gezahlte Zwangsverwaltungsvorschuß von 2850 D M nebst Va v. H. Zinsen über dem Lombardsatz der Deutschen Bundesbank seit dem Zahlungstage, dem 21. September 1959."

§ 15 5 1 . „Lidlöhner" (§§ 1 5 5 " , io 2 ) können bei städtischen Grundstücken nicht vorkommen, Hausmeister und sonstiges Personal sind auf den persönlichen Anspruch gegen den Schuldner angewiesen. Der Plan geht deshalb alsbald zu den öffentlichen Lasten (S io 3 ) und anschließend zu den laufenden Beträgen der wiederkehrenden Leistungen aus dinglichen Rechten (S io 4 mit § i j j n , oben S. 323) über: „ 2 . Die laufenden Beträge öffentlicher Lasten, die ihren Anfang mit dem letzten vor dem 27. August 1959 fällig gewordenen Betrage nehmen. Als solche sind bisher angemeldet: die Forderung der Steuerkasse Lichterfelde auf Zahlung der Grundsteuer seit dem 1. August 1959 mit monatlich i75.°ö (Anmeldung B l a t t . . . ) . 3. Die laufenden Beträge wiederkehrender Leistungen aus den bis zum 27. August 1959 eingetragenen Rechten am Grundstück, und zwar in nachstehender Reihenfolge: a) Zinsen der Hypothek Abt. III Nr. 1 von 35000 DM zu 5 % seit 1. April 1959, vierteljährlich 4J7>5° D M b) Zinsen der Hypothek Abt. HI Nr. 2 von 16000 DM zu 61U% seit 1. April 1959, vierteljährlich 260,00 D M c) Zinsen der Hypothek Abt. III Nr. 3 von 3000 D M zu 7 % seit 1. April 1959, vierteljährlich 52,50 D M . "

In der nunmehr folgenden 5. Klasse des § 10 werden die beiden betreibenden Gläubiger mit ihren Ansprüchen auf Kosten, Zinsrückstände und Kapital berücksichtigt. Innerhalb dieser Klasse soll an sich der Zeitpunkt der Beschlagnahme maßgebend sein (S Ii 1 1 ). Doch nimmt man an, daß die Regel sich auf mehrere wegen eines persönlichen Anspruchs betreibende Gläubiger beschränkt, während für den aus einem dinglichen Anspruch betreibenden Gläubigerdas materielle Rangverhältnis entscheidet. R G 89, 147. Demnach hat „Sekuritas", obwohl erst nachträglich beigetreten, den Rang vor Tesch: „4. Die Forderung der betreibenden Gläubigerin .Sekuritas' Lebensversicherungs-AG. in Hamburg, wegen der diese Gläubigerin der Zwangsverwaltung beigetreten ist: a) Kosten 135,00 DM b) Hauptforderung, eingetragen in Abt. III Nr. 1 35 000,00 DM (Anmeldung Blatt ).

Zwangsversteigerungsrichter — Zwangsverwaltung und Zuschlag 5. Die Forderung des betreibenden Gläubigers Fabrikdirektor KarI Tesch in Berlin, wegen der die Zwangsverwaltung angeordnet ist: a) Kosten b) 6 V s % Zinsen von 5000 D M vom 1. Januar bis 30. April 1959 . . . . c) Hauptforderung als Teilbetrag des in Abt. HI Nr. 2 eingetragenen Rechts. (Anmeldung Blatt . . . .)."

397.5° D M 81,25 D M 5000,00 D M

Auf Grund des Teilungsplans zahlt Redlich nach Maßgabe der verfügbaren Bestände aus (§ 15 7) und stellt die geleisteten Zahlungen jeweils in seine nächste Vierteljahrsrechnung ein. Wie verfährt der Verwalter, wenn in einem Vierteljahr die öffentlichen Lasten teilweise, die Hypothekenzinsen ganz ausgefallen sind und das folgende Vierteljahr Einnahmen erbringt, die zwar zur Deckung sämtlicher sich auf dieses Kalendervierteljahr beziehenden öffentlichen Lasten und Hypothekenzinsen, nicht aber zur gleichzeitigen Befriedigung der aus dem vorangegangenen Vierteljahr verbliebenen Reste reichen? Die Verteilung erfolgt nicht vierteljahrsweise, sondern alle „laufenden" Beträge in dem oben S. 273 festgestellten Sinne bilden eine Einheit. Zunächst müssen also die seit dem 1. August 1959 fällig gewordenen öffentlichen Lasten vollständig gedeckt sein, ehe die Zinsen der ersten Hypothek an die Reihe kommen; alsdann sind die Zinsen der ersten Hypothek für die Zeit seit dem 1. April 1959 zu befriedigen usw. Die Ausgabenreste eines Vierteljahres gehen zu Lasten der nachstehenden Hypotheken.

Bei länger dauernden Zwangsverwaltungen werden die Akten alle drei Monate wegen des vierteljährlichen Kontoauszugs (S. 325) vorgelegt. Außerdem hat der Verwalter alljährlich den betreibenden Gläubigern und dem Schuldner Rechnung zu legen (§ 154 S. 2). Das Gericht hat die Rechnung sachlich und rechnerisch zu prüfen und sie dem betreibenden Gläubiger und dem Schuldner vorzulegen. Erforderlichenfalls beraumt es zur Klärung von Unstimmigkeiten Termin an. f Z u s c h l a g . A u f h e b u n g der Z w a n g s v e r w a l t u n g . Das gleichzeitig mit der Zwangsverwaltung eingeleitete Zwangsversteigerungsverfahren zieht sich längere Zeit hin, weil dem Schuldner Biedermann Vollstreckungsschutz gemäß § 30a bewilligt worden war (oben S. 268). Nachdem die Gläubiger die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hatten und ein erneuter Einstellungsantrag des Schuldners rechtskräftig zurückgewiesen worden war (§ 30 b I V ), setzt das Vollstreckungsgericht Versteigerungstermin auf den 15. Juli i960 an. In der Versteigerung bietet Tesch so lange mit, bis die Vorhypothek und seine eigene reichlich gedeckt sind. Den Zuschlag erhält Schokoladenfabrikant Noack auf das Meistgebot von 56000 DM. Bei Erteilung des Zuschlags hat der Richter in den Zwangsversteigerungsakten verfügt: „Nachricht Zu den Zwangsverwaltungsakten 5 L 1 9 / 5 9 . "

Mit dieser Nachricht werden die Verwaltungsakten vorgelegt. Es ergeht der „Beschluß. Die Zwangsverwaltung wird aufgehoben, weil am 15. Juli 1960 in der Zwangsversteigerungssache 5 K 18/59 dem Schokoladenfabrikanten FrfV^iVoai^ in . . . . der Zuschlag erteilt worden ist. Lichterfelde, den 16. Juli i960. Das Amtsgericht. Richter."

Die Zwangsverwaltung endet mit dem Zuschlag nicht von selbst, sie muß vielmehr durch konstitutiv wirkenden Beschluß aufgehoben werden (vgl. § 15 A V vom 10. Juli 1929). Vom Zuschlag an stehen Besitz und Nutzung dem Ersteher zu (§§ 56 S. 2, 90, 93, vgl. oben S. 290) und mit dieser Rechtslage wäre die Fortdauer der Zwangsverwaltung unvereinbar. Die Zwangsverwaltung wird daher alsbald nach dem Eintritt der Wirksamkeit des Zuschlags (§§ 89, 104) aufgehoben, vorbehaltlich der Abwicklung der Geschäfte durch den Verwalter, nicht erst mit dem Eintritt der

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Zwangs Versteigerungsrichter — Schlußrechnung des Zwangsverwalters

Rechtskraft. Es ist nicht angebracht, die der Sach- und Rechtslage entsprechende Entscheidung wegen der ungewissen Möglichkeit einer Aufhebung des Zuschlags hinauszuschieben (str., wie hier Jaeckel-Güthe § 161 Anm. 7; teilw. abw. L G Berlin N J W 1958, 1544).

Unabhängig von der späteren Grundbuchberichtigung gemäß § 130 (oben S.301 f.) ersucht der Rechtspfleger sofort bei Aufhebung der Zwangsverwaltung das Grundbuchamt um Löschung des Zwangsverwaltungsvermerks (§§ i 6 i i v , 34 Z V G , § 20 1 Nr. 5 RechtspflG). S c h l u ß t e r m i n . T i l g u n g v o n H y p o t h e k e n k a p i t a l i e n . In der Zwangsverwaltungssache muß Termin zur Schlußrechnungslegung (§ 154 S. 2), in der Zwangsversteigerungssache Verteilungstermin stattfinden. In welcher Reihenfolge sind die beiden Termine abzuhalten? Die Zwangsverwaltungsmasse wird aus laufenden ErttlLgen gebildet und dient im wesentlichen zur Berichtigung laufender Lasten, während die Versteigerungsmasse den Substanzwert des Grundstücks darstellt und ihr gegenüber ein weiterer Kreis von Ansprüchen befriedigungsberechtigt ist. Deshalb muß die Verwaltungsmasse vorweg zur Ausschüttung gelangen. Die Richtigkeit dieser Ansicht bestätigt § i o 1 , wonach die Versteigerungsmasse für Zwangsverwaltungsvorschüsse nur subsidiär—nämlich insoweit, als sie nicht aus Nutzungen des Grundstücks erstattet werden können — haftet: offenbar geht das Gesetz davon aus, daß zuerst die Verwaltungs- und nachher die Versteigerungsmasse abgerechnet wird. In der Tat werden ja in den meisten Zwangsverwaltungen schon vor dem Schlußtermin Auszahlungen an Befriedigungsberechtigte auf Grund des allgemeinen Teilungsplans geleistet, und es ist deshalb festzustellen, ob und welche im Zwangsversteigerungsverfahren zu berücksichtigenden Gläubiger aus den Mitteln der Zwangsverwaltung befriedigt worden sind. Der Rechtspfleger beraumt also den Schlußtermin der Zwangsverwaltung auf den 18. August i960 vormittags 9% Uhr, den Verteilungstermin der Zwangsversteigerung auf denselben Tag vormittags 10 Uhr an. Der Schlußtermin ist zugleich gegebenenfalls zur Leistung von Zahlungen auf das Kapital von Grundpfandrechten (S. 328 zu 3) bestimmt. Die Reihenfolge der Termine hat auch eine sehr erhebliche materielle Bedeutung. Wäre nämlich die Versteigerungsmasse an erster Stelle auszuschütten, so müßte „Sekuritas" dort mit sämtlichen Forderungen eingesetzt werden und Ubbehde würde mit dem größten Teil seiner Forderung ausfallen. Da aber die Verwaltungsmasse zuerst abgerechnet wird, gelangt, wie wir alsbald ersehen werden, „Sekuritas" aus der Verwaltungsmasse mit einem gewissen Kapitalbetrag zur Hebung. Das entlastet die nachher auszuschüttende Versteigerungsmasse und verringert den Ausfall des nachstelligen Hypothekars Ubbelode.

In der Schlußrechnung der Zwangsverwaltung muß eine Auseinandersetzung zwischen Zwangsverwaltungsmasse und Ersteher vorgenommen werden. Vom 15. Juli i960, dem Zuschlagstage ab, gebühren dem Ersteher Noack die Nutzungen und trägt er die Lasten des Grundstücks (§ 56 S. 2). Redlich hat aber Anfang Juli noch die im voraus zahlbaren Mieten für den ganzen Monat Juli eingezogen, andererseits Lasten und Aufwendungen für das Grundstück über den 15. Juli hinaus bezahlt. Die Mieten sind Noack aus der Verwaltungsmasse pro rata temporis zu erstatten, während er seinen Anteil an den Lasten und Aufwendungen nach dem gleichen Grundsatz der Masse vergüten muß. §§ 1 0 1 2 (zweiter Halbsatz), 103 B G B . Demgemäß hält die Schlußrechnung sowohl bei den Einnahme- wie bei den Ausgabeposten die für Rechnung der Verwaltungsmasse und die für Rechnung des Erstehers gehenden Beträge auseinander)1: 1 ) Der besseren Übersicht halber sind die Posten der Vierteljahresrechnungen mit einbezogen und die gleichartigen Posten zusammengefaßt.

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Zwangsversteigerungsrichter — Schlußrechnung des Zwangsverwalters Davon für Rechnung

„A. Einnahmen. 1. ZwangsverwaltungsVorschuß 2. Mieteinnahmen August—September 1959 3. dgl. Oktober—Dezember 1959 4. dgl. Januar—März i960 5. dgl. April—Juni i960 6 .dgl. Juli i960 zusammen B. Ausgaben. 1. Instandsetzung des Daches und der Entwässerungsanlage 2. Hausreinigung und sonstige Ausgaben der Hausverwaltung August 1959 bis Juni 1960 3. dgl. Juli i960 4. Gerichtskosten1) 5. Vergütung und Auslagen des Zwangs Verwalters2) 6. Auf Grund des Teilungsplans vom 2. November 1959 geleistete Zahlungen: a) Zwangsverwaltungsvorschuß Tescb nebst Zinsen b) Grundsteuer 1. August 1959 bis 30. Juni i960 . . . c) dgl. Juli i960 d) Zinsen der Hypothek Abt. III Nr. 1 1. April 1959 bis 15. Juli i960 . . . . e) Zinsen der Hypothek Abt. III Nr. 2 1. April 1959 bis 15. Juli i960 . . . . f ) Zinsen der Hypothek Abt. III Nr. 3 1. April 1959 bis 15. Juli i960 . . . . zusammen

der Verwaltungsmasse

des Erstehers

DM

DM

2850,00 1 3 80,00 3 996,00 4011,00 4011,00 668,50 16916,50

davon stehen zu:

der Zwangsverwaltungsmasse dem Ersteher

— —

— —

668,50 668,50

2812,50



513,20



24,00

24,00

DM 2850,00 1 3 80,00 3 996,00 4011,00 4011,00 1337,00 17585,00

2812,50 513,20 48,00

174,93



'74,93

869,00



869,00

2892,50



2892,50

1925,00



87,50

87,50 2 260,42

1 343,33 271,25 13173.63

C. Bestand. Der in den Händen des Verwalters befindliche Bestand beträgt



Im Ganzen

1925,00 175,00 2 260,42







111,50

' 343,33 271,25 13285,13

17585,00 — 13285,13 = 4299,87 DM, 16916,50 — 13 173,63 = 3742,87 DM, 668,50— 111,50= 557,00 DM,

D. Übersch u ß v e r t e i l u n g . Von dem Bestand der reinen Zwangsverwaltungsmasse mit 3742,87 DM sind gemäß Abschnitt 5 des Teilungsplans vom 2. November 1959 auszuzahlen: an die betreibende Gläubigerin .Sekuritas' Lebensversicherungs-A.G. in Hamburg a) Kosten 135,00 DM b) aufdieinAbt.IIIunterNr. 1 hypothekarisch eingetragene Hauptforderung 3607,87 DM zusammen: 3742,87 DM." 2)

Vgl S. 328 zu 1 des Teilungsplanes. In dem Betrage sind auch Rechnungsgebühren enthalten. Die Vergütung wird in Hundertsätzen der Einnahmen berechnet und vom Gericht festgesetzt.

§ 1 5 3 I Z V G , § 16 AV.

382

Zwangsversteigerungsrichter — Grundbuchberichtigung bei Zwangsverwaltung

Die 557,00 DM werden an den Ersteher Noack ausgezahlt, der sie in dem anschließenden Verteilungstermin der Zwangsversteigerungssache mit zur Deckung seines Meistgebots verwenden kann. Die 3742,87 DM erhält der anwesende Vertreter der „Sekuritas" gegen Vorlegung des Briefes und Vermerk auf dem Schuldtitel (§§ 1 5 6 " S. 4,15 8 1 " , 126,127 ZVG, oben S. 300). Das teilweise Erlöschen der Hypothek ist vom Vollstreckungsgericht, nicht erst vom Grundbuchamt, auf dem Brief zu vermerken. Der Wortlaut des Vermerks ist durch das Protokoll festzustellen (§ 1271 S. 2, i " ; dazu Mönch, D J 1937, 1809 zu 6): „Die Hypothek ist in Höhe eines Teilbetrages von 5607,87 D M (i. W.) infolge Befriedigung im Zwangsverwaltungsverfahren 5 L 19/59 erloschen. Lichterfelde, den 18. August i960 (Siegel)

Das Amtsgericht Pfleger, Justizinspektor, als Rechtspfleger

Verfügung: „ A n das Grundbuchamt: Zu den Grundakten von Lichterfelde Band 11 Blatt 418 wird Ausfertigung des Protokolls vom heutigen Tage über den in der Biedermamschen Zwangsverwaltungssache 5 L 19/59 abgehaltenen zugleich zur Leistung von Zahlungen auf das Kapital von Grundpfandrechten bestimmten Schlußtermin übersandt mit dem Ersuchen, von der in Abt. III unter Nr. 1 für die .Sekuritas' Lebensverischerungs-A.G. in Hamburg eingetragenen Hypothek von 35000 D M einen Teilbetrag von 5607,87 D M (i. W.) zu löschen."

Daß das Grundbuchamt um Löschung zu ersuchen ist, falls'ein Hypothekengläubiger in der Zwangsverwaltung Befriedigung wegen seines Kapitals erlangt hat, schreibt § 1 5 8 " vor. Dort wird auch (entsprechend § 1 3 1 , oben S. 300) bestimmt, daß es der Vorlegung des Briefes zur Löschung nicht bedarf. Demgemäß ist auch neben dem Vermerk des Vollstreckungsgerichts über das (teilweise) Erlöschen des Rechts ein weiterer Briefvermerk über die (teilweise) Löschung des Rechts im Grundbuch nicht erforderlich ( K G J 51, 308). Unabhängig hiervon ersucht später das Vollstrekkungsgericht gemäß § 130 um Löschung der ganzen Hypothek, sofern nicht etwa Gläubiger und Ersteher das Bestehenbleiben (§ 9 1 " ) vereinbaren. Das Ersuchen aus § 130 darf aber erst nach Beschaffung der Grunderwerbsteuerbescheinigung abgehen (S. 303), so daß zunächst auf Grund des Ersuchens aus § 15 8 1 1 die Teillöschung erfolgein wird. — Der Rechtspflegeranwärter: Ist die Löschung des Teilbetrages als rechtsändernd oder als berichtigend aufzufassen ? Woraus folgt, wenn es sich um eine Berichtigung handelt, das Erlöschen der Hypothek ? Der Rechtspfleger: Nach § 1 1 8 1 BGB'erlischt die Hypothek durch Befriedigung des Gläubigers aus dem Grundstück. Die Vorschrift wird leicht übersehen, weil bei dem wichtigsten Fall, der Zwangsversteigerung, das Erlöschen der Hypothek des betreibenden Gläubigers bereits durch den Zuschlag'eintritt (§§ 521 S. 2, 91 1 ZVG), gleichviel ob sie durch das Meistgebot gedeckt ist oder ob sie ausfällt. Insofern wird § 1181 B G B durch das Zwangsversteigerungsrecht regelmäßig überholt und gegenstandslos. Der Unterschied zeigt sich jedoch, wenn eine Hypothek durch Zuschlag erloschen und bei der Erlösverteilung ausgefallen ist, aber noch einzelne mithaftende bewegliche Sachen oder Forderungen vorhanden sind, deren Haftung nicht gemäß § § 112of. beendet wurde (z. B. ein von der Versteigerung ausgeschlossenes Zubehörstück, oben S. 278/9). Dann ist die Hypothek nicht — wie die aus dem Grundstück befriedigten Hypotheken — vollständig, sondern nur am Grundstück selbst erloschen; an jenen Gegenständen dagegen besteht das hypothekarische Recht fort und der Gläubiger kann es durch Zwangsvollstreckung in den noch haftenden Gegenstand auf

Zwangsversteigerungsrichter — Befriedigung aus dem Grundstück

333

Grund dinglichen Titels verwirklichen. Ein solches Hypotheken-Rückstandsrecht wird nicht mehr als Hypothek nach den § § 115 4 B G B , 830 ZPO, sondern als sonstiges Recht nach den §§413 B G B , 857 Z P O übertragen und gepfändet (ähnlich dem Recht auf Befriedigung aus dem Versteigerungserlös zwischen Zuschlag und Verteilungstermin, oben S. 316). R G 5 5, 4 1 7 ; 125, 362; J W 1 1 , 4Ö35; GruchBeitr 48, 1067. — Die Beitreibung des Hypothekenkapitals durch Zwangsverwaltung stellt ebenfalls eine Befriedigung „aus dem Grundstück" im Sinne der §§ 1147, 1 1 8 1 B G B dar. Mit der Auszahlung im Termin wird also das Grundbuch unrichtig, und die vom Vollstrekkungsgericht herbeizuführende Löschung hat lediglich deklaratorische Bedeutung. — Endlich kann der Hypothekengläubiger, so lange keine Immobiliarbeschlagnahme vorliegt, aus einem dinglichen Titel die Zwangsvollstreckung in einzelne mithaftende bewegliche Sachen oder Forderungen betreiben, und soweit er dadurch Befriedigung erlangt, erlischt die Hypothek ebenfalls. §§ 1 1 4 7 , 1 1 8 1 1 « B G B , 8 6 5 " ZPO. Der letzte Fall unterscheidet sich von den beiden anderen dadurch, daß hier kein Gericht die Berichtigung vermittelt, vielmehr die Beteiligten, vor allem die Inhaber gleich- und nachstehender Rechte, die Löschung mit Hilfe des Berichtigungsanspruchs (§894 B G B ) selbst herbeiführen müssen. Rechtspflegeranwärter: Zahlt der Eigentümer zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung an den Gläubiger, so geht nach den §§ 1143, 1163 1 S. 2 die Hypothek als Eigentümerhypothek oder -grundschuld auf ihn über. Wird der Gläubiger durch Zwangsvollstreckung befriedigt, so geht die Hypothek unter. Wie läßt sich diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigen ? Rechtspfleger: Der Grundstückseigentümer, der nicht zugleich persönlicher Schuldner ist, hat keine Pflicht, sondern nur ein Recht zur Zahlung. Macht er von seiner Befugnis Gebrauch, so hat er nicht aus dem Grundstück, sondern aus seinem Vermögen geleistet, und es liegt kein Anlaß vor, die nachstehenden Hypotheken aufrücken zu lassen: daher erwirbt, gleichsam zur Belohnung, der Eigentümer die Post. Ganz andere rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung hat die Befriedigung aus dem Grundstück im Wege der Zwangsvollstreckung. Sie geschieht aus Werten der Liegenschaftsmasse, die auch für die nachstehenden Hypotheken haftet, und es hat seinen guten Grund, wenn in diesem Fall das Erlöschen der befriedigten Hypothek eintritt und damit der Rang der nachstehenden Berechtigten verbessert wird.

9. Kapitel

Beim Konkursrichter Vergleichsverfahren K o n k u r s a n t r a g . Namens der Deutschen Sektkellereien Rudolf Wagner & Co. in Rüdesheim stellt R A . Schwarz am 7. September 1959 Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, in Firma „Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier" in Köln-Ehrenfeld. Die beigefügte Vollmacht (§§ 80, 8 8 " ZPO, 72 K O ) ermächtigt den Anwalt ausdrücklich: „uns im Konkurs- oder Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gegners zu vertreten"

weil nach herrschender Meinung der gesetzliche Rahmen der Prozeßvollmacht ( § 8 1 ZPO) diese beiden Verfahren nicht umfaßt. Zur Glaubhaftmachung der Forderung und der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 105 1 K O überreicht R A . Schwarz zwei Urkunden. Die eine ist ein Wechsel, auf dessen Rückseite sich bloß die Wechselsteuermarke befindet. Die Vorderseite lautet: „Rüdesheim, den 2. August 1959.

5 fl 6 a§ w sc

•X ß

c 4, 113® VerglO) und das Vorhandensein eines kostendeckenden Schuldnervermögens bzw. eines Vorschusses oder einer Sicherstellung (§17® VerglO). Das Gericht ist der Auffassung, daß die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, und erläßt deshalb folgenden Eröffnungsbeschluß: „Geschäftsnummer: 53 V N 128/59. Beschluß. Über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, Alleininhabers der Firma ,Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier', Köln-Ehrenfeld, Richardstraße 56 wird heute, am 19. September 1959 vormittags n V 2 U h r , das Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses eröffnet, weil er zahlungsunfähig ist. Der Treuhänder Fritz Müller, Köln, Siegfriedstraße 1, Telefon 5 43 21, wird zum Vergleichs. Verwalter ernannt.

Zu Mitgliedern des Gläubigerbeirats werden bestellt:

1. Fritz Falke, 2. Ernst Haser.

Termin zur Verhandlung über den Vergleichsvorschlag wird auf den 16. O k t o b e r 1959, v o r m i t t a g s 10 U h r , vor dem Amtsgericht in Köln, Reichenspergerplatz, Zimmer Nr. 442, bestimmt. Die Gläubiger werden aufgefordert, ihre Forderungen alsbald anzumelden.

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Konkursrichter — Eröffnung des Vergleichsverfahrens Das gegen den Schuldner mit Beschluß vom 9. September 1959 erlassene allgemeine Veräußerungsverbot gemäß § 59 V e r g l O bleibt aufrechterhalten. Außenstände sind von den Schuldnern des Konrad Geier bei Fälligkeit sofort an den Vergleichsverwalter zu entrichten. Zahlungen an Konrad Geier selbst dürfen nicht mehr erfolgen. Die Beschränkung der Zustimmungsbefugnis des Vergleichsverwalters wird aufgehoben. Köln, den 19. September 1959. Amtsgericht Richter."

V g l . §§ 20, z i , 38, 58, 59, 64. Sofern es nicht ausnahmsweise zur Vertagung gemäß § 77 kommt, ist der bei der Eröffnung anberaumte Vergleichstermin der einzige des Verfahrens. I m Vergleichstermin wird über den Vergleichsvorschlag verhandelt, das Stimmrecht der beteiligten Gläubiger, soweit ihre Forderungen bestritten sind, festgestellt und über den Vergleichsvorschlag abgestimmt (§ 66); auch hat der Schuldner auf Verlangen Auskünfte zu erteilen und notfalls den Offenbarungseid zu leisten (§ 69). Z u dem Eröffnungsbeschluß verfügt der Richter folgendes: „Verfügung 1. Eröffnungsbeschluß zu veröffentlichen in (mit Zusatz: Der Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens mit seinen Anlagen und das Ergebnis der Ermittlungen liegen auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten aus) a) Regierungsamtsblatt, b) Bundesanzeiger, c) Kölnische Rundschau, Stadtausgabe, d) Kölner-Stadt-Anzeiger, Stadtausgabe 2. Z u laden sind unter Beifügung einer Abschrift des Vergleichsvorschlages, der Bürgschaftserklärung, der Verwandtenerklärungen sowie eines Eröffhungsbeschlusses a) Vergleichsschuldner, b) Vergleichsverwalter, c) Mitglieder des Gläubigerbeirats mit Ersuchen um Annahmebestätigung und Belehrung nach Formular, d) sämtliche beteiligten Gläubiger (mit dem Hinweis, daß der Antrag mit seinen Anlagen nebst dem Ergebnis der Ermittlungen bei Gericht eingesehen werden können). j . Ausfertigung: a) Handelsregister, b) Grundbuchamt Köln, c) Grundbuchamt Brühl 4. Beglaubigte Abschrift des Eröffnungsbeschlusses an: a) Industrie- und Handelskammer in Köln, b) Gerichtsvollzieherverteilungsstelle in Köln, c) Amtsgericht, Vollstreckungsabteilung, Köln, d) Stadtgemeinde K ö l n in Köln, e) Finanz- und Umsatzsteueramt in Köln, f ) Ortskrankenkasse, Berufsgenossenschaft und Landesversicherungsanstalt, g) Gerichtskasse, h) Staatsanwaltschaft. 5. Dem Verwalter ist eine Bestallung zu erteilen mit Zusatz bezüglich allgemeines Veräußerungsverbot und Beschränkung der Zustimmungsbefugnis. 6. Zählkarte. 7. Nach 2 Wochen. Köln, den 19. September 1959. Richter Amtsgerichtsrat."

Konkursrichter — Stellung des Vergleichsverwalters

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Die Zustellungen (§§ 3 2 9 " ' ZPO, 115 VerglO) werden ohne Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstücks durch Aufgabe zur Post ausgeführt; eingeschrieben gehen sie nur dann, wenn der Empfänger sich im Ausland befindet (§ 118). Eröffnung und Beendigung des Vergleichsverfahrens sind vom Registergericht ex officio im Register zu vermerken (§§ 2 3 n , 98 n ). iÜ Das Grundbuchamt wird nur zwecks Eintragung des allgemeinen Veräußerungsverbots (§ 61), ansonsten jedoch nicht benachrichtigt. Denn das Vergleichsverfahren hat nicht, wie der Konkurs, die Aufgabe, das Vermögen des Schuldners im Interesse seiner Gläubiger zu versilbern, sondern will ihm vielmehr durch Herbeiführung des Zwangsvergleichs Existenz und Geschäft erhalten. Darum bleibt seine vermögensrechtliche Stellung grundsätzlich unberührt. Vielmehr besteht die gesetzliche Grundregelung im Gegensatz zu derjenigen des Konkursverwalters lediglich in einer Überwachung der Geschäftsführung sowie der Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners und seiner Familie (§ 39). Ferner setzt das Gesetz Mitwirkungsrechte des Vergleichsverwalters bei der Geschäftsführung fest ( § 5 7 Abs. 1). Der Vergleichsverwalter kann Einspruch gegen die Eingehung von Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, erheben. Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, sollen nur mit Zustimmung des Vergleichsverwalters eingegangen werden. Noch weiter als diese Mitwirkung geht es, wenn der Schuldner dem Vergleichsverwalter nach § 5 7 Abs. 2 auf sein Verlangen die Kassenund Kontenführung zu überlassen hat. Hat der Vergleichsverwalter hiernach neben seiner Überwachungstätigkeit auch hinsichtlich der Begründung von Verbindlichkeiten Mitwirkungs- und hinsichtlich Kassen- und Kontenführung sogar Verwaltungsfunktionen, so sind doch auch diese letzteren Tätigkeitsbereiche gegenüber der Stellung des Konkursverwalters unterschiedlich geregelt. Bei den Verbindlichkeiten bleibt es eben bei der Mitwirkung, die außerdem nicht durch eine Rechtsunwirksamkeit der verbotswidrigen Handlungen sanktioniert ist, sondern lediglich durch die Androhung der Einstellung des Vergleichsverfahrens ( § 1 0 0 Abs. 1 Nr. 3) mit anschließender Entscheidung über die Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 101 Satz 1). Bei der Kassen- und Kontenführung nähert sich die Stellung des Vergleichsverwalters am meisten derjenigen des Konkursverwalters, indem der Vergleichsverwalter hier tatsächlich verwaltet. Ob er diese Funktion übernimmt, ist aber seinem Ermessen überlassen und außerdem ist die Übernahme dieser Funktion von der Gestattung des Schuldners abhängig. Die Sanktion für einen Schuldner, der sich dem Verlangen des Vergleichsverwalters nicht fügt, ist lediglich die bereits erwähnte Einstellung des Vergleichsverfahrens mit anschließender Entscheidung übet die Konkurseröffnung. Die Stellung des Vergleichsverwalters kann neben dieser gesetzlichen Regelung gemäß §§ 58 fr. noch erheblich verstärkt werden, indem dem Schuldner Verfugungsbeschränkungen in der Weise auferlegt werden, daß Verfügungen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Vergleichsverwalters bedürfen. Eine weitere Annäherung des Amtes des Vergleichsverwalters an dasjenige des Konkursverwalters ist ohne Einverständnis des Schuldners nicht möglich. Wohl kann außergerichtlich eine weitere Annäherung durch Vereinbarung zwischen Schuldner, Gläubiger und Vergleichsverwalter vorgenommen werden, wobei allerdings zu beachten ist, daß die Stellung des Vergleichsverwalters als eines Organs der vergleichsrechtlichen Selbstverwaltung in keiner Weise, insbesondere nicht durch Interessenkollisionen berührt werden darf.

Die ruhige Abwicklung des Vergleichsverfahrens darf nicht durch Zwangsvollstreckungen gegen den zahlungsunfähigen Schuldner gestört, und es muß verhindert werden, daß ein vom Verfahren betroffener Gläubiger durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mehr erhält, als ihm nach dem später zustande gekommenen Vergleich gebührt. Mit Eröffnung des Verfahrens tritt also für die beteiligten Gläubiger Vollstreckungssperre ein (§ 47). Vgl. den folgenden Abschnitt. — Der Referendar: Soll nicht auch eine Vorlegung zur Kontrolle der Rechtskraft notiert werden?

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Konkursrichter — Vollstreckungsverbot

Der Richter: Der Eröffnungsbeschluß ist sofort rechtskräftig. Die im Vergleichsverfahren ergehenden Entscheidungen sind grundsätzlich der Anfechtung entzogen, damit sich das Verfahren in möglichst kurzer Zeit abwickeln kann. Ausnahmsweise findet sofortige Beschwerde auf Grund ausdrücklicher Bestimmung statt, und zwar gegen die mit der Ablehnung der Vergleichseröffnung, mit der Versagung der Bestätigung oder mit der Einstellung verbundene Konkurseröffnung (§§ 1 9 " , 80", 101 VerglO) sowie gegen die Konkurseröffnung mach Maßgabe des § 96 V I VerglO, ferner gegen die Festsetzung der Gebühren oder Auslagen des Vergleichsverwalters oder der den Mitgliedern des Gläubigerbeirats zu erstattenden Auslagen (§§ 43 1 1 1 , 45") und gegen die Festsetzung einer Ordnungsstrafe gegen den Vergleichsverwalter (§ 41 iv). Die Beschwerdefrist beträgt in diesen Fällen bloß eine Woche und die weitere Beschwerde ist gänzlich ausgeschlossen. Alle übrigen Entscheidungen — insbesondere die Eröffnung des Vergleichsverfahrens, die Bestätigung des Vergleichs, die Aufhebung von Zwangsvollstreckungen und die Ermächtigung zur Nichterfüllung oder Kündigung von Verträgen (S. 347) — sind unanfechtbar. § 121. V o l l s t r e c k u n g s v e r b o t . Geier wird bei dem Vergleichsverwalter Müller vorstellig, damit dieser die im Vorverfahren nur bis zur Entscheidung über den Vergleichsantrag erwirkten Einstellungen der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verlängern lasse. Der Vergleichsverwalter belehrt Geier jedoch dahin, daß es dessen nicht bedürfe, weil § 47 VerglO Vollstreckungshandlungen der Vergleichsgläubiger und ihnen gleichgestellter Gläubiger (§§ 27, 28) kraft Gesetzes für unzulässig erkläre. Wenn aber die Zwangsvollstreckung zur Zeit der Eröffnung des Vergleichsverfahrens bereits anhängig gewesen sei, so werde sie nach § 48 VerglO bis zur Rechtskraft der Entscheidung, die das Vergleichsverfahren abschließe, kraft Gesetzes einstweilen eingestellt. Nur wenn im Interesse der Vergleichsgläubiger die Verfügung über einen von der Zwangsvollstreckung betroffenen Gegenstand geboten sei, könne das Gericht über diese kraft Gesetzes eintretende einstweilige Einstellung hinaus sogar die Aufhebung einer Zwangsvollstreckungmsaßnahme anordnen (§ 48"). Die Vollziehung von Arresten und einstweiligen Verfügungen wird wie Zwangsvollstreckung behandelt (§ 124). Da das Ersuchen um Eintragung der oben erwähnten Vormerkung zugunsten des Preuß früher als einen Monat vor dem Vergleichsantrag eingegangen war, mußte das Grundbuchamt die Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 5 3 GBO ablehnen. Löschung einer Zwangseintragung wegen Verletzung der Vorschriften über die Vollstreckungssperre kommt überhaupt nicht in Betracht, weil die Eintragung nicht „ihrem Inhalt nach unzulässig" war. Vgl. Jäger (8. Aufl. 1958, bearbeitet von Lent) 22 zu § 14. Die oben geschilderte Immobiliarvollstreckung des Nitsche kann, obwohl sie im zeitlichen Rahmen des § 28 VerglO liegt, nicht beanstandet werden. Denn sie wird —wie obenS. 342/3 gesagt—wegen eines dinglichen Rechts am Grundstück betrieben. Die in § 10 Z V G aufgeführten Befriedigungsberechtigten (auch Lidlöhner und öffentliche Lasten I) haben aber im Konkurs ein Absonderungsrecht (§47 KO), sind also am Vergleichsverfahren unbeteiligt. Sogar nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens hätte Nitsche seine Zwangsversteigerung und -Verwaltung noch anordnen lassen können. — Der Referendar: Können die Gläubiger Geiers jetzt noch neue Schuldtitel gegen ihn erwirken? Der Richter: Ebenso wie Verfügungs- und Verwaltungsrecht hat der Schuldner trotz des Vergleichsverfahrens seine Aktiv- und Passivlegitimation behalten. Eine Unterbrechung anhängiger Prozesse (wie im Konkurs) oder die Unzulässigkeit klageweiser Geltendmachung der Forderungen tritt nicht ein. Daher können auch die am Verfahren beteiligten Gläubiger Leistungsklage gegen Geier erheben. Der Kläger

Konkursrichter — Aufhebung von Verträgen

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riskiert indessen, mit den Pro2eßkosten belastet zu werden, falls der Schuldner den Anspruch sofort anerkennt und der Gläubiger nicht nachweist, daß ihm die Eröffnung des Vergleichsverfahrens unbekannt war oder daß er ein berechtigtes Interesse an baldiger Erlangung des Urteils hatte, § 49 VerglO. Vollstrecken kann er das Urteil während der Dauer des Vergleichsverfahrens ohnehin nicht. Referendar: Die Belastung des Klägers mit den Kosten scheint mir ungerecht gegenüber Gläubigern, die zur Unterbrechung der Verjährung klagen müssen. Richter: Das kann nicht vorkommen. Nach § 55 ist während des Vergleichsverfahrens die Verjährung „gehemmt" mit der in § 205 BGB bezeichneten Wirkung. Kommt der Vergleich zustande, so erhalten die Gläubiger unbestrittener Forderungen durch Anerkennung im Vergleichstermin einen vollstreckbaren Schuldtitel (§ 85 VerglO); geht das Verfahren jedoch in den Konkurs über, sofindetdas besondere Konkursanmeldungsverfahren statt, welches die Verjährung unterbricht (§ 209" 2 BGB). A u f h e b u n g v o n Verträgen. „1. Beschluß in dem Vergleichsverfahren usw. Auf den binnen 2 Wochen nach Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses von dem Schuldner gestellten, von dem Vergleichsverwalter befürworteten Antrag wird nach Anhörung des Vertragsgegners der Schuldner ermächtigt, den mit dem Geschäftsführer Alfons Langrock in Köln bestehenden, noch bis zum 31. Dezember 1961 laufenden Dienstvertrag mit Frist von 6 Wochen zum 31. Dezember 1959 zu kündigen, weil seine Tätigkeit für den Schuldner mit Rücksicht auf die zur Durchführung des erstrebten Vergleiches unbedingt erforderliche Einschränkung des Personalapparats entbehrlich ist, weil ferner wegen der Höhe der Herrn Langrock zustehenden Vergütung die weitere Erfüllung des Vertrages das Zustandekommen und die Erfüllbarkeit des Vergleichs gefährden würde und weil anzunehmen ist, daß der Vertragsgegner Langrock in absehbarer Zeit eine gleichartige Stellung finden wird, so daß ihm die Kündigung keinen unverhältnismäßigen Schaden bringt. §§ 50, 5 1 1 1 VerglO, 66 HGB. Köln, den 29. September 1959. Amtsgericht. Richter. 2. Zuzustellen an Schuldner, Verwalter und Langrock (§ 50 1 1 S. 6 VerglO)."

Gläubiger, deren Anspruch auf einem z. Zt. der Eröffnung noch von keiner Seite vollständig erfüllten Vertrag beruht, sind am Vergleichsverfahren nicht beteiligt und werden vom Vergleich nicht betroffen (§ 36 VerglO). Jedoch sehen §§ 5of. die Nichterfüllung bzw. vorzeitige Kündigung derartiger Verträge vor, weil sonst das Ziel des Verfahrens, die Erhaltung der Existenz des Schuldners, häufig nicht erreicht werden würde. Außerdem macht § 3 6 1 1 im Interesse des Zustandekommens des Vergleichs die wichtige Ausnahme, daß bei einer teilbaren Leistung der Gläubiger wegen der erbrachten Teilleistung doch Vergleichsgläubiger ist (vgl. unten S. 396). Die Vorschriften sind den §§ 1 7 t K O verwandt. Hauptunterschiede: 1. Die Ablehnungs- bzw. Kündigungserklärung erfolgt durch den Schuldner selbst, also nicht etwa durch den Vergleichsverwalter. 2. Zur Ablehnung der Erfüllung oder Kündigung bedarf es stets einer gerichtlichen Ermächtigung. 3. Das Gesuch um Erteilung der Ermächtigung muß binnen zwei Wochen seit der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses beim Gericht angebracht werden. Nur zu leicht wird die Frist von juristisch nicht genügend beratenen Schuldnern versäumt. Man denke z. B. an den Fall, daß ein Kaufvertrag wegen eines in den Lieferungsbedingungen versteckten Eigentumsvorbehalts als vom Verkäufer noch nicht erfüllt gilt (S. 395). Wird das Versehen noch vor

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Konkursrichter — Betriebsdarlehn

dem Zwangsvergleich erkannt und handelt es sich um ein Geschäft von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, so tut der Schuldner unter Umständen gut daran, das Vergleichsverfahren durch Antragsrücknahme zur Einstellung zu bringen, so daß es zum Konkurse kommt (S. 3 49 f.). Der Konkursverwalter kann dann nach §§ 1 7 f . vorgehen; dadurch wird vielleicht noch ein Konkurs-Zwangsvergleich ermöglicht.

4. Bei seiner Entscheidung über die Ermächtigung hat das Vergleichsgericht nicht bloß die Interessen des Schuldners, sondern auch diejenigen des Vertragsgegners zu berücksichtigen. Praktisch wird es aber höchst selten vorkommen, daß das Gericht in Fällen, die für den Schuldner von großer Tragweite sind, die Ermächtigung um des Vertragsgegners willen versagt. Diesem würde damit nicht gedient sein. Denn wenn die Aufrechterhaltung mit der wirtschaftlichen Sanierung des Schuldners unvereinbar ist, so führt die Ablehnung der Ermächtigung notwendigerweise zum Konkurse, in welchem der Verwalter ohne jede gerichtliche Mitwirkung nichterfüllen bzw. kündigen darf. Der Vertragsgegner hat dann höchstens (bei Miet-oder Dienstverträgen) ein Quartal gewonnen.

Geschäftsführer von Restaurants, Cafés, Vergnügungsunternehmungen usw. sind „Handlungsgehilfen" im Sinne des §59 HGB, vorausgesetzt, daß ihnen nicht bloß die Überwachung der Speisenzubereitung und der Kellner sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern auch kaufmännische Funktionen (wie Buchführung, Abrechnung, Einkauf) obliegen. Ebenso der Hotelleiter und der von einer Brauerei eingesetzte Leiter einer ihr gehörigen Gastwirtschaft. Würdinger in RGRKomm z. HGB § 59 Anm. 7 mit Entscheidungen. Die Kündigung zum 31. Dezember 1959 muß an sich mit Frist von 6 Wochen (§ 66), d. h; spätestens am 19. November, erklärt werden. Selbstverständlich kann aber Geier das ihm eingeräumte außerordentliche Kündigungsrecht nur so lange ausüben, als das Vergleichsverfahren währt. Tut er das, so wird der Vertrag mit dem 31. Dezember 1959 endgültig aufgehoben, gleichviel was nachher aus dem Vergleichsverfahren wird. Langrock hat Anspruch auf Ersatz des ihm durch die vorzeitige Beendigung entstehenden Schadens. Mit dem Schadensersatzanspruch ist er am Verfahren beteiligt, d. h. er erhält beim Zustandekommen eines Vergleichs lediglich die Quote, während seine Vertragsansprüche für die Zeit bis 31. Dezember 1959 vom Vergleich nicht berührt werden. §§ 25, 521 VerglO; vgl. § 59a, § 61 1 K O ; unten S. 364. Betriebsdarlehn. Müller berichtet dem Gericht: „Obgleich der Schuldner für seinen und seiner Familie Unterhalt nur 45 D M wöchentlich entnimmt,"

— er darf während des Verfahrens die vorhandenen Mittel für Unterhaltszwecke verbrauchen, soweit sie zu einer „bescheidenen Lebensführung" für ihn und seine Familie unerläßlich sind (§56 VerglO). — „fehlen seit Beginn des Vergleichsverfahrens die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen Gelder, weil die Tageseinnahmen infolge der ungünstigen Wirtschaftslage hinter denen des Vorjahres zurückgeblieben sind und weil alle Lieferanten vorherige Barzahlung verlangen."

Daß Geier sich im Vergleichsverfahren befindet, haben die Geschäftsfreunde (auch wenn sie nicht als beteiligte Gläubiger eine formelle Ladung gemäß S. 344 Ziff. 2 d erhalten) aus der öffentlichen Bekanntmachung und dem Handelsregister ersehen. Nun gehören Ansprüche aus einer nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Lieferung nicht zu den vom späteren Vergleich betroffenen Forderungen (§§25, 82 1 VerglO, 3 1 KO) — übrigens ohne Unterschied, ob der Vergleichsverwalter der Bestellung zugestimmt hat oder nicht —, so daß normalerweise auf volle Zahlung nach Zustandekommen des Vergleichs zu rechnen ist. Doch befürchten die Lieferanten, daß das Vergleichsverfahren in einen Konkurs übergeleitet werden könnte: alsdann würden sie die Stellung gewöhnlicher Konkursgläubiger haben, denn ihre Forderungen sind

Konkursrichter — Einstellung des Vergleichsverfahrens

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vor Konkurseröffnung entstanden, und es gibt keine Ausnahme zugunsten derartiger Gläubiger. Darum machen sie vorsichtigerweise die Lieferung von sofortiger Zahlung abhängig. „Geier hat deshalb mit meiner Zustimmung von der .Ersten Kölner Aktienbrauerei', der Firma Jürgens &• Petersen und dem Bankhaus Schilling insgesamt 45 00 D M als Darlehn zur Fortführung des Betriebes aufgenommen."

Betriebsdarlehen sind im Falle der Überleitung des Verfahrens in einem Konkurs dort Masseschulden, so daß die Darlehnsgeber kein allzu großes Risiko eingehen. Entsprechendes gilt für die Gerichtskosten des Vergleichsverfahrens, das Honorar und die Auslagen des vorläufigen Verwalters und des Vergleichsverwalters sowie die Entschädigung für die Mitglieder des Gläubigerbeirats1). §§ 105, 106 VerglO. „Damit hoffe ich bis zum Vergleichstermin auszukommen und auch die Gerichtskosten sowie meine Vergütung und Auslagen zu decken."

Z u r ü c k n a h m e des Antrags. E i n s t e l l u n g des V e r g l e i c h s v e r f a h r e n s . Drei Tage vor dem Termin schreibt Geier: „Trotz größter Bemühungen ist es mir nicht gelungen, den Hypothekengläubiger Nitscbe zur Zurücknahme seines Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsantrags zu bestimmen. Ferner hat die ,Union'-Bank das Stehenlassen der für sie auf dem ,Lunapark'-Grundstück eingetragenen Sicherungshypothek abgelehnt. Auch will ein Teil der am Verfahren beteiligten Gläubiger sich nicht davon überzeugen lassen, daß der angebotene Vergleich der Sachlage entspricht. Da durch diese Umstände die Erreichung der erforderlichen Mehrheit"

— da der vorgeschlagene Vergleich den Gläubigern weniger als die Hälfte ihrer Forderungen bietet, muß neben der einfachen Kopfmehrheit (§ 7 4 1 J ) nicht bloß die gewöhnliche Summenmehrheit von 75% (§ 74i2)> sondern eine solche von 80% der stimmberechtigten Forderungen aufgebracht werden (§ 74 1 1 1 ) — „und die spätere Durchführbarkeit des Vergleichs in Frage gestellt ist, so nehme ich den am 9. September d. J . gestellten Vergleichsantrag hiermit zurück."

Bis zum Schluß der Abstimmung im Vergleichstermin steht dem Schuldner die Rücknahme des Antrags frei (§ 99). Die „Einstellung" des Verfahrens ist auszusprechen, wenn es zu keinem Vergleich und zu keiner Entscheidung des Gerichts über die Bestätigung kommt, z.B. der Schuldner den Antrag zurücknimmt, der Zwangsvergleich nicht die vorgeschriebene Mehrheit erreicht, die Voraussetzungen des Vergleichsverfahrens vor dem Termin durch das Verhalten des Schuldners oder aus sonstigen Gründen hinfällig werden (§ 100). War bereits ein Zwangsvergleich angenommen, so endet das Verfahren entweder mit Bestätigung (§ 78) oder mit Versagung der Bestätigung (§ 79). Wird der mit dem Vergleichsverfahren bezweckte Erfolg (Abwendung des Konkurses; vgl. § 1 VerglO) nicht erreicht, sei es wegen Ablehnung der Eröffnung des Verfahrens (§ 19 1 VerglO), sei es wegen Versagung der Bestätigung des zustandegekommenen Vergleichs (§ 801 VerglO) oder sei es wegen Einstellung des Vergleichsverfahrens (§ 101 S. 1 VerglO), so ist nach den genannten Bestimmungen zugleich von Amts wegen über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden. Der das Vergleichsverfahren bzw. das Vergleichseröffnungsverfahren beendende Beschluß muß also mit dem über die Eröffnung des Konkursverfahrens befindenden Beschluß verbunden werden. l

) Nach einer neueren, wohl herrschenden Meinung, sind auch die bereits im Vorverfahren, also vor Eröffnung des Vergleichsverfahrens, gegebenen Darlehen (sog. Vergleichsdarlehen) nicht beteiligte Forderungen, falls der vorläufige Verwalter der Darlehensaufnahme zugestimmt hat und ihm nach § 1 2 S. 2 VerglO die Befugnisse gemäß § 57 VerglO übertragen waren. So B G H 3 2 , 2 6 8 ; dazu Franke N J W i960, 1953.

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Konkursrichter — Konkurseröffnung

Da Geier den Vergleichsantrag zurückgenommen hat, hat der Richter demnach nach § 99 S. i VerglO die Einstellung des Vergleichsverfahrens auszusprechen und nach § 101 S. i VerglO zugleich über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden. Konkurseröffnung In Sachen Geier liegt dem Gericht noch immer der Konkursantrag der Deutschen Sektkellerei Rudolf Wagner & Co. in Rüdesheim vor (vgl. S. 334), der von der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens bis zur Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Entscheidung nach § 46 VerglO kraft Gesetzes ausgesetzt war (vgl. S. 337). Da die Entscheidung,-die das Vergleichsverfahren abschließt, als solche nicht anfechtbar ist, ist die Aussetzung der Entscheidung über den Konkursantrag der Deutschen Sektkellereien damit beendet. Der die Einstellung des Vergleichsverfahrens aussprechende Beschluß ist für sich allein unanfechtbar. Beschwerdefähig ist lediglich die zugleich zu treffende Entscheidung über die Konkurseröffnung (§§ 101 S. 2, 80 II VerglO). Nur auf dem Wege der sofortigen Beschwerde gegen die Konkursentscheidung kann mittelbar auch die Einstellung des Vergleichsverfahrens angegriffen werden, weil nach § 101 S. 2 VerglO im Rahmen der Beschwerde gegen die Konkursentscheidung geltend gemacht werden kann, das Vergleichsverfahren sei zu Unrecht eingestellt worden. — Z u beachten ist, daß die Frist für die sofortige Beschwerde gegen die in den §§ 19 I, II, 80 I, II, 101 und 96 V , V I VerglO nach § 1 2 1 II S. 2 VerglO eine lediglich einwöchige ist, während das Konkursverfahren sonst die normale zweiwöchige Frist gewährt (§§ 73 III, 72 K O in Verbindung mit § 577 ZPO).

Den Schuldner nochmals gemäß § 1 0 5 1 1 K O zu hören, liegt kein Grund vor. Da die Voraussetzungen der Konkurseröffnung, nämlich a) Vorhandensein eines Konkursantrags ( § 1 0 3 KO) oder Vorliegen eines der in der VerglO geregelten Fälle, wo von Amts wegen die Entscheidung zu treffen ist (§§ 191, 801, 9 6v 101 VerglO), b) Antragsbefugnis des Antragstellers (§ 1 0 3 1 1 KO), c) Konkursfähigkeit des Antragsgegners (§§ i 1 , 209 1 , 207, 213, 214 KO), d) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung (§§ 102, 2 0 7 2 0 9 1 S. 1 und 2, 213, 215 KO, § 63 1 GmbHG sowie §§981, 140 S. 1 GenG), im Fall Geier erfüllt sind (vgl. S. 336), erläßt der Richter nunmehr folgenden Beschluß : „53

N

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Beschluß in dem Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, Alleininhabers der Firma „Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier" in Köln-Ehrenfeld, Richardstraße 56 1. Das Vergleichsverfahren wird eingestellt. 2. Über das Vermögen des bezeichneten Schuldners wird das Anschlußkonkursverfahren eröffnet. Der Treuhänder Fritz Müller, Köln, Siegfriedstraße 1, T e l e f o n 5 43 21, wird zum Konkursverwalter ernannt. Allen Personen, die eine zur Konkursmasse gehörige Sache in Besitz haben oder zur Konkursmasse etwas schuldig sind, wird aufgegeben, nichts an den Gemeinschuldner auszuhändigen oder zu leisten. Dieser Beschluß wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam.

Konkursrichter — Konkurseröffnung

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Gründe: Der Schuldner hatte am 9. September 1959 den Antrag auf Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses gestellt, nachdem die Firma Deutsche Sektkellereien Rudolf Wagner eS^ Co. in Rüdesheim am 7. September 1959 Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt hatte. Nachdem dem Antrag des Schuldners durch Eröffnungsbeschluß vom 19. September 1959 (53 V N 128/59) stattgegeben worden war, hat er diesen Antrag vor dem Vergleichstermin wieder zurückgenommen. Das Vergleichsverfahren ist deshalb nach § 99 VerglO einzustellen. Weil der Schuldner nach den getroffenen Ermittlungen zahlungsunfähig ist, ist nach §§ 1 0 1 , 102 VerglO in Verbindung mit § 102 K O zugleich das Anschlußkonkursverfahren zu eröffnen. Köln den 19. Oktober 1959. Amtsgericht Richter" D i e Entscheidung über Eröffnungsanträge zieht sich manchmal lange hin, besonders w e n n die Sache in die Beschwerdeinstanz geht. U m Schädigungen der Konkursgläubiger während der Zwischenzeit zu verhüten, kann das Gericht gegen den Schuldner nach Bedarf persönliche Freiheitsbeschränkungen oder V e r f ü g u n g s beschränkungen bis z u m „allgemeinen Veräußerungsverbot" anordnen ( § 106). D i e W i r k u n g der Verfügungsbeschränkung ergibt sich aus §§ 1 3 5 , 1 3 6 , 8 9 2 1 S. 2 B G B , 7 7 2 Z P O . U m den guten Glauben Drittel 1 zu zerstören, werden die V e r f ü g u n g s beschränkungen auf E r s u c h e n des Konkursgerichts ins G r u n d b u c h eingetragen ( § 1 1 3 K O ) . In unserem Fall sieht das Gericht v o n derartigen Sicherungsmaßnahmen ab. Z u obigem Beschluß v e r f ü g t der Richter noch: 1. Beschluß durch Aufgabe zur Post zustellen an: a) Schuldner, b) Firma Deutsche Sektkellereien Rudolf Wagner & Co., Rüdesheim 2. Nachricht an Konkursverwalter 3. Wiedervorlegen 1 Woche nach Zustellung zu ia). E r s t nach Rechtskraft des Beschlusses ( § § 1 0 1 S. 2, S o 1 1 - 1 1 1 V e r g l O ) trifft das Gericht alsdann die weiteren A n o r d n u n g e n und veranlaßt die öffentlichen Bekanntmachungen. Dies geschieht in folgender Weise: ..53 N 95/59

Beschluß in dem Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, Alleininhabers der Firma „Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier" in KölnEhrenfeld, Richardstraße 56. Der Beschluß vom 19. Oktober 1959, durch den das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen des bezeichneten Gemeinschuldners eröffnet worden ist, ist — mit dem Beginn des 30. Oktober 1959 — rechtskräftig und damit wirksam geworden. In Ergänzung dieses Beschlusses wird angeordnet: Konkursforderungen sind bis zum 1. Dezember 1959 bei dem Gericht anzumelden. Termin zur Beschlußfassung über die Beibehaltung des ernannten oder die Wahl eines anderen Verwalters sowie über die Bestellung eines Gläubigerausschusses und eintretendenfalls über die im § 1 3 2 , 1 3 4 und 137 K O bezeichneten Gegenstände wird auf den 15. November 1956 vormittags 9 Uhr und zur Prüfung der angemeldeten Forderungen auf den 29. Dezember 1959 vormittags 10 Uhr vor dem unterzeichneten Gericht anberaumt. Allen Personen, die eine zur Konkursmasse gehörige Sache in Besitz haben oder zur Konkursmasse etwas schuldig sind, wird aufgegeben, nichts an den Gemeinschuldner auszuhängigen und

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Konkursrichter — Auslagen und Vergütung

zu leisten, auch die Verpflichtung auferlegt, von dem Besitz der Sache und von den Forderungen, für welche sie aus der Sache abgesonderte Befriedigung in Anspruch nehmen, dem Konkursverwalter bis zum 12. November 1959 Anzeige zu machen. Köln, den 30. Oktober 1959. Amtsgericht. Richter."

Zwecks endgültiger Erledigung des Vergleichsverfahrens setzt das Gericht nach § 43 VerglO noch die Vergütung und die Auslagen des Vergleichsverwalters fest: „ 5 5 V N 128/59 Beschluß In dem Vergleichsverfahren werden die Vergütung des Vergleichsverwalters auf 800,— D M , seine Auslagen auf 136,75 D M festgesetzt. Köln, den 30. Oktober 1959. Amtsgericht, Abd. 5 3 Richter

Amtsgerichtsrat."

Während Vormünder, Pfleger und Nachlaßverwalter ihre Auslagen ohne weiteres der Masse entnehmen dürfen (arg. § 1 8 3 5 BGB), bedarf es bei dem Vergleichs- und Konkursverwalter hierfür einer gerichtlichen Festsetzung (§ 4 3 1 1 VerglO, § 85 1 S. 2 KO). Maßgebend für die Festsetzung der Vergütung und der Auslagen ist ab 1. Okt. i960 die VO. über die Vergütung des Konkursverwalters, des Vergleichsverwalters, der Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Mitglieder des Gläubigerbeirats vom 25. Mai i960 (BGBl I 329). Vereinbarungen des Vergleichsverwalters mit dem Schuldner oder einem Vergleichsgläubiger über die Höhe der Auslagen oder der Vergütung sind nichtig (§ 43 I V VerglO). Zum Inhalt des Konkurseröffnungs- bzw. des Ergänzungsbeschlusses vgl. noch die § § 1 0 8 , 1 1 0 , 1 1 8 , 1 3 8 K O . Die „erste Gläubigerversammlung" ist nicht über einen Monat hinaus anzusetzen. Die Anmeldefrist für Konkursforderungen beträgt 2 Wochen bis 3 Monate und der Zwischenraum vom Ablauf der Anmeldefrist bis zum allgemeinen Prüfungstermin 1 Woche bis 2 Monate. Erste Gläubigerversammlung und allgemeiner Prüfungstermin können verbunden werden, man muß dann einen Tag zwischen 3 Wochen und einem Monat wählen. Der im letzten Absatz enthaltene „offene Arrest" spricht zunächst ein Leistungsverbot aus, das sich als gesetzliche Folge des mit der Eröffnung eintretenden Verlustes des Verfügungsrechts des Gemeinschuldners von selbst ergibt. Von erheblicherer Bedeutung ist das anschließende Anzeigegebot, weil seine Nichtbeachtung eine Schadensersatzpflicht begründet (§ 119). Hatte z.B. der Verwalter von der Zugehörigkeit einer Sache zur Masse nichts gewußt und infolgedessen die Verwertung zu günstigen Preisen unterlassen, und ist inzwischen der Preis gefallen (Wertpapiere! ModeartikelI), so haftet der Besitzer für den Mindererlös. Der offene Arrest trifft auch den Gerichtsvollzieher, der beim Schuldner gepfändete Sachen (Wertsachen, oben S. 219) als unmittelbarer Besitzer an sich genommen hat. — Mit der Konkurseröffnung wird das gesamte zu diesem Zeitpunkte vorhandene pfändbare Vermögen des Schuldners — die „Konkursmasse" (§ i 1 ) — für die Gesamtheit seiner Gläubiger — die „Konkursgläubiger" — mit Beschlag belegt und dient zu ihrer gleichmäßigen und gemeinschaftlichen Befriedigung nach Maßgabe der konkursmäßigen Rangordnung (§§ 3 1 , 61). Der Konkurs ist also als G e n e r a l e x e k u t i o n aufzufassen. Folgerichtig sind Einzelvollstreckungen oder -Arrestvoll-

Konkursrichter — Wesen des Konkurses

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Ziehungen von Konkursgläubigern während des Konkurses unzulässig (§ 14). Auch die Leistungsklage wird dem Konkursgläubiger versagt; er muß seine Forderung in dem besonderen Verfahren der § § 13 8 f. anmelden und abwarten, bis ihre Feststellung erfolgt und er durch den Verwalter die ihm zustehende Quote erhält. — Während nun bei der Einzelzwangsvollstreckung der Gläubiger an den zu seiner Befriedigung dienenden Vermögensstücken des Schuldners ein Pfandrecht erlangt und sie auf Grund dieses Pfandrechts versteigern läßt, erfolgt die Verwertung der Konkursmasse dergestalt, daß der Konkursverwalter, dem sie obliegt, zwar nicht geradezu fiduziarischer Eigentümer wird, aber doch das Verfügungs- und Verwaltungsrecht des Schuldners kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen ausübt §( 6 1 1 ). Demgemäß verliert der Schuldner — obgleich er Eigentümer der Konkursmasse bleibt — das Verfügungsund Verwaltungsrecht (§ 6 1 ), und es tritt s e p a r a t i o b o n o r u m ein, die sich auch auf die Prozeßführung und Aufrechnung erstreckt. — Da der Konkurs auf Versilberung der Masse abzielt, stellt er zugleich ein L i q u i d a t i o n s v e r f a h r e n dar, und zwar ein solches, bei dem der Liquidationsgedanke weit schärfer durchgeführt ist als bei der Liquidation von Handelsgesellschaften und juristischen Personen. Dort wird nämlich die Rechtsstellung Dritter nicht berührt, und die Abwicklung und Versilberung geschieht auf Grund der an sich bestehenden Rechtslage, so daß beispielsweise die laufenden Verträge mangels gegenteiliger Vereinbarung vollständig zu erfüllen sind und bei befristeten Forderungen und Schulden der Eintritt der Fälligkeit abgewartet werden muß. Dagegen treten im Konkurse zur Beschleunigung und Erleichterung des Verfahrens verschiedene Veränderungen ein: noch nicht erfüllte gegenseitige und andere Vertragsverhältnisse können vorzeitig aufgehoben werden (§§ 17f.), Geselli Schäften endigen (§§ 728 B G B , 1 3 1 6 H G B ) , Auseinandersetzungsbeschränkungen be-

Gemeinschaften, an denen der Gemeinschuldner beteiligt ist, treten außer Kraft (§ 1 6 1 1 KO), gestundete Forderungen von Konkursgläubigern — nicht auch Forderungen des Gemeinschuldners an Dritte — werden sofort fällig (§65), auf Individualleistung gerichtete Ansprüche verwandeln sich in Geldforderungen (§ 69), und zur Feststellung der Konkursforderungen ist das vereinfachte Anmeldungs- und Prüfungsverfahren (§§ 138f.) gegeben. — Die durch die Generalexekution begründete gemeinschaftliche Rechtsstellung der Konkursgläubiger, die „par conditio creditorum", führt schließlich zum Ausbau einer o r g a n i s i e r t e n G l ä u b i g e r g e m e i n s c h a f t , die im Gläubigerausschuß bzw. der Gläubigerversammlung mit Mehrheit entscheidende Bestimmungen über Art und Weise der Durchführung des Konkurses treffen, im Zwangsvergleich sogar Rechte gegen den Gemeinschuldner mit Wirkung für alle Gläubiger aufheben kann. Die Konkursmasse, wie sie der Verwalter bei Eröffnung des Verfahrens als „Bruttomasse" übernimmt, kann sich durch Anfechtung von Rechtshandlungen (Abt. I S. 89fr.) vergrößern. Sie kann sich durch A u s - u n d A b s o n d e r u n g s a n s p r ü c h e sowie durch A u f r e c h n u n g (§§ 53f.) verringern. Mit der Aussonderung (§ 43 f.) macht ein Dritter — analog der Intervention der Einzelvollstreckung — geltend, daß ihm Eigentum oder ein sonstiges die Veräußerung hinderndes Recht an einem Gegenstand zustehe und dieser Gegenstand daher aus der Masse gänzlich auszuscheiden sei. Bei der Absonderung (§§ 4,47f.) erhält der Berechtigte aus einem zur Masse gehörigen Gegenstand wegen seiner durch Hypothek, Pfandrecht usw. gesicherten Forderung vorzugsweise Befriedigung, wird also vom Konkurse insoweit nicht betroffen. Aus der nach Vorstehendem abgegrenzten Masse sind zunächst die Ansprüche der „ M a s s e g l ä u b i g e r " , nämlich „Masseschulden" (§ 5 9) und „Massekosten" (§58) zu decken. Es handelt sich hierbei nicht — wie bei Aus- und Absonderung — um Rechte, die mit gleichsam dinglicher Wirkung gegenüber der Masse geltend gemacht 23

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Berg)

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Konkursrichter — Unterschiede zwischen Vergleichs- und Konkursverfahren

werden, sondern um Ansprüche von bloß obligatorischer Natur. Die Massegläubiger unterliegen aber bei Durchführung ihrer Forderungen nicht den für die Konkursgläubiger geltenden besonderen Beschränkungen, sondern können mit Klage und Zwangsvollstreckung gegen den Verwalter vorgehen. Masseschulden und -kosten sind im wesentlichen nach der Eröffnung entstandene Ansprüche, vor allem die Verpflichtungen aus den Geschäften oder Prozessen des Verwalters. Reicht die Masse, was vorkommen kann, zur Befriedigung aller Massegläubiger nicht aus, so tritt unter ihnen die besondere Rangordnung des § 60 ein. Nach Berichtigung der Massegläubiger bleibt die „Netto-Masse" übrig, aus der nunmehr die K o n k u r s g l ä u b i g e r in der Rangordnung des § 61 zur Hebung gelangen. U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n V e r g l e i c h s - u n d K o n k u r s v e r f a h r e n : Das Konkursverfahren will die G l ä u b i g e r befriedigen durch L i q u i d a t i o n des Schuldnervermögens. Das Vergleichsverfahren will dem S c h u l d n e r helfen und seinen B e t r i e b e r h a l t e n , indem es seine Verbindlichkeiten herabsetzt. Das Konkursverfahren ist deshalb seinem Wesen nach Vollstreckungsrecht. Es stellt neben die Einzelvollstreckung die sog. Generalexekution, bei welcher nicht einzelne Gläubiger einzelne Vermögensgegenstände des Schuldners zwecks Befriedigung zwangsweise verwerten lassen, sondern in der für eine zum Zwecke der Befriedigung zusammengefaßte Gläubigergemeinschaft das gesamte Vermögen des Schuldners in einem besonderen Verfahren zwangsweise versilbert wird. Demgegenüber ist das Vergleichsverfahren — trotz zahlreicher vollstreckungsrechtlicher Bestimmungen — seinem Wesen nach kein Vollstreckungsrecht. Vielmehr sucht es die Generalexekution dadurch zu verhindern, daß es die materiellrechtliche Situation des Schuldners seiner wirtschaftlichen Situation anpaßt. Während das Vollstreckungsrecht einen bestimmten Vermögensgegenstand erfassen muß (so der Konkurs das gemeinschuldnerische Vermögen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung; vgl § 1 KO), kennt das Vergleichsverfahren keine „separatio bonorum". Es kann einen derartigen Unterschied zwischen Alt- und Neuvermögen nicht machen, weil sich der Verfahrenszweck schon in der materiellrechtlichen Beschränkung der Gläubigeransprüche erfüllt, so daß eine darüberhinausgehende vollstreckungsrechtliche Begrenzung der Gläubigerrechte sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Das Vergleichsverfahren kennt demzufolge auch nicht die starken Beschränkungen, welche den Gemeinschuldner infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Konkursverwalter ( § 6 KO) hinsichtlich des Altvermögens (Konkursmasse) treffen. Verfügungsund Verwaltungsrecht, Aktiv- und Passivlegitimation verbleiben grundsätzlich dem Schuldner. Dessen Stellung kann lediglich fakultativ in gewissem Umfang durch Verfügungsbeschränkungen (§§ 58fr. VerglO) und durch eine Verstärkung der Stellung des Vergleichsverwalters (vgl S. 340 und 345) eingeengt und der des Gemeinschuldners in etwa angenähert werden. Auch die Vorschriften über Nichterfüllung bzw. außerordentliche Kündigung laufender Verträge (vgl S. 347) beruhen weniger auf der „Liquidations"-Idee des Konkurses als vielmehr auf dem Gedanken, dem Schuldner zu helfen, sich von drückenden Verträgen zu lösen, welche wirtschaftlich nicht durchführbar sind und den Vergleich gefährden. Trotz Anlehnung der VerglO an die K O hinsichtlich der verschiedenen Gläubigerkategorien kennt das Vergleichsverfahren nicht die konkursrechtliche Rangfolge der mehr oder weniger begünstigten Gläubiger, sondern unterscheidet nur zwischen Gläubigern, die am Vergleich beteiligt und nicht beteiligt sind. Die Vorrechtsgläubiger der K O sind keine Vergleichsgläubiger (§ 26 I VerglO). Noch weniger gibt es im Vergleichsverfahren Massegläubiger. Hierfür fehlt es schon an der separatio bonorum, an dem Vorhandensein einer Teilungsmasse. Gläubiger, deren Ansprüche auf einer besonderen Beziehung zum Verfahren, nämlich auf das Verfahren ermöglichenden oder begünstigenden Vorgängen beruhen, sind im Vergleichsverfahren einfach „nichtbeteiligte" Gläubiger (vgl. z.B. § 26 II VerglO). Das Forderungsanmelde- und Prüfungsverfahren dient nach der VerglO primär dem Zweck der Stimmrechtsfeststellung, mit welcher der Kreis der Gläubiger festgelegt wird, der die Annahmeerklärung zum Vergleichsvorschlag abgibt oder verweigert. Nur sekundär wird die hierzu notwendige Forderungsfeststellung gleichzeitig zur Titulierung der betreffenden Forderungen benutzt. Das konkursrechtliche Feststellungsverfahren dient dagegen nur der Befriedigung und Titulierung der Forderungen. Schließlich kennt das Vergleichsverfahren nicht die Anfechtung von Rechtshandlungen des Schuldners, die die Gläubiger benachteiligen. Das Institut der Anfechtung, das oft langwierige Rechtsstreitigkeiten zur Folge hat, würde dem Wesen des auf eine beschleunigte Abwicklung angelegten Vergleichsverfahrens widersprechen. Der Gefahr

Konkurs richter — Verfügung bei Konkurseröffnung

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der Verminderung des frei verfügbaren Vermögens während der wirtschaftlichen Krise sucht die VerglO durch die Sperrfrist des § 28 VerglO zu begegnen, wodurch alle Zwangs Vollstreckungsmaßnahmen aus den letzten 29 Tagen vor dem Vergleichsantrag erfaßt werden, die betreffenden Gläubiger am Vergleich beteiligt bleiben und ihre Sicherungen oder Befriedigungen mit der Vergleichsbestätigung oder Anschlußkonkurseröffnung unwirksam werden (§§ 87, 104 VerglO).

Verfügung zum Eröffnungs- und Ergänzungsbeschluß: „ 1 . Eröffnungs- und Ergänzungsbeschluß zustellen mit Post-Zust.-Urk: a) an Gemeinschuldner mit Zusatz: Das persönliche Erscheinen zu den Terminen am 15. November 1959 und 29. Dezember 1959 wird angeordnet, b) an Wagner & Co. z. H. von RA. Schwärs^ c) dem Verwalter, d) durch Aufgabe zur Post: den der Person nach bekannten Gläubigern und Schuldnern."

Vgl. § § 7 3 " , 771. i n 1 1 1 , KO. Abweichend vom Vergleichsverfahren unterliegen in Konkurssachen grundsätzlich alle Entscheidungen der sofortigen Beschwerde nach den Vorschriften der ZPO (§§ 72> 73 111 KO). Bei duae difformes weitere Beschwerde (§ 568" ZPO). Beschwerdefrist: zwei Wochen (§ 577"). Ausschluß der Beschwerde gegenüber Stimmrechtsentscheidungen S. 378, der weiteren Beschwerde in Zwangsvergleichssachen S. 381. Die Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluß steht nur dem Gemeinschuldner, nicht auch dem Gläubiger, zu (§ 109 KO, §§ 1911 S. 2, 80 11 S. 2, 9ÖVI S. 2, 101 S. 2 VerglO). „2. Bekanntmachung gemäß § m 1 , 1 1 KO in a) Bundesanzeiger, b) Regierungsamtsblatt, c) Kölnische Rundschau, Stadtausgabe, d) Kölner Stadt-Anzeiger, Stadtausgabe.

Die Bekanntmachung, welche mit Ablauf des zweiten Tages nach Ausgabe des Amtsblattes als vollzogen gilt (§ 76 1 S. 2), ersetzt alle vorgeschriebenen Zustellungen (§ 76111). Wegen § 98 muß sie die Tagesordnung der ersten Gläubigerversammlung im einzelnen wiedergeben, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Versammlung für nicht ordnungsmäßig einberufen und die in ihr gefaßten Beschlüsse für nichtig erklärt werdenl Vgl. JW 31, 258821, aber auch RGZ 143, 266; 149/185. „3. Dem Verwalter ist Bescheinigung gemäß § 8 1 1 1 KO zu erteilen. 4. Beglaubigte Abschrift des Eröffnungs- und Ergänzungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft."

Die Staatsanwaltschaft schickt später dem Verwalter einen ausführlichen Fragebogen zur Ausfüllung zu. Von den Antworten des Verwalters hängt es gewöhnlich ab, ob gegen den Gemeinschuldner oder dritte Personen ein Strafverfahren wegen Konkursvergehens oder -Verbrechens (§§ 239f.) eingeleitet wird. Besonders häufig kommt in der Praxis einfacher Bankrott, begangen durch Unterlassung oder unordentliche Führung der Handelsbücher (§ 2403), vor. „ 5. desgl. dem Amtsgericht, Handelsregister."

Nach § 32 HGB ist im Handelsregister, und zwar in Sp. 5: „Rechtsverhältnisse bei Einzelkaufleuten", die Eröffnung des Konkurses von Amts wegen einzutragen. „6. desgl. dem Amtsgericht Köln, Grundbuchamt zu den Grundakten von Ehrenfeld Bd. IV Bl. Nr. 97 und dem Amtsgericht Brühl, Grundbuchamt, zu den Grundakten von Brühl Bd. V Bl.Nr. 145 mit dem Ersuchen um Eintragung des Konkursvermerks."

Vgl. § 113 KO. Gehören Hypotheken zur Masse, so trägt das Grundbuchamt den Konkursvermerk ausnahmsweise ohne Vorlegung des Briefes ein. Der Konkursvermerk bewirkt absolute Sperrung des Grundbuchs gegen Verfügungen des Gemeinschuldners. „7. desgl. dem Amtsgericht, Abt. für Vormundschaftssachen, hier mit dem Bemerken, daß Geier ein minderjähriges Kind zweiter Ehe hat." 23«

Konkursrichter — öffentlichrechtliche Stellung des Gemeinschuldners V g l . §§ 1670, 1680 B G B i . d . F a s s g . des Gleichberechtigungsgesetzes. D i e Konkurseröffnung führt auch eine Minderung der staatsbürgerlichen Stellung des Gemeinschuldners herbei. Z w a r behält er sein aktives und passives Wahlrecht, aber er verliert die Fähigkeit, Schöffe oder Geschworener (§§ 32®, 84 G V G ) oder Beisitzer im Arbeitsgericht (§ 2 i n A r b G G ) zu sein oder ein Ehrenamt der Reichsversicherungsordnung zu bekleiden (§ 1 2 2 R V O ) . Diese Unfähigkeit tritt übrigens in g l e i c h e r w e i s e bei Erlaß eines „allgemeinen Veräußerungsverbots" im Vergleichsverfahren (S. 3 4 5 ) oder Konkurseröffnungsverfahren (S. 3 5 1 ) ein, weil dadurch der Schuldner ebenfalls „ i n f o l g e gerichtlicher A n o r d n u n g in der V e r f ü g u n g über sein V e r m ö g e n beschränkt" wird. Besondere Benachrichtigungen an die mit der A u f stellung der Schöffenliste u s w . befaßten Behörden ergehen nicht; sie müssen aus den öffentlichen Bekanntmachungen selbst die im K o n k u r s e oder unter allgemeinem V e r äußerungsverbot stehenden Personen ausfindig machen. „8. desgl. a) der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle Köln, b) der Stadtgemeinde Köln, Köln, c) der Industrie- und Handelskammer, Köln, d) dem Amtsgericht, Vollstreckungsgericht, Köln. 9. Eröffnungs- und Ergänzungsbeschluß abschrifdich (formlos) mitteilen: a) der Gerichtskasse Köln, b) der Zwangsvollstreckungsstelle des städt. Steueramts, Köln, c) dem Finanzamt Köln-Nord, Köln, d) der allgemeinen Ortskrankenkasse Köln, e) der Krankenkasse der Wirteinnung, Köln, f) der Berufsgenossenschaft, g) der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Düsseldorf, h) Reg.-Insp. Schmitt Kontrollbeamter der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Köln, Eduardstraße 14, i) dem Fernmeldeamt, Köln-Ehrenfeld, Venloerstraße 156, k) dem Postscheckamt Köln, 1) dem Arbeitsgericht zu K ö l n . " V g l . § 1 2 P r A G K O ; R F B 1 3 1 , 9 ; A V P r J M B l v o m 1 1 . Oktober 1 9 2 7 ( P r J M B l 3 1 9 ) und v o m 1 2 . N o v e m b e r 1 9 2 7 ( P r J M B l 344). I m übrigen erscheint die Mitteilung an die oben genannten Stellen auch deshalb zweckmäßig, weil diese erfahrungsgemäß meist v o n dem Konkursverfahren berührt werden. „ 1 0 . Ersuchen an das Post- und Telegraphenamt um Aushändigung aller für den Gemeinschuldner unter seinem bürgerlichen Namen oder seiner Firma eingehenden Sendungen an den Verwalter." Vgl. § 121 K O . „ 1 1 . Konkursverwalter unter Ubersendung des üblichen Schreibens auffordern: a) binnen zwei Wochen ein genaues Verzeichnis der Gläubiger und Schuldner, sowie binnen drei Wochen eine Abschrift des Inventars und der Bilanz einzureichen (§ 124 KO). Einem etwaigen Antrag gemäß § 123 2 K O auf Befreiung von der Vorschrift des § i 2 3 1 K O , wonach die einzelnen zur Konkursmasse gehörigen Gegenstände unter Zuziehung einer obrigkeitlichen oder einer Urkundsperson aufzuzeichnen sind, wird binnen 1 Woche entgegengesehen. b) die eingehenden Konkursgelder, die Wertpapiere und Kostbarkeiten bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts in Köln oder bei der Städtischen- oder Kreissparkasse in Köln zu hinterlegen und die Hinterlegung dem Gericht nachzuweisen. c) dem Gericht zum erstenmal spätestens am 15. November 1959 Bericht über den Stand des Verfahrens zu erstatten.

Konkursrichter — Zweck und Vorteile des Konkursantrags

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d) die grundbuchmäßige Bezeichnung des etwaigen weiteren Grundbesitzes des Gemeinschuldners oder seiner etwaigen dinglichen Rechte festzustellen und gemäß §113 K O die Eintragung des Sperrvermerks herbeizuführen. 12. Zählkarte A fertigen. 1}. Die Geschäftsbücher des Gemeinschuldners sind zu schließen."

Die Schließung erfolgt nach § 122" durch Vermerk hinter der letzten Bucheintragung : „Wegen Eröffnung des Konkursverfahrens geschlossen. Köln, 5. November 1959. Amtsgericht. Geschäftsstelle. (Siegel)

Urkund als Urkundbeamter."

Schließlich wird eine Vorlegung: „14. nach 2 Wochen"

notiert, um den Eingang des vom Verwalter einzureichenden Gläubiger- und Schuldnerverzeichnisses, des Inventars nebst Bilanz (§§ 123, 124) sowie die Zustellungen zu 1 der Verfügung zu kontrollieren. Nach Eingang der Gläubiger- und Schuldnerliste werden etwa noch fehlende Zustellungen nachgeholt. Der Referendar: Haben Wagner & Co. nicht eigentlich gegen ihr Interesse gehandelt, indem sie die Eröffnung des Konkurses herbeiführten ? Vorher hatten sie die Chance, durch geschickte Vollstreckungsmaßnahmen, gegebenenfalls unter Anwendung des Offenbarungseidzwanges und durch Anfechtung benachteiligender Verfügungen nach dem Gesetz vom 21. Juli 1879 zur vollen Befriedigung zu gelangen. Im Konkurse können sie bloß die allgemeine Quote erhalten. Der Richter: Sie übersehen, daß Wagners Forderung vor dem 2. November noch gar nicht fällig ist. Aber auch ein Gläubiger, dessen Forderung fällig ist und der einen vollstreckbaren Schuldtitel in der Hand hat, wird es bald müde sein, die Beitreibung seines Anspruchs auf dem Wege der Einzelvollstreckung zu versuchen. Die Erfahrung lehrt, daß man mit den Hilfsmitteln des Offenbarungseides und der Anfechtung nicht zum Ziele kommt, wenn der Schuldner böswillig oder seine Vermögenslage undurchsichtig ist. Dem Konkursverwalter stehen ganz andere Machtmittel zu Gebote. Er nimmt die gesamte Masse einschließlich der — von der Einzelvollstreckung ausgenommenen (§ 811 11 ZPO) — Geschäftsbücher und Korrespondenzen des Gemeinschuldners (§ 1 1 1 1 KO) in Besitz und kann daher in die verworrenen Verhältnisse hineinleuchten und alles Erreichbare zur Masse ziehen. Praktisch hat die Konkursdividende oft mehr Wert als die theoretische Aussicht auf hundertprozentige Befriedigung durch Einzelvollstreckung. Hierzu kommt, daß das im Konkursfall geltende Recht für die Gläubiger in einer Reihe von Punkten materiell günstiger ist: die Pflicht zum Offenbarungseid besteht ohne die dreijährige Schonfrist des § 903 Z P O (§125 KO), die Anfechtung benachteiligender Rechtshandlungen wird erweitert, die Geltendmachung von Eigentumsansprüchen des Ehegatten (§45 K O i. d.Fassg. des Gleichberechtigungsgesetzes) erschwert, Auseinandersetzungsbeschränkungen treten außer Kraft, und langfristige, für den Schuldner ruinöse Verträge können mit Hilfe der §§ 17t abgeschüttelt werden (S. 395 f.). Aus welchen Gründen stellt ein Gemeinschuldner Konkursantrag ? Hauptsächlich um dem Vorwurf zu entgehen, er habe sein Vermögen bei Seite gebracht oder einzelne Gläubiger durch Hinausschiebung des Konkurses begünstigt (§§ 2391, 2402, 241). In den meisten Fällen hofft er außerdem, im Konkurse zu einem Zwangsvergleich zu gelangen, der nicht an die Mindestquote des Vergleichsverfahrens (§ 7 VerglO) gebunden ist. Die Vorstände gewisser juristischer Personen sind sogar aus-

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Konkursrichter — Vorläufiger Gläubigerausschuß

drücklich verpflichtet, zur Vermeidung zivil- und strafrechtlicher Folgen innerhalb von 2 Wochen seit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Feststellung der Überschuldung entweder Konkurs oder gerichtliches Vergleichsverfahren zu beantragen (§§ 42 1 1 , 48 1 S. 2, 86, 1489", 1980, 1985 1 1 BGB, §§ 8 3 " , 209«, 219m, 2 2 5 " AktG, 641, 84 GmbHG, 991, 140 GenG).

Referendar: Wie lange kann der Schuldner die Eröffnung des Konkurses dadurch abwenden, daß er den antragstellenden Gläubiger aus2ahlt? Richter: Ohne weiteres nur bis zum Eröffnungsbeschluß. Nachher ist eine einfache Rücknahme des Antrags nicht mehr möglich. Der Schuldner kann aber noch sofortige Beschwerde einlegen und den Nachweis versuchen, daß es an einer der Voraussetzungen des Konkurses, z. B. der Zahlungsunfähigkeit, gefehlt habe. Bleibt die Beschwerde erfolglos oder war die Frist bereits abgelaufen, so läßt sich der Konkurs nur noch dadurch aus der Welt schaffen, daß man gemäß §§ 202 f. K O Einverständniserklärungen der sämtlichen Konkursgläubiger beibringt: ein recht umständliches Verfahren, welches überdies die materiellen Rechtswirkungen der einmal rechtskräftig erfolgten Konkurseröffnung nicht wieder beseitigt. V o r l ä u f i g e r G l ä u b i g e r a u s s c h u ß . Alsbald nach der Eröffnung beantragt der Verwalter unter Hinweis auf den Umfang und die Schwierigkeit der Sache die Bestellung eines Gläubigerausschusses, für den er die Mitglieder des im Vergleichsverfahren tätig gewesenen Gläubigerbeirats vorschlägt. Vor der ersten Gläubigerversammlung steht dem Konkursgericht die Befugnis zur Bestellung eines provisorischen Gläubigerausschusses zu. Es ist nicht bei der Auswahl der Mitglieder — wie später die Gläubigerversammlung — unbeschränkt, sondern darf nur Gläubiger oder Gläubigervertreter wählen (§ 871). Die gesetzlichen Voraussetzungen sind bei den Vorgeschlagenen gegeben. Verfügung: „ 1 . Beschluß. In dem Konkursverfahren usw. wird ein Gläubigerausschuß bestellt, bestehend aus dem Likörfabrikanten Fritz Falke, dem Bankier Ernst Haser und dem RA. Schwarz, sämtlich in Köln. 2. Zuzustellen dem Verwalter und Gemeinschuldner. 3. Nachricht1 den Mitgliedern des Gläubigerausschusses mit der Anfrage, ob sie das Amt annehmen."

Die Bestellung des Gläubigerausschusses hat zur Folge, daß der Verwalter nunmehr verpflichtet ist, in den in §§ 133f. bezeichneten wichtigeren Angelegenheiten die vorherige Genehmigung des Ausschusses einzuholen. Diese Vorschrift hat aber nur für das Innenverhältnis Bedeutung, indem der Verwalter durch Handeln ohne Genehmigung sich verantwortlich macht (§82), vielleicht auch Grund zu seiner Entlassung gibt (§ 841 S. 2); nach außen hin sind die Maßnahmen des Verwalters ohne Rücksicht auf die Einholung der Genehmigung rechtsgültig, so daß z. B. der Grundbuchrichter den Nachweis der Genehmigung des Gläubigerausschusses niemals fordern darf (§ 136). Eine Ausnahme besteht nur bezüglich der Abhebungen und Anweisungen im Verkehr mit der Hinterlegungsstelle, der gegenüber die Mitzeichnung eines Gläubigerausschußmitglieds notwendig ist (§ 137). Eine viel vernachlässigte Pflicht des Gläubigerausschusses geht dahin, allmonatlich wenigstens einmal die Kasse des Verwalters durch eines seiner Mitglieder prüfen zu lassen (§ 88 1 1 S. 2). Besonders vorsichtige Konkursrichter lassen sich über die erfolgte Kassenprüfung jedesmal eine Bescheinigung zu den Akten einreichen und notieren Fristen für die Einreichung. Konkursakten: Sehr wichtig ist für den Konkursrichter die zweckmäßige und übersichtliche Führung der Akten. Nach §§ I4f. AktO werden in Konkurssachen stets zwei Aktenbände angelegt, nämlich, a) Verfahren, b) Schuldenmasse.

Konkurs richter — Erste Gläubigerversammlung Auf •werden: c) d) e)

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Anordnung des Richters können daneben noch folgende weitere Aktenbände angelegt Teilungsmasse, Verteilungen, Zwangsvergleichsvorschläge

und nach Ermessen des Gerichts weitere Sonderbände. Alle Schriftstücke von allgemeiner Bedeutung — Eröffnungsbeschluß mit Verfügung, Protokoll der ersten Gläubigerversammlung, Berichte des Verwalters, Protokoll des Schlußtermins, Beschwerden, Beschwerdeentscheidungen usw.— werden zu Band a genommen. Erste Gläubigerversammlung

Die Konkursgläubiger sind Herren des Verfahrens. Die Wahl des Verwalters, des Gläubigerausschusses, die Art und Weise der Verwertung der Masse und der Abwicklung des Konkurses: alles das steht grundsät2lich in ihrem freien Belieben, und der Konkursverwalter ist an die Beschlüsse und Weisungen der Gläubigerversammlung gebunden. Vor der ersten Gläubigerversammlung fehlt es noch an einer Organisation der Gläubiger, so daß Konkursverwalter und Gläubigerausschuß provisorisch vom Gericht ernannt werden müssen (§§ 78 l , 871 KO). Erst mit dieser Versammlung tritt die Autonomie der Konkursgläubiger in Kraft. Das Gericht übt bloß noch eine gewisse Oberaufsicht aus, indem es die Ernennung des von der Versammlung gewählten Verwalters versagen und auf den in der Versammlung zu stellenden Antrag des Verwalters oder eines überstimmten Gläubigers im gemeinschaftlichen Interesse aller Konkursgläubiger die Ausführung eines Versammlungsbeschlusses untersagen kann. Der Streit wird dann im Beschwerdewege ausgetragen. §§ 80 S. 2 , 99, 73 1 1 1 Die erste Gläubigerversammlung des Geierschen Konkurses nimmt einen glatten Verlauf: „Gegenwärtig AGR. Richter als Richter Schreiber als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Köln, den 15. November 1959.

In dem Konkursverfahren usw. erschienen nach Aufruf im heutigen Termin zur ersten Gläubigerversammlung: 1. der Konkursverwalter Treuhänder Müller, 2. der Gemeinschuldner, 3. die folgenden Gläubiger und Bevollmächtigten von Gläubigern:

Während Gläubiger bevorrechtigter Konkursforderungen (§ 611-5) am Vergleichsverfahren überhaupt nicht beteiligt sind (§ 261 VerglO), haben sie im Konkurse grundsätzlich alle Rechte von Konkursgläubigern, insbesondere Stimmrecht in den Gläubigerversammlungen. Ausnahme für den Zwangsvergleich: unten S. 373. „Der Konkursverwalter erstattete Bericht über die Entstehung der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners, über die Lage der Sache und über die bisher ergriffenen Maßregeln. Darnach steht für die nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger, soweit sich die Sachlage zur Zeit übersehen läßt, eine Dividende von 30—37% in Aussicht."

Vgl. § 131 K O . „Es wurde von der Versammlung beschlossen: 1. Der Treuhänder Fritz Müller wird als Konkursverwalter beibehalten. 2. Es soll ein Gläubigerausschuß von 3 Mitgliedern gewählt werden. Gewählt wurden die Herren Likörfabrikant Fritz Falke, Bankier Ernst Haser und RA. Schwär^, sämtlich in Köln. Diese nahmen die Wahl an. 3. Bezüglich der Fortführung oder Schließung des Geschäfts des Gemeinschuldners: Die Entscheidung wird dem Gläubigerausschuß überlassen."

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Konkursrichter — Bericht des Konkursverwalters

Die Übertragung des der Gläubigerversammlung zustehenden Bestimmungsrechts auf den Gläubigerausschuß ist zulässig und zweckmäßig, weil der Ausschuß nötigenfalls schneller zusammentreten und beschließen kann, als die etwas schwerfällige Gläubigerversammlung. „4. Dem Gemeinschuldner wird eine einmalige Unterstützung von 400 D M bewilligt."

Die Bewilligung steht im freien Belieben der Versammlung. Sie rechtfertigt sich aus der Erwägung, daß der Schuldner nach Konkurseröffnung dem Verwalter in großem Umfang Auskünfte erteilen muß und dadurch behindert ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Die Unterstützung hat die Natur eines Massekostenanspruchs, der allen anderen Ansprüchen von Massegläubigern nachgeht (§§ 5 8 3 , 60). „ 5 . Die eingehenden Gelder sollen bei der Städtischen Bank in Köln zu den dort üblichen Bedingungen hinterlegt werden. Quittungen des Verwalters über Empfang von Geldern, Wertpapieren und Kostbarkeiten auf die Hinterlegungsstelle bedürfen zu ihrer Gültigkeit keiner Mitzeichnung eines Mitgliedes des Gläubigerausschusses, wenn ihr Gegenstand höchstens 100 D M beträgt. Der Verwalter ermächtigt die jeweiligen Mitglieder des Gläubigerausschusses, sich jederzeit vom Stand des Kontos der Konkursmasse bei der Städtischen Bank zu überzeugen, und weist die Städtische Bank unwiderruflich an, jede Abhebung auch dem Konkursgericht sowie den sämtlichen Mitgliedern des Gläubigerausschusses mitzuteilen."

Die Bestimmungen des § 1 3 7 sind dispositiver Natur. Der Beschluß der Gläubigerversammlung setzt sie für kleinere Beträge außer Kraft, weil hier das Erfordernis der Mitzeichnung eines Gläubigerausschußmitglieds eine überflüssige Formalität darstellt. Andererseits sollen alle Mitglieder des Gläubigerausschusses und das Gericht fortlaufend über den Stand des Kontos unterrichtet sein, damit etwaige Unregelmäßigkeiten des Verwalters sofort bemerkt werden. Die vom Verwalter erteilten Ermächtigungen und Anweisungen sind wegen des Bankgeheimnisses notwendig: denn von selbst sind nach außen hin weder der Gläubigerausschuß noch das Gericht zur Wahrnehmung der der Konkursmasse zustehenden Rechte befugt. „6. Der Verwalter soll der Gläubigerversammlung in den abzuhaltenden Terminen, dem Gläubigerausschuß auf dessen Verlangen jederzeit über die Verwaltung und Verwertung der Masse Bericht erstatten und Rechnung legen. Der Verwalter überreichte seine Bestallung zwecks Berichtigung."

Nämlich zum Vermerk der Wahl des Gläubigerausschusses und des den § 137 abändernden Beschlusses zu 5. „Sämtliche Beschlüsse und Wahlen sind einstimmig gefaßt. Vorgelesen, genehmigt."

Die Einstimmigkeit erspart dem Gericht die Aufstellung einer Stimmliste und die Festsetzung des Stimmrechts. Letztere gestaltet sich gerade in der ersten Gläubigerversammlung sehr schwierig, da festgestellte Forderungen — die nach § 95 1 S. 1 in Höhe ihres Betrages ohne weiteres Stimmrecht besitzen — vor Abhaltung des allgemeinen Prüfungstermins nicht vorhanden sind. Vgl. im übrigen unten S. 377f. — Der in der Versammlung vom Verwalter vorgetragene und zu den Akten überreichte Bericht schildert in seinem ersten Teil die Entwicklung der Geierschen Unternehmungen, die Ursache der Zahlungsunfähigkeit und den Verlauf des Vergleichsverfahrens, nimmt wegen der Lage der Sache im allgemeinen auf das aufgestellte Inventar und die Bilanz (S. 357) Bezug und fährt fort: „Das Ergebnis des Verfahrens wird in der Hauptsache davon abhängen, ob es gelingt, die vorhandenen Vermögensstücke zu guten Preisen zu verwerten. Die beiden Grundstücke, welche

Konkursrichter — Anfechtung

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ich in die Bilanz mit den Steuereinheitswerten eingesetzt habe, sind in der Hand eines geschickten Fachmanns erheblich mehr wert; es ist jedoch zweifelhaft, ob sich geeignete Käufer für diese großen Objekte finden werden, zumal die ,Union'-Bank auf Auszahlung ihrer auf dem ,Lunapark' eingetragenen, mit ca. 63 000 D M valutierten und an sich fälligen Höchstbetragshypothek besteht, und der Gläubiger der zweiten Hypothek des Briihler Grundstücks, Niische, sogar bereits die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung betreibt. Läßt sich kein angemessener Erlös für das Brühler Grundstück erzielen, so ist mit einer erheblichen Ausfallforderung des dritten Hypothekengläubigers Wilhelm Geier zu rechnen, während bei günstiger Verwertung ein Uberschuß für die Masse verbleiben würde. Der Wert des .Lunapark'-Grundstücks ist unter allen Umständen höher als die hypothekarische Belastung. Wegen des Eigentums an der Achterbahn und dem Zyklon-Rad, die auf 40000 D M zu veranschlagen sind, schwebt zwischen dem Geldgeber Augustin und dem Gemeinschuldner ein Rechtsstreit. Das Weinlager in Werte von 18 bis 22000 D M ist dem Gläubiger Anlaufzeit Deckung seiner weit höheren Forderung vor 1V2 Jahren sicherungsübereignet worden."

Sodann beschäftigt sich der Bericht mit der Möglichkeit, die Aktivmasse durch Anfechtung, vor allem durch „Konkurs-Pauliana" (Abt. I S. 90 zu c), zu vergrößern. Dieser Anfechtung liegt der Gedanke zugrunde, daß die par conditio creditorum (S. 3 5 3 f.) im materiellen Konkurse nicht mehr zugunsten einzelner Konkursgläubiger verschoben werden soll. Das Gesetz unterscheidet kongruente und inkongruente Deckungen. „ K o n g r u e n t " ist eine Deckung, wenn der Gläubiger genau das erhält, was er vom Gemeinschuldner zu beanspruchen hatte: in diesem Falle sind nur die nach der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsantrag vorgenommenen Handlungen anfechtbar und der Konkursverwalter muß dem Anfechtungsbeklagten die Kenntnis der Zahlungseinstellung bzw. des Eröffnungsantrages nachweisen (§ 30 1 ). „ I n k o n g r u e n t " sind Leistungen und Sicherheiten, die der Gläubiger überhaupt nicht oder nicht in der Art (datio in solutum! nachträgliche freiwillige Sicherung einer Forderung!) oder nicht zu der Zeit (vorzeitige Leistung) zu beanspruchen hatte. Auf dem inkongruenten Geschäft ruht von vornherein ein gewisser Verdacht, deshalb unterliegt es der Anfechtung auch, wenn die Vornahme in die letzten 10 Tage vor Zahlungseinstellung bzw. Eröffnungsantrag fällt, und im Prozeß muß unter Umkehrung der sonst geltenden Beweislastregeln der Anfechtungsbeklagte dartun, daß ihm weder die Zahlungseinstellung noch der Eröffnungsantrag noch die Absicht des Schuldners, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, bekannt war (§ 302). Das vom Gläubiger einer Geldforderung erwirkte Pfändungspfandrecht wird von der Rechtsprechung als inkongruente Deckung aufgefaßt, weil das materielle Recht dem Gläubiger kein Pfandrecht gewährt. Folglich gelten für die Anfechtung von Pfändungen die verschärften Bestimmungen des § 30 2 (vgl. R G Z 78/334). Sogar wenn z. Zt. der Konkurseröffnung das Pfand bereits versteigert und der Erlös abgeführt war, so daß der Gläubiger im Endergebnis das ihm materiellrechtlich zustehende Geld erlangt hatte, wird § 302 angewandt, denn der Erlös ist Surrogat des inkongruenten Pfändungspfandrechts und wie dieses zu behandeln (RG 40,89). Zu einer kongruenten Deckung kommt es bei der Beitreibung von Geldforderungen nur in dem seltenen Falle, daß der Gerichtsvollzieher beim Schuldner bares Geld pfändet, weil hier die Wegnahme bereits als Zahlung gilt, ein Pfandrecht daher gar nicht erst zur Entstehung gelangt (§ 8 1 5 1 1 1 ZPO, oben S. 219). Die Vorausabtretung künftiger Forderungen zu Sicherungszwecken unterliegt der Konkursanfechtung gemäß § 30 Ziff. 1 Halbs. 2 insoweit, als eine Forderung zufolge einer Rechtshandlung des Sicherungsgebers nach Kenntnis des Sicherungsnehmers von der Zahlungseinstellung des Sicherungsgebers entstanden ist. B G H 30, 238.

Neben der Anfechtung sind aber bei den Geierschen Pfändungen die Vorschriften für „ A n s c h l u ß k o n k u r s e " ( „ ü b e r g e l e i t e t e K o n k u r s e " ) zu beachten. Hierunter versteht man einen Konkurs, der bei Ablehnung eines Vergleichsantrags, bei Einstellung des Vergleichsverfahrens, Versagung der Bestätigung oder bei Nichterfüllung des Vergleichs eröffnet wurde (§§ 19 1 , 80 1 , 96 v , 101, 102 VerglO). Beim An-

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Konkursrichter — Anfechtung an Pfändungen

schlußkonkurs werden Vollstreckungsmaßregeln aus den letzten 29 Tagen vor Stellung des Vergleichsantrags mit Konkurseröffnung von selbst — also ohne Anfechtung — unwirksam und das etwa Beigetriebene ist als rechtlose Bereicherung herauszugeben (§ 104 VerglO). Der pfandende Gläubiger hat also eine überaus ungünstige Rechtsposition. War seine Pfändung später als am 30. T a g vor dem Vergleichsantrag bewirkt, so nützt es ihm nichts, daß damals vielleicht noch keine Zahlungseinstellung vorlag oder daß er gutgläubig war; liegt aber die Pfändung weiter zurück, so kann gleichwohl die Anfechtung aus § 30 2 K O durchgreifen, sofern die Zahlungseinstellung binnen 10 Tagen seit der Pfändung eintrat: „Von den vorliegenden Vollstreckungshandlungen einzelner Konkursgläubiger sind die von Augustin und Olbrtcbam 15. August und von Rilekert am 12. September sowie Spindler am 18. September erwirkten Pfändungen, weil später als am 30. Tage vor Stellung des Vergleichsantrags vorgenommen, ohne weiteres unwirksam. Wahrscheinlich sind aber auch die Pfändung Birkes vom 4. August und die Hypothekenvormerkung des Preuß anfechtbar, weil Geier bereits längere Zeit vor dem Rundschreiben vom 28. August, ungefähr am 23. oder 24. Juli, durch Nichteinlösung seiner Wechsel als Folge der Kreditsperrung seitens der Bank die Zahlungen eingestellt hatte. Nach der mir erteilten Information soll Geier noch im Juli gegenüber Birke und Preuß erklärt haben, daß er .fertig* sei." Der Pfändungsgläubiger Birke muß sich hinsichtlich der Kenntnis der Zahlungseinstellung exkulpieren. Bei Preuß liegt der Schulfall einer kongruenten Deckung vor, weil er als Bauhandwerker einen gesetzlichen Anspruch auf Sicherungshypothek besaß (§ 648 B G B ) , so daß ihm der Verwalter die Kenntnis nachzuweisen hat. Gilt bei Anfechtung von Pfändungen der Gerichtsvollzieher als Vertreter des pfändenden Gläubigers im Sinne des § 166? Dies würde den guten Glauben des Pfändungsgläubigers fast immer zerstören, weil — infolge des Bezirksystems — der Gerichtsvollzieher die für eine Zahlungseinstellung maßgebenden Pfändungen, Klage- und Urteilszustellungen, Wechselproteste usw. besonders gut kennt. Die herrschende Meinung verneint die Frage (RG 90,193; Jaeger Anm 20 zu § 30). Das stimmt überein mit der fiir den Gerichtsvollzieher bis auf einige gesondert gelagerte Ausnahmefalle jetzt ganz überwiegend vertretenen Amtstheorie (vgl. Stein-Jonas-Schönke, 18. Aufl. Vorbem 5 vor § 166 mit Zitaten). Für Kenntnis seines Rechtsanwalts muß der Gläubiger zweifellos aus § 166 BGB einstehen. Welcher Zeitpunkt ist für die Anfechtung der Preußschen Vormerkung maßgebend? Nach herrschender Ansicht (Jaeger 35 zu § 30 mit Rechtsprechung und Literatur) die vollendete Entstehung des Rechts, d. i. der 6. August (vgl. S. 342). Aber auch wenn man in analoger Anwendung von § 892H — eine direkte kommt nicht in Betracht, weil die Zahlungseinstellung nicht zu den aus dem Grundbuch ersichtlichen Tatsachen zählt — an Stelle des Eintragungstages das Präsentatum des Eintragungsersuchens setzt, würde Bösgläubigkeit denkbar sein. Wie weit vor dem Eröffnungsantrag die Zahlungseinstellung zurückliegt, spielt fiir die Anfechtung aus § 301'8 KO an sich keine Rolle. Nach § 33 dürfen aber Rechtshandlungen, welche früher als 6 Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgt sind, nicht mehr aus dem Grunde der Kenntnis der Zahlungseinstellung angefochten werden. Diese Bestimmung führt dazu, daß bisweilen große Gläubiger, denen anfechtbare Sicherheiten bestellt wurden, den Schuldner so lange stützen, daß mehr als 6 Monate bis zur Konkurseröffnung verstreichen. Natürlich bleibt die Anfechtung aus § 31 (gemäß § 4 1 1 S. 3 KO 30 Jahre lang), unter Umständen auch § 32, trotz Überschreitung der Frist möglich. Im Falle des Anschlußkonkurses steht Kenntnis des Vergleichsantrags der Kenntnis des Konkursantrags gleich, und die seit Eröffnung des Vergleichsverfahrens verstrichene Zeit wird in die Fristen nicht eingerechnet (§107 VerglO). Bei der Zweifelhaftigkeit des Ausganges von Anfechtungsprozessen entsteht die Frage, ob es möglich ist, ohne großes Kostenrisiko den Sachverhalt zuverlässig festzustellen. § 75 K O (und der entsprechende § 1 1 6 VerglO) geben dem Konkursgericht die Möglichkeit, zur Aufklärung „aller das Verfahren betreffenden Verhältnisse" die erforderlichen Ermittlungen, insbesondere Vernehmung von Zeugen und Sachver-

Konkursrichter — Anmelde- und Prüfungsverfahren

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ständigen, anzuordnen. In erster Reihe denkt das Gesetz an die für Entscheidungen des Konkursrichters erheblichen Punkte, wie Zahlungsunfähigkeit, Vorhandensein einer ausreichenden Masse, Verwerfungsgründe im Zwangsvergleichsverfahren. Die Praxis hält es aber auch für statthaft, daß auf Antrag des Verwalters Zeugen und Sachverständige vom Konkursgericht vernommen werden, um dem Verwalter für seinen Entschluß in Anfechtungs- und sonstigen streitigen Rechtsangelegenheiten zuverlässige Unterlagen zu verschaffen. Dadurch wird die Beweisaufnahme des künftigen Prozesses antizipiert, aber die Erledigung des Konkursverfahrens erleichtert und beschleunigt. Vgl. das analoge aus § 12 F G G entstehende Problem. „ A m 28. August 1959 hat Wilhelm Geier gegen Verpfandung von Schmucksachen dem Schuldner 2000 D M geliehen, die zur Fortführung des .Lunaparks' verwandt wurden. Dieses Geschäft beabsichtige ich nicht anzufechten."

Obgleich Wilhelm Geier die Zahlungsunfähigkeit seines Bruders kannte, ist die Verpfändung der Anfechtung entzogen. Denn er hat zugleich Geldmittel für den Weiterbetrieb des Geschäfts vorgestreckt, was allen Gläubigern zugute kam. Deshalb sind die Konkursgläubiger nicht benachteiligt. Anders wäre es, wenn er die Gelegenheit benutzt hätte, um sich auch bereits bestehende ungesicherte Forderungen sichern zu lassen. Wer Geld gegen Sicherheiten gibt, ist im Sinne des § 30 K O kein „Konkursgläubiger" (RG 100, 64; 136, 158). „Falls die Grundstücke zu guten Preisen verwertet und die streitigen Rechtsverhältnisse im wesentlichen zugunsten der Masse entschieden werden, hoffe ich eine Dividende von 3 7 % für die nicht bevorrechtigten Gläubiger verteilen zu können. Werden niedrigere Verkaufspreise erzielt und infolge dessen von Konkursgläubigern Hypothekenausfallsforderungen geltend gemacht, so kann sich die Dividende bis auf 3 0 % ermäßigen. (folgen Mitteilungen über die vom Verwalter bisher ergriffenen Maßregeln — Besitzergreifung der Masse, Fortführung des Geschäfts usw. — und Darlegung der Gründe für die Einsetzung eines Gläubigerausschusses)."

Prüfungstermin Konkursforderungen, auch solche der bevorrechtigten Gläubiger, werden niemals von Amts wegen festgestellt, sondern müssen ausnahmslos angemeldet werden, gleichgültig ob sie in dem vom Schuldner überreichten Gläubigerverzeichnis (§ 104) stehen oder nicht, ob sie von ihm anerkennt oder streitig, im Prozeß befangen oder schon durch Urteil festgestellt sind. Das Anmelde- und Prüfungsverfahren der § § 13 8 f ist als vereinfachter Prozeß aufzufassen, wobei die Anmeldung der Klage, die Feststellung der Tabelle dem Urteil entspricht. Es schließt jede andere Art gerichtlicher Geltendmachung zunächst aus (§ 12); erst wenn eine angemeldete Forderung oder ihr Vorrecht im Prüfungstermin bestritten worden ist, kann die Überleitung in das gewöhnliche Verfahren erfolgen (§§ 144 1 1 , 146 1 1 , n l ) . Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Konkursgläubiger wegen einer Konkursforderung ausdrücklich auf Teilnahme am Konkurs verzichtet hat, B G H 25, 395 mit Anm. Blomeyer J R 1958, 63. Wie jeder Prozeß steht auch das konkursmäßige Feststellungsverfahren unter dem Satze: ne eat iudex ultra petita partium. Daher erhält der Gläubiger kein Vorrecht, wenn er es nicht in der Anmeldung (oder einem Nachtrag zu ihr) beansprucht hat (arg. § 140 11 ). Die Anmeldung einer bevorrechtigten Forderung lautet beispielsweise. „ A n das Amtsgericht, hier.

Köln, den 3. November 1959.

A u f die mir zugegangene Aufforderung melde ich hiermit die mir zustehende Restlohnforderung für August 1959 in Höhe von 1 1 3 , — D M zum G«Vrschen Konkurse als Konkursforderung mit dem Vorrecht der 1. Klasse des § 61 K O an. Zum Beweise fuge ich die vom Gemeinschuldner unterschriebene Lohnabrechnung vom 2. September 1959 im Original bei. Johann Hamelka, Oberkellner."

S64

Konkursrichter — Prüfungstermin

Die eingegangenen Anmeldungen kommen zum Aktenband b, unter dessen Deckel sich die Tabelle befindet 1 ). Sie zerfällt in Abt. I : „bevorrechtigte Gläubiger" mit 5 Unterabteilungen für die fünf Vorrechtsklassen des § 61, und Abt. II: „Gläubiger ohne Vorrecht" (Formular: S. 386). Der Urkundsbeamte trägt jede angemeldete Forderung sofort in Sp. 1 bis 7 der Tabelle ein, der Konkursverwalter erhält A b schrift der Tabelle. Jeder Beteiligte kann die Anmeldungen einsehen (§§ 139, 140). Die Prüfung der angemeldeten Forderungen erfolgt im Prüfungstermin durch den Konkursverwalter, den Gemeinschuldner und die erschienenen Konkursgläubiger, während die Tätigkeit des Gerichts sich auf die formale Registrierung der von den Genannten abgegebenen Erklärungen beschränkt. Das Protokoll besagt darüber nur: „Mit den Erschienenen wurden an Hand der Tabelle die einzelnen darin eingetragenen Forderungen erörtert und das Ergebnis der Erörterung in Spalte 8 der Tabelle eingetragen."

Vgl. §§ 141, 1451. Fesstellung einer Vorrechtsforderung

.

Abt. I Klasse I lfd. Nr. 1 ist die Hawelkasche Anmeldung. Vermerk in Sp. 8 der Tabelle: „Betrag und Vorrecht festgestellt. Köln, den 29. Dezember 1959. Richter. Urkund."

Die „Feststellung" hat doppelte Bedeutung. Einmal gilt sie hinsichtlich des „Konkursbeteiligungsanspruchs" als Feststellung, d. i. als rechtskräftiges Urteil gegenüber allen Konkursgläubigern (§ 145 1 : ), sichert also Hawelka die Konkursdividende eines in Klasse I bevorrechtigten Gläubigers und gemäß § 95 1 S. 1. volles Stimmrecht. Außerdem verschafft sie ihm für die Zeit nach Beendigung des K o n kurses einen vollstreckbaren Schuldtitel gegen Geier in Höhe des Ausfalls (§§ 164, 194, 206). Nebenbei wird durch die vollstreckbare Feststellung auch die 30jährige Urteilsverjährung des Anspruchs begründet (§ 218 1 S. 2 BGB). 2. Bestrittene Forderung In Abt. I Klasse I unter lfd. Nr. 5 fordert Langrock (S. 347): „ 1 0 800 D M als Schadensersatz wegen vorzeitiger A u f l ö s u n g des Anstellungsvertrags für die Zeit v o m 1. Januar i960 bis 31. Dezember 1961."

Nach § 5 2 1 V e r g l O (entsprechend § 22 1 1 K O ) kann Langrock Ersatz des ihm durch die vorzeitige Kündigung seines langfristigen Vertrages erwachsenen Schadens beanspruchen. Der Schaden ist gleich den vertragsmäßigen Bezügen bis zum Ablauf der normalen Vertragsdauer abzüglich desjenigen, was Langrock durch anderweite Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt (§§ 249 S. 1, 3241 BGB). Daß ein hochqualifizierter Geschäftsführer bis zum 31. Dezember 1961 keine Stellung finden und auch sonst nichts verdienen wird, ist unwahrscheinlich, und die Höhe der angemeldeten Forderung daher nicht einmal als aufschiebend bedingt (vgl. § 67 K O ) berechtigt. Außerdem kann Langrock für seinen Schadensersatzanspruch keinesfalls das Vorrecht der i. Klasse beanspruchen, dieses beschränkt sich vielmehr auf die Erfüllungsansprüche des Arbeitnehmers. V g l . §§ 26, 6 i l . Welcher Art im übrigen die Erfüllungsansprüche sind, macht für das Vorrecht keinen Unterschied („Dienstbezüge"). Der sog. „ K a r e n z e n t s c h ä d i g u n g " , welche einem Handlungsgehilfen auf Grund vertraglicher Wettbewerbsbeschränkung zusteht, billigt § 75 e 1 H G B ausdrücklich das Konkursprivileg zu; das wird von R A G 15, 148 auch auf Karenzentschädigungen gewerblicher Angestellter (§§ 133f. G e w O ) ausgedehnt. !) Anders in Bayern (Ziff. 17 BayZusBestzAktO).

Konkursrichter — Arbeitnehmer-Vorrecht

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Pensionsansprüche privater Arbeitnehmer und ihrer Hinterbliebenen sind nach wohl noch herrschender Meinung gewöhnliche Konkursforderungen. Ihnen wird, soweit sie sich auf das letzte Jahr vor Konkurseröffnung beziehen, das Vorrecht des § 61 1 KO, soweit es sich um die Zeit nach Konkurseröffnung handelt, die Eigenschaft einer Masseschuld (§ 592) abgesprochen. Die Pension stelle die nachträgliche Gegenleistung für früher geleistete Dienste dar und es stehe ihr keine Verpflichtung des penionierten Angestellten bzw. seiner Hinterbliebenen gegenüber. R A G 1 1 , 518; 13, 321; 15, 359. Böhle-Stamschröder 4b zu § 61; a. A. Jaeger 16b zu § 61 KO. Nicht bevorrechtigte Konkursgläubiger sind ferner die V o r s t a n d s m i t g l i e d e r juristischer Personen wegen ihrer Bezüge. Zwar liegt im Innenverhältnis zwischen der juristischen Person und ihrem Organ ein Dienstverhältnis vor, auf welches grundsätzlich §§ 611 f. BGB 59 f. HGB Anwendung finden. Auch gilt § 22 K O und das Kündigungsschutzgesetz. R A G 7, 156. Die Ablehnung des Konkursvorrechts rechtfertigt sich daraus, daß die Vorstandsmitglieder regelmäßig den Zugang zur Kasse der Gesellschaft haben und nicht, wie ein gewöhnlicher Dienstverpflichteter, auf den guten Willen der Gesellschaft zur Zahlung angewiesen sind. Jaeger 14b zu § 61 KO. Das A r b G G behandelt Vorstandsmitglieder ebenfalls nicht als Arbeitnehmer: nur auf Grund besonderer Prorogation können Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen und ihren gesetzlichen Vertretern vor die Arbeitsgerichte gebracht werden (§ 3 1 1 , 5 S. 3). Soweit der Dienstverpflichtete im Konkurs vorrechtsloser Gläubiger ist, gehört er im Vergleichsverfahren zu den beteiligten Gläubigern und wird vom Vergleich betroffen (§§ 25, 26 1 VerglO). Ergebnis der Prüfung: „1500 DM dem Betrage nach festgestellt. Vorrecht vom Verwalter, Gläubiger Augustin und Gemeinschuldner bestritten. Mehrforderung nach Betrag und Vorrecht vom Verwalter, Gläubiger Augustin und Gemeinschuldner bestritten." Für den Konkurs — d. h. für den Anspruch auf Dividende und das Stimmrecht — gilt eine Forderung als „festgestellt", wenn ihr im Prüfungstermin weder v o m Verwalter noch von einem anderen Konkursgläubiger widersprochen, oder der erhobene Widerspruch durch Urteil beseitigt ist; das Bestreiten des Gemeinschuldners hat hierfür keine Bedeutung (§ 1 4 4 1 K O ) . Dagegen wird für die spätere Vollstreckbarkeit der Ausfallsforderung gegen den Gemeinschuldner verlangt, daß die Forderung 1. „festgestellt", und 2. „nicht von dem Gemeinschuldner im Prüfungstermin ausdrücklich bestritten" sei (§§ 164, 194, 206). Will also Langrock lediglich die konkursmäßige Feststellung seiner Forderung herbeiführen, so braucht er nur gegen den Verwalter und den Opponenten rechtskräftige Urteile zu erwirken, darf aber den Widerspruch Geiers ignorieren. Legt er auch auf die persönliche Haftung Geiers Wert, so wird er außerdem gegen diesen auf Feststellung oder auf Verurteilung zur Zahlung nach Beendigung des Konkurses klagen müssen; arg. § 1 4 4 " , dazu Jaeger Anm. 3, 5. Die Feststellungsklage gegen Konkursverwalter und opponierende Konkursgläubiger ist grundsätzlich im ausschließlichen Gerichtsstand des Konkursgerichts, bei Objekten über 1000 D M des übergeordneten Landgerichts zu erheben, wobei es für die Abgrenzung nicht auf den Nominalbetrag, sondern auf denjenigen Wert ankommt, den die Forderung (bzw. das streitige Vorrecht) unter Berücksichtigung der in der Masse vorhandenen Quote hat (§§ 1 4 6 1 1 , 148). A u f Forderungen, für deren Feststellung ein besonderes Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht zuständig ist, finden diese Bestimmungen entsprechende Anwendung (§ 146 v ). Da Langrocks Anspruch seiner Natur nach vor das Arbeitsgericht als besonderes Gericht gehört (§ 2 1 2 A G G ) , muß er dort auch seine Feststellungsklage anbringen. Der Klageantrag wird dahin zu fassen sein: „die vom Kläger im G«Vrschen Konkurse, 53 N 95.59 des Amtsgerichts Köln, zu Abt. I Klasse I lfd. Nummer 5 angemeldete Forderung: a) soweit sie im Prüfungstermin nach Betrag und Vorrecht bestritten worden ist, also in Höhe von 9300 DM, als Konkursforderung mit dem Vorrecht der I. Klasse festzustellen, b) weiterhin festzustellen, daß den im Prüfungstermin dem Betrage nacn festgestellten 1500 DM das Vorrecht der I. Klasse zusteht."

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Konkursrichter — Steuer- und Kindervorrecht

3. Steuervorrecht Das Finanzamt Köln-Nord beansprucht in Abt. I Klasse II unter Nr. 1 : „820 D M bis zum 1. Oktober 1959 zinslos gestundete Einkommensteuer für 1 9 5 7 . "

Die Fälligkeit der angemeldeten Beträge war ursprünglich schon im Jahre 1957 eingetreten. Gelten sie infolge der Stundung als „im letzten Jahre vor Eröffnung des Verfahrens fällig geworden" ( § 61 2 KO) ? Die Bejahung der Frage würde dazu führen, daß eine Konkursmasse, wenn dem Gemeinschuldner die Steuern für mehrere Jahre gestundet sind, durch Häufung solcher Vorrechtsforderungen zum Schaden aller einfachen Konkursgläubiger aufgezehrt werden könnte. Deshalb muß für die Anwendung des § 61 2 die Stundung außer Betracht bleiben und auf die erste Fälligkeit zurückgegangen werden. R G 116, 368; vgl. auch B G H NJW 52, 1256 — Tabelleneintragung : „Betrag festgestellt, Vorrecht vom Verwalter bestritten."

In welchem Instanzenzuge wird der Vorrechtsstreit entschieden? § 146 v spricht dafür, daß alle sich aus der Anmeldung einer Steuerforderung im Konkurs ergebenden Rechtsstreitigkeiten vor die besonderen Finanzgerichte gehören. Soweit es sich aber lediglich um das Vorrecht handelt, nimmt die Rechtsprechung einen „bürgerlichen Rechtsstreit" im Sinne des § 1 3 G V G an, für welchen die ordentlichen Gerichte zuständig sind. So BGH 19, 163; NJW 1959,987. Anderer Ansicht BFH NJW 1958, 1063. Die in der K O getroffene Sonderregelung geht der A b g O vor. Nach § 3 K O zählt der Steuerfiskus zu den Konkursgläubigern. Folglich kann wegen einer vor Konkurseröffnung entstandenen Steuerschuld ein Steuerbescheid oder eine Rechtsmittelentscheidung gegen den Verwalter erst ergehen^ nachdem die Forderung zur Konkurstabelle angemeldet und vom Verwalter im Priifungstermin bestritten worden war. Falls bereits vor Eröffnung ein Steuerbescheid oder eine Rechtsmittelentscheidung ergangen ist, wird die Rechtsmittelfrist durch die Konkurseröffnung unterbrochen. R F H 19, 355 (Großer Senat). Das Vorrecht der 2. Klasse kann übrigens gemäß §§ 4 0 1 7 7 4 B G B auch ein Privater in A n spruch nehmen, wenn er als Bürge oder auf Grund eines ius offerendi den Steuerfiskus befriedigt bzw. die unter Zollzugriff stehende Ware ausgelöst hat, was besonders bei Zollbürgschaften wichtig wird. R G 135, 25 mit Übersicht über Rechtsprechung, Literatur und die abweichende Ansicht des Reichsfinanzministeriums.

4. Kindervorrecht Anmeldung der volljährigen Tochter des Gemeinschuldners Frida Geier, Abt. I Klasse V : „7500 D M testamentarisch auf die Gläubigerin vererbter und dadurch unter die elterliche Verwaltung des Gemeinschuldners getretener Anspruch seiner verstorbenen ersten Frau Anna geb. Riltebuscb auf Herausgabe ihres eingebrachten Vermögens."

In der Hand der ursprünglichen Gläubigerin würde der Illatenanspruch gewöhnliche Konkursforderung gewesen sein, noch dazu beim Zwangsvergleich im Stimmrecht benachteiligt (S. 378). Der Übergang auf die Tochter hat die überraschende Wirkung, daß ihm nunmehr die Qualität einer Vorrechtsforderung zukommt. Denn wie das ganze Vermögen der Minderjährigen, so fiel auch dieser Anspruch kraft Gesetzes unter die Verwaltung des Gemeinschuldners, und das Vorrecht der Kinder, Mündel und Pflegebefohlenen des Gemeinschuldners „in Ansehung ihres gesetzlich der Verwaltung desselben unterworfenen Vermögens" (§ 61 6 KO) beschränkt sich keineswegs auf Ansprüche auf Ersatz des dem Kinde durch den Gewalthaber an

Konkursrichter — Masse- und Nicht-Konkursgläubiger

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seinem Vermögen zugefügten Schadens (actio tutelae, § 1833 bzw. § 1664 BGB). R G 144, 25 z. Mit Eintritt der Volljährigkeit am 9. März 1959 hat Frida Geier das Vorrecht nicht verloren, nur muß sie ihren Anspruch binnen zwei Jahren seit Beendigung der väterlichen Vermögensverwaltung gerichtlich geltend machen (§ 61 5 KO, zweiter Satzteil). — Eintragung in Spalte 8: „Betrag und Vorrecht festgestellt."

5. Wechselforderung Abt. II lfd. Nr. 4 Anmeldung des Bäckermeisters Strietzel: ,,a) 300 D M Wechselforderung aus dem vom Gläubiger ausgestellten, vom Gemeinschuldner angenommenen Wechsel vom 29. April, fällig am 29. Juli 1959, b) 4,67 D M Zinsen für die Zeit vom 29. Juli bis 19. Oktober 1959, c) 4,80 D M Wechselunkosten."

Strietzel hat korrekterweise Zinsen nur bis zum Tage der Konkurseröffnung liquidiert. Von der Eröffnung ab können Zinsen nicht als Konkursforderung geltend gemacht werden (§ 63J), wenn sie ihm auch außerhalb des Konkurses gegenüber dem Gemeinschuldner zustehen. Da aber Strietzel den Wechsel nicht mit eingereicht hat, fehlt ihm die Legitimation als Gläubiger (vgl. oben S. 214/5). — Prüfungsergebnis: „Bis zur Vorlegung des Wechsels vom Verwalter bestritten."

6. Masseschuld Abt. II lfd. Nr. 11 Anmeldung des Zimmermeisters Amelung: „ 1 8 0 D M für die am 2. November 1959 irrtümlich ohne Bestellung für die Konkursmasse geleisteten Arbeiten bzw. an den Verwalter gelieferten und von ihm verbrauchten Materialien."

Da kein Vertrag über die Arbeiten und Lieferungen zustande gekommen ist, stellt sich Amelungs Anspruch als Bereicherungsanspruch (§812 BGB) dar. Konkursrechtlich kommt es darauf an, ob die ungerechtfertigte Vermögensverschiebung vor oder nach Eröffnung stattfand. Im ersten Fall liegt eine Bereicherung „des Gemeinschuldners" vor, die nach § 3 K O eine gewöhnliche Konkursforderung begründet, während im zweiten Fall „die Masse" grundlos bereichert wurde und daher die condictio die Eigenschaft einer Masseschuld hat. § 59®, dazu R G 94, 20. Die gleiche Unterscheidung greift Platz, wenn ein Dritter Ansprüche aus § 951 B G B geltend macht, weil seine Sache durch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung in die Konkursmasse gelangt ist. Erfolgte der Eigentumswechsel vor Eröffnung, so hat der frühere Eigentümer bloß eine Konkursforderung, andernfalls einen Masseanspruch aus § 59® K O .

Das Recht des Massegläubigers ist wirtschaftlich und rechtlich stärker als selbst die bevorrechtigten Konkursforderungen, denn es wird vor diesen befriedigt (S. 3 5 3 f.) und der Gläubiger kann mit Klage und Zwangsvollstreckung gegen den Konkursverwalter vorgehen. Dafür wird ihm das ausschließlich den Konkursforderungen vorbehaltene Anmelde- und Feststellungsverfahren nach §§ 138f. versagt. Prüfungsergebnis : „ V o m Verwalter bestritten, weil Masseschuld."

7. Nach Konkurseröffnung entstandene Schuld des Gemeinschuldners Unter Abt. II lfd. Nr. 25 meldet Molkereibesitzer Lummert „ 5 0 D M Darlehnsforderung"

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Konkursrichter — Titulierte Forderungen

an. Wie der beigefügte Schuldschein zeigt, wurde das Darlehn am 2. November 1959, also nach Konkurseröffnung, an Geier gewährt. Lummert ist daher nicht Konkursgläubiger, weil er zur Zeit der Eröffnung noch keinen Anspruch an den Gemeinschuldner hatte (§ 3 1 ). — Vermerk in Sp. 8: „ V o m Verwalter bestritten, weil nicht Konkursforderung."

Über die Rechtsstellung des Gläubigers einer nach Eröffnung des Verfahrens entstandenen Forderung gegen den Gemeinschuldner s. unten S. 4 1 1 . 8. Titulierte Forderung Viehhändler Esche in Aachen hat durch R A . Grau in Aachen unter Abt. II lfd. Nr. 27 angemeldet: „a) 1600 D M Darlehn, Auslagen, Provision und Schadensersatz laut vollstreckbarem Versäumnisurteil des Landgerichts Köln vom 7. Oktober 1959. b) 64 D M =

8 % Zinsen vom 20. April bis 19. Oktober 1959 laut Urteil,

c) 188,55 D M festgesetzte Prozeßkosten."

Die Kosten der Vertretung des Rechtsanwalts im Konkursverfahren sind nicht mit angemeldet. Sie gehören ebenso wie die seit Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen (S. 367) zu den Ansprüchen, die kraft positiver Vorschrift im Konkurse nicht berücksichtigt werden (§ 63 2 ). Wer sich als Konkursgläubiger einen Anwalt nimmt, tut es auf eigene Rechnung. Auch Reisekosten eines auswärtigen Konkursgläubigers zum Termin werden nicht vergütet. Ergebnis der Prüfung: „ V o m Verwalter bestritten."

Da die Einspruchsfrist (§339 ZPO) bei Konkurseröffnung noch lief und der Prozeß durch den Konkurs unterbrochen ist (§ 240), kann das Versäumnisurteil keine Rechtskraft erlangt haben. Daher war das Bestreiten des Verwalters noch möglich. Die endgültige Entscheidung über die Forderung ergeht in dem beim Landgericht Aachen anhängigen Rechtsstreit: Der allgemeine Grundsatz, daß alle Konkursfeststellungsklagen vor die ausschließliche Zuständigkeit des Konkursgerichts (bzw. übergeordneten Landgerichts) gehören, wird durch Anhängigkeit eines Prozesses bei einem anderen Gericht durchbrochen (§ 146 111 KO). In Aachen muß nunmehr der Verwalter das Verfahren aufnehmen (§250 ZPO) und alsdann Einspruch gegen das Versäumnisurteil mit dem Antrag auf Klageabweisung einlegen lassen. Der Gegenantrag Esches geht nach § 343 dahin: „die im Versäumnisurteil vom 7. Oktober 1959 getroffene Entscheidung mit der Maßgabe aufrecht zu erhalten, daß die Klageforderung von 1600 D M nebst 8 % Zinsen vom 20. April bis 19. Oktober 1959 als Konkursforderung ohne Vorrecht im Konkurse über das Vermögen des festgestellt wird."

Die Besonderheit der mit einem Vollstreckungstitel versehenen (s. g. „titulierten") streitigen Konkursforderungen liegt darin, daß sich die Initiative für das Betreiben der Feststellung umkehrt. Während sonst der Anmeldende zu klagen bzw. das schwebende Verfahren aufzunehmen hat, um sich volles Stimmrecht und Anteil bei vorkommenden Verteilungen zu sichern (§§ 95 r , 152 KO), ist es gegenüber „titulierten" Forderungen nach § 146 V I Sache des Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen, und es werden solche Forderungen ohne weiteres in die Verteilungsverzeichnisse (S. 390, 418) aufgenommen (arg. § 152).

Konkursrichter — Konkursgläubiger mit Absonderungsrecht

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9. Rechtskräftig festgestellter Individualanspruch Anmeldung Meißner, Abt. II Nr. 35: „Anspruch auf Lieferung von 3 AEG-Aktien über nom. je 150 DM gemäß dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Köln vom 12. Dezember 1958, eventuell Zahlung des z. Zt. der Feststellung maßgebenden Börsenkurses."

Durch die Bestimmung, daß der Widersprechende seinen „Widerspruch" gegen titulierte Forderungen verfolgen muß (§ 146""), wird dem Bestreitenden nicht etwa ein neuer Rechtsbehelf gegen den Schuldtitel des Anmelders eröffnet. Vielmehr ist dabei vorausgesetzt, daß überhaupt eine prozessuale Anfechtungsmöglichkeit besteht, die jetzt — statt vom Schuldner — von dem Gegner ausgenutzt wird. Rechtskräftige Urteile können also nur mit Restitutions- oder Nichtigkeitsklage (§§ 578f. ZPO) oder Vollstreckungsgegenklage (§ 767) angefochten werden, sofern deren besondere Voraussetzungen gegeben sind. Im übrigen ist ein Widerspruch gegen rechtskräftig festgestellte Ansprüche zwecklos, selbst wenn die Rechtskraft erst kurze Zeit vor Ausbruch des Konkurses, sogar erst nach Stellung des Konkursantrags oder während des vorausgegangenen Vergleichsverfahrens eingetreten war, und der Gemeinschuldner damals den Prozeß wegen seines Geldmangels nicht hatte kontradiktorisch durchführen können! Trotz der Rechtskraft ist jedoch der in erster Reihe angemeldete Lieferungsanspruch infolge des Konkurses nicht mehr begründet. Nach § 69 K O wandeln sich alle nicht auf einen Geldbetrag gerichteten Konkursforderungen mit der Eröffnung von selbst in Geldforderungen um. Die AEG-Aktien waren andauernd gestiegen, am Eröffnungstage war der Kurs 223, während sie beim Prüfungstermin auf 248 stehen. Ergebnis der Prüfung: „Anspruch auf Lieferung vom Verwalter bestritten; Anspruch auf Geldzahlung in Höhe von 669 DM festgestellt, Mehrbetrag vom Verwalter bestritten."

Die Wirkung des § 69 dauert über die Beendigung des Konkurses hinaus. Meißner darf daher auch später nicht aus seinem rechtskräftigen Urteil gegen Geier vollstrecken, sondern die in der Tabelle erfolgte Feststellung des Geldanspruchs bildet die alleinige Grundlage künftiger Vollstreckungen, und Geier kann das Urteil nötigenfalls nach § 767 ZPO durch Vollstreckungsgegenklage beseitigen, weil die Umwandlung des Individualanspruchs in eine Geldforderung und die Feststellung der Geldforderung in der Tabelle nova darstellen. R G 112, 297. 10. Konkursgläubiger mit Absonderungsrecht Nitsche, betreibender Gläubiger der Zwangsversteigerung und -Verwaltung des Brühler Grundstücks, hat unter Abt. II lfd. Nr. 43 angemeldet: „a) 8000 DM hypothekarisch eingetragene Darlehnsforderung, b) 195.55 DM = 8% Zinsen vom 1. Juli bis 19. Oktober 1959, c) 283,40 DM Kosten der dinglichen Rechtsverfolgung."

Hypothekengläubiger, denen der Gemeinschuldner zugleich persönlich haftet, haben eine Doppelstellung: einmal können sie ihr Absonderungsrecht am Massegrundstück außerhalb des Konkursverfahrens geltend machen (§ 4 " KO), andrerseits steht ihnen in ihrer Eigenschaft als Konkursgläubiger die Konkursdividende zu. Sie dürfen aber nicht zweimal auf Kosten der Masse Befriedigung erhalten. Deshalb wird die Dividende nur auf den Betrag gewährt, mit welchem der Hypothekengläubiger bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen ist, oder für den er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet (§ 64). 24

L u x , Schulung. j . Aufl. (Berg)

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Konkursrichter — Gesamtschuldner im Konkurs

Gelangt Nitscbe z. B. in der Zwangsversteigerung mit 5000 DM Hauptforderung zur Hebung, und werden im Konkurse 40% ausgeschüttet, so stehen ihm als Dividende 40% von 8000—5000 = 3000 DM zu, d. s. 1200 DM. Legt Nitscbe Wert auf die Dividende, so muß er die Zwangsversteigerung durchführen (unten S. 376). Will ein Hypothekengläubiger, der zugleich Konkursgläubiger ist, die Kosten der Zwangsversteigerung nicht riskieren, weil seine Hypothek eine „Schornsteinhypothek" ist, so erklärt er zweckmäßig seinen Verzicht auf die Hypothek, was zur Folge hat, daß er nunmehr als Konkursgläubiger mit 40% von 8000 DM, also mit 3200 DM, berücksichtigt wird. § 64 gilt nicht bloß für Hypothekengläubiger, sondern auch für sonstige Absonderungsberechtigte (§§ 47f.), welche gleichzeitig Konkursgläubiger sind. Bei Sicherungsübereignungen wird die Vorschrift ebenfalls angewandt. RG 118, 209; 145,193. Bei absonderungsberechtigten Forderungen ist auch § 65 KO (vorzeitige Fälligkeit) anwendbar, BGH 31, 3^7. Über das Stimmrecht im Falle des § 64 S. 378, über das Verfahren bei Verteilungen S. 4i8f, über die Wirkung des Zwangsvergleichs S. 381. Prüfungsvermerk: „zu a und b festgestellt in Höhe des Ausfalls bei der Befriedigung aus dem Grundstück bzw. für den Fall des Verzichts auf abgesonderte Befriedigung. Zu c vom Verwalter bestritten, weil nicht Konkursforderung." 1 1 . Konkursgläubiger mit Hypothek am Grundstück eines Dritten Z u Abt. II lfd. Nr. 48 sind vom Bankhaus Ferdinand Schilling „33248,57 DM Forderung aus Darlehen, Vorschüssen, Provisionen, Zinsen bis einschließlich 19. Oktober 1959 laut beiliegendem Kontoauszug" angemeldet. Die Betriebsdarlehen, welche ja im Konkurse Masseschuld sind (§ 106 VerglO, oben S. 349), sind in der Summe nicht mit enthalten. Wie wir wissen, besitzt aber Schilling am Grundstück Tiergartenstraße 18 eine Höchstbetragshypothek von 25 000 D M (S. 339). Darf er trotzdem seine Forderung in voller Höhe anmelden oder nur wegen des durch die Hypothek nicht gedeckten Betrages bzw. des Ausfalls ? Haftet dem Gläubiger außer dem Gemeinschuldner noch eine andere Person oder ein Pfand, so werden prinzipiell seine Ansprüche als Konkursgläubiger dadurch nicht berührt. Die einzige Ausnahme bildet der soeben besprochene § 64 K O . Da das Hypothekengrundstück nicht zur Masse gehört sondern im Eigentum der Ehefrau des Gemeinschuldners steht, kann Schilling auf die gesamten 3 3 248,5 7 D M Dividende beanspruchen und hat dadurch die Aussicht, ohne jeden Verlust abzuschneiden, während der „absonderungsberechtigte" Nitsche bestimmt mit einem Teilbetrag ausfallen muß. — Ergebnis des Termins: „Festgestellt." 12. Anspruch, für den ein ebenfalls im Konkurse befindlicher Gesamtschuldner mithaftet Anmeldung des Tapezierers Polster, Abt. II lfd. Nr. 55 der Tabelle: ,,a) 600 DM Wechselregreßforderung aus dem von Lamberti akzeptierten, vom Gemeinschuldner ausgestellten Wechsel vom 5. Juli, fällig am 5. Oktober 1959 b) 1,75 DM Zinsen vom 5. bis 19. Oktober 1959, c) 11,50 DM Wechselunkosten." Der ordnungsmäßig protestierte Wechsel ist überreicht. E r trägt den Vermerk: „Festgestellt im Konkurse über das Vermögen des Schaustellers Emmo Lamberti." Frankfurt a. Main, den 23. November 1959. Amtsgericht. Geschäftsstelle. 31 N 75/59 (Siegel) Urkund als Urkundsbeamter."

Konkursrichter — Regreßansprüche im Konkurs

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Vgl. § 14512 K O ; § 15 vi AktO. Geier hatte den Wechsel von seinem Schuldner Lamberti zahlungshalber (§ 3 64 1 1 BGB) akzeptieren lassen und sodann, ebenfalls zahlungshalber, seinem Gläubiger Polster begeben. Damit wäre die Angelegenheit für ihn erledigt gewesen, wenn nicht Lamberti zahlungsunfähig geworden und in Konkurs gegangen wäre, so daß nunmehr die den Aussteller des Wechsels und die Nachmänner treffende Regreßhaftung für Einlösung des Papiers (Art. 9, 43 WG) praktisch wird. Diese eventuelle Regreßhaftung aus den vom Schuldner begebenen Kundenwechseln erschwert übrigens bei Konkursen und sonstigen Zahlungseinstellungen die Übersicht über den Vermögensstand sehr: man kann zu Beginn des Verfahrens nicht wissen, in welcher Höhe Regreßansprüche solcher Art geltend gemacht werden. Konkursrechtlich entsteht die Frage, ob Polster trotz Feststellung seiner Forderung im Konkurs Lamberti und der dort auf ihn entfallenden Dividende auch im Geierschen Konkurse Feststellung verlangen kann und in welcher Höhe. Hier tritt wiederum das zu 11 erörterte Prinzip in Kraft: in jedem der mehreren Konkursverfahren steht dem Gläubiger der Betrag zu, den er z. Z. der Eröffnung zu fordern hatte, aber natürlich nur „bis zu seiner vollen Befriedigung". § 68 KO. Ist also bei Lamberti noch keine Verteilung erfolgt, so muß dem Polster bei Geier die volle Quote zugebilligt werden. Werden bei Lamberti 70%, alsdann bei Geier 40% verteilt, so gebühren ihm von der Geierschen Verteilung bloß noch 30%, da er im ganzen nicht über 100% erhalten darf. Der Verwalter muß sich über die im Lambertischen Konkurse vorgenommenen Verteilungen informieren und, falls Polster auf seiner vollen Dividende bestehen sollte, gegenüber der rechtskräftigen Tabellenfeststellung die Verteilungen des Konkurses Lamberti analog § 767 ZPO als neue Tatsachen geltend machen. Jaeger 8 zu § 68; 11 f. zu § 145.

Eintragung in Sp. 8: „Festgestellt."

13. Regreßanspruch des dritten Hypothekenbestellers Durch RA. Weiß hat die Ehefrau des Gemeinschuldners unter Abt. II lfd. Nr. 61 angemeldet: „a) 17 500 D M Anspruch auf Rückzahlung eines von 1953 bis 195 j ratenweise gegebenen Darlehens, b) 25 000 D M Regreßanspruch für den Fall, daß das Bankhaus Ferdinand Schilling in Köln die zur Sicherung seiner Ansprüche aus der Geschäftsverbindung mit dem Gemeinschuldner auf dem Grundstück der Gläubigerin, Köln Tiergartenstraße 18, in Abt. III unter Nr. 7 eingetragene Höchbetragshypothek in Anspruch nimmt."

Rechtliche Bedenken bestehen gegen den Anspruch zu a nicht. Anders beim Anspruch b. Zwar ist Frau Geier berechtigt, von ihrem Ehemanne, für dessen Schuld sie ihr Grundstück verpfändet hat, mit der actio mandati contraria (§ 670) Befreiung von der Hypothek bzw. Schadloshaltung zu verlangen. Aber wie zu 11 dargelegt, steht Schilling auch von den durch die Hypothek gesicherten 25000 DM die volle Quote zu. Es geht nicht an, daß neben der Forderung des Gläubigers die eventuelle Regreßforderung des Hypothekenbestellers im Konkurse befriedigt wird: die Hypothek soll die Sicherheit des Gläubigers erhöhen, nicht jedoch dazu führen, daß die Masse für einen wirtschaftlich nur einmal gewährten Kredit zweifach Dividende zahlt. (Vgl. Jaeger 7 zu § 67, 2 a zu § 68; Bley, VerglO 2. Aufl. 8 zu § 3 3). Entsprechend wird dem Bürgen im Konkurse des Hauptschuldners die Geltendmachung seines eventuellen Regreßanspruchs versagt. 14*

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Konkursrichter — Verspätete Forderungsanmeldung

Zu der ausführlicheren Regelung der Geltendmachung der Rückgriffsansprüche in der VerglO vgl. § 3} VerglO, der allerdings die Fälle des Rückgriffs aus der Sachhaftung ebenfalls nicht ausdrücklich regelt, obwohl diese Fälle der Sachhaftung gleich Zu behandeln sind (vgl. Bley VerglO 2. Aufl 8 zu § 33). Wie gestaltet sich die Rechtslage, wenn der Eigentümer des Hypothekengrundstücks bzw. der Bürge den Gläubiger befriedigt? Dann geht die Forderung des Gläubigers auf den Zahlenden über (§§ 7741 S. 1, H43 1 S. 1), und dieser kann nunmehr an Stelle des Hauptgläubigers (nicht neben ihm) die Forderung anmelden. Allerdings ist bei einer den Gläubiger bloß teilweise befriedigenden Zahlung des Dritten der allgemein durchgeführte Satz „nemo subrogat contra se" (oben S. 315) zu beachten. Hat also Schilling von Frau Geier die 25 000 DM Hypothekensumme erhalten, so steht ihm die Dividende auf 33 248,57 DM bis zur Höhe von noch 8248,57 DM zu (25 000 + 8248,57 = 3 3 248,57DM). Erst ein etwaiger Mehrbetrag an Dividende würde Frau Geier gebühren. Vermerk in Sp. 8: „Zu a festgestellt, zu b vom Verwalter bestritten." 14. Verspätet angemeldete Forderungen. Das Terminsprotokoll fährt fort: „Gegen die Prüfung der in der Zeit vom 2. bis einschließlich 22. Dezember 1959, also nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldeten Forderungen unter Abt. I Klasse I Nr. 19, 20, Klasse IV Nr. 2 und Abt. II Nr. 65—69 wurde von keiner Seite Widerspruch erhoben. Dagegen widersprach der Verwalter der Prüfung der erst am 28. Dezember 1959 angemeldeten Forderung Abt. n Nr. 70." V g l . § 142 K O . Die Anmeldefrist und der allgemeine Prüfungstermin sind nicht in dem Sinne präklusivisch, daß bei ihrer Versäumung der Anspruch des Konkursgläubigers überhaupt oder als Konkursbeteiligungsanspruch verloren wäre. Vielmehr kann die Anmeldung zwecks Erhaltung des Rechts auf Konkursdividende jederzeit nachgeholt werden, und für die spätere Geltendmachung der Forderung gegen den Gemeinschuldner nach Konkursbeendigung bedarf es der Anmeldung und Feststellung überhaupt nicht. Wer aber verspätet anmeldet, muß die Kosten des dadurch notwendig werdenden besonderen Prüfungstermins tragen, außerdem droht ihm bei Verteilungen Übergehung (S. 4 1 8 f.). Des besonderen Prüfungstermins bedarf es auch dann, wenn ein Gläubiger seine im Prüfungstermin bestrittene Forderung nachträglich auf einen anderen Schuldgrund stützen will. Der Liquidant kann nicht einen neuen Klagegrund im Feststellungsprozesse nachschieben. Die vorgängige Prüfung in einem Prüfungstermin, bei welchem außer dem Verwalter und Gemeinschuldner auch den sämtlichen Konkursgläubigern Gelegenheit zum Bestreiten gegeben ist, bildet eine unerläßliche und von Amts wegen zu beachtende prozessuale Voraussetzung des Feststellungsrechtsstreits. §§ 142 1 1 , I4ÖIV, Jaeger 21 zu § 146. Nach dem Prüfungstermin erhalten Langrock und die übrigen Gläubiger, deren Forderungen bestritten sind, zu ihrer Orientierung von Amts wegen einen beglaubigten Tabellenauszug. §§ 1461 S. 2 K O , 1 5 v A k t O . ; vgl. R G 85, 64. A u f die eingereichten Wechsel und sonstigen Schuldurkunden über festgestellte Forderungen setzt der Urkundsbeamte den Vermerk aus § 1 4 5 1 S. 2 K O (Muster: S. 370). Wird eine bestrittene Forderung im Prozeß festgestellt, so erfolgt eine entsprechende Eintragung in der „Berichtigungs"-Spalte 9 der Tabelle; das rechtskräftige Urteil zu diesem Zwecke einzureichen, ist Sache des anmeldenden Gläubigers (§ 1 4 6 v " ) . Die Feststellung einer im Termin bestrittenen Forderung kann aber auch ohne Prozeß dadurch herbeigeführt werden, daß der Bestreitende gegenüber dem Konkursgericht schriftlich seinen Widerspruch zurücknimmt und das Gericht daraufhin die Eintragung des Berichtigungsvermerks in der Tabelle anordnet (vgl. das Beispiel S. 386)

Konkursrichter — Teilungsmasse

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F o r d e r u n g s p r ü f u n g im V e r g l e i c h s v e r f a h r e n : Im Vergleichsverfahren brauchen nur diejenigen Gläubiger anzumelden, deren Forderungen nicht schon in dem vom Schuldner einzureichenden „Gläubigerverzeichnis" stehen. Die Prüfung der Forderungen geschieht im Vergleichstermin und die Anmeldung kann bis zum Beginn der Abstimmung nachgeholt werden. Sowohl der Schuldner wie der Vergleichsverwalter und jeder Vergleichsgläubiger sind zum Widerspruch berechtigt. Forderungen, gegen die von keiner Seite Widerspruch erhoben ist, erhalten Stimmrecht bei der Abstimmung über den Vergleich (§§ 4 12 , 6, 67, 70, 71 VerglO). Sie sind nach B e s t ä t i g u n g des Vergleichs vollstreckbar, sofern nicht Schuldner oder Vergleichsverwalter bestritten haben. Das Bestreiten eines Vergleichsgläubigers ist nur für das Stimmrecht, nicht für die Vollstreckbarkeit bedeutsam (§851 VerglO). Ob dieser neue Titel (bestätigter Vergleich in Verbindung mit Auszug aus berichtigtem Gläubigerverzeichnis) frühere Titel unwirksam macht, ist streitig. Das R G (RGZ 132, 115) bejahte den Wegfall für die KO, verneinte ihn jedoch für die VerglO 1927. Die überwiegende Meinung geht heute dahin, daß auch der bestätigte Vergleich etwaige alte Schuldtitel verdrängt (vgl. Bley 2. Aufl 30 zu § 35. Böhle-Stamschräder 3. Aufl i b zu § 85). Außerhalb des Vergleichstermins gibt es im Vergleichsverfahren keine Forderungsprüfung, auch ist keine Feststellungsklage für bestrittene Forderungen vorgesehen. Teilungsmasse: Während dem Konkursgericht bei der Anmeldung und Prüfung der Konkursforderungen eine wesentliche Rolle zukommt, spielt sich die Feststellung der Aktivmasse außerhalb des Konkursverfahrens ab. Ihre Abgrenzung gegen das konkursfreie Vermögen, die Vergrößerung durch Anfechtung, die Verringerung durch Aussonderung, Absonderung, Aufrechnung: alles das erledigt der Verwalter ohne Mitwirkung des Konkursgerichts. Die Gerichtsakten ergeben nur — in den Berichten und Rechnungen des Verwalters — die Endergebnisse seiner auf diese Angelegenheiten bezüglichen Tätigkeit. Ebenso steht es mit den Masseschulden. Der gerichtliche Aktenband a enthält dabei das vom Verwalter gemäß §§ 123/4 eingereichte Inventar nebst Bilanz; eine nähere Prüfung dieser Schriftstücke durch das Gericht findet nicht statt. Falls, was nicht selten geschieht, ein Beteiligter in Aussonderungs- und ähnlichen Angelegenheiten sich an das Konkursgericht wendet, wird die Eingabe mit der Verfügung „Urschriftlich gegen Rückgabe Herrn Konkursverwalter zum Bericht" erledigt. Denn auf Grund seines allgemeinen Aufsichtsrechts (§83) kann der Richter jederzeit Auskünfte verlangen. Zu einem konkursgerichtlichen Eingreifen kommt es nur bei Ordnungswidrigkeiten des Verwalters, während sachliche Differenzen auf den Prozeßweg verwiesen werden. Uber die Abnahme des Offenbarungseides durch das Konkursgericht s. unten S. 411 f.

Zwangsvergleich V e r g l e i c h s v o r schlag. „An das Amtsgericht, hier. In meiner Konkurssache biete ich den nicht bevorrechtigten Konkursgläubigern"

— sie allein sind die Gegenkontrahenten des Zwangsvergleichs (§§ 173, 191 1 1 ). deshalb haben die Vorrechtsgläubiger als Unbeteiligte kein Stimmrecht im Vergleichstermin — „den Abschluß folgenden Zwangsvergleichs an: 1. Ich zahle meinen nicht bevorrechtigten Konkursgläubigern 50% (i.W.) ihrer Forderungen und zwar a) 25% (i. W.) innerhalb eines Monats seit Rechtskraft des Vergleichs, b) 15% (i- W.) bis zum 1. Oktober i960, c ) I O % ('• W.) bis zum 2. Januar 1961. Der Rest der Forderungen sowie die seit Eröffnung des Konkursverfahrens laufenden Zinsen werden erlassen."

Da die Zinsen nicht als Konkursforderungen geltend gemacht werden können (S. 367 zu 5), werden sie eigentlich nicht vom Vergleich betroffen. Es entspricht aber

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Konkursrichter — Zwangsvergleich

der Verkehrsauffassung, daß die Gläubiger auch die Zinsen erlassen. R G 125, 408 (für Geschäftsaufsicht); Jaeger 7 zu § 193. Im gleichen Sinne regelt § 8 3 " VerglO die Frage. (§ 83 11 gilt aber nicht für Zinsen aus Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger, BGH N J W 1956, 1594). „2. Die verwandten Gläubiger, Frau Elly Geier geb. Eckert, Frl. Frida Geier, Wilhelm Geier verpflichten sich, wegen ihrer Forderungen Ansprüche gegen mich erst nach vollständiger Auszahlung der Vergleichsraten an die übrigen Gläubiger geltend zu machen. 3. Für die Erfüllung meiner Verpflichtungen aus dem Vergleich übernehmen mein Bruder, Kaufmann Wilhelm Geier in Hamburg, und mein Schwiegervater, Steinbruchbesitzer Oskar Eckert in Bonn, als Gesamtschuldner die selbstschuldnerische Bürgschaft. Köln, den 28. Mai 1960. Konrad Geier. Wir übernehmen die selbstschuldnerische Bürgschaft nach Maßgabe des vorstehenden Vergleichs. z. Z. Köln, den 28. Mai i960. Wilhelm Geier.

Oskar Eckert.

Hierdurch verpflichten wir uns für den Fall des Zustandekommens des vorstehenden Zwangsvergleichs, wegen unserer unten bezeichneten Forderungen Ansprüche an Herrn Konrad Geier erst zu erheben, nachdem alle übrigen Gläubiger wegen ihrer Ansprüche aus dem Zwangsvergleich vollständig befriedigt sind. Ich, Frida Geier, entbinde gleichzeitig für den gedachten Fall den Konkursverwalter von der Verpflichtung, meine Forderung als bevorrechtigt aus der Masse zur Auszahlung zu bringen. Köln, den 28. Mai i960. Elly Geier geb. Eckert wegen def festgestellten Forderung von 17 500 D M Abt. II Nr. 61.

Frida Geier wegen der festgestellten Forderung von 7500 D M Abt. I Klasse V Nr. 1. Wilhelm Geier

wegen der festgestellten Forderung von 22815,50 D M Abt. II Nr. 50. Vorstehenden Vergleichsvorschlag befürworten wir im gemeinsamen Interesse der Konkursgläubiger. Fritz Müller als Konkursverwalter.

Max Brandler Ferdinand Schilling SchwärRA. als Mitglieder des Gläubigerausschusses."

Vgl. § 1 7 7 KO. Gegenüber dem Vergleichs Vorschlag vom 2 8. August 1959 und dem damit übereinstimmenden Vorschlag des gerichtlichen Vergleichsverfahrens bietet der jetzige Vorschlag ein Mehr von 5 % und erhöhte Sicherheit durch Stellung eines zweiten Vergleichsbürgen, dafür aber wesentlich weiter hinausgerückte Fälligkeiten. Schlechter gestellt werden die kleinen Gläubiger, die damals bis 100% erhalten sollten, während ihnen jetzt nur die allgemeine Vergleichsquote geboten wird. Der Grund hierfür ist folgender: § 8 « VerglO gestattet eine verschiedenartige Behandlung mehrerer Gläubigerkategorien im Zwangsvergleich des Vergleichsverfahrens unter der Voraussetzung, daß nicht bloß unter der Gesamtheit der beteiligten Gläubiger die vorgeschriebenen Kopf- und Summenmehrheiten erreicht sind, sondern außerdem auch in der Gruppe der zurückgesetzten Gläubiger einfache Kopf- und 3/4-Summenmehrheit für den Vergleich vorhanden ist. Dagegen läßt § 181 S. 2 K O für den Konkurs-Zwangsvergleich eine ungleiche Bestimmung der Rechte nur mit ausdrücklicher Einwilligung der zurückgesetzten Gläubiger, d. h. also sämtlicher zurückgesetzten Gläubiger zu. Zustimmungserklärungen von allen Gläubigern über 100 DM oder über 200 DM aufzubringen, ist praktisch natürlich ausgeschlossen. Infolgedessen kommt die der kaufmännischen Auffassung entsprechende und für das Gesamtergebnis gar nicht ins

Konkursrichter — Vorbereitung des Vergleichstermins

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Gewicht fallende offene Bevorzugung der Klein-Gläubiger — die an einem sie nicht voll befriedigenden Vergleich in der Regel kein Interesse haben — für den Zwangsvergleich des Konkurses nicht in Betracht. Das erschwert die Erreichung der KopfMehrheit (§ 182 1 ) wesentlich und führt den Gemeinschuldner in Versuchung, trotz aller Gefahren sich durch heimliche Begünstigung einzelner opponierender kleiner Gläubiger zu helfen. Die Zurücksetzung der Verwandten-Gläubiger in § 2 des Vorschlags war durchführbar, weil von ihr nur drei Gläubiger berührt werden, deren Einwilligungserklärungen vorliegen. Der Schlußsatz der Erklärung der Frida Geier ist notwendig, weil sie das Vorrecht der 5. Klasse hat und bevorrechtigte Forderungen nach Abschluß eines Zwangsvergleichs vom Verwalter auszuzahlen sind (S. 382). — Mit dem Eingang wird Aktenband e angelegt. Der Vorschlag ist inhaltlich zulässig, auch keiner der Ausnahmefälle gegeben, in denen Vergleichsvorschläge a limine zurückgewiesen werden müssen oder können (§§ Verfügung gemäß § 179: „ 1 . Termin zur Verhandlung über den Zwangsvergleichsvorschlag wird auf den 27. Juni i960 vormittags 9 Uhr bestimmt. 2. Z u laden: a) Gemeindeschuldner, b) Verwalter, c) die Mitglieder des Gläubigerausschusses, d) alle nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger, welche angemeldet haben, unter Mitteilung einer Abschrift des Vergleichsvorschlages mit dem Bemerken, daß der Gläubigerausschuß den Vergleichsvorschlag befürwortet hat. 5. Bekanntmachung: Z u s a t z : Der Vergleichs Vorschlag und die Erklärung des Gläubigerausschusses sind auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niedergelegt."

V o r b e r e i t u n g des Vergleichstermins. Um die nötigen Mehrheiten für den Termin aufzubringen, versenden der Gemeinschuldner und seine Freunde an sämtliche Gläubiger ein Rundschreiben, das unter Darlegung des Sachverhalts die Zustimmung empfiehlt. Dem Rundschreiben liegen Vollmachtsformulare bei, durch deren Unterzeichnung die Gläubiger den RA. Weiß mit ihrer Vertretung im Vergleichstermin beauftragen und zur Abgabe der Zustimmungserklärung ermächtigen sollen; die durch die Vertretung entstehenden Kosten übernimmt der Gemeinschuldner. Die K O betrachtet nämlich die Abstimmung über den Zwangsvergleich als einen in den Termin verwiesenen Prozeßakt. Dadurch wird besonders die Erreichung der Summenmehrheit erschwert. Während für die Kopfmehrheit (§ 182 1 ) nur die im Termin anwesenden bzw. vertretenen Gläubiger gezählt werden, muß die Summenmehrheit von 3/4 aller überhaupt stimmberechtigten Forderungen einschließlich der im Termin nicht vertretenen erreicht sein (§ 1822). Das Fehlen eines Gläubigers hat mithin für die Summenmehrheit die gleiche Wirkung, wie wenn er gegen den Vergleich gestimmt hätte. Man hilft sich deshalb durch das Angebot kostenloser Vertretung an die zur Zustimmung bereiten Gläubiger. Für die Stellungnahme der Beteiligten sind die verschiedenartigsten Umstände maßgebend. Gläubiger, deren Forderungen bestritten, deren Pfändungen angefochten wurden oder die sonst über Maßnahmen des Verwalters verärgert sind, gehören in der Regel zur Opposition. Wer mit dem Gemeinschuldner in Zukunft geschäftlich zu arbeiten hofft, ist ein Freund des Vergleichs. Am leichtesten erlangt man die Zustimmungserklärung solcher Konkursgläubiger, die für ihre Forderung eine besondere Sicherheit — gleichviel ob Hypothek an einem Masse- oder fremden Grundstück, Pfandrecht, Bürgschaft, Haftung eines Gesamtschuldners — besitzen: denn wie wir noch sehen werden (S. 381), bleiben trotz des Zwangsvergleichs alle Sicherheiten in ursprünglicher Höhe bestehen. Andrerseits nötigt das Bestehenbleiben der

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Konkursrichter — Vergleichstermin

Sicherheiten dazu, daß der Gemeinschuldner mit den Hypothekengläubigern Vereinbarungen für den Vergleichsfall über die Stundung ihrer Hypotheken trifft. Die beiden Vergleichsbürgen sichern sich durch schriftliche Erklärungen außerhalb des abzuschließenden Zwangsvergleichs dagegen, von den Verwandten-Gläubigern aus der Vergleichsbürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Inzwischen bereitet das Gericht die Stimmliste für den Termin vor, wobei zu beachten ist, daß jeder Gläubiger — auch wenn er Forderungen zur Tabelle unter mehreren Nummern angemeldet hat — in der Liste nur eine einzige Nummer erhalten darf, weil sich sonst für die Kopfmehrheit ein falsches Bild ergeben würde. Der Konkursverwalter hat mit der Vorbereitung des Vergleichstermins amtlich nichts zu tun. V e r gleichster min. „Gegenwärtig:....

Köln, den 27. Juni i960.

In den Konkursverfahren usw. erschienen bei Aufruf der Sache im heutigen Vergleichstermin:

t

1. der Konkursverwalter Treuhänder Fritz Müller, 2. der Gemeinschuldner Konrad Geier, 3. die Mitglieder des Gläubigerausschusses, Herren Brandler, Schilling und RA. Schwarz, 4. seitens der Gläubiger die in der anliegenden Stimmliste aufgeführten Personen,"

— das amtliche Formular der Stimmliste enthält eine besondere Rubrik für die Bevollmächtigten — „5. der Steinbruchbesitzer Oskar Eckert aus Bonn 6. für den Kaufmann Wilhelm Geier aus Hamburg, Frau Elly Geier und Frl. Frida Geier: R A . Weiß, Vollmachten überreichend. Der Konkursverwalter erstattete Bericht über die Sachlage, wonach für die nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger mit Forderungen im Gesamtbetrage von 241588,90 D M eine Dividende von 36 bis 37% in Aussicht steht. In dem Betrage von 241 588,90 D M sind 7359,00 DM noch nicht festgestellte Forderungen enthalten."

Der Bericht gibt eine Reihe von Einzelheiten: Das Brühler Grundstück ist im Zwangsversteigerungsverfahren, nachdem durch die Bemühungen des Gläubigerausschusses ein geeigneter Bieter gestellt war und Nitsche sich mit dem Stehenbleiben seiner Hypothek einverstanden erklärt hatte (vgl. S. 349.), zu einem den Hypothekenstand übersteigenden Betrag zugeschlagen worden und damit sind die befürchteten Ausfallsforderungen der Hypothekengläubiger weggefallen. Den Prozeß über Achterbahn und Zyklonrad hat die Masse verloren. Der Feststellungsprozeß Langrocks schwebt in zweiter Instanz beim Landesarbeitsgericht, da Langrock gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, das ihm nur insgesamt jooo DM Entschädigung als nicht bevorrechtigte Forderung zusprach, Berufung eingelegt hat. In den Feststellungsprozessen des Esche und verschiedener anderer Gläubiger ist noch kein Schlußurteil ergangen. Preuß ist auf die Anfechtung des Verwalters vom Landgericht zur Bewilligung der Löschung seiner Vormerkung verurteilt und seine Widerklage auf Umschreibung der Vormerkung in eine Sicherungshypothek abgewiesen worden; Preuß hat Berufung eingelegt. Alle übrigen Anfechtungs- und sonstigen Prozesse sind zu Gunsten der Konkursmasse entschieden. „Der Vergleichsvorschlag vom 28. Mai i960 wurde verlesen. Der Gemeinschuldner erklärte, daß er bei diesem Vorschlag verbleibe. Der Bürge Eckert und RA. Weiß als Bevollmächtigter des Bürgen Wilhelm Geier erklärten, daß sie für die Erfüllung des Vergleichs selbstschuldnerische Bürgschaft nach Maßgabe des schriftlichen Vergleichsvorschlags übernehmen. RA. Weiß wieder-

Konkursrichter — Stimmrechtsentscheidungen

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holte als Bevollmächtigter der Gläubiger Fr. Elly Geier, Frl. Frida Geier und Wilhelm Geier die von seinen Vollmachtgebern im Vergleichsvorschlag schriftlich abgegebenen Verpflichtungserklärungen." Denn alle für den konkursrechtlichen Zwangsvergleich notwendigen Erklärungen sind Terminserklärungen. Die Unterzeichnung des Vergleichsvorschlags durch Gemeinschuldner, Vergleichsbürgen und die im Vergleich mit ihren Rechten zurücktretenden Konkursgläubiger hatte lediglich die Bedeutung, die Bereitwilligkeit zur Abgabe der allein maßgebenden Erklärung im Termin anzukündigen. Ist ein Vergleich geschlossen, ohne daß die Bürgen im Termin ausdrücklich die Bürgschaftsübernahme (selbst oder durch einen Bevollmächtigten) erklärt haben, so sucht man mit Hilfskonstruktionen den Vergleich zu retten. Hatte z. B. der Vergleichsbürge, der ja fast immer zu den Konkursgläubigern gehört, in dieser Eigenschaft für den Vergleich gestimmt, so hat er sich damit im Termin zu seiner schriftlich in Aussicht gestellten Bürgschaft bekannt. Wenn sich im Termin herausstellt, daß weder der Bürge noch ein Bevollmächtigter, der für ihn die Bürgschaft mündlich wiederholen könnte, zur Stelle ist, so darf der Zwangsvergleich unter der Bedingung der Nachbringung der Bürgschaft abgeschlossen werden, sofern eine bestimmte Frist für die Nachbringung festgesetzt ist. R G 56, 70; 64, 82; 143, 102 sowie Jaeger 2 zu § 179; Böhle-Stamschräder 1 zu § 179. Über die Erklärungen der zurücktretenden Gläubiger vgl. Jaeger 3 zu § 181. Daß RA. Weiß durch die überreichten Vollmachten zur Abgabe seiner Erklärungen legitimiert ist, wird unterstellt. E s folgt — auf dem Hintergrund der früher (S. 375/6) dargelegten Interessengegensätze — der Kampf um das Stimmrecht: „Namens der durch ihn vertretenen Gläubiger beantragte RA. Weiß, den Gläubigern bestrittener Forderungen kein Stimmrecht zu gewähren. Namens der Gläubiger Esche und Augustin beantragte RA. Grau: a) den Gläubigern bestrittener Forderungen, soweit ihre Feststellungsklagen nicht rechtskräftig abgewiesen sind, volles Stimmrecht, b) dem durch Hypothek von 25 000 DM auf dem Grundstück der Ehefrau des Gemeinschuldners gesicherten Gläubiger Schilling Stimmrecht nur in Höhe des überschießenden Betrages seiner Forderung. c) den absonderungsberechtigten Hypothekengläubigern sowie dem durch Vormerkung gesicherten Gläubiger Preuß überhaupt kein Stimmrecht zu gewähren." Das Gericht entscheidet nach freiem Ermessen (§§ 95, 96 K O ) : „Nach Verhandlung mit den Erschienenen wurde der Beschluß verkündet: Die Gläubiger Esche, Friedrich und Fricke (Abt. II Nr. 27, 28, 29) erhalten Stimmrecht in Höhe der von ihnen angemeldeten Forderungen. Gläubiger Preuß (Abt. II Nr. 31) erhält Stimmrecht in Höhe der Hälfte der angemeldeten Forderung. Gläubiger Nitsche (Abt. II Nr. 43) erhält kein Stimmrecht. Gläubiger Schilling (Abt. II Nr. 48) erhält Stimmrecht in Höhe seiner festgestellten Gesamtforderung, weil er keine abgesonderte Befriedigung an Gegenständen der Konkursmasse beansprucht." Die Forderungen von Esche, Friedrich und Fricke sind die bestrittenen (der ebenfalls bestrittene Langrock kommt, weil er ein Vorrecht in Anspruch nimmt, nicht in Betracht). Preuß kann im Hinblick auf die Anfechtung seiner Vormerkung nicht als voll gesichert gelten. Die bedingte Feststellung der Nitscheschen Konkursforderung

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Konkursrichter — Stimmrecht der Ehefrau

ist durch den Ausgang der Brühler Zwangsversteigerung gegenstandslos geworden. Bei Schilling wird wiederum wichtig, daß seine Hypothek am Grundstück eines Dritten besteht: ebensowenig wie § 64 (oben S. 370 zu 1 1 ) trifft § 96 1 auf ihn zu. Die Stimmrechtsentscheidungen des Gerichts, von denen möglicherweise das Schicksal des Vergleichs abhängt, sind der Anfechtung entzogen; sie können auch nicht durch Beschwerde gegen den später über die Bestätigung des Vergleichs zu erlassenden Beschluß angegriffen werden. §§ 9 5 1 1 1 , 9 6 " . „Den Anwesenden wurde Gelegenheit gegeben, sich über den Vergleichsvorschlag und die Bürgschaftserklärungen zu äußern."

Der Gläubigerausschuß teilt mit, daß die Bürgen nach den eingezogenen Auskünften für den Betrag der gesamten Vergleichsraten unbedingt gut seien. — Die Vergleichsgegner weisen daraufhin, daß nach dem Bericht des Verwalters 36—37% in der Masse lägen, die sich bei günstigem Ausgang aller noch schwebenden Prozesse um weitere Prozente erhöhen könnten; die im Vergleich darüber gebotenen 1 3 % seien kein genügender Ausgleich dafür, daß die Gläubiger durch Annahme des Vergleichs die Möglichkeit aus der Hand gäben, nach Aufhebung des Konkurses von Geier, der in den besten Jahren stehe und ein gewandter Geschäftsmann sei, ihren ganzen Ausfall beizutreiben. — Dem wird von den Freunden des Vergleichs entgegengehalten, daß Geier im Falle der Beendigung des Konkurses ohne Zwangsvergleich bei der Höhe der alsdann verbleibenden Schuldenlast im Interesse seiner Familie sicherlich Mittel und Wege finden würde, seinen künftigen Erwerb dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, indem er ein Geschäft auf den Namen der Ehefrau beginnen bzw., wenn er bei Fremden in Stellung träte, dies in verschleierter Form tun würde. „Hierauf wurde über den Vergleichsvorschlag abgestimmt; das Ergebnis der Abstimmung wurde in der anliegenden Stimmliste verzeichnet. Hiernach stimmten 36 Gläubiger mit 1 8 7 5 0 0 D M , darunter die Ehefrau des Gemeinschuldners mit 1 7 5 0 0 D M , für den Vergleich, und 14 Gläubiger mit 23679,50 D M gegen den Vergleich, während 16 Gläubiger mit 25 479,90 D M nicht anwesend waren und sich daher an der Abstimmung nicht beteiligten."

Während sonstige Verwandte des Gemeinschuldners unbeschränktes Stimmrecht besitzen, gewährt das Gesetz dem Ehegatten bei der Abstimmung über einen Zwangsvergleichsvorschlag nur ein bedingtes Stimmrecht. Zwangsvergleiche sollen nicht mit entscheidender Hilfe der Ehegattenforderung durchgebracht werden. Deshalb bestimmt § 183, daß der zustimmende Ehegatte bei der Berechnung der Mehrheiten „außer Betracht bleibt". Das bedeutet für die hierbei besonders wichtige Summenmehrheit, daß von den nach Abzug der Ehegattenforderung sich ergebenden Forderungen 3/4 dem Vergleich zustimmen müssen: die Forderung wird also sowohl von den zustimmenden als von der Gesamtsumme der stimmberechtigten Forderungen abgesetzt. Denn wäre der Sinn der Vorschrift der, daß die Forderung des Ehegatten nur bei den zustimmenden Gläubigern, also im Zähler des Bruchs, abzuziehen sei, so würde in Konkursen, bei denen die Ehegattenforderung mehr als % sämtlicher stimmberechtigten Forderungen ausmacht, die Erreichung der Mehrheit überhaupt nicht möglich sein. — Zu beachten ist, daß nach § 183 die Forderung des Ehegatten nur dann unberücksichtigt bleibt, „wenn er dem Vergleich zugestimmt hat." Das Stimmrecht wird dem Ehegatten also nicht gänzlich entzogen, und wenn er gegen den Vergleich stimmt, so zählt seine Stimme mit. Sie zählt aber auch dann mit, wenn er überhaupt nicht abstimmt. Daraus folgt, daß die Ehefrau, wenn sie den Vergleich fördern will, nicht etwa in der Erwägung, sie habe ja doch kein Stimmrecht, zu Hause bleiben darf. Sie muß vielmehr im Vergleichstermin vertreten sein und dem Vergleich zustimmen — bloß zu dem Zwecke, daß nunmehr ihre Stimme „außer Betracht bleibt", die 3/4 daher nicht von der Summe aller wirklich vorhandenen Forderungen, sondern nur von den nach Abzug ihrer eigenen Forderung verbleibenden zu berechnen sind!

Konkursrichter — Bestätigung des Zwangsvergleichs

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F ü r unseren Fall lautet das Exempel: 187500—17500 236659,40—17500

170000 —

219159,40

Das sind mehr als ®/4. D e r Vergleich ist angenommen! „ E s wurde über die Bestätigung des Vergleichs verhandelt und Gläubiger, Verwalter und Gläubigerausschußmitglieder gehört. RA. Grau beantragte namens der Gläubiger Esche und Augustin, den Vergleich als dem gemeinsamen Interesse der nicht bevorrechtigten Gläubiger widersprechend zu verwerfen, und überreichte zur Glaubhaftmachung, daß das Grundstück Köln-Ehrenfeld Bl. Nr 97 350000 D M wert sei, Taxe des Maurermeisters Bruschke vom 18. Juni i960. Über den Antrag wurde mit den Erschienenen verhandelt. Vorgelesen, genehmigt." Bei der Beschlußfassung über die Bestätigung prüft das Gericht in erster Linie die Zulässigkeit und das formell ordnungsmäßige Zustandekommen des Z w a n g s v e r gleichs nach. Seine sachliche Prüfung ist beschränkt: ob der Vergleich für die G l ä u biger nützlich oder schädlich erscheint, muß die Mehrheit selbst entscheiden. Beträgt die Vergleichsquote weniger als 2 0 % , so muß v o n A m t s wegen auf die Frage eingegangen werden, ob der Gemeinschuldner durch „unredliches" oder durch „leichtsinniges" Verhalten dieses schlechte Ergebnis verschuldet hat: im ersten Falle muß, im anderen Falle kann der Vergleich verworfen werden (§ 187). Dagegen setzen die Verwerfungsgründe des § 188 — Zustandebringen des Vergleichs durch unlautere Machenschaften bzw. Verletzung der gemeinsamen Gläubigerinteressen — den besonderen Antrag eines Konkursgläubigers sowie die Glaubhaftmachung der T a t sachen voraus. D e n zweiten dieser Anträge haben Esche und Augustin gestellt. Wäre die Entscheidung dem Richter zweifelhaft, so würde er einen besonderen Verkündungstermin ansetzen (§ 1 8 4 1 1 ) . E r hat sich jedoch bereits schlüssig gemacht: „ E s wurde der anliegende Beschluß verkündet. Richter.

Urkund"

Bestätigung. „Verkündet am 27. Juni i960. Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Beschluß. In dem Konkursverfahren über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, Alleininhabers der Firma .Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier', in KölnEhrenfeld. Der in dem Vergleichstermin vom 27. Juni i960 angenommene Zwangsvergleich wird hierdurch bestätigt. Gründe. Für die Annahme des vom Gemeinschuldner vorgeschlagenen Vergleichs haben 36 Gläubiger mit 187500 DM gestimmt, dagegen 14 Gläubiger mit 23679,50 DM. Nicht anwesend waren 16 Gläubiger mit 25479,90 DM. Die Ehefrau des Gemeinschuldners hat mit 17500 D M für den Vergleich gestimmt. Wird sie gemäß § 183 1 K O außer Betracht gelassen, so hat die Mehrzahl der anwesenden Gläubiger, nämlich 3 5 von 49 Gläubigern, dem Vergleich zugestimmt, und es beträgt die Summe der Forderungen der zustimmenden Gläubiger 170000 DM, das ist mehr als drei Vierteile der Gesamtsumme aller stimmberechtigten Forderungen — 219159,40 D M —. Die in § 182 K O vorgeschriebenene Mehrheiten sind also erreicht. Dem aus § 188 2 K O gestellten Verwerfungsantrag der Gläubiger Esche und Augustin ist nicht stattgegeben worden. In der Masse liegen nach der vom Gläubigerausschuß bestätigten Schätzung des Verwalters 36—37%, günstigenfalls ca. 40%, die auf Grund eines langwierigen

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Konkursrichter — Gläubigerbegünstigung beim Zwangsvergleich

Verfahrens flüssig gemacht werden müßten, während der Vergleich den Gläubigern 50% zu nicht allzu weit hinausgerückten Zahlungsterminen bietet. Die Zahlung der Vergleichsraten wird durch die Verpflichtung der verwandten Gläubiger, Ansprüche gegen den Gemeinschuldner erst nach vollständiger Erfüllung des Vergleichs gegenüber allen übrigen Konkursgläubigern geltend zu machen, sowie durch die Haftung zweier als sicher anzusehenden Bürgen gewährleistet. Allerdings beruht die Dividendenschätzung des Verwalters auf der Annahme eines Wertes von nur 260000 D M für das zur Masse gehörige Grundstück Köln-Ehrenfeld Bl. Nr. 97, während die Taxe des Maurermeisters Bruschke einen Wert von 350000 D M herausrechnet. Unter Zugrundelegung der Bruschke sehen Taxe würden fast 80% in der Masse liegen. Das Gericht ist aber der Taxe nicht gefolgt, weil es sich um ein Vergnügungsetablissement handelt, dessen Wert hauptsächlich von dem Verdienst abhängt, den der Eigentümer mit dem Betriebe erzielen kann, bzw. von der Pachtsumme, die ein Pächter dafür zu zahlen bereit ist. Ob der von Bruschke in mehr theoretischer und schemati scher Weise auf Grund der Baukosten und des Terrainwerts berechnete Betrag von 350000 D M in absehbarer Zeit durch Verkauf zu realisieren sein würde, muß nach den Erklärungen des Verwalters und des Gläubigerausschusses, welche trotz vielfacher Bemühungen kein höheres Angebot als 260000 D M (20000 D M über dem festgesetzten Steuerwert) erzielen konnten, bezweifelt werden. Richter." Zugestellt w i r d der Beschluß nicht, die Frist zur E i n l e g u n g der sofortigen Beschwerde läuft v o n der V e r k ü n d u n g (§ 1 8 9 1 1 ) . B e s c h w e r d e . D i e am 5. Juli i 9 6 0 eingehende Beschwerdeschrift des R A . G r a u wiederholt die mündlichen Darlegungen aus dem Vergleichstermin und bringt eine neue Behauptung: „Wie die beiliegende eidesstattliche Versicherung des Gläubigers Fricke, dessen angemeldete Forderung von 620 D M Abt. II Nr. 29 s. Zt. vom Verwalter und Gemeinschuldner bestritten wurde und den Gegenstand eines Feststellungsprozesses bildet, ergibt, ist Fricke kurz nach Bekanntmachung des Vergleichstermins mit dem Gemeinschuldner im Hotel .Deutsches Haus' in Honnef zusammengetroffen und hat mit ihm über den Vergleich gesprochen. Dabei hat Geier auf die Erklärung Frickes, er sei mit 50% nicht Zufrieden und würde nur bei 7 5 % zustimmen, erwidert, daß er mit den Vergleichsbürgen sprechen wolle, diese würden den Vergleich nicht an der Mehrforderung von 155 D M scheitern lassen. Eventuell könnte ein Verwandter die Fricke sehe Forderung für 465 D M aufkaufen und mit ihr für den Vergleich stimmen, das würde bei allen Zwangsvergleichen so gemacht. Der Vergleich muß also auch deshalb verworfen werden, weil er in unlauterer Weise zustande gebracht ist (§ 188 1 K O ) . " Geheime Sonderabkommen zur Begünstigung einzelner Gläubiger sind beim Zwangsvergleich nicht bloß nichtig (§ 1 8 1 S. 3) und strafbar (§ 243), sondern sie f ü h ren auch bei rechtzeitiger Antragsteilung und Glaubhaftmachung zur V e r w e r f u n g des ganzen Vergleichs (§ 1 8 8 1 ) und begründen sogar noch nach Rechtskraft der B e stätigung die A n f e c h t u n g w e g e n arglistiger Täuschung (§ 196). Diese A n f e c h t u n g ist f ü r Gemeinschuldner und Vergleichsbürgen besonders gefährlich: denn der G l ä u biger, der v o n dem Sonderabkommen nichts g e w u ß t hat, ficht nicht den Z w a n g s vergleich als Ganzes, sondern lediglich den darin enthaltenen teilweisen Erlaß seiner Forderung an „unbeschadet der ihm durch den Vergleich gewährten R e c h t e " . E r kann mithin v o m Gemeinschuldner die vollen 1 0 0 % seiner Forderung verlangen und sich obendrein in H ö h e der Vergleichsquote an die Bürgen halten, so daß die zur N e u begründung der Existenz des Schuldners v o n den B ü r g e n gebrachten O p f e r nutzlos waren. T r o t z d e m erweist sich in der Praxis die V e r s u c h u n g , den Widerstand eines oder einiger Opponenten durch Begünstigungsabreden zu überwinden, als außerordentlich groß, und man glaubt bisweilen besonders schlau zu sein, w e n n man die Forderung des Akkordstörers durch einen Strohmann zu einem die offizielle V e r gleichsquote übersteigenden Preise aufkaufen läßt, w i e Geier es vorgeschlagen haben soll. Natürlich würde auch das eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 8 8 1 sein.

Konkursrichter — Wirkungen des Zwangsvergleichs

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Geier, dem die Beschwerdeschrift vom Landgericht mitgeteilt wird, erwidert durch RA. Weiß: „Die Behauptungen der Beschwerdeführer sind nicht schlüssig; denn wenn selbst der Gemeinschuldner dem Fricke verschleierte Sondervorteile in Aussicht gestellt hätte, so würde daraus noch nicht folgen, daß bei anderen Gläubigern das Gleiche geschehen sei. Daß nach der Unterredung in Honnef noch einmal jemand von Seiten des Gemeinschuldners an Fricke wegen des Verkaufs seiner Forderung herangetreten und der Verkauf perfekt gemacht worden sei, gibt Fricke ja selbst nicht an. Die Behauptung ist aber auch unwahr. Die Äußerungen, daß man an die Vergleichsbürgen herantreten und wegen der geringen Differenz den Vergleich nicht scheitern lassen solle, daß die Forderung durch einen Dritten abgekauft werden könne usw., sind nicht vom Gemeinschuldner sondern von einem dritten Reisenden, der mit am Tisch saß, getan worden. Der Gemeinschuldner hat dem Fricke sofort erklärt, daß er mit RA. Weiß sprechen müsse, ohne dessen Rat er in der Angelegeheit nichts tue. Beweis: Zeugnis des Geschäftsreisenden Peter Pawlik in Beuel, Rheinstraße 42."

Das Landgericht weist die Beschwerde ohne Beweiserhebung kostenfällig zurück: „Daß der Zwangsvergleich dem gemeinsamen Interesse der nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger widerspreche, ist nicht glaubhaft gemacht. (wird näher ausgeführt.) In der Beschwerde wird der Verwerfungsantrag darauf gestützt, daß der Fall des § 188 3 K O vorliege. In erster Instanz war die Verwerfung nur aus § i88 2 K O beantragt. Wenn auch die Beschwerde auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden darf (§570 ZPO), so kann doch bei der Beschwerde gegen die Bestätigung eines Zwangsvergleichs kein Verwerfungsgrund nachgeschoben werden, der nicht durch einen schon im Vergleichstermin gestellten Antrag des überstimmten Gläubigers gedeckt wird."

Der letzte Punkt mag zweifelhaft sein. Die Beschwerdeführer können jedoch nicht mehr die Entscheidung des Oberlandesgerichts anrufen. Zwar enthält der Beschluß des Landgerichts einen „neuen selbständigen Beschwerdegrund" (§ 5 68 1 1 ZPO), aber in Zwangsvergleichssachen wird die weitere Beschwerde durch § 1 8 9 1 » K O positiv ausgeschlossen. V e r g l e i c h s w i r k u n g e n . Soweit die Forderungen der nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger nach dem Vergleichsvorschlag befriedigt werden sollen, sind sie in den dort bestimmten Raten fällig, der Mehrbetrag gilt als erlassen. Nicht berührt werden jedoch die Rechte der Gläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Gemeinschuldners, ihre Pfandrechte, Hypotheken und Vormerkungen; diese Sicherheiten können also — trotz ihres akzessorischen Charakters — nach wie vor in ursprünglicher Höhe geltend gemacht werden (§ 193 S. 2). Speziell bei den Hypothekengläubigern der Geierschen Grundstücke bleibt das Prinzip des § 64 (oben S. 3 70f.) in Geltung; abgesehen von der ioo%igen dinglichen Haftung der Grundstücke sind also Geier und die Vergleichsbürgen persönlich in Höhe von 50% desjenigen Betrages verpflichtet, auf den die Gläubiger dinglich verzichten oder mit welchem sie bei der dinglichen Befriedigung ausfallen. R G 92, 181. Man wird ferner anzunehmen haben, daß der Vergleich die Gläubiger nicht hindert, mit 100% ihrer Forderung im selben Umfang aufzurechnen, wie sie das während des Konkurses hätten tun können, denn § 5 3 befreit den zur Aufrechnung Berechtigten allgemein von der Notwendigkeit, sich am Konkurse zu beteiligen. Jaeger 30 zu § 5 3 mit Rechtsprechung und Literatur; für das Vergleichsverfahren vgl. die ausdrückliche Vorschrift des § 54 S. 2 VerglO. Die Wirkung des Vergleichs tritt für und gegen alle „Konkursgläubiger" ein. Die Eigenschaft als Konkursgläubiger ist unabhängig von der Anmeldung der Forderung

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Konkursrichter — Vergleich im Vergleichsverfahren

zur Tabelle, sie wird dadurch geschaffen, daß der Gläubiger einen zur Zeit der E r öffnung des Verfahrens begründeten Vermögensanspruch an den Gemeinschuldner hat (§ 31). Demgemäß wirkt der Vergleich, wie § 193 S. 1 hervorhebt, auch für solche Gläubiger, die am Konkursverfahren nicht teilgenommen haben. D i e Schlauberger, welche meinen, durch Nichtanmeldung sich der Herabsetzung ihrer Forderungen durch Zwangsvergleich entziehen zu können, sind im Irrtum; praktisch berauben sie sich bloß der Möglichkeit, durch Tabellenfeststellung zu einem vollstreckbaren Schuldtitel zu gelangen. Soweit Verträge nach §§ 1 7 f. aufgelöst worden sind, dauert diese Rechtslage über den Zwangsvergleich hinaus an. Ebenso der Eintritt der Fälligkeit betagter Forderungen (§ 65), für die jetzt freilich die im Vergleich festgesetzten Zahlungstermine maßgebend sind, und die Umwandlung der Individualansprüche in Geldforderungen (§69). Vorrechts- und Masseansprüche bleiben v o m Vergleich unberührt. Sie sind, falls unstreitig, v o m Verwalter aus der Konkursmasse auszuzahlen, falls bestritten, sicherzustellen (§ 1 9 1 ) . Dagegen ist die Befriedigung der einfachen Konkursgläubiger Sache des Gemeinschuldners, der — mangels gegenteiliger Bestimmung des Z w a n g s v e r gleichs — das Recht freier V e r f ü g u n g über die Konkursmasse zurückerhält (§ 192). Erfüllt der Gemeinschuldner den Vergleich nicht, so gibt das den nicht bevorrechtigten Konkursgläubigern kein Recht, etwa nach § 326 B G B v o m Vergleich zurückzutreten (§ 195 K O ) . Sie müssen sich, soweit keine Sicherheiten bestellt sind, mit Zwangsvollstreckung aus der Tabelle (§ 194) helfen. V e r g l e i c h im g e r i c h t l i c h e n V e r g l e i c h s v e r f a h r e n nach der V e r g l O . Der Vergleich der VerglO weicht von demjenigen der K O in mehreren Punkten ab: 1. Feste Mindestquote von 35 bzw. 40% (§7 VerglO). Bei Vergleichsquoten unter 50% muß die Summenmehrheit 80% statt der sonst vorgeschriebenen 75% betragen (§ 74 1 1 1 ). 2. Möglichkeit der offiziellen Bevorzugung einzelner Gläubigerkategorien (Kleingläubiger, oben S. 374/5), wenn außer der allgemein vorgeschriebenen Kopf- und Summenmehrheit unter der Gesamtheit der Gläubiger auch innerhalb der zurückgesetzten Gläubiger die einfache Kopf- und eine 3/4-Summenmehrheit erreicht ist (§ 8 1 1 ). 3. Möglichkeit schriftlicher Zustimmung (§ 73) sowie schriftlicher Garantenerklärung (§ 85 11 ). Erstere kann bis zum Schluß der Abstimmung, letztere bis zum Beginn derselben widerrufen werden. Die Garantenerklärung braucht im Termin nicht vom Garanten selbst, sondern kann auch vom Schuldner oder dessen Vertreter verlesen werden. Dies sind aber nur das Zustandekommen des Vergleichs erleichternde Ausnahmen von dem an sich geltenden Terminserklärungsprinzip (vgl. § 66 1 2 VerglO). Im einzelnen ist hier manches streitig (vgl. Bley 2. Aufl. 26ff. zu § 66 mit Rechtsprechung und Literatur). 4. Der Vergleich enthält kraft Gesetzes im Zweifel die kassatorische Klausel: der Forderungserlaß wird hinfällig, sobald a) der Schuldner eine fällige — sei es auch bestrittene (vgl. B G H 32, 218) — Verbindlichkeit trotz schriftlicher Mahnung mit mindestens einwöchiger Nachfrist nicht bezahlt. b) vor vollständiger Erfüllung des Vergleichs über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet wird (§ 9). Die durch den Vergleich für die Gläubiger begründeten Rechte gegen Vergleichsbürgen usw. bleiben bestehen. B G H N J W 1957, 1319. Durch Verzug lebt nur die Forderung desjenigen Gläubigers, dem gegenüber der Verzug eingetreten ist, in voller Höhe auf, durch Konkurs die Forderung aller Gläubiger. Es bedarf keiner Rücktrittserklärung, sondern die Rechtsfolge tritt ipso iure ein. Die Geltung des § 9 (bis auf § 9 1 Halbs. 2 u. HE) kann durch den Vergleich ausgeschlossen werden, worauf bisweilen die Vergleichsbürgen Wert legen. Alsdann bleiben nach dem mit § 195 K O übereinstimmenden § 8 9 " VerglO die Gläubiger trotz der Nichterfüllung an den Zwangsvergleich gebunden.

Konkursrichter — Treuhand- und Liquidationsverglcich

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5. Im Gegensatz zur Regelung der K O kennt die VerglO zwecks verschärfter Überwachung der Vergleichserfällung das Nachverfahren nach dem 10. Abschnitt der VerglO. In Abweichung von der VerglO vom 5. 7. 1927 besteht die Regelung der VerglO vom 26. 2. 1955 darin, daß grundsätzlich auch das Stadium der Vergleichserfüllung noch verfahrensrechtlich beherrscht wird ( § 96 VerglO). Ausnahmsweise kann das Verfahren jedoch mit der Bestätigung des Vergleichs aufgehoben werden, wenn a) der Schuldner sich im Vergleich der Überwachung durch eine oder mehrere im Vergleich bezeichnete Personen als Sachwalter der Gläubiger bis zur Erfüllung des Vergleichs oder bis zum Eintritt einer im Vergleich festgesetzten Bedingung unterworfen hat (§ 91), b) oder die Vergleichsgläubiger die Aufhebung des Verfahrens im Vergleichstermin mit der zur Annahme des Vergleichs erforderlichen Mehrheit beantragen, und zwar vor der Entscheidung über die Bestätigung (§ 9 0 1 1 ) , c) oder die Summe der vollstreckbaren Vergleichsforderungen ohne Berücksichtigung des im Vergleich vorgesehenen Erlasses 20000,— D M nicht übersteigt (§ 90 1 2). Wenn die Aufhebung des Verfahrens dem gemeinschaftlichen Interesse der Vergleichsgläubiger widerspricht, hat das Gericht auf Antrag eines Vergleichsgläubigers oder von Amts wegen bei Fall b) den Antrag abzulehnen und bei Fall c) von der Aufhebung abzusehen (§90 II). Abgesehen von diesen Unterschieden, bei denen durchweg die VerglO gegenüber der K O als das modernere und den Anforderungen des Lebens besser Rechnung tragende Gesetz erscheint, gehen die beiden Gesetze weitgehend parallel. §§ 74 1 , 75, 82—85, 88, 89 VerglO entsprechen den §§ 182, 183, 193, 194, 196, 197 K O . § 64 K O gilt auch für das Vergleichsverfahren (§ 27 VerglO), vgl. hierzu B G H N J W i960,289 und oben S. 343. Zur gebotenen Vereinheitlichung beider Vergleichsarten vgl. Tidow in Konkurs- Treuhand- und Schiedsgerichtswesen 1956 S. 100ff. Treuhand- und L i q u i d a t i o n s v e r g l e i c h . „ T r e u h a n d v e r g l e i c h " ist ein Vergleich, bei dem zur Sicherung der Gläubiger einem Treuhänder dingliche Rechte an der Masse eingeräumt werden, „ L i q u i d a t i o n s v e r g l e i c h " ein Vergleich, nach welchem die Gläubiger keine bestimmte Quote ihrer Forderungen erhalten, sondern die Masse versilbert und der Erlös anteilmäßig unter die Gläubiger verteilt werden soll. Der Treuhandvergleich kann auf eine feste Quote lauten oder Liquidationsvergleich sein, der Liquidationsvergleich kommt praktisch nur in der Form des Treuhandvergleichs vor. Treuhand- wie Liquidationsvergleich sind sowohl im Konkurs wie im Vergleichsverfahren wie beim außergerichtlichen Vergleich möglich. Für den Konkurs insbesondere ergibt sich die Zulässigkeit aus der dispositiven Natur des § 192 ( R G 8 9 , 1 3 1 ; Jaeger 1 zu § 192). Einen Übergang zum eigentlichen Treuhandvergleich stellen die sehr häufigen Zwangsvergleiche dar, in denen die Auszahlung der ersten Rate oder mehrerer Raten durch den Konkursverwalter vorgesehen wird. Besonders oft werden Treuhand- und Liquidationsvergleiche im Vergleichsverfahren geschlossen. § 7 ^ VerglO trifft dabei für den Liquidationsvergleich im Hinblick auf das Mindestquotenerfordernis die Regelung, daß er nur zulässig ist, wenn die Verwertung den Vergleichsgläubigern voraussichtlich mindestens 35% ihrer Forderungen gewähren wird und der Erlaß, falls die Verwertung weniger ergeben sollte, sich nicht auf den aa 3 5 % der Forderungen fehlenden Betrag erstreckt. Vgl. hierzu Bauer Betr. 1958, 1237. Für den Konkurs-Treuhandvergleich will R G 89, 1 3 1 die dingliche Sicherung in der Weise durchführen, daß das Verfügungs- und Verwaltungsrecht des Konkursverwalters bestehen bleibt und die durch den Konkurs herbeigeführte separatio bonorum andauert. Die formelle Aufhebung des Konkursverfahrens und die Löschung der Konkursvermerke in Grundbuch und Handelsregister (s. den nächsten Fall) geschieht aber beim Treuhandvergleich ebenso wie beim sonstigen Zwangsvergleich: denn die Fortdauer des Verfügungsrechts des Verwalters und die entsprechende Verfügungsbeschränkung des (früheren) Gemeinschuldners beruhen jetzt nicht mehr auf dem Konkurse, sondern auf der Vergleichsklausel. Die Sicherung des Treuhandvergleichs durch eine neue Grundbucheintragung ist angesichts des § 137 B G B nicht einfach. In der Praxis hilft man sich vielfach durch fiduziarische Übertragung der ganzen Masse auf bisherige Verwalter, einen wirtschaftlichen Verband oder einen sonstigen Treuhänder, durch Hinterlegung von Wertgegenständen, durch Bestellung von Sicherungshypotheken für die Gläubiger und ähnliche Mittel. Die Kontrolle der Gläubiger über die Durchführung von Treuhand- und Liquidationsvergleichen wird bisweilen sehr ausgebaut (Gläubigerausschüsse, Gläubigerversammlungen usw.), so daß sich geradezu das Bild einer privaten Geschäftsaufsicht ergibt.

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Konkursrichter — Schlußverfahren nach Zwangsvergleich

Bei Übertragung der Treuhand an den Sachwalter gemäß § 91 VerglO haftet der Treuhänder nicht gemäß § 419 BGB, was § 92v VerglO ausdrücklich bestimmt. Die Treuhand kann im übrigen in einer bloßen Ermächtigung zur Verwertung (sog. unechte Treuhand) oder in der Übertragung der Rechtsinhaberschaft selbst (sog. echte Treuhand) bestehen. Die Befriedigung der Gläubiger erfolgt in beiden Fällen ausschließlich durch den Treuhänder, gegen den sie die Ansprüche haben, die ihnen der Vergleich gewährt. Gegenüber einem dem Vergleich widersprechenden Zwangszugriff der Vergleichsgläubiger auf das Treugut stehen dem Treuhänder in beiden Fällen (auf Grund seiner Rechtsinhaberschaft bzw. auf Grund seiner die Veräußerung hindernden Verfügungsmacht gegenüber den Vergleichsgläubigern) die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO sowie gegebenenfalls die Erinnerung gemäß §§ 766, 809 ZPO zu (streitig). Dagegen ist den am Vergleich nicht beteiligten Altgläubigern der Zwangszugriff auf das Treugut ohne die Schranken des Vergleichs gestattet, und zwar bei beiden Treuhandformen. Die Neugläubiger wiederum dürfen sich aus dem Treugut nur befriedigen, wenn ihre Forderungen in der Durchführung der Liquidation begründet sind. Andernfalls stehen dem Treuhänder auch hier die Möglichkeiten der §§ 771 und 766 ZPO zu (streitig). Zu den zahlreichen Problemen und Streitfragen vgl. im einzelnen Bley 2. Aufl. 35 bis 46 zu § 92 VerglO.

Schlußverfahren nach Zwangsvergleich Der Geiersche Konkurs ist weder mit dem Zwangsvergleich noch mit dessen Rechtskraft von selbst beendigt. Nach § 190 1 soll vielmehr die Aufhebung des Verfahrens beschlossen werden, „sobald" der Vergleich rechtskräftig bestätigt ist. Man legt diese Worte dahin aus, daß vor der Aufhebung noch eine Reihe von Formalien zu erledigen sind. Das Gericht muß dem Verwalter und den Gläubigerausschußmitgliedern ihre Honorare festsetzen (§§ 85, 91), der Verwalter hat Schlußrechnung zu legen (§86) und muß nachweisen, daß er gemäß § 191 die festgestellten Vorrechtsund Massegläubiger befriedigt, die streitigen sichergestellt hat. Dagegen fallen von dem normalen Schlußverfahren bei Ausschüttung der Masse (unten S. 418 f.) das „Schlußverzeichnis", die öffentliche Bekanntmachung, die Ausschlußfrist, die Entscheidung des Gerichts über erhobene Einwendungen und die Beschlußfassung der Gläubiger über nicht verwertbare Massegegenstände fort. Verfügung: „ 1 . Termin zur Abnahme der Schlußrechnung sowie zur Anhörung der Gläubigerversammlung über die Festsetzung der Auslagen und Vergütung der Gläubigerausschußmitglieder gemäß § 91 1 S. 2 K O wird auf bestimmt. 2. Die Vergütung des Konkursverwalters wird auf seine Auslagen auf festgesetzt. 3. Zustellung, Bekanntmachung usw."

Der Schlußtermin nach einem Zwangsvergleich begegnet bei den Gläubigern sehr geringem Interesse. Sie erhalten ja doch bloß ihre Vergleichsrate, also ist ihnen die Schlußrechnung gleichgültig. Nachdem der Schlußtermin abgehalten und der Nachweis aus § 191 wegen der Vorrechts- und Masseansprüche erbracht ist, ergeht der „Beschluß. Das Konkursverfahren über das Vermögen usw. wird hierdurch aufgehoben, nachdem der im Vergleichstermin vom 27. Juni i960 angenommene Zwangsvergleich durch rechtskräftig gewordenen Beschluß vom gleichen Tage bestätigt worden ist."

Der Aufhebungsbeschluß ist unanfechtbar (§ 190 1 S. 2). Verfügung zum Aufhebungsbeschluß: „ 1 . Aufhebungsbeschluß veröffentlichen in: a) Regierungsamtsblatt, b) Bundesanzeiger,

Konkursverwaltet — Verfügung zum Aufhebungsbeschluß

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c) Kölnische Rundschau, d) Stadtanzeiger. 2. Beschluß zustellen: a) dem Gemeinschuldner, b) dem Konkursverwalter mit der Bitte um Rückgabe der Bestallungsurkunde. j . Beglaubigte Abschrift des Aufhebungsbeschlusses: a) dem Amtsgericht — Handelsregister — , b) dem Amtsgericht zu Köln, Abt. für Grundbuchsachen, mit dem Ersuchen um Löschung des Konkursvermerks bezüglich folgender Grundstücke und dinglicher Rechte: Köln-Ehrenfeld Bd. IV V i . 97, c) der Gerichtsvollzieherverteilungsstelle Köln, d) der Staatsanwaltschaft, e) der Stadtgemeinde Köln, f) der Industrie- und Handelskammer zu Köln, g) dem Amtsgericht, Vollstreckungsgericht. 4. formlose Nachrichten: a) b) c) d) e) f) g) h) i) k) 1)

der Gerichtskasse zu Köln, der Zwangsverwaltungsstelle des städt. Steueramts zu Köln, dem Finanzamt zu Köln-Nord, der allgemeinen Ortskrankenkasse zu Köln, der Berufsgenossenschaft, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Düsseldorf, Aderstr. 1, Reglnsp. Schmitt — Kontrollbeamter der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz Köln, Ewaldistr. 14, dem Fernsprechamt Köln-Ehrenfeld, Venloerstr. 156, dem Postscheckamt Köln, der Post- und Telegraphenverwaltung zu Köln, mit Zusatz: Die Post- und Telegraphensperre wird aufgehoben, den bekannten Gläubigern nach der Tabelle.

5. Nach 1 Monat." Die Aufhebung wird im Register (Sp. 5: „Rechtsverhältnisse bei Einzelkaufleuten") von Amts wegen vermerkt (§ 32 S. 2 HGB). Vgl. § 1 9 0 m K O . Das Brühler Grundstück ist bereits durch den Zuschlag (S. 376) aus der Masse ausgeschieden. — D a der Zwangsvergleich nichts Gegenteiliges bestimmt (oben S. 383), hat Geier zufolge § 192 die freie Verfügung über die bisherige Konkursmasse zurückerhalten, kann also über das „Lunapark"-Grundstück nach Belieben verfügen, und seine Gläubiger können im Wege der Zwangsvollstreckung Eintragungen (§§ 867, 932 Z P O ) erwirken. Dadurch wird unter Umständen das bei Annahme und Bestätigung des Vergleichs aufgestellte Rechenexempel, daß von den Vergleichsraten 3 6 — 3 7 % durch die Masse gedeckt seien, hinfällig: denn die Vergleichsgläubiger genießen wegen der Befriedigung ihrer Raten aus der Masse keinen Vorzug vor anderen Gläubigern des Gemeinschuldners 1 Die Postsperre (S. 356 zu 10) wird manchmal schon im Laufe des Verfahrens als nicht mehr notwendig durch besonderen Beschluß aufgehoben (§ 1 2 1 " ) . V o l l s t r e c k u n g aus d e m Z w a n g s v e r g l e i c h : Für den Konkursrichter ist die Sache erledigt. Der Urkundsbeamte kann mit ihr noch zu tun bekommen, wenn die Vergleichsraten nicht pünktlich bezahlt werden. Dann lassen sich die Konkursgläubiger nach § 194 vollstreckbare Tabellenauszüge erteilen. Ein solcher Auszug lautet beispielsweise: 2j

L u x , Schulung. J. Aufl. (Berg)

886

Konkursrichter — Vollstreckbarer Tabellenauszug

„Geschäftsnummer: 53 N 95/59. A u s z u g aus der T a b e l l e

Beanspruchtes Vorrecht

der in dem Konkursverfahren über das Vermögen des Gastwirts und Schaustellungsunternehmers Konrad Geier, Alleininhabers der Firma, Lunapark Ehrenfeld Konrad Geier', in Köln-Ehrenfeld angemeldeten Forderungen.

1.

1 1 -3

Name, Beruf und Wohnort des Gläubigers

Vertreter des Gläubigers; Hinweis auf die Vollmacht

2.

b

4-

AngeTag meldeter der Betrag Anmeldung D M | Pf.

J-

6.

Genaue Bezeichnung des Grundes der Forderung und der urkundlichen Beweisstücke

Ergebnis der PrQfungsverhandlung

Berichtigung

7-

8.

9-

fI l

10.

A b t e i l u n g II: G l ä u b i g e r o h n e V o r r e c h t . Strutzfl, Adolf,

25.10.59 300 00 (B1.IT)

Bäckermeister Köln, FriedrichWilhelmStr. 38

4 4 309

a) Wechselfordezu a bis c: zu a bis c: rung aus dem vom Bis zur Vorlegung Nach Vorlegung Gläubiger ausge- des Wechsels vom des Wechsels vom stellten, vom GeVerwalter beVerwalter anermeinschuldner stritten. kannt. angenommenen Köln, den Köln, den Wechsel vom 29. Dezbr. 19J9. 17. Januar 1959. 29. April 1959 gez. Richter. gez. Richter, gez. Urkund. gez. Urkund, 67 b) Zinsen vom 29. Juli bis 19. Oktober 1959 80 c) Wechselunkosten.

47

Die Richtigkeit des vorstehenden Auszugs wird beglaubigt. (Siegel)

Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts.

Der in der Geierschea Konkurssache geschlossene, durch Beschluß vom 27. Juni i960 bestätigte Zwangsvergleich ist seit dem 3. August i960 rechtskräftig. Vorstehende Ausfertigung wird dem Gläubiger zum Zwecke der Zwangsvollstreckung in Höhe von 154,74 D M (i. W.) gegen: 1. den früheren Gemeinschuldner, 2. den Kaufmann Wilhelm Geier in Hamburg, 3. den Steinbruchbesitzer Oskar Eckert in Bonn erteilt. Köln, den 3. November i960. Amtsgericht. (Siegel)

Geschäftsstelle.

Urkmd als Urkundsbeamter."

Vorgeheftet sind Ausfertigungen des Vergleichsprotokolls vom 27. Juni i960 mit Vergleichsvorschlag vom 28. Mai i960 und des Bestätigungsbeschlusses vom 27. Juni i960 (§ 1 j v l I > v m AktO). Auf der Tabellenurschrift wird die Erteilung des vollstreckbaren Auszugs in Sp. 10 „Bemerkungen' ' vermerkt. —

Der Referendar: Auf welchem Wege gelangen Konkursgläubiger, deren Forderungen noch nicht zur Tabelle festgestellt sind, zu ihrem Gelde? Der Richter: Sie müssen gegen Geier und die Bürgen auf Zahlung der im Vergleich bestimmten Prozentsätze ihrer Forderung zu den dort bestimmten Fälligkeitsterminen klagen. Das gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht zur Tabelle

Konkursrichter •— Wirkungen des Zwangsvergleichs. Nachlaßkonkurs

887

angemeldet haben. Die Bürgen können sich nicht darauf berufen, daß sie mit der Existen2 der Forderungen nicht gerechnet hätten, denn, wie wir wissen, wirkt der Zwangsvergleich für alle „Konkursgläubiger" im Sinne des § 3 1 K O (S. 381/2). Referendar: Hat Frau Geier jetzt eine Regreßforderung aus der Verpfändung ihres Grundstücks Tiergartenstraße 18 gegen den früheren Gemeinschuldner? Richter: Der Grundsatz, daß auf eine wirtschaftlich einheitliche Forderung nur einmal Konkursdividende entfällt (S. 371 zu 13), behält seine Kraft auch für den Fall des Zwangsvergleichs. Zahlt Geier dem Hauptgläubiger Schilling die Vergleichsquote, so ist damit seine Verpflichtung gegenüber diesem Gläubiger erfüllt, folglich eine Regreßhaftung gegenüber der Ehefrau ausgeschlossen, denn diese würde voraussetzen, daß er seine Verpflichtung nicht erfüllt hätte. Referendar: Was wird aus dem Preußschen Anfechtungsprozeß? Richter: Die Anfechtung führt keine Nichtigkeit, sondern bloß relative Unwirksamkeit im Verhältnis zu den Konkursgläubigern herbei (§ 29). Nach Aufhebung des Verfahrens gibt es keine Konkursgläubiger mehr. Der Prozeß ist also in der Hauptsache erledigt und Preuß behält gemäß § 193 S. 2 seine Vormerkung. Er hat mit dem Zwangsvergleich das beste Geschäft gemacht. Schlußrechnung und Schlußverzeichnis in einem Nachlaßkonkurs „Schlußrechnung des Rechtsanwalts Dr. Willibald Walter in Köln als Verwalter im Konkurse über den Nachlaß des am 12. September 1957 verstorbenen Gutsbesitzers Lothar Usinger aus Frechen, Landkreis Köln."

Die Schlußrechnung (§86) ist eine Geldrechnung, in welcher als Einnahmen der vom Verwalter zu Anfang des Konkurses übernommene Barbestand sowie die durch Verkauf von Aktiven, Einziehung von Masseforderungen usw. erzielten Beträge erscheinen, während unter den Ausgaben Zahlungen an Absonderungsberechtigte, Massegläubiger usw. stehen. Die Rechnung muß eine Übersicht gewähren, was aus den einzelnen im Inventar (§ 124) aufgeführten Gegenständen geworden ist. Die Verwandlung der „Brutto"- in die „Netto-Konkursmasse" (S. 3 5 4) und die Besonderheiten des Nachlaßkonkurses spiegeln sich in ihr wieder. „ A . Einnahmen. 1. Bestand vom 15. Juni 1958 781,20 D M 2. Erlös aus der Verwertung der im Inventar aufgeführten Gegenstände: (folgen die einzelnen Gegenstände, jedesmal mit Angabe von Titel und Nr. des Inventars. Gesamterlös:) 43 520,00 D M 3. Ferner sind folgende, im Inventar nicht verzeichneten Gegenstände durch Anfechtung zur Masse gezogen worden: a) die Prämie der vom Erblasser bei der .Sekuritas' LebensversicherungsA G . in Hamburg ,zu Gunsten meiner Erben* abgeschlossenen Lebensversicherung über 20000 D M , Versicherungsschein Nr. 183420, für 850,00 D M das letzte Jahr Die Versicherungssumme selbst steht dem Erben Kurt Usinger zu. Der Erbe hat die Verpflichtung zur Erstattung der Prämie anerkannt, die Erstattung ist durch Aufrechnung gegen die Forderung zu B 2 d erfolgt."

Da die Lebensversicherung Vertrag zugunsten Dritter ist (§ 330 S. 1 BGB), steht sie dem Begünstigten kraft eigenen Rechts zu, fällt also nicht in die Masse. Gilt das aber auch bei einer Versicherung „zugunsten meiner Erben"? Nach § 1 6 7 1 W G bedeutet diese Formel im Zweifel, daß die zur Erbfolge Berufenen für ihre Person die Bezugsberechtigung haben sollen, gleichviel ob sie tatsächlich zur Erbfolge gelangen oder der Erbschaft entsagen. Die Versicherungssumme kann dem Begünstigten nicht »j*

3 8 8 Konkursrichter — Lebensversicherung und Schenkung von Todes wegen im Nachlaßkonkurs

durch Anfechtung entzogen werden; denn die Anfechtung dient lediglich dazu, einen den Gläubigern zugefügten Nachteil auszugleichen, nicht aber ihnen besondere Vorteile zu verschaffen. Anders steht es mit der Prämie. Wenn der Begünstigte sie auch nicht direkt aus dem Vermögen des Erblassers erhält, so stellt doch der Anfall der Versicherungssumme — in Höhe der Prämie — wirtschaftlich einen auf Kosten des Nachlasses gemachten unentgeltlichen Erwerb dar. Deshalb unterliegen die Prämienzahlungen der Anfechtung aus § 32 K O (regelmäßig für 1 Jahr, gegenüber Ehegatten für 2 Jahre). R G 61, 217; 62, 46; Jaeger 26 zu § 52 sowie Oellers JW 37, 2938. Vgl. auch die Regelung beim außerordentlichen Pflichtteilsanspruch bei § 2325 BGB. R G 128,190. b) das Guthaben aus dem auf den Namen des Erblassers lautenden, am 4. September 1957 von ihm der Frau Amtmann Ulrike Adam geb. Usinger in Pforzheim unter der Bedingung des Überlebens geschenkten Sparkassenbuch Nr. 39238 der Kreissparkasse Köln. Betrag nebst Zinsen eingezogen am 8. Februar 1959

953,60 DM."

Vollzogene Schenkungen von Todes wegen sind von jeder Form befreit (§ 2 3 0 1 » BGB): aber sie sind im Nachlaßkonkurs selbstverständlich mit der SchenkungsPauliana anzufechten. ,,c) das von dem Erben, Landwirt Kurt Usinger in Altenberg, am 5. Januar 1958 an die katholische Kirchengemeinde in Altenberg ausgezahlte, im Testament des Erblassers vom 10. August 1957 angeordnete Vermächtnis von

2500,00 DM."

Diese Anfechtung beruht auf § 222 (oben S. 230). Wären die 2500 DM vom Vermächtnisnehmer nicht beizutreiben gewesen, so würde die den Erben im Falle schuldhafter Berichtigung von Nachlaßverbindlichkeiten treffende Verantwortlichkeit praktisch geworden sein. Vgl. §§ 1979, 1980 BGB. „mithin Summe der Einnahmen

48604,80 DM. B. A u s g a b e n .

1. Zahlungen an absonderungsberechtigte Gläubiger: (folgen die einzelnen Zahlungen. Gesamtsumme:) 3 582,90 DM. Die Forderungen der Gläubiger Blasel und Hülshorst, die im Januar bzw. Februar 1958, also vor Eröffnung des Nachlaßkonkurses, Aktiva des Nachlasses gepfändet hatten (vgl. Inventar Titel Nr ) sind nach § 221 K O nicht als absonderungsberechtigt anerkannt worden. Die genannten Gläubiger haben die Pfandstücke auf meine Aufforderung freigegeben."

Da die Vollstreckungssperre des Konkurses erst als Folge der Eröffnung eintritt (§ 14), müßten — unbeschadet der allgemeinen Anfechtungsmöglichkeit — die zwischen Erbfall und Eröffnung erfolgten Pfändungen eigentlich ein Absonderungsrecht gewähren. Jedoch entzieht ihnen § 221 das Absonderungsrecht, so daß vom Todestag an die par conditio creditorum keine Veränderung durch Vollstreckungshandlungen mehr erfahren kann: die Vollstreckungssperre wird gewissermaßen nachträglich auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückdatiert. Das Besondere dabei ist, daß es keiner Anfechtung der Pfändungen, also auch keines subjektiven Tatbestandes bedarf, die Unwirksamkeit vielmehr ipso iure wirkt. Hatte der pfandende Gläubiger bei Konkursausbruch auf Grund der Pfändung bereits Befriedigung erlangt, so behält er sie — wiederum unbeschadet der Anfechtung aus § 30. Mit § 221 hängt aufs engste das Institut der a u f s c h i e b e n d e n E i n r e d e n zusammen. Der Erbe kann, nachdem er durch Annahme der Erbschaft (bzw. Ablauf der Ausschlagungsfrist) die Passivlegitimation für Klagen der Nachlaßgläubiger erworben hat (Abt. I S. 155/6), die Befriedigung

Konkursrichter — Masseschulden im Nachlaßkonkurs

889

verweigern: a) während der ersten drei Monate seit Annahme, jedoch nicht über die Errichtung des Inventars hinaus (§ 2014 BGB, s. g. „Dreimonatseinrede"), b) falls innerhalb des ersten Jahres nach der Annahme der Antrag auf Aufgebot der Nachlaßgläubiger gestellt wird: auch noch während der Dauer des Aufgebots Verfahrens (§ 20151), 6) weiterhin während einer Frist von 2 Wochen seit der das Aufgebotsverfahren abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts und bis zur Erledigung einer etwaigen Beschwerde (§ 2015 m ), d) wenn während der Fristen zu a—c Nachlaßkonkurs beantragt ist: bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Konkursantrag (§ 782 S. 2 ZPO). Alles das gilt auch für den an Stelle des Erben handelnden Nachlaßpfleger, Nachlaßverwalter oder Testamentsvollstrecker. Die Geltendmachung der aufschiebenden Einreden führt nicht zur Abweisung der Klage des Nachlaßgläubigers, sondern zur Verurteilung des Erben unter Vorbehalt der beschränkten Haftung (§ 305). Der Erbe kann aber — wie bei der beschränkten Erbenhaftung im engeren Sinne (Abt. I S. 157) — mittels Vollstreckungsgegenklage beim Prozeßgericht erster Instanz erreichen, daß für die Dauer der aufschiebenden Einreden die Zwangsvollstreckung auf bloße Sicherungsmaßnahmen beschränkt wird. §§ 782 S. 1, 785; einstweilige Einstellung nach §§ 769, 785. So hält der Erbe die Vollstreckungen der Nachlaßgläubiger im Pfändungsstadium fest, bis er sich über die Überschuldung des Nachlasses klar geworden ist. Stellt sich die Überschuldung heraus, so beantragt er Nachlaßkonkurs (§215 K O ) und die Pfändungen sind dank § 221 unschädlich geworden. Die Vorschrift des § 221 ermöglicht es bisweilen, daß in Nachlaßkonkursen nachträglich eine beträchtliche Masse geschaffen und eine hohe Dividende an die Gläubiger ausgeschüttet werden kann. ,2. Masseschulden: a) bis c) d) Aufwendungen des Erben, Landwirts Kurt TJsinger, aus der Verwaltung des Nachlasses bis zur Konkurseröffnung: (folgt Spezifikation) e) Beerdigungskosten f) Kosten der Testamentseröffnung, Aktenzeichen 55 IV. 195/57 des hiesigen Amtsgerichts g) Kosten des Aufgebots der Nachlaßgläubiger, Aktenzeichen 47 F 19/58 des hiesigen Amtsgerichts

5 288,00 D M

2109,70 D M 625,00 D M 2x5,85 D M 82,30 D M . "

Während im gewöhnlichen Konkurs die Masseschulden in der Regel nach Eröffnung entstanden sein müssen (§ 59), erklärt für den Nachlaßkonkurs § 224 eine Anzahl von Verbindlichkeiten zu Masseschulden, die aus der Zeit zwischen Erbfall und Konkurseröffnung herrühren, so daß also wiederum eine Art Rückbeziehung auf den Zeitpunkt des Todes stattfindet. Unter § 224 fallen außer den Beerdigungskosten, Kosten der Testamentseröffnung und des Gläubigeraufgebots u. a. die Verbindlichkeiten aus den von einem Nachlaßpfleger (einschließlich des Nachlaßverwalters)]oder Testamentsvollstrecker für den Nachlaß eingegangenen Geschäften. Ferner A u f wendungen, die der Erbe für die Verwaltung des Nachlasses gemacht hat. A u f Grund des zwischen dem Erben und den Nachlaßgläubigern bestehenden auftragsähnlichen Verhältnisses sind dem Erben solche Aufwendungen zu ersetzen^ (§ 1978 1 1 1 B G B ) , wie er andrerseits den Gläubigern für seine Verwaltung des Nachlasses verantwortlich ist. — Hat ein Erbe, Pfleger oder Testamentsvollstrecker den Nachlaß vor'Konkurseröffnung längere Zeit verwaltet und sind*clabei nachteilige Geschäfte kontrahiert worden, so zehren diese Masseschulden nicht selten den Nachlaß zum großen Teil auf, oder die Masse reicht nicht einmal für die Masseschulden aus! „3. Massekosten: (folgt Spezifikation, in der aber Honorar und Auslagen des Verwalters und der Gläubigerausschußmitglieder, weil noch nicht vom Gericht festgesetzt, sowie die dem Verwalter noch nicht abschließend bekannten Gerichtskosten fehlen) . . mithin Summe der Ausgaben

3 195,10 D M , 15098,85 D M . "

890

Konkursrichter — Rangordnung im Nachlaßkonkurs

Die Befriedigung von Absonderungsberechtigten, Masseschulden und Massekosten ist keine „Verteilung" im technischen Sinne, sie wird ohne alle Formalitäten vom Verwalter vorgenommen. Dagegen erfolgen Zahlungen an bevorrechtigte Konkursgläubiger grundsätzlich im Rahmen der „Verteilungen"; doch sieht § 170 K O ein vereinfachtes Verfahren vor, indem das Gericht den Verwalter durch besonderen Beschluß ermächtigen kann, Zahlungen auf Vorrechtsforderungen unabhängig von den Verteilungen (also ohne öffentliche Aufforderung) zu leisten. Wäre hiervon im Konkurs Usinger Gebrauch gemacht worden, oder hätte eine Abschlagsverteilung stattgefunden, so würden die geleisteten Zahlungen als weitere Ausgaben hinter den Massekosten stehen. „C. Bestand. Summe der Einnahmen

48604,80 D M ,

Summe der Ausgaben

15098,85 D M ,

verbleibt ein Bestand von

33505,95 D M .

Davon sind: bei der Landschaftlichen Bank in Köln eingezahlt während ich den Restbetrag von

29028,40 D M , 4477,55 D M 35 505.95 D M

bar hinter mir habe.

Außerdem sind noch vorhanden die uneinziehbaren Forderungen an Arndt und Scbliebit% Nr des Inventars) mit zusammen nominell 1188,20 D M . Die Grundstücke (Tit Nr des Inventars) sind zwangsweise versteigert worden. Ein Überschuß zu Gunsten der Masse hat sich dabei nicht ergeben, vielmehr bestehen noch einige Ausfallforderungen von Hypothekengläubigern. (Tit

Ich versichere, daß ich alle Einnahmen verrechnet habe und daß andere als die aufgeführten Vermögensstücke nicht in meine Verwaltung gelangt sind. Köln, den 7. Januar i960. Dr. Willibald Walter, R A . , als Konkursverwalter. Die vorstehende Schlußrechnung haben wir geprüft und in Ordnung befunden. Der unter C angegebene Bank- und Barbestand ist uns nachgewiesen worden. Wir genehmigen die Vornahme der Schlußverteilung. Köln, den 7. Januar i960. Grund Hocbmutb Schwarz, RA-"

Vgl. § 86 S. 2. — Während eine Schlußrechnung bei jeder Art von Konkursbeendigung einzureichen ist, wird das Schlußverzeichnis nur bei Ausschüttung der Masse aufgestellt, nicht dagegen in den Fällen des Zwangsvergleichs und der Einstellung (§§ 202f.). Das Schlußverzeichnis ist Verzeichnis der bei der Schlußverteilung zu berücksichtigenden Konkursforderungen, welche nach ihrem konkursmäßigen Rangrecht aufzuführen sind. Für den Nachlaßkonkurs bestehen — auf dem Papier — nach § 226 nicht weniger als 12 Klassen: Die 1. bis 6. bilden die vom Erblasser herrührenden Nachlaßschulden, die auch in einem gewöhnlichen Konkurse geltend gemacht werden könnten, in der Reihenfolge des § 61. Klasse 7—9: vom Erblasser stammende Nachlaßverbindlichkeiten, die wegen § 63 in einem gewöhnlichen Konkurse nicht Konkursforderung sein würden, im Nachlaßkonkurse aber immer noch den Vorzug vor den Ansprüchen der folgenden Klassen haben sollen, nämlich

891

Konkursrichter — Nachlaßverzeichnis

7. Zinsen seit Eröffnung des Verfahrens, 8. Geldstrafen (wobei vorausgesetzt wird, daß die Verurteilung zu Lebzeiten des Erblassers rechtskräftig geworden ist, 9. Freigebigkeiten des Erblassers. (Die ebenfalls unter § 63 fallenden Kosten der Teilnahme am Verfahren sind auch im Nachlaßkonkurs von jeder Berücksichtigung ausgeschlossen.) Klasse 10 umfaßt solche an sich in Klasse 1—9 gehörenden Ansprüche, die im Aufgebot der Nachlaßgläubiger ausgeschlossen wurden und deshalb nach dem Grundsatz des § 1 9 7 3 1 S. 1 B G B auf den Nachlaßrest verwiesen werden müssen, der nach Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Nachlaßgläubiger verbleibt (§ iz6iy KO). Klasse 1 1 : Pflichtteilsansprüche. Klasse 1 2 : Vermächtnisse und Auflagen. Privatschulden des Erben gelangen im Nachlaßkonkurs überhaupt nicht zur Hebung (arg. § 226!): der Konkurs bewirkt eine separatio bonorum für die auf den Nachlaß bezüglichen Rechtsverhältnisse des Erben. Die benachteiligten Gläubiger der 7. bis 12. Klasse — für die man in der Konkurstabelle eine besondere Abteilung anlegt — haben grundsätzlich alle Rechte der Konkursgläubiger, insbesondere Stimmrecht, außer beim Zwangsvergleich (arg. § 2 3 0 " ) . Bei den Verteilungen werden sie aber nur in den seltensten Fällen in die Erscheinung treten. Denn wenn es zum Nachlaßkonkurse kommt, so ist der Nachlaß fast immer durch Klasse 1—6 überschuldet. Sie brauchen dann auch nicht in die Verteilungsliste aufgenommen zu werden. Das Usingersche SchlußVerzeichnis lautet: „ I . B e v o r r e c h t i g t e F o r d e r u n g e n , die im A u s s c h l u ß u r t e i l v o m 3 . M a i 1 9 5 9 behalten sind. Nr.

I

Tabelle

II I II 2 H 3 H

4

I" I Ulli IIVi Iiv2

Gutsverwalter Dittmar Hollweg in Frechen, rückständige Gehaltsforderung1) Chauffeur Willy Zarnikow in Köln-Klettenberg, rückständige Gehaltsforderung Schaffer Paul Ast in Jakobsdorf, rückständige Gehaltsforderung Wirtschafterin Karoline Glofke in Köln, rückständige Gehaltsforderung zu 1—4 von dem Erben, Landwirt Kurt Usinger, der die Gläubiger bezahlt hat, geltend gemacht. Finanzamt Köln, rückständige Einkommensteuer . . . katholische Kirchengemeinde Schönborn, rückständige Kirchensteuer Apotheker Fritz Kolbe in Schönborn, für gelieferte Heilmittel Dr. Unblutig, Spezialarzt für innere Krankheiten in Köln für ärztliche Behandlung zu 8 von dem Erben, Landwirt Kurt Usinger, der den Gläubiger bezahlt hat, geltend gemacht. zusammen:

vor-

195.00 D M 160,00 D M 112,50DM 93.7° D M

782,50 D M 223,80 D M 102,00 D M 495>00 D M

2164,50 D M

1 ) Die Zeitangaben, von denen das Vorrecht nach § 61 K O abhängt, sind der Raumersparnis halber durchweg fortgelassen.

392

n.

Konkursrichter — Erbe und Nachlaßkonkursmasse N i c h t bevorrechtigte, im Ausschlußurteil v o m 3. Mai 1 9 5 9 Forderungen. H 1

II 2

A. V o r b e h a l t l o s festgestellte. Notar Siegel in Köln, Restgebühren und Wegegebühren für Aufnahme des .Testaments vom 10. August 1957 zu 9 von dem Erben, Landwirt Kurt Usinger, der den Gläubiger bezahlt hat, geltend gemacht. Viehhändler Arthur Grund in Hürth für Lieferung von Vieh zusammen:

vorbehaltene

189,50 D M

6950,00 D M 85927,84 D M "

Der Erbe, der Nachlaßverbindlichkeiten berichtigt, kann zweifache Rechtstellung haben. Fällt ihm bei der Zahlung Fahrlässigkeit nicht zur Last, so müssen die Nachlaßgläubiger, auch wenn sich später Überschuldung herausstellt, die Berichtigung als für Rechnung des Nachlasses geschehen gelten lassen (§ 1979 BGB): der Erbe darf also den Betrag aus der Nachlaßmasse entnehmen, bzw. im Konkurs als Masseschuld geltend machen (§ 2241 KO). War dagegen dem Erben die Überschuldung bekannt oder infolge von Fahrlässigkeit unbekannt — insbesondere weil er das Aufgebot der Nachlaßgläubiger nicht betrieben hat, obgleich mit dem Vorhandensein unbekannter Nachlaßverbindlichkeiten zu rechnen war (§ 1980» S. 2 BGB), oder weil er das Ergebnis des Aufgebots nicht abgewartet und die aufschiebenden Einreden (S. 388/5) nicht erhoben hat —, so kann der Erbe lediglich die von ihm bezahlte Nachlaßschuld an Stelle des Gläubigers im Konkurse geltend machen (§ 2 2 5 " KO). Die Zahlung gilt also in diesem Falle nicht als Tilgung. Den Betrag der von ihm bezahlten bevorrechtigten Forderungen Hollweg, Zarnikow, Ast, Glofke und Unblutig wird Kurt Usinger auf Grund seiner Anmeldung voraussichtlich wieder erhalten, während er an der nicht bevorrechtigten Forderung des Notars Siegel die Differenz zwischen der vollen Summe und der Konkursdividende verliert. „B. Gemäß § 64 K O festgestellte F o r d e r u n g e n , bei denen V e r z i c h t auf das A b s o n d e r u n g s r e c h t oder der A u s f a l l nachgewiesen ist. Nr.

7i

Tabelle

n 13

Gutsbesitzer Martin Hocbmuth, Schönborn, Darlehnsforderung, eingetragen auf Frechen, Blatt Nr. 20 in Abt. HI Nr. 15, Ausfall 4328,70 D M zusammen:

9852,45 D M

C. Festgestellte Forderungen, die nur zu einer Sicherung berechtigen. 77

H38

Kaufmann Hellmuth Kroker, Köln, Anspruch aus der vom Erblasser beim Verkauf der Hypothek von 5000 D M auf Lerchenfeld BI. Nr. 53 für den Fall des Ausfalls der Hypothek übernommenen Garantie . . zusammen:

5000,00 D M 5000,00 D M

Köln, den 7. Januar i960. Dr. Willibald Walter, RA., als Konkursverwalter."

Vgl. § 67 KO. Gegebenenfalls enthält das Schlußverzeichnis im Hinblick auf §§ 168, 169 weitere Rubriken für bestrittene Forderungen, die tituliert oder im Feststellungsprozeß befangen sind. Über Schlußrechnung und Schlußverzeichnis im Gesamtverlauf des Schlußverfahrens bei Ausschüttung der Masse vgl. S. 418 f.

io. K a p i t e l

Beim Konkursverwalter Bestellung und erste Maßnahmen Am 25. Februar i960 gegen 14 Uhr nachmittags wird dem Kaufmann und Konkursverwalter Bender vom Gericht Ausfertigung folgenden Beschlusses zugestellt: „Beschluß. Über das Vermögen des Kaufmanns Johannes Held in Köln, Moltkestraße 25, Alleininhabers der Firma, Jobannes Held Wäschefabrik' in Köln, Karlsstraße 13, wird heute am 25. Februar i960 nachmittags I2 1 / a Uhr das Konkursverfahren eröffnet, weil er zahlungsunfähig ist und die Eröflnung des Konkurses beantragt hat. Der Kaufmann Friedrich Bender in Köln wird zum Konkursverwalter ernannt. Konkursforderungen sind bis zum 4. April i960 bei dem Gericht anzumelden. Termin zur Beschlußfassung über die Beibehaltung des ernannten oder die Wahl eines anderen Verwalters sowie über die Bestellung eines Gläubigerausschusses und eintretendenfalls über die im § 132 K O bezeichneten Gegenstände wird auf den 21. März i960 vormittags 9 Uhr und zur Prüfung der angemeldeten Forderungen auf den 25. April i960 vormittags 10 Uhr vor dem unterzeichneten Gericht anberaumt. Allen Personen, die eine zur Konkursmasse gehörige Sache usw. wie S. 351/2. Köln, den 25. Februar i960. Amtsgericht. Richter."

Die Bestallung liegt bei. Bender begibt sich sofort in das Geschäftslokal des Schuldners und teilt dem Personal mit, daß er zum Konkursverwalter bestellt und daß nur noch seinen Weisungen Folge zu leisten ist. Er nimmt Kasse und Schlüssel an sich. Dann läßt er sich von dem inzwischen aus einem Café herbeigeholten Held allgemein über die Sachlage informieren. Held, der von Hause aus nur geringe Mittel besaß, aber in gut bezahlten Reisendenstellungen mehrere Tausend D-Mark erspart und 25000 D M von seiner Ehefrau Minna, geb. Obst, in die Ehe bekommen hat, hat am 1. Oktober 1957 ein Fabrikations- und Engrosgeschäft in Wäsche und Blusen mit Detailverkauf eröffnet. Das Geschäft ist nicht schlecht gegangen, doch sind die Erträge durch die hohe Miete aufgezehrt worden. Bei seiner Etablierung hat nämlich Held unvorsichtigerweise ein großes Geschäftslokal im ersten Stock eines modernen Geschäftshauses für jährlich 9000 D M bis 1. Oktober 1966 fest gemietet. E r würde in billigeren Räumen dasselbe Geschäft gemacht haben, doch hat sich die Vermieterin, Firma Sievers & Co. in Düsseldorf, geweigert, ihn vorzeitig aus dem Vertrage zu entlassen. In den letzten Monaten haben mehrere Engroskunden die Zahlung eingestellt und dadurch Heids Lage kritisch gemacht, zumal auch große Lagerverluste durch Preisrückgang eingetreten waren. Auf die am 1. Januar i960 für das erste Quartal pränumerando fällige Miete hat Held nur Abschlagszahlungen leisten können. Die den Lieferanten gegebenen, im Februar fälligen Warenwechsel sind zu Protest gegangen und einge-

394

Konkursverwalter — Erste Maßnahmen

klagt worden, Termin steht in einer Reihe von Sachen am 4. März an. Weitere Wechsel über insgesamt 14500 DM werden Anfang und Mitte März fällig. Aus diesem Grunde hat Held selbst den Konkurs beantragt. Gepfändet haben die Fabrikanten Mangold-Krefeld und Matheus-Aachen am 15. bzw. 16. Februar wegen Forderungen von einigen Hundert Mark, Versteigerungstermin ist auf den 12. März angesetzt. Grundstücke und Hypotheken besitzt Held nicht. Ein allgemeines Veräußerungsverbot (S. 351) war im Eröffhungsverfahren nicht erlassen worden. — Der Verwalter ordnet an, daß die Angestellten sofort mit einer schleunigen Inventur beginnen. Der Verkauf an die Detailkundschaft soll fortgesetzt und die Kasse jeden Abend im Büro des Verwalters abgeliefert werden. Zu neuen Engrosabschlüssen sowie zur Lieferung von Waren auf bestehende Abschlüsse ist jedesmal die ausdrückliche Anweisung des Verwalters einzuholen. Die Reisenden werden von der Tour zurückgerufen und den auswärtigen Vertretern wird mitgeteilt, daß der 'Konkurs eröffnet und das Vertretungsverhältnis damit erledigt sei. Hierauf begibt sich Bender mit dem Gemeinschuldner in dessen Wohnung. Über sämtliche dort befindlichen Wertsachen wird ein Verzeichnis aufgestellt und von Held und seiner Frau mitunterschrieben. Die Wertsachen nimmt Bender mit. Er belehrt Frau Held sowie die Dienstboten, daß von jetzt ab nur er allein in der Wohnung verfügungsberechtigt ist, da der Konkurs das gesamte — nicht bloß das Geschäfts Vermögen des Gemeinschuldners ergreift, und verbietet unter Hinweis auf die Strafvorschriften der §§ 239 1 KO, 49, 257 StGB jede Entfernung oder Beiseiteschaffung von Gegenständen. Als Unterlage für das demnächst vom Verwalter anzufertigende Inventar soll Held ein genaues Verzeichnis sämtlicher in der Wohnung befindlichen Sachen, auch der unpfändbaren und der von der Frau beanspruchten aufstellen und die urkundlichen Beweise für das Eigentum der Frau zurechtlegen. In den folgenden Tagen arbeitet der Verwalter weiter an der Feststellung der Masse und der schwebenden Rechtsverhältnisse. Zu den Gerichtsakten sämtlicher von Held oder gegen ihn geführten Prozesse zeigt er die Konkurseröffnung an (vgl. S. 413). Dann schreibt er dem Konkursgericht: „In der Anlage überreiche ich das vorläufige Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis."

Das Gericht stellt daraufhin den EröfFnungsbeschluß den sämtlichen im Verzeichnis aufgeführten Gläubigern und Schuldnern zu (§ 1 1 1 1 1 1 KO). Doch wirkt die Eröffnung auch gegen den, dem nicht zugestellt ist. „Mit Rücksicht darauf, daß die Verwaltung ziemlich umfangreich ist und zahlreiche Fragen zu entscheiden sein werden, bei denen mir die Mitwirkung eines Gläubigerausschusses erwünscht wäre, und weil ferner die erste Gläubigerversammlung erst am 21. März stattfindet, beantrage ich: gemäß § 87 1 K O aus der Zahl der Gläubiger und Vertreter von Gläubigern einen Gläubigerausschuß zu bestellen. Als Mitglieder schlage ich vor die Herren Bankier Schilling und Otto Wiese als die größten in Köln ansässigen Gläubiger sowie den R A . Schwarz Köln als Bevollmächtigten der Firma Emanue! Rode in Frankfurt. Ferner beantrage ich gemäß § 1 2 1 K O : die Post- und Telegraphensperre anzuordnen. Bender, Konkursverwalter."

Seinen Anträgen wird entsprochen. Bender erhält nunmehr die gesamte geschäftliche und private Post unmittelbar zugestellt. A k t e n des V e r w a l t e r s : Der Verwalter legt seine Akten nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit an, wobei sich je nach Art des Konkurses verschiedene Gesichtspunkte ergeben. Eine Richtlinie gibt die Aktenordnung des Gerichts (vgl. oben S. 3 5 8/9), so daß sich ein Band „Verfahren",

Konkursverwalter — Erfüllung schwebender Verträge

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ein Band „Schuldenmasse" und insbesondere auch ein Band „Teilungsmasse" empfiehlt. Gerade letzterer, der für das Gericht nicht obligatorisch ist, spielt beim Verwalter eine große Rolle. In der Regel werden je nach Bedarf über die Teilungsmasse Spezialakten für Anfechtungen, Massegläubiger, Erfüllung von Verträgen, einzelne streitige Aktivforderungen usw. geführt. Jedem Bande wird zweckmäßiger Weise eine besondere „Nachweisung" vorgeheftet. Diese Einrichtung findet sich auch in den gerichtlichen Vormundschafts-, Pflegschafts- und Beistandschaftsakten und ist eine wesentliche Erleichterung bei Führung einer Verwaltung. Eine Ubersicht über sämtliche in der Sache geführten Akten befindet sich in der Nachweisung der „Verfahrens"-Akten. Außerdem muß der Verwalter hier, weil ein kaufmännisches Handelsgeschäft betrieben wird, ordnungsmäßige Handelsbücher führen. E r f ü l l u n g der Verträge Kaufverträge. „Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Hierdurch bitte ich um gefl. Mitteilung, ob Sie mir die Anfang Februar d. J. bei Herrn Held gekauften 300 Blusen noch liefern werden, da ich mich nötigenfalls anderwärts eindecken und meinen Schadensersatzanspruch im Konkursverfahren geltend machen müßte. Viersen, den 5. März i960. Gustav Völkel." „Herrn Konkursverwalter Friedrieb Bender, Köln. Im Januar d. J . wurden von der Firma Johannes Held Wäschefabrik die in der beiliegenden Rechnung enthaltenen Leinen- und Wäschestoffe für insgesamt 1182 DM bei uns bestellt. Falls Sie auf dieselben reflektieren, sind wir bereit, sie Ihnen gegen Nachnahme des Rechnungsbetrages zuzusenden. Erhalten wir bis zum 12. d. Mts. keinen Bescheid, so werden wir über die Waren anderweit verfugen. Bielefeld, den 6. März i960. Paul Haseloff &• Co" E s w ü r d e unbillig sein, den Vertragsgegner eines bei K o n k u r s e r ö f f n u n g beiderseits unerfüllten Austauschvertrages zur Leistung zu zwingen, w e n n er f ü r seine Gegenleistung lediglich die K o n k u r s q u o t e beanspruchen könnte. Ist also ein „ z w e i seitiger" (d. h. hier so viel w i e „ g e g e n s e i t i g e r " ) V e r t r a g z. Z . der E r ö f f n u n g „ v o n dem Gemeinschuldner u n d v o n dem anderen T e i l nicht oder nicht vollständig erf ü l l t " , so gibt das Gesetz dem Verwalter das Recht, die E r f ü l l u n g abzulehnen. A l s dann hat der Vertragsgegner nur einen Schadensersatzanspruch als gewöhnliche K o n kursforderung. Verlangt aber der Verwalter E r f ü l l u n g , so w i r d nunmehr der E r f ü l lungsanspruch des anderen Teils Masseschuld und die Leistung hat Z u g u m Z u g zu geschehen. § § 1 7 , 2.6, 59* K O , 320 B G B . Liegt auch dann ein von keiner Seite vollkommen erfüllter Vertrag vor, wenn der Verkäufer die Ware unter Eigentumsvorbehalt (Bd. I S . 15) geliefert, jedoch noch nicht den Kaufpreis erhalten hat? Die Ubereignung steht hier unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung (§455 BGB). Zwar hat der Verkäufer alles von seiner Seite zur Eigentumsverschaflung Erforderliche getan, aber objektiv ist der mit dem Kauf erstrebte Erfolg der Eigentumsübertragung (§ 43} 1 S. 1) noch nicht eingetreten, und daher § 17 K O anzuwenden. Vgl. OLGDüsseldorfNJW i960, 157 mit Übersicht über Literatur u. Rspr. Ausnahme: wenn der Käufer mit Zustimmung des Verkäufers die Ware an seine Kunden weiterveräußert und der Eigentumsvorbehalt sich dadurch erledigt hat (vgl. O L G München NJW 1959, 1543 unter b) sowie unten S. 405 und im einzelnen zu den zahlreichen hier auftretenden Fragen Bauknecht NJW 1956, 1177ff). Als nicht vollständig erfüllt betrachtet die Rechtsprechung ferner den Grundstückskauf zwischen Auflassung und Grundbuchumschreibung, zumindest in dem Falle, daß der Eintragung des Käufers besondere Hindernisse entgegenstehen, welche der Verkäufer beseitigen muß. R G 85, 402; 1 1 3 , 402. Hat der Käufer auf Grund vorläufig vollstreckbaren Urteils den Kaufpreis an den Verkäufer bezahlt, so ist — trotz der Möglichkeit der Rückforderung bei Aufhebung des Urteils — das Geschäft von seiner Seite vollständig erfüllt. R G 85, 214.

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Konkursverwalter — Erfüllung schwebender Verträge

Im Vergleichsverfahren nehmen die nicht erfüllten gegenseitigen Verträge ebenfalls eine Sonderstellung ein, indem die Gläubiger aus solchen Verträgen am Vergleichsverfahren nicht beteiligt sind und vom Vergleiche nicht betroffen werden. Jedoch gilt die Besonderheit, daß bei einer teilbaren Leistung der Gläubiger wegen der teilweise erbrachten Leistung Vergleichsgläubiger ist (§ }6 VerglO). Streitig ist die Konstruktion des in § 26 KO erwähnten Schadensersatzanspruchs. Nach der von Jaeger (41 zu § 17) vertretenen Ansicht, für welche sehr wesentlich die Parallelbestimmung des § 52' VerglO ins Gewicht fällt, beruht er unmittelbar auf der Konkurseröffnung in Verbindung mit der Erfullungsablehnung des Verwalters. Andere legen dem § 26 KO bloß die Bedeutung bei, daß ein aus allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts herzuleitender Anspruch konkursrechtlich als nicht bevorrechtigte Konkursforderung qualifiziert werde. Vgl. RG 63, 69 (Verzug; es wird dabei — unter Außerachtlassung des in § 279 BGB aufgestellten Grundsatzes, daß Mangel an Geld stets zu vertreten ist — unterschieden, ob den Gemeinschuldner ein Verschulden an der Konkurseröffnung trifft oder nicht); 135, 167 (positive Vertragsverletzung, die in der Ablehnung durch den Verwalter bestehen soll). Vgl. hierzu Lent, Festschr. f. Heinr. Lehmann S. 837 ff. Die Wahl zwischen den beiden ihm durch § 1 7 K O offen gelassenen Möglichkeiten trifft der Verwalter, je nachdem das vom Gemeinschuldner abgeschlossene Geschäft für die Masse vorteilhaft oder ungünstig war. A n Völkel hatte der Gemeinschuldner zu billig verkauft, und die Blusen müßten erst angefertigt, vielleicht auch Materialien dazu angeschafft und infolgedessen neue Masseschulden (§ 59 1 ) eingegangen werden, um erfüllen zu können: von diesem Vertrage will der Verwalter loskommen. Dagegen sind die bei Haseloff bestellten Waren sehr preiswert und für die Masse gut zu verwerten, deshalb möchte sie Bender geliefert haben. Hierzu bedarf es nach § 1 7 1 1 einer positiven Antwort auf die eingegangenen Anfragen, weil sonst der Erfüllungsanspruch wegfällt. Der Verwalter verständigt sich mit dem Gläubigerausschuß, ohne dessen Genehmigung er die Erfüllung schwebender Verträge nicht verlangen soll ( § 13 3 2 , oben S. 358), während er zur Ablehnung der Erfüllung selbständig befugt ist, und schreibt sodann an Völkel: „Auf Ihre Anfrage vom 5. ds. Mts. erkläre ich, daß ich die Blusen nicht liefern werde. Falls Sie glauben, dieserhalb Schadensersatzansprüche erheben zu können, stelle ich Anmeldung Zur Tabelle anheim." Mit dieser Erklärung „tritt", wie §§ 17, 26 es ausdrücken, „die Nichterfüllung ein". Der Vertrag ist durch die Ablehnung nicht geradezu aufgehoben. Aber weder kann Völkel jetzt noch Lieferung verlangen, noch braucht er den Kaufpreis an die Masse zu zahlen. Diese Veränderung des Rechtsverhältnisses wirkt über die Beendigung des Konkurses hinaus. R G 79, 209. A n Haseloff schreibt der Verwalter: „In Beantwortung Ihrer Anfrage vom 6.. ds. Mts. teile ich Ihnen mit, daß ich gemäß § 17 1 KO den Vertrag an Stelle des Gemeinschuldners erfüllen werde und von Ihnen Erfüllung verlange. Sie befinden sich jedoch im Irrtum, wenn Sie glauben, zu Ihrer Sicherung die Waren unter Nachnahme abgehen lassen zu müssen. Dadurch, daß ich Erfüllung des Vertrages fordere, wird der Anspruch auf Bezahlung der Waren zur Masseschuld (§ J9 2 KO). Er wird daher noch vor den bevorrechtigten Konkursgläubigern aus der Masse gedeckt, und es besteht keine Gefahr, daß Sie einen Ausfall erleiden. Ich ersuche deshalb, mir die Waren nachnahmefrei zugehen zu lassen. Ich werde, wie Sie es mit dem Gemeinschuldner vereinbart haben, innerhalb 10 Tagen nach Empfang der Ware regulieren." Verträge, deren Erfüllung der Verwalter verlangt, sind ebenso zu erfüllen, wie wenn der Käufer nicht im Konkurse wäre. Ist also über die Zahlungsweise nichts A b weichendes vereinbart, so können beide Teile Zug-um-Zug-Leistung gemäß § 320 B G B fordern. A n sich stellt die Konkurseröffnung eine nachträgliche Verschlechterung der Vermögenslage des Käufers dar, so daß Haseloff die Rechte aus § 321 zu-

Konkursverwalter — Sukzessivlieferungsgeschäft

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stehen. Da jedoch die Kaufpreisforderung Masseschuld ist, würde die Verschlechterung dem Käufer nur dann gefährlich werden können, wenn zweifelhaft wäre, ob die Masse zur Deckung der Masseschulden ausreicht. Hat der Konkursverwalter einen aus der Konkursmasse nicht erfüllbaren Vertrag abgeschlossen, so haftet er gemäß § 82 KO dem Vertragsgegner persönlich für den Schaden aus einer schuldhaften Pflichtverletzung. Der Geschädigte kann aber nicht Schadenersatz wegen N i c h t e r f ü l l u n g verlangen, gleich als ob der Konkursverwalter neben dem Gemeinschuldner Vertragspartei geworden wäre, sondern lediglich das negative Interesse, d. h. so gestellt zu werden, als sie die Pflichtverletzung nicht eingetreten. BGH NJW 1958, 1351; dazu Mölders NJW 1958, 1681. — Über Haftung des Vergleichsverwalters vgl. BGH 23, 69. Über „Ablastbarkeit" von Prämien für eine Haftpflichtversicherung zugunsten des Verwalters auf die Masse s. Stein, NJW 1958, 532. Sukzessivlieferungsgeschäft. „Herrn Konkursverwalter Friedrieb Bender, Hier. Am 20. Oktober v. J . kaufte die Firma Jobannes Held Wäschefabrik von uns 1000 Gros Druckknöpfe Nr. 937 C zum Preise von 2,20 DM je Gros und zur sukzessiven Abnahme auf Abruf bis 1. Oktober 1957. Wir ersuchen um gefl. Erklärung gemäß § 1 7 1 1 KO, ob Sie für die Masse die Erfüllung dieses Vertrages beanspruchen. Köln, den 7. März i960. M. Hering & Co." Knöpfe der verkauften A r t kosten gegenwärtig 2,50 bis 2,60 D M — das würde für das Verlangen der Erfüllung sprechen. Der Verwalter muß aber, ehe er sich entscheidet, weiterhin feststellen, wieviel auf den Abschluß geliefert und wieviel auf die gelieferten Knöpfe bezahlt ist. E s liegt nämlich ein Sukzessivlieferungsgeschäft (Abt. I S. 142) vor, und wenn der Verwalter die Erfüllung eines solchen beansprucht, so folgt aus der Einheitlichkeit des ganzen Vertrages, daß nicht bloß die Posten Masseschuld sind, welche auf Grund seiner Erklärung in Zukunft zur Masse geliefert werden, sondern ebenso die vor Eröffnung an den Gemeinschuldner gelieferten und noch unbezahlten Waren. Bender darf daher Erfüllung erst verlangen, nachdem er sich überzeugt hat, daß der Vorteil, den die Masse durch Lieferung der noch offenen Rate zu dem hinter dem Tagespreis zurückbleibenden Vertragspreis etwa erzielen könnte, nicht dadurch aufgewogen wird, daß auf die alten Raten statt der Konkursdividende gemäß § 5 9 2 der volle Kaufpreis als Masseschuld bezahlt werden muß. Von den Sukzessivlieferungsverträgen sind diejenigen Schuldverhältnisse zu scheiden, die kraft einer •— sei es auch nur stillschweigenden — Wiederholung des Vertragsschlusses fort und fort für weitere Zeitabschnitte oder für weitere Bezugsmengen neu entstehen, also nicht ein für alle Male begründet sind. Hauptbeispiele dieser sog. Wiederkehrschuldverhältnisse sind die Lieferung von Wasser, Elektrizität, elektrischer Arbeit, Gas. Auf diese Wiederkehrschuldverhältnisse ist § 17 KO nicht anwendbar. Dasjenige, was die Konkursmasse bezieht, ist Masseschuld nach § 5 9 1 KO, der vorherige Bezug dagegen Konkursforderung (RG 148, 326). Das Problem ergibt sich im Vergleichsverfahren zufolge der neueren Regelung des § 36 II VerglO nicht mehr, indem § 36 II bei einer teilbaren Leistung den Gläubiger wegen des von ihm bereits erbrachten Teils der Leistung in die Reihe der bloßen Vergleichsgläubiger stellt (vgl. auch R G 155, 306 und oben S. 396). Oft wird von den Lieferanten von Gas, Wasser und Elektrizität der Versuch unternommen, eine 100% ige Bezahlung auch für die Lieferungen vor Konkurseröffnung dadurch Zu erlangen, daß sie mit der Sperre weiterer Lieferungen drohen. Ein solcher Versuch, die Monopolstellung auszunutzen, verstößt gegen § 826 BGB. Lehnt der Verwalter die Erfüllung eines echten Sukzessivlieferungsgeschäfts ab, so bietet die Abwicklung konkursrechtlich keine Besonderheiten. Der Lieferant hat wegen der vor Eröffnung gelieferten Raten eine einfache Konkursforderung und eine weitere einfache Konkursforderung wegen des ihm durch Nichtlieferung des Restes etwa entstehenden Schadens gemäß § 26 S. 2 KO. Weder

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Konkursverwalter — Miete im Konkurs

kann er die von den früheren Lieferungen her in der Masse noch vorhandenen Waren Zurückfordern (§ 26 S. 1), noch ist er zur Rückerstattung der vom Gemeinschuldner geleisteten Zahlungen verpflichtet. Hat ein Verwalter, was zuweilen vorkommt, die Erfüllung des Sukzessivlieferungsvertrages in Unkenntnis der Rechtsfolgen gefordert, so kann er seine Erklärung nicht anfechten: Irrtum über Rechtsfolgen ist Irrtum im Beweggrunde, nicht Irrtum über den Inhalt der Erklärung (§ 1 1 9 1 ) . Bezog sich der Irrtum auf die tatsächliche Frage, ob und wie viele Waren bei Eröffnung des Verfahrens geliefert und noch unbezahlt waren, so liegt ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum über den Inhalt der Erklärung vor (der Verwalter glaubte z. B. die Erfüllung eines erst in Höhe von 100 Gros gelieferten aber noch unbezahlten Schlusses zu verlangen, während es in Wahrheit ein schon mit 500 unbezahlten Gros erfüllter Abschluß war). R G 98, 136; 146, 236. Schreiben nach Beratung im Gläubigerausschuß: „Firma M. Hering & Co., Hier. Auf das Schreiben vom 7. d. Mts. erwidere ich, daß die Erfüllung des Abschlusses vom 20. Oktober 1959 abgelehnt wird. Köln, den 12. März i960. Bender, Konkursverwalter." G e s c h ä f t s miete. „Herren Sievers & Co., Düsseldorf. A m 24. Februar ds. Js. ist über das Vermögen des Herrn Johannes Held in Firma , Johannes Held, Wäschefabrik', hierselbst, das Konkursverfahren eröflnet worden. Ich bin als Konkursverwalter bestellt. Ob und in welchem Umfang das Geschäft fortgeführt werden wird, steht noch nicht fest. Ich bitte um gefl. Mitteilung, ob Sie bereit sind, die Miete auf jährlich 6000,—DM (das sind für den qm rund 12,— DM, also ein n^ch heutigen Verhältnissen durchaus angemessener Preis) zu ermäßigen und dem Mieter das Recht der Untervermietung im ganzen oder in Teilen einzuräumen. Bei Ablehnung würde ich von dem mir nach § 19 S. 2 K O , § 565 1 B G B Zustehenden Kündigungsrecht zum 30. Juni d. J . Gebrauch machen. Köln, den 8. März i960. Bender, Konkursverwalter." „Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Im Besitz Ihres Schreibens vom 8. ds. Mts. teilen wir Ihnen mit, daß wir jede Abänderung des Vertrages ablehnen. Wir werden, falls Sie kündigen und wir die Räume nicht zum gleichen Preise anderweit vermieten können, allen uns hieraus entstehenden Schaden geltend machen und sowohl wegen der Mietrückstände, als auch wegen des uns durch die vorzeitige Kündigung entstehenden Schadens abgesonderte Befriedigung aus den unserem Vermieterpfandrecht unterliegenden eingebrachten Sachen beanspruchen. Düsseldorf, den 10. März i960. Sievers Co." D u r c h die D r o h u n g der Vermieterin w i r d sich Bender nicht v o n der K ü n d i g u n g abschrecken lassen. A n sich bleibt das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters auch gegenüber der Konkursmasse als „ A b s o n d e r u n g s r e c h t " wirksam, doch setzt § 4 9 2 K O seiner G e l tendmachung Schranken. K ü n d i g t der Verwalter, so sind die A n s p r ü c h e des V e r mieters : a) w e g e n rückständiger Miete f ü r eine frühere Z e i t als das letzte J a h r (ä dato gerechnet) v o r Konkurseröffnung: K o n k u r s f o r d e r u n g ohne Absonderungsrecht, b) w e g e n rückständiger Miete aus dem letzten J a h r v o r dem K o n k u r s e : K o n k u r s forderung mit Absonderungsrecht (vgl. aber auch B G H N J W 1 9 5 9 2 2 5 1 ) , c) w e g e n der Miete v o n Konkurseröifnung bis z u m A b l a u f der K ü n d i g u n g s f r i s t (hier: 30. J u n i i 9 6 0 ) : Masseschuld (§ 5 9 2 ) mit Absonderungsrecht, d) w e g e n des durch die vorzeitige Vertragsaufhebung entstehenden Schadens: K o n kursforderung ohne Absonderungsrecht.

Konkursverwalter — Dienstverhältnisse

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Der Satz unter a entspricht dem für die Einzelvollstreckung geltenden § 563 B G B (S. 250 zu 1). Die Vorschrift zu d bedeutet eine wesentliche Besserstellung der Warengläubiger durch den Konkurs. Denn während außerhalb des Konkurses der Vermieter nicht bloß wegen seiner fälligen, sondern auch wegen der künftig fällig werdenden Forderungen aus dem Mietverhältnis für das laufende und das folgende Mietjahr das Pfandrecht und damit an allen im Geschäftslokal befindlichen beweglichen Gegenständen das Vorrecht vor pfändenden Gläubigern hat (§ 5 59 S. 2, S. 250 zu 2), wird er im Konkurse für die Zukunft auf den Differenzanspruch beschränkt und ihm dieserhalb das Absonderungsrecht abgesprochen. Verpächter landwirtschaftlicher Grundstücke sind gegenüber dem Vermieter insofern privilegiert, als sie ihr Pfandrecht im Verhältnis zu Pfändungsgläubigern für alle Pachtzinsforderungen ohne Beschränkung auf bestimmte Zeiträume (§§ 559 S. 2, J63, s. oben) geltend machen dürfen (§ 585). Entsprechend haben sie im Konkurse Absonderungsrecht auch wegen älterer Pachtzinsrückstände. Dagegen wird ihnen wegen des durch Kündigung des Verwalters entstehenden Schadens die Absonderung versagt. § 4c)2 KO. G e s c h ä f t s p e r s o n a l . Auf Grund des § 22 kündigt Bender dem gesamten Personal, um später — soweit sich das nach dem von der Gläubigerversammlung zu fassenden Beschluß über die Fortführung des Geschäfts (S. 359) oder wegen eines geplanten Zwangsvergleichs als sachgemäß erweisen sollte — einzelne wieder zurückzuengagieren. Die Kündigungsfrist ist, falls nicht eine kürzere Frist bedungen war, die gesetzliche (§ 22 1 S. 2). In erster Reihe muß der Verwalter also die vertraglichen bzw. tarifvertraglichen Fristen ermitteln. Hinsichtlich der gesetzlichen Kündigungsfrist sind zu unterscheiden: a) „Handlungsgehilfen", z. B. allgemeine Handlungsbevollmächtigte, Disponenten, Konfektionäre, Buchhalter, Korrespondenten, Kassierer, Einkäufer, Reisende und sonstige Verkäufer, Lageristen, Expedienten, nach überwiegender Praxis auch Stenotypisten, mit Frist von 6 Wochen Zum Quartalsschluß (§ 66 HGB), b) „Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker", z. B. technische Betriebsleiter (Wäschedirektrice), Zuschneider in leitender Stellung, Zeichner, ebenfalls mit Frist von 6 Wochen zum Quartalsschluß (§ 133a GewO), c) „Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter", z. B. Näherinnen, Haushälter, Packer, Chauffeure, mit Frist von 14 Tagen Zu jedem beliebigen Termin (§§ 122 GewO). Abgesehen davon muß der Verwalter prüfen, ob nicht das Kündigungsschutzgesetz vom 10. 8. 1951 (BGBl I S. 499) einer Kündigung entgegensteht, nach dessen Grundgedanken in Betrieben, welche in der Regel mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigen, einem über 20 Jahre alten und länger als 6 Monate im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nur dann rechtswirksam gekündigt werden kann, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Allerdings dürfte die Konkurseröffnung in aller Regel ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung im Sinne des § 1 II KündSchG darstellen. Vielfach lösen sich diese Probleme in Konkursen dadurch, daß die Arbeitnehmer bemüht sind, möglichst schnell eine andere Arbeitsstelle Zu finden. Wird durch die Kündigung des Verwalters ein langjähriger Dienstvertrag vorzeitig aufgelöst, so begründet das für den Angestellten eine Schadenersatzforderung (§ 2 2 " KO). Von den einzelnen Ansprüchen des Personals sind: a) Rückstände für eine frühere Zeit als das letzte Jahr vor Eröffnung: nicht bevorrechtigte Konkursforderung (arg. § 61 1 ), b) Rückstände aus dem letzten Jahre: Konkursforderung mit dem Vorrecht der ersten Klasse des § 61, c) die Vergütung für die Zeit von der Eröffnung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist: Masseschuld (§ J9 a ), d) der Schadensersatzanspruch wegen der späteren Zeit: Konkursforderung ohne Vorrecht (§ 2 2 " ) .

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Konkursverwalter — Handelsvertretervertrag

Zur Tabelle müssen nicht nur die Ansprüche zu a und d, sondern auch die zu b angemeldet werden, damit sie Berücksichtigung finden können (S. 363). Handelsvertretervertrag. „Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Ihre eingeschriebene Mitteilung vom 26. d. M., daß mein Vertrag durch Eröffnung des Konkurses über Herrn Held beendigt sei, dürfte auf einem Irrtum beruhen. Ich bin, wie Sie sich aus dem Vertrage überzeugen wollen, bis 31. Dezember i960 als Vertreter für den Ruhrbezirk von Herrn Held fest angestellt. Bis zum genannten Tage beanspruche ich daher meine garantierte Mindestprovision von jährlich 5000,— D M und darüber hinaus den Schaden, der mir durch Abschneidung meiner Tätigkeit entsteht, unter Zugrundelegung der Provision für 1959, welche etwa 7200,— D M ausmachte. Wenn Sie mir überhaupt kündigen könnten, so müßte mir doch, ebenso wie dem sonstigen Personal, eine Frist bis zum 30. Juni d. J . zustehen, da der 17. Februar schon vorbei ist. Für alle meine Forderungen nehme ich das Vorrecht aus § 6 1 1 K O in Anspruch. Meine Tätigkeit stelle ich Ihnen hiermit ausdrücklich zur Verfügung. Duisburg, den 28. Februar i960. Fritz JasPeT> kaufmännischer Vertreter."

Die vom Gemeinschuldner als Dienstherrn mit Dritten geschlossenen Verträge zerfallen konkursrechtlich in zwei Gruppen: die „in" dem Haushalt, Wirtschaftsbetrieb oder Erwerbsgeschäft „angetretenen" Dienstverhältnisse auf der einen, die von ihm erteilten „Aufträge" und „Geschäftsbesorgungen" auf der anderen Seite. Verträge der ersten Art werden durch den Konkurs nicht ohne weiteres aufgelöst, sondern sind, wie wir soeben gesehen haben, mit gesezlicher Frist kündbar, wobei dem Dienstverpflichteten Ersatz des ihm durch die vorzeitige Kündigung des Verwalters entstehenden Schadens zusteht. Die Verträge der zweiten Gruppe erlöschen ipso iure im Zeitpunkt der Eröffnung; ein Entschädigungsanspruch wird nicht ausdrücklich gewährt (§ 23), und ob bzw. unter welchen Voraussetzungen er aus § 26 oder aus allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts hergeleitet werden kann, ist zweifelhaft (oben S. 396). Unter § 23 fallen u. a.: Anwaltsmandat, Mäklervertrag, Kommission (RG 105, 125), Spedition und — nach R G 63, 69 — der Agentur- bzw. Handelsvertretervertrag. Die kaufmännischen, .Vertreter'zu denenJasper sich rechnet, sind in der Regel Handelsvertreter, d. h. Personen, die nicht im Betriebe des Geschäftsherrn angestellt sind und in kein persönliches Unterordnungsverhältnis zu ihm treten, ihm vielmehr als selbständige Kaufleute gegenüberstehen (§ i 7 ,84 HGB), ihre Spesen selbst tragen und in der Regel für mehrere Firmen gleichzeitig tätig sind. Obwohl es sich hiernach also um keine Arbeitnehmer handelt, gewährt ihnen die K O das Vorrecht des § 6 1 1 KO, falls sie zu dem Kreis der Handelsvertreter gehören, für die nach § 92 a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann, und falls ihnen während der letzten 6 Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 5 00,— DM an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen zugestanden haben oder noch zustehen. Es handelt sich also um die sog. arbeitnehmerähnlichen Vertreter. Da Jasper jedoch mehr als 500,— D M monatlich verdient hat und außerdem noch ständig für 2 weitere Firmen arbeitet (§ 92 a I S. 1 HGB), kann der Konkursverwalter kein Vorrecht anerkennen. Bender antwortet deshalb: „Der Inhalt Ihres Vertrages war mir bekannt. Da Sie als Handelsvertreter anzusehen sind, ist dieser Vertrag nach § 23 K O mit Eröffnung des Konkurses erloschen. Ich werde Ihnen so bald als möglich eine Aufstellung der bis zur Eröffnung von Ihnen verdienten Provisionen zugehen lassen, damit Sie eine Grundlage für die Anmeldung Ihrer Forderung haben. Ein Vorrecht werde ich nicht anerkennen können, ebensowenig Schadensersatzansprüche wegen der vorzeitigen Auflösung des Vertrages."

Konkursverwalter — Aussonderung der Ehefrau

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Wohnungsmiete und Hauspersonal. Bei dem über die Wohnung abgeschlossenen Mietvertrag ist die Rechtslage die gleiche wie bei der Geschäftsmiete. Da aber Frau Held die Wohnung zu behalten wünscht, vereinbart sie — unter Zustimmung des Konkursverwalters — mit dem Hauswirt ihren Eintritt in das Mietverhältnis an Stelle ihres Mannes. Dadurch wird die Kündigung aus § 19 vermieden und die Masse von allen Verpflichtungen wegen künftiger Miete und Schadensersatz entlastet. Das Mieterschutzgesetz stände im übrigen einer Kündigung nicht entgegen (vgl. § 26 MSchG). Nach B G H 26, 102 besteht ein Kündigungsrecht nach § 19 K O nur, wenn die „Mietpartei" im Konkurs ist. Sind beide Ehegatten Mieter, so müssen also beide im Konkurs sein.— Kündigt der Vermieter nach § 19, so ist er zur Rückzahlung eines im voraus entrichteten Mietzinses oder eines sog. verlorenen Baukostenzuschusses nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet, B G H N J W 1958, 1 5 8 2 ; 1959, 873.

Der Hausangestellten, deren Lohn nach Monaten bemessen ist, kündigt der Verwalter zum 31. März i960 (§ 22 1 K O mit § 621 1 1 1 BGB). Schadensversicherung. Auf die vom Gemeinschuldner als Versicherungsnehmer geschlossenen Versicherungen übt die Konkurseröffnung nach dem Gesetz keinerlei Einfluß aus. Jedoch pflegen sich die Versicherungsgesellschaften in ihren Bedingungen für den Konkursfall des Kunden außerordentliche Kündigungsrechte oder das vorzeitige Erlöschen des Vertragsverhältnisses vorzubehalten. Nach zwingender Vorschrift des § 14 V V G läuft der Vertrag auf Grund derartiger Klauseln keinesfalls früher als einen Monat nach Eröffnung ab. Bender prüft daher alsbald nach der Eröffnung die Policen nach, um nötigenfalls vor Ablauf der alten Versicherungen die Masse gegen Feuer-, Einbruch-, Glas-, Transport- und Haftpflichtschaden anderweit zu decken. Feststellung der Teilungsmasse Wohnungseinrichtung. A u s s o n d e r u n g der E h e f r a u . „Sehr geehrter Herr Verwalterl In der Konkurssache meines Ehemanns, des Kaufmanns Jobannes Held, beanspruche ich die gesamte Wohnungseinrichtung mit Ausnahme des Herrenzimmers als mein Eigentum. Zur Begründung führe ich an, daß ich: a) das Biedermeierzimmer als Mädchen von meiner verstorbenen Tante, Frl. Meta Obst in Bonn, geerbt, b) Schlaf- und Eßzimmer im Jahre 1955 von meinen Eltern, welche die Sachen zu diesem Zweck gekauft haben, als Aussteuer erhalten habe, c) das Kinderzimmer sowie die echten Teppiche im Eßzimmer 1956 für mich angeschafft worden sind, d) ebenso 1957 die Kücheneinrichtung, und zwar an Stelle der mir von meinen Eltern aus dem eigenen Haushalt abgegebenen, sehr veralteten und abgenutzten Einrichtung. Das Meta Obstsche Testament, verschiedene Originalrechnungen und eine eidesstattliche Versicherung meines Vaters, des Kaufmanns Martin Obst in Bonn, fuge ich bei. Ich lehne die Herausgabe der Gegenstände Zur Masse ab und stelle Ihnen, falls Sie mein Eigentumsrecht nicht anerkennen wollen, Klage anheim. Minna Held geb. Obst".

Die Urkunden bestätigen die Richtigkeit der gemachten Angaben. Die Rechnungen lauten zu b auf „Herrn Martin Obst, Bonn,"

zu c und d auf „Frau Minna Held geb. Obst, Köln." 26

L u x . Schulung. 5. Aufl. (Berg)

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Konkursverwalter — Praesumtiv Muciana

Der Eröffhungsbeschluß bildet für den Verwalter einen vollstreckbaren Titel 2ur Wegnahme aller im Gewahrsam des Gemeinschuldners stehenden Massegegenstände (§§ 73ln> T I 7 KO, 794®, 808 ZPO, dazu oben S. 349). Bender braucht sich deshalb normalerweise lediglich eine vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlussses geben zu lassen, um damit im Fall der Weigerung der Herausgabe dem Gerichtsvollzieher Vollstreckungsauftrag zu erteilen. Eine Herausgabeklage ist also nicht erforderlich. — Das gilt auch dann, wenn die Ehefrau des Schuldners an dessen Sachen einen durch das eheliche Zusammenleben begründeten Mitgewahrsam hat, vgl. § 739 ZPO und oben S. 221. Bei denjenigen Einrichtungsstücken, die für Held und die Seinigen zur Erhaltung eines angemessenen Hausstandes unentbehrlich sind (§ 811 1 ZPO) oder die zum gewöhnlichen Hausrat zählen und in der Versteigerung einen unverhältnismäßig niedrigen Erlös bringen würden (§812), kann die Eigentumsfrage offen beiben. Sie würden nämlich, weil unpfändbar, auch dann nicht in die Masse fallen, wenn sie dem Gemeinschuldner gehören. § 1 I V KO. Deshalb gibt sie Bender ohne weiteres frei. Im übrigen ist § 45 maßgebend. Darnach darf der Ehegatte des Gemeinschuldners die von ihm während der Ehe erworbenen Gegenstände nur in Anspruch nehmen, sofern er beweist, daß sie „nicht mit Mitteln des Gemeinschuldners" erworben wurden. Das ist eine Einschränkung gegenüber § 43 KO. Die Sachen müssen nicht nur Eigentum des anderen Ehegatten sein, sondern dürfen auch nicht mit Mitteln des Gemeinschuldners erworben sein. Eigentumserwerb auf Grund einer Schenkung des Gemeinschuldners genügt demnach nicht. Die Aussonderung beschränkt sich also auf Sachen, die a) entweder bei der Eheschließung von ihm eingebracht b) oder während der Ehe nachweislich aus seinen eigenen Mitteln gekauft c) oder während der Ehe von dritten Personen geschenkt bzw. bezahlt worden sind. § 45 enthält im Interesse der Erhaltung der Konkursmasse zwei verschiedene Rechtsfolgen: 1. D i e V e r m u t u n g zu Gunsten der Konkursgläubiger des einen Ehepartners, daß alles, was der andere Ehepartner während der Ehe erwarb, mit Mitteln des in Konkurs gefallenen Ehepartners erworben ist. Beweislastumkehrung. Diese Regel ist am gerechtesten bei einem beiderseitig berufstätigen Ehepaar, andernfalls belastet die Umkehrung der Beweislast den berufstätigen Ehepartner praktisch weniger als den nichtberufstätigen. 2. D i e F i k t i o n zugunsten der Konkursgläubiger des einen Ehepartners, daß alles, was der andere Ehepartner während der Ehe durch Rechtsgeschäft mit Dritten, aber aus Mitteln des einen (in Konkurs gefallenen) Ehepartners erwarb, dem letzteren gehört.

Nach Beratung mit dem Gläubigerausschuß (§ 1332) erkennt Bender das Aussonderungsrecht am Biedermeier-, Schlaf- und Eßzimmer sowie an der Kücheneinrichtung an, während er das Kinderzimmer (mit Ausnahme der unter §§ 8111, 812 ZPO fallenden Stücke) und die Teppiche zur Masse zieht. L e b e n s v e r s i c h e r u n g z u g u n s t e n d e r E h e f r a u . In Heids Schreibtisch hat der Verwalter eine Police der „Sekuritas" vom 20. Februar 1955 gefunden: „Die Gesellschaft versichert das Leben des Herrn Johannes Held mit 8400 D M (i. W.). Die Versicherung ist fällig am 20. Februar 1980 oder beim früheren Tode des Versicherten. Die Versicherung ist zugunsten der Ehefrau des Versicherungsnehmers, Frau Minna Held geb. Obst, genommen."

Als begünstigte Dritte erlangt Frau Held den Anspruch auf die Versicherungssumme erst mit dem Tode des Versicherungsnehmers (§ 331 1 BGB). Die bis dahin dem Versicherungsnehmer zustehende Befugnis zum Widerruf und zur Änderung des Bezugsberechtigten wird im Konkurs vom Verwalter ausgeübt (§ 6 n KO). Bender schreibt also der Versicherungsgesellschaft:

Konkursverwalter — Lebensversicherung. Erbschaftsausschlagung

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„ A l s Verwalter im Konkurse über das Vermögen des Herrn Johannes Held widerrufe ich die in der Lebensversicherungspolice Nr. 95 001 Ihrer Gesellschaft enthaltene Bestimmung, daß die Versicherung zugunsten der Ehefrau Minna Held geb. Obst genommen ist." Sollte dann Held im Laufe des Konkurses plötzlich sterben, so würde infolge des Widerrufs der Begünstigungsklausel nunmehr die Versicherungssumme der Masse zustehen. Da sich aber der Gemeinschuldner augenscheinlich der besten Gesundheit erfreut, kann der Verwalter nicht auf seinen T o d warten. Deshalb verwertet er die Versicherung durch Rückkauf. Der R ü c k k a u f besteht darin, daß der Vertrag aufgehoben und die Gesellschaft von der Verpflichtung, am 20. Februar 1980 oder beim früheren Tode die Summe von 8400 D M auszuzahlen, befreit wird, dafür aber den „Rückkaufswert" an die Masse zahlt. Der Rückkaufswert ist ein durch den Tarif der Gesellschaft bestimmter Prozentsatz der gezahlten Prämien. — Lehnt die „Sekuritas" den Abschluß des Rückkaufs ab und steht nach den Bedingungen dem Versicherungsnehmer hierauf kein fester Rechtsanspruch zu, so sucht der Verwalter für die der Masse aus dem Versicherungsverhältnis zustehenden Ansprüche einen Käufer, der wahrscheinlich von dem in §§ 173f. V V G für den Fall einer Prämienzahlung für mindestens 3 Jahre gesetzlich verbrieften Recht der U m w a n d l u n g in eine p r ä m i e n f r e i e V e r s i c h e r u n g Gebrauch machen wird. Bei dieser Umwandlung wird die Versicherung dergestalt aufrecht erhalten, daß die „Sekuritas" am 20. Februar 1980 bzw. bei Heids früherem-Tode an den Rechtsnachfolger der Konkursmasse eine bestimmte Kapitalsumme zu zahlen hat. Die durch die bisherigen Prämienzahlungen entstandene, im Tarif der Gesellschaft festgelegte, „Prämienreserve" gilt als einmalige Prämie, und die Versicherungssumme wird auf den Betrag herabgesetzt, der laut Tarif gegen diese einmalige Prämie zu zahlen ist. Bei der Umwandlung in prämienfreie Versicherung fällt für die Zukunft jede Pflicht zur Prämienzahlung fort. — Die von den Gesellschaften in großem Umfang geübte B e l e i h u n g der P o l i c e durch Gewährung von Darlehen steht ebenso in ihrem freien Belieben wie der Abschluß des Rückkaufvertrags. Wer als Einzelgläubiger in die Rechte des Schuldners aus einer Lebensversicherung vollstrecken will, muß analog dem Konkursverwalter vorgehen. Das Recht auf Widerruf der Bezugsberechtigung unterliegt der Pfändung (RG 127, 269). Die Verwertung der gepfändeten Ansprüche erfolgt durch Versteigerung auf Grund von § 844 Z P O (S. 246). E r b s c h a f t s a u s s c h l a g u n g . A m 18. Februar 1980 ist eine Schwester des Gemeinschuldners verstorben. Held gehört zu den gesetzlichen Erben mit einer Quote von YJ. Der Nachlaß hat einen Gesamtwert von zirka 9000 D M . A m 18. März erklärt Held gegenüber dem Nachlaßgericht in beglaubigter Form die Ausschlagung. Da die Erbfolge auf den 18. Februar zurückzubeziehen ist (§ 1922 1 B G B ) und der Erbteil daher am Eröffnungstage bereits Vermögen des Gemeinschuldners war (§ i 1 K O ) , so würde der Erbteil ohne die Ausschlagung in die Konkursmasse gefallen, und es würden nach § i 6 n alle etwaigen Beschränkungen der Erbauseinandersetzung unwirksam geworden sein, so daß der sofortigen Teilung nichts im Wege gestanden hätte. Infolge der Ausschlagung ist die Erbschaft demjenigen angefallen, der berufen gewesen wäre, wenn Held den Erbfall nicht erlebt hätte (§ 195 3 n BGB). Das sind Heids minderjährige Kinder. Nunmehr entscheidet das Vormundschaftsgericht, ob die Verwaltung über das Kindesvermögen der Mutter zusteht oder ob ein Pfleger bestellt werden soll. §§ 1670, 1680, 1679 1 B G B . Muß sich der Konkursverwalter die Ausschlagung der Erbschaft gefallenlassen ? Nach § 9 K O steht die Ausschlagung von Erbschaften und Vermächtnissen trotz des Konkurses dem Gemeinschuldner persönlich zu. Das Gesetz betrachtet also die Ausschlagung als ein Recht, bei dessen Ausübung nicht bloß vermögensrechtliche Erwägungen maßgebend sein sollen. Eine Nachprüfung der Gründe, aus denen der Gemeinschuldner ausgeschlagen hat, ist unzulässig. Obgleich also Held den Nachlaß seinen Kindern offenbar zum Schaden der Konkursmasse in die Hände gespielt hat, läßt sich die Erbschaft nicht durch Anfechtung zur Masse ziehen. Auch eine vor Eröffnung des Konkurses zum Nachteil der Gläubiger erklärte Erbschaftsausschlagung k a n n — i n und außer dem Konkurse — nicht angefochten werden. R G 54,289; 84,347.

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Konkursverwalter — Aussonderung

Unwirksam würde die Ausschlagung sein, wenn Held die Erbschaft vor dem 18. März bereits angenommen gehabt hätte (§ 1943 BGB). Praktisch ist auch damit kaum etwas für die Konkursgläubiger zu erreichen, denn Held wird, wenn er ohne ausdrückliche Annahmeerklärung lediglich erbschaftliche Geschäfte besorgt hatte, einwenden, daß bloß eine pro herede gestio (§ 1959) vorgelegen habe. Aussonderung bemängelter

Waren.

„Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Am 7. Dezember 1959 lieferten wir der Firma Johannes Held, Wäschefabrik, 25 Dtzd. Damenstrümpfe, .Ninette', welche uns von der Firma zur Verfügung gestellt wurden. Wir erklären uns mit der Zurverfügungstellung hiermit ausdrücklich einverstanden und bitten um gefl. umgehende Retournierung der Strümpfe auf unsere Rechnung. Wuppertal, den 11. März i960. Aschoff & Zacharias." Der Verwalter erwidert: „Der Gemeinschuldner hat die Strümpfe zunächst angenommen und erst nach ca. 10 Tagen mit Schreiben vom 18. Dezember i960 bemängelt und zur Verfügung gestellt. Die Strümpfe waren daher in das Eigentum des Gemeinschuldners übergegangen. Die in der Zurverfügungstellung liegende Offerte zur Rückübereignung haben Sie bis zur Eröffnung nicht angenommen, so daß die Ware nach § 1 1 KO zur Konkursmasse gehört." Aschoff & Zacharias werden es jetzt bitter bereuen, daß sie sich nicht früher mit der Rücknahme der Strümpfe einverstanden erklärt und so ihr Eigentum gerettet haben. Wenn Held die ihm zugesandten Waren von vornherein zurückgewiesen hätte, würde das Eigentum ununterbrochen bei der Verkäuferin geblieben sein; die Verkäuferin könnte dann nach § 43 aussondern und sogar daneben als Konkursgläubiger Schadensersatzansprüche nach § 26 geltend machen, vorausgesetzt, daß die Verwertung der Ware nur noch unter dem Vertragspreise möglich ist und die Beanstandung des Käufers unberechtigt war. A u s s o n d e r u n g auf G r u n d einer A n f e c h t u n g w e g e n

Willensmangels.

„Berlin, den 4. März i960. Herrn Konkursverwalter Friedrich Bender, Köln. Im Auftrage der Firma B. Stol^enburg & Söhne, hier, habe ich Ihnen folgendes mitzuteilen. Am 30. Januar d. J. bestellte die Firma Johannes Held, Wäschefabrik, bei meiner Auftraggeberin durch deren Reisenden Wentel zur sofortigen Lieferung einen Posten Wäsche mit der Bedingung: Zahlung durch Dreimonatspapier nach Empfang der Ware. Die Wäsche ist am 13. Februar abgesandt worden und am 15. oder 16. dort eingetroffen. Am 24. Februar wurde das Konkursverfahren über Held eröffnet. Gemäß § 123 BGB fechte ich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Reichsgerichtes Bd. 66 S. 385 Kauf und Eigentumsübertragung wegen arglistiger Täuschung an, weil meine Auftraggeberin die Ware, welche einen Rechnungsbetrag von 858 DM ausmacht, selbstverständlich nicht auf Kredit geliefert haben würde, wenn sie von der damals schon zerrütteten Vermögenslage des Held und dem bevorstehenden Konkurse Kenntnis gehabt hätte. Held war verpflichtet, meine Auftraggeberin über den wahren Sachverhalt aufzuklären, und hat, indem er das unterließ, sich einer arglistigen Täuschung schuldig gemacht. Abgesehen hiervon werden Kauf und Übereignung auch gemäß § 1 1 9 1 1 BGB angefochten, weil die Verkäuferin sich im Irrtum über Eigenschaften des anderen Teiles, welche im Verkehr als wesentlich gelten, befunden hat, nämlich über die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit Heids. Da infolge der Anfechtung die Übereignung auf Held von Anfang an nichtig ist (§ 142 1 BGB), verlangt die Firma B. Stol^enburg & Söhne die Aussonderung der gelieferten Waren. Ich ersuche usw. Roth, R A . "

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Konkursverwalter — Ersatzaussonderung

Obgleich der Aussonderungsanspruch juristisch einwandfrei begründet ist und das Reichsgericht in der angezogenen Entscheidung ihn (für einen besonders kraß liegenden Fall unwahrer positiver Angaben des Käufers) bejaht hat, lehnt Bender ab und läßt es auf die angedrohte Klage ankommen. § 26 S. i K O 2eigt die Tendenz des Gesetzes: daß ein vor Konkurseröffnung bewirkter Eigentumsübergang nicht wegen des Konkurses rückgängig gemacht werden soll. Wäre dies auf dem Umwege über die Anfechtung aus §§ 119, 123 BGB möglich, so würden sich die Konkursmassen in nichts auflösen, denn abgesehen von Ladenhütern bestehen sie nur aus Waren, die in der letzten Zeit geliefert wurden, und fast jeder der Lieferanten würde in der Lage sein, zumindest Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners geltend zu machen. Hier geht das Gesamtinteresse der Gläubigerschaft vor. Vgl. Lent J R 1957, 284^ Ersatzaussonderung. Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Hiermit ersuchen wir um gefl. umgehende Rücksendung derjenigen 5 Stück Oberhemdenstoff, Art. 318, welche wir am 10. Januar d. J . der Firma Johannes Held, Wäschefabrik, zur Ansicht zwecks Ankaufs zugesandt haben. Da die Firma den Stoff nicht gekauft hat, ist die Ware unser Eigentum geblieben, und demgemäß sind wir aussonderungsberechtigt. Krefeld, den 7. März i960.

Calvary &

Co."

a

Nach eingeholter Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 133 KO) antwortet der Verwalter: „ A u f das gefl. Schreiben vom 7. d. M. teile ich mit, daß nur noch 3 Stücke in den Längen von 50 m bzw. 5 3 m bzw. 48 m vorhanden sind. Ein Stück in Länge von 60 m hat Herr Held Anfang Februar an die Firma Koppe in Düsseldorf zum Preise von 1,30 D M je Meter, zusammen 78 D M , verkauft. Koppe hat auf den Kaufpreis vor Konkurseröffnung 20 D M , nachher weitere 20 D M bezahlt. Ein Stück in Länge von 50 m habe ich selbst vor zwei Tagen in Unkenntnis des Umstandes, daß die Ware nicht Eigentum des Gemeinschuldners gewesen ist, zum Preise von 1,45 D M je Meter, insgesamt 72,50 D M , gegen Barzahlung verkauft. Die drei noch vorhandenen Stücke stehen Ihnen zur Verfügung, desgleichen die Restforderung von 3 8 D M an Koppe, die von Koppe nach Eröffnung an mich bezahlten 20 D M und die von mir erlösten 72,50 D M . Im übrigen stelle ich Anmeldung Ihrer Forderung zur Konkurstabelle anheim."

Der für die „Ersatzaussonderung" maßgebende § 46 K O beruht auf dem Gedanken der dinglichen Surrogation mit der Einschränkung, daß durch Vorgänge nach der Konkurseröffnung die Rechtsstellung eines Beteiligten weder zu seinem Vorteil noch zu seinem Schaden verändert werden darf. Demgemäß werden, falls die ursprünglichen Objekte des Aussonderungsrechts infolge Veräußerung nicht mehr herausgegeben werden können, dem Aussonderungsberechtigten 1. die noch ausstehende Kaufpreisforderung an den Abkäufer, 2. alle nach der Konkurseröffnung zur Masse eingezogenen Beträge zugesprochen, sofern sich diese noch unterscheidbar in der Konkursmasse befinden (RG 141, 94). Ist die zur Konkursmasse gelangte Gegenleistung dagegen nicht mehr unterscheidbar, so besteht ein Masseanspruch nach § 59 Nr. 1 oder 3 (RG 98, 150). Wegen der vor Eröffnung geleisteten Kaufpreiszahlungen (hier: die zuerst von Koppe gezahlten 20 DM) besteht bloß eine einfache Konkursforderung (RG 94, 20, 305). Nach B G H 3 0 , 1 7 6 liegt eine Veräußerung i. S. des § 46 auch dann vor, wenn ein Bauhandwerker auf Grund eines Werkvertrages unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sachen als •wesentliche Bestandteile eines fremden Grundstücks e i n b a u t . — § 46 setzt aber stets eine objektive unberechtigt Veräußerung voraus. Hat jemand dem Gemeinschuldner Waren unter Eigentumsvorbehalt, aber mit der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) E r m ä c h t i g u n g z u m W e i t e r v e r k a u f geliefert, so beschränkt sich die Aussonderung auf das, was bei Ausbruch des Konkurses noch vorhanden ist, und

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Konkursverwalter — Ersatzaussonderung. Verfolgungsrecht

die ausstehenden Kaufpreisforderungen an die Abkaufet fallen in die Masse. BGH 30, 176 (182). Bisweilen versuchen das die Lieferanten dadurch zu umgehen, daß sie sich in den Kaufbedingungen ein Rücktrittsrecht fiir den Fall des Konkurses oder Vergleichsverfahrens ausbedingen, dann den Rücktritt erklären (§ 349 BGB) und deduzieren: der Anspruch auf Ersatz des Wertes der vom Gemeinschuldner vor Eröffnung verkauften Waren (§ 346) sei, weil erst durch die Rücktrittserklärung hervorgerufen, nicht Konkursforderung, sondern Masseschuld. Entsprechend im Vergleichsverfahren: es handle sich um eine neue, vom Vergleich nicht berührte Forderung. Damit würden die §§ 17, 26 KO, 50,52 VerglO illusorisch. Nach richtiger Ansicht sind die Ansprüche aus dem Rücktritt immer noch Ansprüche aus dem ursprünglichen Vertrag (vgl. die ähnliche Konstruktion bei der Aufrechnung, unten S. 409) und daher Konkurs- bzw. Vergleichsforderung. JW 32, 26 3 7 1 1 (KG). Dies ist für das Konkursrecht auch daraus zu folgern, daß § 26 KO der Erhaltung der Konkursmasse und damit dem Interesse der Gläubigergemeinschaft dient, so daß er infolgedessen zwingendes Recht enthält. Im Vergleichsrecht ergibt sich dasselbe aus der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 53 VerglO, wonach sich die Vertragsparteien nicht auf eine Abrede berufen können, durch die im voraus die Anwendung des § 52 VerglO (also die Einordnung der Ersatzforderung unter die Vergleichsforderungen) ausgeschlossen oder beschränkt wird. Der Lieferant kann sich aber dinglich sichern durch den sog. verlängerten E i g e n t u m s v o r b eh alt, indem er sich für den Fall der Weiterveräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware die aus dem Verkauf sich ergebende Forderung gegen den Drittabnehmer im voraus abtreten läßt. Eine solche Vorausabtretung einer künftigen Forderung ist rechtswirksam, falls die abgetretene Forderung genügend bestimmbar ist. (Vgl. oben Abt. I S. 16.) — Ein derartiges Sicherungsrecht infolge verlängerten Eigentumsvorbehalts gewährt allerdings kein Aussonderungsrecht wie der einfache Eigentumsvorbehalt, bei welchem der Lieferant das ihm zuvor zustehende Eigentumsrecht behält, solange es zu seiner Sicherung erforderlich ist. Vielmehr wird ihm hier — wie bei der Sicherungsübereignung — zu seiner Sicherung ein neues Recht übertragen, nämlich die Inhaberschaft an einer Forderung, die bisher nicht zu seinem Vermögen gehörte. Der verlängerte Eigentumsvorbehalt begründet deshalb ebenso wie die Sicherungsübereignung im Konkurs nur ein Absonderungsrecht in entsprechender Anwendung des § 48 KO (s. unten S. 408). Dies ist allerdings noch nicht unstreitig (vgl. Bley 2. Aufl. 36fr. zu § 26 VerglO; L G Hildesheim NJW 1958, 1499 mit weit. Hinweisen; vgl. aber auch BGH 7, 365 fr. — Ist bei einem verlängerten E V die Weiterveräußerung unberechtigt, weil sie dem EV-Verkäufer nicht die Forderung aus der Weiterveräußerung verschafft (etwa wegen einer mit dem Abnehmer vereinbarten Einschränkung der Abtretbarkeit), so verbleibt es bei § 46 mit der Folge der Ersatzaussonderung. BGH 27, 306; 30,176. Nach K o n k u r s e r ö f f n u n g abgelieferte Waren. „Mönchen-Gladbach, den 5. März i960. Herrn Friedrieb Bender, Köln. Am 23. v. M. sandten wir Herrn Johannes Held auf seine vorherige Bestellung Stickereien im Rechnungsbetrage von 620,— DM zu. Nach unseren Feststellungen ist die Sendung erst am 25., also nach Konkurseröffnung, dort eingetroffen. Sie gehört also nicht zur Konkursmasse, so daß uns das Aussonderungsrecht zusteht. Wir ersuchen um Mitteilung usw. F. W. Herzig." Post und Eisenbahn sind Besitzmittler für den Absender, nicht für den Empfänger. Daher geht das Eigentum an einer Post- oder Bahnsendung erst dadurch auf den Adressaten über, daß ihm die Ware nach der Ankunft am Bestimmungsorte von der Post bzw. Eisenbahn ausgehändigt wird. Herzigs Aussonderungsanspruch ist also unmittelbar nach §§ i 1 , 43 K O begründet, weil die Stickereien im Zeitpunkte der Konkurseröffnung noch nicht im Eigentum des Gemeinschuldners standen. Das über die Aussonderung nach § 43 hinausgehende „ Verfolgungsrecht" des § 4 4 1 braucht in diesem Falle nicht herangezogen zu werden; es würde z. B. praktisch werden, wenn ein Verkäufer dem Held vor der Konkurseröffnung ein Traditionspapier (s. Abt. I S. 134 Anm. 1) übergeben hätte, während die Ware selb st er st nach Konkurseröffnung anlangte. Bender möchte die Stickereien, weil sie billig sind, gern für die Masse behalten: „Ihr Aussonderungsrecht an den Stickereien wird an sich anerkannt. Da aber die Ware erst nach Konkurseröffnung angekommen ist, war der Vertrag z. Z. der Eröffnung noch von keiner

Konkursverwalter — Aussonderung des Kommittenten

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Seite vollständig erfüllt, so daß mir das Wahlrecht zwischen Erfüllung und Nichterfüllung zusteht. Ich entscheide mich für die Erfüllung und werde demgemäß die Stickereien nicht herausgeben. Der Anspruch auf den Kaufpreis ist Masseschuld; Sie brauchen ihn daher nicht zur Tabelle anzumelden." Daß das Wahlrecht des Verwalters aus § 1 7 dem Aussonderungsrecht des V e r käufers vorgeht, ist selbstverständlich; f ü r das „ V e r f o l g u n g s r e c h t " wird es in § 4 4 " besonders bestimmt. Erlös verkaufter

Kommissionswaren. Krefeld, den 20. März i960. Herrn Konkursverwalter Bender, Köln.

Im Dezember v. J . übersandten wir der Firma Johannes Held, Wäschefabrik, 60 Jumper zum kommissionsweisen Vertrieb. 33 Stück davon hat die Firma bis zum 5. Februar einschließlich verkauft und den Erlös abzüglich Provision an uns abgeführt. Dann erhielten wir am 1 1 . Februar d. J . die Nachricht, daß der Rest von 27 Stück an die dortige Firma Droste zum Preise von je 1 3 , 5 0 D M verkauft sei, und haben der Firma Held auf ihren Wunsch die Provision für die 27 Stück alsbald überwiesen. Wir bitten um gefl. Überweisung der 364,50 D M . Krefelder Kunstseidenfabrik Reinbold Bandltnv." Held ist bei diesem Geschäft als Verkaufskommissionär f ü r B a n d l o w tätig g e w o r den. E r hat also die J u m p e r im eigenen N a m e n , w e n n auch f ü r Rechnung v o n Bandl o w , an Droste verkauft ( § 3 8 3 H G B ) , so daß der Kaufpreisanspruch ihm zusteht. Gegenüber Droste w i r d B a n d l o w als Gläubiger erst dadurch legitimiert, daß ihm die Forderung v o n Held b z w . dessen Konkursverwalter abgetreten w i r d . J e d o c h gilt nach § 3 9 2 " „ i m Verhältnis zwischen dem Kommittenten (Bandlow) und dem K o m missionär (Held) oder dessen G l ä u b i g e r n " die F o r d e r u n g auch ohne A b t r e t u n g als Forderung des Kommittenten. Das bedeutet praktisch: B a n d l o w könnte gegenüber einer Zwangsvollstreckung w e g e n der ausstehenden Kaufpreisforderung intervenieren und er kann sie aus der Konkursmasse aussondern. A n t w o r t des Verwalters an B a n d l o w nach Verständigung mit dem Gläubigerausschuß: „Droste hat die 27 Jumper noch nicht bezahlt. Ich habe ihm mitgeteilt, daß der Betrag von 364,50 D M Ihnen zusteht und ihn aufgefordert, die Zahlung an Sie zu leisten." Fiduziarische

Rechtsverhältnisse.

„Mode und Wäschebazar ,Venus* Anna Kond^tolka.

Düsseldorf, den 1 . März i960. Herrn Friedrieb Bender, Köln.

Soeben erfahre ich zu meiner Überraschung, daß die Firma Held im Konkurs und Sie als Konkursverwalter bestellt sind. Im Januar hatte ich Herrn Held die in der beiliegenden Liste verzeichneten Außenstände über zusammen 953,40 D M abgetreten, damit er sie für mich einzieht. Herr Held hatte dies aus Gefälligkeit mit Rücksicht auf unsere geschäftliche Verbindung übernommen, weil ich annahm, daß die Schuldner ihm eher zahlen werden als mir. Ich furchte nun, daß ich infolge des Konkurses mein Geld verlieren werde, und bitte Sie, mir freundlichst mitzuteilen, ob ich die abgetretenen Forderungen aus der Masse zurückerhalten kann. Anna Kondspolka." „Herrn Konkursverwalter Bender, Köln. Durch den beigelegten Vertrag vom 3. Januar 1958 hat uns Herr Held die ihm gehörigen Nähmaschinen ,Concordia' Nr. 33280, 33281, 33282, eine Schreibmaschine ,Triumph' V I I Nr. 1835 und einen Geldschrank ,Anthelm' 23007 sicherungshalber zu Eigentum übertragen. Die Übergabe ist dadurch ersetzt worden, daß wir die Maschinen usw. Herrn Held bis auf Widerruf leihweise überlassen haben. Wir machen von dem Widerrufsrecht hiermit Gebrauch, kündigen das Leihverhältnis und ersuchen um baldige Herausgabe auf Grund unseres Eigentums. Neuß, den 5. März i960.

Heinz Albers, Mechanische Weberei."

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Konkursverwalter — Fiduziarische Rechtsverhältnisse

Sowohl Kondziolka wie Albers haben fiduziarische Verträge mit dem Gemeinschuldner geschlossen. Frl. Kondziolka als Treugeberin hat Held als Treuhänder zu Inkassozwecken, und Held als Treugeber hat dem Treuhänder Albers zu Sicherungszwecken Rechte übertragen. Nach der formal-juristischen Konstruktion würde der Treugeber im Konkurse des Treuhänders nicht aussondern können, dagegen würde im Konkurse des Treugebers dem Treuhänder ein Aussonderungsrecht zustehen. Die Praxis spricht aber dem Treugeber die Aussonderung gegenüber der Konkursmasse des Treuhänders zu, weil wirtschaftlich das Eigentum bei ihm verblieben ist, und gewährt andrerseits dem Sicherungs-Treuhänder im Konkurse des Treugebers nur Absonderung gemäß § § 4, 47 f. KO, nicht aber Aussonderung: denn wirtschaftlich hat er eine dem Pfandgläubiger entsprechende Stellung. R G 118, 209; 124, 75; 157, 45. Der Aussonderung im ersten Fall entspricht gegenüber der Pfändung durch einen Gläubiger des Treuhänders die Intervention ( B G H N J W 1 9 5 9 , 1 2 2 4 unter Et). Darüber, daß die Rechtsprechung dem fiduziarischen Sicherungseigentümer auch bei Pfändungen von Gläubigern des Treugebers Intervention — und nicht bloß Klage auf vorzugsweise Befriedigung — gibt, vgl. Abt. I S . 87. Strafrechtlich ist die fiduziarisch übereignete Sache für den Veräußerer immer eine „fremde" geworden, so daß er durch nochmalige Veräußerung eine Unterschlagung (§ 246 StGB) begeht. R G S t 61, 65.

Wie wird das Absonderungsrecht realisiert? Albers ist berechtigt, sich aus den ihm übereigneten Gegenständen ohne gerichtliches Verfahren zu befriedigen. Daher steht die Befugnis, die Verwertung der Sachen zu betreiben, in erster Reihe ihm selbst zu. Er kann infolgedessen vom Verwalter Herausgabe zwecks abgesonderter Befriedigung erlangen (RG 157,45). Zögert Albers, so kann ihm der Verwalter gemäß § 1 2 7 » K O vom Konkursgericht eine Frist bestimmen lassen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Betreibungsrecht auf den Verwalter übergeht und Albers nur noch Anspruch auf Auszahlung des auf ihn entfallenden Erlöses hat. Der Verwalter kann auch das Eigentum des Albers durch Auszahlung seiner Forderung ablösen oder sich mit ihm dahin verständigen, daß statt des Pfandverkaufs eine datio in solutum vorgenommen wird. Nach eingeholter Zustimmung des Gläubigerausschusses schreibt Bender an Frl. Kondziolka: „ A u f die von Ihnen an Herrn Held abgetretenen Forderungen ist noch nichts eingegangen. Da ich mich überzeugt habe, daß die Abtretung lediglich zum Inkasso vorgenommen wurde, erkenne ich Ihr Recht auf Aussonderung der Forderungen aus der Konkursmasse an und werde auf Ihren Wunsch den Schuldnern mitteilen, daß Zahlung nur an Sie geleistet werden soll."

Hätte Held die ihm fiduziarisch abgetretenen Forderungen schon vor der Eröffnung eingezogen, so würde Frl. Kondziolka insoweit weder Aussonderung noch Ersatzaussonderung haben. Vgl. S. 405. An Albers wird geschrieben: „Nach dem Vertrage, den ich wieder beifüge, sind Ihnen die Sachen zur Sicherung Ihrer Forderung aus der Geschäftsverbindung übereignet. Sie können daher lediglich abgesonderte Befriedigung verlangen. Ihr Guthaben beträgt nach den Büchern des Gemeinschuldners 383,24 D M . Die drei Nähmaschinen sind in meinem Inventar mit je 180,— D M , die Schreibmaschine mit 100,— D M , der Geldschrank mit 250,— D M bewertet. Z u diesen Preisen bin ich bereit, Ihnen die Sachen oder einzelne davon in Anrechnung auf Ihre Forderung zu überlassen. Ich bitte um baldgefl. Mitteilung, in welcher Weise Sie die Angelegenheit erledigen wollen."

A u f r e c h n u n g . Nach Eröffnung des Konkurses hat Kaufmann Mühle im Heldschen Geschäftslokal Wäschestücke und Blusen für zusammen 80 DM gekauft, die ihm, da er als sehr vermögend bekannt ist, ohne Barzahlung ausgehändigt wurden. Nach Zusendung der Rechnung schreibt Mühle: „Anbei 7,35 D M . Mir steht an Herrn Held eine von diesem anerkannte und in seinen Büchern vermerkte Forderung von 72,65 D M zu, mit welcher ich gegenüber dem Mehrbetrag der Rechnung aufrechne."

Konkursverwalter — Aufrechnung

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Die Forderung von 72,65 D M besteht zu Recht. Gegenseitigkeit der zu tilgenden Geldforderungen (§ 387 BGB) liegt an sich vor, da die „Konkursmasse", von welcher Mühle gekauft hat, kein besonderes Rechtssubjekt sondern mit dem Gemeinschuldner identisch ist. Trotzdem kann er nicht aufrechnen. § 5 5 1 K O schließt die Aufrechnung aus, wenn jemand vor oder nach Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat und nach Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist — eine Folge der durch den Konkurs hinsichtlich der Konkursmasse bewirkten separatio bonorum. (Über eine Ausnahme bei Massegläubigern vgl. B G H 30, 248). Mühle muß volle 80 D M zahlen und erhält auf seine 72,65 D M nur die Quote. In diesem Sinne antwortet der Verwalter. Zahlt Mühle nicht gutwillig, so muß gegen ihn Klage erhoben werden. — Völkel (S. 395) schreibt dem Verwalter: „ A m 10. März teilten Sie mir mit, daß Sie die 300 Blusen nicht liefern wollen. Ich habe mich daher bei der Firma Boese Co. zum Preise von 1260,— D M eingedeckt. Da ich an Held nur 1050»— D M zu zahlen gehabt hätte, steht mir ein Schadensersatz von zu. Mit diesem Betrage rechne ich gegenüber meiner Schuld aus früheren Käufen in Höhe von

210,— D M

auf, während ich den Mehrbetrag von als Konkursgläubiger zur Tabelle anmelden werde."

126,40 D M

83,60 D M

Nach § 5 5 2 kann ein Schuldner der Masse nur mit solchen Forderungen aufrechnen, die ihm bereits vor der Eröffnung an den Gemeinschuldner zustanden. Bei dem von Völkel zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzanspruch aus § 26 S. 2 ist diese Voraussetzung gegeben: denn vor der Eröffnung hatte Völkel einen Anspruch auf Lieferung von 300 Blusen, an dessen Stelle der Schadensersatzanspruch getreten ist. Für die Zulässigkeit der Aufrechnung genügt es, daß die Gegenforderung bei Eröffnung als eine (durch die Konkurseröffnung und Ablehnung der Erfüllung seitens des Verwalters) bedingte bestanden hat (BGH 15, 333). Die Aufrechnung ist daher statthaft, und Völkel braucht nur den durch Aufrechnung nicht verbrauchten Teil seiner Schadensersatzforderung — deren Höhe natürlich noch der Nachprüfung bedarf — zur Tabelle anzumelden (§ 53). — Die Firma Glomb in Düren schuldet Held 245 DM. Auf die Mahnung des Verwalters antwortet Glomb: „Die Zahlung der mir aufgegebenen 245,— D M lehne ich ab. Aus abschriftlich beigefügtem Wechsel per 30. April d. J. steht mir an den Gemeinschuldner eine Forderung in Höhe von 350,— D M zu. Mit 245,— D M Teilbetrag der Wechselforderung rechne ich gegenüber meiner Schuld auf, den überschießenden Betrag werde ich als Konkursgläubiger geltend machen. Düren, den 12. April i960. Daniel Glomb."

Der Grundsatz, daß nur mit fälligen Forderungen aufgerechnet werden kann (§ 387 BGB), steht der Aufrechnung Glombs nicht entgegen. Denn der Konkurs hat die Wechselforderung vorzeitig fällig gemacht (§65 KO), und demgemäß bestimmt § 54, daß die Aufrechnung zwischen Forderungen, von denen die eine zur Zeit der Eröffnung noch betagt war, zulässig ist. Es besteht jedoch ein anderes Bedenken. Der Wechsel ist am 30. Januar i960 von Tischlermeister Preuß, der an der Geschäftseinrichtung des Gemeinschuldners Änderungen ausgeführt hatte, an eigene Order ausgestellt und vom Gemeinschuldner akzeptiert worden. Auf der Rückseite hat Preuß sein Blankoindossament (Art. 1 3 1 1 WG) gesetzt. Darunter steht:

410

Konkursverwalter — Verfugungen des Gemeinschuldners „ F ü r mich an die Order des Herrn Daniel Glomb, Düren. Friedrieb Bastian, Köln."

Bastian ist ein Holzgroßhändler, dem Preuß den Wechsel zur Bezahlung von Holzlieferungen gegeben haben mag. Aus welchem Grunde aber Bastian das Papier an Glomb weiter giriert hat, ist unklar, da kaum eine geschäftliche Verbindung zwischen beiden besteht. Deshalb liegt der Verdacht nahe, daß Glomb in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit Heids den Wechsel lediglich zu dem Zwecke erworben hat, um ihn zur Aufrechnung zu verwenden, die Konkursmasse um den Unterschied zwischen 245 DM und der darauf entfallenden Konkursquote zu schädigen und sich mit Bastian in den Gewinn zu teilen. Die „Schiebung" ist so gedacht: Wenn in der Masse z. B. 4 0 % liegen, so würde die Masse normalerweise die 245 D M von Glomb voll erhalten und auf den Wechsel 140 D M als Dividende zahlen müssen. Gelingt aber die Aufrechnung, so entgehen der Masse die 245 D M und es sind auf die überschießenden 105 D M des Wechsels an Glomb noch 42 D M zu zahlen. Also ein Schaden für die Masse von 147 D M . Kauft Glomb den Wechsel beispielsweise für zoo D M von Bastian, so gewinnt dieser gegenüber dem reellen Wert des Wechsels 60 D M , und Glomb (der die 245 D M nicht zu zahlen braucht und noch 42 D M Konkursdividende herausbekommt) würde 87 D M profitieren.

Nach bürgerlichem Recht ist es gleichgültig, ob der Schuldner mit eigenen oder mit abgetretenen Gegenforderungen aufrechnet. Anders im Konkursfall. Zwischen der Befriedigung durch Aufrechnung und durch Zwangsvollstreckung besteht eine nahe Verwandtschaft. Deshalb werden in § 5 5 3 K O die Vorschriften über Anfechtung der im Stadium der Konkursreife erwirkten Vollstreckungsakte (S. 361 f.) durch die Bestimmung ergänzt, daß die Schuldner der Masse nicht mit Gegenforderungen aufrechnen dürfen, die sie von einem Dritten durch Abtretung in Kenntnis der Zahlungseinstellung oder des Eröffnungsantrags erworben haben. Der Verwalter muß die Kenntnis des anderen Teils beweisen. Bender schreibt: „Herrn Daniel Glomb, Düren. Bevor ich die von Ihnen erklärte Aufrechnung anerkennen kann, bitte ich um gefl. Mitteilung, wann und aus welchem Grunde Sie den Wechsel von Bastian erworben haben."

Die konkursrechtlichen Aufrechnungsbeschränkungen gelten auch im Vergleichsverfahren (§54 VerglO). V e r f ü g u n g e n des Gemeinschuldners. Wir erinnern uns, daß sich Held am Tage der Konkurseröffnung mittags im Café befand. Dort hat er zwischen 1 und 2 Uhr nachmittags Karten gespielt. Nachdem er seine ganze Barschaft verloren hatte, wollte er aufhören. Darauf gab ihm einer der Zuschauer, Kaufmann Scheffler, 50 DM, und zwar 22 DM zur Bezahlung von Waren, die er vor einigen Wochen bei Held gekauft hatte, und 28 DM gegen Übergabe und Verpfändung eines goldenen Siegelringes. Die 50 DM hat Held für sich verbraucht. Hiervon erhält Bender Kenntnis: „Herrn Riebard Scheffler, Hier. Als Verwalter im //«/¡/sehen Konkurse fordere ich Sie hierdurch auf, den goldenen Siegelring, den Ihnen der Gemeinschuldner am 24. Februar d. J . verpfändet hat, binnen drei Tagen zur Vermeidung der Klage an mich herauszugeben. Die Verpfändung ist zwischen 1 und 2 Uhr nachmittags erfolgt. Um i2 1 /¿ Uhr war bereits das Konkursverfahren eröffnet. Herr Held war daher nicht mehr in der Lage, über den Ring wirksam zu verfügen. Ich behalte mir vor, auf Grund des Nachweises, daß Ihnen bei Bezahlung Ihrer Schuld von 22 D M an Herrn Held die vorher angeordnete Konkurseröffnung bereits bekannt w a f die Zahlung dieses Betrages zur Masse zu verlangen. ' Köln, den 5. März i960. Bender, Konkursverwalter."

Konkursverwalter •— Konkursfreies Vermögen

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Verfügungen, die der Gemeinschuldner nach Eröffnung über sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen vornimmt, sind dem Konkursverwalter gegenüber unwirksam (§ 7 1 KO). Hinsichtlich des gutgläubigen Erwerbs unterscheidet das Gesetz: a) Verfügungen über Grundstücke und Grundstücksrechte sind wirksam, es sei denn, daß die Eröffnung im Grundbuch eingetragen oder dem Erwerber bekannt war (§ 71 K O mit § 892 BGB). b) Verfügungen über bewegliche Sachen sind trotz guten Glaubens unwirksam (arg. §71 K O zweiter Satzteil). Scheffler hat also trotz Übergabe und Einigung kein Pfandrecht erlangt und muß den Siegelring herausgeben. c) Zieht der Gemeinschuldner eine ihm gehörige Forderung ein, so wird der Leistende — abgesehen von dem Falle, daß die Zahlung in die Konkursmasse gelangt (§ 8 1 ) — auch durch guten Glauben befreit. Die Beweislast gestaltet sich verschieden, je nachdem die Leistung vor oder nach Bekanntmachung der Eröffnung erfolgte: im ersten Falle muß der Verwalter die Kenntnis des Schuldners, im zweiten der Schuldner seine Unkenntnis von der Eröffnung beweisen (§ 8"> I ! I ). — Die dem Gemeinschuldner geliehenen 28 DM kann übrigens Scheffler nicht einmal als Konkursforderung anmelden, weil die Forderung erst nach Konkurseröffnung entstanden ist (§ 3 1 ). K o n k u r s freies V e r m ö g e n . Zwei Tage nach der Konkurseröffnung hat Held von seinem Schwiegervater „zum Tröste" ein Los der Hamburger Pferde-Lotterie geschenkt erhalten. Bald nachher wird das Los mit einem Gewinn von 300 DM gezogen. Für den Verwalter entsteht die Frage, ob er die Ablieferung der 300 DM zur Masse fordern kann. „Konkursmasse" ist das Vermögen des Gemeinschuldners, welches ihm zur Zeit der Eröffnung gehört (§ i 1 ). Das Los wurde Held erst später zugewandt und fallt daher nicht in die Masse. Der Neuerwerb bildet, zusammen mit den unpfändbaren Vermögensstücken (§ i 1 " 1 '*, S. 352) das „konkursfreie Vermögen" des Gemeinschuldners. Über dieses Vermögen kann Held allein und unbeschränkt verfügen. An sich haftet den Konkursgläubigern auch das konkursfreie Vermögen. Diese Haftung tritt z. B. in die Erscheinung, wenn der Konkurs aufgehoben wird. Solange aber das Verfahren schwebt, dürfen nach § 14 einzelne Konkursgläubiger weder in die Masse noch in das konkursfreie Vermögen Zwangsvollstreckung vornehmen, damit es dem Schuldner ermöglicht wird, bereits während der Dauer des Konkurses einen neuen Erwerb zu suchen. Dagegen können aus dem konkursfreien Vermögen Heids „ N i c h t - K o n k u r s g l ä u b i g e r " Befriedigung verlangen. § 14 steht nämlich nur den Konkursgläubigern entgegen. Ein Nicht-Konkursgläubiger ist z. B. Scheffler, weil seine Darlehnsforderung 2. Z. der Eröffnung des Verfahrens noch nicht bestand (§ 3 1 ). Scheffler hat das Recht, wegen seiner Darlehnsforderung von 28 D M gegen Held Klage zu erheben und das Urteil ins konkursfreie Vermögen — soweit es nicht aus unpfändbaren Gegenständen besteht — zu vollstrecken. Das gleiche gilt von den Gläubigern aus § 3 1 1 (Unterhaltsansprüche), § 6 ; 1 (Zinsen seit Konkurseröffnung, vgl. oben S. 367 zu 5 und O L G Hamburg M D R 1959, 221), § 63® (Geldstrafen), § 63* (Schenkungen). Alle diese Nicht-Konkursgläubiger sind im allgemeinen schlechter daran als Konkursgläubiger, denn sie werden bei der Verteilung der Masse überhaupt nicht berücksichtigt. Aber sie haben den Vorteil, daß ein Zwangsvergleich ihre Forderungen unberührt läßt (arg. § 193), und wenn dem Gemeinschuldner während der Dauer des Verfahrens ein größerer Vermögenserwerb zufällt, so kann der Nicht-Konkursgläubiger durch rasches und geschicktes Vorgehen unter Umständen voll befriedigt werden.

O f f e n b a r u n g s e i d . Nach Aufstellung des Inventars kann sowohl der Verwalter wie jeder einzelne Konkursgläubiger den Gemeinschuldner zur Ableistung des Offen-

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Konkursverwalter — Konkursprozesse

barungseides vorladen (§ 125). Da verschiedene Gläubiger auf das Bestimmteste behaupten, Held müsse Vermögensstücke beiseite geschafft haben, so beantragt Bender den Eidestermin: „ D e m Gemeinschuldner wurde das Vermögensverzeichnis vom Blatt der Konkursakten Band c („Teilungsmasse") vorgelegt. E r erklärte: Z u meinem Vermögen gehört noch eine Kiste mit Kleidungsstücken, Decken und Ledersachen, welche sich in derWohnung meines Schwiegervaters, Kaufmanns Martin Obst in Bonn .befindet. Der Wert ist 300 bis 400 D M . Den genauen Inhalt vermag ich aus dem Gedächtnis nicht anzugeben. Nunmehr leistete der Gemeinschuldner den Offenbarungseid vorschriftsmäßig dahin ab, daß er sein z. Z . der Konkurseröffnung vorhandenes Vermögen so vollständig angegeben habe, als er dazu im Stande sei."

Natürlich verlangt Bender sofort Herausgabe der Kiste unter Androhung der Klage. E r erhält sie ausgeliefert. Die Eidesformel hat zweckmäßigerweise folgende Fassung: „Ich bin nach bestem Wissen nicht imstande, außer meinem im Inventar vom verzeichneten Vermögen noch weiteres zur Konkursmasse gehörendes Vermögen anzugeben." Die Eidesleistung erfolgt vor dem für das Konkursgericht zuständigen Vollstreckungsgerich(vgl. Böhle-Stamschräder K O 3. Aufl. 1 zu § 125). — Verheimlicht der Gemeinschuldner beim Offenbarungseid nach § 125 K O ein von ihm beiseite geschafftes Vermögensstück, so ist er wegen betrügerischen Bankrotts in Tateinheit mit Meineid zu bestrafen. B G H S t 1 1 , 145. Das V e r g l e i c h s v e r f a h r e n , das eine Schädigung des Schuldners vermeiden will, kennt keinen eigentlichen Offenbarungseid, sondern lediglich einen vor dem Vergleichgericht abzuleistenden sog. Auskunftseid (§ 69 1 1 VerglO; hierbei muß der Schuldner die Vollständigkeit seiner Angaben über Vermögen und Verbindlichkeiten sowie seiner auf Verlangen erteilten Auskünfte, beschwören. Der Schuldner beschwört auch die Vollständigkeit der angegebenen Schulden, damit er nicht durch Unterdrückung bestehender Verpflichtungen eine Mehrheit für den Zwangsvergleich vortäuschen kann, die in Wahrheit nicht vorhanden war.

Konkursprozesse A n f e c h t u n g der P f ä n d u n g e n . Den Pfändungsgläubigern Mangold und Matheus (S. 394) teilt der Verwalter seine Absicht mit, die von ihnen erwirkten Pfändungen anzufechten. Matheus sieht ein, daß ihm der Beweis der Gutgläubigkeit nach § 30 2 K O (oben S. 361) nicht gelingen wird, und gibt frei. Mangold dagegen will sich auf den Prozeß einlassen und lehnt sogar die Verlegung des Versteigerungstermins ab. Muß der Prozeß in Krefeld anhängig gemacht werden oder ist Köln zuständig ? Läßt sich die Abhaltung der Versteigerung durch einstweilige Verfügung oder andere Maßnahmen verhindern? Weder das A n f G noch die K O gewähren für Anfechtungsklagen einen besonderen Gerichtsstand. Es gelten deshalb grundsätzlich die allgemeinen Regeln, so daß in der Regel das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Anfechtungsgegners (§§ 1 2 , 1 3 ZPO) örtlich zuständig ist. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung scheidet bei der bloßen Rückgewährsklage nach § 37 K O aus (Böhle-Stamschräder, K O (5. Aufl.), 22 zu § 30; anders jedoch noch R G 48, 402). Die frühere Praxis gewährte bei der Anfechtung von Pfändungen den ausschließlichen Gerichtsstand des § 77X 1 Z P O , indem sie in dem Anfechtungsrecht ein die Veräußerung hinderndes Recht sah ( R G 30, 397; 40, 372). Dem kann nicht gefolgt werden (vgl. Jaeger 9 zu § 29; BöhleStamschräder, K O , 22 zu § 30 mit Literatur und Rechtsprechung; vgl. jedoch auch Stein-Jonas-Schönke II 1 c zu § 771). Zwecks Sicherung der Anfechtungsansprüche sind unter den normalenVoraussetzungen einstweilige Verfügungen bzw. Arreste zulässig, je nachdem, ob es sich um einen Herausgabe- bzw. Duldungs- oder um einen Wertersatzanspruch handelt (RG 67. 4i)-

Konkursverwalter — Aufnahme von Aktivprozessen

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Prozesse über K o n k u r s f o r d e r u n g e n . Diese Prozesse sind, soweit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, mit Eröffnung des Konkurses ipso iure unterbrochen (§ 240), und zwar zum Unterschied von den Fällen des Todes usw., auch dann, wenn der Gemeinschuldner einen Prozeßbevollmächtigten bestellt hatte (arg. § 246): denn durch den Konkurs ist die Vollmacht beendigt worden (§23 K O mit § 168 S. 1. BGB). Die Unterbrechung muß vom Gericht, nachdem Bender die Tatsache der Konkurseröffnung aktenkundig gemacht hat (S. 394), von Amts wegen beachtet werden, die Gefahr von Versäumnisurteilen gegen die Konkursmasse besteht also nicht. Da das für Konkursforderungen geltende besondere konkursrechtliche Anmelde- und Prüfungsverfahren (S. 363£•) dem Prozesse vorgeht (§ 12 KO), muß zunächst abgewartet werden, ob die Klägerin ihre Forderungen zur Tabelle anmelden und wie das Ergebnis des Prüfungstermins ausfallen wird. Erst wenn im Prüfungstermin eine angemeldete Forderung oder das für sie bestehende Vorrecht bestritten worden ist, können die unterbrochenen Verfahren — bei nicht titulierten Forderungen vom Kläger, bei titulierten vom Widersprechenden (S. 368) — aufgenommen werden. Diese Regelung ist sehr zweckmäßig, weil die Gemeinschuldner sich häufig nur verklagen lassen, um Zeit zu gewinnen und den Zusammenbruch hinauszuschieben, und weil die Konkursverwalter in derartigen Fällen ohne weiteres anerkennen, so daß es keines Prozesses und keines Urteils mehr bedarf. Eine große Rolle spielt für die Entschließung des Verwalters das mit dem Bestreiten rechtshängiger Forderungen und der nachfolgenden Prozeßaufnahme verbundene Kostenrisiko. Werden nämlich dem Verwalter im Prozeß die Kosten aufgebürdet, so sind sie Masseschuld, und zwar wegen der Einheitlichkeit des Prozesses auch insoweit, als die Kosten vor der Eröffnung entstanden waren und demgemäß von dem früheren höheren Objekt zu berechnen sind ( R G 52, 3 3 2 ; 60, 32, Jaeger 2 zu § 59). Wenn dagegen der Verwalter die Forderung im Prüfungstermin anerkennt, erhält der Gläubiger auf die bis zur Konkurseröffnung entstandenen Kosten nur die Quote.

A k t i v p r o z e ß . Beim Amtsgericht Koblenz schwebt gegen den dort wohnhaften Maler Stieglitz eine Klage des Gemeinschuldners wegen 200 DM Darlehn nebst Zinsen. Der Beklagte hat das Darlehn bestritten und sich mit der Gegenbehauptung verteidigt, das Geld sei ihm unter Verzicht auf Rückforderung zu dem Zwecke gezahlt worden, daß er in seiner damaligen Eigenschaft als Preisrichter einer Modenschau dem Kläger zu dem ersten Preis verhelfe. Die vernommenen Zeugen haben nichts Bestimmtes bekundet. Stieglitz hat darauf in einem Schriftsatz seines Anwalts ausführen lassen: „ D e r dem Kläger obliegende Beweis, daß die 200 D M dem Beklagten als Darlehn gegeben wurden, ist nicht gelungen. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht hilfsweise auf ungerechtfertigte Bereicherung stützen, weil nicht bloß der Beklagte bei der Annahme, sondern auch der Kläger bei der Hingabe des Geldes gegen die guten Sitten verstoßen hat (§ 817 S. 2 B G B ) . "

Nachdem mehrere Wochen seit Eröffnung des Konkurses verstrichen sind, ist auf Antrag des Beklagten Termin „zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache"

bestimmt und der Verwalter mit der Behauptung, er verzögere die Aufnahme des durch den Konkurs unterbrochenen Rechtsstreits, unter Bezug auf §§ io 1 KO, 239", u i ZPO geladen worden. —• Zur Aufnahme eines bei Konkurseröffnung für den Gemeinschuldner anhängigen Aktivprozesses wird der Verwalter niemals gezwungen. Er ist vielmehr berechtigt, die Aufnahme abzulehnen, was zur Folge hat, daß der Klageanspruch aus der Konkursmasse ausscheidet, zum konkursfreien Vermögen gehört und der Prozeß nunmehr zwischen dem Gemeinschuldner und dem Gegner fortgeführt werden kann. § 1 0 « KO.

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Konkursverwalter — Anfechtungsprozesse

Die Sache Stieglitz will Bender aufnehmen. Die Zahlungsfähigkeit des Beklagten steht außer Frage. Führt der Konkursverwalter den Prozeß für die Masse fort, so ist er Partei „kraft Amtes" (S. 3 5 3) und Held kann Zeuge sein; durch seine Aussage hofft er das Gericht zu überzeugen, daß tatsächlich ein Darlehn vorlag. Selbst wenn das aber nicht gelingen sollte, braucht der Verwalter den Einwand, daß Held durch Hingabe des Geldes zu Bestechungszwecken gegen die guten Sitten verstoßen habe, nicht zu fürchten. Der vom Beklagten angeführte Rechtssatz, daß „in pari turpitudine melior est causa possidentis", ist nämlich als Strafvorschrift gegen denjenigen gedacht, der Leistungen mit unsittlicher Zweckbestimmung bewirkt hat. Dem Konkursverwalter des Leistenden darf man ihn nicht entgegenhalten: es würde keinen Sinn haben, die an dem Prozeß jetzt allein interessierten Konkursgläubiger zu bestrafen. Dagegen lehnt die Rechtsprechung die naheliegende Ausdehnung des Gedankens auf die Erben des Leistenden ab. R G m , 1 5 3 ; B G H 9, 336; 19, 338; dazu Krause-Dünow J R 1960, 5 ff. Der Verwalter hätte also nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise mehr Rechte als der Gemeinschuldner, dessen Rechte er gemäß § 6 1 1 wahrnimmt. Nach Beratung im Gläubigerausschuß nimmt der Verwalter den Prozeß auf. Die Genehmigung des Glaubigerausschusses ist nur für die Anhängigmachung neuer und für die Ablehnung der Aufnahme alter Prozesse vorgeschrieben, nicht dagegen für die Aufnahme ( § 13 }2). Auch bei der Anerkennung bzw. dem Bestreiten von Konkursforderungen im Prüfungstermin handelt der Verwalter vollkommen selbständig. Während beim „Aktivprozeß" die Befugnis zur Aufnahme in erster Reihe dem Verwalter und nur bei Verzögerung der Gegenpartei zusteht, haben bei „passiven Masseprozessen" beide Seiten von vornherein gleiches Aufnahmerecht; der Verwalter kann aber die Masse dadurch vor Kosten schützen, daß er den früher streitig gewesenen Anspruch sofort nach der Aufnahme durch den Gegner anerkennt (§ 11). Die Einteilung der Prozesse in Aktiv- und Passivprozesse hängt nicht von der Parteistellung des Gemeinschuldners sondern davon ab, ob er z. Z. der Eröffnung wirtschaftlich als Gläubiger oder als Schuldner an dem Verfahren interessiert war. So sind negative Feststellungsprozesse (§ 256 ZPO) für den Gemeinschuldner als Beklagten Aktivprozesse. Ferner verwandelt sich ein Aktiv- in einen Passivprozeß, wenn der Gemeinschuldner auf Grund vorläufig vollstreckbaren Urteils die Streitsumme beigetrieben hat, so daß nunmehr der Rückerstattungsanspruch des Gegners in lite ist. Die Passivprozesse wiederum zerfallen in Prozesse über Konkursforderungen (S. 413) und Prozesse, die auf Aussonderung eines Gegenstandes aus der Konkursmasse oder auf Absonderung gerichtet sind oder einen Masseanspruch betreffen. Die zweite Gruppe werden als „passive Masseprozesse" bezeichnet. A n h ä n g i g e E i n z e l g l ä u b i g e r - A n f e c h t u n g . Held hat im Sommer 1959 ein ihm gehöriges Grundstück in Bonn seinem Schwiegervater Obst zum Preise von 6 5 00 D M verkauft und aufgelassen. A u f den Kaufpreis sind laut Vertrag 720 D M bar gezahlt, 4000 D M durch Übernahme von Hypothekenschulden belegt,1780 D M durch Verrechnung mit Forderungen des Käufers getilgt worden. Nach vorheriger fruchtloser Zwangsvollstreckung ( § 2 A n f G ) hat der Gläubiger Stübel in Berlin das Rechtsgeschäft im Oktober 19 5 9 als versteckte Schenkung, hilfsweise als ein zur Benachteiligung der Gläubiger abgeschlossenes entgeltliches Geschäft (§ 3 1 » 2 » 3 ) beim Landgericht Bonn angefochten mit dem Antrag: „den Beklagten zu verurteilen, wegen des vollstreckbaren Anspruchs des Klägers gegen den Kaufmann Johannes Held in Köln von 1950 DM (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 23. Juni 1959 aus dem Urteil des Landgerichts Berlin-West vom 25. September 1959, Aktenzeichen 15 0.274/59, die Zwangsvollstreckung in das im Grundbuch von Bonn Band III Blatt Nr. 87 auf den Namen des Beklagten verzeichneten Grundstück zu dulden und das Urteil, nötigenfalls gegen Sicherheitsleistung, für vorläufig vollstreckbar zu erklären." Der Prozeß befindet sich im Beweisstadium. —

Konkursverwalter — § 1 3 A n f G

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Zur Anfechtung benachteiligender Rechtshandlungen sind außerhalb des Konkurses die einzelnen Gläubiger legitimiert. Im Konkursfall steht das Anfechtungsrecht der Gesamtheit der Konkursgläubiger zu, für welche es der Konkursverwalter — wie immer, als Partei kraft Amtes im eigenen Namen — ausübt (§36 KO). Durch das Anfechtungsrecht der Konkursgläubiger bzw. des Verwalters wird dasjenige des Einzelgläubigers absorbiert (§ 13 1 S. 1. AnfG). Daher ist der Prozeß Stübel gegen Obst durch die Eröffnung des Konkurses über Heids Vermögen unterbrochen worden — allerdings nicht nach § 240 ZPO (denn Held war nicht Partei dieses Prozesses), aber nach der Sondervorschrift des § 1 3 1 1 AnfG — und kann vom Verwalter aufgenommen und an Stelle des Klägers für die Konkursgläubiger weiter geführt werden. Nach Beratung im Gläubigerausschuß beauftragt Bender einen Bonner Anwalt, die Aufnahme durch Zustellung eines Schriftsatzes (§250 ZPO) zu erklären. Für den aufgenommenen Rechtsstreit gilt materiell nicht mehr das AnfG, sondern die K O (§ 1 3 1 1 S. 2 AnfG). Das äußert sich zunächst im Klageantrag. Der Anfechtungsanspruch des Konkursverwalters geht nicht bloß dahin, die weggegebenen Objekte für die Befriedigung des Anfechtungsklägers als noch zum Vermögen des Schuldners gehörig zu behandeln und damit zugunsten einer bestimmten Forderung die Vollstreckungsmöglichkeit herzustellen (wie derjenige des Einzelgläubigers: § 7), sondern auf Herausgabe zur Masse schlechthin (§37 KO). Bender läßt also den Antrag dahin erweitern: „den Beklagten zu verurteilen, das im Grundbuch von Bonn Band III Blatt Nr. 87 auf seinen Namen eingetragene Grundstück an den Kläger als Verwalter im Konkurse über das Vermögen des Kaufmanns Johannes Held in Köln aufzulassen und dem Kläger herauszugeben,"

d. h. in Abt. I soll Held als Eigentümer, und gleichzeitig in Abt. II der Konkursvermerk eingetragen werden. — Als Anfechtungsgründe kommen nunmehr §§30 bis 32 in Betracht, insbesondere kann also die Anfechtung auch auf die KonkursPauliana gestützt werden, sofern Heids Zahlungseinstellung bis in den Sommer 1959 zurückreicht. — Ein Unterschied, bei dem Obst durch die Anwendung des Konkursrechts besser gestellt wird: er hat wegen der an Held für das Grundstück geleisteten Kaufpreiszahlung Ansprüche an die Masse, und zwar als Massegläubiger, soweit sich die Leistung noch in der Masse befindet oder die Masse um ihren Wert bereichert ist (§ 38 S. 1), im übrigen als Konkursgläubiger (§ 38 S. 2), jedoch ohne daß dieserhalb ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Anfechtungsanspruch zusteht. Außerhalb des Konkurses hätte sich Obst nur an Held halten können (§8 AnfG). Durch den Übergang des Prozesses auf den Verwalter wird Stübel um den Erfolg des von ihm eingeleiteten aussichtsvollen Anfechtungsprozesses gebracht. Er erhält aber wenigstens aus dem Erstrittenen vorweg seine Prozeßkosten vergütet (§ 1 3 1 S. 2). W i e w i r d die A n f e c h t u n g der G r u n d s t ü c k s v e r ä u ß e r u n g p r o v i s o r i s c h g e s i c h e r t ? Ein Widerspruch (§ 899 B G B ) kann weder bei Konkursanfechtung noch bei Anfechtung außerhalb des Konkurses eingetragen werden, weil die Gläubigeranfechtung nicht dinglich wirkt: dadurch unterscheidet sie sich von dem, bei Vermögensschiebungen ebenfalls bisweilen gegebenen, Falle der Simulation. Eine Vormerkung ist zur Sicherung des Rückgewähranspruchs des Konkursverwalters zulässig. Dagegen gehört der Anfechtungsanspruch des A n f G nicht Zu den vormerkungsfähigen Rechten, denn er geht weder auf Einräumung oder Aufhebung von Grundstücksrechten noch auf Änderung des Inhalts oder Ranges solcher Rechte (§ 883 1 S. 1). Mithin bleibt lediglich ein im Wege einstweiliger Verfügung anzuordnendes Veräußerungsverbot (§§ 155/6) möglich, welches wegen 892 1 S. 2 gegenüber Gutgläubigen der Eintragung ins Grundbuch bedarf. R G 67, 40; Jaeger 14 zu § 29. P r o z e s s e des V e r w a l t e r s bei A u f h e b u n g des K o n k u r s e s : Die bei Aufhebung des Verfahrens schwebenden Prozesse des Verwalters gehen — ohne Unterbrechung — auf den Gemein-

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Konkursverwalter — Verkauf des Geschäfts an die Ehefrau

Schuldner über. Baumbach-Lauterbach*3 zu § 240; Stein-Jonas-Schönke I V 2, 4 zu § 240. Natürlich ist der Klageantrag entsprechend der neuen Rechtslage abzuändern, z. B. bei anhängigen Feststellungsklagen (§ 1 4 6 1 1 K O ) auf Verurteilung zur Zahlung der Ausfallforderung (bei Ausschüttung) bzw. der Vergleichsraten (bei Zwangsvergleich). Darüber, daß Anfechtungsprozesse durch Aufhebung des Konkurses sich in der Hauptsache erledigen und nur noch eine Kostenentscheidung ergehen kann, s. oben S. 387.

Verkauf des Geschäfts an die Ehefrau Köln, den 3. April i960. Sehr geehrter Herr Verwalter! In der Konkurssache meines Ehemannes, des Kaufmanns Johannes Held in Köln, mache ich Ihnen hiermit das Angebot, das gesamte Warenlager sowie die Geschäftseinrichtung mit der Firma mit 1 2 % Aufschlag über Taxpreis käuflich zu erwerben. Ich würde in den Mietvertrag mit Sievers 24 KVG). Die Steuer wird nur von */» des Wertes des „Gerüstbau"-Anteils erhoben. Denn die oHG ist keine juristische Person. Wenn der Anteil auf sie übertragen wird, bleibt er wirtschaftlich zu 7a in Ohlhoffs Vermögen (maßgebend ist das Verhältnis der beiderseitigen Kapitalbeteiligung, 100000 gegen 50000, nicht dasjenige der Gewinn- und Verlustanteile). Der zwischen Gesamthands- und Bruchteilsgemeinschaft bestehende rechtliche Unterschied ist für die Besteuerung nach § 1 1 Nr. 5 StAnpG ohne Bedeutung. — Daß die Einbringung der Rechte auf Eigentumsübertragung (§ 3 1 1 des Vertrages) Grunderwerbsteuerpflicht auslöst, wurde bereits festgestellt. Gemäß, den §§ 11 Nr. 5 StAnpG, 5 1 1 GrEStG ist ein Drittel des Werts des Anspruchs zu versteuern. Die für die Grunderwerbsteuer bereits dargestellte steuerliche Beistandspflicht des Notars (Anzeigepflicht, Urkundensperre) besteht auch bei der Kapitalverkehrsteuer (§§ 189b Nr. 1, 189c RAO, §§ 3, 38 KVDurchfVO i.d.F. der Bek. vom 20. April i960, B G B 1 I 243). Vermerke auf der Urschrift des Gesellschaftsvertrags: „ 1 . Beglaubigte Abschrift dem Finanzamt, Abt. für Verkehrssteuern, zwecks Festsetzung der Börsenumsatzsteuer übersandt. 2. Veräußerungsanzeige dem Grunderwerbsteueramt übersandt. }. 10. 60 Siegel." Die Eingangsbestätigungen des Finanzamts werden mit Urk.-Rolle Nr. 5 59/1960 verbunden.

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Notar — Hypothekenbestellung

Vollstreckbare Schuldurkunde und Hypothekenbestellung „ U r k u n d e n r o l l e Nr. 541 f ü r i 9 6 0 Verhandelt Lichterfelde, den 3. Oktober i960 Vor dem unterzeichneten Notar im Bezirk des Kammergerichts zu Berlin Justus Siegel erschien: die Hausbesitzerin Fräulein Katharina Zabel aus Lichterfelde, Posener Straße 28, dem Notar persönlich bekannt, und erklärte: Ich bekenne, von der .Sekuritas' Lebens Versicherungs-Aktiengesellschaft in Hamburg ein Darlehn von 12 000 (i. W.) Deutschen Mark gegen die Verpflichtung zu hypothekarischer Sicherstellung erhalten zu haben, für -welches die nachstehenden Bedingungen gelten:"

Der Geldgeber 2ahlt das Darlehn gewöhnlich erst aus, wenn die Hypothek eingetragen und ihm der Brief ausgehändigt ist, frühestens nach Einreichung des Antrags beim Grundbuchamt. Er läßt sich aber vom Schuldner das Empfangsbekenntnis im voraus geben. Da die Hypothek bis zur wirklichen Auszahlung der Darlehnsvaluta Eigentümergrundschuld bleibt (§ 1 1 6 3 1 S. 1 BGB) und man bei solchen großen Anstalten nicht damit rechnet, daß sie die Post vorher an einen Gutgläubiger abtreten werden, können dem Schuldner daraus keine Nachteile entstehen. „ I . Das Darlehn ist vom 1. Oktober i960 ab mit 6% (i.W.) jährlich in Vierteljahrsraten am Ersten eines jeden Kalendervierteljahrs nachträglich zu verzinsen. II. Wird eine Zinsrate oder das Darlehn nicht binnen 10 Tagen nach Fälligkeit gezahlt, so erhöhen sich die Zinsen um 1 % (i.W.) des Kapitals."

Die Zinserhöhung ist als Vertragstrafe für den Fall nicht rechtzeitiger Erfüllung (§341 BGB) aufzufassen, wobei jedoch abweichend von § 339 nicht Verzug (§ 285: Verschulden!) vorausgesetzt wird, sondern die objektive Nichtzahlung genügen soll. Die Hypothek für die Strafzinsen ist aufschiebend bedingt; soweit die Bedingung ausfällt, der Mehrzinsanspruch also nicht zur Entstehung gelangt, entsteht auch keine Eigentümergrundschuld ( J F G 9, 272). „HI. Das Darlehn ist beiderseits mit Frist von sechs Monaten zum Ersten eines Kalendervierteljahrs kündbar, das erste Mal zum 1 . Oktober 1970."

Für die Kündigung des Gläubigers gibt es keine gesetzliche Höchst- oder Mindestfrist. Die Kündigungsbefugnis des Eigentümers kann auf längstens 20 Jahre ausgeschlossen werden. Art. 1 1 7 1 1 E G , 32 § 1 pr. A G z. BGB. Vgl. auch § 247 B G B . „ I V . In den nachstehend Zu a bis h aufgeführten Fällen ist die Gläubigerin befugt, schon voi dem in § i n bezeichneten Zeitpunkt das Darlehn ganz oder teilweise ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zurückzufordern: a) wenn die Zinsen nicht spätestens am zehnten Tage nach Fälligkeit bezahlt werden, b) wenn durch Verfügungen über Bestandteile, Erzeugnisse oder Zubehörstücke oder durch sonstige unwirtschaftliche Maßnahmen der Wert des Pfandgrundstücks so sehr verringert wird, daß die Sicherheit der Hypothek gefährdet ist, c) wenn Mieten des Hypothekengrundstücks abgetreten oder gepfändet werden und die Pfändung nicht binnen zwei Wochen aufgehoben wird, d) wenn die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung des verpfändeten Grundstücks angeordnet wird, e) wenn der Schuldner oder der Eigentümer des Pfandgrundstücks in Konkurs gerät oder seine Zahlungen einstellt, f ) wenn ohne Zustimmung der Gläubigerin ein Nießbrauch am Hypothekengrundstück bestellt wird,

Notar — Hypothekenbedingungen

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g) wenn die Gebäude, Erzeugnisse und Zubehörstücke des verpfändeten Grundstücks nicht zum höchsten zulässigen Betrag versichert sind oder der Schuldner die Versicherung ablaufen läßt oder ihren Fortbestand durch Verzug mit der Prämienzahlung oder in sonstiger Weise gefährdet, oder wenn der Gläubigerin die von ihr geforderten Nachweise über das Bestehen der Versicherung und die Bezahlung der Prämie nicht innerhalb der gestellten Frist vorgelegt werden, h) wenn sich ergibt, daß die zu bestellende Hypothek nicht den ersten Rang hat und der Schuldner ihr nicht binnen einem Monat nach Aufforderung den Vorrang vor allen anderen Belastungen verschafft. Wird das Hypothekengrundstück zu einem Kaufpreis veräußert, der weniger als fünf Drittel des Darlehns beträgt, so ist das Darlehn, soweit es drei Fünftel des Kaufpreises übersteigt, bei der Auflassung zurückzuzahlen."

Die Vereinbarung zu a wird auch sonst häufig getroffen. Im übrigen ist die Fälligkeitsvereinbarung typisch für die „Anstaltsbedingungen" der großen Kreditinstitute (Sparkassen, Landschaften, Hypothekenbanken, Versicherungsgesellschaften usw.). Ihr Inhalt hängt mit den Vorschriften über die Haftung der Zubehörstücke, Mieten usw. zusammen. Nach den §§ 1120/31 B G B , Art. 52, 53, 67 E G erstreckt sich die Hypothek auf wesentliche und nicht wesentliche Bestandteile, Erzeugnisse, Zubehör, Miet- und Pachtzinsforderungen, Ansprüche aus subjektiv-dinglichen Rechten, Versicherungsforderungen, Enteignungsentschädigungen und Bergschadenansprüche. Die Haftung dieser sog. „Immobiliarmasse" ist zunächst eine bloß latente, denn man kann und will dem Eigentümer nicht die Möglichkeit nehmen, sein Grundstück ordnungsmäßig zu verwalten und dabei auch über die für die Hypothek verhafteten Mobilien und Forderungen zu verfügen. Z. B. werden Früchte und Zubehör von der hypothekarischen Haftung frei, wenn der Eigentümer •— vor der Beschlagnahme — sie veräußert und vom Grundstück entfernt hat, gleichviel ob der Erwerber hinsichtlich der Hypothek gut- oder bösgläubig war (§ 1 1 2 1 1 B G B ) ; die vor der Beschlagnahme erfolgte Einziehung und Abtretung von Mieten durch den Eigentümer muß der Hypothekengläubiger gegen sich gelten lassen (§ 1 1 2 4 1 ) usw. Kommt es zu einer Beschlagnahme, so verwandelt sich die latente Haftung in eine aktuelle. Jetzt kann der Grundstückseigentümer nicht mehr mit Wirkung gegen die Hypotheken über Erzeugnisse und Zubehör verfügen oder Mieten einziehen. Hatte er vor der Beschlagnahme Mieten eingezogen oder abgetreten, so bleiben diese Verfügungen regelmäßig nur bis zum Ende des laufenden Kalendermonats in Kraft (§ 1 1 2 4 1 1 BGB). Pfändungen von Grundstückserzeugnissen oder -mieten durch persönliche Gläubiger des Eigentümers werden wie Verfügungen behandelt. Deshalb will die Gläubigerin bei Eintritt gefahrdrohender Ereignisse wie Devastation, Mietpfändung, Zwangsversteigerung, Konkurs in der Lage sein, ihre Forderung und Hypothek sofort fällig zu machen, um ihrerseits die Beschlagnahme herbeizuführen oder einer etwa anhängigen Zwangsversteigerung oder -Verwaltung beitreten zu können. Im K o n k u r s f a l l (Absatz e) nimmt die herrschende Meinung an, daß der Konkursverwalter, solange keine Beschlagnahme erfolgt ist, zwar keine Zubehörstücke für die Masse verwerten, wohl aber die Mieten zur Konkursmasse einziehen darf und sogar muß. R G 52, 1 3 8 ; 69, 85. Infolgedessen können die Hypothekengläubiger leicht zu kurz kommen. Die Zahlungseinstellung ohne Konkurs bringt die Gefahr wilder Mietpfändungen durch Privatgläubiger des Eigentümers. Auf V e r s i c h e r u n g e n (Absatz g) erstreckt sich die Hypothek, falls der versicherte Gegenstand für die Hypothek haftet (z. B. Ernte, Gebäude, lebendes und totes Inventar). Das Gesetz stuft die Rechte des Hypothekengläubigers an der Versicherungssumme verschieden ab, je nachdem es sich um Gebäude oder andere Objekte, um Feuer- oder sonstige Schadensversicherung handelt, und der Gläubiger seine Hypothek der Versicherung angemeldet hat oder nicht. A m stärksten ist seine Stellung bei Feuerversicherung von Gebäuden nach Anmeldung. Alsdann muß eine Kündigung sowie

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Notar — Hypothekenbedingungen

die im Falle des Prämienverzugs dem Versicherungsnehmer vom Versicherer zu setzende Zahlungsfrist ( § } 9 W G ) auch dem Hypothekengläubiger mitgeteilt werden, widrigenfalls sie ihm gegenüber wirkungslos bleibt (§ 101). Der Gläubiger kann dann schlimmstenfalls die Versicherung für eigene Rechnung fortsetzen (§ 105). Eine Auszahlung der Versicherungssumme an den Eigentümer ist dem Hypothekengläubiger gegenüber nur wirksam, wenn er der Zahlung schriftlich zugestimmt hat (§ 1 1 2 8 1 1 BGB), es sei denn, daß es sich um eine Versicherung mit Wiederaufbauabrede handelt und die bestimmungsmäßige Verwendung des Geldes gesichert ist (§§ 97, 100, W G , 1 1 5 0 BGB). Ja sogar wenn der Eigentümer durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Brandstiftung gemäß § 61 V V G seine Versicherungsansprüche verwirkt hat, bleibt die Entschädigungspflicht der Versicherungsgesellschaft im Verhältnis Zum Hypothekengläubiger bestehen (§ 101)! — Gewöhnlich lassen sich die Gläubiger der ersten Hypotheken von der Versicherungsgesellschaft einen „Hypothekensicherungsschein" („Feuerversicherungs-Gewährschein") ausstellen.

Absatz h beruht darauf, daß Gelder, die von Lebensversicherungen als Anlage für den Prämienreservefonds ausgeliehen werden, grundsätzlich die erste Rangstelle haben und in den ersten 3 / 6 des Wertes stehen müssen. § 69 PrivVersAufsG. Für Darlehen der Hypothekenbanken, die zur Pfandbriefdeckung dienen: § 1 1 HypBkG. „ V . Wird auf Grund der Bestimmungen zu I V die Hypothek vor dem 1. Oktober 1970 fällig, so ist für jedes Jahr der dadurch entstehenden Verkürzung der vereinbarten Darlehnsdauer eine Entschädigung in Höhe von 1 % (i.W.) des Hypothekenkapitals zu zahlen."

Bei dieser sog. Vorfälligkeitsentschädigung handelt es sich ebenso wie bei den Strafzinsen um eine bedingte Nebenleistung, die auch dinglich zu einer nur bedingten Belastung des Grundstücks führt und im Falle des Nichtentstehens sich einfach erledigt, ohne eine Eigentümergrundschuld zu hinterlassen (RG 136, 74). Der Geldbetrag der Nebenleistung, der auch nach Hundertsatz und Dauer der Leistung angegeben werden kann, muß jedoch nach § 1 1 1 5 1 B G B ebenso wie ihre Bedingtheit im Grundbuch selbst eingetragen sein. Bezugnahme nach § 874 B G B würde nicht genügen. „ V I . Alle Zahlungen sind kostenfrei an der Kasse der Gläubigerin oder der von ihr zu bezeichnenden Stelle zu leisten."

Hypothekenbedingungen sind stets darauf zu prüfen, ob sie ihrer Art nach Inhalt des dinglichen Rechts sein oder nur mit schuldrechtlicher Wirkung vereinbart werden können. Die Bestimmungen zu IV der Urkunde begründen mittelbar eine Reihe von Leistungs- und Unterlassungspflichten des Schuldners, die nach § 1 1 1 3 B G B nicht Gegenstand der Hypothek sein können. Ihre Nichterfüllung kann aber zur Voraussetzung der Kündigungsbefugnis des Gläubigers gemacht werden. Enthält eine Schuldurkunde nicht eintragungsfähige Verpflichtungen rein schuldrechtlicher Art, wie z. B. die Verpflichtung, die Einsichtnahme in Miet- und Pachtverträge oder die Besichtigung des Grundstücks durch den Gläubiger zu gestatten, so müssen sie besonders als nur schuldrechtlich wirkend hervorgehoben und dabei bemerkt werden, daß sie nicht dinglich zu sichern sind ( L G Kassel, N J W 195 3, 189). Verpflichtungen dieser Art müssen also bei der Eintragung in das Grundbuch von der Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung (§ 874 B G B ) ausgenommen werden, damit sie nicht unzulässigerweise Inhalt des Grundbuchs werden (BGH N J W 1956, 1196). Der Ausschluß der Befriedigung des Gläubigers durch Hinterlegung oder Aufrechnung ist im Hinblick auf § 1 1 4 2 1 1 B G B als Inhalt der Hypothek unzulässig und kann nur mit schuldrechtlicher Wirkung vereinbart werden (OLG München, J F G 13, 275; O L G Hamburg, Rpfleger 1959, 379). Die oben unter V I vorgesehene Klausel enthält kein unzulässiges Hinterlegungs- oder Aufrechnungsverbot, sondern eine Bestimmung über den Leistungsort und wohl auch den Ausschluß der Zahlung durch Scheck, Postscheck, Wechsel oder Anweisung ( J F G 1 1 , 199; O L G Düsseldorf, N J W 1958, 1142). Zu Inhalt und Form von Hypothekenbestellungsurkunden Bruhn, Rpfleger 1957, 1 0 1 ; 1959, 53.

Notar — Vollstreckbare Ausfertigung

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„ V I I . Der Geltendmachung der Ansprüche aus der Hypothek oder einer Kündigung oder Mahnung des Gläubigers kann nicht aus dem Grunde widersprochen werden, weil der Hypothekenbrief und die in § 1 1 5 5 B G B bezeichneten Urkunden nicht vorgelegt sind."

Der Verzicht des Schuldner-Eigentümers auf die Befugnisse aus den §§ 1160/1 BGB ist zulässig und eintragungsfähig (RG 57, 344; OLG Köln, Rpfl. 1956, 340). „ F ü r das vorbezeichnete Darlehn von 12000 Deutschen Mark nebst Zinsen und allen Nebenleistungen bestelle ich der Gläubigerin an dem mir gehörenden, im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 2 Blatt 551 verzeichneten Grundstück Posener Straße 28 Hypothek."

Nunmehr folgt diejenige Erklärung, welche die Aufnahme der ganzen Schuldverschreibung und Hypothekenbestellung zu notariellem Protokoll nach den § § 794®, 800 ZPO notwendig gemacht hat: „Wegen des Darlehns von 12000 Deutschen Mark nebst Zinsen und Nebenleistungen unterwerfe ich mich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in mein gesamtes Vermögen und in Ansehung der Hypothek auch in der Weise, daß die Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück gegen den jeweiligen Eigentümer zulässig sein soll. Ich willige darein, daß der Gläubigerin jederzeit auf ihren einseitigen Antrag eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Verhandlung wegen Hauptforderung, ginsen und Nebenleistungen ohne den urkundlichen Nachweis der Tatsachen, von denen die FjjHigkeit der Forderung oder die Entstehung der Nebenleistungen abhängt, erteilt wird."

Bei der Prüfung, ob der Notar berechtigt ist, dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung einer notariellen Urkunde zu erteilen, sind die beiden Fragen auseinanderzuhalten, ob der Notar berechtigt ist, dem Gläubiger eine einfache Ausfertigung der Schuldurkunde auszuhändigen und ob er befugt ist, ihm eine Vollstreckungsklausel zu erteilen. Die erste Frage ist eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit und findet ihre Beantwortung in dem nach § 1 1 8 BNotO weiter maßgebenden Landesrecht, für Preußen in Art. 49 PrFGG. Danach können nur diejenigen Personen, deren eigene oder durch einen Vertreter abgegebene Erklärungen beurkundet sind, oder ihre Rechtsnachfolger eine Ausfertigung fordern, sofern nicht in der Urkunde oder durch eine besondere Erklärung gegenüber dem Notar eine abweichende Bestimmung getroffen ist. Die demnach erforderliche Zustimmung des Schuldners zur Erteilung der Ausfertigung an den Gläubiger kann aber, wie es hier geschehen ist, schon im voraus in der Urkunde erteilt werden (KG JW 1929, 1891; OLG München, DNotZ 1954, 552). Für die Prüfung der Frage, wann, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form der Notar die Vollstreckungsklausel erteilen darf, sind dagegen die Bestimmungen der ZPO maßgebend. Denn hierbei handelt es sich um die Vorbereitung und Einleitung der Zwangsvollstreckung, die zur streitigen Gerichtsbarkeit gehört, während die Gesetze über die freiwillige Gerichtsbarkeit und namentlich das PrFGG für die Erteilung der Vollstreckungsklausel und v o l l s t r e c k barer Ausfertigungen notarieller Protokolle keine Bestimmungen treffen (§ 797 ZPO; R G 129, 170). Für die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen notarieller Urkunden müssen daher sowohl die Voraussetzungen des Art. 49 PrFGG als auch die der ZPO erfüllt sein. Nach § 726 ZPO darf der Notar die vollstreckbare Ausfertigung erst erteilen, wenn ihm die Fälligkeit der Forderung oder hinsichtlich der Nebenleistungen der Eintritt der aufschiebenden Bedingung durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen ist. Der Schuldner kann jedoch dem Gläubiger im voraus von der Führung des urkundlichen Nachweises Befreiung erteilen (KG DNotZ 1933, Weigert sich der Notar, dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen, so entscheidet darüber nach Art. 51 PrFGG, Art. 89 HessFGG, Art. 69 NdsFGG, Art. 44 BayNotG das Landgericht ( K G J 33, A 3; 42, 4; Jansen, F G G ,

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Notar — Güterstaad

Art. 51 P r F G G Anm. 6). Nach dem Ausscheiden des Notars aus dem Amt, z.B. durch Tod, erteilt die vollstreckbare Ausfertigung das Amtsgericht, das gemäß § 5 1 BNotO die Urkunden des Notars verwahrt (§ 797 1 1 S. 2 ZPO); gegen die Versagung findet die Beschwerde nach § 19 F G G statt ( K G N J W 1961, 414). In sonstigen Fällen der Verweigerung der Urkundstätigkeit durch den Notar ist als Rechtsbehelf die Anrufung einer Zivilkammer des Landgerichts gegeben, das im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheidet ( § 1 5 BNotO). „Ich bewillige und beantrage die Eintragung der Hypothek und der Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung in das Grundbuch sowie die unmittelbare Aushändigung des zu bildenden Briefes an die Gläubigerin. (folgt Antrag auf Erteilung von Ausfertigungen und beglaubigten Abschriften). Hierauf ist das Protokoll vorgelesen, von der Beteiligten genehmigt und eigenhändig, wie folgt, unterschrieben worden: Katharina Zabel Justus Siegel Notar."

(Kostenrechnung)

Ehevertrag Hausbesitzer Busch hat vor einigen Wochen dem Notar geschrieben: „Meine älteste Tochter Hermine heiratet Anfang Oktober. Sie erhält als Ausstattung von mir das Hausgrundstück Lindenstraße 39 und eine Wäscheaussteuer, außerdem besitzt sie 20000 Mark in 6%igen Pfandbriefen als großmütterliches Erbteil. Der Bräutigam, Kaufmann Walter Duncker in Köln, ist Inhaber einer Rohhäute- und Wollehandlung. Obgleich ich zu seinem Charakter volles Vertrauen habe und ihn für einen sehr gewiegten und vorsichtigen Geschäftsmann halte, möchte ich meine Tochter doch sichern, damit sie nicht für die Schulden ihres Mannes haftbar gemacht werden und ihre Mitgift nicht in seinen Konkurs hineingezogen werden kann. Ich bitte Sie, einen geeigneten Ehevertrag auszuarbeiten und meine Tochter zur Vollziehung zu bestellen. Mein Schwiegersohn wird seinen Beitritt vor einem Kölner Notar erklären, da unsicher ist, ob er vor der Hochzeit noch einmal nach Lichterfelde kommt. E r hat übrigens von sich aus angeboten, eine hohe Lebensversicherung zugunsten meiner Tochter zu nehmen. Hochachtungsvoll Emil Busch, Hausbesitzer."

Der Brief zeigt, wie wenig die güterrechtlichen Vorschriften in das allgemeine Bewußtsein gedrungen sind. Bei der Gütergemeinschaft haftet in der Tat das Vermögen der Frau — soweit es nicht Vorbehalts- oder Sondergut (§§ 1418, 1417 B G B ) ist •— für sämtliche Verbindlichkeiten des Mannes, der das Gesamtgut allein verwaltet (§ 1437 1 ), so daß die Frau eines Kaufmanns bei diesem Güterstande leicht alles verlieren kann. Bei gemeinschaftlicher Verwaltung des Gesamtguts durch Mann und Frau (§ 1421) haftet der mitverwaltende Ehegatte für die Gesamtgutsverbindlichkeiten und damit für viele Schulden des anderen Ehegatten auch persönlich, also auch mit Vorbehaltsgut und Sondergut (§ 1459 1 1 ). Gütergemeinschaft tritt aber nur noch auf Grund Ehevertrags ein. Ein anderer weit verbreiteter Irrtum geht dahin, daß die „Mitgift" Eigentum des Mannes werde, während sie doch beim früheren gesetzlichen Güterstand nur seiner Verwaltung und Nutznießung unterlag und er nicht einmal ohne Zustimmung der Frau über das Eingebrachte verfügen konnte, ausgenommen Geld, Wertpapiere und andere verbrauchbare Sachen (§§ 1373/76 a.F.). Wenn indessen auch die Rechte des Mannes am Frauenvermögen nicht so weit reichten, wie das rechtsunkundige Publikum meinte, so waren sie doch groß genug, um die Frau unter Umständen erheblich zu gefährden. Das Recht auf Sicherheitsleistung und Aufhebung des Güterstandes (§§ 1391, i 4 i 8 I a . F . ) ließ sich praktisch erst geltend machen, wenn es zu spät war. Auf der anderen Seite hatte die Frau nach

Notar — Zugewinngemeinschaft

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gesetzlichem Güterrecht keinen Anteil an dem Vermögen, das der Mann während der Ehe erwirbt, obgleich sie ihm dabei häufig geholfen, zum mindesten durch ihre häusliche Tätigkeit ihn in Stand gesetzt hat, ungestört seinen Geschäften nachzugehen. Die vielen Testamente, in denen die Frau zur alleinigen Erbin oder Vorerbin ernannt wird, stellten eine Reaktion gegen diese das Rechtsgefühl nicht befriedigende Regelung dar. Der gesetzliche Güterstand der Verwaltung und Nutznießung des B G B war mit dem in Art. 3 1 1 G G niedergelegten Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der nach Art. 1 1 7 G G seit dem 1. April 1953 unmittelbar geltendes Recht ist, nicht vereinbar (BVerfG 3, 225). In der „gesetzlosen Zeit" bis zum i.Juli 1958, dem Inkrafttreten des GleichberG, galt, wenn kein vertraglicher Güterstand vereinbart war, Gütertrennung, wie überwiegend angenommen wurde (BGH N J W 1954, 349). Allerdings verwirklicht die reine Gütertrennung den Grundsatz der Gleichberechtigung nur der Form nach, nicht im wirtschaftlichen Ergebnis. In der normalen Ehe wird die als Hausfrau tätige Ehefrau durch den Ausschluß vom Zugewinn des Mannes bei Gütertrennung ebenso benachteiligt wie beim Güterstand der Nutzverwaltung. Die Grenzen der Rechtsprechung wären jedoch überschritten worden, wenn der Richter in der Übergangszeit rechtsschöpferisch einen Güterstand hätte entwickeln wollen, der den Grundsatz der Gleichberechtigung voll verwirklicht. Mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit und die Notwendigkeit, klare Verhältnisse zu schaffen, blieb nur die Gütertrennung als gesetzlicher Güterstand übrig (vgl. dazu Soergel-Vogel, B G B , 8. Aufl. zu §§ 1426 ff). Das G l e i c h b e r e c h t i g u n g s g e s e t z überläßt es grundsätzlich den Ehegatten, ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch einen Ehevertrag zu regeln, für dessen Inhalt eine durch Typenzwang mehr oder weniger beschränkte Vertragsfreiheit gilt; andernfalls gilt ein subsidiärer gesetzlicher Güterstand (dispositives Ehegüterrecht mit gesetzlichem Güterstand). Als gesetzlich normierte Wahlgüterstände werden nur noch die Gütergemeinschaft (§§ 1415 bis 1518) und die Gütertrennung (§ 1414) zur Verfügung gestellt. Die Gütertrennung ist in gewissen Fällen zugleich hilfsweiser gesetzlicher Güterstand (§§ 1388, 1449, I 47°. I 4 I 4)A l s g e s e t z l i c h e n G ü t e r s t a n d hat das GleichberG die Z u g e w i n n g e m e i n s c h a f t eingeführt, die trotz ihres Namens keine Vermögensgemeinschaft begründet, sondern auf dem Grundsatz der Gütertrennung, abgewandelt durch einen Ausgleich des während der Ehe erarbeiteten Vermögens und durch gewisse Verwaltungsbeschränkungen, beruht. Jeder Ehegatte bleibt Eigentümer seines Vermögens, mag er es vor oder nach der Eheschließung erworben haben (§ 1 3 6 3 1 1 S. 1). Er verwaltet sein Vermögen auch selbständig (§ 1364). Allerdings ist jeder Ehegatte einigen zum Teil weitgehenden Beschränkungen seiner Verpflichtungs- und Verfügungsfähigkeit unterworfen. Jeder Ehegatte kann sich nur mit Einwilligung des andern verpflichten, über sein Vermögen im ganzen zu verfügen (§ 1365 1 ). Diese Beschränkung kann sich bei Übergabeverträgen, Geschäftsveräußerungen oder Einbringung des Vermögens in eine Handelsgesellschaft auswirken. Ähnlich sind die Gegenstände des ehelichen Hausrats gegen Verfügungen des Eigentümer-Ehegatten, z. B. durch Veräußerung einschließlich der Sicherungsübereignung oder durch Belastung, geschützt (§ 1369 1 .) In beiden Fällen kann das Vormundschaftsgericht die Zustimmung des anderen Ehegatten auf Antrag ersetzen (§§ 1 3 6 5 1 1 , 1369 1 1 , § 53 FGG). Wird der Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch Auflösung der Ehe infolge Nichtigerklärung, Aufhebung oder Scheidung oder durch Ehevertrag oder durch Urteil auf vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns beendet, so kommt es zu einem g e l d l i c h e n A u s g l e i c h . Der Ehegatte, der keinen oder den geringeren Zugewinn gemacht hat, _ erwirbt gegen den anderen Ehegatten, welcher den alleinigen 30

Lux» Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Notar — Ehevertrag

oder höheren Zugewinn erzielt hat, eine schuldrechtliche Ausgleichsforderung in Höhe der Hälfte des Betrages, um den der Zugewinn des einen Ehegatten den des anderen übersteigt (§§ 1372, 1378 1 ). Der Zugewinn wird ermittelt durch seinen Vergleich des Anfangsvermögens mit dem Endvermögen (§ 1373). Diese Rechnungsposten können durch Zu- und Abrechnungen modifiziert werden (§§ 1374, 1375). Wird der Güterstand durch T o d eines E h e g a t t e n aufgelöst, so wird der Zugewinnausgleich in der Regel in der Weise verwirklicht, daß der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten sich um ein Viertel erhöht, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Vorverstorbene einen Zugewinn erzielt hat oder nicht (sog. e r b r e c h t l i c h e L ö s u n g , § 1371). Dieser Güterstand ist ersichtlich auf den Fall zugeschnitten, daß die Ehe in jungen Jahren geschlossen wird, nennenswertes Anfangsvermögen nicht vorhanden ist, das Vermögen vielmehr erst während der Ehe erarbeitet und die Ehe durch den Tod, meistens des Mannes, aufgelöst wird. Unter diesen Verhältnissen führt der Güterstand zu einer befriedigenden Lösung. Wird aber wesentliches Anfangsvermögen eingebracht oder ist mit erheblichem Zugewinn zu rechnen oder sind einseitige Kinder vorhanden, so empfiehlt es sich, durch Abschluß eines Ehevertrages, ergänzt durch eine Verfügung von Todes wegen, die vermögensrechtlichen Folgen der Eheschließung den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Der Ehevertrag hat dadurch an Bedeutung gewonnen1). Der E h e v e r t r a g kann den Güterstand im ganzen regeln oder innerhalb eines bestehenden (gesetzlichen oder vertraglichen) Güterstandes nur in einzelnen güterrechtlichen Beziehungen Abweichungen von nicht zwingenden Rechtssätzen vorsehen (genereller und spezieller Ehevertrag). Durch generellen E h e v e r t r a g können unter Ausschluß des gesetzlichen Güterstandes Gütertrennung oder Gütergemeinschaft vereinbart oder Zugewinngemeinschaft, Gütergemeinschaft oder Gütertrennung durch einen anderen Güterstand ersetzt werden. Der Ehevertrag kann auch rein negativ zum Inhalt haben, daß der bestehende Güterstand lediglich aufgehoben wird; dann tritt nach der Auslegungsregel des § 1414 Gütertrennung ein. Durch speziellen E h e v e r t r a g können sowohl der vertragliche Güterstand der Gütergemeinschaft als auch der gesetzliche Güterstand in gewissen Grenzen in einzelnen Beziehungen geändert werden. Bei der Gütergemeinschaft können Gegenstände zum Vorbehaltsgut erklärt (§ 1418 1 1 Nr. 1), die Verwaltungsbefugnis am Gesamtgut geregelt (§ 1421) oder Zustimmungen zu Rechtsgeschäften erteilt werden (§§ 142}—1425, 1450—1456), z.B. der das Gesamtgut allein verwaltende Ehegatte zu Verfügungen über Gesamtgutsgrundstücke ohne Einwilligung des anderen (§ 1424) ermächtigt werden (BGB-RGRK § 1424 Anm. 36). Auch die Zugewinngemeinschaft kann vielfältig abgewandelt werden. Die Verfügungsbeschränkungen des § 1365 oder des § 1369 oder beide können insgesamt oder in Bezug auf einzelne Gegenstände ausgeschlossen werden. Die Beteiligungsquote am Zugewinn kann niedriger, etwa auf ein Drittel oder ein Viertel festgesetzt oder durch einen Höchstbetrag begrenzt werden. Der Zugewinnausgleich kann sogar von Bedingungen oder Befristungen abhängig gemacht werden; es könnte vereinbart werden, daß er erst bei zehnjähriger und (oder) bekindeter Ehe eintritt oder daß er für den Fall der Ehescheidung schlechthin oder nur für den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehegatten ausgeschlossen sein soll. Es können vom Gesetz abweichende Vereinbarungen über Umfang und Bewertung des Anfangs- und Endvermögens und über die Erfüllung der Ausgleichsforderung (Hingabe von Sachwerten, Zahlungsaufschub, Sicherstellung) getroffen werden. Streitig ist, ob bei gänzlichem Ausschluß des Zugewinns die Verfügungsbeschränkungen der §§ 1365, 1369 aufrecht erhalten werden können oder ob dann nach § 1414 S. 2 zwingend Gütertrennung eintritt; die Vorschrift ist aber wohl als dispositiv zu erachten (Beitzke, Familienrecht, § 12 IV 5; a.M. BGB-RGRK § 1414 Anm. 5). Steuerrechtliche Auswirkungen Einen nicht unwesentlichen Anreiz zur Aufrechterhaltung der Zugewinngemeinschaft schaffen die erbschaftssteuerlichen Vorteile, die § 6 ErbStG i.d.F. der Bek. vom 1. April 1959 (BGBl I 187) bietet. Danach bleibt das Viertel der Erbschaft, um welches sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten nach § 1371 1 B G B erhöht (Zusatzerbteil), steuerfrei, wenn die Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten beendet Vgl. Knur, Probleme der Zugewinngemeinschaft, 1959.

Notar — Form des Ehevertrags

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wird und es nicht zur güterrechtlichen Lösung kommt. Das gilt unabhängig davon, ob ein Zugewinn erzielt worden ist oder nicht. Die allgemeinen Ehegatten-Freibeträge nach § 16 oder § 17 ErbStG, nämlich 250000 DM bei bekindeter Ehe, sonst 30000 DM (unten S. 471) bleiben daneben bestehen. Bei einem steuerpflichtigen Nachlaß mit einem steuerlichen Wert von 1000000 DM beträgt hiernach der Freibetrag des überlebenden Ehegatten 500000 DM bei bekindeter, 280000 DM bei kinderloser Ehe anstatt 250000 DM oder 30000 DM bei Geltung eines anderen Güterstandes. Der Erwerb des überlebenden Ehegatten ist nur insoweit steuerpflichtig, als er den Freibetrag übersteigt. Die bei güterrechtlicher Lösung entstehende Ausgleichsforderung ist in keinem Fall schenkungs- oder erbschaftssteuerpflichtig (§ 6 1 1 ErbStG). Dazu Troll, FamRZ 1959, 385. Diese steuerlichen Auswirkungen dürfen bei der Beratung der Beteiligten durch den Notar nicht übersehen werden. Brief an Busch: „Auf das Schreiben vom 1. d. M. teile ich Ihnen mit, daß Eheverträge bei gleichzeitiger, aber nicht notwendig persönlicher Anwesenheit beider Teile vor Gericht oder Notar geschlossen werden (§ 1410 BGB). Es kann also nicht Ihre Tochter in Lichterfelde das Angebot und Herr Dtmcker in Köln die Annahme erklären. Zulässig ist Abschluß durch einen Bevollmächtigten, doch rate ich Ihnen hiervon ab, weil ich es für notwendig halte, eine so einschneidende Vereinbarung mit den Nächtsbeteiligten selbst zu besprechen. Außerdem kann die Eintragung ins Güterrechtsregister nur erfolgen, wenn die Vollmacht des beim Ehevertrag mitwirkenden Vertreters öffentlich beglaubigt ist oder aber nachher ein besonderer Antrag auf Eintragung in beglaubigter Form gestellt wird. Dadurch entstehen Mehrkosten, die vermieden werden können. Es wird sich also empfehlen, den Abschluß des Ehevertrages bis zur nächsten Anwesenheit des Herrn Duncker in Lichterfelde hinauszuschieben." §§ 1560 S. 2 B G B . , 128, 161 F G G . Für die materiell-rechtliche Wirksamkeit genügt Abschluß des Ehevertrags durch einen formlos Bevollmächtigten (§ 1 6 7 1 1 B G B ) . Selbstkontrahieren eines Ehegatten, den der andere von den Beschränkungen des § 181 befreit hat, ist auch beim Ehevertrag nicht ausgeschlossen ( B G B - R G R K § 1 4 1 0 Anm. 4). Für den Vertragsschluß durch einen gesetzlichen Vertreter enthält § 1 4 1 1 eine Sonderregelung. Der Rat des Notars wird befolgt und der Vertrag geschlossen, als Duncker zur Hochzeit nach Lichterfelde gekommen ist. Die steuerlichen Vorteile der Zugewinngemeinschaft leuchten den Verlobten ein. Andererseits ist die Verfügungsbeschränkung des § 1365 B G B dem Duncker als Kaufmann sehr lästig. Auch befürchtet er, daß sein Betriebskapital durch die Erfüllung der Ausgleichsforderung im Fall einer Auflösung der Ehe durch Richterspruch zu sehr geschwächt werden könnte. Man entschließt sich daher zu einer Abwandlung des gesetzlichen Güterstandes. Ehevertrag: „Urkundenrolle Nr. 542 f ü r i960. Verhandelt Lichterfelde, den 4. Oktober i960 Vor dem unterzeichneten Notar im Bezirk des Kammergerichts zu Berlin Justus Siegel erschienen: 1. der Kaufmann Walter Duncker aus Köln, Luisenstraße 22, 2. das volljährige Fräulein Hermine Buscb aus Lichterfelde, Lindenstr. 39, dem Notar von Person bekannt, und schlössen folgenden Ehevertrag: § 1. Wir beabsichtigen, die Ehe miteinander einzugehen. Der für unsere Ehe geltende gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft wird nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen abgeändert. § 2. Jeder von uns kann ohne Einwilligung des anderen über sein Vermögen im ganzen verfugen. § 3. Der Ausgleich des Zugewinns wird ausgeschlossen, wenn die Beendigung des Güterstandes vor Ablauf von zehn Jahren seit der Eheschließung eintritt, es sei denn, daß zu diese m Zeitpunkt ein gemeinschaftliches eheliches Kind vorhanden ist. 3°*

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Notar — Abwandlung des gesetzlichen Güterstandes § 4. Im Fall der Auflösung der Ehe durch Richterspruch wird der Ausgleich des Zugewinns für den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehegatten ausgeschlossen. § 5. Abweichend von § 1378 1 B G B wird die Ausgleichsforderung bei Auflösung der Ehe durch Richterspruch oder bei Beendigung des Güterstandes durch auf vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns erkennendes Urteil auf ein Drittel des Betrages bemessen, um den der Zugewinn des einen Ehegatten den Zugewinn des anderen übersteigt, höchstens auf 100000 DM. § 6. Das Anfangsvermögen der Frau besteht aus: a) dem Hausgrundstück Lichterfelde, Lindenstraße 39, Grundbuch von Lichterfelde Band 15 Blatt 443, im Werte von 60000 DM, b) nominell 20000 (i.W) D M 6%igen Norddeutschen Hypothekenbank-Pfandbriefen Serie V Buchst. D Nr. 2011 bis 2030 im Werte von 20000 DM, c) Schmucksachen, nämlich im Werte von 5000 DM, d) Wäsche im Werte von 3000 DM, e) im Werte von 2000 DM. § 7. Das Anfangsvermögen des Mannes besteht aus: a) der Rohhäute- und Wollhandlung in Firma Walter Duncker in Köln im Werte von 200000 DM, b) zwei Personenkraftwagen Marke . . . im Werte von 10000 DM. § 8. Für Umfang und Wert der Anfangsvermögen werden die vorstehend in den § § 6 und 7 enthaltenen Angaben vertraglich als maßgebend vereinbart. Nach Abzug der Verbindlichkeiten beträgt hiernach das Anfangsvermögen des Mannes 210000 DM, das der Frau 90000 D M . "

Die Aufzählung der Vermögensstücke in den § § 6 und 7 hat nicht die Bedeutung eines Vermögensverzeichnisses im Sinne des § 1 3 7 7 , welches im Verhältnis der E h e gatten zueinander die Vermutung der Richtigkeit für sich hat, sondern sie enthält, wie § 8 klarstellt, eine vertragliche Abänderung der §§ 1 3 7 4 1 , 1 3 7 6 1 über Umfang und Wert des Anfangsvermögens. I m Verhältnis zu Dritten hat die Aufzählung hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse keine konstitutive Bedeutung; allenfalls kann sie ein Beweisanzeichen sein. Denn die praesumtio Muciana (§ 1362), nach welcher zugunsten der Gläubiger jedes der Ehegatten vermutet wird, daß die im Besitz eines der Ehegatten oder im Mitbesitz beider befindlichen beweglichen Sachen dem Schuldner gehören, gilt für alle Güterstände und ist zwingendes Recht. Die gesetzliche Regelung des Zugewinnausgleichs wird noch in weiteren Punkten geändert: ,,§ 9. Unsere gegenseitigen Zuwendungen werden auf die Ausgleichsforderung nicht angerechnet. Auch wird der Wert der Zuwendung bei der Berechnung der Ausgleichsforderung dem Zugewinn des zuwendenden Ehegatten nicht hinzugerechnet." Abweichung v o m § 1380. Unentgeltliche Zuwendungen an Dritte ohne E i n verständnis des benachteiligten Ehegatten werden dem Endvermögen des Schenkers hinzugerechnet und so zur Ausgleichung gebracht (§ 1 3 7 5 1 1 N r . 1). „ § 10. Bei Beendigung des Güterstandes außer durch Tod ist die Ausgleichsforderung in drei gleichen Jahresraten zahlbar, deren erste ein Jahr nach der Beendigung des Güterstandes fällig wird, und bis zur Zahlung mit 4 v. H. zu verzinsen. Der Gläubiger kann Sicherheitsleistung verlangen." Die Ratenzahlungen sollen den Schuldner vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten schützen. Das Gesetz sieht die Gewährung richterlicher Vertragshilfe zur Regelung der Ausgleichsforderung durch das Vormundschaftsgericht in den §§ 1 3 8 2 , 1 3 8 3 B G B , 5 3 a F G G vor. Wie wir aus dem einleitenden Brief des Vaters wissen, sind Grundstück und Wäsche als A u s s t a t t u n g gegeben. „Ausstattung" ist nach § 1624 1 alles, was einem Kind (Sohn oder Tochter 1) mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung (Ge-

Notar —• Güterrechtsregister

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schäftseinrichtung!) von den Eltern zugewandt wird. Es sind auseinanderzuhalten: i . Aussteuer, 2. diejenige Ausstattung, die nicht Aussteuer ist, aber im Rahmen der Verhältnisse bleibt, 3. Ausstattung, die das den Umständen entsprechende Maß übersteigt. Den Rechtsanspruch der Töchter auf „Aussteuer" (d.h. die zur Einrichtung des Haushalts notwendigen Möbel, Wäschestücke u. dgl.) hat das GleichberG durch Aufhebung des § 1620 B G B a.F. beseitigt. Diese Zuwendungen fallen jetzt unter den Oberbegriff der Ausstattung, die immer freiwillig und unentgeltlich gewährt wird, doch gilt nach ausdrücklicher Bestimmung des § 1624 1 die Ausstattung nicht als Schenkung. Folge: zu 1 und 2 ist ein formloses Versprechen der Eltern rechtsverbindlich. Aber auch zu 3 braucht nicht unbedingt ein der Formvorschrift des § 518 1 unterliegendes Schenkungsversprechen vorzuliegen, denn zu den Begriffsmerkmalen der Schenkung (§ 516 1 ) gehört neben objektiver Unentgeltlichkeit die subjektive Einigkeit der Parteien über die Unentgeltlichkeit, und an dem zweiten Moment kann es bei Zuwendung aus Anlaß einer Eheschließung fehlen. Anderes Beispiel, bei dem die Schenkung aus subjektiven Gründen verneint wird: das nachträgliche Versprechen einer Vergütung für Dienste, die von dem anderen Teil aus reiner Gefälligkeit bereits geleistet worden sind. Vgl. R G 72, 1 9 1 ; 94, 322; a. A. Staudinger-Osder, 1 1 . Aufl. § 516 Anm. 14. „ § I i . Herr Duncker verpflichtet sich, innerhalb eines Monats Zugunsten seiner künftigen Frau bei einer deutschen Lebensversicherungsgesellschaft sein Leben mit 30000 D M (i. W.) detgestalt zu versichern, daß die Bestimmung der Begünstigten ohne ihre Zustimmung nicht abgeändert werden kann. E r verpflichtet sich, die Versicherungsprämien, so lange die Ehe besteht, aus seinen Mitteln zu bezahlen." Die Lebensversicherung zugunsten der Ehefrau dient der zusätzlichen Sicherung. Bei Gütertrennung wird sie häufig vereinbart als Ersatz für die fehlende Beteiligung der Frau am Vermögenszuwachs. Die sonst dem Versicherungsnehmer zustehende Befugnis zum Widerruf und zur Änderung der Bezugsberechtigung (S. 4 3 6 ) kann ausgeschlossen werden. „ § 12. Eine Eintragung in das Güterrechtsregister kommt nicht in Betracht." Maßgebend für die güterrechtlichen Verhältnisse ist der formgerechte Abschluß des Ehevertrags (§ 1408). Die Eintragung ins Güterrechtsregister wirkt nur rechtsbekundend und nimmt, w o es auf die Kenntnis güterrechtlicher Verhältnisse ankommt, dem Dritten die Möglichkeit, sich auf seine Unkenntnis zu berufen (§ 1 4 1 2 ; v g l . dazu 1 5 . K a p . „Entziehung der Schlüsselgewalt"). In unserem Fall ist der E h e vertrag nicht eintragungsfähig. Eintragungsfähig sind nur Rechtsverhältnisse, die nach dem Gesetz zu ihrer Wirkung gegenüber gutgläubigen Dritten der Eintragung b e d ü r f e n (Jansen, F G G , § 1 6 1 A n m . 2b). Dazu gehört weder die Änderung des Zugewinnausgleichs, weil sie nur das Innenverhältnis der Ehegatten berührt, noch die Beseitigung der Verfügungsbeschränkungen der §§ 1 3 6 5 , 1369, weil sie den Rechtsverkehr mit Dritten erleichtert ( B G B - R G R K § 1 5 5 8 A n m . 9). „ § 13. Die Beteiligten wurden auf die mögliche Schenkungssteuerpflicht der Zuwendung in § 1 1 hingewiesen. § 14. Den Geschäftswert geben wir auf 300 000 D M 1 ) an. (folgt Antrag auf Erteilung vonAusfertigungen, Vorlesungs- und Genehmigungsvermerk). Walter Duncker.

Hermine Busch.

Justus Siegel Notar." S c h e n k u n g s s t e u e r : Der Notar prüft den Vertrag auf schenkungssteuerpflichtige Bestimmungen, um gegebenenfalls dem für den Schenker zuständigen Finanzamt beglaubigte Abschrift zu übersenden und seiner Hinweispflicht zu genügen (§ 1 8 9 a 1 - 1 1 Nr. 3 R A O , § 13I.11.V der 1. ErbStDV v. 1. Juli 1952, B G B l I 357). Von Einzelheiten abgesehen, werden Schenkungen wie Erwerb von Todes *) Maßgebend ist das zusammengerechnete Nettovermögen beider Ehegatten (§ 3 9 1 1 1 KostO).

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Notar — Schenkungssteuer — Testament

wegen besteuert (§ i ErbStG), damit jede Versuchung wegfällt, durch Schenkungen unter Lebenden der Erbschaftssteuer zu entgehen. Dabei ist der steuerliche Begriff der Schenkung weiter als der des bürgerlichen Rechts, er umfaßt jede „freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird" (§ 32), ohne daß es auf die subjektive Einigung über die Unentgeltlichkeit (S. 469) ankäme. Die Verpflichtung des Bräutigams, sein Leben zugunsten der künftigen Frau unwiderruflich zu versichern und die Versicherung durch Zahlung der Prämien aufrechtzuerhalten, stellt darnach eine steuerpflichtige Schenkung dar. Der Erwerb der freigebigen Zuwendung durch den unwiderruflich Begünstigten tritt jedoch erst im Zeitpunkt des Versicherungsfalls ein (BFH in BStBl 1952111,240). Die Bereicherung besteht in der vereinnahmten Versicherungssumme, nicht in der Summe der Prämienzahlungen des Schenkers (RFH 23, 242), § 2 1 Nr. 3 ErbStG. Die Versicherungssumme wird aber bei der Berechnung des steuerfreien Zusatzerbteils nach § 6 1 ErbStG (oben S. 466) mitgerechnet werden müssen (Troll, FamRZ 1959, 386). Für die Zuwendung des Hauses und der Wäscheaussteuer durch den Vater kommen drei verschiedene Befreiungsvorschriften in Betracht. § i8 I ia befreit „Hausrat" einschließlich Wäsche und Kleidungsstücke bei Verwandten der Steuerklassen I und II, soweit der Wert 20000 DM nicht übersteigt; § 18 16 Zuwendungen zum Zwecke des „angemessenen Unterhalts"; § 3 V Ausstattungen, die Abkömmlingen „zur Einrichtung eines den Vermögensverhältnissen und der Lebensstellung der Beteiligten angemessenen Haushalts gewährt werden." Da Busch die Aussteuer in Natur gibt, fällt sie unter § 1 8 1 1 a. Recht unklar ist nach der Rechtsprechung die Tragweite des § 3 v . Faßt man den Begriff der Einrichtung des Haushalts eng, so deckt er sich mit dem Aussteuerbegriff, würde also etwa zur Anwendung gelangen, wenn bares Geld zur Anschaffung von Möbeln u. dgl. gegeben wird. Es kann aber auch die Zuwendung eines Hauses, in dem die Tochter wohnen soll, steuerfrei sein. Einmal wurde sogar bei Überlassung einer Hypothek von 75 000 DM an einen kranken Sohn Steuerfreiheit zugebilligt, weil die Hypothek teils zur Einrichtung eines Haushalts, teils zum Unterhalt bestimmt sei. RFH 7, 30, 332; 12, 98; 16, 236; 25, 3. Im vorliegenden Fall sind die Zuwendungen Büschs an seine Tochter nicht im Vertrage beurkundet. Die beglaubigte Abschrift braucht daher nur wegen § 1 1 des Vertrages übersandt zu werden. Vermerk auf der Urschrift des Protokolls: „Beglaubigte Abschrift dem Hauptfinanzamt Berlin übersandt. 6. 10. 60. Siegel." Die Ausstattung soll durch Anzeige der Beteiligten (§ 2 6 : I ) zur Kenntnis ds Finanzamts gelangen. Falls die Überlassung des Grundstücks einer Schenkungssteuer unterliegt, wird dabei nicht (wie bei der Grunderwerbsteuer) der Bruttowert, sondern nur der nach Abzug der übernommenen Belastungen verbleibende Wert der Bereicherung versteuert. — Grunderwerbsteuer für die Überlassung des Grundstücks kommt keinesfalls in Betracht, weil es sich um den Erwerb eines Abkömmlings handelt (§ j 6 GrEStG).

Testament Rittergutsbesitzer Heidenreich, schwer herzkrank in einer Privatklinik liegend, will seinen letzten Willen erklären und setzt dem Notar seine Wünsche und Absichten auseinander: Erstens soll das Testament so gefaßt sein, daß möglichst wenig Erbschaftssteuer zu zahlen ist. Der Notar: Wir werden zunächst feststellen, was Sie den einzelnen Beteiligten zuwenden wollen, und darnach die Form suchen, bei der ein jeder die ihm gebührende Rechtsstellung erhält. Entstehen dadurch mehr Erbschafts- oder sonstige Steuern, als unbedingt notwendig, und gibt es einen anderen Weg, mit geringerem steuerlichen Aufwand annähernd die gleiche rechtliche Wirkung zu erzielen, so werde ich Sie auf diese Möglichkeit hinweisen, und Sie können dann wählen. Bloß wegen der Steuerverbilligung ein Testament, einen Vertrag oder ein sonstiges Rechtsgeschäft zu errichten, das nicht für die sachlichen Bedürfnisse des gegebenen Falles paßt, wäre ein arger Fehler. Sie können ja nicht einmal wissen, ob nicht durch Änderung der Steuergesetze der erhoffte Vorteil wegfallen wird, während die materiell-rechtlichen Nachteile bleiben!

Notar — Testament — Erbschaftssteuer

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Für die Erhebung der Erbschaftssteuer werden die Erwerber nach dem Grade der Verwandtschaft zum Erblasser in fünf Steuerklassen eingeteilt (§ 10 ErbStG). Der am meisten begünstigten Steuerklasse I gehören der Ehegatte, die Kinder und Stiefkinder des Erblassers an. Bei ihnen ist der Erwerb steuerpflichtig, der einen Freibetrag von 30000 DM übersteigt (§ 17 1 Nr. 1). Außerdem werden sie nach dem niedrigsten Steuersatz veranlagt (je nach der Höhe des Erwerbs 2 — i j % in Steuerklasse V dagegen 14—60%). Sind gemeinsame Abkömmlinge vorhanden, so erhöht sich der Freibetrag des Ehegatten auf 250000 DM (§ 16). Zweck dieser Bestimmimg ist, bei der Vererbung kleiner und mittlerer Familienvermögen den Erwerb des überlebenden Ehegatten zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung zunächst unversteuert zu lassen und ihn erst beim Übergang vom letztversterbenden Ehegatten auf die gemeinsamen Abkömmlinge der Steuer zu unterwerfen. Hieraus ergeben sich, wenn der erhöhte Freibetrag nicht überschritten wird, bei „bekindeter Ehe" folgende Folgerungen: 1. Erbt die Frau neben den Kindern, so sind zunächst nur die Erbteile der Kinder und, wenn später die Frau ihr Vermögen ebenfalls den Kindern vererbt, auch der darin enthaltene Ehegattenerbteil zu versteuern. Insgesamt wird also Erbschaftssteuer vom einmaligen Betrag des Nachlasses des Familienvaters erhoben. 2. Ist die Frau Vorerbin und sind die Kinder Nacherben auf den Todesfall, so versteuern die Kinder den Nachlaß, sobald er ihnen anfällt, entsprechend dem dann vorhandenen Wert (§ 7 1 » 11 ). Die Höhe der Steuer richtet sich grundsätzlich nach dem Verhältnis des Nacherben zum Vorerben (Abs. II S. 1); ist die Verwandtschaft zum Erblasser näher, so wird auf Antrag nach dem hieraus sich ergebenden niedrigeren Satz versteuert (Abs II S. 2). 3. Setzt der Erblasser seine Kinder zu Alleinerben, die Frau als Nießbraucherin des Nachlasses ein, so haben die Kinder nach § 3 1 1 ein Wahlrecht. Entweder beantragen sie die Aussetzung der Versteuerung ihres Erwerbs bis zum Erlöschen des Nießbrauchs, also bis zum Tod der Witwe, dürfen aber dann keinen Abzug wegen des Nießbrauchs machen. Oder sie versteuern sofort unter Abzug des als Belastung aufzufassenden Nießbrauchs. Dabei wird der Wert des Nießbrauchs durch Kapitalisierung des jährlichen Reinertrags ermittelt; der Vervielfältiger ist dem § 16 BewG zu entnehmen. Die zweite Methode ermöglicht eine Steuerersparnis, die sehr wesentlich sein kann. Steht z.B. die Witwe beim Tod des Erblassers im Alter von 60—63 Jahren und verzinst sich der Nachlaß zu 6%, so werden als kapitalisierter Nießbrauch 10 X 6 = 60% des Nachlaßwerts abgezogen, bei einem Lebensalter von 45—49 Jahren sogar 1 4 X 6 = 84% I Soll die Frau außer der Nutznießung auch die Verwaltung des Nachlasses haben, so wird sie zur Testamentsvollstreckerin bestellt. Allerdings hat das ganze Rechtsverhältnis etwas Gekünsteltes, und schon wegen der Möglichkeit der Entlassung (§ 2227 BGB) ist die Stellung der Nießbraucherin-Testamentsvollstreckerin derjenigen einer Vorerbin nicht gleichwertig. Schrifttum bei Staudinger-Spreng, BGB, 11.Aufl. Vorbem. 9 vor § 1030, § 1089 Anm. 9. — Wegen der Erhöhung des Ehegatten-Freibetrages bei Zugewinngemeinschaft s. oben S. 466. Heidenreich: Zweitens will ich meinem Sohn Egon den Pflichtteil entziehen und ihm, wenn es geht, nur eine Rente aussetzen. E r darf kein Geld in die Hand bekommen, denn er ist leichtsinnig und verschwenderisch, obgleich ich schon mehrere Male seine Schulden bezahlt habe und er mir dabei Besserung gelobt hat. Ist es erforderlich, ihm ein Kapital zu hinterlassen, so soll es nach seinem Ableben an meine Kinder zurückfallen. Bitte denken Sie sich eine Form aus, die E g o n unbedingt anerkennen muß. Notar: Was Sie ihrem Sohn vorwerfen, wird zur Pflichtteilsentziehung kaum ausreichen, denn Sie können nicht sagen, daß er mit seinem leichtsinnigen Schuldenmachen „einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers geführt" habe (§ 2333®). Dagegen ist es möglich, durch sog. „Enterbung in guter Absicht" den Pflichtteil festzulegen. A m besten werden Sie Ihr Ziel erreichen, wenn Sie E g o n mehr als den Pflichtteil zuwenden, das Hinterlassene mit Testamentsvollstreckung und Nacherbenrecht belasten und weiter für den Fall der Anfechtung des Testaments anordnen, daß er dann zur Strafe nur seinen Pflichtteil, und zwar ebenfalls mit Testamentsvollstreckung und Nacherbfolge beschwert, erhält. Abgesehen von der exheredado bona mente kann dem pflichtteilsberechtigten Sohn das Recht, auf sofortiger Auszahlung seines Pflichtteils zur freien Verfügung zu bestehen, durch testamentarische Zuwendungen, die mit Testamentsvollstreckung, Auflagen, Nacherbfolge usw. beschwert sind, nicht genommen werden, wenn auch der Sohn die zur Erhaltung seines Pflichtteilsanspruchs notwendigen Fristen undFormen beachten muß (12. Kap.„Pflichtteilspflegschaft").Ubersteigt aber die testamenta-

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Notar — Familienstiftung

rische Zuwendung den Pflichtteil erheblich, so wird sie der Sohn aus Nützlichkeitsgründen fast immer annehmen. Werden vollends exheredatio bona mente und Pflichtteils-(Ungehorsams-)klausel mit einander verbunden, wie der Notar rät, so besteht die größte Wahrscheinlichkeit, daß Egon Heidenreich sich beim väterlichen Testament beruhigt. Denn sobald er die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs versucht, verliert er endgültig den Mehrbetrag des testamentarisch Hinterlassenen, und ob er den ihm alsdann verbleibenden Pflichtteil von den Beschränkungen des § 2338 freibekommt, hängt von einem ungewissen Rechtsstreit ab. Heidenreich: Drittens möchte ich einen Teil meines Vermögens, ungefähr 50 bis 70000 Mark, für alle Zeiten festlegen, damit meine Nachkommen vor N o t geschützt sind. Notar: Das B G B gestattet die Bindung des Nachlasses mit erbrechtlichen Mitteln, von Ausnahmen abgesehen, nur für die ersten 30 Jahre. Genügt Ihnen diese Frist nicht, so müssen Sie durch Errichtung einer Familienstiftung ein neues Rechtssubjekt schaffen. Ich rate Ihnen von derartigen Maßnahmen dringend ab. Die Festlegung des Nachlasses schlägt nicht immer zum Besten der Beteiligten aus. Familienstiftungen erfordern einen umständlichen und schwerfälligen Apparat. Den „Grundsatz der 30 Jahre" enthalten die §§ 2044 (Teilungsbeschränkung), 2109 (Nacherbfolge), 2162/3 (Vermächtnis), 2210 (Testamentsvollstrecker mit Verwaltungsbefugnis). Wird ein in der Person eines Beteiligten eintretendes Ereignis — vor allem sein Tod — für maßgebend erklärt, so verlängert sich die 30-Jahresfrist. Will Heidenreich eine Familienstiftung errichten und als (Teil-)Erben einsetzen, so empfiehlt sich die Bestellung von Testamentsvollstreckern, welche den Erbteil der Stiftung bis zur Aushändigung an sie zu verwalten haben Denn Stiftungen treten erst mit ihrer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde ins Leben (§ 80 S. 1). Allerdings wirkt die Genehmigung nach § 84 auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück, wodurch gemäß § 1923 ihre Erbfähigkeit als „embryo moralis" hergestellt wird („moralische Person" im älteren Sprachgebrauch = „juristische Person"). Zunächst steht aber noch nicht fest, ob genehmigt werden wird; beim Fehlen von Testamentsvollstreckern würde daher eine gerichtliche Nachlaßpflegschaft wegen Ungewißheit des Erben (§ 196c 11 ) angeordnet werden müssen. — Familienstiftungen stehen unter Aufsicht des Amtsgerichts, dessen Zustimmung zu allen wichtigeren Handlungen einzuholen ist (Art. 1 PrAGBGB). Bei Stiftungen anderer Art ist der Regierungspräsident Aufsichtsinstanz. Über die Grundlagen des staatlichen Aufsichtsrechts vgl. OLG 7, 200 (KG); Staudinger-Coing XIII vor § 80. Zweckänderung, Aufhebung und Zusammenlegung von (Familien- und sonstigen) Stiftungen wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse: pr. Ges vom 10. Juli 1924 (GS 575). Nachdem alle Einzelfragen durchgesprochen sind, fertigt der Notar einen Entwurf, der die Billigung des Erblassers findet. Alsdann wird zur förmlichen Errichtung des Testaments geschritten: „Verhandelt Lichterfelde, den 4. Oktober i960, in der Dr. Unblutigschen Privatklinik, Tiergartenstraße 128, in welche sich der Notar zwecks Aufnahme dieser Verhandlung begeben hatte1). Vor dem unterzeichneten Notar im Bezirk des Kammergerichts zu Berlin Justus Siegel und den zugezogenen, dem Notar von Person bekannten Zeugen, nämlich: 1. dem Referendar Dr. Lothar Junghans, 2. der Krankenpflegerin Fräulein Martha Winkler, beide aus Lichterfelde, welche ebenso wie der Notar während der ganzen nachstehenden Verhandlung zugegen waren, erschien, von Person bekannt: x ) Zu den regelmäßigen Gebühren tritt hier die „Weggebühr" von 5/io, Höchstbetrag 60 DM (§58 KostO).

Notar — Form des öffentlichen Testaments

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der Rittergutsbesitzer Ferdinand Heidenreich aus Buchwald, Kreis Münsterberg, krank zu Bett liegend, aber nach der Überzeugung der mitwirkenden Personen zweifellos geschäftsfähig. Er erklärte, daß er ein Testament durch Übergabe einer Schrift errichten wolle. Er übergab dem Notar die diesem Protokoll beigefügte, aus einem Bogen bestehende offene Schrift, welche mit seinem Vor- und Zunamen unterschrieben war, und erklärte mündlich: Die übergebene Schrift enthält meinen letzten Willen. Ich bin weder durch Erbvertrag noch durch gemeinschaftliches Testament in der letztwilligen Verfügung über mein Vermögen beschränkt. Ich widerrufe alle bisher von mir errichteten letztwilligen Verfugungen. Den Wert meines Vermögens gebe ich auf 450000 D M an. Hierauf ist das Protokoll vorgelesen, von dem Erblasser genehmigt und, wie folgt, eigenhändig unterschrieben worden: Ferdinand Heidenreicb. Dr. Lotbar Junghans. Martha Winkler. Justus Siegel, Notar."

Von den beiden Formen des ordentlichen öffentlichen Testaments (§ 22381 BGB) wird meist die Errichtung durch Übergabe einer Schrift bevorzugt, weil bei ihr die sachlichen Anordnungen des Erblassers nicht zur Kenntnis der Testamentszeugen zu gelangen brauchen. Nur in besonderen Fällen — z. B. wenn man bei sehr alten oder schwer kranken Personen dem späteren Einwand vorbeugen will, daß der Testator sich der Bedeutung seiner Erklärungen nicht bewußt gewesen oder daß er in unzulässiger Weise beeinflußt worden sei — wird der Notar den letzten Willen ins Protokoll selbst aufnehmen. Notwendig ist dies, wenn der Testator nach der Überzeugung des Notars Geschriebenes nicht lesen kann (§ 2238^). Ein Minderjähriger kann, da er der beratenden Hilfe des Notars bedarf, ein Testament nur öffentlich mündlich oder durch Übergabe einer o f f e n e n Schrift errichten (§§ 2247 IV , 2238111). Nur durch Übergabe einer Schrift kann öffentlich testieren, wer nach der Überzeugung des Notars stumm oder sonst am Sprechen verhindert ist (§ 2243 Testamentszeugen: Die Zuziehung zweier Zeugen oder eines zweiten Notars steht grundsätzlich im Belieben des Notars. A u f Verlangen des Erblassers soll er diese Personen zuziehen, auf dessen Widerspruch von der Zuziehung absehen (§ 2233 11 ). Notwendig ist die Zuziehung, wenn der Erblasser an einem der in § 223 3 1 angeführten Gebrechen leidet. Der Zeuge muß wegen § 2242™ schreiben können; wegen der Ausschließungsgründe vgl. § 2237. Der zur Ausbildung überwiesene Referendar steht nicht als „Gehilfe" im Dienste des Notars (§ 2237 Nr. 6) und darf daher Zeuge sein. Die Krankenschwester hätte sogar dann als Zeugin mitwirken können, wenn der Erblasser und nicht die Privatklinik ihr Dienstherr wäre. Die Formvorschriften für die Testamentsniederschrift weichen von den allgemeinen Vorschriften der §§ 176!, 177 F G G ab. Zwingend vorgeschrieben ist die Angabe des Tages der Verhandlung; doch genügt es, wenn die Errichtungszeit aus dem Vermerk auf dem Testamentsumschlag hervorgeht (§§ 2241 1 Nr. 1, I l r , 2246 1 ); eine unrichtige Tagesangabe steht der Gültigkeit des Testaments nicht entgegen (§ 2241 IV ). Bei Vermeidung der Nichtigkeit erforderlich ist die Bezeichnung des Erblassers und der mitwirkenden Personen, die Aufnahme der Erklä rungen des Erblassers und bei der Übergabe einer Schrift die Feststellung der Übergabe. Die Niederschrift muß vorgelesen, vom Erblasser genehmigt und von ihm eigenhändig unterschrieben sein. Aber die Feststellung, daß dies geschehen ist, ist ebenso wie die Angabe des Verhandlungsorts nur als Sollvorschrift vorgeschrieben (§§ 22421 S. 2, 2241 n). Die übergebene Schrift wird nicht vorgelesen, gleichgültig, ob sie offen oder verschlossen ist (RG 84,165). Schließlich bedarf es zwingend der Unterschriften der mitwirkenden Personen (§ 2242™), die auch während der ganzen Dauer der Verhandlung zugegen sein müssen (§ 2239). Ist der Erblasser des Schreibens unkundig oder unfähig, so muß der Notar sowohl nach der allgemeinen Vorschrift des § 177 1 1 F G G wie auch nach § 2242 111 S. 2 bei der Vorlesung und Genehmigung einen Schreibzeugen hinzuziehen. Während aber nach § 177 1 1 F G G die E r k l ä r u n g des Beteiligten, daß er nicht schreiben könne, in der Niederschrift festzustellen ist, muß nach § 2242 111 S. 1 B G B die Ü b e r z e u g u n g d e s N o t a r s , daß der Erblasser nicht schreiben könne, in der Nieder-

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Notar — Testamentserrichtung

schrift ausgedrückt werden. Die Nichtbeachtung dieses Unterschieds hat die Nichtigkeit des Testaments zur Folge ( B G H Z 17, 36; 28, 188; Jansen, F G G , § 177 Anm. 13). Die Bedeutung der Persönlichkeitsfeststellung, der Prüfung der Testierfähigkeit und der Belehrungspflicht der Urkundsperson gerade bei der Beurkundung von Testamenten wird durch die Bestimmungen der §§ 2241a, 2 2 4 1 b besonders betont.

Errichtungsakt: Beim Protokolltestament muß der Erblasser zunächst seinen letzten Willen mündlich erklären (§ 2238 1 S. 1 B G B ) und nachher das ihm vorgelesene Protokoll genehmigen (§ 22421 S. 1). Da die wenigsten Testatoren imstande sind, ihre Anordnungen in zusammenhängender Rede mitzuteilen, geschieht die „mündliche" Erklärung gewöhnlich in der Weise, daß der Notar die Bestimmungen des Testaments einzeln abfragt oder sie vorliest und sich vom Erblasser durch Worte bestätigen läßt, was auf zweimalige Vorlesung und Genehmigung des sachlichen Testamentsinhalts hinausläuft. 1 ) Beim Übergabetestament hingegen beschränkt sich die Erklärung des Erblassers darauf, daß in der überreichten Schrift sein letzter Wille stehe (§ 223 8 1 S. i), und die Rechtsprechung gestattet es, diese an sich schon kurze und einfache Erklärung mit der Genehmigung des Protokolls, in dem sie bescheinigt wird, zusammenzuziehen. Auch genügt es, wenn der Testator die Frage des Notars, ob die Schrift seinen letzten Willen enthalte, mit „ j a " beantwortet, oder wenn er dem Notar die Worte „das ist mein Testament" nachspricht. R G 8 5 , 1 2 0 ; 92, 27; 108, 397. Bloße zustimmende Zeichen oder Gebärden reichen allerdings nicht aus (BGH 2, 172). Körperliche Übergabe der Urkunde von Hand zu Hand wird nicht mehr unbedingt erfordert, wie noch i n R G 8 1 , 3 4 ; hat der Notar das Schriftstück selbst gefertigt und so vor dem Erblasser bereit gehalten, daß dieser in der Lage war, es an sich zu nehmen, so ist es mit dem Willen des Erblassers in den Besitz des Notars gelangt, wenn der Übergabewille durch die Beantwortung einer entsprechenden Frage des Notars zum Ausdruck gekommen ist (RG 150, 189). Die Unterzeichnung der übergebenen Schrift durch den Erblasser ist nicht notwendig. Widerruf der älteren letztwilligen Verfügungen: Unterläßt der Erblasser den ausdrücklichen Widerruf früherer Testamente, so entsteht nach seinem Tode die schwierige Frage, ob die Bestimmungen seiner alten Testamente mit dem letzten Testament „im Widerspruch" stehen und aus diesem Grunde als aufgehoben anzusehen sind (§ 225 8 1 ). Hierbei ist aus der Gesamtheit der vorhandenen Testamente zu entnehmen, ob eine bestimmte Verfügung nach dem Willen des Erblassers in Kraft bleiben sollte.' Regelt ein Testament die erbrechtlichen Verhältnisse offenbar erschöpfend (wie das Heidenreichsche), so wird man frühere Verfügungen ohnehin als aufgehoben anzusehen haben. V o r der Beurkundung eines Testaments ist es geboten, mit dem Testator eingehend zu erörtern, ob er etwa schon letztwillig gebunden ist, nämlich durch Erbvertrag oder durch wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments ( R G D N o t Z 1940, 152).

Die übergebene Schrift lautet: „ M e i n letzter Wille. § 1. Z u Erben meines Vermögens ernenne ich: I. meine Ehefrau Klara geborene Mellenthin zu einem Viertel, II. unsere gemeinschaftlichen Kinder beziehungsweise Kindeskinder: a) Landwirt Hubert Heidenreich in Rosenhag a. d. Weser, b) Emma, verehelichte Oberarzt Dr. Mertin in Heidelberg, x ) Vgl. über die Mindesterfordernisse der „mündlichen" Erklärung durch Vorlesung und wörtliche Genehmigung eines vorbereiteten Entwurfs K G D N o t Z i960, 485.

Notar — Anordnung der Testamentsvollstreckung

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c) Agnes Dabimann, geboren am 15. Februar 1951, Tochter unserer verstorbenen Tochter Elfriede aus ihrer Ehe mit dem ebenfalls verstorbenen Generalagenten Raimund Dabimann in Mainz, d) Student der Landwirtschaft Egon Heidenreicb in Berlin, je zu drei Sechzehnteln. Eine Ausgleichung soll zwischen meinen Abkömmlingen nicht stattfinden." Die Ausgleichung ist auf Abkömmlinge des Erblassers beschränkt, der Ehegattenerbteil wird durch sie nicht berührt (§ 2050, vgl. § 2316). „ § 2. Meine Ehefrau erhält außerdem ihr eingebrachtes Vermögen im Betrage von 40000 DM (i. W.) sowie die Versicherungssumme der von mir auf den Todesfall bei der ,Sekuritas* Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft in Hamburg abgeschlossenen Lebensversicherung im Betrage von 30000 DM (i.W.). Falls die Versicherung zugunsten anderer Personen lauten sollte, bestimme ich hiermit ausdrücklich, daß meine Ehefrau Begünstigte ist." Bestimmung oder Änderung des Bezugsberechtigten im Testament: § 332. Steuerlich werden die Versicherungssummen, obgleich sie auf Rechtsgeschäften unter Lebenden beruhen, wie Erwerb von Todes wegen behandelt, weil es hierfür auf die wirtschaftliche Sachlage ankommt, während die Rechtsform keine entscheidende Rolle spielt. Aus diesem Grunde besteht auch zwischen der Besteuerung von Erbteil, Vermächtnis und Pflichtteil kein Unterschied. § 2 1 Nr. 1, 3 ErbStG. — Die weiteren Bestimmungen enthalten eine Teilungsanordnung (Übernahmerecht) für den älteren Sohn Hubert, die Anordnung der Verwaltung des Erbteils der Enkeltochter durch Testamentsvollstrecker sowie die Beschränkungen des jüngeren Sohnes Egon: „§ 3. Mein Sohn Hubert ist berechtigt, das mir gehörende Rittergut Buchwald, Kreis Münsterberg, mit allem lebenden und toten Inventar, jedoch unter Ausschluß der Möbel und Einrichtungsgegenstände der von mir und meiner Ehefrau bewohnten Zimmer, zum Preise von 530000 DM (i.W.) zu übernehmen. Die eingetragenen Hypotheken, Grund- und Rentenschulden sind in Anrechnung, die Belastungen der IE. Grundbuchabteilung ohne Anrechnung auf den Übernahmepreis zu übernehmen. Die auf die Miterben entfallenden Teile des Übernahmepreises sollen auf dem Gute unmittelbar hinter den vorhandenen Belastungen hypothekarisch eingetragen, je zu einem Drittel fünf, neun und dreizehn Jahre nach meinem Tode ausgezahlt und bis zur Auszahlung mit 6% (i.W.) verzinst werden. Bei unpünktlicher Zinszahlung können die Gläubiger den ganzen ihnen zustehenden Betrag fristlos kündigen. § 4. Der Erbteil meiner Enkeltochter Agnes Dabimann wird durch meinen Testamentsvollstrecker so lange verwaltet, bis sie das 25. Lebensjahr vollendet hat. § j. Mein Sohn Egon hat sich in solchem Maß der Verschwendung ergeben und ist in solchem Maß überschuldet, daß sein späterer Erwerb erheblich gefährdet wird. Deshalb ordne ich an, daß sein Erbteil: a) so lange er lebt, durch meinen Testamentsvollstrecker verwaltet wird und b) nach seinem Tod seinen gesetzlichen Erben als Nacherben im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile zufallt." Grundsätzlich hat der Testamentsvollstrecker nur die letztwilligen Verfügungen des Erblassers auszuführen und die Auseinandersetzung unter den Erben vorzunehmen (§§ 2203/4). Hat er das getan, so ist damit sein A m t erledigt. Verwaltung, Verfügung, Prozeßführung, Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlaß (§§ 2205 f.) stehen ihm lediglich als Hilfsmittel zur Erfüllung der Aufgaben der §§ 2203/4 zu. Der Erblasser kann jedoch auch die Verwaltung gemäß §§ 2209/10 zum Selbstzweck machen, und hierauf beruhen die beiden angeordneten DauerTestamentsvollstreckungen. Bei der Enkeltochter kam es Heidenreich wohl darauf an, den Erbteil durch eine Person seines Vertrauens und ohne vormundschaftsgerichdiche Mitwirkung ver-

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Notar — Testamentsvollstreckung

walten zu lassen. Die Testamentsvollstreckung eignet sich hierfür, weil sie Verwaltung, Verfügung und Prozeßführung dem Erben entzieht (§ 2 2 1 1 ) und auf den Vollstrecker als Träger eines privatrechtlichen Amtes, das er unabhängig von dem Erben ausübt, überträgt (§§ 2205, 2212, 2213). Da der Testamentsvollstrecker nicht als Vertreter des Erben, sondern kraft eigenen Rechts, wenn auch im fremden Interesse tätig wird, ist für seine Rechtsstellung die Persönlichkeit des Erben, dessen Volloder Minderjährigkeit, unerheblich. Auch Verfügungen, zu denen der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Erben vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung bedürfte, kann der Testamentsvollstrecker mithin selbständig treffen ( R G Z 61, 144; K G J 51, 176; Backs, D F G 1937, 45). Lebt der Erbe im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, so unterliegt der Testamentsvollstrecker nicht der Verfügungsbeschränkung des § 1365 B G B (Staudenmaier und Haegele, Rpfleger i960, 385). Gehört zum Nachlaß ein Handelsgeschäft, so führt die Anordnung einer Dauer-Testamentsvollstreckung zu einem Widerstreit zwischen erb- und handelsrechtlichen Interessen. Der Testamentsvollstrecker kann Verbindlichkeiten nur „für den Nachlaß" eingehen, d. h. für die Erben unter Beschränkung ihrer Haftung auf den Nachlaß. §§ 2206/7. E s würden also alle im Laufe der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker (oder die von ihm angestellten Personen) geschlossenen Geschäfte eine beschränkte Haftung des Erben als Geschäftsinhabers begründen, was mit den Grundsätzen des Handelsrechts unvereinbar wäre. Der Testamentsvollstrecker hat aber die Möglichkeit, das Geschäft im eigenen Namen und unter eigener persönlicher Haftung als Treuhänder für Rechnung des Erben zu fuhren. E s ist aber auch möglich, daß der Testamentsvollstrecker wie jeder andere Bevollmächtigte das Geschäft unter dem Namen des Erben und dessen persönlicher Haftung führt, wenn die Testamentsauslegung eine so weitgehende Ermächtigung des Testamentsvollstreckers zu Lasten des Erben ergibt ( B G H 12, 100). Ohne Zustimmung der Erben dürfte diesen aber eine so weitgehende Belastung durch die Geschäftstätigkeit des Testamentsvollstreckers, auf dessen Auswahl und Geschäftsführung sie keinen Einfluß haben, wohl schwerlich zuzumuten sein ( K G J W 1937, 2599). Der Vollstrecker kann dann von dem Erben die treuhänderische Übertragung des Handelsgeschäftes verlangen ( B G H Z 24, 106). Wenn nicht, wie in unserem Fall, der Großvater, sondern Vater oder Mutter zugunsten ihrer minderjährigen Kinder testieren, kommt als Mittel zur Ausschaltung des Vormundschaftsgerichts auch die Anordnung einer befreiten Vormundschaft (§§ 1852f., besonders § 1856 mit § 1777), in Betracht. Jedoch sind, wie später zu zeigen sein wird (S. 554^), die durch befreite Vormundschaft erreichbaren Befreiungen ziemlich geringfügig.

Bei der Testamentsvollstreckung über den Erbteil des Egon wird eine andere Seite der Testamentsvollstreckung bedeutungsvoll: die Sperrung des Nachlasses gegen Vollstreckungen der Eigengläubiger des Erben (§ 2214). Sie hängt damit zusammen, daß zur Zwangsvollstreckung in einen unter Testamentsvollstreckung stehenden Nachlaß ein Titel gegen den Vollstrecker unerläßlich ist (§§ 748 ZPO, 2213 B G B : entweder Leistungstitel gegen den Vollstrecker, oder Leistungstitel gegen den Erben und Duldungstitel gegen den Vollstrecker). Einen solchen Titel kann sich wohl der Nachlaßgläubiger (§ 2213 1 . m ) verschaffen, nicht aber der Eigengläubiger. Macht also Egon Heidenreich weiter Schulden, so ist seinen Gläubigern der Zugriff auf die Substanz seines Erbteils durch die Testamentsvollstreckung entzogen. Sie können sich nur an die (nicht zum Nachlaß, sondern zum freien Vermögen des Erben gehörenden) Nutzungen halten. Eine Vollstreckungssperre führt auch die Nacherbeinsetzung herbei. Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung über eine Vorerbschaftsmasse zugunsten von Eigengläubigern des Vorerben sind nämlich beim Eintritt des Nacherbfalls unwirksam, ohne Unterscheidung zwischen gewöhnlicher und befreiter Vorerbschaft. Praktisch wird das so durchgeführt, daß dem Nacherben gegenüber der Versteigerung oder Überweisung (nicht gegenüber der Pfändung!) eine Widerspruchsklage zusteht (§§ 2 1 1 5 , 2 1 3 6 B G B , 773 ZPO, vgl. 128 KO). Macht der Nacherbe hiervon Gebrauch,

Notar — Enterbung in guter Absicht

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so bleibt dem Eigengläubiger wiederum nur die Vollstreckung in die Nutzungen, die unbeschränkt pfändbar sind ( R G 80, 7). Für den besonderen Fall der exheredatio bona mente sieht § 863 Z P O ein Vollstreckungsprivileg dahin vor, daß hier dem Schuldner der „standesmäßige", nicht bloß der notdürftige Unterhalt für sich und die Seinen verbleibt. Gilt das auch dann, wenn dem Schuldner (wie in unserem Falle) in den Formen des § 233 8 B G B mehr als sein Pflichtteil hinterlassen ist? Wortlaut und Aufbau des Gesetzes lassen die Enterbung in guter Absicht als eine gegen den Pflichtteilsberechtigten gerichtete Maßnahme erscheinen, bei welcher ihm nur gerade sein Pflichtteil zugewandt werden darf. Aber die Rechtsprechung wendet § 863 Z P O ohne Rücksicht auf die Höhe der gemäß § 2338 B G B beschwerten Zuwendung an ( R G 85, 347), so daß die Beschränkung eigentlich weniger den Sohn als vielmehr seine Gläubiger trifft. Die für die Anordnung vorgeschriebene Form ist gewahrt. Wie bei gänzlicher Entziehung des Pflichtteils, muß auch bei Enterbung in guter Absicht der „ G r u n d der Anordnung" im Testament angegeben werden (§§ 2 3 3 6 1 1 , 2 3 3 8 1 1 S. 1). Dabei braucht der Erblasser nicht die „Familienschande" in aller Ausführlichkeit im Testament kundzutun, sondern es genügt Wiederholung der Gesetzesworte. R G 95, 24. Als Nacherben sind in § 5 Abs. b des Testaments Egons gesetzliche Erben schlechthin, also einschließlich einer etwaigen Ehefrau, ernannt; die Beschränkung auf seine Kinder oder Geschwister hätte gegen § 2 3 3 8 1 S. 1 verstoßen („dessen gesetzliche Erben"). „ § 6. Zu meinem Testamentsvollstrecker ernenne ich in erster Linie meinen Schwiegersohn, Oberarzt Dr. Hans Mertin in Heidelberg, in zweiter meinen Sohn Hubert, in dritter den von Dr. Hans Mertin, in vierter den von meinem Sohn Hubert zu bestimmenden Nachfolger. Für den Fall, daß es hiernach an einem Testamentsvollstrecker fehlt, ersuche ich das Nachlaßgericht um die Ernennung. Der Testamentsvollstrecker hat meine letztwilligen Anordnungen zur Ausführung zu bringen und die Erbteile meiner Enkelin A.gnes Dabimann sowie meines Sohnes Egon gemäß §§4, 5 zu verwalten. Er ist befugt, in Ausführung der Testamentsvollstreckung Rechtsgeschäfte mit sich selbst vorzunehmen. Die Vergütung des Testamentsvollstreckers darf nicht mehr als 5% (i.W.) der Jahresnutzungen der zu verwaltenden Erbteile betragen. Die von mir selbst ernannten Testamentsvollstrecker haben keine Vergütung, sondern lediglich Ersatz ihrer Auslagen zu beanspruchen." Gegen die Ernennung des Miterben Hubert Heidenreich und des Ehemanns der Miterbin Frau Mertin zu Testamentsvollstreckern besteht kein Bedenken. Völlige Uninteressiertheit des Vollstreckers wird nicht verlangt. Als unzulässig gilt es aber, den Alleinerben oder alleinigen Vorerben zum (Allein-)Vollstrecker zu machen. R G 61, 1 3 9 ; 77, 177. — Ernennung der Nachfolger durch den früheren Vollstrecker oder das Gericht: §§ 2198—2200 B G B , §§ 80, 81 F G G . Heidenreich hatte dem Notar zunächst vorgeschlagen, er solle sich in dem von ihm aufzunehmenden Testament als Testamentsvollstrecker ernennen lassen. Das wäre nach § 223 5 1 BGB unzulässig gewesen. Hat bei einem Rechtsgeschäft unter Lebenden oder von Todes wegen als Urkundsperson (Richter, Protokollführer, Notar, zweiter Notar, Zeuge) ein „Beteiligter" oder naher Angehöriger eines Beteiligten mitgewirkt, so ist der ganze Akt nichtig. Erhält die Urkunde Verfügungen „zugunsten" solcher Personen, bzw. werden sie im Testament „bedacht", so beschränkt sich die Nichtigkeit auf die in Betracht kommende Einzelverfügung oder Zuwendung. §§ 170/1 FGG, 2234/5 BGB; vgl. auch § 16 BNotO. Eine Vollmacht auf sich selbst darf der Notar beurkunden, wenn die Vollmachtserteilung lediglich die Macht, für einen anderen zu handeln, begründet, ohne daß eine sonstige Verbesserung seiner wirtschaftlichen oder rechtlichen Lage daraus hervorgeht. Das wäre aber z. B. der Fall bei der Beurkundung einer Prozeßvollmacht oder einer Vollmacht zur Vermögensverwaltung. Denn hier liegt in der Regel eine entgeltliche Geschäftsbesorgung zugrunde (RG 121, 50; 155, 172; Oberneck, JW 1928, 2138). Zulässig ist hiernach die Bevollmächtigung des Notars zur Beschaffung

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Notar — Ungehorsamsklausel

und Entgegennahme der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zu einem von ihm beurkundeten Rechtsgeschäft und zu ihrer Mitteilung an den anderen Vertragsteil nach § 1829 BGB. Es soll sogar eine Amtspflichtverletzung des Notars sein, wenn er die Beteiligten über diese Möglichkeit, die Herbeiführung der Wirksamkeit des Geschäfts sicherzustellen, nicht belehrt hat (BGH N J W 1956, 259; dazu kritisch Weber, DNotZ 1956, 285).

Das Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) ist auf den Testamentsvollstrecker entsprechend anzuwenden. Denn wenn er auch nicht Vertreter des Erben ist, so handelt er doch mit Wirkung für und gegen den Erben als Träger des ein Sondervermögen bildenden Nachlasses. Die Wirkungen seiner rechtsgeschäftlichen Betätigung gleichen also denen der unmittelbaren Stellvertretung. Das Selbstkontrahieren ist aber zulässig, wenn der Erblasser es — wenn auch stillschweigend — gestattet hat und der Testamentsvollstrecker in ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses (§ 2216 1 ) handelt. Eine Gestattung in diesem Umfange wird in der Regel bei Bestellung eines Testamentsvollstreckers anzunehmen sein, der zugleich Miterbe ist (BGHZ 30, 67; von Lübtow, J Z i960, 151). Der Miterben-Testamentsvollstrecker kann also die Auseinandersetzung bewirken und sich selbst Nachlaßgegenstände zuteilen (RG 61, 145; K G J F G 12, 202; 21, 240). Überschreitet er jedoch die Grenzen ordnungsmäßiger Verwaltung, dann ist das Insichgeschäft unwirksam. § 7. Sechs Monate nach meinem Tod sind folgende Vermächtnisse zu zahlen: a) 3000 D M (i.W.) an die evangelische Kirchengemeinde in Buchwald, b) 2000 D M (i.W.) an den Gutsinspektor Fritz Lebbin daselbst. Die durch das Vermächtnis zu b entstehende Erbschaftssteuer hat mein Nachlaß zu tragen."

Da Heidenreich den eigentlichen Steuerschuldner des Lebbinschen Vermächtnisses, nämlich den Erwerber (§ 15 1 ErbStG), von der Steuerlast befreit hat, wird der Vermächtnisnehmer auch um den Betrag der Steuerschuld bereichert. § 1 2 1 bestimmt jedoch ausdrücklich, daß eine Erhöhung der Erbschaftssteuer durch Auflage der Steuer an die Erben nicht eintritt. Übernimmt hingegen bei einer Schenkung unter Lebenden der Schenker die Zahlung der Schenkungssteuer, so ist der Betrag der Steuer als Erhöhung der Schenkung aufzufassen und mit zu versteuern (§ 12 1 1 ). Das Vermächtnis an die Kirche ist erbschaftssteuerfrei (§ 18 19 ). „ § 8. Wer von meinen Erben dieses Testament nicht anerkennt und im Prozeßwege etwas anderes oder mehr fordert, als ihm nach meinem letzten Willen zusteht, erhält nur seinen Pflichtteil und muß sich auf diesen sowie auf seinen Erbteil anrechnen lassen, was anrechnungsfähig ist, während den übrigen Erben nur die ihnen gewährten Ausstattungen angerechnet werden. Ich bemerke dazu, daß meine Töchter Emma und Elfriede von mir bei ihrer Verheiratung je 60000 D M als Ausstattung erhalten haben. Ferner habe ich für meinen Sohn Egon in den Jahren 1956 und 1958 Schulden im Gesamtbetrage von 22000DM bezahlt und dabei bestimmt, daß die Zahlungen auf seinen Erbteil und seinen Pflichtteil anzurechnen sind. Die in § 5 für den Erbteil meines Sohnes Egon gegebenen Anordnungen gelten aus den dort angegebenen Gründen auch für den hiernach ihm zugewandten Pflichtteil. z. Z. Lichterfelde, den 4. Oktober i960 Ferdinand Heidenreich"

Die „Ungehorsamsklausel" geht in der Beschränkung des Pflichtteilsrechts bis zum äußersten Maß des gesetzlich Zulässigen, um jede Auflehnung gegen den letzten Willen des Erblassers im Keim zu ersticken. Der Pflichtteil eines Abkömmlings beträgt die Hälfte dessen, was dem Abkömmling unter Berücksichtigung der Ausgleichung als gesetzlicher Erbteil zukäme (§ 2316 r BGB). Während aber die Ausgleichung nach §§ 20 50 f. vom Erblasser sowohl ausgeschlossen oder eingeschränkt, wie auch erweitert werden kann, sind dem freien Willen des Testators Grenzen

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Notar — Testamentsregistratur

gezogen, soweit Pflichtteilsrechte in Betracht kommen. Nach § 2 3 1 6 1 1 1 dürfen Ausstattungen (§ 2 0 5 0 d i e ein anderer empfangen hat, niemals zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten von der Ausgleichung ausgeschlossen werden, dagegen ist das bei den Vorempfängen des § 205o11» 1 1 1 möglich. Um den Zweck der Beschränkung des Egon voll zu erreichen, wird es notwendig sein, daß Frau Heidenreich in entsprechender Weise testiert. Hätte übrigens der Erblasser sein Testament lediglich im Hinblick auf die pflichtteilsrechtliche Stellung Egons abgefaßt, so würde er seiner Frau weder das Nachlaßviertel noch die Lebensversicherung zugewandt, sondern sie zur Nießbraucherin oder Vorerbin eingesetzt haben. Dann wäre nämlich bei ihrem Tod Egons Pflichtteilsanspruch bloß von ihrer Mitgift und etwaigem sonstigen Eigenvermögen zu berechnen, während Egon jetzt (vorausgesetzt, daß in der Hand von Frau Heidenreich keine Verringerung des Vermögens eintritt) auch von dem auf sie vererbten Viertel des väterlichen Nachlasses und der Versicherungssumme nochmals den Pflichtteil fordern kann. — Testamente werden aktenmäßig ganz anders behandelt als Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Der Notar legt nach § 2246 die Urschrift des Protokolls und die übergebene Schrift in Gegenwart des Erblassers und der Zeugen in einen Briefumschlag, der mit dem Amtssiegel verschlossen und mit einer Aufschrift nach dem amtlichen Muster der Anlage 1 zur A V vom 15. Juni 1939 (DJ 1078) zu versehen ist, die der Notar unterschreibt. Zu seiner Urkundensammlung nimmt der Notar folgendes Vermerkblatt (§ 1 6 » DOfN): „ N r . 5 4 3 / 1 9 6 0 der U r k u n d e n r o l l e Vermerkblatt über die Errichtung einer Verfugung von Todes wegen Der Rittergutsbesitzer Ferdinand Heidenreich, wohnhaft in Buchwald Kreis Münsterberg, hat am 4. Oktober i960 vor mir durch Ubergabe einer offenen Schrift die unten näher bezeichnete Verfügung von Todes wegen errichtet. Ich habe als Zeugen zugezogen: 1. den Referendar Dr. Lotbar Junghans in Lichterfelde, 2. die Krankenpflegerin Fräulein Martha Winkler in Lichterfelde. Grund der Zuziehung: Um eine Anzweifelung der Testierfähigkeit des Erblassers, der krank zu Bett lag, auszuschließen. Die Aufschrift des das Protokoll enthaltenden Umschlags, den ich in Gegenwart des Erblassers (und der übrigen mitwirkenden Personen) mit dem Amtssiegel versiegelt habe, lautet: (folgt die Aufschrift des Umschlags) Die Urkunde habe ich auf Verlangen des Erblassers am 4. Oktober i960 bei dem Amtsgericht in Münsterberg zur besonderen amtlichen Verwahrung eingereicht. Lichterfelde, den 4. Oktober i960 Justus Siegel, Notar." (Kostenrechnung)

Den Hinterlegungsschein (§ 2246 11 S. 2) erhält Heidenreich vom Amtsgericht in Münsterberg zugesandt. Wenn der Erblasser nicht Verwahrung in Münsterberg beantragt hätte, so hätte der Notar das Testament dem Amtsgericht Lichterfelde als Gericht seines Amtssitzes zur besonderen amtlichen Verwahrung eingereicht, welches dem Amtsgericht des Wohnsitzes des Erblassers (Münsterberg) Nachricht gegeben hätte (§ 2258a 1 Nr. 2, m > l v ) . Zur Vereinfachung des künftigen Eröflnungsverfahrens ist die Verwahrung beim Münsterberger Gericht vorzuziehen (13. Kap. „Testamentseröffnung").

480

Notar — Wechselprotest

Wechselprotest. Haftung des Notais P r ü f u n g des W e c h s e l s ,

Protestaufnahme. „Berlin-Lichterfelde,

den 9. Juli

Drei Monate a dato zahlen Sie mir gegen diesen die Summe von 950,00 DM, in Worten: neunhundertfünfzig 'S o

und stellen

Deutschen

Wert in Rechnung

Herrn Gotthard Keller in Moltkestraße

laut

Bericht. Lichterfelder Sauerkohlfabrik Hermann Essig & Co.

Berlin-Steglitz, 20,

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Schillerstraße

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Wechsel

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Falls bei Herrn Karl Borger in Berlin-Steglitz,

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1960.

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Keller ist stadtbekannt unter Hinterlassung einer großen Schuldenlast flüchtig geworden, Borger in Konkurs geraten. Der Wechsel geht am i z. Oktober i960, einem Mittwoch, v o n der Landesproduktenhandlung Riewer zur Protesterhebung ein. Das Papier ist ein „Dato-Wechsel" (Art. i 4 WG) „an eigene Order" (Art. 51) mit einer auf den Zahlungsort lautenden „Notadresse" (Art. 55, 59). Die 8 Erfordernisse des gezogenen Wechsels (Art. 1) sind gewahrt. Insbesondere genügt die Remittentenbezeichnung „zahlen Sie mir", da der Wechsel als „geborenes Orderpapier" keiner positiven Orderklausel bedarf. Die meisten Wechselformulare sagen beim Wechsel an eigene Order: „an die Order von mir selbst". Wechselsteuer: i j Pfennig für je 100 DM oder einen Bruchteil dieses Betrages (§ 8 WechsStG i.d.F. der Bek. vom 24. Juli 1959, BGB1I 536, DurchfBest. vom 2. September 1935, RGB111130 i.d.F. der Bek. vom 20. April 1960, BGBl I 274). Sie wird in Markenform entrichtet, doch entwertet die Marken der Steuerschuldner selbst ohne Mitwirkung einer Amtsperson. Statt Marken kann auch die Verwendung eines Steuerstemplers genehmigt werden (§14 DVO). Steuerschuldner ist in erster Linie der Aussteller, sobald er das Papier aus den Händen gibt, bei Blankoakzepten der Akzeptant (§§ i1- 3 , 411, 9 1 ), subsidiär alle übrigen am Wechselumlauf beteiligten Personen (§ 9 11 ). Bei Aufnahme des Wechselprotestes muß die Besteuerung geprüft werden (§ 121). Offenbar hat bei Verfall Engel gegenüber der Handelsbank, alsdann Riewer gegenüber Engel denWechsel ohne förmliche Protestaufnahme eingelöst. Jetzt will Riewer weiteren Rückgriff gegen den

Notar — Wechselmäßige Legitimation

481

Aussteller Essig nehmen, zu welchem Zwecke das „rückläufig" gewordene Papier gegen Bezogenen und Notadressaten zu protestieren ist (Art. 44, 60 WG). Die Protestfrist läuft noch: denn der Verfalltag, der 9. Oktober, fiel auf einen Sonntag, so daß der Montag der 10. „Zahlungstag" war (Art. 36 1 ,72 1 1 WG, § 193 BGB.). „Zweiter Werktag nach dem Zahlungstag" ist also der 12. Oktober (Art. 4 4 m WG)

Vor Erhebung des Protestes prüft der Notar die wechselmäßige Legitimation, seines Auftraggebers Biewer. Der im Namen eines Nichtberechtigten erhobene Protest ist nämlich nichtig (RG 114, 368), und der Notar muß die Partei vorher auf diesen Mangel aufmerksam machen (RG JW 06, 4Ö726). Wäre das letzte Giro ein Blankoindossament, so wäre Riewer ohne weiteres legitimiert (Art. 1 3 1 1 , 16 1 ). Es ist aber ein Vollindossament auf die Handelsbank, mithin ist zunächst nur die Bank aus dem Wechsel legitimiert. Nach Art. 50 11 kann Riewer, wenn er seine Nachmänner befriedigt hat, sein und seiner Nachmänner Indossamente durchstreichen. In unserem Fall genügt aber schon die Durchstreichung des Engeischen Giros, da Riewer selbst in blanco giriert hatte und er, sobald kein anderes Indossament mehr folgt, durch sein eigenes Blankoindossament in Verbindung mit dem Besitz des Papiers legitimiert wird (er könnte ja den Wechsel auf Grund seines Blankogiros über einen Zwischenmann von neuem erworben haben). Ohne besonderen Auftrag Riewers darf jedoch der Notar die Durchstreichung nicht an seiner Stelle vornehmen. Bei der Kürze der Zeit bleibt nur der Ausweg, Riewer fernmündlich anzurufen. Riewer wird angerufen, ist aber persönlich nicht zu erreichen. Erst am Nachmittag geht sein Auftrag zur Durchstreichung der beiden letzten Indossamente ein. Nunmehr durchstreicht der Notar die beiden Indossamente und begibt sich nach Moltkestraße 20, wo er weder ein Geschäftslokal noch eine Wohnung des Keller findet. In solchen Fällen holt der Notar üblicherweise eine Auskunft bei der Polizei ein, um sich gegen den Vorwurf des Verschuldens zu decken (Art. 87 1 1 1 S. 2). Dazu bleibt hier keine Zeit mehr, weil das Einwohnermeldeamt bereits geschlossen ist, und da man das Verschwinden Kellers in der Zeitung gelesen hat, trägt der Notar kein Bedenken, den Protest auf eigene Verantwortung als „Windprotest" aufzunehmen. Sollte sich später herausstellen, daß die Ermittlung Kellers durch Nachfrage bei der Polizei möglich gewesen wäre, so könnte das höchstens eine Haftung des Notars begründen, nicht dagegen der Gültigkeit des Aktes schaden (Art. 87 1 1 . n l ) . Sodann sucht der Notar kurz vor 6 Uhr, dem Schlüsse der gesetzlichen Protestzeit (Art. 86), Borger auf, um gegen die Notadresse zu protestieren (was an sich noch am 11. Oktober in besonderer Urkunde — als sog. „Kontraprotest" — hätte geschehen können, Art. 601). Borger verweist an seinen Konkursverwalter, Herrn Bender. Aber der Formalismus des Protestwesens zwingt den Notar, gegen den Gemeinschuldner persönlich zu protestieren, soweit es nach Art. 44 IV noch einer Protesterhebung bedarf. Sogar wenn der eigentliche Protestat verstorben ist, erfolgen Vorlegung und Protest nicht bei den Erben, sondern es wird lediglich im Protest bescheinigt, daß der — verstorbene — Protestat „nicht angetroffen" wurde (KG J R 1952, 70). Was wäre geschehen, wenn die Notadresse Zahlung der Wechselsumme sowie der durch den Protest gegen den Bezogenen entstandenen Kosten angeboten hätte? Die Zahlung darf nicht zurückgewiesen werden (Art. 61, 84). Wechsel und Protest sind mit einer Bescheinigung, daß die Zahlung ehrenhalber geleistet wurde, dem Notadressaten auszuhändigen, der damit iii die Rechte des Wechselinhabers gegen den „Honoraten", dessen Vormänner und Akzeptanten eintritt (Art. 62, 63). Honorat ist im Zweifel der Aussteller (Art. 621 S. 2). Hätte also Borger gezahlt, so würden ihm 31

L u x , Schulung. ;.Aufl. (Jansen)

482

Notar — Notadresse. Windprotest

Keller und Essig — nicht auch etwaige zwischen Essig und Riewer stehende Wechelverpflichtete — wechselmäßig haften. Dadurch unterscheidet sich die Ehrenzahlung von der Zahlung eines Domiziliaten (Art. 4), welche alle Wechselverbindlichkeiten tilgt und dem Domiziliaten einen Anspruch gegen den Bezogenen nur aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis verschafft. Will ein als Domizil bezeichneter Bankier den Wechsel einlösen, ohne Deckung zu haben (wozu er wechselmäßig nicht verpflichtet ist), so tut er es zweckmäßig ausdrücklich als intervenierender Ehrenzahler.

Protesturkunde. A k t e n v e r m e r k . Während alle bisher dargestellten notariellen Urkunden rechtsgeschäftliche Erklärungen betrafen, ist der Protest Urkunde über einen tatsächlichen Vorgang, nämlich der Protest mangels Zahlung darüber, daß der protestierende Beamte das Papier dem Bezogenen erfolglos zur Zahlung vorgelegt (normaler Protest) oder daß er ihn nicht angetroffen hat („Wandprotest") oder daß seine Geschäftsräume oder seine Wohnung sich nicht haben ermitteln lassen („Windprotest"). Vgl. Art. 802. Die Formerfordernisse der Protesturkunde und ihre aktenmäßige Behandlung werden nicht durch das F G G , sondern durch Art. 79—88 WG geregelt und weichen von denen der Urkunden über Rechtsgeschäfte wesentlich ab. Namentlich bedarf es keiner Vorlesung, Genehmigung und Unterzeichnung durch die Beteiligten, und die Urschrift wird nicht zu den Notariatsakten genommen. Der Notar setzt den Protest, weil auf der Rückseite des Wechsels nicht mehr genügender Platz ist, auf ein mit dem Wechsel verbundenes Blatt („Allonge") in nachstehender Fassung: „Diesen Wechsel, auf welchem die Indossamente von Eduard Riemer und Rudolf Engel durchstrichen waren, habe ich heut im Auftrag des Herrn Eduard Riewer, Landesproduktenhandlung in Berlin-Steglitz, dem Herrn Gottfried Keller in Berlin-Steglitz zur Zahlung vorzulegen versucht, jedoch weder seine Geschäftsräume noch seine Wohnung ermitteln können. Sodann habe ich den Wechsel im gleichen Auftrag dem Herrn Karl Borger in Berlin-Steglitz vergeblich zur Zahlung vorgelegt. Protest-Nr. 75 für i960.

Berlin-Lichterfelde, den 12. Oktober i960.

Kostenrechnung 1 ):

fustus Siegel, Notar.

Siegel, Notar."

Das Dienstsiegel wird auf die Verbindungsstelle von Wechsel und Allonge gedrückt (Art. 8 i m ) . Daß der angetroffene Notadressat Borger den Notar an seinen Konkursverwalter verweisen wollte, gehört nicht in den Protest. Ebensowenig die üblichen Erklärungen zahlungsunfähiger Akzeptanten: „die Sache wird geregelt werden", „Deckung ist nicht eingegangen" u. dgl. Als Ortsangabe genügt „Berlin-Steglitz" ohne Straße und Hausnummer, denn unter „Ort" im Sinn des Art. 803 ist lediglich die Ortschaft zu verstehen (RG 85, 299). Andrerseits verlangt der Windprotest die Bescheinigung, daß der Protestat in der angegebenen Ortschaft, also nicht bloß unter der angegebenen Adresse, unauffindbar war (RG 126, 1). Die aktenmäßige Behandlung erinnert an die vom Notar entworfenen und beglaubigten Urkunden (S. 429). Die Protesturschrift erhält mit dem Wechsel, auf dem sie steht, der Auftraggeber. Zurückbehalten werden beglaubigte Abschrift des Protestes und ein Vermerk über den Inhalt des Wechsels (Art. 8 5 n ), welche aber, statt in die allgemeinen Notariatsakten, in die „Protest-Sammelakten" geheftet werden. Demgemäß werden Proteste nicht in die allgemeine Urkundenrolle eingetragen, vielmehr unter sich fortlaufend gezählt (§20 DOfN). In unserem Fall lautet das Blatt der ProtestSammelakten: Wegen der Gebühren vgl. § 50 KostO.

483

Notar — Protest und Registratur „Protest-Nr. 7 j für i960. Beglaubigte Abschrift. Diesen Wechsel, auf welchem die Indossamente (folgt der Wortlaut des Protestes bis:) Protest-Nr. 75 für i960.

Berlin-Lichterfelde, den 12. Oktober i960.

Kostenrechnung:

(gez.) Justus Siegel, Notar.

(gez.) Siegel, Notar. Vorstehende Abschrift stimmt mit der Urschrift wörtlich überein. Der Wechsel ist mit 1,50 D M Wechselsteuer versteuert. Wechsel und Protest sind dem Auftraggeber Riemer übersandt. Berlin-Lichterfelde, den 13. Oktober i960 (Si egel)

Justus Siegel, Notar. Vermerk:

1. 2. 3. 4.

Betrag des Wechsels: Fälligkeit: Ort und Zeit der Ausstellung: Aussteller:

950 D M . 9. Oktober i960. Berlin-Lichterfelde, den 9. Juli i960. Lichterfelder Sauerkohlfabrik Hermann Essig T I 4) und von der Mutter allein ausgeübt werden (§ 16781). Ist die Mutter verstorben, so wird dem Kinde nach der Regel des § 17731 ein Vormund bestellt. Entmündigung.

Vormundschaft über

„Amtsgericht. Geschäftsnummer: 4 E 6/60.

Volljährige. Lichterfelde, den 18. Juni 1961.

In der Her%ogschen Entmündigungssache hat das Amtsgericht beschlossen: Der Kaufmann und Ingenieur Bruno Herzog in Lichterfelde wird wegen Verschwendung entmündigt. Der Antrag auf Entmündigung wegen Geistesschwäche wird abgelehnt. Der Beschluß ist dem Entmündigten am 16. Juni 1961 Zugestellt worden. Hiervon wird gemäß §§ 660, 683 ZPO zu den Akten 6 H VII 5693 Mitteilung gemacht. An Auf richterliche Anordnung: das Amtsgericht XJrkund hier. Justizsekretär." G e g e n den Beschluß haben, weil der A n t r a g teilweise abgelehnt ist, Antragstellerin und Staatsanwalt die sofortige Beschwerde, B r u n o H e r z o g Anfechtungsklage innerhalb eines Monats (keine Notfrist!). § § 6 6 3 , 664, 684. D i e Wirksamkeit der E n t m ü n d i g u n g ist v o n ihrer Unanfechtbarkeit unabhängig, sie tritt (entsprechend der v o r läufigen V o r m u n d s c h a f t , oben S. 550) mit der Zustellung an den E n t m ü n d i g t e n ein; nur bei einer E n t m ü n d i g u n g w e g e n Geisteskrankheit tritt die W i r k u n g mit der Z u stellung an den gesetzlichen Vertreter oder mit der Bestellung des V o r m u n d e s ein. §§ 6 6 1 , 6 8 3 " S. 1 . D i e „ v o r l ä u f i g e V o r m u n d s c h a f t " w i r d nunmehr in eine endgültige „ V o r m u n d schaft über V o l l j ä h r i g e " (§§ 1 8 9 6 f . B G B ) übergeleitet. N a c h § 1899 ist die Mutter Helene H e r z o g als V o r m u n d „ b e r u f e n " ; w i r d sie bestellt, so hat sie k r a f t Gesetzes die Stellung eines befreiten V o r m u n d s . §§ 1 9 0 3 , 1904. D a s Gericht kann nach seinem Ermessen die E h e f r a u des Mündels vorziehen (§ 1900), doch gehört die E h e f r a u nicht zu den „ b e r u f e n e n " Personen, w i r d auch nicht befreiter V o r m u n d . W o r i n b e s t e h e n die B e s o n d e r h e i t e n d e r b e f r e i t e n V o r m u n d s c h a f t ? 1. Es wird kein Gegenvormund bestellt. § 18521. 2. Die Inventarisierungspflicht aus § 1802 wirdnicht berührt. Dagegen tritt an Stelle der Rechnungslegung die Einreichung von „Übersichten über den Bestand des Vermögens" in Zeitabschnitten von 2 bis 5 Jahren. § 1854. Natürlich prüft das Vormundschaftsgericht diese Ubersichten und vergleicht sie mit der vorangegangenen Übersicht. Fallen dabei Veränderungen auf, so fragt man bei dem Vormund an, der nach § 1839 Aufklärung geben muß. Dem Mündel gegenüber ist der befreite Vormund wie ein anderer Vormund zur Rechenschaftslegung verpflichtet, so daß er schon aus diesem Grund bis zur endgültigen Entlastung alle Belege aufzubewahren hat. 3. Die Pflicht zur mündelsicheren Geldanlegung besteht grundsätzlich. Nach § 1811 (oben S. 514) kann das Gericht eine anderweitige Anlage gestatten. Beruht die befreite Vormundschaft auf testamentarischer Anordnung, so kann außerdem der Vater gleichzeitig Bestimmungen über die Geldanlegung treffen, die von den Grundsätzen der Mündelsicherheit abweichen; hiernach hat sich dann — soweit es sich um das vom Vater vererbte Vermögen handelt —• der Vormund zu richten. § 1803. 4. Keine Sperrpflicht für Sparkassengelder und Wertpapiere. §§1852!!, 1853. 5. Die Rechtsgeschäfte der §§ 1812/3 (Gruppe 3 der Einteilung oben S. 522) sind genehmigungsfrei. Die Genehmigungspflicht bleibt immer noch recht lästig. Z. B. bedarf der befreite Vormund zu Geschäften, die im Betrieb eines kaufmännischen Geschäfts alltäglich sind, wie Aufnahme von Geld auf den Kredit des Mündels, Wechselzeichnung, Bürgschaft, Vergleich über 300 DM, der Genehmigung. § 18228. 9 . l 0 . l a . Der Vormundschaftsrichter hat aber die Möglichkeit, dem Vormund gemäß § 1825 eine allgemeine Ermächtigung zu erteilen. Das wird insbesondere in Betracht kommen, wenn zum Mündelvermögen ein Geschäft gehört. Auch kann der Vormund einen Prokuristen bestellen, der dann auf Grund seiner Prokura das Geschäft selbständig führen kann. Die Erteilung der Prokura selbst ist genehmigungspflichtig (§ 182211), vgl. dazu 15. Kap. „Einzelfirma".

Vormundschaftsgericht — Gebrechlichkeitspflegschaft

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Alle Befreiungen können, wenn sie zu einer Gefährdung des Mündels führen, vom Vormundschaftsgericht außer Kraft gesetzt werden (§ 1857). Die befreite Vormundschaft zufolge testamentarischer Anordnung ist durch die Testamentsvollstreckung fast völlig aus dem Rechtsleben verdrängt (S. 476). Gesetzlich befreit ist, außer Vater und Mutter als Vormund über ihr entmündigtes volljähriges Kind, das Jugendamt als (gesetzlicher oder bestellter) Amtsvormund. Oben S. 499. G e b r e c h l i c h k e i t s p f l e g s c h a f t : Die auf § 1 9 1 0 1 1 beruhende ziemlich häufige Gebrechlichkeitspflegschaft über Geisteskranke findet ihre Grundlage nicht in einer schwebenden oderabgeschlossenen Entmündigung. Zum Unterschied von vorläufiger Vormundschaft und Entmündigung führt sie keine Minderung der Geschäftsfähigkeit des Pflegebefohlenen herbei, dessen rechtsgeschäftliche Handlungen vielmehr gültig bleiben, soweit nicht im Einzelfall die tatsächlichen Voraussetzungen der §§ 104 2 , 1 0 5 1 1 vorliegen. Daraus folgt, daß die Gebrechlichkeitspflegschaft sich nur für solche Fälle eignet, in denen die Gefahr der Vornahme unvernünftiger Rechtsgeschäfte durch den Kranken praktisch nicht besteht, vielmehr lediglich eine Person gebraucht wird, die einwandfrei wirksame Erklärungen in seinem Namen abgeben kann. Z. B. der Geisteskranke, dem wegen seiner dauernden Invalidität eine Rente zusteht, ist in der Irrenanstalt untergebracht. Der Fürsorgeverband will zur teilweisen Deckung seiner Kosten die Rente haben und läßt den Pfleger bestellen, damit er die Rente bei der Landesversicherungsanstalt abhebt und den Betrag namens des Pflegebefohlenen an den Fürsorgeverband abfuhrt. Oder der Kranke soll einem Vertrag beitreten, es soll ein Prozeß in seinem Namen geführt werden u. dgl. mehr. Zu Passivprozessen bedarf es der Einleitung einer Pflegschaft nicht, weil hier der Vorsitzende des Prozeßgerichts einen Prozeßvertreter bestellen kann ( § 5 7 ZPO). Demgemäß wechselt der Aufgabenkreis des Pflegers von Fall zu Fall. Damit nicht geistig Gesunde mit Hilfe des § 1 9 1 0 I 1 B G B ohne die gesetzlichen Garantien des Entmündigungsverfahrens unter die Gewalt eines familienrechtlichen Vertreters gestellt werden können, wird die Einleitung der Pflegschaft davon abhängig gemacht, daß entweder der Gebrechliche einwilligt oder eine Verständigung mit ihm laut ärztlicher Äußerung unmöglich ist (§ 1 9 1 0 1 1 1 ) . Aus demselben Grunde ist eine Totalpflegschaft (für alle persönlichen und Vermögensangelegenheiten) auf Grund des § 1 9 1 0 1 1 unzulässig. Vgl. Jansen, F G G , § 38 Anm. 1 ; Beitzke, FamRZ i960, 506. Dem Pflegebefohlenen steht gegen die Anordnung der Gebrechlichkeitspflegschaft gemäß § 20 1 F G G das Beschwerderecht zu. Wer geschäftsunfähig ist, kann zwar in der Regel sein Beschwerderecht weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten wirksam ausüben (vgl. auch § 59 1 1 F G G ) . Wegen der Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht ist jedoch der Pflegebefohlene unabhängig von seinem Geisteszustand für die Beschwerde gegen die Anordnung der Pflegschaft oder für den auf ihre Aufhebung gerichteten Antrag aus § 1920 B G B als geschäftsfähig anzusehen ( K G FamRZ i960, 503 mit Anm. v. Beitzke gegen B G H Z 15, 262). Wenn ferner der Wirkungskreis des Pflegers auch eine Angelegenheit der Personensorge umfaßt, hat nach § 57 1 Nr. 9 F G G ein Beschwerderecht jeder, der ein berechtigtes Interesse hat, diese Angelegenheit des Pflegebefohlenen wahrzunehmen, insbesondere also ein naher Angehöriger. Wegen des Beschwerderechts gegen die Ablehnung oder Aufhebung der Gebrechlichkeitspflegschaft vgl. § 57 1 Nr. 3 F G G . — Ebenso wird allgemein angenommen, daß der von einer Freiheitsentziehung durch Unterbringung in einer Heilanstalt betroffene angeblich Geisteskranke nach Analogie des Entmündigungsverfahrens (•§§ 664, 675, 679 1 1 1 , 686 1 1 ZPO) in dem Verfahren nach Art. 1 0 4 " G G als prozeßfähig zu behandeln ist ( O V G Berlin, DVB1 1952, 764; BVerwG 1, 2 3 1 ; B V e r f G E 10, 306).

Pflichtteilspflegschaft

Die Nachlaßabteilung übersendet beglaubigte Abschrift des von ihr eröffneten eigenhändigen Testaments des Landwirts Hildebrand aus Lankwitz: „Mein Testament. Zu meiner alleinigen Erbin ernenne ich meine Ehefrau Ida geb. Reich. Nach dem Tode meiner Frau sollen unsere gemeinschaftlichen Kinder: 1. Ida, geboren den 7. Oktober 1947, 2. Paul, geboren den 25. März 1949, als Nacherben auf den Uberrest je die Hälfte des Nachlasses erhalten. Lankwitz, den 9. September i960. Gustav Hildebrand."

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Vormundschaftsgericht — Pflichtteilspflegschaft

Hildebrand hat, wie die Mehrzahl aller testierenden Familienväter, den Wunsch gehabt, seine Frau nicht mit dem gesetzlichen Erbteil von % abzufinden 1 ), sondern das Vermögen in ihrer Hand zusammenzuhalten. Dabei hat er das Pflichtteilsrecht der Kinder verletzt. Denn wenn auch der gesetzliche Erbteil jedes Kindes ®/8, der Pflichtteil 3 / 16 , der testamentarische Erbteil dagegen % beträgt, so ist doch der Pflichtteil sofort fällig, während die Kinder als Nacherben erst nach dem Tod der Mutter in den Besitz der Erbschaft gelangen. Wird nun einem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen, der größer ist als der Pflichtteil, aber durch Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnungen, Einsetzung von Nacherben oder dadurch, daß der Pflichtteilsberechtigte erst als Nacherbe hinter einem Vorerben berufen ist, beschränkt oder durch Vermächtnisse und Auflagen beschwert ist, so gewährt § 2306 1 S. 2, Abs. II B G B dem Pflichtteilsberechtigten ein Wahlrecht (sog. „cautela Socini"): er kann entweder den testamentarischen Erbteil mit der Beschränkung — hier: das Nacherbrecht — annehmen, oder aber den Erbteil ausschlagen und den Pflichtteil fordern. Im ersten Fall sind keine besonderen Handlungen vorzunehmen. Im zweiten müssen die Ausschlagungsfrist für das Nacherbrecht und die Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch gewahrt werden. Die sechswöchige Ausschlagungsfrist beginnt für die Geschwister Hildebrand nicht vor dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge, d. i. dem Tod der Mutter (§§ 1944, 2139), unbeschadet ihres Rechts, die Erbschaft schon vom Erbfall, d.h. vom Tode des Vaters, an auszuschlagen (§ 2142 1 ). Die dreijährige Pflichtteils verjährung beginnt schon vor der Ausschlagung des Nacherbrechts (§ 2332 1 1 1 ). Da aber der Pflichtteilsanspruch der Kinder sich gegen die eigene Mutter als Erbin richtet, ist die Verjährung bis zur Volljährigkeit gehemmt (§ 204 S. 2). Ein Rechtsverlust kann also den Kindern vorläufig nicht entstehen. Dagegen sind tatsächliche Schädigungen der Kinder durch schlechte Wirtschaft der Witwe oder absichtliche Benachteiligung denkbar, besonders wenn sie sich wieder verheiratet und unter den Einfluß eines Mannes gerät, der die Kinder verkürzen will. Denn abweichend von vielen ähnlichen Testamenten hat Hildebrand die Wiederverheiratung der Witwe nicht als Nacherbfall ihrem Tode gleichgestellt. Der Vormundschaftsrichter steht daher vor der Frage, ob er den Kindern gemäß den §§ 1 6 8 1 1 , 1 6 2 9 1 1 S. 2,1796, 1909 einen vom Jugendamt vorzuschlagenden Pfleger bestellen soll (Ergänzungspflegschaft). Auf die Pflichtteilsverjährung wäre die Pflegerbestellung ohne Einfluß, da § 204 nicht auf die gesetzliche Vertretung des einen Beteiligten durch den andern, sondern auf das Eltern- und Kindesverhältnis und die Minderjährigkeit abstellt. Die Bestellung eines Pflegers nach § 1909 setzt voraus, daß der Mutter die elterliche Gewalt für diese Angelegenheit gemäß § 1796 entzogen worden ist. Diese Entziehung soll nur erfolgen, wenn das Interesse des Kindes zu dem der Mutter in einem erheblichen Gegensatz steht. Das ist aber nur der Fall, wenn die Verfolgung des Pflichtteilsanspruchs geboten ist. Diese Prüfung hat somit der Vormundschaftsrichter selbst vorzunehmen und darf sie nicht dem Pfleger überlassen ( K G O L G 14, 273; K G J W 1936, 2748). Es gibt also grundsätzlich keinen „Überlegungspfleger". Solange nach dem Ergebnis der Ermittlungen die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß die Erhebung des Pflichtteilsanspruchs nicht im Interesse der Kinder liegt, fehlt es an einem Interessenwiderstreit und an einer Grundlage für ein Einschreiten gegen die Mutter. Dabei ist zu bedenken, daß im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern der die Beziehungen zu fremden Personen beherrschende wirtschaftliche GeOder 1 / 2 , falls die Eheleute im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben (§§ 1 9 3 1 1 1 1 , 1 3 7 1 1 ) . In diesem Fall reduziert sich der Erbteil der beiden Kinder auf je 1 j i , ihr Pflichtteil mithin auf je 1 / 8 (Bosch, FamRZ 1960, 96).

Vormundschaftsgericht — Fälle der Pflichtteilsverkürzung

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sichtspunkt, eine bestehende Forderung auch geltend zu machen, nicht unbedingt in den V o r d e r g r u n d gestellt zu werden braucht (daher die Vorschrift des § 204 B G B ) , vielmehr auch der ideelle Gesichtspunkt der Einheit und des Zusammenhalts der Familie Beachtung verdient ( K G J F G 1 3 , 1 8 7 ; J W 1 9 3 7 , 2205). F ü r die Entscheidung, ob die K i n d e r überhaupt ein Interesse an der Feststellung, Sicherung oder Auszahlung des Pflichtteils haben, kommt es somit darauf an, ob die Mutter das durch das Testament in sie gesetzte Vertrauen des Erblassers nach Charakter, Wirtschafts- und Lebensführung verdient oder ob die Besorgnis besteht, daß der Bestand des Nachlasses durch ihr Verhalten gefährdet werden könnte. U m sich hierüber ein Bild zu machen, hört das Vormundschaftsgericht nach § 1695 B G B die Mutter sowie Verwandte und Verschwägerte des Kindes. — N a c h P r ü f u n g der V e r hältnisse kommt der Richter zu dem Ergebnis, daß zur Ausschlagung des N a c h erbenrechts und zur Inanspruchnahme des Pflichtteils kein Anlaß besteht. Soll nun eine Pflegschaft zur Ausübung der den Nacherben zustehenden sehr bescheidenen Kontrollrechte (§§ 2 H 3 1 1 , 2 1 1 5 , 2120/2, 2136 B G B , dazu § 773 ZPO, § 128 K O ) angeordnet werden? Auch eine solche bloße Beobachtungspflegschaft ist nicht statthaft ( K G R J A 10, 103; 16, 1 0 ; BayO b L G Recht 1913 Nr. 66). Denn § 1909 erfordert eine bestimmte für das Kind zu besorgende Angelegenheit. Zur Geltendmachung des den Kindern gegen die Mutter als Vorerbin zustehenden Anspruchs aus § 2121 B G B auf Vorlegung eines Verzeichnisses der zur Erbschaft gehörenden Gegenstände ist das nicht erforderlich, denn die Mutter hat schon nach § 1682 B G B dem Vormundschaftsgericht ein Verzeichnis des ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögens der Kinder, wie es beim Tode des Vaters vorhanden war, einzureichen. In dieses Verzeichnis sind auch die Gegenstände aufzunehmen, die zu der zunächst der Mutter als Vorerbin angefallenen, später aber den Kindern als Nacherben herauszugebenden Erbschaft gehören ( R G 65, 142). Das Vormundschaftsgericht hat auch genügend Machtmittel, die Vorlegung des Verzeichnisses notfalls zu erzwingen. Ist das Verzeichnis ungenügend, so kann es anordnen, daß es durch die Zuständige Behörde (Dorfgericht, Gerichtsvollzieher) oder einen Notar aufgenommen wird (§ 1682 1 1 ). E s kann auch ein Ordnungsstrafverfahren nach § 33 F G G einleiten. Die Einleitung einer Pflegschaft mit dem gleichen Ziel erübrigt sich daher regelmäßig, es sei denn, daß das Nacherbrecht der Kinder ersichtlich gefährdet erscheint ( K G in E J F A l l Nr. 1). W i e v e r h ä l t s i c h das V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t b e i a n d e r e n h ä u f i g e n teilsverkürzungen Minderjähriger ?

Pflicht-

1 . Der Vater hat die Frau zur Alleinerbin ernannt, ohne die Kinder überhaupt zu bedenken. Hier haben die Kinder den gewöhnlichen Pflichtteilsanspruch aus § 2303 B G B . Der Anspruch ist sofort fällig; da er aber der elterlichen Verwaltung und Nutznießung der Mutter unterliegt, besteht (abgesehen von § 1667) kein Grund, etwa zur Herbeiführung der alsbaldigen Auszahlung und gesonderten Anlegung eine Pflegschaft durchzuführen. Hält der Vormundschaftsrichter eine Sicherstellung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Ergebnis seiner Ermittlungen für angebracht, so bestellt er einen Pfleger, der sich jedoch lediglich über die Höhe des Pflichtteils mit der Mutter einigt, damit die Kinder nicht den später schwierigen Beweis der Höhe des Nachlaßwertes erbringen müssen. Die vertragsmäßige Feststellung des Pflichtteilsanspruchs bedarf vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung (§§ 1812, 1822 2 . 1 2 ). Alsdann wird die Pflegschaft wieder aufgehoben, und die festgestellten Pflichtteilsansprüche treten unter die Verwaltung der Mutter zurück. 2. Der Vater ernennt die Kinder zu Erben, die Frau zum Testamentsvollstrecker mit dauernder Verwaltungsbefugnis (oder umgekehrt die Frau den Mann zum Testamentsvollstrecker über das von ihr den Kindern zugewandte Vermögen). Das geschieht z. B., wenn der überlebende Elternteil verschuldet ist, so daß man seinen Gläubigem den Zugriff abschneiden will. Die Anordnung der Testamentsvollstreckung eröffnet den Kindern die Rechte aus § 2306 1 S. 1. Ist die Mutter nicht vertrauenswürdig, so wird der zu bestellende Pfleger (mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung, § 1822 1 ) ausschlagen und den Pflichtteil beanspruchen: denn sie könnte zufolge der dem Testamentsvollstrecker eingeräumten freien Stellung die Erbrechte der Kinder aufs Schwerste schädigen. Entscheidet sich der Pfleger für die Annahme der Erbschaft, so führt das Gericht die Pflegschaft, wenn nennenswertes Vermögen vorhanden ist, weiter: der Pfleger nimmt die Interessen der Kinder bei Aufstellung des Nachlaßverzeichnisses (§ 2215)

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Vormundschaftsgericht — Deszendenzpflegschaft

•wahr, läßt sich vom Testamentsvollstrecker alljährlich Rechnung legen (§ 2218) und reicht dann Inventar und Rechnung dem Vormundschaftsgericht weiter, so daß es zu einer mittelbaren ständigen Kontrolle des Vormundschaftsgerichts kommt. 3. Der Vater setzt die Kinder zu Erben seines Nachlasses ein, hat aber sein Leben zugunsten der Frau hoch versichert. Rechtlich gehört die Versicherungssumme nicht zum Nachlaß (§§ 166 1 1 , 167 1 1 W G ) , sondern der Erwerb beruht auf einem Rechtsgeschäft unter Lebenden. Wirtschaftlich kann sie eine Art Schenkung darstellen, wenn die Prämien vom Mann bezahlt worden sind. Für die Berechnung des Pflichtteils wird zwar nicht die Versicherungssumme, wohl aber die Summe der vom Mann während der Dauer der Ehe geleisteten Prämienzahlungen gemäß § 2325 wie eine Schenkung dem Nachlaß hinzugerechnet (RG 128, 187). Hieraus kann sich eine Pflichtteilsverkürzung ergeben. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch („außerordentliches Pflichtteilsrecht") steht, ebenso wie der ordentliche Pflichtteilsanspruch, unter der elterlichen Verwaltung der Mutter, so daß die Aufgabe des Pflegers sich in der Festlegung seiner Höhe erschöpft (oben zu 1).

Deszendenzpflegschaft Gemüsegroßhändler Stenzel hat zu Erben ernannt: „die Nachkommenschaft meiner Nichte Berta Hochmuth geb. Stemel aus ihrer Ehe mit dem Gutsbesitzer Friedrieb Hochmuth in Dahmsdorf, welche beim Tode meiner Nichte vorhanden sein wird, und zwar nach Stämmen."

Beglaubigte Testamentsabschrift geht von der Nachlaßabteilung ein mit dem Bemerken, daß gegenwärtig 5 Kinder im Alter von 18, 1 1 , 9, 5 und 3 Jahren am Leben sind. Nach § 1913 muß ein Pfleger bestellt werden. Die Pflegschaft hat ihren Grund nicht, wie die bisher besprochenen, in der Minderjährigkeit oder sonstigen Schutzbedürftigkeit des Pflegebefohlenen, sondern in der Ungewißheit, wer der Beteiligte ist; sie wäre in gleicher Weise anzuordnen, wenn alle in Betracht kommenden Personen bereits volljährig wären. Die Ungewißheit folgt daraus, daß der von Stenzel zur Erbfolge berufene Personenkreis, die „Deszendenz", erst mit dem Tod der Frau Hochmuth abgeschlossen sein wird. Die vorhandenen 5 Kinder können die einzigen sein und bleiben, es können weitere Kinder geboren werden, ein Kind kann mit oder ohne Hinterlassung von Abkömmlingen vor der Mutter versterben. Bei den künftig geborenen Kindern ist wieder zu unterscheiden, ob sie beim Tod des Erblassers Stenzel bereits erzeugt waren oder nicht: im ersten Fall sind sie unmittelbar Erben (§ 1923 n ), im zweiten können sie nur Nacherben werden (§ 2108 1 ), und demgemäß wird die Einsetzung der nondum concepti in eine Nacherbeinsetzung umgedeutet. § 2 1 0 1 1 , sog. „konstruktive Nacherbfolge". Wer Erbe und wer Nacherbe und welches die Quoten jedes einzelnen sein werden, ist also noch völlig ungewiß. Das Gericht verpflichtet den vom Jugendamt benannten Amtsvorsteher Merkel in Dahmsdorf als Pfleger: „für diejenigen Abkömmlinge der Frau Berta Hochmuth geb. Stengel aus ihrer Ehe mit dem Gutsbesitzer Friedrich Hochmuth in Dahmsdorf, welche beim Tode der Frau Hochmuth vorhanden sein werden, zur Wahrnehmung der ihnen aus dem Testament des am 10. Oktober i960 verstorbenen Gemüsegroßhändlers August Stengel in Lichterfelde zustehenden Rechte."

Rechtlich wäre es zulässig gewesen, den Deszendenzvater Friedrich Hochmuth zum Pfleger zu bestellen, doch weist das Jugendamt darauf hin, daß er dem Erblasser erheblich verschuldet war. Nach mehreren Wochen reicht Merkel Vermögensverzeichnis und Sperrnachweise (§§ 1802, 1809, 1814, 1915) ein und berichtet: „Den Hauptbestandteil des Nachlasses bildet eine fällige Darlehnsforderung an Friedrich Hochmuth, die sich nach meinen Feststellungen auf 23 200 DM beläuft. Der Schuldner hat die geliehenen Beträge dem Erblasser während der letzten Jahre hoch verzinst. Irgendwelche ding-

Vormundschaftsgericht — Deszendenzpflegschaft

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liehen Sicherheiten bestehen nicht. Die Rückzahlung der Forderung oder auch nur eines größeren Teils zwecks anderweiter, und zwar mündelsicherer, Anlegung des Kapitals kommt nicht in Betracht, weil der Schuldner keine flüssigen Mittel besitzt und von anderer Seite keinen erheblichen Kredit erhalten kann. Das Verlangen nach Rückzahlung würde also dazu führen, die wirtschaftliche Existenz des Schuldners zu erschüttern und die vom Erblasser bedachten Abkömmlinge des Schuldners zu schädigen. Hochmuth hat angeboten, auf seinem Grundstück Dahmsdorf Blatt 74, welches nur mit 3500 D M belastet ist, für die Deszendenz eine mit dreimonatiger Frist kündbare Grundschuld von 23 200 D M eintragen zu lassen und mit 6% zu verzinsen. Ich halte die Grundschuld für sicher, (wird näher dargelegt) Deshalb werde ich auf den Vorschlag eingehen, wenn mir nicht vom Vormundschaftsgericht mitgeteilt wird, daß Bedenken bestehen. Merkel als Pfleger." D i e Rechtsfähigkeit des nasciturus und in noch höherem Maße die des nondum conceptus sind Erweiterungen des § 1, so daß man geneigt sein könnte, sie auf die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fälle — §§ 1 9 2 3 1 1 , 2 1 0 1 , 2 1 0 6 , 2 1 0 8 , 2109, 2 1 2 6 , 2 1 7 8 im Erbrecht, §§ 3 3 1 « , 8 4 4 " S. 2 B G B , § 3 " S. 2 HaftpflichtG, § 1 0 " S. 2 S t r V e r k G , § 2 1 1 1 S. 2 L u f t V e r k G im Schuldrecht — zu beschränken. Wenn aber für Ungeborene oder Unerzeugte als Erben oder Nacherben Rechte erworben werden können und diesen erst für die Zukunft erwarteten Rechtssubjekten, zunächst für diese Rechtsverhältnisse, eine gewisse rechtlich geschützte Stellung eingeräumt wird, so muß es auch zugelassen werden, daß zur Sicherung oder Verwirklichung ihrer erbrechtlichenBefugnisseunterLebendenRechte erworben, Verfügungengetroffenund Rechtsstreitigkeiten geführt werden. Der Annahme einer juristischen Persönlichkeit bedarf es dazu nicht (Enneccerus-Nipperdey, § 84 Fußn. 12). Deshalb ist die Bestellung der Grundschuld für die Deszendenz zulässig ( R G 6 1 , 3 5 5; 6 5, 277). Merkel wird entsprechend beschieden. Falls er später die Grundschuld abtreten, kündigen, ihren Rang ändern, Parzellen aus der Haftung entlassen oder sonstige Verfügungen treffen will, muß er die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts einholen. Wegen der häufig notwendig werdenden vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung ist die Deszendenzpflegschaft eine schwerfällige und unpraktische Einrichtung. Stenzel hätte die gerichtliche Mitwirkung verhindern können, indem er für die Zeit bis zum Tode der Frau Hochmuth die Verwaltung des Nachlasses gemäß § 2209 einem Testamentsvollstrecker übertragen hätte. — Vielfach setzt der Erblasser die Deszendenz nicht als unmittelbaren Erben, sondern als Nacherben hinter einem Vorerben (z.B. dem Vater oder der Mutter der Deszendenz) ein. Dann hat der Deszendenzpfleger keine verwaltende Tätigkeit, er übt lediglich die dem Nacherben gegenüber dem Vorerben zustehenden Rechte (S. 557) aus. Ein solcher Pfleger kommt oft in die Lage, namens der Nacherben seine Zustimmung zu grundbuchmäßigen und anderen Verfügungen des Vorerben zu geben. Die Zustimmungserklärung ist selbst „Verfügung" über das Grundstück, die Hypothek oder das sonst betroffene Recht, und als solche genehmigungspflichtig (S. 521). Da der Vormundschaftsrichter ohne sorgfältige Prüfung eine Mitverantwortung nicht übernehmen kann, verlangt er vor der Genehmigung die erforderlichen Nachweisungen oder stellt Ermittlungen aus § 1 2 F G G an. Uber die Frage, wann der Pfleger seine Zustimmung zu einem Geschäft des Vorerben erteilen, der Vormundschaftsrichter sie genehmigen darf, vgl. R G JW 1936, 38. Den hieraus sich ergebenden Schwierigkeiten hätte der Erblasser vorgebeugt, wenn er gemäß § 2222 B G B einen Testamentsvollstrecker ernannt hätte, dem lediglich die Wahrung der Nacherbenrechte der Deszendenz bis zum Nacherbfall obliegt. Der Vollstrecker aus § 2222 („Nacherben-Vollstrecker") ist, wie jeder Testamentsvollstrecker, von dem Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung befreit, weil er aus eigenem Recht handelt. D i e Pflegschaft wird so lange fortgeführt, bis der G r u n d zu ihrer Anordnung, die Unbestimmtheit des Personenkreises, beseitigt, die Deszendenz „geschlossen" ist, also bis zum T o d e der Frau Hochmuth ( § § 1 9 1 3 , 1 9 1 9 ) .

13. Kapitel

Beim Nachlaßgericht*) Sicherung des Nachlasses. Erbschaftsausschlagung. Nachlaßpflegschaft S i e g e l u n g . Die Ortspolizeibehörde meldet gemäß Art. 19 P r F G G , daß der frühere Mechaniker Peter Düring, geb. am 25.Januar 1891 in Kiel, Wohnung Westendstr. 220, am 30. Oktober i960 im Allerheiligen-Hospital verstorben und daß über seine Erben nichts bekannt ist. In der amtlichen Verwahrungsstelle des Gerichts liegt keine Verfügung von Todes wegen. Nach § i960 B G B muß das Amtsgericht des letzten Wohnsitzes als Nachlaßgericht ( § 7 3 F G G ) von Amts wegen für die Sicherung des Nachlasses sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Nach der Todesanzeige liegt Gefahr vor, daß der Nachlaß von Unbefugten beraubt werden könnte. Verfügung des Rechtspflegers: „Eilt! 1. Siegelungsauftrag an den zuständigen Gerichtsvollzieher — durch die Verteilungsstelle — mit folgendem Zusatz: Nach Auskunft des Polizeireviers soll Schuhmachermeister Gebauer, Westendstraße 220 wohnhaft, die Wohnungsschlüssel verwahren und sich im Besitz baren Geldes befinden, das ihm vom Erblasser übergeben worden ist. Die Siegelung kann unterbleiben, wenn in der Zwischenzeit volljährige Verwandte, die zu den gesetzlichen Erben gehören, den Nachlaß in Besitz genommen haben. 2. Nach 5 Tagen (Protokoll)."

In den ehemals preußischen Gebieten sind die Gerichtsvollzieher nach § 74 1 Nr. 3 P r A G G V G zuständig, im Auftrage des Amtsgerichts Siegelungen durchzuführen und Vermögensverzeichnisse — insbesondere Nachlaßinventare — aufzunehmen. Die bundeseinheitliche Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher vom 1. März 1954 ( G V G A ) hat diesen Aufgabenkreis des Gerichtsvollziehers der landesrechtlichen Regelung überlassen, die jeweils in einem Anhang zur G V G A wiedergegeben ist, für Berlin z. B. in den § § 284fr. Im Gebiet des vormaligen A L R ist auf dem Lande daneben das mit dem Gemeindevorsteher und zwei Schöffen besetzte „Dorfgericht" für die Siegelung zuständig. Das Dorfgericht kann auch ohne gerichtlichen Auftrag Maßnahmen zur Sicherung des Nachlasses treffen (Art. 104fr. PrFGG). Ähnlich begründet Art. 105 B a y A G B G B die Zuständigkeit des Bürgermeisters, N d s F G G Art. 1 1 die der Gemeinde, HessOrtsGerG § 20 die des Ortsgerichtsvorstehers. Am 3. November siegelt Gerichtsvollzieher Pfänder den Nachlaß. Die Wertgegenstände — einige Hundert D M Bargeld, mehrere goldene Uhren, Uhrketten, Ringe, Schuldverschreibungen der Bodenkreditanstalt — liefert er entsprechend seinen Dienstvorschriften bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts ab. Den übrigen *) S c h r i f t t u m : B a r t h o l o m e y c z i k , Erbrecht, 4. Aufl. 1959; K i p p - C o i n g , Erbrecht, 1 1 . Bearb. 1959; B o s c h a n , Der Nachlaßrichterund seine Abteilung, 2. Aufl. 1 9 4 1 ; B r a n d - K l e e f f , Die Nachlaßsachen in der gerichtl. Praxis, 1934; F i r s c h i n g , Nachlaßrecht (Hdb. der amtsger. Praxis Bd. VI), 2. Aufl. i960; G l a s e r , Das Nachlaßwesen, 1952.

Nachlaßgericht — Nachlaßpflegschaft

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Nachlaß beläßt er in der mit dem Dienstsiegel verschlossenen Wohnung. Vermerk im Protokoll: „Eine Verfügung von Todes wegen wurde in der Wohnung nicht gefunden. Nach Angabe des Hausmeisters hat eine Schwester des Verstorbenen, Frau Lorenzen oder Lornsen aus Wittenberge, die Beerdigung besorgt und dabei die Absicht geäußert, die Erbschaft auszuschlagen."

Das Protokoll reicht der Gerichtsvollzieher zu den Nachlaßakten ein. E i n l e i t u n g der N a c h l a ß p f l e g s c h a f t . Sind die Erben unbekannt oder steht nicht fest, ob sie angenommen haben, und bedarf der Nachlaß eines Fürsorgers, so ist nach § i960 B G B die Nachlaßpflegschaft einzuleiten. Zum Unterschied von der Pflegschaft aus § 1961, welche einem Nachlaßgläubiger die Geltendmachung seiner Ansprüche vor Annahme der Erbschaft durch den Erben (vgl. § 1958) ermöglichen soll, sowie von der Nachlaßverwaltung (S. 5 69) handelt es sich dabei um einen A k t der Fürsorge für den Nachlaß, weshalb die Pflegschaft von Amts wegen angeordnet wird. Die Voraussetzungen der Pflegschaft sind hier gegeben, denn wie das Siegelungsprotokoll zeigt, muß mit Erbschaftsausschlagung gerechnet werden und wird die Feststellung der Erben auf Schwierigkeiten stoßen. Der Richter ( § § 1 3 Nr. 1, 12 Nr. 4 RechtspflG) ordnet also die Pflegschaft an und bestimmt R A Walter zum Pfleger. Der Rechtspfleger verpflichtet ihn „als Pfleger für diejenigen, welche Erben des am 30. Oktober i960 verstorbenen früheren Mechanikers Peter Düring aus Lichterfelde werden, zur Ermittlung der Erben und zur Verwaltung des Nachlasses."

Da es nach dem B G B keine hereditas iacens gibt, müßte es eigentlich heißen: „für diejenigen, von denen sich herausstellen wird, daß sie Erben geworden sind". Bei der Nachlaßpflegschaft liegen die vormundschaftsgerichtlichen Aufgaben dem Nachlaßgericht ob (§ 1962). G V . Pfänder erhält Auftrag, den Nachlaß zu entsiegeln und ihn dem Pfleger zu übergeben, die Hinterlegungsstelle Auftrag zur Aushändigung der bei ihr verwahrten Gegenstände an den Pfleger. R A . Walter zahlt das bare Geld mit Ausnahme eines zur Bestreitung von Ausgaben zurückbehaltenen Betrages auf ein gesperrtes Buch der städtischen Sparkasse für Peter Dürings unbekannte Erben ein (§§ 1806, 18075, 1809, 1915), ferner hinterlegt er die Inhaberpapiere bei der städtischen Bank auf Sperrdepot (§ 1814), während er Gold- und Schmucksachen in eigene Verwahrung nimmt. Das gesperrte Sparbuch sowie die gesperrte Depotbescheinigung der Bank werden dem Gericht vorgelegt. In den ersten Wochen der Pflegschaft reicht der Pfleger ein Vermögensverzeichnis ein. Ferner kündigt er mit nachlaßgerichtlicher Genehmigung (§§ 1812, 1915, 1962) den Mietvertrag zum nächsten zulässigen Termin. Mit dem Verkauf der vorhandenen Möbel, Kleidungsstücke, Wertsachen usw. wartet der Pfleger, bis sich übersehen läßt, ob nähere Angehörige des Erblassers zur Erbfolge gelangen werden, denen vielleicht an diesen Sachen gelegen sein könnte. Erbschaftsausschlagung. „ A n das Amtsgericht, Abteilung für Nachlaßsachen, Lichterfelde. Am 30. Oktober i960 ist zu Lichterfelde, seinem Wohnsitz, der frühere Mechaniker Peter Düring verstorben und hat als alleinige gesetzliche Erbin seine Schwester, Frau Hofbesitzer Erna Lornsen, geb. Düring in Nieder-Wilhelmshagen, Kreis Husum, meine Ehefrau, hinterlassen. Wie meine Frau bei der Beerdigung gehört hat, erhebt die städtische Armenverwaltung Ansprüche an den Nachlaß, und es ist eine sehr hohe Steuerstrafe zu bezahlen. Für den Fall, daß diese Forderungen zu Recht bestehen, schlage ich auf Grund der hiermit überreichten Vollmacht namens meiner Ehefrau die Erbschaft Zugunsten ihrer Kusine, Frau Rosa Klein in Frankfurt a. d. O., Bismarckstraße 15, aus. 36

Lux

Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Nachlaßgericht — Erbschaftsausschlagung Ferner schlagen wir, meine Ehefrau und ich, die Erbschaft als gesetzliche Vertreter unserer minderjährigen Kinder Johann und Paula Geschwister Lornsen, denen die Erbschaft durch die Ausschlagung meiner Ehefrau anfällt, auch in deren Namen aus. Nieder-Wilhelmshagen, den 4. Dezember i960. Johann Lornsen.

Die vorstehende, von mir anerkannte Namensunterschrift des Hofbesitzers Johann Lornsen aus Nieder-Wilhelmshagen, Kreis Husum beglaubige ich. Amtsgericht. 1.1.68/60.

Husum, den 4. Dezember i960 Urkund

(Siegel)

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle."

„Hierdurch erteile ich meinem Ehemann, Hofbesitzer Johann Lornsen in Nieder-Wilhelmshagen, Kreis Husum, Vollmacht, über die mir am Nachlaß meines Bruders Peter Düring zustehenden Erbrechte nach seinem Ermessen zu verfügen, insbesondere die Erbschaft in meinem und meiner Kinder Namen auszuschlagen. z.Zt. Wittenberge, den 3. Dezember i960. Erna Lornsen geb. Düring."

Das Nachlaßgericht ist Sammelstelle für Erklärungen, von denen erbrechtliche Verhältnisse abhängen: Erbschaftsausschlagung, Anfechtung der Erbschaftsannahme oder -ausschlagung, Anfechtung eines Testaments oder Erbvertrags, Annahme, Ablehnung und Kündigung des Testamentsvollstreckeramts usw. §§ 1945, 1955, 2081, 2281, 2202, 2226, vgl. die Aufzählung in § 1 1 2 KostO. Hierbei beschränkt sich die gerichtliche Tätigkeit auf Entgegennahme der Erklärungen, Benachrichtigung der Beteiligten und Gestattung der Einsicht an Personen, welche ein „rechtliches Interesse" glaubhaft machen (§ 1 9 5 3 1 1 1 S. 2, 1 9 5 7 1 1 S. 2, 2010, 2081 1 1 S. 2, 2 1 4 6 1 1 , 2228, 2264, 2384 11 ). Ein „rechtliches Interesse", das ein unbedingtes Recht auf Einsicht gewährt, liegt vor, wenn die Kenntnis auf die rechtlich geordneten Beziehungen des Einsicht Begehrenden von Einfluß ist. Daneben kann das Gericht (Ermessensentscheidung!) nach der allgemeinen Vorschrift des § 34 F G G die Einsicht jedem gestatten, der ein „berechtigtes Interesse" glaubhaft macht, d.h. ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse, das sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht zu stützen braucht. Gegen die Versagung der Einsicht ist in beiden Fällen die Beschwerde nach § 19 F G G gegeben. Ein Recht zur Nachprüfung und zur Zurückweisung unwirksamer Erklärungen steht dem Nachlaßgericht nicht zu. Doch gilt es als nobile officium, die Beteiligten zu belehren, wenn eine Ausschlagung, wie hier, infolge offenbaren Rechtsirrtums fehlerhaft ist. Verfügung des Rechtspflegers: „ Z u schreiben a) an Johann Lornsen, b) an Erna Lornsen: Die unter dem 4. d. M. für Frau Erna Lornsen sowie für die minderjährigen Johann und Paula Lornsen erklärte, am 7. d. M. bei Gericht eingegangene Erbschaftsausschlagung ist unwirksam: 1. Die Erbschaft wird für den Fall ausgeschlagen, daß bestimmte Forderungen an den Nachlaß zu Recht bestehen. Hierin liegt eine Bedingung. Ferner ist die Ausschlagung zugunsten der Frau Klein, d.h. unter der Bedingung erklärt, daß an Stelle der Ausschlagenden Frau Klein zur Erbfolge gelangt. Erbschaftsausschlagungen können aber nicht unter einer Bedingung erfolgen. § 1947 B G B . "

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sind Willenserklärungen. Die Versäumung der Ausschlagungsfrist wird als Annahmeerklärung fingiert (§§ 1943 Halbs. 2, 1956). Diese Erklärungen sind grundsätzlich unwiderruflich, können aber

Nachlaßgericht — Erbschaftsausschlagung Minderjähriger

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wegen Willensmängel anfechtbar sein. Die Voraussetzungen der Anfechtung richten sich nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 119fr.). Die §§ 1954/55 enthalten Sondervorschriften über die Form und Frist der Anfechtung, § 195 7 über ihre Wirkung. Der Irrtum im Beweggrund ist auch hier unbeachtlich; anders der Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses als eines Vermögensinbegriffes (§ 1 1 9 1 1 ) , wozu zwar nicht die Vorstellungen über den Wert oder die Größe des Nachlasses, wohl aber über seine Überschuldung gehören können (RG 15 8,50 gegen R G 103, 21). Will ein Erbberechtigter die ihm angefallene Erbschaft einer bestimmten Person zuwenden, so muß er prüfen, wer durch seine Ausschlagung Erbe würde. Grundsätzlich wird der Ausschlagende so behandelt, als ob er vor dem Erblasser verstorben wäre (§ 1953 1 1 ). Es treten also bei gesetzlicher Erbfolge zunächst seine eigenen Abkömmlinge, in zweiter Linie die übrigen Miterben der gleichen Ordnung nach Stämmen, demnächst die sämtlichen Erbberechtigten der folgenden Ordnung ein. Bei testamentarischer Erbfolge ist zu prüfen, ob eine ausdrückliche oder stillschweigende Berufung von Ersatzerben vorliegt oder ob Anwachsung eintritt (§§ 2096, 2069, 2094, 2999). Wird darnach durch Ausschlagung das gewünschte Ergebnis nicht erreicht, so darf der zunächst Berufene nicht ausschlagen, muß vielmehr annehmen und seinen Erbteil dem Begünstigten übertragen, wodurch freilich, außer der Erbschaftssteuer, noch eine besondere Schenkungssteuer entsteht. Billiger kommt man beim Erbverzicht fort, der zugunsten einer bestimmten Person erklärt werden kann (§ 2350), aber nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich ist. Die A u s s c h l a g u n g z u g u n s t e n eines D r i t t e n kann verschieden gedeutet werden. E s ist möglich, daß sie nur die Angabe des Beweggrundes enthält, ohne daß der Erklärende die Wirksamkeit der Ausschlagung von dem vorausgesetzten Erfolge abhängig machen will. Der Wille kann aber auch dahin gehen, durch die Erklärung unter Aufgabe des eigenen Erbrechts den Begünstigten zum Erben zu machen. Eine solche Erklärung wäre, da sie nach dem Gesetz nicht Zulässig ist, unwirksam. Unter anderen — ferner liegenden — Umständen könnte in der Erklärung die Annahme der Erbschaft gefunden werden unter Beifügung der Erklärung, sie an den Dritten veräußern zu wollen. A m nächsten liegt es wohl, darin eine bedingte und darum unwirksame Ausschlagung zu sehen. Wer ausdrücklich erklärt, daß er zugunsten einer bestimmten Person ausschlage, wird regelmäßig auf den Eintritt des vorausgesetzten Erfolges seiner Erklärung entscheidendes Gewicht legen ( K G J 35 A 63; K G J W 1933, 2067). Hat der Ausschlagende irrig angenommen, die Ausschlagung sei ein geeignetes Mittel, um den Erbteil einem bestimmten Dritten zukommen zu lassen, so kann die Erklärung wegen Irrtums über ihren Inhalt anfechtbar sein (§§ 119, 1954), nicht aber, wenn er sich darüber klar gewesen ist, daß die Ausschlagung unmittelbar nur seinen eigenen Vorteil herbeiführt und er nur irrtümlich angenommen hat, daß die weitere g e s e t z l i c h e Folge der Eintritt einer bestimmten anderen Person in die Erbenstellung sei ( K G J F G 17, 69 = J W 1938, 858). „ 2 . Die Vollmacht zur Erbschaftsausschlagung muß öffentlich beglaubigt sein. § 1 9 4 5 1 1 . "

Eine der wenigen Ausnahmen von dem Grundsatz, daß Vollmachten materiellrechtlich nicht derselben Form wie das Hauptgeschäft bedürfen (oben S. 439). Grund: Wer in die bei Gericht liegenden Urkunden später Einsicht nimmt, soll sich über die Rechtsgültigkeit der von einem Bevollmächtigten erklärten Ausschlagung nicht im Zweifel befinden. Ebenso wie der Vormund (§ 1822 2 ) bedürfen auch die Eltern grundsätzlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur Ausschlagung einer Erbschaft (§ 1643 1 1 S. 1). Nach der Regelung des B G B ist aber die Ausschlagung des Vaters genehmigungsfrei, falls der Anfall an das Kind erst infolge seiner eigenen Ausschlagung eintritt. Beispiel: Ein Verwandter des Vaters war verstorben und die Erbschaft dem Vater angefallen, der für sich ausschlägt. Da jetzt nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung die Eltern die elterliche Gewalt gemeinsam ausüben, ist anzunehmen, daß die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung entbehrlich ist, wenn der Anfall an das Kind erst infolge der Ausschlagung eines vertretungsberechtigten

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Nachlaßgericht — Ausschlagung bei Nachlaßüberschuldung

Elternteils eintritt (OLGHamm, N J W 1959, 2215 = Rpfleger 1959, 351). Sind Kinder neben einem Elternteil berufen (z.B. als gesetzliche Erben der Mutter), so muß die für die Kinder erklärte Ausschlagung auch insoweit, als durch die Ausschlagung des Elternteils dessen Erbteil den Kindern anfällt, vormundschaftsgerichtlich genehmigt werden. §§ 1643 1 1 . Nach dem in § 1831 zum Ausdruck gelangten Grundsatz der Rechtsgewißheit (S. 523) muß eigentlich die gerichtliche Genehmigung mit der Ausschlagungserklärung dem Nachlaßgericht vorgelegt werden. Doch gestattet die Rechtsprechung ihre Nachbringung innerhalb der Ausschlagungsfrist ( K G J 50, 73; R G 118, 148). „Darnach wird Ihnen anheimgegeben, innerhalb der gesetzlichen Ausschlagungsfrist, welche 6 Wochen seit Erlangung der Kenntnis vom Erbanfall beträgt (§ 1 9 4 4 1 1 S. i), die Ausschlagung in unbedingter Form zu wiederholen und die Vollmacht beglaubigen zu lassen. Sie wollen ferner anzeigen, wann und auf welche Art Sie von dem Anfall der Erbschaft Kenntnis erlangt haben, wie hoch der Wert des reinen Nachlasses ist 1 ) und welchen Personen die Erbschaft infolge der Ausschlagung anfällt."

Diese Belehrung ist keine „Verfügung" im Sinne des § 1 9 F G G , d. h. eine sachliche Entschließung des Gerichts. Sie ist deshalb mit der Beschwerde nicht anfechtbar ( K G J 35 A 59). A m 1 1 . Dezember, also zweifellos rechtzeitig, gehen einwandfreie Ausschlagungserklärungen für Frau Lornsen und die Kinder ein. Es werden 7 Verwandte der dritten Ordnung als die nunmehr Berufenen bezeichnet. Ihnen teilt das Gericht die Ausschlagung der Familie Lornsen gemäß § 195 3 1 1 1 S. 1 mit. Alsbald schlagen auch die Vettern und Kusinen sowie deren Abkömmlinge aus. Von allen eingehenden Erklärungen wird der Pfleger jedesmal in Kenntnis gesetzt. Der Referendar: Weshalb legen die Verwandten so großen Wert darauf, die Erbschaft auszuschlagen ? Das Gesetz gibt doch dem Erben Mittel und Wege, um seine Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten auf den Bestand des Nachlasses zu beschränken. Also könnten sie ruhig die Erbschaft annehmen und nachher die Haftungsbeschränkung herbeiführen. Der Richter: Wenn die Überschuldung der Erbschaft feststeht, ist es trotz der beschränkten Erbenhaftung richtig, schleunigst auszuschlagen. Denn 1. wird ein Erbe, der sich auf die Beschränkung seiner Haftung beruft, den Nachlaßgläubigern für die Verwaltung des Nachlasses wie ein Beauftragter verantwortlich (§ 1978), so daß er Gefahr läuft, wegen Verschuldens von ihnen in Anspruch genommen zu werden. 2. Der Erbe kann — sofern nicht Nachlaßkonkurs oder -Verwaltung eröffnet und seine Passivlegitimation dadurch aufgehoben ist (§§ 12 K O , 1984 1 S. 3 B G B ) — von den Nachlaßgläubigern verklagt werden. E r hat dann die Unannehmlichkeit, sich auf die Prozesse einlassen zu müssen und kann sich durch ungeschickte Prozeßführung den Nachlaßgläubigern aus § 1978 ersatzpflichtig machen. 3. Unterliegt der Erbe auf Klage eines Nachlaßgläubigers, so hat er überdies die Prozeßkosten persönlich zu tragen; der Vorbehalt der beschränkten Erbhaftung (§780 ZPO) bezieht sich nur auf . die Verurteilung in der Sache selbst, nicht auf die Kostenlast. A b s c h l u ß der P f l e g s c h a f t . Die Nachlaßpflegschaft erledigt sich nach § 1919 durch Wegfall ihrer Veranlassung, nämlich einer für unbekannte Erben zu verwaltenden Nachlaßmasse. Sie endet zwar nicht kraft Gesetzes, ist aber vom Gericht unverzüglich aufzuheben (RG 154, 114). Endigungsgründe sind: Von diesem Wert, nicht vom Wert des Aktivnachlasses, werden die Gebühren für Beglaubigung der Ausschlagungserklärung und ihre Entgegennahme durch das Gericht berechnet. Bei überschuldetem Nachlaß Mindestgebühr (§§ 1 1 2 1 1 , 45, 39, 33 KostO).

Nachlaßgericht — Beendigung der Nachlaßpflegschaft

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1. Sämtliche Erben sind festgestellt und haben die Erbschaft angenommen oder die Ausschlagungsfrist verstreichen lassen. Wann sind die Erben „festgestellt" ? Am vollkommensten natürlich, wenn ein Erbschein vorliegt, der ja eine Vermutung für die Richtigkeit seines Inhalts begründet (§ 2365). Doch kann das Nachlaßgericht auch ohne Erbschein auf Grund der Ermitdungen des Pflegers und etwaiger eigener Beweiserhebungen ( § 1 2 FGG) die Erben als ausgewiesen betrachten, die Pflegschaft aufheben und so den Beteiligten die Kosten des Erbscheins ersparen. R G 106, 46 gewährt dem Erbschaftsprätendenten Klage auf Feststellung seines Erbrechts gegen den Nachlaßpfleger, wenn dieser das Erbrecht bestritten hat. — Zum Erbscheinsantrag ist der Nachlaßpfleger nicht befugt, er hat lediglich die Erben zu ermitteln, die alsdann den Erbschein selbst beantragen müssen. Zwischen den festgestellten Erben und dem Nachlaßpfleger wird die Schlußrechnung abgenommen, falls die Beteiligten nicht schriftlich darauf verzichten,(S. 526). Der vorherigen Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeiten durch den Pfleger bedarf es bei der gewöhnlichen Nachlaßpflegschaft (im Gegensatz zur Nachlaßverwaltung) nicht. Vielmehr übergibt der Pfleger bei Aufhebung der Pflegschaft den in seinen Händen befindlichen Aktivnachlaß den ausgewiesenen Erben zur weiteren Verwaltung, und die Nachlaßgläubiger müssen sich an die Erben halten. Ausnahme für Steuerschulden: unten S. 567. Aktiv- und Passivprozesse, die vom Nachlaßpfleger oder gegen ihn eingeleitet sind, gehen von selbst auf die nunmehr ermittelten Erben über. Auch die Teilung des Nachlasses gehört nicht mehr zum Aufgabenkreis des Pflegers. Jedoch werden Schuldenregelung und Nachlaßteilung häufig vom Pfleger auf Grund besonderen Auftrags der Erben vorgenommen. 2. Feststellung, daß der Fiskus gesetzlicher Erbe geworden ist. Gelingt die Ermitdung des Erben nicht in einer „den Umständen entsprechenden" Frist, so erläßt das Nachlaßgericht eine öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte, und wenn diese gleichfalls erfolglos bleibt, stellt esvon Amts wegen durch Beschluß fest, daß ein anderer Erbe als der Fiskus des Landes, dem der Erblasser angehörte (§ 1936 BGB), nicht vorhanden ist. §§ 1964/6. Die Feststellung wirkt ebensowenig konstitutiv wie der Erbschein, von dem sie sich durch das Fehlen eines Antrags und eidesstattlicher Erklärungen unterscheidet; sie begründet lediglich eine widerlegbare Vermutung. § 1964 11 BGB, § 292 ZPO. Nun setzt das fiskalische Erbrecht materiell voraus, daß Ehegatten oder Verwandte überhaupt nicht vorhanden sind (BayObLG JW 1935, 2518); jeder Erblasser wird aber Verwandte, und seien sie noch so entfernt, hinterlassen. Mithin ist die gerichtliche Feststellung des fiskalischen Erbrechts objektiv stets unrichtig, und die erbrechtlichen Verhältnisse regeln sich endgültig erst durch Verjährung des Erbschaftsanspruchs des wirklichen Erben. 3. Verbrauch der Masse durch Verwaltungskosten. Die Masse mancher Nachlaßpflegschaften ist so gering, daß sie durch die Aufrufe des Pflegers zur Ermitdung der Erben, der Gläubiger und Schuldner des Nachlasses, durch Vergütung (§§ 1836, 1915) und Auslagen des Pflegers und die übrigen Verwaltungskosten aufgezehrt wird. Das Gericht hebt dann die Pflegschaft mangels Masse auf, ohne die Erben festzustellen. 4. Ausschüttung der Nachlaßmasse an die Gläubiger. Hierbei hat der Pfleger genau dieselben Regeln zu befolgen wie der Erbe, als dessen Vertreter er ja handelt. A u f diese Art wird die Düringsche Pflegschaft beendigt. Der Pfleger berichtet: „Die in meinem vorigen Bericht namentlich aufgeführten Verwandten der dritten Ordnung haben, abgesehen von Frau Klein, zweifellos rechtzeitig ausgeschlagen. Die Ausschlagungserklärung der Frau Klein ist am 27. Januar 1961 bei Gericht eingegangen. Die amdiche Mitteilung von der Ausschlagung der Verwandten der zweiten Ordnung kann sie frühestens am 16. Dezember i960 erhalten haben. Die Ausschlagung war daher gerade noch fristgerecht, sofern Frau Klein nicht schon vor dem 16. Dezember auf andere Weise Kenntnis von den Ausschlagungen erlangt hatte." Die in §§ 1 9 5 3 1 1 1 S. 1, 2262 vorgeschriebenen gerichtlichen Mitteilungen haben den Zweck, die Ausschlagungsfrist einwandfrei in Lauf zu setzen. Wenn jedoch ein zur Erbfolge Berufener den Inhalt der eröffneten letztwilligen Verfügung oder die

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Nachlaßgericht — Erstattung von Fürsorgeleistungen

Ausschlagung seiner Vormänner vor der amtlichen Nachricht erfahren hatte, läuft die Frist für ihn schon von dem früheren Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnis ab. § 1944 1 1 . Im Prozeß wird dieser Zeitpunkt durch alle zulässigen Beweismittel festgestellt; im Erbscheinsverfahren sowie bei der nachlaßgerichtlichen Entscheidung, ob die Pflegschaft sich durch Ermittlung der Erben erledigt hat, kann er Gegenstand der Amtsprüfung nach § 1 2 F G G sein. „Dafür, daß Frau Klein die Ausschlagungen spätestens am 13. Dezember kannte, sprechen Es wird aber einer Entscheidung über die Rechtzeitigkeit der Ausschlagung nicht bedürfen, weil die Pflegschaft ohne Feststellung der Erben zu Ende geführt werden kann. Da die Verhältnisse des Erblassers unübersichtlich waren, habe ich das Aufgebot der Nachlaßgläubiger beantragt, die Bezahlung der Nachlaßverbindlichkeiten zunächst abgelehnt, die nachgewiesenen Forderungen jedoch grundsätzlich anerkannt und die Gläubiger unter Hinweis auf die aufschiebenden Einreden (§§ 2014f. BGB) veranlaßt, von gerichtlicher Geltendmachung bis zum Erlaß des Ausschlußurteils abzusehen."

Die Verantwortlichkeit des Erben für ordnungsmäßige Verwaltung des Nachlasses bezieht sich auch auf die Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeiten. Überschuldete Nachlässe sollen grundsätzlich im Konkursverfahren abgewickelt werden, damit die dort vorgesehene Rangordnung gewahrt und jede Bevorzugung vermieden wird. Bezahlt der Erbe, obgleich er die Überschuldung kennt oder bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen, einzelne Nachlaßgläubiger und kommt es später zum Konkurs, so muß er die Zahlungen aus seinem eigenen Vermögen zur Masse vertreten. §§ 1979, 1980, 1978 1 1 . Als Fahrlässigkeit gilt es, wenn der Erbe das Aufgebot der Nachlaßgläubiger verabsäumt, obwohl er Grund hatte, mit unbekannten Nachlaßschulden zu rechnen und obwohl die Aktivmasse die Kosten eines Aufgebotsverfahrens gelohnt hätte. § 1 9 8 0 1 1 S. 2. Darum hat der Nachlaßpfleger auf Grund seines Antragsrechts aus § 9 9 1 1 1 ZPO zunächst das Aufgebotsverfahren durchgeführt. „Nachdem am 18. September 1961 das Ausschlußurteil ergangen ist, steht die Überschuldung des Nachlasses außer Frage. Die größten Nachlaßverbindlichkeiten sind: 1. Forderung des Sozialamts auf Erstattung von 1265 D M dem Erblasser während der Jahre 1957 bis i960 gewährter Fürsorgeunterstützungen."

Wer im Wege öffentlicher Fürsorge unterstützt worden ist, muß das Empfangene, von gewissen Leistungen abgesehen, dem Fürsorgeverband zurückgewähren, sobald er hinreichendes Vermögen oder Einkommen erwirbt oder besitzt. Die Erstattungspflicht geht auf den Erben über, der nur mit dem Nachlaß haftet, ohne sich jedoch auf das dem Erblasser zustehende beneficium competentiae berufen zu können. § 25 FürsorgepfLVO vom 13. Februar 1924 (RGBl I, 100) in der Fassung des Art. III des Ges. über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen vom 20. August 1953 (BGBl I, 967); dazu V O über den Ersatz von Fürsorgekosten vom 30. Januar 1951 (BGBl I, 154). Durch die Geltendmachung des Kostenersatzes darf die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Unterstützten oder Ersatzpflichtigen nicht gefährdet werden. Hat der Fürsorgeverband durch Anzeige nach § 21 a FürspflVO bewirkt, daß der Unterhaltsanspruch des unterstützten Hilfsbedürftigen gegen unterhaltspflichtige Personen auf ihn übergegangen ist, so kann der Unterhaltspflichtige im Verwaltungswege zum Kostenersatz und zur Erfüllung der Unterhaltspflicht angehalten werden. Im Streitfall kann seine Unterhaltspflicht im Verwaltungswege durch vorläufig vollstreckbare Entscheidung festgestellt werden. Da der auf den Fürsorgeverband übergegangene Unterhaltsanspruch bürgerlichrechtlicher Art ist, ist gegen diesen „Solutbeschluß" der ordentliche Rechtsweg gegeben (BVerwG N J W i960, 1654). Für den unabhängig hiervon bestehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des Fürsorgeverbandes nach den §§ 25, 25a FürspflVO gegen den Unterstützten, seine Erben, den Ehegatten und Eltern für die ihren Kindern

Nachlaßgericht — Steuerliche Pflichten des Nachlaßpflegers

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vor Vollendung des 18. Lebensjahres gewährten Leistungen ist nach § 25 c FürspflVO der ordentliche Rechtsweg oder nach näherer Bestimmung der Länder der Verwaltungsrechtsweg oder der Verwaltungsweg vorbehaltlich der Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg oder im Verwaltungsrechtsweg zulässig. War die Unterstützung durch unentgeltliche Aufnahme in eine öffentliche Armenanstalt bis zum Tode gewährt worden, so hat die Anstalt, deren Vermögensträger jetzt in der Regel der Bezirksfürsorgeverband sein wird, ein gesetzliches Erbrecht auf Grund aufrechterhaltener landesrechtlicher Vorschriften (Art. 139 EGBGB, Art. 89 PrAGBGB, ALR II 19 §§ 50—54). Das Pflichtteilsrecht der Ehefrau und ehelicher Abkömmlinge bleibt gewahrt, falls sie nicht ihre Unterhaltspflicht vernachlässigt haben. Ferner hat das Waisenhaus ein gesetzliches Erbrecht an dem vom Pflegling mitgebrachten oder während des Anstaltsaufenthalts erworbenen Vermögen, wenn er nach dem Ausscheiden aus der Anstalt vor dem vollendeten 21. Lebensjahr stirbt (nicht 24., vgl. Rehbein-Reincke, A L R , 5. Aufl. II 19 § 56 Anm. 78), bei weiblichen Pfleglingen unter der Voraussetzung, daß sie noch unverheiratet waren (ALR II 19 §§ 56—58). Das Erbrecht muß bei der Aufnahme in die Anstalt zur Niederschrift bekannt gegeben werden und wird durch nachlaßgerichtlichen „Zuschlag" festgestellt. Diese Vorschriften sind noch in Geltung (str., vgl. K G J R 1950, 728; Staudinger-Boehmer, BGB. 1 1 . Aufl. Einl. vor § 1922 § 7 Anm. 5; Bufe, J R 1953, 209). Sonderbestimmungen für Berlin au, Grund des Hof-Reskripts vom 2. Juli 1801 sehen ein Erbrecht in noch weiterem Umfange vor (vgl. Bufe a.a.O.). „2. Rechtskräftig veranlagte rückständige Einkommen- und Umsatzsteuern in Höhe von 275 DM. 3. Wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung war Düring zu 150 DM Geldstrafe verurteilt worden. Das Urteil hat Anfang i960 Rechtskraft erlangt, so daß Geldstrafe und Kosten bezahlt werden müssen. Dagegen ist eine andere gegen den Erblasser erkannte Steuerhinterziehunsstrafe von 300 DM, gegen welche Düring Revision eingelegt hatte, durch den vor Rechtskraft eingetretenen Tod in Wegfall gekommen." Die Geldstrafe soll, wie jede Strafe, den Schuldigen treffen, nicht seine Erben. Darum wird sie in den Nachlaß nur vollstreckt, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig und damit der Strafanspruch verwirklicht worden war. Ob das im Zeitpunkt des Todes noch schwebende Rechtsmittel aussichtsvoll gewesen ist oder nicht, macht keinen Unterschied. Das gleiche gilt für die Kosten des Strafverfahrens. § § 3 0 S t G B , 4 6 5 1 1 StPO. Wenn zur Sicherung von Geldstrafe und Kosten eine Vermögensbeschlagnahme (§§ 283/4) stattgefunden hatte, sind die beschlagnahmten Gegenstände nach dem T o d freizugeben. „4. Schließlich habe ich aus dem von mir aufgefundenen Schriftwechsel über ein von Düring im Jahre i960 getätigtes Benzolgeschäft ersehen, daß er eine weitere Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer begangen hat. Ich habe den Sachverhalt dem Finanzamt unterbreitet, welches die Nachsteuer zutreffend auf 123 DM festgesetzt hat." Erben, Nachlaßpfleger, Testamentsvollstrecker usw. sind verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die steuerlichen Verpflichtungen des Nachlasses — und zwar sowohl vor dem Erbfall entstandene, wie Einkommen- und Umsatzsteuer, als auch die wegen der Überschuldung des Düringschen Nachlasses hier nicht in Betracht kommende E r b schaftssteuer — aus dem Nachlaß bezahlt werden. Geht durch ihr Verschulden der Steuerfiskus leer aus, so haften sie persönlich. §§ 106, 109 1 A b g O , I 5 V E r b S t G . Wenn also der Nachlaßpfleger dem festgestellten Erben den Nachlaß übergibt, muß er jedenfalls die zur Deckung von Steuerschulden erforderlichen Beträge zurückhalten. Zur Sicherung dieser Verpflichtung hat das Gericht die Anordnung einer Nachlaßpflegschaft dem Finanzamt anzuzeigen (§ 1 8 9 a 1 1 Nr. 2 A b g O , § 12 i . E r b S t D V vom i.Juli 1952 ( B G B l I, 357). Keine entsprechende Sicherung der Steueransprüche besteht hinsichtlich der Lebensversicherungssumme, die doch, wie wir wissen, ebenfalls erbschaftssteuerpflichtig ist (S. 470). Sie wird von

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Nachlaßgericht — Nachlaßpflegschaft

der Versicherungsgesellschaft ohne Abzug und ohne Sicherstellung der Steuer dem Bezugsberechtigten ausgezahlt. Ausnahme bei Zahlung ins Ausland: § I J V I ErbStG; Anzeigepflicht des Versicherungsunternehmers: § 187 a! 1 1 AbgO, § 7 1. ErbStDV.

Die Nachsteuer hat keinen Strafcharakter und muß deshalb — die Entstehung der Steuerschuld vor dem Todesfall vorausgesetzt — unbedingt bezahlt werden. Hierbei verpflichtet das Gesetz Nachlaßpfleger und Testamentsvollstrecker sogar, unrichtige oder unvollständige Steuererklärungen des Verstorbenen, die sie als solche erkennen, zur Vermeidung persönlicher Haftung richtigzustellen bzw. nachzuholen. Vom Erben selbst wird nicht verlangt, daß er zur Aufdeckung unbekannt gebliebener Steuerverpflichtungen des Erblassers selbst beitrage. § 1 1 7 AbgO. „Es stehen danach einem Aktivvermögen von rund 1100 DM Verbindlichkeiten von ungefähr 2500 DM gegenüber. Ich beabsichtige, die vorhandene Nachlaßmasse in folgender Weise zu verteilen: I. An erster Stelle soll der Vermieter, Hausbesitzer Busch, wegen seiner Mietforderung von 73,50 DM voll befriedigt werden."

Diese Bevorzugung rechtfertigt sich durch das dem Vermieter zustehende gesetzliche Pfandrecht (§559 BGB), welches ihm im Nachlaßkonkurs ein Absonderungsrecht gewähren würde (§ 492 KO). Die Rechtsstellung des Vermieters armer Leute wird durch den Tod des Mieters verbessert: so lange Düring lebte, waren seine Habseligkeiten durch § 811 5 ZPO größtenteils der Zwangsvollstreckung entzogen und folglich vom Vermieterpfandrecht befreit (§ 559 S. 3 BGB). Nachdem er gestorben ist, sind sie für ihn nicht mehr „unentbehrlich", und das Pfandrecht kann nunmehr an sämtlichen eingebrachten Sachen geltend gemacht werden. „II. Alsdann werden ebenfalls voll befriedigt die Verbindlichkeiten, die im Fall des Nachlaßkonkurses Masseschulden wären (§224 KO); die Beerdigungskosten, Kosten der gerichtlichen Nachlaßsicherung, der Nachlaßpflegschaft und des Aufgebots der Nachlaßgläubiger. III. Der verbleibende Rest wird auf die übrigen im Ausschlußurteil vom 18. September 1961, von welchem ich Abschrift beifüge, vorbehaltenen Nachlaßverbindlichkeiten gleichmäßig verteilt. Sämtliche Nachlaßgläubiger sowie Frau Klein haben sich mit der beabsichtigten Verteilung einverstanden erklärt."

Auf die im Ausschlußurteil nicht vorbehaltenen Nachlaßschulden braucht der Pfleger keine Rücksicht zu nehmen. Vgl. 16. Kap. „Aufgebot der Nachlaßgläubiger". Bei Widerspruch einzelner Gläubiger hätte R A . Walter es mit der Einleitung eines Vergleichsverfahrens ( § 1 1 3 VerglO) versuchen können. Sonst wäre angesichts der für einen Konkurs ausreichenden Masse von 1100 D M nur der Weg des Nachlaßkonkurses übrig geblieben, um die beschränkte Erbenhaftung geltend zu machen und den Pfleger vor Schadensersatzansprüchen zu schützen. § 1975 B G B , § 2 1 7 1 K O . Zur Durchführung der beabsichtigten Ausschüttung muß der Pfleger wissen, wie viel die Gerichtskosten betragen und welche Vergütung ihm selbst nach § 1836 bewilligt wird. Seine Auslagen, zu denen auch die Gebühren etwaiger für den Nachlaß geführter Prozesse gehören (§ 1835 1 1 ), kann er ohne gerichtliche Festsetzung dem Nachlaß entnehmen (arg. § 1835): „Ich beantrage: a) mir mitzuteilen, welche Gerichtskosten erhoben werden, b) mir eine Vergütung für die Führung der Pflegschaft zu bewilligen, c) mir die Ermächtigung zur Abhebung des Gesamtbestandes des gesperrten Sparkassenbuchs Nr. 125 001 der städtischen Sparkasse zu erteilen. Walter, RA. als Nachlaßpfleger."

Nachlaßgericht — Nachlaßverwaltung

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Die Vergütung setzt der Richter fest ( § § 1 3 Nr. 1, 12 Nr. 4 RechtspflG). Nach Verlauf einer Woche reicht der Pfleger die Ausgleichsquittungen der Gläubiger zum Nachweis der Ausschüttung ein. Verfügung des Richters (§§ 13 Nr. 1, 12 Nr. 13 RechtspflG): „Die Nachlaßpflegschaft wird gemäß §1919 BGB aufgehoben, da es infolge der Befriedigung der Nachlaßgläubiger an einer zu verwaltenden Masse fehlt."

Nachlaßverwaltung „An das Amtsgericht hier.

Grünhübel, den 3. November i960,

Der am 17. August d. J. verstorbene Fleischermeister Hans Pander in Lankwitz schuldete mir für geliefertes Vieh 1850 DM, die er laut beiliegendem Brief am 15. Oktober bezahlen sollte. Sein Neffe und alleiniger Erbe, Viehhändler Kuno Adler in Schönborn, bezahlt trotz Mahnung nicht und hat sich zu dritten Personen dahin geäußert, daß ich überhaupt nichts bekäme, wenn ich ihn drängte. Als Zeugen benenne ich den Weichensteller Kurt Pander in Jakobsdorf. Der Nachlaß beträgt 60 bis 70000 DM, und es sind genug Mittel zur Bezahlung der laufenden Geschäftsschulden vorhanden, da der Erblasser u. a. bei dem Bankhaus Schilling ein Guthaben von mehreren Tausend Mark besaß. Wahrscheinlich hat Schilling dem Adler das Konto gesperrt, weil Schilling beim Landgericht Berlin eine Forderung von über 4000 DM gegen Adler ausklagt (Aktenzeichen 5 o 145/5 5)- Adler befindet sich im Vermögensverfall. Im Jahre 1959 sollte er ausweislich des Schuldnerverzeichnisses des hiesigen Amtsgerichts zur Erzwingung des Offenbarungseides verhaftet werden, hat sich aber dann mit dem Gläubiger wohl geeinigt. Seitdem er die Pandersche Erbschaft angetreten hat, sind die Mieten des Nachlaßgrundstücks wegen Grundsteuer und auch von anderen Gläubigem, gepfändet worden, wie ich von dem Mieter, Schneider Petermann, weiß. Ich befürchte, daß Adler die Erbschaft durchbringen wird und daß ich mein Geld verliere, und beantrage deshalb: den Nachlaß in gerichtliche Verwaltung zu nehmen. Adolf Neugebauer, Viehhandlung."

Die Regelung der Nachlaßverbindlichkeiten geschieht an sich außergerichtlich, doch kann auf Antrag des Erben (bei Mehrheit von Erben: sämtlicher Erben) oder eines Nachlaßgläubigers die Nachlaßverwaltung angeordnet werden. §§ 1975, 1981, 2062. Der Antrag des Erben bedarf keiner besonderen Begründung. Der Antrag des Gläubigers setzt nach § 1 9 8 1 1 1 S. 1 voraus, daß die Befriedigung der Nachlaßgläu biger aus dem Nachlaß entweder durch das Verhalten (UnZuverlässigkeit, Unwirtschaftlichkeit) des Erben oder durch seine Vermögenslage (Verschuldung) gefährdet wird. Nach Neugebauers Darstellung wäre beides der Fall. Gemäß § 1 2 F G G zieht der Richter zunächst alle erreichbaren Akten heran. Eine Mitteilung des Dorfgerichts an das Nachlaßgericht nach Art. 105 P r F G G über inzwischen aufgehobene Maßnahmen zur Sicherung des Nachlasses ergibt, daß Hans Pander ohne Verfügung von Todes wegen verstorben ist und seinen Neffen Adler als alleinigen gesetzlichen Erben hinterlassen hat. Nach dem Schuldnerverzeichnis der Vollstreckungsabteilung war 1959 gegen Adler Haftbefehl ergangen. In dem seit dem Frühjahr schwebenden Prozeß des Bankhauses handelt es sich um eine Kontokorrentschuld, gegen die sich Adler mit immer neuen, nicht sehr wahrscheinlich klingenden Einwendungen verteidigt; im September hat der Kläger die Aufrechnung mit dem durch Erbfolge auf den Beklagten übergegangenen Guthaben des verstorbenen Pander erklärt und die Klage auf den Restbetrag von etwa 800 D M ermäßigt. Die Antragsbefugnis Neugebauers ergibt sich aus dem von ihm eingereichten Brief des Erblassers. Es bleibt aber noch fraglich, ob flüssige Mittel zur Deckung der Kosten in der Nachlaßmasse vorhanden sind (§ 1982 BGB). Außerdem trägt der Richter ( § 1 3 Nr. 1 RechtspflG) im

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Nachlaßgericht — Wirkung der Nachlaßverwaltung

Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 1 G G ) Bedenken, eine so eingreifende Maßregel wie die Nachlaßverwaltung ohne vorherige Anhörung des Erben anzuordnen. Verfügung: „ 1 . Termin zur Erörterung der Sachlage wird auf den 10. N o v e m b e r i 9 6 0 , v o r m i t t a g s 1 o U h r bestimmt. 2. Z u laden: a) Antragsteller Neugebauer mit Hinweis darauf, daß die Nachlaßverwaltung nur angeordnet werden darf, wenn dem Gericht eine zur Deckung der Kosten ausreichende Masse nachgewiesen oder vom Antragsteller entsprechender Vorschuß geleistet wird. E s wird Ihnen anheimgestellt, die Zeugen Kurt Pander und Petermann zum Termin mitzubringen, b) Viehhändler Kuno Adler in Schönborn mit Abschrift des Antrags."

Ferner wird R A . Walter kurzerhand zum Termin bestellt. Im Termin erweisen sich die Behauptungen Neugebauers als richtig. Eine ausreichende Masse ist vorhanden. „ E s wurde der B e s c h l u ß verkündet: A u f Antrag des Viehhändlers Adolf Neugebauer in Grünhübel wird die Verwaltung des Nachlasses des zu Lankwitz, seinem Wohnsitz, am 17. August i960 verstorbenen Fleischermeisters Hans Pander angeordnet. § 1 9 8 1 1 1 B G B . "

Die Anordnung der Nachlaßverwaltung wird mit der Bekanntmachung an den Erben wirksam (§ 16 1 FGG). Dem Erben steht die sofortige Beschwerde zu (§ 7 6 1 1 FGG), die aber keine aufschiebende Wirkung hat (§ 24 1 FGG). Um die Beschwerdefrist in Lauf zu setzen, muß die Verfügung den beschwerdeberechtigten Beteiligten entweder zu Protokoll bekannt gemacht oder förmlich zugestellt werden ( § i 6 n ' i n F G G ) . Die Wirkung der Nachlaßverwaltung besteht in der vom Abwicklungszweck erforderten Trennung des Nachlasses als eines Sondervermögens vom Eigenvermögen des Erben, der aber Rechtsträger beider Vermögen bleibt (Gütersonderung, separatio bonorum), und der dadurch bedingten Haftungssonderung, nämlich der Trennung der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten von der Haftung für Eigenverbindlichkeiten des Erben, so daß den Nachlaßgläubigern nur der Nachlaß, den Eigengläubigern nur das Eigenvermögen des Erben haftet. Der Schutz der Nachlaßgläubiger vor einem Zugriff der Eigengläubiger des Erben auf den Nachlaß ist mit der Anordnung der Nachlaßverwaltung stets verbunden (§ 1984 11 ). Deshalb ist den Nachlaßgläubigern auch die Antragsberechtigung verliehen, jedoch nur, wenn wegen Vorliegens des Tatbestandes des § 1 9 8 1 1 1 ein Schutzbedürfnis für sie besteht. Zugunsten des Erben tritt jedoch der Schutz seines Eigenvermögens vor dem Zugriff der Nachlaßgläubiger nicht ein, wenn er allen Gläubigern unbeschränkbar haftet, etwa wegen Versäumung der Inventarfrist (§ 1994 1 S. 2) oder Inventaruntreue (§ 2005 r ). In diesem Falle ist deshalb der Erbe nicht befugt, die NachlaßVerwaltung zu beantragen ( § 2 0 1 3 ! )

und die Nachlaßgläubiger können trotz Anordnung der Nachlaßverwaltung auch in das Eigenvermögen des Erben vollstrecken. Jedoch bleibt der Erbe befugt, Nachlaßkonkurs zu beantragen, um den Eigengläubigern den Zugriff auf den Nachlaß zu verwehren (§§ 216 1 , 217 KO). Haftet der Erbe nur einzelnen Nachlaßgläubigern unbeschränkbar, etwa wegen Verweigerung des Offenbarungseides (§ 2006 1 1 1 ), oder wegen Versäumung oder rechtskräftiger Aberkennung des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung im Urteil (§ 780 ZPO) oder durch vertraglichen Verzicht auf das Recht zur Haftungsbeschränkung (RG 146, 346), so entfällt die Haftungssonderung nur gegenüber diesen Gläubigern und der Erbe bleibt antragsberechtigt. Ebenso wie der Erbe, der auf Grund der ihm im Urteil vorbehaltenen beschränkten Erbenhaftung (§ 780 ZPO) der Zwangsvollstreckung in sein Eigenvermögen

Nachlaßgericht — Nachlaßverwaltung

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begegnen will, ist auch der Nachlaßverwalter darauf angewiesen, seine Einwendungen gegen die Vollstreckung der Eigengläubiger in den Nachlaß mit der Abwehrklage geltend zu machen (§§ 198411 BGB, 78411, 785, 767 ZPO). Die Eigengläubiger des Erben sind aber nicht gehindert, den künftigen Anspruch des Erben gegen den Nachlaßverwalter auf Herausgabe des nach Berichtigung der bekannten Verbindlichkeiten verbleibenden Reirmachlasses zu pfänden (§ 19861). Einige Wirkungen der Gütersonderung treten kraft Gesetzes ein: Die infolge des Erbfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit (Konfusion) oder von Recht und Belastung (Konsolidation) erloschenen Rechtsverhältnisse leben mit rückwirkender Kraft wieder auf (§ 1976; vgl. auch § 18511, Konvaleszenz). Ebenso kann eine durch den Erbfall eingetretene Aufrechnungslage durch rückwirkenden Wegfall der Gegenseitigkeit (§387 BGB) entfallen und das zwischen Erbfall und Gütersonderung durch Aufrechnung bewirkte Erlöschen von Forderungen wieder beseitigt werden (§ 1977). § 19771 regelt den Fall, daß ein Nachlaßgläubiger seine Forderung gegen eine Eigenforderung des Erben aufgerechnet hat. Die Rückwirkung der Gütersonderung tritt hier zum Schutze des Erben ein, damit ihm die beschränkte Erbenhaftung erhalten bleibt. Die Wirkungen der Aufrechnung können hier bestehen bleiben, wenn der Erbe der Aufrechnung zugestimmt oder sie selbst erklärt hat. Denn dann hat er freiwillig sein Eigenvermögen zur Befriedigung eines Nachlaßgläubigers hingegeben, wogegen er nicht geschützt zu werden braucht. Anders, wenn ein Eigengläubiger des Erben seine Forderung gegen eine zum Nachlaß gehörende Forderung aufrechnet (§ I 977 11 )- Hier wird der Nachlaß zugunsten des Eigenvermögens des Erben geschmälert. Diese Folge wird im Interesse der Nachlaßgläubiger durch die Gütersonderung rückwirkend beseitigt. Auch die Zustimmung des Erben zur Aufrechnung ändert daran nichts (bestr., vgl. Staudinger-Lehmann, BGB, 11. Aufl. § 1977 Anm. 3). Der Rechtspfleger verpflichtet RA. Walter als Nachlaßverwalter und erläßt folgende Verfügung: „1. Dem Nachlaßverwalter ist eine Bestallung zu erteilen. 2. Nachricht von der Bestellung dem Antragsteller und dem Erben. 3. Nachricht von der Anordnung der Nachlaßverwaltung und der Bestellung des Verwalters dem Finanzamt (§ 189a AbgO, § 12 1. ErbStDV). 4. Öffentliche Bekanntmachung der Nachlaßverwaltung und des bestellten Verwalters im Amtsblatt. 5. Nach 2 Wochen (Nachweis der gesperrten Hinterlegung der Wertpapiere). 6. Nach 1 Monat (Belegblatt zu 4, Vermögensverzeichnis, Nachweis der Grundbucheintragung). 7. Nach 1 Jahr (Rechnungslegung)."

Die Nachlaßverwaltung ist eine Unterart der Nachlaßpflegschaft mit dem besonderen Zweck der Befriedigung der Nachlaßgläubiger. Soweit nicht der Zweck der Verwaltung Abweichungen erfordert, finden die Vorschriften über die Pflegschaft und damit über die Vormundschaft Anwendung (§§ 1975, 1962, 1915). Der Nachlaßverwalter wird daher — anders als der Konkursverwalter — vom Nachlaßgericht (Rechtspfleger) durch Handschlag an Eides Statt auf sein Amt verpflichtet (§ 1789) und erhält eine Bestallung (§ 1791). Anders als der Testamentsvollstrecker untersteht er der Aufsicht des Nachlaßgerichts (§§ 1837, 1886). Er hat ein Nachlaßverzeichnis aufzustellen und es dem Nachlaßgericht einzureichen (§ 1802). Nachlaß werte hat er verzinslich und gesperrt anzulegen, soweit sie nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten sind (§§ 1806ff.). In gleichem Umfang wie ein Pfleger bedarf er zu Rechtsgeschäften der Genehmigung des Nachlaßgerichts (§§ 1812, 1821, 1822). Dem Nachlaßgericht hat er jährlich Rechnung zu legen (§ 1840). Für die Erfüllung seiner Pflichten haftet er dem Erben und den Nachlaßgläubigern (§§ 1915, 1833, 198511, 1978«, 1979, 1980).

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Nachlaßgericht — Rechtsstellung des Nachlaßverwalters

Die öffentliche Bekanntmachung der Nachlaß Verwaltung (§ 1983) und ihre Eintragung im Grundbuch dienen der Verlautbarung der Gütersonderung. Über die Eintragung in das Grundbuch fehlt eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift. Die Eintragungsfähigkeit wird jedoch nach Analogie der Konkursverwaltung ( § 1 1 3 KO), der Zwangsversteigerung ( § 1 9 Z V G ) , der Testamentsvollstreckung und des Nacherbenrechts (§§ 5 1 , 5 2 GBO) allgemein bejaht. Mangels einer durch § 38 G B O erforderten auf gesetzlicher Vorschrift beruhenden Befugnis kann aber das Nachlaßgericht das Grundbuchamt nicht um die Eintragung ersuchen. Jedoch ist der Nachlaßverwalter nach § 1 3 1 1 G B O berechtigt (und verpflichtet), die Eintragung zu beantragen. Der Bewilligung des Erben bedarf es nicht, weil das Grundbuch durch die Nichteintragung der infolge der Anordnung der Nachlaßverwaltung eingetretenen Verfügungsbeschränkung (§ 1984) unrichtig geworden ist (§ 221 S. 2 GBO). Dadurch wird ein sonst auf Grund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs möglicher gutgläubiger Erwerb vom Erben ausgeschlossen (§ § 1984 1 S. 2, § 7 K O , § 892 1 S. 2 BGB). Der Schutz des gutgläubigen Dritten, der als Schuldner des Nachlasses an den Erben leistet, richtet sich nach § 8 K O . Dagegen ist ein gutgläubiger Erwerb von Fahrnis ( § § 93 2 ff.) auch dann nicht möglich, wenn der Erwerber die Anordnung der Nachlaßverwaltung ohne grobe Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Jedoch wird die Auffassung vertreten, daß ein gutgläubiger Erwerb eintrete, wenn dem Erwerber die Zugehörigkeit zum Nachlaß ohne grobe Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei, weil der Schutzzweck des § 7 K O sich in dem Schutz der Masse vor der Unkenntnis der Verfügungsbeschränkung erschöpfe (Staudinger-Lehmann, aaO., § 1984 Anm. 7; Bartholomeyczik, Erbrecht, S. 315). Zur Verwirklichung der Güter- und Haftungssonderung geht das Recht zur Verwaltung des Nachlasses, zur Verfügung über Nachlaßgegenstände und zur Prozeßführung auf den Verwalter über (§§ 1985 1 B G B , 7, 8 KO). E r ist berechtigt, vom Erben die Herausgabe der Nachlaßgegenstände zu verlangen, jedoch nur im Wege der Klage; das Nachlaßgericht ist nicht befugt, auf Grund des § 3 3 F G G die Herausgabe zu erzwingen ( K G N J W 1958, 2071 = Rpfleger 1959, 189). Die Rechtsstellung des Nachlaßverwalters hat das Reichsgericht ( R G Z 135, 307; 150, 190) entsprechend der Stellung des Konkursverwalters ( R G Z 1 5 1 , 57) dahin bestimmt, daß er ein amtliches Organ für die Durchführung der Zwecke der Verwaltung mit eigener ParteiStellung ist, wobei er mit Wirkung für und gegen die Masse handelt (Amtstheorie). Im Gegensatz dazu steht die Vertretungstheorie, die den Konkursverwalter als gesetzlichen Vertreter des Gemeinschuldners mit Beschränkung auf die Konkursmasse (so Jaeger-Lent, K O , Vorbem. zu § § 6—9), den Nachlaßverwalter also als gesetzlichen Vertreter des Erben in seiner Eigenschaft als Träger des Sondervermögens ansieht (so Kipp-Coing, Erbrecht, 1 1 . Bearb. § 97 V I 1 ; Staudinger-Lehmann, § 1975 Anm. 7; Rosenberg, ZPR, § 39 II 3). Ein Gläubiger schreibt dem Gericht: „In der öffentlichen Bekanntmachung der Panderschen Nachlaßverwaltung habe ich die Bestimmung der Anmeldefrist, des allgemeinen Prüfungstermins und der ersten Gläubigerversammlung vermißt. Ich nehme an, daß diese Punkte nur versehentlich weggelassen worden sind, und bitte mir nähere Mitteilung zu machen. Mir steht an den Nachlaß eine Restforderung von 680 DM aus dem im Februar d. J. ausgeführten Umbau des Werkstattgebäudes zu, welche ich hiermit als nicht bevorrechtigte Forderung anmelde. Der Nachlaßverwalter bestreitet die Forderung, weil ich angeblich im Beisein des jetzigen Erben Kuno Adler dem Erblasser den Betrag mit Rücksicht auf verspätete und teilweise mangelhafte Ausführung der Arbeiten erlassen hätte. Er hat mir anheimgestellt, ihn zu verklagen und will sich im Prozesse auf Adler als Zeugen berufen. Gegen dieses Zeugnis protestiere ich schon jetzt, denn Adler ist selbst der Erbe und als

Nachlaßgericht — Aufhebung der Nachlaßverwaltung

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solcher Partei. Ich bitte mir auf meine Forderung volles Stimmrecht zu gewähren. In der Gläubigerversammlung werde ich den Antrag auf Wahl eines anderen Verwalters sowie eines Gläubigerausschusses stellen. Lankwitz, den 19. Dezember i960. R. Daumann Maurer- und Zimmermeister." Daumann verkennt das Wesen der Nachlaßverwaltung. E s gibt in der Nachlaßverwaltung nicht, wie im Konkurse, die Unterscheidung zwischen „bevorrechtigten" und „nicht bevorrechtigten" Forderungen, keine Anmeldung der Forderungen zur Tabelle, keinen Prüfungstermin, keine Gläubigerversammlungen mit der Befugnis zur Beschlußfassung über den G a n g des Verfahrens, keine Gläubigerausschüsse. Die Nachlaßgläubiger haben nur das Recht, den Verwalter wegen ihrer Forderungen zu verklagen und das erwirkte Urteil in den Nachlaß zu vollstrecken (§ 1 9 8 4 1 S. 3). A u f die Führung der Verwaltung haben sie keinen Einfluß; die Wahl des Verwalters und seine Überwachung obliegt (wie bei allen Pflegschaften) ausschließlich dem Gericht. Rechtsstreitigkeiten für den Nachlaß führt der Verwalter als „Partei kraft Amtes" im eigenen Namen. Der Erbe kann somit als Zeuge vernommen werden. Darüber, daß auch vom Standpunkt der Vertretungstheorie aus der Verwertung der Tatsachenkenntnis des Erben im Prozeß keine verfahrensrechtlichen Bedenken entgegenstehen, sei es durch Partei Vernehmung nach § 45 5 1 1 S. 2 ZPO, sei es als Zeuge, vgl. Jaeger-Lent, a.a.O., § 6 Anm. 17; Staudinger, a.a.O., § 1975 Anm. 7. Daumann erhält v o m Rechtspfleger entsprechenden Bescheid. Die Nachlaß Verwaltung wird gemäß § 1 9 1 9 v o m Gericht aufgehoben, sobald sämtliche bekannten, unstreitigen und fälligen Nachlaßverbindlichkeiten bezahlt, die streitigen oder noch nicht fälligen sichergestellt sind (§ 1986) und der Verwalter dies dem Gericht nachweist. Abnahme der Schlußrechnung nur zwischen Verwalter und Erben, ohne Mitwirkung der Gläubiger. W e s h a l b k o m m e n N a c h l a ß v e r w a l t u n g e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g selten v o r ? 1. Da die Nachlaßverwaltung keine gleichmäßige Befriedigung und keine Rangordnung kennt, vielmehr jeder Nachlaßgläubiger sich einen Titel gegen den Verwalter beschaffen und daraus ohne Rücksicht auf die anderen in den Nachlaß vollstrecken darf, ist sie f ü r ü b e r s c h u l d e t e N a c h l ä s s e u n g e e i g net. Im Fall der Überschuldung hat der Nachlaßverwalter dasselbe zu tun wie ein Erbe, Testamentsvollstrecker oder Nachlaßpfleger in entsprechender Lage: Aufgebot der Nachlaßgläubiger, Geltendmachung der aufschiebenden Einreden, Versuch einer Verständigung über konkursmäßige Befriedigung, Antrag auf Vergleichsverfahren, äußerstenfalls Antrag auf Nachlaßkonkurs. § 1985 1 1 S. 2. 2. Vom Standpunkt des N a c h l a ß g l ä u b i g e r s ist die Nachlaßverwaltung, wie wir am Fall Pander gesehen haben, ein guter Behelf, um als beneficium separationis die Nachteile rückgängig zu machen, welche sonst der Übergang eines aktiven Nachlasses auf einen verschuldeten oder unzuverlässigen Erben zur Folge hätte. Hat der Gläubiger noch keinen Schuldtitel gegen den Erben und gelingt es ihm nicht, einen Arrest zu erwirken, so bildet die Nachlaßverwaltung das einzige Mittel, um ihn vor Schaden zu bewahren. Sind aber mehrere Erben vorhanden, von denen nur einer verschuldet oder unzuverlässig ist, so braucht der Nachlaßgläubiger keine Nachlaß Verwaltung: denn nach den Grundsätzen der Gesamthandsgemeinschaft, die ja auch eine separatio bonorum anderer Art herbeiführt, müssen zu Verfugungen über den Nachlaß alle Miterben zusammenwirken, und der Eigengläubiger des überschuldeten Erben kann zwar dessen Erbteil pfänden — was den Nachlaßgläubiger nicht berührt —, nicht jedoch in den Nachlaß vollstrecken. 3. Vom Standpunkt des E r b e n kommt Nachlaßverwaltung in Betracht, wenn einerseits nicht der Nachlaß offenbar überschuldet und daher sofortige Ausschlagung der Erbschaft das Gegebene, andrerseits die Überschuldung nicht völlig ausgeschlossen ist. Die Nachlaßverwaltung beseitigt die Prozeßführungslast des Erben für Klagen der Nachlaßgläubiger mit dem daraus folgenden persönlichen Kostenwagnis (S. 564) und entlastet ihn außerdem von der Verantwortung aus den §§ 1978^ Indes kann sich der Erbe von der Verantwortlichkeit für die Verwaltung des Nachlasses auch durch Aufgebotsverfahren gegenüber den ausgeschlossenen Gläubigern freimachen (16. Kap. „Aufgebot der Nachlaßgläubiger").

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Nacchlaßgericht — Bestimmung der Inventarfrist

Inventarfrist „Detektiv- und Inkassoinstitut .Sirius' Inh. Hermann Kroker.

Lichterfelde, den 4. November i960.

An das Amtsgericht, Abt. für Nachlaßsachen, Hier. Namens und im Auftrage der Firma Huber & Breuer in Trier beantrage ich: den Erben des am 5. Juli i960 verstorbenen Weinhändlers Martin Schlemmer aus Lichterfelde gemäß § 1994 B G B eine Inventarfrist zu bestimmen. Gesetzliche Erben sind die beiden Schwestern des Erblassers, Frau Wurstfabrikant Martha Dollinger geb. Schlemmer in Regensburg und die ledige Kassiererin Anna Schlemmer in Lichterfelde, Forckenbeckstraße 2. Zur Glaubhaftmachung der Forderung meiner Auftraggeberin überreiche ich Rechnung über 3927,50 DM. Meine Vollmacht füge ich bei. Hermann Kroker."

Wir dürfen unbesehen annehmen, daß der Fall gerade umgekehrt Hegt als bei Pander. Der Nachlaß ist überschuldet, die Erbinnen zahlungsfähig, und Huber & Breuer haben die Inventarfrist nicht beantragt, damit die Erben das Nachlaßverzeichnis einreichen und die Gläubiger sich daraus über die Verhältnisse des Nachlasses unterrichten können, sondern in der Spekulation, daß die Erben die Errichtung des Inventars unterlassen oder dabei einen Fehler begehen und dadurch die Vergünstigung der beschränkten Haftung verHeren werden. Das Gesetz verlangt die Bestimmung der Frist durch besonderen Beschluß des Nachlaßgerichts, wodurch der Erbe auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam gemacht wird. Andrerseits sind die Vorschriften über die Erfüllung der Inventarpflicht recht verwickelt und unübersichtHch, so daß Rechtsunkundige leicht einen Fehler machen können. U n b e s c h r ä n k t e H a f t u n g : Durch Verletzung der Inventarpflicht verwirkt der Erbe die Beschränkbarkeit seiner Haftung, wenn er 1. in der gestellten Frist gar kein oder 2. ein formell ungültiges Verzeichnis einreicht (§ 1994 1 S. 2) oder 3. in dem eingereichten Inventar absichtlich eine „erhebliche" Unvollständigkeit der Nachlaßaktiva herbeiführt oder 4. in der Absicht, die Nachlaßgläubiger zu benachteiligen, fingierte Nachlaßverbindlichkeiten aufnehmen läßt (Inventaruntreue, § 2005 1 S. 1) oder 5. den vom Gläubiger verlangten Offenbarungseid über die Vollständigkeit des Inventars verweigert (§ 2006 1 1 1 ). Zu 1 bis 4 tritt die unbeschränkte Haftung gegenüber allen, zu 5 nur gegenüber demjenigen Nachlaßgläubiger ein, der den Eid gefordert hatte. Die Folgen der allgemein oder gegen über einem einzelnen Gläubiger unbeschränkten Haftung regelt des näheren § 2013.

Eine Nachprüfung der Motive des Antragstellers auf ihre sachliche oder moraHsche Berechtigung steht dem Gericht natürlich nicht zu. Der Rechtspfleger prüft ledigUch, ob die Forderung des Antragstellers glaubhaft gemacht ist (§ 1994 1 1 S. 1) und ob keiner der Fälle vorHegt, in denen Inventarfristen unzulässig sind ( § § 2000, 2011 /i 2). Da keine Bedenken bestehen, ergeht die Verfügung: „ 1 . B e s c h l u ß . Auf Antrag der Firma Huber & Breuer in Trier, vertreten durch Hermann Kroker in Lichterfelde, die glaubhaft gemacht hat, daß ihr eine Forderung gegen den am 5. Juli i960 verstorbenen Weinhändler Martin Schlemmer aus Lichterfelde zusteht, wird a) der Frau Martha Dollinger geb. Schlemmer in Regensburg, Donaustr. 1 , b) der Kassiererin Anna Schlemmer in Lichterfelde, Forckenbeckstr. 2 als Erben des Verstorbenen hiermit eine Frist von zwei Monaten zur Errichtung des Inventars über den Nachlaß des Erblassers bestimmt. Die Frist beginnt mit der Zustellung dieses Beschlusses, falls jedoch die Erben die Erbschaft noch nicht angenommen haben sollten, mit der Annahme der Erbschaft.

Nachlaßgericht — Inventarerrichtung

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Der Erbe muß entweder innerhalb der Frist die Aufnahme des Inventars bei dem unterzeichneten Gericht beantragen oder zu der Aufnahme des Inventars einen Notar hinzuziehen und das mit dessen Hilfe aufgenommene Inventar innerhalb der Frist bei dem unterzeichneten Gericht einreichen. Der Errichtung des Inventars bedarf es auch dann, wenn der Nachlaß werdos ist oder Nachlaßgegenstände nicht vorhanden sind. Kommt der Erbe dieser Aufforderung nicht nach, so haftet er für die Nachlaßverbindlichkeiten nicht nur mit dem Nachlaß, sondern auch mit seinem eigenen Vermögen. Dasselbe gilt, wenn der Erbe absichtlich eine erhebliche Unvollständigkeit der im Inventar enthaltenen Angabe der Nachlaßgegenstände herbeiführt oder in der Absicht, die Nachlaßgläubiger zu benachteiligen, die Aufnahme einer nicht bestehenden Nachlaßverbindlichkeit bewirkt oder wenn er in dem Fall, daß er die Aufnahme des Inventars durch das unterzeichnete Gericht beantragt, die Erteilung der zur Aufnahme des Inventars erforderlichen Auskunft verweigert oder absichtlich in erheblichem Maße verzögert. Lichterfelde, den 6. November i960. Das Amtsgericht Pfleger, Justizinspektor als Rechtspfleger. 2. Zuzustellen an a) Frau Dollinger, b) Frl. Schlemmer. 3. Formlose Mitteilung an Antragstellerin z.Hd. des Kroker. 4. Kosten." Die Zustellung muß nach den Bestimmungen der Z P O über Zustellung v o n A m t s wegen (§§ 208f.) ausgeführt werden, weil sie die Inventarfrist und die Frist für die sofortige Beschwerde (§ 7 7 F G G ) in L a u f setzt (§ 1 6 1 1 F G G ) . Die Inventarerrichtung durch Frau Dollinger kommt der Miterbin A n n a Schlemmer zugute, und umgekehrt. § 2063 A m 8. November wird der Beschluß zugestellt. Wenige T a g e v o r Fristablauf geht kein Inventar, sondern folgender Antrag der Frau Dollinger ein: „ A n das Amtsgericht Lichterfelde.

Regensburg, den 4. Januar 1961.

In der Martin Schlemmersohen Nachlaßsache, 6 V I 531/60, beantrage ich auf den mir zugestellten Fristsetzungsbeschluß vom 6. November v. J., zugleich im Einverständnis mit der Miterbin Anna Schlemmer, gemäß § 2003 B G B die Aufnahme des Inventars durch das Nachlaßgericht. Martha Dollinger." Durch den fristgerechten Eingang des Antrags ist die Inventarfrist gewahrt, gleichgültig wie lange sich die Inventaraufnahme selbst später hinzieht. § 2 0 0 3 1 S. 2. Die Inventarpflicht des Erben geht jetzt dahin, die zur Errichtung des Inventars erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 2 0 0 3 n ) . Durch Verweigerung oder erhebliche V e r zögerung der Auskunft verfällt er der unbeschränkten Haftung gegenüber allen Nachlaßgläubigern. § 2 0 0 5 1 S. 2. — V e r f ü g u n g des Rechtspflegers: „ 1 . Auftrag zur Inventaraufnahme an G V . Pfänder. 2. 2 Wochen." Die F o r m des Gerichtsvollzieher-Inventars regelt die G e s c h A n w f. G V . Neben den Aktiven sind in einer besonderen Spalte die Werte zu vermerken. Die Beteiligten haben die Vollständigkeit und Richtigkeit zu versichern. Neben dem eigentlichen Inventar wird ein Protokoll über die Errichtung aufgenommen. V o m Eingang des Inventars werden Erben und Antragsteller benachrichtigt. Das Inventar verbleibt zur Einsichtnahme für alle, die ein rechtliches Interesse glaubhaft machen (§ 2010), beim Nachlaßgericht, das hierbei wieder als Sammelstelle für erbrechtlich wichtige Urkunden tätig wird (vgl. S. 5 62). Jeder Nachlaßgläubiger — nicht bloß die Antragstellerin

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Nachlaßgericht — Testamentseröffnung

Huber & Breuer — kann nach § 2006 vom Erben den Offenbarungseid auf das Inventar verlangen und erreichen, daß durch Eidesverweigerung der Erbe ihm gegenüber unbeschränkt haftet. Ob das Inventar ordnungsmäßig errichtet, die Inventarfrist versäumt oder Inventaruntreue begangen und unbeschränkte Haftung eingetreten ist, wird nicht vom Nachlaßgericht, sondern in einem etwaigen Prozesse entschieden. Wäre nicht der Antrag aus § 2003 gestellt worden, so hätten die Erben das Inventar selbst unter Hinzuziehung eines zuständigen Beamten aufnehmen und es innerhalb der Frist dem Nachlaßgericht einreichen müssen. Nach Bundesrecht ist zuständig der Notar (§ 2oBNotO). Die vorbehaltene landesrechtliche Regelung (Art. 148 E G B G B , Art. 7 1 NotMaßnG) ist buntscheckig (vgl. dazu Jansen, F G G , § 77 Anm. 6; Keidel, F G G , 7. Aufl. § 77 Anm. 6). Sie beschwört die Gefahr herauf, daß das Inventar wegen Hinzuziehung einer unzuständigen Amtsperson unwirksam ist. Im ehemals preußischen Gebiet z. B. kann das Nachlaßgericht im Fall des § 2003 einen Gerichtsvollzieher oder Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, im landrechtlichen Gebiet auch das Dorfgericht beauftragen. Dagegen wäre ein vom Gerichtsvollzieher oder dem Dorfgericht im unmittelbaren Auftrag der Erben aufgenommenes Inventar ungültig und zur Wahrung der Frist ungeeignet! § 2002, dazu § 74 3 P r A G G V G ; Art. 31, 108 P r F G G ; R G 77, 245. Daher empfiehlt es sich für die Erben, stets einen Notar hinzuzuziehen. Liegt beim Nachlaßgericht bereits ein ordnungsmäßiges Inventar, so genügt es, wenn der Erbe vor dem Ablauf der Frist dem Gericht erklärt, daß dieses Inventar als von ihm eingereicht gelten solle (§ 2004 B G B ) ; hierfür kommen aber die Vermögensverzeichnisse nach § 1640 nicht in Betracht, weil sie regelmäßig nur Privatinventare sind. Daß der Erbe seiner Pflicht nicht genügt, wenn er dem Gericht lediglich anzeigt, daß Nachlaß nicht vorhanden sei, liegt auf der Hand.

Testamentseröffnung Ein Frl. Rosa Hübscher zeigt an, daß der am 13. Januar 1927 geborene, in Lichterfelde wohnhaft gewesene Kaufmann Max Lamm am 7. November i960 verstorben ist. Nächste gesetzliche Erben sind die Eltern. Ein Testament soll der Vater besitzen. Das Nachlaßgericht muß nach dem Tode des Erblassers für die Eröffnung aller von ihm herrührenden Verfügungen von Todes wegen — Testamente und Erbverträge — sorgen, die Beteiligten von dem sie betreffenden Inhalt in Kenntnis setzen und die Verfügungen dauernd zur Einsicht verwahren (§§ 2259—2263a, 2300; Einsichtnahme bei Testamenten: § 2264, bei Erb vertragen: § 34 FGG). Verfügung des Rechtspflegers: „ 1 . Aufforderung an Fabrikbesitzer Franz Lamm, die von seinem Sohn Max errichteten Verfügungen von Todes wegen sofort dem Nachlaßgericht einzureichen. 2. Befindet sich eine Verfügung von Todes wegen des Max Lamm hier in besonderer amtlicher Verwahrung, oder ist von einem auswärtigen Gericht Nachricht über die Verwahrung hierher gelangt ? "

Kommt der Vater seiner Ablieferungspflicht aus § 2259 nicht nach, so wird er durch Ordnungsstrafe dazu angehalten. § 8 3 1 F G G . Leugnet er, im Besitz eines Testaments zu sein, so kann das Gericht von ihm einen Offenbarungseid entsprechend § 883 Z P O verlangen (§ 8 3 1 1 F G G ) ; außerdem sind selbstverständlich die Zwangsmittel des § 3 3 1 1 F G G gegeben. Wissentliche Vorenthaltung in Benachteiligungsabsicht begründet den Tatbestand der Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB). Auf die Anfrage zu 2 meldet die Verwahrungsstelle, daß sich laut Mitteilung des Amtsgerichts Kempten vom 22. Januar 1957 ein Testament dort in besonderer amtlicher Verwahrung befindet. Verfügung: „Nachricht dem Amtsgericht Kempten, daß Kaufmann Max Lamm, von welchem sich laut Mitteilung vom 22. Januar 1957 ein Testament in besonderer amtlicher Verwahrung dort befindet, am 5. November i960 zu Lichterfelde, seinem Wohnsitz, verstorben ist."

Wenn das Kemptener Gericht das Testament zur Eröffnung nach Lichterfelde senden würde, bestünde die Gefahr, daß die unersetzbare Urkunde vor ihrer Eröff-

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Nachlaßgericht — Testamentseröflhung

nung auf dem Transport verloren geht. Deshalb geschieht die Eröffnung durch das verwahrende Gericht. Nachher wird das Testament nebst beglaubigter Abschrift des Eröffnungsprotokolls dem Nachlaßgericht übersandt, welches so 2ur Sammelstelle für alle Verfügungen des Erblassers v o n Todes wegen wird. Kempten behält eine beglaubigte Abschrift des eröffneten Testaments sowie die Urschrift des Eröffnungsprotokolls zurück. § 2 2 6 1 B G B . Um die Eröffnung jedes in besonderer amtlicher Verwahrung befindlichen Testaments oder Erbvertrags beim Tode des Erblassers sicherzustellen, ist folgendes Verfahren eingeführt worden: Das Amtsgericht benachrichtigt von der Verwahrung den Standesbeamten des Geburtsorts des Erblassers oder, wenn der Geburtsort sich im Ausland befindet, die Reichskartei für Testamente beim Amtsgericht Berlin-Schöneberg (AV d. R J M u. RIM vom 15. Juni 1939, D J 1078, jetzt meist landesrechtlich neu gefaßt). Der Standesbeamte macht hierüber einen Vermerk am unteren Rande der Eintragung im Geburtenbuch. Der Standesbeamte des Sterbeorts, bei dem der Tod des Erblassers zur Eintragung in das Sterbebuch angemeldet wird, benachrichtigt den Standesbeamten des Geburtsorts (§ 43 1 Nr. 1 A V O z. PStG vom 12. August 1957 (BGBl I 1139). Dieser leitet die Todesnachricht auf Grund des Vermerks im Geburtenbuch an das Verwahrungsgericht weiter. — Um zu vermeiden, daß eine in amtlicher Verwahrung befindliche Verfugung von Todes wegen gleichwohl uneröffnet bleibt, weil das Gericht keine Kenntnis von dem Tode erhält, sehen die §§ 2263a, 2300a eine Eröffnung von Amts wegen nach mehr als 30 jähriger (bei Erbverträgen 50 jähriger) Verwahrung vor, wenn die vorher anzustellenden Ermittlungen das Fortleben des Testators nicht ergeben haben. A u f die gerichtliche Aufforderung liefert der Vater Franz L a m m ein eigenhändiges Testament ab. E s wird nicht in „besondere amtliche V e r w a h r u n g " (§ 2248) genommen, sondern bis zur Eröffnung bei den anzulegenden Akten aufbewahrt ( § 2 7 N r . 1 1 A k t O ) . Nunmehr bestimmt der Rechtspfleger Eröffnungstermin und läßt die Eltern als gesetzliche Erben laden (§ 2060 1 ). E r Öffnung s Verhandlung: „Das Amtsgericht 4 I V 101/60

Lichterfelde, den 17. November i960.

Gegenwärtig: Justizinspektor Pfleger als Rechtspfleger. In dem zur Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen des Kaufmanns Max Lamm aus Lichterfelde bestimmten Termin erschien der Vater des Verstorbenen, Fabrikbesitzer Franz Lamm aus Lichterfelde, Kurfürstenstr. 19, durch den Personalausweis ausgewiesen, im Beistande des Rechtsanwalts Weiß. Die Sterbeurkunde, nach welcher der Erblasser am 5. November i960 gestorben ist, wurde überreicht. Der Erschienene hatte eine verschlossene Schrift abgeliefert, die sich in einem Umschlag mit folgender Aufschrift befand: „Testament Max Lamm Lichterfelde, den 17. Juni i960." Der Umschlag wurde den Erschienenen vorgelegt. Der Verschluß war unversehrt. D e r Umschlag wird geöffnet. E r enthält einen Geschäftsbriefbogen der Firma Ch. F . Müller & Co. G m b H , mit dem Vordruck „Licfeterfelde, den 196 . . . " D e r Erblasser hat den Vordruck ausgefüllt: „ 1 7 . Juni

o..

Lieber Vater! Ich fühle, daß ich nicht mehr lange leben werde. Dem Fräulein Rosa Hübscher in der Bar ,Max und Moritz' hier vermache ich ein Viertel meines Nachlasses. Max." }7

Lux,

Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Nachlaßgericht — Dorftestament

Das Testament wird verlesen. Protokoll: „Hierauf wurde das Testament geöffnet und dem Beteiligten verkündet, auch auf Verlangen zur Durchsicht vorgelegt. Der Erschienene erklärte: Das Testament und der Vermerk auf dem Umschlag sind von meinem Sohn eigenhändig geschrieben. Der Wert des Nachlasses beträgt 60000 DM. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben: Franz Lamm. Pfleger, Justizinspektor als Rechtspfleger." Wenige T a g e später gehen aus Kempten beglaubigte Abschrift der Eröffnungsverhandlung und das dort eröffnete Testament ein. Bei der Eröffnung w a r niemand erschienen 1 ). Das Testament ist ein v o m Gemeindevorsteher nach § 2249 aufgenommenes Nottestament („Dorftestament"): „Verhandelt Gebirgsbauden, den 20. Januar 1957, im Hause Nummer 39 des Gastwirts Spätzle, in welches sich der Gemeindevorsteher zwecks Aufnahme dieser Verhandlung begeben hatte. Vor dem unterzeichneten Gemeindevorsteher der Gemeinde Gebirgsbauden Jobann Kluge und den zugezogenen, dem Gemeindevorsteher von Person bekannten Zeugen, nämlich: 1. dem praktischen Arzt Dr. Heinrieb Schneider aus Lindau, 2. dem Gastwirt Wilhelm Spätzle aus Gebirgsbauden, welche ebenso •wie der Gemeindevorsteher während der ganzen nachstehenden Verhandlung zugegen waren, erschien, ausgewiesen durch Vorlegung des auf ihn lautenden, mit Lichtbild versehenen Reisepasses Nummer 5387 des Polizeipräsidiums zu Berlin: der Kaufmann Max Lamm aus Lichterfelde, Kurfiirstenstraße 19." Bis hierher weist das Protokoll gegenüber dem Errichtungsprotokoll des ordentlichen gerichtlichen oder notariellen Testaments (S. 465) keine Abweichungen auf. Das Dorftestament entspricht grundsätzlich dem notariellen mit der Maßgabe, daß an die Stelle des Notars der Bürgermeister der Gemeinde oder sein Stellvertreter tritt. Die Formen des Protokoll- und des Übergabetestaments (§ 2 2 3 8 J ) stehen auch hier wahlweise zu Gebote. Die Zuziehung zweier Zeugen ist hier zwingend vorgeschrieben; das „ D o r f g e r i c h t " (S. 560) hat nichts mehr mit Testamentserrichtung zu tun. Ein wesentlicher Unterschied zum gerichtlichen und notariellen Testament ergibt sich hinsichdich des Umfangs der Amtspflichten daraus, daß beim Gemeindevorsteher keine Rechtskenntnisse vorauszusetzen sind; er arbeitet gewöhnlich nach der ihm zur Verfügung stehenden amtlichen Anleitung für die Aufnahme von Nottestamenten. Seine Verantwortlichkeit wird darauf zu beschränken sein, daß die wesentlichen Förmlichkeiten gewahrt sind. Formfehler, die bei der Abfassung der NiederDa das Kemptener Testament nicht erst nach dem Tode des Erblassers nach § 2259 1 abgeliefert und in „vorläufige" Verwahrung genommen, sondern alsbald gemäß §§ 2246, 2249 1 S. 3 zur „besonderen amtlichen Verwahrung" (§§ 2258a, b) gegeben und ein Hinterlegungsschein erteilt war, weicht das Kemptener Eröffnungsprotokoll von dem oben wiedergegebenen etwas ab. Falls der Vater Lamm den Hinterlegungsschein auf Erfordern eingesandt hatte, wird es etwa lauten: „Der Hinterlegungsschein und die unter Nr. . . des Verwahrungsbuch eingetragene Verfügtang von Todes wegen befinden sich bei den Akten. Das nach dem Hinterlegungsschein am zur besonderen amtlichen Verwahrung übergebene Testament des Kaufmanns Max Lamm aus Lichterfelde war aus der Verwahrung entnommen. Das Testament befand sich in einem Umschlag, der mit folgender Aufschrift versehen war: Der Umschlag war mit dem Gemeindesiegel der Gemeinde Gebirgsbauden . . mal verschlossen. Es wurde festgestellt, daß der Verschluß unversehrt war usw." — Ist der Hinterlegungsschein nicht zur Stelle, so wird gleichwohl eröffnet, da ja der Tod des Erblassers dem Gericht amtlich mitgeteilt worden ist.

Nachlaßgericht — Testamentsnachiichten

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schrift unterlaufen, sind unschädlich, wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, daß das Testament eine zuverlässige Wiedergabe der Erklärungen des Erblassers enthält (§ 2249 VI ).

Das Fehlen der besonderen Feststellung nach § 2 249 1 1 würde der Gültigkeit des Testaments nicht entgegenstehen, da es sich um eine Sollvorschrift handelt. Voraussetzung ist aber, daß der Bürgermeister nach pflichtmäßigem Ermessen von der nahen Todesgefahr überzeugt ist, mag diese Überzeugung auch irrig sein, oder daß diese Gefahr tatsächlich besteht. Das Nottestament ist nichtig, wenn der Bürgermeister annimmt, dem Erblasser drohe keine Lebensgefahr und diese auch tatsächlich nicht besteht (RG 1 7 1 , 27). Der Besorgnis einer nahen Todesgefahr ist die Besorgnis des nahen Eintritts der Testierunfähigkeit gleichzusetzen (BGH 3, 372). „ E r erklärte, daß er sein Testament errichten wolle. Es wurde festgestellt, daß an Herrn Lamm alsbald eine mit Lebensgefahr verbundene Bruchoperation vorgenommen werden soll und deshalb Gefahr besteht, daß die Errichtung eines Testaments vor einem Richter oder Notar nicht mehr möglich sein werde. Wie eine mit Herrn Lamm geführte Unterredung ergab, ist er trotz großer Schmerzen zweifellos bei klarem Verstände und geschäftsfähig. Herr Lamm erklärte sodann folgendes als seinen letzten Willen: 1. Den mir vom Großvater hinterlassenen Geschäftsanteil an der Firma Ch. F. Müller GmbH, soll derjenige meiner Neffen erben, den meine Eltern bezeichnen werden. 2. Meine goldene Uhr erhält mein Neffe Emil zu seiner Konfirmation. 3. Diejenigen Personen, welche mich von hier lebendig oder als Leichnam nach der nächsten Eisenbahn- oder Kraftwagenstation schaffen werden, sollen zusammen 300 D M (i.W.) erben. 4. Im übrigen sind meine Eltern die Erben meines Vermögens. Der Erblasser wurde darauf hingewiesen, daß das Testament als nicht errichtet gilt, wenn seit der Errichtung drei Monate verstrichen sind und der Erblasser noch lebt, sowie daß Beginn und Lauf der Frist gehemmt sind, solange der Erblasser außerstande ist, ein Testament vor einem Richter oder Notar zu errichten. Den Wert meines Vermögens gebe ich auf 60000 D M an. Hierauf ist das Protokoll vorgelesen, von dem Erblasser genehmigt und, wie folgt, eigenhändig unterschrieben worden: Max Lamm. Dr. Heinrich Schneider.

Wilhelm Spätzle.

Johann Kluge Gemeindevorsteher."

B e n a c h r i c h t i g u n g der B e t e i l i g t e n . Der Referendar: Werden auch ungültige Testamentsbestimmungen weitergegeben? Der Rechtspfleger: Die Beteiligten erhalten von allem Kenntnis, was in einer gerichtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen steht und sie berührt, auch wenn die Verfügung wieder aufgehoben oder aus formellen oder materiellen Gründen unwirksam ist. Eine Prüfung der Rechtsgültigkeit der weiterzuleitenden Erklärungen steht dem Nachlaßgericht nicht zu. Referendar: Sollen die Empfänger der Nachrichten nicht wenigstens darüber aufgeklärt werden, daß einzelne Verfügungen unwirksam sind ? Rechtspfleger: Grundsätzlich bin ich für Belehrung rechtsunkundiger Beteiligter. Im vorliegenden Fall müßte aber unsere rechtliche Belehrung so viele „Wenn" und „ A b e r " enthalten, daß die Beteiligten nicht viel damit anfangen könnten. Es wäre übrigens auch zum Ausdruck zu bringen, daß die Rechtsansicht des Gerichts unverbindlich ist und daß die Beteiligten sich nicht auf sie verlassen dürfen. Sonst wäre bei schuldhaft unrichtiger Auskunftserteilung — obgleich das Gericht zu ihr nicht verpflichtet ist — die Haftung aus § 839 B G B gegeben. R G 68, 278. — Entwerfen Sie also die Verfügung so, daß nur das Tatsächliche mitgeteilt wird, und legen Sie Ihre Rechtsauffassung in einer Aktennotiz nieder. 37*

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Nachlaßgericht — Eigenhändiges Testament

Verfügungsentwurf des Referendars: „ i . Vollständige beglaubigte Abschrift beider Testamente nebst Eröffnungs Verhandlungen dem Finanzamt mit Nachricht nach Vordruck." V g l . § 1 8 9 a N r . 3 A b g O , § 1 2 I. E r b S t D V . „2. Abschrift des Testaments vom 20. Januar 1957 an Fran% Lamm und dessen Ehefrau mit der Aufforderung, alsbald zu den Akten anzuzeigen: a) Namen und Anschriften sämtlicher Neffen ihres verstorbenen Sohnes, insbesondere des unter 2 des Testaments bezeichneten Emil, bei Minderjährigen auch Name und Anschrift der gesetzlichen Vertreter, b) wann Ihr Sohn nach Errichtung des Testaments vom 20. Januar 1957 wieder fähig geworden ist, ein Testament vor einem Richter oder Notar zu errichten, c) durch welche Personen er von Gebirgsbauden nach der nächsten Eisenbahn- oder Kraftwagenstation geschafft worden ist. 3. Abschrift des Testaments vom 17. Juni i960 nebst Umschlag an Frl. Rosa Hübscher mit Angabe, inwieweit ein Vordruck benutzt worden ist (vgl. § 27 Nr. 12 AktO). 4. V e r m e r k : A. Das Testament vom 20. Januar 1957"gilt als nicht errichtet, weil der Erblasser jedenfalls länger als 3 Monate nach der Errichtung gelebt hat und in der Lage war, in ordentlicher Form vor Gericht oder Notar zu testieren (§ 2252 1 . 1 1 B G B ) . " Die nur vorläufige Geltung der Nottestamente hat ihren G r u n d in der Vorstellung, daß sie in der Regel eilig und ohne reifliche Überlegung errichtet werden. Durch die Hemmung des Fristablaufs, solange der Erblasser zur Errichtung eines ö f f e n t l i c h e n Testaments nicht in der L a g e ist, soll der Erblasser zu einem eigenhändigen Testament nicht gedrängt werden, wenn ihm die Errichtung eines solchen natürlich auch nicht verwehrt ist. Die Errichtung von Wehrmachtstestamenten beruhte auf dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechtsangelegenheiten in der Wehrmacht (WFGG) vom 24. April 1934 (RGBl I, 335, 352) i.d.F. vom 6. September 1943 (RGBl I, 537) mit D V O vom 3. Februar 1936 (RGBl I, 99). Die in der Form des Testamentsgesetzes vom 31. Juli 1938 (RGBl I, 973) vor einem richterlichen Militärjustizbeamten errichteten Testamente sind ordentliche öffentliche Testamente mit unbeschränkter Gültigkeitsdauer. Sie bedurften zu ihrer Gültigkeit keiner Ortsangabe; Wehrmachtsangehörige konnten als Zeugen mitwirken, auch wenn sie minderjährig sind (Art. 1 § 2 1 1 , 1 1 1 § 7 WFGG). Für Militärtestamente im eigentlichen Sinne wurden weitgehende Formerleichterungen geschaffen. Sie verloren ihre Gültigkeit mit Ablauf eines Jahres nach dem Tage, mit dem für den Erblasser das mobile Verhältnis aufgehört hatte (Art. 1 § 3 V WFGG). Nottestamente Verfolgter sind geregelt in Art. 80 REGamZ, Art. 67 R E G b r Z , Art. 69 R E A O Berlin. Sieht man v o n dem Unwirksamwerden des Dorftestaments wegen Zeitablaufs ab, so ist die Zuwendung des Geschäftsanteils an einen v o n den Eltern auszuwählenden Neffen auch inhaltlich unwirksam, falls das in § 1 des Testaments gebrauchte Wort „ e r b e n " im technischen Sinne verstanden wird. § 2 0 6 5 1 1 verbietet es nämlich, einem Dritten die Bestimmung des Empfängers einer Zuwendung zu überlassen. Hiervon macht für das Vermächtnis § 2 1 5 1 die Ausnahme, daß die Auswahl des Bedachten aus einem näher bezeichneten Kreise dem Beschwerten oder einem Dritten übertragen werden kann. Die Rechtsgültigkeit der Zuwendung hängt also — ein ungewöhnlicher Fall! —• davon ab, ob sie als Erbeinsetzung oder als Vermächtnis aufzufassen ist. § 2 0 8 7 1 1 spricht für Vermächtnis und damit für die Gültigkeit. — In § 3 des Testaments wird die Person, welche die 300 D M erhält, nicht v o n einem Dritten, sondern durch objektiv feststellbare Merkmale bestimmt. Das ist sowohl bei V e r mächtnis wie bei Erbeinsetzung zulässig. „ B . Testament vom 17. Juni i960: Die Benutzung des Datumvordrucks ist — im Gegensatz zum früheren Recht — nach § 2247 1 1 unschädlich."

Nachlaßgericht — Testamentsanfechtung

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Diese durch das Testamentsgesetz eingeführte Formerleichterung hat einen der Hauptgründe für die Nichtigkeit eigenhändiger Testamente beseitigt. Doch ist die Angabe von Ort und Zeit dringend zu empfehlen (vgl. § 2247 V). „Die Unterzeichnung des in Briefform errichteten Testaments mit dem bloßen Vornamen genügt als Unterschrift, da in Verbindung mit der Aufschrift des Umschlags über die Persönlichkeit des Verfassers und die Ernstlichkeit seiner Erklärung kein Zweifel besteht (§ 2 2 4 7 1 1 1 ) . "

Das Gesetz empfiehlt zwar als Sollvorschrift die Unterzeichnung des Testaments mit Vornamen und Familiennamen des Erblassers. Es begnügt sich aber mit der Unterzeichnung „in anderer Weise", also z. B. nur mit dem Vornamen, dem Kosenamen oder mit den Worten „Euer Vater", wenn die Art der Unterzeichnung zur Feststellung der Urheberschaft des Erblassers und der Ernstlichkeit seiner Erklärung ausreicht (§ 2247 1 1 1 ). In solchem Fall ist jedoch sorgfältig zu prüfen, ob eine ernstliche, endgültige Erklärung vorliegt oder lediglich ein Entwurf oder die Ankündigung eines beabsichtigten oder anderweit errichteten Testaments (Vogels, J W 1938, 2162). Falls die letztgenannte Möglichkeit ausgeschlossen werden kann, genügt auch die Unterzeichnung mit dem Anfangsbuchstaben des Namens (str.). Die Unterschrift muß so angebracht sein, daß sie die Erklärung deckt und dadurch erkennen läßt, daß der Erblasser die Verantwortung für seine Niederschrift übernimmt. Sie hat also nicht die Bedeutung einer Selbstbezeichnung, die auch am Anfang der Erklärung oder im Text stehen könnte, sondern einer verantwortlichen Abschlußunterschrift (RG D R 1942, 1340; D R 1945, 55). Sie muß deshalb in der Regel am Schluß der Erklärung stehen. Einer Umschlagsunterschrift ( J F G 21, 36) oder dem Absendervermerk auf einer Postkarte ( J F G 16, 91) kann diese Bedeutung zukommen. „ 5 . Nach 5 Wochen (Angaben zu 2 a bis c)."

Sobald die Antwort der Eheleute Lamm eingeht, erhalten sämdiche zu 1 bis 3 des Kemptener Testaments in Betracht kommenden Personen bzw. ihre gesetzlichen Vertreter Testamentsabschrift. Ist ein Minderjähriger darunter, von dessen Eltern sich einer nicht mehr am Leben befindet, so gibt man wegen § 1682 auch dem zuständigen Vormundschaftsgericht Kenntnis. Testamentsanfechtung Ende Oktober 1956 geht zu den Max Lammschen Nachlaßakten vom Anwalt der Eltern Lamm nachstehendes Schreiben ein: „Vollmacht meiner Auftraggeber überreichend, fechte ich namens der gesetzlichen Erben des am 5. November i960 verstorbenen Max Lamm, nämlich des Fabrikbesitzers Fran£ Lamm und seiner Ehefrau Christiane geb. Müller, beide in Lichterfelde, die vom Erblasser am 17. Juni i960 zugunsten des Fäuleins Rosa Hübscher errichtete letztwillige Verfügung gemäß § 2078 1 1 2082 B G B wegen Irrtums an. Der Erblasser unterhielt mit Fräulein Hübscher ein Liebesverhältnis und glaubte der Vater des von ihr erwarteten Kindes zu sein. Durch die Zuwendung sollte der Unterhalt des Kindes gedeckt und der Mutter die Verheiratung oder Begründung einer geschäftlichen Existenz ermöglicht werden. Das Kind ist am 15. Januar 1961 geboren worden, rührt aber nicht vom Erblasser, sondern von dem Kellner Runge her, der auch die Vaterschaft anerkennt hat. Der Erblasser ist also durch die irrige Annahme und Erwartung des Eintritts eines Umstandes, nämlich der Geburt eines von ihm erzeugten Kindes, zu seiner Verfügung bestimmt worden."

Nach der Darstellung der Anfechtungsschrift hat Max Lamm sich nicht über den Inhalt seiner letztwilligen Erklärung im Irrtum befunden, vielmehr seinem Willen gemäß, aber aus einem unrichtigen Beweggrund, testiert. Nach dem Allgemeinen Teil des B G B wäre der Motivirrtum, wenn er nicht arglistig herbeigeführt ist, kein An-

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Nachlaßgericht — Testamentsanfechtung

fechtungsgrund. Dagegen gestattet bei Testamenten § 2078 1 1 ganz allgemein die Anfechtung wegen Irrtums im Beweggrund. Allerdings muß der Testator über den Eintritt oder Nichteintritt der Umstände, auf die es ankommt, sich eine bestimmte — und dabei objektiv unzutreffende — Vorstellung gemacht haben (RG 86, 206; Ausnahme: § 2079). Doch wird — abgeschwächt — für genügend erachtet, daß der Erblasser die Erwartung zweifellos gehabt hat, selbst wenn er sich ihrer nicht ganz besonders bewußt gewesen sein sollte (so B G H 4, 91; dazu kritisch Kipp-Coing, Erbrecht, 1 1 . Bearb. § 24 1 1 2 b). Eine Nachprüfung der Anfechtung vom Standpunkt „verständiger Würdigung des Falles" (so § 1 1 9 1 ) findet in Erbrecht nicht statt. Es genügt der Nachweis, daß der Erblasser, vielleicht aus Schrullenhaftigkeit, bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht so testiert hätte. Wird hierdurch die Testamentsanfechtung im Vergleich zum Allgemeinen Teil wesentlich erleichtert und ausgedehnt, so wird andrerseits der Umfang ihrer Wirkung eingeschränkt. Unter der „letztwilligen Verfügung", gegen welche sich die Anfechtung richtet, ist nämlich nicht das ganze Testament, sondern nur die von dem Willensmangel betroffene letztwillige Anordnung zu verstehen. Ob mit ihr auch andere Anordnungen unwirksam werden, richtet sich nach § 2085, der für Zweifelsfälle das Gegenteil des § 139 als Norm aufstellt, nämlich die Aufrechterhaltung der übrigen Bestimmungen: „favor testamenti". Da das Testament vom 17. Juni i960 aus einer einzigen „Verfügung" besteht, wirkt sich der Unterschied in unserem Fall nicht aus. „Die Anfechtung geschieht lediglich vorsorglich. In erster Linie wird Nichtigkeit des Testaments aus den dem Frl. Hübscher bekannten Gründen geltend gemacht."

Die Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes ist von der Anfechtung wohl zu unterscheiden. Der Anwalt denkt offenbar an Nichtigkeit aus § 138. Die Rechtsprechung hat Zuwendungen an eine Konkubine wiederholt für sittenwidrig und nichtig erklärt; allerdings waren dabei die Erblasser verheiratete Männer, die durch das Legat die Geliebte zur Fortsetzung des ehebrecherischen Verkehrs bestimmen wollten oder unter ihrem Einfluß die Familie in ungerechtfertigter Weise zurücksetzten ( R G J W 1 9 1 1 , 29®; J W 1929, 33 2 mit Anm. Bendix; R G 166, 395; O G H Z 1, 249; 3, 158). Max Lamm hätte klüger getan, statt des Frl. Hübscher den nasciturus zu bedenken und sich im Testament zu der Vaterschaft des Kindes zu bekennen. Damit hätte er einmal den Streitpunkt der Sittenwidrigkeit ausgeschaltet. Außerdem erben nach § 10 ErbStG i.d.F. vom 1. April 1959 (BGBl I 187) uneheliche, vom Vater anerkannte Kinder in der ersten, am niedrigsten besteuerten Klasse, während Frl. Hübscher der höchst besteuerten Klasse angehört. Der steuerliche Vorteil wäre in dem unterstellten Fall auch dann nicht verloren gegangen, wenn das Testament formnichtig gewesen wäre, die Eltern Lamm aber freiwillig dem Kind das ausgesetzte Viertel des Nachlasses gegeben hätten: denn erfüllt der Erbe eine wegen Formmangels nichtige letztwillige Verfügung, so wird nur die Erbschaftssteuer entrichtet, die bei Gültigkeit des Testaments zu zahlen gewesen wäre (§ 5 « I StAnpG).

Schließlich hat der Anwalt noch mit der Möglichkeit gerechnet, daß man trotz § 2087 B G B die Zuwendung wegen des Ausdrucks „vermachen" als Vermächtnis auffaßt. Gegenüber dem Nachlaßgericht erfolgt nämlich die Testamentsanfechtung nur, wenn es sich um Erbfolge, Testamentsvollstreckung oder Auflage handelt (§ 2081 1 ' m ) . Das Vermächtnis ist ein obligatorisches Rechtsverhältnis zwischen dem Bedachten und dem Beschwerten (§2174) und für Dritte ohne Interesse. Deshalb wird hier, dem Grundsatz des § 143 entsprechend, außergerichtlich gegenüber dem Bedachten angefochten (RG 143, 353): „Gleichzeitig wird die Anfechtung durch Zustellung an Frl. Hübscher erklärt. Weiß, Rechtsanwalt

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Nachlaßgericht — Gesetzliche Erbfolge

Beglaubigung der Unterschrift ist für Testamentsanfechtung (anders als bei der Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, § 1955) nicht vorgeschrieben. Für die Vollmacht gilt die allgemeine Regel des § 167 n . Nach § 2081 1 1 erhält Fräulein Hübscher Abschrift der Anfechtungserklärung zur Kenntnisnahme. Über die Berechtigung der Anfechtung mag sie sich mit den Eltern Lamm nötigenfalls im Prozeßweg auseinandersetzen. Das Nachlaßgericht hat nur dann Stellung zu nehmen, wenn es bei der Ausstellung eines Erbscheins darauf ankommen sollte. Erbschein bei gesetzlicher Erbfolge Einziehung und öffentlicher Glaube des Erbscheins Frau Krebs aus Festenberg läßt sich beim Rechtspfleger melden und bittet unter Vorlegung von Standesamtsurkunden, gerichtlichen Bescheinigungen, Erbteilsübertragungen und -pfändungen um Ausstellung eines Erbscheins nach ihrer in Lichterfelde verstorbenen Schwester Frau Salat: Meine Schwester hat sich bald nach dem Tod ihres Kindes vom Manne getrennt, zuerst in Neuwied und Dresden, dann 20 Jahre lang in Lichterfelde das Gewerbe als Masseurin und Heilgymnastin allein ausgeübt und schönes Geld damit verdient. Ein Testament haben wir nirgends ausfindig machen können. Der Mann meiner Schwester hat seinen Erbanteil verkauft und tut, als ob ihn die ganze Angelegenheit nichts anginge. Einem anderen Erben ist der Erbteil von einem Gläubiger gepfändet worden. Jetzt habe ich die Erbschaftsregelung in die Hand genommen und brauche den Erbschein, weil die Bank die Auszahlung des Guthabens und die Herausgabe der Wertpapiere auf Grund ihrer Geschäftsbedingungen von der Vorlegung eines Erbscheins abhängig macht. Der Rechtspfleger: Die Erbscheinsverhandlung können Sie vor jedem Notar und jedem Amtsgericht zu Protokoll erklären (§ 23 56 1 1 BGB). Sie hätten nicht nötig gehabt, deshalb nach Lichterfelde zu reisen. Aber zeigen Sie bitte die Urkunden. Nach den Angaben der Krebs und den von ihr mitgebrachten Urkunden fertigt sich der Rechtspfleger zur besseren Übersicht eine Stammbaumzeichnung an:

1. Ehe

f

Klara Bartels

15.4.1942

2

Franz Kaczmarek in Hamm

Karl Wedemeyer sen. t 25- 8. 1954

O

. , ,

Marie Harms t 5- 1 1 .

A'95 ?

^ M a g d a Topf in Kassel'

Karl Wedemeyer jun. ist ohne Testament verstorben. Wir stellen zunächst den Ehegattenerbteil des Hermann Salat fest, der neben Verwandten der zweiten Ordnung gemäß § 1931 1 S. 1 B G B grundsätzlich % beträgt. Bei der Beerbung eines Ehegatten, der nach dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes, dem 1. Juli 1958, verstorben ist, sind aber auch die güterrechtlichen

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Nachlaßgericht — Gesetzliche Erbfolge

Verhältnisse von Bedeutung. Wenn die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben, wird für den Fall der Auflösung der Ehe durch Tod der Zugewinnausgleich nach § 1 3 7 1 1 B G B in der Weise verwirklicht, daß der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten sich um ein Viertel erhöht (sog. erbrechtliche Lösung). Diese Erbrechtsverstärkung tritt ein ohne Rücksicht darauf, ob ein Zugewinn erzielt worden ist oder nicht. Da die Eheleute Salat die Ehe vor dem i . A p r i l 1953 geschlossen haben, galt für sie nach den Übergangsvorschriften in Art. 8 I Nr. 3 GleichberG der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft, sofern sie zu dem genannten Zeitpunkt im Güterstand der Verwaltung und Nutznießung des Mannes nach B G B a.F. gelebt, inzwischen keinen anderen Güterstand durch Ehevertrag eingeführt haben und wenn keiner von ihnen bis spätestens 30. Juni 1958 die einseitige Ablehnungserklärung nach Art. 8 I Nr. 3 1 1 GleichberG abgegeben hat. Da die Geltung des gesetzlichen Güterstandes durch Urkunden nicht nachgewiesen werden kann,begnügt sich das Gesetz in §235 6 1 1 B G B mit der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers (zum Einfluß des Güterrechts auf das Erbscheinsverfahren s. Tröster, Rpfleger i960, 38). — Frau Salat erklärt auf Befragen, daß ihr keine Tatsachen bekannt seien, durch welche der gesetzliche Güterstand ausgeschlossen würde. Der gesetzliche Erbanteil des Witwers erhöht sich also auf außerdem kann er gemäß § 1932 Hausrat und Hochzeitsgeschenke als „Voraus" beanspruchen. Innerhalb des auf die Verwandten entfallenden Viertels entsteht die Frage, wie das Erbrecht der vollbürtigen Schwester Frau Krebs sich zu dem der halbbürtigen Geschwister bzw. Geschwisterkinder Rudolf Bartels und Karl Wedemeyer jun. verhält. Nach dem B G B werden die Halbbürtigen nicht durch die Vollbürtigen ausgeschlossen, sondern sie erben in derselben Ordnung, aber zu geringerer Quote („zur halben Hand"). Das folgt aus dem System der Erbfolge nach Stämmen und Linien. Auf Grund des Eintrittsrechts der Abkömmlinge tritt an die Stelle des vorverstorbenen Vaters Hans Kunze seine Tochter Frau Krebs, an die Stelle der vorverstorbenen Mutter Klara Kaczmarek ihre gesamte Nachkommenschaft nach Stämmen: „Das Gut rinnt wie das Blut". §§ 1 9 2 5 1 1 1 S. 1, 1924 m . Weitere Folgerungen aus dem Stammes- und Liniensystem: 1. kein „Schoßfall", wenn neben Geschwistern ein Elternteil am Leben ist (§ 1 9 2 5 m ) , 2. Kinder aus einer Kusinenehe erhalten die Erbteile ihrer beiden vorverstorbenen Eltern (§ 1927). Mit der dritten Erbklasse endet das Liniensystem und wird durch das Gradsystem abgelöst. §§ 1 9 2 s 1 1 1 , 1 9 2 9 1 1 . Freilich nur innerhalb der Parentel; ein Verwandter 7.Grades aus der 4.Ordnung geht einem Verwandten ¿.Grades aus der 5. Ordnung vor. § 1930. — In unserem Fall ergibt die Berechnung für Frau Krebs 2 / l a (nämlich das 1 / g des Vaters ganz und von dem '/ 8 der Mutter der dritte Teil), für Rudolf Bartels und Karl Wedemeyer jun. je 1 / 2 1 (aus dem 1 j % der Mutter). Ungenau wäre es, wenn man die Erblasserin und Rudolf Bartels oder Fanny Wedemeyer als „Stiefgeschwister" bezeichnen würde. Stiefgeschwister haben keinen Elternteil gemeinsam und sind überhaupt nicht blutsverwandt.

Die weitere Beerbung des Karl Wedemeyer richtet sich nach § 1 9 3 1 1 S. 2. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß der Ehegatte jedes gesetzliche Erbrecht von Verwandten dritter Ordnung mit Ausnahme der Großeltern absorbiert. Hätte Karl Wedemeyer keine Witwe hinterlassen, so hätten sein Großvater Franz Kaczmarek der Onkel Rudolf Bartels und die Tante Karoline Krebs die Hälfte der vorverstorbenen Großmutter Klara Kaczmarek zu gleichen Teilen geerbt. Nunmehr entfällt auf die Witwe Magda Wedemeyer außer dem gewöhnlichen Witwenerbteil von % auch der Anteil von Onkel und Tante mit zusammen während das letzte Viertel dem Großvater Franz Kaczmarek verbleibt. Bei Zugewinngemeinschaft betragen die Anteile '/ 8 und x / 8 .

Nachlaßgericht — Erbscheinsverhandlung

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E r b s c h e i n s v e r h a n d l u n g . Es wird folgende Verhandlung nach den §§ 2354, 2356, 2357 aufgenommen: „Gegenwärtig: Justizinspektor Pfleger als Rechtspfleger.

Lichterfelde, den 8. November i960,

E s erschien: Frau Schnittwarenhändler Karoline Krebs geborene Künste aus Festenberg, ausgewiesen durch und erklärte: Laut beiliegender Sterbeurkunde ist am 5. Juli i960 meine Schwester, die Masseurin und Heilgymnastin Frau Frida Salat geborene Kunze, zu Lichterfelde, ihrem Wohnsitz, verstorben. Sie hat als gesetzliche Erben hinterlassen: I. ihren Ehemann, den Naturheilkundigen Hermann Salat in Essen, Bismarckstraße 40, zu 3 / 4 , II. mich, ihre vollbürtige Schwester, zu 2 / 1 2 , III. ihre halbbürtigen Geschwister und Geschwisterkinder: a) Handelsmann Rudolf Bartels in Stade, Lüneburgerstraße 24, b) Buchhalter Karl Wedemeyer in Kassel,' inzwischen am 17. September i960 verstorben, zu a und b je zu 1 l 2 i "

Der Erbschein hat die Rechtsverhältnisse so zu bezeugen, wie sie sich im Augenblick des Erbfalls gestaltet haben. Spätere Ereignisse — die Beerbung des Karl Wedemeyer jun. durch seine Frau und seinen Großvater, die Übertragung des Hermann Salatschen Erbanteils auf Ule, die Pfändung des Rudolf Bartelsschen Erbteils durch Madsen •— gehören nicht hinein. Nicht einmal ein Vermerk bloß nachrichtlicher Art wäre statthaft, denn Erbschein, Grundbuch, öffentliche Register sind mit öffentlichem Glauben ausgestattet und dürfen nur solche Angaben enthalten, die des öffentlichen Glaubens fähig sind. R G 64, 173. Deshalb werden Erbscheine auch niemals mit Gründen versehen. Damit die wirklich Berechtigten über den Nachlaß verfügen können, wird außer dem Erbschein nach Frida Salat noch ein solcher nach Karl Wedemeyer zu beschaffen, ferner die Erbteilsübertragung von Hermann Salat auf Ule und der Pfändungsbeschluß des Madsen vorzulegen sein. Den Erbscheir. nach Frida Salat hätten auch die Erben des Karl Wedemeyer beantragen können, ebenso Ule und (nach ausdrücklicher Bestimmung der §§ 792, 896 ZPO) der Pfändungsgläubiger Madsen.

Der Voraus des Witwers darf im Erbschein nicht erwähnt werden, weil er die Natur eines gesetzlichen Vermächtnisses (§ 1932 BGB), also eines rein persönlichen Anspruchs, hat. „Andere Personen, durch welche die Genannten von der Erbfolge ausgeschlossen oder ihre Erbteile gemindert würden, sind nicht vorhanden. Als solche Personen waren nur vorhanden: a) der Sohn der Erblasserin fürgen Salat, geboren am 10. Oktober 1933, gestorben am 18. März 1937.

b) ihr Vater Hans Künste, gestorben am 15. März 1910, c) ihre Mutter Klara Kac^marek, verwitwete Kunze, geborene Bartels, gestorben am 15. April 1942, d) ihre halbbürtige Schwester Fanny Wedemeyer geborene Kac^marek, Mutter des Erben zu 3 b, gestorben am 6. August 1956."

Es genügt nicht, in der Erbscheinserklärung das Erbrecht derj enigen, welche Erben geworden sind, auf dem kürzesten Wege nachzuweisen. Das Gesetz verlangt außerdem Angabe der Personen, die zum Erblasser in einem zur Erbfolge berechtigenden Verhältnis gestanden haben, aber vor seinem Tode weggefallen sind, nebst urkundlichem Nachweis des Wegfalls (Sterbeurkunde, Scheidungsurteil, Erbschaftsausschlagung usw.), und es dehnt die vom Erben abzugebende eidesstattliche Versicherung auf das Nichtvorhandensein derartiger Personen aus. §§ 2354 1 Nr. 3, Abs. II, 2356. Diese Nachweispflicht des Antragstellers ist eine Ausnahme von dem Grundsatz der § § 1 2 F G G , 2358 B G B . Das Nachlaßgericht soll nachprüfen können, ob jene

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Nachlaßgericht — Nachweis der gesetzlichen Erbfolge

Personen wirklich weggefallen sind. D a d u r c h werden E r b e n und Gericht oftmals genötigt, viel M ü h e und Zeit ohne positives Ergebnis auf die „ S a c k g a s s e n " der v e r wandtschaftlichen Beziehungen zu verwenden. E s sind z. B . Kinder, die an sich erbberechtigt gewesen wären, v o r langen Jahren im zartesten Alter verstorben und niemand in der Familie kennt mehr ihre Vornamen, noch Sterbetag und -ort. „Eine Verfügung der Erblasserin von Todes wegen ist nicht vorhanden. Ein Rechtsstreit über das Erbrecht der bezeichneten Erben ist nicht anhängig. Die Erblasserin hat bei ihrem Tode im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt. Sämtliche Erben haben die Erbschaft angenommen." V g l . §§ 23 5 4 4 . 5 , 23 5 7 1 1 1 S. 1. W ä r e ein Rechtsstreit anhängig, so müßte nach § 2 3 6 0 1 das Gericht v o r Ausstellung des Erbscheins den G e g n e r des Antragstellers anhören. „Ich überreiche 1 1 weitere Personenstandsurkunden und 3 gerichdiche Bescheinigungen, versichere an Eides Statt, daß mir nichts bekannt ist, was der Richtigkeit meiner Angaben entgegensteht, und beantrage, mir einen gemeinschaftlichen Erbschein über das Erbrecht der zu I bis III bezeichneten Erben zu erteilen." D i e Personenstandsurkunden sind: Heiratsurkunde der Erblasserin, Geburts- und Sterbeurkunde des Sohnes Jürgen, Geburtsurkunden der Erblasserin und ihrer 3 G e schwister, Sterbeurkunden beider Eltern und der Fanny Wedemeyer, Geburtsurkunde des K a r l Wedemeyer. Heiratsurkunden sind nur dann erforderlich, wenn das Erbrecht auf der Eheschließung beruht, wie beim Ehemann Salat. Die Ehelichkeit eines Kindes wird nach herrschender Ansicht schon durch die Geburtsurkunde bewiesen, in welcher die Geburt von einer Ehefrau bescheinigt ist. Noch weniger bedarf es der Heiratsurkunde, wenn sie (wie bei Frau Krebs) lediglich die Namensänderung einer durch die Geburt erbberechtigten Person belegen soll. K G J F G 21, 120. öffentliche Urkunden sind für die Zeit vor dem 1. Januar 1876 die Auszüge aus den damals geführten gerichdichen Registern oder Kirchenbüchern, für die Zeit danach Auszüge aus den standesamtlichen Registern. Das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 (RGBl I, 1146) i.d.F. vom 8. August 1957 ( B G B 1 I 1125) kennt beglaubigte Abschriften aus den Familien-, Heirats-, Geburten- und Sterbebüchern, Auszüge aus dem Familienbuch sowie Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden (§§ 61a—65a). Diese Urkunden haben dieselbe Beweiskraft wie die Bücher (§ 66 PStG), d. h. sie beweisen nach § 60 PStG bei ordnungsmäßiger Führung der Bücher Heirat, Geburt und Tod. Den Eintragungen im Geburten- und Sterbebuch ist damit eine noch über § 415 Z P O hinausgehende Beweiskraft beigelegt, da sie nicht nur vollen Beweis für die vor dem Standesbeamten abgegebene Erklärung, sondern für die Tatsache der Geburt oder des Todes selbst erbringen. Jedoch ist der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen zulässig (§ 60 1 1 PStG). Beglaubigte Eintragungen im Familienstammbuch erbringen denselben Beweis wie die genannten Urkunden, wenn dabei die Vordrucke verwendet worden sind, die für die Ausstellung von Personenstandsurkunden bestimmt sind (§ 65 der A u s f V O z. PStG vom 12. August 1957, B G B l I 1139). Streitig war die Beweiskraft der vor dem 1. Juli 1938 ausgestellten Stammbücher, wenn die Eintragungen in ihnen in der Form abgekürzter sog. Geburts-, Heirats- und Todesscheine bewirkt worden waren, wie sie die V O über standesamtliche Scheine vom 14. Februar 1924 (RGBl I, 116) durch Einfügung der §§ 15 a—c in das PStG a.F. eingeführt hatte. Solche Urkunden beweisen, daß die Geburt, die Eheschließung oder der Sterbefall im Register beurkundet ist (§ 15 a). Todes- und Heiratsscheinen dieser Art kann ausreichende Beweiskraft zum Nachweis der Tatsachen des § 2354 1 Nr. i, 2 1 1 beigemessen werden ( K G J R 1927, 157). Geburtsscheine nach § 6 1 c PStG dagegen und die in § 102a der 1. A u s f V O z. PStG vom 19. Mai 1938 (RGBl I 533) vorgesehen gewesenen Geburtsbescheinigungen, die besonders im Interesse der unehelichen Kinder geschaffen worden sind, können den Nachweis der Abstammung nicht erbringen, weil sie keine Angaben über die Eltern enthalten. Sind jedoch abgekürzte Eintragungen dieser Art in ein Familienstammbuch aufgenommen, so erstreckt sich die Beweiskraft der Eintragungen im Sinne der §§60 und 66 PStG auch auf solche näheren Angaben über die beurkundeten Personenstandstatsachen, die sich aus dem inneren und äußeren Zusammenhang des ordnungsgemäß geführten Familienstammbuches ergeben, wie durch § 1 0 7 1 1 2 der 1. A u s f V O z. PStG i.d.F. der 4. A u s f V O vom 27. September 1944 (RGBl I, 219) klargestellt

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Nachlaßgericht — Amtsermittlungspflicht

•worden ist. Die Eintragung einer Geburt im Familienstammbuch in der Form eines Geburtsscheins, d.h. ohne ausdrückliche Bezeichnung der Eltern, beweist daher die eheliche Geburt des Kindes von den Eltern, für die das Stammbuch ausgestellt worden ist. Die gegenteilige Rechtsprechung des K G ( J F G 20, 54) hat durch diese Gesetzesänderung ihre Bedeutung verloren (vgl. auch SoergelSiebert, B G B , 8. Aufl. § 2556 Anm. 2). In Beweisnot geraten die Beteiligten häufig, wenn die beweisbedürftigen Tatsachen bei einem Standesamt in den jetzt unter sowjetischer oder polnischer Verwaltung stehenden Ostgebieten beurkundet worden sind. Über die in diesen Fällen vorhandenen Möglichkeiten der Urkundenbeschaffung vgl. Pehe, J R 1955, 134. Notfalls kann das Gericht nach § 2356 1 S. 2 „andere Beweismittel" zulassen, wenn die Urkunden nicht oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu beschaffen sind.

In den überreichten gerichtlichen Bescheinigungen bestätigen die Gerichte Essen, Neuwied und Dresden, daß Verfügungen von Todes wegen sich dort nicht in besonderer amtlicher Verwahrung befinden. Die rein negative Fassung der eidesstattlichen Versicherung ist in § 23 56 1 1 S. 1 zugelassen, weil die Tatsachen, auf die sich die eidestattliche Erklärung bezieht, oft in entfernter Vergangenheit Hegen und der Erbe aus eigenem Wissen über sie nicht unterrichtet sein kann. Namentlich dem Erbeserben, Erbteilserwerber oder Gläubiger wird erst durch diese abgeschwächte Formulierung die Erwirkung eines Erb scheins ermöglicht. Gemeinschaftlicher Erbschein: § 23 57 1 . „Ferner bitte ich: soweit eidestattliche Versicherungen der Miterben für erforderlich erachtet werden, die in Betracht kommenden Erben durch die für sie zuständigen Amtsgerichte über ihren Beitritt zu dieser Verhandlung vernehmen zu lassen. Der Wert des reinen Nachlasses beträgt 29000 D M . Hieraufist die Verhandlung vorgelesen, von der Beteiligten genehmigt und eigenhändig, wie folgt, unterschrieben worden: Karoline Krebs geb. Kun^e. Pfleger."

Soweit das Nachlaßgericht nach § 2 3 5 7 ^ eidesstatdiche Versicherungen der Miterben verlangt, hatte eigentlich die Antragstellerin diese Erklärungen zu beschaffen. Man kommt ihr aber gern entgegen, indem man die Miterben im Wege der Rechtshilfe vor die Amtsgerichte ihres Wohnorts vorladen und ihnen den Beitritt zu der Erbscheinserklärung anheimstellen läßt. Vgl. R G 95, 286; Jansen, F G G , § 2 Anm. 4. W e i t e r e s V e r f a h r e n u n d E r b s c h e i n . Unbeschadet der Notwendigkeit des förmlichen Nachweises durch Personenstandsurkunden und eidesstattliche Versicherungen hat das Nachlaßgericht nach § 2358 B G B (entsprechend § 12 F G G ) alle für die Feststellung des Erbrechts wesentlichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln und alsdann nach § 2359 B G B mit freier Beweiswürdigung zu entscheiden, ob das behauptete Erbrecht als festgestellt angesehen werden kann. Da Frau Krebs schon die Bescheinigungen aller in Betracht kommenden Amtsgerichte über das Nichtvorhandensein von Testamenten beigebracht hat, bleibt für die Amtsermittlungstätigkeit nur die Heranziehung aller vormundschaftsgerichtlichen Akten der Familien Salat, Kunze, Kaczmarek und Wedemeyer. Andere als die aus der Erbscheinsverhandlung bekannten Erbberechtigten werden nicht festgestellt. Ferner läßt das Nachlaßgericht von einigen Miterben im Wege der Rechtshilfe eidestattliche Erklärungen bzw. Beitrittserklärungen zur Erbscheinserklärung der Frau Krebs aufnehmen. Zur Klärung des Güterstandes ergehen Anfragen an das Gericht, in dessen Bezirk der Mann am 30. Juni 1958 seinen Wohnsitz hatte (Art. 8 I Nr. 3 1 1 GleichberG), sowie an das für die Führung des Güterrechtsregisters zuständige Amtsgericht (§ 1558 BGB). Alsdann wird verfügt:

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Nachlaßgericht — Gemeinschaftlicher Erbschein

„ i . G e m e i n s c h a f t l i c h e r Erbschein. Erben der zu Lichterfelde, ihrem Wohnsitz, am 5. Juli i960 verstorbenen Masseurin und Heilgymnastin Frau Frida Salat geb. Kun^e sind: I. ihr Ehemann, der Naturheilkundige Hermann Salat in Essen, zu drei Vierteln, II. ihre vollbürtige Schwester, verehelichte Schnittwarenhändler Karoline Krebs geb. Künste in Festenberg, zu zwei Zwölfteln, III. ihre halbbürtigen Geschwister bzw. Geschwisterkinder: a) Handelsmann Rudolf Bartels in Stade, b) Buchhalter Karl Wendemeyer in Kassel, zu a und b je zu einem Vierundzwanzigstel des Nachlasses. Lichterfelde, den 18. Dezember i960. Das Amtsgericht. Pfleger, Justizinspektor als Rechtspfleger. 2. Ausfertigung der Frau Krebs erteilen. 3. Begl. Abschrift mit Nachricht nach Vordruck dem Finanzamt (s. S. 580 zu 1)."

Der Grund der Berufung (Gesetz oder Verfügung von Todes wegen) ist im Erbschein nicht anzugeben ( K G R J A 16, 45; J F G 5, 186; H R R 1941 Nr. 327 = D F G 1941, 27). K o s t e n : Nach § 8 1 1 KostO soll die Erledigung eines auf Antrag vorzunehmenden Geschäfts davon abhängig gemacht werden, daß ein zur Deckung der Kosten hinreichender Vorschuß gezahlt oder sichergestellt wird. Für die Erteilung des Erbscheins und für die Beurkundung der eidesstattlichen Versicherung wird je eine volle Gebühr erhoben (§§ 107 1 , 49 KostO). Maßgebend ist der Wert des nach Abzug der NachlaßVerbindlichkeiten verbleibenden reinen Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls (§ 107 1 1 S. 1 KostO). Demgemäß hat Frau Krebs nach einem Geschäftswert von 29000 DM 2°/0 Gebühren nach der Gebührenstaffel der Anlage zu § 32 KostO mit 180 DM kurzerhand in Kostenmarken entrichtet. Sofern weitere eidesstattliche Versicherungen von Miterben beurkundet werden, wird eine Gebühr nach dem Wert ihres Anteils am Nachlaß erhoben (§ 4 9 " S. 2 KostO). Gegenständlich beschränkte E r b s c h e i n e ? Nach früherem Landeskostenrecht waren inhaltlich unbeschränkte Erbscheine zu beschränktem Gebrauch, z. B. nur zur Verfügung über ein Grundstück oder ein Sparguthaben, zugelassen, die kostenrechtlich begünstigt waren. Die Kostenordnung sieht solche Gebührenermäßigungen nicht mehr vor (KG DNotZ 1939, 100). Ist der Erblasser nach deutschem Recht beerbt worden, so gibt es auch keinen gegenständlich beschränkten Erbschein, dessen Wirkungen sich nur auf einzelne Nachlaßgegenstände erstrecken. Das BGB kennt nur einen Erbschein, der sich auf die Gesamtheit des in- und ausländischen Vermögens des Erblassers bezieht (BGH 1, 15). Nur wenn der Nachlaß einem ausländischen Erbstatut unterliegt, kann das deutsche Nachlaßgericht nach der Sondervorschrift des § 2369 BGB einen gegenständlich beschränkten Erbschein mit Beschränkung auf die in Deutschland befindlichen Nachlaßgegenstände erteilen. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor, wenn das ausländische Recht für den im Ausland, d. h. in Deutschland befindlichen Nachlaß auf das fremde Recht zurückverweist (Art. 27 EGBGB), wie z. B. das englische und das französische Recht sowie § 300 OsterABGB für unbewegliche Gegenstände. Dadurch zerfällt der Nachlaß in zwei Teile, die verschiedenen Rechten unterliegen (Nachlaßspaltung). Das deutsche Nachlaßgericht hat dann unter Anwendung deutschen Rechts nicht einen gegenständlich beschränkten, sondern einen allgemeinen Erbschein zu erteilen, weil durch die Nachlaßspaltung getrennte und als selbständig zu behandelnde Vermögensmassen gebildet werden, gleichsam als ob sie von verschiedenen Erblassem herrühren (KG J F G 15, 78 = D J 1937, 554 m. Anm. Vogels; K G J F G 16, 23 = JW 1937, 2527 m. Anm. Lewald). Ein gegenständlich beschränkter Erbschein ist das Hoffolgezeugnis nach § 1 8 1 1 S. 3 der Höfeordnung für die britische Zone, das lediglich die Hoferbfolge bescheinigt. In einem solchen Fall kann ein auf das hoffreie Vermögen allein beschränkter Erbschein erteilt werden (KG JW 1938, 3 1 7 1 ; OLG Düsseldorf, NJW 1953, 1870). Neuerdings sieht das Gesetz in § 1 8 1 1 1 BEntschG einen beschränkten Erbschein vor, der einen Nachweis des Erbrechts nur für das Entschädigungsverfahren erbringt (dazu K G NJW RzW 1955,189).

Nachlaßgericht — Einziehung des Erbscheins

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§ 5 5 1 1 bayerNachlaßO, die als Verwaltungsanordnung keine verbindlichen Rechtsnormen enthält, läßt die Erteilung eines Erbscheins mit Beschränkung auf bestimmte Nachlaßgegenstände, z. Bein Grundstück, zu. Obwohl mit den Vorschriften des B G B nicht vereinbar, ist ein mit diesem Inhalt erteilter Erbschein doch jedenfalls nicht unwirksam (BayObLG N J W 1952, 825). Wegen seiner kostenrechtlichen Behandlung s. einerseits Roß- Wedewer, KostO, § 107 andererseits HaberstumpfFirsching, Nachlaßwesen in Bayern, § 55 Bern. 2. Wird ein Erbschein auf Grund sachlicher Gebührenfreiheit für begrenzte Zwecke (Rückerstattung) erteilt, so wird er zur Sicherung gegen mißbräuchliche Verwendung für weitere, kostenrechtlich nicht begünstigte Angelegenheiten mit einem Vermerk über seine begrenzte Gültigkeit versehen. Inhaltlich handelt es sich hier um einen allgemeinen Erbschein, der jedoch bei Verwendung für einen gebührenrechtlich nicht bevorzugten Zweck zurückzuweisen ist, z. B. vom Grundbuchamt ( K G D N o t Z 1 9 4 2 , 1 8 8 ; BayObLG a.a.O.). Unter Nachzahlung der bisher nicht erhobenen Gebühren kann der Berechtigte nach § 85 F G G eine Ausfertigung desselben Erbscheins ohne einschränkenden Vermerk beantragen (§§ 1 0 7 1 1 1 KostO, I i i KostVf.).

E i n z i e h u n g des E r b s c h e i n s . Im Frühjahr 1961 stellt sich heraus, daß Frida Salat im Jahre 1954 vor einem Notar zugunsten einer Freundin testiert hatte: „ Z u r alleinigen Erbin meines Nachlasses ernenne ich Fräulein Leonore Schlosser in Wiesbaden Mein Ehemann soll, falls er mich überlebt und wir bis dahin nicht gerichtlich geschieden sind, seinen Pflichtteil erhalten. Meiner Schwester, verehelichten Schnittwarenhändler Karoline Krebs geb. Kun%e in Festenberg, setze ich 2000 D M (i.W.) als Vermächtnis aus."

Das Testament liegt in Wiesbaden, der Verwahrungsschein befindet sich im Besitz des Frl. Schlosser. Nachdem diese von dem Todesfall Kenntnis erlangt hat, veranlaßt sie die Eröffnung durch das Amtsgericht Wiesbaden. Das eröffnete Testament wird dem Nachlaßgericht Lichterfelde übersandt (S. 576/7). Der Erbschein vom 18. Dezember i960 hatte keine konstitutive Wirkung, er begründete lediglich eine Vermutung (§ 2365 BGB), die durch das aufgefundene Testament widerlegt wird. Den Entscheidungen im Erbscheinsverfahren kommt keine materielle Rechtskraft zu, vielmehr kann und muß das Gericht wie auch sonst in Angelegenheiten freiwilliger Gerichtsbarkeit seine Verfügungen grundsätzlich aufheben oder ändern, wenn es sie nachträglich für ungerechtfertigt erachtet (§ 18 1 F G G ; K G N J W 195 5, 1074). Nur ausnahmsweise fällt diese Änderungsmöglichkeit fort: bei den der sofortigen Beschwerde unterliegenden Entscheidungen (§ 1 8 1 1 ) ; wenn durch die Verfügung die Genehmigung zu einem Rechtsgeschäft erteilt oder verweigert und die Genehmigung oder ihre Verweigerung gegenüber dritten Personen wirksam geworden ist (§ 5 5 l , dazu S. 501); wenn die Verfügung einen Antrag voraussetzt, der zurückgewiesen worden ist und vom Antragsteller jetzt nicht erneuert wird (§ 18 1 ). In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ordnet § 2361 1 B G B die Beseitigung eines an sich ordnungsmäßig erteilten Erbscheins an, sobald sich seine „Unrichtigkeit" ergibt — wobei es keinen Unterschied macht, ob die Unrichtigkeit auf nachträglich eingetretenen oder bekannt gewordenen Tatsachen beruht oder nur durch eine andere rechtliche Beurteilung oder eine andere Würdigung desselben Sachverhalts begründet wird. Sachlich weicht § 2361 1 von § 1 8 1 F G G insofern ab, als der Erbschein nicht ex tune aufgehoben, sondern es nunc eingezogen wird. Der unrichtige Erbschein wird also nur für die Zukunft aus dem Verkehr gezogen oder seiner rechtlichen Wirkung entkleidet (Krafdoserklärung, § 2361 1 1 ). Der von dem unrichtigen Erbschein ausgegangene Rechtsschein kann nicht rückwirkend ausgelöscht werden, weil dadurch in die Rechte Dritter, die auf den Erbschein vertraut haben, eingegriffen würde. Die Einziehung geschieht von Amts wegen. Der Nachlaßrichter macht den Erbscheinserben vom Inhalt des Testaments Mitteilung (§ 2262 BGB) und fragt an, ob sie Einwendungen gegen die Gültigkeit vorzubringen haben. Da das nicht geschieht, verfügt er (§ 13 Nr. 6 RechtspflG):

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Nachlaßgericht — Öffentlicher Glaube des Erbscheins „ i . Beschluß. Gemäß § 2361 BGB wird die Einziehung des am 18. Dezember i960 erteilten Erbscheins nach der am 5. Juli i960 verstorbenen Frida Salat geb. Kunze angeordnet, weil sich seine Unrichtigkeit aus dem vom Amtsgericht Wiesbaden am 10. April 1961 eröffneten notariellen Testament der Erblasserin vom 6. Januar 1954 ergeben hat. Lichterfelde, den 25. April 1961. Das Amtsgericht. Richter. 2. Ausfertigung des Beschlusses an sämtliche im Erbschein vom 18. Dezember i960 bezeichneten Erben — an Stelle des Karl Wedemeyer an dessen Witwe und Franz Kaaynarek —. 3. Aufforderung an Frau Krebs, die erteilte Ausfertigung des Erbscheins innerhalb einer Woche seit Zustellung zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen gemäß § 3 3 F G G zurückzureichen. — Zustellen —. 4. Nachricht dem Finanzamt. 5. 10 Tage."

Frau Krebs reicht die Ausfertigung zurück. Damit ist die „Einziehung" vollzogen. Einer „Kraftloserklärung" durch öffentliche Bekanntmachung (§ 2 3 6 1 n ) bedarf es nur, sofern der eingezogene Erbschein nicht sofort erlangt werden kann. Ein neuer Erbschein entsprechend der durch das Testament geschaffenen Rechtslage wird mangels eines hierauf gerichteten Antrags vorläufig nicht ausgestellt. Der Witwer der Erblasserin ist durch das Testament enterbt (§ 2304 BGB). Er kann nach § 1 3 7 1 1 1 BGB von der Testamentserbin Ausgleich des Zugewinns und den Pflichtteil verlangen, diesen aber nur nach Maßgabe des nicht erhöhten gesetzlichen Erbteils (sog. kleiner Pflichtteil), also in Höhe von 1 l i des Nachlaßwerts. Muß Fräulein Schlosser, die wir jetzt als die richtige Erbin zu betrachten haben, die Verfügungen der Erbscheinserben und die gegen diese erwirkten Vollstreckungsmaßregeln zufolge des ö f f e n t l i c h e n G l a u b e n s des E r b s c h e i n s als wirksam anerkennen ? Der Inhalt des Erbscheins gilt zugunsten solcher Dritter als richtig, die gutgläubig Rechte an Nachlaßgegenständen erworben oder als Nachlaßschuldner Leistungen an den Erbscheinserben bewirkt haben. §§2366, 2367. Das trifft z. B. auf die Erwerber einzelner Nachlaßgegenstände zu. Auch die Bank, auf deren Verlangen Frau Krebs den Erbschein beantragt hatte, ist durch Leistung an die Erbscheinserben befreit worden. Dagegen können sich der Erbteilserwerber Ule und der Pfandgläubiger Madsen nicht auf den Erbschein berufen. Einmal lag ihr Erwerb zeitlich vor der Ausstellung des Erbscheins. Außerdem schützt das Gesetz nicht den Erwerber der ganzen Erbschaft oder eines Erbteils (§§ 2030, 1922 1 1 ), sondern nur den Einzelrechtsnachfolger. Gegen Madsen spricht noch ein dritter Grund: die Beschränkung des gutgläubigen Erwerbs auf Rechtsgeschäfte. Aus Zwangsvollstreckung oder ex lege können keine Rechte vom Nichtberechtigten hergeleitet werden. Für diese Erwerbsarten bleibt der Satz: nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet in voller Geltung. Der Bank wäre der Erbschein auch dann zustatten gekommen, wenn sie sich ihn von den Erbscheinserben nicht hätte vorlegen lassen, sofern er nur im Zeitpunkt der Leistung erteilt und noch in Geltung war. Entsprechend setzt der Schutz des § 892 nicht voraus, daß der Erwerber den ihm günstigen Grundbuchinhalt wirklich gekannt und sich bei der Vornahme des Geschäfts auf ihn verlassen hat. RG 86, 353 (unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Ansicht, daß der Erwerber positiv im Vertrauen auf die Richtigkeit des Grundbuchs gehandelt haben müsse). Beim guten Glauben an die Vollmacht wird allerdings Vorlegung der Vollmachtsurkunde verlangt, vgl. 16. Kap. „Kraftloserklärung von Vollmachten". Dürfen Nachlaßschuldner die Leistung auch dann vom Vorhandensein eines Erbscheins abhänggig machen, wenn sie nicht (wie in unserem Fall die Bank) sich das Recht dazu in den Geschäfts-

Nachlaßgericht — Erbschein auf Grund Testaments

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bedingungen vorbehalten haben? Die allgemeine Zulassung des Rechts auf Vorlegung eines Erbscheins würde zu unendlichen Schikanen fähren. Andrerseits ist der Schuldner der Gefahr doppelter Zahlung ausgesetzt, wenn er ohne Erbschein zahlt. Den §§ 174, 410, 1144, 1155, 1160/1 liegt offenbar der Gedanke zugrunde, daß diejenigen Urkunden vorzulegen sind, durch die der gutgläubige Schuldner nötigenfalls geschützt wird. Hinsichtlich des Erbscheins stellt die Rechtsprechung es auf die Umstände ab, insbesondere darauf, ob das Erbrecht sonst genügend nachgewiesen ist. Z. B. wurde dem Schuldner der Einwand versagt, weil der angebliche Erbe in einem öffentlichen Testament ernannt war, für dessen Nichtigkeit oder Widerruf jeder Anhaltspunkt fehlte. R G 54, 545; JW 10, 8029; RGR-Komm 2 zu § 2365; Soergel zu § 2367. Jedoch ergibt sich aus § 1144 BGB mit § 35 1 GBO, daß der Grundstückseigentümer an den im Grundbuch nicht eingetragenen Erben des Hypothekengläubigers nur gegen Aushändigung eines Erbscheins zu zahlen braucht. Die Frage kann auch für den Nachlaßpfleger praktisch werden, wenn das Nachlaßgericht den Erben ohne Erbschein als festgestellt angesehen hat (S. 565) und der Nachlaß nunmehr ausgehändigt werden soll. Im Rechtsstreit beachte § 94 ZPO.

Erbschein bei testamentarischer Erbfolge. Beschwerde „ M e i n Testament. Erbe meines Nachlasses soll zur Hälfte meine Schwester, Witwe Grete Knapp geb. Franz in Lübeck, sein, die mit ihren 6 Kindern in sehr bedrängter Lage lebt. Je 34 sollen erhalten: 1. mein Bruder, Landwirt Eduard Franz in Dingelfingen, 2. die beiden Kinder meiner verstorbenen Schwester Thekla Körner geb. Franz, nämlich der Gutsinspektor Oskar Körner in Hünern, Kreis Limburg, und die Volksschullehrerin Meta Körner in Lübeck. Meinem Bruder Artur, Fabrik- und Hausbesitzer in Kunzenhausen, vermache ich nur die Familienbilder, weil er selbst wohlhabend ist. Lankwitz, den 1. August 1954. Eugenie Jakobs geb. FranzAls Zeugen: Philipp, Lehrer. Rudolph, Auszügler."

A n t r a g . Eduard Franz beantragt einen Erbschein. In der notariellen Erbscheinsverhandlung heißt es: „Ausweislich der hiermit überreichten Sterbeurkunde ist am 15. September i960 zu Lankwitz, ihrem Wohnsitz, die verwitwete Bäckermeister Eugenie Jakobs geborene Franz verstorben. In ihrem vom Amtsgericht Lichterfelde am 22. September i960 eröffneten eigenhändigen Testament vom 1. August 1954 hat sie zu Erben ernannt: (folgt der Inhalt des Testaments) Frau Knapp ist am 1. Februar 1955, also vor der Erblasserin, verstorben und ihr Erbteil den übrigen Erben angewachsen (§§ 1 9 2 3 2 0 9 4 1 S. 1 BGB), so daß Erben nur geworden sind: I. Eduard Franz 2U Vi> II. a) Oskar Körner, b) Meta Körner, zu a) und b) je Zu Andere Verfügungen der Erblasserin von Todes wegen sind nicht vorhanden. Ein Rechtsstreit über das Erbrecht der bezeichneten Erben ist nicht anhängig. Sämtliche Erben haben die Erbschaft angenommen. Ich versichere an Eides Statt, daß mir nichts bekannt ist, was der Richtigkeit meiner Angaben entgegensteht, und beantrage: mir einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen. Gesetzliche Erben wären im Falle der Unwirksamkeit der Verfügung außer den Genannten die minderjährigen Max, Agnes, Hedwig, Heinrieb, Pauline und Artur Geschwister Knapp im städtischen Waisenhaus Zu Lübeck, bevormundet durch den im Testament genannten Artur Franz, sowie Artur Franz selbst. Der Wert des reinen Nachlasses beträgt 45 000 D M . "

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Nachlaßgericht — Ergänzende Testamentsauslegung

Die für den Erbschein auf Grund gesetzlicher Erbfolge so wichtige Klarstellung der zwischen den Erben und dem Erblasser bestehenden Familienverhältnisse sowie die Angabe der weggefallenen Personen (§ 23543-4) sind für Erbscheine auf Grund' Verfügung von Todes wegen nicht notwendig (arg. § 235 5). Ein Richtervorbehalt besteht nach § 13 Nr. 5 RechtspflG für das Erbscheinsverfahren, wenn eine Verfügung von Todes vorliegt. Der Vorbehalt gilt auch dann, wenn die Verfügung unwirksam oder widerrufen ist oder keine Erbeinsetzung ^enthält; es ist auch unzulässig, daß der Richter nur zur Gültigkeit der Verfügung Stellung nimmt und das weitere Verfahren dem Rechtspfleger überläßt (Jansen, F G G , § 84 Anm. 9; Keidel, F G G , § 72 Anm. 4 A Nr. 5; Arnold, Rpfleger i960, 1 zu VI; a. M. Arndt, RechtspflG § 13 Anm. 17).

G e r i c h t l i c h e P r ü f u n g u n d A b l e h n u n g . Wird ein Erbschein auf Grund eines eigenhändigen Testaments beantragt, so muß das Gericht denjenigen, welcher im Fall der Unwirksamkeit der Verfügung Erbe wäre, über deren Gültigkeit hören (§ 2360 1 1 ); zu diesem Zwecke hatte der Antragsteller die gesetzlichen Erben angegeben. Die Anhörung kann auch schriftlich geschehen. Artur Franz erhält daher Abschrift der Erbscheinsverhandlung mit der Anfrage, ob er für sich und seine Mündel die Gültigkeit des Testaments anerkennt. Antwort: „Die Echtheit des Testaments, das ich in den Akten des Nachlaßgerichts eingesehen habe, ist zweifellos. Ich muß aber im Interesse meiner Mündel Einspruch gegen deren beabsichtigte Ubergehung erheben. Die Erblasserin wollte den Hauptteil ihres Vermögens der Knappschen Familie zuwenden, die es am meisten braucht. Wird der Erbschein nach dem gestellten Antrag erteilt, so wären die Geschwister Knapp noch schlechter daran, als wenn die Erblasserin überhaupt kein Testament errichtet hätte."

Der Referendar: Ich sehe, so leid es mir tut, keine Möglichkeit, den Knappschen Kindern zu dem ihrer Mutter zugedachten Erbteil zu verhelfen. Der Richter: Hat der Erblasser einen seiner eigenen Abkömmlinge bedacht, und fällt dieser nach der Errichtung des Testaments weg, so sollen, wie § 2069 bestimmt, im Zweifel an Stelle des Weggefallenen dessen Kinder bedacht sein. Diese Auslegungsregel ist hier nicht unmittelbar anwendbar, denn Frau Jakobs hat zugunsten ihrer Geschwister und Geschwisterkinder verfügt, aber sie gibt einen Fingerzeig. Wir finden nämlich darin bestätigt, daß Verfügungen von Todes wegen frei auszulegen sind wie alle Willenserklärungen, daß der Erblasser seinen letzten Willen nicht mit ausdrücklichen Worten zu bestimmen braucht und daß bei der Testamentsauslegung Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen, mit herangezogen werden dürfen. § 2096 gestattet die Einsetzung von Ersatzerben. Frau Jakobs konnte also anordnen, daß die Geschwister Knapp Ersatzerben hinter ihrer Mutter sein sollen. Im Fall des § 2069 sind die Kinder des weggefallenen Abkömmlings stillschweigend als Ersatzerben berufen, wobei das Gesetz eine Auslegungsregel für die Annahme der stillschweigenden Ersatzberufung gibt. Auf das Jakobssche Testament paßt die Auslegungsregel als solche nicht. Wohl aber kann sich die stillschweigende Einsetzung der Geschwister Knapp als Ersatzerben aus den gesamten Umständen ergeben. Dazu ist nicht einmal die Feststellung erforderlich, daß Frau Jakobs positiv einen solchen Willen gehabt hat. Es genügt, daß die Erblasserin, wenn sie den möglichen Wegfall des Erben bedacht hätte, die Ersatzberufung der Abkömmlinge vermutlich gewollt hätte (RG 99, 82; K G M D R 1954, 39). Es handelt sich um einen Fall der sog. ergänzenden Testamentsauslegung, die sich nicht darauf beschränkt, einem (erwiesenermaßen oder auch nur mutmaßlich) wirklichen Willen des Erblassers zur Wirksamkeit zu verhelfen, sondern die auf einem unterstellten Willen beruht, der vermutlich vorhanden gewesen wäre, wenn der Erblasser bei der Testamentserrichtung vorausschauend diese Möglichkeit bedacht hätte. Eine derartige Willensergänzung setzt allerdings voraus, daß die für die Zeit der Testamentserrichtung an Hand des Testa-

Nachlaßgericht — Prüfungspflicht. Aussetzungsbefugnis.

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ments, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet ( R G 134, 280; B G H L M Nr. 7 2u § 242; K G D N o t Z 1955, 408 [413]). Mit welcher Freiheit Testamente ausgelegt werden, zeigt der Fall JW 12, J9 33 . Der Erblasser hatte bestimmt: „Meine Nichte, die mich gepflegt hat, soll die Summe von Mark erhalten, die Zinsen sollen ihr ein bescheidenes Leben ermöglichen." Die Summe selbst war nicht ausgefüllt. Im Wege der ergänzenden Auslegung wurden der Nichte 20000 Mark zugesprochen. Referendar: Dann wird wohl dem Antragsteller aufzugeben sein, gegen die Geschwister Knapp auf Feststellung zu klagen, damit im Prozeß der Wille dei Erblasserin und die Umstände, welche für eine ergänzende Auslegung des Testaments maßgebend sind, ermittelt werden? Richter: Das Nachlaßgericht darf sich der Aufgabe eigener Prüfung und Entscheidung nicht entziehen. Das Erbscheinsverfahren stellt neben dem Prozeß eine Zweite selbständige Möglichkeit dar, einen richterlichen Ausspruch zu erlangen, wer Erbe geworden ist. V o r dem Prozeßweg hat es den Vorzug größerer Schnelligkeit und Billigkeit, außerdem verbittert es die Beteiligten nicht so sehr wie ein Rechtsstreit. Wäre Artur Franz nicht für die Geschwister Knapp eingetreten, so hätten wir nach den § § 2 3 5 8 / 9 B G B , 1 2 F G G der Frage ebenfalls nachgehen müssen. Da Frau Jakobs — überflüssigerweise — zwei „ Z e u g e n " das Testament mit unterschreiben ließ, haben wir Auskunftspersonen, die vielleicht über ihre Absichten und Wünsche gut Bescheid wissen. Ich werde daher zunächst die Testamentszeugen vernehmen. Der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat grundsätzlich über alle für seine Entscheidung bedeutsamen Vorfragen selbst zu befinden, auch wenn die Beteiligten in der Lage wären, darüber eine Entscheidung im Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit herbeizufuhren. Mitunter ist ihm ein Aussetzungsrecht eingeräumt (§§ 127, 159, 161 FGG, § 1 1 1 1 1 VertragshG) oder eine Aussetzungspflicht auferlegt (§95 FGG). Der Erbscheinsrichter ist nicht befugt, die Beteiligten auf den Prozeßweg zu verweisen (KGJ 35 A 110; OLG 46, 245; DFG 1943, 8). Ist aber der Erbrechtsstreit bereits anhängig, so darf nach überwiegender Meinung das Nachlaßgericht nach seinem pflichtmäßigen Ermessen das Erbscheinsverfahren aussetzen (KGJ 35 A 1 1 3 ; DFG 1943, 8). — Durch das Nebeneinander von Prozeßweg und Erbscheinsverfahren entsteht die Möglichkeit abweichender Entscheidungen und das Problem, ob die rechtskräftige Prozeßentscheidung den Erbscheinsrichter bindet. Gegen die Bindung besteht, abgesehen vom Amtsgrundsatz des Erbscheinsverfahrens, hauptsächlich das Bedenken, daß die Rechtskraft des Urteils subjektiv begrenzt ist (§ 325 ZPO), während der Erbscheinsrichter die Interessen aller Beteiligten zu wahren hat. Mindestens mit Hilfe des § 23621 BGB wird aber letzten Endes derjenige, den das Prozeßgericht als richtigen Erben anerkennt, obsiegen. Dazu Schlegelberger, F G G , 7. Aufl. § 12 Anm. 17; Staudinger-Firsching, BGB, § 2359 Anm. 6, 8, § 2360 Anm. 8—10; Wieczorek, ZPO, § 13 GVG Anm. C H. Philipp und Rudolph werden vorgeladen. Der Antragsteller, Oskar und Meta Körner sowie Artur Franz erhalten Nachricht vom Termin. Denn auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist das rechtliche Gehör (Art. 1 0 3 1 G G ) zu wahren und die Beteiligten haben gemäß § 15 F G G , § 397 Z P O das Recht, der Beweisaufnahme beizuwohnen und Fragen zu stellen (Jansen, F G G , § 15 Anm. 3 a, § 397 Z P O Anm. 1 ; Keidel, F G G , 7. Aufl. § 15 Anm. 4, 8; a.M. Schlegelberger, F G G , § 15 Anm. 5). Philipp sagt aus: „Bei Abfassung des Testaments hat die Erblasserin nicht bloß von ihren Geschwistern, sondern auch von deren Kindern gesprochen, und wie das Geld diesen einmal zugute kommen würde. Am 1. oder 2. Osterfeiertag 1955 traf ich sie vor der Kirche. Sie kam auf mich zu und sagte: „Denken Sie, Herr Philipp, da ist die Grete, die doch 8 Jahre jünger und viel gesünder war als ich, plötzlich gestorben und hat nichts hinterlassen. Ich freue mich, daß ich durch das Testament für die Kinder gesorgt habe." 38

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Nachlaßgericht — Erbscheinsantrag

Der Zeuge Rudolph macht eine ähnliche Aussage. Der Antragsteller beharrt auf dem Erbscheinsantrag. Der Referendar: Ich möchte den Erbschein dahin ausstellen, daß die Geschwister Knapp zusammen zur Hälfte, Eduard Franz zu % und die Geschwister Körner je zu 1 / 8 Erben geworden sind. Richter: Wir können dem Antragsteller nicht einen ganz anderen Erbschein aufdrängen, als er verlangt hat. Antrag und Erbschein müssen sich inhaltlich decken. Das Nachlaßgericht ist an den gestellten Antrag gebunden und darf nur entweder den Erbschein mit dem beantragten Inhalt erteilen oder den Antrag zurückweisen. Zulässig ist es, mehrere bestimmt bezeichnete Anträge als Haupt- und Hilfsantrag miteinander zu verbinden (RG 156, 172). Dagegen ist das Gericht nicht befugt, ohne Rücksicht auf den gestellten Antrag einen Erbschein so zu erteilen, wie es ihn für richtig hält ( K G D N o t Z 195 5, 410). Artur Franz stellt nunmehr als gesetzlicher Vertreter der minderjährigen Geschwister Knapp den Antrag, „zu seinen Händen einen Erbschein dahin zu erteilen, daß die Erblasserin von den Geschwistern Knapp zu je von Eduard Franz zu % und von Oskar und Meta Körner zu je beerbt worden ist."

Der Referendar: Ist dieser Antrag nicht wegen Formmangels unwirksam? Der Richter: öffentliche Beurkundung ist nur für die eidesstattliche Versicherung (§ 2356 1 1 ), nicht für den Erbscheinsantrag als solchen erforderlich. Der Antrag des Artur Franz ermöglicht uns daher, einen Erbschein mit dem richtigen Inhalt zu erteilen. Verfügung: „ 1 . Beschluß: Der Antrag des Landwirts Eduard Franz vom 9. November i960 auf Erteilung eines Erbscheins nach der in Lankwitz, ihrem Wohnsitz, verstorbenen Witwe Eugenie Jakobs geb. Frans^ wird zurückgewiesen, (folgt kurze Begründung) 2. Gemeinschaftlicher Erbschein. Erben der am 15. September i960 in Lankwitz, ihrem Wohnsitz, verstorbenen Bäckermeisterswitwe Eugenie Jakobs geb. Franz sind: I. Die Kinder der verstorbenen verwitweten Frau Grete Knapp geb. Franz a u s Lübeck: Max, Agnes, Hedwig, Heinrich, Pauline und Artur Geschwister Knapp, sämtlich minderjährig, im Städtischen Waisenhaus in Lübeck, zu je einem Zwölftel, II. der Landwirt Eduard Franz ^ Dingelfingen zu einem Viertel, III. a) der Gutsinspektor Oskar Körner in Hünern Kreis Limburg, b) die Volksschullehrerin Meta Körner in Lübeck, zu a) und b) zu je einem Achtel des Nachlasses. Lichterfelde, den 20. Dezember i960. Das Amtsgericht. Richter. 3. Ausf. des Beschlusses zu 1 an Eduard Franz4. Ausf. des Erbscheins an Artur Franz. 5. Begl. Abschrift des Erbscheins an a) Amtsgericht (Vormundschaftsgericht) Lübeck, b) Finanzamt mit Nachricht nach Vordruck. 6. Kosten."

Zutreffend hat der Richter aus der von ihm nach dem Ergebnis seiner Ermittlungen und seiner Rechtsauffassung gewonnenen Überzeugung die nach der Verfahrenslage gebotene Folgerung gezogen und den Erbscheinsantrag des Eduard Franz zurückgewiesen, dem des Artur Franz aber stattgegeben. Wegen des öffentlichen

Nachlaßgericht — Beschwerde

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Glaubens des Erbscheins (§§ 2366, 2367) übernimmt der Richter damit eine erhebliche Verantwortung. Denn die Gefahr, daß der Erbschein sich später — etwa auf Grund einer anderen Beurteilung durch das Beschwerdegericht — als unrichtig erweist, ist stets gegeben. Hat der fälschlich ausgewiesene Erbe inzwischen über die Nachlaßgegenstände verfügt, so kann der Schaden unter Umständen nicht mehr beseitigt werden. Diese Erwägungen haben manche Gerichte veranlaßt, in zweifelhaften Fällen zunächst einen Beschluß zu erlassen, in welchem das Nachlaßgericht unter Beifügung einer kurzen Begründung ankündigt, es werde den beantragten Erbschein erteilen, wenn gegen diesen Beschluß binnen zwei Wochen keine Beschwerde eingelegt werde. Ein solches Verfahren ist bedenklich. Denn der Richter entzieht sich dadurch der ihm vom Gesetz auferlegten Entscheidungspflicht und wälzt sie auf die Beschwerdeinstanzen ab. Eine solche Handhabung führt praktisch zu dem Ergebnis, daß Erbscheine entgegen dem Gesetz den Verfügungen gleichgestellt werden, die erst mit der Rechtskraft wirksam werden. Auch der Nachlaßrichter muß, wie jeder andere Richter, die volle Verantwortung für seine Entscheidungen selbst übernehmen (so K G N J W 1955,1072 m. zust. Anm. Baur; Schlegelberger, F G G , 7. Aufl. § 84 Anm.6; Jansen, F G G , § 84 Anm. 5 b). Jedoch hält der B G H eine solche beschwerdefähige Vorankündigung in zweifelhaften Ausnahmefällen für statthaft ( B G H Z 20, 256). B e s c h w e r d e . Im Februar 1961 geht beim Amtsgericht folgende Beschwerdeschrift des Gutsinspektors Oskar Körner ein: „Gegen die Anerkennung des Erbrechts der Geschwister Knapp und die dadurch bewirkte Schmälerung meines Erbteils um die Hälfte lege ich Beschwerde ein. Der Antrag meines Onkels Eduard Franz ist zu Unrecht zurückgewiesen worden. Den Aussagen der Zeugen Philipp und Rudolph kann keine Beweiskraft beigemessen werden, Philipp ist mit dem Antragsteller Eduard Fran% seit langem verfeindet, Rudolph ein altersschwacher und leicht beeinflußbarer Mensch, (folgen Einzelheiten mit Angabe von Beweismitteln). Die Erblasserin hat ihre Schwester Grete 5 % Jahre überlebt. Wenn sie den Geschwistern Knapp eine Zuwendung hätte machen wollen, so hätte sie in der Zeit zwischen dem Tode der Schwester und ihrem eigenen Ableben sicherlich einen Testamentsnachtrag errichtet. Oskar Körner."

Der Richter übersendet die Akten dem Landgericht mit folgender V e r f ü g u n g : „Der Beschwerde wird nicht abgeholfen. Wie das Testament vom 1. August 1954 zum Ausdruck bringt, wollte die Erblasserin ihre Geschwister bzw. Geschwisterkinder je nach dem Grad ihrer Bedürftigkeit in größerem oder geringerem Umfang erben lassen. E s ist daher von vornherein wahrscheinlich, daß sie nicht sowohl die im Testament bezeichneten Personen, als vielmehr die einzelnen Stämme ihrer Familie im Auge gehabt und eine ausdrückliche Einsetzung der Abkömmlinge als Ersatzerben nur deshalb nicht ausgesprochen hat. weil sie an die Möglichkeit, daß sie einen der ernannten Erben überleben könnte, nicht dachte, Unter diesen Umständen sind die Angriffe gegen die Aussagen der Zeugen Philipp und Rudolph unerheblich, weil auch bei Ausschaltung der Zeugenaussagen die Geschwister Knapp als Ersatzerben ihrer Mutter anzusehen sind."

Das Landgericht (Zivilkammer, § 30 F G G ) prüft zunächst, ob die Beschwerde zulässig, d.h. an sich statthaft und in rechter Form und Frist eingelegt ist. Für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels wird es darauf ankommen, gegen welche der beiden Entscheidungen des Amtsgerichts sich die Beschwerde richtet, ob gegen die Zurückweisung des Erbscheinsantrags des Eduard Franz oder gegen den dem Artur Franz als Vormund der Geschwister Knapp erteilten Erbschein. Gegen die Zurückweisung des Erbscheinsantrags ist die einfache unbefristete Beschwerde nach § 19 F G G gegeben (wegen der Form vgl. § 2 1 FGG). Anders ist es dagegen mit der Beschwerde 38*

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Nachlaßgericht — Beschwerdebefugnis

gegen die Verfügung, durch welche die Erteilung des Erbscheins angeordnet wurde. Die Wiederaufhebung dieser Verfügung kann mit der Beschwerde nur verlangt werden, solange der Erbschein dem Antragsteller noch nicht ausgehändigt ist ( R G 137, 222). Der Gesetzgeber hat aus den S. 589 erörterten Gründen eine Wiederaufhebung des bereits erteilten Erbscheins, sei es durch das Nachlaßgericht selbst auf Grund des § 1 8 1 F G G , sei es durch das Beschwerdegericht nicht gestattet, sondern in § 2361 B G B eine besondere Art der Abhilfe geschaffen. Gegen die Erteilung des Erbscheins ist deshalb die einfache Beschwerde nur mit dem Ziel statthaft, daß das Beschwerdegericht das Nachlaßgericht anweise, den Erbschein einzuziehen ( K G D F G 1 9 3 6 , 1 9 5 ; BayObLG 1950/51 Nr. 131). Vgl. auch die verwandte Vorschrift des § 7 1 1 1 G B O über die Beschwerde gegen solche Grundbucheintragungen, an die sich ein gutgläubiger Erwerb anschließen kann. B e s c h w e r d e b e f u g n i s . Das Gesetz begrenzt ferner in § 20 F G G den Kreis derjenigen, die zur Einlegung der Beschwerde berechtigt sind. Die Beschwerdebefugnis hat jeder, „dessen Recht durch die Verfügung beeinträchtigt ist". Eine solche Begrenzung ist im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erforderlich, weil der Kreis der an einer Angelegenheit Beteiligten nicht schon, wie im Zivilprozeß, durch die Parteirolle (oder den Beitritt als Nebenintervenient) bestimmt ist. Besonders in den Fällen, in denen der Richter von Amts wegen tätig wird, bedarf es einer Begrenzung des sonst nicht absehbaren Kreises der möglicherweise an der Änderung einer Entscheidung Interessierten, da eine Popularbeschwerde nicht gut zugelassen werden konnte. Beschwerdeberechtigt ist deshalb nach § 20 1 F G G nur derjenige, in dessen Recht durch die angefochtene Verfügung unmittelbar eingegriffen wird (Keidel, F G G 7. Aufl. § 20 Anm. 4; Jansen, F G G , § 20 Anm. 1). Ein geringerer Grad der Beeinträchtigung begründet ein Beschwerderecht nur in den vom Gesetz besonders hervorgehobenen Fällen. So genügt nach § 57 1 Nr. 1 u. 3 ein rechtliches Interesse, nach § 57 1 Nr. 9 schon ein berechtigtes Interesse. Ist die angefochtene Verfügung nicht geeignet, die Beeinträchtigung eines Rechts des Beschwerdeführers herbeizuführen, wäre also ein Recht des Beschwerdeführers auch dann nicht beeinträchtigt, wenn die Verfügung ungerechtfertigt wäre, hat er etwa im Falle des § 20 1 F G G an der Änderung der angefochtenen Entscheidung ein bloß rechtliches, berechtigtes, ideelles oder gar nur wirtschaftliches Interesse, so kann die Beschwerde schon mangels Beschwerdebefugnis keinen Erfolg haben. Sie ist dann nicht etwa, wie früher in der Rechtsprechung angenommen wurde, als unbegründet zurückzuweisen, sondern wegen Fehlens der Beschwerdebefugnis als unzulässig zu verwerfen (Schlegelberger, F G G , 7. Aufl. § 25 Anm. 1 ; Baur, Freiw. Gerichtsbarkeit, § 29 A 1 1 1 1 ; Lent, Freiw. Gerichtsbarkeit, 3. Aufl. § 22 V I 1 ; Jansen, F G G , § 20 Anm. 4; abw. Keidel, F G G , 7. Aufl. § 20 Anm. 2, § 25 Anm. 1).

Auch die Beeinträchtigung eines Rechts genügt für die Beschwerdeberechtigung nicht, wenn eine Verfügung nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist (§ 20 1 1 F G G ) . In diesem Fall steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu. Demnach ist die Beschwerde des Oskar Körner ohne weiteres unzulässig, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrags des Eduard Franz richtet. Anders wäre es, wenn der von Eduard Franz beantragte Erbschein bereits erteilt gewesen und nachträglich wieder eingezogen worden wäre. Die Anordnung der Einziehung kann der Zurückweisung des Antrags im Sinne des § 20 1 1 F G G nicht gleichgestellt werden. Da durch die Einziehung des gemeinschaftlichen Erbscheins auch das in ihm bezeugte Erbrecht des Miterben beeinträchtigt wird, der den Erbscheinsantrag nicht selbst gestellt hatte, ist auch dieser Miterbe zur Beschwerde berechtigt ( K G DNotZ 1955, 156 unter Aufgabe der bish. Rechtspr.; zust. B G H Z 30, 220).

Nachlaßgericht — Testamentsvollstreckerzeugnis

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G e g e n die Erteilung des Erbscheins v o m 20. Dezember i 9 6 0 dagegen ist Oskar K ö r n e r beschwerdeberechtigt, weil er behauptet, sein Erbrecht sei in dem Erbschein nicht richtig ausgewiesen (§ 2 0 1 F G G ) . N a c h d e m v o m Beschwerdegericht klargestellt worden ist, daß die sich nur gegen den Erbschein v o m 20. Dezember i 9 6 0 mit dem Ziel ziehung richtet, sieht der Beschwerdeführer nach Vernehmung weiterer daß seine Beschwerde aussichtslos ist. Darauf nimmt er die Beschwerde

Beschwerde seiner E i n Z e u g e n ein, zurück.

K o s t e n : Während nach § 4 6 1 1 G K G im Falle der Zurücknahme einer Beschwerde eine Gebühr nicht erhoben wird, tritt nach § 1 3 1 1 S. 1 Nr. 2 KostO nur eine Ermäßigung der Gebühr auf % der vollen Gebühr ein. Der Beschwerdewert bestimmt sich gemäß § 1 3 1 1 1 KostO in allen Fällen nach § 30 KostO. Das bedeutet: Für den Beschwerdewert ist nicht der Geschäftswert des ersten Rechtszuges (hier § 1 0 7 1 1 KostO) maßgebend, sondern der Wert ist in vermögensrechtlichen Angelegenheiten nach freiem Ermessen Zu bestimmen ( K G N J W i960, 778 = Rpfleger i960, 98; O L G Köln, Hamm, Rpfleger i960, 96, 97). Hierbei ist die Bedeutung der Sache und das Interesse des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. A u ß e r g e r i c h t l i c h e K o s t e n werden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit im allgemeinen nicht erstattet. § 13 a! S. 1 F G G gestattet es aber dem Gericht, bei Beteiligung mehrerer nach seinem Ermessen eine Kostenerstattung anzuordnen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dazu genügt abweichend von der Regelung der Z P O nicht schon das bloße Unterliegen oder bei Erledigung der Hauptsache das voraussichtliche Unterliegen oder die Zurücknahme eines Antrags oder Rechtsmittels, sondern die Anordnung bedarf darüber hinaus besonderer Rechtfertigung durch die Lage des Einzelfalls ( K G Rpfleger 1959, 385). Nur wenn ein Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen wird oder wenn ein Beteiligter Kosten durch grobes Verschulden veranlaßt, ist die Anordnung der Kostenerstattung zwingend geboten (§ 13 a 1 S. 2 F G G ) . Bei Zurücknahme eines Rechtsmittels gilt die Ermessensvorschrift des § 13 a 1 S. 1 ( B G H Z 28, 117). Mit Rücksicht auf die bedrängte Lage der elternlosen Geschwister Knapp und die Uneinsichtigkeit des Beschwerdeführers entspricht hier die Anordnung der Kostenerstattung wohl der Billigkeit. Die G e r i c h t s k o s t e n hat der Beschwerdeführer unmittelbar kraft Gesetzes zu tragen ( § 2 Nr. 1 KostO); insofern bedarf es daher keiner Kostenentscheidung (Jansen, F G G , § 20a Anm. 2). Die Beschwerdekammer erläßt daher folgenden Beschluß: „ D i e den Geschwistern Knapp im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 6000 D M . " Testamentsvollstreckerzeugnis Hausbesitzer Fechner hat seine Töchter zu E r b e n eingesetzt und angeordnet: „Bis zur Verheiratung meiner Töchter soll der Nachlaß von dem Seifenfabrikanten Otto Metzger in Lichterfelde als Testamentsvollstrecker verwaltet werden. Der Testamentsvollstrecker soll in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlaß nicht beschränkt sein." D e r v o m Nachlaßgericht bereits ausgestellte Erbschein lautet: „Gemeinschaftlicher Erbschein. Erben des am 15. April 1961 zu Bad Ems verstorbenen, in Lichterfelde wohnhaft gewesenen Hausbesitzers Fedor Fechner sind: 1 . das volljährige Fräulein Fanny Fechner in Lichterfelde, 2. das volljährige Fräulein Felicitas Fechner in Lichterfelde, je zur Hälfte des Nachlasses. Es ist ein Testamentsvollstrecker ernannt, der die Erbteile bis zur Verheiratung der Erbinnen verwalten soll." D e r durch § 2 3 6 4 vorgeschriebene Testamentsvollstreckerzusatz hat die negative Bedeutung: klarzustellen, daß den E r b e n nicht die unbeschränkte V e r f ü g u n g und Verwaltung des Nachlasses zusteht. D e r Erbschein erbringt, trotz des Zusatzes, einen

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Nachlaßgericht — Testamentsvollstreckerzeugnis

Nachweis lediglich für die Erbfolge, nicht auch für die Befugnisse des Testamentsvollstreckers (deshalb wird im Erbschein nicht einmal der Name des Vollstreckers genannt). Will der Vollstrecker sich als solcher ausweisen, so bedarf er hierzu eines Testamentsvollstreckerzeugnisses (§ 2368). Bald erweist sich, daß Metzger mit dem Erbschein nicht auskommt und das Zeugnis beantragen muß. Da die für Erbscheine geltenden Vorschriften, also auch die Notwendigkeit einer öffentlich beurkundeten eidesstattlichen Versicherung und des urkundlichen Nachweises der wesentlichen Tatsachen, auf Testamentsvollstreckerzeugnisse entsprechende Anwendung finden (§ 2368 1 1 1 ), reicht Metzger eine notarielle Verhandlung ein: „Ausweislich der bei den Erbscheinsakten befindlichen Sterbeurkunde ist am 15. April 1961 zu Bad E m s der in Lichterfelde w o h n h a f t gewesene Hausbesitzer Fedor Fechner verstorben. I n seinem a m 25. April 1961 eröffneten eigenhändigen Testament v o m 22. Juni 1959 h a t er angeordnet, daß bis z u r Verheiratung der v o n i h m ernannten E r b e n Fanny u n d Felicitas Fechner der Nachlaß v o n mir als Testamentsvollstrecker verwaltet werden u n d d a ß ich in der E i n g e h u n g v o n Verbindlichkeiten f ü r den Nachlaß nicht beschränkt sein soll. Beide E r b i n n e n sind n o c h unverheiratet. A n d e r e V e r f ü g u n g e n des Erblassers v o n Todes w e g e n sind nicht vorhanden. Ich h a b e das A m t als Testamentsvollstrecker a n g e n o m m e n . "

Damit das Amt des Testamentsvollstreckers beginnt, bedarf es außer der Ernennung durch den Erblasser oder eine von ihm ermächtigte Stelle der Annahme des Amtes, die durch — unbeglaubigte — Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht geschieht. § 2202 X I . Läge sie noch nicht vor, so wäre in dem Antrag auf Ausstellung des Zeugnisses eine Annahmeerklärung und zugleich ihr urkundlicher Nachweis zu finden, denn mit ausdrücklichen Worten braucht die Annahme nicht erklärt zu werden. Schlüssige Handlungen gegenüber Dritten, z. B. die Wahrnehmung von Vollstrecker-Geschäften, reichen allerdings — im Gegensatz zur Erbschaftsannahme — nicht aus (RG 81, 166). „ E i n Rechtsstreit ü b e r meine Befugnis als Testamentsvollstrecker ist nicht anhängig. Ich versichere an Eides Statt, daß mir nichts bekannt ist, was der Richtigkeit meiner A n g a b e n entgegensteht, u n d beantrage: m i r ein Testamentsvollstreckerzeugnis nach Fedor Fechner zu erteilen. D e r W e r t des Gegenstandes der Testamentsvollstreckung beträgt 3000 D M 1 ) . (Vorlesungs- u n d Genehmigungsvermerk, Unterschriften)."

Da das Fechnersche Testament ein eigenhändiges ist, soll das Gericht nach der dem § 2360 1 1 entsprechenden Vorschrift des § 2368 1 1 den Erben über die Gültigkeit der Ernennung hören. Das erübrigt sich jedoch, weil die beiden Erbinnen, als sie den Erbschein beantragten, sich selbst auf dieses Testament berufen haben. Der Richter ( § 1 3 Nr. 6 RechtspflG) erteilt das beantragte Zeugnis in nachstehender Fassung: „Tes tarnen t s v o l l s t r e c k e r z e u g n i s . Testamentsvollstrecker ü b e r den Nachlaß des am 15. April 1956 Zu Bad E m s verstorbenen, in Lichterfelde w o h n h a f t gewesenen Hausbesitzers Fedor Fechner ist der Seifenfabrikant Otto M e t i e r in Lichterfelde. D e r Testamentsvollstrecker h a t die Erbteile bis zur Verheiratung der E r b i n n e n zu verwalten. I n der E i n g e h u n g v o n Verbindlichkeiten f ü r den Nachlaß ist er nicht beschränkt."

Der Vermerk über die Befugnis zur unbeschränkten Eingehung von Nachlaßverbindlichkeiten ist in § 2368 1 S. 2 vorgeschrieben. Sachlich handelt es sich darum, daß der Testamentsvollstrecker im allgemeinen Verbindlichkeiten nur eingehen darf, *) §§ 3 0 l I > I ° 9 I N r . 2 K o s t O . Beim Testamentsvollstreckerzeugnis werden die K o s t e n nicht nach d e m Nachlaßwert berechnet, sondern es ist v o n d e m Regelwert des § 30 1 1 K o s t O v o n 3000 D M auszugehen, v o n d e m nach Lage des Falles nach oben o d e r tonten (Mindestwert 200 D M ) abzuweichen ist. Sonst gelten die gleichen Grundsätze wie f ü r Erbscheinskosten (S. 588).

Nachlaßgericht — Aufgaben bei Testamentsvollstreckung

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soweit es „ z u r ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses erforderlich" ist. § 2 2 0 6 1 S. 1. Infolge der nach § 2207 zulässigen Anordnung fällt diese Beschränkung seiner Verpflichtungsbefugnis fort. Die Erweiterung gilt aber nur für das Verhältnis des Testamentsvollstreckers und des Erben gegenüber Dritten. Die Verantwortlichkeit des Testamentsvollstreckers gegenüber dem Erben wird durch eine Anordnung nach § 2207 nicht berührt (§§ 2 2 1 6 1 , 2 2 1 9 , 2220). In einem wichtigen Punkt steht das Zeugnis dem Erbschein nicht gleich. Während nämlich unrichtige Erbscheine erst durch „ E i n z i e h u n g " und „Kraftloserklärung" ihren öffentlichen Glauben verlieren, bestimmt § 2 3 6 8 1 1 1 B G B (zweiter Satzteil), daß Testamentsvollstreckerzeugnisse mit Beendigung des Amtes v o n selbst kraftlos werden. Hierin liegt eine Gefahr für den redlichen Verkehr, besonders da nach R G 8 1 , 1 6 6 das A m t des nicht mit der dauernden Verwaltung des Nachlasses beauftragten V o l l streckers (vgl. S. 4 7 7 ) schon durch tatsächliche Abwicklung der ihm zugewiesenen Aufgaben (Auszahlung der Vermächtnisse, Erfüllung der Auflagen, Verteilung des Nachlasses unter die Erben usw.) erlischt, ohne daß es einer Niederlegungserklärung oder Anzeige ans Gericht bedürfte. M a n darf sich nicht darauf verlassen, daß das A m t des Testamentsvollstreckers, der sich durch Vorlegung eines gerichtlichen Zeugnisses ausweist, nicht schon beendet ist. Anders, wenn eine v o m Erblasser angeordnete Beschränkung der Amtsdauer im Zeugnis nicht vermerkt ist ( R G 83, 352). Jedoch hat das Nachlaßgericht das kraftlos gewordenen Zeugnis zu den Akten zurückzufordern ( K G J F G 1 6 , 299). S o n s t i g e n a c h l a ß g e r i c h t l i c h e T ä t i g k e i t in T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r s a c h e n : Entgegennahme der Annahme-, Ablehnungs- und Kündigungserklärung des Vollstreckers (§§ 2202, 2226). 2. Ernennung eines Testamentsvollstreckers auf Grund der hierzu vom Erblasser testamentarisch ausgesprochenen Ermächtigung (§ 2200). Ist der im Testament ernannte Vollstrecker durch Tod, Ablehnung, Kündigung, Entlassung weggefallen und fehlt es an einer ausdrücklichen Ermächtigung des Nachlaßgerichts im Testament, so kann diese sich unter Umständen aus einer „ergänzenden Testamentsauslegung" (S. 592) ergeben, -wenn die Durchführung der Testamentsvollstreckung für den Erblasser von ausschlaggebender Bedeutung war (z.B. bei exheredatio bona mente, oben S. 477). O L G 42,128; K G DNotZ 1955, 649. Freilich muß auf der anderen Seite berücksichtigt werden, daß die Ernennung des Testamentsvollstreckers ein hohes Maß persönlichen Vertrauens bedingt, das der Erblasser zu einer ihm unbekannten, vom Nachlaßgericht zu ernennenden Person vielleicht nicht gehabt hätte. 3. Bestimmung einer Frist, innerhalb deren sich der ernannte Vollstrecker über die Annahme oder Ablehnung zu entscheiden hat (§ 2202 111 ). 4. Außerkraftsetzung von Anordnungen, die der Erblasser für die Verwaltung des Nachlasses gegeben hat, wegen Gefährdung des Nachlasses (§ 2216 1 1 ). Es ist z.B. die Anlage des Vermögens in bestimmten Werten angeordnet, die man als unsicher ansehen muß. Nicht unbedenklich ist es, wenn der Vollstrecker sich ohne förmliche Außerkraftsetzung durch das Gericht über unzweckmäßige Bestimmungen des Erblassers hinwegsetzt, selbst wenn sämtliche Beteiligten mit ihm einig sind und er dadurch vor Schadensersatzansprüchen (§ 2219) gesichert ist. 5. Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Mitvollstreckern (§ 2224 1 ). Vgl. dazu Jansen, F G G , § 82 Anm. 3. 6. Entlassung des Testamentsvollstreckers aus „wichtigem Grunde", z.B. wegen grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, auf Antrag eines Beteiligten (§ 2227). Hat das Nachlaßgericht einen Testamentsvollstrecker ernannt, obwohl ein Ersuchen des Erblassers nicht vorlag, so ist die Ernennung deswegen nicht unwirksam; jedoch ist dieser Umstand ein wichtiger Grund für die Entlassung des Testamentsvollstreckers ( K G DNotZ 1955, 649). Eine Entlassung im Prozeßweg gibt es nicht. Dagegen wird der Prozeßrichter mit Streitigkeiten über die Art der Verwaltung des Nachlasses befaßt. § 2216 1 spricht die Verpflichtung des Verwalters zur ordnungsmäßigen Verwaltung aus, und da zwischen ihm und dem Erben ein auftragsähnliches Verhältnis besteht (§ 2218), können die Erben den Testamentsvollstrecker auf Erfüllung dieser Verpflichtung verklagen (RG 73, 26).

Gemeinschaftliches Testament In den Testamentsakten der Viehhändlersfrau Stark aus Grünhübel liegen ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament der Eheleute Stark und ein ebensolches

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Nachlaßgericht — Gegenseitiges gemeinschaftliches Testament

Einzeltestament der Frau, beide nach deren T o d eröffnet. Bei der Eröffnung gemeinschaftlicher Testamente werden Verfügungen des überlebenden Gatten, soweit sie sich aussondern lassen, von der Verkündung ausgeschlossen (§ 2275). Demgemäß hat das Gericht das gemeinschaftliche Testament wieder versiegelt und in besondere amtliche Verwahrung gebracht, während offen bei den Akten die beglaubigte A b schrift des eröffneten und verkündeten Teiles liegt: „Gemeinschaftliches Testament. Hierdurch bestimmen wir, Ernst und Anna Stark, für den Fall unseres Todes folgendes: § 1. Ich, der Ehemann, setze meine Frau zur Universalerbin ein mit dem Recht, so lange sie lebt, frei über den Nachlaß zu verfügen. Da wir in kinderloser Ehe leben, soll das Vermögen, welches beim Tode meiner Frau vorhanden sein wird, zu z/3 an meinen Bruder, Bahnwärter Robert Stark in Neukirch, zu % an die Schwester meiner Frau, Buchhalterswitwe Emma Büchner geb. Görlich in Nordhausen, fallen. § 2. Ich, die Ehefrau, ernenne meinen Mann zum Universalerben mit der Befugnis, so lange er lebt, über den Nachlaß frei zu verfugen. Das Vermögen, welches nach seinem Tode vorhanden sein wird, soll zu % an meine Schwester Frau Büchner, zu z / 3 an Robert Stark fallen. § 3. Ist von der Eröffnung ausgeschlossen worden. § 4. Nach meinem, der Frau, Tode erhält der Konvent der Elisabethinerinnen in Berlin 1500 D M (i. W.). Grünhübel, den 27. Januar 1957. Ernst Stark. Vorstehendes soll auch mein letzter Wille sein. Grünhübel, den 27. Januar 1957. Anna Stark geb. Görlich." Das Ein2eltestament lautet: „Mein letzter Willel Hierdurch setze ich meinen Ehemann Ernst Stark und meine Schwester, Buchhalterswitwe Emma Büchner geb. Görlich in Nordhausen, als Erben je zur Hälfte ein, weil meine Schwester sich in großer Not befindet. Soweit das von mir mit meinem Manne gemeinschaftlich errichtete Testament zu diesem meinem letzten Willen im Widerspruch steht, widerrufe ich es ausdrücklich. Grünhübel, den 15. Dezember 1958. Anna Stark geb. Görlich." Erklärung des Witwers in der Eröffnungsverhandlung: „Das gemeinschaftliche Testament bis zu der Unterschrift,Ernst Stark'' habe ich geschrieben. Die Worte .Vorstehendes* bis zu der Unterschrift ,Anna Stark geb. Görlich' hat meine verstorbene Frau geschrieben. Das Testament vom 13. Dezember 1958 ist vollständig von meiner Frau geschrieben und unterschrieben." E r b s c h e i n : Der Witwer beantragt gemäß den §§ 235 5/6 die Erteilung eines Erbscheins nach Anna Stark: „und zwar in erster Linie dahin, daß ich alleiniger und unbeschränkter Erbe nach meiner Frau geworden bin, in zweiter Linie dahin, daß ich befreiter Vorerbe bin und eine Nacherbfolge auf den Überrest angeordnet ist." Gemeinschaftliche Testamente werden häufig in der Form errichtet, daß der Mann den ganzen Text schreibt, datiert und unterschreibt und die Frau ihren Namen — ohne einen Zustimmungsvermerk und ein besonderes Datum — hinzusetzt. Solche Testamente sind jetzt seit dem Testamentsgesetz vom 31. Juli 1938 gültig (§ 2267; beachte für früher errichtete Testamente die Übergangsvorschrift des § 5 i n i TestG). Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute Stark wahrt die gesetzliche Form. Es ist auch nicht durch das spätere Testament der Frau beseitigt oder eingeschränkt.

Nachlaßgericht — Auslegung gemeinschaftlicher T estamente

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Zwar unterliegen gemeinschaftliche Testamente, wie jedes Testament, zu Lebzeiten der Erblasser dem freien Widerruf. Doch kann der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen nur entweder durch gemeinschaftliches Testament oder durch eine dem anderen Teil zuzustellende gerichtlich oder notariell beurkundete Erklärung erfolgen, während Widerruf durch einseitiges Testament wirkungslos ist. §§ 2271 J , 2296 1 1 . Denn selbstverständlich muß der andere Gatte von dem Widerruf Kenntnis haben, damit er nunmehr seine eigenen letzwilligen Verfügungen ohne Rücksicht auf das gemeinschaftliche Testament treffen kann. Über die Form der Zustellung der Widerrufserklärung s. Jansen, N J W i960, 475, Hieber, DNotZ i960, 240 gegen B G H Z 31,5 = N J W i960, 33. Bei gemeinschaftlichen Testamenten der hier in Rede stehenden Art, durch welche Eheleute sich gegenseitig zu Erben einsetzen und bestimmen, daß der Nachlaß später dritten Personen zufallen soll, entsteht der Zweifel, ob das Vermögen des Erstversterbenden auf den überlebenden Gatten als befreiten Vorerben und nach dessen Tod auf den Dritten als Nacherben auf den Überrest (§ 2137) übergehen soll, oder ob der überlebende Teil freier und unbeschränkter Erbe des Erstversterbenden und der Dritte nur Erbe des Überlebenden sein soll. Für die zweite Gestaltungsmöglichkeit, für die sich die Bezeichnung „Berliner Testament" — wahrscheinlich zu Unrecht, vgl. Endemann, J W 1933, 1350; Kipp-Coing, Erbrecht, 1 1 . Bearb. § 79 V Fußn. 22 — eingebürgert hat, spricht die Auslegungsregel des § 2269 1 . In diesem Fall würden Robert Stark und Frau Büchner das von Frau Stark herrührende Vermögen dereinst nach dem Tode des Mannes nur deshalb erhalten, weil es durch den ersten Erbfall zu einem Teil des Vermögens des Mannes geworden ist und weil der Mann im gemeinschaftlichen Testament die beiden als seine Erben eingesetzt hatte. Die Frage ist von großer praktischer Bedeutung: 1. Stirbt Frau Büchner oder Robert Stark zwischen Anna und Emst Stark, so haben sie als Nacherben mit dem Vorerbfall, also mit Anna Starks Tode, ein vererbliches Recht erworben (§ 2108), das auf ihre Erben übergegangen ist. Sollen sie dagegen ausschließlich Erben des überlebenden Gatten sein, so haben sie den für sie maßgeblichen Erbfall, den Tod des Letztversterbenden, nicht erlebt (§ 19231), und ihre Erben würden leer ausgehen, es sei denn, daß sie im Testament als Ersatzerben berufen sind oder man auf Grund einer „ergänzenden Auslegung" aus dem Zweck des Testaments eine stillschweigende Ersatzberufung der Kinder (S. 592) herleiten kann. 2. Als Vorerbe ist Ernst Stark zu Schenkungen aus der Masse der Frau ohne Zustimmung der Nacherben nicht befugt. §§ 2 1 1 3 1 1 , 2136. Als Vollerbe kann er an sich beliebig schenken; man wendet aber, sobald das gemeinschaftliche Testament durch Annahme der testamentarischen Zuwendung für den überlebenden Ehegatten bindende Kraft erlangt hat (§ 2 2 7 1 n ) , den für Erbverträge geltenden § 2287 entsprechend an. Die beiden künftigen Erben können daher zwar zunächst nichts gegen die Schenkung tun, haben aber nach dem Tod des Überlebenden einen Bereicherungsanspruch an den Beschenkten, falls die Schenkung in der Absicht erfolgt war, sie zu benachteiligen. R G 58, 64; B G H DNotZ 1951, 344. 3. Hat der Ehemann Stark die Stellung eines Vollerben, so dürfen seine Eigengläubiger in das von der Frau herrührende Vermögen vollstrecken, während bei Annahme einer befreiten Vorerbschaft die Befriedigung von Ernst Starks Gläubigern aus dem Nachlaß der Frau verhindert werden kann (S. 476). Für die E r b s c h a f t s s t e u e r gilt der Vorerbe als Vollerbe. Beim Eintritt des Nacherbfalls haben die Nacherben den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Auf Antrag ist jedoch der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen (§ 7 1 , 1 1 ErbStG). Eigenartige p f l i c h t t e i l s r e c h t l i c h e Wirkungen hat das Berliner Testament mit Einsetzung des Überlebenden zum Vollerben, falls Kinder vorhanden und zu Erben nach dem Tode des Überlebenden ernannt sind. Jedes Kind kann nach dem Tode des Erstverstorbenen den Pflichtteil fordern, bleibt

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Nachlaßgericht — Vor- und Nacherbfolge im Erbschein

aber gleichwohl Erbe des Letztversterbenden. Hatten die Erblasser durch eine Ungehorsamkeitsklausel bestimmt, daß, wer nach dem Erstverstorbenen den Pflichtteil fordert, auch nach dem Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten soll, so kann das Kind zweimal den Pflichtteil fordern, nämlich nach dem Tod der Mutter von ihrem, nach dem Tod des Vaters von seinem Nachlaß. Im Nachlaß des Vaters ist aber (wenn die Mutter Zuerst verstorben war) der mütterliche Nachlaß mit enthalten, so daß der Ungehorsame vom Vermögen des Erstversterbenden zweimal den Pflichtteil erhält! Das Kind, welches nach dem ersten Todesfall seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hatte, braucht sich das Erlangte nicht einmal auf den Pflichtteil nach dem Letztversterbenden anrechnen zulassen. Kipp-Coing, Erbrecht, 11. Bearb. § 79 IV 2.

A u f welche der beiden Arten soll das Starksche Testament ausgelegt werden? Nach § 22691 B G B gilt der Dritte im Zweifel nur als Erbe des Letztversterbenden. Die Eheleute Stark haben zwar die Erbeinsetzungen nicht in der sonst üblichen Form: „ w i r setzen uns gegenseitig als Erben ein, was von unserem beiderseitigen Vermögen beim T o d des Überlebenden noch vorhanden sein w i r d . . . . " , zusammengefaßt, sondern vollständig getrennt gehalten. Aber diese äußere Form der Erklärungen ist nicht entscheidend. Inhaldich liegt ein g e g e n s e i t i g e s gemeinschaftliches Testament vor, weil die Eheleute sich gegenseitig bedenken. Ferner wird dem Überlebenden „freie Verfügung" zugesprochen, was auf die Stellung eines befreiten Vorerben hinweisen könnte. Jedoch haben die Erfahrungen gezeigt, daß die Beteiligten sogar die Bezeichnung Nacherbe in einem gemeinschaftlichen Testament mitunter nicht in ihrem eigentlichen gesetzlichen Sinne verstehen, sondern in unscharfer Ausdrucksweise dahin, daß die so bezeichnete Person Erbe, und zwar des Letztversterbenden, erst werden soll, nachdem dieser das beiderseitige Vermögen in seiner Hand vereinigt hat, also n a c h dem Letztversterbenden ( K G D R 1943, 1108; O L G München J F G 15, 246). Wichtiger für die Auslegung unseres Testaments ist, daß nach den bei den Akten befindlichen Unterlagen der Mann ein Vermögen von 34000 D M , die Frau ein solches von 18 000 D M besessen hatte und daß die Verwandten des Mannes und der Frau später im Verhältnis 2:1 erben sollen. Entscheidend für die Auslegung des Testaments entweder im Sinne des § 2269 oder als Vor- und Nacherbschaft ist nämlich, ob die letztwillige Verfügung und sonstige zu ihrer Auslegung heranzuziehende Umstände erkennen lassen, daß die Eheleute das beiderseitige Vermögen als Einheit angesehen und deshalb sowohl eine verschiedene Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten zu den beiderseitigen ursprünglich getrennten Vermögen während seiner Lebensdauer als auch die Möglichkeit einer Trennung der beiden Vermögen nach seinem Tode haben ausschließen wollen oder nicht (RG 113, 240; K G D N o t Z 1955, 408). Im vorliegenden Fall zeigt das Testament, daß das Vermögen des Erstversterbenden nicht von dem des Überlebenden getrennt bleiben und später von jedem der beiden Vermögen je ein Bruchteil an die beiderseitigen Verwandten fallen soll, sondern daß beide Vermögen zu Lebzeiten des Überlebenden in einen T o p f geworfen werden und die Verwandten an dieser Einheit später anteilmäßig so teilhaben sollen, wie es dem Einbringen jedes Ehegatten entspricht. Hieraus folgt, daß der Hauptantrag begründet ist. Der Richter verfügt: „Erbschein. Alleiniger Erbe der zu Grünhübel, ihrem Wohnsitz, am 12. Oktober i960 verstorbenen Frau Anna Stark geb. Görlich ist ihr Ehemann, der Viehhändler Ernst Stark in Grünhübel." Nach dem Tode des Ernst Stark wäre ein weiterer Erbschein erforderlich, wonach Robert Stark und Frau Büchner den Ernst Stark beerbt haben. Zur Verfügung über Vermögensstücke der Frau brauchen also in diesem Falle Robert Stark und Frau Büchner zwei Erbscheine, welche zusammen ihre Erbberechtigung ergeben. Legt man das Testament als Vor- und Nacherbfolge aus, so hätte dem Erbschein ein Nacherbenvermerk des Inhalts beigefügt werden müssen, daß Emma Büchner und Robert Stark — ohne An-

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gäbe ihrer Erbteile — Nacherben auf den beim Tode des Vorerben vorhandenen Uberrest sind (§ 2363). Aus der Nichterwähnung von Ersatznacherben hätte sich zugleich ergeben, daß das Anwartschaftsrecht der Nacherben nach § 2108 BGB vererblich ist (RG 154, 330). Der Nachlaßrichter muß sich also bei der Ausstellung des dem Vorerben zu erteilenden Erbscheins darüber klar werden, ob das Nacherbrecht vererblich ist, ob eine ausdrückliche oder stillschweigende (§ 2069) Berufung von Ersatznacherben vorliegt oder ob Anwachsung an die Mitnacherben (§ 2094) eintreten soll. Dadurch wird der Nachlaßrichter häufig vor schwierige Aufgaben gestellt (vgl. K G JW 1937, 2045). — Tritt später der Nacherbfall ein, so hat Ernst Stark aufgehört, Erbe seiner Frau zu sein, und Frau Büchner und Robert Stark sind ihre Erben geworden (§§ 2100, 2139). Der dem Vorerben erteilte Erbschein ist unrichtig geworden und muß nach § 2361 1 von Amts wegen eingezogen werden. Ein neuer Erbschein wird auf Antrag dahin ausgestellt, daß Frau Büchner Zu Ya und Robert Stark zu 2 / 3 Erben der Frau Anna Stark seit dem Todestage des Vorerben sind. Ferner erhalten sie auf Antrag einen Erbschein nach Ernst Stark, denn die Einsetzung als Nacherbe enthält im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe (§ 2102), nämlich an Stelle der vorverstorbenen Frau Anna Stark. Es kommt vor, daß die Eheleute in dem gemeinschaftlichen Testament den Uberlebenden er" mächtigen, anders zu verfugen. Handelt es sich um ein Testament nach § 22691, so entstehen keine Schwierigkeiten. Der Dritte ist Erbe des Überlebenden. Dieser kann seine eigene Verfügung von Todes wegen, also die Erbeinsetzung des Dritten, frei widerrufen, weil durch die Ermächtigung klargestellt ist, daß Wechselbezüglichkeit (§ 22701) nicht vorliegt, der Überlebende also seine Testierfreiheit behalten hat. Anders, wenn die Eheleute sich gegenseitig als Vorerben, den Dritten als Nacherben berufen haben. Da der Nacherbe nicht Erbe des Vorerben, sondern des erstversterbenden Erblassers ist, würde der Überlebende mit seinen eigenen auch die letztwilligen Anordnungen des Erstversterbenden ändern oder widerrufen, was gegen § 2065 zu verstoßen scheint. Die Rechtsprechung legt eine solche Ermächtigung dahin aus, daß der Dritte unter der Bedingung zum Nacherben berufen ist, daß der Überlebende keine andere Bestimmung trifft. Tritt die Bedingung ein, dann fällt die Nacherbeinsetzung fort. Das Vermögen des Erstversterbenden ist dem Überlebenden als unbeschränktem Vollerben angefallen und er kann frei verfügen (KG DNotZ 1956, 195; kritisch Endemann, JW 1933, 1349 zu 3; Herrmann, AcP Bd. 155 Heft 4/5). Anfechtung wegen Übergehung von Pflichtteilsberechtigten. Dezember 1 9 6 1 geht A u s f e r t i g u n g einer notariellen Verhandlung ein:

Im

„Vor dem unterzeichneten Notar usw. erschien: der Viehhändler Ernst Stark aus Grünhübel, dem Notar von Person bekannt, und erklärte: In § 1 Satz 2 des mit meiner verstorbenen Ehefrau Anna geb. Görlich am 27. Januar 1957 gemeinschaftlich errichteten Testaments habe ich meinen Bruder Robert Stark sowie die Schwester meiner Frau, Frau Emma Büchner geb. Görlich, als meine Erben eingesetzt. Inzwischen habe ich mich am 5. Februar 1961 mit der Musiklehrerin Dora Lustig verheiratet, welche dadurch mir gegenüber pflichtteilsberechtigt geworden ist. Da im gemeinschaftlichen Testament meine jetzige Ehefrau übergangen ist, fechte ich das gemeinschaftliche Testament hiermit gemäß den §§ 2078, 2079, 2281/2 BGB an. (Vorlesungs- und Genehmigungsvermerk, Unterschriften)." Einseitige letztwillige V e r f ü g u n g e n werden, w i e w i r im Falle L a m m (S. 5 8 1 ) gesehen haben, nicht v o m Erblasser, sondern nach seinem T o d e v o n demjenigen angefochten, dem der W e g f a l l der V e r f ü g u n g unmittelbar zum Vorteil gereicht (§ 2080): Erbeinsetzungen v o m Ersatzerben (§ 2096) oder gesetzlichen E r b e n , Testamentsvollstreckungen v o m eingesetzten E r b e n , Vermächtnisse und A u f l a g e n v o m B e schwerten. D e n n der Erblasser selbst kann sein Testament als „letztwillige V e r f ü g u n g " (§ 1 9 3 7 ) jederzeit frei widerrufen und bedarf dazu keines Anfechtungsrechts. G a n z anders der E r b v e r t r a g . Hier ist der Erblasser an seine vertragsmäßigen V e r f ü g u n g e n gebunden; liegt also einer der Anfechtungsgründe der §§ 2078/9 v o r , so muß er sich durch A n f e c h t u n g v o n der V e r f ü g u n g lossagen können. Deshalb steht die A n f e c h t u n g v o n Erbverträgen in erster Linie dem Erblasser selbst zu, während das Anfechtungsrecht der in § 2080 bezeichneten Person nur subsidiär gilt, nämlich

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Nachlaßgericht — Anfechtung gemeinschaftlicher Testamente

wenn der Erblasser gestorben ist, ohne sein Anfechtungsrecht verloren zu haben. §§ 2 2 8 1 1 , 2 2 8 5 . D e r Verlust tritt im Fall des § 2079 ein J a h r nach E r l a n g u n g der Kenntnis v o m Anfechtungsgrunde ein. § 2 2 8 3 n . Ferner unterscheidet sich die Erbvertragsanfechtung v o n der Testamentsanfechtung durch die F o r m , indem sie der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedarf; E m p f ä n g e r der Anfechtungserklärung ist nach dem T o d e des Erbvertragsgegners das Nachlaßgericht. §§ 2 2 8 1 1 1 , 2282111. Gemäß § 2 2 7 1 1 1 w a r das v o n den Eheleuten Stark errichtete „Berliner Testament" f ü r E r n s t Stark dadurch bindend geworden, daß er nach dem T o d der Frau die ihm gemachte Z u w e n d u n g angenommen hat. D i e Möglichkeit, das Testament wegen Übergehung v o n Pflichtteilsberechtigten gemäß § 2079 anzufechten, w i r d durch die eingetretene Bindung nicht berührt. D i e Rechtsprechung wendet aber auf das bindend gewordene gemeinschaftliche Testament wegen Gleichheit der Rechtslage die V o r schriften über den Erbvertrag an. R G 87, 9 5 ; 1 3 2 , 1. Deshalb hat E r n s t Stark innerhalb eines Jahres, nachdem die zweite Frau pflichtteilsberechtigt geworden w a r , selbst in öffentlich beurkundeter F o r m angefochten. In welchem Umfange eine Bindung des Stark nach § 2 2 7 1 1 1 an seine eigenen Verfügungen von Todes wegen besteht, hängt davon ab, inwieweit seine Verfügungen wechselbezüglich zu denen der Frau Stark sind. Wechselbezüglich ist die Verfügung der Ehefrau, durch welche sie ihren Mann als alleinigen Erben einsetzt, zu der Verfügung des Mannes, durch welche er die Schwester seiner Frau zu einem Drittel als seine Erbin beruft. Hierfür spricht die Auslegungsregel des § 2270 1 1 . Dagegen ist die Verfügung der Frau zugunsten des Mannes nicht notwendig wechselbezüglich zu der Verfügung des Mannes, durch welche er seinen Bruder bedenkt. Die Wechselbezüglichkeit dieser Verfügung wird nicht nach der Auslegungsregel des § 2270 1 1 vermutet. Beim Fehlen der Wechselbezüglichkeit aber kann Stark über den seinem Bruder zugewendeten Erbteil frei von Todes wegen verfügen, z.B. auch zugunsten seiner zweiten Ehefrau, ohne daß es insoweit einer Anfechtung bedarf ( B G H FamRZ 1957, 129 = D N o t Z 1957, 553). Der überlebende Ehegatte wird bisweilen die Anfechtung innerhalb eines Jahres seit seiner Wiederverheiratung in der rechtsirrigen Annahme unterlassen, das gemeinschaftliche Testament sei durch die Wiederverheiratung ipso iure beseitigt. Für den Lauf der Anfechtungsfrist ist ein derartiger Irrtum unerheblich, es kommt lediglich auf Kenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsachen an. Dagegen läuft die Anfechtungsfrist noch, wenn der überlebende Gatte , das gemeinschaftliche Testament aus einem anderen Grunde für unwirksam gehalten und deshalb sich über eine der Voraussetzungen der Anfechtung, das Vorhandensein eines gültigen gemeinschafdichen Testaments, im Irrtum befunden hat ( R G 132, 1 ; K G J W 1937, 2976). — Da die Beseitigung bindend gewordener Testamente auf demUmweg der Anfechtung unerwünscht ist, muß in jedem Fall streng geprüft werden, ob der Tatbestand des § 2079 vorliegt. Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken eines zu vermutenden Motivirrtums: der Erblasser hätte sein Testament wahrscheinlich nicht so errichtet, wenn er gewußt hätte, daß der neue Pflichtteilsberechtigte z. Zt. seines Todes vorhanden sein würde. Demgemäß schließt Satz 2 die Anfechtung aus, falls der Anfechtungsgegner beweist, daß der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage nicht anders verfügt hätte. Z . B. kann die Anfechtbarkeit verneint werden, wenn das gemeinschaftliche Testament bestimmt, daß bei Wiederverheiratung der Überlebende den gesetzlichen Erbteil behält und die übrige Erbschaft den nach seinem Tode berufenen Dritten herausgeben muß: dann haben nämlich die Erblasser den Wiederverheiratungsfall ins Auge gefaßt; von einem Irrtum des Erblassers und von Anfechtung kann nicht mehr die Rede sein. R G 59, 60. Jedoch ist bei Wiederverheiratungsklauseln der angeführten Art im Zweifel anzunehmen, daß die Erblasser für den Fall der Wiederverheiratung den überlebenden Ehegatten mindestens von der Bindung an die von ihm getroffenen letztwilligen Verfügungen haben befreien wollen, so daß dieser seine Testierfreiheit wiedererlangt, falls die Verfügungen des Überlebenden für diesen Fall nicht überhaupt als gegenstandslos zu betrachten sind ( K G J F G 15, 329; K G N J W 1957, 1073 = D N o t Z 1957, 557). — E s kommt vor, daß der überlebende Ehegatte sich durch Adoption künstlich einen Pflichtteilsberechtigten schafft, aus dessen Vorhandensein die Anfechtung des bindend gewordenen Testaments hergeleitet wird. Hatte die Annahme an Kindes Statt geradezu den Zweck, das Testament umstoßen zu können — ein in solchem Fall naheliegender Verdacht! —, so kann der Adoptionsvertrag nach

Nachlaßgericht — Vermittlung der Erbauseinandersetzung

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5 1 7 5 4 1 1 Nr. 2 B G B nichtig sein, oder es steht wenigstens dem Anfechtungsgegner gegenüber dem Adoptivkind die exceptio doli generalis zu ( J W 1 7 , R G 138, 3 7 3 ; B G H N J W 1952, 419).

Aus der Anfechtung kann sich die Unrichtigkeit des nach Anna Stark ausgestellten Erbscheins ergeben. Deshalb darf sich das Nachlaßgericht nicht, wie sonst, auf Weitergabe der Anfechtung an die Beteiligten beschränken. Frau Büchner und Robert Stark erhalten Gelegenheit zur Äußerung. Hierauf erläßt der Richter den „Beschluß. Gemäß § 2361 B G B wird die Einziehung des am 12. November i960 erteilten Erbscheins nach der am 12. Oktober i960 verstorbenen Anna Stark geb. Görlich angeordnet, weil er auf dem von der Erblasserin und ihrem Ehemann Ernst Stark errichteten gemeinschaftlichenTestament vom 27. Januar 1957 beruht und weil durch die von Ernst Stark nach den § § 2078,2079,2281/3 B G B auf Grund seiner Wiederverheiratung am 9. Dezember 1961 erklärte Anfechtung nicht nur seine eigenen Verfügungen, sondern auch diejenigen der Erblasserin Anna Stark unwirksam geworden sind ( § 2 2 7 0 B G B ) . "

In welchem Umfang das gemeinschaftliche Testament beseitigt ist, kann fraglich sein. Im allgemeinen macht die Anfechtung aus § 2079 für den übergegangenen Pflichtteilsberechtigten nur den gesetzlichen Erbteil frei (RG 59, 60; O L G Köln, N J W 1956, 1522), der für Frau Dora Stark neben Verwandten zweiter Ordnung y 2 des Nachlasses beträgt (§ 1 9 3 1 1 S. 1), bei Zugewinngemeinschaft % ( § 1 3 7 1 ! ) . Bei dem Starkschen Testament ist aber nach den Erfahrungen des Lebens wohl anzunehmen, daß der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage die Seitenverwandten überhaupt nicht berücksichtigt hätte, so daß in vollem Umfang Kausalzusammenhang zwischen dem Irrtum und dem Inhalt des Testaments gegeben ist. Die Anfechtung ist deshalb auch auf § 2078 1 1 gestützt worden. Vorsichtshalber wird Stark, falls ihm aus der neuen Ehe Kinder geboren werden, nach der Geburt jedes Kindes die Anfechtung mit entsprechender Begründung wiederholen, um die gänzliche Unwirksamkeit des Testaments außer Zweifel zu stellen. Ist seine Bindung an das gemeinschaftliche Testament durch Anfechtung beseitigt, so kann er nunmehr nach Belieben einseitig über sein Vermögen von Todes wegen verfügen. Der Nachlaß der Anna Stark wird nach dem Einzeltestament vom 13. Dezember 1958 vererbt: denn das gemeinschafdiche Testament hatte nur ihre Testierfreiheit, nicht ihre Testierfähigkeit aufgehoben, und nach Wegfall des gemeinschaftlichen Testaments Hegt kein Grund mehr vor, dem Einzeltestament die Gültigkeit zu versagen. Vermittlung der Erbauseinandersetzung E i n l e i t u n g des V e r f a h r e n s . „ A n das Amtsgericht, Abt. für Nachlaßsachen, Lichterfelde.

Spandau, den 13. November 1959.

Durch Beschluß des Amtsgerichts Spandau vom 8. Juli 1959, 5 M 3 4 5 / 5 9 , habe ich auf Grund einer mir gegen den Zimmermeister Moritz Hentschel in Spandau zustehenden rechtskräftigen Urteilsforderung von 5693,20 D M nebst Zinsen und Kosten den Anteil meines Schuldners am Nachlaß seines am 17. Juni 1958 zu Lichterfelde verstorbenen Vaters, des früheren Kaufmanns Ludwig Hentschel, in Höhe von % gepfändet. Nach dem in den Akten 5 I V 803/58 des Amtsgerichts Lichterfelde eröffneten Testament sind Miterben die jetzt in Zehlendorf wohnendeKaufmannswitwe Marie Hentschel geb. Gellricb, der Agent Leopold Hentschel in Lichterfelde und der am 28. Februar 1948 geborene, unter elterlicher Gewalt seines Vaters, des verwitweten Uhrmachers Frit% Martini in Lankwitz, stehende Schüler Ludwig Martini in Lankwitz, je zu Eine Testamentsvollstreckung ist nicht angeordnet."

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Nachlaßgericht — Erbauseinandersetzung

Da es zu den Aufgaben des Testamentsvollstreckers gehört, die Auseinandersetzung unter den Miterben vorzunehmen, könnte beim Vorhandensein eines Vollstreckers das gerichtliche Auseinandersetzungsverfahren nicht stattfinden. §§ 2204 1 B G B , 86 1 F G G . „Heine Bemühungen, eine außergerichtliche Nachlaßteilung herbeizuführen, sind erfolglos geblieben. Ich beantrage deshalb: nachlaßgerichtliche Vermittlung der Erbauseinandersetzung. Pfändungsbeschluß, Urteil und das von dem gerichtlich beeidigten Bücherrevisor Adam Riese in Lichterfelde aufgestellte Nachlaßverzeichnis vom 27. April 1959 liegen bei. Rudolf Engel, Bankier."

Der Wert des Verfahrens nach §§ 8 6 f. F G G wird von Außenstehenden stark überschätzt. Dem Gericht liegt lediglich die „Vermittlung" der Auseinandersetzung ob, und gegenüber einem opponierenden Erben, der seine Rechte in den Terminen vertritt, ist es machtlos. Den an baldiger Auseinandersetzung interessierten Miterben bleibt dann nichts anderes übrig, als Klage auf Auseinandersetzung aus den § § 2042 f., 749f. B G B . zu erheben, mit der aber nur die Einwilligung des Beklagten in den vom Gesetz vorgeschriebenen Teilungsmodus — Zwangsversteigerung der Grundstücke, Pfandverkauf der beweglichen Sachen, gemeinschaftliche Einziehung der Forderungen — erreicht werden kann. Oder der Miterbe beantragt, wenn alle sonstigen Versuche fehlgeschlagen sind, kurzerhand die Teilungsversteigerung (§§ 180f. Z V G ) , wozu er keines vollstreckbaren Schuldtitels bedarf (§ 181 1 ), und bringt so die Sache in Fluß. Die nachlaßgerichtliche Vermittlung bietet die Aussicht, daß es der Überredungskunst des Richters gelingt, eine Einigung herbeizuführen, bei der den einzelnen Erben bestimmte Nachlaßgegenstände überwiesen werden und nichts verkauft zu werden braucht, oder daß durch das noch darzustellende Säumnisverfahren der gleiche Erfolg erzielt wird. Das Verfahren ist auf den Rechtspfleger übertragen, mit Ausnahme der in § 13 Nr. 7 RechtspflG angeführten Richtervorbehalte (§ 3 1 Nr. 2 Buchst, b RechtspflG).

Das Nachlaßverzeichnis weist auf: ein Grundstück in Lichterfelde, geschätzt auf 75000 DM, belastet mit 32000 DM, einen GmbH.-Anteil, eine Hypothek, Wertpapiere, ein Bankguthaben usw. Der Wert des reinen Nachlasses ist auf ungefähr 84000 D M berechnet. Die Testamentsakten, welche der Rechtspfleger beifügen läßt, bestätigen die Angaben des Antrags über den Inhalt des letzten Willens des Ludwig Hentschel. Das Testament ist ein eigenhändiges, seine Echtheit von den bei der Eröffnung Erschienenen anerkannt. Sonstige nachlaßgerichtliche Akten nach Ludwig Hentschel sind nicht vorhanden. Das Verfahren kann also eingeleitet werden. Daß kein Erbschein ausgestellt ist, steht nicht entgegen. Das Antragsrecht des Erbteil-Pfandgläubigers spricht § 8 6 " F G G aus. Verfügung gemäß den §§ 89, 90 1 : „ 1 . Termin zur Verhandlung über die Auseinandersetzung am 2. Dezember 1 9 5 9 , 1 1 Uhr. 2. Zu laden den Antragsteller und die im Antrag aufgeführten Erben (für Ludwig Martini dessen Vater) mit Zusatz: Im Termin wird ungeachtet des Ausbleibens eines Beteiligten über die Auseinandersetzung verhandelt werden. Falls der Termin vertagt oder ein neuer Termin zur Fortsetzung der Verhandlung anberaumt werden sollte, kann die Ladung zum neuen Termin unterbleiben. Als Unterlagen für die Auseinandersetzung können auf der Geschäftsstelle eingesehen werden: "

Die Ladungen werden nach den Vorschriften der ZPO zugestellt. § 1 6 1 1 S. 1 F G G . V e r h a n d l u n g s t e r m i n . S t r e i t p u n k t e . Das Terminsprotokoll, das wegen der §§91* S. 1, 93 1 S. 2 in der Form der §§ 168 f. F G G abzufassen ist, lautet:

Nachlaßgericht —• Teilungsbeschränkungen Gegenwärtig: Justizinspektor Pfleger als Rechtspfleger

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Lichterfelde, den 2. Dezember 1959

In dem Verfahren betreffend die Auseinandersetzung des Nachlasses des am 17. Juni 1958 verstorbenen früheren Kaufmanns Ludwig Hentschel aus Lichterfelde erschienen im heutigen Termin: 1. für den Antragsteller Bankier Rudolf Engel: Prokurist Gustav Rodewald aus Spandau, Registerzeugnis des Amtsgerichts Charlottenburg vom 10. Juni 1954 über die Firma Rudolf Engel — 3 H R A 982 — vorlegend,"

der Prokurist kann ohne besondere Vollmacht gerichtliche und außergerichtliche Geschäfte und Rechtshandlungen jeder Art vornehmen (§ 49 1 HGB), „2. 3. 4. 5.

die Witwe, Frau Marie Hentschel geh. Gellricb aus Zehlendorf, Zimmermeister Morit^ Hentschel aus Spandau, Agent Leopold Hentschel aus Lichterfelde, Uhrmacher Fritz Martini aus Lankwitz als gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Ludwig Martini kraft elterlicher Gewalt, ausgewiesen Es wurde mit ihnen über die Teilung verhandelt. Dabei ergaben sich folgende Streitpunkte: A . Die Witwe, Leopold Hentschel und Herr Martini für Ludwig Martini erhoben Widerspruch dagegen, daß die Auseinandersetzung vor dem 28. Februar 1972 vorgenommen wird, weil nach dem Testament des Erblassers die Teilung des Nachlasses erst erfolgen soll, wenn Ludwig Martini das 24. Lebensjahr vollendet hat. Die übrigen Erschienenen erklärten die baldige Auseinandersetzung für Zulässig."

Die Widersprechenden sind im Unrecht. Durch Teilungs- oder Kündigungsbeschränkungen — sie mögen von den Teilhabern selbst vereinbart oder vom Erblasser angeordnet sein — wird den Gläubigern eines Gesellschafters oder Gemeinschafters die Möglichkeit, das Anteilsrecht des Schuldners zu ihrer Befriedigung flüssig zu machen, nicht genommen. Im Fall der Verpfändung, der Pfändung und des Konkurses treten alle Auseinandersetzungs- und Kündigungsbeschränkungen außer Kraft, und der Gläubiger bzw. Konkursverwalter kann entweder sofort oder unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist Teilung verlangen. §§ 725, 751 S. 2, 125 8 1 1 S. 2, 20441 S. 2 B G B , 135 H G B , 16 1 1 K O . Dabei gilt für Pfändungspfandrechte das besondere Erfordernis, daß der Schuldtitel nicht bloß vorläufig vollstreckbar sein darf. Daher hatte der Antragsteller Engel im Antrag die Rechtskraft seines Urteils hervorgehoben. „B. Herr Martini widersprach für Ludwig Martini der Aufnahme des goldenen Zigarettenetuis (Titel III Nr. 4) in das Nachlaßverzeichnis, weil der Erblasser am 28. Februar 1958 es dem Ludwig Martini unter der Bedingung, daß dieser ihn überlebe, schenkungsweise übereignet habe. Die übrigen Erschienenen erkannten das Eigentum des Ludwig Martini am Zigarettenetui nicht an und bestanden auf Aufnahme ins Nachlaßverzeichnis."

Martini macht zugunsten seines Sohnes eine durch Übereignung vollzogene Schenkung von Todes wegen geltend. Nach § 2301 1 B G B bedarf das noch unerfüllte Versprechen, einem Dritten etwas unter der Bedingung zu schenken, daß er den Schenker überleben wird, der für Verfügungen von Todes wegen allgemein vorgeschriebenen Form (also mindestens Testament, wenn der Erblasser sich selbst binden will: Erbvertrag). Dagegen finden nach § 2301 11 auf eine vollzogene donatio mortis causa die für Schenkungen unter Lebenden geltenden Regeln Anwendung, d. h. sie ist formlos gültig. §§ 2301 n , 518 11 . Es kommt also entscheidend darauf an, ob die „Vollziehung" durch Übertragung des Eigentums der geschenkten Sache, Abtretung der geschenkten Forderung usw. ordnungsmäßig erfolgt war, was bei beweglichen Sachen nicht nur mittels traditio (§ 929 S. 1) sondern auch durch brevi manu traditio (§ 929 S. 2), constitutum possessorium (§ 930) und cessio vindicationis (§ 931) ge-

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Nachlaßgericht — Ausgleichung

schieht. Z . B . wäre eine durch Besitzkonstitut vollzogene Schenkung v o n T o d e s w e g e n anzunehmen, w e n n der Erblasser seinem E n k e l L u d w i g Martini erklärt hat, daß mit des Erblassers T o d e das E t u i in sein E i g e n t u m übergehe, daß aber der E r b lasser das E t u i vorläufig f ü r ihn verwahren wolle. D a das Geschäft dem Minderjährigen lediglich rechtliche Vorteile bringt, konnte er mit seinen 1 0 J a h r e n als beschränkt Geschäftsfähiger Schenkung und Übereignung ohne Z u s t i m m u n g des gesetzichen Vertreters annehmen. § 1 0 7 . „ C . Die Witwe, Leopold Hentschel und Herr Martini für Ludwig Martini verlangten, daß dem Erben Moritz Hentschel außer der unstreitig empfangenen Ausstattung von 20000 D M auf seinen Erbteil weitere 39000 D M angerechnet werden, die der Erblasser ihm durch Bezahlung von Geschäftsschulden in den Jahren 1956 und 1957 mit der Bestimmung zugewendet habe, daß der Betrag auszugleichen sei. Morit^ Hentschel und der Antragsteller Engel widersprachen der Anrechnung der 39000 DM, weil eine Ausgleichsanordnung s. Zt. nicht getroffen worden sei. Über die Anrechnung der vom Erblasser seiner verstorbenen Tochter Hermine Martini geb. Hentschel gewährten Ausstattung von 25 000 D M auf den Erbteil des Ludwig Martini sind sämtliche Erschienenen einig." D a L u d w i g Hentschel seine Kinder zu gleichen Teilen eingesetzt und die Kollation nicht ausgeschlossen hat (§ 2052), sind die ausgleichspflichtigen Z u w e n d u n g e n in Anrechnung zu bringen. Hinsichtlich der Ausstattungen der Tochter und des Sohnes Moritz ist die Rechtslage klar ( § 2 0 5 0 1 ) . O b die f ü r Moritz bezahlten Schulden ebenfalls zu konferieren sind, hängt v o n der streitigen A n o r d n u n g ab, die der Erblasser nach § 205 o m zwar einseitig, aber nur unmittelbar bei der Z u w e n d u n g treffen konnte. Bei D u r c h f ü h r u n g d e r A u s g l e i c h u n g steht, wie wir wissen, der Witwenerbteil außerhalb der Anrechnung (S. 475). Gehen wir vom Rieseschen Verzeichnis aus, so ergibt sich nach § 2055 auf Grund der unstreitigen Anrechnungen folgende Verteilung: Auf jeden Stamm entfallen an sich Y 3 von 63000 + 20000 + 25000 = 36000 DM. Davon gehen bei Moritz Hentschel 20000, bei Ludwig Martini 25 000 D M ab. Von den vorhandenen 84000 D M erhalten mithin: die Witwe 21000, Moritz Hentschel 16000 DM, Leopold Hentschel 36000 DM, Ludwig Martini 11000 D M . — Treten die streitigen 39000 D M als ausgleichspflichtig hinzu, so lautet die Berechnung: 63000 + 59000 + + 25 000 = 147000 DM. Davon % = 49000 DM. Moritz Hentschel hat aber schon mehr, nämlich 59000 D M empfangen. Nach § 2056 braucht er nichts herauszuzahlen, sondern scheidet lediglich bei der weiteren Verteilung aus. In dem unterstellten Fall wären also der Witwe 21000, Leopold Hentschel 44000 und Ludwig Martini 19000 D M zuzuteilen. — Sind die Vorausempfänge im Verhältnis zum Nachlaßbestand ganz groß, so kann sich aus pflichtteilsrechtlichen Gründen sogar eine Zuzahlungspflicht ergeben. Nehmen wir z. B. an, Moritz Hentschel hätte insgesamt 170000 D M zu konferieren. Es stehen dann jedem Stamm als Erbteil y 3 von 63 000 + 170000 + 2 5 000 = 86000 D M zu,welcher Betrag sich bei Ludwig Martini durch Anrechnung auf 61000 D M ermäßigt. Die Pflichtteile würden 43 000 bzw. 30 500, zusammen 73 500 D M ausmachen, so daß Moritz Hentschel 10 500DM zuzuzahlen hätte. § 2 3 1 6 . Obgleich die Ausgleichung den W e r t der Erbteile in einschneidender Weise — auch zum Nachteil des Erbteilerwerbers oder des Pfändungsgläubigers E n g e l — beeinflußt, betragen doch die E r b q u o t e n aller vier E r b e n je y 4 . D i e Ausgleichung erscheint im Gesetz als bloße Modifikation der Teilung. Deshalb ist sie auch im E r b schein nicht zu erwähnen. „ E s wurde der B e s c h l u ß verkündet: Das Verfahren wird bis zur Erledigung der Streitpunkte zu A bis C ausgesetzt. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben." D i e aus Anlaß der Auseinandersetzung auftauchenden Streitfragen zu entscheiden, ist das Nachlaßgericht nicht befugt, nicht einmal auf G r u n d einer Vereinbarung der

Nachlaßgericht — Säumnisverfahren

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Beteiligten. Es kann lediglich durch „Vermitdung" und Zureden 2u ihrer Lösung beitragen. § 95 FGG. V e r e i n b a r u n g ü b e r die A r t der T e i l u n g . S ä u m n i s v e r f a h r e n . Nach 1 y2 jähriger Dauer sind alle Prozesse rechtskräftig abgeschlossen. Die Zulässigkeit der Auseinandersetzung ist bejaht, Ludwig Martini hat auf Grund der Aussage einer Krankenpflegerin das goldene Zigarettenetui zugesprochen bekommen, die 39000 D M sind für nicht ausgleichungspflichtig erklärt. Das Gericht beraumt neuen Termin auf den 11. Juli 1961 an und lädt die Beteiligten unter der gleichen Verwarnung wie das vorige Mal. Bei Aufruf erscheinen: „1. 2. 3. 4.

für den Antragsteller Bankier Rudolf Engel: Prokurist Gustav Rodewald aus Spandau, Zimmermeister Moritz Hentschel aus Spandau, Agent Leopold Hentschel aus Lichterfelde, der Uhrmacher Fritz Martini aus Lankwitz als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen Ludwig Martini kraft elterlicher Gewalt, zu 1 bis 4 persönlich bekannt. Die Miterbin Witwe Marie Hentschel war weder selbst erschienen noch vertreten."

Trotz des Fehlens der Witwe wird in die Verhandlung eingetreten. Man könnte versuchen, sofort einen Auseinandersetzungsplan aufzustellen (§ doch scheitert das bei nicht ganz einfachen Sachen meist an der Unmöglichkeit, in Betracht kommenden Werte und Summen sofort zahlenmäßig auszurechnen. her werden zunächst nur die allgemeinen Grundsätze, nach denen die Teilung sich gehen soll, festgelegt (§ 91):

93), alle Davor

„Die Erschienenen, und zwar Herr Martini unter Vorbehalt der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung,"

deren Notwendigkeit nicht durch die Erbteilung als solche (S. 522 zu 2b) sondern dadurch begründet wird, daß der Auseinandersetzungsvertrag die Verpflichtung zu einer Verfügung über Grundstückseigentum (§§ 1 6 4 3 1 8 2 1 3 BGB) enthält, „trafen über die Art der Teilung folgende Vereinbarung: I. Der Auseinandersetzung wird das von dem Bücherrevisor Riese am 27. April 1959 aufgestellte Nachlaßverzeichnis mit den Abweichungen, die sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Berlin in Sachen Martini gegen Engel und andere — Aktenzeichen 11 O 18/60 —• ergeben, zugrunde gelegt. Et. An Zuwendungen haben Moritz Hentschel eine Ausstattung von 20000 DM, Ludwig Martini die Ausstattung seiner Mutter mit 25 000 D M zur Ausgleichung zu bringen. III. Als Teilungstag soll der 1. Oktober 1961 der Auseinandersetzung zugrunde gelegt werden."

Das bedeutet, daß der Wert des reinen Nachlasses zuzüglich aller Nutzungen und abzüglich der Lasten nach dem Stand vom 1. Oktober 1961 ermittelt wird, daß darnach die den einzelnen Erben zustehenden Auseinandersetzungsguthaben berechnet werden und daß die Erben die einem jeden zugewiesenen Werte ebenfalls mit Nutzungen und Lasten ab 1. Oktober 1961 übernehmen. „ I V . Das zum Nachlaß gehörende Grundstück Tulpenstraße 25 in Lichterfelde — Grundbuch von Lichterfelde Band 17 Blatt 481 — soll Leopold Hentschel zum Taxpreis von 7 5 000 DM, von denen 32000 D M durch Übernahme der eingetragenen Hypotheken und der diesen zugrunde liegenden persönlichen Schuldverbindlichkeiten belegt werden, als Alleineigentümer übernehmen."

Eigentumswechsel auf Grund einer Erbauseinandersetzung ist grunderwerbsteuerfrei (S. 446). „ V . Den Geschäftsanteil im Nennbetrage von 6000 D M an der „Buttonia"-Knopffabrik G.m.b.H. in Berlin soll Frau Marie Hentschel zum Anrechnungswert von 9000 D M übernehmen. 39

Lux,

Schulung. 5. A u f l . (Jansen)

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Nachlaßgericht — Erbauseinandersetzung V I . Die zum Nachlaß gehörende Hypothek von 15 000 D M auf dem Grundstück SpandauStadt Band 7 Blatt 189 — Johannisstraße 33 — wird zwischen Frau Marie Hentschel und Ludwig Martini in gleichem Rang so geteilt, daß Frau Marie Hentschel 9000 D M , Ludwig Martini 6000 D M erhält. V I I . Von den zum Nachlaß gehörenden Wertpapieren sind die Industrieobligationen sofort nach rechtskräftiger Bestätigung der Auseinandersetzung zum Tageskurs zu verkaufen und der Erlös zur Bezahlung der Nachlaßverbindlichkeiten zu verwenden. Ein etwaiger Fehlbetrag wird dem Bankkonto entnommen. Die übrigen Wertpapiere übernimmt Ludwig Martini zum Tageskurse. VIII. Moritz Hentschel erhält das Bankguthaben, soweit es nicht gemäß Ziffer V I I verbraucht wird, und den gesamten beweglichen Nachlaß zum Taxpreis. I X . Der Ausgleich zwischen den übernommenen Werten ist durch Zahlungen herzustellen, die Leopold Hentschel den übrigen Miterben zu leisten hat und die vom 1. Oktober 19611 ab mit 6 % jährlich zu verzinsen sind. Die sich für Moritz Hentschel ergebenden Ausgleichs 1 betrage sowie die auf die Witwe Marie Hentschel und Ludwig Martini entfallenden Spitzenbeträge sind 2 Wochen nach rechtskräftiger Bestätigung der Auseinandersetzung, frühestens am I.Oktober 1961, zahlbar. Die auf die Witwe Marie Hentschel und Ludwig Martini in vollenTausend entfallenden Ausgleichsforderungen werden gegen dreimonatige Kündigung gestundet und auf dem von Moritz Hentschel übernommenen Nachlaßgrundstück unmittelbar im Rang hinter den gegenwärtig bestehenden Belastungen hypothekarisch eingetragen. X . A n den dem Miterben Moritz Hentschel Zugewiesenen Ausgleichsforderungen und sonstigen Werten ist Herrn Engel für seine Urteilsforderung ein Pfandrecht zu bestellen. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben."

Diese Gegenstände treten nicht v o n selbst an Stelle des gepfändeten Erbteils unter die Pfandhaftung. E n g e l hat aber einen persönlichen A n s p r u c h auf die V e r p f ä n d u n g u n d könnte einem Verteilungsplan, der seine Rechte nicht berücksichtigt, die Z u stimmung versagen. R G 84, 3 9 5 . V e r f ü g u n g auf das Terminsprotokoll nach § 9 1 1 1 1 F G G : „ 1 . Abschrift der heutigen Verhandlung an Witwe Marie Hentschel zustellen. Zusatz: Sie können die Urkunde auf der Geschäftsstelle einsehen. Wenn Sie nicht binnen 3 Wochen seit Zustellung die Anberaumung eines neuen Termins beantragen, oder wenn Sie im neuen Termin weder erscheinen noch sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen, wird angenommen werden, daß Sie mit dem Inhalt der Urkunde einverstanden sind. 2. 3 Wochen nach Zustellung." D i e W i t w e widerspricht rechtzeitig, bemängelt die abgeschlossene V e r e i n b a r u n g in mehreren Punkten u n d erbittet neuen T e r m i n . Dieser w i r d auf den 20. September 1 9 6 1 bestimmt. D i e Beteiligten werden mit der bekannten V e r w a r n u n g vorgeladen. Sie erscheinen sämtlich, ausgenommen F r a u Hentschel. D a m i t hat sie •—• sofern nicht der Wiedereinsetzungsfall des § 92 gegeben ist — sich endgültig verschwiegen. Sie hätte nicht bloß neuen T e r m i n beantragen, sondern auch in dem T e r m i n auftreten u n d der V e r e i n b a r u n g widersprechen müssen. Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Nachlaßgerichtliche B e s t ä t i g u n g . D e r V a t e r Martini sucht jetzt beim V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t die G e n e h m i g u n g zur V e r e i n b a r u n g v o m 1 1 . J u l i 1 9 6 1 nach. N a c h § 1 8 2 9 1 1 B G B ist jeder Miterbe, v o r allem F r a u Hentschel, berechtigt, i h m eine i 4 t ä g i g e Frist z u m N a c h w e i s der G e n e h m i g u n g zu stellen. Deshalb w i r d die Sache mit Beschleunigung betrieben. „Beschluß. Die in der Ludwig Hentschelschsn Auseinandersetzungssache, 5 V 73/59 des Amtsgerichts Lichterfelde, zur Verhandlung vom 1 1 . Juli 1961 getroffene Vereinbarung wird namens des minderjährigen Ludwig Martini vormundschaftsgerichtlich genehmigt. Lichterfelde, den 28. September 1961. Das Amtsgericht. Richter "

Nachlaßgericht — Bestätigung

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Um die Mitteilung der Genehmigung an die Vertragsgegner (S. 501) einwandfrei nachzuweisen, hat Martini ihnen den Beschluß durch den Gerichtsvollzieher zustellen lassen ( § 13 2 1 B G B ) ; die Zustellungsurkunden sind der Beschlußausfertigung, welche der Vater dem Nachlaßgericht einreicht, angeheftet. Damit ist die Vereinbarung vom 1 1 . Juli 1961 wirksam. Die fehlende Zustimmung der Witwe wird durch das Säumnisverfahren ersetzt, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung hat Wirksamkeit erlangt. Das Nachlaßgericht kann und muß daher die Vereinbarung — ohne Nachprüfung ihrer sachlichen Richtigkeit und Zweckmäßigkeit — „bestätigen": „Beschluß. Die zur Verhandlung vom 1 1 . Juli 1961 von den erschienenen Beteiligten über die Art der Teilung getroffene Vereinbarung wird gemäß § 9 1 1 1 1 S. 4 F G G nachlaßgerichtlich bestätigt. Lichterfelde, den 3. Oktober 1961. Das Amtsgericht. Pfleger, Justizinspektor, als Rechtspfleger."

Da der Beschluß sofortiger Beschwerde unterliegt (§ 96), wird er nach den Vorschriften der Z P O zugestellt. Auch belehrt das Gericht die Witwe darüber, daß sie bei unverschuldeter Verhinderung am Erscheinen die Säumnisfolge durch Wiedereinsetzungsantrag nach § 92 abwenden kann. Mit der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses ist die Vereinbarung für alle Beteiligten verbindlich geworden (§ 97). A u s e i n a n d e r s e t z u n g . Der Rechtspfleger fertigt jetzt auf der Grundlage der bestätigten Vereinbarung vom 1 1 . Juli 1961 einen Teilungsplan an, gibt den Beteiligten Abschrift und setzt Termin zur Verhandlung über den Plan auf den 15. November 1961 an. Im Termin erscheinen wiederum nur Rodewald, Moritz und Leopold Hentschel und Martini, nicht aber die Witwe. „Die Erschienenen erklärten: I. Wir bekennen uns zu dem Inhalt des dieser Verhandlung als Anlage beigefügten Teilungsplans vom 3. November 1961 einschließlich der darin enthaltenen Erklärungen über Auflassung des Nachlaßgrundstücks, Übertragung des „Buttonia"-Geschäftsanteils, Umschreibung der Nachlaßhypothek und Bestellung von Hypotheken für die Witwe Marie Hentschel und Ludwig Martini für ihre Ausgleichsforderungen."

Auch die Auflassungserklärung des säumigen Beteiligten wird durch die Bestätigung ersetzt ( K G J 41, 2 5 1 ; Keidel, F G G , 7. Aufl. § 98 Anm. 8; Jansen, F G G , § 98 Anm. 2; a.M. Meikel-Imhof-Riedel, GBO, 5. Aufl. § 36 Anm. 18). Anlage als Teil des Protokolls s. S. 442, 450. „II. Ausweislich der bei den Gerichtsakten befindlichen Sterbeurkunde ist am 17. Juni 1958 zu Lichterfelde, seinem Wohnsitz, der frühere Kaufmann Ludwig Hentschel verstorben. In seinem vom Amtsgericht Lichterfelde am 26. Juni 1958 eröffneten eigenhändigen Testament vom 3. April 1958 hat er zu Erben ernannt: Andere Verfügungen des Erblassers von Todes wegen sind nicht vorhanden. Ein Rechtsstreit über das Erbrecht der bezeichneten Erben ist nicht anhängig. Sämdiche Erben haben die Erbschaft angenommen. Wir versichern an Eides statt, daß uns nichts bekannt ist, was der Richtigkeit unserer Angaben entgegensteht. Die Testamentserben sind zugleich die alleinigen gesetzlichen Erben. V o n einer Beitrittserklärung sowie von einer Anhörung der Witwe Marie Hentschel gemäß § 2 3 6 0 1 1 B G B bitten wir abzusehen, da Frau Hentschel die Echtheit des Testaments in der Eröffnungsverhandlung anerkannt hat."

Die Erschienenen beantragen keinen Erbschein, haben aber durch ihre eidesstattliche Versicherung die Grundlage geschaffen, auf der jederzeit ein Erbschein ausgestellt werden könnte. Dies in Verbindung mit den in den Teilungsplan aufgenommenen dinglichen und grundbuchmäßigen Erklärungen ermöglicht später die Ausstellung des Überweisungszeugnisses (s. unten). 39*

612

Nachlaßgericht — Überweisungszeugnis

Der ganze Hergang des Vereinbarungsstadiums mit Vereinbarung, Widerspruch und Säumnisverfahren kann sich im Auseinandersetzungsstadium wiederholen. § 93 F G G . Praktisch beschränkt sich jedoch der Widerspruch auf Einzelheiten. Denn die bestätigte Vereinbarung über die Art der Teilung ist für die Beteiligten verbindlich, und sie könnten äußerstenfalls im Prozeßweg gezwungen werden, einem der Vereinbarung entsprechenden Auseinandersetzungsplan ihre Zustimmung zu geben. Frau Hentschel sieht deshalb auch von einem Antrag auf neuen Termin ab. Wiederum ist der Plan, nachdem alle Beteiligten ihm wirklich oder infolge des Säumnisverfahrens fiktiv zugestimmt haben, für den minderjährigen Ludwig Martini vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen und nach Wirksamwerden der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nachlaßgerichtlich zu bestätigen. § 9 3 1 S. 3. V o l l s t r e c k b a r k e i t und Ü b e r w e i s u n g s z e u g n i s : Der nachlaßgerichtlich bestätigten Auseinandersetzung ist, um ihre Durchführung zu erleichtern, vom Gesetz die Eigenschaft eines vollstreckbaren Schuldtitels beigelegt (§ 98). Leistet also Leopold Hentschel die versprochenen Ausgleichszahlungen nicht, so brauchen die Gläubiger nicht erst gegen ihn zu klagen, sondern sie können sich vom Nachlaßgericht eine vollstreckbare Ausfertigung der Auseinandersetzungsverhandlung geben lassen und sofort die Zwangsvollstreckung betreiben. Einer besonderen Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung gemäß § 7945 ZPO bedarf es nicht. Die Vollstreckbarkeit beruht auf der Bestätigung, richtet sich auch gegen diejenigen Beteiligten, welche nur auf Grund des Säumnisverfahrens als einverstanden gelten, und umfaßt auch Ansprüche auf nicht vertretbare Leistungen. Der grundbuchmäßigen Durchführung dient das Überweisungszeugnis (§§ 36, 37 GBO; vgl. dazu K G J F G 14, 137). Nach der herrschenden Ansicht (Güthe-Triebel 13 zu § 37) wäre es in unserem Fall hinsichtlich der Hypothek folgendermaßen zu fassen: „Zeugnis. Die Witwe Marie Hentschel geb. Gellrich in Zehlendorf, der Zimmermeister Morit% Hentschel in Spandau, der Agent Leopold Hentschel in Lichterfelde und der am 28. Februar 1948 geborene Ludwig Martini in Lankwitz sind je zu % Erben des am 17. Juni 1958 verstorbenen früheren Kaufmanns Ludwig Hentschel aus Lichterfelde geworden. Sie haben die im Grundbuch von Spandau-Stadt Band 7 Blatt 189 — Johannisstraße 33 — in Abt. III unter Nr. 3 für den Erblasser eingetragene Darlehnsforderung von 15 000 DM nebst den Zinsen seit dem 1. Oktober 1961 in Höhe von 9000 DM (i.W.) der Erbin Marie Hentschel, in Höhe von 6000 DM (i.W.) dem Erben Ludwig Martini abgetreten und die Eintragung der neuen Gläubiger im Grundbuch bewilligt. Die Teilbeträge haben untereinander gleichen Rang. Lichterfelde, den 5. Januar 1962. Das Amtsgericht. Richter." Entsprechend das Zeugnis für das an Leopold Hentschel aufgelassene Nachlaßgrundstück. Überweisungszeugnisse können vom Nachlaßgericht — übrigens auch ohne daß ein Verfahren nach §§ 86f. F G G stattgefunden hat — erteilt werden, wenn 1. die Voraussetzungen eines Erbscheins erfüllt, bei gesetzlicher Erbfolge also u. a. die Personenstandsurkunden beigebracht, 2. die Bewilligungen der Erben vor dem Nachlaßgericht zu Protokoll gegeben oder in grundbuchmäßiger Form nachgewiesen sind. Für den (hier gegebenen) Fall, daß einzelne Erben dem Auseinandersetzungsplan nicht zugestimmt und die dinglichen Erklärungen nicht abgegeben haben, sondern ihre Zustimmung lediglich durch das Säumnisverfahren ersetzt wurde, ist die Zulässigkeit des Zeugnisses streitig, aber bei der Verwandtschaft der Einrichtung mit § 894 ZPO zu bejahen. Nachweisungen bei GütheTriebel 11 zu § 37; Schlegelberger 6 zu § 98; Meikel-Imhof-Riedel, GBO, 5. Aufl. § 36 Anm. 18, § 37 Anm. 10. Zuständig ist der Richter (§ 13 Nr. 5 RechtspflG). Der ohnehin mit der Sache befaßte Rechtspfleger fertigt aber gemäß § 24 RechtspflG den Entwurf des Zeugnisses an. Dem Grundbuchamt ersetzt das Zeugnis den Nachweis der Erbfolge und die Eintragungsbewilligungen. Sonstige Voraussetzungen der Eintragung — behördliche Genehmigung, Grunderwerbsteuerbescheinigung, Vorlegung der Hypothekenbriefe (§41 GBO) usw. — bleiben unberührt. Seine

Nachlaßgericht — Uberweisungszeugnis

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praktische Bedeutung liegt darin, daß der Erbschein erspart und damit eine Kostenverbilligung herbeigeführt werden kann 3 ). Die Eintragung der Hypotheken für die Ausgleichsforderungen (Abschnitt IX der Teilungsgrundsätze) hat mit dem Überweisungszeugnis nichts zu tun, weil diese Hypotheken nicht „zum Nachlaß gehört" haben.

3 ) Gebühr für das Zeugnis % der vollen Gebühr bis zum Höchstbetrage von 15 DM (§ m l Nr. J KostO). Daher erhebliche Verbilligung gegenüber der Gebühr für den Erbschein (oben S. 588). Für die eidesstattliche Versicherung wird in beiden Fallen die volle Gebühr erhoben (§§ m 1 1 1 , 49 KostO), jedoch ist für das Zeugnis nicht der Wert des ganzen Nachlasses, sondern nur der Wert des betroffenen Gegenstandes maßgebend (§ m 1 1 KostO). Für das Auseinandersetzungsverfahren wird das Vierfache der vollen Gebühr erhoben (§116 KostO).

14- Kapitel

Beim Grundbuchamt Das materielle Liegenschaftsrecht des B G B beruht auf dem Grundbuchsystem. Es gilt der „Eintragungsgrundsatz": In der Regel kein Erwerb, keine Aufhebung und keine Veränderung von Grundstücksrechten durch Rechtsgeschäft ohne Eintragung im Grundbuch. §§873, 875, 8 77. Doch gibt es keine formelle Rechtskraft der Grundbucheintragung in dem Sinne, daß die Eintragung unabhängig von sonstigen Voraussetzungen das dingliche Recht begründet, sondern die Eintragung ist ein selbständiges ergänzendes Tatbestandselement eines Gesamttatbestandes, der zur Verwirklichung der dinglichen Rechtsänderung erforderlich ist. Zu dem Staatsakt der Eintragung, der dem öffentlichen Interesse an der Kenntlichmachung der Rechtsverhältnisse am Grundstück dient, muß, um die dingliche Rechtsänderung herbeizuführen, ein rechtsgeschäftliches Erfordernis hinzutreten, nämlich für Begründung, Übertragung, Belastung, Veränderung von Rechten: die Einigung als abstrakter dinglicher Vertrag (§§ 873, 877), für Aufhebung: die ebenfalls abstrakte einseitige Aufgabeerklärung (§ 875). Wird eine Rechtsänderung, z. B. ein Eigentumswechsel, in das Grundbuch eingetragen, ohne daß die vom materiellen Recht verlangte Einigung vorliegt, oder fehlt es an einem sonstigen sachlichrechtlichen Erfordernis, so hat der als neuer Eigentümer Eingetragene das dingliche Recht nicht erworben. Das Grundbuch ist unrichtig, und der wahre Eigentümer kann mit dem dinglichen Rechtsbehelf des Berichtigungsanspruchs (§ 894) vorgehen. Ein Zwiespalt zwischen dem Inhalt des Grundbuchs und der wahren Rechtslage ist also möglich. Jedoch hat der Buchstand die widerlegbare Vermutung der Richtigkeit für sich (§ 891) und zugunsten redlicher rechtsgeschäftlicher Erwerber gilt er schlechthin als richtig (öffentlicher Glaube des Grundbuchs, §§ 892—893). Ein Auseinanderfallen von Buchlage und wahrer Rechtslage ist sogar nicht selten, weil nämlich der Eintragungsgrundsatz durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen ist, in deren Geltungsbereich die dingliche Rechtsänderung sich außerhalb des Grundbuchs vollzieht, so daß nachträgliche Buchungen, sog. „Berichtigungen", nur rechtsbekundend sind*). Die wichtigsten A u s n a h m e n v o m E i n t r a g u n g s g r u n d s a t z bzw. Fälle der notwendigen Berichtigung sind: 1. alle Gesamtrechtsnachfolgen, also Erbfolge, Nacherbfolge, Gütergemeinschaft, Anwachsung im Gesellschaftsrecht, Übertragung von Erbteilen, Verschmelzung (§§ 738, 1 4 1 6 1 1 , 1922 1 , 2033, 2139 B G B , 1 0 5 1 1 , 1 6 1 1 1 H G B , 2 4 0 1 1 1 , 2 4 7 v AktG), 2. Übertragung und Verpfändung von Briefhypotheken und Briefgrundschulden (§§ 1 1 5 4 1 , H 9 2 I B G B ) ; dagegen besteht Eintragungszwang, wenn der Inhalt der Briefhypothek durch neue Verzinsungs- und Fälligkeitsbedingungen, Auswechslung der persönlichen Forderung (§ 1180), Umwandlung der Hypothek in eine Grund*) S c h r i f t t u m : G ü t h e - T r i e b e l , Grundbuchordnung, 2 Bde., 6. Aufl. 1 9 3 7 ; M e i k e l I m h o f - R i e d e l , Grundbuchrecht, 3 Bde., 5. Aufl. 1957—1960; H e n k e - M ö n c h - H o r b e r , G B O , 6. Aufl. 1959; H e s s e - S a a g e - F i s c h e r , G B O , 4. Aufl. 1958; T h i e m e , G B O , 4. Aufl. 1955 mit Nachtrag 1958; B r a n d - S c h n i t z l e r , Die Grundbuchsachen in der gerichtlichen Praxis; 9. Aufl. 1959; H a e g e l e , Grundbuchrecht (Handbuch der amtsger. Praxis Bd. 4), 2. Aufl. 1959; P l a n c k K e t t n a k e r , Führung des Grundbuchs in Württemberg, 4. Aufl. i960; R i p f e l , Grundbuchrecht, 1 9 6 1 ; außerdem die Kommentare und Lehrbücher des Sachenrechts.

Grundbuchamt — Handblatt

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schuld oder umgekehrt (§ 1198), Vorrangseinräumung (§ 880) usw. geändert werden soll, 3. gesetzlicher Übergang der Hypothek auf Eigentümer, persönlichen Schuldner oder Dritte (§§ 268, 774, 1145, 1150, 1163/4, 1168, 1170, 1 1 7 5 B G B , 104 S. i W G ) , auch bei Buchhypotheken, 4. Umstellung nach dem Umstellungsgesetz, 5. Übergang der Umstellungsgrundschuld nach dem L A S G auf den Eigentümer (vgl. § 1 2 0 1 1 1 L A G ) . 6. Zuschlag (§ 90 Z V G ) , 7. Enteignung auf Grund Bundes- oder Landesrechts (vgl. z.B. § 1 1 7 1 1 1 des BundesbauG vom 23. Juni i960 (BGBl I 341), § 34 der Ersten WasserverbandVO vom 3. September 1937, R G B l I 933, § 51 des LandbeschaffungsG vom 23. Februar 1957, B G B l I 134, § 44 pr. EnteignG vom 1 1 . Juni 1874, G S 221), 8. Entscheidungen im Flurbereinigungs- und Zusammenlegungsverfahren (§§ 61, 79, 100 des FlurbereinigungsG vom 14. Juli 1953, B G B l I 591), im Umlegungs- und Grenzregelungsverfahren (§§ 72 1 , 8 3 1 1 des BundesbauG vom 23. Juni i960, B G B l I 341). — Ist das einer Eintragung zugrundeliegende Kausalgeschäft nicht rechtsbeständig, dagegen die abstrakte dingliche Einigung in Ordnung, so steht dem Veräußerer kein dinglicher Rechtsbehelf, sondern nur der schuldrechtliche Bereicherungsanspruch ( § 8 1 2 B G B ) zu, er kann also im Konkurs des anderen Teils nicht aussondern.

Die Grundbucheintragungen sind hiemach, was ihr Verhältnis zum materiellen Recht anlangt, entweder: a) rechtsändernde Eintragungen, wenn sie ein Tatbestandselement der dinglichen Rechtsänderung sind, oder b) Berichtigungen, die das Grundbuch mit der wirklichen Rechtslage wieder in Einklang bringen, nachdem es durch eine außerhalb des Grundbuchs eingetretene, vom Eintragungszwang befreite Rechtsänderung unrichtig geworden ist. Möglich sind ferner c) Fehleintragungen, durch die das Grundbuch unrichtig wird (Eintragung einer nicht entstehenden Hypothek) oder die eine Unrichtigkeit durch eine andere ersetzen (Umschreibung des Rechts auf den vermeintlichen Erben auf Grund eines unrichtigen Erbscheins) und schließlich d) Berichtigungen zur Rückgängigmachung fehlerhafter Buchungen. V o m Standpunkt des formellen Grundbuchrechts aus gibt es fehlerfreie Eintragungen, durch die das Grundbuch unrichtig wird. Z. B. wird eine Darlehnshypothek auf Grund des Antrags und der Eintragungsbewilligung des Eigentümers sogleich auf den Namen des Gläubigers eingetragen, obwohl sie zunächst noch dem Eigentümer als Grundschuld zusteht, weil der Gläubiger sie erst erwirbt, wenn ihm der Brief vom Eigentümer übergeben wird und die Darlehns valuta ausgezahlt ist (§§ 1 1 1 7 1 S. 1 , 1 1 6 3 1 1 , 1 1 6 3 1 S. 1 , 1177). Ferner gibt es fehlerhaft zustandegekommene Buchungen, durch die das Grundbuch richtig wird, etwa wenn eine Hypothek entgegen § 3 5 1 S. 2 G B O auf Grund eines eigenhändigen Testaments auf den Erben des Gläubigers umgeschrieben wird.

Die Grundakten Lichterfelde Band 1 Blatt 11 sind mit neuen Eingängen vorgelegt. Der Richter erläutert dem Referendar das unter dem Aktendeckel liegende Handblatt. Das H a n d b l a t t ist eine mit dem Grundbuch wörtlich gleichlautende Abschrift sämtlicher Eintragungen des Grundbuchblatts. Seine Einrichtung beruht, ebenso wie die Muster des Grundbuchs und des Hypothekenbriefs, auf der A V über die Einrichtung und Führung des Grundbuchs (Grundbuchverfügung) vom 8. August 1935 (RMB1 S. 637), die die Bedeutung einer Rechtsverordnung hat. Während die Eintragungen im Grundbuch, die Hypothekenbriefe und die auf die Briefe nachträglich gesetzten Vermerke nach den § § 2, 3 der A u s f V O zur Grundbuchordnung vom 8. August 193 5 (RGBl I S. 1089) vom Richter (Rechtspfleger) und Urkundsbeamten unterschrieben werden müssen, bestehen für die Zeichnung der Handblattvermerke keine Bestimmungen. § 24 I V S. 2 GBVerf. sagt nur, daß die mit der Führung des Grundbuchs beauftragten Beamten für die Übereinstimmung des Handblatts mit dem Grundbuchblatt zu sorgen haben. Im gewöhnlichen Verkehr wird das Grundbuch vollständig durch das Handblatt ersetzt. Wie ist die Rechtslage, wenn Grundbuch und Handblatt sich nicht decken, sei es, daß eine Grundbucheintragung gar nicht oder ungenau in das Handblatt übernommen, oder daß umgekehrt eine Eintragung in das Handblatt bewirkt und im Grundbuch vergessen wurde? Da das Gesetz dem Handblatt weder öffentlichen Glauben noch selbständige urkundliche Bedeutung beilegt, sind für die dinglichen Rechtsverhältnisse ausschließlich die Eintragungen im Grundbuch maßgebend. Der

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Grundbuchamt — Einrichtung des Grundbuchs

Erwerber, der sich auf das Handblatt verlassen hat, wird nicht geschützt: denn aus dem Grundbuch, auf welches es nach § 892 B G B allein ankommt, hätte er die wirkliche Rechtslage ersehen. Ihm steht aber aus § 839 B G B Rückgriff an den Staat wegen Verschuldens der an der Nichtübereinstimmung von Handblatt und Grundbuch schuldigen Beamten zu, ohne daß der Fiskus den Einwand mitwirkenden Verschuldens (§ 254) wegen Unterlassung der Einsicht in das Grundbuch selbst erheben könnte. Grundbuchrichter, Publikum oder Notar, die sich mit Einsicht in das Handblatt begnügen, handeln nicht fahrlässig, sondern entsprechen den Erfordernissen des ordnungsmäßigen Grundbuchverkehrs und der tatsächlichen Handhabung. Vgl. den entsprechenden Fall der Abweichung zwischen Grundbuch und Hypothekenbrief (S. 678). A . M. (für den Grundbuchrichter) Güthe-Triebel § 124 Anm. 7 und Meikel-Imhof-Riedel § 2 Anm. 20, § 12 Anm. 17.

Grundbuchblatt eines Vorortgrundstücks Jedes Grundbuchblatt — und ebenso das Handblatt — besteht aus der Aufschrift, dem Bestandsverzeichnis und den drei Abteilungen für die Eigentumsverhältnisse (I), die dinglichen Belastungen und Beschränkungen mit Ausnahme der Grundpfandrechte (II) und die Hypotheken, Grund- und Rentenschulden (III, sog. Vierteilungssystem). Das Bestandsverzeichnis enthält die zur Bezeichnung des Grundstücks erforderlichen Angaben, Vermerke über Rechte, die dem jeweiligen Eigentümer des auf dem Blatt verzeichneten Grundstücks zustehen, sowie die Eintragung von Miteigentumsanteilen nach § 3 n l b GBO. Die Vorschriften über die Stelle, an der eine bestimmte Eintragung erfolgen soll, sind bloße Ordnungsvorschriften und ohne sachlichrechtliche Wirkung. „Das Grundbuch" im Sinne des bürgerlichen Rechts ist das Blatt dieses Grundstücks (§ 3 1 S. 2 GBO) in der Gesamtheit seiner Eintragungen. Trägt also der Grundbuchbeamte an einer falschen Stelle, ja sogar in einer falschen Abteilung ein, so schadet das der Wirksamkeit der Eintragung nicht. Hieraus folgt für denjenigen, der beispielsweise eine Hypothek erwerben will, daß er sich nicht darauf beschränken darf, die auf diese Hypothek bezüglichen Eintragungen der dritten Abteilung nachzusehen. Vielmehr muß er das ganze Grundbuchblatt prüfen, denn wenn sich an anderer Stelle eine ihm nachteilige Eintragung findet, läge keine Unrichtigkeit des Grundbuchs vor, auf die er sich berufen könnte (§ 892). Die Einsicht der zweiten Abteilung darf schon wegen der in diese Abteilung gehörenden Verfügungsbeschränkungen (Konkursvermerke, Nacherbenvermerke, Testamentsvollstreckung!) niemals unterbleiben. Aufschrift. „Amtsgericht Lichterfelde. Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 . "

Grundbuchmäßigwirddas Grundstück nicht nach den häufig wechselnden Straßennamen und Hausnummern bezeichnet, sondern nach besonderen Grundbuchblattnummern. Diese Blattnummem sind unveränderlich. Wird z. B. das Grundbuchblatt 1 1 geschlossen und entsteht später einmal die Notwendigkeit, für ein anderes Grundstück desselben Grundbuchbezirks ein neues Blatt anzulegen, so kann dafür nicht die freigewordene Nr. 1 1 verwendet werden, sondern das neue Blatt erhält, um jede Verwechslungsmöglichkeit auszuschließen, die nächste fortlaufende Nummer. §§ 3 1 , 2 3 " GBVf. Bestandsverzeichnis. Das Bestandsverzeichnis stellt die Verbindung von Grundbuch und Kataster her. Das Grundstück „Lichterfelde Bd. 1 Bl. 1 1 " ist ein abstrakter Begriff; kein

Grundbuchamt — Grundbuch und Kataster

617

Mensch wäre imstande, seine wirkliche Lage zu finden. Aus Spalte 3, Unterspalten a und b (S. 618), ersehen wir, daß es jetzt die Parzellen Kartenblatt 1 Flächen221 222 223 237 abschnitt , , ,— der Gemarkung Lichterfelde umfaßt. Das sind ka75 75 75 93 usw. tastermäßige Bezeichnungen. Das Katasteramt besitzt Karten, in denen die Lage jeder Parzelle genau verzeichnet ist. So dient die Katastereinrichtung, ursprünglich für Zwecke der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung geschaffen, dazu, die tatsächliche Lage des auf einem bestimmten Grundbuchblatt eingetragenen Grundstücks nachzuweisen. Hieraus folgt, daß die Katasterangaben am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teilhaben müssen, falls im Bestandsverzeichnis Parzellen gebucht sind, die in Wahrheit zu einem anderen Grundbuchblatt gehören und nur versehentlich hierher übertragen wurden. Allerdings erstreckt sich der öffentliche Glaube des Grundbuchs nur auf die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben über die R e c h t s v e r h ä l t n i s s e am Grundstück. Angaben dagegen, die nur über die t a t s ä c h l i c h e n Verhältnisse Auskunft geben, sind einem gutgläubigen Erwerb nicht zugänglich, obwohl sie unzweifelhaft ebenfalls zum Inhalt des Grundbuchs gehören. Demnach besteht keine Gewähr für die Richtigkeit dessen, was das Grundbuch über Flächenmaß, örtliche Lage, Kulturart oder das Vorhandensein oder die Bestandteilseigenschaft von Gebäuden aussagt. Anders verhält es sich mit solchen Eintragungen, die angeben, welche bestimmte Grundfläche das Eigentumsrecht des als Eigentümer Eingetragenen zum Gegenstand hat. Denn das Eigentum an einem Grundstück kann man sich nicht anders vorstellen als in Beziehung auf einen bestimmten abgegrenzten Teil der Erdoberfläche. Die Angaben des Grundbuchs hierüber müssen daher für den Erwerb des Eigentums und anderer dinglicher Rechte maßgebend sein. Das erfordert die Sicherheit des Rechtsverkehrs (RG 61, 193; 73, 129; L G Frankenthal, N J W 1956, 873; Meikel-Imhof-Riedel, § 3 Anh. I Anm. 179, 180). Eigenartig liegt der Fall der „Doppelbuchung", bei der ein und dieselbe Parzelle auf zwei verschiedenen Blättern steht. Hier kann keine der widersprechenden Eintragungen öffentlichen Glauben beanspruchen, so daß der Erwerber des Grundstücks, auf dem die Parzelle zu Unrecht gebucht ist, vor dem Eigentümer des anderen Grundstücks, dem sie rechtmäßig zusteht und auf dessen Grundbuchblatt sie ebenfalls verzeichnet ist, nicht bevorzugt werden kann. R G 85, 316 (Doppelbuchung bei Zwangsversteigerung). Über das Verfahren zur Beseitigung einer Doppelbuchung vgl § 38 G B V f und K G J W 1938, 3046.

Nun zu den einzelnen Eintragungen unseres Bestandsverzeichnisses: Am 16. Juni 1900 wurde unter Nr. 1 der Bestand des bisherigen Titelblatts eingetragen. Das geschah zwecks Einführung des neuen Bestandsverzeichnisses. Das alte Titelblatt ist gleichzeitig geschlossen worden. Am 15. März 1906 sind Sp. 3, b, e, 4 nach dem Steuerbuch berichtigt worden. Das Katasteramt übersendet dem Amtsgericht von Zeit zu Zeit Listen, in denen die durch Fortschreibung des Katasters eingetretenen Veränderungen zusammengestellt sind. Die Veränderungen werden dann—von Amts wegen — im Grundbuch vermerkt. Häufig handelt es sich um die Folgen von Neuvermessungen, Änderung der eingetragenen Grundstücksgröße, der Wirtschaftsart usw. In unserem Falle ist die bisher einheidiche Parzelle 75 in 4 Parzellen aufgeteilt worden. Die neuen Parzellen

221 75

,

222 75

usw. sind sog. „Bruchparzellen". Der Nenner des Bruchs be-

zeichnet die Herkunft aus der früheren Parzelle 75. Die Zähler 221, 222 usw. haben die Parzellen erhalten, weil auf dem Kartenblatt zur Zeit der Teilung 220 Parzellen vorhanden waren. Die Nummer der aufgeteilten Parzelle 75 darf niemals wieder zur Bezeichnung einer anderen Parzelle dieses Kartenblatts verwendet werden. — Werden durch Teilung von zwei oder mehr Parzellen neue Parzellen gebildet, so gibt der Nenner die frühere Hauptparzelle mit dem Zusatz „ u s w . " an (sog. „usw-Par.-

618

Grundbuchamt — Bestandsverzeichnis Bestands-

1

1

Bisherige laufende Nummer der Grundstücke

Bezeichnung der Grundstücke und der mit dem Eigentum verbundenen Rcchte Gemarkung (Vermessungsbezirk)

Karte

a

b

Größe Steuerbücher c

2



Wirtschaftsart und Lage

d

e

ha

3

Lichterfelde

1

4

KartenBlatt

Parzelle

Grd.St. MR

Geb.St. R

1

75 221

3

27

X

qm

a

Gärtnerstelle Nr. 8 Hofraum mit Gebäuden

75 22z

Garten

22;

4

20

I

Laufende Nummer der Grundstücke

63 5

so

2

10

28

Acker im Mittelfeld

1

•3

73

Wiese am Lohedamm

1

33

80

75 ZZ4

2 3

Lichterfelde 1,2

Lichterfelde

1

75 2j7

«

95 usw. 221

85 27



75 222

3

_75 22; _75 224

Acker am Wege nach Südende

_

99

20

Hofraum mit Gebäuden



5

80

Garten

2

10

28

Acker im Mittelfeld

1

13

73

Wiese am Lohedamm

1

33

80

75 Acker am Wege nach Südende

_

99

20

21

Hofraum mit Gebäuden



5

so

_

Garten

2

10

28

Acker im Mittelfeld

1

«3

7;

99

20

5

82

99

15

2

37 93 usw. 4

Rest von 3

Lichterfelde

1

221



75 222

3

75 225 75

Acker am Wege nach Südende

2 37 93 usw.

4

221

1

Hofraum mit Gebäuden Regerstraße Nr. 8

75

Ackerstücke Südender Str. Nr. 17/29, Regerstr. Nr. 10/28

2

5 zu 4 6 zu 4

37 93 usw.



Wegerecht an dem Grundstück Lichterfelde Kartenblatt 3 Parzelle 99 und 100, einge5 zu 4

tragen im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 12 Abt. II Nr. 1 Der Inhalt des Wegerechts ist dahin geändert, daß e nur noch an dem Grundstück Kartenblatt 3 Parzelle 99 besteht. 1

1

1

1

x ) Nach § 6 der A V vom 20. Januar 1940 (DJ 212) ist bei der Zurückführung der Grundbuchblätter auf das Reichskataster (VO vom 23. Januar 1940, RGBl I 240) im Bestandsverzeichnis die gemeinsame Uberschrift der Unterspalten 3 c und d („Steuerbücher") in „Katasterbücher" abzuändern. Ferner sind an der Stelle, an der sich im amtlichen Muster (Anlage 1 zur GBVfg) die Worte „ K B 1 " , „Parzelle", „GrdStMR" und „GebStR" befinden, die vermessungstechnischen Bezeichnungen

619

Grundbuchamt — Bestandsverzeichnis

Verzeichnis1) Bestand und Zuschreibungen Zur laufenden Nummer der Grundstücke

Zur laufenden Nummer der Grundstücke 6

5

1

Aus dem bisherigen Titelblatt hierher übertragen am 16. Juni 1900. Richter Urkund.

1

Spalten 3 b, e, 4 nach dem Steuerbuch berichtigt am 15. März 1906. Richter. Urkund,

1,

3

4

5 zu 4 6

zu 4

Abschreibungen

7

3

8

224

Von Nr. 3 die Parzelle — nach Bd. 1 Blatt 5 75 übertragen am 7. April 1926. Rest: laufende Nr. 4 Pfleger. Urkund.

Nr. 2 nach Abschreibung von Bd. 3 Blatt 90 der Nr. 1 als Bestandteil zugeschrieben und Nr. 1 mit Nr. 2 unter Nr. 3 neu eingetragen am 24. Februar 1907. Richter. Urkund.

Spalten 3 e, 4 nach dem Steuerbuch berichtigt am 15. Juni 1932. Pfleger. Urkund. Vermerkt am 10. September 1937. Pfleger. Urkund. Vermerkt am 31. August 1939. Pfleger. Urkund.

„ F l u t " und „Flurstück" sowie die Abkürzungen „ L i e g B " ( = Liegenschaftsbuch) und „ G e b B " ( = Gebäudebuch) einzutragen. In Bayern wird kein Gebäudebuch geführt. Desgleichen werden die Bezeichnungen „ K a r t e " in Spalte j b des Bestandsverzeichnisses sowie „ F l u r " in Bayern nicht verwendet (Abschn. II N r . 6 der J M B e k vom 3 1 . März 1 9 5 2 , J M B 1 101).

620

Grundbuchamt — Vereinigung, Zuschreibung, Abschreibung

Zelle"). Vgl. die folgende Eintragung. Nach der A V d. R J M vom 15. April 1937 (DJ 604) fällt der Zusatz „ u s w . " künftig fort.

Am 24. Februar 1907 wurde die Ackerparzelle

237

von Blatt 90 auf Blatt 1 1 93 usw. als laufende Nr. 2 übertragen, der laufenden Nr. 1 als Bestandteil zugeschrieben und zusammen mit ihr unter laufender Nr. 3 neu eingetragen. Es gibt drei Arten, wie mehrere Grundstücke auf einem Blatt vereinigt werden können: 1. Rein äußerliche Zusammenschreibung nach § 4 G B O („Personalfolium"). Es stehen dann im Bestandsverzeichnis gleichzeitig mehrere „laufende Nummern der Grundstücke" nebeneinander (so im Bestandsverzeichnis des Musters Anlage 1 zur G B V f , Trienach Band 3 Blatt 86, die laufenden Nummern 2 und 4). Diese Zusammenschreibung ist ohne jede sachlichrechtliche Wirkung: die bisherigen Belastungen der mehreren Grundstücke bleiben gesondert bestehen, die Grundstücke können auch in Zukunft gesondert belastet werden. Denn ein Grundstück ist im Sinne des Sachenrechts ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der auf einem besonderen Grundbuchblatt allein oder auf einem gemeinschaftlichen Grundbuchblatt unter einer besonderen Nummer des Bestandsverzeichnisses gebucht ist (RG 84, 270; K G J 5 3 , 1 7 1 ) . Es kommt daher weder auf die wirtschaftliche Einheit noch darauf an, ob das Grundstück aus einer oder mehreren Katasterparzellen besteht. 2. „Vereinigung" auf Antrag des Eigentümers nach § 8901 B G B : bestehende Belastungen bleiben unverändert, für die Zukunft werden die „vereinigten" Grundstücke zu einer rechtlichen Einheit, so daß die Begründung gesonderter Rechtsverhältnisse unmöglich ist. Die vereinigten Grundstücke werden im Bestandsverzeichnis unter neuer gemeinschaftlicher laufender Nummer eingetragen. 3. Die (hier angewandte) „Zuschreibung als Bestandteil" auf Antrag des Eigentümers nach § 890 11 . Auch dabei werden die Grundstücke für die Zukunft zu einer Einheit verschmolzen und deshalb unter einer einzigen laufenden Nummer im Grundbuch vermerkt. An den alten Belastungen ändert sich grundsätzlich nichts, doch erstrecken sich nach der Sondervorschrift des § 1 1 3 1 am Hauptgrundstück bereits bestehende Hypotheken, Grund- und Rentenschulden auf das Bestandteilsgrundstück, gehen aber den auf diesem Grundstück bereits vorhandenen Belastungen im Range nach. Wie aus Abt. II und III des Grundbuchs hervorgeht, war die als Bestandteil zugeschriebene Nr. 2 nur mit der in Abt. II unter Nr. 2 vermerkten Grunddienstbarkeit belastet. Auf der alten Nr. 1 lastete die Darlehnshypothek Abt. III Nr. 1. Nach der Zuschreibung besteht die Hypothek als Belastung der früheren Nr. 1 fort, während die frühere Nr. 2 jetzt, außer mit der Grunddienstbarkeit, auch mit der Hypothek belastet ist. Der Grunddienstbarkeit steht vor der Hypothek der Vorrang zu, gleichgültig, welches der beiden Rechte an sich früher entstanden war. Die nach dem 24. Februar 1907 gemachten Eintragungen belasten die ganze laufende Nr. 3 gleichmäßig.

Alle drei Buchungen sollen nur erfolgen, wenn keine Verwirrung, d. h. keine Unübersichtlichkeit des Grundbuchs, zu besorgen ist. §§4, 5,6 GBO. Die Zuschreibung der Nr. 2 als Bestandteil zu 1 war sicherlich unbedenklich. Aber auch in verwickeiteren Fällen läßt sich, streng genommen, nicht sagen, daß eine Verwirrungsgefahr bestehe, weil Abt. II und III (in Spalte 2) bei jeder Belastung angeben, aufweiche „lfd. Nr. der Grundstücke" sie sich bezieht. Trotzdem empfiehlt es sich, schon im Hinblick auf künftige Zwangsversteigerungen, mit der Vereinigung verschieden belasteter Grundstücke auf einem Blatt vorsichtig zu sein. — Die Führung eines gemeinschaftlichen Blattes nach § 4 GBO, Vereinigung nach § 8901 und Zuschreibung nach § 890 11 B G B können sowohl dann vorgenommen werden, wenn die Grundstücke

Grundbuchamt — Mit dem Eigentum verbundene Rechte

621

schon demselben Eigentümer gehören, als auch gleichzeitig mit einer Auflassung. In unserem Fall war die Zuschreibung der Nr. 2 mit einem Eigentumswechsel verbunden, vgl. die Eintragung vom 24. Februar 1907 in Abt. I. Die folgende Eintragung (vom 7. April 1926) ist eine Abschreibung. Das Restgrundstück hat die neue lfd. Nr. 4 erhalten. Ob die Abschreibung unter Eigentumswechsel erfolgte, ist nicht aus dem Grundbuch von Blatt 1 1 , sondern bei Blatt 5 zu ersehen, in dessen Abteilung I unter dem 7. April 1926 ein Vermerk zu suchen wäre, der dem Auflassungsvermerk vom 24. Februar 1907 auf Blatt 1 1 entspricht. Bei der Abschreibung sind für sämtliche damals auf Blatt 1 1 eingetragenen Belastungen der II. und III. Abteilung Entpfändungserklärungen beigebracht worden, so daß die Parzelle lastenfrei nach Blatt 5 übertragen werden konnte. Andernfalls wäre auf unserem Blatt der Mithaftvermerk (S. 659) gemacht worden. Am 15. Juni 1932 endlich hat das Grundbuchamt aus der katasteramdichen Fortschreibungsliste vermerkt, daß der Wirtschaftshof der alten Gärtnerstelle („Hofraum 237 mit Gebäuden") die Bezeichnung Regerstraße 8, die Ackerstücke der Parzelle — 93 usw. die Bezeichnung Südender Straße 17/29, Regerstraße 10/28 erhalten haben. Durch die Neuvermessung hat sich, wie gewöhnlich, ein kleiner Größenunterschied ergeben. Es sind Straßen angelegt, das Gelände ist „der Bebauung erschlossen". Trotz der verhältnismäßig zahlreichen Veränderungen, die unser Bestandsverzeichnis seit seiner Anlegung erfahren hat, läßt sich mit einem Blick übersehen, welche von den Eintragungen der Spalten 1 bis 4 jetzt noch Geltung haben. Das beruht darauf, daß gemäß den §§ 13, 14, 16, 17 G B V f die gegenstandslos gewordenen Eintragungen jeweils rot unterstrichen worden sind. Materiellrechtlich, auch für die Frage des guten Glaubens, kommt es aber nicht auf die Rötungen, sondern ausschließlich auf die Löschungs- und sonstigen Vermerke im Text des Grundbuchs an. Für unser Grundstück Blatt 1 1 hat eine Grunddienstbarkeit an Blatt 12 bestanden. Die Begründung der Dienstbarkeit erfolgte auf dem Blatt des belasteten Grundstücks Blatt 12, und zwar in dessen Abt. II. Der Vermerk im Bestandsverzeichnis des herrschenden Grundstücks war zur Entstehung des dinglichen Rechts nicht notwendig. Er wurde — bei Bestellung der Dienstbarkeit oder nachträglich — auf besonderen Antrag des Eigentümers oder eines dinglich Berechtigten, z. B. eines Hypothekengläubigers vermerkt ( § 9 GBO). Gleichzeitig wurde die Eintragung des Vermerks auf dem Blatt des dienenden Grundstücks ersichtlich gemacht (§ 9 1 1 1 GBO). Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, daß das Recht nach § 96 B G B als Bestandteil des herrschenden Grundstücks gilt. Eine Grundlage für einen Erwerb kraft guten Glaubens bildet der Vermerk übrigens nicht (RG J W 1929, 745). Der Zweck dieses ziemlich seltenen Vermerks ist folgender: Nach den §§ 876, 877 B G B sind zur Aufhebung oder Veränderung subjektivdinglicher Rechte — also Grunddienstbarkeiten, subjektiv-dinglicher Vorkaufsrechte (§ 1094n ) , subjektiv-dinglicher Reallasten (§1105 n ), durch vertragsmäßige Feststellung eintragungsfähig gewordener Überbau- und Notwegrenten (§§ 9 1 4 1 1 S. 2, Abs. III, 9 1 7 1 1 S. 2) — außer der Zustimmung des Eigentümers des herrschenden Grundstücks die Zustimmungen aller derer erforderlich, denen am herrschenden Grundstück ein Recht zusteht, namentlich der Hypothekengläubiger dieses Grundstücks. Nach § 2 1 G B O wird aber das Recht, wenn es beim herrschenden Grundstück nicht vermerkt ist, auf bloße Bewilligung des Eigentümers gelöscht. Durch den Vermerk im Bestandsverzeichnis sichern sich also die Hypothekengläubiger des herrschenden Grundstücks davor, bei Löschung der Dienstbarkeit, die ja möglicherweise für den Wert der Hypothek von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, übergangen zu werden.

622

Grundbuchamt — Bezeichnung des Berechtigten

Fehlt der Vermerk und löscht der Grundbuchrichter ohne Zustimmung der Hypothekengläubiger, so ist das Grundbuch unrichtig geworden, denn die Beibringung der Einwilligung der Hypothekare wird nur zur formellen „Löschung" für entbehrlich erklärt, nicht zum materiellen „Erlöschen". Die Hypothekengläubiger könnten die Wiedereintragung der Dienstbarkeit mit der Berichtigungsklage erzwingen. Das Gesetz nimmt diese Möglichkeit in Kauf, weil in der Praxis die Hypothekengläubiger derartige Rechte ihres Pfandgrundstücks, wenn sie nicht einmal im Bestandsverzeichnis vermerkt sind, gar nicht kennen, jedenfalls keinen Wert auf sie legen. A m 31. August 1939 wurde als Veränderung vermerkt, daß das Wegerecht, soweit es an dem Flurstück Kartenblatt 3 Parzelle 100 besteht, aufgehoben worden ist. Erste Abteilung. Im Sinne der Einteilung S. 615 zählen die Eintragungen des Gustav Scholz, die des Gottlieb Scholz vom 27. Februar 1907 (Erwerb der lfd. Nr. 2), des Traugott Scholz vom 29. Oktober 1913 und der Firma Wolf offenbar zur Gruppe a. Die Eintragung der Erbengemeinschaft nach Gustav Scholz als Eigentümer des alten Bestandes (lfd. Nr. 1) vom 10. Januar 1901 und des Gotdieb Scholz auf Grund des Zuschlagsbeschlusses am 20. Oktober 1903 sind Beispiele einer Berichtigung nach Gruppe b. Die Eintragung der Frau Novak war eine Fehleintragung (Gruppe c), die durch Wiedereintragung des Traugott Scholz am 25. November 1922 im Berichtigungswege (Gruppe d) rückgängig gemacht wurde. S. zu Abt. II Nr 4. Gottlieb Scholz hatte das Alleineigentum am Grundstück durch eine Teilungsversteigerung zum Zwecke der Erbauseinandersetzung nach §§ 180 ff. Z V G erworben. Grundsätzlich können nur rechtsfähige Personen in das Grundbuch eingetragen werden. Natürliche Personen müssen also schon oder noch lebend sein, juristische Personen die Rechtsfähigkeit bereits erlangt und noch nicht wieder verloren haben. Ungeborene sind eintragungsfähig, soweit sie als nasciturus oder nondum conceptus Rechte durch Erbfolge (§ 1 9 2 3 n , 2101 1 ), Vermächtnis (§ 2162 1 1 ), gemäß § 844 1 1 S. 2 oder durch Vertrag zugunsten Dritter ( K G J 29 A 156) erwerben können. Sie sind durch namentliche Angabe der Eltern zu bezeichnen. Zu ihrer Vertretung kann ihnen ein Pfleger bestellt werden (§§ 1912, 1913 S. 2). Die Eintragung unbekannter Berechtigter kennt das Gesetz in § 126 Z V G . Sonst ist sie nur zulässig, wenn die Berechtigten nicht festzustellen sind, der Personenkreis hinreichend bestimmt und ein vertretungsberechtigtes Organ vorhanden ist ( K G J 34 A 279; 36 A 229). Verstirbt der Erwerber vor der Eintragung, so sind seine Erben einzutragen. Eine Ausnahme wird nur zugelassen, wenn der Erstehet nach dem Zuschlag vor seiner Eintragung stirbt ( J F G 10, 210). Erwirbt ein Verschollener oder Vermißter durch einen Abwesenheitspfleger, so wird er zwar einzutragen sein, auch wenn keine Lebensvermutung mehr für ihn besteht (vgl. § 10 VerschG), es kann sich jedoch später ergeben, daß der Abwesenheitspfleger für die Erben des Verschollenen erworben hat, wenn der Abwesende z. Zt. der Vornahme des Rechtsgeschäfts bereits verstorben war (dazu Jansen, DNotZ 1954, 592; O L G Braunschweig, NdsRpfl. i960, 14). Ein Kaufmann ist nur mit seinem bürgerlichen Namen, nicht unter seiner Firma eintragungsfähig, wie jetzt durch § i 5 J a G B V f klargestellt ist. Juristische Personen sind mit ihren Namen, Handelsgesellschaften durch ihre Firma, wie sie im Handelsregister eingetragen ist, zu bezeichnen. Das gilt auch für offene Handelsgesellschaften oder Kommanditgesellschaften, obgleich sie keine juristischen Personen sind, denn sie können „unter ihrer Firma" Eigentum und andere Rechte an Grundstücken erwerben (§§ 124 1 , 1 6 1 1 1 HGB). Eine Gesellschaft nach §§ 705ff. B G B ist auf den Namen der Gesellschafter mit dem Zusatz „als Gesellschafter bürgerlichen Rechts" einzutragen, ebenso die Mitglieder eines nicht rechtsfähigen Vereins. Bei juristischen

Grundbuchamt — Erste Abteilung

623

Eigentümer

Laufende Nummer der Grundstücke im Bestandsverzeichnis

Grundlage der Eintragung

i

2

3

4

1

Laufende Nummer bei Eintragungen

„Erste Abteilung

i

Bauer Gustav Scholz in Lichtcrfelde

Aufgelassen am x j . u n d eingetragen am 17. März 1887

2a

Gärtnereibesitzer Gottlieb Scholz

Auf G r u n d des Erbscheins v o m 2. Dezember 1900 einge-

in Lichtcrfelde

tragen am 10. Januar 1901.

Richter.

b

Schlosser Ernst Scholz in H a m b u r g

Richter.

Urkund.

Urkund.

in ungeteilter Erbengemeinschaft Gärtnereibesitzer Gottlieb Scholz

Auf Grund des Zuschlagsbeschlusses v o m 10. August 1903

in Lichterfelde

eingetragen am 20. Oktober 1903. Richter. 2

Richter.

£

Gärtner Traugott Scholz in Lichterfeldc

2

Novak

5 .

Urkund.

__ Aufgelassen am 28. und eingetragen am 29. O k t o b e r 1913. Richter.

Fabrikantenwitwe Antonio

Urkund.

Aufgelassen am 22. u n d eingetragen am 24. Februar 1907-

Urkund.

Aufgelassen am 19. J a n u a r und eingetragen am 1. Februar

geb. Reich in Berlin Pfleger. 6

Gärtner Traugott Scholen

Lichterfclde

5

Urkund.

Auf G r u n d der Berichtigungsbewilligung vom 2^. eingetragen am 25• November 1922. Pfleger.

7

Offene Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde

4

Urkund.

Aufgelassen am 15. April und eingetragen am 3. Juli 1931. Pfleger.

Urkund.

624

Grundbuchamt — Zweite Abteilung

Laufende Nummer der Eintragungen

Laufende Nummer der betroffenen Grundstücke im Bestandsverzeichnis

.Zweite

Lasten und Beschränkungen

I.

2.

3-

i

I

Die Zwangsversteigerung ist angeordnet. Eingetragen am 5. März 1903. Richter.

2

2

Folgende Belastung: 4. Der jeweilige Eigentümer von Lichterfelde Band 3 Blatt 89 ist berechtigt, die große Kiesgrube, genannt „Das Meyer-Loch", für die Zwecke seiner Wirtschaft mit zu benutzen. Unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 18. eingetragen am 21. August 1902, von Band 3 Blatt 90 des Grundbuchs hierher mitübertragen am 24. Februar 1907. Richter.

3

Urkund.

Urkund.

Altenteil für den Auszügler Gottlieb Scholz und Frau Anna Scholz $?eb. Wohlzemutb in Lichterfclde gemeinschaftlich gemäß der in Bezug genommenen Bewilligung vom 28. eingetragen am 29. Oktober 1913. Richter.

4

3

Urkund.

Widerspruch gegen das Eigentum der Frau Novak zugunsten des Gärtners Traugott Scholz in Lichterfeld. Auf Grund der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Lichterfelde vom 20. eingetragen am 22. Februar 1922.

Pfleger. 5

3

Eine Wege- und Fahrgercchtigkeit an der Parzelle Kartenblatt 1 Nr. — - für den jeweiligen Eigentümer von Lichterfclde Band 2 Blatt 45 unter Bezugnahme auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Breslau vom 13. Juni eingetragen am 27. Juli 1922. Pfleger.

6

Urkund.

4

Die Zwangsversteigerung ist angeordnet. Eingetragen am 5. Februar 1928.

4

Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Auflassung des Grundstücks für die Offene Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde. Unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 15. eingetragen am 17. April 1931.

Pfleger. 7

Urkund.

Pfleger.

Urkund.

Urkund.

Grundbuchamt — Zweite Abteilung

625

Abteilung Löschungen

Lfd. Nummer der Spalte i

Lfd. Nummer der Spalte z

Veränderungen

4-

5-

6.

7-

3

Der Hypothek Abt. III Nr. 3 steht der Vorrang zu. Eingetragen am 8. April 1915. Richter. Urkund.

1

Gelöscht am 20. Oktober 1903. Richter. Urkund.

3 z

Das Recht ist auf dem Blatte des herrschenden Grundstücks vermerkt. Hier vermerkt am 5. April 1936. Pfleger. Urkund.

Anteil des Gottlieb Scboi£ ff löscht am 27. September Z917. Richter. Urktmd.

4/5

Gelöscht am 25. November 1922. Pfleger. Urktmd.

6

40 L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

Gelöscht am 12. April 1928. Pfleger.

Urkund.

Gelöscht am 3. Juli 1931. Pfleger.

Urkund

626

Grundbuchamt — Verfügungsbeschränkungen

Personen des öffentlichen Rechts kann auf Antrag der Teil des Vermögens, zu dem das Recht gehört, oder die Zweckbestimmung durch einen in Klammern beigefügten Zusatz angegeben werden (§ 1511 GBVf), dagegen gehört die Bezeichnung der zur Vertretung des Fiskus berufenen Behörde — wie auch sonst die Namen der Vertretungsberechtigten — nicht in das Grundbuch, sondern in das Wohnungsblatt. Auch der Zusatz „als Treuhänder" ist in Ermangelung dinglicher Wirkung (§ 137 BGB) nicht eintragungsfähig (JFG 11, 275). Ausnahme: § 1189 BGB. la ) Zweite Abteilung. Die Eintragungen der zweiten Abteilung zerfallen in zwei verschiedene Gruppen. Einmal die dinglichen Belastungen des Grundstücks mit Ausnahme von Hypothek, Grund- und Rentenschuld. Sodann die eintragungsfähigen Verfügungsbeschränkungen, Vormerkungen und Widersprüche, wenn sie das Eigentum oder eine nach Abt. II gehörige Belastung betreffen. Verfügungsbeschränkungen, die sich auf eine Hypothek beziehen, gehören nach Abt. III, wo sie meist in der Spalte „Veränderungen" eingetragen werden. Die Eintragungen Nr. 2, 3, 5 unseres Blattes zählen zur ersten, Nr 1, 4, 6, 7 zur zweiten Gruppe. Die Eintragungsfähigkeit der Verfügungsbeschränkungen steht im Zusammenhang mit dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs. Z . B. sind relative Verfügungsbeschränkungen eintragungsfähig, weil sie durch guten Glauben geheilt werden (§§ 892 1 S. 2, 1 3 5 1 1 ) , während absolute Verfügungsbeschränkungen unheilbar sind und demgemäß nicht in das Grundbuch eingetragen werden dürfen. V o n den beiden strafprozessualen Vermögensbeschlagnahmen macht die der § § 2 8 3 / 4 StPO welche den Zweck hat, die Staatskasse wegen der möglicherweise zu erwartenden höchsten Geldstrafe und Kosten zu sichern, die Verfügungen des Angeschuldigten gegenüber der Staatskasse unwirksam (§ 284 1 1 ), wird durch guten Glauben geheilt (§§ 1 3 5 1 1 , 136 BGB) und ist eintragungsfähig. Dagegen verliert bei der Beschlagnahme nach §§ 29of. StPO, die im Verfahren gegen Abwesende als Ersatz des Haftbefehls dient, der Angeschuldigte die Befugnis, unter Lebenden über sein inländisches Vermögen zu verfugen (§ 292 1 ), und es ist ihm ein Abwesenheitspfleger zu bestellen (§ 2 9 2 1 1 ; vgl. auch § 433 StPO); damit wird eine absolute gegen Gutgläubige wirksame und nicht eintragungsfähige Beschränkung geschaffen. Eine eintragbare relative Verfügungsbeschränkung ist im Hinblick auf § 325 Z P O auch die Rechtshängigkeit in Ansehung eines Grundstücks oder Grundstücksrechts ( K G N J W 1955, 1233 zu III; O L G Stuttgart N J W i960, 1109). Daß Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit (wie Entmündigung oder vorläufige Vormundschaft) nicht eintragungsfähig sind, folgt ebenfalls aus der Unmöglichkeit, derartige Mängel durch guten Glauben zu heilen (S. 552). Dasselbe gilt für die güterrechtliche Verfügungsbeschränkung bei Zugewinngemeinschaft nach § 1365 B G B (S. 656).

Nr. 1 und 6: Der V e r s t e i g e r u n g s v e r m e r k Nr. 1 ist bei Anordnung der Teilungsversteigerung auf Ersuchen des Versteigerungsrichters eingetragen und nach der Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses ebenfalls auf sein Ersuchen gelöscht worden (§§ 180 1 ,19 1 ,130 1 ZVG, 38 GBO). Der Versteigerungsvermerk Nr. 6 vom 5. Februar 1928 beruhte auf einem Zwangsversteigerungsverfahren zur Beitreibung einer Geldforderung. Nach der Zurücknahme des Antrags durch den beitreibenden Gläubiger und Aufhebung des Verfahrens wurde der Vermerk am 12. April 1928 gelöscht (§§ 29> 34 ZVG). In der Zwischenzeit, am 29. März 1928 wurde in Abt. III die Hypothek Nr 7 eingetragen. Nach dem über die Wirkung eingetragener Verfügungsbeschränkungen unten zu Nr. 5 Darzulegenden war das statthaft. Nr. 2: Übertragene G r u n d d i e n s t b a r k e i t . Über ihren Rang vgl. oben S. 620. Nr. 3: A l t e n t e i l (Auszug, Ausgedinge, Leibgedinge) ist eine Vereinigung von beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten (§§ 1090f. BGB) und Reallasten (§§ no5f.). Beispielsweise waren im Haacke'sehen Auszug (S. 443) beschränkte perla

) H a e g e l e , Der Treuhänder im Grundbuchrecht, K T S c h i960, 145.

Grundbuchamt — Widerspruch

627

sönliche Dienstbarkeit: Das Wohnrecht zu a, die Gartennutzung zu b und das Recht zum Backen unter g, während die Naturalleistungen zu c bis f und das Taschengeld zu h Reallasten darstellen. Erfahrungsgemäß werden Vereinbarungen über Altenteile besonders weitschweifig gefaßt. Um das Grundbuch zu entlasten, gestattet § 49 GBO, über § 874 B G B noch hinausgehend, die Eintragung durch Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung unter der einheitlichen Bezeichnung „Altenteil" (oder „Auszug" usw.), ohne daß die verschiedenartigen Berechtigungen auseinandergehalten zu werden brauchen. Das Altenteil Abt. II Nr. 3 hat gleichen Rang mit der Kaufgeldhypothek Abt. III Nr. 2, denn beide Rechte sind am selben Tag in verschiedenen Abteilungen des Grundbuchs eingetragen. § 879 1 S. 2. Später haben Altenteil und Kaufgeldhypothek durch Eintragung vom 8. April 1915 der Darlehnshypothek Abt. III Nr. 3 gemäß § 880 den Vorrang eingeräumt. Der in § 879 aufgestellte Grundsatz, daß der Rang sich nach der Reihenfolge der Eintragungen richtet, ist nicht so selbstverständlich, wie es zunächst scheint. A n sich würde aus der Regel: prior tempore, potior iure zu folgern sein, daß der Vorrang dem Recht zukommt, dessen Entstehung zuerst vollendet war, bei dem also Einigung u n d Eintragung zuerst vorlagen. Im Interesse der Verkehrssicherheit läßt aber § 879 für das Grundstücksrecht die Reihenfolge der Eintragung allein entscheiden, so daß der Zeitpunkt der Einigung für den Rang gleichgültig wird 2 ). Nach §§ 1 7 , 4 5 G B O sind wiederum die Eintragungsanträge in der zeidichen Aufeinanderfolge ihres Eingangs zu erledigen. Geht also alles in Ordnung, so bestimmt sich der Rang letzten Endes nach dem Eingang. Daher die große Bedeutung des Eingangsvermerks, unten S. 635. Für das Mobiliarsachenrecht verbleibt es dabei, daß der Vorrang erst durch Zusammentreffen aller Voraussetzungen für die Entstehung des Rechts erworben wird.

Nr. 4: W i d e r s p r u c h . Die einstweilige Verfügung vom 20. Februar 1922, welche zur Eintragung des Widerspruchs geführt hat, sah als glaubhaft gemacht an, daß Frau Novak dem Verkäufer Traugott Scholz außer den im notariellen Kaufvertrag angegebenen Leistungen noch 100 Dollar „schwarz" gezahlt habe. Bis zur Abschreibung vom 7. April 1926 umfaßte das Grundstück mehr als 5 ha, so daß seine Veräußerung der landrätlichen Genehmigung nach der damals geltenden B R V O vom 15. März 1918 bedurfte. Die Genehmigung war erteilt, deckte aber nicht den wirklichen Inhalt des Geschäfts, da dem Landrat nur der beurkundete Vertrag vorgelegen hatte. Infolge des Schwarzkaufs fehlte es also an einer ordnungsmäßigen Genehmigung, und Kauf sowie Auflassung waren zwar nicht nichtig, aber — bis zur Nachbringung einer ordnungsmäßigen Genehmigung — „schwebend unwirksam" (vgl. § 182 BGB). Frau Novak hatte also trotz Auflassung und Eintragung noch kein Eigentum erlangt, das Grundbuch war unrichtig (RG 1 1 1 , 239). Wegen der nach geltendem Recht bestehenden Genehmigungspflichten für Grundstücksveräußerungsverträge s. oben S. 440. Hieraus rechtfertigte sich der Widerspruch, der als Hilfsmittel des Berichtigungsanspruchs die Unrichtigkeit des Grundbuchs voraussetzt. §§ 894, 8991 B G B . Der Widerspruch schützt den wahren Berechtigten (hier: Traugott Scholz) dagegen, daß zufolge des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs gutgläubige Dritte zu seinem Nachteil Rechte am Grundstück erlangen können, da der gute Glaube unwiderleglich zerstört wird. § 892 1 S.i. Widersprüche werden eingetragen: a) auf Grund einstweiliger Verfügung, die hinsichtlich des Arrestgrundes sowie der amtsgerichtlichen Zuständigkeit begünstigt ist (§§ 899 11 B G B , 942 1 1 ZPO), 2

) Die häßliche und auch irreführende Bezeichnung „Lokusprinzip" hierfür unterbleibt besser, vgl. Staudinger-Seufert, B G B , 1 1 . Aufl. § 879 Anm. 6 ff. 40«

628

Grundbuchamt — Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung

b) oder auf Bewilligung, sog. „konsentierter Widerspruch" (§ 899 11 S. 1 B G B ) ; einen Sonderfall des bewilligten Widerspruchs bildet der Widerspruch aus § 895 ZPO (vgl. unten zu Nr. 5), c) ohne einstweilige Verfügung und ohne Bewilligung auf einseitigen Antrag des Berechtigten in den Fällen der §§ 1139 B G B , § 5 1 1 40. D V O UmstG, d) von Amts wegen nach §§ 18, 23, 24, 53, 76 GBO, e) auf Ersuchen von Behörden, z. B. der Genehmigungsbehörde nach § 2 3 1 1 1 des BundesbauG vom 23. Juni i960 (BGBl I 341), wenn eine Eintragung auf Grund eines nicht genehmigten Rechtsvorgangs (oben S. 440 Nr. 1) vorgenommen worden ist, der Genehmigungsbehörde nach dem K R G Nr. 45 und den dazu ergangenen landesrechtlichen Ausführungsvorschriften (vgl. HenkeMönch-Horber, GBO, § 38 2 A 1), des Entschuldungsamts gemäß Art. 2 i r i V O über die Veräußerung von Entschuldungsbetrieben vom 6. Januar 1937 ( R G B 1 1 5 ) . Als Berechtigter des Widerspruchs ist in diesen Fällen nicht die Behörde, sondern der Gläubiger des Berichtigungsanspruchs aus § 894 B G B einzutragen. Da der Widerspruch sich gegen das Eigentum der Frau Novak richtete, hat er in der Hauptspalte der II. Abteilung seinen Platz gefunden. Sonst gehören Widersprüche in dieselbe Abteilung wie das Recht, auf das sie sich beziehen, und zwar in die Hauptspalte, wenn die Wiedereintragung des Rechts herbeigeführt werden soll (Widerspruch gegen unbegründete Löschung einer Dienstbarkeit, einer Hypothek usw.), im übrigen in die Veränderungsspalte. Die Eintragung erfolgt dann in der linken Halbspalte, während die rechte Hälfte für die endgültige Eintragung frei bleibt, §§ 12, 19 G B V f . Nr. 5: G r u n d d i e n s t b a r k e i t auf G r u n d r e c h t s k r ä f t i g e n U r t e i l s . Auf eine Klage des Eigentümers von Lichterfelde Blatt 45, des Gutsbesitzers Bohne, ist Frau Novak am 13. Juni 1922 verurteilt worden: „an dem ihr gehörenden Grundstück Lichterfelde Bd. 1 Bl. 1 1 zugunsten des jeweiligen Eigentümers von Lichterfelde Bd. 2 Bl. 45 die Eintragung einer Grunddienstbarkeit zu bewilligen, inhalts deren der jeweilige Eigentümer von Lichterfelde Bl. 45 berechtigt ist, den am Westrand der Parzelle Kartenblatt 1 Nr.

entlang fuhrenden Weg an Werktagen zum Gehen, Fahren 75 mit Kraftwagen, Pferdefuhrwerk und Handwagen zu benutzen."

Auf Grund des rechtskräftigen Urteils, das nach § 894 Z P O die Bewilligungserklärung ersetzt, hat Bohne die Dienstbarkeit eintragen lassen. E r hat später, und zwar gleichzeitig mit der Bewilligung der Wiedereintragung des Traugott Scholz durch Frau Novak, die Löschung der Dienstbarkeit bewilligt. War er hierzu gezwungen, oder hätte er sich auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs berufen können? Der Referendar: Durch Frau Novaks Eintragung als Eigentümerin wurde Bohne nicht geschützt, weil zu dem nach § 892 1 1 B G B maßgebenden Zeitpunkt ein Widerspruch eingetragen war. Außerdem erfolgte die Eintragung seiner Dienstbarkeit im Wege der Zwangsvollstreckung, und es ist ein allgemeiner Grundsatz, daß guter Glaube beim Vollstreckungserwerb nicht hilft (S. 590). Der Richter: Der eingetragene Widerspruch war der einzige Grund, weshalb Bohne die Dienstbarkeit löschen lassen mußte. Was Sie über den guten Glauben in der Zwangsvollstreckung sagen, träfe zu, wenn es sich um echten Vollstreckungserwerb handelte, z. B. wenn ein Gläubiger der Frau Novak aus einem gegen sie erwirkten, auf Zahlung von Geld lautenden Schuldtitel eine Zwangshypothek gemäß § 867 Z P O hätte eintragen lassen. Böhnes Anspruch ging aber nicht auf Geld, sondern auf Bestellung der Dienstbarkeit, also auf Abgabe einer Willenserklärung,

Grundbuchamt — Grundbuchsperre

629

und nach § 894 1 S. 1 „ g i l t " mit der Rechtskraft des Erkenntnisses die Erklärung, zu welcher der Schuldner verurteilt wurde, als abgegeben. E s findet also gar keine Zwangsvollstreckung statt, sondern kraft gesetzlicher Fiktion wird die Willenserklärung als abgegeben unterstellt, und damit ist der gewünschte rechtliche Erfolg von selbst eingetreten. Folgerichtig schreibt § 898 die Anwendung der Rechtssätze vor, die bei Rechtsgeschäften den gutgläubigen Erwerber schützen: denn wir haben es ja mit einem wenn auch nur fingierten rechtsgeschäftlichen Erwerb zu tun. Weitere, meist streitige Folgerungen aus der fingierten Willenserklärung (vgl. Kommentare zu § 894 Z P O ; Güthe-Triebel 94 zu § 19): 1. Regelmäßig bedarf es keiner Vollstreckungsklausel (BayObLG N J W 1952, 28). 2. War der Schuldner zur Abgabe der Willenserklärung Zug um Zug gegen eine Leistung des Gläubigers verurteilt, so ist nach § 8941 S. 2 eine vollstreckbare Ausfertigung erforderlich. Vgl. 6. Kap. S. 231 („Vollstreckung aus einem Zug-um-Zug-Urteil"). 3. Nach § 895 hat schon die vorläufig vollstreckbare Verurteilung zur Abgabe von Grundbuchbewilligungen Fiktionswirkung, und zwar wirkt sie als Bewilligung einer Vormerkung, wenn das Urteil auf eine rechtsändernde, als Bewilligung eines Widerspruchs, wenn es auf eine Berichtigungsbewilligung lautet. Der Gläubiger spart also durch das vorläufig vollstreckbare Urteil die einstweilige Verfügung, die er sonst ohne weiteres auf Grund des Urteils erhielte. 4. Kein Vollstreckungsurteil (§ 722), wenn der Schuldner durch ein im Inland als verbindlich anerkanntes (§328) ausländisches Urteil zur Abgabe der Erklärung rechtskräftig verurteilt wurde (RG 88, 249). 5. Die Fiktionswirkung besteht auch dann, wenn inzwischen durch Eröffnung des Konkurses Vollstreckungssperre (§ 14 KO) eingetreten war. Die Wirksamkeit des Erwerbs gegenüber den Konkursgläubigern ist dann nach den §§ 7, 15 K O zu beurteilen (Jaeger-Lent, KO, 8. Aufl. § 14 Anm. 19). 6. Muß noch eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung beigebracht werden, wenn der durch seinen Vormund vertretene Mündel zu einer an sich genehmigungspflichtigen Erklärung rechtskräftig verurteilt ist ? Mit der herrschenden Meinung (KGJ 31 A, 293; 45, 264; BayObLGZ 195}, 111 = MDR 1953, 561;a.M. Müller, FamRZ 19 5 6,44; Meikel-Imhof-Riedel, §19 Anm. 46) ist die Frage zu verneinen. Zwar gilt nur die Willenserklärung, nicht die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, als abgegeben. Aber wenn die Erklärung des verurteilten Minderjährigen fingiert wird, so muß man eine wirksame Erklärung fingieren. Andernfalls wäre der Partner des Minderjährigen niemals in der Lage, die Erfüllung seiner berechtigten Ansprüche zu erzwingen. Die Interessen des Minderjährigen können durch die hier vertretene Ansicht nicht Schaden leiden, denn in den wichtigsten Fällen besteht das Genehmigungserfordernis für das obligatorische Verpflichtungsgeschäft (z. B. den Grundstücksverkauf) in gleicher Weise wie für die Verfügung (z. B. die Auflassung). Bevor das Prozeßgericht zur Bewilligung der Verfügung verurteilt hat, muß ihm also die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung des Grundgeschäfts nachgewiesen worden sein. Referendar: Warum hat man nicht lieber die Eintragung der Dienstbarkeit auf Grund des gegen Frau Novak erlassenen Urteils von vornherein im Hinblick auf den eingetragenen Widerspruch abgelehnt? Dann wäre die ganze Verwirrung vermieden worden. Richter: Widersprüche, Vormerkungen, Nacherben-, Zwangsversteigerungsvermerke, dingliche Vorkaufsrechte und eingetragene Veräußerungs- und Verfügungsverbote bewirken keine Sperre des Grundbuchs. Denn diese Rechte machen die ihnen entgegenstehenden Verfügungen im allgemeinen nicht nichtig, sondern nur relativ, bedingt oder begrenzt unwirksam; außerdem beruhen sie vielfach bloß auf vorläufiger Grundlage (einstweilige Verfügung). Soweit der Grundsatz. Allerdings gibt es Ausnahmen, bei denen Eintragungsanträge zurückzuweisen sind: 1. Ist dem Grundbuchrichter bekannt, daß gegen den Grundstückseigentümer oder sonstigen dinglich Berechtigten ein im Grundbuch nicht eingetragenes relatives Verfügungsverbot besteht, so hat er eine dem Verbot widersprechende Eintragung davon abhängig zu machen, daß entweder das Verfügungsverbot in das Grundbuch eingetragen oder die Z u stimmung des Geschützten oder die Wirksamkeit der beantragten Eintragung diesem gegenüber nachgewiesen wird ( K G J F G 18, 205 und N J W 1955, 1 2 3 3 zu I I I ; B a y O b L G N J W 1954, 1120), 2. wenn ein Amtswiderspruch nach § 53 G B O einge-

630

Grundbuchamt — Vormerkung

tragen ist und die Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht nur, wie es für die Eintragung des Widerspruchs — abgesehen von dem Vorliegen einer Gesetzesverletzung — an sich genügen würde, glaubhaft ist, sondern feststeht. Die Zurückweisung des Antrags ist dann nicht eigentlich eine Wirkung des Widerspruchs, sondern des Tatbestandes, auf den er sich gründet (Güthe-Triebel 24 zu § 53), 3. wenn eine Löschung beantragt wird und gegen das Recht des Bewilligenden ein Widerspruch oder ein Verfügungsverbot eingetragen ist: nach der technischen Einrichtung des Grundbuchs kann nämlich die Löschung nur endgültig sein (Güthe-Triebel 2 2 zu § 2 5), 4. aus dem Grunde zu 3 auch, wenn auf Bewilligung des Vorerben ohne nachgewiesene Zustimmung des Nacherben gelöscht werden soll (unten S. 646), 5. durch Eintragung des Konkursvermerks wird das Grundbuch gegen Verfügungen des Gemeinschuldners absolut gesperrt; denn die Verfügungsbefugnis ist auf den Konkursverwalter übergegangen, und das Bestehen der Verfügungsmacht hat der Grundbuchrichter stets von Amts wegen zu prüfen (RG 71, 39). Das gilt auch dann, wenn der Gemeinschuldner die Eintragungsbewilligung schon vor der Konkurseröffnung abgegeben hatte, da die Verfügungsbefugnis noch zur Zeit der Eintragung vorliegen muß. Nur wenn der Eintragungsantrag schon zur Zeit der Konkurseröffnung beim Grundbuchamt eingegangen und die Erklärung des Gemeinschuldners nach Maßgabe des § 873 Abs 2 BGB bindend geworden war, ist die Eintragung trotz des Konkurses vorzunehmen (§§ 878 BGB, 15 S. 2KO), 6. unterliegt das Grundstück dem — nicht eintragungsbedürftigen — gesetzlichen Vorkaufsrecht des gemeinnützigen Siedlungiunternehmens (§§4, 10, 11, 14 RSiedlG i. V. mit der VO über das Vorkaufsrecht nach dem RSiedlG vom 15. April 1937 (RGBl 1546) oder dem — nicht eintragungsfähigen — Vorkaufsrecht des Heimstättenausgebers nach § 1 1 RHeimstättenG i. V. mit der AusfVO vom 19. Juli 1940 (RGBl I 1047, so darf der neue Eigentümer nur eingetragen werden, wenn der (nicht formbedürftige) Nachweis der Nichtausübung des Vorkaufsrechts erbracht ist. Nr. 7: V o r m e r k u n g . Die Vormerkung war im Kaufvertrag vom 15. April 1931 bewilligt worden, um die Käuferin Wolf bis zur Umschreibung des Grundbuchs auf ihren Namen gegen Verfügungen des bisherigen Eigentümers Scholz zu schützen. Bei Eintragung der Firma Wolf als Eigentümerin wurde die Löschung der Vormerkung bewilligt, weil sie gegenstandslos geworden war. Ohne Löschungsbewilligung und Antrag wäre die Vormerkung — ohne Löschungsvermerk — von Amts wegen gerötet worden, um anzudeuten, daß sie durch die endgültige Eintragung ihre Bedeutung verloren hat (§ 1911 GBVerf). Dies ist der Fall, wenn zwischen der Eintragung der Vormerkung und der endgültigen Eintragung nichts oder nichts mehr eingetragen ist, was den vorgemerkten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde (§§ 88311, 8881 BGB). Vormerkungen werden an derselben Stelle des Grundbuchs eingetragen wie Widersprüche (§ 12 11 GBVf, oben zu Nr. 4), und zwar ebenfalls entweder auf Grund einstweiliger Verfügung mit den Erleichterungen bezüglich Arrestgrund und amtsgerichdicher Zuständigkeit (§§ 8851 BGB; 942 11 ZPO) oder als „konsentierte" Vormerkung auf Bewilligung (§ 8851 BGB, Sonderfall: die fingierte Bewilligung des § 895 ZPO), schließlich in den Fällen der §§ 18, 76 GBO von Amts wegen. Doch sind sie inhaltlich vom Widerspruch streng zu unterscheiden. Denn während der Widerspruch auf der Unrichtigkeit des Grundbuchs beruht, ist bei der Vormerkung das Grundbuch richtig, und es soll lediglich ein auf künftige dingliche Rechtsänderung gerichteter persönlicher Anspruch gesichert werden. Wie ist es nun, wenn versehentlich statt einer Vormerkung ein Widerspruch eingetragen wird oder umgekehrt ? Es kommt nur darauf an, daß beim Widerspruch das Recht, gegen welches er sich

Grundbuchamt — Einzutragender Geldbetrag

631

richtet, die Person des Geschützten und der Rechtsgrund des Widerspruchs — im G r u n d b u c h oder der in bezug genommenen Bewilligung oder einstweiligen V e r f ü g u n g — angegeben w i r d ; entsprechend bei der V o r m e r k u n g die Person des Berechtigten, der Gegenstand der vorzumerkenden Rechtsänderung und der gesicherte schuldrechtliche Anspruch. D e r G e b r a u c h der W o r t e „ W i d e r s p r u c h " , „ V o r m e r k u n g " ist kein Gültigkeitserfordernis, u n d demgemäß die Verwechslung unschädlich. R G 55, 3 4 0 ; K G R J A 7, 6 4 ; Meikel-Imhof-Riedel § 25 A n m . 1 7 . Zur zweifelsfreien Bezeichnung des zu sichernden Anspruchs gehört auch die Angabe des Schuldgrundes, bei der Auflassungsvormerkung also z. B. die Angabe des Kaufvertrages nach Datum, Namen und Registernummer des beurkundenden Notars. Fehlt diese Angabe auch in der in bezug genommenen Eintragungsbewilligung, so soll nach B G H in L M Nr. 1 zu § 883 B G B die Vormerkung unwirksam sein, wenn begründete Zweifel bestehen können, welcher von mehreren in Betracht kommenden Ansprüchen gesichert sein soll. Diese Auffassung entbehrt des rechtfertigenden Grundes. Der angeführte Mangel kann zwar die Erweislichkeit des gesicherten Anspruchs im Rechtsstreit mit dem Dritten, der ein vormerkungswidriges Recht erworben hat (§ 888 1 BGB), erschweren, und der Grundbuchrichter sollte daher die Eintragung von der Behebung dieses Mangels abhängig machen. Ist die Eintragung aber ohne Angabe des Schuldgrundes vorgenommen, so hat das keine Nichtigkeit zur Folge (Jansen, D N o t Z 1953, 382; Wolif-Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. § 4 8 " 3 ; a.A. Staudinger-Seufert, B G B , 1 1 . A u f l . § 885 Anm. 10c; Meikel-Imhof-Riedel § 3 Anm. 303). Dritte

Abteilung.

D e r e i n z u t r a g e n d e G e l d b e t r a g . D e r Inhalt der Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld geht nach den §§ 1 1 1 3 1 , 1 1 9 1 1 , 1 1 9 9 1 B G B dahin, daß ein „bestimmter G e l d b e t r a g " aus dem Grundstück zu zahlen ist. D e r hierin niedergelegte Bestimmtheitsgrundsatz erfordert nur, daß der Geldbetrag in einer bestimmten Anzahl v o n Währungseinheiten ausgedrückt ist. E r verlangt nicht, daß die W ä h r u n g eine inländische sein müsse ( J F G 1 4 , 365). Dieses Erfordernis w i r d erst durch die Ordnungsvorschrift des § 28 S. 2 G B O begründet, nach der einzutragende Geldbeträge in Reichsw ä h r u n g anzugeben sind. Darunter ist die jeweils geltende W ä h r u n g zu verstehen, jetzt also die durch die Währungsgesetze und § 1 4 1 des G über die Deutsche Bundesbank v o m 26. Juli 1 9 5 7 ( B G B l I 7 4 5 ) eingeführte Deutsche Mark. Ist ein Geldbetrag noch nach dem Währungsstichtag in Reichsmark eingetragen worden, so ist diese Eintragung zwar ordnungswidrig, aber nicht inhaltlich unzulässig im Sinne des § 5 3 1 S. 2 G B O ( K G N J W 1954, 1686). Wenn dagegen der Geldbetrag entgegen § 28 S. 2 G B O in ausländischer Währung eingetragen worden ist, hängt die wirksame Entstehung des Rechts davon ab, daß die zur Begründung einer Fremdwährungsschuld nach § 3 S. 1 WährG erforderliche Devisengenehmigung erteilt ist. Hier käme die Eintragung eines Amtswiderspruchs nach § 5 3 1 S. 1 G B O in Betracht. Die V O über die Eintragung von Hypotheken in ausländischer Währung vom 13. Februar 1920 (RGBl I 231) war in ihrer Geltungsdauer zeitlich begrenzt und ist seit dem 31. Dezember 1929 nicht mehr in Kraft. W e r t b e s t ä n d i g e H y p o t h e k e n . Nach dem Gesetz über wertbeständige Hypotheken vom 23. Juni 1923 (RGBl 1407) und den dazu ergangenen DurchführungsVO waren — in Durchbrechung des Bestimmheitsgrundsatzes — als Wertmesser der amdich festgestellte Preis einer bestimmten Menge von Roggen, Weizen oder Feingold, ja sogar bestimmter Sorten von Kohle oder Kali zugelassen, zur Sicherung gewisser Anleihen auch der Kurswert des nordamerikanischen Dollars. Grundpfandrechte auf Roggen- oder Weizenbasis konnten seit dem RoggenschuldenG vom 16. Mai 1934 (RGBl I 391) nur noch aus Anlaß einer Gutsüberlassung begründet werden. Bestehende Rechte wurden kraft Gesetzes in RM-Rechte umgewandelt. Grundpfandrechte auf Kohle-, Kali- oder Dollarbasis sind seit der V O über wertbeständige Rechte vom 16. November 1940 (RGBl 1 1 5 21) nicht mehr statthaft; eine Umwandlung der bestehenden Rechte erfolgte nicht. Bei den Grundpfandrechten auf Feingoldbasis bildete den Wertmesser eine bestimmte Gewichtsmenge Feingold (so im Beispiel Nr. 5). Zur Erleichterung des Grundbuchverkehrs konnte der Betrag auch in Feingoldmark oder in Goldmark (so Nr. 7 und 8) eingetragen werden, wobei eine Goldmark gleich dem amtlich festgestellten Preise von 1/2790 kg Feingold war (5. D V O vom 17. April 1924, R G B l I 415). In dieser Form wurde auch die Aufwertung eingetragen, vgl. die Eintragung zu

Gnmdbuchamt — Dritte Abteilung .Dritte y uc C 5 tc a c Z

|

*2 § J W 3 M

o C E fili u "7 te ri =3 1

Betrag

Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden

-o S § c 0

J i

2

3

i

I

12 000

4 Zwölftausend Mark Darlehn, v o m 1. Juli 1901 mit 4 l / a % jährlich verzinslich und drei Monate nach K ü n d i g u n g rückzahlbar, f ü r den Gastwirt Wilhelm Peters in Tinz eingetragen am 5. Juli 1901. Richter.

2

3

Urkund.

8ooo

Achttausend Mark Restkaufgeld nebst 4 % Zinsen seit 1. Oktober 1913, f ü r den Auszügler

2 ooo G M .

Cottlieb Scholz in Lichterfelde unter Bezugnahme auf die Bewilligung v o m 28. brieflos eingetragen am 29. Oktober 1913. Richter.

3

3

13000

Urkund.

Dreizehntausend Mark Darlehn mit 5 % Zins seit dem 1. April 1915, f ü r den Maurermeister Otto Bänke in Nimptsch. Eingetragen mit dem V o r r a n g vor den Rechten A b t . II N r . 3 und Abt. III N r . 2 unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 27. März am 8. April 1915. Richter.

4

3

1000 Ztr. Roggen — 600 Ztr. 400 Ztr.

5

3

Urkund.

Darlchn in H ö h e des amtlich festgestellten Preises v o n eintausend Zentnern Roggen, mit 8 % jährlich seit 1. Juli 1923 zu verzinsen und sechs Monate nach K ü n d i g u n g zurückzuzahlen, f ü r den Getreidekaufmann Hugo Scheibler in Berlin eingetragen am 10. Juli 1923. Pfleger.

Urkund.

2 kg

Darlehn in H ö h e des amtlich festgestellten Preises von zwei Kilogramm Feingold nebst

Feingold

6 % Jahreszinsen seit j . Januar 1924, f ü r den Apotheker Max Busse in Lichterfelde auf Grund der Bewilligung vom 13. eingetragen am 28. Dezember 1923. Pfleger.

6

3

5000 RAI.

Urknud.

Sicherungshypothek von fünftausend Reichsmark Bürgschaftsforderung des Gemüsegroßhändlers Fritz Reuter in Lankwitz mit 6 % Zinsen seit 15. September 1925. Auf G r u n d der Bewilligung vom 12. eingetragen am 19. September 1925. Pfleger.

7

4

8500 G M .

Urkund.

Achttausendfünfhundert Feingoldmark Darlehn, v o m 1. April 1928 mit 6 % verzinslich und bei Verkauf des Grundstücks, spätestens am 1. Juli 1951, fällig f ü r den Gutspächter Robert Scholz in Heidau eingetragen am 29. März 1928. Pfleger.

8

10000 G M .

Urkund.

Zehntausend Goldmark Restkaufgeld mit 6% Zinsen seit 1. Juli 1931, f ü r den Gärtner Traugott Scholz in Lichterfelde unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 15. April eingetragen am 3. Juli 1931. Pfleger.

9

4

20000 D M .

Urkund.

Zwanzigtausend Deutsche Mark Grundschuld mit 7 % Jahreszinsen seit 1. Oktober 1951 f ü r die Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 17. eingetragen am 22. September 1951. Pfleger.

Urkund.

Grundbuchamt — Dritte Abteilung

633

Abteilung Veränderungen Lfd. Nummer j der Spalte 1

Löschu ngcn

1 " Betrag

C/J s

6

5

8

7 Mit den Zinsen seit 1. Oktober 1 9 1 4 an den Gutspächter Robert Scholz in Heidau abgetreten. Die Ausschließung der Bildung eines Briefes ist aufgehoben. Eingetragen am 2 . Oktober 1 9 1 4 . Richter. Urkund. Den 13 0 0 0 Mark Abt. III Nr. 3 steht der Vorrang zu. Eingetragen am 8 . April 1 9 1 5 . Richter.

I2 000 IJOOO f

-

Ztr. Roggen

8000 M.

!

aufgewertet

:

auf 2 0 0 0

GM.

Urkund.

1925.

Pfleger.

Urkund.

5000 RM.

Umgewandelt in eine gewöhnliche Hypothek. Die Zwangsvollstreckung ist gegen den jeweiligen Eigentümer zulässig. Eingetragen am 1 5 . Juli 1 9 2 6 .

2000 GM.

Auf Grund des Erbscheins des Amtsgerichts Neumarkt vom 2 3 . Februar 1932 auf den minderjährigen Schüler Richard Schol% in Heidau umgeschrieben am 21. März 1 9 3 2 . Pfleger.

!20000

DM

M.

\ Gelöscht am 1. Febr.

13000

M.

/

1922.

Pfleger.

6 0 0 Ztr.

Urkund.

j

Anteil Scheibler

j

am 7 . April 1 9 2 6 . Pfleger.

gelöscht Urkund.

Urkund.

Aufgewertet auf Grand des Aufwertungsgesetzes vom x6. Juli 1 9 2 5 auf zweitausend Goldmark. Eingetragen am 15. Oktober

Pfleger.

9

12000

Urkund.

Teilbetrag in Höhe des Preises von 4 0 0 Ztr. Roggen mit den Zinsen seit 1. November 1 9 2 3 , zu gleichem Range mit dem Restbetrag, abgetreten an den Mühlenbesitzer Konrad Brandes in Lankwitz. Eingetragen am 4 . November 1 9 2 3 . Pßeger.^

!

9

Die 1 2 0 0 0 Mark Abt. III Nr. x mit den auf 5% erhöhten Zinsen seit 1. Januar 1916 sind an den Maurermeister Otto Bänke in Nimptsch abgetreten. Über die beiden Posten ist ein gemeinschaftlicher Brief gebildet. Unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 2 0 . eingetragen am 2 2 . Dezember 1 9 x 5 . Richter.

400

! Betrag

Urkund.

Urkund.

Abgetreten mit Zinsen seit 1. Januar 1 9 5 2 an den Bankier Ferdinand Schilling in Berlin. Eingetragen am 1 9 . Dezember 1 9 5 1 . Pfleger.

Urkund.

4 0 0 Ztr. j "» Anteil Brandes gelöscht 8 5 0 0 GM. | J a m 3. j u U I 9 ? I i |

Pfleger.

Urkund

634

Grundbuchamt — Lesen eines Grundbuchblatts

Nr. 2 vom 15. Oktober 1925 (Art. 1 D V O zum A u f w G vom 29. November 1925, R G B l I 392). Während zum Zwecke der Umrechnung der Preis des Goldes zunächst nach dem Londoner Goldpreis berechnet wurde (§ 2 der 1. D V O vom 29. Juni 1923, R G B l I 482), wurde durch die V O über wertbeständige Rechte vom 16. November 1940 (RGBl I 1 5 2 1 ) die Goldmark der Reichsmark dadurch gleichsetzt, daß der nach § 1 4 1 1 des ReichsbankG vom 15. Juni 1939 (RGBl I 1015) für die Reichsbank geltende Goldpreis für maßgebend erklärt wurde. Diese Änderung verfolgte und erreichte den Zweck, den Anreiz zur Begründung von Grundpfandrechten auf Goldbasis auszuschalten.

Soweit hiernach die Bestimmungen über wertbeständige Grundpfandrechte noch in Geltung sind, haben sie ihre praktische Bedeutung dadurch verloren, daß Wertsicherungsklauseln nach § 3 S. 2 WährG der Devisengenehmigung bedürfen, die nur in Ausnahmefällen erteilt wird (über die Handhabung des § 3 WährG s. Fögen, N J W 1956, 1824; Mees, N J W 1957, 1 2 6 1 ; Henn, M D R 1958, 461; Szagunn, Betriebsberater 1959, 205; Dürkes, Wertsicherungsklauseln, 5. Aufl. 1961; Mitteilung der Dt. Bundesbank Nr. 1009.58; Reithmann, Wertsicherungsklauseln in der neueren Rechtsprechung, DNotZ i960, 172). Bei der Reallast (§1105 B G B ) kann der Inhalt der Leistung nicht nur auf bestimmte Geldbeträge, sondern auch auf wiederkehrende Leistungen anderer Art, insbesondere Sachleistungen, gerichtet sein. Gegenstand der Reallast kann daher auch die Verpflichtung zur Lieferung von Roggen sein (OLG Schleswig N J W 195 5, 65; vgl auch wegen der Anpassung der Leistungen aus der Reallast an eine künftige Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse BayObLG, DNotZ 1954, 98). Innerhalb des feststehenden Geldbetrages können die verschiedenen Arten der Grundpfandrechte ohne Zustimmung der Nachberechtigten beliebig gegeneinander ausgetauscht werden. Aus einer Hypothek kann eine Grundschuld, aus einer Grundschuld eine Hypothek, aus der Rentenschuld eine gewöhnliche Grundschuld, aus der Verkehrs- eine Sicherungshypothek, aus dem Brief- ein Buchrecht werden und umgekehrt, ebenso ist der Ersatz der ursprünglich gesicherten Forderung durch eine andere möglich. § § 1 1 1 6 , 1180, 1186, 1198, 1203 B G B : „Austauschgrundsatz". Alle diese Vorgänge bedürfen selbstverständlich der Eintragung in das Grundbuch (Beispiel: Eintragung vom 2. Oktober 1914 bei Nr. 2, vom 15. Juli 1926 bei Nr. 6). Hypotheken für die Forderung aus Inhaber- oder Orderpapieren gelten stets als Sicherungshypothek (§ 1187 S. 2). Aus dem Grundbuch muß ferner die Erteilung eines neuen Briefes hervorgehen. § 6 8 " i GBO. Die Ausstellung eines neuen Briefes erfolgt: 1. gegen Rückgabe des alten, z. B. weil dieser schadhaft geworden ist (§ 67), 2. als „gemeinschafdicher Brief" über mehrere demselben Gläubiger gehörende, im Range unmittelbar aufeinander folgende Posten (§ 66; Beispiel: Eintragung vom 22. Dezember 1915 zu Nr. 1, 3). Der gemeinschaftliche Brief läßt die Selbständigkeit der mehreren Hypotheken unberührt. E r ist daher nicht zu verwechseln mit dem Brief über eine „Einheitshypothek", die durch die Zusammenfassung mehrerer, im Range gleichstehender oder unmittelbar aufeinander folgender Grundpfandrechte desselben Gläubigers entstanden ist ( R G 145, 47; J F G 20, 383). 3. wenn im Aufgebotsverfahren der frühere Brief für kraftlos erklärt oder der Hypothekengläubiger mit seinem Recht ausgeschlossen ist (§ 67), 4. wenn das Grundbuchamt feststellt, daß der Brief durch Kriegseinwirkung vernichtet worden ist (§ 8 der V O vom 5. Dezember 1942, R G B l I 573). — Dagegen gilt der Teilbrief nicht als „neuer Brief" im Sinne des § 6 8 1 1 1 ; wir können also nicht aus dem Grundbuch ersehen, ob bei Teilung der Nr. 4 (Eintragung vom 4. November 1923) ein Teilbrief gebildet wurde oder nicht. Vgl. S. 677, 680.

Falls Haupt- und Veränderungsspalte nichts Abweichendes besagen, ist die eingetragene Post immer V e r k e h r s h y p o t h e k , B r i e f h y p o t h e k , und der u r s p r ü n g l i c h e B r i e f n o c h in K r a f t . Weiterhin gibt das Grundbuch Auskunft über Gläubiger, Rechtsgrund der Forderung, Zinssatz, besondere Rangverhältnisse und Rangänderungen (Beispiel: Ein-

635

Grundbuchamt — Eingangsvermerk

tragungen vom 8. April 1915 bei Nr. 2 und 3), Unterwerfung unter die dingliche Zwangsvollstreckung (Beispiel: Eintragung vom 15. Juli 1926 bei Nr. 6). §§ 8 7 9 1 1 1 , 880 1 1 S. 1, 1 1 1 5 B G B , 800 1 S. 2 Z P O . Für Kündigungs- und Nebenbestimmungen genügt Bezugnahme auf die Bewilligung nach § 874 B G B , weil sie nur zur „näheren" Bezeichnung des Inhalts des Rechts dienen. Dagegen sind Bedingungen und Befristungen des dinglichen Rechts in das Grundbuch selbst einzutragen ( J F G 13, 76; K G D N o t Z 1956, 555). Bei Aufwertungsbuchungen folgten Verzinsung und Fälligkeit aus dem Gesetz, daher bedurfte es keines Hinweises im Grundbuch (Art. 1 V O vom 18. Juni 1926, R G B l I 273). Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit A m 16. November 1952 überreicht das Märkische Elektrizitätswerk folgendes Schreiben: „An das Amtsgericht Lichterfelde.

Berlin, den 16. November 1952.

Zu den Grundakten von Lichterfelde Bd. 1 Blatt 11 überreichen wir beglaubigte Eintragungsbewilligung der Firma Wolf Söhne vom 14. d. M. mit dem Antrag: die bewilligte persönliche Dienstbarkeit einzutragen. Die Kosten bitten wir von uns einzuziehen. Märkisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft. Pohl.

Schmidt."

Die Anlage lautet: „Hierdurch bewilligen wir die Eintragung folgender beschränkten persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch des uns gehörenden Grundstücks Lichterfelde Bd. 1 Blatt 1 1 : Die Märkisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft in Berlin ist berechtigt, auf dem Grundstück Kabelleitungen zu legen, die aber weder vorhandene Gebäude treffen noch die Bebauung gemäß dem bestehenden Fluchtlinienplan beeinträchtigen dürfen. Den Wert des Rechts geben wir auf 3000 DM an. Berlin, den 14. November 1952. Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne. Die vorstehende, von dem Kaufmann Dr. Herbert Wolf in Lichterfelde, vertretungsberechtigten Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Fried. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde, vor mir gefertigte Firmenzeichnung beglaubige ich. Die Vertretungsbefugnis bescheinige ich auf Grund der heute von mir vorgenommenen Einsicht in das Handelsregister. Nr. 601 der Urkundenrolle für 1952. (Siegel) Kostenrechnung:

Berlin, den 14. November 1952. fustus Siegel Notar."

E i n g a n g s v e r m e r k : Bei der Übergabe der Urkunden vermerkt der Rechtspfleger den Zeitpunkt des Eingangs auf dem Antrag: „Eingegangen 16. November 1952, vormittags 9 Uhr 35 Minuten. Pfleger." Um zu vermeiden, daß Grundbucheingänge an mehreren Stellen des Gerichts gleichzeitig präsentiert und dadurch Unklarheiten über die Reihenfolge, in der die Rechte einzutragen sind, und den Rang, den sie zu erhalten haben (S. 627) entstehen, ist bestimmt, daß nur die mit der Führung des Grundbuchs über das betreffende Grundstück beauftragten Beamten — und zwar sowohl der Richter oder Rechtspfleger wie

636

Grundbuchamt — Eintragungsvoraussetzungen

der Urkundsbeamte — zur Entgegennahme von Anträgen zuständig sind. § i AusfVO. Damit wird eine gelegentliche Aushilfe der Dezernenten, wie sie sonst vorkommt, ausgeschlossen: der zuständige Grundbuchrichter und Grundbuchführer können sich (abgesehen natürlich von den durch die Geschäftsverteilung angeordneten Vertretungsverhältnissen) nicht einmal durch den Grundbuchrichter bzw. -führer einer anderen Grundbuchabteilung bei der Entgegennahme von Anträgen vertreten lassen. Wegen seiner großen materiellen Bedeutung wird der Zeitpunkt des Eingangs sofort auf dem Schriftstück vermerkt. § 1 3 1 S. 2 GBO. P r ü f u n g . Zum Zustandekommen einer dinglichen Rechtsänderung verlangen die § § 873 f. B G B Einigung der Beteiligten, welche — den Fall der Auflassung ausgenommen — an keine Form gebunden ist. Der verfügende Teil muß zur Verfügung befugt sein. Die Voraussetzungen der Grundbucheintragung weichen von diesen Regeln wesentlich ab: a) Eine Eintragung erfolgt regelmäßig schon, wenn derjenige, dessen Recht von ihr betroffen wird, sie bewilligt (§ 19 GBO). Dem Grundbuchamt genügt also die einseitige Bewilligung des „Passivbeteiligten", ohne daß das Einverständnis des Erwerbers mit der Rechtsänderung nachzuprüfen wäre: sog. „formelles Konsensprinzip". b) Die Bewilligung und die sonstigen Willenserklärungen, auf Grund deren die Eintragung erfolgen soll, bedürfen nach § 29 S. 1 öffentlicher Beurkundung oder mindestens öffentlicher Beglaubigung: sog. „grundbuchmäßige" Form. Soweit nicht Willenserklärungen, sondern Tatsachen, z. B. der Tod eines Beteiligten, nachzuweisen sind, ist eine öffentliche Urkunde erforderlich (§ 29 S. 2). c) An Stelle der materiellen Berechtigung des Bewilligenden genügt das Erfordernis seiner vorherigen Eintragung im Grundbuch (§391), solange dem Grundbuchamt nicht Tatsachen bekannt sind, die für die Unrichtigkeit des Grundbuchs sprechen. Regelmäßige Grundlage der Eintragung ist darnach: Bewilligung des im Grundbuch eingetragenen Passivbeteiligten in grundbuchmäßiger Form. Der Grundbuchrichter kennt keine materiellen Rechte, sondern nur Eintragungen, denn er kann den Eingetragenen als den wahren Berechtigten ansehen (§ 891 BGB), ihn interessiert nicht der Vertrag, sondern die Bewilligung, nicht das Erbrecht, sondern der Erbschein. Daß er die den dinglichen Verfügungen zugrunde liegenden schuldrechtlichen Grundgeschäfte nicht nachprüft, versteht sich schon nach bürgerlichem Recht. Denn die Verfügungsgeschäfte sind abstrakter Natur, sie beziehen sich lediglich auf den Eintritt der dinglichen Rechtsänderung (S. 521). Außerdem muß, soweit nicht ausnahmsweise Eintragungen von Amts wegen oder auf Ersuchen einer Behörde stattfinden (S. 628), ein Antrag vorliegen, den sowohlder Passivbeteiligte wie der Erwerber stellen kann. Der Notar, der die zur Eintragung erforderliche Erklärung beurkundet oder beglaubigt hat, gilt als ermächtigt, die Eintragung namens eines Antragsberechtigten zu beantragen (§§ 13, 15). Zum Unterschied von der Bewilligung bedarf der Antrag keiner Beglaubigung (arg. § 30). An den Antrag knüpft § 2 Nr. 1 KostO die Haftung für die entstehenden Gerichtskosten. Das ist wohl der Grund, weshalb Wolf den Antrag nicht mit der Bewilligung verbunden, sondern seine Stellung dem Elektrizitätswerk als Erwerber überlassen hat. Gegen die Eintragungsfähigkeit des Kabelrechts ist nichts einzuwenden. Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten haben den gleichen Inhalt wie Grunddienstbarkeiten, von denen sie sich nur dadurch unterscheiden, daß das Recht nicht dem jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks, sondern einer bestimmten Person als grundsätzlich unübertragbare und unvererbliche Befugnis zusteht (§§ 1090 1 ,1092 S. 1 BGB). Z u l ä s s i g e r I n h a l t einer G r u n d d i e n s t b a r k e i t (und folglich auch einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit) nach § 1 0 1 8 : 1. Der Berechtigte darf das belastete Grundstück in ein-

Grundbuchamt — Anwachsung im Gesellschaftsrecht

637

zelnen Beziehungen benutzen. Hierher gehören Wege- und Weidegerechtigkeiten, Wohnrechte, Rechte auf Entnahme von Kies, Ziegelerde und sonstigen Bodenbestandteilen, und auch unser Kabelrecht, 2. Oder es dürfen auf dem belasteten Grundstück gewisse Handlungen nicht vorgenommen werden: vertragliche Baubeschränkungen, Beschränkungen in der gewerblichen Ausnutzung des dienenden Grundstücks. 3. Oder die Ausübung von Rechten, die sich aus dem Eigentum am belasteten Grundstück gegenüber dem herrschenden Grundstück ergeben, wird ausgeschlossen, z. B. die negatorische Eigentumsklage wegen unzulässiger Immissionen (§§ 906, 1004), was praktisch Immissionenfreiheit und damit Erweiterung der gewerblichen Möglichkeiten für das herrschende Grundstück bedeutet. — Hätte das Kabelrecht auch als Grunddienstbarkeit bestellt werden können ? Die Grunddienstbarkeit muß „praedio utilis" sein, indem sie nicht bloß dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks für seine persönlichen Zwecke und Bedürfnisse, sondern dem Grundstück als solchem Vorteile bietet (§ 1019). Benachbarte Lage von praedium dominans und serviens ist aber nicht erforderlich. Es wäre daher möglich gewesen, das Kabelrecht als Grunddienstbarkeit für dasjenige Grundstück zu bestellen, auf dem das Elektrizitätswerk sein Kraftwerk hat. Man hat der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit den Vorzug gegeben, weil beschränkte persönliche Dienstbarkeiten, die einer juristischen Person zustehen, ebenso wie der Nießbrauch unter gewissen Voraussetzungen übertragbar sind (§ 1092 1 1 i. V. mit §§ 1059a bis d). — Wenn es sich nicht bloß um Durchlegen von Kabeln, sondern um eigentliche „Bauwerke", wie Transformatorenhäuser, handelt, käme neben Grunddienstbarkeit und beschränkter persönlicher Dienstbarkeit auch die Bestellung eines Erbbaurechts, also einer vererblichen und übertragbaren Befugnis (§ i 1 ErbbVO vom 15. Januar 1919, RGBl 72), in Betracht. Dazu hätten aber sämtliche bestehenden Rechte dem neuen Recht den Vorrang einräumen müssen (§ i o 1 S. 1). D e r Referendar: Bedarf es nicht des Nachweises der Vertretungsbefugnis der Herren Pohl und Schmidt für das Elektrizitätswerk? Rechtspfleger: D e r Nachweis der gesetzlichen Vertretungsbefugnis, insbesondere der in § 32 G B O bezeichnete Registerausweis, ist zwar im allgemeinen auch für solche Erklärungen erforderlich, die nicht sachliche Eintragungsunterlagen, sondern reine Verfahrenshandlungen sind. D e r Nachweis erübrigt sich aber, wenn feststeht, daß der Eintragungsantrag v o n der Handelsgesellschaft herrührt, zu deren Gunsten die Eintragung erfolgen soll (Güthe-Triebel, § 32 A n m . 33 a.E.). Daran besteht hier kein begründeter Zweifel. — Die Berechtigung des Dr. Herbert Wolf, die O H G allein zu vertreten (§ 1 2 5 w i r d durch die auf § 2 1 B N o t O beruhende Bescheinigung des N o tars bestätigt, die die gleiche Beweiskraft wie ein Zeugnis des Registergerichts hat. E s muß aber noch aufgeklärt werden, ob und welche Wechsel im Mitgliederbestande der O H G seit deren Eintragung als Eigentümerin des Grundstücks stattgefunden haben. Z w a r wächst beim Ausscheiden einzelner Gesellschafter deren Anteil am G e sellschaftsvermögen und den dazu gehörenden Gegenständen den verbleibenden G e sellschaftern ohne Auflassung und Grundbuchumschreibung an ( § § 7 3 8 B G B , 1 0 5 1 1 H G B ) , und entsprechend erwerben neu eintretende Sozien ohne Eintragung einen Anteil. Das findet jedoch seine Grenze an dem Fall, daß sämtliche bisherigen Gesellschafter auf einmal aus- und an ihre Stelle neue eintreten. Alsdann hegt nämlich, trotz Beibehaltung der Firma, keine Fortsetzung der früheren, sondern Begründung einer neuen Gesellschaft vor, und demgemäß ginge das Eigentum nicht v o n selbst auf die Gesellschaft in ihrem jetzigen Bestände über. Vgl. Güthe-Triebel 18—20 zu § 20 mit Rechtsprechung. Anwachsung gemäß § 738 B G B findet auch dann statt, wenn von zwei Gesellschaftern einer ausscheidet und der andere das Geschäft allein übernimmt. R G 65, 227; 68, 410. Die Anwachsung an neu eintretende Gesellschafter ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, folgt aber für die O H G daraus, daß § 130 H G B offenbar die Einheit der Gesellschaft voraussetzt. Staub 3 zu § 130, 8 zu § 1 3 1 . Die Anwachsung durch Ausscheiden tritt auch bei BGB-Gesellschaften ein, dagegen muß bei ihnen der Eintritt neuer Gesellschafter immer als Abschluß eines neuen Gesellschaftsvertrages behandelt werden. Werden von einer Erbengemeinschaft Nachlaßgrundstücke auf eine von sämtlichen Miterben gebildete Personengesellschaft des Handelsrechts übertragen, so ist Auflassung erforderlich (OLG Hamm, DNotZ 1958, 416). — Die Fragen haben über das formelle Grundbuchrecht hinaus erhebliche Bedeutung: denn soweit es einer

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Grundbuchamt — Bezugnahme. Löschung lebenslänglicher Rechte

Auflassung und Umschreibung bedarf, muß das Verpflichtungsgeschäft gemäß § 313 BGB beurkundet werden und es entsteht Grunderwerbsteuerpflicht, während in den Anwachsungsfällen alles das entfällt. RFH 12, 76 (Großer Senat).

Hierzu geht aus einem v o n dem Notar erforderten Registerauszug folgendes herv o r : A m 3. Juli 1931 waren Friedrich Wilhelm W o l f und Wilhelm Martin W o l f die Gesellschafter. I m Oktober 1947 ist Dr. Herbert W o l f als dritter Gesellschafter eingetreten. Schließlich sind im Mai 1952 Friedrich Wilhelm W o l f und Wilhelm Martin W o l f ausgeschieden, während gleichzeitig Norbert Hirsch als neuer Gesellschafter eintrat. D a beim Ausscheiden der beiden ursprünglichen Gesellschafter D r . Herbert W o l f in ihr verblieben war, ist trotz des Mitgliederwechsels die Kontinuität gewahrt. D e m Eintragungsantrag kann stattgegeben werden. Eintragungs Verfügung. „1. Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Bd. 1 Blatt 11, Abt. II: Sp. 1: 8 Sp. 2: 4 Sp. 3: Die Märkisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft in Berlin ist berechtigt, auf dem Grundstück Kabelleitungen zu legen, die aber weder vorhandene Gebäude treffen noch die Bebauung gemäß dem bestehenden Fluchtlinienplan beeinträchtigen dürfen. Eingetragen am . . . November 1952."

Der Wortlaut der Eintragung soll in der Verfügung angegeben werden (§ 2 A u s f V O ) . Man hätte nach § 874 B G B die Eintragung auch wie folgt fassen können: „Eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Kabelleitungsrecht) für die Märkisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft in Berlin unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 14. eingetragen am . . . November 1952."

Wäre bei dieser zweiten Fassung der Eintragung das W o r t „Kabelleitungsrecht" fortgelassen worden, so wäre die Eintragung inhaltlich unzulässig und gemäß § 5 3 1 S. 2 G B O v o n Amts wegen zu löschen. Denn im Grundbuch wäre nur die A r t des Rechts (beschränkte persönliche Dienstbarkeit), nicht aber sein Inhalt eingetragen. Dieser Mangel wäre auch durch die Bezugnahme auf die Bewilligung nicht gedeckt. Denn nach § 874 B G B ist eine Bezugnahme nur zur n ä h e r e n Bezeichnung des Inhalts des Rechts zulässig. Der wesentliche Inhalt muß im Grundbuch selbst verlautbart sein, wenn auch nur stichwortartig durch Angaben wie „Wegerecht, Traufrecht, Wasserleitungsrecht". N u r bei Rechten, deren Inhalt im wesentlichen im Gesetz geregelt ist, wie beim Nießbrauch, Vorkaufsrecht, Erbbaurecht, Dauerwohnrecht usw. genügt diese Benennung ( K G J W 1936, 3477; O L G Hamm, D N o t Z 1954, 207 mit A n m . Jansen; O L G K ö l n , N J W 1957, 992; O L G Düsseldorf, J M B 1 N R W 1957, 127). „2. Eintragungsnachricht an a) Eigentümerin, b) Elektrizitätswerk."

A u f die durch § 5 5 G B O vorgeschriebene Benachrichtigung können die Beteiligten verzichten. Siehe die folgenden Fälle. Löschung auf Lebenszeit beschränkter Berechtigungen „Eingegangen 19. November 1952, 12% Uhr. Urkund. An das Amtsgericht, Grundbuchamt, hier. Als eingetragene Eigentümer von Lichterfelde Band 1 Blatt 11 beantragen wir: die in Abt. II des Grundbuchs unter Nr. 3 eingetragene Belastung auf unsere Kosten zu löschen. Sterbeurkunde nach Anna Scholz wird beigefügt. Lichterfelde, den 19. November 1952. Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne." (Sterbeurkunde der Anna Scholz g e b. Wohlgemuth, f 15. November 1941.)

Grundbuchamt — Hypothekenlöschung

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Bei der beantragten Eintragung handelt es sich nicht um eine rechtsändernde Löschung, sondern um eine Berichtigung des Grundbuchs; denn wenn der auf Lebenszeit Berechtigte verstorben ist und das Altenteil bis zu seinem Tod erfüllt wurde, so hat das Recht sein Ende gefunden, und das Grundbuch ist unrichtig geworden. Welche Unterlagen verlangt das formelle Grundbuchrecht für Berichtigungen? 1. Die § § 1 3 , 19, 29 G B O gelten für rechtsändernde und berichtigende Buchungen in gleicher Weise. Demzufolge wird die Berichtigung in der Regel dadurch herbeigeführt, daß der Passivbeteiligte, d. h. der zu Unrecht als berechtigt Eingetragene, in beglaubigter Form in die Berichtigung willigt (oder rechtskräftig dazu verurteilt ist, § 894 ZPO) und der Berechtigte sie formlos beantragt. 2. Nach den§§ 22, 29 G B O bedarf es der Bewilligung nicht, wenn die Unrichtigkeit des Grundbuchs durch öffentliche Urkunden nachgewiesen wird. So trägt man z. B. den Erben des eingetragenen Hypothekengläubigers auf Grund seines formlosen Antrages und eines Erbscheins als Gläubiger ein. Die überreichte Sterbeurkunde weist nur den Tod der Auszüglerin nach, schließt dagegen nicht das Vorhandensein ungetilgter Rückstände aus. Um dieser Möglichkeit willen wäre eigentlich eine Löschungsbewilligung der Anna Scholzschen Erben nebst Nachweis ihres Erbrechts erforderlich. Aber § 23 1 bestimmt, daß die Löschung ohne Bewilligung zulässig wird, falls ein Jahr seit dem Tode abgelaufen ist und die Erben nicht inzwischen der Löschung beim Grundbuchamt widersprochen haben. Läßt man in das Grundbuch die Bestimmung eintragen, daß zur Löschung der Nachweis des Todes des Berechtigten genügt, so braucht nicht einmal die Jahresfrist abgewartet zu werden (§ 23"). Dazu genügt bei der Begründung des Rechts die Bewilligung des Eigentümers; die des Berechtigten ist nicht erforderlich (Hieber, DNotZ 1961, 143; Str., a.M. K G J 44, 242; O L G Bremen und Horber, DNotZ 1961, 41). Verfügung. „ 1 . Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Bd. 1 Blatt 1 1 , Abt. II Sp. 6, 7 : 3 Gelöscht am . . . November 1952. 2. Eintragung Abt. II Nr. 3 in Spalten 1 bis 5 rot unterstreichen. 5. Nachricht an Eigentümerin."

An sich haben die Erben als die von der Löschung Betroffenen Anspruch auf Löschungsnachricht gemäß §55. Mit Rücksicht darauf aber, daß der Tod der Berechtigten bereits lange Zeit zurückliegt, hat der Rechtspfleger die Ermittlung und Benachrichtigung der Erben für entbehrlich gehalten. Hypothekenlöschungen. Währungsumstellung. Legitimationsfragen „Eingegangen 24. November 1952, 1 1 Uhr. Urkund. A n das Amtsgericht, Grundbuchamt, hier. Z u den Grundakten von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 überreichen wir beifolgend 4 beglaubigte Löschungsbewilligungen bzw. Quittungen, Erbschein nach Fritz Wohlgemutb, Bestätigung des Bankhauses Schilling, beglaubigte Abschrift der Bestallung des Nachlaßpflegers Ernst Walter, 3 Abtretungserklärungen sowie 3 Hypothekenbriefe. Wir nehmen auf die Fritz Reuterschea Testaments- und Nachlaßakten des hiesigen Amtsgerichts, Aktenzeichen 5 I V 87/43 bzw. 5 V I 3 3 ¡48, Bezug und beantragen als Eigentümerin des oben bezeichneten Grundstücks: die Hypotheken Abt. III Nr. 2, 5, 6, 8 auf unsere Kosten im Grundbuch zu löschen. Den Hypothekenbrief Abt. III Nr. 8 können wir nicht vorlegen. Wir haben diese Hypothek, wie sich aus der löschungsfähigen Quittung des Nachlaßpflegers für die unbekannten Erben des Gläubigers Fritz Korn ergibt, bereits am 5. Januar 1943 an den Gläubiger bezahlt. Quittung und Hypothekenbrief befanden sich in den Büroräumen unserer Gesellschaft und sind dort am 6. Oktober 1943 bei einem Luftangriff vernichtet worden, wie sich aus der beiliegenden-eides-

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Grundbuchamt — Löschungsbewilligung

stattlichen Versicherung des früheren Mitgesellschafters Friedrieb Wilhelm Wolf ergibt. Wir bitten, von der Beibringung eines Ausschlußurteils abzusehen und festzustellen, daß der Hypothekenbrief durch Kriegseinwirkung vernichtet worden ist. Den Erbschein erbitten wir zurück. Lichterfelde, den 23. November 1952. Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne. (Beglaubigungsvermerk und Vertretungsbescheinigung nach § 21 BNotO)." „Löschungsbewilligung. Im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 11 ist für den minderjährigen Schüler Richard Scholz i " Heidau in Abt. Ht unter Nr. 2 eine aufgewertete Restkaufgeldforderung von 2000 G M (i. W.) nebst Zinsen hypothekarisch eingetragen. Als gesetzliche Vertreterin des Richard Scholz kraft elterlicher Gewalt bewillige ich, die verwitwete Gutspächter Martha Scholz geb. Fuhrmann in Heidau, die Löschung dieser Post im Grundbuch und verzichte auf Benachrichtigung von der erfolgten Löschung. Heidau, den 1. Oktober 1942. Martha Scholz geb- Fuhrmann. (Beglaubigungsvermerk)" „ Für mich, den Apotheker Max Busse in Lichterfelde, stehen im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 in Abt. III unter Nr. 5 2 kg (i. W.) Feingold Darlehen, mit 6% verzinslich, hypothekarisch eingetragen. Diese Forderung nebst den Zinsen seit dem 1. April 1934 trete ich an den Rentner und Hausbesitzer Alfred Frank in Lichterfelde unter Übergabe des Briefes ab und bewillige die Umschreibung auf den neuen Gläubiger im Grundbuch. Lichterfelde, den 28. März 1934. Max Busse. (Beglaubigungsvermerk)" „Hiermit trete ich, der Rentner und Hausbesitzer Alfred Frank in Lichterfelde, die mir gegen die Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne zustehende, im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 in Abt III unter Nr. 5 eingetragene Darlehnsforderung von 2 kg (i. W.) Feingold mit den 6% betragenden Zinsen seit dem 1. Oktober 1937 an den Kolonialwarenhändler Fritz Wohlgemuth in Lichterfelde ab. Lichterfelde, den 3. Oktober 1937. Alfred Frank. (Beglaubigungsvermerk) „Geschäftsnummer: 5 V I 135/39. Erbschein. Erbin des zu Lichterfelde, seinem Wohnsitz, am 30. März 1939 verstorbenen Kolonialwarenhändlers Fritz Wohlgemutb ist die verwitwete Kolonialwarenhändler Frieda Wohlgemuth geb. Pander in Lichterfelde. Für den Fall des Todes oder der Wiederverheiratung der Vorerbin Frieda Wohlgemuth sind die Abkömmlinge des Brauereibesitzers Franz Hopf in Hochberg aus seiner Ehe mit Susanne geb. Wilhelmi als Nacherben eingesetzt. Die Vorerbin ist zur freien Verfügung über die Vorerbschaft berechtigt. Lichterfelde, den 10. Mai 1939. Das Amtsgericht. (gez.) Richter. (Ausfertigungsvermerk)"

Grundbuchamt — Löschungsfähige Quittung

641

„ L ö s c h u n g s f ä h i g e Quittung. Mein Ehemann, der am 30. März 1939 verstorbene Kolonialwarenhändler Fritz Wohlgemuth, war Gläubiger der im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 in Abt. III unter Nr. 5 eingetragenen Darlehnsforderung von 2 kg (i. W.) Feingold. Als Erbin nach Fritz Wohlgemuth bekenne ich wegen Forderung, Zinsen und Kosten von der Grundstückseigentümerin, offenen Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wplf Söhne in Lichterfelde, befriedigt zu sein. Ich bewillige die Löschung der Post im Grundbuch und verzichte auf Benachrichtigung von der erfolgten Löschung. Lichterfelde, den 4. Oktober 1952. Frieda Wohlgemuth geb. Pander. (Beglaubigungsvermerk)" „Bankhaus Ferdinand Schilling.

Berlin, den 30. September 1952

Firma Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne Lichterfelde. Wir bestätigen Ihnen hierdurch, daß wir heute zu Ihren Lasten der Vereinsbank Lichterfelde eGmbH. in Lichterfelde zugunsten des dort geführten Kontos der verw. Frau Frieda Wohlgemuth daselbst den Betrag von 558.— DM, val. 1. Oktober, überwiesen haben. Ferdinand Schilling." „ Q u i t t u n g und L ö s c h u n g s b e w i l l i g u n g . Als Testamentsvollstrecker des am 8. Juni 1948 verstorbenen Gemüsegroßhändlers Fritz Reuter aus Lankwitz bekenne ich, wegen der für den Erblasser im Grundbuch von Lichterfelde Band B1 att 1 1 in Abt. III unter Nr. 6 hypothekarisch eingetragenen Bürgschaftsforderung von 5000 RM (i. W.) nebst Zinsen und Kosten von der Grundstückseigentümerin offene Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde befriedigt zu sein. Ich bewillige die Löschung der Post im Grundbuch und verzichte auf Benachrichtigung von der erfolgten Löschung. Berlin, den . 1 Oktober 1952. Ernst Gumpert. (Beglaubigungsvermerk)" ,Für mich, den Gärtner Traugott Scholz in Lichterfelde, stehen im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 in Abt. III unter Nr. 8 10000 (i. W.) Goldmark Restkaufgeld, mit 6% verzinslich, eingetragen. Diese Forderung nebst den Zinsen seit dem 1. Juni 1942 trete ich unter Übergabe des Briefes an den Kaufmann Fritz Korn in Köln ab und bewillige die Umschreibung der Post auf den neuen Gläubiger im Grundbuch. Lichterfelde, den 27. Juni 1942. Traugott Scholz• (Beglaubigungsvermerk)" „ L ö s c h u n g s f ä h i g e Quittung. Als gerichtlich bestellter Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben des am 5. Oktober 1951 in Köln, seinem Wohnsitz, verstorbenen Kaufmanns Fritz Korn bekenne ich, daß der Erblasser •wegen der ihm gegen die Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde zustehenden, im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 1 1 in Abt. III unter Nr. 8 eingetra genen Restkaufgeldforderung von 10000 (i. W.) Goldmark nebst Zinsen durch die genannte Grundstückseigentümerin am 5. Januar 1943 befriedigt worden ist. Ich bewillige die Löschung der Post im Grundbuch und verzichte auf Löschungsnachricht. Köln, den 5. Oktober 1952. Emst Walter. (Beglaubigungsvermerk)" 41

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Grundbuchamt — Umstellung der Grundpfandrechte

U m s t e l l u n g . A. G r u n d s ä t z e . Die Umstellung der auf RM, G M oder Feingold lautenden Grundpfandrechte und Reallasten auf „Deutsche Mark" richtet sich nach dem Währungsgesetz 1948, dem Umstellungsgesetz vom 20. Juni 1948 (WiGBl Beil. 5 S. 13) und der 40. DurchführungsVO zum Umstellungsgesetz (40. DVO/ UmstG). Für die Umstellung von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden gelten grundsätzlich die Vorschriften über die Umstellung der durch das dingliche Recht gesicherten Forderung (§ i 1 40. DVO/UmstG). In der Regel findet also eine Umstellung im Verhältnis 10 : 1 nach § 1 6 1 UmstG statt, dagegen im Verhältnis 1 : 1 in den Fällen des § 18 1 UmstG. Für Grundpfandrechte kommt die bevorzugte Umstellung insbesondere in Betracht bei Verbindlichkeiten aus Altenteilen und Renten, die der Versorgung des Berechtigten dienen (§ 18 1 Nr. 1), Verbindlichkeiten aus einer Auseinandersetzung, deren Begriff von der Rechtsprechung weit ausgelegt wird (BGH N J W 1951, 921), sowie Verbindlichkeiten, die der Übernehmer eines Gutes oder Vermögens dem anderen Vertragsteil gegenüber zur Abfindung eines Dritten eingegangen ist (§ 1 8 1 Nr. 3). Restkaufgeldverbindlichkeiten gegenüber dem Veräußerer genießen also keinen Vorzug (anders in Westberlin, s. unten); als Rentenverbindlichkeiten können sie u. U. nach § 1 8 1 Nr. 1 im Verhältnis 1 : 1 umgestellt sein, wenn der Kaufpreis in regelmäßig wiederkehrenden Teilzahlungen zu tilgen ist, die der Versorgung des Verkäufers zu dienen bestimmt sind (BGH DNotZ 1955, 248). Nicht zu Sicherungszwecken bestellte Fremdgrundschulden werden entweder nach § 16 1 UmstG im Verhältnis 10 : 1 oder, wenn sie auf einem Rechtsverhältnis der in § 1 8 1 UmstG bezeichneten Art beruhen, im Verhältnis 1 : 1 umgestellt (§§ i 1 1 , 2 Nr. 6a, 40. DVO/UmstG). Diese Regelung wird ergänzt durch § 2,40. DVO/UmstG, der in den Nr. 1—6 eine Reihe von Tatbeständen aufstellt, bei deren Vorliegen das dingliche Recht im Verhältnis 1 : 1 umgestellt wird, nämlich a) Nr. 1 : Grundpfandrechte, bei denen die gesicherte Forderung nicht dem Umstellungsgesetz unterliegt (z. B. eine Fremdwährungsforderung oder eine Wertschuld ist oder nach dem Währungsrecht der Sowjetzone umgestellt wird), oder nach den Vorschriften des Umstellungsgesetzes erlischt (§ 1 8 1 1 1 UmstG: Forderungen zwischen Geldinstituten im Währungsgebiet) oder nicht umgestellt wird (§ 14 UmstG: Verbindlichkeiten des Reichs usw.). b) Nr. 2: Höchstbetragshypotheken und ihnen wirtschaftlich gleichstehende Grundschulden, c) Nr. 3: Grundpfandrechte, die beim Ablauf des 20. Juni 1948 dem Eigentümer zustanden oder gegen deren Geltendmachung ihm zu diesem Zeitpunkt eine nicht nur dilatorische Einrede zustand, d) Nr. 4 i.d.F. des § 102 des Gesetzes zur Durchführung des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 24. August 1953 (BGBl I 1003): Grundpfandrechte, die beim Ablauf des 20. Juni 1948 Angehörigen der Vereinten Nationen zustanden oder an solche Personen verpfändet oder sicherungshalber abgetreten waren, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen. e) Nr. 5: Hypotheken über RM-Forderungen, die dem Gläubiger für eine auf ausländische Währung lautende Forderung Sicherheit bieten sollten (dazu K G N J W 195 7,105). f) Nr. 6: Nicht zu Sicherungszwecken bestellte Fremdgrundschulden, wenn sie auf einem Rechtsverhältnis der in § 1 8 1 UmstG bezeichneten Art beruhen oder wenn bei ihnen die Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine RM-Verbindlichkeit erlischt oder nicht auf Deutsche Mark umgestellt wird (vgl. oben zu a). B . E r f a s s u n g des S c h u l d n e r g e w i n n s : § 1 6 1 1 1 UmstG bestimmt, daß die Heranziehung der Schuldnergewinne zum Lastenausgleich der deutschen Gesetzgebung obliegt. Das geschah zunächst durch das Gesetz zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 2. September 1948 (WiGBl 87) i.d.F. des Gesetzes vom 10. August 1949 (WiGBl 232). Bei Umstellung des Grundpfandrechts im Verhältnis 1 0 : 1 entstand unmittelbar im Range danach in Höhe von 9 1 0 des RM-Betrages eine der Eintragung nicht bedürftige „Umstellungsgrundschuld" der öffentlichen Hand, die nicht den Charakter einer öffentlichen Last hatte, sondern als selbständige Belastung, nicht etwa als Teil-

Grundbuchamt — Eintragung der Umstellung

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betrag des umgestellten Rechts, eine echte Grundschuld im Sinne des bürgerlichen Rechts war ( B G H D N o t Z 1952, 365; BayObLG 1952, 311). Nach den Bestimmungen des § 1 3 1 1 S. 2 1. D V O / L A S G vom 7. September 1948 (WiGBl 88) und der §§ 12, 1 5 " , i " 2. D V O / L A S G vom 8. August 1949 (WiGBl 233) war sie nur eintragungsfähig, wenn sie infolge Tilgung oder Ablösung oder Verzichts der grundschuldverwalteten Stelle auf den Eigentümer übergegangen war. Diese Regelung ist durch das Gesetz über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 (BGBl 446) überholt. Danach sind die Umstellungsgrundschulden grundsätzlich mit dem 1. September 1952 (§ 120 1 L A G ) , in besonderen Fällen mit dem 31. März 1953 (§ 1 1 9 1 1 ) erloschen, soweit sie nicht vor dem Inkrafttreten des L A G auf den Eigentümer übergegangen sind. In diesem Falle bedürfen sie vom 1. April 1953 ab zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs der Eintragung (§ 120 1 1 ). — A n die Stelle des Systems der Umstellungsgrundschulden ist die Hypothekengewinnabgabe getreten, die auch dann, wenn sie aus mehreren Grundpfandrechten entstanden ist, als einheitliche öffentliche Last auf dem Grundstück ruht, als solche nicht eintragungsfähig ist (§ 54 GBO) und nach § 1 0 1 Nr. 3 Z V G allen privatrechtlichen Grundstücksbelastungen im Range vorgeht. Jedoch decken sich die Fälle, in denen eine Umstellungsgrundschuld entstanden war, nicht immer mit den Fällen, in denen nach dem L A G eine öffentliche Last entsteht. Die Darstellung der Einzelheiten (vgl. dazu Henke-Mönch-Horber, G B O , 6. Aufl. Anhang zu § 22 Erl. 3) kann hier unterbleiben, da das Grundbuch nicht dazu bestimmt ist, über Bestehen und Höhe der öffentlichen Last Auskunft zu geben. •— Eine gewisse Verbindung zwischen dem Grundbuch und der öffentlichen Last wird jedoch dadurch hergestellt, daß Grundpfandrechte ein Befriedigungsvorrecht vor der öffentlichen Last haben können. Kraft Gesetzes besteht ein solches Vorrecht vor allem für Grundpfandrechte, die vor oder im gleichen Range mit einer der Umstellungsgrundschulden, denen die öffentliche Last entspricht, zu befriedigen gewesen wären, wenn die Zwangsversteigerung vor dem 1. September 1952 durchgeführt worden wäre (§ 1 1 3 1 S. 1 L A G ) . Auf Grund einer Bewilligung der mit der Verwaltung der Hypothekengewinnabgabe beauftragten Stelle ( § 1 3 9 L A G i. V. m. § 4 1 Nr. 8 der 4. AbgabenDVL A vom 8. Oktober 1952, B G B l I 662) kann das Befriedigungsvorrecht solchen Grundpfandrechten bewilligt werden, die der Sicherung eines Aufbaukredits dienen ( § 1 1 6 L A G ) . Beide Arten von Vorrechten sind eintragungsfähig, wenn auch nicht eintragungsbedürftig ( § 1 1 7 L A G ) . Das eingetragene Vorrecht genießt den Schutz des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs (§ 1 1 7 1 1 ) . C . E i n t r a g u n g d e r U m s t e l l u n g i n d a s G r u n d b u c h . D i e Umstellung der Grundpfandrechte hat sich außerhalb des Grundbuchs kraft Gesetzes vollzogen. E s liegt daher hinsichtlich der Eintragung der Währungseinheit ein Fall der Unrichtigkeit des Grundbuchs v o r ( L G Berlin, N J W 1 9 5 4 , 1 0 0 6 ; B G H Z 1 6 , 1 0 1 = N J W 1 9 5 5 , 3 4 2 ; Henke-Mönch-Horber, a.a.O., A n h a n g zu § 2 2 E r l . 4). D a s Eintragungsverfahren ist in § 5 40. D V O / U m s t G besonders geregelt. Danach bedarf es zur Eintragung des Umstellungsbetrages der Bewilligung des Gläubigers und des Eigentümers. A u s den auch hier anzuwendenden allgemeinen Vorschriften des Grundbuchverfahrens ergibt sich, daß diese Erklärungen öffentlich beglaubigt sein müssen (§ 2 9 1 S. 1), daß die Eintragung nur auf A n t r a g erfolgt (§ 1 3 1 ) und daß bei Briefrechten der Brief v o r z u legen ist (§ 4 1 ) . Soll ein das regelmäßige Umstellungsverhältnis ( 1 0 : 1 ) übersteigender Umstellungsbetrag eingetragen werden, so bedarf es nach § ; 1 S. 2, 40. D V O / U m s t G der Zustimmung des Finanzamts, an dessen Stelle gemäß § 1 3 9 L A G i. V . m. § 4 1 N r . 1 1 , 4. A b g a b e n D V - L A die beauftragte Stelle, nämlich das mit der V e r w a l tung der Hypothekengewinnabgabe beauftragte Kreditinstitut, getreten ist. D i e rechtliche Bedeutung dieser Zustimmung f ü r das Grundbuchverfahren ist bestritten; teils wird angenommen, daß sie f ü r das Grundbuchamt bindend sei (SchleswHolst O L G D N o t Z 1 9 5 0 , 1 3 4 ; B a y O b L G N J W 1 9 5 2 , 506); richtigerweise wird man mit dem L G Berlin a. a. O . annehmen müssen, daß die Zustimmung als privatrechtliche Willenserklärung im Rahmen der Verwaltung des Finanzvermögens des Bundes (Lastenausgleichsfonds) die Bedeutung einer Berichtigungsbewilligung eines m ö g licherweise Betroffenen hat (ähnlich O L G Bremen, N J W 1 9 5 8 , 386). F ü r das V e r fahren des Grundbuchamts gelten daher auch hier die allgemeinen Grundsätze des Berichtigungsverfahrens. In der Berichtigungsbewilligung muß der Sachverhalt 41*

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Grundbuchamt — Löschung von Hypotheken

schlüssig dargelegt sein, aus dem sich die Unrichtigkeit des Grundbuchs ergibt (Henke-Mönch-Horber, a.a.O., § 22 Erl. 4 A). Der Grundbuchrichter darf den auf die Berichtigungsbewilligung gestützten Antrag ablehnen, wenn er weiß (bloße Zweifel würden nicht genügen), daß die Erklärung den Tatsachen nicht entspricht und das Grundbuch durch die beantragte Eintragung unrichtig würde ( K G J 48,184). Besteht über die Umstellung des Grundpfandrechts oder der Forderung, nach der sie sich richtet, Streit oder Ungewißheit, so entscheidet auf Antrag eines Beteiligten ausschließlich das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Grundstück gelegen ist, im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§6, 40. DVO/UmstG). Die Entscheidung ist für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend (§ 6 m S. 5). Sie ersetzt zugleich die Umstellungsbewilligung der Beteiligten und die Zustimmung der beauftragten Stelle, da der Nachweis der Unrichtigkeit im Sinne des § 22 1 S. 1 G B O durch die Entscheidung erbracht wird. In W e s t b e r l i n gilt eine im wesentlichen entsprechende Regelung auf Grund der UmstellungsV O vom 4. Juli 1948 (VOB1 374) und des Gesetzes über die Umstellung von Grundpfandrechten und über Aufbaugrundschulden ( G U G ) vom 9. Januar 1951 ( V O B 1 7 1 ) i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 15. Januar 1953 (GVB1 61); dazu Nehlert, Grundpfandrechte und Währungsumstellung, 1951, mit Nachtrag 1953. Die hauptsächlichen Abweichungen bestehen darin, daß in Höhe von 9/10 des RM-Nennbetrages eine sog. Aufbaugrundschuld entstanden war, die zunächst von Amts wegen in das Grundbuch eingetragen wurde, dem jeweiligen Eigentümer zustand (§ 1 der 1. D V O vom 2. Mai 1951, V O B 1 334) und über die nur mit Genehmigung der öffentlichen Hand verfügt werden durfte. Ferner sind in Abweichung von § 1 8 1 Nr. 3 UmstG auch Restkaufgeldforderungen im Verhältnis 1 : 1 umgestellt, es sei denn, daß die Verbindlichkeit vor dem 1. September 1939 begründet worden oder durch Abtretung auf einen familienfremden Dritten übergegangen ist (§ 6 G U G ) . Für die Hypothekengewinnabgabe enthalten die §§ 142—160 L A G Sondervorschriften für Westberlin.

D. V e r ä n d e r u n g u n d L ö s c h u n g u m g e s t e l l t e r R e c h t e . Ein unmittelbarer gesetzlicher Zwang, die Eintragung der Umstellung herbeizuführen, besteht für die Be teiligten nicht. Mittelbar kann der Grundsatz der Voreintragung dazu nötigen (§ 39 GBO). Da nach dem Zweck dieser Bestimmung (oben S. 676) das Recht so eingetragen sein muß, wie es der materiellen Rechtslage und der sich anschließenden neuen Eintragung entspricht, erfordert die Eintragung einer Veränderung des umgestellten Rechts die vorherige Eintragung der Umstellung (BGH N J W 1955, 342 für Abtretung; im einzelnen Kosack, J R 1956, 42 und 83). Die Löschung dagegen erfordert die Voreintragung der Umstellung nicht (BGH N J W 1955, 1877), ebensowenig die pfandfreie Abschreibung eines Grundstücksteils (BGH N J W 1955, 1878). Die mangelnde Voreintragung der Umstellung steht daher den Löschungsanträgen der Lichterfelder Dampfziegelei nicht entgegen. Zu den allgemeinen Eintragungsvoraussetzungen treten bei der Löschung von Hypotheken zwei weitere Erfordernisse. Einmal die Zustimmung des Grundstückseigentümers. Von dem Grundsatz, daß Grundstücksbelastungen durch einseitige Erklärung des Berechtigten nebst Eintragung aufgehoben werden (§ 875 B G B , vgl. auch § 928 1 ), gilt nämlich für Hypotheken, Grund- und Rentenschulden — sowohl Brief- wie Buchrechte — eine Ausnahme. Denn Grundpfandrechte können als Eigentümerhypotheken oder -grundschulden auf den Eigentümer übergehen (§§ 1 1 4 3 1 , 1 1 6 3 1 S. 2, 1168 1 , 1 1 7 0 1 1 , 1 1 7 3 , 1 1 7 7 , 1 1 8 2 , 1 1 9 2 1 ) . Dem Eigentümer soll die Möglichkeit, die Hypothek zu erwerben, erhalten bleiben. Deshalb schreibt das Gesetz vor, daß die rechtsgeschäftliche Aufhebung von Hypotheken, Grund- und Rentenschulden nur mit seiner Zustimmung geschehen darf. §§ 1183 B G B . Nach formellem Liegenschaftsrecht ist darüber hinaus zu jeder auf eine Bewilligung des Gläubigers gestützten Löschung dieser Rechte die Zustimmung des Eigentümers erforderlich, auch wenn nach materiellem Recht der Löschung nicht die rechtsgeschäftliche Aufhebung, sondern die Unrichtigkeit

Grundbuchamt — Ausnahmen vom Grundsatz der Voreintragung

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des Grundbuchs zugrundeliegt, es sei denn, daß die Unrichtigkeit nachgewiesen wird (§ 27 GBO). Die Zustimmung ist jedoch nicht erforderlich, wenn die Löschung der Verteilung der Gesamthypothek durch den Gläubiger nach § 1 1 3 2 1 1 dient (RG 70, 93) oder wenn sie auf einem Verzicht des Gläubigers einer Gesamthypothek auf die Hypothek an einem der Grundstücke beruht (§ 1 1 7 5 1 S. 2, J F G 23, 322). Dem wird der Fall gleichgestellt, daß der Gläubiger die pfandfreie Abschreibung eines Grundstücksteils bewilligt (vgl. § 46 1 1 GBO, Löschung durch Nichtmitübertragung; K G JW 1937, 1553). — Der Löschungsantrag der Firma Wolf ist also nicht nur Verfahrensantrag, sondern er enthält zugleich eine zur Eintragung erforderliche Erklärung. E r bedurfte daher der öffentlichen Beglaubigung (§§ 27, 29, 30 GBO). Ferner bedarf es der Vorlegung der Briefe. Da Briefhypotheken, Grund- und Rentenschulden außerhalb des Grundbuchs durch schriftliche Abtretungserklärung und Briefübergabe abgetreten werden können, wird der Gläubiger durch seine Eintragung im Grundbuch allein nicht legitimiert. Zu jeder Eintragung, die „bei" einer Briefpost erfolgen soll, muß der Brief dem Grundbuchamt eingereicht werden, welches dann die erfolgte Eintragung auf dem Briefe vermerkt, um ihn in Übereinstimmung mit dem Grundbuch zu erhalten. Im Fall der Löschung ist der Brief unbrauchbar zu machen. §§ 41, 42, 62, 69, 70. U r k u n d l i c h e r N a c h w e i s nach § 1 1 5 5 B G B . Z w i s c h e n e i n t r a g u n g des E r b e n . B e w i l l i g u n g des b e f r e i t e n V o r e r b e n . Die Hypothek Abt. III Nr. 5 ist vom letzten eingetragenen Gläubiger Busse an Frank, von diesem an Wohlgemuth abgetreten, alsdann von Wohlgemuth auf seine Witwe vererbt worden. Nach der Regel des § 39 1 G B O (S. 676) müßten, damit dem Löschungsantrag stattgegeben werden kann, zunächst die Zwischenberechtigten eingetragen werden. Von dem Grundsatz der Voreintragung des Betroffenen bestehen aber zwei Ausnahmen: a) Bei Briefhypotheken, -Grundschulden oder -Rentenschulden wird die Eintragung des Bewilligenden dadurch ersetzt, daß sein Gläubigerrecht durch eine dem § 1155 B G B entsprechende, auf einen eingetragenen Gläubiger zurückführende zusammenhängende Reihe mindestens öffentlich beglaubigter Erklärungen nachgewiesen ist und er sich außerdem im Besitz des Briefes befindet. § 39 1 1 GBO. Diese Befreiung gilt für Eintragungen jeder Art. b) Ferner ist die Zwischeneintragung des Erben entbehrlich, falls lediglich eine Übertragung des Rechts, die allerdings auch mit einer von den Erben bewilligten Inhaltsänderung verbunden sein kann ( K G J 36 A 241), oder die Löschung des Rechts eingetragen werden soll, während es für die Eintragung von Veränderungen (z.B. neuer Verzinsungs- und Kündigungsbedingungen, Umwandlung einer Grundschuld in eine Hypothek) oder abgeleiteter Rechte (Hypothekenbestellung, wenn der Erbe Grundstückseigentümer; Hypothekenverpfändung, wenn er der Hypothekengläubiger ist) bei dem Erfordernis der vorherigen Eintragung des Erben verbleibt. § 40 Die beiden Befreiungsfälle können, wie in unserem Falle, miteinander verbunden werden. R G 88, 349; K G J 36 A 242. Anders ausgedrückt: in der Reihe der Urkunden nach § 115 5 B G B zählt auch der Erbschein oder sonstige grundbuchmäßige Nachweis der Erbfolge. Für Buchhypotheken gilt § 3 9 1 1 nicht. Doch kann bei ihnen die Eintragung der Zwischenmänner aus anderem Grunde entfallen. A hatte eine ihm gehörende Sicherungshypothek in beglaubigter Form an B abgetreten, B trat in gleicher Form an C weiter ab, und C wurde eingetragen, ohne daß B jemals im Grundbuch gestanden hätte. Mangels Eintragung war B nicht Hypothekengläubiger geworden (arg. § 1 1 5 4 1 1 1 ) . E r hatte demnach als Nichtberechtigter über die Hypothek verfügt. Aber Verfügungen eines Nichtberechtigten sind nach § 1 8 5 1 wirksam, falls sie mit Einwilligung des Berechtigten

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Grundbuchamt — Verfügungen des Vorerben

erfolgen, und in der Abtretungserklärung des A wurde seine Zustimmung zu allen weiteren Verfügungen des B gefunden! Mit dieser Erwägung läßt sich auch die Eintragung eines Eigentümers ersparen, indem bei einer Kette aufeinander folgender Auflassungen nur der letzte Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird. Sofern nicht im Einzelfalle besondere Umstände für das Gegenteil sprechen, wird in der ersten Auflassung die in § 185 1 vorgesehene, nach § 873 11 unwiderruflich bindende Einwilligungserklärung des eingetragenen Eigentümers dazu gefunden, daß der Erwerber als Nichteigentümer dem Dritten Eigentum überträgt. RG 54, 364; JW 29, 742 14 ; K G J 47» 158; 53, 145; Meikel-Imhof-Riedel § 39 Anm. 15, § 19 Anm. 72, § 20 Anm. 66.

Der Erbschein weist Frau Wohlgemuth als befreite Yorerbin ihres Mannes aus. §§ 35 1 S. 1 G B O , 2 1 3 7 1 1 , 2363 B G B . Genügt ihre Bewilligung zur Löschung, oder muß die Zustimmung der Nacherben, d. h. des für die Hopfsche Deszendenz zu bestellenden Pflegers, in grundbuchmäßiger Form (§29 GBO) mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung beigebracht werden? Von den beiden in § 2 1 1 3 B G B angeordneten Verfügungsbeschränkungen gilt die des Abs. I (Verfügung über Grundstücke oder Rechte an Grundstücken einschließlich Hypotheken, Grund- und Rentenschulden) nur für unbefreite, die des Abs. II (unentgeltliche Verfügungen mit Ausnahme von Anstandsschenkungen) auch für befreite Vorerben (arg. § 2136). Wenn also die Löschung eine unentgeltliche Verfügung darstellt, so braucht Frau Wohlgemuth dazu eine Genehmigung der Nacherben. Doch ist eine vom Vorerben ohne die gemäß § 2 1 1 3 erforderliche Zustimmung des Nacherben vorgenommene Verfügung keineswegs nichtig, sondern lediglich bedingt, nämlich „im Fall des Eintritts der Nacherbfolge", und nur „insoweit, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde", also begrenzt, unwirksam. Ob der Nacherbfall überhaupt eintreten wird, läßt sich im voraus nicht übersehen; man denke an Nacherbfolge für den Fall der Wiederverheiratung der Vorerbin, oder an die Möglichkeit, daß die Nacherben die ihnen anfallende Erbschaft ausschlagen (§ 2142 1 1 ). Deshalb rechtfertigt das Fehlen der an sich notwendigen Zustimmung des Nacherben grundsätzlich nicht die Zurückweisung des Eintragungsantrags (S. 629). Vielmehr wird der Verfügung des Vorerben stattgegeben, aber gemäß § 51 G B O das Recht des Nacherben eintragen; dieser Vermerk bleibt bestehen und schützt dauernd die Rechte des Nacherben, da er einen etwaigen gutgläubigen Erwerb vom Vorerben ausschließt (vgl. § 2 1 1 3 1 1 1 BGB). Gerade im Fall der Löschung versagt aber dieser Ausweg, weil es grundbuchtechnisch unmöglich ist, das Recht zu löschen und den Nacherbenvermerk aufrechtzuerhalten. Folglich heißt hier die Alternative nicht: Eintragung ohne oder mit Aufrechterhaltung des Nacherbenvermerks, sondern: Löschung oder Ablehnung, und es hängt alles von der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit ab. Der Begriff der unentgeltlichen Verfügung ist nicht gleichbedeutend mit dem der Schenkung nach § 516 B G B . Insbesondere müssen Leistung und Gegenleistung nicht unbedingt objektiv gleichwertig sein; es genügt, wenn die Leistungen von den Beteiligten für die von ihnen verfolgten Zwecke einander gleichgestellt werden und die Maßnahme des Vorerben von ihm nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung (§§2120, 2130) verantwortet werden kann (RG 105, 248). Es ist also gleichzeitig ein objektiver und ein subjektiver Maßstab anzulegen. Nach feststehender Rechtsprechung liegt eine unentgeltliche Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand vor, wenn der Vorerbe — objektiv betrachtet — ohne gleichwertige Gegenleistung ein Opfer aus der Erbschaftsmasse bringt und — subjektiv betrachtet — entweder weiß, daß dem Opfer keine gleichwertige Gegenleistung an die Erbschaftsmasse gegenübersteht oder doch bei ordnungsmäßiger Verwaltung der Masse unter Berücksichtigung seiner künftigen Pflicht, die Erbschaft an den Nacherben herauszugeben, das Fehlen oder die Unzulänglichkeit der Gegenleistung hätte erkennen müssen (RG 125, 245; B G H 5, 174;

Grundbuchamt — Testamentsvollstreckerausweis

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7, 274). Dabei ist es unschädlich, wenn die ausbedungene Gegenleistung nicht dem Nachlaß, sondern dem Yorerben selbst zufließt, z. B. in Gestalt von Altenteilsleistungen als Gegenwert für die Veräußerung eines Grundstücks (BGH N J W 1955, 1354). Ein entgeltliches Rechtsgeschäft kann daher z. B. vorliegen, wenn der Vorerbe über ein streitiges Rechtsverhältnis einen Vergleich schließt, ja sogar, wenn er einen Grundstücksteil unentgeltlich als Straßenland veräußert, wenn durch die Anlegung der Straße für das Restgrundstück eine Werterhöhung zu erwarten ist (OLG 23, 340). Im Grundbuchverkehr ist der Nachweis der Entgeltlichkeit der Verfügung des befreiten Vorerben jedenfalls dann erbracht, wenn der Nacherbe in der Form des § 29 G B O die Entgeltlichkeit anerkennt oder seine Einwilligung erteilt (RG 65, 223). Die Notwendigkeit eines Nachweises entfällt aber, wenn die Unentgeltlichkeit durch die Natur der Sache oder die Sachlage ausgeschlossen wird (RG 69, 260; O L G München, J F G 18, 173). Dabei wird sich der Grundbuchrichter häufig an Stelle eines zwingenden Nachweises in freier Beweiswürdigung mit auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhenden Erwägungen begnügen können, um den Grundbuchverkehr nicht lahmzulegen oder zu erschweren. Der Amtsermittlungsgrundsatz ( § 1 2 F G G ) gilt aber auch hier, wie allgemein im Grundbuchantragsverfahren, nicht. Zum Ganzen BayObLG in N J W 1956, 992 mit guter Darstellung der Problemgeschichte. Nach diesen Grundsätzen braucht die Zustimmung der Fritz Wohlgemuthschen Nacherben nicht beschafft zu werden. Die Löschung erfolgt im Rahmen einer allgemeinen Ablösung der Belastungen, besondere Beziehungen zwischen dem Grundstückseigentümer und der Vorerbin, die den Verdacht nahelegen könnten, daß die Vorerbin die Hypothek ohne wirkliche Auszahlung löschen lassen und obendrein in der Löschungsbewilligung wahrheitswidrig den Empfang des Geldes bescheinigen könnte, sind nicht zu ersehen, und schließlich weist die Grundstückseigentümerin durch die (wenn auch unbeglaubigte) Bankbestätigung die Auszahlung des auf Deutsche Mark umgestellten Betrages nach. Grundbuchmäßiger Testamentsvollstreckerausweis. Testamentsv o l l s t r e c k e r u n d N a c h e r b e . In den Reuterschen Testamentsakten finden wir das 1943 notariell errichtete Testament des Erblassers, welches lautet: „ § 1. Ich setze meine Tochter Manon Reuter, geboren am 3. Mai 1938, zu meiner alleinigen Erbin ein. § 2. Solange meine Tochter nicht das 24. Lebensjahr vollendet hat, soll die Verwaltung des Nachlasses durch meinen Schwager, Hoteldirektor Ernst Gumpert in Berlin, als Testamentsvollstrecker geführt werden. § 3. Für den Fall, daß meine Tochter vor Erreichung des 24. Lebensjahres ohne Hinterlassung ehelicher Abkömmlinge versterben sollte, substituiere ich ihr als Nacherben: (folgt eine Reihe von Neffen und Nichten des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau)."

Das Testament ist nach Reuters Tod eröffnet worden. Die Nachlaßakten enthalten folgende Erklärung: „ A n das Amtsgericht Lichterfelde. Der am 8. Juni 1948 zu Lankwitz, seinem Wohnsitz, verstorbene Gemüsegroßhändler Fritz Reuter hat mich in seinem notariell errichteten, am 20. Juni 1948 vom Amtsgericht Lichterfelde eröflfheten Testament vom 21. September 1943 zum Testamentsvollstrecker ernannt. Dieses Amt nehme ich hiermit an. Berlin, den I. Juli 1948. Ernst Gumpert. (Beglaubigungsvermerk)"

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Grundbuchamt — Verfügungen des Testamentsvollstreckers

Ein Testamentsvollstreckerzeugnis ist noch nicht erteilt. Bekanntlich wird der Erbe gegenüber dem Grundbuchamt regelmäßig „nur" durch Erbschein, der Testamentsvollstrecker „ n u r " durch Testamentsvollstreckerzeugnis ausgewiesen. § 3 5 I S . i, Abs. II (erster Satzteil) GBO. Das Gericht kann sich aber nach seinem Ermessen für den Nachweis der Erbfolge auch mit einem öffentlichen Testament nebst Eröffnungsprotokoll begnügen (§ 35 1 S. 2), und diese Vorschrift findet auf den Nachweis der Befugnis des Testamentsvollstreckers „entsprechende" Anwendung (Abs. II, zweiter Satzteil). Um vom Testamentsvollstreckerzeugnis absehen zu können, muß darnach in erster Linie ein in öffentlicher Form errichtetes, inhaltlich klares und in seiner Rechtsgültigkeit unbedenkliches Testament nebst zugehöriger Eröffnungsverhandlung vorliegen. Wie wir wissen, beginnt aber das Vollstreckeramt erst mit dem Zeitpunkt, zu welchem der Ernannte die Annahme erklärt (S. 598). Mithin muß auch die Annahme in der allgemeinen grundbuchmäßigen Form des § 29 nachgewiesen sein. Die — vom materiellen Recht (§ 2202 BGB) nicht vorgeschriebene — Beglaubigung der Annahme und das öffentliche Testament ersparen mithin Gumpert die Beibringung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses. Zur Verwendung bei auswärtigen Grundbuchämtern stellen die Nachlaßgerichte dem Vollstrecker auf Antrag eine Bescheinigung über den Eingang der Annahmeerklärung nachArt. 51 P r F G G aus. War die Annahme unbeglaubigt erklärt, so kann das Nachlaßgericht trotzdem den Eingang der Annahmeerklärung des Testamentsvollstreckers bescheinigen, wenn es die Unterschrift kennt.

Der Referendar: Nach § 2205 S. 3 B G B darf der Testamentsvollstrecker keine unentgeltliche Verfügungen über den Nachlaß treffen. Wir müssen also denselben Entgeltlichkeitsnachweis verlangen, wie bei Verfügungen eines befreiten Vorerben. Gumpert hat zwar eine löschungsfähige Quittung ausgestellt, aber die Auszahlung der Hypothekensumme an ihn ist in keiner Weise nachgewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht. Daher möchte ich diesen Teil des Löschungsantrags beanstanden, zumal die Zustimmung der Nacherben fehlt. Der Richter: Bezüglich des Entgeltlichkeitsnachweises haben Sie grundsätzlich recht. Für die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers gelten dieselben Grundsätze wie für den befreiten Vorerben. Nur ist zu beachten, daß eine unentgeltliche Verfügung des Testamentsvollstreckers schlechthin unwirksam ist und auch durch die Zustimmung des Erben nicht wirksam werden kann (RG 74, 218; 105, 247; a.M. Staudinger-Dittmann, B G B , 1 1 . Aufl. § 2205 Anm. 37, für den Fall, daß eine Schädigung anderer Nachlaßbeteiligter, wie Gläubiger oder Nacherben, nicht möglich ist und das Geschäft dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Erblassers nicht widerspricht; ähnlich v. Lübtow, J Z i960, 151). Da der Nachweis der Entgeltlichkeit regelmäßig in der Form des § 29 1 nicht wird geführt werden können, hat der Grundbuchrichter unter eigener Verantwortung die Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers selbständig zu prüfen. Die Rechtsprechung hat dafür folgenden Grundsatz aufgestellt: Eine entgeltliche Verfügung ist anzunehmen, wenn die dafür maßgebenden Beweggründe im einzelnen angegeben werden und verständlich und der Wirklichkeit gerecht werdend erscheinen und wenn begründete Zweifel an der Pflichtmäßigkeit der Verfügung nicht ersichtlich sind ( J F G 7, 284; 18, 1 6 1 ; O L G München J F G 21, 242). Hier besteht kein Anlaß, anzunehmen, daß Gumpert die löschungsfähige Quittung ohne Gegenleistung ausgestellt haben sollte. Wenn Sie aber die Zustimmung der Nacherben verlangen, so übersehen Sie, daß der Testamentsvollstrecker aus eigenem Recht und nicht im Namen des Erben verfügt. Wie es bei Vorhandensein eines mit Verwaltungsrecht ausgestatteten Vollstreckers keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung für minderjährige Erben bedarf (S. 476, so ist auch die Beschränkung des Erben durch Einsetzung von Nacherben dem Testaments-

Grundbuchamt — Prüfung der Vertretungsmacht

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Vollstrecker gegenüber ohne Bedeutung, denn er handelt für alle als Erben in Betracht kommenden Personen schlechthin (Backs, D F G 1937, 47). Zwischeneintragung der Erbin kommt selbstverständlich nicht in Betracht, da die Hypothek gelöscht werden soll (S. 645). Vgl. außerdem über die Befreiung von der Zwischeneintragung bei Verfügungen eines Testamentsvollstreckers S. 676. P r ü f u n g der V e r t r e t u n g s m a c h t des g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s . Der Referendar: Zu den Erklärungen des Nachlaßpflegers Walter betreffend die Hypothek Abt. III Nr. 8 fehlt noch die Genehmigung des Nachlaßgerichts. Der Richter: Ich fürchte nur, daß das Nachlaßgericht die Erteilung der Genehmigung ablehnen wird, weil schon der Erblasser selbst durch die Entgegennahme des Hypothekenkapitals im Jahre 1943 über die Forderung verfügt hat, eine genehmigungsbedürftige Verfügung des Nachlaßpflegers also nicht vorliegt. Der Nachlaßpfleger erklärt zwar am Schluß der Urkunde vom 5. Oktober 1952, daß er die Löschung der Hypothek bewillige. Eine solche Erklärung stellt, wenn sie für sich allein abgegeben wird (wie hier im Fall der Hypothek Abt. III Nr 2), materiellrechtlich eine Aufgabeerklärung nach § 875 B G B dar. Deshalb kann auch eine reine Löschungsbewilligung nur zur Löschung der Hypothek, nicht aber zu ihrer Umschreibung auf den Eigentümer führen. Wenn die Löschung aber im Anschluß an die Erklärung des Gläubigers, wegen seiner Forderung durch den Eigentümer befriedigt zu sein, bewilligt wird, ist die Bewilligung rechtlich bedeutungslos, weil das Empfangsbekenntnis des Gläubigers beweist, daß er jetzt nicht mehr Inhaber des Rechts ist, die Hypothek vielmehr gemäß den §§ 362 1 , 1 1 6 3 1 S. 2, 1 1 7 7 B G B auf den Eigentümer als Grundschuld übergegangen ist. Die Urkunde vom 5. Oktober 1952 kommt daher nur als Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs im Sinne des § 2 2 ! G B O hinsichtlich der Person des Berechtigten in Betracht. Wir müssen also prüfen, ob durch die vorgelegte Quittung das Erlöschen der Forderung und damit der Übergang der Hypothek auf den Eigentümer nachgewiesen ist. Hätte der Nachlaßpfleger bekannt, daß die geschuldete Leistung an ihn bewirkt worden ist, so wäre allerdings die Genehmigung des Nachlaßgerichts nach den §§ 1962, 1915, 1812 B G B erforderlich gewesen. Zwar ist die Erteilung einer Quittung keine Verfügung im Sinne des § 1 8 1 2 B G B , sondern nur das Bekenntnis des Ausstellers über die Tatsache, daß er die Leistung empfangen hat, und damit ein Beweismittel (Staudinger, 9. Aufl. § 1812 Anm. 1 b; R G 108, 5 5). Der Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts bedarf daher an sich nur die Annahme der geschuldeten Leistung durch den Vormund oder Pfleger. Diese Genehmigung hegt aber inhaltlich regelmäßig in der Genehmigung des Empfangsbekenntnisses ( K G J 50, 220). Die nachlaßgerichtliche Genehmigung zu der bloßen Quittung des Nachlaßpflegers wäre daher nicht erforderlich, wenn der Nachweis der Zahlung an den Erblasser in einer für das Grundbuchverfahren ausreichenden Form erbracht ist. Ein Nachweis in der Form des § 29 1 S. 2, also durch öffentliche Urkunden, kann hier nicht verlangt werden. Der Zeitpunkt des Erlöschens der Forderung ist nur eine Vorfrage dafür, ob die nachlaßgerichtliche Genehmigung erforderlich ist. Diese Frage aber ist nicht „eine andere Voraussetzung der Eintragung" im Sinne des § 29 1 S. 2 GBO. Denn diese Bestimmung ist einschränkend auszulegen. Sie bezieht sich nur auf solche Tatsachen, deren Beurkundung zur Zuständigkeit einer Behörde gehört und in einem behördlich geregelten Verfahren vorgesehen ist ( K G J 32 A 290). Nebenumstände, die die Wirksamkeit einer nach § 29 1 S. 1 nachzuweisenden Erklärung begründen sollen, fallen nicht darunter (Henke-Mönch-Horber, GBO, 6. Aufl. § 29 Anm. 2 C d). Insbesondere ist der Umfang der Vertretungsmacht eines gesetzlichen Vertreters und ihre Beschränkung durch das Erfordernis einer Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts vom Grundbuchamt selbst zu

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Grundbuchamt — Hypothekenlöschung

prüfen (RG 108, 356; K G J W 1935, 55). Soweit es dabei auf tatsächliche Verhältnisse ankommt, hat der Grundbuchrichter in freier Würdigung aller ihm bekannten Tatsachen und unter Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungssätze zu entscheiden. In dieser Weise, ohne also an die Formvorschrift des § 29 gebunden zu sein, hat er z. B. darüber zu befinden, ob eine nach den §§ 1641, 1804 B G B unwirksame Schenkung aus dem Mündelvermögen vorliegt ( J F G 16, 90), ob eine wirksam erteilte Vollmacht im maßgeblichen Zeitpunkt noch fortbestanden hat ( J F G 1, 328; 18, 248) oder ob ein genehmigungsbedürftiges Rechtsgeschäft durch ein sog. Umgehungsgeschäft verdeckt werden soll ( K G J W 1938, 887; zum Ganzen K G D N o t Z 1954, 470). Auch der Grundbuchrichter hat daher, wie wir schon bei den Verfügungen der befreiten Vorerbin und des Testamentsvollstreckers gesehen haben, trotz des § 29 G B O in nicht unerheblichem Umfange nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung zu entscheiden. In unserem Fall ist noch weiter der in der Rechtsprechung des K G aufgestellte Grundsatz zu beachten, daß Erklärungen eines von der Eintragung Betroffenen — das sind hier die von dem Nachlaßpfleger vertretenen unbekannten Erben als Buchberechtigte — die ihm ungünstig sind, mangels entgegenstehender Umstände des Einzelfalles die Richtigkeit ihres Inhalts beweisen, wenn sie in der Form des § 29 abgegeben sind ( K G J 36A 251; 40, 294; H R R 1933 Nr 199; JW 1935,713). Auf Grund der Erklärung des Nachlaßpflegers in Verbindung mit der eidesstattlichen Versicherung des Gesellschafters Wolf kann hier die Zahlung an den Erblasser unbedenklich als nachgewiesen angesehen werden. Das gleiche gilt für die Vernichtung des Hypothekenbriefes durch Kriegseinwirkung. Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefe, die durch Kriegseinwirkung vernichtet sind, können nach § 8 der Y O vom 5. Oktober 1942 (RGBl I 573) ohne Aufgebotsverfahren durch das Grundbuchamt wieder hergestellt werden. Mit der Erteilung des neuen Briefes wird der bisherige Brief krafdos. In einigen Gebieten ist dem § 8 ein Abs. 2 angefügt worden, nach welchem die Feststellung, daß der Brief durch Kriegseinwirkung vernichtet ist, genügt, wenn das Recht gelöscht oder die Erteilung eines Briefes nachträglich ausgeschlossen werden soll (BritZ V O vom 12. Mai 1947 (VOB1 B Z 52), Baden Ges. vom 7. Juli 1948 ( G V B 1 1 2 7 ) , Rheinland-Pfalz Ges. vom. 8. Oktober 1948 (GVB1 369), Württ.-Hohenzollern Ges. vom 6. August 1948 (RegBl. 93), West-Berlin Ges. vom 1 1 . Dezember 1952, G V B 1 1975). Hierauf beruht die nachstehende Verfugung zu 3.

Verfügung. „ 1 . Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Bd. 1 Blatt 1 1 , Abt. III Sp. 8, 9, 10: 2. 5. 6. 8.

2000 G M 2 kg Feingold 5000 R M 10000 G M

Gelöscht am . . . November 1952.

2. Eintragungen über die gelöschten Rechte in Sp. 1 — 7 rot unterstreichen. 3. Es wird festgestellt, daß der Hypothekenbrief Abt. III Nr. 8 durch Kriegseinwirkung vernichtet ist. 4. Die überreichten Briefe Abt. III Nr. 2, 5 und 6 sind unbrauchbar zu machen, die Schuldurkunden abzutrennen und an Eigentümerin zurückzugeben. (Beh.-Schein)."

§ § 69 GBO, 5 3 G B V f . Die Unbrauchbarmachung des Briefes geschieht, nachdem die Löschung auf dem Brief vermerkt ist, in der Weise, daß der Vermerk über die erste Eintragung des Rechts durchstrichen und der Brief mit Einschnitten versehen wird. „ 5 . Nachricht an Eigentümerin. 6. Beglaubigte Abschrift des Erbscheins zu den Akten fertigen. Der Erbschein ist alsdann an Eigentümerin zurückzugeben. (Beh.-Schein.)" Die Verfügung trifft der R i c h t e r . Der R i c h t e r v o r b e h a l t ergibt sich für die Post HI 5 gemäß § I 7 J Nr. 5 RechtspflG daraus, daß die Eintragung von einem Vorerben bewilligt ist, für die Post

Grundbuchamt — Richtervorbehalt

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III 6 gemäß § 17 1 Nr. 4 RechtspflG daraus, daß eine Eintragung auf Grund der Bewilligung eines Testamentsvollstreckers beantragt ist. Denn Verfügungen, die eine Anwendung des § 3 5 GBO voraussetzen, sind nach § 17 1 Nr. 4 RechtspflG von dem Richtervorbehalt nur ausgenommen, wenn der Nachweis der Erbfolge durch Erbschein geführt wird. Bei Beteiligung eines Testamentsvollstreckers gilt daher stets der Richtervorbehalt (Hofmann-Kersting, RechtspflG, § 1 7 Anm. III 7; Arnold, RechtspflG, § 17 Anm. 5 c; a.M. Heim, Rfleger 1959, 113 für den Fall, daß der Nachweis der Verfügungsbefugnis des Testamentsvollstreckers durch ein Testamentsvollstreckerzeugnis geführt wird). Der Vorbehalt ist auch sinnvoll, weil, wie wir gesehen haben, bei Verfügungen des Testamentsvollstreckers ähnliche Erwägungen anzustellen sind wie bei denen eines Vorerben (Arndt, RechtspflG, § 17 Anm. 27, der aber übersieht, daß der Vorbehalt aus § 17 1 Nr. 4 mit § 3 5 GBO folgt). Die gleichzeitig beantragten Löschungen der Posten III 2 und III 8, für welche an sich der Rechtspfleger zuständig wäre, hat der Richter gemäß § 6 RechtspflG wegen Sachzusammenhangs erledigt. — Es ist die Auffassung vertreten worden, der Richter könne sich in den Fällen des Richtervorbehalts darauf beschränken, die grundsätzliche Entscheidung zu treffen, die zu dem Richtervorbehalt Anlaß gegeben hat, also z.B. darüber, daß die Erbfolge durch öffentliches Testament oder die Entgeltlichkeit der Verfügung des Vorerben nachgewiesen sei, die weitere Erledigung aber dem Rechtspfleger überlassen (LG Aachen Rpfleger 1958, 183; Rom und Bruhn, ebenda; Dubro, Rpfleger i960, 353; Arndt, RechtspflG § 17 Anm. 22, § 13 Anm. 17). Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Das Gesetz sieht ein solches Verfahren nur in § 5 Abs. 2 RechtspflG für Geschäfte vor, die dem Rechtspfleger übertragen sind, die er aber gemäß § 5 Abs. 1 dem Richter vorlegt, nicht jedoch für Geschäfte, die durch Richtervorbehalt von der Übertragung auf den Rechtspfleger ausgeschlossen sind (Arnold, Rpfleger i960, 1 zu VI). Die Gültigkeit der Grundbucheintragung wird aber trotz § 7 1 1 RechtspflG (oben S. 492) niemals durch die Zuständigkeitsüberschreitung berührt, sofern nur die Eintragung von den dafür zuständigen Beamten unterzeichnet ist, nämlich von dem nach den §§ 3 1 Nr. 2 Buchst, f, 1 7 1 1 RechtspflG stets an Stelle des Richters zuständigen Rechtspfleger und dem UdG (§2 AusfVO-GBO), da die Eintragungsverfügung selbst nur ein innerdienstlicher Vorgang ist (KG J F G 1 1 , 178; Jansen, F G G , § 7 Anm. 7a; Dubro, Rpfleger i960, 353). Nach Ausführung der Verfügung stehen auf dem Blatt als Belastungen nur noch: die Grunddienstbarkeit Nr. 2, die kürzlich neu bestellte beschränkte persönliche Dienstbarkeit Nr. 8 sowie die Grundschuld Abt. III Nr. 9. Mit dieser „Bereinigung" des Grundbuchblatts ist die beabsichtigte Parzellierung vorbereitet.

Parzellierung A n t r a g . Mit dem Eingangsvermerk des 2. Dezember i960 werden dem Rechtspfleger nachstehende Urkunden vorgelegt: Verhandelt Lichterfelde, den 22. November i960. Vor dem unterzeichneten Notar usw. erschienen: 1. der Kaufmann Norbert Hirsch aus Lichterfelde, Leerbeutelstraße 15, 2. der Bauunternehmer Emil Klose aus Lichterfelde, Herderstraße 101, 3. der Maurerpolier Johann Sobralla aus Lichterfelde, Gabelsbergerstraße 9, sämtlich dem Notar von Person bekannt. Sie erklärten — Herr Hirsch namens der offenen Handelsgesellschaft Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne, deren vertretungsberechtigter Gesellschafter er ist — folgende Auflassung: Wir nehmen auf die vom Katasteramt unter dem 12. November i960 ausgefertigten Haupt" und Nebenauszüge aus dem Liegenschaftsbuch nebst Karten Bezug. Wir sind darüber einig, daß das Eigentum an folgenden Flurstücken, welche bisher zu dem im Grundbuch von Lichterfelde Band 1 Blatt 11 unter laufender Nummer 4 verzeichneten Grundstück gehörten, auf die nachstehend bezeichneten Erwerber übergehen soll:

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Grundbuchamt •— Parzellierung Flui •buch Gemarkung

Lichterfelde

Kartenblatt

Parzelle

1

275

ha

237

Lichterfelde

1

Ciröß e

Wirtschaftsart und Lage

276 237

Ackerstück Regerstraße Nr. 20 Ackerstück Regerstraße Nr. 22



auf

a

qm

7

85

Bauunternehmer Emil Klose in Lichterfelde, Herderstraße 101,

8

04

Maurerpolier fohannSobralla in Lichterfelde, Gabelsbergerstraße 9.

Ich, Norbert Hirsch, namens der Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne bewillige und wir, Klose und Sobralla, beantragen, daß die vorbezeichneten Erwerber als Eigentümer der ihnen aufgelassenen Trennstücke unter Anlegung je eines neuen Grundbuchblatts, auf welches die Trennstücke zu übertragen sind, im Grundbuch eingetragen werden. Der Auflassung an Herrn Klose liegt der Kaufvertrag vom 13., der Auflassung an Herrn Sobralla der Kaufvertrag vom 18. Oktober i960 — Nr. 563 bzw. 573 der Urkundenrolle für i960 des beurkundenden Notars — zugrunde. Die Herren Klose und Sobralla nehmen auf die in § § 2, 6, 7 dieser Kaufverträge enthaltenen Hypothekenbestellungen Bezug und beantragen, die Hypotheken gemäß den Bewilligungen auf den ihnen nunmehr aufgelassenen Trennstücken einzutragen. Ferner beantragt Herr Hirsch namens der Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne unter Bezugnahme auf die von dem Kaufmann fulius Meyer II hinsichtlich der Last Abt. II Nr. 2, sowie auf die von dem Bankier Ferdinand Schilling hinsichtlich der Grundschuld Abt. III Nr. 9 unter dem 16. November i960 abgegebenen Entpfändungserklärungen — Nr. 605 bzw. 606 der Urkundenrolle für i960 des beurkundenden Notars —, die Last Abt. II Nr. 2 sowie die Grundschuld Abt. III Nr. 9 auf den aufgelassenen Parzellen Nr. 275 und Nr. 276 zu löschen. Die Herren Klose und Sobralla beantragen, auf die für sie neu anzulegenden Grundbuchblätter nur die beschränkte persönliche Dienstbarkeit Abt. II Nr. 8 zu übertragen, während im übrigen die beantragte Abschreibung der aufgelassenen Trennstücke lasten- und hypothekenfrei erfolgen soll. (Vorlesung und Genehmigung, Unterschriften, Ausfertigungsvermerk)." Haupt- und Nebenauszug des Katasteramts sowie Katasterkarte sind mit überreicht. Darnach hat das Katasteramt die bisherige Parzelle Kbl. 1 Nr. 237 in die Parzellen Nr. 274, 275 und 276 zerlegt, von denen Nr. 274 den beim Stammgrundstück verbleibenden Rest darstellt. Alle 3 Parzellen sind mit dem Nenner „ 2 3 7 " bezeichnet (S. 617). In § 1 des Kaufvertrags Urk.-Rolle Nr. 563/60 verkauft die Firma Wolf an Klose: „aus dem ihr gehörenden, im Grundbuch von Lichterfelde Band I Blatt 11 verzeichneten Grundstück einen Bauplatz an der Regerstraße von 785 qm Flächeninhalt, dessen Grenzen sich aus der dieser Verhandlung beigefügten Zeichnung ergeben, zum Preise von 11775 DM (i. W.)." Die katasteramtliche Vermessung der abverkauften Baustellen und ihre Bezeichnung mit neuen Parzellennummern hat erst nach dem Kauf stattgefunden. Nun reicht zwar für den Kaufvertrag jede nachprüfbare Bestimmung der Grundstücksgrenzen, z. B. durch Bezugnahme auf eine dem Vertrag beigefügte Zeichnung aus. Dagegen muß in der grundbuchmäßigen Bewilligung das Flurstück entweder nach dem Grundbuch (z. B.: „Das auf B l a t t . . . unter lfd. Nr. der Grundstücke 1 verzeichnete Grundstück") oder mit einer katastermäßigen Parzellennummer bezeichnet sein. §§ 28 S. 1 G B O . Darum ist bei Parzellierungen die Aufnahme der Auflassung in den Kaufvertrag meist unmöglich, und eine gesonderte Auflassung erforderlich. Jedoch ist die Auflassung eines noch unvermessenen Trennstücks nicht unwirksam, wenn es zweifelsfrei bezeichnet werden kann; die Übereinstimmung des aufgelas-

Grundbuchamt — Restkaufgeld- und Baugeldhypothek

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senen mit dem später vermessenen Trennstück ist dem Grundbuchamt dann durch eine beglaubigte Erklärung nachzuweisen ( R G D R 1941, 2196; O L G Hamm D N o t Z 1958, 643 mit Anm. v. Hieber = Rpfleger 1958, 268 mit Anm. v. Haegele). Der Vertrag mit Sobralla stimmt mit dem Kloseschen überein, nur sind hier die Zahlen 804 qm und 12060 D M . „§ 2. Der Kaufpreis wird dem Käufer gestundet und vom 1. Dezember i960 an mit jährlich 5% (i. W.) in nachträglich zahlbaren Vierteljahrsraten verzinst. Er kann mit Frist von drei Monaten, das erstemal zum 1. April 1965, gekündigt werden. (In § 3 leistet die Verkäuferin dem Käufer Gewähr dafür, daß er bis zum 1. Januar 1962 nicht zu außerordentlichen öffentlichen Lasten, wie Straßen- und Kanalisations-Anlagekosten, Beiträgen zu Brückenbauten oder Flußregulierungen herangezogen werden wird, in § 4 erklärt sie, daß auf dem Grundstück keine öffentliche Last für die Hypothekengewinnabgabeschuld ruht, worüber sie einen Freistellungsbescheid des Finanzamts nach § 1 2 5 1 1 1 LAG vorlegt.) § 5. Ohne Anrechnung auf den Kaufpreis übernimmt der Käufer die auf Lichterfelde Blatt 11 in Abt. II unter Nr. 8 eingetragene beschränkte persönliche Dienstbarkeit des Elektrizitätswerks. Die Grunddienstbarkeit Abt. II Nr. 2 sowie die Grundschuld Abt. III Nr. 9 sind auf dem Kaufgrundstück zur Löschung zu bringen. § 6. Der Käufer verpflichtet sich, auf dem Kaufgrundstück den Bau eines Wohnhauses im Landhausstil bis zum 15. Dezember i960 zu beginnen und bis zum 15. August 1961 zu Ende zu führen. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, ohne durch allgemeine Streiks odei ähnliche unverschuldete Ereignisse verhindert zu sein, so kann die Verkäuferin die sofortige Zahlung des gestundeten Kaufpreises verlangen. § 7. Zur Sicherheit für das in §§ 1, 2 vereinbarte Kaufgeld bestellt der Käufer der Verkäuferin an dem verkauften Grundstück eine Hypothek. Die Hypothek soll an erster Stelle eingetragen werden, so daß ihr nur die zu übernehmende Belastung Abt. II Nr. 8 im Range vorgeht. Der Käufer behält sich j edoch das Recht vor, eine Baugeldhypothek von 40 000 DM (i. W.) mit bis zu 8% (i. W.) jährlich verzinslich, mit dem Rang vor der Kaufgeldhypothek eintragen zu lassen. Er verpflichtet sich gegenüber dem jeweiligen Gläubiger der Kaufgeldhypothek, die Baugeldhypothek löschen zu lassen, wenn und soweit sie sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigt, und wird bei Eintragung der Baugeldhypothek eine Vormerkung gemäß § 1 1 7 9 BGB zur Sicherung dieses Löschungsanspruchs eintragen lassen. Herr Klose bewilligt demgemäß für die Lichterfelder Dampfziegelei Fried. Wilh. Wolf Söhne: in Lichterfelde die Eintragung einer Kaufgeldhypothek von 1 1 7 7 5 D M (i. W.) nebst 5% jährlicher Zinsen seit dem 1. Dezember i960 auf dem Kaufgrundstück mit den in §§ 2, 6 und 7 dieses Vertrages angegebenen Verzinsungs- und RückZahlungsbedingungen und dem aus Vorstehendem sich ergebenden Rangvorbehalt, sowie die unmittelbare Aushändigung des zu bildenden Briefes an die Gläubigerin. (Es folgt die Kostenklausel, Vorlesungs- und Genehmigungsvermerk, Unterschriften, Ausfertigungsvermerk)." Klose und Sobralla gehören zur Klasse der Bauunternehmer, die ohne eigenes Geld bauen. Sie kaufen einen Bauplatz, bestellen dem Verkäufer für den Kaufpreis Hypothek und wollen sich das Baugeld ebenfalls auf Hypothek beschaffen. Der Baugeldgeber wird für seine Hypothek den ersten Rang, also den Vorrang vor der Wolfschen Kaufgeldhypothek, verlangen, und zwar mit gutem Recht: denn durch das Baugeld, welches ins Grundstück verbaut wird, erhöht sich der Wert des Grundstücks, während der im Kaufpreis ausgedrückte Baustellenwert bis zur tatsächlichen Bebauung eine fragwürdige Größe ist. Da Klose und Sobralla noch keinen Baugeldgeber gefunden haben, kommt die sofortige Einräumung des Vorrangs für die Baugeldhypothek nicht in Betracht, deshalb bestellen sie zunächst nur die Kaufgeldhypotheken und behalten sich gemäß § 881 B G B den Vorrang für die später aufzunehmenden Baugeldhypotheken vor. Die Verkäuferin Wolf will mit ihren Hypotheken gegen die Baugeldhypotheken zurücktreten, weil nur so die Bebauung und damit die Wertsteigerung des Grund-

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Grundbuchamt — Rangvorbehalt und Löschungsvormerkung

stücks ermöglicht werden kann. Nicht aber will sie hinter Klose, Sobralla oder einen künftigen Grundstückseigentümer zurücktreten, falls die Baugeldhypotheken nicht oder nicht in voller Höhe valutiert oder teilweise vom Eigentümer zurückgezahlt (§ 1163) oder aus anderen Gründen zur Eigentümergrundschuld werden sollten. Darum verpflichten sich die Käufer für diesen Fall zur Löschung der Eigentümergrundschuld. Durch die Löschungsvormerkung aus § 1 1 7 9 wird die Verpflichtung der Käufer — und damit das Aufrücken der Kaufgeldhypotheken — gegen Verfügungen Kloses oder Sobrallas, gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ihrer Gläubiger, ja sogar gegen Verfügungen eines künftigen Grundstückseigentümers, der nicht in die Löschungsverpflichtung eingetreten ist, und Vollstreckungsmaßnahmen seiner Gläubiger gesichert (§ 883). Obwohl die Hypothek, bei der die Löschungsvormerkung gebucht werden soll, noch nicht eingetragen ist, kann sich der Gläubiger der Kaufgeldhypothek (des Vorbehaltsrechts) bereits dinglich dagegen sichern, daß die Baugeldhypothek (das Vorrangsrecht) später nicht etwa ohne die Vormerkung eingetragen wird. Die Vereinbarung kann nämlich als inhaltliche Beschränkung des Rangvorbehalts bei dessen Eintragung vermerkt werden ( J F G 18, 40). Über die rechtliche Natur des Rangvorbehalts besteht Streit. Nach der in der Rechtsprechung des KG entwickelten Auffassung (KGJ 40, 234; JFG 5, 340; JW1935,712), der der BGH gefolgt ist (BGHZ 12, 245 = N J W 1954, 954), ist er anzusehen als ein „Stück vorbehaltenen Eigentumsrechts" mit der Wirkung der Beschränkung des vom Vorbehalt betroffenen Rechts. Dagegen mit Recht WolffRaiser, Sachenrecht, 10. Bearb. § 43®. Nach anderer Auffassung (Jansen, ArchZivPrax 152, 508) ist er ein subjektivdingliches Gestaltungsrecht des Eigentümers, kraft dessen dieser das Recht hat, das Rangverhältnis zwischen dem Vorbehaltsrecht und dem Vorrangsrecht zu ändern; der Rangvorbehalt gilt bei dieser Beurteilung nach § 96 BGB als Bestandteil des Grundstücks. Auf der Annahme, der Rangvorbehalt sei „Teil des Eigentumsrechts" und „Zustandsrecht" beruht auch die Rechtsprechung des KG (KGJ 40, 234; JFG 5, 383; 6, 315; 8, 298), nach welcher der Rangvorbehalt nach dem Erlöschen des Vorrangsrechts beliebig oft weiter ausgeübt werden kann. Sieht man ihn dagegen als Gestaltungsrecht an, so findet er in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre durch einmalige Ausübung seine Erledigung, es sei denn, daß bei seiner Bestellung rechtsgeschäftlich etwas anderes bestimmt worden ist. Die Entpfändungen lauten: „Auf dem Grundstück Lichterfelde Band 1 Blatt 11 ist in Abt. II unter Nr. 2 zugunsten des jeweiligen Eigentümers von Lichterfelde Band 3 Blatt 89 eine Grunddienstbarkeit auf Benutzung der großen Kiesgrube („Meyer-Loch") eingetragen. Als Eigentümer des herrschenden 27 5 Grundstücks Blatt 89 bewillige ich die Abschreibung der Parzellen Kartenblatt 1 Nr. 2 37 276 und Nr. von dem Grundstück Blatt 11 ohne Mitübertragung der Belastung Abt. II Nr- 2 2 37 Lichterfelde, den 16. November i960. Julius Meyer II. (Beglaubigungsvermerk)." „Auf Lichterfelde Band 1 Blatt 11 haftet für mich in Abt. III unter Nr. 9 eine Grundschuld von 275 20000 Deutschen Mark. Ich bewillige die Abschreibung der Parzellen Kartenblatt 1 Nr. und 237 276 Nr. von dem Grundstück Blatt 11 ohne Mitübertragung der Grundschuld Abt. III Nr. 9. 2 37 Berlin, den 16. November i960. Ferdinand Schilling. (Beglaubigungs vermerk)." Der Grundschuldbrief liegt bei, ebenso die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Grunderwerb steuerstelle nach § i 8 9 d I R A b g O sowie die Genehmigung nach § 19 BundesbauG (oben S. 440). Entsprechende Bescheinigungen liegen für Sobralla vor.

Grundbuchamt — Auflassung

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P r ü f u n g . Den in der Verhandlung vom 22. November i960 gestellten mannigfachen Anträgen kann nur entweder im ganzen oder gar nicht stattgegeben werden. Das folgt aus der inneren Zusammengehörigkeit der Anträge, so daß ein stillschweigender Vorbehalt im Sinne des § 1 6 1 1 anzunehmen ist. Eine Umschreibung der aufgelassenen Parzellen auf Klose und Sobralla ohne gleichzeitige Eintragung der Kaufgeldhypotheken, oder die Eintragung der Hypotheken ohne gleichzeitige Entpfändung der Trennstücke, wäre wirtschaftlich sinnlos und könnte zu den schwersten Schädigungen der Beteiligten führen. Gesonderte Behandlung einzelner Anträge ist nur dann angängig, wenn die Antragsteller — von vornherein oder auf Rückfrage des Gerichts — sich mit ihr einverstanden erklären. Aber auch wenn die Erledigung nur eines von mehreren in einer Urkunde gestellten Eintragungsanträgen beantragt wird, hat das Grundbuchamt zu prüfen, ob ein anderer Antragsteller die gleichzeitige Erledigung der Anträge vorbehalten hat ( K G J W 1937, 2121). 1. Eigentumswechsel: Für diesen Fall ist der Grundsatz der einseitigen Bewilligung des Passivbeteiligten (S. 636) durchbrochen. Denn mit dem Erwerb des Eigentums sind Lasten öffentlich-rechtlicher, insbesondere polizeilicher und steuerlicher Art verbunden ( K G J 25 A 102). Darum wird zur Eintragung eines neuen Eigentümers der Nachweis der nach § 925 B G B erforderlichen Einigung des Berechtigten und des anderen Teils, d. h. der Auflassung, gefordert. §§ 20, 29 GBO. Auch die Eintragung eines neuen Eigentümers im Wege der Berichtigung erfolgt nur mit Zustimmung des Einzutragenden, wobei eine öffentlich beglaubigte Erklärung zum Nachweis genügt. §§ 2 2 1 1 , 29 S. 1. Das Erfordernis der Zustimmung fällt jedoch fort, wenn die Grundbuchberichtigung von einem Gläubiger des Einzutragenden im Vollstreckungsinteresse betrieben oder die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachgewiesen wird. § 22 1 1 . Im Fall der Erbfolge kann also das Grundbuch auf den formlosen Antrag nur eines der Miterben durch Eintragung der Erben in ungeteilter Erbengemeinschaft berichtigt werden. Durch die Vorlegung nur öffentlich beglaubigter Erklärungen des Veräußerers und des Erwerbers könnte die Auflassung dem Grundbuchamt nicht nachgewiesen werden. Denn § 925 B G B erfordert die Abgabe der Einigungserklärungen bei gleichzeitige! (nicht notwendig persönlicher) Anwesenheit beider Teile vor einer zuständigen Stelle. Der dem Grundbuchamt nach § 20 G B O zu erbringende Nachweis dieser Tatsache kann nur durch eine gerichtliche oder notarielle Beurkundung geführt werden. Merkwürdige Rechtsverschiedenheiten bestehen in bezug auf Erbbaurecht und Wohnungseigentum. § 20 G B O erfordert den Nachweis der Einigung auch im Falle der Bestellung, Änderung des Inhalts oder Übertragung eines Erbbaurechts. Da aber für diese Einigung nicht § 925, sondern § 873 B G B gilt (§ u 1 ErbbVO), die Einigung also sachlichrechtlich formlos gültig ist, kann sie dem Grundbuchamt durch entsprechende öffentlich beglaubigte Erklärungen beider Teile nachgewiesen werden. Anders beim Wohnungseigentum. Dessen Übertragung geschieht, da es mit dem Miteigentum an einem Grundstück verbunden ist, in den Formen der Auflassung nach § 925 B G B und verfahrensrechtlich unter Beachtung des § 20 GBO. Die Einigung der Miteigentümer über die Einräumung oder Aufhebung von Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung aber bedarf zwar sachlichrechtlich ebenfalls der für die Auflassung vorgeschriebenen Form (§ 4 1 1 S. 1 WEG). Hier fehlt es jedoch an einer dem § 20 G B O entsprechenden Vorschrift. Es gilt daher das formelle Konsensprinzip. § 20 G B O ist übrigens ebenso wie § 19 nur eine Ordnungsvorschrift, seine Verletzung hat also keine sachlichrechtlichen Folgen. Die eingereichte Auflassungsverhandlung ist in Ordnung.

656

Grundbuchamt — Güterrechtliche Verwaltungsbeschränkung

2. Anlegung der neuen Grundbuchblätter: Das Verlangen, die aufgelassenen Parzellen auf neue Blätter zu übertragen, ist kein verfahrensrechtlicher Antrag, sondern nur eine Anregung, da das Grundbuchamt die Abschreibung von dem bisherigen und die Übertragung auf ein besonderes Blatt schon von Amts wegen vorzunehmen hat. Das folgt daraus, daß die bisherigen Teilstücke infolge der Veräußerung selbständige Grundstücke werden (s. S. 620) und deshalb nach § 3 1 S. 1 ein besonderes Blatt erhalten müssen, sowie aus § 4, der ein gemeinschaftliches Grundbuchblatt nur für mehrere Grundstücke desselben Eigentümers zuläßt. Zur Teilung eines Grundstücks dagegen ohne gleichzeitige Veräußerung ist eine Teilungserklärung des Eigentümers in der Form des § 29 nebst Antrag erforderlich, da darin eine sachlichrechtliche Verfügung über das Grundstück liegt ( K G J W 1937, 896). Anders, wenn ein realer Grundstücksteil mit einem Rechte belastet werden soll. Dann ist er von Amts wegen abzuschreiben und als selbständiges Grundstück einzutragen (§7). 3. Hypothekenbestellung: Es hätte schon die grundbuchmäßige Bewilligung unter Angabe der in § 1 1 1 5 bezeichneten Merkmale in Verbindung mit dem formlosen Eintragungsantrag genügt. Der Ausstellung einer Schuldurkunde bedarf es nicht notwendig. Ist aber eine Schuldurkunde vorhanden, dann soll sie auch eingereicht und mit dem Brief verbunden werden, um zu verhindern, daß mißbräuchlich über die Hypothek und über die Forderung getrennt verfügt wird (§58 G B O ; K G J 53,226). 4. V e r f ü g u n g s b e f u g n i s : Der Prüfung des Grundbuchamts unterliegt auch die Verfügungsbefugnis der Beteiligten. Von erheblicher Bedeutung ist hierbei die g ü t e r r e c h t l i c h e V e r w a l t u n g s b e s c h r ä n k u n g des § 1365 B G B für im Güterstande der Zugewinngemeinschaft lebende Ehegatten (oben S. 46 5,45 7), nach welcher die Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften eines Ehegatten über sein Vermögen im ganzen von der Zustimmung des anderen Ehegatten abhängig ist. Die Vorschrift will eine Gefährdung des Zugewinnausgleichsanspruchs des anderen Ehegatten ausschließen, aber auch verhüten, daß der ehelichen Lebensgemeinschaft die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird. Sie gilt deshalb nicht nur für Verträge, die im Sinne des § 3 1 1 B G B auf die Übertragung oder Belastung des gesamten Vermögens a b z i e l e n (vgl. B G H Z 25, 4), sondern auch für Verträge über einzelne Vermögensgegenstände (Grundstück, Hypothek), sofern sie das ganze oder nahezu ganze Vermögen ausmachen. In diesem Fall wird man zum Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs freilich die Kenntnis des Erwerbers davon fordern müssen, daß der Gegenstand im wesentlichen das ganze Vermögen des Ehegatten darstellt, ähnlich wie bei § 4x9 B G B ( B G B - R G R K Anm. 13, Palandt Anm. 2, je zu § 1365; O L G Hamm, Frankfurt, N J W i960, 1466, 2002; Str.). Unter Vermögen ist der Inbegriff der geldwerten Güter einer Person, also das Aktivvermögen, zu verstehen (Enneccerus-Nipperdey, § 131 II). Stehen mithin dem Vermögen eines Ehegatten im Werte von 100000 D M Verbindlichkeiten in Höhe von 90000 D M gegenüber und veräußert er ein Grundstück im Werte von 10000 DM, so verfügt er nicht über sein Vermögen im ganzen. Unter einer Verfügung ist, wie auch sonst im bürgerlichen Recht (S. 521), jedes Rechtsgeschäft zu verstehen, welches unmittelbar eine Minderung der rechtlichen Stellung herbeiführt, also nicht nur die Veräußerung oder Übertragung, sondern auch die Belastung, insbesondere Verpfändung einer Sache oder eines Rechts. Bei Belastungen, vor allem bei der Bestellung eines Grundpfandrechts an einem Grundstück, welches nahezu das gesamte Vermögen des Ehegatten ausmacht, ist jedoch nach dem Zweck der Vorschrift unter Anlegung eines wirtschaftlichen Maßstabes einschränkend zu fordern, daß die Belastung unter Berücksichtigung der Vorbelastungen den Verkehrswert des Grundstücks zum wesentlichen Teil erschöpft (LG Berlin, FamRZ 1959, 64; O L G Hamm, N J W 1959, 104; BayObLG N J W i960, 821). Auf die Entgeltlichkeit der Verfügung kommt es nicht an; der

Grundbuchamt — Entpfändung

657

Tatbestand des § 1365 kann auch gegeben sein, wenn der Verfügende einen ausreichenden Gegenwert erlangt. Ein Schutz des guten Glaubens an die Verfügungsbefugnis ( § 1 3 5 BGB) findet nicht statt, weil die Verfügungsbeschränkung nicht nur relativ, sondern absolut wirkt (arg. § 1368); sie kann deshalb ebenso wie der Güterstand selbst nicht in das Grundbuch eingetragen werden (S. 626). Für das G r u n d b u c h v e r f a h r e n ergeben sich aus der Vorschrift des § 1365 folgende Folgerungen: Ist die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich, so bedarf sie der Form des § 29 GBO. Hat der Notar bei der notariellen Beurkundung des Rechtsgeschäfts oder im Beglaubigungsvermerk bei der Bezeichnung des Beteiligten (§§ 176 1 Nr. 2, 1 8 3 1 1 S. 2 F G G ) festgestellt, daß der Beteiligte ledig, verwitwet oder geschieden ist, so hat diese Feststellung für den beurkundeten oder beglaubigten Vorgang die Beweiskraft des § 415 Z P O ( K G J 44, 208; 45, 187); ein weiterer Nachweis kann vom Grundbuchamt nicht verlangt werden. Der Nachweis der Gütertrennung oder des Ausschlusses des § 1365 durch Ehevertrag (oben S. 464) wird durch ein Zeugnis des Registergerichts (§ 33 GBO) oder durch Vorlegung einer Ausfertigung des Ehevertrages erbracht ( K G J 39 A 183). Mangels anderer Kenntnis darf das Grundbuchamt annehmen, daß der gesetzliche Güterstand besteht ( K G J 47, 195). Wird über einen einzelnen Gegenstand verfügt, so braucht die bloße Möglichkeit, daß er vielleicht das gesamte Vermögen des Verfügenden ausmacht, dem Grundbuchamt noch keinen Anlaß zu geben, den Nachweis zu verlangen, daß diese Annahme nicht zutrifft. Der Güterstand der Zugewinngemeinschaft wird von dem Grundsatz beherrscht, daß jeder Ehegatte sein Vermögen selbständig verwaltet (§ 1634), und bei den Ausschußberatungen ist es abgelehnt worden, Verfügungen über Grundstücke allgemein an die Zustimmung des anderen Ehegatten zu binden. Diese Bindung darf deshalb nicht durch eine engherzige Praxis der Grundbuchämter im Ergebnis gleichwohl herbeigeführt werden. Eine Beanstandung ist deshalb nur veranlaßt, wenn hinreichende, auf Tatsachen beruhende Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß über das Vermögen im ganzen verfügt wird (LG Berlin, FamRZ 1959, 64; O L G Bremen, N J W i960, 825 = Rpfleger i960, 16; vgl. auch O L G Celle, N J W i960, 437; zu weitgehend BayObLG N J W 1960, 821 = FamRZ i960, 31, wonach bereits berechtigte Zweifel Anlaß geben sollen, die Zustimmung des Ehegatten oder den Nachweis der Verfügungsbefugnis zu verlangen). Z u einer Prüfung der wahren Rechtslage ist das Grundbuchamt nur verpflichtet, wenn ihm die Unrichtigkeit des unterbreiteten Sachverhalts bekannt oder bei gehöriger Prüfung erkennbar ist ( B G H Z 30, 255; vgl. bereits K G J 41, 201); dieser Grundsatz gilt auch für die Prüfung der Verfügungsbefugnis des Ehegatten ( B G B - R G R K § 1365 Anm. 20). Wegen der Form des Nachweises dafür, daß die Verfügung nicht das gesamte Vermögen ergreift, vgl. S. 649/5 o. 1 )

Für die in der hier vorgelegten Urkunde von den Erwerbern abgegebenen Erklärungen kommt eine Verfügungsbeschränkung nach § 1365 B G B nicht in Betracht. Der Erwerb eines Rechts ist keine Verfügung (Enneccerus-Nipperdey, § 143 II 1). Der Grundsatz des Vormundschaftsrechts, daß die im Zusammenhang mit einem Grundstückserwerb stehende Bestellung einer Restkaufgeldhypothek genehmigungsfrei ist (S. 522 zu 2a), gilt auch im Rahmen des § 1365 (OLG Hamm FamRZ 1959, 166). 5. Entpfändung: a) Bezüglich der Grunddienstbarkeit Abt. II Nr. 2 liegt beglaubigte Entpfändungserklärung des Julius Meyer II vor, der, wie der Referendar aus dem Grundbuch feststellt, als Eigentümer des herrschenden Grundstücks Blatt 89 eingetragen ist, außerdem Löschungsantrag der Eigentümerin des belasteten Grundstücks. Zustimmungserklärungen von Hypothekengläubigern oder sonstigen dinglich Berechtigten des herrschenden Grundstücks (§876 BGB) sind nicht beigebracht. Der Referendar ermittelt aber weiterhin, daß die Dienstbarkeit im Bestandsverzeichnis des berechtigten Grundstücks nicht vermerkt ist. Nach § 21 G B O sind die Zustimmungserklärungen also entbehrlich. Der Referendar: Ich kenne die örtlichkeit und weiß, daß das „Meyer-Loch" nicht an der Regerstraße, sondern in einem ganz anderen Teil von Lichterfelde liegt; Übersichten über die umfangreiche Rechtsprechung und das Schrifttum bringen D N o t Z 1959, 256, 602; i960, 301; 1961, 24; Haegele, Rpfleger 1959, 4, 242; i960, 271. 42

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

658

G r u n d b u c h a m t — Unschädlichkeitszeugnis

wahrscheinlich gehört es überhaupt nicht zu Blatt n , sondern zum Nachbargrundstück Blatt 90, von welchem im Jahre 1907 die lfd. Nr. 2 der Grundstücke mit der Dienstbarkeit überschrieben wurde. Da nach § 1026 B G B bei dem belasteten Grundstück die Teile, auf die sich die Dienstbarkeit nicht bezieht, von selbst frei werden, hätte die lastenfreie Abschreibung doch wohl auch ohne besondere Bewilligung Meyers erfolgen können ? Der Richter: Die sachlichrechtliche Vorschrift des § 1026 ändert nichts an den in der G B O festgelegten Eintragungsgrundlagen. Ist der Tatbestand des § 1026 gegeben, so mag der Eigentümer der Flurstücke, auf denen die Dienstbarkeit erloschen ist, sich die Bewilligung Meyers nötigenfalls nach den §§ 894 B G B , 894 ZPO im Klageweg verschaffen. Allerdings wäre gemäß §§ 22 1 S. 1, 29 1 S. 2 G B O auch Nachweis durch öffentliche Urkunden denkbar, etwa durch Katasterzeichnungen, aus denen die genaue Lage des „Meyer-Lochs" und seine Nichtzugehörigkeit zu den abzuschreibenden Parzellen 275 und 276 einwandfrei hervorgeht. Referendar: Wäre ein Unschädlichkeitszeugnis möglich gewesen? Richter: Unschädlichkeitszeugnisse werden nur zu dem Zweck ausgestellt, die Bewilligung von Hypotheken-, Grundschuld-, Rentenschuld- oder Reallastgläubigern zur pfandfreien Abschreibung von Teilen des belasteten Grundstücks zu ersetzen. Auch ein selbständiges Grundstück kann auf Grund eines solchen Zeugnisses lastenfrei abgeschrieben werden, wenn die Belastungen, von denen es befreit werden soll, noch auf anderen Grundstücken desselben Eigentümers ruhen ( J F G 17, 266). Die Beseitigung von Grunddienstbarkeiten auf diesem Wege ist jedoch nicht vorgesehen (Art. 120 E G B G B ; Art. 20 P r A G G B O ; Bayern G vom 28. April 1953, G V B 1 48; Hessen G über Unschädlichkeitszeugnisse vom 4. November 1957, G V B 1 145; Hamburg §§ 35 bis 42 A G B G B i.d.F. vom 1. Juli 1.958, G V B 1 196; Württemberg Art. 38 bis 51 A G B G B vom 29. Dezember 1931, RegBl. 545). b) Die Voraussetzungen der Entpfändung von der Grundschuld Abt. III Nr. 9, nämlich beglaubigte Bewilligung des Grundschuldgläubigers (§§ 19, 29 1 S. 1 GBO) und Vorlegung des Grundschuldbriefes (§§ 42, 41) sind erfüllt. Der beglaubigten Zustimmung des Eigentümers zur Entpfändung bedurfte es nicht (Ausnahme von § 27 G B O , oben S. 645). E i n t r a g u n g s v e r f ü g u n g . Die für Klose und Sobralla neu anzulegenden Blätter erhalten die nächsten fortlaufenden Nummern ( § 3 1 GBVf). Demgemäß wird verfügt: „1. Einzutragen in das G r u n d b u c h v o n Lichterfelde Band 1 Blatt 11: A . Bestandsverzeichnis: a) Spalten Abschreibungen 4

Ubertragen sind v o n N r . 4 die Parzelle — — nach Band 12 Blatt 287, die Parzelle — — — 2 37 237 nach Band 12 Blatt 288 dieses G r u n d b u c h s a m . . . Dezember i960. Rest v o n N r . 4 laufende N r . 7.

b) Spalten 1 bis 4: Rest von 4

Lichterfelde

221



2

75 223

Acker im Mittelfelde

75 274

Ackerstücke Südender Straße

237

3

5

82

2

10

28

1

13

73

83

26

H o f r a u m mit G e b ä u d e n

7

Regerstraße N r . 8 Garten

75 . 222

,

N r . 17—29, Regerstraße N r . 10—18, 24—28

659

Grundbuchamt — Parzellierungsverfügung B. Zweite Abteilung, Spalten Veränderungen: Laufende Nummer der Spalte i :

8

Nach Band 12 Blatt 287 und 288 zur Mithaft übertragen am . . . Dezember i960."

V o n den bisherigen Belastungen des Blattes 11 wird nur Abt. II Nr. 8, nicht auch Abt. II Nr. 2 und Abt. III Nr. 9, auf die neuen Blätter übertragen. Nach § 48 G B O ist die Mitbelastung der beiden Blätter für die übertragenen Rechte von Amts wegen ersichtlich zu machen. Daß die abgeschriebenen Parzellen von der Grunddienstbarkeit und der Grundschuld entpfändet sind, die dingliche Haftung sich also auf den verringerten Bestand von Bl. 11 beschränkt, geht aus der Abschreibung der Parzellen im Bestandsverzeichnis und dem Fehlen eines Mithaftvermerks hervor. „2. Alte Eintragungen im Bestandsverzeichnis zur lfd. Nr. der Grundstücke 4 rot unterstreichen. 3. Die pfandfreie Abschreibung der Parzellen

275 - u n d - 2 7 6 • ist auf dem Grundschuld237 237 brief Abt. III Nr. 9 zu vermerken. Brief sodann dem Gläubiger zurückgeben. (Beh.-Schein)."

Die pfandfreie Abschreibung der Parzellen ist Eintragung „ b e i " der Grundschuld und als solche auf dem Brief zu vermerken (§ 62), damit die Übereinstimmung von Brief und Grundbuch gewahrt wird. Im Grundbuch wird kein Löschungsvermerk eingetragen. Es handelt sich um einen Fall der Löschung durch Nichtmitübertragung ( S 46"). „4. Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Band 12 Blatt 287 bzw. 288: A . Bestandsverzeichnis a) Spalte 1 — 4 Blatt 287 Lichterfelde

2 75

93

Ackerstück Regerstraße Nr. 20

85

94

Ackerstück Regerstraße Nr. 22

04

237 Blatt 288 Lichterfelde

276 237

b) Spalte Bestand und Zuschreibungen: V o n Band 1 Blatt 11 dieses Grundbuchs hierher übertragen am . . . Dezember i960. Blatt 287

B. Abt. I Sp. 1—4:

Der Bauunternehmer Emil Klose in Lichterfelde Blatt 288 Der Maurerpolier Johann Sobralla in Lichterfelde

}'

Aufgelassen am 22. N o vember und eingetragen am . . . Dezember i960.

C. Abt. II Sp. 1 — 3 : Blatt 287, 288 Die Märkisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft in Berlin ist berechtigt, auf dem Grundstück Kabelleitungen zu legen, die aber weder vorhandene Gebäude treffen noch die Bebauung gemäß dem bestehenden Fluchtlinienplan beeinträchtigen dürfen. Eingetragen am 18. November 1952 auf Band 1 Blatt 11 und auf Blatt 287 und 288 zur Mithaft übertragen am . . . Dezember i960."

Die Daten der ursprünglichen Eintragung und der Hinweis, daß es sich um eine Übertragung handelt, stellen den Vorrang der übertragenen Belastung vor den am gleichen Tage in Abt. III einzutragenden Kaufgeldhypotheken (D. der Verfügung) klar. 4^*

660

Grundbuchamt — Eintragung der Restkaufgeldhypothek „D. Abt. III Sp. 1—4: Blatt 287 1 1 7 7 5 D M Elftausendsiebenhundertfünfundsiebzig

Blatt 288 I 1 I 12060 D M I Zwölftausendsechzig

Deutsche Mark Kaufgeld, vom 1. Dezember i960 an mit fünf v. H. jährlich zu verzinsen, für die Lichterfelder Dampfziegelei Friedr. Wilh. Wolf Söhne in Lichterfelde. Der Eigentümer hat sich die Befugnis vorbehalten, mit dem Range vor dieser Hypothek eine Baugeldhypothek von 40000 Deutschen Mark, bis zu 8 v. H. verzinslich, eintragen zu lassen unter gleichzeitiger Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Löschung der Baugeldhypothek, falls sie sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigt. Unter Bezugnahme auf die Be.„. 13. Oktober i960 . willigung vom eingetragen am 18. Oktober i960 . . . Dezember i960.

5. Über die Eintragungen zu 4 D ist je ein Brief zu bilden und mit der Schuldurkunde zu verbinden."

Wem sollen die Briefe ausgehändigt werden? Entsprechend dem materiellen Rechtssatz, daß der Gläubiger Briefhypotheken und -grundschulden erst durch die Übergabe des Briefes (oder Übergabeersatz) erwirbt und die Rechte bis dahin dem Eigentümer zustehen (§§ 1 1 1 7 , 1 1 6 3 1 1 BGB), schreibt § 60 1 G B O als Regel die Aushändigung an den Eigentümer vor. Dieser kann sich damit bei der Valutierung der Hypothek sichern, indem er (bei Darlehnshypotheken) Zug um Zug gegen Auszahlung der Darlehnssumme dem Gläubiger den Brief übergibt. Bestimmt aber der Eigentümer in grundbuchmäßiger Form die alsbaldige Aushändigung an den Gläubiger, wie Klose und Sobralla es im Schlußsatz des § 7 der Kaufverträge getan haben, so ist dem zu entsprechen. §§ 60 1 1 , 29 1 S. 1. Das gleiche gilt bei Hypothekenabtretungen. Das Grundbuchamt hat den mit dem Vermerk der Abtretung versehenen Brief grundsätzlich dem bisherigen Gläubiger zurückzugeben, von welchem er eingereicht war, damit er in der Lage ist, den Brief und damit das Hypothekenrecht bis zur Auszahlung des Abtretungsentgelts zurückzuhalten. Anders, wenn der Zedent die Aushändigung an den Zessionar durch beglaubigte Erklärung bestimmt hat ( K G J W 1937, 114). — Der Rechtspfleger verfügt also weiter: „6. Briefe dem Gläubiger aushändigen.

(Beh.-Schein).

7. Beglaubigte Abschriften der Schuldurkunden zu den Akten fertigen. 8. Nachricht von den Eintragungen an: a) Firma Wolf (sämtliche Eintragungen), b) Klose (betr. Bl. 287), c) Sobralla (betr. Bl. 288), d) Meyer — Eigentümer von Bl. 89 — und Schilling (betr. pfandfreie Abschreibung der Parzellen), e) Elektrizitätswerk (von den dieses betreffenden Eintragungen auf den neuen Blättern), f) Katasteramt (Abschreibungen und Auflassung), g) Finanzamt. 9. Verweisungsvermerk zu den Grundakten Bd. 12 Bl. 287 und Bl. 288."

Die Eintragungsverfügung bleibt in den Grundakten des Stammgrundstücks Bl. 1 1 . In den Grundakten der neu angelegten Blätter muß daher angegeben werden, an welcher Stelle die Verfügung über Anlegung dieser Blätter und die ersten Eintragungen auf ihnen zu finden ist (§ 25 n > 1 1 1 GeschO).

661

Grundbuchamt — Hypothekenbrief

K o s t e n . Nach § 8 1 1 KostO soll die Erledigung von Geschäften, die auf Antrag vorzunehmen sind, davon abhängig gemacht werden, daß ein zur Deckung der Kosten hinreichender Vorschuß gezahlt oder sichergestellt wird. In Grundbuchsachen ist hiervon regelmäßig Gebrauch zu machen. Ausnahmen gelten, wenn dem Antragsteller das Armenrecht bewilligt ist, wenn ihm Gebührenfreiheit zusteht, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Verzögerung einen schwer zu ersetzenden Schaden bringen würde oder wenn das Verlangen nicht angebracht ist, z. B. wenn die Berichtigung des Grundbuchs oder die Eintragung eines Widerspruchs beantragt wird. Die Abhängigmachung wird von dem Richter (Rechtspfleger) verfügt. Sie begründet bis zur Zahlung des Vorschusses ein Eintragungshindernis, das Anlaß zum Erlaß einer Zwischenverfügung nach § x 8 G B O gibt, in welcher die Höhe des Vorschusses zu bezeichnen ist und die zweckmäßig mit der etwaigen Erhebung weiterer Beanstandungen verbunden wird ( J F G 15, 315). Der Vorschuß wird von dem Urkundsbeamten berechnet und von dem Zahlungspflichtigen besonders eingefordert. — In unserem Falle erübrigte sich dieses Verfahren, weil die Kosten bei der Einreichung des Antrags durch Kostenmarken gedeckt worden waren. E x p e d i t i o n der H y p o t h e k e n b r i e f e : Der Wortlaut des auf den Grundschuldbrief zu setzenden Vermerks sowie der Briefe über die neuen Kaufgeldhypotheken muß aktenkundig gemacht werden. Das geschieht durch die vom Grundbuchführer zu entwerfende „Expedition": „Vermerk auf dem Grundschuldbrief Abt. III Nr. 9: 275 276 Von dem Grundstück ist Parzelle nach Band 12 Blatt 287, Parzelle nach 237 237 Band 12 Blatt 288 pfandfrei übertragen worden. Das belastete Grundstück besteht nur noch aus den im Bestandsverzeichnis unter der lfd. Nr. 7 eingetragenen Parzellen Kbl. 1 Nr. 221 , Nr. 222 Nr.

223

und Nr.

274

. 75 75 , Hofraum mit Gebäuden Regerstraße Nr. 8, Größe 5 a 82 qm; Garten,

75 237 Größe 2 ha 10 a 28 qm; Acker im Mittelfeld, Größe 1 ha 13 a 73 qm; Ackerstücke Südender Straße Nr. 17—29, Regerstraße Nr. 10—18, 24—28, Größe 83 a 26 qm; Liegenschaftsbuch Nr. 3, Gebäudebuch Nr. 27. Lichterfelde, den . . . Dezember i960. (Siegel)

Das Amtsgericht."

Die Löschung der der Grundschuld im Range vorgesandten Belastungen der II. und III. Abteilung (S. 639, 650) gehört nicht ohne weiteres in den Vermerk, obgleich sie für den Wert der Grundschuld wesentliche Bedeutung hat. Denn diese Löschungen sind keine Eintragungen „bei" der Grundschuld im Sinne der §§ 41, 62 G B O , konnten deshalb auch ohne Vorlegung des Grundschuldbriefs bewirkt werden. Auf Antrag wird aber die Löschung als Ergänzung des Grundbuchauszugs (§ 5 7 1 1 1 ) auf dem Brief vermerkt. Der Brief über die auf Blatt 287 einzutragende Kaufgeldhypothek lautet: »Deutscher Hypothekenbrief über die in dem Grundbuch von Lichterfelde Band 12 Blatt 287 Abteilung III Nr. 1 eingetragenen 1 1 7 7 5 Deutsche Mark.

I n h a l t der E i n t r a g u n g : Nr. 1 : 1 1 7 7 5 (i. W.) Deutsche Mark Kaufgeld, vom 1. Dezember i960 an mit fünf v. H. jährlich zu verzinsen usw. Belastetes

Grundstück:

Das im Bestandsverzeichnis unter der laufenden Nr. der Grundstücke 1 verzeichnete, in der Gemarkung Lichterfelde belegene Ackerstück Regerstraße Nr. 20, Kartenblatt 1 Parzelle 275 , Liegenschaftsbuch Nr. 93. Größe: 7a 85 qm. 237

662

Grundbuchamt — Ausübung des Rangvorbehalts Eigentümer: Bauunternehmer Emil Klose in Lichterfelde.

V o r g e h e n d e oder gleichstehende E i n t r a g u n g e n : Abt. II Nr. i : ein Kabelleitungsrecht, im Range vorgehend. Es haften mit Band i Bl. 11 und Band 12 Bl. 288. Abt. III: keine. Lichterfelde, den . . . Dezember i960. (Siegel)

Das Amtsgericht."

Die Schuldurkunde wird mit dem Hypothekenbrief durch Schnur und Siegel verbunden. §§58 GBO, 50 GBVf. Gezeichnet werden die Hypothekenbriefe sowie der Vermerk auf dem Grundschuldbrief vom Rechtspfleger und Urkundsbeamten. Beide tragen die Verantwortung für Richtigkeit der Urkunden, sie dürfen sich nicht auf die Richtigkeit der Expedition verlassen. R G 77, 423. E i n t r a g u n g einer H y p o t h e k auf Grund Rangvorbehalts. Zwischenverfügung. Zwangshypothek A u s ü b u n g d e s R a n g v o r b e h a l t s . Z u den Grundakten des Grundstücks Lichterfelde Blatt 287, das seit den soben mitgeteilten Eintragungen keine Veränderung erfahren hat, geht nachstehendes Schriftstück ein: „ S c h u l d v e r s c h r e i b u n g und Hypothekenbestellung. Hierdurch bekenne ich, der unterzeichnete Bauunternehmer Emil Klose aus Lichterfelde, der Baugewerbebank eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht in Berlin ein Baugelddarlehn von 40000 DM (i. W.) zu schulden, welches vom 15. Dezember i960 mit jährlich 6% (i. W.) in Vierteljahrsbeträgen nachträglich zu verzinsen und nach dreimonatiger Kündigung zurückzuzahlen ist. Die Kündigung kann, pünktliche Zinszahlung vorausgesetzt, von der Gläubigerin frühestens zum 1. Juli 1966 erklärt werden. Für das vorstehend bezeichnete Darlehn von 40000 DM nebst Zinsen bestelle ich der Gläubigerin Hypothek an dem mir gehörenden Grundstück Lichterfelde Band 12 Bl. 287. Ich unterwerfe mich wegen des Darlehns nebst Zinsen der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde sowohl in mein persönliches Vermögen wie in das Pfandgrundstück Lichterfelde Bl. 287. Die Zwangsvollstreckung soll gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks zulässig sein. Ich bewillige und beantrage die Eintragung der Hypothek und der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung in das Grundbuch, und zwar mit dem Vorrang vor den in Abt. III unter Nr. 1 für die Lichterfelder Dampfziegelei Fried. Wilh. Wolf Söhne eingetragenen 1177 5 DM auf Grund des bei Nr. 1 für mich eingetragenen Rangvorbehalts. Ferner bewillige und beantrage ich die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs, der dem jeweiligen Gläubiger der Post Nr. 1 auf Löschung der neu einzutragenden 40 oöo DM zusteht, wenn und soweit sie sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigen. Lichterfelde, den 12. Dezember i960. Emil Klose. (Beglaubigungsvermerk)." D u r c h die beantragte Hypothekenbestellung w i r d W o l f als G l ä u b i g e r der H y p o thek A b t . I I I N r . 1 betroffen: denn während diese H y p o t h e k , abgesehen v o n der übertragenen Belastung der I I . Abteilung, bisher die erste Rangstelle einnimmt — der eingetragene Rangvorbehalt ist noch keine H y p o t h e k ! — soll sie sich in Z u k u n f t das Recht der B a u g e w e r b e b a n k v o r g e h e n lassen. E s liegt der G e d a n k e nahe, W o l f als Betroffenen zu behandeln und zwecks E i n t r a g u n g des V o r r a n g s f ü r die Baugeldhypothek eine v o n ihm auszustellende Bewilligung zu verlangen. A b e r durch

Grundbuchamt — Zwischenverfügung

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die Einräumung des Rangvorbehalts, zu dessen Entstehung trotz des scheinbar entgegenstehenden Wortlauts des § 881 („vorbehalten") nach dem allgemeinen Grundsatz des § 873 1 Einigung zwischen dem Eigentümer und dem Gläubiger des Vorbehaltsrechts erforderlich ist, hat die Firma Wolf dem Eigentümer das (Gestaltungs-) Recht verliehen, das Rangverhältnis zwischen ihrem Recht und dem Vorrangsrecht zu ändern. Verfahrensrechtlich kommt es auf die Streitfrage nicht an, ob zur Ausübung des Rangvorbehalts materiell außer der Eintragung die einseitige Bestimmung des Eigentümers genügt oder ob Einigung zwischen ihm und dem vortretenden Berechtigten erforderlich ist. Der Brief des zurücktretenden Rechts braucht zur Eintragung der Ausübung des Rangvorbehalts nicht vorgelegt zu werden ( K G J 36A 222). Die Bewilligung Kloses ist jedoch nicht ordnungsgemäß. Regelmäßig genügt zwar Beglaubigung der Unterschrift (§ 29 S. 1). Geschäftsleute, die in Grundbuchsachen Bescheid zu wissen glauben, pflegen sich ihre Hypothekenbestellungen, -abtretungen, -löschungen usw. selbst auszuarbeiten und ziehen erst zur Beglaubigung den Notar zu, weil die bloße Beglaubigung geringere Kosten macht als der Entwurf durch den Notar. Die von Klose erklärte Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung erfordert aber öffentliche Beurkundung ( § § 794®, 800 ZPO). Dieser Formmangel—den der Notar nicht zu beanstanden brauchte, da er mit der Prüfung der von ihm nicht entworfenen Urkunde nicht beauftragt war (S. 427) — steht der Eintragung entgegen. Z w i s c h e n v e r f ü g u n g . Sind Grundbuchanträge zu beanstanden, so wird nach § 18 G B O entweder der Antrag sofort zurückgewiesen, oder dem Antragsteller zur Behebung des Hindernisses eine Frist bestimmt. Die Zurückweisung macht dem Antragsteller Kosten und bringt ihn, falls vor Stellung eines neuen ordnungsmäßigen Antrags andere Rechte beantragt werden, um die Priorität. Ferner erhöht sie die Verantwortlichkeit des Gerichts, denn der Antragsteller hat nicht, wie im Fall der Zwischenverfügung, Gelegenheit, durch Einlegung der Beschwerde einer ungerechtfertigten Abweisung seines Antrags vorzubeugen. Die Wahl zwischen den beiden Verfahrensarten darf nicht willkürlich, sondern nur nach sachlichen Gesichtspunkten getroffen werden, indem das Gericht die verschiedenartigen Interessen abwägt. Handelt es sich um behebbare Mängel, so wird im allgemeinen Zwischenverfügung zu erlassen sein. Daß der Antragsteller sich der Mangelhaftigkeit oder Unvollständigkeit seines Antrags bewußt war, rechtfertigt nicht grundsätzlich die Zurückweisung (RG 126, 107; Riggers, Rpfleger 1957, 181). Die s o f o r t i g e Z u r ü c k w e i s u n g des A n t r a g s ist aber geboten: 1. wenn der Antrag keinesfalls zum Erfolge führen kann, z. B. weil der Antragsteller nicht antragsberechtigt ist oder dem Antrag eine absolute Verfugungsbeschränkung entgegensteht (Konkursvermerk, oben S. 630); weil der Antrag auf die Eintragung eines nicht eintragungsfähigen Rechts gerichtet oder weil ein Recht mit einem unzulässigen Inhalt eingetragen werden soll; anders, wenn nur eine Nebenbestimmung eines eintragungsfähigen Rechts nicht eintragungsfähig ist. 2. wenn nach dem Grundgedanken des § 18 der Rang der beantragten Eintragung auch durch eine spätere Behebung des Mangels nicht gewahrt werden kann. Das ist der Fall: a) wenn bei einer im Wege der Zwangsvollstreckung vorzunehmenden Eintragung die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung noch nicht vorliegen; denn für den Rang des Antrags darf nicht ein Zeitpunkt maßgebend sein, zu dem die Zwangsvollstreckung noch nicht beginnen durfte ( K G J R 1926 Nr. 2048; B a y O b L G Z 1 9 5 6 , 2 1 8 = N J W 1956,1800 = Rpfleger 1957, 22). b) wenn bei einem auf den Nachweis der Unrichtigkeit gestützten Antrag eine Unrichtigkeit des Grundbuchs noch nicht vorliegt, etwa wenn der Antrag auf Eintragung der Pfändung einer Briefhypothek gestellt wird, bevor der Brief in den Besitz des Pfändungsgläubigers gelangt ist (§ 83o 1 S. 1 ZPO), es sei denn, daß es nur an dem Nachweis dieser Tatsache fehlt ( J F G 14, 445). — Wird in den Fällen zu 2 der Antrag nicht zurückgewiesen, der Mangel aber später behoben, so gilt der Antrag im Sinne des § 17 erst als im Zeitpunkt der Behebung

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Grundbuchamt — Antrag auf Zwangshypothek eingegangen (KG J F G 14, 445; J F G 17, 57; BGHZ 27, 310 = NJW 1958, 1090 = MDR 1958, 498 = DNotZ 1958, 480 = Rpfleger 1958, 216 mit Anm. v. Riggers = L M § 867 ZPO Nr. 2 mit Anm. y. Piepenbrock). D e r Rechtspfleger erläßt am 1 4 . Dezember die Z w i s c h e n v e r f ü g u n g : „ 1 . An Klose: In der Grundbuchsache pp stehen der Erledigung Ihres Antrags vom 12. d. M. folgende Hindernisse entgegen: a) Die sofortige Zwangsvollstreckung aus der Hypothek gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks setzt eine öffentlich beurkundete Erklärung des Grundstückseigentümers voraus (§§ 7946, 800 ZPO), während Ihre Hypothekenbestellung lediglich öffentlich beglaubigt ist. b) Die Erledigung des Antrags wird gemäß § 8 1 1 KostO von der Zahlung eines Kostenvorschusses im Betrage von 110 DM abhängig gemacht. Zur Behebung dieser Beanstandungen wird Ihnen gemäß § 18 GBO eine Frist von zwei Wochen gesetzt. (Zust.-Urk.). 2. Am 29. 12."

D i e Z w i s c h e n v e r f ü g u n g muß gemäß § 1 6 1 1 S. 1 F G G förmlich zugestellt werden, da sonst die Frist nicht in L a u f gesetzt wird. A n t r a g auf E i n t r a g u n g einer Z w a n g s h y p o t h e k . „Eingegangen 19. Dezember i960 11 Uhr 35 Minuten. Urkuttd. An das Amtsgericht hier. In der Anlage überreiche ich vollstreckbare Ausfertigung des von mir gegen den Bauunternehmer Emil Klose und seine Ehefrau Hilde geb. Pät^old, beide in Lichterfelde, Herderstraße 101, am 10. Oktober d. J . beim hiesigen Amtsgericht erwirkten Urteils, Aktenzeichen 8 C 566/54, nebst Zustellungsurkunde und beantrage: auf dem Grundbuchblatt des dem Schuldner Emil Klose gehörenden Grundstücks Lichterfelde, Regerstraße Nr. 20, eingetragen im Grundbuch von Lichterfelde Band 12 Blatt 287, wegen der Urteilsforderung nebst Zinsen und Kosten eine Sicherungshypothek einzutragen. Ich bitte um Rückgabe des Schuldtitels. Bruno Preuß Tischlermeister." D i e F o r m e l des überreichten Urteils lautet: „Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger 650,60 DM (i. W.) nebst 6% Zinsen seit dem 1. Oktober i960 zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar." A u f der vollstreckbaren A u s f e r t i g u n g befindet sich der V e r m e r k : „Wegen der Urteilsforderung nebst Zinsen ist heute im Grundbuch des der Beklagten Hilde Klose gehörenden Grundstücks Charlottenburg Bd. 17 Blatt 418 in Abt. III unter Nr. 10 eine Sicherungshypothek eingetragen worden. Berlin-Charlottenburg, den 19. Oktober i960 Urkund, Justizobersekretär" A n t r ä g e auf E i n t r a g u n g einer Z w a n g s - oder Arresthypothek (§§ 866f., 9 3 2 Z P O ) werden v o m Grundbuchrichter unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten geprüft. E i n m a l müssen die allgemeinen G r u n d l a g e n der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g (vollstreckbarer Titel, Klausel, Zustellung usw.) erfüllt sein, denn es handelt sich u m eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung. Andrerseits sind auch die grundbuchrechtlichen Erfordernisse zu wahren, v o r allem die Voreintragung des Betroffenen gemäß § 3 9 1 G B O . D u r c h den Titel w i r d die B e w i l l i g u n g ersetzt, aber nicht in dem Sinne, daß sie (wie bei rechtskräftiger Verurteilung zur A b g a b e v o n Willenserklärungen) als abgegeben gilt, sondern die E i n t r a g u n g erfolgt als Vollstreckungsakt „ a u f G r u n d des

Grundbuchamt — Zwangshypothek

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Schuldtitels" (§ 8 6 6 m S. 2 ZPO), und die Hypothek entsteht „mit der Eintragung" ohne fingierte Einigung. § 867 1 S. 2. Lehnt das Grundbuchamt ab, so sind Rechtsmittel und Instanzenzug der G B O (einfache Beschwerde, weitere Beschwerde bei Gesetzesverletzung) gegeben, nicht diejenigen der ZPO, weil die anzufechtende Verfügung Entscheidung in einer Grundbuchsache ist. BayObLGZ 1956, 218. Die gegenüber dem Preußschen Antrag zunächst auftauchenden Zweifel und Bedenken erweisen sich bei näherer Untersuchung als unbegründet: a) Daß Preuß die Hypothek in unbeglaubigter Form beantragt hat, entspricht dem § 30 GBO. Auch die Vollmacht eines Anwalts, der die Sicherungshypothek für den Gläubiger beantragt, bedarf keiner Beglaubigung. Auch bei der zur Vermeidung der Gesamt-Zwangshypothek in § 867 1 1 Z P O vorgeschriebenen Verteilung der Forderung auf mehrere Grundstücke des Schuldners durch den Gläubiger bzw. seinen Bevollmächtigten handelt es sich um keine „zur Eintragung erforderliche Erklärung" im Sinne des § 30 G B O , und demgemäß bedarf der Antrag keiner Beglaubigung. R G 71, 312. Der Gläubiger gibt nicht durch die Verteilung Rechte auf den Mehrbetrag an den einzelnen Grundstücken auf (die er ja noch gar nicht hat), sondern er stellt einen „reinen" Antrag. Das gilt auch dann, wenn die Verteilung nach Belehrung durch das Grundbuchamt erst nachträglich geschieht; darin liegt keine nach § 31 G B O formbedürftige teilweise Antragsrücknahme (Güthe-Triebel § 19 Anm. 101).

b) Ebenso ist das zu belastende Grundstück durch die Angabe „Lichterfelde Band 12 Blatt 287" im Sinne des § 28 S. 1 G B O ausreichend bezeichnet, nämlich durch Hinweis auf das Grundbuchblatt. Dagegen hätte nur die Angabe der Straße und Hausnummer nicht genügt, sie wäre keine mit dem Grundbuch, also den Angaben im Bestandsverzeichnis „übereinstimmende" Bezeichnung gewesen ( J F G 1 1 , 328). Das Grundbuchamt soll nicht darauf verwiesen werden können, aus dem Eigentümerverzeichnis das gemeinte Grundstück zu ermitteln. c) Der Betrag der Forderung übersteigt die gesetzliche Mindestsumme von 300 D M (§§ 866"i S. 1 ZPO). d) Wird die Sicherungshypothek dadurch ausgeschlossen, daß Preuß schon eine Zwangshypothek auf dem Grundstück in Charlottenburg erwirkt hat? § 867 1 1 untersagt zwar die Gesamt-Zwangshypothek, aber doch nur auf „mehreren Grundstücken des Schuldners", d. h. desselben Schuldners. Haften dagegen mehrere Personen als Gesamtschuldner, so ist es zulässig, die ganze Urteilsforderung auf je einem Grundstück der Schuldner einzutragen. Besteht für die Forderung bereits eine rechtsgeschäftlich bestellte Hypothek, so ist die Eintragung der Forderung als Zwangshypothek auf einem anderen Grundstück des Schuldners unter Kenntlichmachung der Mithaft nach § 48 G B O zulässig, auch wenn die erste Hypothek eine Briefhypothek ist. R G 9 8 , 1 0 6 ; K G J W 1 9 3 8,2847.— Aus der rechtlichen Selbständigkeit der im Bestandsverzeichnis unter besonderer „laufender Nummer" verzeichneten Grundstücke (S. 620) ergibt sich, daß die Belastung aller oder mehrerer auf einem gemeinschaftlichen Grundbuchblatt verzeichneter Grundstücke mit einer Hypothek sich als Gesamthypothek darstellt. Die Zwangshypothek an derartigen Grundstücken muß also auf die verschiedenen laufenden Nummern gemäß § 867 1 1 Z P O verteilt werden. R G 84, 265. Wird das, wie nicht selten, übersehen, so ist die Zwangshypothek nach § 531 S. 2 G B O als inhaltlich unzulässig zu löschen ( R G 163, 125). Deshalb ist bei jedem derartigen Antrag das Bestandsverzeichnis auf Mehrheit von Grundstücken sorgfältig zu prüfen. Hat der Gläubiger die Verteilung unterlassen, so hat er keinen Anspruch auf eine Zwischenverfügung nach § 18 (S. 663); das Grundbuchamt kann ihm statt der sofortigen Zurückweisung des Antrags einen belehrenden Hinweis geben, wodurch aber der Rang des Eingangsdatums nicht gewahrt wird ( B G H Z 27, 310). Im Fall der Verteilung gilt die Mindestsumme von 300 D M nur für die Gesamtsumme, nicht für die einzelnen Teile. R G 84, 265.

e) Was die Kosten anlangt, so haftet das Grundstück für die dem Vollstreckungsschuldner zur Last fallenden Kosten der Eintragung, zu denen auch etwaige Anwalts-

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Grundbuchamt — Vormerkung aus § 18 G B O

kosten für Stellung des Eintragungsantrags gehören, kraft Gesetzes, desgleichen f ü r die Kosten der künftigen, die Befriedigung aus dem Grundstück bezweckenden, dinglichen Rechtsverfolgung. § § 867 1 S. 3 ZPO, 1 1 1 8 B G B . Diese Beträge sind daher nicht eintragungsfähig ( K G J 35A 325). Dagegen nehmen die festgesetzten Kosten des Rechtsstreits, in welchem der Schuldtitel erwirkt wurde, und die Kosten einer früheren Zwangsvollstreckung, über deren Erstattungsfähigkeit das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan nach § 788 Z P O entscheiden kann, nur auf Grund ihrer Eintragung an der dinglichen Sicherung teil. Dazu Löscher, Rpfleger i960, 355. V o r m e r k u n g aus § 18. Da die auf den Antrag vom 12. Dezember gestellte Frist noch läuft, muß gemäß § 1 8 1 1 S. 1 G B O bei Eintragung der Preußschen Zwangshypothek von Amts wegen für die Baugewerbebank eine Vormerkung eingetragen werden, und zwar mit dem Range vor der Zwangshypothek. Erst dadurch erlangt der Eingangsvermerk seinen vollen Wert. Die Vormerkung aus § 18 dient nicht dazu, einen privatrechtlichen Anspruch im Sinne des § 883 B G B , sondern den öffentlich-rechtlichen Anspruch des Antragstellers gegen das Grundbuchamt auf endgültige Bescheidung seines Antrags zu sichern ( J F G 23, 146). § 888 B G B ist daher nicht anwendbar. Deshalb lautet die Fassung der Vormerkung nicht: „Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Einräumung einer Hypothek", sondern richtiger: „Vormerkung zur Sicherung der Eintragung einer Hypothek."

Der Rechtspfleger verfügt: „ 1 . Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Bd. 1 2 Bl. 287, Abt. III: a) Sp. 1 — 3 , Sp. 4 linke Hälfte: 2 | 1 | 40000 D M . Vormerkung zur Sicherung der Eintragung einer Hypothek im Betrage von vierzigtausend Deutschen Mark nebst sechs v. H. Zinsen jährlich für die Baugewerbebank eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht in Berlin, von Amts wegen eingetragen am . . Dezember i960. b) Sp. 1—4: 3 | 1 | 650, 60DM Sicherungshypothek von sechshundertfünfzig Deutschen Mark 60 Pfennigen nebst 6 v. H. Zinsen seit dem 1. Oktober 1960 für den Tischlermeister Bruno Preuß in Lichterfelde aus dem vollstreckbaren Urteil des Amtsgerichts . in Lichterfelde vom 10. Oktober i960. Das Grundstück Charlottenburg Bd. 17 Blatt 418 haftet mit. Im Wege der Zwangsvollstreckung eingetragen am . . . Dezember i960. 2. Nachricht von der Eintragung zu b zu den Grundakten von Charlottenburg Bd. 17 Bl. 4 1 8 . "

Gemäß § 48 G B O soll der dortige Sachbearbeiter die Mithaft von Lichterfelde Bl. 287 von Amts wegen in seinem Grundbuch vermerken. Aus der Eintragung soll auch ersichtlich sein, daß die Sicherungshypothek im Wege der Zwangsvollstreckung entstanden ist, weil die Zwangshypothek gegenüber der rechtsgeschäftlich bestellten Sicherungshypothek Unterschiede aufweist, die sich aus den §§ 867 1 S. 3, 868 ZPO ergeben. Erfolgt die Eintragung im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens, so muß auch dies vermerkt werden, weil aus einer solchen Hypothek nach § 5 2 PrVO vom 15. November 1899, § 372 AbgO ohne besonderen Titel die Zwangsvollstrekkung wegen des dinglichen Anspruchs auch gegen den Rechtsnachfolger des Eigentümers zulässig ist ( K G J 49, 228). „ j . Beglaubigte Abschrift des Urteils zu den Grundakten fertigen. 4. Urteil demnächst mit Vermerk über die Eintragung an Preuß zurückgeben. (Beh.-Schein)"

Der Vermerk (s. Beispiel S. 664) ist durch § 867 1 S. 1 ZPO vorgeschrieben. „ 5 . Nachricht an: a) Eigentümer, b) Baugewerbebank, c) Preuß. 6. Vorlegung 29. 12. bleibt."

Grundbuchamt — Ausnutzung des Rangvorbehalts

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Wird der Antrag des Klose nach fruchtlosem Fristablauf zurückgewiesen, so muß die Vormerkung von Amts wegen gelöscht werden, so bald die Zurückweisung wirksam geworden ist, nämlich durch Bekanntmachung an Klose (§ 1 6 1 FGG). Wird die Beanstandung noch vor der Hinausgabe des zurückweisenden Beschlusses behoben, so darf das Grundbuchamt den Beschluß nicht mehr absenden. Der Referendar: Hätte die Eintragung der Vormerkung aus § 1 8 1 1 S. 1 nicht im vorliegenden Fall unterbleiben können, weil zugunsten der Baugewerbebank ohnehin der Rangvorbehalt besteht? Der Richter: Der Rangvorbehalt sichert nach seinem Inhalt der Bank nur den Vorrang vor der Wolfschen Kaufgeldhypothek. Nun hat diese Hypothek allerdings den Rang vor der Zwangshypothek. Es gibt aber außer der absoluten Rangordnung auch relative Rangverhältnisse, Abweichungen von der durch die Reihenfolge der Eintragung gegebenen „natürlichen" Rangordnung, die nur relativer Natur sind. Wenn wir die Preußsche Sicherungshypothek oder irgendein sonstiges Recht, das keinen Vorrang oder Rangvorbehalt zugunsten der Baugewerbebank bewilligt hat, eintragen, ohne die 40000 D M der Baugewerbebank wenigstens vorzumerken, so würden diese zwar vor Wolf, aber hinter Preuß stehen. Vgl. § 8 8 i l v . E n d g ü l t i g e E i n t r a g u n g der H y p o t h e k . Am 21. Dezember geht mit dem erforderten Kostenvorschuß Ausfertigung einer notariellen Verhandlung ein, in welcher Klose die Hypothekenbestellung vom 12. Dezember wiederholt. Verfügung: „ 1 . Einzutragen in das Grundbuch von Lichterfelde Bd. 12 Bl. 287 in Abt. III: a) Sp. 4, rechte Hälfte, zur lfd. Nr. 2: Umgeschrieben in eine Hypothek für ein Baugelddarlehn der Baugewerbebank eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht in Berlin von vierzigtausend Deutschen Mark, vom 15. Dezember i960 mit 6 v. H. verzinslich. Der jeweilige Eigentümer ist der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Unter Ausnutzung des Rangvorbehalts mit dem Range vor der Post Abt. III Nr. 1 unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 20. eingetragen am . . . Dezember 1906."

Die Unterwerfung muß im Grundbuch selbst eingetragen werden, Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung würde nicht genügen. § 8001 S. 2 ZPO. Erfolgt bei der Hypothek später eine Veränderung, die den Umfang des Rechts erweitert, z. B. eine Zinserhöhung, so ist (was häufig übersehen wird) abermals eine öffentliche Urkunde mit Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung aufzunehmen, und bei Eintragung der Veränderung die Unterwerfung zu vermerken. K G J 52, 190; K G DNotZ 1954, 199. Wird dagegen ein auf demselben Grundbuchblatt verzeichnetes Grundstück durch einen in der Veränderungsspalte eingetragenen Mithaftvermerk nachträglich mit Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung mitbelastet, so bezieht sich der Mithaftvermerk ohne weiteres auch auf die in der Hauptspalte eingetragene Unterwerfungsklausel ( B G H Z 26, 344 = N J W 1958, 630 = DNotZ 1958, 252). >.b) Sp. 5—7 1 | 1 1 7 7 5 D M | Der vorbehaltene Vorrang vor diesem Recht ist der Post Abt. III Nr. 2 eingeräumt. Eingetragen am . . . . Dezember 1960." Die Eintragung über die Ausübung des Rangvorbehalts muß nicht nur zum Ausdruck bringen, daß das Recht den Vorrang vor dem Vorbehaltsrecht hat, sondern auch, daß es das Recht ist, welches den Vorbehalt in Anspruch nimmt. Der bloße Vermerk: „ . . . mit dem Range vor . . . " würde eine Rangänderung nach § 880 B G B bezeichnen und, wenn Zwischenrechte vorhanden sind, das Grundbuch unrichtig machen ( J F G 6 , 309). Deshalb ist für die Eintragung bei beiden Rechten (§ 18 G B V f ) die vorstehende Fassung gewählt worden. ,,c) Sp. 5—7: 2 | 40000 D M | Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Löschung der Post Nr. 2, wenn und soweit sie sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigt,

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Grundbuchamt — Rangvorbehalt und Zwangsvollstreckung für den jeweiligen Gläubiger der Post Nr. i unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 20. eingetragen am . . . Dezember i960. 2. Eintragung der Vormerkung Abt. III Nr. 2 in Sp. 4 linke Hälfte rot unterstreichen. 3. Über die Eintragung Abt. III Nr. 2 ist ein Brief zu bilden, mit der Schuldurkunde zu verbinden und dem Grundstückseigentümer Klose auszuhändigen. (Beh.-Schein)"

§ 60 1 GBO. Es war keine abweichende Bestimmung nach Abs. II getroffen. „4. Beglaubigte Abschrift der Schuldurkunde zu den Akten fertigen. 5. Nachricht . . . . " § 881 I V B G B : Infolge der Eintragung der Vormerkung und der rechtzeitigen Beseitigung des Eintragungshindernisses haben die 40000 D M der Baugewerbebank den Vorrang nicht nur vor den 1 1 7 7 5 D M der Wolfschen Kaufgeldhypothek, sondern auch vor der Preußschen Zwangshypothek erhalten. Wie hätten sich die Rangverhältnisse gestaltet, wenn das Grundbuchamt den Antrag vom 12. Dezember sofort zurückgewiesen hätte, oder wenn die Frist der Zwischenverfügung von Klose nicht eingehalten worden wäre? In diesem Fall hätte Preuß die zweite Stelle endgültig für sich belegt, und die Eintragung der Baugeldhypothek wäre nur noch hinter Preuß möglich gewesen. Auch dann konnte der Baugeldhypothek auf Grund des Rangvorbehalts der Vorrang vor Nr. 1 beigelegt werden, doch durfte die Rangverschiebung zu keiner Benachteiligung des Preuß führen. In dem unterstellten Falle gehen also dem Preuß nur die 1 1 7 7 5 D M des Wolf im Range vor, weil er der Baugeldhypothek seinerseits den Vorrang nicht eingeräumt hatte. Reicht bei der Zwangsversteigerung der Erlös nicht für alle drei Hypotheken, so ist zunächst festzustellen, wie viel Preuß bekommen kann. Mehr als n 77 5 D M braucht er sich nicht vorgehen zu lassen; er kommt also voll zur Hebung, sobald 12425,60 D M geboten werden. Sodann muß Wolf der über 40000 D M erzielte Erlös bis zu 51775 D M zugeteilt werden; denn er wollte sich auf Grund des Rangvorbehalts 40 000 DM, nicht mehr, vorgehen lassen (§ 88i I V ). Mithin geht die Preußsche Eintragung, wenn mehr als 1 1 7 7 5 DM, aber weniger als die zur vollen Deckung aller drei Hypotheken erforderlichen 52425,60 D M geboten sind, zu Lasten der Baugewerbebank. 1. Beispiel: Erlös 50000 DM. Preuß erhält 650,60, Wolf 10000, für die Bank bleiben 39349,40DM. 2. Beispiel: Erlös 10000 DM. Preuß erhält nichts, ebenso Wolf, die Bank 10000 DM. 3. Beispiel: Erlös 20000 DM. Preuß erhält 650,60, die Bank 19349,40 DM, Wolf geht leer aus. Die (bei einer wirklichen Zwangsversteigerung sehr ins Gewicht fallenden) Zinsen- und Kostenansprüche sind in diesen Berechnungen überall außer Betracht gelassen. Hätte Preuß beantragen können, seine Zwangshypothek in Ausübung des Rangvorbehalts mit dem Range vor der Wolfschen Hypothek einzutragen, unterstellt, der Rangvorbehalt sei noch nicht ausgenutzt gewesen ? Die Zulässigkeit dieses Verfahrens könnte mit der Erwägung begründet werden, daß der Schuldner grundsätzlich die Vollstreckung in sein gesamtes Vermögen, insbesondere auch in ein ihm gehörendes Grundstück ohne Einschränkung zu dulden habe, also auch in den einen Bestandteil seines Vermögens bildenden Rangvorbehalt, und daß er deshalb dem Gläubiger die bestmögliche Rangstelle zur Verfügung stellen müsse; seine Bewilligung werde durch das Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan ersetzt. Gleichwohl ist die Frage mit dem B G H ( B G H Z 12, 238), Baur, § 17 C I , Rosenberg, ZPO, 8. Aufl. § 206 1 1 2 und Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. § 432 gegen Stein-Jonas-Schönke, ZPO, 18. Aufl. § 867 Anm. I V 2 und Staudinger-Seufert, B G B , 1 1 . Aufl. § 881 Anm. 15 d zu verneinen. Die Begründung der Entscheidung des B G H , in der im wesentlichen auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten abgestellt wird, befriedigt allerdings nicht und die Kritik von Staudinger-Seufert aaO ist deshalb, soweit sie sich gegen die Gründe des B G H richtet, nicht ungerechtfertigt. Durchschlagend sind jedoch folgende Erwägungen (vgl. Jansen, N J W 1954, 1291): Aus den §§ 857 1 , 810 ZPO, § 20 Z V G , § 93 B G B ist der Rechtssat2i abzuleiten, daß Teile und Bestandteile eines Grundstücks nicht Gegenstand einer Sondervollstreckung sein können (Rosenberg aaO, § 189 I I 1). Der zugrunde liegende Gedanke ist, daß eine wirtschaftliche Einheit nicht zerschlagen werden soll. Dieser Rechtssatz gilt auch für den Rangvorbehalt. E r steht nach § 8 8 1 1 1 1 B G B dem jeweiligen Eigentümer zu, ist also mit dem Eigentum am Grundstück verbunden. E r „gilt" daher nach § 96 B G B als Bestandteil des Grundstücks, d. h. unbeschadet seiner Natur als Recht, die trotz der Verbindung mit dem Grundstück gewahrt bleibt, ist er den für Grundstücksbestandteile geltenden Bestimmungen unterworfen (Wolff-Raiser, aaO, § 43 I ; Rosenberg, Sachenrecht, § 881 I V 3). Dies ist der tragende Grund dafür,

Grundbuchamt — Höchstbetragshypothek

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warum der Rangvorbehalt im Wege der Sondervollstreckung nicht erfaßt werden kann, und zwar weder im Wege der Pfändung oder Hilfspfändung noch in Verbindung mit der Eintragung einer Zwangshypothek. Als Grundstücksbestandteil kann er vielmehr nur zusammen mit dem Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung erfaßt werden und geht mit dem Zuschlag auf den Ersteher über.

Umwandlung einer Höchstbetragshypothek in eine Grundschuld Auf dem Fabrikgrundstück der „Opta" Fernmeldeanlagen GmbH, ist in Abt. III unter Nr. 4 eingetragen: „120000 D M Sicherungshypothek zum Höchstbetrag von einhundertzwanzigtausend Deutschen Mark für den Bankier Rudolf Reich in Berlin wegen aller Forderungen aus der Geschäftsverbindung mit der „Opta" Fernmeldeanlagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Lichterfelde, eingetragen am 19. September 1952."

Dahinter unter Nr. 5 30000 D M Darlehnshypothek des Fräulein Margarete Loening. Am 15. De2ember 1958 sind vor dem Notar Siegel erschienen: „ 1 . der Prokurist Gustav Rodewald aus Berlin, 2. der Ingenieur Direktor Paul Knebel, 3. der Prokurist Bernhard siust, zu 2 und 3 aus Lichterfelde, 4. das Fräulein Margarete Loening aus Berlin. Die Persönlichkeit der Erschienenen Her Rodewald vertritt in dieser Verhandlung den Bankier Rudolf Reich aus Berlin auf Grund der ihm von Herrn Reich erteilten Prokura. Herr Knebel ist Geschäftsführer, Herr Aust Prokurist der „Opta" Fernmeldeanlagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Lichterfelde, die laut Gesellschaftsvertrag entweder durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten wird, und geben ihre Erklärungen namens der genannten Gesellschaft ab. Herr Reich und die „Opta" Fernmeldeanlagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung vereinbarten folgendes: Die für Herrn Reich auf dem Grundstück der „Opta" Fernmeldeanlagen, Grundbuch von Lichterfelde Band 9 Blatt 221, in Abt. III unter Nr. 4 eingetragene Höchstbetragshypothek von 120000 D M (i. W.) wird in eine Grundschuld zum gleichen Betrage umgewandelt, welche vom 1. Januar 1959 ab mit jährlich 8% verzinslich und drei Monate nach Kündigung fällig ist. Die „Opta" Fernmeldeanlagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung unterwirft sich wegen der Grundschuld der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde in das Grundstück. Die Zwangsvollstreckung soll gegen den jeweiligen Eigentümer zulässig sein. Die Eigentümerin willigt darein, daß dem Gläubiger jederzeit auf seinen einseitigen Antrag eine vollstreckbare Ausfertigung dieser Verhandlung ohne den urkundlichen Nachweis der Tatsachen erteilt wird, von denen die Fälligkeit der Grundschuld abhängt. Die Grundschuld behält, auch wegen der Zinsen, den bisherigen Rang der Höchstbetragshypothek vor der unter Nr. 5 eingetragenen Darlehnshypothek von 30000 DM. Herr Reich bewilligt, die „Opta" Fernmeldeanlagen GmbH, bewilligt und beantragt die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch sowie die Aushändigung des zu bildenden Grundschuldbriefes an den Gläubiger. Fräulein Loening erklärt ihr Einverständnis mit der Eintragung des Vorrangs der Grundschuldzinsen vor der ihr zustehenden Post Abt. III Nr. 5. Die Kosten übernimmt die „Opta" Fernmeldeanlagen GmbH. (Vorlesung, Genehmigung, Unterschriften)"

Der Notar überreicht Ausfertigung der Urkunde, den Brief über die Loeningsche Darlehnshypothek und zum Nachweis der Prokura des Rodewald ein Zeugnis des

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Grundbuchamt — Höchstbetragshypothek

Registergerichts. Die in der Verhandlung über die Vertretungsverhältnisse der GmbH, gemachten Angaben werden durch das Handelsregister bestätigt. — Die Höchstbetragshypothek ist eine Unterart der Sicherungshypothek. Ihre Besonderheit Hegt darin, daß nur der Höchstbetrag, bis zu dem das Grundstück haften soll, bestimmt und im übrigen die Feststellung der Forderung vorbehalten wird (§ 1190 1 ). Bis dahin ist die Last eine vorläufige Eigentümergrundschuld, die durch die Feststellung der Forderung auflösend bedingt ist (so Güthe-Triebel, § 22 Anm 14, 15), nach der Rechtsprechung allerdings schon durch die Entstehung der Forderung (RG GruchBeitr 58, 665; R G 125, 133; K G J F G 2, 443); jedoch erkennt auch das Reichsgericht an, daß die dem Eigentümer in Höhe des jeweils nicht ausgefüllten Teils der Hypothek zufallende Eigentümergrundschuld (§ 1 1 6 3 1 S. 2) wegen ihrer Bedingtheit nicht geltend gemacht werden kann, solange das Kreditverhältnis nicht endgültig gelöst ist (RG J W 1934, 1780). Bestimmt im Sinne des § 1 1 1 3 und des Bestimmtheitsgrundsatzes des Grundbuchrechts ist nur der Höchstbetrag der Geldsumme, der nach § 1190 1 S. 2 in das Grundbuch eingetragen werden muß. Denn im Interesse der Gläubiger nachstehender Grundpfandrechte muß der Umfang der Belastung nach oben in jedem Falle feststehen. Die Forderung aber ist innerhalb des Höchstbetrages unbestimmt und im Rahmen des gesicherten Forderungskreises frei auswechselbar (§ H9o I V ). Dadurch wird die Umständlichkeit einer Forderungsauswechselung nach § i i 80 durch Einigung und Eintragung vermieden. Dank dieser Elastizität eignet diese Hypothekenart sich gerade als Sicherheit für Kontokorrentkredite, bei denen ja die Forderungen täglich wechseln. Sie hat aber vom Standpunkt des Gläubigers Nachteile, welche Reich durch die Umwandlung beseitigen will: 1. Sie ist stets Sicherungshypothek (§ 1 1 9 0 1 1 1 ) . Dem Gläubiger kommt daher für seine actio hypothecaria die Grundbuchvermutung in Ansehung der persönlichen Forderung nicht zugute (§§ 891, 1138, 1 1 8 5 1 1 ) , vielmehr muß er die Höhe seiner Forderung besonders beweisen. 2. Die Zinsen werden in den Höchstbetrag eingerechnet (§ 1190 1 1 ). Auf die Höchstbetragshypothek von 120000 D M darf also Reich nur diejenige Summe kreditieren, die mit Hinzurechnung der bis zur Realisierung auflaufenden Zinsen 120000 D M ergibt. Dagegen haftet das Grundstück für die Kosten der dinglichen Rechtsverfolgung auch bei der Höchstbetragshypothek über die eingetragene Hypothekensumme hinaus ( § 1 1 1 8 ) . 3. Die dingliche Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gemäß den § § 794®, 800 ZPO ist regelmäßig nicht zulässig und nicht eintragungsfähig, weil die Forderung unbestimmt ist. Nur wenn innerhalb des Höchstbetrags die Forderung in Höhe einer Teilsumme bestimmt ist, kann für diesen Teilbetrag, nicht aber wegen des vollen Höchstbetrags, die Klausel eingetragen werden (BayObLG N J W 1954, 1808). Aus all diesen Gründen wird die Höchstbetragshypothek im Bankverkehr mehr und mehr durch die Grundschuld verdrängt. Die G r u n d s c h u l d ist eine von dem Bestehen einer Forderung unabhängige, nicht akzessorische Belastung des Grundstücks (§ 1 1 9 2 1 BGB). Sie kann beliebig verzinslich (§ 1 1 9 1 1 1 ) und vollstreckbar gemacht werden, gleichviel ob dem Gläubiger zur Zeit Forderungen gegen den Grundstückseigentümer in Höhe der Grundschuld zustehen oder nicht und ob diese Forderungen sich in Zukunft ändern werden. Die Banken lassen sich die Grundschuld als „verdeckte Höchstbetragsgrundschuld" bestellen, indem die Parteien für das Innenverhältnis vereinbaren, daß sie zur Sicherung aller Ansprüche aus der Geschäftsverbindung dienen soll. So erlangt die Bank eine dingliche Haftung des Grundstücks für ihre jeweiligen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung ohne die Mängel der Höchstbetragshypothek. Durch die Umwandlung wird also die bisher bestehende akzessorische Sicherheit (weitere Beispiele: Bürgschaft, Pfandrecht) in eine fiduziarische Sicherheit (weitere Beispiele: Sicherungsübereignung, Sicherungszession) verwandelt.

Grundbuchamt — Grundschuld

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Die n i c h t a k z e s s o r i s c h e N a t u r d e r G r u n d s c h u l d bedeutet ebensowenig wie bei anderen abstrakten Rechtsverhältnissen eine völlige Loslösung vom Kausalverhältnis. In der Regel liegt der zu Sicherungszwecken bestellten Grundschuld ein K r e d i t e r ö f f n u n g s v e r t r a g zugrunde (dazu Godin in H G B - R G R K 2.Aufl. §349 Anm. 58; Staudinger, B G B , 1 1 . Aufl. Vorb. 5 vor §607). Gelangt die zu sichernde Forderung nicht zur Entstehung oder erlischt sie, so hat der Grundschuldbesteller aus der Sicherungsabrede einen vertraglichen Rückgewähranspruch, den er nach seiner Wahl auf Rückübertragung, Löschung oder Verzicht auf die Grundschuld ( § § 1 1 9 2 , 1 1 6 9 B G B ) richten kann ( B G H L M Nr. 1 zu § 1 1 6 9 ; Westermann, Sachenrecht, § 1 1 6 I I I 1 a; Baur, Sachenrecht, § 45 I I ; Dempewolf, N J W 1958, 673). Hat der Eigentümer die Grundschuld ohne rechtlichen Grund bestellt, so kann er sie vom Gläubiger nach § 812 kondizieren, und er kann die Kondiktion auch einredeweise gegenüber der dinglichen Grundschuldklage geltend machen. I m Verhältnis des Eigentümers zum ersten Grundschuldgläubiger bewirkt also die Unabhängigkeit der Grundschuld von der Forderung letzten Endes nur eine Umkehr der Beweislast. Der Zessionar der Grundschuld aber muß sich die exceptio doli entgegenhalten lassen, wenn er beim Erwerb wußte, daß der Zedent keine Rechte aus der Grundschuld geltend machen konnte. R G 91, 218. Man hat die Grundschuld den „Wechsel des Grundstücksverkehrs" genannt, und in der Tat entspricht die Behandlung der Einwendungen aus dem Kausalgeschäft durchaus dem Recht des Wechsels und der sonstigen Orderpapiere. Sogar „Gefälligkeits-Grundschulden", die eine vollständige Parallele zum Gefälligkeitsakzept und -giro darstellen, können wir im Rechtsverkehr beobachten. Gelangt das belastete Grundstück zur Zwangsversteigerung und beansprucht der Grundschuldgläubiger nur einen Teilbetrag, so hatte die Rechtsprechung früher angenommen, daß der Rest der Grundschuld „ins Leere falle", d. h. der Nachhypothekar aufrücke. R G 78, 60 lehnt diese Ansicht ab und führt die nicht akzessorische Ausgestaltung der Grundschuld folgerichtig durch (ebenso B G H J Z 1957, 623 = M D R 1958, 24 mit Anm. v. Thieme = Rpfleger 1958, 5 1 ; dazu Wörbelauer, N J W 1958, 1705). E s muß also für den eingetragenen Gläubiger der volle Grundschuldbetrag eingesetzt werden (§ 1 1 4 Z V G ) , und dem Besteller der Grundschuld, dem Subhastaten also nur, wenn er mit diesem personengleich ist, steht lediglich ein Bereicherungsanspruch auf den Mehrbetrag zu, den er abtreten und der von seinen Gläubigern gepfändet werden kann. Unter Umständen entspricht aber die Erklärung des Gläubigers den Erfordernissen eines (teilweisen) Hypotheken Verzichts (§ 1168 B G B ) : alsdann geht der auf den verzichteten Teil entfallende Anteil am Versteigerungserlös mit dinglicher Wirkung auf den Subhastaten über. Der Verzicht kann auch zwischen dem Zuschlag und der Erlösverteilung erklärt werden und bedarf dann keiner Eintragung in das Grundbuch, weil die Grundschuld mit dem Zuschlag erloschen ist (§§ 52, 9 1 1 Z V G ; R G J W 1 9 3 1 , 2735). Eine andere Seite der Grundschuld tritt in dem Institut der E i g e n t ü m e r g r u n d s c h u l d zutage. Der romanistische Grundsatz, daß das Eigentum alle an der Sache denkbaren Befugnisse in sich schließe und deshalb dem Eigentümer an seiner Sache kein anderes dingliches Recht zustehen könne (nemini res sua servit), ist insoweit, als es sich um nachträgliches Erlöschen durch Konsolidation handelt, für Grundstücksrechte völlig aufgegeben (§ 889), für das Mobiliarpfandrecht eingeschränkt (§ 1256). Die Rechtsprechung hält auch nicht mehr daran fest, daß Rechte der zweiten Abteilung nur dann wirksam begründet werden könnten, wenn der Berechtigte und der Eigentümer des belasteten Grundstücks verschiedene Personen sind. Insbesondere ist es für zulässig erklärt worden, daß der Eigentümer zweier Grundstücke zugunsten des einen Grundstücks eine Grunddienstbarkeit an dem anderen bestellt ( R G 142, 231). Daher kann die bei Parzellierungen oft notwendige Bestellung wechselseitiger Baubeschränkungen, Grenzmauer-, Wegerechte usw. für die Teilgrundstücke schon vor deren Umschreibung auf die Erwerber stattfinden. Die Bedürfnisse des Siedlungswesens haben sogar dazu geführt, die Bestellung eines Erbbaurechts für den Eigentümer (Wohnungsbaugenossenschaft) zuzulassen ( O L G Düsseldorf, N J W 1957, 1 1 9 4 = D N o t Z 1958, 423). Was die Grundpfandrechte betrifft, so muß die E i g e n t ü m e r h y p o t h e k des § 1 1 6 } B G B und der verwandten Bestimmungen zunächst für einen fremden Gläubiger eingetragen gewesen sein. Nur bei der G r u n d s c h u l d gestattet § 1196, daß sie von Anfang an für den Eigentümer bestellt wird. Diese Eigentümergrundschuld aus § 1 1 9 6 ist sehr beliebt geworden, weil sie das Grundstück wirtschaftlich „mobilisiert" und dadurch Kreditoperationen erleichtert: im Brief der Eigentümergrundschuld verkörpert sich ein größerer oder geringerer Teil des Grundstückswertes, und es ist einfacher und billiger, mit der Grundschuld dingliche Sicherheit zu bestellen, als mit dem Grundstück selbst. Auch die Eigentümergrundschuld kann trotz des § 1 1 9 7 von Anfang an verzinslich und mit Unterwerfungsklausel eingetragen werden, denn die Beschränkungen des § 1 1 9 7 können später wegfallen ( K G H R R 1928 Nr. 2 3 1 8 ;

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Grundbuchamt — Prokura und Grundbuch

B G H D N o t Z 1958, 579 mit Arnn. v. Hieber). Streitig ist, ob auch der P f a n d g l ä u b i g e r durch §1197 BGB gehindert wird, aus einer verpfändeten oder gepfändeten Eigentümergrundschuld die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g in das Grundstück zu betreiben. Die h.M. versagt ihm diese Befugnis mit der Begründung, er könne nicht mehr Rechte geltend machen als der Eigentümer (KG JW 1938, 2494; OLG Düsseldorf NJW i960, 1723; Horber, NJW 1955, 184; Baur, Sachenrecht, § 46 I 4). Sie verweist den Pfandgläubiger darauf, die Umwandlung in eine Fremdgrundschuld herbeizufuhren, indem der Vertragspfandgläubiger nach dem Eintritt der Pfandreife den Anspruch auf Abtretung der Grundschuld an Zahlungs Statt geltend macht (§§ 1291, 12821 S. 3) oder der Pfändungsgläubiger sie sich an Zahlungs Statt überweisen läßt (§835 ZPO); dann gilt er jedoch wegen seiner Forderung als befriedigt, selbst wenn er später in der Zwangsversteigerung einen Ausfall erleidet. Deshalb dürfte wohl die gegenteilige Meinung den Vorzug verdienen (OLG Köln, N J W 1959, 2167; Westermann, NJW i960, 1723; Stöber, Rpfleger 1958, 339). Einen ähnlichen rechtlichen Erfolg wie durch die Sicherungsgrundschuld hätte Reich auch erzielen können, wenn er sich eine Verkehrs-Briefhypothek für ein Darlehn in Höhe von 120000 DM hätte bestellen lassen, und wenn gleichzeitig im Innenverhältnis vereinbart worden wäre, daß das Darlehn durch die aus der Geschäftsverbindung erwachsenden Darlehns-, Vorschuß-, Provisionsusw. Forderungen valutiert wird. Dann wäre die dingliche Vollstreckungsklausel ebenfalls möglich gewesen (sog. verdeckte Höchstbetragshypothek, vgl. RG 60, 243; 152, 219; BayObLG NJW 1954, 1808; Bedenken dagegen bei Westermann, Sachenrecht, §11113).

Die Umwandlung der Höchstbetragshypothek in eine Hypothek von festem Betrag oder in eine Grundschuld ohne Zustimmung nachstehender Berechtigter entspricht dem Grundsatz der Auswechselbarkeit der Grundpfandrechtsformen (S. 634). Eine Feststellung der Forderung setzt die Umwandlung in eine Grundschuld nicht voraus (Palandt, § 1 1 9 0 Anm. 5). Ebenfalls ohne Zustimmung der Nachhypothekare darf bei einer Festhypothek oder Grundschuld, die durch Umwandlung aus einer Höchstbetragshypothek entstanden ist, über den Höchstbetrag hinaus eine 5%ige Verzinsung vereinbart werden, allerdings erst vom Tage der Eintragung der Umwandlung an (§ 1 1 1 9 1 , dazu R G 60, 243; K G J 40, 321). Da hier mehr als 5% vereinbart worden sind, war die Zustimmung des Frl. Loening in grundbuchmäßiger Form und die Vorlegung ihres Briefes ( § 4 1 GBO) notwendig. Reicht die Vertretungsmacht der auf beiden Seiten tätigen Prokuristen für die Umwandlung aus ? Nach § 49 H G B darf der Prokurist alle Arten von gerichtlichen oder außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen vornehmen, die der Betrieb irgendeines Handelsgewerbes mit sich bringt (hierzu können auch Grundstücksgeschäfte gehören), doch ist er zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken nur auf Grund besonderer Ermächtigung befugt. Das eingereichte Registerzeugnis enthält keine die gesetzlichen Befugnisse des Prokuristen erweiternde „Immobiliarklausel". Rodewald hat aber gar nicht Grundstücke veräußert oder belastet, sondern lediglich den Inhalt des seinem Vollmachtgeber zustehenden hypothekarischen Rechts abgeändert. Dagegen stellt die von dem Prokuristen Aust zusammen mit dem Geschäftsführer Knebel für die „Opta" abgegebene Erklärung in der Tat eine durch § 49 nicht gedeckte Erweiterung der Grundstücksbelastung dar. Die Vertretung einer GmbH, durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen ist im Gesetz nicht vorgesehen, wird jedoch entsprechend den für andereHandelsgesellschaften maßgebenden § § 1 2 5 1 1 1 S. 1 H G B , 7 1 1 1 1 S. 1 AktG zugelassen. Wenn nun der Prokurist gewissermaßen zur Ergänzung der gesetzlichen Vertreter tätig wird, so muß seine Vertretungsmacht den gleichen Umfang haben wie diejenige eines Gesellschaftsorgans. Darum bleibt die Einschränkung des § 49 1 1 außer Anwendung. Staub 5 zu § 50; R G 134, 306. Eintragung in der Veränderungsspalte (5—7). „4. 120000 DM. Umgewandelt in eine vom 1. Januar 1959 an mit 8 v. H. verzinsliche und drei Monate nach Kündigung fällige Grundschuld. Die sofortige Zwangsvollstreckung ist gegen den jeweiligen Eigentümer zulässig. Eingetragen am . . . Dezember 1958."

Grundbuchamt — Eigentümerhypothek und -grundschuld

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Eines Vermerks über den Vorrang der 5 % übersteigenden Zinsen vor Nr. 5 bedarf es nicht, da die Eintragung in der Veränderungsspalte im Zweifel den Rang der Haupteintragung teilt. R G 132, 106. Dagegen wäre, wenn Frl. Loening nicht eingewilligt hätte, bei Nr. 4 zu vermerken gewesen, daß die Mehrzinsen den Rang nach der Post Abt. III Nr. 5 haben. Unter keinen Umständen darf die Eintragung einer Zinserhöhung deshalb abgelehnt werden, weil die Vorrangseinräumung der nachstehenden Berechtigten fehlt. Umwandlung einer Eigentümergrundschuld in eine Hypothek. Tod des Vollmachtgebers Die dritte Hypothek des auf den Namen des Hüttendirektors Großkopf eingetragenen, jetzt seinen Erben gehörenden Geschäftsgrundstücks Ohlauerstraße 15 ist vom Gläubiger, Gutsbesitzer Wunderlich, zur Rückzahlung am 2. Januar 1959 (§193 B G B ) gekündigt worden. Wunderlich hoffte, mit seiner Kündigung eine Zinssteigerung zu erzielen, doch hat der Grundstücksverwalter Redlich dies abgelehnt und in der Person des Photographen Schmeichel einen neuen Geldgeber gefunden, der die Hypothek zum unveränderten Zinssatz auf mehrere Jahre fest übernimmt. Jetzt soll die Hypothekenablösung durchgeführt werden. In der Regel werden derartige Fälle so erledigt, daß der bisherige Gläubiger gegen Zahlung des Hypothekenkapitals den Brief und eine auf den neuen Gläubiger lautende öffentlich beglaubigte Abtretungserklärung aushändigt. Wunderlich hat aber, ärgerlich über den Mißerfolg seines Kündigungsmanövers, abgelehnt, andere Erklärungen als diejenigen, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist, abzugeben. Er ist nur zur Ausstellung einer beglaubigten („löschungsfähigen") Quittung bereit. Ihn zur Ausstellung einer Abtretungsurkunde oder Umschreibungsbewilligung zu zwingen, fehlt die rechtliche Handhabe. Im Verhältnis zu Wunderlich erscheint die Zahlung, die Schmeichel an ihn leisten soll, als für Rechnung der Großkopfschen Erben bewirkt. Daraus folgt gemäß §§ 362, 1 1 6 3 1 S. 2, 1 1 7 7 1 , daß Wunderlichs Darlehnsforderung erloschen und die Post als Grundschuld auf die Eigentümer übergegangen ist. Die von Wunderlich auszustellende beglaubigte Quittung weist gemäß § 22 1 S. 1 G B O die Großkopfschen Erben dem Grundbuchamt als Inhaber der Grundschuld aus, über die sie nunmehr zugunsten Schmeicheis weiter verfügen können. Da aber Schmeichel keine Grundschuld, sondern eine Hypothek wünscht, muß ein neues Darlehnsverhältnis begründet und die Grundschuld in eine Hypothek für dieses Darlehn zurückverwandelt werden (§ 1198 BGB). Welchen rechtlichen Inhalt haben E i g e n t ü m e r h y p o t h e k - und - g r u n d s c h u l d , u n d w i e w e r d e n sie v e r w i r k l i c h t ? Das Gesetz bestimmt nur negativ, daß der Eigentümer keine Zwangsvollstreckung zum Zwecke seiner Befriedigung betreiben kann (§ 1 1 9 7 1 ) und daß ihm Zinsen grundsätzlich nicht zustehen (§ 1 1 9 7 1 1 ) . Positiv sind folgende Möglichkeiten von Bedeutung: 1. Der Eigentümer verfügt über das durch die E . repräsentierte, dem Eigentum gegenüber verselbständigte begrenzte Recht am eigenen Grundstück, indem er es, wie hier, in eine Hypothek umwandelt und dann an einen Dritten abtritt. 2. E r tritt die E . ohne Umwandlung ab. Dann wird sie in der Hand des Zessionars Fremd-Grundschuld mit dem gewöhnlichen Inhalt. Handelt es sich nicht um eine von Anfang an für den Eigentümer eingetragene Eigentümergrundschuld (§ 1196), so richten sich Verzinsung, Fälligkeit usw. nach der früheren Forderung (§ 1 1 7 7 1 S. 2). 3. Wechselt das Grundstückseigentum ohne gleichzeitige Übertragung der E . auf den neuen Eigentümer, so verwandelt sie sich ebenfalls in eine Fremd-Grundschuld. 4. Wird in der — von einem anderen betriebenen — Zwangsversteigerung die E., die außerhalb des geringsten Gebots steht, durch das Heistgebot gedeckt, so hat der Eigentümer Anspruch auf den Kapitalbetrag der E . In der Regel machen Zessionare oder Pfändungsgläubiger des Eigentümers dieses Recht geltend. 5. In der von einem anderen betriebenen Zwangsverwaltung kann der Eigentümer Zinsen von der E . liquidieren (§ 1 1 9 7 1 1 ) , weil er die Nutzungen des Grundstücks nicht mehr zieht. 43

L a x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Grundbuchamt — Vollmacht

Im übrigen hindert die E. vor allem das Aufrücken der Nachhypotheken. Die gesetzlichen Fälle der E. beruhen wesentlich auf dem Gedanken, daß die Post dem Gläubiger einerseits nicht mehr zustehen kann und daß es andrerseits ungerechtfertigt wäre, die Nachhypothekare — die vielleicht gerade wegen der ihnen vorgehenden Post hohe Zinsen und scharfe Kündigungsbedingungen gefordert und erhalten hatten — ohne jede Gegenleistung aufrücken zu lassen. Vgl. z. B. § 1170 BGB, § 868 ZPO. Der Unterschied, ob der Eigentümer die Hypothek mit oder ohne die Forderung erwirbt („Eigentümerhypothek" und „Eigentümergr und schuld" oder nach Dernburg: „forderungsbekleidete" und „forderungslose" Eigentümerhypothek), hat, solange die Vereinigung besteht, keine praktische Bedeutung. Im zweiten Fall „verwandelt" sich die Hypothek in eine Grundschuld, für deren Verzinsung usw. die für die Forderung getroffenen Bestimmungen „maßgebend bleiben" (§ 1177 1 ). i m ersten bleibt sie Hypothek, aber die Rechte des Eigentümers „bestimmen sich" nach den für Eigentümergrundschulden geltenden Vorschriften (§ 1177 1 1 ). Forderungsbekleidet kann die EigentümerHypothek in der Regel nur sein, wenn der persönliche Schuldner nicht mit dem Eigentümer identisch ist. Anders aber z. B., wenn der Gläubiger den Eigentümer und persönlichen Schuldner beerbt hat und Nachlaß Verwaltung angeordnet wird. Dann gilt die Vereinigung von Forderung und Schuld nach § 1976 als nicht eingetreten. Die durch die Nachlaß Verwaltung begründete Gütersonderung bewirkt, daß es so anzusehen ist, als seien Gläubiger und Eigentümer verschiedene Personen. Der Erbe kann also trotz des § 1197 die Zwangsversteigerung des Nachlaßgrundstücks betreiben. — Tritt der Eigentümer die forderungsbekleidete Hypothek ab, so gelten die §§ 1137, 1138. Folgende Urkunden werden aufgenommen und dem Grundbuchamt eingereicht: „Quittung. Für mich, den Gutsbesitzer Emil Wunderlich in Ochsdorf, haftet im Grundbuch von Lichterfelde Band 30 Blatt 750 in Abt. III unter Nr. 3 eine mit 8% verzinsliche Darlehnshvpothek von 40000 DM (i. W.). Ich bekenne, wegen Forderung und Zinsen von den Grundstückseigentümern, nämlich dem Gutsbesitzer Frit% Großkopf in Karolinenhof, Kreis Hameln, und dem volljährigen Fräulein Thea Großkopf in Bonn, heute befriedigt worden zu sein. Berlin, den 2. Januar 1959. Emil Wunderlich. (Beglaubigungsvermerk)" „Verhandelt Lichterfelde, den 2. Januar 1959. Vor dem unterzeichneten Notar usw. erschienen: 1. der Grundstücks Verwalter Gotthard Redlich aus Lichterfelde, Ringstr. 47, 2. der Photograph Hermann Scbmeichel aus Lichterfelde, Sandstr. 1 1 . Die Persönlichkeit der Erschienenen Herr Redlich legte folgende Urkunde vor: „Vollmacht. Hierdurch bevollmächtige ich den Grundstücksverwalter Gotthard Redlich, alle mir im Bezirk des Amtsgerichts Lichterfelde gegenwärtig oder in Zukunft gehörenden Grundstücke, Rechte an Grundstücken und Wertpapiere zu verwalten und rechtsgeschäftliche Erklärungen aller Art bezüglich der vorbezeichneten Gegenstände für mich abzugeben, auch Rechtsstreitigkeiten über sie in meinem Namen zu führen. Mein Bevollmächtigter soll insbesondere befugt sein, grundbuchmäßige Bewilligungen und Eintragungsanträge aller Art bezüglich der Grundstücke und Grundstücksrechte zu erklären. Er kann Darlehen, die durch Eintragung auf einem mir gehörenden Grundstück gesichert werden sollen, in meinem Namen vereinbaren und entgegennehmen. Zur Erteilung von Auflassungen und zumVerkauf von Grundstücken ist er nicht berechtigt. Den Wert dieser Erklärung gebe ich auf 100000 DM an. zur Zeit Reichenhall, den 28. Juni 1956. Maximilian Großkopf.

Grundbuchamt — Voreintragung des Betroffenen

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Die vorstehende, vor mir gefertigte Namensunterschrift des gegenwärtig in Bad Reichenhall, Sanatorium Quisisana, sich aufhaltenden Hüttendirektors Maximilian Großkopf aus Salzgittqr beglaubige ich. Bad Reichenhall, den 28. Juni 1956. (Siegel) Huber, Notar. Er legte ferner den Erbschein nach Maximilian Großkopf vom 19. August 1956, Geschäftsnummer 4 VI 65/56 des Amtsgerichts Salzgitter, vor und erklärte, daß er in dieser Verhandlung die Maximilian Großkopfschea Erben, nämlich den Gutsbesitzer Fritz Großkopf in Karolinenhof, Kreis Hameln, und das volljährige Fräulein Thea Großkopf in Bonn, vertrete, für welche die Vollmacht vom 28. Juni 1956 fortbesteht. Hierauf erklärten die Erschienenen, Herr Redlich namens seiner Vollmachtgeber: Im Grundbuch von Lichterfelde Band 30 Blatt 750 — Ohlauerstraße 15 — ist in Abt. III unter Nr. 3 eine Darlehnshypothek von 40000 DM, zu 8% verzinslich, eingetragen, welche durch Zahlung auf die Erben des eingetragenen Eigentümers Maximilian Großkopf übergegangen ist. Die Großkopjsehen Erben haben von Herrn Schmeichel ein bares Darlehn von 40000 DM (i. W.) erhalten, welches vom 1. Januar 1959 a b mit jährlich 8% (i. W.) in Vierteljahrszahlungen nachträglich zu verzinsen und drei Monate nach Kündigung zurückzuzahlen ist. Das Darlehn kann frühestens zum 1. Januar 1963 gekündigt werden, jedoch ist der Gläubiger berechtigt, sofortige Rückzahlung zu fordern, wenn eine Zinsrate nicht bis zum fünften Tage nach Fälligkeit bezahlt sein sollte. Zur Sicherheit für das gewährte Darlehn treten die Groß köpf sehen Erben die durch Zahlung auf sie übergegangene Eigentümergrundschuld Abt. III Nr. 3 von 40000 DM unter Übergabe des Briefes an Herrn Schmeichel ab, indem sie im Einverständnis mit dem Gläubiger die Grundschuld in eine Hypothek für das Darlehn von 40 000 DM nebst 8% Zinsen seit 1. Januar 1956 umwandeln. Die Großkopfschea Erben beantragen, sie im Grundbuch von Lichterfelde Band 30 Blatt 750 als Eigentümer einzutragen. Die Großkopf sehen Erben sowie Herr Schmeichel bewilligen und beantragen, den Ubergang der Hypothek als Grundschuld auf die Eigentümer, ihre Abtretung an Herrn Schmeichel und die Umwandlung in eine Darlehnshypothek in das Grundbuch einzutragen und den Brief dem Gläubiger Schmeichel unmittelbar auszuhändigen. Den Erbschein bitten sie Herrn Redlich zurückzugeben. Die Kosten übernehmen die Großkopfsehen Erben. (Vorlesungs- und Genehmigungsvermerk, Unterschriften.)" Der gleichfalls überreichte Erbschein weist Fritz und Thea Großkopf als Erben ihres Vaters Maximilian Großkopf je zur Hälfte aus. Der Hypothekenbrief liegt bei. — Die Einreichung der Redlichschen Vollmacht wird dadurch, daß der Notar ihren Inhalt in der Verhandlung wiedergegeben hat, ersetzt ( R G 104, 361). Ihre im Protokoll bescheinigte Vorlegung begründet für Schmeichel den Schutz seines guten Glaubens, falls etwa die Vollmacht widerrufen sein sollte. Vgl. § 29 BNotO und „Kraftloserklärung von Vollmachten" (16. Kap.). Ist die Vollmacht durch den Tod des Maximilian Großkopf erloschen? Der Text der Urkunde besagt nichts darüber. Gemäß § 168 B G B kommt es auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis an. Ist dieses ein Auftrag oder, wie hier, ein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungsinhalt (§§ 672, 675), so kann das Grundbuchamt grundsätzlich das Fortbestehen der Vollmacht über den Tod hinaus annehmen ( K G H R R 1934 Nr. 36). Die Erklärungen des Redlich sind so zu behandeln, als hätten die Erben selbst sie abgegeben. Der Fall einer „Bewilligung des Erblassers" (§ 40 1 G B O ) liegt also nicht vor. V o n der Zwischeneintragung der Erben könnte aber auch abgesehen werden, wenn es sich nur um eine Rechtsübertragung, verbunden mit einer Inhaltsänderung, handelte (S. 645). Die Erben wandeln zwar durch Redlich die Grundschuld in eine Hypothek um. Das ist aber nicht der Grund, weshalb auch die Eintragung der Maximilian Großkopfschen Erben als Eigentümer beantragt wird. Die Erben müßten nämlich gemäß § 39 1 zuvor als Gläubiger der aus der bisherigen Hypothek des Wun43*

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Grundbuchamt — Teilabtretung einer Briefhypothek

derlich entstandenen Eigentümergrundschuld auch dann eingetragen werden, wenn sie bereits als Eigentümer des Grundstücks in A b t . I verzeichnet wären. D a s K G hat zwar in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß die Voreintragung des E i g e n tümers nicht erforderlich ist, wenn er über eine ihm als Eigentümergrundschuld zugefallene Hypothek verfügen will, weil der Eigentümer stets als m ö g l i c h e r eingetragener Inhaber der auf seinem Grundstück lastenden Hypotheken anzusehen ist ( K G J 4 5 , 2 6 9 ; J F G 1 , 487). Handelt es sich aber, wie hier, u m die U m w a n d l u n g der zur Grundschuld gewordenen Hypothek nach § 1 1 9 8 in V e r b i n d u n g mit der A b t r e tung des dinglichen Rechts, so genügt nicht der Abtretungs- und U m w a n d l u n g s vermerk, sondern es muß auch gebucht werden, daß die Hypothek als Grundschuld auf den Eigentümer übergegangen ist, denn andernfalls wäre der V e r m e r k der A b tretung unter U m w a n d l u n g in eine Hypothek unverständlich, da es die U m w a n d l u n g einer Hypothek in eine Hypothek gleicher A r t nicht gibt ( K G J 4 5 , 2 8 5 ; K G J W 1 9 3 3 , 2010). D i e V o r e i n t r a g u n g des B e t r o f f e n e n verfolgt einen dreifachen Zweck: 1. Dem Grundbuchamt soll die Legitimationsprüfung erleichtert werden, da es grundsätzlich den Eingetragenen als den wahren Berechtigten ansehen kann (§ 891). 2. Die Eintragung des Berechtigten begründet für ihn einen gewissen Schutz dagegen, daß ein anderer unbefugt über das Recht verfügt. 3. Der Rechtsstand des Grundbuchs soll nicht nur im Endziel richtig, sondern in allen Entwicklungsstufen klar und verständlich wiedergegeben werden ( R G 1 3 3 , 383; B G H N J W 1955, 1877). Ist aber der durch die Eintragung Betroffene Erbe des eingetragenen Berechtigten und ist die Bewilligung vom Erblasser erteilt, so braucht der Erbe nicht einmal dann eingetragen zu werden, wenn Veränderungen oder neue Rechte einzutragen sind (§ 40 1 ). Die gleiche Vergünstigung genießen Bewilligungen eines Nachlaßverwalters oder sonstigen Nachlaßpflegers (§ 40 1 ) oder Testamentsvollstreckers (§ 40 1 1 ), die gleichsam als Fortsetzung der vermögensrechtlichen Persönlichkeit des Erblassers erscheinen. Hätte Großkopf einen Testamentsvollstrecker bestellt, so wäre die Voreintragung der Erben (die nicht unerhebliche Kosten verursacht) wegen dieser Hypothekenablösung nicht notwendig gewesen. — Der Satz, daß die Bewilligung des Bevollmächtigten wie eine von den Erben selbst erklärte aufzufassen sei, bedeutet nicht etwa, daß bei Minderjährigkeit eines Erben vormundschaftsgerichtliche Genehmigung beigebracht werden müßte. Auf Grund der Erklärung des Erblassers besitzt der Bevollmächtigte (bis zum Widerruf) die Fähigkeit, Bewilligungen mit verbindlicher Wirkung für die Erben abzugeben. R G 88, 345; J F G iz, 274. Eintragungen: „ A . Abt. I Sp. 1—4: Sp. 1 : 2 Sp. 2: a) Gutsbesitzer Fritz Großkopf in Karolinenhof, Kreis Hameln, b) Thea Großkopf in Bonn in ungeteilter Erbengemeinschaft. Sp. 3: 1 Sp. 4: Auf Grund des Erbscheins des Amtsgerichts Salzgitter vom 19. August 1956 — 4 V I 63/56 — eingetragen am . . . Januar 1959. B. Abt. III Sp. 5—7: 3. 40000 DM. Als Grundschuld auf die Eigentümer übergegangen und unter Umwandlung in eine Hypothek für ein vom 1 . Januar 1959 mit 8 v. H. verzinsliches Darlehn an den Photographen Hermann Schmeichel in Lichterfelde abgetreten. Eingetragen unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 2. am . . . Januar 1959." Teilabtretung. Ordnungswidrig bewirkte Eintragungen I m Grundbuch v o n Lichterfelde Band 1 4 Blatt 403 ist seit Jahren eine Hypothek v o n 25 000 D M f ü r den Privatmann B l u m eingetragen. Während der Gerichtsferien hat B l u m über einen dem Rest v o n 13 000 D M im Range vorgehenden Teilbetrag

Grundbuchamt — Vorlegung des Hypothekenbriefs

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von 12000 D M beglaubigte Abtretungserklärung eingereicht. Eintragung in Sp. , Veränderungen". „3a | 12000 DM | Zwölftausend Deutsche Mark nebst Zinsen seit dem 1. Oktober 1958, dem Rest im Range vorgehend, abgetreten an den Montagemeister Friedrich Stolpe in Lichterfelde. Eingetragen am 13. August 1958. Schnell. Fahrig,."

Als das Aktenstück bei späterer Gelegenheit dem Richter in die Hand kommt, stellt er fest, daß bei der Umschreibung vom 13. August 1958 kein Brief vorgelegen hat, obgleich das Grundbuch nichts über die Ausschließung der Brieferteilung besagt (§ 1 1 1 6 BGB), und auch tatsächlich ein Brief gebildet worden war. Wie ist die Rechtslage, und was soll geschehen? Die Umschreibung von Briefhypotheken im Grundbuch hat bekanntlich keine rechtsändemde Bedeutung. Nach § 115 4 ist sie zur Übertragung des Gläubigerrechts nicht notwendig, sondern es genügt Einigung über den Forderungsübergang (§ 398), schriftliche Abtretungserklärung und Übergabe des Briefes. Die Eintragung der Abtretung im Grundbuch ersetzt zwar die schriftliche Abtretungserklärung, nicht aber die Übergabe des Briefes (§ 1 1 5 4 1 1 ) . Sondervorschriften über T e i l a b t r e t u n g e n bestehen nicht. Es wird also darauf ankommen, ob eine Übergabe oder Ersatzübergabe des Briefes stattgefunden hat. Bei Teilabtretungen „kann" (§1152), nicht „muß", ein Teilbrief hergestellt und dem Zessionar ausgehändigt werden. Hat Blum den vorhandenen Brief über 2 5 000 D M an Stolze übergeben, so wäre die Abtretung durch Übergabe wirksam vollzogen. Hat Blum den Brief behalten und verabredet, daß er zugleich als unmittelbarer Besitzer den Brief für Stolze verwahre, so liegt darin ein zur Übertragung der Teilhypothek ausreichender Übergabeersatz durch Besitzkonstitut (§§ 1 1 5 4 1 S- 1, 1 1 1 7 1 S. 2, 930). Ja, vielleicht befindet sich sogar Stolze längst im Besitz eines ordnungsmäßigen Teilbriefes: denn Teilbriefe können, außer vom Grundbuchamt, von jedem Notar oder Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit ausgefertigt werden. § 61 GBO. Denkbar wäre es aber auch, daß die Parteien irrtümlich eine Besitzübertragung für überflüssig hielten und die Sache mit der Umschreibung im Grundbuch für erledigt ansahen; dann wären die 12000 D M in Wahrheit nicht auf Stolze übergegangen und das Grundbuch wäre unrichtig. Der in §41 aufgestellte G r u n d s a t z der B r i e f v o r l e g u n g verfolgt einmal den Zweck, die Legitimation des Bewilligenden klarzustellen (die Grundbucheintragung allein reicht hierzu nicht aus, weil der Eingetragene gemäß § 1154 B G B außerhalb des Grundbuchs über die Post verfügt haben könnte). Außerdem soll im Interesse des geschäfdichen Verkehrs die dauernde Übereinstimmung von Brief und Grundbuch gewahrt werden, indem die bei der Hypothek bewirkte Eintragung alsbald vom Grundbuchamt auf dem Brief vermerkt wird. § 62 GBO. Ausnahmsweise bedarf es der Briefvorlegung nicht: 1. zur Eintragung gewisser Widersprüche (§ 4 1 1 S. 2), 2. wenn der Brief im Aufgebotsverfahren für kraftlos erklärt oder durch Ausschließung des Gläubigers kraftlos geworden ist; Löschungen erfolgen dann auf Grund des Ausschlußurteils, während zu sonstigen Verfügungen zunächst ein neuer Brief gebildet werden muß, wozu es eines Antrags bedarf, vgl. §§ 4 1 1 1 GBO, 1162, 1 1 7 0 1 1 S. 2, 1 1 7 1 1 1 S. 2 B G B , 1018 ZPO, 3. zur Löschung ausgefallener Hypotheken auf Ersuchen des Versteigerungsrichters ( § 1 3 1 Z V G ) , 4. zur Eintragung des Konkursvermerks auf Ersuchen des Konkursrichters (arg. § 1 1 3 2 KO). 5. zur Eintragung des allgemeinen Veräußerungsverbots im Konkurseröffnungsverfahren (§§ 106, 1 1 3 ) und Vergleichsverfahren (§§ 59, 61 VerglO) auf Ersuchen des Konkurs- bzw. Vergleichsgerichts, 6. nach Landesrecht bei Eintragungen auf Grund eines Unschädlichkeitszeugnisses. Die Umschreibung vom 13. August 1955 läßt sich durch keine Sondervorschrift rechtfertigen, sie stellt ein klares Versehen des Grundbuchamts dar.

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Grundbuchamt — Bedeutung des Hypothekenbriefs

Z u r A u s n a h m e des § 4 1 1 S. 2 G B O : Das Gesetz befreit den Widerspruch nur dann von der Briefvorlegung, wenn er durch einstweilige Verfügung angeordnet ist (nicht also den seltenen bewilligten Widerspruch), und wenn er sich darauf gründet, daß entweder die Hypothek oder die Forderung nicht bestehe oder einer Einrede unterliege oder daß die Hypothek unrichtig eingetragen sei. Der Widerspruch muß sich also gegen die ursprüngliche Eintragung richten, während Widersprüche gegen nachträgliche Veränderungen bei Hypotheken (z. B. Umschreibungen, Rangänderungen) nicht bevorzugt sind. Zur Eintragung von Vormerkungen bedarf es ausnahmslos des Briefes. Soweit zur Eintragung eines Widerspruchs oder einer Vormerkung der Brief gebraucht wird, ist seine Beschaffung Sache des an der Eintragung Interessierten. In der Regel wird er die Anordnung, daß der Gegner den Brief dem Grundbuchamt vorzulegen habe, durch einstweilige Verfügung leicht erwirken können; für Widersprüche gibt § 896 B G B sogar einen besonderen Hilfsanspruch. Die Vollziehung der Anordnung bereitet freilich oft erhebliche Schwierigkeiten. Gegebenenfalls Offenbarungseid aus § 883 Z P O l K a n n man s i c h auf d e n I n h a l t des H y p o t h e k e n b r i e f s v e r l a s s e n ? Abweichungen zwischen Brief und Grundbuch kommen vor: I. in den oben zu 1 bis 6 aufgeführten Fällen, II infolge von Versehen, sei es daß von vornherein wesentliche Angaben des Grundbuchs nicht in den Brief aufgenommen sind, oder daß man den Vermerk nach § 62 G B O vergessen oder unvollständig gemacht, oder endlich (wie in unserem Fall) zu Unrecht eine Grundbucheintragung ohne Briefvorlegung bewirkt hat. Endlich kann III. der Brief, auf den ein gutgläubiger Erwerber vertraut, nach den unter 2 aufgeführten Bestimmungen krafdos geworden sein. Welches sind dann die Rechtsfolgen ? a) Allerdings ist der Hypothekenbrief ein (sachenrechtliches) Wertpapier, denn die Geltendmachung des Rechts ist an die Innehabung des Papiers geknüpft (§§ 1 1 5 4 , 1160, 1 1 6 1 , 1144); er ist aber nicht Legitimationspapier, denn Eigentümer oder Schuldner können nicht ohne weiteres an den Inhaber mit befreiender Wirkung leisten, sondern müssen dessen Berechtigung prüfen. Der Hypothekenbrief ist also kein Inhaberpapier (anders der Inhabergrundschuldbrief, § 1195), sondern Rektapapier, d. h. das Recht aus dem Papier folgt nicht dem Recht am Papier, sondern die Übertragung des verbrieften Rechts zieht den Erwerb des Eigentums am Papier nach sich ( § 9 5 2). E r ist auch kein Wertpapier öffentlichen Glaubens. Nur das Grundbuch, nicht der Brief genießt öffentlichen Glauben. Aber der Brief ist geeignet, den öffentlichen Glauben des Grundbuchs zu zerstören. Die Berufung auf die Votschriften der §§ 892, 895 ist ausgeschlossen, wenn die Unrichtigkeit des Grundbuchs aus dem Brief oder einem auf ihn gesetzten Vermerk, z. B. einer Teilquittung (§§ 1 1 4 5 1 S. 2, 1 1 5 0 , 1167) hervorgeht oder wenn auf dem Brief ein Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs, der auch privaten Ursprungs sein kann, vermerkt ist (§§ 1140, 1157). In den Fällen I und I I entscheidet also über die dingliche Rechtslage der Inhalt des Grundbuchs. Der kraftlose Brief (III) hat jede Wirkung verloren. E s gibt keinen Rechtssatz, der den guten Glauben an die Gültigkeit einer für krafdos erklärten Urkunde schützt. b) Staatshaftung gegenüber dem Geschädigten aus § 839 B G B , Art 34 G G kommt natürlich nur in Betracht, wenn die Nichtübereinstimmung des Briefes mit dem Grundbuch durch schuldhafte Außerachtlassung der Pflichten eines Grundbuchbeamten hervorgerufen war und nicht auf einem der Rechtsätze unter I oder I I I beruht. Hierbei entsteht die Frage, ob der Anspruch durch eigenes Verschulden des Geschädigten gemäß § 254 B G B ausgeschlossen wird, weil er ja aus dem Grundbuch die wahre Rechtslage hätte ersehen können. Mit Recht lehnt das R G in J W 1 9 2 9 , 7 7 2 " d a s mitwirkende Verschulden ab. Hypothekenbriefe haben den Zweck, die grundbuchrechtlichen Verhältnisse zweifelsfrei kundzutun und die Einsicht des Grundbuchs selbst für den Verkehr entbehrlich zu machen. Daß ganz besonders vorsichtige Gläubiger vielleicht außer dem Brief auch das Grundbuch einsehen, muß außer Betracht bleiben.

Wie wir von der Erbscheinseinziehung (S. 589) wissen, sind fehlerhafte Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen rückgängig zu machen. Für o r d n u n g s w i d r i g zustande g e k o m m e n e G r u n d b u c h e i n t r a g u n g e n ist § 53 G B O maßgebend, welcher zwei Gruppen von Fällen unterscheidet. Erweist sich die Eintragung als „nach ihrem Inhalt — in abstracto — unzulässig", so wird sie von Amts wegen gelöscht. Dieser Tatbestand kann vorliegen, wenn a) die Eintragung ein überhaupt nicht eintragungsfähiges Recht verlautbart, z. B. ein Mietrecht (Grundsatz der geschlossenen Zahl der Sachenrechte) oder eine nicht eintragungsfähige öffentliche Last ( § 5 4 GBO) oder b) wenn das Recht nicht mit dem ge-

Grundbuchamt — Amtswiderspruch

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setzlich gebotenen Inhalt eingetragen ist, z. B. fehlende Angabe des Berechtigten, die auch durch Bezugnahme nicht gedeckt sein würde, Eintragung eines bedingten Eigentumsübergangs (§ 9 2 5 1 1 ) , Eintragung eines Rechts ohne Angabe seines wesentlichen Inhalts (oben S. 638) oder c) wenn das Recht mit einem gesetzlich unzulässigen Inhalt eingetragen ist, z. B. eine Zwangshypothek als Gesamthypothek, Eintragung eines Erbbaurechts oder eines Heimstättenvermerks nicht zur ersten Rangstelle ( O L G München J F G 21, 16).

Im übrigen (bei den „versehentlichen" Eintragungen) findet lediglich die Eintragung eines Widerspruchs von Amts wegen statt. Das hängt mit dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs zusammen. Einer an sich inhaltlich möglichen Eintragung kann niemand den Mangel ihres Zustandekommens ansehen: daher wird hier zunächst nur der Widerspruch eingetragen, um für die Zukunft gutgläubigen Erwerb zu verhindern, und die endgültige Löschung dem späteren Antragsverfahren (Berichtigung auf Bewilligung des Betroffenen oder auf Grund eines gegen ihn ergangegen rechtskräftigen Urteils, § 894 ZPO) vorbehalten. Bei den inhaltlich unzulässigen Eintragungen fällt diese Rücksichtnahme fort, weil durch sie ohnehin kein Gutgläubiger Rechte zu erlangen vermag, darum werden sie alsbald gelöscht. Es darf aber nicht übersehen werden, daß nunmehr der ursprüngliche Antrag noch unerledigt ist und die Eintragung nachgeholt werden muß, sofern der jetzige Grundbuchstand es zuläßt, d.h. wenn der Bewilligende noch als Berechtigter eingetragen ist und unbeschadet inzwischen erworbener Rechte Dritter, also an jetzt bereitester Rangstelle. Die Eintragung eines Amtswiderspruchs setzt nach § 5 3 1 S. 2 voraus, daß das Grundbuchamt unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften eine Eintragung bewirkt hat, durch die das Grundbuch unrichtig geworden ist. Die Gesetzesverletzung muß objektiv feststehen. Sie muß für die Eintragung, wenn auch nicht für die Unrichtigkeit, ursächlich gewesen sein. Bei der Verschiedenartigkeit der Grundsätze, auf denen materielles und formelles Grundstücksrecht beruhen (S. 636), brauchen die beiden Voraussetzungen nicht zusammenzutreffen. Bisweilen wird ja das Grundbuch gerade durch Befolgung der Vorschriften der GBO mit Notwendigkeit unrichtig (z. B. § 21 GBO gegen § 876 BGB, oben S. 621, oder wenn die Briefhypothek für den Gläubiger eingetragen wird, obwohl er die Hypothek erst mit der Übergabe des Briefes erwirbt, § 1117 1 ). Umgekehrt bleibt das Grundbuch mit der materiellen Rechtslage im Einklang, wenn unter Verletzung des § 29 GBO auf unbeglaubigte Bewilligung eine Hypothek eingetragen wurde, die Beteiligten sich aber formlos gemäß § 873 B G B geeinigt hatten, oder wenn unter Nichtbeachtung des § 3 5 GBO einer Verfügung des richtigen Erben stattgegeben wurde, der nur durch eigenhändiges Testament ausgewiesen ist. In den allerwenigsten Fällen kann das Grundbuchamt mit Sicherheit wissen, wie die wirkliche Rechtslage ist. Da es sich um einen vorläufigen und dabei sehr eiligen Rechtsbehelf handelt, muß es zur Anwendung des § 5 3 schon genügen, daß das Grundbuchamt bei gewissenhafter Prüfung die Unrichtigkeit des Grundbuchs als glaubhaft ansieht. J F G 7, 253; K G DNotZ 1956, 195. Dabei hat es seine Ermittlungspflicht (§ 12 FGG) auch darauf zu erstrecken, ob das Grundbuch nicht inzwischen durch einen möglicherweise vorliegenden gutgläubigen Erwerb richtig geworden ist (KG JW 1933, 2709). Zum Begriff der Gesetzesverletzung lies B G H Z 3°> 2 5 5Darnach wäre die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Umschreibung der 12 000 DM auf Stolze in Erwägung zu ziehen, wenn nicht der Amtswiderspruch ebenfalls unter der Regel der Briefvorlegung stände (§ 53 11 ). Der Widerspruch soll sich gegen die Eintragung einer Veränderung richten, zählt mithin nicht zu den Fällen des § 4 1 1 S. 2. Es kommt also alles darauf an, den Brief zur Stelle zu schaffen. Soweit in den Ausnahmefällen Widersprüche ohne Briefvorlegung einzutragen sind, hat das Grundbuchamt den Besitzer des Briefes durch Ordnungsstrafen, gege-

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Grundbuchamt — Teilhypothekenbrief

benenfalls durch unmittelbaren Zwang, zur Vorlegung anzuhalten, damit die Eintragung nachträglich auf dem Briefe vermerkt werden kann. §§ 6 2 1 1 G B O , 33 F G G . Darf das gleiche Verfahren eingeschlagen werden, wenn das Grundbuchamt die SollVorschrift des §.4i I S. 1 G B O übersehen hat? R G 83, 290 verneint, weil das Grundbuchwesen auf dem Parteibetrieb beruht und weil „die Interesssen fahrlässiger Antragsteller und unvorsichtiger Grundbuchbeamter die Anwendung staatlichen Zwanges nicht rechtfertigen können". Die Angelegenheit muß also auf dem Prozeßweg ausgetragen werden und der Geschädigte sich äußerstenfalls an den Fiskus halten. Um weiterzukommen, bestellt der Richter (§ 1 7 1 Nr. 1 RechtspflG) Blum und Stolze zur Rücksprache mit der Aufforderung, den Hypothekenbrief mitzubringen: N a c h t r ä g l i c h e B i l d u n g des T e i l b r i e f s . Auf die Ladung erscheinen: „ 1 . der Privatmann August Blum, 2. der Montagemeister Friedrich Stolpe und erklären: beide aus Lichterfelde, ausgewiesen durch Der Brief über die in Abt. III unter Nr. 3 eingetragenen 25000 DM befindet sich bis jetzt in alleiniger Verwahrung des Erschienenen zu 1 Blum. Eine Vereinbarung darüber, daß Blum den Besitz gleichzeitig für Herrn Stolpe ausübt, ist nicht getroffen worden. Nunmehr beantragt Herr Blum, über die an Herrn Stolpe abgetretenen 12000 DM einen Teilbrief zu bilden und an Herrn Stolpe auszuhändigen. Er überreicht den Brief über 25 000 DM, den er nach Bildung des Teilbriefs an ihn zurückzugeben bittet, und übernimmt die Kosten. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben: August Blum. Friedrich Stolze." Beglaubigung des Antrags ist nicht erforderlich, weil der Teilbrief nicht zu den Voraussetzungen der Eintragung gehört und es sich daher um einen „reinen" Antrag handelt (§ 30). Ebensowenig Zustimmung des Grundstückseigentümers (§ 1 1 5 2 S. 1 BGB). — Verfügung: „ 1 . Teilbrief bilden, mit beglaubigter Abschrift der Schuldurkunde verbinden und an Stolpe aushändigen. 2. Bildung des Teilbriefs auf dem bisherigen Brief vermerken." § 6 1 1 1 1 G B O . Kein Vermerk im Grundbuch, obgleich der Teilbrief für den abgetretenen Teil an die Stelle des Stammbriefs tritt (§ 115 2 S. 2 B G B ) . E r ist nicht „neuer Brief" im Sinne von § 6 8 1 " G B O ! „3. Stammbrief alsdann an Blum zurückgeben. (Beh.-Schein)." Expedition des Teilbriefs. „Deutscher Teilhypothekenbrief über 12000 DM Teilbetrag der im Grundbuch von Lichterfelde Band 14 Blatt 403 Abt. III Nr. 3 eingetragenen 25000 DM. Der bisherige Brief über die Hypothek von 25000 DM lautet wie folgt: Deutscher Hypothekenbrief über die im Grundbuch von Lichterfelde Band 14 Blatt 403 Abt. III Nr. 3 eingetragenen 25000DM. Inhalt der E i n t r a g u n g : Nr. 3: 25000 (i.W.) Deutsche Mark Darlehn, mit sechs vom Hundert seit dem 1. Oktober 1948 zu verzinsen usw. bis: (Siegel)

Lichterfelde, den 28. September 1948 Das Amtsgericht. (gez.) Pfleger (gez.) Urkund.

Grundbuchamt — Zinssatz

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Die vorstehende Abschrift stimmt mit der Urschrift überein. Von den 25 000 D M sind 12000 D M (i.W.) mit den Zinsen seit 1. Oktober 1958, dem Rest im Range vorgehend, an den Montagemeister Friedrich Stolpe in Lichterfelde abgetreten. Die Abtretung ist am 13. August 1958 im Grundbuch eingetragen. Über die abgetretenen 12000 D M (i.W.) ist dieser Teilhypothekenbrief hergestellt -worden. Die Herstellung ist auf dem bisherigen Briefe vermerkt. Lichterfelde, den 29. Dezember 1958. (Siegel)

Das Amtsgericht."

Auf den Stammbrief über 25 000 D M wird neben die Überschrift der Vermerk gesetzt: „Noch gültig für 15000 DM. Lichterfelde, den 29. Dezember 1958." Ferner hinter den letzten Vermerk: „ V o n den vorstehenden 25000 D M sind 12000 D M (i.W.) mit den Zinsen seit 1 . Oktober 19 5 8, dem Rest im Range vorgehend, an den Montagemeister Friedrieb Stolpe in Lichterfelde abgetreten. Die Abtretung ist am 13. August 1958 im Grundbuch eingetragen. Für den abgetretenen Betrag ist ein Teilhypothekenbrief hergestellt. Lichterfelde, den 29. Dezember 1958. (Siegel)

Das Amtsgericht."

Gleitender Zinssatz. Beschwerde. Antragsrücknahme. Rangvertauschung G l e i t e n d e r Z i n s s a t z . Z w i s c h e n v e r f ü g u n g . Eingang bei dem auf den Namen des Fuhrunternehmers Irrgang eingetragenen unbelasteten Grundstück Lichterfelde Blatt 671: Schuldverschreibung und Hypothekenbestellung. Als eingetragener Eigentümer des Grundstücks Lichterfelde Band 31 Blatt 671 bekenne ich, dem Rentner Paul Pecbmann in Lichterfelde, Geranienstraße 17, ein Darlehn von 8000DM (i.W.) zu schulden, welches vom 1. Januar 1959 an mit jährlich 6% v. H. (i.W.) in Vierteljahrsraten nachträglich zu verzinsen ist. Der Gläubiger ist jedoch berechtigt, durch schriftliche Erklärung mir gegenüber den Zinssatz von dem auf den Zugang der Erklärung folgenden Monatsersten an auf den Zinssatz zu erhöhen, den die Städtische Sparkasse in Lichterfelde für erststellige Hypotheken nimmt. Das Darlehn wird drei Monate nach Kündigung fällig. Die Kündigung kann beiderseits frühestens zum 1. Januar 1965 erklärt werden. Sollte eine Zinsrate am siebenten Tag nach Fälligkeit nicht bezahlt sein, so kann der Gläubiger sofortige Rückzahlung des Darlehns verlangen. Zur Sicherheit für die vorbezeichnete Darlehnsforderung von 8000 D M nebst Zinsen verpfände ich dem Gläubiger mein Grundstück Lichterfelde Blatt 671. Ich bewillige und beantrage die Eintragung der Darlehnshypothek im Grundbuch und die Aushändigung des zu bildenden Briefs an Herrn Pecbmann. Lichterfelde, den 29. Dezember 1958. Wilhelm Irrgang. (Beglaubigungsvermerk)."

Zwischenverfügung des Rechtspflegers an Irrgang: „Die von Ihnen für Herrn Pechmann bestellte Hypothek von 8000 D M kann so, wie sie bewilligt und beantragt ist, nicht eingetragen werden. Nach § 1 1 1 5 1 B G B ist bei der Eintragung im Grundbuch der Zinssatz anzugeben. Hierzu genügt die Bestimmung des Zinssatzes durch eine Sparkasse nicht (OLG Darmstadt, D N o t Z 1936, 570). Auch ist die Bestimmung der Zinserhöhung in das Belieben des Gläubigers gestellt, was unzulässig ist ( O L G Hamm, D N o t Z 1954, 604). Es muß daher ein fester Zinssatz angegeben werden.

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Grundbuchamt — Erinnerung. Beschwerde Zur Beseitigung des Hindernisses wird Ihnen gemäß § 18 G B O eine Frist von zwei Wochen seit dem Zugang dieser Verfügung bestimmt."

B e s c h w e r d e g e g e n eine R e c h t s p f l e g e r v e r f ü g u n g .

„Lichterfelde, den 3. Januar 1959. A n das Amtsgericht, Grundbuchamt, Lichterfelde. In der Grundbuchsache von Lichterfelde Band 31 Blatt 671 lege ich gegen die Verfügung vom 30. Dezember 1958 hiermit Beschwerde ein und verlange Eintragung nach dem von mir ordnungsmäßig gestellten Antrag.

Wilhelm Irrgang." Das Rechtsmittel des Grundbuchrechts ist die einfache Beschwerde, der das Grundbuchamt, wenn es sie für begründet ansieht, abhelfen kann. §§ 71, 75 GBO. War die angefochtene Verfügung vom Rechtspfleger erlassen, wie in unserem Fall, so ist dagegen nicht die Beschwerde an das Landgericht gegeben, sondern es ist die Entscheidung des Grundbuchrichters nachzusuchen. In § io 1 RechtspflG wird dieser Rechtsbehelf als Erinnerung bezeichnet. Als eine solche ist auch die vorliegende Eingabe zu behandeln. Die unrichtige Bezeichnung als Beschwerde ist unschädlich. Insbesondere liegt darin keine bedingte Beschwerde nach § i o I V RechtspflG, die unmittelbar dem Landgericht vorzulegen ist, wenn der Amtsrichter ihr nicht abhilft ( K G N J W 1959, 2270 = Rpfleger 1960, 18). Der Rechtspfleger hat von seiner Befugnis, der Erinnerung stattzugeben, keinen Gebrauch gemacht und die Eingabe dem Richter vorgelegt (§ i o 1 1 RechtspflG). Die Beschwerde ist erst gegen die Entscheidung des Richters gegeben, die dem Erinnerungsführer bekannt zu machen ist. Der Referendar: Ich kann nicht einsehen, warum § 1 1 1 5 1 B G B der Eintragung der Verzinsung nach den Sätzen der Sparkasse entgegenstehen soll. Das Gesetz verlangt nur, daß „der Zinssatz" eingetragen wird. Aber nirgends ist bestimmt, daß es eine feste Zahl sein müßte. In dem sehr häufigen Fall der Strafzinsen (S. 460) begnügt man sich, im Grundbuch den Höchstbetrag anzugeben, etwa in der Fassung „mit 6%, unter Umständen mit 7 % verzinslich". Es ist deshalb unlogisch, gerade die Verzinsung nach den Banksätzen von der Eintragung im Grundbuch auszuschließen. Der für Hypothekenausleihungen der Sparkasse jeweils geltende Zinssatz läßt sich doch durch Nachfrage jederzeit leicht feststellen. Ich möchte die Entscheidung des Rechtspflegers abändern und die Hypothek antragsgemäß eintragen. Der Richter: Ihre Ausführungen haben einiges für sich. Die schwankende Lage auf dem Kapitalmarkt hat schon seit langem das Bedürfnis hervorgerufen, auch die Zinssätze für langfristige Beleihungen der jeweiligen Marktlage anzupassen. Letzten Endes dient eine solche Möglichkeit auch den Belangen des Schuldners, weil dadurch Kündigungen des Kapitals nur zum Zwecke der Zinserhöhung vermieden werden. Die Rechtsprechung hat sich daher schon wiederholt mit der Frage befassen müssen, ob das geltende Recht die Eintragung sog. gleitender Zinssätze in das Grundbuch gestattet. Hierfür kommt es darauf an, wieweit die Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes geht. Die Geldsumme, die zur Befriedigung aus dem Grundstück zu zahlen ist und die nach § 1 1 1 3 „bestimmt" sein muß, wird begrenzt nicht nur durch den Geldbetrag der Forderung, sondern auch durch den Zinssatz, der deshalb nach § 1 1 1 5 im Grundbuch eingetragen werden muß. Der Bestimmtheitsgrundsatz bezweckt in der Hauptsache, den Umfang, in welchem das Grundstück für das eingetragene Recht haften soll, für jeden Dritten, insbesondere für nachstehende Berechtigte, aus dem Grundbuch selbst erkennbar zu machen und so die durch das einzelne dingliche Recht eingenommene Rangstelle abzugrenzen. Deswegen muß in jedem Falle die obere Haftungsgrenze feststehen. Daran fehlt es in der Eintragungsbewilligung des Irrgang. Denn es ist zwar der zur Zeit geltende Zinssatz bestimmt, nicht

Grundbuchamt — Gleitender Zinssatz

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aber die obere Grenze, bis zu der er erhöht werden darf. Gleichwohl dürfte aber die Zwischenverfügung des Rechtspflegers insofern nicht in vollem Umfange berechtigt sein, als sie die Angabe eines festen Zinssatzes verlangt. Denn eine Zwischenverfügung nach § 18 muß nicht nur das Hindernis bezeichnen, sondern auch die zu ihrer Beseitigung dienlichen Mittel richtig und vollständig angeben. Wir müssen daher prüfen, ob es nicht genügen würde, wenn die Bewilligung durch Angabe eines festen Höchstzinssatzes ergänzt wird. In der Rechtsprechung ist es zugelassen worden, daß innerhalb eines Höchst- und Mindestsatzes der jeweils geltende Zinssatz nach dem wechselnden Diskontsatz der Notenbank berechnet wird, z. B. „ 2 % über dem jeweiligen Reichsbankdiskontsatz, mindestens 5 %, höchstens 8 % " (OLG Karlsruhe, J F G 7, 392; K G HRR 1928 Nr. 1106; 1931 Nr. 1863; JW 1938, 1257). Eine solche Regelung wurde für ausreichend erachtet, weil der maßgebende Zinssatz anhand des amtlich bekannt gemachten Diskontsatzes jederzeit sicher bestimmbar ist. Der Diskontsatz ist aber als Maßstab für langfristige Beleihungen nicht geeignet, weil er nicht im Hinblick auf den Realkredit festgesetzt wird. Es ist deshalb die Frage aufgetaucht, ob es zulässig ist, daß der Gläubiger selbst innerhalb eines bestimmten Rahmens durch seine Erklärung den jeweils geltenden Zinssatz bestimmt. Das O L G Stuttgart hat dies in N J W 1 9 5 4,1646 für zulässig gehalten, wenn die Befugnis des Gläubigers eine allgemein eingetretene Änderung des Zinssatzes auf dem Kapitalmarkt zur Voraussetzung hat. Auch im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß die Bestimmung zwar nicht in das freie Belieben des Gläubigers gestellt sein dürfe, daß aber die Bindung des Gläubigers an die Kapitalmarktlage ein objektiv nachprüfbarer und deshalb ausreichender Maßstab sei (Riedel, DNotZ 1954, 562). Eine gefestigte Rechtsauffassung hat sich zu dieser Frage noch nicht gebildet. In unserem Falle kann man wohl Bedenken zurückzustellen, weil die Bestimmung des Gläubigers von einer Änderung der Zinssätze eines Kreditinstituts als Dritten, nämlich der Sparkasse, abhängig ist, die sich ihrerseits wieder nach der Kapitalmarktlage richten wird. Auch das K G hat es in JW 1938, 1257 = DNotZ 1938, 374 mit Anm. v. Seybold für zulässig erachtet, daß der Zinssatz der Hypothek an den Zinssatz einer Sparkasse angelehnt wird. Vgl. Meikel-Imhof-Riedel § 3 Anm. 325. Irrgang erhält folgenden Bescheid: „Ihre gegen die Verfügung des Rechtspflegers gerichtete Eingabe vom 3. d. M. ist dem unterzeichneten Richter zur Entscheidung vorgelegt worden. E s wird als ausreichend angesehen, wenn Sie die Verzinsung in Anlehnung an den Zinssatz der Sparkasse bestehen lassen und lediglich durch Angabe eines in das Grundbuch einzutragenden festen Höchstsatzes ergänzen. Mit dieser Maßgabe wird die Verfügung des Rechtspflegers aufrecht erhalten."

Das V e r b o t der Schlechterstellung gilt nicht nur im Beschwerdeverfahren nach der GBO (KG J F G 8, 239; Meikel-Imhof-Riedel § 77 Anm. 4), sondern in Grundbuchsachen auch für das Erinnerungsverfahren nach § 10 RechtspflG (KG HRR 1941 Nr. 604). Hält also der Richter die Zwischenverfügung für gerechtfertigt, so hat er sich auf die Zurückweiseung der dagegen gerichteten Erinnerung zu beschränken, um dem Erinnerungsführer unter Wahrung der Vorteile des § 1 8 1 1 GBO die Nachprüfung der Beanstandung im Beschwerdeverfahren nach § 71 GBO zu ermöglichen. Erfolgt die Eintragung in der vorgeschlagenen Weise, so können Gläubiger und Eigentümer ohne Zustimmung nachstehender Berechtigter an Stelle des gleitenden Zinssatzes eine feste Verzinsung bis zur Höchstgrenze vereinbaren, auch wenn der tatsächlich geltende Zinssatz die eingetragene Höchstgrenze noch nicht erreicht hatte ( K G D N o t Z 1 9 3 1 , 282). — Ist in einem vollstreckbaren Titel ein gleitender Zinssatz vorgesehen (z. B. nach dem Gesetz über Wechsel- und Scheckzinsen vom 3. Juli 1925 — R G B l I 93), dann kann der Gläubiger den bei der Zwangshypothek einzutragenden Höchstzinssatz bestimmen ( O L G Karlsruhe, J F G 7, 396).

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Grundbuchamt — Antragsrücknahme

A n t r a g s r ü c k n a h m e . A m 1 5 . Januar erscheint Irrgang auf dem Gericht und erkundigt sich, ob und in welcher F o r m er den gestellten Eintragungsantrag zurücknehmen könne. E r wird belehrt, daß die Rücknahme öffentlicher Beglaubigung bedarf (§ 31 G B O ) . Daraufhin geht am 18. Januar folgende Erklärung ein: „ A n das Amtsgericht, Grundbuchamt, Lichterfelde. In der Grundbuchsache von Lichterfelde Blatt 671 nehme ich den Eintragungsantrag vom 29. Dezember 1958 hiermit zurück. Lichterfelde, den 17. Januar 1959. Wilhelm Irrgang. (Beglaubigungsvermerk)." Daß Eintragungsanträge bis zu ihrer vollständigen Erledigung v o m Antragsteller beliebig zurückgenommen werden können, wird in der G B O nicht besonders ausgesprochen, sondern in § 3 1 , der für die Rücknahme beglaubigte F o r m verlangt, als selbstverständlich vorausgesetzt. E s handelt sich um eine Frage des formellen Grundbuchrechts. Gleichgültig daher, ob Irrgang sich mit Pechmann über die Begründung der Hypothek geeinigt, ob er das Darlehn v o n ihm bereits ausgezahlt erhalten hatte, ob er durch Zurücknahme des Antrags vertragliche Verpflichtungen gegenüber seinem Geldgeber verletzt. N a c h § 8 7 3 1 1 B G B wird die an sich nicht formbedürftige Einigung „bindend", wenn gewisse Formen gewahrt sind, unter denen die Aushändigung einer den Vorschriften der G B O entsprechenden E i n tragungsbewilligung die wichtigste ist. Diese „ B i n d u n g " bedeutet aber nur, daß die sachlichrechtliche Wirkung der dinglichen Einigung nicht mehr durch einseitigen Widerruf beseitigt werden kann, während sie die Befugnis des Antragstellers zur Antragsrücknahme gegenüber dem Grundbuchamt nicht berührt. D e r Grundbuchrichter kann und braucht sich um derartige sachlichrechtliche Tatbestände nicht zu bekümmern. Unwiderrufliche Eintragungsanträge gibt es nicht; auch ein Verzicht auf das Recht zur Rücknahme des Antrags ist für das Grundbuchamt unbeachtlich (Haegele, Rpfleger 1 9 5 7 , 293). N u r wenn Pechmann als Antragsteller oder MitAntragsteller aufgetreten wäre, wozu ihm § 1 3 1 1 G B O die Möglichkeit bot, wäre zur Zurücknahme des Eintragungsantrags auch seine (beglaubigte) Erklärung erforderlich gewesen. Welche Gefahren für den Erwerber daraus entstehen können, daß der Eintragungsantrag vom Betroffenen allein gestellt war und daß dieser zur Antragsrücknahme befugt ist, liegt auf der Hand. Die Rechtsprechung hilft, soweit möglich, wenigstens bei den durch Notare eingereichten Anträgen. Nach § 15 G B O gilt der Notar, der die zu einer Eintragung erforderliche Erklärung beurkundet oder beglaubigt hat, als ermächtigt, im Namen eines Antragsberechtigten die Eintragung zu beantragen. Der Notar hat also kein eigenes Antragsrecht, sondern er handelt als Bevollmächtigter eines Antragsberechtigten kraft gesetzlich vermuteter Vollmacht. Dieselbe Regelung besteht für Anmeldungen beim Registergericht in Handels-, Genossenschafts-, Vereins-, Güterrechts- und Schiffsregisterangelegenheiten (§§ 129, 147, 159, 161 F G G , § 25 SchiffsRegO; vgl. auch für Standesregistersachen § 71 FGG). Ein Vollmachtsnachweis kann in diesen Fällen nicht verlangt werden. Das Bestehen der Vollmacht ist allerdings formlos widerlegbar, z. B. durch einfache Erklärung des vertretenen Beteiligten gegenüber dem Grundbuchamt, im Gegensatz zu der rechtsgeschäftlich erteilten Antragsvollmacht, deren Widerruf nach § 31 G B O der Form des § 29 bedarf ( K G J 24A 91). Macht der Notar von seiner Befugnis Gebrauch, so knüpfen sich daran erhebliche verfahrensrechtliche Wirkungen: Die auf seinen Antrag ergehenden Entscheidungen (Zwischenverfügung, Zurückweisung, Eintragung) sind dem Notar selbst, nicht dem von ihm vertretenen Antragsberechtigten bekanntzumachen (KG DNotZ 1933, 372), und zwar auch dann, wenn dieser neben dem Notar den Antrag gestellt hatte; eine Bekanntmachung an den Antragsberechtigten wäre unwirksam (OLG München, J F G 18, 20). Der Notar, der auf Grund des § 15 den Eintragungsantrag für einen Antragsberechtigten gestellt hat, kann namens dieses oder eines anderen Antragsberechtigten Beschwerde einlegen (BayObLG 34, 1 2 1 ; K G J W 1938, 1834). E r kann schließlich formgerecht weitere Beschwerde einlegen, ohne einen

Grundbuchamt — Antragsrecht des Notars

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Rechtsanwalt hinzuziehen zu müssen (§§ 801 S. 3 GBO, 29 1 S. 3 FGG). § 15 verschafft also dem Notar die Möglichkeit, das Verfahren bis zu seiner endgültigen Erledigung in der Hand zu behalten und seinen ordnungsgemäßen Ablauf im Interesse der Beteiligten zu überwachen. Der Notar sollte allerdings in seiner Eingabe deutlich zu erkennen geben, ob und für wen er den Eintragungsantrag stellen will. Die Befugnis dazu hat er auch dann, wenn ein Antragsberechtigter selbst den Antrag bereits in der überreichten Urkunde gestellt hat ( K G J 44, 172; BayObLG J F G 9, 201). Reicht der Notar den Antrag der Beteiligten „zur weiteren Veranlassung" (KG JW 1937, 114) oder „zum Vollzuge" ( K G J 28 A 312) ein, so wird angenommen, daß er nur als Bote, nicht als Willensvertreter auftreten will. Unklare Wendungen wie „mit der Bitte, den gestellten Anträgen stattzugeben", über deren Auslegung Streit herrscht (OLG München J F G 22, 30; K G DNotZ 1933, 372) sind zu vermeiden. Mangels einer ausdrücklichen Angabe ist anzunehmen, daß der Notar den Antrag namens aller Antragsberechtigten gestellt hat ( K G J 38A 196). Den von ihm selbst gestellten Antrag kann der Notar in Abweichung von § 31 GBO in der erleichterten Form des § 24 1 1 1 BNotO durch eine mit seiner Unterschrift und dem Amtssiegel versehene Erklärung zurücknehmen, nicht aber einen von dem Beteiligten selbst gestellten Antrag (BayObLGZ 1955, 48 = DNotZ 1956, 206; OLG Frankfurt, Rpfleger 1958, 221; OLG Schleswig, SchlHAnz. 1959, 197; a.M. Hieber, DNotZ 1956,174). Daneben kann natürlich auch der Antragsberechtigte selbst den für ihn vom Notar gestellten Antrag in der Form des § 31 zurücknehmen. Hatte aber der Notar den Antrag für weitere Antragsberechtigte gestellt, so bleibt dieser Antrag trotz der Rücknahmeerklärung des anderen Antragsberechtigten bestehen. — Die Kehrseite dieses Verfahrens ist allerdings die Haftung aller Antragsteller für die Gerichtskosten nach § 2 Nr. 1 KostO. Zur größeren Sicherheit wird der Erwerber gut tun, lieber offen als Antragsteller aufzutreten, weil die sonst möglichen Schäden die Kostenlast bei weitem überwiegen. Andrerseits muß der Notar bei Einreichung der Urkunde vermeiden, eine Kostenhaftung des Erwerbers wider dessen Willen zu begründen. Bis zur Vollendung der dinglichen Rechtsänderung durch die Eintragung besteht ferner die Gefahr einer Verfügungsbeschränkung des Bewilligenden (z. B. durch Konkurseröffnung). § 878 BGB bestimmt, daß nachträgliche Verfügungsbeschränkungen unschädlich sind, wenn die Einigung bereits gemäß § 873 1 1 bindend geworden und der Eintragungsantrag beim Grundbuchamt gestellt war. Will also bei Hypothekenbestellungen, -abtretungen und -ablösungen der Geldgeber sicher gehen, so darf er — abgesehen von dem Erfordernis der Briefübergabe (S. 660) — erst dann zahlen, wenn 1. ihm oder dem Notar als seinem Treuhänder die beglaubigte Bewilligung (und zwar eine solche, die nicht — wie bei Pechmann — zu berechtigten Beanstandungen führt) ausgehändigt, 2. der Eintragungsantrag auch vom Geldgeber gestellt ist. Da es in dem Fall BGHZ 28, 104 = NJW 1958, 1532 an dem zweiten Erfordernis fehlte, ist der beklagte Justizfiskus zu Unrecht zum Schadensersatz verurteilt worden. Der Antrag vom 29. Dezember 1958 wird als erledigt zu den Akten geschrieben, die in der Zwischenverfügung bestimmte Frist gelöscht und die Einziehung der entstandenen Kosten angeordnet. H y p o t h e k e n e i n t r a g u n g e n . Der 19. Januar bringt zwei Eingänge. Zunächst vormittags 9 Uhr: „Als eingetragener Eigentümer von Lichterfelde Band 31 Blatt 671 bekenne ich, dem Lotterieeinnehmer Günther Glücksmann in Lichterfelde, Gartenstraße 22, den Betrag von 6000 DM (i. W.) als Darlehn zu schulden. Ich verpflichte mich, das Darlehn vom 1. Februar 1959 ab mit jährlich 8%% (i.W.) zu verzinsen und nach dreimonatiger, frühestens für den 1. Januar 1963 zulässiger Kündigung zurückzuzahlen. Zur Sicherheit für die bezeichnete Darlehnsforderung von 6000 DM nebst Zinsen bewillige und beantrage ich die Eintragung einer Hypothek im Grundbuch von Lichterfelde Blatt 671 und die Aushändigung des zu bildenden Briefes an den Gläubiger. Lichterfelde, den 18. Januar 1959. Wilhelm Irrgang. (Beglaubigungsvermerk)." Sodann vormittags 1 1 Uhr eine am 17. Januar ausgestellte, ebenfalls notariell beglaubigte Urkunde, die mit der Schuldverschreibung vom 29. Dezember 1958 wörtlich übereinstimmt, bis auf die hinter „nimmt" eingefügten Worte: „höchstens aber auf insgesamt 7 % % ('• W.) jährlich."

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Grundbuchamt — Rangvertäuschung

Der Rechtspfleger verfügt die Eintragung in Abt. III, Sp. i—4: „ i | 1 | 6000 D M Sechstausend Deutsche Mark Darlehn, vom 1. Februar 1959 ab mit 8 % v. H. (i.W.) jährlich zu verzinsen, für den Lotterieeinnehmer Günther Glticksmann in Lichterfelde unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 18. eingetragen am . . . Januar 1959. 2 | 1 | 8000 D M Achttausend Deutsche Mark Darlehn, vom 1. Januar 1959 ab mit 6 % v. H. (i.W.), unter Umständen 7 % v. H. (i.W.) jährlich zu verzinsen, für den Kleinrentner Paul Pechmann in Lichterfelde unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 17. eingetragen am ...Januar 1959."

Glücksmann hat, entsprechend dem früheren Eingang des zu seinen Gunsten gestellten Antrags, den Vorrang erhalten. §§ 8791 S. 1 BGB, 17, 45 GBO. R a n g v e r t a u s c h u n g . Am Tage, nachdem die Briefe und Nachrichten hinausgegangen sind, erscheinen beim Richter Irrgang und Pechmann mit dem Inhaber des Detektiv-, Inkasso- und Immobilieninstituts „Sirius", Kroker, der die Beleihung vermittelt hat, und teilen in großer Aufregung mit, daß vereinbarungsgemäß Pechmann die erste, Glücksmann die zweite Rangstelle zugedacht gewesen sei. Darum sei auch die Glücksmannsche Hypothek höher verzinslich und früher kündbar. Es gehe nicht an, daß Pechmann jetzt die ungünstigeren Bedingungen und den schlechteren Rang habe. Der Richter: Die Sache ist sehr bedauerlich, aber wir konnten nicht anders eintragen, da die Glücksmannsche Hypothekenbestellung zwei Stunden vor der Pechmannschen eingegangen ist. Hätten Sie, Herr Irrgang, nicht den Antrag vom 29. Dezember zurückgenommen, sondern eine Nachtragserklärung über den Höchstsatz der Verzinsung eingereicht, wie es das Grundbuchamt verlangt hatte, so wäre vor der Hypothek für Herrn Glücksmann zunächst eine Vormerkung für Herrn Pechmann eingetragen und ihm dadurch der Rang gewahrt worden. Jetzt können Sie das gewünschte Rangverhältnis nur noch dadurch herstellen, daß beide Gläubiger mit Ihrer Zustimmung (§ 880 11 S. 2 BGB) in grundbuchmäßiger Form einen Rangtausch vereinbaren. Ob Herr Glücksmann zur Bewilligung der Vorrangseinräumung auf Grund der mit ihm getroffenen Abreden oder etwa durch eine, von Herrn Irrgang unverzüglich zu erklärende, Anfechtung der Hypothekenbestellung wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärung gezwungen werden kann, entzieht sich meiner Beurteilung. R G 89, 29 läßt bei Rangvertauschung die Irrtumsanfechtung zu, vorausgesetzt, daß der Eigentümer die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben hätte. Aber welche Erklärung soll Irrgang anfechten? Die Hypothekenbestellung vom 18. Januar entsprach seinem wahren Willen, lediglich die verkehrte Einreichung der beiden Urkunden, also ein rein tatsächlicher Vorgang, enthält das Irrtumsmoment. Außerdem erscheint es unbillig, die Hypothek dem Glücksmann, der wahrscheinlich bereits Valuta für sie bezahlt hat, wieder zu entziehen.

Kroker: Eine Anfechtung wird nicht nötig sein. Am 21. Januar kurz vor 1 1 Uhr vormittags habe ich gemeinschaftlich mit Herrn Pechmann in der Geschäftsstelle das Grundbuch eingesehen und festgestellt, daß das Grundbuchblatt vollkommen unbelastet war. Erst daraufhin hat Herr Pechmann die 8000 DM ausgezahlt. Das kann ich jederzeit beeiden. Pechmann muß also mindestens nach § 892 BGB den Vorrang bekommen, weil er hinsichtlich der Glücksmannschen Hypothek in gutem Glauben war. Richter: Gegenüber einer bereits beantragten Eintragung versagt jede Berufung auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs. Sie hätten nicht nur das Grundbuch, sondern auch die Grundakten einsehen sollen. Dann wäre Ihnen der kurz vorher ein-

Grundbuchamt — Unkenntnis unerledigter Anträge

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gereichte Antrag für Glücksmann nicht entgangen, und Sie hätten daraus ersehen, daß Glücksmann die Priorität hat. Die Einrichtung des Grundbuchs beruht darauf, daß im Verhältnis zwischen den Beteiligten der Zeitpunkt, zu welchem der Antrag in den Mechanismus des Grundbuchs eintritt, der Eingangsvermerk, der vollzogenen Eintragung gleichgesetzt wird: §§ 17, 18, 45 GBO, 878, 892 11 BGB. Könnte sich eine Partei darauf berufen, daß, als sie während des Schwebens eines unerledigten Antrags ihrerseits Anträge stellte, das früher beantragte Recht noch nicht im Grundbuch eingetragen war, so hätte nicht der frühere, sondern der spätere Antrag immer den Vorzug und das ordnungsmäßige Funktionieren des Grundbuchs wäre in Frage gestellt. Folglich ist § 892 dahin einzuschränken, daß die Unkenntnis des späteren Antragstellers von einem älteren Antrag, der nach den Regeln des formellen Grundbuchrechts vorher erledigt werden muß, nicht geschützt wird. R G 62, 377. Nicht im Widerspruch zu diesem Rechtsgrundsatz steht RG 57, 277: das Grundbuchamt hatte die in §§ 17, 45 GBO vorgeschriebene zeitliche Reihenfolge nicht beachtet, und es wurde nachher der Versuch gemacht, das der ordnungsmäßigen Behandlung entsprechende Ergebnis durch Annahme einer Bösgläubigkeit des zweiten Antragstellers zu begründen. Hier wurde ausgesprochen, daß es für den guten Glauben auf das Grundbuch selbst, nicht auf das Eingangsregister bzw. auf schwebende Anträge ankommt. Kroker: Glücksmann ist aber jedenfalls nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung ( § 8 1 2 B G B ) zur Vorrangseinräumung verpflichtet, denn er hat den besseren Rang ohne rechtlichen Grund auf Pechmanns Kosten erlangt. Richter: Hierüber zu entscheiden, ist nicht Aufgabe des Grundbuchamts. § 812 setzt voraus daß der eine Teil „auf Kosten" des anderen „etwas" „ohne rechtlichen Grund" erlangt hat. In dem hier nicht vorliegenden Fall, daß die Rangvertauschung auf einer Verletzung der §§ 17, 45 GBO durch das Grundbuchamt beruht, könnte ein solches „etwas" eine durch § 45 GBO rechtlich gesicherte Anwartschaft auf Eintragung des Rechts an bereitester Rangstelle sein. Allerdings ist das Merkmal der unmittelbaren Vermögensverschiebung Zwischen den Parteien, welches das Gesetz mit den Worten „auf Kosten" bezeichnet, nicht unzweifelhaft. Der zu Unrecht bevorzugte Hypothekengläubiger hat seinen guten Rang nicht aus dem Vermögen des Benachteiligten, sondern von dem Eigentümer erworben. Aber die Anwartschaft für den Zurückgesetzten, die mit dem Eingang des Antrags beim Grundbuchamt entstand, ist ihm verloren gegangen, und zwar unmittelbar durch dasselbe Ereignis, das dem anderen Teil die bessere Rangstelle verschaffte, nämlich durch die Eintragung. Jedoch wird in der Rechtsprechung angenommen, daß die Verschiebung nicht „ohne rechtlichen Grund" eingetreten sei. Die Rechtsfolge des § 879 BGB stelle einen die Bereicherung ausschließenden Rechtsgrund dar. R G 69, 246; 88, 287; BGHZ 21, 98; BGH NJW 1958, 1552; ebenso Baur, Sachenrecht, § 17 B I 2; a.M. Lent, NJW 1957, 177; Baumann, J R 1957, 415; Westermann, Sachenrecht, § 81 II 7. In unserem Fall können schuldrechtliche Beziehungen zwischen Irrgang als Eigentümer und Glücksmann bestehen, kraft deren dieser in die Rangänderung zu willigen hat (Staudinger-Seufert, BGB, 1 1 . Aufl. § 879 Anm. 8d; Baur, § 17 B II 2).

Auflassungsvormerkung E i n t r a g u n g a u f E r s u c h e n des

Prozeßgerichts.

„Eingegangen 30. November 1959 13 Uhr 50 Minuten. Urkund. Geschäftsnummer: 8 G 148.55.

Lichterfelde, den 30. November 1959.

Zu den Grundakten von Lichterfelde Band 4 Blatt 97 wird gemäß § 941 ZPO Ausfertigung des in Sachen Striet^el gegen Ganter ergangenen Beschlusses vom heutigen Tage übersandt mit dem Ersuchen um Eintragung der darin angeordneten Vormerkung. Es wird gebeten, von dem Geschehenen hierher Nachricht zu geben. Das Amtsgericht. (Siegel) M Richter."

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Grundbuchamt — Auflassungsvormerkung „Beschluß. In Sachen des Bäckermeisters Adolf Striekel in Lichterfelde, Hopfenweg 38, Antragstellers, Prozeßbevollmächtigter: R A . Schwärz in Lichterfelde, gegen den Textilgroßhändler Robert Ganter in Lichterfelde, Karlstraße 56, Antragsgegner, wird im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet: 1. Im Grundbuch von Lichterfelde Band 4 Blatt 97 — Hopfenweg 38 —• ist eine Vormerkung zur Sicherung des dem Antragsteller aus dem Kaufvertrag vom 17. November 1959 zustehenden Anspruchs auf Übertragung des Eigentums an dem Grundstück einzutragen. 2. Das Grundbuchamt soll um die Eintragung der Vormerkung ersucht werden. 3. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. (Gründe, Datum usw., Ausfertigungsvermerk)."

Auflassungsvormerkungen werden meist auf G r u n d einer v o m Verkäufer erteilten Bewilligung (als „konsentierte" Vormerkung) eingetragen. Strietzel hat es offenbar unterlassen, sich eine solche Bewilligung v o n seinem Verkäufer geben 2u lassen. N a c h träglich ist er wegen der Wahrung seiner Rechte ängstlich geworden und hat den W e g der einstweiligen V e r f ü g u n g beschritten. D a einstweilige Verfügungen, welche eine Vormerkung oder einen Widerspruch anordnen, ohne Glaubhaftmachung eines Arrestgrundes erlassen werden (§§ 8 8 5 1 S. 2, 8 9 9 1 1 S. 2 B G B ) , brauchte er hierzu nur den Kaufvertrag vorzulegen, um den Anspruch auf Übertragung des Eigentums an dem Grundstück (§ 8 8 3 1 S. 1) dem Prozeßgericht glaubhaft zu machen. Grundsätzlich erfolgt die Vollziehung v o n Arresten und einstweiligen V e r f ü g u n gen im Parteibetrieb. Das Prozeßgericht kann jedoch bei einstweiligen Verfügungen, die Eintragungen in das Grundbuch, Schiffsregister oder Schiffsbauregister anordnen, zur Abkürzung des Verfahrens das Grundbuchamt (Registergericht) unmittelbar um die Eintragung ersuchen (§ 941 Z P O ) , unbeschadet der Befugnis des Antragstellers, die Eintragung auf G r u n d der einstweiligen V e r f ü g u n g selbst zu beantragen. V o n dieser Möglichkeit ist hier Gebrauch gemacht worden. In den Fällen des Ersuchens wird „ a u f G r u n d des Ersuchens der Behörde" eingetragen (§ 38 G B O ) , d.h. die Rechtmäßigkeit des Ersuchens ist v o m Grundbuchamt nicht nachzuprüfen, vielmehr trägt die ersuchende Behörde hierfür die alleinige Verantwortung. Das im Rahmen der Zuständigkeit der Behörde liegende, formell ordnungsgemäße Ersuchen ersetzt für das Grundbuchamt Antrag und Bewilligung. Sonstige Erfordernisse der E i n tragung — Voreintragung des Betroffenen, Vorlegung des Hypothekenbriefs (soweit nicht gerade für Eintragungen auf Ersuchen Befreiungen bestehen, S. 677), Nachweis des Erbrechts gemäß § 3 5 — bleiben unberührt. Nach J F G 7, 328 bedarf es keiner Voreintragung des Erben, wenn eine vom Erben bewilligte (oder gegen ihn durch einstweilige Verfügung angeordnete) Auflassungsvormerkung eingetragen werden soll. Das entspricht nicht dem Wortlaut, wohl aber dem Sinn des § 40 1 : denn die Vormerkung hat nur vorläufigen Charakter, und die durch sie vorbereitete endgültige Eintragung — die Umschreibung des Grundstücks auf den Käufer — ist als einfache Rechtsübertragung von der Voreintragung befreit. Abgesehen von § 941 ZPO finden sich Eintragungen auf Ersuchen hauptsächlich im Zwangsversteigerungs-, Zwangsverwaltungs-, Konkurs- und Vergleichsverfahren. Die Eintragung von Zwangs- und Arresthypotheken (§§ 867, 932 ZPO) geschieht nicht auf Ersuchen, sondern, wie wir bereits gesehen haben (S. 664), auf Antrag des Gläubigers. Ebenso natürlich Eintragungen auf Grund fingierter Bewilligung (§§ 894/5, oben S. 628. Die im Verwaltungszwangsverfahren vorkommenden Eintragungen nähern sich der Eintragung auf Ersuchen insofern, als das Erfordernis des vollstreckbaren Schuldtitels fortfällt, doch handelt es sich formell um „Anträge" der Vollstreckungsbehörde (§ 372AbgO, § 7 der Justizbeitreibungsordnung, § 5 des Verwaltungs-VollstreckungsG vom 27. April

Grundbuchamt — Auflassungsvormerkung im Konkurs

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1953 (BGB1I 157), § 51 pr. VO vom 15. November 1899, GS 545, dazu § 1 des Gesetzes über die Zulässigkeit des Verwaltungszwangsverfahrens vom 12. Juli 1933 (GS S. 252). Die dritte Gruppe neben den auf Antrag und auf Ersuchen stattfindenden bilden die Eintragungen von Amts wegen. Hauptfälle: Veränderungen im Bestandsverzeichnis auf Grund der Fortschreibungsverhandlungen des Katasteramts (S. 618), Vormerkung und Widerspruch im Fall des § 18 GBO (S. 666), Löschung und Amtswiderspruch bei ordnungswidrig zustande gekommenen Eintragungen gemäß § 53 (S. 679), die „Nebenbuchungen" bei Mithaftung anderer Grundstücke, Vorerbschaft, Testamentsvollstreckung (§§ 48, 51, 52) und gewisse Buchungen im Berichtigungszwangsverfahren (§ 82a) und zur Löschung gegenstandsloser Eintragungen (§ 84). — Gantet ist als Eigentümer des Grundstücks eingetragen. Abt. II weist nur eine belanglose nachbarrechtliche Eintragung, Abt. III zwei Hypotheken von zusammen 43000 D M auf. Die prozessualen Voraussetzungen für die Vollziehung der einstweiligen Verfügung sind in Ordnung. Die Vormerkung wird in Abt. II Sp. 1 — 3 des Grundbuchs mit nachstehendem Wortlaut eingetragen: „2 | 1 | Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Übertragung des Eigentums aus dem Kaufvertrag vom 17. November 1959 für den Bäckermeister Adolf Striekel in Lichterfelde auf Grund der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Lichterfelde vom 30. November 1959 eingetragen am 2. Dezember 1959." E i n t r a g u n g v o n bewilligten und Zwangshypotheken. K o n k u r s v e r merk. Nach Eintragung der Vormerkung gehen in kurzem Abstand zwei Hypothekeneintragungsanträge ein, der erste auf Grund einer Bewilligung Ganters, der andere aus einem gegen ihn vollstreckbaren Schuldtitel. Alle erforderlichen Unterlagen der Eintragung sind vorhanden. Wie wir bereits wissen (S. 629), steht die Strietzelsche Auflassungsvormerkung den beantragten Eintragungen nicht entgegen. In Abt. III Sp. 1 — 4 wird daher vermerkt: „3 | 1 | 20000 DM Zwanzigtausend Deutsche Mark Darlehn, vom 1. Januar i960 an mit 7% v.H. (i.W.) jährlich zu verzinsen, für die offene Handelsgesellschaft August Georg Roland & Co. in Aachen unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 4. eingetragen am 6. Januar i960. 4 | 1 | 26000 DM Sicherungshypothek von sechsundzwanzigtausend Deutschen Mark nebst 7 v.H. (i.W.) Zinsen seit dem 3. September 1959 für die ,Textilia' Aktiengesellschaft in Bielefeld auf Grund des Urteils des Landgerichts in Bielefeld vom 8. Dezember 1959 im Wege der Zwangsvollstreckung eingetragen am 8. Januar i960." Eingang vom 10. Januar: „Amtsgericht. Geschäftsnummer: 7 N 1/60.

Lichterfelde, den 9. Januar i960.

Zu den Grundakten von Lichterfelde Band 4 Blatt 97 wird in der Anlage beglaubigte Abschrift des Beschlusses übersandt, durch welchen das Konkursverfahren über das Vermögen des Textilgroßhändlers Robert Ganter in Lichterfelde, Karlstr. 56 am heutigen Tage eröflnet worden ist. Wir ersuchen um Eintragung des Konkursvermerks gemäß § 113 KO. (Siegel) Pfleger, Justizinspektor Rechtspfleger Das Ersuchen erläßt der Rechtspfleger (§ 2 1 1 Nr. 3 RechtspflG). Darauf verfügt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der hierfür als solcher, nicht in seiner etwaigen Eigenschaft als Rechtspfleger, zuständig ist £§ 4 1 1 Buchst, c A u s f V O ) , die Eintragung in Abt. II Sp. 1 — 3 : „3 | 1 | Über das Vermögen des Textilgroßgändlers Robert Ganter in Lichterfelde ist das Konkursverfahren erößnet. Eingetragen am 10. Januar i960." 44 Lux, Schulung. Aufl (Jansen)

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Grundbuchamt — Wirkung der Vormerkung

Von allen Eintragungen erhält auch Strietzel Nachricht, da seine Vormerkung durch sie „betroffen" wird (§55 GBO). Strietzel hat das Grundstück von Ganter für 75 000 D M gekauft, wovon 43 000 D M durch Übernahme der beiden alten Hypotheken belegt werden, 17000 D M bereits gezahlt sind, 15 000 D M als Restkaufgeld gegen Hypothek stehen bleiben sollen. Die Last Abt. II Nr. 1 hat er ohne Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen. Jetzt beträgt die Hypothekenbelastung 89000 DM. Gelingt es Strietzel nicht, die Hypotheken von Roland und „Textilia" zur Löschung zu bringen und seine Anzahlung zu retten, so würde ihn, selbst bei gänzlichem Wegfall der Kaufgeldhypothek, das Grundstück 106000 D M kosten! Nun unterliegen die beiden neuen Hypotheken möglicherweise der Anfechtung des Ganterschen Konkursverwalters aus §§ 30 f. K O . Dagegen könnte Strietzel — ohne die Vormerkung — aus eigenem Recht ihre Beseitigung nicht herbeiführen, weil zur Zeit der Eintragung Ganter Eigentümer und in der Verfügung über sein Vermögen noch nicht beschränkt war, während Strietzel lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung hatte. Ebenso wäre Strietzel, wenn wir von der Vormerkung absehen, außerstande, den Konkursverwalter zur Erteilung der Auflassung zu zwingen: der Kaufvertrag vom 17. November 1959 stellt sich konkursrechtlich als ein noch von keiner Seite vollständig erfüllter gegenseitiger Vertrag dar, so daß der Verwalter gemäß § 17 das Wahlrecht zwischen Erfüllung und Nichterfüllung hat. Entscheidet er sich, wie zu erwarten, für Nichterfüllung, so erhält Strietzel weder die Auflassung, noch sind ihm die angezahlten 17000 D M aus der Masse zurückzugewähren, sondern er muß den ihm durch Nichterfüllung des Kaufs entstehenden Schaden — Anzahlung, Kaufkosten und, falls der vereinbarte Preis hinter dem wirklichen Wert zurückbleibt, den Wertunterschied — als gewöhnliche Konkursforderung (§26) anmelden und darauf die Quote nehmen. Wie wirkt die Vormerkung auf diese Rechtslage ein ? Nachträgliche Verfügungen sind insoweit unwirksam, als sie den vorgemerkten Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würden (§ 883 1 1 S. 1 BGB). Folglich ist die Rolandsche Hypothek zu beseitigen, denn Strietzels Anspruch geht auf Verschaffung des Eigentums an dem mit nicht mehr als 43 000 D M belasteten Grundstück. Das gleiche gilt von der Zwangshypothek der „Textilia" als „Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung" (§ 883 1 1 S. 2). Auch Verfügungen, die etwa Ganters Konkursverwalter über das Grundstück trifft (Auflassung an einen Dritten, neue Hypothekenbestellungen) müßten gelöscht werden (§ 883 1 1 S. 2: „Verfügung durch den Konkursverwalter"). Weiterhin schreibt § 24 K O vor, daß der Vorgemerkte vom Konkursverwalter die Befriedigung seines Anspruchs durch Einräumung des ihm zustehenden dinglichen Rechts verlangen kann. Damit wird sowohl das Wahlrecht des Verwalters aus § 17 als auch die in § 69 vorgesehene Umwandlung der nicht auf Geld gerichteten Ansprüche („Individualansprüche") der Konkursgläubiger in Geldforderungen ausgeschlossen. Der Verwalter muß den Auflassungsanspruch Strietzels erfüllen und dabei die angezahlten 17000 D M sich anrechnen lassen. Endet aber der Gantersche Konkurs durch Zwangsvergleich, so braucht sich Strietzel die Herabsetzung seiner Ansprüche auf die Vergleichsquote nicht gefallen zu lassen, sondern dank der Vormerkung behält er auch gegenüber dem vormaligen Gemeinschuldner seinen Anspruch auf Eigentumsverschaffung gemäß den Bedingungen des Kaufvertrages (§ 193 S. 2). Entsprechend für den Zwangsvergleich im Vergleichsverfahren § 8 2 " VerglO» W i r k u n g der V o r m e r k u n g . Mit der Eintragung des Konkursvermerks ist das Grundbuch gegen Eintragungen auf Bewilligung des Gemeinschuldners oder aus

Grundbuchamt — Vormerkung

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einem gegen ihn ergangenen Schuldtitel gesperrt. Dieser in der Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz (RG 71, 38) läßt sich mit der grundbuchmäßigen Behandlung anderer relativer Verfügungsbeschränkungen (S. 629) schwer in Einklang bringen, hat jedoch den praktischen Vorzug, daß einer Verwirrung der Gründbuchverhältnisse durch Eintragungen, die den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam wären (§ 7 1 KO), vorgebeugt wird. Sogar wenn eine vor der Konkurseröffnung zwischen Ganter und Strietzel vollzogene Auflassung jetzt eingereicht würde, dürfte das Grundbuchamt daraufhin nicht eintragen. Das entspricht der sachlichrechtlichen Regelung des § 878 B G B (S. 685): die Erklärung der zweiseitigen Einigung zu notariellem Protokoll ist zwar eine der vier Formen, durch welche die Einigung nach § 873 1 1 „bindend" wird, aber es fehlt das weitere Erfordernis der Einreichung des Eintragungsantrags vor Konkurseröffnung. Der Verwalter gibt das Grundstück aus der Masse frei, weil es angesichts der Vormerkung Strietzels keinen Zweck hätte, Anfechtungsprozesse gegen Roland und „Textilia" zu führen. Auf Ersuchen des Konkursgerichts (§ 1 1 4 KO) Eintragung in Abt. II Sp. „Löschungen": „Gelöscht am 17. April i960."

Strietzel klagt jetzt gegen Ganter auf Erteilung der Auflassung und läßt sich, nachdem Ganter aufgelassen hat, als Eigentümer eintragen. Außerdem muß er gegen Roland und die „Textilia"-Aktiengesellschaft Prozesse auf Zustimmung zur Löschung ihrer Hypotheken führen, da es nicht Aufgabe des Grundbuchrichters sein kann, die in § 883 1 1 B G B angeordnete relative Unwirksamkeit der Eintragungen von sich aus nachzuprüfen, vielmehr der Bewilligungsgrundsatz des § 19 G B O maßgebend bleibt. Die Grundlage der Klage Strietzels gegen die beiden Hypothekengläubiger ist § 888 B G B . Die Hypothekengläubiger können gegen den durch die Vormerkung gesicherten Anspruch alle Einwendungen erheben, die dem Schuldner zustehen, selbst wenn er darauf verzichtet hat: Formmangel, wucherische Ausbeutung der Nodage des Verkäufers, Rücktritt wegen Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen usw. Daß Ganter selbst zur Erteilung der Auflassung rechtskräftig verurteilt ist, ändert nichts: denn Roland und die „Textilia" sind in Ansehung des Anspruchs aus § 888 nicht Ganters „Rechtsnachfolger" (§ 325 ZPO). R G 53, 28; 1 1 3 , 403; O L G Celle, N J W 1958,385). I s t die V o r m e r k u n g ein d i n g l i c h e s R e c h t ? Außer den oben S. 690 festgestellten hat die Vormerkung noch die Wirkung, daß sie den Rang wahrt (§ 8 8 3 1 1 1 BGB), beim Tode des Vormerkungsschuldners den Vorgemerkten vor der beschränkten Erbenhaftung schützt (§ 884) und in der Zwangsversteigerung wie ein endgültig eingetragenes dingliches Recht behandelt wird ( § 4 8 Z V G ) . Trotzdem kommt ihr die Eigenschaft eines dinglichen Rechts, auch eines bedingten dinglichen Rechts, nicht zu. Sie begründet auch kein „Recht zur Sache" (ius ad rem) nach dem Vorbild des preußischen Rechts, denn sie gewährt gegen den Dritten kein Forderungsrecht auf Sachleistung. Nach R G Z 129, 184 ist sie ein besonders geartetes Sicherungsmittel, das dem geschützten Recht in gewissem Umfange dingliche Wirkung verleiht. Die Wirkungen der Vormerkung macht am besten verständlich ihre Kennzeichnung als n e g a t i v e s H e r r s c h a f t s r e c h t , dessen Wesen darin besteht, daß der ihm Unterworfene etwas nicht tun k a n n , nämlich die Rechtsstellung des Berechtigten nicht mehr beeinträchtigen kann (Wolif-Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. §48 V I I 2 ) . Die Gefahr, der man durch Eintragung der Vormerkung begegnen will und um derentwegen es der Glaubhaftmachung eines besonderen Arrestgrundes nicht bedarf (§ 885 1 S. 1 BGB), liegt darin, daß der Gläubiger vorläufig nur einen persönlichen Anspruch hat und der Schuldner dinglich voll berechtigt ist. Infolge der Vormerkung aber kann die Erfüllbarkeit dieses Anspruchs nicht mehr gefährdet werden. Wegen der verschiedenen Einordnungsversuche vgl. im übrigen Staudinger-Seufert, B G B , 1 1 . Aufl. § 883 Anm. 39. Aus der Ablehnung der dinglichen Rechtsnatur der Vormerkung ergeben sich als Folgerungen: 1. Die Abtretung des vorgemerkten Anspruchs unterliegt nicht den Formen des § 873, sondern geschieht formlos; die Rechte aus der Vormerkung gehen als Nebenrecht von selbst 44*

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Grundbuchamt—Vormerkung

auf den Zessionar über (arg. § 401). 2. Ein vorgemerkter Anspruch kann verjähren (§ 886 gegen § 9021 S. 1). 3. Erweist sich der vorgemerkte Anspruch als nicht bestehend, so verwandelt sich die Vormerkung nicht — wie die Zwangshypothek in dem verwandten Fall des § 868 ZPO — in ein Eigentümerrecht, sondern sie ist zu löschen, und die Nacheingetragenen rücken auf. K G J F G 13, 418. 4. Die Möglichkeit, wirksame Vormerkungen durch die Bewilligung eines eingetragenen Nichtberechtigten zu erwerben, läßt sich nicht aus § 892 BGB herleiten („Recht an einem Grundstück"). Trotzdem erkennt die Rechtsprechung diese Möglichkeit an, weil die Bestellung der Vormerkung eine Verfügung über das Grundstück im Sinne des § 893 enthalte. K G J F G 2, 409; R G 118, 230; Staudinger-Seufert, aaO, § 883 Anm. 56. Deshalb ist auch die Eintragung eines Amtswiderspruchs nach § 5 3 GBO bei der Vormerkung zulässig, soweit sie einen Rechtserwerb auf Grund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs ermöglicht (BGHZ 25, 16 = NJW 1957, 1229 = Rpfleger 1958, 310). 5. Wird gegen den Veräußerer ein Verfügungsverbot erlassen, nachdem die Bewilligung der Vormerkung im Sinne des § 8 7 3 " BGB bindend geworden und der Eintragungsantrag gestellt worden ist, so findet auch die Vorschrift des § 878 B G B auf die Vormerkung entsprechende Anwendung (BayObLG NJW 1954, 1120; BGHZ 28, 182). Wenn der nachträgliche Erlaß des Verfügungsverbots nach Maßgabe des § 878 BGB für den Rechtserwerb unschädlich ist, kommt es entgegen der Meinung des B G H (a.a.O.) auf eine Prüfung des guten oder bösen Glaubens des Vormerkungsberechtigten nicht mehr an (Rahn, NJW 195 9,97; Schönfeld, JZ1959,140 und NJW 1959, i4i7;Baur § 19 B HI 2 d; a.M. Seufert, NJW 1959, 527). Besondere Bedeutung hat die Auflassungsvormerkung, wenn die Auflassung ausnahmsweise nicht unmittelbar im Anschluß an den Kaufvertrag erfolgt. Aber auch bei alsbaldiger Erklärung der Auflassung kann die Vormerkung zur Sicherung des Käufers notwendig sein, besonders wenn dieser eine Anzahlung geleistet hat: Denn zwischen die Auflassung und ihre Einreichung beim Grundbuchamt schiebt sich häufig wegen Beschaffung der Grunderwerbsteuerbescheinigung, der behördlichen Genehmigung, der Entscheidung über das Vorkaufsrecht des Siedlungsunternehmens usw. ein kürzerer oder längerer Zeitraum. Die Zulässigkeit der Vormerkung nach erklärter Auflassung steht fest, nur muß dann als gesichert nicht ein Anspruch auf Auflassung, sondern „auf Übertragung des Eigentums" bezeichnet werden. J F G 7, 328. Anerkannt ist auch, daß es zur Eintragung von Auflassungsvormerkungen keiner Genehmigung nach dem Bundesbaugesetz (JFG 14, 123), keiner Devisengenehmigung (KG JW1938, 1037; a. A. BayObLG DNotZ 1952, 578, dagegen Hieber ebenda S. 581) oder einer solchen nach dem K R G 45, keiner Grunderwerbsteuerbescheinigung und keiner katastermäßigen Parzellenbezeichnung für das veräußerte Trennstück bedarf ( K G JW 1937, n o ; BayObLGZ 1956, 408 = Rpfleger 1957, 49 mit Anm. v. Bruhn). Mit Recht wird dem Notar die Verpflichtung auferlegt, bei Abschluß des Kaufvertrags die Beteiligten über Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der Auflassungsvormerkung zu belehren, wenn sonst eine naheliegende Gefährdung des Käufers zu besorgen wäre. R G JW 1928, i8Ö21B, dazu Oberneck ebenda S. 2127 5 .

15. Kapitel.

Beim Registergericht Einzelfirma. Registerzwang. Prokura O r d n u n g s s t r a f v e r f a h r e n . Die Industrie- und Handelskammer zeigt gemäß § 126 F G G an: „daß der Kaufmann und Schneider Ignaz Schick in Lichterfelde, Gartenstraße 57, ohne im Handelsregister eingetragen zu sein, unter der Firma Ignaz Schick ein Handelsgewerbe betreibt, welches nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert."

Wie die Grundstücksrechte im Grundbuch, so werden die Rechtsverhältnisse der Unternehmen des Handelsstandes im Handelsregister aufgezeichnet. Aber während im Grundbuchrecht auf Grund des dort herrschenden Eintragungsgrundsatzes (S. 614) Rechtsänderungen regelmäßig nur im Wege einer rechtsbegründenden (konstitutiven) Eintragung zustande kommen können, so daß die Beteiligten im eigenen Interesse darauf angewiesen sind, zur Herbeiführung der Eintragung die erforderlichen Anträge zu stellen und die Unterlagen zu beschaffen, kennt das Registerrecht*) nur eine verhältnismäßig geringe Zahl rechtsbegründender Buchungen. Der weitaus größte Teil der Eintragungen ist rechtsbezeugender (deklaratorischer) Art. Um die Eigenschaft eines Kaufmanns zu erlangen, eine Firma zu führen, Prokura zu erteilen und zu entziehen, offene Handels- und Kommanditgesellschaften zu errichten, die Vorstände von Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu wechseln, bedarf es im allgemeinen nicht der Eintragung dieser Tatsachen in das Register. Die Beteiligten haben nicht immer Anlaß, sie von sich aus zur Eintragung zu bringen. Ferner ist das Handelsregister — ebenfalls ein wesentlicher Unterschied zum Grundbuchwesen — öffentlich: es soll dem geschäftlichen Verkehr eine sichere Grundlage geben, indem es die Rechtsverhältnisse der Unternehmen des Handelsstandes in zuverlässiger Weise zusammenstellt, und zwar zur Einsicht für jedermann und ohne den sonst nach § 34 F G G erforderlichen Nachweis eines berechtigten Interesses (§ 9 1 ). Deshalb werden die Eintragungen auch von Amts wegen bekanntgemacht ( § 1 0 HGB). Die Rücksichtnahme auf den Verkehr erfordert mithin, daß die Übereinstimmung des Registers mit der wirklichen Rechtslage nötigenfalls zwangsweise herbeigeführt wird. Das Gesetz legt daher den Beteiligten die Pflicht auf, Firmen, Prokuren, Gesellschaften usw. zwecks Eintragung zum Register anzumelden, und § 14 weist dem Registergericht neben seiner eigentlichen registrierenden Tätigkeit die rechtpolizeiliche Aufgabe zu, die Anmeldung durch Ordnungsstrafen zu erzwingen, sobald es durch Organe des Handelsstandes oder, wenn ein handwerkliches Unternehmen in Betracht kommt, des Handwerksstandes (§ 126 FGG), durch Polizei-, Gemeinde- oder Steuerbehörden oder in sonstiger Weise von solchen Fällen erfährt, insbesondere durch die gewissen Behörden sowie den *) S c h r i f t t u m : K e i d e l - S c h m a t z , Registerrecht (Hdb. d. amtsger. Praxis Bd. VJ3), 2. Aufl. i960; B r a n d - M a r o w s k i , Die Registersachen, 4. Aufl. 1956; zum Verfahren die Kommentare zum FGG von S c h l e g e l b e r g e r , 7. Aufl. 1956; K e i d e l , 7. Aufl. 1959; J a n s e n , 1959; im übrigen ist auf das bei Keidel-Schmatz, a.a.O. S. X X angeführte Schrifttum zu verweisen.

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Registergericht — Ordnungsstrafverfahren

Notaren durch § 125 a 1 F G G auferlegte Mitteilungspflicht. Auch sonst hat das Registergericht — meist von Amts wegen, bisweilen auf Antrag — in mannigfacher Weise bei der Aufrechterhaltung der kaufmännischen Rechtsordnung und der Gestaltung der handelsrechtlichen Verhältnisse mitzuwirken. Vgl. das Einschreiten gegen unbefugte Firmenführung; Erzwingung der Einreichung von Schriftstücken, z. B. der Niederschrift über die Hauptversammlung bei der A G (§ i i i v A k t G ) ; der Bekanntmachung des Jahresabschlusses bei der A G (§ 143 1 1 A k t G ) und, soweit dort vorgeschrieben (§ 4 1 I V GmbHG), bei der G m b H und der Genossenschaft (§ 33 1 1 1 GenG); Entscheidung über den Widerspruch gegen die Auswahl der Abschlußprüfer bei der A G (§ 136 1 1 1 A k t G ) ; Einreichung der Bescheinigung des Prüfungsverbandes, daß die Prüfung stattgefunden hat, bei der Genossenschaft (§§ 59 1 , 89 GenG); die gerichtliche Ernennung und Abberufung von Liquidatoren und die weiteren, in §§ 145, 148 F G G zusammengestellten Fälle. Eine allgemeine Disziplinaroder Aufsichtsgewalt über die Kaufleute seines Bezirks ist dem Registergericht jedoch nicht beigelegt. Der Rechtspfleger (§§ 3 1 Nr. 2 Buchst, d, 15 RechtspflG) verfügt: „ 1 . A n Schick: Es ist zur Kenntnis des Registergerichts gelangt, daß Sie in Lichterfelde, Gartenstraße 5 7, unter der Firma Ignaz Schick ein Handelsgewerbe betreiben, welches nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Nach § 29 H G B sind Sie verpflichtet, Ihre Firma zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und zur Aufbewahrung bei dem Gericht zu zeichnen. Hierzu wird Ihnen eine Frist von 2 Wochen bestimmt. 2. Nach 2 Wochen."

Der Form nach erfolgt die Eintragung auf „Anmeldung", also auf Antrag. In unserem und in vielen anderen Fällen wird aber der Kaufmann zur Anmeldung vom Gericht genötigt, so daß die Freiwilligkeit eine nur scheinbare ist. In Wahrheit handelt es sich um ein verkleidetes Amtsverfahren. Nach Fristablauf wiederholt der Rechtspfleger seine Aufforderung. Schick rührt sich nicht. Nunmehr erläßt der Rechtspfleger, der auch Ordnungsstrafen in Geld androhen und verhängen kann ( § 4 RechtspflG), nachstehende Verfügung: „ 1 . A n Schick: Gemäß den §§ 14, 29 H G B , 152 F G G wird Ihnen aufgegeben, bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe v o n 50 D M (i.W.) innerhalb v o n 2 Wochen seit der Zustellung dieser Verfügung die Firma, unter der Sie Ihr Handelsgewerbe betreiben, und den Ort Ihrer Niederlassung zur Eintragung in das Handelsregister bei dem unterzeichneten Gericht anzumelden und die Firma zur Aufbewahrung bei dem Gericht zu zeichnen, oder die Unterlassung mittels Einspruchs gegen diese Verfügung zu rechtfertigen. 2. Zustellen. }. 2 Wochen nach Zustellung."

Beschwerde ist gegen die Verfügung nicht gegeben (§ 132 1 1 F G G ) . Vielmehr bleibt die Sache, wenn Schick den Einspruch einlegt, in der Instanz, damit der Rechtspfleger, der seine Verfügung auf Grund einseitiger Angaben der Handelskammer erlassen hatte, ihre Berechtigung nachprüft. Denn die Verfügung setzte nur „glaubhafte Kenntnis" von einem das Einschreiten rechtfertigenden Sachverhalt voraus (§ 132 1 F G G ) . Läßt Schick die Einspruchsfrist verstreichen, so wird die Ordnungsstrafe gegen ihn festgesetzt und dieses Verfahren so oft wiederholt, bis er entweder sich zur Anmeldung bequemt oder Einspruch einlegt (§ 133 F G G ) . Auch dieses Einspruchsverfahren ist auf den Rechtspfleger übertragen ( K G N J W 1959, 1829 = Rpfleger 1959, 221). Schick erhebt rechtzeitig Einspruch, wird zur Erörterung der Sache mit dem Hinweis vorgeladen, daß im Fall seines Nichterscheinens nach Lage der Sache entschieden werden könne (§ 134 11 ), und erklärt im Termin:

Registergericht — Minderkaufleute

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„Ich betreibe mein Schneidergeschäft in Lichterfelde seit ungefähr 13 Jahren als HerrenMaßgeschäft, nachdem ich vor dem Krieg in Wien und anderen österreichischen Städten gearbeitet hatte. Zeitweise habe ich ohne Gehilfen, nur mit einem Lehrling gearbeitet. Seit 1952 beschäftige ich ständig mindestens 6 Gehilfen und 2 Lehrlinge. Seit 1954 handle ich mit Stoffen und Futterartikeln, die ich teils an meine Maßkundschaft, teils an kleinere Schneider abgebe. Von der Kundschaft gelieferte Stoffe verarbeite ich nur noch selten. Im Jahre 1958 habe ich dreimal, im Jahre 1959 einmal größere Posten Herrenkonfektion an rheinische Warenhäuser geliefert; diese hatte ich teils während der stillen Geschäftszeit in meiner Werkstatt, teils durch 8 bis 10 Heimarbeiter anfertigen lassen. Bei den Maßkunden nehme ich meist selbst Maß und schneide zu, beschäftige aber auch einen Gehilfen mit dem Zuschneiden. Mein jährlicher Umsatz betrug 1957 48000 DM, 1958 69000 DM, 1959 98000 DM. Die entnommenen Waren bezahle ich in der Regel mit Dreimonatswechseln. Meine Kundschaft bezahlt teils in bar oder durch wöchentliche Abzahlungen (Maßkunden), teils in Wechseln (Warenhäuser und Käufer der Stoffe und Futterartikel), welche ich meinen Lieferanten weitergebe. Ich halte mein Geschäft für ein handwerksmäßiges, welches einen kaufmännischen Betrieb, insbesondere eine kaufmännische Buchführung, nicht erfordert. Ich führe nur ein Kassenbuch und notiere mir die ein- und ausgehenden Wechsel sowie die Zahlungen der Abzahlungskunden in einem Buche. Bisweilen arbeitet bei mir die Stundenbuchhalterin Ellen Feder, besonders zur Vorbereitung der Steuererklärungen. Vom hiesigen Finanzamt bin ich zuletzt mit einem Betriebsvermögen von 15 000 DM und nach einem Jahreseinkommen von 11 500 DM veranlagt worden. Ich beantrage: die angefochtene Verfügung aufzuheben."

Warum mag Schick sich gegen seine Eintragung so sehr sträuben ? Bisweilen versuchen umgekehrt Geschäftsleute, die keine Vollkaufleute sind, aus Gründen des geschäftlichen Prestiges ihre Firma eintragen zu lassen. Schick scheut die Eintragung wohl wegen der damit verbundenen Mehraufwendungen und Rechtsnachteile: 1. Gerichtsgebühren der Registereintragungen ( § 7 9 KostO), dazu die nicht unbeträchtlichen Kosten der jedesmaligen Bekanntmachung als Auslagen, 2. Nach dem Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern v o m 18. Dezember 1956 (BGBl I 920) sind jetzt zwar auch die zur Gewerbesteuer veranlagten Minderkaufleute kammerzugehörig, jedoch haben sie nur einen Grundbeitrag, keine Umlage zu leisten. 3. Buchführungspflicht (§§ 38f., 4 1 HGB), deren Verletzung nach Eintritt des Konkurses oder der Zahlungseinstellung zur Bestrafung wegen betrügerischen (§ 239* K O ) oder einfachen (§ 240 3 ) Bankerotts führen kann, 4. kein Recht, die Herabsetzung übermäßig hoher Vertragsstrafen zu verlangen (§§ 343 BGB, 348, 351 HBG), 5. Fortfall der Einrede der Vorausklage (§§ 349, 351), 6. Verbindlichkeit mündlicher Bürgschaften, Schuldversprechen und Schuldanerkenntnisse (§§ 35°> 351)> 7- „Termingeschäftsfähigkeit" (§ 53 1 S. 2 BörsG). Weitere Unterschiede zwischen V o l l - und Minderkaufleuten, die man nicht unbedingt als Nachteile ansehen kann: Der Minderkaufmann führt keine Firma, kann keine Prokura erteilen, und eine Vereinigung von Minderkaufleuten stellt keine OHG oder Kommanditgesellschaft, sondern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar (§ 4 1 » 1 1 HGB). Soweit nicht vorstehend Ausnahmen aufgeführt sind, gelten alle handelsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere der erhöhte gesetzliche Zinsfuß von 5% (§ 352 HGB) und die Rügepflicht des § 377, auch für Minderkaufleute. Ihre Prozesse können vor die Kammer für Handelssachen gebracht werden (§ 95 GVG). Ihre kaufmännischen Angestellten sind Handlungsgehilfen (§ 59 HGB).

Für das Gericht sind die Wünsche des Beteiligten natürlich weder im einen noch anderen Fall maßgebend, vielmehr hat es den Sachverhalt gemäß § 1 2 F G G von Amts wegen zu erforschen und darnach seine Entscheidung zu treffen. Hierbei kommt ihm die Auskunftspflicht der Steuerbehörden nach § 125 a 1 1 F G G zustatten. Schick scheint einer jener Handwerker zu sein, die es verstehen, Umfang und A r t ihres Geschäfts zu erweitern, und die so allmählich in die Kategorie der „kleinkapitalistischen Unternehmer" hineinwachsen. Soweit Schick Maß- oder Konfektionsarbeit aus selbst eingekauften Stoffen herstellt, betreibt er ein Grundhandelsgeschäft und ist ohne Rück-

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Registergericht — Minderkaufleute

sieht auf den Umfang seines Betriebes Kaufmann kraft dieser Betätigung nach § i 1 1 soweit er für seine Kunden Lohnarbeit verrichtet, wird die Kaufmannseigenschaft nur begründet, sofern das Gewerbe nicht handwerksmäßig betrieben wird (§ i 1 1 2 ) . Aber auch der erste offenbar durchaus überwiegende Teil seiner Tätigkeit macht ihn erst unter der Voraussetzung zum registerpflichtigen Vollkaufmann, daß sein Gewerbebetrieb „nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb" erfordert (§ 4 1 ). Liegt diese Voraussetzung vor, so besteht die Registerpflicht seit der Änderung der §§ 1, 2 und 4 HGB durch das Gesetz über die Kaufmannseigenschaft von Handwerkern vom 31. März 1955 (BGBl I 106) auch dann, wenn der Inhaber Handwerker ist (zum Begriff des Handwerks vgl. Krömer, DVB1. 1957, 257; Meyer-Hentschel, NJW 1958, 1321). Auch wenn nur Lohnarbeit handwerksmäßig verrichtet wird und deshalb keine Grundhandelsgeschäfte betrieben werden (§ i 1 1 2 ) , das Erfordernis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebes aber erfüllt ist, besteht Registerpflicht nach § 2 HGB (sog. „Registerkaufmann", mit Rücksicht auf den nach § 2 S. 2 auch hier ausgeübten Eintragungszwang besser als „Sollkaufmann"). Im Fall des § 2 haben wir das Beispiel einer rechtsbegründenden Eintragung: Erst die Eintragung macht den Inhaber zum Kaufmann, das Gewerbe zum Handelsgewerbe. Folgen wir Schicks eigenen Angaben, so hat er sowohl nach dem Umfang wie nach der Art der Geschäftsführung die Grenzen der Registerfreiheit bereits überschritten. Die ordnungsmäßige Abwicklung seiner Geschäfte erfordert eine kaufmännische Betriebsart (dazu Groschuff, JW 1934, 3033). Ausschlaggebend ist vor allem der nicht unbedeutende Wechsel- und Abzahlungsverkehr, welcher — entgegen der von Schick vertretenen Auffassung — ohne ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung und Organisation nicht zuverlässig ablaufen kann. Seine gegenwärtige primitive Buchführung wäre niemals imstande, eine schnelle und richtige Übersicht über den Vermögensstand zu vermitteln, besonders wenn einmal eine Reihe geschäftlicher Maßnahmen nicht glatt verläuft und es zu Wechselprotesten, Prozessen usw. kommt. Auf die Höhe des Umsatzes allein kommt es allerdings nicht an. Auch ein Handlungsagent mit einem Jahreseinkommen von 50000 DM ist nicht eintragungspflichtig, wenn sein Geschäftsbetrieb in seiner Art so einfach ist, daß Buchführung, Hilfskräfte, Büroeinrichtung nicht erforderlich sind (KG JW 1936, 1684; NJW 1959, 1829 = Rpfleger 1959, 221). Nachdem auch die Handwerkskammer gutachtlich gehört worden ist (§ 23 HRegVfg), aber keine Bedenken gegen die Registerpflicht erhoben hat, entscheidet der Rechtspfleger: „Beschluß: 1. Der Einspruch wird verworfen. 11 2. Gemäß § 13 5 S . 2 F G G wird von der Festsetzung der angedrohten Ordnungsstrafe abgesehen. 3. Dem Kaufmann und Schneider Ignaz Schick wird nach den §§ 14, 29 H G B , 1 3 2 , 13 5 1 1 1 F G G aufgegeben, bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von 150 D M (i.W.) innerhalb von 2 Wochen seit der Rechtskraft der heute beschlossenen Verwerfung seines Einspruchs die Firma, unter der er sein Handelsgewerbe betreibt, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (usw. wie S. 694). Gründe: (folgt Begründung)."

Rechtsmittel. Gegen die Verwerfung seines Einspruchs hat Schick anstelle der sofortigen Beschwerde (§ 139) die befristete Erinnerung an den Richter (§ io 1 S. 2 RechtspflG), gegen dessen Entscheidung die sofortige Beschwerde, über welche die Kammer für Handelssachen entscheidet (§ 30 1 S. 2 FGG). Nach § io I V RechtspflG kann auch bei Einlegung der Erinnerung, nicht erst nachträglich (KG NJW 1959, 2270 = Rpfleger i960,18), beantragt werden, sie unmittelbar dem Beschwerdegericht

Registergericht — Firmenanmeldung und -eintragung

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vorzulegen, wenn der Richter ihr nicht abhilft (sog. bedingte Beschwerde). Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist die sofortige weitere Beschwerde als Rechtsbeschwerde (§27 FGG) gegeben. Wird dem Einspruch stattgegeben, so muß die aufhebende Verfügung der Industrie- und Handelskammer, auf deren Antrag das Verfahren eingeleitet worden war, bekannt gemacht werden, da ihr nach § 126 F G G die einfache Beschwerde zusteht (Jansen, FGG, § 134 Anm. 3, § 135 Anm. 2, § 139 Anm. 2). Firmenanmeldung und -eintragung. Schick gibt jetzt seinen Widerstand auf. Er erscheint vor dem Registerführer und erklärt zu Protokoll (§128 FGG). „ Z u r Eintragung in das Handelsregister melde ich an, daß ich unter der Firma, Wiener Moden Ignaz Schick' in Lichterfelde ein Handelsgewerbe betreibe, nämlich das Herrenmaß- und "Konfektionsgeschäft sowie den Handel mit Stoffen und Futterartikeln. Ich zeichne meine Firma wie folgt: Wiener Moden Ignaz Schick. Die Geschäftsräume befinden sich Gartenstraße 57. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben. Ignaz Schick. Urkmd, Justizobersekretär."

Der Referendar: Die angemeldete Firma ist eine Sachfirma und widerspricht daher dem „Grundsatz der Firmenwahrheit", der für Einzelkaufmann, OHG und K G die Personenfirma, für A G , K G auf Aktien und Genossenschaft die Sachfirma vorschreibt. §§ 18, 19 HGB, 4, 220 AktG, 3 GenG (GmbH-Firma s. unten S. 711). Der Rechtspfleger: Die Worte „Wiener Moden" machen Schicks Firma nicht zur Sachfirma. Sie stellen lediglich einen unterscheidenden Zusatz im Sinne des § 1 8 1 1 HGB dar. Auf den Gedanken, daß es sich um die Sachfirma einer Kapitalgesellschaft handle, kann man schon deshalb nicht kommen, weil Kapitalgesellschaften kraft zwingender Vorschrift die Gesellschaftsform („Aktiengesellschaft" usw.) in der Firma angeben müssen. §§4, 220 AktG, 4 GmbHG usw. Auch sonst wird durch den von Schick gewählten Zusatz zu seinem Namen nicht die Gefahr einer Täuschung der Öffentlichkeit begründet. Da Schick in Wien und anderen österreichischen Städten gearbeitet hat, entspricht es der Übung, daß er sich als „Wiener" Schneider bzw. sein Geschäft als „Wiener" Moden bezeichnet. Der Grundsatz der Firmenwahrheit ist somit nicht verletzt. Beispiele für täuschende Firmenbestandteile: K G NJW 1955, 1426; BGH NJW 1956, 1873. Auch der Grundsatz der Ausschließlichkeit und Unterscheidbarkeit der Firma (§30 HGB) ist gewahrt, da es, wie ich mich überzeugt habe, hier keine gleich oder ähnlich lautende Firma gibt. — Nachdem Handels- und Handwerkskammer von der Anmeldung Kenntnis erhalten und keinen Widerspruch erhoben haben (§23 HRegVfg), verfügt der Rechtspfleger: „ 1 . Einzutragen in das Handelsregister Abt. A unter nächster offener Blattnummer: Sp. 1 : 1. Sp. 2: a) Wiener Moden Ignaz Schick, b) Lichterfelde, Sp. 3: Ignaz Schick, Kaufmann und Schneider in Lichterfelde."

Maßgebend für Einrichtung und Führung des Handelsregisters ist die Handelsregisterverfügung (HRV) d. R J M vom 12. August 1937 (DJ 1251), in der geltenden Fassung abgedruckt bei Jansen, FGG, Aul. IX. Sie ist auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung des § 1 2 5 1 1 1 F G G ergangen und enthält allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften (KG JW 1938, 2282). Danach besteht das Handelsregister

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Registergericht — Firma

aus zwei Abteilungen. In Abteilung A werden eingetragen Einzelkaufleute, die juristischen Personen der §§ 33, 36 H G B , O H G und K G ; in Abteilung B: A G , K G auf Aktien, G m b H und V V a G (§ 3 H R V ) . Ein Handblatt (entsprechend dem Handblatt des Grundbuchamts) ist für jedes Registerblatt der Abt. B zu führen (§ 9 1 1 1 HRV). Für die Abt. A kann der Oberlandesgerichtspräsident die Führung von Handblättern anordnen (§ 24 11 AktO). „2. Öffentliche Bekanntmachung."

Die Bekanntmachungen erscheinen im Bundesanzeiger und mindestens einem anderen Blatt, das jährlich im Dezember vom Gericht bezeichnet wird (§§ 10, 11 HGB). „3. Nachricht an a) Schick, b) Handelskammer, c) Handwerkskammer, d) Finanzamt."

Vgl. § 130 11 F G G , § 37 H R V . Nachdem der Registerführer die Verfügung ausgeführt hat, sieht das neue Registerblatt folgendermaßen aus: „Abteilung A

Nummer der Eintragung 1

a) Firma b) Ort der Niederlassung (Sitz der Gesellschaft) c) Gegenstand des Unternehmens (bei juristischen Personen) 2 a) Wiener Moden Ignaz Schick

b) Lichterfelde

Nummer der Firma: HR A 8251 Geschäftsinhaber Persönlich haftender Gesellschafter Vorstand Abwickler

Ignaz Schick, K a u f -

mann und Schneider in Lichterfelde

Prokura

Rechtsverhältnisse

a) Tag der Eintragung und Unterschrift b) Bemerkungen

4

5

6 a) 16. Juli i960 Urkunde

Nach § 17 1 H G B ist die Firma der Name, unter dem der Kaufmann im Handel seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Sie ist also nicht, wie Kaufleute vielfach meinen, eine besondere, v o m Jnhaber verschiedene Rechtspersönlichkeit. Das Vermögen des Kaufmanns, gleichviel ob er es im Geschäft oder woanders angelegt hat, bildet für das bürgerliche Recht eine Einheit, und seine Gläubiger — Geschäfts* wie Privatgläubiger — können sich unterschiedslos sowohl an das Geschäftswie an das Privatvermögen halten. Steuerrechtlich ist dagegen die Unterscheidung von „Betriebs"-(Geschäfts-) und P r i v a t v e r m ö g e n von Wichtigkeit. Wertveränderungen des Betriebsvermögens rechnen nämlich bei Steuerpflichtigen mit kaufmännischer Buchführung als Einkommen bzw. als Einkommensminderung, während Wertveränderungen des Privatvermögens für die Ermittlung des Einkommens belanglos sind. § § 4, 5 EinkStG. Es gibt Vermögensstücke, die notwendig zum Betriebsvermögen, und solche, die (wie Schmuck, Wäsche, Einrichtungsgegenstände, selbst wenn sie aus Geschäftsmitteln angeschafft ••sind) notwendig zum Privatvermögen gehören. Im übrigen, z. B. bei Miethäusern oder Wertpapieren eines Warenkaufmanns, ist die Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen relativ, von der Aufnahme in die geschäfdiche Buchführung und somit vom Willen des Geschäftsinhabers abhängig (gewillkürtes Betriebsvermögen). Bei O H G und K G deckt sich das Betriebsvermögen mit dem Gesellschaftsvermögen im bürgerlichrechtlichen Sinne.

Darauf, daß die Firma lediglich ein zweiter Name ist, beruht ihre Behandlung im Grundbuch (S. 622) und im Zivilprozeß (3. Kap. „Warenklage"). Alles das gilt freilich nur von der Firma des Einzelkaufmanns. Eine erhöhte Bedeutung besitzen die Gesellschaftsfirmen der O H G und K G , weil diese Gesellschaften Vereinigungen zur gesamten Hand sind und ihr Vermögen als Gesamthandsvermögen v o m Privatvermögen der Gesellschafter rechtlich gesondert ist. Anders als unter der Firma kann die Gesellschaft überhaupt nicht im Rechtsverkehr auftreten. Über die Bedeutung eines bloßen Namens geht auch die Wirkung hinaus, welche die Fortführung einer (Einzel- oder Gesellschafts-) Firma auf die Haftung für die früher von anderen unter der Firma begründeten Verbindlichkeiten hat (S. 706).

Registergericht — Unbefugte Firmenführung

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Die Eintragung Schicks soll nicht rechtsbegründend sein, sondern nur den Rechtszustand zum Ausdruck bringen, der nach Ansicht des Registergerichts ohnehin gegeben war. Eintragungen in Abteilung A haben nur in seltenen Fällen gewollte rechtsbegründende Wirkung wie die rechtsändemde Grundbucheintragung: Eintragung des „Registerkaufmanns" („Sollkaufmanns"), der kein Handelsgewerbe nach § i H G B betreibt und daher nicht schon kraft seiner Betätigung Kaufmannseigenschaft besitzt ( § 2 ) ; Eintragung eines „Kann-Kaufmanns" ( § 3 ) ; Entstehung einer O H G oder K G , die kein Grundhandelsgewerbe betreibt, durch Eintragung nach §§ 2, 6 1 . Hat sich nun das Gericht bei der Eintragung Schicks geirrt und war er in Wahrheit überhaupt nicht Kaufmann oder nur Minderkaufmann, so gilt er jetzt gleichwohl als Vollkaufmann und kann sich nicht mehr darauf berufen, daß er Minderkaufmann sei (§5). Die zunächst nur rechtsbezeugende Eintragung hätte dann in gewissem Sinne ähnliche Wirkungen wie eine rechtsbegründende. Nur in zwei Punkten kann sich der zu Unrecht ins Register eingetragene Minderkaufmann noch darauf berufen, daß ihm die sachlichen Voraussetzungen der Vollkaufmannseigenschaft fehlen: hinsichtlich seiner Fähigkeit zum Abschluß von Börsentermingeschäften und in einem Strafverfahren wegen einfachen oder betrügerischen Bankerotts, begangen durch unterlassene oder nicht ordnungsmäßige Buchführung. Ersteres ist in § 5 3 1 S. 2 BörsG bestimmt, letzteres folgt daraus, daß der Strafrichter die materielle Wahrheit zu erforschen hat. — Der Referendar: Wie kann Schick aus dem Handelsregister wieder herauskommen ? Der Rechtspfleger: In der Regel durch Anmeldung, etwa weil er sein Geschäft aufgegeben oder weil es durch Zurücksinken auf den Umfang des Kleingewerbes die Eintragungsfähigkeit verloren hat. §§ 14, 3 1 1 1 S. 1 H G B . Ist ein Geschäftsbetrieb eingegangen, so erweist sich der Zwang zur Anmeldung oft als undurchführbar, und dann kann die Firma von Amts wegen gelöscht werden. § 3 1 1 1 S. 2. Schließlich gibt es eine Amtslöschung solcher Eintragungen, die wegen des Mangels einer wesentlichen Voraussetzung der Eintragung von Anfang an unzulässig waren ( § 1 4 2 F G G , entsprechend für das Genossenschafts-, Vereins-, Güterrechtsregister: §§ 147, 159, 161 1 ). Dieses Verfahren ist auch anwendbar, wenn die Eintragung erst nachträglich unzulässig geworden ist (RG 169, 147). In seiner Bedeutung ist es der Einziehung eines Erbscheins (S. 589) und dem Verfahren nach § 53 G B O (S. 679) vergleichbar. Daß die in der G B O gemachte Unterscheidung zwischen der Eintragung eines Widerspruchs und der Löschung als unzulässig hier wegfällt, hängt mit dem Fehlen einer positiven Funktion des öffentlichen Glaubens der Registereintragungen (S. 701) zusammen. Einschreiten gegen unbefugte Firmenführung. „ A n das Amtsgericht, Abt. für Registersachen hier. Das Gericht bitte ich um Schutz in folgender Angelegenheit. Ich betreibe seit 18 Jahren am hiesigen Platze unter der Firma , Wiener Chic' ein Herrenschneidergeschäft. Seit einiger Zeit versendet mein Konkurrent, der Schneider Schick, Prospekte, welche außer seiner handelsgerichtlich eingetragenen Firma , Wiener Moden Igna% Schick' in großen roten Buchstaben die Worte , WienerSchick' tragen. E r will dadurch im Publikum den Anschein erwecken, als ob er mein bekanntes und angesehenes Geschäft erworben hätte. Sein Verhalten ist um so ungerechtfertigter, als Schick gar nicht von Wien, sondern von Nikolsburg in Mähren gebürtig ist und nicht einmal die Meisterprüfung bestanden hat. Lichterfelde, den 10. Oktober i960. Karl Nadel, Schneidermeister in Firma Modenhaus Wiener Chic."

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Registergericht — Prokura

Nadel selbst steht nicht im Register, betrachtet sich wohl als Handwerker. Die Worte „Wiener Chic" können also nicht als Firma (§ 4 1 HGB), sondern höchstens als besondere Bezeichnung eines Erwerbsgeschäfts (§16 UWG, sog. „Etablissementsname") geschützt werden. Zur Abgrenzung von Firma und Geschäftsbezeichnung als Unternehmenskennzeichen Droste, Betrieb 1957, 573. Gegen mißbräuchliche Führung von Firmen und sonstigen Geschäftsbezeichnungen sind drei Rechtsbehelfe gegeben. Nach §§ 37 1 1 HGB, 1, 3, 16 UWG, 24, 25 WZG, 823 B G B kann der Verletzte 1. Unterlassung, 2. bei Verschulden auch Schadensersatz verlangen, und 3. hat das Registergericht nach § 37 1 HGB von Amts wegen durch Ordnungsstrafen einzuschreiten. In dem letzten Fall wird, entsprechend dem rechtspolizeilichen Charakter des Verfahrens, nur ein nach dem öffentlichen Firmenrecht der §§ 17 f. unbefugter Firmengebrauch verfolgt. Ein solcher läge z. B. vor, wenn Schick nicht der wirkliche Inhaber des Geschäfts und lediglich seines Namens wegen vorgeschoben wäre. Dagegen machen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch vor der formell rechtmäßig erworbenen Firma nicht halt, wenn deren Benutzung die Gefahr der Verwechslung mit älteren Firmen oder Etablissementsnamen begründet oder sonst eine Unlauterkeit darstellt. Nach der umstrittenen Rechtsprechung (RG 110, 234; m , 66; 116, 209; JW 31, 46842; dazu Breit JW 28, 321) kann bei Verwechslungsgefahr sogar die Aufnahme des eigenen Familiennamens in eine Gesellschaftsfirma objektiv widerrechtlich und daher unstatthaft sein, weil sie hier ohne zwingenden Grund geschieht: sog. „Enteignung des Firmennamens". Anders beim Einzelkaufmann, dem der Grundsatz der Firmenwahrheit den Gebrauch seines Familiennamens als Firma ja sogar zur Pflicht macht (§ 18). B G H LM Nr. 15 zu § 12 BGB. Aber auch hier besteht nach Wettbewerbsrecht die Pflicht, alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, um die durch Gleichnamigkeit hervorgerufene Verwechselungsgefahr möglichst einzudämmen (BGH 4, 96). Nadel wird dahin beschieden, daß auf Grund seines Vorbringens kein Anlaß zur Einleitung eines Ordnungsstrafverfahrens besteht. Hat Nadel ein Beschwerderecht? E s kommt darauf an, ob durch die angefochtene Verfügung ein,.Recht" Nadeis beeinträchtigt wird (§ 20 1 F G G , oben S. 596). Nun könnte ein etwaiges Ordnungsstrafverfahren gegen Schick seinen Grund nicht in einer Schädigung der Rechte des Nadel, sondern nur in der Ordnungswidrigkeit der Firmenführung Schicks haben. Der Unterlassungsanspruch des Wettbewerbers begründet kein Beschwerderecht, wie in R G 132, 3 1 1 für einen Fall entschieden worden ist, in welchem der Konkurrent beanstandete, daß von einem Unternehmen mittleren Umfangs die irreführende Firma Eisen-,,Werke" geführt wurde.

Prokura.

„ A n das Amtsgericht, Abt. für Registersachen hier. Ich, der unterzeichnete Kaufmann und Schneider Ignaz Schick, bin im Handelsregister des hiesigen Amtsgerichts Abt. A Nr. 8251 als Inhaber der Firma Wiener Moden Ignaz Schick eingetragen. Ich habe der Buchhalterin Fräulein Ellen Feder in Lichterfelde Prokura erteilt. Fräulein Feder wird die Firma und ihre Unterschrift wie folgt zeichnen: Wiener Moden Ignaz Schick ppa. Feder. Gemäß § 53 H G B melde ich die Erteilung der Prokura hiermit zur Eintragung in das Handelsregister an. Lichterfelde, den 8. November i960. Ignaz Schick (Beglaubigungsvermerk zu Firmenzeichnung und Unterschrift, vgl. S. 458)."

Der Referendar erinnert sich eines Rechtsstreits, in welchem ein von Frl. Feder bereits im September gezeichneter Wechsel eine Rolle spielte, und wundert sich, daß die Erteilung der Prokura erst jetzt angemeldet wird.

Registergericht — öffentlicher Glaube des Handelsregisters

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Der Rechtspfleger: Die in § 53 H G B vorgeschriebene Anmeldung der Prokura hat keine rechtsbegründende Wirkung. Erteilt wird die Prokura, wie alle rechtsgeschäftlichen Vertretungsverhältnisse („Vollmachten"), entweder durch Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten oder gegenüber dritten Personen oder gegenüber der Öffentlichkeit. §§ 1 6 7 , 1 7 1 B G B . Bei der Prokura tritt nur die Besonderheit hin2u, daß sie einer ausdrücklichen Erklärung bedarf ( § 4 8 HGB). E s ist also sehr wohl möglich, daß Frl. Feder schon im September Prokura hatte. Auch der Widerruf einer Prokura erfolgt nach bürgerlichem Recht durch Erklärung gegenüber dem Prokuristen oder dem Dritten oder der Öffentlichkeit (§ 168 S. 3 BGB), und die Registereintragung (§ 53 1 1 1 HGB) ist lediglich rechtsbezeugend. Sie hat aber infolge des öffentlichen Glaubens des Registershier weit größere Tragweite als bei der Erteilung. Der öffentliche Glaube des Grundbuchs (§ 892 BGB) besitzt eine positive und eine negative Seite: man darf sich auf die Richtigkeit und auf die Vollständigkeit der Eintragungen, auf das Reden und auf das Schweigen des Grundbuchs verlassen. Dem Handelsregister fehlt die positive Funktion gänzlich. Nur dem Schweigen des Registers darf man trauen. §15 behandelt in Abs. 1 die Wirkung der Nichteintragung einer Tatsache, in Abs. 2 die Wirkung der Eintragung einer richtigen Tatsache, er behandelt aber nicht die Wirkung einer unrichtigen Eintragung. Auf die Richtigkeit einer Eintragung kann sich mithin ein Dritter nicht verlassen. Wird also eine wegen Geschäftsunfähigkeit nichtige Prokura eingetragen, so genießt derjenige, der sich auf die Richtigkeit des Registers verlassen hatte, grundsätzlich keinen Schutz (RGZ 127,15 3). Anders, wenn die Prokura widerrufen, der Widerruf aber nicht im Handelsregister eingetragen war. Dann kann der Dritte sich auf § 15 1 HGB berufen. Denn das Erlöschen der Prokura ist eine einzutragende Tatsache (§ 5 3 1 1 1 HGB). Dies gilt auch dann, wenn die Erteilung der Prokura selbst gar nicht eingetragen war, da die Prokura auch ohne Eintragung wirksam wird. — Anders als im Grundbuch ist zur Wirkung einzutragender Tatsachen gegenüber Dritten außer der Eintragung die Bekanntmachung erforderlich, es sei denn, daß der Dritte die Tatsache ohnehin kennt. RG 125, 228 schützte den gutgläubigen Erwerber einer Hypothek an einem OHG-Grundstück, die von einem auf Grund Scheinvertrags zu Unrecht ins Handelsregister als Gesellschafter Eingetragenen bestellt war, mit der Begründung: die Angabe der wirklichen Gesellschafter gehöre zu den nach § 15 1 HGB ins Register einzutragenden Tatsachen, darum dürfe sich die Gesellschaft gegenüber dem Gutgläubigen nicht darauf berufen, daß andere als die wahren Gesellschafter eingetragen gewesen seien. Diese Begründung war nicht haltbar. Aus dem Satz, daß die Gesellschaft keinem Gutgläubigen entgegenhalten kann, die wahren (nicht eingetragenen) Gesellschafter seien Gesellschafter (§ I 5 I ) ) folgt nämlich noch nicht, daß sie die im Handelsregister Eingetragenen als Gesellschafter gegen sich gelten lassen muß. Das träfe nur dann zu, wenn das Handelsregister auch in dem Sinne öffentlichen Glauben genösse, daß die positiven in ihm eingetragenen Tatsachen Dritten gegenüber als wahr gelten. In R G 142, 105 ist deshalb die Entscheidung RG 125, 228 aufgegeben worden; gleichwohl war sie im Ergebnis, aber mit anderer Begründung, richtig: Wer eine unrichtige Eintragung im Handelsregister veranlaßt oder ihre Beseitigung unterläßt, muß sich auf Grund dieser an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärung nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei die eingetragene Tatsache richtig (Flechtheim und Jacobi, JW 1929, 2943; Richert, NJW 1959, 1805). — Wird im Handelsregister für einen minderjährigen Geschäftsinhaber eine Prokura eingetragen, der die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung (oben S. 522) fehlt, so versagen derartige Erwägungen: die Prokura ist trotz guten Glaubens unwirksam. RG 127, 154. Zur Eintragung des Erlöschens der Prokura genügt Anmeldung durch den Firmeninhaber in beglaubigter Form (§ 5 3 1 1 1 HGB). Zu Registereintragungen bedarf es nicht, wie im Grundbuch, der beglaubigten Bewilligung bzw. Anmeldung des von der Eintragung Betroffenen. Außerdem sind Prokuren, gleichviel welches Rechtsverhältnis ihnen zugrunde liegt, jederzeit für den Geschäftsherrn frei widerruflich, unbeschadet natürlich des Anspruchs auf die vertragliche Vergütung (§ 521). — Die Verschiedenheit der Unterlagen von Grundbuch- und Registereintragung zeigt sich ferner, wenn Geschäftsführer einer GmbH abberufen worden sind und die Nachfolger eingetragen werden sollen: hier genügt Anmeldung durch die neuen Geschäftsführer unter Beifügung der Urschrift oder einer öffentlich beglaubigten Abschrift der (nicht formbedürftigen) Niederschrift über die Gesellschafterversammlung, in der die Veränderung beschlossen wurde (§ 39 1 1 GmbHG). Nicht einmal die ordnungsmäßige Einberufung der Versammlung ist dem Registergericht nachzuweisen. Sind die in der Niederschrift aufgeführten Gesellschafter mit den Gründen nicht personengleich, so bedarf es gegen-

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Registergericht — Zweigniederlassung

über dem Registergericht keines Nachweises, wie die neuen Gesellschafter ihre Geschäftsanteile erworben haben. Das gilt sogar bei Anmeldung und Eintragung satzungsändernder Beschlüsse ( K G J 39 A 122). Ausnahme für die Einmann-GmbH: Staub-Hachenburg 14 zu § 54, 9 zu § 16.

Eintragungsverfügung: „ 1 . Einzutragen in das Handelsregister Abt. A Nr. 8251: Sp. 1 : 2. Sp. 4: Der Buchhalterin Ellen Feder in Lichterfelde ist Prokura erteilt. 2. öffentliche Bekanntmachung. 3. Nachricht an: a) Schick, b) Frl. Feder."

Zweigniederlassung. Umschreibung auf den Erben Zweigniederlassung. Der Kaufmann und Schneider Ignaz Schick erscheint, begleitet von seiner Prokuristin Ellen Feder, auf der Geschäftsstelle des Registergerichts und erklärt zur Niederschrift des Registerführers (§128 F G G ) : „Als Inhaber der im Handelsregister des Amtsgerichts Lichterfelde, Abteilung A Nr. 8251, eingetragenen Firma lVierter Moden Ignaz Schick melde ich zur Eintragung in das Handelsregister an, daß ich in Hannover eine Zweigniederlassung unter der Firma Wiener Moden Ignaz Schick, Filiale Hannover, errichtet habe. Die Geschäftsräume der Zweigniederlassung befinden sich in Hannover, Ringstr. 12. Geschäftszweig ist das Herrenkonfektionsgeschäft sowie der Handel mit Stoffen. Ich zeichne die Firma zur Aufbewahrung bei dem Gericht der Zweigniederlassung wie folgt: Wiener Moden Ignaz Schick. Die Prokuristin Ellen Feder zeichnet die Firma und ihre Unterschrift zur Aufbewahrung bei dem Gericht der Zweigniederlassung wie folgt: (wie S. 700)."

Die Zweigniederlassung eines Kaufmanns (einer Handelsgesellschaft) ist ein von der Hauptniederlassung räumlich getrennter Geschäftsbetrieb, der mit den erforderlichen äußeren Einrichtungen (Geschäftsräume, Buchführung) versehen ist und in dem auf eine gewisse Dauer im wesentlichen gleichartige Geschäfte wie in der Hauptniederlassung unter einem Leiter mit der Befugnis zu selbständiger Entschließung in nicht nur ganz untergeordneten Dingen abgeschlossen werden. Die Zweigniederlassung hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und keine besonderen gesetzlichen Vertreter. Träger des Vermögens und der Verbindlichkeiten ist der Inhaber des Unternehmens. Die Rechtsverhältnisse und Eintragungen im Handelsregister der Hauptniederlassung, wie die Prokura des Frl. Feder, erstrecken sich ohne weiteres auf die Zweigniederlassung. Abweichungen zwischen Haupt- und Filialfirma sind zulässig. So könnte Schick, wenn er in Hannover das selbständige Geschäft des Kaufmanns August Müller mit Firmenrecht erworben und zu seiner Zweigniederlassung gemacht hat, dort firmieren „Wiener Moden Ignaz Schick, Zweigniederlassung Hannover, vormals August Müller". Sogar bei Handelsgesellschaften — die doch grundsätzlich nur eine einzige Firma führen dürfen — sind derartige Filialfirmen möglich. R G 1 1 3 , 213, dazu Breit J W 26, 1961 4 ; Richert, M D R 1957, 339. Notwendig ist ein Zusatz zu der Firma der Hauptniederlassung, wenn der Grundsatz der Unterscheidbarkeit (§ 3 0 1 1 1 ) dies erfordert oder wenn eine Filialprokura erteilt werden soll (§ 50 1 1 1 ). Der Kaufmann kann wegen der Geschäfte der Zweigniederlassung unter deren Firma klagen und verklagt werden, letzteres auch im besonderen Gerichtsstand der Niederlassung ( § 2 1 ZPO), und eine solche Klage kann ihm auch in den Geschäftsräumen der Zweigniederlassung zugestellt werden (BGH 4, 65).

Zweigniederlassungen entstehen nicht erst durch Eintragung, sondern durch tatsächliche Errichtung. Erst nachträglich sind sie zur rechtsbekundenden Eintragung bei dem Gericht der Hauptniederlassung (des Sitzes) anzumelden, das die Eintragung

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Registergeticht — Umschreibung auf den Erben

beim Registergericht der Zweigniederlassung vermittelt. Dieses prüft unter Anhörung der Industrie- und Handelskammer, ob die Zweigniederlassung errichtet und § 30 beachtet, d. h. die Firma „ f r e i " ist (§ 13), verfügt, wenn insoweit keine Beanstandungen zu erheben sind, die Eintragung, veranlaßt ihre Veröffentlichung und teilt sie dem Gericht der Hauptniederlassung von Amts wegen mit. Dieses vermerkt, ebenfalls von Amts wegen, die Errichtung der Zweigniederlassung in Sp. 1, 2b: „ 3 . In Hannover ist eine Zweigniederlassung unter der Firma

errichtet."

Eine Bekanntmachung dieses Vermerks, der keine Eintragung im Sinne des § 10 H G B darstellt, findet nicht statt. Für die mit der Zweigniederlassung getätigten Geschäfte kommt es ausschließlich auf die Eintragungen des dortigen Registers an (§ 1 5 1 1 1 ) . In Zukunft müssen alle registerpflichtigen Vorgänge beim Gericht der Hauptniederlassung angemeldet werden, welches die Prüfung, Eintragung und Veröffentlichung in vollem Umfange übernimmt (Grundsatz der Zentralisierung), dem Gericht der Zweigniederlassung unter Mitteilung der Nummer des Bundesanzeigers, in der die Bekanntmachung erfolgt ist, Nachricht von der Eintragung im Register der Hauptniederlassung (des Sitzes) gibt und die notwendigen Unterlagen beifügt. Das Gericht der Zweigniederlassung übernimmt die Eintragung ohne jede Nachprüfung in sein Handelsregister (§ 13 a; im einzelnen vgl. GroschufFund Lenz, JW 1937, 2425, 2632). U m s c h r e i b u n g auf den E r b e n . „Mein Ehemann, der Kaufmann und Schneider Igna% Schick, Inhaber der im Handelsregister A des hiesigen Amtsgerichts unter Nr. 8251 eingetragenen Firma „ Wiener Moden Igna% Schick" mit Zweigniederlassung in Hannover, ist am 9. Februar d. J . verstorben und laut seinem in den Akten 5 IV 38/61 des hiesigen Amtsgerichts verkündeten eigenhändigen Testament von mir beerbt worden. Ich habe die Erbschaft angenommen und werde das Geschäft unter unveränderter Firma fortführen. Dies melde ich zur Eintragung an. Ich werde die Firma, wie folgt, zeichnen: „ Wiener Moden Ignaz Schick." Von der Beibringung eines Erbscheins bitte ich wegen der damit verbundenen Kosten Abstand zu nehmen. Lichterfelde, den 22. März 1961. Hedwig Schick geb. Enke. (Beglaubigungsvermerk bezüglich Firmenzeichnung und Unterschrift)."

Was die verfahrensrechtliche Seite des Falles anlangt, so müssen nach § 1 2 1 1 Vollmachten, die als Grundlage von Eintragungen gebraucht werden, immer beglaubigt sein, und Rechtsnachfolger sich „soweit tunlich" durch öffentliche Urkunde ausweisen. An den Nachweis der Erbfolge sind also weniger strenge Anforderungen als in § 3 5 G B G gestellt. Der Richter kann sich mit anderen Nachweisen begnügen. Was er für genügend hält, bleibt seinem pflichtmäßigen Ermessen überlassen. Nach Schlegelberger, H G B , 3. Aufl. § 12 Anm. 18 muß der Registerrichter, w o öffentliche Urkunden zum Nachweis der Rechtsnachfolge beigebracht werden können, ihre Vorlegung verlangen. Nur dann, wenn ihre Beschaffung auf Schwierigkeiten stößt und ein Aufschub der Eintragung erhebliche Nachteile für die Beteiligten befürchten läßt, soll der Registerrichter sich mit anderen Nachweisen begnügen dürfen. — Die Vorlegung von Urkunden wird ersetzt durch Bezugnahme auf die Akten desselben Gerichts, in denen sie enthalten sind ( K G J 20 A 289; O L G München J F G 20, 373)-

Die Eintragung lautet: „Sp. 1 : 4 . Sp. 3: Die Kauffrau Hedwig Schick geb. Enke in Lichterfelde."

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Registergericht — Kommanditgesellschaft

Der Name des verstorbenen Firmeninhabers wird rot unterstrichen. Die Eintragung der Veränderung im Register der Zweigniederlassung veranlaßt das Gericht von Amts wegen gemäß § 1 3 a m . Die Prokura des Frl. Feder wird durch den Todesfall nicht berührt (§ 5 2 1 1 1 H G B ) , deshalb erübrigt sich eine Eintragung in der Prokurenspalte (KG J F G 19, 82 = JW 1939, 565). Nur wenn der Prokurist Miterbe des Geschäftsinhabers wird, erlischt die Prokura (KG a.a.O.; B G H Z 30, 391 = NJW 1959, 2114). Ferner erlischt nach herrschender Meinung die Prokura bei Veräußerung des Geschäfts unter Lebenden oder Umwandlung einer Einzelfirma in eine OHG oder K G , sofern nicht der Erwerber ausdrücklich das Weiterbestehen der Prokura erklärt. Man nimmt sogar an, daß selbst im letzten Fall die alte Prokura gelöscht und eine neue eingetragen werden müsse. O L G 1 1 , 378 (KG); 34, 332 (BayObLG); Staub i j zu § 52; a.A. Baumbach-Duden 4b zu § 52. Persönliche Haftung der Erbin für die unter der Firma begründeten Verbindlichkeiten: S. 706. Sind mehrere Erben vorhanden, so entsteht nach feststehender Rechtsprechung durch die gemeinschaftliche Fortführung des Handelsgeschäfts nicht ohne weiteres eine OHG. Denn die Fortführung gehört zu der nach §203818.1 BGB den Erben gemeinschaftlich obliegenden Verwaltung des Nachlasses. Es bedarf vielmehr auch in diesem Fall des Abschlusses eines Gesellschaftsvertrages ( K G in st. Rspr., insbes. J F G 19, 82; 21, 168; Wertpapier-Mitt. 1956, 583; BayObLG J F G 7, 160; BGH NJW 1951, 312). Bei Fortführung des Geschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft haften aber die Erben für die von ihnen selbst begründeten neuen Verbindlichkeiten als „Nachlaß-Eigenschulden" unbeschränkbar mit Nachlaß und Eigenvermögen ( K G JW 1937, 2599). Hatte der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, so ist es unzulässig, daß der Testamentsvollstrecker kraft seines Vollstreckeramtes das Handelsgeschäft in der Weise fortführt, daß die Erben als Inhaber und die Testamentsvollstreckung als Beschränkung in das Handelsregister eingetragen werden. Denn der Testamentsvollstrecker kann durch seine Geschäfte die im Handelsverkehr unerläßliche persönliche Haftung der Erben als Geschäftsinhaber nicht begründen (KG aaO.; vgl. aber oben S. 476).

Kommanditgesellschaft U m w a n d l u n g einer E i n z e l f i r m a in eine K o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t . Anmeldung bei der Firma „Globus-Lichtspiele Artur Rauch", Inhaber Artur Rauch: „In das Geschäft sind der Kaufmann Bruno Nebel aus Berlin als persönlich haftender Gesellschafter und die verwitwete Frau Laura Pohl geb. Lorenz a u s Köln als Kommanditistin mit einer Einlage von 20000 DM (i.W.) eingetreten. Die Firma wird unverändert weitergeführt. Die Gesellschaft ist eine Kommanditgesellschaft mit dem Sitz in Lichterfelde und hat ihre Geschäfte am 1. Januar i960 begonnen. Die Geschäftsräume befinden sich in Lichterfelde, Markt 1. Herr Nebel und Herr Rauch zeichnen die Firma und ihre Namensunterschrift wie folgt: G/oiar-Lichtspiele Artur Rauch Bruno Nebel.

GVofow-Lichtspiele Artur Rauch Artur Rauch.

Lichterfelde, den 16. Januar i960. Artur Rauch.

Bruno Nebel.

Laura Pohl geb. Lorenz-

(Beglaubigungsvermerk)." V g l . §§ 106, 108, 1 6 z 1 . Die Kommanditistin meldet mit an, reicht aber keine Firmenzeichnung ein, weil sie nicht zur Vertretung der Kommanditgesellschaft berechtigt ist (§§ 164, 170). Die Gesellschaft konnte ihre Geschäfte schon vor der A n meldung und Eintragung eröffnen, weil Kommanditgesellschaften, die ein vollkaufmännisches Handelsgewerbe betreiben, ebenso wie offene Handelsgesellschaften durch Abschluß des Gesellschaftsvertrages und nicht durch Eintragung entstehen. Nach § 176 gilt aber bis zur Eintragung die Gesellschaft im Verhältnis zu gutgläubigen Dritten als offene Handelsgesellschaft, so daß der verfrühte Geschäftsbeginn der

Registergericht — Anfechtung des Gesellschaftsvertrages

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Kommanditistin leicht verhängnisvoll werden kann. D i e E i n t r a g u n g der K o m m a n d i t gesellschaft ist insofern, als sie der sonst gegenüber gutgläubigen Geschäftsfreunden bestehenden unbeschränkten H a f t u n g des Kommanditisten ein E n d e macht, rechtsändernd. Eintragung auf dem alten Registerblatt der Firma R a u c h : „Sp. 1 : 3 . Sp. 5: Bruno Nebel, Kaufmann in Berlin. Sp. 5: Kommanditgesellschaft. Die verwitwete Frau Laura Pohl geb. Lorenz in Köln ist Kommanditistin mit einer Einlage von 20000 DM. Die Gesellschaft hat am 1. Januar i960 begonnen." V o n der öffentlichen Bekanntmachung sind der N a m e des Kommanditisten und der Betrag der Kommanditeinlage ausgeschlossen. § 1 6 2 1 1 . D i e Veröffentlichung lautet also nur: „ I n das Geschäft sind der Kaufmann Bruno Nebe! in Berlin als persönlich haftender Gesellschafter und ein Kommanditist eingetreten. Die Firma ist eine Kommanditgesellschaft, die am 1. Januar i960 begonnen hat." A n f e c h t u n g des

Eintritts. „Köln, den 10. März i960.

A n das Registergericht Lichterfelde. A m 1. Januar d. J . bin ich in die Firma Globus-Lichtspiele Artur Rauch als Kommanditistin mit einer Einlage von 20000 D M eingetreten. 10 000 D M habe ich sofort gezahlt, dann sollte ich 5000 D M bis 1. April i960, den Rest nach Bedarf zahlen. Jetzt hat mich die Film-Verleih- und Kino-Apparate GmbH in Berlin-Halensee auf Zahlung von 16200 D M verklagt, welche aus der Geschäftsverbindung Rauchs vor meinem Eintritt herrühren und in den mir s. Zt. vorgelegten Handelsbüchern nicht als Schuld aufgeführt waren. Rauch hat mich also arglistig getäuscht. Ich habe den Gesellschaftsvertrag und meinen Eintritt in die Firma sofort nach Entdeckung des Betrugs angefochten. Zur Glaubhaftmachung überreiche ich Ich bitte: mich sofort im Handelsregister zu löschen, damit ich nicht gezwungen bin, die mir von Rauch verschwiegenen alten Schulden zu bezahlen. Laura Pohl geb. Loren^" D e r Referendar entwirft die V e r f ü g u n g : „Eilt! 1. Urschriftlich mit Anlagen Herrn Prozeßrichter für „ R " zur weiteren Erledigung. 2. A n Frau Pohl: Auf die Eingabe vom 10. d. M. Ihre Löschung im Handelsregister kann nur erfolgen, wenn entweder sämtliche Beteiligten, also auch Rauch und Nebel, Ihr Ausscheiden in öffentlich beglaubigter Form angemeldet haben oder ein vollstreckbares Urteil, zum mindesten eine einstweilige Verfügung, vorliegt. §§ 12, 16 H G B . Für die einstweilige Verfugung ist die Kammer für Handelssachen des hiesigen Landgerichts als Prozeßgericht zuständig. Außerdem kann, allerdings nur bei Dringlichkeit, das Amtsgericht eine einstweilige Verfügung erlassen unter gleichzeitiger Bestimmung einer Frist, innerhalb welcher zur Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung vor das Prozeßgericht geladen werden muß. § 942 ZPO. Da sich Ihre Eingabe auch als Gesuch um Erlaß einer einstweiligen Verfügung auffassen läßt, haben wir sie wegen der Dringlichkeit der Sache kurzerhand an die Prozeßabteilung abgegeben. Wir machen jedoch darauf aufmerksam, daß zweifelhaft sein kann, ob das Gesuch nach den bisherigen Unterlagen begründet ist, und daß es sich bei der Schwierigkeit und der Bedeutung des Falles für Sie empfehlen dürfte, einen Rechtskundigen zuzuziehen." 4J

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Registergericht — Haftung bei Geschäftsübergang

Kann Frau Pohl sich der Haftung für die Verbindlichkeit noch entziehen ? An die Übernahme von Handelsgeschäften knüpft das H G B eine Haftung für die Schulden des bisherigen Inhabers, ausgehend von dem Gedanken, daß der neue Geschäftsinhaber sich der Öffentlichkeit gegenüber zu den Verpflichtungen der Firma bekannt hat: i. Bei Übernahme des Geschäfts eines Einzelkaufmanns wird die Haftung durch Fortführung der Firma — mit oder ohne „Nachfolgezusatz" — begründet. Sie kann durch Vereinbarung ausgeschlossen werden, doch wirkt der Ausschluß nur, wenn er in das Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht oder dem Gläubiger besonders mitgeteilt war (§ 25). Im übrigen trifft den Geschäftsübernehmer, der auf diese Art die unbeschränkte Haftung vermieden hat, die unabdingbare beschränkte Haftung aus § 419 B G B , wenn das Handelsgeschäft das ganze oder nahezu ganze Vermögen des Veräußerers ausmacht. 2. Führt der Erbe das Geschäft des Erblassers unter der bisherigen Firma (ebenfalls mit oder ohne Nachfolgezusatz) fort, so haftet er für die Geschäftsschulden persönlich und unbeschränkt. Ausschluß durch Vereinbarung kann nach Lage der Sache hier nicht in Betracht kommen; wohl aber kann der Erbe in entsprechender Anwendung des § 2 5 1 1 durch einseitige Erklärung und unverzügliche Eintragung in das Handelsregister nebst Bekanntmachung die unbeschränkte Haftung für die Geschäftsschulden des Erblassers ausschließen ( K G D R 1940, 2007). Ferner wird die Haftung durch Einstellung des Geschäftsbetriebs binnen drei Monaten seit Kenntnis vom Erbfall beseitigt (§ 27 HGB). Wer also ein überschuldetes Geschäft geerbt und die Ausschlagungsfrist versäumt hat, kann während weiterer sechs Wochen die Haftung für die Geschäftsschulden abwenden, indem er das Geschäft schließt. Nach Ablauf der drei Monate nützt ihm die Beschränkung der Erbenhaftung nur noch gegenüber den Nicht-Geschäftsgläubigern des Nachlasses. 3. Wird eine Einzelfirma durch Hinzutritt anderer Gesellschafter zu einer O H G oder K G erweitert, so haftet die Gesellschaft für die alten Geschäftsschulden auch, wenn sie die Firma nicht fortführt. Ausschluß durch Vereinbarung und Registereintragung bzw. Mitteilung ist möglich (§ 28). In diesem Fall greift auch die Haftung aus § 419 B G B nicht ein, weil O H G oder K G als Gesamthandsgemeinschaften nicht „das Vermögen" übernehmen (BGH B B 54, 700); anders bei der Einbringung des Vermögens in eine Kapitalgesellschaft ( R G 148, 257). 4. Wenn endlich in eine bereits bestehende O H G oder K G ein neuer Gesellschafter eintritt, so ist die Haftung ebenfalls von der Beibehaltung der Firma unabhängig; eine Ausschließung der Haftung wird für diesen Fall überhaupt nicht vorgesehen (§§ 130, 1 6 1 1 7 3 ) . Die von Frau Pohl behauptete arglistige Täuschung vermag hieran nichts zu ändern. Die Rechtsprechung des R G hat zwar zunächst die Anfechtung des Gründungsvertrages einer Personengesellschaft wegen Willensmängel im Innenverhältnis zugelassen, ihr jedoch nach dem Vollzuge der Gesellschaft die Wirkung nach außen gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft versagt, weil die Eintragung in das Handelsregister eine an die Öffentlichkeit gerichtete Erklärung ist, aus welcher der Eintretende im Hinblick auf § 28 H G B selbständig haftet (RG 51, 39; 76, 441). In R G 89, 335 wurde sodann ausgesprochen, daß ein Rücktritt vom Gesellschaftsvertrage, wenn die Gesellschaft ins Leben getreten ist, durch die Sonderbestimmung des § 1 3 3 H G B ausgeschlossen wird. Später wurde auch der Anfechtung die rückwirkende Kraft überhaupt versagt und ihr nur noch die Wirkung einer Kündigung aus wichtigem Grunde beigelegt, die die Gesellschaft für die Zukunft auflöst, so daß sie sowohl im Innen- wie im Außenverhältnis bis zur Kündigung als fortbestehend gilt (RG 165, 199; 170, 98; B G H 3, 285; 26, 330 = N J W 1958, 669). Der Verkehrsschutz geht so weit, daß sogar der in das überschuldete Geschäft eines Geisteskranken eingetretene Gesellschafter an seiner Haftung für die alten Geschäftsschulden festgehalten •wird: die Nichtigkeit der Willenserklärung des Geschäftsunfähigen aus §§ 104, 105 ist unerheblich,

Registergericht — Haftung des Kommanditisten

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weil es allein auf die von dem Eintretenden abgegebene Erklärung an die Öffentlichkeit ankommt (RG 89, 98). Beim Eintritt in das Geschäft des Geisteskranken •wird dem Getäuschten unter Umständen insofern geholfen, als aus Rechtsgeschäften des alten Firmeninhabers, sofern er bei ihrem Abschluß bereits geschäftsunfähig war, natürlich keine Vertragshaftung entsteht und der neue Gesellschafter daher nur auf die Bereicherung haftet (RG 93, 228). Beim Eintritt in eine bereits bestehende Gesellschaft (§§ 130, 173 HGB) ist man eher geneigt, die Anfechtung des Aufnahmevertrages gegen über Altgläubigern durchgreifen zu lassen, weil diese nicht im Vertrauen auf die Person des neuen Gesellschafters mit der Gesellschaft in Geschäftsverbindung getreten sind (RGRKomm. z. HGB § 130 Anm. 18). Auch bei den Kapitalgesellschaften führt der Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes und der Kundgabe an die Öffentlichkeit dazu, daß der Gesellschaft nach ihrer Eintragung im Handelsregister die Kapitalgrundlage nicht durch Anfechtung der Gründungs- und Beitrittserklärungen entzogen werden darf (RG 82, 375; 127, 191; BGHZ 13, 320 = NJW 1954, 1562). Das gleiche gilt für die Genossenschaft (RG 57, 297; 69, 368). Frau Pohl muß daher die Forderung der Film-Verleih- und Kinoapparate G m b H als Schuld der Kommanditgesellschaft gelten lassen. Bis 2ur Höhe seiner Einlage haftet der Kommanditist den Gesellschaftsgläubigern unmittelbar; soweit er die Einlage geleistet hat, ist die Haftung ausgeschlossen. § 1 7 1 1 H G B . Da von der Kommanditeinlage von 20000 D M 10000 D M bezahlt sind, wird Frau Pohl zu 10000 D M verurteilt werden, während die Mehrforderung von 6200 D M abzuweisen ist. Einstweilige Verfügungen und ähnliche Maßnahmen können nur verhüten, daß Rauch in Zukunft durch weitere Geschäftsführung das Gesellschaftsvermögen schädigt und entwertet. Die Gläubigerin wird allerdings von ihrem Standpunkt aus gut daran tun, sich auf den unmittel baren Anspruch gegen die Kommanditistin aus § 1 7 1 1 allein nicht zu verlassen, sondern außerdem den Anspruch der Gesellschaft gegen die Kommanditistin auf Leistung der Pflichteinlage zu pfänden. Denn da die Leistung der Einlage an die Gesellschaft von der Haftung aus § 1 7 1 1 befreit und dieser Fall auch nach der Klagerhebung eintreten kann, könnte der Klage nachträglich die Grundlage entzogen werden, wenn Frau Pohl den Rest ihrer Einlage an die Gesellschaft oder an einen anderen Gläubiger zahlt, für den der Anspruch der Gesellschaft auf die Pflichteinlage gepfändet worden ist (vgl. Fritze, NJW 1956, 975). Frau Pohl (und in gleicher Weise Nebel) hätten sich nach dem hier anzuwendenden § 28 dadurch schützen können, daß die Haftung für die Schulden des Rauch ausgeschlossen und dies ins Register eingetragen und bekannt gemacht worden wäre. Wird der Ausschluß der Haftung zur Eintragung angemeldet, aber vom Gericht nicht eingetragen oder bekanntgemacht, so ist ein Ersatzanspruch gegen den Justizfiskus gegeben (§ 839 BGB, Art. 34 GG). Jedoch entfällt der Anspruch auf Grund des § 839 1 1 1 BGB, falls der neue Firmeninhaber aus der ihm zugegangenen Nachricht des Registergerichts hätte ersehen können, daß nur der Eintritt in die Firma, nicht der Haftungsausschluß eingetragen war (RG JW 1931, 1186). Man muß also in Registersachen sorgfältig prüfen, ob Eintragungsnachricht und Anmeldung sich decken. Noch besser wäre es gewesen, wenn Frau Pohl sich als stille Gesellschafterin, statt als Kommanditistin, beteiligt hätte. Denn der stille Gesellschafter wird von den Gläubigern der Firma niemals unmittelbar in Anspruch genommen (§ 3 3 5 1 1 HGB), und im Konkursfall kann er sogar unter gewissen Voraussetzungen Ansprüche als Konkursgläubiger geltend machen (§ 341 1 ), was beim Kommanditisten eine rechtliche Unmöglichkeit wäre. Bisweilen lassen sich stille Gesellschafter zu ihrer größeren Sicherheit Vermögensgegenstände der Firma übereignen und haben dann — vorausgesetzt, daß die Abmachung keiner Anfechtung unterliegt — sogar ein Widerspruchsrecht. Will der Geldgeber, gleichviel ob Kommanditist oder stiller Gesellschafter, sich vollen Einblick in die Verhältnisse des Geschäfts verschaffen, so kann er sich nebenher zum Prokuristen bestellen lassen (RG 31, 39), was übrigens auch beim Kommanditisten zugelassen wird (BGH 17, 394). Auch dieBestellung eines von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossenen OHG-Gesellschafters (§§ 114,125) zum Prokuristen ist unbedenklich (BGHZ 30, 391; vgl. Staub 3 zu § 48, 4 zu § 125). E i n t r a g u n g auf G r u n d g e r i c h t l i c h e r

Entscheidung.

„Als Gesellschafter der Kommanditgesellschaft in Firma „ G/ofow-Lichtspiele Artur Rauch" in Lichterfelde melden wir zur Eintragung in das Handelsregister an: 4S*

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Registergericht — Eintragung auf Grund Urteils

Der Gesellschafter Artur Rauch ist durch vollstreckbares Urteil des Landgerichts Berlin, II. Kammer für Handelssachen, vom 31. Mai i960 von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen. Berlin, 2. . den — Juni i960. Köln, 3. Bruno Nebel.

Laura Pohl geb. Loren

(Beglaubigungsvermerk)." Das in vollstreckbarer Ausfertigung mit Zustellungsurkunde beigefügte, auf Klage des Nebel und der Frau Pohl gegen Rauch ergangene Urteil lautet: „Der Beklagte wird von der Vertretung der Kommanditgesellschaft in Firma „ GlobusLichtspiele Artur Rauch" in Lichterfelde ausgeschlossen und verurteilt, dies zur Eintragung in das Handelsregister bei der genannten Firma anzumelden. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar." Die Entziehung der Vertretungsbefugnis aus „wichtigem Grunde" erfolgt durch richterliches Urteil ( § 1 2 7 ) , welches rechtsgestaltend ist und daher erst mit der Rechtskraft in Wirksamkeit tritt. Nach § 1 6 1 S. 1 wird jedoch die Anmeldung 2um Handelsregister schon durch die vollstreckbare Verurteilung eines Beteiligten ersetzt, also auch durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil, ja sogar durch eine einstweilige Verfügung, selbst wenn es sich um eine erst mit der Rechtskraft wirksam werdende rechtsgestaltende Entscheidung handelt ( R G R K o m H G B , 2. Aufl. § 16 Anm. 3, 4). Wenn die übrigen Beteiligten anmelden und sich dadurch mit dem Spruch des Prozeßgerichts einverstanden erklären, muß der Registerrichter die Anmeldung des Beklagten als durch das vollstreckbare Urteil ersetzt ansehen (Schlegelberger, H G B , 3. Aufl. § 16 Anm. 8). Eintragungsverfügung: „Sp. 1 : 4. Sp. 5: Durch vollstreckbares Urteil des Landgerichts Berlin, II. Kammer für Handelssachen, vom 31. Mai i960 ist der Kaufmann Artur Rauch von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen."

Gläubiger-GmbH. Gesellschaftsvertrag. „Verhandelt Lichterfelde, den 8. Januar i960. Vor dem unterzeichneten Notar usw. erschienen: 1. der Architekt Hugo Friese, 2. der Bankier Ferdinand Schilling, 3. der Ziegeleibesitzer Robert Heckner, 4. der Ingenieur Detlev Dinter, 5. der Direktor Emil Fischer, 6. das volljährige Fräulein Anna Friese, sämtlich aus Lichterfelde, dem Notar von Person bekannt. Herr Dinter legte beglaubigte Vollmacht der offenen Handelsgesellschaft Josef Claudius & Co. Eisenhandlung in Freistadt vom 20. Dezember 1959, Urkundenrolle Nr. 555/59 des Notars Urban in Freistadt, vor und erklärte, daß er in dieser Verhandlung als Vertreter der Firma Claudius auftrete. Hierauf schlössen die Erschienenen •— Herr Dinter namens der offenen Handelsgesellschaft Josef Claudius & Co. Eisenhandlung in Freistadt, Herr Fischer als vertretungsberechtigter Ge-

Registergericht — Gesellschaftsvertrag der GmbH

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schäftsfiihrer der Berliner Gerüstbau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Berlin — folgenden Gesellschaftsvertrag: § i. Herr Hugo Friese, Herr Schilling, Herr Heckner, die offene Handelsgesellschaft Josef Claudius & Co. Eisenhandlung in Freistadt, die Berliner Gerüstbau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Berlin und Fräulein Anna Friese errichten unter der Firma „Hugo Friese Gesellschaft mit beschränkter Haftung" eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in Lichterfelde. § 2. Gegenstand des Unternehmens ist die Übernahme und Ausführung von Bauarbeiten jeder Art, der Handel mit Baumaterialien und die Verwertung der deutschen Reichspatente Nr. 125863 und Nr. 125864 betreffend fugenlose Dachdeckung. Die Errichtung von Zweigniederlassungen ist zulässig. § 3. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 183500 DM (i.W.). § 4. Auf das in § 3 bezeichnete Stammkapital haben die Gesellschafter folgende Stammeinlagen zu leisten: Herr Friese Herr Schilling Herr Heckner Claudius & Co Gerüstbau-GmbH Fräulein Friese zusammen

60000 DM 35000 DM 28000 DM 25000 DM 22000 DM 13500 DM 183 500 DM

(i.W.) (i.W.) (i.W.) (i.W.) (i.W.) (i.W.)

§ 5. Herr Friese bringt als seine Einlage ein: a) das von ihm unter der Firma „Hugo Friese" in Lichterfelde betriebene Baugeschäft mit allen Aktiven und Passiven sowie dem Firmenrecht nach dem Stand vom 31. Dezember 1959, dergestalt, daß das Geschäft vom 1. Januar i960 ab als für Rechnung der Gesellschaft geführt gilt. Das Grundstück Breslauer Straße 23 in Lichterfelde, eingetragen im Grundbuch von Lichterfelde Band 15 Blatt 425, mit den darauf ruhenden Lasten wird mit eingebracht, während der übrige im Eigentum des Herrn Friese stehende Grundbesitz und die darauf ruhenden Belastungen von der Einbringung ausgeschlossen sind. Der Gesamtwert dieser Einlage wird nach Abzug der Belastungen und Verbindlichkeiten auf 51575 DM (i.W.) festgesetzt, b) die ihm gehörenden deutschen Reichspatente Nr. 125 836 und Nr. 125 864 betreffend fugenlose Dachdeckung, deren Wert auf zusammen 8625 DM (i.W.) festgesetzt wird. zusammen 60000 DM § 6. In Anrechnung auf ihre Stammeinlagen bringen die nachbenannten Gesellschafter folgende ihnen gegen Herrn Hugo Friese zustehenden Forderungen ein: Herr Schilling seine Forderung von 29618 DM (i.W.) Herr Heckner seine Forderung von 28000 DM (i.W.) Claudius & Co, ihre Forderung von 19400 DM (i.W.) Gerüstbau-GmbH, ihre Forderung von 19250 DM (i.W.) zusammen 96268 DM § 7. An baren Einlagen haben zu leisten: Herr Schilling 5 382 DM (i.W.) Claudius & Co 5 600 DM (i. W.) Gerüstbau-GmbH 2750 DM (i.W.) Fräulein Friese 13 500 DM (i.W.) zusammen 27232 DM § 8. Die Haftung der Gesellschafter beschränkt sich auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen. Nachschüsse werden nicht erhoben.

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Registergericht — Anwendungsfälle der GmbH § 9. Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. § 10. Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so können je zwei von ihnen gemeinschaftlich die Gesellschaft vertreten. Die Geschäftsführer sind von der Beschränkung des § 1 8 1 BGB befreit. § n . Als erste Geschäftsführer werden die Gesellschafter Hugo Friese und Robert Heckner bestellt. Als Vergütung erhält Herr Friese das Eineinhalbfache der höchsten tarifmäßigen Bezüge eines kaufmännischen Angestellten sowie eine Tantieme von 5% (i.W.) vom Reinertrage der Gesellschaft. Herr Heckner erhält als Vergütung monatlich 100 DM (i.W.). § 12. Die Gesellschaft hat einen Aufsichtsrat, welcher aus drei oder mehr von der Gesellschafterversammlung gewählten Personen besteht. Die Amtsdauer der Aufsichtsratsmitglieder beträgt drei Jahre, die des ersten Aufsichtsrats bestimmt sich nach § 52 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Verbindung mit § 87 1 1 1 des Aktiengesetzes. Zu Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats werden die Herren Schilling, Fischer und Anton Claudius (in Firma Josef Claudius & Co. Eisenhandlung) gewählt. § 13. Die Gesellschafterversammlung findet alljährlich im Monat Februar in Berlin unter Leitung des Vorsitzers des Aufsichtsrats statt. § 14. Zur Übertragung und zu sonstigen Verfügungen über Geschäftsanteile ist die Zustimmung der Gesellschaft erforderlich. § 15. Herr Hugo Friese kann jederzeit von den übrigen Gesellschaftern die Übertragung ihrer Geschäftsanteile zum Nennwert verlangen. Der Kaufpreis erhöht sich, falls in den beiden letzten Geschäftsjahren Dividenden verteilt worden sind, für je ein halbes Prozent Dividendendurchschnitt dieser beiden Jahre um je 8% (i.W.) des Nennbetrags. § 16. Jeder Gesellschafter kann die Gesellschaft spätestens am 31. Dezember 1970 durch eine an die Geschäftsführer zu richtende eingeschriebene Erklärung zum 31. Dezember 1971 kündigen. Die Geschäftsführer haben die Kündigung sofort allen Gesellschaftern mitzuteilen. Alsdann sind die Gesellschafter, welche nicht gekündigt haben, berechtigt, den Geschäftsanteil des Kündigenden am 31. Dezember 1971 zum Buchwert zu übernehmen. Die Übernahmeerklärung muß bis zum 30. Juni 1971 abgegeben werden; soweit einzelne Gesellschafter sich an der Übernahme nicht beteiligen wollen, steht das Übernahmerecht den übrigen allein Zu. Kommt keine Übernahme zustande, so ist die Gesellschaft mit dem 31. Dezember 1971 aufgelöst. Erfolgt keine Kündigung, so verlängert sich die Gesellschaft stillschweigend um je Zwei weitere Jahre. § 17. Für den Fall, daß die Eintragung der Gesellschaft beanstandet werden sollte, ermächtigen sämtliche Gesellschafter Herrn Heckner, in ihrer aller Namen die zur Herbeiführung der Eintragung erforderlichen Änderungen oder Ergänzungen des Gesellschaftsvertrags zu beschließen und zur Eintragung anzumelden. § 18. Bekanntmachungen der Gesellschaft erfolgen nur durch den Bundesanzeiger."

Die G m b H vereinigt die Vor2üge der A G mit denen der O H G . A u f der einen Seite beschränkte Haftung der Gesellschafter, wie bei der A G . A u f der anderen niedrigeres Stammkapital, Vereinfachung des organisatorischen Apparats, erleichterte Sachgründung, keine Veröffentlichung des Jahresabschlusses (Ausnahme: § 4 1 I V G m b H G ) , kein kunstvolles System von Minderheitsrechten, dagegen eine Reihe steuerlicher Vergünstigungen. Die Erleichterungen hängen damit zusammen, daß die Geschäftsanteile nur in der umständlichen Form des § 1 5 G m b H G übertragen werden und nicht, wie Aktien, in das große Publikum gelangen. Der kleine Kreis der Gesellschafter bedarf nach Auffassung des Gesetzgebers nicht des besonderen Schutzes durch Publizitätsvorschriften und sonstige „Garantien der Reellität", und die Gläubiger der Gesellschaft sollen sich selber helfen. Die G m b H kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck, mag er ideeller oder wirtschaftlicher Art sein, errichtet werden

Registergericht — Gegenstand des Unternehmens

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(§ i). Typische Anwendungsfälle: i. Die Erben eines Kaufmanns oder Fabrikanten führen das ererbte Geschäft als G m b H weiter, an der sie sämtlich als Gesellschafter kapitalistisch beteiligt sind, während einer oder einige außerdem als Geschäftsführer das Unternehmen leiten. 2. Die „Familien-GmbH": mehrere (verwandte oder nicht verwandte) Kaufleute vereinigen sich zu einem geschäftlichen Unternehmen in Form der GmbH, um ihr Wagnis von vornherein auf eine bestimmte Summe zu begrenzen; sie sind dann in der Regel zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer. 3. Die „ E i n mann-GmbH" entsteht dadurch, daß ein Kaufmann zusammen mit einer zweiten, gering beteiligten Person eine Gesellschaft gründet, sich zum Geschäftsführer bestellen läßt und später den Anteil des anderen erwirbt. Die einmal von der erforderlichen Zahl von Gesellschaftern errichtete G m b H (oder A G ) verliert durch nachträgliche Vereinigung sämtlicher Anteile in einer Hand die einmal erworbene Rechtspersönlichkeit nicht wieder. So kann der Kaufmann, indem er die verschiedenen Zweige seiner geschäftlichen Unternehmungen in je eine G m b H verwandelt, verhindern, daß geschäftlicher Mißerfolg des einen Unternehmens ihm auch die Vorteile der gutgehenden entzieht; er „parzelliert" sich selbst in mehrere juristische Personen. 4. Das „gemischt-wirtschaftliche Unternehmen" („gemeinnützige G m b H " ) faßt die Mittel von privaten Geldgebern und öffentlich-rechtlichen Körperschaften zusammen. 5. G m b H zu Treuhandzwecken. 6. G m b H als Organisationsform von Kartellen, Syndikaten, Trusts. 7. Die „Gläubiger-GmbH" dient zur Sanierung eines notleidend gewordenen Geschäftsmanns. Die Hauptgläubiger wandeln ihre Forderungen in Anteilsrechte um, das Geschäft wird unter Leitung des sachkundigen Schuldners, aber unter weitgehender Kontrolle der Gläubiger für gemeinschaftliche Rechnung fortgeführt, neues Betriebskapital eingebracht, der Rückerwerb der Anteile durch den Schuldner und (für den Fall des Mißlingens der Sanierung) die Auflösung der G m b H geregelt. Eine solche Gesellschaft haben wir hier vor uns. Form des Gesellschaftsvertrags: Sowohl GmbH-wie Aktiengründung erfordern gerichtlich oder notariell beurkundeten Abschluß. § 2 1 GmbHG, § 16 1 AktG. Darüber hinaus ist die Beglaubigung von Vollmachten als Form des sachlichen Rechts vorgeschrieben (§ 2 1 1 ). Wenn die Vollmacht Dinters unbeglaubigt wäre, so würde nicht nur die Eintragung in das Handelsregister beanstandet werden (§12 HGB), sondern der Gesellschaftsvertrag wäre auch unter den Gründern schwebend unwirksam, bis der Mangel durch Genehmigung in gehöriger Form geheilt wird. Firma: Die GmbH vereinigt auch insofern die Vorteile der A G und OHG, als § 4 die Wahl zwischen Sach- und Personenfirma freistellt. Die Firma „Hugo Friese GmbH" ist sowohl als abgeleitete Firma (§ 4 1 S. 3) gerechtfertigt (weil die Gesellschaft das Friesesche Geschäft übernommen hat) wie als Personenfirma (weil Friese selbst zu den Gründern zählt). Wäre neben der Firma „Hugo Friese GmbH" der Fortbestand der alten Einzelfirma „Hugo Friese" beabsichtigt, so würde die Gesellschaftsfirma wahrscheinlich wegen Verletzung des „Grundsatzes der Firmeneinheit" (S. 697) abzulehnen sein. Da Friese seine Firma in die Gesellschaft einbringt (§ 5 zu a) und sie demgemäß als Einzelfirma gelöscht wird, erledigt sich dieses Bedenken. Gegenstand des Unternehmens: Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Gesellschaft beschränkt sich nicht auf den in § 2 1 angegebenen Geschäftszweig. Ist ein hinreichend bestimmter Geschäftsbereich angegeben und daraufhin die juristische Person in das Handelsregister eingetragen worden, so kann sie nunmehr — ohne Satzungsänderung — Geschäfte jeder Art machen. Die Ultravireslehre, nach der Rechtsgeschäfte unwirksam sind, die eine juristische Person durch ihre Organe außerhalb ihres durch Gesetz oder Satzung bestimmten Wirkungskreises vornimmt, gilt nur für juristische Personen des öffentlichen Rechts (BGHZ 20, 119; dazu Fuß, DÖV 1956, 566). Die Bedeutung der statutarischen Vorschrift beschränkt sich auf die Nachprüfbarkeit der Erlaubtheit des Zweckes und auf das Innenverhältnis der Gesellschafter. Ahnlich ist es bei der Errichtung von Zweigniederlassungen, die als Maßnahme der Verwaltung durch die Geschäftsführer jederzeit zulässig wäre, auch wenn der Vertrag sie nicht besonders vorgesehen hätte. Ihre Zulässigkeit wird im Vertrag nur deshalb ausgesprochen, damit kein Gesellschafter einwenden kann, daß die Begründung von Zweignieder1 assungen aus dem Rahmen des gemeinschaftlichen Unternehmens herausfalle.

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Registergericht — Sachgründung. Haftung der Gesellschafter

Die Erwähnung der Zweigniederlassung im Gesellschaftsvertrage hat aber eine eigenartige Nebenwirkung. Die Zweigstellenleiter sind nämlich, weil in der Satzung erwähnt, „verfassungsmäßig berufene Vertreter" der GmbH im Sinne des § 31 B G B , so daß die GmbH einem nicht im Vertragsverhältnis zu ihr stehenden Dritten, der durch Verschulden des Zweigstellenleiters an Gesundheit oder Vermögen beschädigt wird, ohne die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises haftet. Denn der unter den „allgemeinen Vorschriften" des Vereinsrechts stehende §31 gilt für alle juristischen Personen körperschaftlicher Struktur, nicht nur für den eingetragenen Verein. R G 91, 1 ; 94, 318; Flechtheim J W 18, 84 1 . Darüber hinaus wendet die Rechtsprechung den Gedanken des § 31 sogar auf O H G u n d K G an, obgleich sie bekanntlich keine juristischen Personen sind ( B G H M D R 1952, 285); dabei werden nur die vertretungsberechtigten Gesellschafter, nicht auch Prokuristen, als verfassungsmäßig berufene Vertreter anerkannt; für Prokuristen wird nach § 831 gehaftet. R G J W 32, 722". Den Registerrichter interessiert am „Gegenstand des Unternehmens" vor allem, daß die Gesellschaft sich nicht mit Bankgeschäften befassen will. Wäre dies nämlich der Fall, so müßte sie wie die Aktiengesellschaft (§ 1 4 3 1 1 AktG) ihren Jahresabschluß in den Gesellschaftsblättern bekanntmachen und ein Belegblatt zum Register einreichen (§ 4 1 1 v ). Ferner ist die Rechtsform der GmbH unzulässig für Versteigerer, Hypothekenbanken, Schiffspfandbriefbanken und die wichtigsten Versicherungsunternehmen, statthaft dagegen für Bausparkassen (§ 1 G über das Versteigerungsgewerbe vom 16. Oktober 1934, R G B l I 974; § 2 HypothekenbankG; §§ 1, 2 SchiifsbankG; § 7 PrVUG). S t a m m k a p i t a l : Mindestbetrag 20000 D M gegen 100000 D M bei der A G (§§ 5 1 G m b H G , 7 1 AktG). Die einzelne Stammeinlage muß mindestens 500 D M betragen und durch 100 teilbar sein. G e l d - u n d S a c h e i n l a g e n : Gläubiger-Gesellschaften sind immer vorwiegend Sachgründung. Die Bilanz des Frieseschen Geschäfts weist (wenn wir unterstellen, daß die an der Gründung beteiligten vier Gläubiger die einzigen sind) 147643 D M Aktiva auf, denen an Passiven 96268 D M gegenüberstehen, woraus sich der Nettowert der Einlage zu a von 147643 — 96268 = 51375 D M ergibt. Da die vier Hauptgläubiger ihre Forderungen von 96 268 D M ebenfalls einbringen, so tritt in der Person der GmbH Konfusion ein, und es bleibt der Wert der Aktiva mit 147643 D M als Nettovermögen. Dazu kommt dann der Wert der Patente mit 8625 DM, und die in § 7 aufgeführten Geldeinlagen mit 27232 D M . Vgl. Scholz, Die Sacheinlagen der GmbH, GmbHRdsch. 1957, 65. Das Gesetz will verschleierte Sachgründungen verhindern. Die Gläubiger der Gesellschaft sollen sich darauf verlassen dürfen, daß alle Einlagen, von denen nicht aus dem Gesellschaftsvertrag das Gegenteil ausdrücklich hervorgeht, in barem Geld in die Gesellschaftskasse geleistet werden. Deshalb wird ein Gesellschafter, der eine nicht im Gesellschaftsvertrag festgelegte Sachleistung an die GmbH bewirkt, dadurch von seiner Stammeinlageschuld nicht befreit, auch nicht auf dem Wege der Aufrechnung. §§ j i v 1 9 m , übereinstimmend für die A G § 20 AktG. Uberhaupt ist Aufrechnung gegenüber Einlageverpflichtungen unzulässig. § 1 9 1 1 S. 2; für A G und K G auf Aktien: § 60 AktG., für Genossenschaften: § 2 2 v GenG. Das Verbot trifft nur die einseitige, gegen den Willen der Gesellschaft vorgenommene Aufrechnung. Dagegen darf seitens der Gesellschaft oder mit ihrer Zustimmung aufgerechnet werden, um das zwecklose Hin- und Herschieben von Geld Zu ersparen; vorausgesetzt wird dabei allerdings, daß die Gesellschaft z. Zt. der Aufrechnung aktiv und flüssig und die Gesellschafterforderung vollwertig ist. R G 85, 3 5 1 ; 98, 276; J W 26, 1 1 5 3 1 ; B G H Z 15, 57; 28, 77. Das R e g i s t e r g e r i c h t ist trotz des Fehlens besonderer Sicherungsbestimmungen für Sachgründungen bei der GmbH befugt, bei Scheinverdacht oder Verdacht der Uberbewertung den Wert der Sacheinlagen von Amts wegen ( § 1 2 F G G ) nachzuprüfen ( K G H R R 1937 Nr. 1647; R G Z 155, 2 1 1 = J F G 16, 78 = J W 1937, 2838; Vogel, D N o t Z 1950, 445; Scholz, GmbHRdsch. 1957, 65). B e s c h r ä n k t e H a f t u n g u n d N a c h s c h ü s s e : Die „Beschränktheit" der Haftung ist bei der GmbH nicht unbedingt: 1. Kann die Stammeinlage von einem Gesellschafter nicht eingezogen werden, so haften für den Zahlungsunfähigen außer den Rechtsvorgängern, die den Geschäftsanteil an ihn abgetreten und damit die Angelegenheit als für sie erledigt betrachtet hatten, subsidiär auch die Mitgesellschafter 1 § § 2 2 , 24. Diese Vorschriften wendet man sogar auf die durch Kapitalerhöhung geschaffenen neuen Stammeinlagen an ( R G 132, 392). Auch wer einen Geschäftsanteil im Wege der Sicherungsübereignung erwirbt, haftet nach § 1 6 1 1 1 neben dem Veräußerer für die auf den Geschäftsanteil rückständigen Leistungen. R G 1 3 8 , 1 0 8 ; Flechtheim, J W 1 9 3 1 , 1 9 6 3 ; Goldschmit, J W 1933,100. 2. E s besteht zwar keine gesetzliche Nachschußpflicht, aber durch besondere Bestimmung des Gesellschaftsvertrags kann die Erhebung von Nachschüssen vorgesehen werden. Wird später auf Grund der Klausel ein Nachschußbeschluß gefaßt und war die Nachschußpflicht im Gesellschaftsvertrag

Registergericht — Organe der GmbH

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a) der Höhe nach unbeschränkt, so haben die Gesllschafter Abandonrecht; b) war sie von vornherein auf eine bestimmte Summe begrenzt, so müssen sie^m Rahmen dieser Summe unweigerlich zahlen. § § 26—28. Fehlt die Klausel im ursprünglichen Vertrag, so kann sie nachträglich nicht mehr im Wege der einfachen Satzungsänderung mit Stimmenmehrheit, sondern nur noch einstimmig eingeführt werden (§ 5 3 1 1 1 ) . 3. Nicht selten geben GmbH-Gesellschafter (und Aktionäre kleinerer „Familien-" Aktiengesellschaften) den Vorteil der beschränkten Haftung gerade gegenüber den größten Gläubigem (Banken, Hauptlieferanten usw.) freiwillig wieder auf, indem sie sich persönlich verbürgen' Hypothek mit ihren Privatgrundstücken bestellen u. dgl. 4. Hat der Gesellschafter gleichzeitig die Stellung eines Geschäftsführers, so haftet er der Gesellschaft für den durch seine nachlässige oder unredliche Geschäftsführung entstandenen Schaden (§ 43). 5. Dem Steuerfiskus haften die Geschäftsführer sogar unmittelbar, falls durch ihr Verschulden steuerliche Verpflichtungen der Gesellschaft aus dem von ihnen verwalteten Vermögen nicht berichtigt werden. §§ 103, 109 AbgO. 6. Auch die E i n m a n n - G e s e l l s c h a f t bleibt juristische Person und kann nicht ihrem alleinigen Gesellschafter gleichgesetzt werden ( R G Z 129, 53). Eine Haftung des Gesellschafters für die Schulden der EinmannGesellschaft wird aber angenommen, wenn die Berufung auf die förmliche Verschiedenheit gegen Treu und Glauben verstößt ( R G Z 169, 248; B G H Z 22, 230). 7. Wer zur Gründung einer GmbH einen Strohmann benutzt, ist nach B G H Z 31, 258 hinsichtlich der §§ 30, 31, 24, 1 9 1 1 G m b H G wie ein Gesellschafter zu behandeln; auf ihn soll auch § 39 v A k t G entsprechend anwendbar sein (bedenklich, vgl. Ballerstedt, J Z i960, 513). ' Über die Voraussetzungen, unter denen die Abtretung (oder Pfändung) der Einlageschuld an einen Gesellschaftsgläubiger zulässig ist, so daß zwischen diesem und dem Gesellschafter eine unmittelbare Haftung hergestellt wird, vgl. R G 85, 3 5 1 ; 102, 385; 124, 380; 133, 8 1 ; 135, 55; Buchwald, GmbHRdsch. 1959, 254; Schuler, N J W i960, 1423. Die Gesellschaft muß (ähnlich wie bei der Aufrechnung, vgl. oben) ein vollwertiges Entgelt erhalten, und im Fall der Abtretung müssen sämtliche Gesellschafter gleichmäßig behandelt werden. Über Verpfändung Schuler, N J W 1956, 689. Dagegen können Genossenschaften den Anspruch auf die Geschäftseinlage ihrer Genossen wegen des personenrechtlichen Charakters dieser Gesellschaftsform nicht abtreten. Vgl. aber §§ 88a, 108a GenG. G e s c h ä f t s f ü h r e r : § 3 5 1 1 S. 2 stellt den Grundsatz der Gesamtvertretung auf. Nach der Rechtsprechung genügt es aber schon, wenn ein Geschäftsführer handelt und der andere zustimmt, ohne daß die Zustimmung nach außen in die Erscheinung zu treten braucht. R G 81, 325; 1 1 2 , 216. Die Außerkraftsetzung des § 181 B G B ist für Organe juristischer Personen — anders als für familienrechtliche Vertreter (S. 514) — anerkannt ( R G 68, 180) und wäre in unserem Fall schon wegen der Einbringung Frieses ( § 5 ) gar nicht zu entbehren. Im Verhältnis zur Gesellschaft hat der Geschäftsführer nicht die Stellung eines Handlungsgehilfen oder überhaupt eines Arbeitnehmers, genießt auch für seine rückständigen Bezüge nicht das Konkursvorrecht des § 6 1 1 K O ( R G 120, 300) und keinen Kündigungsschutz nach dem G über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926, R G B l I 399, ( B G H 12, 1) und dem KündigungsschutzG vom 10. August 1951, B p B l I 499 (§ 12 KSchG). Demgemäß gehört er an sich nicht vor das Arbeitsgericht (§ 5 1 S. 3 A r b G G ) ; indessen sieht § 3 1 1 A r b G G die Vereinbarung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit vor. Die Regelung des Innenverhältnisses geschieht nicht immer im Gesellschaftsvertrag, weil sie dadurch unerwünschterweise zur Kenntnis Außenstehender gelangt. Man bevorzugt privatschriftliche Anstellungsverträge zwischen Geschäftsführer und GmbH, die häufig eine sehr weitgehende Versorgung der Geschäftsführer und ihrer Hinterbliebenen für den Krankheits- und Todesfall vorsehen. Diese Sicherung ist um so notwendiger, als sonst der Geschäftsführer durch Mehrheitsbeschluß entlassen werden könnte und bei den kleinen „Familien"-Gesellschaften der Hauptteil des Verdienstes nicht als Dividende, sondern als Geschäftsfiihrergehalt ausgeschüttet wird. Hier bei der Gläubiger-Gesellschaft hat man gerade auf die Festlegung im Gesellschafstvertrag Gewicht gelegt. Zur rechtlichen Beurteilung des Anstellungsvertrages als Dienstvertrag vgl. B G H 10, 187; Grothus, Goerdeler, Kremer, GmbHRdsch. 1959, 93, 198, 233. A u f s i c h t s r a t : E r ist bei der GmbH grundsätzlich nicht (wie bei der A G ) zwingend vorgeschrieben (§ 52), aber gerade bei der Gläubiger-GmbH zweckmäßig. Da die §§ 46 bis 52 nachgiebiges Recht enthalten (§ 45 1 1 ), braucht die Wahl der Mitglieder nicht der Gesellschafterversammlung übertragen zu sein und kann vom Mehrheitsgrundsatz losgelöst werden. Z . B . steht bei den „gemischt-wirtschaftlichen" Unternehmungen vielfach einer Behörde das Präsentationsrecht zu. Ein Zwang zur Bildung eines Aufsichtsrats besteht nunmehr nach § 77 des Betriebsverfassungsgesetzes vom 1 1 . Oktober 1952 (BGBl I 681), wenn die GmbH mehr als fünfhundert Arbeitnehmer

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Registergericht — Geschäftsanteile. Anteilscheine

beschäftigt. Der Aufsichtsrat muß zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen, die grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie die übrigen Mitglieder haben. Ferner müssen Kapitalanlagegesellschaften in der Rechtsform der GmbH einen Aufsichtsrat bilden (§ 3 d. Ges. über Kapitalanlagegesellschaften v. 16. April 1957, RGBl I 378). Gesellschafterversammlung: Die Beschlüsse bedürfen gerichtlicher oder notarieller Beurkundung nur im Fall der Satzungsänderung (§ 53 11 ). Sind die Gesellschafter einig, so genügt an Stelle der Abhaltung einer Versammlung sogar schriftliche Abstimmung (§ 48 n ). Übertragung der Geschäftsanteile: Durch § 14 des Vertrags sind die Anteile „vinkuliert", um das unerwünschte Eindringen Fremder zu verhindern. Kraft Gesetzes besteht die Vinkulation nur für Teilabtretungen (§17). Die nach Gesetz oder Vertrag ( § 15 v GmbHG) erforderliche Genehmigung „der Gesellschaft" ist von den Geschäftsführern zu erklären; deren Erklärung bindet die Gesellschaft, auch wenn sie einen Beschluß der Gesellschafter (§§ 45, 46 Nr. 4) nicht herbeigeführt hatten (BGHZ 14, 25 = NJW 1954, 1401). In manchen Gesellschaftsverträgen findet sich aber auch das Erfordernis der Zustimmung sämtlicher Mitgesellschafter. Ein Recht auf Zustimmung haben Veräußerer oder Erwerber nicht. Da nun Pfändungen im allgemeinen nur unter denselben Voraussetzungen wie Veräußerungen statthaft sind (§§ 851, 857 ZPO), entsteht die Frage, ob auch der Gläubiger eines Gesellschafters zur Pfändung der Zustimmung der GmbH bedarf und wie er sie erzwingen kann. Die Rechtsprechung (R.G 70, 64; 142, 373) nimmt an, daß das Erfordernis der Zustimmung für Maßnahmen der Zwangsvollstreckung überhaupt nicht gilt, weil ja sonst der Schuldner sein Vermögen durch Umwandlung in einen GmbH-Anteil dem Zugriff der Gläubiger entziehen könnte. Anteilscheine: Sie können von der Gesellschaft über die Geschäftsanteile ausgegeben werden, und zwar auch ohne Ermächtigung durch die Satzung. Ein Anspruch auf Ausstellung besteht jedoch nur auf Grund einer Satzungsbestimmung oder eines Gesellschafterbeschlusses. Der Anteilschein ist lediglich eine Beweisurkunde. Übergabe oder Ersatzübergabe des Anteilscheins ist deshalb zur Veräußerung nicht erforderlich; es gilt § 952 Abs. 2 BGB. Die Satzung kann jedoch die Wirksamkeit der Abtretung über § 1 5 1 1 1 GmbHG hinaus von der Übergabe des Anteilscheins abhängig machen (RGZ 98, 278). Ist der Geschäftsanteil vinkuliert, ohne daß die Satzungsbestimmung in den Anteilschein aufgenommen ist, so wird der gutgläubige Erwerber sich auf § 405 BGB berufen können (Schuler, NJW 1956, 689 zu IH). Ein Aufgebotsverfahren findet nicht statt. Die Gesellschaft kann jederzeit einen Ersatzschein ausstellen. K ü n d i g u n g : Bei der A G gibt es weder Kündigung noch Auflösung aus wichtigem Grund, so daß nur Auflösung durch qualifizierten Mehrheitsbeschluß (§ 203 1 Nr. 2 AktG) übrig bleibt. Für die OHG gewährt § 132 eine Kündigungsmöglichkeit. Die GmbH steht in der Mitte: enthält der Vertrag über die Dauer nichts Besonderes, so kann die Gesellschaft nicht gekündigt, sondern nur durch Beschluß der Gesellschafter mit % Mehrheit (§ 602) aufgelöst werden; daneben besteht aber die Auflösung aus „wichtigem Grunde" oder wenn die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich wird durch Urteil des Gerichts (§61). Ein wichtiger Grund liegt beispielsweise vor, wenn bei einer aus wenigen Personen bestehenden GmbH durch tiefgehende Zerwürfnisse unter den Gesellschaftern die gedeihliche Fortentwicklung der Gesellschaft erheblich gefährdet ist (RG 98, 66; 164, 260), sofern nicht Ausschließung des Störenfrieds durch rechtsgestaltendes Urteil (BGHZ 9, 157) genügt. Bei der Gläubiger-GmbH kommt man ohne Kündigungsvorschriften schon darum nicht aus, weil die Gläubiger ihre in Anteile umgewandelten Forderungen nach Ablauf einer gewissen Zeit unbedingt realisieren wollen. Redaktionsklausel (§ 17): Nicht selten erhebt der Registerrichter Beanstandungen, an die der Notar bei der Abfassung des Vertrages nicht dachte. Ob dann ohne Redaktionsklausel die Gesellschafter verpflichtet wären, die vom Registergericht geforderten Abänderungen oder Ergänzungen des Gesellschaftsvertrags Zu beschließen, könnte zweifelhaft sein (vgl. dazu R G 132, 26). Jedenfalls ginge viel kostbare Zeit verloren, wenn man genötigt wäre, an jeden heranzutreten. Bekanntmachungsorgan: § 18 bezieht sich auf die von der GmbH selbst ausgehenden Veröffentlichungen. Die hiervon zu unterscheidenden Bekanntmachungen des Registergerichts über die Gesellschaft erfolgen gemäß § 10 HGB. Das Gründungsprotokoll schließt mit einer Belehrung über güterrechtliche Verfügungsbeschränkungen (S. 457, 656) und über die Kapitalverkehrsteuer ab (§§ 29, 34 BNotO):

Registergericht — Anmeldung der GmbH

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„Die Erschienenen wurden gemäß den §§ 1365, 1423 BGB sowie gemäß § i89d RAO belehrt. Herr Friese erklärt, daß er im Güterstand der Gütertrennung lebe." Manchmal vereinbaren die Gesellschafter, daß sie der Gesellschaft neben dem eigentlichen Stammkapital weiteres Kapital durch Gewährung von Darlehen od. dgl. zuführen wollen. Solche „inoffiziellen" Beteiligungen sind kapitalverkehrsteuerpflichtig. Bei den Sacheinlagen kommt es auf den wirklichen, nicht auf den im Vertrag angegebenen Wert an. §§ 2 — 1 0 K a p V S t G ; vgl. S. 459, 717. „Hierauf ist die Verhandlung den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und, wie folgt, eigenhändig unterschrieben worden: Hugo Friese.

Ferdinand Schilling. Robert Heckner. Detlev Dinter. Emil Fischer. Anna Friese. Justus Siegel, Notar." A n m e l d u n g . Gemäß §§ 7, 8, 78 G m b H G , § 7 K a p V S t D V O wird angemeldet: „Als Geschäftsführer der ,Hugo Friese Gesellschaft mit beschränkter Haftung' in Lichterfelde melden wir die Errichtung der Gesellschaft sowie unsere Bestellung zu Geschäftsführern zur Eintragung in das Handelsregister an. Wir versichern, daß von jeder Stammeinlage ein Viertel des in bar zu entrichtenden Betrages eingezahlt ist und daß die eingezahlten Beträge sowie die von den Gesellschaftern gemachten Sacheinlagen sich in unserer freien Verfügung befinden. Unsere Namensunterschriften zeichnen wir unter dieser Anmeldung. Ausfertigung des Gesellschaftsvertrags vom 8. Januar i960, beglaubigte Vollmacht der offenen Handelsgesellschaft Josef Claudius & Co. Eisenhandlung in Freistadt auf Herrn Dinter, Liste der Gesellschafter und Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts liegen bei. Die Vertretungsberechtigung des Herrn Fischer für die Berliner Gerüstbau GmbH ergibt sich aus dem beigefügten Handelsregisterauszug, die Verfügungsbefugnis des Herrn Friese aus beiliegendem Auszug aus dem Güterrechtsregister. Die Geschäftsräume der Gesellschaft befinden sich in Lichterfelde, Breskuer Straße 23. Gleichzeitig melde ich, Hugo Friese, als Inhaber der gleichnamigen Einzelfirma zur Eintragung in das Handelsregister an, daß das von mir unter der Firma Hugo Friese betriebene Handelsgeschäft mit dem Firmenrecht auf die neugegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung übergegangen und die Firma demgemäß als Einzelfirma erloschen ist. Lichterfelde, den 15. Januar i960. Hugo Friese. Robert Heckner. (Beglaubigungsvermerk.)" Bei allen registerpflichtigen juristischen Personen ist der vollständige Gesellschaftsvertrag einzureichen. ( A G und K G a. A . : §§ 2 9 1 1 , 2 1 9 1 1 1 A k t G , Genossenschaft: § 1 1 1 GenG, e. V . : § 5 9 1 B G B ) . Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich darauf, ob der Vertrag formell ordnungsgemäß errichtet ist (wozu hier auch die Vertretungsbefugnis Dinters und Fischers gehört), ob die in § 3 Ges. bezeichneten Punkte geregelt sind, ob keine Verstöße gegen zwingende gesetzliche Vorschriften, etwa eine Mantelgründung oder eine verschleierte Sachgründung, vorliegen, ob keine Unklarheiten und Widersprüche bestehen und ob die sonstigen förmlichen Voraussetzungen der Eintragung gewahrt sind. Zur Behebung von Mängeln ist dem Anmelder durch Zwischenverfügung eine Frist zu setzen (§ 26 S. 2 H R V ) . Gegen die Verweigerung der Eintragung einer G m b H haben nur die Geschäftsführer, nicht die Gesellschafter als solche ein Beschwerderecht ( R J A 17, 109; Jansen, F G G , § 20 Anm. 5 B qq, rr, § 142 Anm. 12). Mantelgründung nennt man eine an sich formgerechte Gründung, bei der nicht ein Unternehmen mit dem in der Satzung festgesetzten Zweck und Gegenstand ins Leben gerufen, sondern nur „die Hülle für ein beliebiges anderes Unternehmen" geschaffen werden soll, das später einmal in der Rechtsform der GmbH oder A G in den Verkehr treten soll. Solche Vorratsgründungen werden aus steuerlichen Gründen vorgenommen oder um den wirklichen (unerlaubten) Zweck des Unter-

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Registergericht — Eintragung der GmbH

nehmens zu verschleiern. Von einem M a n t e l k a u f spricht man, wenn zur Gründung eines Unternehmens ein leerer Mantel verwendet wird, d.h. die äußere Rechtsform einer als juristische Person bestehenden Kapitalgesellschaft, die in Ermangelung eines von ihr noch betriebenen Unternehmens und eines zur Wiederaufnahme geeigneten Vermögens keine wirtschaftliche Bedeutung nehr hat. Beides ist als Gesetzesumgehung nichtig ( K G H R R 1933 Nr. 833 = D N o t Z 1933, 661). Solche Mantelkäufe kann der Registerrichter verhindern, indem er gegen die vermögenslose Gesellschaft das Löschungsverfahren nach § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 (RGBl 1 9 1 4 ) einleitet. Beuck, Der Mantelkauf, GmbHRdsch. 1957, 69; Pape, Der Erwerb eines Gesellschaftsmantels, B B 1957,179. Dagegen bietet nach feststehender Rechtsprechung das geltende Recht keine Handhabe, eine in das Handelsregister eingetragene Gesellschaft deshalb für rechtlich unwirksam zu erklären, weil sich „Strohmänner" an der Gründung beteiligt haben ( K G J W 1934, 986; B G H N J W 1957, 19; Scholz, N J W 1951, 847). Die S t r o h m a n n g r ü n d u n g dient entweder dem Zweck, alsbald nach der Gründung alle Geschäftsanteile in einer Hand zu vereinigen ( R G Z 167, 184) oder den Namen des Strohmanns bei der Bildung der Gesellschaftsfirma verwenden zu können ( J F G 10, 119) oder das Interesse des Hintermanns an der Gründung nach außen hin Zu verdecken ( R G Z 84, 17); in den seltensten Fällen werden von vornherein unredliche oder gesetzwidrige Absichten verfolgt. Ob die Strohmanngründung ein Eintragungshindernis bildet, ist streitig. Zum Ganzen Crisolli, Scheingründungen und Mantelverwertung, J W 1934, 936; Schilling, J Z 1957, 92; Gottschling, GmbHRdsch. 1959, 134; Schönle, Einmann- und Strohmanngesellschaft, 1957. E i n t r a g u n g . N a c h E i n h o l u n g des Gutachtens der Industrie- u n d Handelskammer ( § 2 3 H R V ) und nach E i n g a n g des Kostenvorschusses ( § 8 K o s t O ) v e r f ü g t der Richter ( § 1 5 N r . 1 Buchst, a RechtspflG): „ 1 . Einzutragen in das Handelsregister Abt. B unter nächster offener Blattnummer: (folgen die in § i o 1 . 1 1 Ges vorgeschriebenen Angaben)." Ferner muß das Blatt der Frieseschen Einzelfirma gemäß § 4 2 H R V geschlossen werden: „2. Einzutragen in das Handelsregister Abt. A Nr. 5287, Sp. 6: vgl. H R B Nr. 1701. 3. Sämtliche Eintragungen in Abt. A Nr. 5287 rot unterstreichen. 4. Öffentliche Bekanntmachung der Eintragungen sowie der §§ 5, 6, 18 des Gesellschaftsvertrags." § i o 1 1 1 schreibt die Veröffentlichung aller Bestimmungen über Sacheinlagen und die Bekanntmachungsart v o r . D i e Veröffentlichung muß deshalb umfassender sein als die Eintragung. D i e N a m e n der Gesellschafter werden weder ins Register eingetragen noch, v o n dem Fall der Sacheinlage abgesehen, bekanntgemacht. A u c h die N a m e n der Aufsichtsratsmitglieder werden nicht eingetragen, weil der Aufsichtsrat nicht das Vertretungsorgan der Gesellschaft ist. A u f den ersten Aufsichtsrat, falls der Gesellschaftsvertrag ihn vorsieht (§ 52), sind aber die Vorschriften der §§ 2 9 1 1 N r . 3, 3 3 1 N r . 4 A k t G anwendbar, d. h. die Geschäftsführer haben den Aufsichtsrat anzumelden und das Gericht ihn zu veröffentlichen, w e n n nicht der Gesellschaftsvertrag anders bestimmt (Scholz, G m b H G , § 52 A n m . 1 9 ; Brand-Marowski S. 326). „5. Nachricht 6. A m 31. Januar 1 9 6 1 . " D i e V o r l e g u n g geschieht zur Kontrolle des E i n g a n g s der alljährlich im Januar v o n den Geschäftsführern einzureichenden Gesellschafterliste (§ 40). Für den Erwerb des Geschäftsanteils ist die Liste ohne Bedeutung. Sie besitzt auch keinen öffentlichen Glauben, sondern soll nur das Gericht und diejenigen, welche die Registerakten einsehen, über die Person der Gesellschafter unterrichten. Das neue Registerblatt sieht nach A u s f ü h r u n g der V e r f ü g u n g so aus:

Registergericht — Eintragung der GmbH

Nummer der Firma: HR B 1701

m

Nummer der Eintragung

.Abteilung B

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a) Firma b) Sitz c) Gegenstand des Unternehmens 2

Vorstand Grund- Persönlich haftende oder Gesellschafter Prokura StammGeschäftsführer kapital Abwickler ?

a) Hugo Friese Gesell- 183500 schaft mit beschr. DM Haftung. b) Lichterfelde. c) Übernahme und Ausführung von Bauarbeiten, Handel mit Baumaterialien, Verwertung von Patenten betr.fugenlose Dachdeckung.

4

5

Architekt Hugo Friese in Lichterfelde. Ziegeleibesitzer Robert Heekner in Lichterfelde.

Rechtsverhältnisse

a) Tag der Eintragung und Unterschrift b) Bemerkungen

6

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Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschaftsvertrag ist am 8. Januar i960 festgestellt. Die Gesellschaft kann am 31. Dezember 1970 zum 31. Dezember 1971 gekündigt werden (§6 des Gesellschaftsvertrages). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so vertreten je zwei die Gesellschaft gemeinschaftlich. Die Geschäftsführer sind von der Beschränkung des § 181 BGB befreit.

a) 18. Januar i960 Urkuttd. b) Gesellschaftsvertrag Bl. 2 ff. s. A G Lichterfelde HR A 5287."

Damit ist die Gründung abgeschlossen. Im Verhältnis der Gesellschafter untereinander war die GmbH bereits mit dem Gesellschaftsvertrag vom 8. Januar i960 errichtet, da der Vertrag sie obligatorisch verpflichtete, bei seiner Durchführung mitzuwirken. Die Rechtsnatur der im Werden begriffenen GmbH wird nicht als bürgerlichrechtliche Gesellschaft, sondern als eine Organisation bestimmt, die einem Sonderrecht untersteht, das aus den im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag gegebenen Gründungsvorschriften und dem Recht der rechtsfähigen Gesellschaft, soweit es nicht die Eintragung voraussetzt, besteht (BGHZ 21, 242). Aber die Gesellschaft „als solche", d. h. als neues Rechtssubjekt, ist erst mit der Eintragung entstanden (§ 1 1 1 ) , welche somit konstitutive Bedeutung hat. Sind im Zwischenstadium schon Geschäfte namens der „Vorgesellschaft" („Gründungsgesellschaft") getätigt worden, so tritt die gleiche Rechtslage ein, wie wenn für einen nicht rechtsfähigen Verein rechtsgeschäftlich gehandelt wird: die Handelnden haften persönlich und als Gesamtschuldner. § 1 1 1 1 Ges.; vgl. § 54 S. 2 B G B , ferner § 34 1 AktG. Unmittelbar berechtigende und verpflichtende Wirkung für die GmbH haben die im Gründungsstadium abgeschlossenen Geschäfte nur insoweit, als sie notwendig waren, um die GmbH zur Entstehung zu bringen. Im übrigen bedarf es einer Genehmigung der Gesellschaft (d. h. der Geschäftsführer) nach erfolgter Eintragung. R G 1 3 4 , 1 2 1 ; B G H Z 17, 385; Kuhn, Die Vorgesellschaft, Wertpapier-Mittlg. Sonderbeil. Nr. 5/1956. E r m ö g l i c h t die G m b H eine S t e u e r e r s p a r n i s ? 1 ) Diese Frage konnte früher bejaht werden, als die Körperschaftsteuer noch 20% betrug und die Einkommensteuer diesen Steuersatz infolge ihrer Progression schon bei normalen Einkommen in der Spitze leicht übertraf. Das ist jetzt anders. Die Körperschaftssteuer beträgt heute grundsätzlich 51% und ermäßigt sich nur unter gewissen Voraussetzungen (§ 19 KStG i.d.F. vom 18. November 1958, BGBl I 747). Der Höchstsatz der Einkommensteuer dagegen ist auf 53% gegenüber früher gesenkt worden (Anl. zu § 32a EinkStG i.d.F. vom 23. September 1958, BGBl I 672). Vgl. dazu Knur, Unternehmensformen und Steuerrecht, in Festschrift für W. Schmidt-Rimpler, 1957, und zur Rechtsprechung des BFH Gottschling, GmbHRdsch. 1959, 125. Bei der Errichtung einer GmbH sind folgende steuerliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen: 1. K a p i t a l v e r k e h r s t e u e r . Die Einbringung des Kapitals bei der Gründung einer GmbH löst die Kapitalverkehrsteuer aus. Sie beträgt z 1 j 2 des eingezahlten — nicht „einzuzahlenden" — Kapitals. Diesen steuerrechtlichen Anhang hat Herr Regierungsdirektor Günther Jahn in Bremen bearbeitet.

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Registergericht — Steuerliche Behandlung der GmbH

Bei Sachgriindungen, d.h. wenn Gesellschaftsrechte nicht gegen Geld, sondern für Gegenleistungen erworben werden, die Werte anderer Art darstellen, wird die Steuer nach dem Wert dieser Leistungen erhoben, mindestens aber vom Wert der erworbenen Gesellschaftsrechte (§ 8 Nr. i Buchst, b K V G ) . Wird einer Gesellschaft n o t w e n d i g e s Betriebskapital durch Darlehen seitens der Gesellschafter zugeführt, so sind diese Darlehen nach § j K V G ebenfalls steuerpflichtig. Der Begriff Gesellschafter ergibt sich aus § 6 1 1 K V G . 2. G r u n d e r w e r b s t e u e r . Die Einbringung von Grundstücken in eine GmbH unterliegt der Grunderwerbsteuer. Die Steuer wird vom Wert der Gegenleistung (nicht vom Wert des Grundstücks) berechnet. Sie beträgt mit Zuschlägen 7 % und ermäßigt sich um 1 % , soweit die Gegenleistung in der Gewährung von Gesellschaftsrechten besteht (§ i 3 l ; [ N r . 1 GrEStG). Die frühere Wertzuwachssteuer ist im allgemeinen heute in der Grunderwerbsteuer enthalten. Wird die GmbH, die ein Grundstück besitzt, später eine „Einmanngesellschaft", so löst diese Vereinigung aller Anteile in einer Hand die Grunderwerbsteuerpflicht aus, weil dadurch der Alleingesellschafter wirtschaftlich Eigentümer des Grundstücks wird (§ i 1 1 1 GrEStG). Ehegatten sowie Eltern und Kinder gelten im Sinne dieser Bestimmung als eine Person. Die Abspaltung unbedeutender Zwerganteile an Dritte ist nach § 6 des Steueranpassungsgesetzes steuerlich unbeachtlich, sie kann also die Steuerpflicht des Vorgangs nicht verhindern. Abgesehen von der Vereinigung aller Anteile in einer Hand ist die Übertragung der einzelnen Anteile grunderwerbsteuerfrei, es sei denn, daß es sich um eine Grundstücksmobilisierungsgesellschaft handelt. 3. K ö r p e r s c h a f t s t e u e r . Bei Einmann- und Familiengesellschaften sind in der Regel die (Haupt-)Gesellschafter zugleich Geschäftsführer. Die Vergütungen, die sie in dieser Eigenschaft beziehen, gehören zu den abzugsfähigen Betriebsausgaben ( § 6 K S t G , § 4 EStG) und vermindern das körperschaftsteuerpflichtige Einkommen der Gesellschaft. Damit entfällt die Doppelbesteuerung zum wesentlichen Teil. Unangemessen hohe Vergütungen, d.h. Vergütungen, die außer Verhältnis zur Arbeitsleistung stehen und die die Gesellschaft unter gleichen Verhältnissen einem Fremden nicht zugebilligt hätte, sind jedoch als verdeckte Gewinnausschüttungen bei der Ermittlung des Einkommens der GmbH zu berücksichtigen ( § 6 KStG). Für die Erhebung der Körperschaftsteuer ist es unerheblich, ob das Einkommen verteilt wird oder nicht ( § 7 KStG). Die Doppelbesteuerung im Verhältnis zur Einkommensteuer unterbleibt aber, wenn die Gesellschafter die Gewinne der Gesellschaft nicht ausschütten, sondern sie als Gewinnvorträge oder dergleichen in der Gesellschaft belassen. Zur Körperschaftssteuer der GmbH Steinberg, GmbHRdsch. 1959, 220. Zur Milderung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer GmbH, nämlich vor der Ausschüttung bei der GmbH und nachher bei den Gesellschaftern als deren Einkommen, bestimmt § 19 K S t G , daß der normale Körperschaftsteuersatz von 5 1 % sich für die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen auf 1 5 % ermäßigt. Was berücksichtigungsfähig ist, erläutert Absatz 3 des § 19 K S t G . Dem Nachteil, daß in Verlustjahren von den Gesellschafter-Geschäftsführerbezügen Lohnsteuer entrichtet werden muß, steht der Vorteil gegenüber, daß die Gesellschaft den durch diese Bezüge erhöhten Verlust in den folgenden fünf Veranlagungszeiträumen von ihrem Einkommen abziehen kann (§ 6 K S t G , § 10 d EStG). Bei der GmbH oder anderen Kapitalgesellschaften kann die Doppelbesteuerung auch mit Hilfe der von der Praxis geschaffenen „Organtheorie" vermieden werden. Ein Organverhältnis liegt vor, wenn eine Kapitalgesellschaft finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch von einem anderen Unternehmen (beherrschendes oder übergeordnetes Unternehmen) abhängig ist und nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung in den gewerblichen Betrieb des übergeordneten Unternehmens eingegliedert ist. Die beabsichtigte Auswirkung tritt allerdings erst dann ein, wenn zu einem Organverhältnis der Abschluß eines Gewinn- und Verlustausschließungvertrages hinzukommt. Dieser Vertrag ist eine Vereinbarung zwischen dem beherrschenden Unternehmen und der Organgesellschaft, nach welcher die Organgesellschaft ihren Gewinn an den Organträger abzuführen hat und etwaige Verluste von ihm erstattet bekommt. In den Bilanzen der Organgesellschaft werden dann Gewinne als Verbindlichkeiten an den Organträger passiviert und Verluste als Forderungen an ihn aktiviert. Die nichtabzugsfähigen Ausgaben hat das Organ als eigenes Einkommen zu versteuern (BFH BStBl 1954 III S. 2 1 ; 1958 HI S. 174; N J W 1957, 1295; Grieger, Die körperschaftssteuerliche und gewerbesteuerliche Behandlung der Organschaft, Wertpapier-Mittlg. Sonderbeil. Nr. 7/1955; Ballerstedt, Handels- und gesellschaftsrechtliche Probleme der Organschaft, Betrieb 1956, 813 u. 837; van der Velde, GmbHRdsch. 1958,2;Organschaftserlaß i959,BStBli959lI 1 6 1 , vgl. B B 1 9 5 9 , 1 1 2 5 ; Krollmann,BB i960, 280.

Registergericht — G m b H & Co

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Organträger, also beherrschendes Unternehmen, kann auch eine Einzelperson sein, wenn die sonstigen oben erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind. Dadurch kann also erreicht werden, daß letzten Endes die Gewinne der G m b H nicht der Körperschaftsteuer sondern beim Organträger der Einkommensteuer unterliegen und somit nur einmal versteuert werden. 4. G e w e r b e s t e u e r . Nach § 8 Nr. 6 G e w S t G i.d.F. vom i8. November 1958 ( B G B l I 754) werden die Gesellschafter-Geschäftsführerbezüge wesentlich beteiligter Gesellschafter, die den körperschaftssteuerlichen Gewinn gemindert haben, diesem Gewinn wieder hinzugerechnet. Dazu Felix und Barth, GmbHRdsch. 1958, 20. Die Organschaftsbestimmungen gelten in gleicher Weise wie bei der Körperschaftssteuer, jedoch gilt das Organ im Gewerbesteuerrecht als Betriebsstätte des beherrschenden Unternehmens (§ 2 1 1 Nr. 2 Satz 2 G e w S t G ) , d.h. es ist nicht subjektiv gewerbesteuerpflichtig. 5. U m s a t z s t e u e r . I m Umsatzsteuerrecht hat die Organschaft nur noch praktische Bedeutung, wenn der Organträger in der Form eines Einzelunternehmens geführt wird (§ 18 UStDB). 6. V e r m ö g e n s t e u e r . Eine G m b H unterliegt der Vermögensteuer, auch wenn sie kein Vermögen hat, und zwar mit dem sogenannten Mindestvermögen, das in der Regel 20000 D M , bei einer G m b H , die am Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz bestanden hat, 5000 D M beträgt (§ 6 1 Nr. 2 V S t G ) . G m b H & C o . E i n eigenartiges Gebilde ist die G m b H & Co. Diese Gesellschaftsform erfreut sich seit einigen Jahren aus Steuer- und haftungsrechtlichen Gründen wachsender Beliebtheit. Sie ist entweder eine o H G oder eine K G , bei welcher eine G m b H persönlich haftender Gesellschafter ist. D i e Fähigkeit von Kapitalgesellschaften, Mitglied einer Personengesellschaft des Handelsrechts zu sein, ist zwar grundsätzlich anzuerkennen und kann durchaus einem wirtschaftlichen Bedürfnis entsprechen ( R G Z 105, 1 0 1 ; B G H GmbHRdsch. 1957, 41). Oft ist aber die G m b H & Co als K G in der Weise organisiert, daß sie aus einer G m b H als Komplementär und mehreren Kommanditisten besteht, die wiederum mit den Gesellschaftern der G m b H personengleich sind, und die G m b H ist lediglich zu dem Zweck errichtet, in ihrer Eigenschaft als Komplementär der G m b H & Co durch ihren Geschäftsführer deren Geschäfte zu führen. Die beteiligten natürlichen Personen haften mithin sowohl in ihrer Eigenschaft als GmbH-Gesellschafter wie als Kommanditisten summenmäßig beschränkt. F ü r die Gesellschaftssteuer gelten die Anteile der Kommanditisten an der G m b H & Co als Gesellschaftsrechte an einer Kapitalgesellschaft (§ 6 1 Nr. 4 K V S t G ) . Steuerumgehungen kann durch § 6 S t A n p G begegnet werden, der dem Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts entgegentritt ( R F H 10, 65; 17, 90; 2 1 , 1 0 4 ; B F H BStBl 1958 I I I 462). Zivilrechtlich ist ein Durchgriff auf die persönliche Haftung der hinter der G m b H & Co stehenden natürlichen Personen bei mißbräuchlichem Vorschieben der juristischen Person nicht ausgeschlossen ( B G H Z 20, 1 3 ; 22, 230). Bei ersichtlicher Irreführung der Allgemeinheit wird auch der Registerrichter in der Lage sein, die Eintragung abzulehnen (Weipert in H G B - R G R K , 2. Aufl., § 105 Anm. 26). Die F i r m a d e r G m b H & C o wird nach § 1 9 1 1 H G B gebildet; sie muß also die (unveränderte) Firma der G m b H als den „ N a m e n " des persönlich haftenden Gesellschafters und einen auf eine Gesellschaft hinweisenden Zusatz enthalten. Beispiele: X - G m b H & C o ; X - G m b H & Co K G ; K G X - G m b H & Co (dazu Hesselmann, Rpfleger 1958, 368; 1959, 372). Das Höchstmaß an Tarnung wird erreicht, wenn die G m b H & Co das Handelsgeschäft einer o H G erwirbt oder wenn eine G m b H als einziger Komplementär in eine bestehende K G eintritt, weil dann dje bisherige Firma der o H G oder K G nach den §§ 22, 24 H G B fortgeführt werden kann, wenn man die in diesen Vorschriften enthaltene Durchbrechung des Grundsatzes der Firmenwahrheit ( K G D N o t Z 1936, 966 = H R R 1937 N r . 319) so weit erstrecken will. S c h r i f t t u m : Henze, Die G m b H & Co K G , 3. Aufl. 1 9 5 7 ; Hesselmann, Die G m b H Sc Co, 2. Aufl. 1957; Ders., GmbHRdsch. 1958, 67; 1959, 99, 239; i960, 200; Henninger, GmbHRdsch. 1959, 1 3 8 ; Keidel-Schmatz, Registerrecht, 2. Aufl. S. 82.

Sanierung einet Aktiengesellschaft durch Herabsetzung des Grundkapitals, verbunden mit Ausgabe neuer Aktien Haupt versammlurigsprotokoll. „Verhandelt Berlin, den 25. Januar i960. V o r dem unterzeichneten Notar usw. erschienen zwecks Abhaltung einer Hauptversammlung der ,Metallum' Eisengießerei und Maschinenfabrik Aktiengesellschaft in Berlin-Lichterfelde

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Registergericht — Hauptversammlungsprotokoll

1. vom Aufsichtsrat der Gesellschaft: 2. vom Vorstand der Gesellschaft: 3. verschiedene Aktionäre und Vertreter von Aktionären. Um 10 Uhr vormittags eröffnete Herr Bankdirektor Fritz Behrens als Vorsitzer des Aufsichtsrats die Hauptversammlung. Er stellte fest, daß die Berufung der Versammlung im zweiten Beiblatt des Bundesanzeigers vom 8. Januar i960 erfolgt ist, und legte dieses Blatt vor, welches folgende Bekanntmachung enthält: .Metallum' Eisengießerei und Maschinenfabrik AG. Berlin-Lichterfelde. Einladung zur Hauptversammlung für Freitag, den 25. Januar i960, vormittags 10 Uhr nach Berlin in den Geschäftsräumen des Notars Justus Siegel. Tagesordnung: Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1959. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr 1959. Gewinnverteilung. Entlastung des Vorstandes für das Geschäftsjahr 1959. Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 1959. Antrag des Aufsichtsrats betreffend Auflösung der Rücklagen, Herabsetzung des Grundkapitals mit gleichzeitiger Erhöhung durch Zusammenlegung der alten Aktien, Ausgabe neuer Aktien und Umtausch der alten gegen neue Aktien unter Ausschluß des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre. Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Geschäftsbericht liegen in den Geschäftsräumen der Gesellschaft in Berlin-Lichterfelde zur Einsicht der Aktionäre aus. Zur Teilnahme an der Hauptversammlung sind alle Aktionäre berechtigt, die bis zum 24. Januar i960 18 Uhr ihre Aktien oder den Hinterlegungsschein einer Bank bei der Gesellschaft oder ihre Aktien bei einem deutschen Notar hinterlegen. Berlin-Lichterfelde, den 6. Januar i960. I. II. III. IV. IV. V.

Fritz Behrens als Vorsitzer des Aufsichtsrats." Alsdann stellte der Vorsitzende durch Aufforderung zur Meldung die erschienenen Aktionäre und Aktionärvertreter fest. Ein Verzeichnis der Teilnehmer an der Hauptversammlung wurde auf Grund der Meldungen aufgestellt, vom Vorsitzenden unterzeichnet und dieser Verhandlung als Anlage beigefügt. Das Verzeichnis ist vor der ersten Abstimmung zur Einsicht ausgelegt worden. Die Vollmachten der im Aktionärverzeichnis aufgeführten Aktionärvertreter wurden vorgelegt und alsdann dem Vorstand der Gesellschaft zur Verwahrung ausgehändigt."

Vgl. §§ 107, 108, i i o , i n , 1 1 4 1 1 1 , I25 V I , 1 4 5 n , x53 I V AktG. Von der genauen Beachtung der Förmlichkeiten hängt die Ordnungsmäßigkeit der Hauptversammlung ab. Z . B. sind alle in der Versammlung gefaßten Beschlüsse unwirksam, wenn das Aktionärverzeichnis nicht nach Vorschrift aufgestellt war; vgl. den Fall R G 1 1 4 , 202. Bei Mängeln der Einberufung kann jeder Aktionär die Beschlüsse durch Klage anfechten, während sonst dieses Recht in der Regel nur dem Aktionär zusteht, der in der Versammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat (§ 198 1 Nr. 1 und 2). Bei Einmann- und Familien-Aktiengesellschaften, deren Aktien sich in wenigen festen Händen befinden, ist die sog. „Universal-Versammlung" („improvisierte Hauptversammlung") üblich geworden, welche ohne förmliche Einberufung abgehalten wird, dafür aber die Zustimmung sämtlicher Aktionäre voraussetzt. Wäre die „Metallum"-Versammlung eine solche Universalversammlung, so würde der Protokolleingang nach Aufzählung der Erschienenen etwa lauten: „Die Herren erklärten: Wir sind die alleinigen Aktionäre und Vertreter von Aktionären der ,Metallum* usw. und beabsichtigen heute eine Hauptversammlung dieser Gesellschaft mit folgender Tagesordgung abzuhalten: Eine Berufung der Hauptversammlung nach den Vorschriften des Aktienuesetzes und der Satzung sowie eine Auslegung der in § 125 V I AktG bezeichneten Vorlagen hat nicht stattgefunden, doch verzichten wir auf Befolgung dieser Vorschriften. Dem Notar wurde die dieser Verhandlung als Anlage beigefügte Bescheinigung des Bankhauses Ferdinand Schilling vom

Registergericht — Verlustanzeige-Hauptversammlung

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vorgelegt, nach welcher die sämtlichen Aktien der .Metallum' usw. für die darin aufgeführten Personen hinterlegt sind. Ferner wurden Vollmachten vorgelegt. Hierdurch erlangte der Notar die Überzeugung, daß das gesamte Aktienkapital der Gesellschaft vertreten ist. Die Vollmachten wurden dem Vorstand der Gesellschaft zur Verwahrung ausgehändigt. Hierauf eröflnete um 10 Uhr vormittags Herr Bankdirektor Fritz Behrens als Vorsitzer des Aufsichtsrats die Hauptversammlung. Ein Verzeichnis der Teilnehmer an der Hauptversammlung wurde aufgestellt, vom Vorsitzenden unterzeichnet und dieser Verhandlung als Anlage beigefügt. Das Verzeichnis ist vor der ersten Abstimmung zur Einsicht ausgelegt worden." E s f o l g t der sachliche Teil der Hauptversammlung. Zunächst werden die sog. „ R e g u l a r i e n " der §§ 125 f. A k t G erledigt: „Hierauf wurde in die Tagesordnung eingetreten. Z u P u n k t I d e r T a g e s o r d n u n g lag der Geschäftsbericht für 1959 mit dem Prüfungsvermerk des Aufsichtsrats vor. Der Geschäftsbericht wurde einstimmig genehmigt. Z u P un k t II d e r T a g e s o r d n u n g lag die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung für 19 5 6 mit dem Bericht des Abschlußprüfers und dem Prüfungsvermerk des Aufsichtsrats vor. Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung wurden von der Hauptversammlung einstimmig genehmigt." D i e Bilanz lautet (nach Zusammenziehung der Einzelposten auf der A k t i v - und Passivseite): „Aktiva: Passiva: Grundstücke, Maschinen, AußenGrundkapital 4000000 D M stände usw 3941000 D M Rücklage . . 255000 D M Verlust: Schulden . . 1822000 D M a) Vortrag aus 1958 . . 337000 b) Verlust des Geschäftsjahrs 1959 1779000 2116000 D M 6057000 D M

6057000 D M . "

D e r Referendar: D e r in der Bilanz angegebene Verlust mit 2 1 1 6 0 0 0 D M übersteigt die Hälfte des Grundkapitals. N a c h den §§ 8 3 1 , 1 0 8 1 hätte der Hauptversammlung A n z e i g e v o n dem Verlust gemacht und die A n z e i g e in die öffentliche Bekanntmachung der E i n b e r u f u n g aufgenommen werden müssen. D e r Richter: Wejin w i r feststellen wollen, ob das halbe Grundkapital verloren ist, so k o m m t es nicht nur auf den als „ V e r l u s t " bezeichneten Posten der Bilanz an, sondern es w i r d das gesamte bilanzmäßige Reinvermögen der Gesellschaft berücksichtigt, also auch der Reservefonds. N a c h A b z u g des Reservefonds sind nur 1 8 8 1 0 0 0 D M , also weniger als die Hälfte, verloren. Welchen Zweck hat die „ V e r l u s t a n z e i g e - H a u p t v e r s a m m l u n g " ? Vielfach wird angenommen, daß im Fall des § 83 1 A k t G (sowie des entsprechenden § 4 9 1 1 1 GmbHG) unter allen Umständen Konkurs- oder Vergleichsverfahren beantragt oder wenigstens die Auflösung der Gesellschaft beschlossen werden müßte. Konkurs und Vergleichsverfahren sind aber unzulässig, so lange keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt. §§ 207 K O , 1 VerglO. Im übrigen kann die Hauptversammlung die verschiedenartigsten Maßnahmen beschließen: Auflösung und Liquidation der Gesellschaft, Kapitaländerungen, Aufnahme von Anleihen, Erhebung einer Regreßklage gegen Vorstand und Aufsichtsrat usw. Sie kann aber auch von jedem besonderen Beschluß absehen und die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Bisweilen wird man sogar durch anderweite Bilanzierung den Verlust oder doch die Voraussetzungen des § 83 1 A k t G aus der Welt schaffen. Gut fundierte Gesellschaften legen nämlich im allgemeinen Wert darauf, ihre Aktiven in der Bilanz möglichst niedrig zu bewerten, gewisse Posten, wie Büroutensilien und Maschinen, werden häufig bis auf 1 D M abgeschrieben. Ferner gehört es zum geschäftlichen guten Stil, die aus der Vorbilanz übernommenen Aktiva manchmal mit einer niedrigeren, keinesfalls aber mit einer höheren Summe einzusetzen, als sie im Vorjahr zu Buch gestanden hatten. Ein handelsrechtlicher Zwang Zu solcher „ B i l a n z k o n t i n u i t ä t " besteht jedoch nicht, vielmehr schreibt das Gesetz im wesentlichen nur vor, daß Gegenstände des Anlagevermögens höchstens mit dem Anschaffungs- oder Herstellungspreis, Gegenstände des 46

L u x , Schulung. 5. Aufl. (Jansen)

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Registergericht — Herabsetzung des Grundkapitals

Umlaufsvermögens ebenfalls mit diesem Preis, höchstens jedoch mit dem niedrigeren Börsen- oder Marktpreis zu bewerten sind (§ 133 AktG). Die Verlustbilanz kann nun den Anlaß geben, stille Reserven früherer Jahre, die in der absichtlich niedrigen Bewertung einzelner Aktivposten lagen, aufzulösen, indem der abgeschriebene Posten innerhalb der zulässigen Grenzen wieder erhöht wird. Soweit es sich übrigens um die Frage handelt, ob das halbe Kapital verloren ist, dürfen die Werte grundsätzlich ohne Rücksicht auf § 133 und auf frühere Bilanzen so beziffert werden, wie die voraussichtliche Verwertung sich gestalten würde: „Abwicklungs-" oder „Schmelzbilanz" im Gegensatz zur normalen „Ertragsbilanz". Das Steuerrecht verlangt Bilanzkontinuität, weil andernfalls der Jahresgewinn willkürlich beeinflußt werden könnte. Die Folge dieses vom Handelsrecht abweichenden Grundsatzes ist, daß viele Unternehmen, die aus handels- und kreditpolitischen Erwägungen handelsrechtlich zulässige Bewertungen vornehmen, besondere sog. Steuerbilanzen errichten müssen, die wiederum nur für steuerliche Zwecke bestimmt sind, also auch nicht veröffentlicht werden. Der Begriff der Bilanzkontinuität ergibt sich aus § 6 EStG. Diese Vorschrift ist nach den §§6 KStG, 7 GewStG auch im Körperschaftsteuerrecht und im Gewerbesteuerrecht anzuwenden. Darnach sind Wirtschaftsgüter am Beginn des Jahres mit dem Wert anzusetzen, mit dem sie in der Schlußbilanz des Vorjahres ausgewiesen werden. Die eingesetzten Werte sind dann im Laufe des Jahres je nach der Art des Wirtschaftsgutes entweder unverändert fortzuführen oder aber um die Absetzung für Abnutzung zu mindern.

Der nächste Punkt der Tagesordnung, die Beschlußfassung über Gewinnverteilung, ist nicht so überflüssig, wie es angesichts der Verlustbilanz den Anschein hat. Denn die maßgebliche Bilanz soll ja erst von der Hauptversammlung festgestellt werden (§ 1 2 5 I V AktG), die theoretisch die Möglichkeit hat, die Bilanz zu verbessern und so eine Gewinnverteilung zu ermöglichen: „ Z u Punkt III der T a g e s o r d n u n g wurde einstimmig beschlossen, daß eine Gewinnverteilung nicht in Betracht kommt. Z u Punkt IV der T a g e s o r d n u n g wurde den einzelnen Mitgliedern des Vorstandes und sodann den einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats in getrennten Abstimmungen Entlastung für das Geschäftsjahr 1959 erteilt. Die Aktionäre, denen Entlastung erteilt werden soll, haben hierbei nicht mitgestimmt."

Vgl. § 1 1 4 V AktG. — Nunmehr wird über die außerordentlichen Maßnahmen zur Beseitigung des Verlustes verhandelt:

„ Z u Punkt V der T a g e s o r d n u n g faßte die Hauptversammlung einstimmig folgenden Beschluß: 1. Die Rücklage wird zum teilweisen Ausgleich des Verlustes aufgelöst. 2. Das Grundkapital der Gesellschaft wird in vereinfachter Form von 4000000 DM auf 2000000 DM herabgesetzt und zwar in der Weise, daß je zwei Aktien der Gesellschaft zu einer Aktie zusammengelegt werden. 3. Die Aktionäre haben zum Zweck der Zusammenlegung ihre Aktien nebst Gewinnanteil- und Erneuerungsscheinen innerhalb einer vom Aufsichtsrat zu bestimmenden und bekannt zu machenden Frist einzureichen. Von je zwei eingereichten Aktien wird eine zurückbehalten und vernichtet. (folgen Einzelbestimmungen für den Fall, daß ein Aktionär eine ungerade Zahl von Aktien besitzt). 4. Die Herabsetzung des Grundkapitals dient der Verringerung der Unterbilanz. 5. Das Grundkapital der Gesellschaft soll um 1 200000 DM (i.W.) durch Ausgabe von 12000 auf den Inhaber lautenden Aktien zum Nennbetrag von je 100 DM (i.W.) erhöht werden. Die jungen Aktien werden zum Parikurs ausgegeben. Sie sind vom 1. Januar i960 ab am Gewinn beteiligt. 6. Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre wird ausgeschlossen. 7. Die jungen Aktien werden zunächst den gegenwärtigen Aktionären zwecks Umtausches ihrer alten Aktien zum Kurs von 50% unter Zuzahlung von 50% des Nennwerts angeboten. Die bis zum 31. März i960 nicht eingetauschten jungen Aktien erhält das Bankhaus Ferdinand Schilling, welches sich zur Abnahme verpflichtet hat, gegen Barzahlung des Nennwerts.

Registergericht — Bilanzierung und Gewinnermittlung

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8. Die in § i vorgeschriebene Zusammenlegung betrifft diejenigen alten Aktien nicht, welche gemäß § 7 in junge Aktien gegen Zuzahlung von 5 0 % umgetauscht werden. 9. Auch der durch Eintausch alter Aktien gegen Zuzahlung gemäß § 7 erzielte Gewinn wird zur Verringerung der Unterbilanz verwendet. 10. Der Aufsichtsrat wird ermächtigt, nach Durchführung der Zusammenlegung den § 2 der Satzung der veränderten Ziffer des Grundkapitals gemäß zu fassen."

Vgl. §§ 1 5 3 1 1 1 , 1 7 5 , 1 8 2 — 1 8 4 AktG. Der Beschluß bedurfte einer 3/4 Mehrheit des vertretenen Grundkapitals. 100 D M ist der gesetzlich zulässige Mindestbetrag der Aktie ( § 8 i AktG). Der Referendar: Ich sehe den Nutzen der Kapitalherabsetzung nicht ein. Die geschäftlichen und finanziellen Schwierigkeiten der A G werden doch in keiner Weise durch sie gebessert. Die Gesellschaft hätte sich damit begnügen sollen, durch Ausgabe der neuen Aktien frisches Geld hereinzubekommen. Ist die Kapitalherabsetzung nicht auf ganz andere Fälle berechnet ? Der Richter: Kapitalherabsetzungen werden aus zwei wirtschaftlich entgegengesetzten Gründen vorgenommen. Entweder braucht die Gesellschaft nicht mehr ihr ganzes Kapital und will einen Teil davon zurückzahlen; das geschieht z. B. bei Terraingesellschaften, die einen Teil ihres Grundbesitzes versilbert haben und neue Erwerbungen nicht machen wollen (effektive Herabsetzung). Oder aber es geht der Gesellschaft schlecht, und die Herabsetzung soll der Sanierung des Unternehmens dienen (nominelle Herabsetzung). Aktiengesellschaften und andere Kapitalgesellschaften müssen nämlich nach zwingender Gesetzesvorschrift den Betrag ihres Stammkapitals sowie etwaige Rücklagen als sog. „unechte Passiva" auf der Passivseite der Bilanz einstellen und dürfen Gewinne erst verteilen, wenn die Bilanz einen Gewinn aufweist. §§ 1 3 1 1 B I, II, 1 3 2 1 1 AktG, 4z 4 . 5 GmbHG, 33 d 1 B I, II, 33f 1 1 GenG. „Gewinn" der juristischen Person ist der Überschuß des gegenwärtigen Reinvermögens über die unechten Passiva. Nach der „Metallum"bilanz beträgt das Reinvermögen der Gesellschaft 3 9 4 1 0 0 0 — 1 8 2 2 0 0 0 = 2119000 DM, also reichlich die Hälfte des Grundkapitals. Werden nun im nächsten Jahr beispielsweise 400000 D M verdient, so könnte dieser Betrag nicht als Gewinn verteilt werden, weil bis zur Erreichung des vollen Grundkapitals von 4 Millionen immer noch etwa 1 % Millionen fehlen. Bei gleichbleibenden Geschäftserträgen würde es 5 Jahre dauern, bis der buchmäßige Verlust beseitigt und eine Gewinnverteilung statthaft wird. Nach Durchführung der Kapitalherabsetzung beträgt das als unechtes Passivum einzustellende Grundkapital nur 2 Millionen, während effektiv etwas über 2 Millionen als Gesellschaftsvermögen vorhanden sind, und jeder in Zukunft erzielte Gewinn kann alsbald zur Verteilung gebracht werden, soweit er nicht nach den §§ 130, 187 A k t G in die gesetzliche Rücklage einzustellen ist. Referendar: Warum gibt der Beschluß nicht näher an, in welcher Weise der Reservefonds flüssig gemacht wird? Richter: Weil der Reservefonds keine besonders angelegte Masse, sondern nur ein rechnerisch und rechtlich besonders qualifizierter Teil des Gesellschaftsvermögens ist. E r dient zum Ausgleich von Verlusten (§ 1 3 0 1 1 1 AktG) und darf nicht unter die Aktionäre verteilt werden. Die realen Werte, die dem Betrag von 235 000 D M entsprechen, stecken mit in den 3 941000 D M Aktiven. Die aktienrechtliche B i l a n z i e r u n g u n d G e w i n n e r m i t t l u n g unterscheidet sich grundlegend von derjenigen des Einzelkaufmanns, der O H G und K G Letztere stellen in ihre Bilanz als Aktiva die vorhandenen Vermögenswerte, als Passiva die Schuldverpflichtungen der Firma ein. Übersteigen die Aktiva die Passiven, so wird der Unterschiedsbetrag, da jede Bilanz auf beiden Seiten mit gleichen Summen abschließen muß, als „Kapitalkonto" auf die Passivseite geschrieben. Wäre die „Metallum" eine Einzelfirma, so würde die Bilanz lauten: 46«

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Registergericht — Zusammenlegung der Aktien Aktiva: Grundstücke usw. . . .

Passiva: 3 941000 D M 3 941000 D M

Schulden . . Kapitalkonto

1822000 D M 2119000 D M 3 941000 D M

Das bedeutet, daß der Inhaber ein Reinvermögen in Höhe des Kapitalkontos im Geschäft hat. Das Kapitalkonto der Firmen des A-Registers ist ein beweglicher Faktor, es ändert sich alljährlich, einerseits durch Gewinn und Verlust, andrerseits durch Entnahmen. Dagegen verlangen bei den juristischen Personen die angeführten gesetzlichen Bestimmungen, daß die Gesellschaft ihr Stammkapital als Passivum in die Bilanz setzen muß. Vermehrt sich das Vermögen der Gesellschaft über das Stammkapital, so geschieht der Ausgleich durch einen Posten „Reservefonds", „Gewinn", „Erneuerungskonto" od. dergl. Sinkt das Effektiwermögen unter den Betrag des Stammkapitals, so wird der Ausgleich durch einen Posten „Verlust" unter den Aktiven bewirkt, wie wir das bei der „Metallum" gesehen haben. Der oben entwickelte „Gewinn"begriff der juristischen Person (Gewinn = Überschuß des Reinvermögens über Stammkapital + etwaige Reservefonds u. dgl.) gilt nur handelsrechtlich für die Gewinnverteilung. Steuerrechtlich ist „Einkommen" der im letzten Geschäftsjahr eingetretene Vermögenszuwachs, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen, gerade wie bei den Firmen des A-Registers. §§ 6 1 K S t G , 4, 8 E S t G ; Barth, N J W 1959, 2233. Ein Gegenstück zu der nominellen Kapitalherabsetzung zwecks Sanierung einer notleidenden A G ist die K a p i t a l e r h ö h u n g aus G e s e l l s c h a f t s m i t t e l n nach dem Gesetz vom 23. Dezember 1959 (BGBl 1798). Durch sie fließt der Gesellschaft kein neues Kapital zu, sondern als freie Rücklagen vorhandene Mittel der Gesellschaft werden in gebundenes Nennkapital umgewandelt. Der Form nach liegt eine Erhöhung des Nennkapitals vor, der Sache nach eine Kapitalberichtigung in Anpassung an die gute Vermögenslage der Gesellschaft. Da der Aktionär durch seine Aktie am gesamten Vermögen der Gesellschaft beteiligt war und diese Beteiligung an dem unverändert bleibenden Gesamtvermögen nicht beeinträchtigt werden soll, sorgt das Gesetz in § 9 dafür, daß der Aktionär nach der Kapitalerhöhung mit seinen in der Anzahl oder im Nennwert entsprechend erhöhten Aktien an dem erhöhten Nennkapital beteiligt ist. Diese Art der Kapitalerhöhung ist zulässig bei A G , K G a A und GmbH. Da sich die Vermögenslage der Gesellschaft und der Gesellschafter nicht ändert, hat der Vorgang auch keine steuerlichen Folgen (Gesetz vom 30. Dezember 1959, B G B l I 834). Vgl. dazu Keidel-Schmatz, Registerrecht, 2. Aufl. S. 105a; Geßler, B B i960, 6; Zintzen, GmbHRdsch. i960, 2; Wilhelmi, N J W i960, 169; Schippel, D N o t Z i960, 353. N a c h dem zweiten die A u s g a b e der neuen Aktien betreffenden Teil des Beschlusses haben die alten Aktionäre die Wahl, entweder ihren Aktienbesitz i m Verhältnis 2 : 1 zusammenlegen zu lassen, oder aber f ü r eine Stammaktie v o n 100 D M u n d eine bare Zuzahlung v o n 50 D M eine junge A k t i e über 100 D M zu beziehen. E i n e solche V e r bindung der Zusammenlegung (oder der Herabsetzung des Nennbetrages, v g l . § 1 7 5 I V A k t G ) der A k t i e n mit dem Umtausch'der zusammengelegten A k t i e gegen eine neue bei Zuzahlung eines gewissen Betrages ist zulässig, w e n n das O p f e r der die Z u zahlung verweigernden Aktionäre nicht größer ist als das Opfer, das die andern in Gestalt der Barzahlung bringen. Dabei k o m m t es auf den Nennbetrag der A k t i e an. Dieser Grundsatz ist hier gewahrt. D a g e g e n w ü r d e ein Beschluß, der nur den nicht zuzahlenden Aktionären die Zusammenlegung ihrer Aktien oder eine schärfere Z u sammenlegung als den zur Zuzahlung bereiten gewissermaßen als Strafe androht, gegen den Grundsatz verstoßen, daß alle Aktionäre nach Maßgabe der Satzung gleichmäßig zu behandeln sind und keiner zu Leistungen über die A k t i e hinaus g e z w u n g e n werden darf ( § § 1 1 , 4 9 r A k t G ) . R G 52, 2 8 7 ; 80, 8 6 ; Baumbach-Hueck, A k t G , 10. A u f l . E i n f . 3 zu § 1 7 5 . J e nachdem mehr oder weniger Aktionäre Gebrauch v o m Umtauschrecht machen, kann sich nach D u r c h f ü h r u n g des Beschlusses eine verschiedene H ö h e des G r u n d kapitals ergeben. Daher bedarf der die H ö h e des Grundkapitals festsetzende § 2 des Gesellschaftsvertrags einer neuen Fassung. D i e Delegation an den Aufsichtsrat w i r d durch § 1 4 5 1 S. 2. zugelassen.

Registergericht — Durchführung der vereinfachten Kapitalherabsetzung

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Gelingt es, sämtliche neuen Aktien durch Umtausch unterzubringen, so bleiben zum Schluß 1400000 D M ; wird überhaupt nichts eingetauscht, 2000000 D M alte Aktien. Hierzu treten in beiden Fällen die 1200000 D M neuen Aktien. A n neuem Geld erhält die Gesellschaft im ersten Fall nur 600000 D M , im zweiten dagegen 1200000 D M .

Abschluß des Protokolls: „Sämtliche Beschlüsse wurden einstimmig durch Zuruf gefaßt und vom Vorsitzer festgestellt und verkündet."

Wenn die Art und das Ergebnis der Abstimmung sowie die Feststellung des Vorsitzers über die Beschlußfassung in der Niederschrift fehlen, droht Nichtigkeit (§§ i n « , 195 Nr. 2 AktG). „ U m 1 1 Uhr 35 Minuten vormittags wurde die Hauptversammlung geschlossen. Die Verhandlung ist vorgelesen, von den Beteiligten genehmigt und von dem Vorsitzenden der Versammlung eigenhändig, wie folgt, unterschrieben worden: Frit\1 Behrens. Geschlossen: Justus Siegel, Notar."

Obgleich das Protokoll einstimmig gefaßte Beschlüsse beurkundet, liegt doch notariatstechnisch keine Verhandlung über ein Rechtsgeschäft vor. Der Notar hat vielmehr den Verlauf der Hauptversammlung als bloße Tatsache beurkundet, ähnlich wie wenn er den Hergang einer Verlosung, einer Versteigerung, das Angebot einer Leistung od. dgl. beurkunden würde. Hieraus folgt die Unanwendbarkeit der nur für Protokolle über Rechtsgeschäfte geltenden Vorschriften der § § 167 f. F G G . Beispielsweise bedarf es keiner Vorlesung, Genehmigung und Unterschrift; in der Praxis ist jedoch die Vorlesung sowie die Unterzeichnung durch den Vorsitzenden der Hauptversammlung üblich. Jansen, F G G , § 167 Anm. 3. Urkunden über nicht-rechtsgeschäftliche Vorgänge kommen in das allgemeine Notariatsregister und die Notariatsakten. Nur die Wechselproteste (die begrifflich ebenfalls in diese Kategorie fallen) sind besonders zu zählen und aktenmäßig anders zu behandeln. Vgl. S. 482.

A n m e l d u n g und E i n t r a g u n g . Hätte die Hauptversammlung der „Metallum" nur die Regularien erledigt, so wären nach § i i i v AktG beglaubigte Abschrift des Hauptversammlungsprotokolls nebst Belegblatt über die Veröffentlichung der von der Hauptversammlung genehmigten Bilanz und etwaige Aufsichtsratswahlen (§§91, 143) dem Registergericht einzureichen , ebenso der Geschäftsbericht nebst dem Bericht des Aufsichtsrats (§§ 96, 143 1 ). Bei Satzungsänderungen findet eine förmliche Anmeldung statt, die im Fall einer Änderung des Grundkapitals durch die Vorstandsmitglieder in der vertretungsberechtigten Zahl und den Vorsitzer des Aufsichtsrats oder seinen Stellvertreter zu bewirken ist (§§ 1 5 1 , 176). Denn bei A G , K G a. A., GmbH, Genossenschaft und e.V., also bei allen juristischen Personen, erlangen Statutenänderungen erst durch konstituive Eintragung in das Register Wirksamkeit, gleichgültig ob der Gegenstand der Satzungsänderung an sich zu den in das Register aufzunehmenden Bestimmungen (§32) gehört oder nicht. Man soll aus dem Register und den Registerakten das jeweils maßgebende Statut zuverlässig feststellen können. §§ i 4 8 « i AktG, 54 GmbHG, i 6 « i - ™ GenG, 71 BGB. Wegen der durch Ausgabe der neuen Aktien entstehenden Gesellschaftssteuer (§§2 Nr. 1, 6 1 Nr. 1, i o 1 KapVStG) wird der Anmeldung des Beschlusses die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts beigefügt. Es handelt sich um eine Kapitalherabsetzung in vereinfachter Form (§ § 182—191), die sich von der ordentlichen Kapitalherabsetzung (§§ 175—181) durch den Wegfall der dem Schutz der Gläubiger dienenden Sperrfrist von 6 Monaten (§ 178) unter-

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Registergericht — Liste der Genossen

scheidet. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist nur unter den Voraussetzungen des § 182 statthaft. Sie beruht auf dem Gedanken, daß bei einer Kapitalherabsetzung zum Zweck der Sanierung eine Abschwächung des Gläubigerschutzes tragbar ist, weil die Gläubiger bei der bloßen Anpassung des Grundkapitals an die bereits eingetretene Senkung des Vermögensstandes weniger gefährdet sind als bei einer zu einer Vermögensminderung führenden Herabsetzung. Dem Schutz der Gläubiger dienen die §§ 184—187, die vor allem verhindern sollen, daß die Gesellschaft die aus der Kapitalherabsetzung und der Auflösung der Rücklagen gewonnenen Beträge statt für den Ausgleich von Wertminderungen, die Deckung sonstiger Verluste oder die Auffüllung der gesetzlichen Rücklage zu Ausschüttungen an die Aktionäre verwendet. Der Registerrichter hat noch die besonderen Voraussetzungen des § 183 zu prüfen. Nachdem er die Anmeldung als ordnungsgemäß befunden hat, verfügt er: „Sp. 1 : 37. Sp. 6: Die Hauptversammlung vom 25. Januar i960 hat die Erhöhung des Grundkapitals um 1200000 D M beschlossen. Gleichzeitig findet eine Herabsetzung des Grundkapitals in vereinfachter Form durch den Umtausch alter Aktien zum Kurse von 5 0 % gegen neue Aktien unter Zuzahlung von 5 0 % und durch Zusammenlegung der nicht eingetauschten Aktien im Verhältnis 2 : 1 statt."

Nachdem der Vorstand die Herabsetzung und Erhöhung des Grundkapitals durchgeführt hat (§§ 155, 180), wird auf Grund weiterer Anmeldung eingetragen: „Sp. 1 : 38. Sp. 3: 2 805 000 D M . Sp. 6: Die Herabsetzung und Erhöhung des Grundkapitals sind durchgeführt. Das Grundkapital beträgt jetzt 2805000 D M . Durch Beschluß des durch die Hauptversammlung vom 25. Januar i960 dazu ermächtigten Aufsichtsrats vom 30. April i960 ist § 2 der Satzung (Höhe und Einteilung des Grundkapitals) geändert."

Der bisherige Betrag des Grundkapitals in Spalte 3 wird gerötet. Liste der Genossen Warum führt das Registergericht keine Listen der Aktionäre oder GmbH-Gesellschafter, aber eine Liste der Genossen? Den Gläubigern der A G und GmbH haftet nur die Gesellschaft mit ihrem ein für alle Mal feststehenden Kapital. Eine unmittelbare Inanspruchnahme der Gesellschafter durch die Gesellschaftsgläubiger ist ausgeschlossen. Durch Wechsel der Gesellschafter wird das Gesellschaftskapital nicht berührt. Folglich genügt es für diese reinen Kapitalgesellschaften, wenn wir aus dem zu den Registerakten einzureichenden Gesellschaftsvertrag die Namen der Gründer und die Höhe der Einzelbeteiligungen erfahren. Für die Schulden der Genossenschaft haften dagegen die Genossen dieser persönlich ( § 2 GenG), wenn auch bei der Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht unter Beschränkung auf eine im Statut festgesetzte Haftsumme, und diese Haftung bildet eine wesentliche Grundlage des Genossenschaftskredits. Die Genossenschaft ist auf Wechsel der Mitglieder berechnet (§ 1). Mit jedem Eintritt oder Ausscheiden eines Genossen, mit jeder Übernahme oder Kündigung eines weiteren Geschäftsanteils vergrößert oder verringert sich die Summe der Geschäftsanteile, also die Kapitalbasis der Genossenschaft, außerdem selbstverständlich die persönliche Haftung der Genossen. Aus diesen Gründen macht das Gesetz die Begründung und Beendigung der Mitgliedschaft von einer konstitutiven Eintragung in der Liste der Genossen abhängig (§§ 1 5 1 1 1 , 7 0 1 1 , 1 3 7 1 1 1 ) . — Zum Genossenschaftsregister, welches über die Rechtsverhältnisse der Genossenschaft als solche Auskunft gibt und dem

Registergericht — Liste der Genossen

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Handelsregister B entspricht, verhält sich die Genossenliste wie eine Art Nebenregister. Die „Einreichungen" zur Liste der Genossen müssen durch den Vorstand geschehen (§§ 15, 69, 77 1 1 , 137). Sie brauchen nicht beglaubigt zu sein, während für „Anmeldungen" zum Genossenschaftsregister dieselben Vorschriften gelten wie im Handelsregisterrecht (§§157 GenG, 6 1 GenRegVO, 128, 147 FGG). Jedoch sind für die öffentliche Beglaubigung der Anmeldungen nach § 8 1 GenRegVO auch der Gemeindevorsteher und die Polizeibehörde zuständig. Eintragungen in der Liste der Genossen kommen naturgemäß weit häufiger vor, als im Genossenschaftsregister. Beitritt. Übernahme weiterer Geschäftsanteile. K ü n d i g u n g . T o d e s f a l l . „ A n das Amtsgericht Lichterfelde. Zwecks Eintragung in die Liste der Genossen überreichen wir beifolgend: 1. Beitrittserklärungen der Genossen Ackermann, Baum, Conrad 2. Erklärungen der Genossen Deutsch, Eisner, Garbe (Liste der Genossen Nr. 25, 39, 47) betreffend Übernahme je eines weiteren Geschäftsanteils, indem wir versichern, daß die bisherigen Geschäftsanteile dieser Genossen erreicht sind",

— Bei der eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht beschränkt sich die persönliche Haftung des Genossen auf seine „Haftsumme". Die Haftsumme wird statutarisch festgesetzt und muß mindestens ebenso hoch sein wie der Geschäftsanteil (§§ 2 2 , 1 3 1 ; Ausnahme: § 139a). Nach den §§ i34f. dürfen sich bei einer eGmbH die Genossen nach näherer Bestimmung des Statuts mit mehreren Geschäftsanteilen beteiligen, sofern der erste Geschäftsanteil voll eingezahlt ist. Durch Übernahme weiterer Anteile erhöht sich auch die persönliche Haftung des Genossen auf das entsprechende Vielfache der Haftsumme (§ 135). Dagegen behält er einfaches Stimmrecht (§ 4 3 u ) : denn die Genossenschaft ist mehr Personal- als Kapitalgesellschaft. — „ 3 . die vor dem 1. Januar i960 eingegangenen Kündigungserklärungen der Genossen Honig Janz, Kümmel (Nr. 13, 68, 83) zum 31. März i960."

— Vgl. § 65. Das Geschäftsjahr der Genossenschaft läuft vom 1. April bis zum 31. März. — „ 4 . Sterbeurkunde des Genossen Georg Schröter (Nr. 101) vom 5. Januar i960. Erbe des Schröter ist sein Vater, Gärtner Ernst Schröter in Südende, geworden. Südende, den 12. Januar i960. Südender Spar- und Vorschußverein eGmbH. Der Vorstand. Bithorn. Thieme."

Vgl. § 77. Die Eintragung des Ausscheidens im Todesfall ist ausnahmsweise rechtsbekundend. Daß überhaupt die Mitgliedschaft durch Tod endigt, hängt wiederum mit dem stark personenrechtlichen Charakter der Genossenschaft zusammen, denn bei den reinen Kapitalgesellschaften sind die Anteilsrechte übertragbar und vererblich, und der Tod auf die Mitgliedschaft ohne Einfluß. Der verstorbene Genosse scheidet aber nicht, wie es eigentlich sein müßte, sofort, sondern erst am Schluß des laufenden Geschäftsjahrs aus (wobei es selbstverständlich gleichgültig ist, ob meiir oder weniger als drei Monate zwischen Tod und Ende des Geschäftsjahrs liegen). Für den Rest des laufenden Geschäftsjahrs wird die Mitgliedschaft durch die Erben „fortgesetzt". Grund: es müßte sonst für die Auseinandersetzung mit den Erben jedesmal eine besondere Bilanz auf den Todestag aufgestellt werden.

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Registergericht — Vormerkung in der Liste der Genossen

Genossen können nicht nur natürliche Personen, sondern auch Handelsgesellschaften aller Art und eingetragene Genossenschaften sein (vgl. § 9 1 1 S. 2). Besonders der letzte Fall ist wichtig. Die Kreditgenossenschaften z. B. sind in ein System von Ober- und Untergenossenschaften eingegliedert. Wird nun die einer Genossenschaft angehörige Untergenossenschaft oder Handelsgesellschaft aufgelöst, so wird wegen Gleichheit der Rechtslage § 77 entsprechend angewandt. R G 122, 255. — Aus dem Genossenschaftsregister stellt der Rechtspfleger fest, daß Bithorn und Thieme den Vorstand des Spar- und Vorschuß Vereins bilden. Die Unterschriftszeichnung unter der Einreichung stimmt mit der zu den Registerakten überreichten (§§ 1 1 1 1 1 , 2 8 n ) überein. Den Formerfordernissen der §§ 15, 1 3 1 a GenG, § 7 GenR e g V O ist genügt. Bedenken gegen die Echtheit der Unterschriften und die Wirksamkeit der Beitrittserklärungen sind nicht erkennbar (§ 2 9 i n . 1 v GenRegVO). — Verfügung des Rechtspflegers: „ 1 . Einzutragen in die Liste der Genossen des Südender Spar- und Vorschußvereins eGmbH. a) Sp. 1—4: 518 Ackermann, Richard, Bahnarbeiter . Südende Baum, Max, Kaufmann 15. Januar i960 Lankwitz 519 520 Conrad, Adolf, Schlosser Südende b) Sp. Sp. Sp. c) Sp. Sp. Sp. Sp. d) Sp. Sp. Sp. Sp.

5—6, zur lfd. Nr. 25, 39, 47: 5: 15. Januar i960. 6: 1. 7—9, zur lfd. Nr. 13, 68, 83: 7: 15. Januar i960. 8: Aufkündigung zum 31. März i960. 9 : 3 1 . März i960. 7—9, zur lfd. Nr. 101: 7: 15. Januar i960. 8: gestorben am 5. Januar i960. 9: 31. März i960."

Das Formular der Liste beruht auf der G e n R e g V O vom 22. November 1923 (RGBl. I 1 1 2 3 ) , abgedruckt bei Jansen, F G G , Anl. X . Sp. 1 enthält die laufende Nummer, Sp. 2—4 die Neueintragungen von Genossen, Sp. 5/6 die weiteren Geschäftsanteile, Sp. 7—9 das Ausscheiden, Sp. 10 Bemerkungen. „2. Nachricht an Vorstand und Genossen, zu 1 d an Gärtner Ernst Schröter in Südende." Eine Bekanntmachung der Eintragungen in die Liste der Genossen findet (zum Unterschied von den Eintragungen ins Genossenschaftsregister, § § 1 5 6 GenG) nicht statt; man begnügt sich mit der Bekanntmachung des Gesamtbestandes der Genossen bzw. Geschäftsanteile durch die Genossenschaft (unten S. 731). Für die Eintragungen in das Genossenschaftsregister und die Liste der Genossen werden keine Gebühren erhoben, um das Genossenschaftswesen zu fördern (§ 83 KostO). V o r m e r k u n g . Eingang vom 12. Februar i960: „Ich bin Genosse des Südender Spar- und Vorschußvereins eGmbH. und als solcher in der Liste der Genossen unter Nr. 128 mit 2 Geschäftsanteilen eingetragen. Da ich meine Mitgliedschaft zum 31. März ds. Js. kündigen wollte, habe ich am 31. Dezember 1959 mittags gegen 1/2 1 Uhr meinen Lehrling Hans Kratzer mit dem Kündigungsschreiben in das Geschäftslokal des Vereins geschickt. Kratzer traf dort den Direktor Bithorn eben im Begriffe, Zur Bahn zu gehen. Bithorn sagte, daß er zu einer wichtigen Konferenz nach Berlin müsse, und daß Kratzer gegen Abend ins Geschäftslokal oder in seine Wohnung kommen solle. Als Kratzer zwischen 5 und

Registergericht — Kündigung des Genossen

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6 Uhr nachmittags wiederkam, war Direktor Bithorn noch nicht zurückgekehrt. Nach 9 Uhr suchte er ihn mit dem Schreiben in seiner Privatwohnung auf, darauf erklärte Bithorn-. ,Herr Unverricht soll mich wenigstens am Abend ungeschoren lassen, die Sache wird wohl so wichtig nicht sein,' und nahm den Brief nicht ab. A m 3. Januar 1957 habe ich dann die Kündigung der Genossenschaft durch den Gerichtsvollzieher zustellen lassen. Der Vorstand weigert sich, meine Kündigung als rechtzeitig anzuerkennen, und hat sie nicht zur Eintragung in die Liste der Genossen eingereicht. Daher beantrage ich: gemäß § 71 GenG in der Liste der Genossen vorzumerken, daß ich durch Kündigung zum 31. März d. J . ausgeschieden bin. Kündigung mit Zustellungsurkunde und eidesstattliche Versicherung des Hans Kratzer anbei. Gotthold Unverricht, Barbier."

Geht eine Kündigung oder sonstige empfangsbedürftige Willenserklärung dem Empfänger infolge eines von ihm verschuldeten Umstandes nicht rechtzeitig zu, so darf sich der Empfänger auf die Verspätung nicht berufen, weil das gegen Treu und Glauben verstieße. R G 58, 408; JW 19, 5692. Die Genossenschaft muß also die am 3. Januar gemäß § 1 3 2 1 B G B zugestellte Kündigung so gegen sich gelten lassen, als wäre sie ihr bereits am 31. Dezember, mithin fristgerecht (§ 6 5 1 1 S . 2 GenG), zugegangen. Obgleich Unverricht hiernach sich sachlich im Recht befindet, bliebe er doch weiter Genosse, wenn sein Ausscheiden nicht vor dem 31. März 19 5 7 in der Liste vermerkt wird, und zur Einreichung der Kündigung kann er den Vorstand nur mit Hilfe eines langwierigen Prozesses zwingen. Die Hinausschiebung der Eintragung ist für ihn um so gefährlicher, als das Ausscheiden nach § 75 GenG als nicht erfolgt gilt, wenn die Genossenschaft binnen sechs Monaten nach dem Ausscheiden des Genossen aufgelöst wird, und er unter Umständen im Genossenschaftskonkurse nachschußpflichtig bleibt, wenn das Konkursverfahren innerhalb von achtzehn Monaten nach dem Ausscheiden eröffnet worden ist (§ 115 b). Hier hilft die „Vormerkung", deren Wirkung darin besteht, daß das Ausscheiden des Genossen, falls es später auf Grund beglaubigter Anerkennung des Vorstandes oder rechtskräftigen Urteils festgestellt wird, als am Tage der Vormerkung eingetragen gilt (§ 7 1 n ) . Vormerkungen sind auf einfachen Antrag des Genossen — ohne Erlaß einer einstweiligen Verfügung und ohne Glaubhaftmachung — einzutragen (§35 GenRegVO), so daß es der Einreichung des Kündigungsschreibens und der eidesstattlichen Versicherung nicht bedurfte. Es erübrigt sich daher auch die vorherige Anhörung des Vorstandes. — Eintragung zur lfd. Nr. 128: „Sp. 7 : 14. Februar i960. Sp. 8: Vorgemerkte Kündigung zum 31. März i960."

Schließlich hat Unverricht seinen Prozeß gewonnen und reicht das rechtskräftige Urteil ein. Eintragung zur lfd. Nr. 128: „Sp. 7: 20. Januar 1961. Sp. 8: Rechtskräftig festgestellt. Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Dezember i960. Sp. 9: 31. März i960."

A u s s c h l i e ß u n g eines G e n o s s e n . Bei den Kapitalgesellschaften interessiert der Gesellschafter nur als Inhaber seines Anteils, nicht als Person, daher wäre die Ausschließung eines Aktionärs undenkbar (wegen der Ausschließung aus der GmbH vgl. allerdings S. 714). Dagegen läßt § 68 GenG die Ausschließung von Genossen aus persönlichen Gründen zu. Ehrverlust und Mitgliedschaft in einer Konkurrenzgenossenschaft sind gesetzliche Ausschließungsgründe. Das Statut kann noch andere Gründe festsetzen; am beliebtesten ist die dehnbare Formel „Schädigung der Interessen der Genossenschaft". —

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Registergericht — Ausschließung eines Genossen

Der Vorstand überreicht zwecks Herbeiführung der Eintragung Abschrift eines Ausschließungsbeschlusses der Generalversammlung aus dem Protokollbuch der Genossenschaft (§§ 47, 69 1 1 GenG). „Südende, den 18. April i960. A n der heute im JSxnerschen Gasthaus abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung des Südender Spar- und Vorschußvereins eGmbH. nahmen die in der anliegenden Abstimmungsliste aufgeführten 133 Genossen teil. Auf der Tagesordnung stand als einziger Punkt der Antrag des Vorstandes auf Ausschließung des Genossen Wilhelm Rother. Mit 87 gegen 40 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen wurde der Beschluß gefaßt: Genosse Wilhelm Rother (Liste der Genossen Nr. 66) wird gemäß § 17 des Statuts wegen Schädigung der Interessen der Genossenschaft zum 31. März 1961 aus der Genossenschaft ausgeschlossen, weil er die Geschäftsführung des Vorstands und Aufsichtsrats ohne Grund verdächtigt, im Publikum gegen die Genossenschaft Stimmung gemacht und versucht hat, den Lichterfelder Vorschußverein eGmbH. zur Einrichtung einer unter seiner Leitung stehenden Zweigstelle in Südende zu veranlassen, wodurch die Genossenschaft auf das Schwerste geschädigt worden wäre. (Unterschriften.)"

Gleichzeitig ist ein Schreiben des Rother eingegangen, in welchem er gegen seine Ausschließung protestiert, sie für einen Racheakt des Vorstands erklärt und darlegt, daß er stets nur das Beste der Genossenschaft gefördert habe. Bereits in der Generalversammlung habe er seinen Widerspruch erklärt, doch sei dieser vom Vorstand nicht zu Protokoll genommen worden. E r werde nunmehr klagen und bitte das Registergericht, das Ergebnis des Prozesses abzuwarten. •— Verfügung: „ 1 . Einzutragen in die Liste der Genossen zu Nr. 66: Sp. 7: 25. April i960. Sp. 8: Ausschließung zum 31. März 1961. Sp. 9: 31. März 1961. 2. Bekanntmachung: a) an Vorstand, b) an Rather. Zusatz: Daß Genossen, welche die Interessen der Genossenschaft schädigen, durch Beschluß der Generalversammlung ausgeschlossen werden, läßt § 17 des Statuts zu. Da der Ausschließungsbeschluß entsprechend der Vorschrift des Statuts begründet, auch der Form nach in Ordnung ist, mußte Ihre Ausschließung zum 31. März 1961 eingetragen werden. Eine Prüfung, ob die Ausschließung sachlich gerechtfertigt war, steht dem Registergericht nicht zu. Sie haben die Möglichkeit, im Prozeßweg die Unwirksamkeit Ihrer Ausschließung feststellen zu lassen."

Die Klage des ausgeschlossenen Genossen auf Feststellung der Fortdauer seiner Mitgliedschaft ist — wenn auch die Ausschließung, die statutarisch dem Vorstand oder anderen Stellen übertragen werden kann, durch die Generalversammlung selbst ausgesprochen war — nicht die Anfechtungsklage des § 5 1 Ges. Für diese sind, entsprechend der aktienrechtlichen Anfechtungsklage der § § 197 f. AktG, gewisse Förmlichkeiten, Fristen und die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts vorgeschrieben. Diese Besonderheiten gelten hier nicht, denn es handelt sich um einen Eingriff in die eigene Rechtsstellung des Genossen, zu dessen Abwehr er keines besonderen Rechtsbehelfs bedarf. Also kommt es z. B. auf den Widerspruch zu Protokoll nicht an, die Klage ist auch nach Ablauf eines Monats zulässig, und die sachliche Zuständigkeit (damit auch die Zulässigkeit der Revision) hängt von der Höhe des Streitwerts ab. Die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft ist in der Regel ein vermögensrechtlicher Streitgegenstand. §§ 3, 546 Z P O ; R G Z 51, 91; 89, 336; J W 1937, 1997. Wenn jedoch nach den Umständen des Einzelfalls der Betroffene durch die Ausschließung vornehmlich in seiner Persönlichkeit, seiner Ehre, Achtung und Gel-

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Registergeticht — H a f t u n g der Genossen

tung im Rahmen der Allgemeinheit berührt wird, kann der dadurch begründete personenrechtliche Einschlag die Annahme einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit rechtfertigen (RG 163, 202). Die wichtige Frage, ob das Prozeßgericht nur die formelle Zulässigkeit der Ausschließung und das Verfahren oder auch die sachliche Berechtigung des Ausschlusses nachzuprüfen hat, wird zugunsten der sachlichen Nachprüfung entschieden. R G Z 129, 45; JW 1932, 1010; B G H Z 27, 297. Bilanzveröffentlichung.

Haftung

der

Genossen:

In

den Registerakten

finden

wir

das B e l e g b l a t t m i t der v o m G e n o s s e n s c h a f t s v o r s t a n d g e m ä ß § § 33, 139 G e n G v e r a n l a ß t e n V e r ö f f e n t l i c h u n g des Jahresabschlusses ( B i l a n z n e b s t G e w i n n - u n d V e r l u s t r e c h n u n g ) u n d des G e n o s s e n bestandes v o m 31. M ä r z i 9 6 0 . A m S c h l u ß d e r B i l a n z b e f i n d e n sich die d u r c h § § 3 3 1 1 1 , 1 3 9 G e n G v o r g e s c h r i e b e n e n A n g a b e n ü b e r die M i t g l i e d e r b e w e g u n g i n d e m a b g e l a u f e n e n G e s c h ä f t s j a h r : „Zahl der Mitglieder

Anzahl der Geschäftsanteile

Haftsumme DM

295 45 11 3*9

37a 94 18 448

111600 28200 5400 134400

Bestand am Anfang des G e s c h ä f t s j a h r s . . . . Zugang Abgang Bestand am Schluß des Geschäftsjahrs . . . .

D i e G e s c h ä f t s g u t h a b e n s ä m t l i c h e r M i t g l i e d e r h a b e n sich i m L a u f e des G e s c h ä f t s j a h r s u m 13 900 D M , die H a f t s u m m e n u m 22 800 D M v e r m e h r t . D i e r ü c k s t ä n d i g e n u n d f ä l l i g e n P f l i c h t e i n z a h l u n g e n a u f die G e s c h ä f t s a n t e i l e b e t r a g e n 1250 D M . D i e H ö h e d e s e i n z e l n e n G e s c h ä f t s anteils b e t r ä g t 200 D M , die H ö h e d e r H a f t s u m m e je G e s c h ä f t s a n t e i l 300 D M . " D i e G e s c h ä f t s g u t h a b e n s i n d k e i n e S c h u l d d e r G e n o s s e n s c h a f t , s o n d e r n stellen d e r e n E i g e n k a p i t a l dar, sie e n t s p r e c h e n als „ u n e c h t e s P a s s i v u m " d e m A G - u n d G m b H - K a p i t a l (S. 723). D a d e r G e schäftsanteil l a u t S t a t u t 200 D M b e t r ä g t , m ü ß t e n als G e s c h ä f t s g u t h a b e n 448 X 200 = 89600

DM

v o r h a n d e n s e i n ; m i t 1 2 5 0 D M b e f i n d e n sich die G e n o s s e n i m R ü c k s t a n d . D i e H a f t s u m m e n g e h ö r e n n i c h t i n die B i l a n z , w e i l sie erst i m K o n k u r s f a l l in die E r s c h e i n u n g treten. Sie s i n d a b e r f ü r die G l ä u b i g e r d e r G e n o s s e n s c h a f t v o n g r ö ß t e r B e d e u t u n g u n d w e r d e n d e s h a l b e b e n f a l l s v e r ö f f e n t l i c h t . A u ß e r h a l b des K o n k u r s e s b e s c h r ä n k e n s i c h die V e r p f l i c h t u n g e n d e r G e n o s s e n a u f die G e s c h ä f t s a n t e i l e . E r s t i m K o n k u r s e s i n d „ N a c h s c h ü s s e " z u r D e c k u n g d e r U n t e r b i l a n z v o n i h n e n z u leisten. D a s g e s c h i e h t z u n ä c h s t i n d i r e k t , i n d e m d e r K o n k u r s v e r w a l t e r eine „ V o r s c h u ß b e r e c h n u n g " ( § 106) u n d e i n e „ N a c h s c h u ß b e r e c h n u n g " ( § 1 1 4 ) aufstellt, die v o m K o n k u r s gericht in einem vereinfachten Verfahren f ü r vollstreckbar erklärt u n d v o m V e r w a l t e r zur Masse e i n g e z o g e n w e r d e n . B e i d e r G e n o s s e n s c h a f t m i t b e s c h r ä n k t e r H a f t p f l i c h t d a r f ein G e n o s s e d u r c h V o r s c h u ß b e r e c h n u n g u n d N a c h s c h u ß b e r e c h n u n g i n s g e s a m t n i c h t z u m e h r als seiner H a f t s u m m e h e r a n g e z o g e n w e r d e n , d i e keinesfalls n i e d r i g e r als der G e s c h ä f t s a n t e i l sein d a r f u n d h i e r 300 D M je G e s c h ä f t s a n t e i l b e t r ä g t ( § § 1 4 1 S. i , 1 3 1 1 ) . E r f a h r u n g s g e m ä ß k ö n n e n die H a f t s u m m e n n i e m a l s ann ä h e r n d v o l l b e i g e t r i e b e n w e r d e n , d e s h a l b b e s t i m m t § 140, d a ß ü b e r eine e G m b H . K o n k u r s — a u ß e r i m F a l l d e r Z a h l u n g s u n f ä h i g k e i t — a u c h d a n n e r ö f f n e t w i r d , w e n n die Ü b e r s c h u l d u n g %

der G e -

samthaftsumme übersteigt. D i e G e n o s s e n einer K r e d i t g e n o s s e n s c h a f t stehen g e w ö h n l i c h z u g l e i c h als G e l d e i n l e g e r o d e r G e l d n e h m e r m i t ihrer G e n o s s e n s c h a f t i n G e s c h ä f t s v e r b i n d u n g . E n t s p r e c h e n d d e n f ü r A G u n d G m b H g e l t e n d e n V o r s c h r i f t e n (S. 7 1 2 ) b e s c h r ä n k t das G e s e t z die A u f r e c h n u n g . H i e r a u s e r g i b t s i c h i m K o n k u r s der G e n o s s e n s c h a f t f o l g e n d e R e c h t s l a g e :

1. I h r e G e s c h ä f t s g u t h a b e n k ö n n e n die G e n o s s e n

n i c h t z u r T a b e l l e a n m e l d e n , w e i l sie d u r c h die E i n z a h l u n g n u r i h r e M i t g l i e d s c h a f t s p f l i c h t e r f ü l l t h a b e n . 2. R ü c k s t ä n d i g e G e s c h ä f t s g u t h a b e n s i n d z u r M a s s e z u leisten.

3. D a r ü b e r h i n a u s h a b e n die

G e n o s s e n N a c h s c h ü s s e bis z u r H ö h e d e r H a f t s u m m e z u leisten. 4. S o w e i t e i n e m G e n o s s e n ein Sparg u t h a b e n o d e r eine s o n s t i g e F o r d e r u n g a n die G e n o s s e n s c h a f t zusteht, h a t er die S t e l l u n g eines K o n k u r s g l ä u b i g e r s , k a n n die F o r d e r u n g z u r T a b e l l e a n m e l d e n u n d erhält die K o n k u r s d i v i d e n d e . g e n ü b e r der P f l i c h t z u r Z a h l u n g r ü c k s t ä n d i g e r G e s c h ä f t s a n t e i l e g i b t es k e i n e A u f r e c h n u n g ( §

5. G e 2zv).

6. G e g e n ü b e r d e r N a c h s c h u ß p f l i c h t (d. h . d e n H a f t s u m m e n ) d ü r f e n die G e n o s s e n i n s o w e i t a u f r e c h n e n , als sie i n ihrer E i g e n s c h a f t als K o n k u r s g l ä u b i g e r selbst B e f r i e d i g u n g a u s d e n N a c h s c h ü s s e n v e r l a n g e n k ö n n e n ( § i o 5 v ) . 7. Z w i s c h e n S c h u l d e n d e r G e n o s s e n a n die G e n o s s e n s c h a f t (z. B . D a r l e h n s v e r p f l i c h t u n g e n ) u n d F o r d e r u n g e n a u s S p a r g u t h a b e n u . d g l . findet die A u f r e c h n u n g u n b e s c h r ä n k t statt.

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Registergericht — Satzung des eingetragenen Vereins

Eintragung eines Vereins in das Vereinsregister A n m e l d u n g . V e r e i n s s a t z u n g . Vor dem Urkundsbeamten (§§ 128, 159 FGG) erscheinen die Herren Dannenberg, Denke und Riese und erklären gemäß §§ 59, 77 BGB zu Protokoll: „Als Vorstand des Vereins .Mittelstandsfreunde' in Lichterfelde überreichen wir: 1. die von 7 Mitgliedern unterzeichnete Urschrift der Satzung vom 3. Januar i960, 2. eine Abschrift der Satzung, 3. Abschrift des Protokolls der Hauptversammlung vom 3. Januar i960, aus welchem sich unsere Bestellung als Vorstand ergibt, und melden den Verein und uns selbst als Vorstandsmitglieder zur Eintragung in das Vereinsregister des hiesigen Amtsgerichts an. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben: Hans Dannenberg. Adam Riese. Hermann Denke. Urkund." „Satzung. § 1. Der Verein führt den Namen .Mittelstandsfreunde'. Sein Sitz ist Lichterfelde. Er hat den Zweck, die Lage des Mittelstandes zu fördern und hierzu insbesondere eine Zeitung .Mittelstandsfreund' herauszugeben. Die dadurch etwa erzielten Gewinne werden zu Propagandazwecken verwandt. § 2. Der Verein soll in das Vereinsregister des Amtsgerichts Lichterfelde eingetragen werden. Nach der Eintragung erhält der Name den Zusatz .eingetragener Verein'. § 3. Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. § 4. Mitglied kann jede unbescholtene volljährige Person werden, die sich zu den Zwecken des Vereins bekennt. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt durch den Ausschuß (§ 8), der Anmeldungen nach seinem freien Ermessen zurückweisen kann. § 5. Der Jahresbeitrag beträgt mindestens 5 DM. § 6. Organe des Vereins sind: a) der Vorstand, b) der Ausschuß, c) die Hauptversammlung. § 7. Der Vorstand besteht aus 3 Mitgliedern, nämlich dem Vorsitzenden, dem Schatzmeister und dem Schriftwart, und wird für jedes Jahr von der ordentlichen Hauptversammlung gewählt. Er vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich. Es genügt zu jeder Rechtshandlung die Unterschrift oder Mitwirkung von 2 Vorstandsmitgliedern, zu Quittungen über Mitgliederbeiträge die Unterschrift des Schatzmeisters. Der Vorstand hat die Beschlüsse des Ausschusses und der Mitgliederversammlung zur Ausführung zu bringen."

Die Vorschrift des § z6u S. 1 BGB ist bei einem mehrgliedrigen Vorstand im Sinne der Gesamtvertretung zu verstehen; jedoch ist eine abweichende Satzungsbestimmung zulässig (str., wie hier Staudinger-Coing, BGB, 11. Aufl. § 26 Anm 13; Richert, N J W 1956, 364 zu 3).

„ § 8. Der Ausschuß besteht aus 6 Mitgliedern, die jedes Jahr von der ordentlichen Hauptversammlung gewählt werden. Er führt in Gemeinschaft mit dem Vorstand die laufenden Geschäfte des Vereins. Einberufen wird der Ausschuß vom Vorsitzenden des Vereins, bei dessen Behinderung von einem anderen Vorstandsmitglied. Bei der Beratung und Beschlußfassung haben die Mitglieder des Vorstandes im Ausschuß Sitz und Stimme. Ausgeführt werden die Beschlüsse des Ausschusses durch den Vorstand, welcher das Vertretungsorgan des Vereins nach außen bildet."

Alle Anmeldungen zum Vereinsregister, namendich die Neu- oder Wiederwahl der Vorstandsmitglieder, sind vom Gesamtvorstand zu bewirken ( § § 67,77). Die Vorstandsmitglieder müssen daher alljährlich entweder selbst aufs Gericht gehen oder ihre Unterschrift notariell beglaubigen lassen. Um dieses schwerfällige Verfahren zu

Registergericht — Auflösung des Vereins

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vereinfachen, hat man die sachliche Leitung der Vereinsgeschäfte einem erweiterten Vorstand übertragen und gleichzeitig bestimmt, daß nur ein Teil der Mitglieder dieses Vorstands, der engere Vorstand, den „Vorstand" des Vereins im Sinne des B G B , nämlich das gesetzliche Vertretungsorgan des Vereins, bildet. Da die Vertretungsbefugnis das Wesen des Vorstands ausmacht, sind hiergegen Bedenken nicht zu erheben, obschon die zum Handeln nach außen berufenen Vorstandsmitglieder den vom Ausschuß zu fassenden Beschlüssen unterworfen sind (str.; Richert aaO). „ § 9. Die ordentliche Hauptversammlung findet alljährlich im November statt und wird vom Vorsitzenden des Vereins, bei dessen Behinderung von einem anderen Vorstandsmitglied, durch Anzeige im .Mittelstandsfreund' und den .Lichterfelder Nachrichten' berufen und geleitet. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Die Mitglieder können nur in Person abstimmen. Über die Beschlüsse der Versammlung ist ein Protokoll aufzunehmen, das vom Vorsitzenden, dem Schriftwart und mindestens 3 weiteren Mitgliedern des Vorstandes oder Ausschusses zu unterzeichnen ist. Außerdem werden die Beschlüsse im,Mittelstandsfreund' veröffentlicht. Außerordentliche Hauptversammlungen sind zu berufen, wenn der Ausschuß oder mindestens der zehnte Teil der Mitglieder es verlangen. § 10. Die Mitgliedschaft kann 3 Monate vor Ablauf eines Geschäftsjahres zum Schlüsse des Geschäftsjahres gekündigt werden. Sie erlischt ferner durch Tod, Entmündigung, vorläufige Vormundschaft, Konkurs. Außerdem können Vorstand und Ausschuß ein Mitglied, welches a) mit der Beitragszahlung 1 Monat nach eingeschriebener Zahlungsaufforderung des Schatzmeisters im Rückstand bleibt, b) oder den Zwecken des Vereins vorsätzlich und beharrlich zuwiderhandelt und die Interessen des Vereins schädigt, durch gemeinschaftlichen Beschluß mit 2 / s Mehrheit ausschließen. Die Ausschließung wird durch eingeschriebenen Brief mitgeteilt. Im Falle zu b kann der Ausgeschlossene Berufung an die nächste aus irgend einem Grunde stattfindende Hauptversammlung einlegen. Scheidet ein Mitglied aus, so kann es keinen Anspruch auf dasVereinsvermögen erheben."

Gesetzliche Ausschließungsgründe (wie bei der Genossenschaft S. 729) sind im Vereinsrecht nicht vorgesehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen Vereinsmitglieder mangels ausdrücklicher Satzungsbestimmung ausgeschlossen werden können, ist streitig. Das Reichsgericht hat den fristlosen Austritt eines Mitglieds aus „wichtigem Grunde" für statthaft erklärt (RG 130, 375; Riezler, J W 1931, 1024), Dieses Austrittsrecht kann durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden (BGH N J W 1954, 953)- Im Schrifttum wird auch beim Fehlen einer Satzungsbestimmung die Ausschließung aus wichtigem Grunde überwiegend für zulässig gehalten (vgl. Staudinger-Coing, B G B , 1 1 . Aufl. § 35 Anm. 7). Im übrigen vgl. wegen des Inhalts der Satzung die §§ 57, 58 B G B . ,,§ I i . Im Fall der Auflösung des Vereins bestimmt die Hauptversammlung, wem das Vereinsvermögen zufallen soll."

Vgl. § 45 n » 1 1 1 . Die Auflösung erfolgt entweder durch Beschluß der Mitgliederversammlung mit s/4Mehrheit (§ 41) oder nach öffentlichem Vereinsrecht (VereinsG vom 19. April 1908, R G B l 151) durch die Verwaltungsbehörde. Auflösung im Verwaltungsweg ist nach § 2 VereinsG möglich, wenn der Verein den Strafgesetzen zuwiderhandelt, ferner nach Art. 9 1 1 G G , wenn seine Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Die Auflösungsverfügung kann im Verwaltungsstreitverfahren angefochten werden. BVerwG N J W 1957, 685; Beyer, Willms, N J W 1957, 1082, 1617. Von der Auflösung zu unterscheiden ist der Verlust der Rechtsfähigkeit, der eintritt, wenn die Mitgliederzahl dauernd unter 3 sinkt (§73 B G B ) oder die Eintragung

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Registergericht — Nicht rechtsfähiger Verein

des Vereins im Register wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen später gelöscht (S. 736/7) wird oder die Verwaltungsbehörde nach § 43 wegen Gefährdung des Gemeinwohls eingreift. Ein Verein, der alle seine Mitglieder verliert, sei es auch ohne förmlichen Austritt, etwa indem sie den Vereinszweck preisgeben, so daß das Vereinsleben erstirbt, erlischt, ohne daß eine Liquidation stattfinden kann. Ist eine Abwicklung und die Übertragung des Vereinsvermögens auf einen Anfallsberechtigten erforderlich, so geschieht dies durch einen nach § 1913 B G B zu bestellenden Pfleger ( O L G München J F G 18, 186; B G H N J W 1956, 138). „ § 12. Alle Bekanntmachungen des Vereins werden im .Mittelstandsfreund' und in den .Lichterfelder Nachrichten* veröffentlicht. Vorstehende Satzung ist in der Hauptversammlung am 3. Januar i960 beschlossen worden.

Albin Noack. Fritz -Augustin. Max Brandler. Heinrich Dünnebier. Georg Schwerdtfeger. Leo Polster. Adolf Schoppe."

Die, nicht beglaubigten, Unterschriften unter der Satzung sollen den Beweis liefern, daß die gesetzliche Mindestzahl von 7 Mitgliedern ( § 5 6 ) erreicht ist. Ob noch mehr Mitglieder vorhanden sind und wie sie heißen, interessiert das Registergericht nicht, da die Mitglieder eines eingetragenen Vereins den Gläubigern niemals haften. Glaubt das Registergericht, daß wegen zu geringer Mitgliederzahl das Löschungsverfahren einzuleiten sei, so läßt es sich vom Vorstand eine Bescheinigung über die Zahl der Mitglieder geben (§ 72). Auch das öffentliche Vereinsrecht (§ 3 1 1 VereinsG) legt politischen Vereinen lediglich die Pflicht zur Einreichung eines Verzeichnisses der Vorstandsmitglieder auf und achtet im übrigen das Geheimnis der Mitgliedschaft. Das in unbeglaubigter Abschrift beigefügte Protokoll der Hauptversammlung vom 3. Januar i960 ergibt die Wahl von Dannenberg, Denke und Riese in den Vorstand. Weiterhin geht aus dem Protokoll hervor, daß der Verein mehrere Jahre als nicht eingetragener bestanden hatte, bis in dieser Versammlung die Herbeiführung der Eintragung beschlossen und die Satzung mit den Erfordernissen eines eingetragenen Vereins (§§ 57/8 B G B ) in Einklang gebracht worden ist. Vereine können entweder von vornherein mit dem Ziel der Eintragung gegründet werden, oder aber nachträglich die Erlangung der Rechtsfähigkeit beschließen. Umgekehrt wird ein rechtsfähiger Verein durch Verlust der Rechtsfähigkeit (s. oben) zum nicht rechtsfähigen. V e r e i n o h n e R e c h t s f ä h i g k e i t : Auf ihn finden grundsätzlich die Vorschriften über die Gesellschaft des B G B Anwendung (§ 54 S. 1). Besonderheiten: 1. Der nicht rechtsfähige Verein ist passiv parteifähig; wird er als solcher verklagt, so hat er in dem Rechtsstreit die Stellung eines rechtsfähigen Vereins (§ 50 1 1 ZPO), kann also Widerklage erheben. Dagegen ist ihm die aktive Parteifähigkeit vor den ordentlichen Gerichten versagt. Folglich ist nur eine Klage der (durch den Vorstand vertretenen) sämtlichen Mitglieder in notwendiger Streitgenossenschaft möglich. Wechsel der Mitgliedschaft nach der Klagerhebung hat nach dem Grundsatz des § 26 5 1 1 S . 1 ZPO auf den Rechtsstreit keinen Einfluß (Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. §42 II 2 a). Vörden Arbeitsgerichten sind Vereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf ihre Rechtsfähigkeit parteifähig ( § 1 0 ArbGG). Das hängt damit zusammen, daß hinsichtlich der Tarifvertragsfähigkeit zwischen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Vereinen kein Unterschied gemacht wird. Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen können auch Beteiligte im Verfahren vor den Kartellbehörden und den Beschwerdegerichten (OLG, BGH) sein (§ 76 d. Ges. gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957, B G B l I 1081). 2. Zur Zwangsvollstreckung in das Vereinsvermögen bedarf es nicht (wie bei der Gesellschaft, § 756 ZPO) eines Urteils gegen sämtliche Mitglieder, sondern es genügt ein gegen den Verein unter seinem Namen ergangener Titel (§ 735). 3. Uber das Vermögen des nicht rechtsfähigen Vereins kann ein Konkursverfahren stattfinden (§ 213 KO). 4. Aus einem für den Verein vorgenommenen Rechtsgeschäft haftet der Handelnde (in der Regel ein Vorstandsmitglied) persönlich, mehrere als Gesamtschuldner (§ 54 S. 2 BGB). Diese Haftung ist zum Schutz des Geschäftsgegners geschaffen, der die inneren Verhältnisse des nicht rechtsfähigen Vereins nicht nachprüfen

Registergericht — Idealverein

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kann. Sie kann — ausdrücklich oder stillschweigend — ausgeschlossen werden, doch ist ein stillschweigender Ausschluß im Zweifel nicht zu unterstellen. R G 82, 294. JW 1937, 392; BGH NJW 1957, 1186 = J R 1957, 417 mit Anm. v. Denecke. Haften gemäß § 427 auch die übrigen Vereinsmitglieder persönlich? Im allgemeinen umfaßt die Vertretungsmacht des Vorstands eines nicht eingetragenen Vereins nach der Verkehrsanschauung nicht die Befugnis, die Mitglieder mit ihrem Privatvermögen zu verpflichten, so daß man auf diesem Wege nur zur Haftung der Mitglieder mit ihrem Anteil am Vereinsvermögen, also zur Haftung des Vereinsvermögens, gelangt, doch kann im Einzelfall auch die persönliche Haftung eintreten. RG 63, 62; 90, 173 (Vereinigung von Jagdliebhabern); 143, 216; BGH a.a.O. Für Verschulden des Vorstands haften die Mitglieder vertraglich zwar nicht nach § 31, wohl aber nach § 278, aus unerlaubter Handlung nach § 831 gesamtschuldnerisch mit ihrem gesamten Vermögen (RG 143, 212). 5. Daß der Verein durch Tod oder sonstiges Ausscheiden oder Konkurs von Mitgliedern nicht aufgelöst wird und daß der A-us scheidende nicht Auszahlung seines Anteils am Vereinsvermögen verlangen kann (gegen §§ 727, 728, 738), dürfte nach der Verkehrsauffassung selbstverständlich sein, weil jeder Verein, auch der nicht eingetragene, auf den Wechsel der Mitglieder berechnet ist. Zur Vermeidung von Streitigkeiten kann man es in der Satzung ausdrücklich bestimmen, 6. Im Grundbuch dürfen für einen nicht eingetragenen Verein keine Rechte eingetragen werden. Ist eine solche Eintragung versehentlich erfolgt, so ist sie nicht als Eintragung für die unter dem Vereinsnamen zusammengefaßten Mitglieder aufrechtzuerhalten, weil das Grundbuch unbedingte Klarheit erfordert, sondern muß nach § 53 GBO gelöscht werden. RG 127, 309. — Solange ein Verein nicht genötigt ist, zu klagen oder Grundstücksrechte zu erwerben, kann er hiernach ohne Eintragung auskommen. Wirtschaftliche Verbände, die sich das Recht zum (zivil- oder strafrechdichen) Vorgehen wegen unlauteren Wettbewerbs sichern wollen, müssen aktiv parteifähig, also eingetragen sein; §§ 13I, 22 UWG. In der Praxis behelfen sich nicht rechtsfähige Vereine bisweilen damit, daß sie bestimmte natürliche Personen oder eine besonders geschaffene juristische Person (GmbH., Genossenschaft) als Treuhänder für die Erledigung ihrer Vermögensangelegenheiten bestellen. Dazu OLG Frankfurt NJW 1952, 792 mit Anm. Lent (Vorstand als Treuhänder). Zum Ganzen Habscheid, Der nicht rechtsfähige Verein zwischen jur. Person und Gesellschaft, AcP 155, 375. P r ü f u n g u n d E i n t r a g u n g . Nächst den förmlichen Voraussetzungen wird vor allem die Eintragungsfähigkeit des Vereins geprüft. Was bedeutet es, wenn § 21 B G B die Eintragung auf solche Vereine beschränkt, „deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet" ist? Vereine, welche die allgemeinen wirtschaftlichen Belange ihrer Mitglieder wahren wollen, ohne einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu unterhalten (wie Haus- und Grundbesitzervereine und ähnliche Berufs- und Standesvereine), sind eintragungsfähig. Aber auch wenn ein Verein mit idealer Tendenz einen wirtschaftlichen Betrieb hat (Suppenküchenverein, Vereinshaus, Buchvertrieb einer Bibelgesellschaft), läßt die Rechtsprechung seine Eintragung zu. Nur wenn auf die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile gerichtete Betätigung und wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zusammentreffen, liegt ein nicht eintragungsfähiger wirtschaftlicher Verein im Sinne des § 21 vor. R G 83, 2 3 1 ; 85, 256; 95, 9 1 ; 154, 343; B a y O b L G Z 1953 Nr. 55 S. 309. Der Verein „Mittelstandsfreunde" ist Idealverein, denn er will seine Zeitung aus wirtschaftpolitischen Motiven herausgeben und schließt die Erzielung von Gewinn ausdrücklich aus (§ 1 Satz 4 der Satzung). Der Name des Vereins soll sich entsprechend dem für die Firma geltenden Grundsatz des § 30 1 HGB von den Namen der in derselben Gemeinde bereits bestehenden eingetragenen Vereine deutlich unterscheiden (§ 57 11 ). Auch darf er, entsprechend dem firmenrechtlichen Grundsatz des § 18 1 1 HGB, nicht zur Täuschung geeignet sein (KG J F G 3, 259). Verfügung des Rechtspflegers (§ 3 1 Nr. 1 Buchst, a RechtspflG) nach § 6 1 1 : „ 1 . Die Anmeldung des Vereins wird zugelassen. 2. Mitteilung von 1) an Ortspolizeibehörde unter Beifügung einer Abschrift der Anmeldung und der Satzung (Empfangsbekenntnis). 3. Nach 6 Wochen." § 6 1 1 1 B G B gab in seiner ursprünglichen Fassung der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, Einspruch gegen die Eintragung des Vereins und damit gegen die E r -

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Registergericht — Eintragung in das Vereinsregister

langung der Rechtsfähigkeit zu erheben, ohne weiteres dann, wenn der Verein einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgte. Insoweit war die Vorschrift schon durch Art. 1 2 4 1 1 WeimRVerf aufgehoben. Die jetzige Fassung beruht auf Teil I Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 5. März 1953 (BGBl I 33). Das Gesetz sieht aber weiterhin den Widerspruch der Verwaltungsbehörde aus dem Grunde vor, daß der Verein nach öffentlichem Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann. Als Rechtsgrundlage dafür kommen in Betracht § 2 VereinsG und Art 9 1 1 G G . Gegen die Eintragung politischer Parteien kann nach Art. 2 1 1 1 G G Einspruch nur erhoben werden, wenn die Partei durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt ist. Ob ein Verein unerlaubt ist und verboten werden kann, hat nicht das Registergericht, sondern das Verwaltungsgericht zu entscheiden, bei welchem der Verein den Einspruch der Verwaltungsbehörde anfechten kann (§ 62 1 1 ). Deshalb muß nach wie vor jede Anmeldung eines nach § 21 eintragungsfähigen Vereins der Polizei mitgeteilt werden. — Vor Ablauf der Sechswochenfrist (§ 63) erklärt die Polizeibehörde, daß kein Einspruch gegen die Eintragung erhoben wird. Nunmehr wird die Eintragung im Vereinsregister unter der nächsten offenen Nummer verfügt. Inhalt der Eintragung: § 64 B G B ; §§ 159, 130 F G G , dazu Bestimmungen des Bundesrats über das Vereinsregister und das Güterrechtsregister vom 3. November 1898, abgedr. bei Keidel, F G G 7. Aufl. Anhang Nr. 7 und Jansen, F G G , Anl. X I . Das ausgefüllte Registerblatt sieht so aus: .Nummer des Vereinsregisters: 541. I

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Nummer der Eintragung

Name und Sitz des Vereins

Satzung

Vorstand

Auflösung, Entziehung der Rechtsfähigkeit, Konkurs, Liquidation

Bemerkungen

Die Satzung ist am 3. Januar i960 errichtet. Zwei Vorstandsmitglieder vertreten den Verein gerichtlich und außergerichtlich.

Hans Dannenberg, Schriftsteller, Lichterfelde. Hermann Denke, Gärtnereibesitzer, Südende. Adam Riese, Bücherrevisor, Lichterfeldc.

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Mittelstandsfreunde, Lichterfelde.

Satzung BL äff., Eintr.Vfg. BL 7.

18. Januar i960. Urkuttd."

Die weitere Verfügung lautet: „ 2 . öffentliche Bekanntmachung."

Vgl. § 66 1 B G B . Soweit es sich um Änderungen des Vorstands handelt, schützt § 68 den gutgläubigen Dritten entsprechend § 1 5 H G B . Jedoch kommt es beim Vereinsregister auf die Eintragung selbst, nicht auf ihre Bekanntmachung, an. „ 3 . Die erfolgte Eintragung ist auf der Urschrift der Satzung zu bescheinigen und die Urschrift demnächst dem Vorstand mit Nachricht von der Eintragung zurückzugeben. 4. Die Abschrift der Satzung ist zu beglaubigen und zu den Registerakten zu nehmen. 5. Kosten 1 )."

Mit der Eintragung hat der Verein Rechtsfähigkeit erworben (§ 21). Aber wie bei den meisten Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und insbesondere den verwandten Eintragungen im Handelsregister, besteht auch hier die Möglichkeit der nachträglichen Löschung im Amtsverfahren, wenn sich ergibt — auf Grund neuer Tatsachen Z u erheben sind die Beurkundungsgebühr für die Aufnahme der Anmeldung (§§86, 3 8 1 Nr. 7 KostO), die Eintragungsgebühr (§ 80 1 Nr. 1 KostO), deren Geschäftswert sich nach § 3 0 1 1 KostO bestimmt, femer als Auslagen die Bekanntmachungskosten ( § 1 3 7 Nr. 2 KostO).

Registergericht — Ermächtigving zur Einberufung einer Mitgliederversammlung

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oder zufolge anderer Würdigung oder veränderter rechtlicher Beurteilung der schon früher bekannten —, daß die Eintragung wegen Mangels einer wesentlichen Voraussetzung unzulässig war. §§ 142, 143, 159 F G G . Wird von dem Löschungsverfahren Gebrauch gemacht, so endet damit die Rechtsfähigkeit des Vereins. Solange er aber eingetragen ist, kann ihm seine Rechtsfähigkeit von niemandem streitig gemacht werden, auch nicht wenn der Verein einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verfolgt: denn rechtsgestaltende Staatsakte sind wirksam gegenüber jedermann, und ihre Wirkung kann ohne Rücksicht darauf, ob ihre gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt waren, nur in dem dazu bestimmten Verfahren beseitigt werden. Jansen, F G G , § 159 Anm. 2e. R e c h t s m i t t e l in V e r e i n s r e g i s t e r s a c h e n : Eigenartig sind in Vereinsregistersachen die Rechtsmittel geregelt. Bei Abfassung des B G B war das F G G noch nicht erlassen. Deshalb wurde in § 60 1 1 B G B bestimmt, daß gegen die Zurückweisung einer Anmeldung sofortige Beschwerde „nach den Vorschriften der Z P O " stattfindet. Weitere Beschwerde kann also nur erhoben werden, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts einen neuen selbständigen Beschwerdegrund enthält (§ 568 1 1 ZPO). Daran fehlt es, wenn das Amtsgericht die Eintragung abgelehnt und das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen hat (duae conformes), es sei denn, daß die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung wesentlicher Vorschriften des Beschwerdeverfahrens beruht. Obgleich nun § 60 1 B G B nur von der Zurückweisung wegen Nichterfüllung der Anmeldungsfömlichkeiten handelt, findet nach feststehender Rechtsprechung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Z P O und nicht die einfache unbefristete Beschwerde nach § 19 F G G auch dann statt, wenn die Zurückweisung auf sachliche Gründe, insbesondere auf § 21 B G B , gestützt war ( R G 84, 158; B a y O b L G Z 1955, 8; Jansen, F G G , Vorbem. 5 vor § 19, § 159 Anm. 1). Für das Löschungsverfahren aus § 1 5 9 F G G gilt diese Regelung nicht, so daß stets die weitere Beschwerde nach § 27 F G G wegen Gesetzesverletzung statthaft ist ( R G 154, 343).

Ermächtigung zur Einberufung einer Mitgliederversammlung Kaufmann Augustin, Architekt Dix, Seifenfabrikant Metzger und 27 andere Mitglieder des Vereins „Mittelstandsfreunde e. V . " stellen unter Berufung auf § 3 7 1 1 B G B und § 9 1 1 1 der Satzung den Antrag, sie zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zu ermächtigen: „Wir gehören zu den Gründern des Vereins. In letzter Zeit ist es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit dem Vorstand gekommen, weil wir die Mißwirtschaft der Herren Dannenberg und Denke bekämpft haben. (wird näher dargelegt) A m 13. April i960 erhielten wir durch Einschreibbrief die Mitteilung, daß Vorstand und Ausschuß in gemeinschaftlicher Sitzung vom 10. April i960 unsere Ausschließung aus dem Verein auf Grund des § 10 Buchst, b der Satzung beschlossen hätten. Wir haben erwidert, daß wir gegen die Ausschließung als grundlos und widerrechtlich protestieren und Berufung an eine sofort einzuberufende Hauptversammlung einlegen. Der Vorstand lehnt aber die Einberufung einer besonderen Hauptversammlung ab und will die Sache bis zur ordentlichen Hauptversammlung im November hinziehen. Wir beantragen deshalb uns zur Einberufung der Versammlung zu ermächtigen, und schlagen als Leiter der Versammlung das Vorstandsmitglied Riese v o r . "

Die Befugnis, mit gerichtlicher Ermächtigung die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu erzwingen, ist das einzige beim eingetragenen Verein bestehende Minderheitsrecht. Entsprechend § io6 I V AktG für die A G , § 4 5 1 1 1 GenG für Genossenschaften. Bei der GmbH kann die Minderheit sich selbst helfen, indem sie die von den Geschäftsführern zu Unrecht verweigerte Gesellschafterversammlung ohne besondere gerichtliche Ermächtigung einberuft (§ 5 0 1 1 1 GmbHG). Gemäß § 160 S. 1 F G G wird der Vorstand gehört. E r widerspricht, weil die Antragsteller nicht mehr Mitglieder seien und weil § 10 der Satzung kein Recht auf eine besondere Hauptversammlung gewähre. Verfügung: 47

Lux Schulung, 5. Aufl. (Jansen)

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Registergericht — Ausschließung aus dem Verein „ i . Beschluß: Auf den Antrag i. des Kaufmanns Fritz Augustin, 2. des Architekten Bernhard Dix, 3 werden die Antragsteller nach Anhörung des Vorstands gemäß § 37 1 1 BGB, § 9 1 1 1 der Satzung vom 3. Januar 1960 ermächtigt, eine Hauptversammlung des Vereins .Mittelstandsfreunde eingetragener Verein' in Lichterfelde einzuberufen mit der Tagesordnung: Entscheidung über die von den Antragstellern gegen ihre Ausschließung aus dem Verein eingelegte Berufung. Den Vorsitz in der Versammlung führt das Vorstandsmitglied Adam Riese. Gründe. Grundsätzlich wird zwar der Ausschluß aus einem Verein bereits mit der Beschlußfassung des nach der Satzung zur Entscheidung berufenen Organs, mindestens mit der Mitteilung des Beschlusses an den Betroffenen, wirksam (Staudinger-Coing, BGB, 11. Aufl. § 35 Anm. 9). Gegen die Rechtsbeständigkeit des Ausschlusses der Antragsteller bestehen aber erhebliche Bedenken, weil der Beschluß lediglich auf § 10 Buchst, b der Satzung Bezug nimmt, ohne eine Begründung zu enthalten, aus welcher ersichtlich ist, in welchen besonderen Handlungen und auf Grund welcher tatsächlichen Annahmen Verstöße gegen die genannte Satzungsbestimmung gefunden worden sind. Die Aufnahme einer solchen Begründung in den Beschluß ist aber erforderlich, wenn die Satzung die Ausschließung eines Mitglieds an bestimmte sachliche Voraussetzungen knüpft (RG 147, 11). Abgesehen hiervon muß die dem Ausgeschlossenen durch die Satzung verliehene Befugnis, Berufung an die Mitgliederversammlung einzulegen, dazu fuhren, daß dem Ausgeschlossenen bis zu einer Entscheidung der Mitgliederversammlung diejenigen Mitgliedschaftsrechte verbleiben, deren er bedarf, um diese Entscheidung herbeizuführen. Unbedenklich kann eine Hauptversammlung lediglich zur Entscheidung über die gegen Ausschließungen eingelegte Berufung einberufen werden, zumal § io 1 S. 5 der Satzung ausdrücklich bestimmt, daß die Ausgeschlossenen Berufung an die nächste „aus irgend einem Grunde" stattfindende Hauptversammlung haben. Daß die Antragsteller ein Zehntel der gesamten Mitgliederzahl bilden, hat der Vorstand nicht bestritten. Lichterfelde, den 28. April i960. Das Amtsgericht. Pfleger, Justizinspektor, als Rechtspfleger. 2. Zuzustellen: a) dem Vorstand, b) den Antragstellern."

Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde gegeben, doch tritt die Ermächtigung sofort in Kraft. §§ 1 6 1 , 24 1 , 160 S. 2 F G G . Wenn die Hauptversammlung die Ausschließung der 30 Antragsteller bestätigen sollte, so können diese gegen den Verein Klage auf Feststellung, daß ihre Mitgliedschaft nicht durch Ausschließung erloschen ist, erheben ( § 2 5 6 ZPO). Anders als in dem entsprechenden Fall der Klage des ausgeschlossenen Genossen (S. 730) handelt es sich hier in der Regel um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit, woraus die erstinstanzliche Zuständigkeit des Landgerichts (§§ 23, 7 1 1 G V G ) und die Unzulässigkeit der Revision folgt, wenn das Oberlandesgericht sie in dem Urteil nicht zugelassen hat (§ 546 1 Z P O ; R G 88, 332). Wenn das ausgeschlossene Vereinsmitglied mit seiner Feststellungsklage jedoch im wesentlichen wirtschaftliche Ziele verfolgt, liegt eine vermögensrechtliche Streitigkeit vor, auch wenn der Zweck des Vereins nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist ( B G H Z 13, 5 = N J W 1954, 833). Die Gerichte haben anfangs nur die formelle Ordnungsmäßigkeit des Ausschließungsverfahrens nachgeprüft, nicht dagegen die sachliche Frage, ob der Ausgeschlossene sich eine den Ausschluß rechtfertigende Verfehlung hat zu schulden kommen lassen ( R G 49, 150). In einem Fall, wo die Zugehörigkeit zum Verein für das Mitglied nicht bloß eine ideelle Angelegenheit, sondern zugleich eine wirtschaftliche Lebensfrage war (Kassenarztverein), hat jedoch das Reichsgericht die — sonst

Registergericht — Entziehung der Schlüsselgewalt

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als „Eingriff in die innere Autonomie des Vereins" abgelehnte — sachliche Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt der „offenbaren Unbilligkeit" zugelassen. R G 107, 386. Hieraus hat sich der Grundsatz entwickelt, daß ein förmlich und sachlich auf satzungsgemäßer Grundlage beruhender Beschluß zwar nicht auf seine Richtigkeit, wohl aber daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die Ausschließung eine gesetzwidrige, sittenwidrige oder offenbar unbillige Maßnahme darstellt ( R G 147, 11). Das gilt auch für die Ausschließung aus einem nicht rechtsfähigen Verein ( B G H Z 13, 5). Zum Vereinsstrafrecht s. ferner B G H Z 21, 370; 29, 352; Schopp, Rpfleger 1959, 335; Scheyhing, J Z 1958, 343; Meyer-Cording, J Z 1959, 649. Kommt das Mitglied durch freiwilligen Austritt der drohenden Ausschließung zuvor und wird es trotzdem ausgeschlossen, so kann auf Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses geklagt werden (RG 122, 266; 143, 1). Erklärt der Ausgeschlossene im Lauf des Rechtsstreits seinen Austritt, so wird dadurch sein Interesse an der Feststellung, daß die Ausschließung unwirksam gewesen sei, nicht beseitigt (RG 80, 189). Laßt sich die gerichtliche Nachprüfung dadurch vermeiden, daß der Verein für alle Streitigkeiten mit seinen Mitgliedern, insbesondere Ausschlußstreitigkeiten, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts statutarisch festlegt ? An sich ist nichts einzuwenden (§ 1048 ZPO), nur darf nicht ein Vereinsorgan (Vorstand, Ausschuß, Mitgliederversammlung) als solches zum Schiedsrichter bestellt werden. Die Bestellung einzelner Vorstands- oder sonstiger Vereinsmitglieder zu Schiedsrichtern wird anerkannt. RG 88, 395; 90, 307; 93, 288; 113, 321. Die besondere Formvorschrift des § 1027 1 für den Schiedsvertrag findet auf durch die Satzung berufene Schiedsgerichte keine Anwendung (RG 153, 267; 165, 143).

Entziehung der Schlüsselgewalt „Gegenwärtig: Justizobersekretär Urkund Lichterfelde, den 18. Januar i960, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Es erschien, von Person bekannt: der Theaterkassierer Leo Däubler aus Lichterfelde, Stettiner Straße 4, überreichte Heiratsurkunde sowie das 2. Beiblatt der .Lichterfelder Nachrichten' (Nr. 223) vom 3. August 1959 und erklärte: Ich beantrage in das Güterrechtsregister einzutragen, daß das Recht meiner Ehefrau Helene, geb. Krause, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Geschäfte mit Wirkung für mich zu besorgen, ausgeschlossen ist. Zur Begründung führe ich an, daß meine Frau verschwenderisch ist und einen Toilettenaufwand treibt, der außer Verhältnis zu meinem geringen Einkommen steht. Bereits im Februar v. J. wurde ich von Lieferanten auf Grund der mir unbekannt gewesenen Einkäufe meiner Frau verklagt. Ich habe damals die Schulden in Raten bezahlt und meiner Frau gesagt, daß ich ihr die Schlüsselgewalt entziehe. Außerdem habe ich in der Zeitung bekannt gemacht, daß ich für weitere Schulden meiner Frau nicht aufkomme. Nunmehr hat mich die Modistin Camilla Orlotvska sowie eine zweite Firma auf Bezahlung von Kleidern, Kostümen, Hüten, Strümpfen und Wäsche in Anspruch genommen. Die Gläubiger wenden ein, mein Inserat nicht gelesen zu haben. Ich bitte daher um größte Beschleunigung. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben. Leo Däubler. Urkund." Die S c h l ü s s e l g e w a l t der Frau (§ 1357 B G B ) ist eine unabhängig vom Güterstand eintretende vermögensrechtliche Wirkung der Ehe. Die Frau führt nach § 13 5 6 1 S. 1 den Haushalt in eigener Verantwortung. Das bedeutet, daß die Frau in diesem Wirkungskreis selbständig und nicht den Weisungen des Mannes unterworfen ist. 47*

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Registergericht — Entziehung der Schlüsselgewalt

Zur Verwirklichung der Haushaltsführung ist ihr die Schlüsselgewalt gegeben. Die Frau hat kraft Gesetzes das Recht, im Rahmen ihres Wirkungskreises mit Wirkung für und gegen den Mann zu handeln. Diese Befugnis kann auch durch Ehevertrag nicht abgeändert werden. Im Innenverhältnis zum Mann wurde früher Auftragsrecht angewandt. Da aber die Frau jetzt aus eigenem Recht tätig wird, werden die Rechtsbeziehungen der Ehegatten zueinander unmittelbar dem Familienrecht (§§ 1353, 1356, 1360, 1360a B G B ) entnommen werden müssen (Arnold, FamRZ 1958, 193 zu III B ; Eißer, FamRZ 1959, 177 zu III 2). Im Verhältnis zu Dritten handelt die Frau als gesetzliche Vertreterin des Mannes; es handelt sich um eine besondere, familienrechtlich gestaltete Vertretungsmacht ohne Weisungsbefugnis des Vertretenen (Erman-Finke, § 1 3 5 7 Anm. 2; Eißer, a. a. O., str., a. M. B G B - R G R K § 1 3 5 7 Anm. 8). Die Frau muß nicht notwendig stets von diesem Recht Gebrauch machen. Handelt sie im eigenen Namen, so wird nur sie allein, nicht der Mann, berechtigt und verpflichtet. Handelt sie aber in Ausübung der Schlüsselgewalt, so berechtigt und verpflichtet sie unmittelbar nur den Mann, nicht sich selbst. Die Frau kann aber auch zugleich im eigenen Namen u n d in Ausübung der Schlüsselgewalt handeln; dann werden beide Eheleute berechtigt und verpflichtet. Nach der allgemeinen Regel des § 164 1 1 wird Handeln im eigenen Namen vermutet. Handelt eine Ehefrau im Rahmen des häuslichen Wirkungskreises, so gilt das Gegenteil: aus solchen Rechtsgeschäften wird der Mann berechtigt und verpflichtet, wenn sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt, d. h. wenn die Frau nicht erkennbar gemacht hat, daß sie sich selbst und nicht den Mann berechtigen und verpflichten will. Das G l e i c h b e r e c h t i g u n g s g e s e t z hat diese Befugnis der Frau beibehalten; Art 3 T I G G steht nicht entgegen. Denn die Vertretungsbefugnis der Frau in häuslichen Angelegenheiten ist ein unabweisbares Bedürfnis des Ehe- und Familienlebens. Der Regierungsentwurf sah vor, die Schlüsselgewalt in der Weise zu erstrecken, daß durch die Handlungen eines Ehegatten beide berechtigt und verpflichtet werden. Demgegenüber hat sich in den Gesetzesberatungen die Meinung durchgesetzt, daß die Schlüsselgewalt kein Vorrecht der Frau, sondern ein Korrelat ihrer in der Regel bestehenden Verpflichtung ist, den Haushalt zu fuhren (§ 1 3 5 6 1 S. 1), und eine Folge der im allgemeinen bestehenden Verpflichtung des Mannes, den Unterhalt der Familie zu bestreiten (Hagemeyer, N J W 1 9 5 3 , 6 0 3 ; Peterseim, FamRZ 1956,169). Zum Schutz der Gläubiger ist jedoch nunmehr in § 1 3 5 7 1 S. 2 Halbs. 2 eine M i t v e r p f l i c h t u n g der F r a u für den Fall begründet, daß der Mann nicht zahlungsfähig ist. Diese Regelung entspricht der Ausgestaltung des Unterhaltsrechts in § 1360 n. F. E s handelt sich um einen gesetzlichen Schuldbeitritt (Arnold, F a m R Z 1958, 193 zu IV). Maßgebend für die Zahlungsunfähigkeit des Mannes ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (Baur, F a m R Z 1958, 252 zu I 3; B G B - R G R K § 1357 Anm. 13, str.).

Der Mann darf aber einem Mißbrauch der Schlüsselgewalt nicht schutzlos ausgeliefert sein. Der Stellung der Frau entspräche es, wenn hierüber das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Mannes zur Entscheidung berufen wäre. Das GleichberG hat es jedoch bei der einseitigen Befugnis des Mannes, die Schlüsselgewalt auf Grund eigener Entschließung ohne gerichtliche Mitwirkung aufzuheben oder zu beschränken, belassen (Bedenken dagegen bei Bosch, FamRZ 1958, 291; BGBR G R K § 1367 Anm. 16). Wie dies zu geschehen hat, sagt das Gesetz nicht. Die Vorschriften der §§ 168 S. 3, 167 1 über den Widerruf der rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht durch formfreie, einseitige Willenserklärung gegenüber dem Vertreter oder dem Dritten können nicht ohne weiteres entsprechend angewendet werden. Denn der Widerruf der allgemeinen Vertretungsmacht könnte durch Erklärung gegenüber einem einzelnen oder mehreren Dritten nur diesen gegenüber wirken, wäre aber ungeeignet, das Erlöschen der Schlüsselgewalt allgemein herbeizuführen. Der Widerruf durch Zeitungsinserat nach § 171 B G B ist nur vorgesehen, wenn auch die Erteilung der Vollmacht in derselben Weise kundgegeben war, woran es bei der kraft Gesetzes eingetretenen Schlüsselgewalt fehlt. Die Unanwendbarkeit dieser

Registergericht — Güterrechtsregister

741

Vorschrift auf die Schlüsselgewalt muß sich schon daraus ergeben, daß die öffentliche Bekanntmachung des Widerrufs einer durch Kundgabe an die Öffentlichkeit erteilten Vollmacht jedem Dritten gegenüber wirkt, auch wenn er von der Bekanntmachung des Widerrufs schuldlos keine Kenntnis erlangt hat (Staudinger-Coing, BGB, §§ 171, 172 Anm. ioa).i Die Vorschrift des § 173 besagt in Bezug auf § 1 7 1 1 1 nur, daß der Dritte sich auf das Unterbleiben der öffentlichen Bekanntmachung des Widerrufs nicht berufen kann, wenn er das Erlöschen der Vertretungsmacht kennt oder kennen muß. Eine so weitgehende Wirkung eines Zeitungsinserats widerspricht aber der Regelung des § 13 57 1 1 S. 2, wonach die Beschränkung oder Ausschließung der Schlüsselgewalt einem gutgläubigen Dritten nur entgegengehalten werden kann, wenn sie in das Güterrechtsregister eingetragen ist. Das Zeitungsinserat könnte daher nur gegenüber einem Dritten wirken, der es beim Abschluß des Rechtsgeschäfts kennt, was der Mann beweisen müßte. Außerdem können Zeitungsanzeigen dieser Art sich wegen der damit verbundenen Bloßstellung der Frau oft als Eheverfehlung im Sinne des § 43 EheG darstellen (RG Warn. 1929, 26). Dem Wesen der ehelichen Lebensgemeinschaft entspricht es mehr, wenn die Eheleute über eine so einschneidende Maßnahme miteinander verhandeln, ehe sie sie in die Außenwelt tragen. Mit allgemeiner Wirkung, wie eine Eintragung in das Güterrechtsregister sie voraussetzt, kann deshalb die Schlüsselgewalt nur durch Erklärung gegenüber der Frau ausgeschlossen werden (so K G J 32 A 34; 45, 192; OLG Braunschweig OLG 26, 260; BGB-RGRK § 1357 Anm. 18; a.M. — auch durch Erklärung gegenüber der Öffentlichkeit -— überwiegend das Schrifttum). Die E i n t r a g u n g in das Güterrechtsregister ist hiernach zu einer wirksamen Entziehung der Schlüsselgewalt weder erforderlich noch ausreichend. Sie hat aber die Wirkung, daß der gute Glaube Dritter nicht mehr geschützt wird. §§ 1357 1 1 , 1412. Wird der Eintragungsantrag schriftlich gestellt, so muß die Unterschrift öffentlich beglaubigt sein (§§ 1560 S. 2, 129 BGB, § 183 FGG). Er kann auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Registergerichts gestellt werden (§§ 161, 128 FGG). In der Regel wird ein Antrag beider Ehegatten gefordert (§ 1561 1 ). Bei Entziehung der Schlüsselgewalt genügt der einseitige Antrag des Mannes (§ 1561 1 1 1 ). Der Nachweis, daß der Mann die Entziehung der Schlüsselgewalt — die ja als bereits geschehen im Register beurkundet werden soll — wirksam ausgesprochen hat, braucht (entgegen K G J 45, 192) nicht erbracht zu werden. Eintragungen in das Güterrechtsregister haben keine rechtserzeugende, sondern nur rechtsbekundende Bedeutung. Das Registergericht hat zu prüfen, ob es örtlich zuständig ist (§ 1558), ob die Eheschließung erfolgt ist, ob der Antrag formgerecht (§ 1560) und von einem Antragsberechtigten (§ 1561) gestellt und ob die Eintragung rechtlich zulässig ist. Das Registergericht hat aber nicht zu prüfen, ob die abgegebene Erklärung der Wahrheit entspricht, wenn es ihre Unrichtigkeit nicht geradezu kennt oder begründete Zweifel hat, ebenso wie im Fall der Anmeldung des Widerrufs einer Prokura die Prüfung sich nicht darauf erstreckt, ob die Prokura wirklich widerrufen ist ( K G J 45, 187 [191]; BGB-RGRK io./ii.Aufl. § 1558 Anm. 21). Die Vorlegung des Zeitungsinserats war daher ebenso überflüssig wie die dem Antrag beigegebene Begründung. Das Registergericht hat nicht zu prüfen, ob die Entziehung berechtigt ist. Die Frau kann nur beim Vormundschaftsgericht die Aufhebung der Entziehung beantragen, wenn hierfür kein ausreichender Grund bestand. Hat die Frau beim Vormundschaftsgericht Erfolg, so tritt die Schlüsselgewalt erst mit Rechtskraft der vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung wieder in Kraft. §§ 135 7 1 1 BGB, 53, 6o® FGG.

742

Registergericht — Güterrechtsregister

Der Rechtspfleger (§§ 31 Nr. 2 Buchst, c, 14 RechtspflG) verfügt die Eintragung: „Seite 1200. Bezeichnung

Däubler,

der Ehegatten: Nummer der Eintragung z

Leo, Theaterkassierer in Lichterfelde

und Frau Helene geb. Krause. Rechtsverhältnisse

Der Mann hat das Recht der Frau, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Geschäfte mit Wirkung für ihn zu besorgen, ausgeschlossen. 19. Januar 1957. Urkmd.**

Bemerkungen

Eintr.Vfg. Bl. 4

Nach § 15 62 B G B wird die Eintragung veröffentlicht. Den guten Glauben Dritter 2erstört aber schon die Eintragung, nicht erst die Veröffentlichung. Für die Zukunft ist Däubler nun geschüt2t, wenn er im Streitfall die Entziehung der Schlüsselgewalt durch Erklärung gegenüber der Frau oder dem Gegner beweisen kann. Dagegen nützt ihm die Eintragung nichts, soweit es sich um vorher begründete Forderungen handelt. Hier muß er vielmehr beweisen, daß die Entziehung der Schlüsselgewalt dem klagenden Geschäftsmann bekannt war oder daß die Bestellungen der Frau über das nach den Verhältnissen der Eheleute angemessene Maß hinausgegangen und deshalb die objektiven Voraussetzungen des § 1357 nicht gegeben sind. Der letzte Einwand bietet keine guten Aussichten: denn verschwenderische Frauen pflegen ihre Einkäufe auf eine größere Zahl von Firmen zu verteilen, und es kommt nur darauf an, ob die bei einem einzelnen Kaufmann gemachte Bestellung, nicht ob die Gesamtheit der Bestellungen übermäßig war. Maßgebend ist die tatsächliche Lebensführung des Ehepaars, nicht sein Vermögen und Einkommen. R G 61, 78. Von geringerer Bedeutung als die Eintragung des Ausschlusses der Schlüsselgewalt ist die E i n t r a g u n g v o n E h e v e r t r ä g e n ins G ü t e r r e c h t s r e g i s t e r . Daß die Eintragung nicht rechtsändernd wirkt, die Änderung des Güterstandes vielmehr schon mit formgerechtem Abschluß des Ehevertrags eintritt, wissen wir bereits (S. 469). § 1412 beantwortet die Frage, inwieweit ein Dritter eine Änderung des ordentlichen gesetzlichen Güterstandes gegen sich gelten lassen muß. Geschützt wird der gutgläubige Dritte im Vertrauen auf die Geltung des gesetzlichen Güterstandes (Abs. 1) und auf den unveränderten Fortbestand des im Güterrechtsregister eingetragenen Güterrechtsverhältnisses (Abs. 2). — Die allgemeinen Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens (§§ 892, 932, 936) gehen der Eintragung im Güterrechtsregister vor. Haben die Eheleute z.B. allgemeine Gütergemeinschaft vereinbart und in das Güterrechtsregister eintragen lassen und veräußert der Mann ein im Grundbuch noch auf seinen Namen eingetragenes Grundstück, so wird der Erwerber trotz des § 1424 Eigentümer, wenn er den Ehevertrag nicht kennt. Das gilt jetzt entsprechend auch für Veräußerungen der Ehefrau, da § 1404 B G B a.F. nicht mehr gilt, vielmehr die unbeschränkte Verfugungsmacht der Ehefrau über ihr Vermögen die Regel ist (Staudinger-Seufert, BGB, 11. Aufl. § 892 Anm. 80a). Die wichtigste Wirkung der Eintragung oder Nichteintragung von Eheverträgen ist die, daß der Inhalt des Registers einen Ausweis gegenüber Grundbuchamt (§33 GBO), sonstigen Behörden und Gerichten sowie im allgemeinen Verkehr schafft und eine Art Vermutung begründet.

Geschmacksmustereintragung A n m e l d u n g . Die Knopffabrik „Buttonia" in Berlin-Wedding überreicht 8 Knopfmodelle länglicher Form, in der Mitte eingekerbt, in verschiedenen Farben und Zeichnungen gemustert, auf der Rückseite mit dem „Elefanten"-Zeichen versehen, und meldet dazu an:

Registergericht — Geschmacksmusterregister „Buttoma Knopffabrik GmbH. Gegründet 1878. Spezialmarke: Elefantenknöpfe. Schutz-

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Berlin-Wedding, den 23. Januar i960.

Marke

unter Nr. 8} 900 in die Zeichenrolle des Patentamts eingetragen. A n das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Hierdurch melden -wir als Urheber 8 Muster für plastische Erzeugnisse zur Eintragung in das Musterregister mit einer Schutzfrist von 3 Jahren gemäß dem Reichsgesetz über das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom 1 1 . Januar 1876 (RGBl 1 1 ) an. Wir überreichen je ein Exemplar dieser Muster unverschlossen, bezeichnet mit den Fabriknummern 1283 bis 1290 und unserer patentamtlich geschützten „Elefanten"-Marke, zwecks Niederlegung beim Gericht und beantragen die Eintragung des Musterrechts im Register. Buttonia Knopffabrik GmbH. E. Knopf." W i e bei allen gewerblichen Schut2rechten, spielt auch beim Geschmacksmuster der Zeitpunkt der A n m e l d u n g eine wichtige Rolle ( § § 7 , 8 G ) . D e r Urkundsbeamte versieht daher die A n m e l d u n g mit dem Eingangsvermerk nach T a g und Stunde ( § 3 1 1 der Bestimmungen über die Führung des Musterregisters, abgedr. bei Jansen, F G G , A n l . X I I ) und legt dann die Sache dem Rechtspfleger v o r (§ 3 1 N r . 1 Buchst, c RechtspflG). A n t r ä g e auf Eintragung in das Musterregister können schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gestellt werden (§ 5 MBest.). Unterschriftsbeglaubigung w a r also nicht erforderlich. A u c h kann die G m b H ein Musterrecht erwerben, denn die Rechtsfähigkeit juristischer Personen umfaßt zweifellos die Urheber- und gewerblichen Schutzrechte. W i e w e i t r e i c h t die R e c h t s f ä h i g k e i t j u r i s t i s c h e r P e r s o n e n ? Auf vermögensrechtlichem Gebiet stehen ihnen grundsätzlich alle Rechte offen. Sie können Mitglieder (Gesellschafter) von Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, eingetragenen Genossenschaften (vgl. § 9 1 1 S. 2 GenG), offenen Handels- und Kommanditgesellschaften ( R G 105, 101) werden, nach Maßgabe der Satzung auch von rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen Vereinen. Als Prozeßbevollmächtigte kommen sie nach § 79 Z P O nicht in Betracht, ebenso wenig nach herrschender Ansichb als Prokuristen. Im übrigen kann man eine juristische Person zum Beauftragten oder Bevollmächtigten bestellen, was besonders für Treuhandgesellschaften Bedeutung hat. Das Amt des Vormunds, Pflegers oder Beistands ist augenscheinlich den natürlichen Personen vorbehalten (vgl. § 1 7 7 9 1 1 BGB). Die Amtsvormundschaft des Jugendamts ist keine Ausnahme hiervon, da Vormund das Jugendamt als Behörde, nicht der Gemeindeverband ist, der das Jugendamt errichtet hat; auch bei der Vereins- und Anstaltsvormundschaft ist Vormund eine natürliche Person (oben S. 503). Dagegen wird die Möglichkeit, juristische Personen zu Testamentsvollstreckern zu ernennen, in § 2210 S. 3 vorausgesetzt. Sonst ist die Frage für das Gebiet der Ämter und Vertrauensstellungen streitig. Ziemlich allgemein wird anerkannt, daß juristische Personen Mitglieder von Gläubigerausschüssen im Konkurs und Vergleichsverfahren sein dürfen (Jaeger, K O , § 87 Anm. 5). Auch als Abwickler von Handelsgesellschaften und rechtsfähigen Vereinen werden sie zugelassen ( K G J W 1 9 3 0 , 1 4 1 0 ; Staudinger-Coing, B G B , 1 1 . Aufl. §48 Anm. 2). Die Bestellung einer juristischen Person zum Abwickler einer Aktiengesellschaft ist sogar im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 206 1 S. 2 AktG). Dagegen ist die juristische Person unfähig, Vorstand einer Aktiengesellschaft (§ 75 1 S. 3 AktG) oder Geschäftsführer einer GmbH ( O L G Hamburg, O L G 33, 388) zu sein. Im allgemeinen hält man die juristische Person zur Übernahme von Funktionen, die mit strafrechtlicher Verantwortung verknüpft sind (Konkursverwalter, Vergleichsverwalter, Zwangsverwalter, Nachlaßverwalter, Vorstand, Aufsichtsratsmitglied) für ungeeignet ( O L G Hamburg, J W 1931, 2155; Jaeger, K O § 78 Anm. 7; Bley, VerglO, 2. Aufl. § 38 Anm. 2a, 10a). Ihre Bestellung zum Verwalter einer Wohnungseigentumsgemeinschaft (§§ 20, 26 W E G ) ist jedoch unbedenklich ( K G N J W 1956, 1679).

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Registergericht — Geschmacksmusterregister

Der Rechtspfleger hat indessen ein anderes Bedenken und legt deshalb die Anmeldung gemäß § 5 1 Nr. 2 RechtspflG dem Richter zur Entscheidung vor: „ D i e Besonderheit der Knöpfe scheint darin zu liegen, daß sie durch ihre eigentümliche Form einen besseren Verschluß des Kleidungsstücks, an dem sie angebracht werden, gewährleisten sollen. Die Knöpfe dienen also dem Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, so daß nur die Eintragung eines Gebrauchmusters in Frage kommen dürfte."

Der Referendar: § 1 GeschmMG spricht allgemein von „gewerblichen Mustern oder Modellen". Nun schützt das Gebrauchsmustergesetz vom 5. Mai 1936 (RGBl II 130) i. d. Fassung vom 18. Juli 1953 (BGBl I 637) Arbeitsgerätschaften oder Gebrauchsgegenstände oder Teile davon, die „dem Arbeits- oder Gebrauchszweck durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen"; das Gebrauchsmuster muß also den praktisch-technischen Zweck fördern. Hieraus folgt, daß die Besonderheit der nach dem Geschmacksmustergesetz zu schützenden Muster und Modelle nur im Nicht-Praktischen, im Ästhetischen, liegen kann, daß sie sich an den Formensinn des Betrachters wenden, daher die allgemein übliche Bezeichnung als „Geschmacksmuster". Ich trete dem Rechtspfleger darin bei, daß die Knöpfe, soweit sie technisch etwas Besonderes bieten wollen, nicht nach dem Geschmacksmustergesetz, sondern nur als Gebrauchsmuster geschützt werden können. Außer dem besseren Verschluß ist aber auch eine Einwirkung auf das Auge beabsichtigt, sowohl durch die Eigenart der Form wie durch die Färbung und Musterung. Deshalb halte ich die Eintragung ins Geschmacksmusterregister für zulässig. — Mir fehlt nur noch eine Darlegung, daß die Anmelderin „Urheber" der Knöpfe im Sinne des § 1 ist und daß die Knöpfe überhaupt neue und eigentümliche Erzeugnisse darstellen. Allerdings scheint das Gesetz keinen Nachweis der Urheberschaft und Neuheit zu erfordern. Die Eintragung eines längst bekannten Musters, welches die „Buttonia" vielleicht sogar einem fremden nachgebildet hat, wäre jedoch ungerechtfertigt. Müssen wir trotz dieses Bedenkens eintragen ? Der Richter: Nur bei Patenten sieht das Gesetz wegen ihrer großen Bedeutung eine Prüfung der „Neuheit" im Anmeldeverfahren vor. § 28 des Patentgesetzes vom 5. Mai 1936 (RGBl II 117) i. d. Fassung vom 18. Juli 1953 (BGBl I 623). Beim Gebrauchsmuster muß der Anmeldende die Neuheit seines Musters zwar in der Anmeldung darlegen; sobald aber dieser Formvorschrift genügt ist, verfügt das Patentamt die Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle, gleichviel ob tatsächlich Neuheit gegeben war oder nicht. §§ 2 1 1 , 3 1 GebrMG. Das Geschmacksmusterrecht schreibt nicht einmal die Substantiierung vor. Die sachliche Entscheidung trifft ausschließlich das ordentliche Gericht im Verletzungs- oder Feststellungsprozeß. Verfügung: „ 1 . Bedenken gegen die Eintragung eines Geschmacksmusterrechts bestehen nicht. 2. Herrn Rechtspfleger zur weiteren V e r f ü g u n g . "

2

4

5

Name bzw. Finna des Anmeldenden

Tag und Stunde der Anmeldung

Bezeichnung des angemeldeten Musters oder Modells

Angabe, ob das Muster für Flächenetzeugnisse oder für plastische Erzeugnisse bestimmt ist

VerlangeAkten über Schutz- rung der das Musterfrist Schutzregister frist

2385

Buttonia Knopffabrik GmbH, in Berlin* Wedding

24. Januar i960 vormittags 10 Uhr 10 Minuten

8 Muster für Knöpfe offen» Fabriknummer 128}—1290

Plastische Erzeugnisse

3 Jahre

Welche rechtliche Bedeutung hat die Eintragung ?

6

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8

80 MR. 2385."

9 Bemerkungen

„I Laufende Nummer

E i n t r a g u n g und Bekanntmachung. Der Rechtspfleger verfügt jetzt die Eintragung sowie die in § 9 V I GeschmMG vorgeschriebene Bekanntmachung. Die einzelnen Eintragungen des Musterregisters haben keine besonderen Blätter, sondern folgen einander unter fortlaufender Nummer und werden nicht gezeichnet. In unserem Fall lautet die Eintragung:

Registefgericht — Geschmacksmusterrecht

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Das Gesetz geht von der urheberrechtlichen Natur des von ihm geschützten Rechts aus. Geschützt sind aber nur „gewerbliche" Muster und Modelle. Das Geschmacksmusterrecht wird damit in die Gruppe der gewerblichen Schutzrechte eingereiht. Die Notwendigkeit geschmacklicher Wirkung stellt dieses Recht jedoch in einen gewissen Gegensatz zu den technischen Schutzrechten und verbindet es mit dem Recht an Werken der bildenden Künste, mag auch für das Geschmacksmuster schon eine verhältnismäßig geringe schöpferische Leistung ausreichend sein (vgl. Wenze , G R I J R 1958, 421). Der Unterschied zwischen Geschmacksmusterschutz und Kunstschutz für Gebrauchsgegenstände (vgl. § 2 KunstUrhG) ist nur ein gradmäßiger, wobei die Grenze zwischen beiden Schutzbereichen nicht zu niedrig abgesteckt werden darf (RG 155, 206; B G H N J W 1957, 220). Das Gesetz beschränkt sich bewußt auf die Regelung der vermögensrechtlichen Belange des Urhebers. Persönlichkeitsrechtliche Ansprüche ähnlich denen des literarischen oder künstlerischen Urheberrechts können aus dem Geschmacksmusterrecht nicht hergeleitet werden. Das Geschmacksmusterrecht ist also ein reines Vermögensrecht urheberrechtlichen Ursprungs. Es entsteht bereits mit der Schaffung eines neuen und eigentümlichen Musters und ist ein „sonstiges" Recht im Sinne des § 823 1 B G B . Seine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung begründet einen Anspruch auf Schadensersatz und Unterlassung. Vor der Anmeldung zum Musterregister aber ist dieses Recht noch unvollkommen. Durch Nachbildung kann das noch nicht angemeldete Recht nicht verletzt werden, weil nach der Regelung des GeschmMG (§§ 1, 5, 7) der Schutz vor Nachbildung von der Anmeldung abhängig gemacht ist. Die Anmeldung (nicht erst die Eintragung) hat also die rechtsgestaltende Wirkung, daß das zunächst unvollständige Geschmacksmusterrecht sich zum Vollrecht entwickelt. Dadurch unterscheidet sich die rechtliche Bedeutung der Anmeldung eines Geschmacksmusters von der eines Patents, Gebrauchsmusters oder Warenzeichens. Patente entstehen durch hoheitliche Verleihung (§ 1 7 1 S. 1 PatG). Beim Gebrauchsmuster und beim Warenzeichen knüpft sich die rechtsgestaltende Wirkung an die Eintragung (§ 5 GebrMG, § 15 WZG). Die Eintragung in das Musterregister ist also nur ein Beweis für das Vorliegen einer formell ordnungsgemäßen Anmeldung. Die Anmeldung begründet ferner eine widerlegbare Vermutung, daß der Anmelder der Urheber sei (§ 13). Die Vermutung der Urheberschaft umfaßt auch die Neuheit und Eigentümlichkeit, dagegen nicht die Geschmacksmusterfähigkeit, die Modellfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, Vorbild für die Erzeugung weiterer Gegenstände zu sein, und die gewerbliche Verwertbarkeit. Ist also ein Geschmacksmuster zu Unrecht eingetragen, so kann der wegen Verletzung des eingetragenen Musters mit der negatorischen Unterlassungsklage (§§ 1, 5), auf Schadensersatz oder im Strafverfahren ( § 1 4 mit den dort angeführten Vorschriften des früheren LitUrhG) Belangte einwenden, daß dem Muster die Neuheit oder die Schutzfähigkeit fehle, daß der Inhaber nicht Urheber sei, daß die Verbreitung schon vor der Anmeldung begonnen habe (§ 7) usw. Vgl. J W 87, 236 10 , R G S t 30, 143; B G H N J W 1958, 1489. Kann das zu Unrecht eingetragene Geschmacksmuster durch Löschung wieder beseitigt werden ? Für Patente besteht das besonders geregelte Nichtigkeitsverfahren (§§ 13, 37, 39, 42 PatG: 1. Instanz Patentamt, Berufungsinstanz der Bundesgerichtshof). Über den Antrag auf Löschung eines Gebrauchsmusters entscheidet die Gebrauchsmusterabteilung des Patentamts, gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an den Beschwerdesenat des Patentamts gegeben ist (§§ 4 I V , 7, 8, 10 GebrMG). Die Löschung eines Warenzeichens kann ein Dritter beim Patentamt anregen (Amtsverfahren!), wenn die Eintragung des Zeichens hätte versagt werden müssen (§ i o 1 1 Nr. 2 W Z G ) , oder aus den Gründen des J i i 1 Nr. 1—3 W Z G durch Klage im ordentlichen Rechtswege betreiben. In das Musterregister dagegen werden nur die Anmeldung und die Verlängerung der Schutzfrist eines Musters eingetragen. Eine Löschung findet nicht statt (Furier, GeschmMG 2. Aufl. § 10 Anm. 1), da die Eintragung nur eine Registrierung der erfolgten Anmeldung ist und die Tatsache der Anmeldung, an die allein sich

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Registergericht — Musterschutz und Warenzeichen

Rechtsfolgen knüpfen, durch die Löschung nicht beseitigt wird. Nur wenn keine oder keine wirksame Anmeldung vorliegt, kann die Eintragung von Amts wegen nach den §§ 142, 143 F G G gelöscht werden (Keidel-Schmatz, Registerrecht, 2. Aufl. S. 3 1 2 zu VHI).

Die Bekanntmachung geschieht in der nachstehenden Fassung: „In das Musterregister ist für die Firma Buttonia Knopffabrik G m b H in Berlin-Wedding unter Nr. 2385 auf Grund der am 24. Januar i960 10 Uhr 10 Minuten eingegangenen Anmeldung ein Musterrecht für 8 Muster für Knöpfe, offen, Fabriknummern 1283—1290, plastische Erzeugnisse, Schutzfrist 3 Jahre, eingetragen worden."

Eine nähere Beschreibung der geschützten Muster wird nicht veröffentlicht; wer von den Interessenten sich darüber unterrichten will, muß die auf der Geschäftsstelle verwahrten Originalmuster einsehen (§ 11). Das Gesetz gestattet aber sogar die Anmeldung versiegelter Muster, die dann verschlossen aufbewahrt und erst im Streitfall, spätestens nach Verlauf von 3 Jahren, geöffnet werden (§§ 9 IV « V , 11 S. 2). Die Übersicht über die bestehenden Schutzrechte wird schon dadurch, daß die Geschmacksmuster nicht beim Patentamt zentralisiert sind, sondern von den zahlreichen Amtsgerichten geführt werden, außerordentlich erschwert; infolge der Möglichkeit versiegelter Aufbewahrung ist selbst der gewissenhafteste Unternehmer nicht in der Lage, zuverlässig festzustellen, ob seine eigenen Erzeugnisse mit einem eingetragenen Geschmacksmuster kollidieren. Musterschutz und Warenzeichen. Wie verhält sich das Geschmacksmusterrecht zu dem eingetragenen Warenzeichen, das die „Buttonia" für ihre Fabrikate führt ? Die beiden Schutzrechte haben nichts miteinander zu tun. Das Geschmacksmuster begründet, ebenso wie Patent und Gebrauchsmuster, die ausschließliche Befugnis, Sachen mit bestimmten Eigenschaften herzustellen und in den Verkehr zu bringen. Dagegen ist Warenzeichen das Monopol, Waren einer bestimmten Gattung (z.B. Knöpfe), aber von beliebiger Beschaffenheit, unter dem Warenzeichen zu vertreiben. Es steht also dem Namens- und Firmenrecht nahe und gehört zum Betrieb als solchem; deshalb kann es (wie die Firma, § 23 HGB) nur mit dem Geschäft auf einen anderen übertragen werden und ist bei Einstellung des Betriebes zu löschen (§§ 8 1 S. 2, 1 1 1 Nr. 2 1V WZG). Unter dem Warenzeichen werden patentierte oder in der Gebrauchsmusterrolle oder dem Geschmacksmusterregister eingetragene Waren in gleicher Weise vertrieben wie ungeschützte Erzeugnisse. Besondere Bedeutung hat das Warenzeichen dann, wenn der Schutz des Fabrikats als solcher abgelaufen oder wenn er, wie bei kosmetischen und Heilmitteln, überhaupt nicht möglich ist. Höchstdauer des Patents 18 Jahre ( § 1 0 PatG), des Gebrauchsmusters 6 Jahre ( § 1 4 GebrMG), des Geschmacksmusters 15 Jahre (§ 8 GeschmMG). Das Warenzeichen ist zeitlich ebenso unbegrenzt wie Name und Firma. Nach § 1 1 1 Nr. 2 PatG dürfen Erfindungen von Nahrungs-, Genuß- und Arzneimitteln sowie von Stoffen, die auf chemischem Wege hergestellt werden, nicht als Stoffe, sondern nur in Verbindung mit einem besonderen Herstellungsverfahren (als „Verfahrenspatent") geschützt werden. Bei den Kosmetika kommt es fast immer nur auf die Zusammensetzung, nicht auf die Herstellungsweise an. Daher die vielen bekannten Warenzeichen, meist Wortzeichen auf „ o l " oder „in", für derartige Präparate. Warenzeichen werden stets unter Beschränkung auf bestimmte Waren oder Gruppen von Waren verliehen (§ 2 1 S. 3 W Z G ) . Wenn die „Buttonia" den Elefanten als Warenzeichen für Knöpfe führt, so kann er einem anderen für Textilerzeugnisse, einem dritten für Liköre, Schokolade usw. geschützt sein.

i6. K a p i t e l

Beim Aufgebotsrichter Todeserklärung Das Aufgebot ist „eine öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen oder Rechten mit der Wirkung, daß die Unterlassung der Anmeldung einen Rechtsnachteil zur Folge hat" (§ 9461 ZPO). Gegenstand des Aufgebotsverfahrens ist der Erlaß dieses Aufgebots und die Verwirklichung der darin angedrohten Rechtsnachteile in einer gerichtlichen Entscheidung. Seinem Wesen nach gehört es ebenso wie das Entmündigungsverfahren eher zur freiwilligen als zur streitigen Gerichtsbarkeit (RG 1 2 1 , 21), weil es sein Ziel ohne streitige Verhandlung auf Grund einer Verschweigung erreicht, während ein etwa entstehender Streit zwischen dem Aufbieter und einem Anmelder entweder dazu führt, daß das Aufgebotsverfahren bis zur Entscheidung des Streits im ordentlichen Verfahren ausgesetzt wird, oder zu einem Vorbehalt des angemeldeten Rechts im Ausschlußurteil (§ 953 ZPO). Doch vollzieht sich das Verfahren nach der positiven gesetzlichen Regelung in den Formen des Zivilprozesses (§§ 946—1024 ZPO). Wird dem Aufgebot stattgegeben, so ergeht die Entscheidung durch in öffentlicher Sitzung zu verkündendes Ausschlußurteil (§ 95 2 1 ), andernfalls wird der Antrag auf Erlaß des Ausschlußurteils durch Beschluß zurückgewiesen (§ 952 IV ). Nur das früher in den §§ 960 fr. Z P O geregelte Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Todeserklärung ist in die freiwillige Gerichtsbarkeit eingeordnet seit dem Gesetz über die Verschollenheit, die Todeserklärung und die Feststellung der Todeszeit vom 4. Juli 1939 (RGBl I 1186), jetzt in der Fassung des Verschollenheitsgesetzes vom 15. Januar 1951 (BGBl I 63). In dem Gesetz sind die sachlichrechtlichen Vorschriften (§§ 1 — I z ) u n d das Verfahrensrecht (§§ 13—52) zusammengefaßt. Die Entscheidung ergeht stets durch Beschluß, mag sie die Todeserklärung aussprechen oder ablehnen (§§ 23, 25 VerschG): „Beschluß. In dem Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Todeserklärung des verschollenen Kochs Hans Dampf aus Lichterfelde hat das Amtsgericht in Lichterfelde am 25. Januar i960 durch den Amtsgerichtsrat Richter beschlossen: Der am 12. Juni 1 9 1 7 geborene Koch Hans Dampf wird für tot erklärt und der 7. N o vember 1953, vormittags 4 Uhr, als Zeitpunkt seines Todes festgestellt. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Nachlaß zur Last. Gründe: Der Bruder des am 12. Juni 1 9 1 7 geborenen Kochs Hans Dampf, Zahntechniker Hermann Dampf aus Köln, hat die Todeserklärung des Hans Dampf mit der Behauptung beantragt, daß dieser am 5. November 1953 in Lübeck als Hilfsheizer an Bord des schwedischen Dampfers „Sigurd", bestimmt nach Gotenburg, in See gegangen und daß das Schiff am 7. November 1953 morgens zwischen 3 und 4 Uhr mitteleuropäischer Zeit nahe der Küste von Schonen auf eine treibende Mine gelaufen und gesunken sei, ohne daß sich von der Besatzung trotz der Nachforschungen der schwedischen Behörden etwas habe ermitteln lassen, und daß Hans Dampf seitdem vermißt sei. Diese Angaben sind durch die vom Antragsteller eingereichten Auskünfte des Polizei-

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Aufgebotsrichter — Todeserklärung

Präsidiums in Lübeck, der Marineinspektion für die Ostsee in Kiel und des deutschen Generalkonsulats in Gotenburg, die von Amts wegen eingeholte Auskunft des Polizeipräsidenten in Berlin und die weiterhin vom Gericht erforderten eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und der Ehefrau des Verschollenen (B1 d. A.) zur Uberzeugung des Gerichts erwiesen."

Den Begriff der Verschollenheit bestimmt § i VerschG. Verschollen ist jemand, wenn sein Aufenthalt seit längerer Zeit unbekannt ist, ohne daß Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden. Bloße Nachrichtenlosigkeit genügt also nicht, wenn sich jemand unter Umständen entfernt hat, die darauf schließen lassen, daß er sich verborgen halten will, oder wenn es ihm nicht möglich ist, Nachrichten zu geben (Schweigelager), es sei denn, daß im Einzelfall aus andern Umständen ernstliche Zweifel an seinem Fortleben hergeleitet werden können ( B G H Z 3, 230). Für den Grad des Zweifels am Fortleben reicht es aber nicht aus, daß Leben und Tod gleichermaßen ungewiß sind (so Palandt-Danckelmann, B G B , § 1 VerschG Anm. 2), sondern eine tatsächliche Todeswahrscheinlichkeit ist Bestandteil des Verschollenheitstatbestandes (Strebel, Die Verschollenheit als Rechtsproblem, 1954, S. 86). Dagegen liegt Verschollenheit im Rechtssinne nicht vor, wenn der Tod nach den Umständen unzweifelhaft ist (§ i 1 1 VerschG). Für Fälle dieser Art ist das besondere Todeszeitfeststellungsverfahren der §§ 39 fr. VerschG vorgesehen. Das Gesetz unterscheidet die allgemeine Verschollenheit (§3) und die besonderen Fälle der Kriegs-, See-, Luft- und Gefahrverschollenheit (§§4—7) mit jeweils verschiedenen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Todeserklärung. In unserem Falle handelt es sich um Seeverschollenheit (§5 z ), und zwar infolge Untergangs eines Schiffes. Für diesen Fall sieht § 1 5 1 1 VerschG den besonderen Gerichtsstand des Heimathafens oder des Heimatortes vor, wenn das Schiff in einem deutschen Schiffsregister eingetragen war, um so die Ermittlungen hinsichtlich aller bei diesem Ereignis verschollenen Personen bei einem Gericht zusammenzufassen. Auf demselben Gedanken beruht der Gerichtsstand der Sammelzuständigkeit nach § 15 d. Da Hans Dampf sich auf einem schwedischen Schiff befand, verbleibt es bei dem allgemeinen Gerichtsstand des letzten inländischen Wohnsitzes nach § 1 5 1 . Die Zulässigkeit des Antrags hängt davon ab, daß der Antragsteller die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen, nämlich seine Antragsberechtigung ( § 1 6 ) und die die Todeserklärung begründenden Tatsachen, glaubhaft macht (§18). Aussprechen darf der Richter die Todeserklärung aber nur, wenn er auf Grund der von Amts wegen anzustellenden Ermittlungen (§§ 1 3 1 VerschG, 12 F G G ) die Überzeugung davon erlangt hat, daß der Verschollenheitstatbestand vorliegt. „ E s steht mithin fest, daß Hans Dampf auf einer Fahrt auf See, und zwar infolge Untergangs eines Schiffes, verschollen ist und daß seitdem mehr als sechs Monate verstrichen sind (§ 5 1 VerschG). Die Umstände begründen eine tatsächliche Todeswahrscheinlichkeit, so daß die Todeserklärung mit der Maßgabe erfolgen kann, daß als Zeitpunkt des Todes der 7. November 1953, morgens 4 Uhr festzustellen ist (§§ 9 1 1 1 Buchst, c, 23 VerschG). Da der Antragsteller als Bruder zu den gesetzlichen Erben des Verschollenen gehört, hat er an der Todeserklärung ein rechtliches Interesse (§ 1 6 1 1 Buchst, c VerschG) und ist zum Antrag berechtigt. Das Aufgebot ist am 10. September i960 durch Einrückung in das „Lichterfelder Tageblatt" sowie durch Anheftung an die Gerichtstafel bekannt gemacht worden ( § 2 0 VerschG). Der Verschollene hat sich nicht gemeldet. Der Antragsteller und der Staatsanwalt sind gehört worden (§ 22 VerschG). Dem Antrag ist daher stattzugeben. Die Kosten des Verfahrens fallen nach § 3 4 1 1 VerschG dem Nachlaß zur Last. Richter."

Aufgebotslichter — Aufhebung der Todeserklärung

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Die Verteilung der Aufgaben in Verschollenheitssachen auf Richter und Rechtspfleger ergibt sich aus den §§ 3 1 Nr. 2 Buchst, e, 16 RechtspflG. Dazu Arnold, Rpfleger i960, 1. Hier bestand der Richtervorbehalt nach § 16 Nr. 2 RechtspflG. Der Beschluß wird, ebenso wie das Aufgebot, durch eine Tageszeitung und durch Anheftung an die Gerichtstafel bekanntgemacht (§§ 24, 20). Er wird ferner dem Antragsteller und dem Staatsanwalt zugestellt (§ 24 1 1 ) und ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Die Beschwerdefrist beträgt, abweichend von § 2 2 1 F G G , einen Monat und beginnt nicht mit der Zustellung, sondern mit der ersten öffentlichen Bekanntmachung (§§ 26 1 , 24 1 1 1 ). Mit dem Eintritt der Rechtskraft wird der Beschluß wirksam (§ 29 1 ). Die rechtskräftige Todeserklärung wird mitgeteilt: Dem Standesamt I in Berlin, welches sie in ein besonderes Buch für Todeserklärungen einträgt (§ 40 PStG, § 3 1 1 1 S. 2 A u s f V O z. PStG vom 12. August 1957 (BGBl I 1139), dem Nachlaßgericht, dem Vormundschaftsgericht, wenn der Verschollene minderjährige Kinder hinterläßt, ohne daß der andere Elternteil die elterliche Gewalt erlangt ( § 5 0 F G G ) , und dem Finanzamt ( § 1 1 ErbStDV). Wegen der landesrechtlichen Vorschriften über Mitteilungen bei Todeserklärung s. Jansen, F G G , § 50 Anm. 2 b).

A u f h e b u n g der T o d e s e r k l ä r u n g : Im Jahre 1961 geht folgender Brief ein: „ A m 5. November 1953 ging ich als Hilfsheizer an Bord des Dampfers ,Sigurd' von Lübeck nach Gotenburg in See. A m 7. November lief der Dampfer in der Nähe der schwedischen Küste auf eine Mine. Ich wurde durch einen Fischer gerettet und nach Schweden gebracht. Da ich einige Monate vorher in eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang verwickelt worden war und keine Zeugen hatte (diese Sache war der Anlaß gewesen, daß ich zur See ging), so hielt ich mich verborgen und habe unter falschem Namen teils in Dänemark, teils in Schleswig-Holstein und Mecklenburg gelebt. Nach Hause habe ich nicht geschrieben, um Nachforschungen zu vermeiden. Als ich dann erfuhr, daß in meiner Sache der richtige Messerstecher gefaßt und abgeurteilt worden war, kehrte ich vor 10 Tagen nach Lichterfelde zurück und stellte hier fest, daß ich für tot erklärt worden bin, daß mein Vermögen von meiner Frau und meinem Bruder in Besitz genommen worden ist und daß meine Frau sich wieder zu verheiraten beabsichtigt. Ich bitte deshalb die Todeserklärung aufzuheben oder mir einen Weg anzugeben, wie ich die Todeserklärung umstoßen kann. Hans Dampf."

Die Wirkung der Todeserklärung besteht in der Vermutung, daß der Verschollene in dem festgestellten Zeitpunkt gestorben ist (§ 9 1 VerschG). Diese Vermutung hat zugleich eine Lebensvermutung und eine Todesvermutung zum Inhalt: Es wird vermutet, daß der Verschollene bis zu dem festgestellten Zeitpunkt gelebt und es wird vermutet, daß er nach diesem Zeitpunkt nicht mehr gelebt hat (RG 93, 109). Ohne Todeserklärung besteht nur die Lebensvermutung des § 10, die den Tatbestand der Verschollenheit voraussetzt, aber keine Todesvermutung. Die Vermutung des § 9 1 ist absolut und wirkt für und gegen alle ( K G J 45, 151). Sie muß daher überall und von jeder Behörde beachtet werden: Vom Nachlaßgericht, das das Testament des Verschollenen eröffnen oder einen Erbschein nach ihm erteilen soll, vom Standesbeamten, vor dem die Ehefrau sich wieder verheiraten will usw. Wird von der Ehefrau des Verschollenen, später als 302 Tage nach dem festgestellten Todeszeitpunkt ein Kind geboren, wenn auch vor der Rechtskraft des Todeserklärungsbeschlusses, so gilt es als unehelich ( R G 6 0 , 1 9 6 ; O L G Neustadt, N J W 1 9 5 2 , 9 4 0 ; BVerfGE9,2io). Ist die Ehe rechtskräftig geschieden worden, wird der Ehemann aber später zu einem vor der Rechtskraft des Scheidungsurteils liegenden Zeitpunkt für tot erklärt, so ist die Ehefrau trotz der Scheidung als erbberechtigte Witwe anzusehen. Denn das Urteil, das eine schon durch Tod aufgelöste Ehe scheidet, ist wirkungslos (Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. § 7 3 I V 2 c). Die Todeserklärung erbringt jedoch, was vielfach verkannt wird, keinen B e w e i s für den Tod oder die festgestellte Todeszeit. Die Bedeutung der Vermutung geht dahin, daß der Richter bei der Rechtsanwendung

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Aufgebotsrichter — Todesvermutung

die vermutete Tatsache seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, nicht als eine bewiesene, sondern ohne daß sie bewiesen und obwohl sie nicht bewiesen ist (Rosenberg, Beweislast, 4. Aufl. § 15 « 2 a , « i ; K G D N o t Z 1954, 377 = N J W 1954, 1652). Die Vermutung ist aber durch den Beweis des Gegenteils widerlegbar ( § 2 9 2 ZPO), der in jedem Verfahren, auch im Erbscheinsverfahren, geführt werden kann ( O L G Hamburg, N J W 1952, 147; B a y O b L G Z 1953, 120; K G a.a.O.; Jansen, F G G , § 12 Anm. 2 g). Hans Dampf könnte also die Todesvermutung in jedem Einzelfall durch den Beweis, daß er noch lebt, widerlegen, z. B. in dem Rechtsstreit, in welchem er als „Scheinerblasser" gegen seine Ehefrau und seinen Bruder den Anspruch auf Herausgabe seines Vermögens nach den für den Erbschaftsanspruch geltenden Vorschriften erhebt (§ 2031 BGB). Haben seine Angehörigen allerdings bereits über sein Vermögen verfügt, so wird der gutgläubige Dritte, der auf die Richtigkeit der Todeserklärung vertraut hat, geschützt (§ 2370). Ebenso erbringt Hans Dampf durch sein Wiedererscheinen den Beweis dafür, daß seine Ehe noch fortbesteht. Wenn aber seine Ehefrau sich inzwischen wieder verheiratet hätte, wäre seine Ehe zwar nicht durch die Todeserklärung, aber mit der Schließung der neuen Ehe aufgelöst (§ 38 11 EheG). Nach dem früheren Verfahren hätte Hans Dampf keine Möglichkeit mehr gehabt, die durch die Todeserklärung begründete Vermutung mit allgemeiner Wirkung ein für allemal zu beseitigen. Denn ein Rechtsmittel fand gegen das Ausschlußurteil nicht statt (§ 9 5 7 1 ZPO), und die nach den § § 9 5 7 , 958, 973, 976 Z P O zugelassene Anfechtungsklage setzte entweder förmliche Mängel des Aufgebotsverfahrens voraus (§ 9 5 7 1 1 ) oder war, soweit sie auf die Unrichtigkeit der Todeserklärung oder der Todeszeit gestützt wurde (§ 973), innerhalb einer Frist von einem Monat zu erheben, die ohne Rücksicht auf die Kenntnis mit dem Erlaß des Ausschlußurteils begann (§ 976). Das Verschollenheitsgesetz gibt dem Verschollenen (und dem Staatsanwalt) das Recht, die Aufhebung der Todeserklärung zu beantragen (§ 30). Der Verschollene muß die Todeserklärung, d. h. den Zeitpunkt überlebt haben, in dem die Todeserklärung wirksam geworden ist (§ 29). E s ist zwar nicht erforderlich, daß er zur Zeit der Einleitung des Aufhebungsverfahrens, die etwa auf Antrag des Staatsanwalts erfolgt, noch lebt. Jedoch genügt es nicht, daß der Verschollene nur den festgestellten Todeszeitpunkt, nicht aber den Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses überlebt hat. Wird nur geltend gemacht, daß ein anderer als der festgestellte Todeszeitpunkt anzunehmen sei, so kann jeder, der ein rechtliches Interesse an einer anderen Todeszeit hat, die Änderung der Todeszeitfeststellung beantragen (§ 3 3 a). Die bisherige Todeszeitvermutung wird dann durch eine andere ersetzt. Hans Dampf wird also mit seinem Antrag, über den der Rechtspfleger befindet, Erfolg haben, wenn seine Identität mit dem Verschollenen erwiesen wird. Sondervorschriften f ü r Verschollenheitsfälle aus Anlaß des K r i e g e s 1939 bis 1945 enthält Art. 2 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts vom 15. Januar 1951 (BGBl I 59). Nach diesen Vorschriften kann für tot erklärt werden, wer vor dem i. Juli 1948 im Zusammenhang mit den Ereignissen oder Zuständen des letzten Krieges vermißt worden und seitdem unter Umständen, die ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründen, verschollen ist (Art. 2 § 1 VerschÄndG). Darunter fallen auch in Zwangslager verbrachte Deportierte (BayObLG NJW 1953, 1788). Das Verfahren ist in mancher Hinsicht vereinfacht. Da der Antragsteller sehr oft ein Interesse nur an der Todeserklärung überhaupt, nicht an der Feststellung des genauen Todeszeitpunktes hat, ist bestimmt, daß Ermittlungen über den Todeszeitpunkt nur auf Antrag anzustellen sind. Als Todeszeitpunkt ist dann grundsätzlich der 31. Dezember 1945 anzunehmen (Art. 2 § 2 m ) . Diese Vorschrift enthält eine Ausnahme von dem Amtsermittlungsgrundsatz des §12 FGG. Ohne diesen Antrag ist das Gericht zur Feststellung eines anderen als des allgemeinen Todeszeitpunkts nach Art. 2 § 2 1 1 1 VerschÄndG auch dann nicht befugt, wenn es meint, daß ein anderer Todeszeitpunkt nach der Sachlage wahrscheinlicher sei (KG NJW 1956, 1075). Ergibt sich nachträglich ein rechtliches Interesse an der Feststellung des wahrscheinlichsten Todeszeitpunktes, so kann eine Änderung der Feststellung begehrt werden (Art. 2 § 3). Öffentliche Bekanntmachungen erfolgen

Aufgebotsrichter — Kraftloserklärung von Vollmachten

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in diesem Verfahren nicht in der Tageszeitung, sondern in einer zu diesem Zweck besonders herausgegebenen Verschollenheitsliste (Art. 2 § 5). In Sondergesetzen finden sich abweichende Vorschriften über die Verschollenheit. Im Steuerrecht gilt als Todestag der Tag der Rechtskraft des Todeserklärungsbeschlusses (§ J l v StAnpG). Im Sozialversicherungsrecht wird die Verschollenheit von den Versicherungsbehörden selbständig festgestellt (§§1259, 1260 RVO, § 28 AVG), wenn eine gerichtliche Todeserklärung noch nicht vorliegt (BSozG FamRZ i960, 440). Besondere Todesvermutungen (regelmäßig 8. Mai 1945) gelten ohne Todeserklärung kraft Gesetzes im Rückerstattungsverfahren nach Art. 51 REGamZ, Art. 43 REGbrZ und Art. 44 R E A O Berlin (dazu B G H Z 1, 9) sowie im Entschädigungsverfahren nach § 180 B E G (dazu K G NJW RzW 1955, 189; 1958, 115).

Kraftloserklärung von Vollmachten Herr Kroker vom Detektiv-, Inkasso- und Immobilieninstitut „Sirius" erscheint zusammen mit Gerbermeister Feller aus Lankwitz und erklärt: Herr Feller hat mir vor zwei Jahren Generalvollmacht zur Verwaltung eines ihm gehörenden Hausgrundstücks, welche auch Verkauf, Auflassung und Grundbuchbewilligungen jeder Art umfaßte, in notariell beglaubigter Form erteilt. Er hat jetzt die Vollmacht zurückgezogen. Dabei stellte sich heraus, daß die Vollmachtsurkunde bei mir verloren gegangen ist, so daß ich nicht in der Lage bin, sie Herrn Feller zurückzugeben. Er befürchtet, daß die Urkunde doch noch in meinem Besitz sein und daß ich sie — woran natürlich gar nicht zu denken ist — benutzen könnte, um mit dritten Personen, die von dem Widerruf nichts wissen, Rechtsgeschäfte in seinem Namen vorzunehmen. War die erloschene Vollmacht nur durch Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten erteilt (erste Alternative des § 167 1 BGB), so wird dem gutgläubigen Dritten nicht geholfen, weil der für den Schutz des guten Glaubens wesentliche Zusammenhang mit dem Publizitätsgrundsatz (S. 430) fehlt. Hat dagegen der Vollmachtgeber dem Dritten die Vollmacht mitgeteilt oder öffentlich kundgegeben oder ist dem Dritten eine Vollmachtsurkunde vorgelegt worden, so bleibt sie gegenüber Gutgläubigen so lange in Kraft, bis der Widerruf in gleicher Form erfolgt (§§ 170/2). Abweichend von anderen Fällen gutgläubigen Erwerbs, macht dabei schon leicht fahrlässige Unkenntnis bösgläubig (§ 173 mit § 1 2 2 1 1 : „kennen müssen"). Das Erfordernis der Vorlegung wird streng gehandhabt. Hat sich der Bevollmächtigte im Besitz der Urkunde befunden und sich sogar zur Vorlegung erboten, schließlich aber nicht vorgelegt, so bleibt der Vertragsgegner ungeschützt 1 R G 56, 63. Aus diesem Grunde soll der Notar, wenn in einer Verhandlung ein Bevollmächtigter auftritt, die Vorlegung der Vollmacht im Protokoll beurkunden, vgl. S. 674. „Vollmachtsurkunde" im Sinne des § 172 ist nur die vom Vollmachtgeber unterzeichnete Urschrift, gleichviel ob sie einen Beglaubigungsvermerk trägt oder nicht, nicht dagegen einfache und beglaubigte Abschriften. Von Vollmachten in Verhandlungsform muß eine Ausfertigung vorgelegt werden. Der Schutz des Gutgläubigen beschränkt sich nicht auf die Frage des Erlöschens einer an sich rechtswirksam bestellten Vollmacht. Dem Geschäftsgegner kann auch nicht entgegengehalten werden, die Vollmacht sei nichtig oder mit anderem Inhalt erteilt oder anfechtbar und wirksam angefochten (RG 108,125; R G HRR 1937 Nr. 548). Waren der Vollmachtgeber oder der Bevollmächtigte aber geschäftsunfähig, so hilft der gute Glaube nichts, selbst wenn eine Vollmachtsurkunde vorgelegt war (RG Warn 1936 Nr. 2).

Um Herrn Feller zu beruhigen, habe ich ihm geraten, ein Aufgebotsverfahren einzuleiten. Allerdings finde ich über Kraftloserklärung von Vollmachten keine besonderen Vorschriften. Ich nehme deshalb an, daß lediglich die allgemeinen Bestimmungen des Aufgebotsverfahrens in §§ 946—959 ZPO, und außerdem die Bestimmungen der §§ 1003 f. über Urkundenaufgebot zu beachten sind. Durchschlag der Vollmachtsurkunde haben wir da. Ich bin bereit, über den Verlust der Urschrift eine eidesstattliche Versicherung'abzugeben. Wird sonst noch etwas gebraucht? Der Richter: Vollmachten können überhaupt nicht im Aufgebotsverfahren für kraftlos erklärt werden, weil das Gesetz ein derartiges Verfahren nicht vorsieht.

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Aufgebotsrichter — Zulässigkeit des Aufgebotsverfahrens

Ein Aufgebot kann nur in den durch Gesetz bestimmten Fällen ergehen (§ 9461). Das Aufgebot zur Kraftloserklärung von Urkunden ist zugelassen für: Schuldverschreibungen auf den Inhaber, § 799 B G B ; Wechsel, Art. 90 W G ; Schecks, Art. 59 ScheckG; die in § 363 H G B genannten kaufmännischen Orderpapiere, § 365 1 1 H G B ¡Aktien und Interimsscheine, § 66 A k t G ; qualifizierte Legitimationspapiere (hinkende Inhaberpapiere), § 808 B G B ; Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefe, §§ 1162, 1192, 1195, 1199 B G B . Für Postsparbücher ist ein Postaufgebot in § 18 PostsparkassenO vorgesehen. Weitere Aufgebotsfälle außer der bereits behandelten Todeserklärung: Die Ausschließung des Grundstückseigentümers, des Eigentümers eines eingetragenen Schiffes oder Schiffsbauwerks, des Vorkaufsberechtigten, Reallastgläubigers, Hypotheken-, Grundschuld-, Rentenschuldgläubigers, Schiffshypothekengläubigers, Vorgemerkten (§§ 927, 1104, 1 1 1 2 , 1 1 7 0 / 1 , 887 B G B , §§ 6, 78, 66, 67 SchiffsRG), der Nachlaß- oder Gesamtgutsgläubiger (§§ i97of., 1489 1 1 ), der unbekannten Schiffsgläubiger (§§ 765 H G B , 1 1 0 BinnSchiffG). — Von den hypothekenrechtlichen Aufgeboten geht dasjenige des Briefes (§ 1162) vom Gläubiger aus, der seinen Brief verloren hat. Nach §§ 1 1 7 0 / 1 betreibt dagegen der Eigentümer die Ausschließung des Gläubigers, doch haben auch diese Verfahren die Nebenwirkung, daß der erteilte Brief kraftlos wird (§§ 1 1 7 0 1 1 S. 2, 1 1 7 1 1 1 S. 2). Von den beiden Fällen der Ausschließung des Gläubigers ist § 1 1 7 0 darauf berechnet, daß die Post in Wahrheit nicht besteht, also Surrogat der Berichtigungsklage, § 1 1 7 1 darauf, daß sie besteht, also Surrogat der Erfüllung und den §§ 372 S. 2, 378, 382 verwandt. Man sollte erwarten, daß das Grundbuchamt Nachricht von der Einleitung und Durchführung der Aufgebote erhält und daß die Einleitung des Verfahrens, die Ausschließung des Gläubigers und die Krafdoserklärung der Briefe im Grundbuch vermerkt werden. Doch schreibt das Gesetz nichts derartiges vor. Erst wenn der Berechtigte auf Grund des Ausschlußurteils an Stelle des kraftlos erklärten sich einen neuen Brief erteilen läßt, wird die Bildung des neuen Briefes gemäß §§ 67, 6 8 m G B O im Grundbuch vermerkt. Feller: Gibt es keinen W e g , um die Vollmacht unschädlich zu machen? Richter : Sogar einen viel einfacheren und schnelleren, als das Aufgebotsverfahren. Sie können nämlich selbst die Urkunde für kraftlos erklären, indem Sie die Erklärung nach den für die öffentliche Zustellung v o n Ladungen geltenden Vorschriften der Z P O veröffentlichen lassen; damit verliert die Vollmacht jede W i r k u n g und kann keinen gutgläubigen Rechtserwerb mehr begründen (§§ 1 7 2 1 1 , 1 7 6 B G B ) . Z w e c k s Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung müssen Sie sich an das Gericht wenden, wobei Sie zwischen Ihrem allgemeinen Gerichtsstand und dem für eine K l a g e auf Rückgabe der Vollmacht zuständigen Gericht die Wahl haben ( § 1 7 6 1 1 ) . Die Bewilligung der Veröffentlichung der Kraftloserklärung nach § 1 7 6 1 1 ist ebenso wie die Bewilligung der öffentlichen Zustellung nach § 132I 1 eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Eine Übertragung auf den Rechtspfleger liegt — eine der vielen Unstimmigkeiten des Rechtspflegergesetzes — nicht vor. Einen Monat nach dem letzten Inserat (§ 204 1 1 S. 2 ZPO) wird die Vollmacht kraftlos.

Kraftloserklärung verzinslicher Inhaberschuldverschreibungen Antrag.

Wartefrist. Lichterfelde, den 27. Januar 1956.

Wie aus der beiliegenden Bescheinigung des Bankhauses Ferdinand Schilling hervorgeht, kaufte ich dort im April 1950 verschiedene 6%ige Hypothekenpfandbriefe der Rheinischen Bodenkreditbank A G . Die Papiere nebst Zinsscheinen bewahrte ich in meiner Wohnung Breslauer Str. 17 im Wäscheschrank meines Schlafzimmers auf. Am 25. Januar 1956 brach Feuer aus. Mit Hilfe meiner Angehörigen und mehrerer fremder Personen, die dazukamen, brachte ich meine Habe, darunter auch den Inhalt des Wäscheschranks, in Sicherheit. Als wir die geretteten Sachen ordneten, fehlten die Pfandbriefe sowie die Zinsscheinbogen. Ob sie verbrannt oder von den Helfern entwendet sind, habe ich nicht feststellen können. Ich überreiche zur Glaubhaftmachung die eidesstattliche Versicherung meiner Ehefrau, erbiete mich zur Versicherung der Wahrheit meiner Angaben an Eides statt und beantrage: gemäß den §§ 799 B G B , 1005 Z P O das Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung der 6%igen Hypothekenpfandbriefe der Rheinischen Bodenkreditbank A G .

Aufgebotsrichter — Kraftloserklärung von Inhaberschuldverschreibungen

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in Köln Serie V Lit. B Nr. 9495, 9496, 9497, 9498, 9499 über je 100 Deutsche Mark, Serie V Lit. C Nr. 2371, 2372, 2373, über je 200 Deutsche Mark nebst den vom 31. März 19 5 6 bis einschließlich 31. März 1964 fälligen Zinsscheinen und den Erneuerungsscheinen über die Zinsscheinreihe vom 30. September 1964 bis einschließlich 31. März 1974 anzuordnen. Um zu verhindern, daß etwa ein gutgläubiger Dritter an den abhanden gekommenen Papieren Rechte erlangt, bitte ich um beschleunigten Erlaß des Aufgebots und Ansetzung eines möglichst nahen Aufgebotstermins. An das Amtsgericht Paul Pecbmattn Abt. für Aufgebotssachen, hier. Rentner."

So leicht, wie Pechmann es sich vorstellt, wird er die Kraftloserklärung nicht erreichen. Zunächst ist Kraftloserklärung von Zins- und Erneuerungsscheinen („Kupons" und „Talons") überhaupt unzulässig (§ 799 1 S. 2 BGB). Sodann hat er die bei verzinslichen Inhaberpapieren einzuhaltende „Wartefrist" nicht beachtet. Bei abhanden gekommenen Inhaberpapieren besteht die Möglichkeit, daß sie entweder vernichtet oder noch vorhanden und im Umlauf sind. Im zweiten Fall erlangt gewöhnlich sehr bald ein Gutgläubiger an ihnen das Eigentum (S. 755). Es wäre nun unerwünscht, wenn dem neuen Eigentümer — der doch keinen Anlaß hat, die amtlichen Bekanntmachungen dauernd zu verfolgen — sein Recht auf dem formalen Wege des Aufgebotsverfahrens wieder entzogen würde. Deshalb erschwert das Gesetz das Aufgebot in der Weise, daß grundsätzlich zwischen dem Verlust des Papiers und dem Aufgebotstermin die Ausgabe einer neuen Zinsscheinserie liegen und 6 Monate seit Fälligkeit des ersten Scheines der neuen Serie abgelaufen sein müssen (§ xoio ZPO). Waren aber Zinsscheine für mehr als 4 Jahre ausgegeben, so genügt es statt dessen, wenn vom Tage des Verlustes bis zum Aufgebotstermin Zinsscheine für 4 Jahre fällig geworden und 6 Monate seit Fälligkeit des letzten Zinsscheins verstrichen sind ( § 1 0 1 1 ) . Andrerseits darf der Aufgebotstermin nicht länger als ein Jahr hinausgerückt werden, und solange im Hinblick auf die Wartefrist ein so naher Termin nicht bestimmt werden darf, ist der Erlaß des Aufgebots unzulässig (§ 1015 S. 2); dafür kann in solchem Fall das Gericht schon vor Einleitung des Aufgebotsverfahrens die „Zahlungssperre" verfügen (§ 1020). Von den Pechmannschen Papieren waren z. Z. des Verlustes die Zinsscheine vom 30. September 1954 bis 31. März 1964 ausgegeben. Es ist also § 1 0 1 1 anzuwenden, und der 1. Oktober i960 der früheste mögliche Termin, während das Aufgebot nicht vor 1. Oktober 1959 erlassen werden darf. Die Frist von 4 Jahren hat das Gesetz gewählt, weil die Vorlegungsfrist für Zinsscheine 4 Jahre beträgt (§ 801 1 1 BGB). Im Fall des § 1010 ZPO muß der Antragsteller vor Erlaß des Ausschlußurteils noch durch eine Bescheinigung des Ausstellers nachweisen, daß das Papier nicht zwecks Aushändigung der neuen Zinsscheinserie vorgelegt worden ist; im Fall des § 1 0 1 1 bedarf es der Bescheinigung, daß die Zinsscheine für die 4 Jahre nicht zur Einlösung präsentiert worden sind. Der Verlierer wird also mit dem Aufgebotsverfahren nur dann Glück haben, wenn das Stammpapier oder die Zinsscheine nicht mehr vorhanden sind, oder der Dieb es nicht gewagt hat, den Erneuerungsschein bzw. die Kupons vorzulegen, oder wenn sonst die Vorlegung aus zufälligen Gründen unterlassen wurde. § 799 BGB wird dadurch praktisch stark eingeschränkt.

Z a h l u n g s s p e r r e . Der Rechtspfleger (§ 19 Nr. 2 RechtspflG) faßt seine Bedenken in einer Aktennotiz zusammen. Pechmann wird in die Rechtsantragsstelle vorgeladen, dort über die Rechtslage belehrt und erklärt: „Meinen Antrag vom 27. Januar d. J. nehme ich hinsichtlich der Zins- und Erneuerungsscheine zurück. ' Im übrigen soll das Aufgebot erst für den Zeitpunkt erlassen werden, zu dem es unter Berücksichtigung der Vorschriften über die Wartefrist zulässig geworden sein wird. Ich beantrage ferner Erlaß der Zahlungssperre." 48

L u x , Schulung. ¡ . A u f l . (Jansen)

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Aufgebotsrichter — Zahlungssperre

Verfügung: „ i . Der Antrag wird zugelassen. 2. Z a h l u n g s s p e r r e . Auf Antrag des Rentners Paul Pechmann in Lichterfelde wird gemäß §§ 1007, 1019, 1020, 1015 S. 2 ZPO an die Rheinische Bodenkreditbank AG. in Köln als Ausstellerin der 6%igen Hypothekenpfandbriefe (folgen die genauen Nummernbezeichnungen) das Verbot erlassen, an den Inhaber der vorbezeichneten Papiere eine Leistung zu bewirken, insbesondere neue Zins-, Renten- oder Gewinnanteilscheine oder einen Erneuerungsschein auszugeben, weil die sofortige Einleitung des Aufgebotsverfahrens nach §1015 Satz 2 ZPO (Zur Zeit unzulässig ist, die übrigen Erfordernisse für die Einleitung des Verfahrens jedoch dargelegt sind. Lichterfelde, den 3. Februar 1956. Das Amtsgericht. Pflege, Justizinspektor, als Rechtspfleger." 3

(folgen Anordnungen über die Zustellung an Antragsteller und Aussteller gemäß § 329 1 1 1 ZPO, die öffentliche Bekanntmachung gemäß §§ 1020 S. 3, 948, 204, sowie die Einziehung der Kosten)."

Da neue Zinsscheine bis zum voraussichtlichen Aufgebotstermin nicht auszugeben sind, wird das in der Zahlungssperre ausgesprochene richterliche Verfügungsverbot (§§ I35> BGB) nur dann praktisch werden, wenn eines der Papiere ausgelost und die Leistung dadurch fällig wird. Dann darf der Aussteller weder an den Inhaber noch an Pechmann leisten. Zweckmäßiger ist die Regelung des Wechsel- und Scheckrechts und des Rechts der kaufmännischen Orderpapiere. Dort kann der Verlierer nach Einleitung des Aufgebotsverfahrens Zahlung an sich gegen Sicherheitsleistung verlangen (Art. 90 WG, 59 ScheckG, § 3 6 5 " HGB). Über die Bedeutung der Zahlungssperre nach § 367 HGB vgl. S. 755/6. A u f g e b o t . Nach dem 30. September 1959 stellt Pechmann den Antrag auf Erlaß des inzwischen zulässig gewordenen Aufgebots, das gemäß §§ 947 11 , 1008 in folgender Fassung ergeht: „Geschäftsnummer: 7 F 25.56. Aufgebot. Der Rentner Paul Pechmann in Lichterfelde hat das Aufgebot der angeblich abhanden gekommenen oder vernichteten 6% igen Hypothekenpfandbriefe der Rheinischen Bodenkreditbank AG. in Köln beantragt. Die Inhaber der Urkunden werden aufgefordert, spätestens in dem auf den 10. Oktober i960 vormittags 10 Uhr vor dem unterzeichneten Gericht anberaumten Aufgebotstermin ihre Rechte anzumelden und die Urkunden vorzulegen, widrigenfalls ihre Kraftloserklärung erfolgen wird. Lichterfelde, den 20. Dezember 1959. Das Amtsgericht. Pfleger, Justizinspektor, als Rechtspfleger."

Bekanntmachung nach § 1009. Aufgebotstermin. „Öffentliche Sitzung des Amtsgerichts. Lichterfelde, den 10. Oktober i960. Gegenwärtig: AGRat Richter als Richter, Justizsekretär Urktmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Aufgebotsrichter — Aufgebotstermin

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In dem Aufgebotsverfahren zum Zweck der Kraftloserklärung usw. erschien nach Aufruf der Sache im Aufgebotstermin: der Antragsteller Pechmann. E r überreichte Bescheinigung der Rheinischen Bodenkreditbank A G . in Köln vom i. Oktober 1960, wonach ihr die seit dem 25. Januar 1956 fällig gewordenen Zinsscheine der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Hypothekenpfandbriefe nicht vorgelegt worden sind, und beantragte: die 6%igen Hypothekenpfandbriefe Serie V Lit. B Nr. 9495, 9496, 9497, 9498, 9499 über je 100 Deutsche Mark und Serie V Lit. C Nr. 2371, 2372, 2373 über je 200 Deutsche Mark der Rheinischen Bodenkreditbank A G . in Köln für kraftlos zu erklären. Vorgelesen, genehmigt."

Daß Pechmann den Antrag auf Ausschlußurteil im Termin stellt, entspricht dem Grundsatz der notwendigen mündlichen Verhandlung, der im Aufgebotsverfahren nach der ZPO gilt (§ 95 2 1 ). Statt in der Sitzung hätte er den Antrag nach § 95 z 1 1 auch vorher schriftlich oder zu Protokoll anbringen können. Liegt der Antrag nicht spätestens im Termin vor, so bleibt noch die Möglichkeit, daß der Antragsteller in den folgenden sechs Monaten einen neuen Aufgebotstermin erbittet, der nicht bekannt gemacht zu werden braucht (§§954/5). Sonst muß ein völlig neues Aufgebot erlassen werden. — „Anmeldungen von Rechten lagen nicht vor, wurden im Termin auch nicht erklärt."

Anmeldungen sind bis zum Aufgebotstermin, spätestens bis zur Verkündung des Ausschlußurteils zulässig (§§ 9472, 951 ZPO). Erfolgt eine Anmeldung, so darf der Aufgebotsrichter nicht selbst über ihre Rechtmäßigkeit entscheiden. Er hat vielmehr je nach der Lage des Falles entweder das Verfahren bis zur endgültigen Entscheidung über das angemeldete Recht auszusetzen oder das Ausschlußurteil zu erlassen und das angemeldete Recht darin vorzubehalten (§ 953). Beim Aufgebot der Nachlaßgläubiger und anderen Gläubigeraufgeboten kommt nur der Vorbehalt im Ausschlußurteil in Betracht. Der Streit zwischen dem Antragsteller und dem Anmelder ist im ordentlichen Klageverfahren auszutragen. Nach welchen Grundsätzen wäre, wenn sich ein Inhaber der aufgebotenen Papiere gemeldet hätte, der Prozeß zu entscheiden ? Den Ausgangspunkt bildet die Eigentumsvermutung des § 1006 B G B . Sie gehört (mit Grundbuch- und Erbscheinsvermutung sowie praesumtio Muciana, §§ 891, 2365, 1362) zu den unmittelbar auf ein Rechtsverhältnis, nicht auf eine Tatsache gerichteten Vermutungen. Das bedeutet, daß dem Besitzer nicht nur die Beweislast (§ 292 ZPO), sondern auch die Last der Substantiierung seines Eigentumserwerbs abgenommen wird und der Gegner (hier: Pechmann) aufklären muß, wie der jetzige Inhaber in den Besitz der Papiere gelangt und daß er nicht Eigentümer geworden ist (Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. § x i 3 I 4 b und Beweislast § 16). Die Vermutung spricht zugunsten des gegenwärtigen Besitzers (§ 1006 1 S. 1 B G B ) , also gegen Pechmann; denn die für abhanden gekommene Sachen aufgestellte Ausnahme (Abs. I S. 2) wird gerade bei Geld und Inhaberpapieren durchbrochen und damit die Regel des ersten Satzes wiederhergestellt. Das hängt mit der Regelung des Eigentumserwerbs zusammen. Bei Inhaberpapieren (ebenso bei Geld und bei öffentlich versteigerten Sachen) ist der Umstand, daß sie dem Berechtigten unfreiwillig abhanden gekommen sind, unerheblich (§ 935 1 1 ). Sobald also ein Gutgläubiger das Papier gemäß §§ 932/4 erworben hat, geht das Eigentum des Verlierers unter. Nach der bekannten Definition des § 932 1 1 wird guter Glaube durch Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis ausgeschlossen. Bei Bankiers wird jedoch der böse Glaube vermutet, wenn der Verlust des Papiers im Bundesanzeiger bekannt gemacht und seit 48*

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Aufgebotsrichter — Ausschlußurteil

dem Ablauf des Kalenderjahrs der Veröffentlichung bis zum Erwerb durch den Bankier nicht mehr als ein Jahr abgelaufen war (§ 367 HGB); ob der Bankier oder seine Leute die Veröffentlichung wirklich gekannt haben, ist unerheblich. Nur wenn der Bankier beweist, daß er die Veröffentlichung infolge besonderer Umstände ohne grobe Fahrlässigkeit nicht kannte, ist die Vermutung des § 3671 ausgeräumt (§ 36711). Nach Art. 6 pr. A G zum H G B steht dem Verlierer das Recht zu, daß die Polizeibehörde auf seine Kosten die Bekanntmachung erläßt. Im übrigen entspricht auch die vorgeschriebene Bekanntmachving der Zahlungssperre (S. 754) den Erfordernissen des § 367 und macht damit den Verkauf gestohlener oder abhanden gekommener Stücke an einen Bankier unmöglich. Der Verlierer muß nur dafür sorgen, daß die amtliche Veröffentlichung innerhalb der gesetzlichen Frist bis Zum Erlaß des Ausschlußurteils immer wiederholt wird! Der Bankier kann aber bösgläubig sein, ohne daß die Voraussetzungen des § 367 vorliegen, sofern er aus besonderen Gründen am Eigentum seines Veräußerers hätte zweifeln müssen (z. B. weil dieser einen verdächtigen Eindruck machte, weil Zinsoder Erneuerungsscheine fehlten u. dgl.).

Hiernach wird im Streit um das Eigentum fast immer der Antragsteller unterliegen, wenn nicht gerade der anmeldende Inhaber des aufgebotenen Papiers Bankier und der Tatbestand des § 367 nachweisbar ist. — Das Gericht prüft die Glaubhaftmachung des Verlustes der Papiere, die Bekanntmachung des Aufgebots, die überreichte Bescheinigung der Bodenkreditbank, die Einhaltung der Wartefrist und die sonstigen förmlichen Voraussetzungen des Ausschlußurteils nach. Es ergeben sich keine Bedenken: „ E s wurde das anliegende Ausschlußurteil verkündet.

Richter.

Urkund."

Das A u s s c h l u ß u r t e i l lautet auf Kraftloserklärung entsprechend dem von Pechmann gestellten Antrag. Die Formel wird von Amts wegen bekannt gemacht (§§ 1017 11 , 1009 111 ZPO). Die Begründung ist eine rein formale; sie stellt die Glaubhaftmachung des Verlustes, den ordnungsmäßigen Erlaß des Aufgebots, die Einhaltung der Aufgebotsfrist usw. fest. Das Urteil hat rechtsgestaltende Wirkung: Pechmann kann nunmehr gegenüber der Bodenkreditbank die Rechte aus den kraftlos erklärten Pfandbriefen geltend machen (§ 10181) und sich auf seine Kosten von der Bank neue Pfandbriefe ausstellen lassen (§ 800 BGB). Die kraftlos erklärten alten Stücke haben jede rechtliche Bedeutung verloren und können nicht mehr Grundlage eines gutgläubigen Rechtserwerbs sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Papiere beim Brande vom 25. Januar 195 6 vernichtet worden. Wie gestaltet sich aber die Rechtslage, wenn sie damals entwendet und in die Hand gutgläubiger Erwerber gelangt sind, die lediglich aus Nachlässigkeit die Vorlegung der Zinsscheine bei der Bank und die Anmeldung im Aufgebotsverfahren versäumt haben ? 1. Ein ordentliches Rechtsmittel gegen das Ausschlußurteil findet nicht statt, sondern nur die Anfechtungsklage (§§ 957, 958), die aber nur auf Verletzung von Verfahrensvorschriften und auf Restitutionsgründe gestützt werden kann, dagegen nicht auf die sachliche Unrichtigkeit des Urteils oder darauf, daß die Urkunde sich wieder angefunden habe. 2. § 10181 Z P O besagt über die Wirkung des Ausschlußurteils, daß der Auf bieter dem aus der Urkunde Verpflichteten gegenüber berechtigt ist, die Rechte aus der Urkunde geltend zu machen. Das Ausschlußurteil tritt also an die Stelle des Wertpapiers (RG 49, 132). Der Schuldner braucht nur gegen Aushändigung des Urteils zu leisten. Er kann nicht einwenden, daß ein Dritter und nicht der Aufbieter der wahre Berechtigte sei. Denn mit dem Ausschlußurteil hat der Besitzer des Wertpapiers das Recht aus dem kraftlos gewordenen Papier ein-

Aufgebotsrichter — Wirkung des Ausschlußurteils

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gebüßt, auch wenn er gutgläubig war. Der Aufbieter hat nicht nur die formale Befugnis zur Geltendmachung des Rechts gegenüber dem Verpflichteten, sondern die sachliche Berechtigung aus dem Wertpapier selbst erlangt. E r allein ist allen aus der Urkunde Verpflichteten gegenüber der Berechtigte (StaubStranz, W G , Art. 90 Anm. 9; R G R Komm. z. H G B , 2. Aufl. § 365 Anm. 1 3 ; Schlegelberger, H G B , 3. Aufl. § 365 Anm. 30). 3. Damit ist aber nicht gesagt, daß auch das bessere Recht eines Dritten gegenüber dem Aufbieter durch das Ausschlußurteil vernichtet wird. Für eine so weitgehende Wirkung des Urteils fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Feststellungswirkung des Ausschlußurteils hat nur Bedeutung für das Verhältnis zum Verpflichteten, nicht aber zu Dritten. Wer bis zur Kraftloserklärung das Eigentum an dem Wertpapier redlich erworben hat, kann sein besseres Recht zwar nicht gegenüber dem aus der Urkunde Verpflichteten, wohl aber gegenüber dem Aufbieter geltend machen. E r kann die Abtretung der Rechte aus dem Ausschlußurteil und, wenn die Forderung schon eingezogen ist, die Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 8 1 6 1 1 B G B verlangen ( R G 168, 9 für Konnossemente; Staub-Stranz, aaO.; Stranz, Wechselrecht, 14. Aufl. Art. 90 Anm. 1 5 ; R G R Komm. z. H G B , aaO.; Schlegelberger, H G B , aaO.; Stein-Jonas-Schönke, Z P O , 18. Aufl. § 1018 I 2). Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn zufolge sachenrechtlicher Vorschriften Eigentum und sonstige wohlbegründete Rechte untergehen, ohne daß ein dies rechtfertigendes schuldrechtliches Geschäft vorliegt: 1. Beruht der Rechtsverlust auf den Vorschriften über gutgläubigen Erwerb, so haftet der Erwerber nach § 816 1 S. 2 dem früheren Berechtigten mit der Bereicherungsklage, falls sein Erwerb unentgeltlich war. 2. Für den Fall der Verbindung, Vermischung, Verarbeitung gewährt § 951 einen Bereicherungsanspruch auf den Geldwert. 3. Auch beim Funderwerb besteht ein bereicherungsähnlicher Anspruch (§ 977). 4. Bei Ersitzung wurde die Bereicherung früher verneint, teils wegen des argumentum e contrario zu §§951, 977, teils weil das Gesetz durch die Ersitzung eine endgültige Ordnung der Rechtsverhältnisse schaffen wolle („ut aliquis litium finis esset"). Im Fall der unerkannt geisteskranken Nichte des Malers Menzel, welche der Münchener Pinakothek eine Anzahl wertvoller Originalgemälde geschenkt hatte, die dann, nachdem die Ersitzungsfrist abgelaufen war, der inzwischen bestellte Vormund zurückforderte, hat das Reichsgericht die condictio des Eigenbesitzes und der durch ihn vermittelten Ersitzung zugelassen (RG 130, 69), aber wohl zu Unrecht; dagegen Haymann, JW 1931, 1030; Staudinger-Berg, BGB, 11. Aufl. § 937 Anm. 4. 4. Im übrigen bleibt dem früheren Eigentümer das Recht, Rückgriff an seinem Verkäufer zu nehmen. Wer ein bereits für kraftlos erklärtes Papier verkauft, haftet aus § 43 7 w e i l das verkaufte Recht nicht bestand. Außerdem haftet nach § 4 3 7 1 1 , wer ein aufgebotenes Papier verkauft hat. Der Schaden bleibt also innerhalb der Käuferreihe auf demjenigen sitzen, der bei Bekanntmachung des Aufgebots vom 20. Dezember 1956 Eigentümer war: denn er hätte das Aufgebot beachten und die Rechte anmelden müssen. Ebenso haftet der Verkäufer, wenn zur Zeit des Kaufs eine Zahlungssperre erlassen war. Denn der Verkäufer steht dem Käufer auch dafür ein, daß er ihm die Befugnis zur Geltendmachung des verbrieften Rechts verschafft ( R G 109, 297). Was wird aus den abhanden gekommenen Zinsscheinen und E r n e u e r u n g s scheinen ? Den Ausstellern verzinslicher Inhaberschuldverschreibungen und den bei der Kuponeinlösung tätig werdenden Banken ist nicht zuzumuten, daß sie jeden Zinsschein daraufhin prüfen, ob er zu einem aufgebotenen oder für krafdos erklärten Stammpapier gehört. Daher gibt es kein Aufgebot der Zinsscheine, vielmehr bleiben die umlaufenden Kupons trotz Kraftloserklärung des Stammpapiers in Kraft und müssen von der Bodenkreditbank eingelöst werden (§ 803). Wer einen Zinsschein verliert, hat grundsätzlich den Anspruch verloren. Erst vom 30. September 1964, an welchem die neue Zinsscheinserie zu laufen beginnt, bezieht Pechmann wieder Zinsen von den aufgebotenen Schuldverschreibungen. Da aber, wie die beigebrachte Bescheinigung ergibt, die verloren

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Aufgebotsrichter — Wertpapierbereinigung

gegangenen Kupons bei der Bank nicht zur Einlösung vorgekommen waren, erhält er nach § § 801 8041 den Betrag ausgezahlt, wenn er den Verlust vor Ablauf der vierjährigen Vorlegungsfrist der Bank gemeldet hatte. Besser ist seine Rechtslage bezüglich der Erneuerungsscheine. Hier braucht er nichts weiter zu tun, als der Ausgabe der neuen Zinsscheinreihe an den Inhaber des Erneuerungsscheins bei der Bank zu widersprechen und ihr seine Stammpapiere (bzw. das sie nach § 1018 1 ZPO ersetzende Ausschlußurteil) vorzulegen. Daraufhin werden ihm die neuen Zinsscheine ausgehändigt (§ 805 BGB). — Banknoten sind vom Aufgebot ausgeschlossen (§ 7991 S. 2: „auf Sicht zahlbare unverzinsliche Schuldverschreibungen"). Nach § 1 4 1 1 1 des G über die Deutsche Bundesbank vom 26. Juli 1957 (BGBl I 745) muß die Bank für beschädigte Noten Ersatz leisten, wenn der Inhaber entweder Teile einer Note vorlegt, die insgesamt größer sind als die Hälfte der Note, oder den Nachweis führt, daß der Rest der Note, von der er nur die Hälfte oder einen geringeren Teil vorlegt, vernichtet ist. Für verlorene, gefälschte, verfälschte, ungültig gewordene oder gänzlich vernichtete Noten besteht keine Ersatzpflicht. Wertpapierbereinigung. Bei dem Zusammenbruch des Jahres 1945 geriet der größte Teil des deutschen Wertpapierbestandes, der sich auf Grund der durch § 5 des Depotges. zugelassenen Sammelverwahrung im Hauptsammeidepot in Berlin oder sonst im Besitz Berliner Banken befand, in die Hand der sowjetischen Besatzungsmacht. Dieser und andere Vorgänge der Kriegs- und Nachkriegszeit machten eine Klärung der Rechtsverhältnisse zur Behebung der im Wertpapierwesen eingetretenen Verwirrung erforderlich. Zunächst wurde auf Grund eines Beschlusses des Finanzrats deBörsen der am. u. brit. Zone zur Abwehr des Eindringens unrechtmäßig erworbener Stücke in den Bank- und Börsenverkehr die Bescheinigung der Lieferbarkeit (Affidavit) eingeführt. Wertpapiere waren vom 1. Oktober 1947 an nur noch mit dieser von einem dazu ermächtigten Kreditinstitut ausgestellten Bescheinigung lieferbar. Ihre rechtliche Bedeutung besteht darin, daß sie den Erwerber der Pflicht zur weiteren Prüfung der Berechtigung des Veräußerers enthebt, also gutgläubigen Erwerb möglich macht (BGH BB 1955, 778). Ihr Fehlen machte eine Veräußerung im Bank- und Börsenverkehr unmöglich und begründete im sonstigen Rechtsverkehr die tatsächliche Vermutung schlechten Glaubens (Duden, BB 1949, 545). Die endgültige Klärung brachte das Wertpapierbereinigungsgesetz vom 19. August 1949 (WiGBl 295) mit Änderungen vom 29. März 1951 (BGBl I 211) und vom 20. August 1953 (BGBl I 940). Alle nicht mit Lieferbarkeitsbescheinigung versehenen Wertpapiere i. S. des Depotgesetzes, die bis zum 8. Mai 1945 von Schuldnern ausgestellt waren, die ihren Sitz im Bundesgebiet hatten oder bis zum 1. Oktober 1953 dorthin verlegt haben, wurden mit dem 1. Oktober 1949 kraftlos. Demnach war an abhanden gekommenen Stücken ohne Lieferbarkeitsbescheinigung kein gutgläubiger Rechtserwerb mehr möglich. In einem besonderen Verfahren, in dem eine bei einem Kreditinstitut errichtete Prüfstelle, die Kammer für Wertpapierbereinigung beim Landgericht und auf sofortige Beschwerde das OLG, diese im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, entscheiden, werden die anzumeldenden Rechte geprüft und festgestellt. Der Anmelder hat nachzuweisen, daß er, gegebenenfalls seine Vormänner, seit dem 1. Januar 1945 Eigentümer des Wertpapiers oder Miteigentümer eines Sammeldepots war. Die Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens gelten für diesen Nachweis nicht (§ 2 1 1 Nr. 4 WGB). Die Anmelder der anerkannten Rechte werden mit der Gutschrift der Anmeldestelle Miteigentümer an einer von dem Aussteller hinterlegten Sammelurkunde (§ 13 WBG). Für Wertpapiere, die dem Wertpapierbereinigungsgesetz, unterliegen, findet ein Aufgebotsverfahren nach den allgemeinen Vorschriften nicht statt (§ 63 WBG). Vgl. auch BGHZ 23, 86.

Aufgebot eines Sparkassenbuchs A n t r a g . Möbeltransporteur Wälzer gibt auf der Geschäftsstelle zu Protokoll: „Ausweislich der hiermit überreichten Bescheinigung der hiesigen Sparkasse bin ich Inhaber des Kontos Nr. 125637, welches bis zum 1. Januar 1959 einschließlich zugeschriebener Zinsen einen Bestand von 367 DM erreicht hatte. Von August bis November 1959 bewohnte ich bei der Witwe Bolle in Lichterfelde, Danziger Straße 48, mit dem Kellner Hermann Sperling ein gemeinschaftliches Zimmer. Das Sparkassenbuch befand sich am Boden meines unverschlossenen Koffers. Als ich es vor einigen Wochen suchte, um den genauen Bestand festzustellen, konnte

Aufgebotsrichter — Aufgebot eines Sparkassenbuchs

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ich das Buch nichtfinden.Durch Nachfrage bei der Sparkasse erfuhr ich, daß Anfang Januar d. Jr 100 DM von einem Unbefugten abgehoben worden sind. Ich bat, daß das Buch sofort gesperrt und daß mir die Verfügung über das Konto eingeräumt werden sollte, doch erklärten mir die Beamten, daß dazu ein gerichtliches Aufgebotsverfahren bzw. eine gerichtliche Zahlungssperre notwendig sei." Bei den Urkunden des § 808 B G B , zu denen das Sparkassenbuch zählt, wird zwar der Schuldner durch Leistung an den Inhaber befreit (Abs. I S. 1), sofern er nicht die Nichtberechtigung des Inhabers kennt ( R G 89, 403); grob fahrlässige Unkenntnis würde nicht genügen (str.). Doch steht dem Inhaber als solchem kein Recht auf die Leistung zu (Abs. I S. 2). Vielmehr kann der Schuldner vom Inhaber den Nachweis seiner Berechtigung fordern. Rechtlich wäre also die Sparkasse in der Lage, dem Wunsch Wälzers zu entsprechen und kurzerhand dem Inhaber des Buches Auszahlungen zu verweigern, doch will sie sich begreiflicherweise nicht gern auf Grund unbewiesener Behauptungen eines Beteiligten zu einer solchen privaten Sperrmaßnahme verpflichten, deren Durchführung in ihrem großen Betrieb Schwierigkeiten bereitet. Wälzer muß deshalb nach den §§ 8 0 8 1 1 S . 2 B G B , 1019, 1023 Z P O vorgehen. „Ich nehme an, daß Sperling, der ein leichtsinniger und unzuverlässiger Mensch ist, mir das Buch entwendet hat. Ich versichere die Richtigkeit meiner vorstehenden Angaben an Eides Statt und beantrage: 1. das Aufgebotsverfahren zwecks Kraftloserklärung des über das Konto Nr. 125637 ausgestellten Sparkassenbuchs der hiesigen Sparkasse einzuleiten, 2. die Zahlungssperre zu erlassen." A u f g e b o t . Z a h l u n g s s p e r r e . Der Rechtspfleger verfügt: „ 1 . A u f g e b o t : Der Möbeltransporteur Konrad Wälder in Lichterfelde hat das Aufgebot des angeblich abhanden gekommenen Sparkassenbuchs Nr. 125637 der städtischen Sparkasse in Lichterfelde beantragt. Der Inhaber der Urkunde wird aufgefordert, spätestens in dem auf den 11. April i960 vormittags 9 Uhr vor dem unterzeichneten Gericht anberaumten Aufgebotstermin seine Rechte anzumelden und die Urkunde vorzulegen, widrigenfalls ihre Kraftloserklärung erfolgen wird. 2. Zahlungssperre: Auf Antrag des Möbeltransporteurs Konrad Wälder in Lichterfelde wird gemäß §§ 1007, 1009, 1019, 1023 ZPO an die Städtische Sparkasse in Lichterfelde als Ausstellerin des auf den Namen des Antragstellers lautenden Sparkassenbuchs Nr. 125637 das Verbot erlassen, an den Inhaber der vorbezeichneten Urkunde eine Leistung zu bewirken. Lichterfelde, den . . . usw. 3

(folgen Anordnungen über Veröffentlichung, Zustellung usw. vgl. S. 754)."

Beim Aufgebot von Sparkassenbüchern sind die landesrechtlichen Vorschriften zu beachten, die auf Grund der landesrechtlichen Vorbehalte in § 1023 S. 2 Z P O , Art. 1 0 2 1 1 E G B G B ergangen sind. Diese Vorschriften können abweichende Bestimmungen über die Aufgebotsfrist und die Art der Bekanntmachung enthalten (Art. 30 BayAGZPO, Art. 54,90, m BayAGBGB; §7PrAGZPO; Niedersachsen § 2 d. G. vom 18. Dezember 1959, GVB1 149) oder die Kraftloserklärung durch Beschluß des Vorstandes der Sparkasse zulassen, so WürttAGBGB Art. 286, 287; Nordrhein-Westfalen § 28d. SparkassenG vom 7. Januar 1958 (GVB1 5); Rheinland-Pfalz § i5d. SparkassenG vom 12. März 1958 (GVB1. 47); Schleswig-Holstein § 24 d. SparkassenG v. 6. Mai 1958 (GVB1 191). Anmeldung von Rechten. Aussetzung

des V e r f a h r e n s .

„Lichterfelde, den 5. April i960. An das Amtsgericht hier. Zu den Aufgebotsakten 7 F 29.60 überreiche ich mit Bitte um Rückgabe das Sparkassenbuch Nr. 125 637 der hiesigen städtischen Sparkasse, lautend auf den Möbeltransporteur Konrad Wülfer, das mir durch die beiliegende Urkunde von dem Kellner Hermann Sperling übereignet worden ist.

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Aufgebotsrichter — Anmeldung von Rechten Sperling hatte die Haftung für die Mietsschuld der Frau Lonny Lewald übernommen. E r hat mir versichert, daß Wälder ihm das Buch als Gegenwert für irgendwelche Leistungen zum Eigentum überlassen und daß er das hierüber von Wälder ausgestellte Schriftstück verloren habe. Da Wälder und Sperling mir als gute Freunde bekannt waren, trug ich kein Bedenken, das Buch als Sicherheit anzunehmen. Als Sperling die am 2. Januar d. J . fällige Rate nicht bezahlt hatte, habe ich 100 D M abgehoben. Zum 1. April hat er wieder nicht bezahlt. Ich wollte deshalb heut den Restbestand des Buches abheben, wurde jedoch von der Sparkasse unter Hinweis auf die vom Gericht erlassene Zahlungssperre abgewiesen. Dadurch bin ich auf das Aufgebotsverfahren und den demnächst anstehenden Aufgebotstermin aufmerksam gemacht worden. Ich widerspreche der weiteren Durchführung des Aufgebotsverfahrens. Franz Dickert, Pfandleiher und Hausbesitzer." „Hierdurch erkenne ich' an, daß das mir von Herrn Konrad Wähler übereignete Sparkassenbuch Nr. 125 637 in seinem vollen Bestände Herrn Franz Dickert in Lichterfelde gehört. Falls ich die Mietschuld der geschiedenen Frau Lonny Lewald nicht mit 100 D M am 2. Januar 1957 und mit 280 D M am 1. April 1957 begleiche, ist Herr Dickert berechtigt, sich die ihm zustehenden Beträge von dem Sparkassenbuch abzuheben. Lichterfelde, den 25. November 1959. Hermann Sperling."

Wenn es 2wischen Wälzer und Dickert jetzt zum Prozeß kommt, so bleibt dabei die Rechtsvermutung des § 1006 B G B außer Anwendung. Denn die Legitimationspapiere des § 808 — und überhaupt sämtliche unter § 952 fallenden Urkunden — können als quasi-Zubehör derForderung (S.436) nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. Dickert hat nachzuweisen, daß sein Vormann Sperling von Wälzer, und daß er selbst von Sperling den Anspruch auf das Sparguthaben abgetreten erhalten hat. Ob dabei das Gericht aus dem Besitz Sperlings am Sparbuch folgern will, daß nach den Erfahrungen des Lebens eine Abtretung durch Wälzer an ihn erfolgt sein müsse, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Gelingt Dickert nur der zweite Teil des Beweises, so muß er im Rechtsstreit unterliegen: denn es handelt sich um eine bloße Forderungsübertragung, und Forderungen kann man — außerhalb der Inhaber- und Orderpapiere — nicht durch guten Glauben vom Nichtberechtigten erwerben (RG 156, 333)-

Eben weil es keinen gutgläubigen Erwerb von Rechten an qualifizierten Legitimationspapieren gibt, kann das Ausschlußurteil hier niemals dazu führen, daß der Auf bieter das Recht aus dem Sparguthaben erwirbt. Angenommen, Dickert sei der wirklich berechtigte Inhaber des Sparguthabens, und er hätte die Anmeldung seiner Rechte im Aufgebotsverfahren versäumt, so könnte er auf Grund der §§ 952, 985 B G B von dem Aufbieter Wälzer die Herausgabe des Ausschlußurteils oder des etwa bereits ausgestellten Ersatz-Sparbuchs verlangen. Umgekehrt haftet Dickert, wenn Sperling nicht berechtigt war, ihm das Guthaben abzutreten, dem Wälzer aus § 8 1 6 1 1 auf die vor der Zahlungssperre abgehobenen 100 DM. — Der Aufgebotsrichter braucht sich mit diesen Rechtsfragen nicht zu befassen: „Beschluß. Das auf Antrag des Möbeltransporteurs Konrad Wälder in Lichterfelde zwecks Kraftloserklärung des Sparkassenbuchs Nr. 125 637 der Städtischen Sparkasse in Lichterfelde eingeleitete A u f gebotsverfahren wird gemäß § 953 Z P O bis zur endgültigen Entscheidung über das von dem Pfandleiher Franz Dickert in Lichterfelde am j . April i960 an dem Buch angemeldete Recht ausgesetzt."

J e nach dem Ergebnis des Rechtsstreits wird später das Sparkassenbuch für kraftlos zu erklären oder aber der Erlaß des Ausschlußurteils abzulehnen sein.

Aufgebotsrichter — Aufgebot der Nachlaßgläubiger

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Aufgebot der Nachlaßgläubiger Aufgebotsverfügung: i. A u f g e b o t . Die verwitwete Frau Christine Goldemund geb. Bänke in Lankwitz, der Hochofenmeister Joachim Goldemund in Bochum und der Kaufmann Albrecht Goldemund in Lankwitz haben als Erben des am 8. Dezember 1959 verstorbenen Kolonialwarenhändlers Siegfried Goldemund, Inhabers der Firma „Heinrich Goldemund Nachfolger", in Lankwitz das Aufgebot der Nachlaßgläubiger beantragt. Die Nachlaßgläubiger des Siegfried Goldemund werden hiermit aufgefordert, ihre Forderungen spätestens in dem auf den 1 1 . April i960 vormittags 9 % Uhr vor dem unterzeichneten Gericht anberaumten Aufgebotstermin unter Angabe des Gegenstandes und des Grundes sowie unter Beifügung der urkundlichen Beweisstücke in Urschrift oder Abschrift anzumelden, widrigenfalls folgende Rechtsnachteile eintreten: I. Gläubiger, welche die Anmeldung ihrer Forderung unterlassen, können — unbeschadet des Rechts, vor den Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen berücksichtigt zu werden — von den Erben nur insoweit Befriedigung verlangen, als sich nach Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Gläubiger noch ein Überschuß ergibt."

Vgl. §§ 1 9 7 3 B G B , 995 ZPO. Lohnt diese Ausschlußfolge die Durchführung des Aufgebotsverfahrens, da doch der Erbe nach den §§ 1975 f. B G B den Nachlaßgläubigern ohnehin nur mit der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung haftet ? Wir wissen, daß der Erbe, wenn er die Beschränkung seiner Haftung geltend macht, den Gläubigern für die Verwaltung des Nachlasses wie ein Beauftragter Rechenschaft abzulegen hat und daß ihm insbesondere die Befriedigung einzelner Gläubiger aus dem Nachlaß zum Verschulden angerechnet wird, wenn mit dem Vorhandensein unbekannter Nachlaßverbindlichkeiten zu rechnen war und der Erbe gleichwohl kein Gläubigeraufgebot betrieben hat (S. 5 66). Schon das wäre für den Erben — oder für den an seiner Stelle handelnden Nachlaßpfleger, Nachlaßverwalter oder Testamentsvollstrecker — ein ausreichender Anlaß, das Aufgebot zu beantragen. Ferner hat der Erbe den im Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen Gläubigern den vorhandenen Nachlaßrest zum Zwecke der Befriedigung im Wege der Zwangsvollstreckung „nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung" herauszugeben (§ 1973 1 1 BGB). Nun schließt § 8 1 8 1 1 1 bei Bereicherungsansprüchen die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Wertersatz aus, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist, ohne daß es auf die Ursachen des Wegfalls der Bereicherung ankäme. Auf unseren Fall angewandt, heißt das: der Erbe kann sich gegenüber einem im Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen Gläubiger darauf berufen, daß der Nachlaß erschöpft ist, auch wenn die Erschöpfung des Nachlasses darauf beruht, daß der Erbe den Nachlaß schlecht verwaltet und daß er schuldhafterweise einzelne Nachlaßgläubiger voll ausgezahlt hatte. Durch das Ausschlußurteil wird mithin der Erbe von seiner unangenehmen Verantwortung wenigstens im Verhältnis zu ausgeschlossenen Gläubigern befreit. Die Ausschlußeinrede ermöglicht es dem Erben, einen objektiv zureichenden Nachlaß (§ 1980 1 1 ) ohne Nachlaßsonderung (NachlaßVerwaltung, Nachlaßkonkurs) gefahrlos selbst abzuwickeln. Das Aufgebotsverfahren führt jedoch nicht eine allgemein, gegenüber allen Nachlaßgläubigern, beschränkte Haftung herbei. Da Siegfried Goldemund Inhaber einer Firma war, finden die Wirkungen des Gläubigeraufgebots an denen der Firmenfortführung (oben S. 706) ihre Grenze. Der handelsrechtliche Satz, hier § 27 HGB, geht wie immer dem erbrechtlichen vor. Sind also die Erben dadurch, daß sie das Geschäft mit der Firma während dreier Monate weitergeführt haben, der unbeschränkten Haftung für die geschäftlichen Schulden verfallen, so kommt ihnen die Ausschlußeinrede nur noch gegenüber den Privatgläubigern des Erblassers zustatten.

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Aufgebotsrichter — Ausschlußeinrede II. Den Gläubigern, die ihre Forderung nicht angemeldet haben, haftet nach der Teilung des Nachlasses jeder Erbe nur für den seinem Erbteil entsprechenden Teil der Verbindlichkeit. Lichterfelde, den 30. Januar 1957. Pfleger

V g l . § § 20601 B G B , 997 1 S. 2 Z P O . Sind mehrere Erben vorhanden, so entspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die Nachlaßverbindlichkeiten vor der Teilung aus dem Nachlaß berichtigt werden. Um die Erben hier2u anzuhalten, läßt § 2058 B G B grundsätzlich die Miterben gesamtschuldnerisch haften. Solange der Nachlaß ungeteilt ist, wird in § 20591 die Solidarhaftung dadurch gemildert, daß der in Anspruch genommene Miterbe die Haftung auf seinen Anteil am Nachlaß beschränken darf, so daß dem Gläubiger in diesem Stadium praktisch nur zweierlei übrig bleibt: entweder den Erbteil des Miterben zu pfänden und zu verwerten (S. 248), oder auf Grund eines gegen sämtliche Erben ergangenen Schuldtitels (§ 747 Z P O ) in den ungeteilten Nachlaß selbst zu vollstrecken (§ 2059 11 BGB). Die Einrede aus § 20591 fällt mit der Nachlaßteilung fort. Den im Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen Nachlaßgläubigern haftet aber der Erbe nach der Teilung nur noch für den seiner Erbquote entsprechenden Teilbetrag der Forderung. „2. öffentliche Bekanntmachung gemäß § 948 ZPO. 3. Zustellung an die Antragsteller sowie an die B1

verzeichneten Nachlaßgläubiger."

Die Wirkung des § 1973 B G B ist rein formal, von der Kenntnis oder Unkenntnis des Erben und des Gerichts unabhängig. Damit nur möglichst keine berechtigten Ansprüche verkürzt werden, legt § 992 Z P O dem Antragsteller die Verpflichtung auf, dem Aufgebotsgericht ein Verzeichnis der ihm bekannten Nachlaßgläubiger einzureichen. Diesen Gläubigern wird dann das Aufgebot von Amts wegen zugestellt (§ 99411)- Unterlassen die benachrichtigten Gläubiger gleichwohl die Anmeldung, so werden sie vom Ausschlußurteil betroffen, doch könnte sich der Erbe nach den §§ 823 11 , 826, 249 B G B hierauf nicht berufen, falls er einzelne Gläubiger dem Gericht absichtlich verschwiegen hat. V e r s c h w e i g u n g s e i n r e d e : Ein Nachlaßgläubiger, der seine Forderung später als 5 Jahre nach dem Erbfall dem Erben gegenüber geltend macht, steht einem im Aufgebotsverfahren Ausgeschlossenen gleich, allerdings nur wenn die Forderung dem Erben unbekannt war (§§ 1974, 20602). Nach Ablauf der FünfJahresfrist besteht also gegenüber unbekannten Gläubigern, auch wenn kein Aufgebot stattgefunden hatte, nur noch Bereicherungshaftung und Teilhaftung. Die Teilhaftung kann sich jeder Miterbe sogar schon dadurch verschaffen, daß er im Bundesanzeiger sowie im Amtsblatt ein Privataufgebot an die Nachlaßgläubiger erläßt (§ 2061).

ij. Kapitel

Beim Staatsanwalt Urheber- und Verlagsrechtsverletzung. Strafantrag. Verweisung auf den Weg der Privatklage. Aufbau der Staatsanwaltschaft. Beschränkungen des Legalitätsprinzips „Wilbrand& Mylius Verlagsbuchhandlung.

Stuttgart, den 25. April i960.

An den Herrn Oberstaatsanwalt, München. Hiermit stellen wir gegen den Verlagsbuchhändler Raimund Elster und die Ehefrau Helene Däubler geb. Krause, beide in München, als Verleger bzw. Verfasserin des Werkes „Der siamesische Glockenturm und andere Märchen für die reifere Jugend" Strafantrag wegen Verletzung des Urheber- und Verlagsrechts. Wir haben im Herbst v. J . das Buch „Im Reiche des weißen Elefanten", phantastische Märchen von Jucunda Becher, herausgebracht, das sowohl bei der literarischen Kritik wie beim Publikum außerordentlichen Anklang gefunden hat. In den Besprechungen war uns vielfach die Veranstaltung einer Ausgabe für Jugendliche nahegelegt worden. Nach dem mit Jucunda Becher abgeschlossenen Verlags vertrage haben wir das Recht der Bearbeitung, und es war beabsichtigt, daß die Verfasserin nach ihrer Rückkehr von einer Studienreise in Asien an die Bearbeitung herangehen sollte. Wie die hiermit überreichten Exemplare der beiden Bücher zeigen, ist das von Elster herausgegebene Werk nichts weiter als eine Bearbeitung der Becherschea Märchen, in der die Liebesgeschichten fortgelassen und durch Natur- und Tierschilderungen ersetzt sind. Der Gang der Handlung und die Charakterisierung der auftretenden Personen stimmt im wesentlichen überein, sogar der Dialog ist streckenweise übernommen. (wird näher dargelegt). Wir haben in Erfahrung gebracht, daß ursprünglich sogar die Absicht bestand, die Bearbeitung unter dem Titel ,Der weiße Elefant, Ausgabe für die reifere Jugend' mit einer der unsrigen ähnlichen Ausstattung und Umschlagszeichnung erscheinen zu lassen und als Autorin formell ein Fräulein J{osefa) Becher anzugeben, die Stenotypistin bei Elster ist. Dadurch sollte der Anschein hervorgerufen werden, als ob es sich um eine von der Verfasserin des Originalwerks herrührende Bearbeitung handele. Hiervon haben Elster und Frau Däubler aus Furcht vor Bestrafung schließlich abgesehen. Aber auch so ist unser Schaden groß genug. Das Däublersche Buch ist im .Buchhändler-Börsenblatt' vom 3. Februar d. J., das wir beifügen, angezeigt. Wenige Tage später haben wir die widerrechtliche Verwendung unseres Buches festgestellt. Jucunda Becher, der wir sofort Mitteilung machten, sandte uns aus Alighar in Indien am 5. März das beiliegende Telegramm: ,Mit Vorgehen gegen Elster einverstanden. Sendet Strafantrag zur Unterzeichnung. Jucunda Becher.' Nachher erkrankte sie am gelben Fieber, so daß wir ihre Unterschrift bisher nicht erhalten konnten. Sie liegt im Malteser-Hospital in Singapore. Wegen des bevorstehenden Ablaufs der Antragsfrist stellen wir daher den Strafantrag auch in ihrem Namen. Wilbrand & Mylius Verlagsbuchhandlung, ppa. Schiller."

Das Gesetz schützt nicht die abstrakte künstlerische Idee, sondern nur ihre konkrete Verkörperung als Schriftwerk, Vortrag, Rede, Gemälde usw. (§§ i f . LitUG,

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Staatsanwalt — Verlagsrecht

i f KunstschG). Jedoch umfaßt das ausschließliche Recht des Urhebers auch die „Bearbeitung" im weitesten Sinne, wie Bearbeitungen für Kinder oder für die reifere Jugend, Übersetzung in fremde Sprachen, Dramatisierung, Verfilmung, Rundfunkbearbeitung. Wird allerdings durch „freie" Benutzung eines Werkes eine „eigentümliche Schöpfung" hervorgebracht, so muß sie sich der Urheber gefallen lassen. §§ 12, 13 LitUG, 15 f. KunstschG. Werke der Tonkunst, denen eine fremde Melodie „erkennbar zu Grunde gelegt" ist, gelten nach § 1 3 1 1 LitUG stets als unfreie Bearbeitungen und damit als unzulässiger Eingriff in das fremde Urheberrecht. Die Grenze zwischen bloßer Bearbeitung und Benutzung zu einer eigentümlichen Schöpfung ist häufig schwierig zu ziehen (vgl. dazu Voigtländer-Elster-Kleine, Urheberrecht [4] 1 zu § 13). Das Gericht wird sich bei dieser Prüfung meist der Hilfe von Sachverständigen bedienen, die ihm, solange die literarischen und künstlerischen Sachverständigenkammern (§§49 LitUG, 46 KunstschG) noch nicht wieder eingerichtet sind, von den zuständigen Berufsverbänden benannt werden (Nr. 286 RiStV 1953). Was die Folgen der Rechtsverletzung anlangt, so begründet jeder objektiv unberechtigte Eingriff einen Unterlassungsanspruch (§§ 11 LitUG, 15 KunstschG), bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit (auch bei leichter Fahrlässigkeit!) hat der Urheber außerdem Schadensersatzansprüche (§§ 36f. LitUG, 31 KunstschG), und bei vorsätzlicher Verletzung erfolgt auf Antrag Bestrafung (§ § 3 8 f. LitUG, 3 2 f. KunstschG). Durch den Verlagsvertrag haben Wübrand & Mylius kein Urheberrecht erworben, sondern lediglich die Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes für eigene Rechnung übernommen (§ 1 VerlG), während das Urheberrecht bei der Verfasserin Jucunda Becher verblieben ist. Unbeschadet der rein obligatorischen Wirkung des Verlagsvertrags haben aber Wilbrand & Mylius an dem Werke das absolute „Verlagsrecht" erlangt, kraft dessen sie alle dem Verfasser zustehenden Urheberrechte ebenfalls im eigenen Namen geltend machen dürfen, soweit ihre Befugnisse als Verleger beeinträchtigt sind (§§ 8, 9). Diese Seite des, .Verlagsrechts" findet ihr Gegenstück in der „ a u s s c h l i e ß l i c h e n L i z e n z " . L i z e n z ist die von dem Inhaber eines Patents oder sonstigen gewerblichen Schutzrechts einem anderen vertraglich erteilte Erlaubnis, das (dinglich dem Rechtsinhaber verbleibende) Recht zu benutzen. Die „nicht ausschließliche" („einfache") Lizenz gewährt bei einem Patent dem Lizenznehmer die Befugnis, es n e b e n dem Patentinhaber oder neben anderen Lizenznehmern zu benützen, z. B. indem ihm die Befugnis zur 10-, 20- oder ioomaligen Herstellung des patentierten Apparates gegen Zahlung einer bestimmten „Lizenzgebühr" eingeräumt wird. Sie hat gegenüber Dritten keine Wirkung. Wenn aber der Lizenznehmer das Patent ausschließlich ausüben soll (vgl. dazu § 25 des Patentges i.d.F. vom 18. Juli 1953, B G B l 1 6 2 3 ) — sei es auch nur für ein abgegrenztes Gebiet oder eine bestimmte Zeit oder gewisse Benutzungsarten ausschließlich — , so liegt eine „ausschließliche" Lizenz mit dinglicher oder quasidinglicher Wirkung vor, bei der man dem Lizenznehmer das Recht zubilligt, gegen Verletzungen des Patentrechts unmittelbar und im eigenen Namen vorzugehen (Reimer, Patentges Anm. 6 zu § 9; R G 83, 93).

Hätten die Beschuldigten ihren ursprünglichen Plan ausgeführt und das Buch unter dem irreführenden Titel mit der vorgeschobenen Verfasserin und der ähnlichen Ausstattung und Umschlagszeichnung herausgebracht, so würde weiterhin unlauterer Wettbewerb, und zwar die unwahre Erweckung des Anscheins eines besonders günstigen Angebots (§4 UWG), vorliegen. Der Wettbewerb würde mit der Urheber- und Verlagsrechtsverletzung in Tateinheit (§73 StGB) stehen. Ein Wettbewerbsdelikt wäre übrigens auch dann gegeben, wenn Elster und Frau Däubler Märchen, die inhaltlich durchaus selbständig sind, in der irreführenden Form veröffentlicht hätten. Dagegen, daß der nach §§45 LitUG, 9 1 1 VerlG notwendige Strafantrag durch Vertreter gestellt wird, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Da es sich um eine Schädigung geschäftlicher Interessen handelt, muß der Prokurist Schiller ohne weiteres als ermächtigt gelten, den Antrag namens der Verlagsfirma zu stellen. Seitens der

Staatsanwalt — Strafantragstellung durch Vertreter

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Verfasserin Becher fehlt es aber an einer Vollmacht, denn das Telegramm aus Alighar ist wohl nicht als Ermächtigung für Wilbrand & Mylius zu verstehen, daß diese die Verfasserin bei der Antragstellung vertreten sollen, sondern nur als Ankündigung eines eigenen Strafantrages. Anders wenn Jucunda Becher telegraphiert hätte: „Ermächtige Euch gegen Elster Strafantrag zu stellen". Verfolgt werden die an der Straftat Beteiligten (Täter, Anstifter, Gehilfen und Begünstiger), gegen die Strafantrag gestellt ist; der Verletzte kann also einen Strafantrag auf bestimmte Beteiligte beschränken; unterläßt er eine solche Beschränkung, so richtet sich der Strafantrag gegen alle Beteiligten (RGSt 74, 188). Die Formvorschrift des § 1 5 8 " StPO bezieht sich ausschließlich auf den Strafantrag selbst, nicht auf die Vollmacht zum Strafantrag. Wie lange kann die Vollmacht der Jucunda Becher nachgebracht werden? Nach RGSt 68, 263 soll es genügen, wenn der Nachweis der zur Zeit der Antragstellung vorliegenden Bevollmächtigung bis zum Urteil erbracht wird, mag auch die Antragsfrist inzwischen bereits verstrichen sein. Dagegen muß nach der vom Kammergericht (Höchstrichterliche Rechtsprechung, Beil z. Ztschr. f. d. ges Strafrechtswissenschaft, 3,87,88) vertretenen Ansicht der angebliche Bevollmächtigte sich innerhalb der Antragsfrist legitimieren. Bei gesetzlichen Vertretern ist der Nachweis der Vertretungsmacht auch nach Ablauf der Antragsfrist zuzulassen. Falls Jucunda Becher infolge ihrer Krankheit und Abwesenheit außerstande war, innerhalb von 3 Monaten, seitdem sie von der Verletzung ihres Urheberrechts Kenntnis erlangt hat, den Strafantrag zu stellen, so kann sie den Antrag noch nachträglich stellen, sobald die Hinderungsgründe weggefallen sind, denn die Antragsfrist läuft nicht, solange der Verletzte tatsächlich oder rechtlich (z. B. wegen Geisteskrankheit) behindert ist, den Antrag zu stellen (RGSt 71, 39; BGHSt 2, 124). Der Referendar: Ich habe in erster Reihe die Zuständigkeit geprüft und komme zu dem Ergebnis, daß zwar die örtliche Zuständigkeit in München als Begehungsort nach § 7 gegeben ist, daß aber unserer Behörde die sachliche Zuständigkeit fehlt. Verletzungen des Urheber- und Verlagsrechts werden nur mit Geldstrafe bis 10000 D M und Vernichtung der widerrechtlich hergestellten Exemplare bestraft, die Ersatzfreiheitsstrafe darf 6 Monate Gefängnis nicht übersteigen (§§ 38 f. LitUG). Mithin gehört dieses Delikt zu den Vergehen, die zur Zuständigkeit des Einzelrichters gehören (§§ i n StGB, 25 Nr. 2 b G V G ) und folglich nach den bestehenden Justizverwaltungsvorschriften, die zur Ausführung des § 142 Abs. x Nr. 3 G V G erlassen worden sind (vgl. Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] Anm. 6 zu § 142 G V G ) , von der Amtsanwaltschaft zu bearbeiten und in der mündlichen Verhandlung zu vertreten sind. Ich will die Sache zuständigkeitshalber an den Leiter der Amtsanwaltschaft abgeben. Nach § 25 Nr. 2c G V G entscheidet der Einzelrichter auch über Vergehen, die mit mehr als 6 Monaten Gefängnis bedroht sind, sofern die Staatsanwaltschaft Anklage zum Einzelrichter erhebt und höchstens 1 Jahr Gefängnis zu erwarten ist. Die Justizverwaltungsvorschriften (vgl. insbes. § 2j der AV. vom 18. Dezember 1934, D J 1608) erklären nun gewisse Vergehen, bei denen dieses Strafmaß selten überschritten wird, zu Amtsanwaltssachen, darunter Diebstahl, Unterschlagung, Begünstigung, Hehlerei und Betrug bei Objekten bis 300 DM, während die übrigen zunächst an die Staatsanwaltschaft zu leiten sind, die sie in Fällen von geringerer Bedeutung an die Amtsanwaltschaft abgeben kann (§29 der AV). Der Staatsanwalt: Bei uns hat die Zuständigkeit nicht die gleiche Bedeutung wie beim Gericht. Der Aufbau der Staatsanwaltschaft ist „bürokratisch": die einzelnen Dezernenten handeln als Vertreter des Leiters der Behörde (Generalbundesanwalts, General- oder Oberstaatsanwalts bzw. Leiters der Amtsanwaltschaft), und jede Behörde kann vermöge des „Devolutionsrechts" einzelne Fälle aus der Zuständigkeit der Unterbehörden an sich ziehen (§§ 144, 145 G V G ) . Dementsprechend ist auch die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Staats- und Amtsanwaltschaft elastisch. Sachen, die an sich in die Zuständigkeit des Amtsanwalts fallen, sind ausnahmsweise von der Staatsanwaltschaft zu bearbeiten, z. B. wenn es sich um politische oder Preßdelikte

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Staatsanwalt — Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

handelt oder die Sache aus sonstigen Gründen „erheblichere Bedeutung" besitzt oder ihre Aufklärung sich „besonders schwierig" gestaltet (§ 27 der A V ) . Sogar Übertretungen können unter dieser Voraussetzung zur Staatsanwaltssache werden. Urheberoder Verlagsrechtsverletzungen gehören also regelmäßig in das Arbeitsgebiet der Staatsanwaltschaft. Was würden Sie in der Sache tun ? Referendar: Urheber- und Verlagsrechtsverletzung sind Privatklagedelikte (§374® StPO), in denen nur beim Vorliegen eines öffentlichen Interesses öffentliche Klage erhoben wird (§ 376). Nr. 286 RiStV 1953 legt gerade bei Vergehen gegen das geistige Eigentum den Staatsanwaltschaften eine sorgfältige Prüfung nahe, ob die öffentliche Klage zu erheben ist. Es ist dabei zu bedenken, daß Schriftsteller und Künstler häufig nicht die Mittel haben, um die Verletzung ihrer Rechte mittels Privatklage zu verfolgen. In unserem Fall scheidet jedoch dieser Gesichtspunkt aus, denn die kapitalkräftige Verlagsfirma wird die Sache schon verfolgen. Ich bin daher für Verweisung auf die Privatklage. L e g a l i t ä t s - und O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p : Zum Wesen des Rechtsstaats gehört die gleichmäßige Anwendung der Gesetze gegen jedermann (vgl. Art. 3 GG). Auf der anderen Seite wird durch eine Flut belangloser Strafprozesse das Ansehen der Strafrechtspflege geschädigt. Das Gesetz stellt für die Beamten der Staatsanwaltschaft das „Legalitätsprinzip" auf: sie müssen wegen aller zu ihrer Kenntnis gelangenden strafbaren Handlungen einschreiten (§ 15211 StPO) und machen sich durch wissentliche Unterlassung der Amtsbegünstigung (§346 StGB) schuldig. In einer Reihe von Fällen gilt jedoch ausnahmsweise das „Opportunitätsprinzip": 1. Ü b e r t r e t u n g e n werden nicht verfolgt, wenn die Schuld des Täters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind, es sei denn, daß ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht, worüber zunächst die Staatsanwaltschaft entscheidet. Ist bereits Klage erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung des Staatsanwalts einstellen (§ 153 1 ' 111 StPO). 2. Von Erhebung der Klage wegen eines V e r g e h e n s darf die Staatsanwaltschaft absehen, wenn „die Schuld des Täters gering ist und die Folgen der Tat unbedeutend sind", aber nur mit Zustimmung des Amtsrichters. Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Erhebung der Anklage das Gericht mit Zustimmung des Staatsanwalts jederzeit bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens die Einstellung des Verfahrens durch unanfechtbaren Beschluß aussprechen (§ 15311.111 StPO). — Für Verbrechen besteht keine entsprechende Vorschrift. Deshalb schützt der Einstellungsbeschluß den Beschuldigten nicht vor erneuter Anklage, falls sich herausstellt, daß die Tat in Wahrheit ein Verbrechen war (z. B. Meineid, während bei der Einstellung fahrlässiger Falscheid angenommen worden war). Überhaupt begründet Einstellung aus § 153111 nicht ohne weiteres den Verbrauch der materiellen Strafklage (RGSt 6j, 291; 67, 316; 7J, 121; BGH MDR 1954, 181, 400). 3. Wegen eines P r i v a t k l a g e d e l i k t s erhebt, wie wir gesehen haben, der Staatsanwalt öffentliche Klage nur beim Vorliegen eines öffentlichen Interesses. Der Verletzte hat aber nicht einmal ein absolutes Recht auf Durchführung der Privatklage, vgl. S. 841 über Einstellung belangloser Privatklagen. Nach Erhebung der öffentlichen Klage gibt es keine Verweisung auf die Privatklage mehr, während umgekehrt der Staatsanwalt jederzeit ein durch Privatklage eingeleitetes Verfahren zur öffentlichen Verfolgung übernehmen darf. § 377 11 StPO. Verfahren bei Begehung eines Privatklagedelikts durch einen Jugendlichen: unten S. 893. Die wichtigsten Privatklagedelikte sind nach § 374: Beleidigung, vorsätzliche einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), „gefährliche" Körperverletzung mittels einer Waffe, eines hinterlistigen Überfalls oder einer das Leben gefährdenden Behandlung, sowie gemeinschaftliche Körperverletzung (§ 223 a ¡nicht dagegen Mißhandlung Pflegebefohlener, § 223 b), fahrlässige Körperverletzung (§ 230), die Vergehen des Wettbewerbsrechts. Die Übertretungen des UWG — unkorrekter Ausverkauf (§§ 6,10) und Verletzung der Vorschriften über Einheitsmengen beim Verkauf von Garnen usw. (§ 11) — sind wegen ihres gewerbepolizeilichen Charakters als Offizialdelikte zu verfolgen (§ 374' StPO). 4. Absehen von der Verfolgung eines J u g e n d l i c h e n teils mit, teils ohne Zustimmung des Richters nach § 45 JGG; Einstellung des Verfahrens nach erhobener Anklage mit Zustimmung des Staatsanwalts wegen Entbehrlichkeit der Ahndung durch Urteil, wenn der Angeklagte geständig ist

Staatsanwalt — Legalitäts- und Opportunitätsprinzip

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und Auflagen oder eine Ermahnung genügen, oder im Hinblick auf bereits angeordnete Erziehungsmaßregeln oder in besonders leichten Fällen i. S. des § 153 StPO: § 47 J G G (vgl. 21. Kap.). 5. Nach einer Reihe von Vorschriften des materiellen Strafrechts (vgl. z. B. §§ 82, 89 1 1 1 , 90V, 1 2 9 1 1 1 , 1 2 9 a 1 1 , IJ8 1 , 157,158!, 1 7 5 1 1 StGB) kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen von Strafe absehen. Es spricht dann durch Urteil aus, daß der Angeklagte schuldig gesprochen, aber von Strafe abgesehen werde (§ 2ÖoIV StPO). Liegen die Voraussetzungen vor, unter denen das erkennende Gericht von Strafe durch Urteil absehen könnte, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts, das für die Hauptverhandlung zuständig wäre, von der Erhebung der Anklage absehen; ist die Anklage bereits erhoben, so kann das Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen (§ 153a StPO). 6. Nach § § 3 , 4 StGB gilt das deutsche Strafrecht auch für Taten, die ein Deutscher im Ausland begeht und — unter bestimmten Voraussetzungen — auch fiir Taten, die ein Ausländer im Ausland begeht. Um die Verfolgung solcher Auslandstaten zu erübrigen, durch die die Interessen der inländischen Strafrechtspflege nicht berührt werden, gibt § 153 b StPO der Staatsanwaltschaft die Befugnis, nach ihrem Ermessen von der Verfolgung von Auslandstaten abzusehen. Das gleiche gilt für Inlandstaten, die ein Ausländer auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug begeht. Schließlich kann auch bei erheblichen Auslandstaten von der Verfolgung abgesehen werden, wenn bereits im Ausland eine Strafe gegen den Schuldigen vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen ( § 7 StGB) nicht ins Gewicht fiele. Hat aber die Staatsanwaltschaft einmal angeklagt, so darf das Gericht nicht wegen des ausländischen Begehungsorts, sondern nur nach Maßgabe des § 1 5 3 1 1 1 StPO die Verfolgung ablehnen. 7. Bei bestimmten staatsgefährdenden und landesverräterischen Straftaten kann von der Verfolgung abgesehen werden, wenn der Täter (durch Anzeige oder Offenbarung seines Wissens) dazu beigetragen hat, Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik abzuwenden oder wenn die Strafverfolgung die Sicherheit der Bundesrepublik beeinträchtigen würde, z.B. wegen der Gefahr, daß ein Staatsgeheimnis durch das Verfahren in weiterem Umfang bekannt wird. § 153c StPO. 8. Bei Verfolgung eines Beschuldigten wegen mehrerer Delikte (auch Verbrechen) kann die Staatsanwaltschaft einzelne von ihnen von der Erhebung der öffentlichen Klage ausschließen, wenn sie auf die zu erwartende Strafe ohne Einfluß sind. Entsprechend vorläufige Einstellung durch das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn diese schon Anklage erhoben hatte. Unter Umständen wird das Verfahren wegen der vorläufig eingestellten Fälle später wieder aufgenommen. §154. 9. Um zu verhindern, daß das Strafverfahren mit seiner Offizialmaxime dazu mißbraucht wird, daß jemand ohne Kosten fiir sich selbst eine Beweiserhebung und Entscheidung über zivil- oder verwaltungsrechtliche Verhältnisse herbeiführt, kann nach § 154a StPO die Staatsanwaltschaft dem Anzeigenden eine F r i s t bestimmen, innerhalb deren er über die Vorfrage ein Urteil des Zivil- bzw. Verwaltungsrichters beizubringen hat. Nach fruchtlosem Fristablauf kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Damit ist der sonst herrschende Grundsatz durchbrochen, daß jede Behörde und jedes Gericht auch die einem anderen Rechtsgebiet angehörenden — Verwaltungsbehörden und -gerichte, Staatsanwaltschaft und Strafrichter die bürgerlich-rechtlichen, Zivilgerichte die verwaltungsrechtlichen usw. — Voraussetzungen selbständig nachprüfen muß. Die Vorschrift bildet ein Gegenstück Zur Aussetzung von Zivilprozessen bis zur Erledigung eines Strafverfahrens (§ 149 ZPO). Bringt der Anzeigende die ihm aufgegebene Entscheidung des Zivil- bzw. Verwaltungsrichters rechtzeitig bei, so sind die Strafverfolgungsbehörden ebensowenig an sie gebunden, wie im Falle des § 262 11 StPO, oder wie der Zivilrichter im Falle des § 149 ZPO an das Urteil des Strafrichters. 10. Die öffentliche Klage kann unterbleiben im Hinblick auf die A u s l i e f e r u n g des Beschuldigten an eine ausländische Regierung oder die Ausweisung eines Ausländers aus dem Bundesgebiet: § 15 4 b. 1 1 . Schließlich kann, wenn eine Nötigung oder Erpressung durch die Drohung begangen worden ist, eine Straftat zu offenbaren, die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Tat, deren Offenbarung angedroht worden ist, absehen, wenn nicht wegen der Schwere der Tat eine Sühne unerläßlich ist: § 154c. Dadurch soll ermöglicht werden, daß jemand sich eines Erpressers, der ihm mit Offenbarung einer Straftat droht, durch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft entledigt, ohne fürchten zu müssen, nun selbst wegen der früher begangenen Straftat verfolgt zu werden.

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Staatsanwalt — Zeichnungsrecht

1 2 . Bei der Verfolgung von O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n ist das Legalitätsprinzip grundsätzlich beseitigt und durch das Opportunitätsprinzip ersetzt ( § 7 des Ges über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 — B G B l I 1 7 7 —). Näheres S. 876.

Es entsteht noch die Frage, wer die Verfügung verantwortlich zeichnen soll. Die Dezernenten der Staatsanwaltschaft haben nämlich nicht (wie die Richter) alle die gleichen Befugnisse. Vielmehr sind gewisse Verfügungen von besonders großer Bedeutung z. B. Anträge auf Voruntersuchung, Anklageschriften und Einstellungsbescheide in politischen und Pressestrafsachen, Schwurgerichtsanklagen, Auslieferungssachen — dem Oberstaatsanwalt vorbehalten. Eine weitere Gruppe von Verfügungen — darunter Rechtsmittel, Wiederaufnahmesachen, Anträge auf Voruntersuchung in nichtpolitischen Sachen — darf bei kleineren Staatsanwaltschaften nur der Oberstaatsanwalt, bei größeren auch der dem Oberstaatsanwalt beigegebene „Abteilungsvorsteher" zeichnen, der in der Regel ein Erster Staatsanwalt ist. Andrerseits besitzen Assessoren zunächst überhaupt keine Zeichnungsbefugnis, sondern müssen ihre Verfügungen von einem Staatsanwalt gegenzeichnen lassen, bis sie nach praktischer Bewährung einzelne oder alle Zeichnungsbefugnisse eines Staatsanwalts erhalten. Sämtliche Dezernenten zeichnen, dem bureaukratischen Aufbau der Behörde entsprechend, „im Auftrage" des Oberstaatsanwalts, nur der Stellvertreter des Oberstaatsanwalts darf „in Vertretung" zeichnen. §§ 13 ff. der A V d. R J M vom 18. Dezember 1934 (DJ 1608) und die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, durch die z. T. die genannte A V ersetzt ist. Rechtliche Bedeutung hat diese Unterscheidung nicht, da nach § 144 G V G nach außen hin jedes Mitglied der Staatsanwaltschaft den Oberstaatsanwalt vertritt. Verfügung: „ 1 . A n Wilbrand 111 RiStV), hat aber im übrigen zu warten, bis der Untersuchungsrichter den Zweck der Voruntersuchung — die notwendigen Unterlagen für die Entscheidung zu beschaffen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte (§157) außer Verfolgung zu setzen sei — für erreicht hält und die Voruntersuchung schließt (§§ 1901, 197). Die Voruntersuchung ist zwingend vorgeschrieben in Strafsachen, die zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs oder des Oberlandesgerichts oder zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehören. Doch kann im letzteren Fall bei einfach liegendem Sachverhalt die Voruntersuchung unterbleiben (näheres § 17811 Satz 2, 3). In den zur erstinstanzlichen Zuständigkeit der (großen) Strafkammer oder Zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehörenden Strafsachen findet eine Voruntersuchung nur statt, wenn die Staatsanwaltschaft oder der Angeschuldigte (nach Erhebung der Anklage in seiner Erklärung über die Anklageschrift, § 201) sie beantragt und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint. Solche erheblichen Gründe können z. B. der Umfang oder die Schwierigkeit des Falles sein; die Entscheidung, ob erhebliche, eine Voruntersuchung erfordernde Gründe vorliegen, trifft das Gericht (§ 180). In Sachen, die zur Zuständigkeit des Einzelrichters gehören, ist eine Voruntersuchung ausgeschlossen. Der Zeitpunkt, zu dem er vom Vorverfahren zur gerichtlichen Voruntersuchung übergehen will, steht auch in den Fällen der obligatorischen Voruntersuchung im Ermessen des Staatsanwalts. Hat einmal Voruntersuchung stattgefunden, so kann das Verfahren nicht mehr mit einem staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheid abschließen, sondern es muß eine gerichtliche Entscheidung — entweder auf Eröffnung des Hauptverfahrens oder auf Außerverfolgunggsetzung — ergehen. § 198, vgl. unten S. 836. Schnellverfahren: S. 891, Strafbefehl: S. 844, Haftverfahren: S. 828. Was die sachliche Zuständigkeit anlangt, so besteht eine absolute (unveränderliche) Regelung nur für Einzelrichtersachen in den Fällen von § 251- 2 a GVG und für Schwurgerichtssachen (§ 80 GVG). Im übrigen ist die Zuständigkeit des zur Aburteilung berufenen Gerichts in gewissem Umfang verschiebbar (beweglich), indem es unter bestimmten Voraussetzungen im Ermessen der Strafverfolgungsbehörde steht, die Anklage vor diesem oder vor jenem Gericht zu erheben. So sind für Vergehen grundsätzlich die Amtsgerichte zuständig; die Staatsanwaltschaft kann aber „wegen der besonderen Bedeutung des Falles" Anklage beim Landgericht erheben (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Ebenso sind für Verbrechen, wenn nicht im Einzelfall eine höhere Strafe als zwei Jahre Zuchthaus oder der Ausspruch der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist, grundsätzlich die Amtsgerichte sachlich zuständig, aber auch hier mit der Einschränkung, daß die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Anklage beim Landgericht erheben kann (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Bei den in die Zuständigkeit des Amtsgerichts fallenden Sachen ist für die Frage, ob das Schöffengericht oder der Einzelrichter die Aburteilung zu übernehmen hat, dem Ermessen der Anklagebehörde insofern Bedeutung beigelegt, als bei Vergehen, die mit einer höheren Strafe als Gefängnis von sechs Monaten bedroht sind, und bei solchen Verbrechen, die nur wegen Rückfalls Verbrechen sind, die Staatsanwaltschaft statt vor dem Schöffengericht Anklage zum Einzelrichter erheben kann, vorausgesetzt, daß keine höhere Strafe als Gefängnis von einem Jahr zu erwarten ist (§ 25 Nr. 2c und Nr. 3). Auch bei den nach § 74a GVG in die Zuständigkeit der sog. Staatsschutzstrafkammer fallenden Sachen hat es die Strafverfolgungsbehörde (hier der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof) in der Hand, „wegen der besonderen Bedeutung des Falles" die Verfolgung zu

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Staatsanwalt — Instanzenzug

übernehmen und Anklage vor dem Bundesgerichtshof zu erheben (§ 74a Abs. 2, § 134 Abs. 2 GVG). Ferner entfällt die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs als erstinstanzlich Zuständiges Strafgericht (§ 134 Abs. 1 GVG), wenn der Generalbundesanwalt unter den Voraussetzungen des § 134a G V G das Verfahren an die Landesstaatsanwaltschaft (den Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht) abgibt, die dann Anklage vor dem Oberlandesgericht erhebt (§ 120 Abs. 1 GVG). Schließlich kann sich der Bundesgerichtshof der durch Erhebung der Anklage vor ihm begründeten Aburteilungszuständigkeit dadurch entledigen, daß er bei der Eröffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Entscheidung dem Oberlandesgericht bzw. der Staatsschutzstrafkammer überweist (§ 134a Abs. 3 GVG). Zu beachten ist, daß die in Ausübung der hiernach der Anklagebehörde eingeräumten Wahlbefugnis getroffene Wahl das angegangene Gericht nicht bindet. Vielmehr befindet das angerufene Gericht bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens auch darüber, ob die Höhe der zu erwartenden Strafe oder die besondere Bedeutung des Falles die von der Staatsanwaltschaft angenommene Zuständigkeit begründen. So kann z. B. das Landgericht, wenn die Staatsanwaltschaft vor ihm wegen eines Verbrechens Anklage in der Annahme erhoben hat, daß eine höhere Strafe als zwei Jahre Zuchthaus zu erwarten sei (§ 24 Abs. 1 Nr. 3), das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnen, wenn nach seiner Auffassung eine geringere Strafe zu erwarten ist (§ 209 Abs. 1 Satz 2 StPO) und es kann umgekehrt, wenn die Staatsanwaltschaft wegen eines Verbrechens Anklage vor dem Schöffengericht erhoben hat, weil keine höhere Strafe als 2 Jahre Zuchthaus in Betracht komme, der Amtsrichter die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorlegen, wenn nach seiner Auffassung eine die Strafgewalt des Schöffengerichts übersteigende Strafe Zu erwarten ist (§ 209 Abs. 3 StPO, § 24 Abs. 2 GVG). In gleicher Weise eröfinet die Strafkammer, wenn die Anklagebehörde die Anklage vor ihr wegen der besonderen Bedeutung des Falles erhoben hat, das Hauptverfahren nur dann antragsgemäß vor der Strafkammer, wenn sie der Beurteilung der Anklagebehörde über die besondere Bedeutung des Falles beitritt. Obwohl hiernach meist die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zuständigkeitsverschiebung und die Zuständigkeitsvoraussetzungen letztlich durch gerichtliche Entscheidung getroffen werden, sind im Schrifttum Bedenken erhoben worden, daß die Wahlmöglichkeit dem Grundsatz widerstreite, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf (vgl. Art. 101 GG, § 16 GVG). Der Meinungsstreit ist erledigt, nachdem BVerfG NJW 59, 871 die Vereinbarkeit der Zuständigkeitsregelung des G V G mit dem G G anerkannt hat. Im einzelnen gestaltet sich der Verfahrensgang und der Instanzenzug folgendermaßen: 1. in den Fällen des § 25 G V G : Ermitdungs verfahren — Entscheidung des Amtsrichters über Eröffnung des Hauptverfahrens — Hauptverfahren vor dem Einzelrichter — Berufung an die kleine Strafkammer (1 Richter, 2 Schöffen, §§ 74 1 1 , 76 1 1 ) — Revision ans Oberlandesgericht (3 Richter, §§ 121, 122 Abs. 1), 2. in den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 2, 3 (Erhebimg der Anklage vor dem Schöffengericht): entweder a) Ermittlungsverfahren — Entscheidung des Amtsrichters über Eröffnung des Hauptverfahrens — Hauptverfahren vor dem (einfachen oder erweiterten, § 29 Abs. 2 GVG) Schöffengericht — Berufung an die große Strafkammer (3 Richter, 2 Schöffen, §§ 74 1 1 , 76 1 1 ) — Revision ans Oberlandesgericht, oder b) Ermitdungs verfahren — Voruntersuchung (§ 178 Abs. 2 StPO) — Entscheidung der Beschluß-Strafkammer über Eröffnung des Hauptverfahrens (§§198, 209 StPO, §§73 Abs. 1, 76 Abs. 1 GVG) — Hauptverfahren vor dem Schöffengericht — Berufung an die große Strafkammer — Revision ans Oberlandesgericht, 3. in den Fällen der §§ 74, 74 a G V G (Erhebung der Anklage vor der [gewöhnlichen oder Staatsschutz-] Strafkammer) entweder a) Ermitdungsverfahren — Entscheidung der Beschluß-Strafkammer über Eröffnung des Hauptverfahrens — Hauptverfahren vor der großen Strafkammer — Revision an den Bundesgerichtshof (an das Oberlandesgericht, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung landesgesetzlicher Rechtsnormen gestützt wird, § 121 Abs. 1 Nr. i c G V G ) oder b) Ermitdungsverfahren — Voruntersuchung (§ 178 Abs. 2 StPO) — Entscheidung der Beschluß-Strafkammer über Eröffnung des Hauptverfahrens — Hauptverfahren vor der großen Strafkammer — Revision an den Bundesgerichtshof (an das OLG wie zu a),

Staatsanwalt — Anklageschrift

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4. in Schwurgerichtssachen: Ermittlungsverfahren — Voruntersuchung (soweit sie nicht gem. § 178 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO entfällt) — Entscheidung der Beschluß-Strafkammer über Eröffnung des Hauptverfahrens — Hauptverfahren vor dem Schwurgericht — Revision an den Bundesgerichtshof (das O L G wie zu 3 a), 5. in den zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs gehörigen Sachen (§ 134 Abs. 1, 2 G V G ) entweder a) Ermittlungsverfahren — Voruntersuchung — Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Eröffnung des Hauptverfahrens ( § 1 3 4 Abs. 3 G V G , § 198 StPO), und zwar in der Besetzung mit 5 Richtern (§ 139 Abs. 2) — Hauptverfahren vor dem Bundesgerichtshof oder kraft Uberweisung (§ 134a Abs. 3) vor dem Oberlandesgericht oder (in den Fällen des § 74a Abs. 1 , § 134 Abs. 2) vor der Staatsschutzstrafkammer. Gegen erstinstanzliche Urteile des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts gibt es kein Rechtsmittel, gegen solche der Staatsschutzstrafkammer findet Revision an den Bundesgerichtshof oder (bei Rüge der Verletzung von Landesrecht) an das O L G statt; oder b) Ermittlungsverfahren — Abgabe an den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht ( 5 1 3 4 a Abs. 1) — Voruntersuchung — Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 120 Abs. 1 Satz 3 G V G , § 198 StPO), und zwar in der Besetzung mit 5 Richtern (§ 122 Abs. 2 Satz 2) — Hauptverfahren vor dem Oberlandesgericht — kein Rechtsmittel. Dazu kommen noch die besonderen Instanzen für Jugendgerichtssachen (s. S. 912). Nach Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens kann die öffentliche Klage nicht mehr zurückgenommen werden (§ 156 StPO). Hieraus folgt die M ö g l i c h k e i t der R ü c k nahme, so lange nicht — im Falle des Antrags auf gerichtliche Voruntersuchung: diese, im Falle der Einreichung einer Anklageschrift: das Hauptverfahren — eröffnet oder der Antrag vom Gericht abgelehnt worden ist. In diesem Rahmen besitzt also die Staatsanwaltschaft das ius v a r i a n d i : sie kann einen gestellten, aber noch unerledigten Antrag auf Voruntersuchung zurücknehmen und das Ermittlungsverfahren fortsetzen, eine beim Amtsrichter zwecks Eröffnung vor dem Einzelrichter oder dem Schöffengericht eingereichte Anklageschrift zurücknehmen und die Anklageschrift der Strafkammer zwecks Eröffnung des Hauptverfahrens vor der großen Strafkammer vorlegen, vom Strafbefehlsantrag zur Anklageschrift übergehen oder umgekehrt usw. Der Angeklagte kann sich gegen die Anrufung eines niedrigeren statt des höheren Gerichts nicht wehren. Es ist aber denkbar, daß er durch Dienstaufsichtsbeschwerde an die vorgesetzte Behörde des Staatsanwalts die Zurücknahme der Anklage beim niederen, und ihre Einreichung beim höheren Gericht herbeiführt. •— In unserer Sache ergeben bereits die beschlagnahmten Schriftstücke, daß Elflein augenscheinlich verschiedene Wechsel und Barbeträge, die er für Kaldeweysche Schuhwaren empfangen hatte, für sich zurückbehalten und verwendet hat. U m die Sache für das Eröffnungsverfahren genügend aufzuklären, bedarf es nur noch einiger Zeugenvernehmungen. Diese läßt der Staatsanwalt durch Ersuchen v o n Amtsgerichten ausführen, weil eine Voruntersuchung sich nicht lohnen würde. D e r Verdacht wird durch die Vernehmungen bestätigt und die Sache ist nunmehr zur Anklageerhebung reif. N a c h dem Strafregister hat E l f lein zwei Vorstrafen, u. a. wegen Vermögensdelikts. Die Strafe für das jetzt zur Anklage kommende Delikt wird wegen des groben V e r trauensbruchs und der Höhe des angerichteten Schadens nicht niedrig ausfallen, sie wird aber nicht so erheblich sein, daß mit Rücksicht auf sie Fluchtverdacht (§ 1 1 2 1 StPO) gerechtfertigt wäre. A u c h liegt der Fall nicht so verwickelt, daß man ihn v o r die große Strafkammer bringen müßte. Deshalb wird Schöffengerichtsanklage erhoben: „Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht 7 Js 393/60.

Wiesbaden, den 5. Juni i960.

Anklageschrift. Der Schuhwarengroßhändler Günther Elflein in Wiesbaden, Dorotheengasse 18 bei Grosche' geboren am 25. Januar 1908 zu Nürnberg, Deutscher Staatsangehöriger, bestraft 1956 wegen

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Staatsanwalt — Mitteilungen in Strafsachen Körperverletzung in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch mit 300 M Geldstrafe, 1958 wegen Betruges mit 1 Monat Gefängnis, wird angeklagt: zu Wiesbaden im Jahre i960 durch eine fortgesetzte Handlung"

— für die Einheit oder Mehrheit der „Handlungen" (§§ 73, 74 StGB) kommt es entscheidend auf die Art des Vorsatzes an; danach kann der Täter, der den Entschluß zur Begehung gewisser gleichartiger Handlungen ein für alle Male gefaßt hat (Gesamtvorsatz), nur wegen einer (fortgesetzten) Handlung bestraft werden, während (meist schwerer zu bestrafende) Handlungsmehrheit vorliegt, wenn der Entschluß sich anfänglich nur auf den ersten Fall bezog und für die späteren Fälle besonders gefaßt wurde — „vorsätzlich die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfugen, mißbraucht und die ihm kraft Rechtsgeschäfts obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hatte, Nachteile zugefügt zu haben. Er hat entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung, den Erlös für Schuhwaren, die ihm von dem Schuhfabrikanten Anton Kaldewey in Mainz unter Eigentumsvorbehalt zum Weiterverkauf überlassen worden waren, nicht an Kaldewey abgeführt, sondern für sich verwendet, und durch dieselbe Handlung fremde bewegliche Sachen, die er in Besitz oder Gewahrsam hatte, und die ihm anvertraut waren, nämlich ungefähr 790 DM dem Kaldewey gehöriges Geld, sich rechtswidrig zugeeignet, Vergehen gegen §§ 266, 246, 73 StGB. Ermittlungsergebnis. Beweismittel I. Eigene Angaben des'Angeschuldigten. II. Die Schriftstücke Blatt der Akten. HI. Zeugnis: 1. des Schuhfabrikanten Anton Kaldewey in Mainz, Domstraße 16, 2. des Geschäftsreisenden Bernhard Loder in Mainz, Bismarckplatz 4, 3. der Kontoristin Frl. Irmgard Bolle in Wiesbaden, Lehmgrubenstraße 48, 4

IV. Strafregisterauszug Blatt der Akten. Es wird beantragt: das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht hier zu eröffnen. Untersuchungshaft wird nicht beantragt. An das Amtsgericht hier.

i. A.: Scharf"

Nach § 200 StPO ist grundsätzlich das Ermittlungsergebnis in die Anklageschrift aufzunehmen. Die vorstehenden Ausführungen zur tatsächlichen Seite würden übrigens auch in dieser knappen Form dem gesetzlichen Erfordernis genügen. Nur wenn Anklage beim Amtsrichter erhoben wird, kann von dem Ermittlungsergebnis abgesehen werden, doch soll nach Nr. 91 RiStV 1953 auch hier das Ermitdungsergebnis aufgenommen werden, wenn die Anklage wegen eines Verbrechens oder Vergehens erhoben wird und die Sach- oder Rechtslage Schwierigkeiten bietet. Eine wichtige Rolle spielen im Strafverfahren die Mitteilungen, die an andere Behörden oder Stellen über bestimmte Vorgänge oder Ergebnisse des Strafverfahrens, an deren Kenntnis sie interessiert sind, gemacht werden müssen (s. dazu oben S. 773). Ist der Angeschuldigte Beamter, Geisdicher, Anwalt, Atzt oder sonstige Medizinalperson, Privatlehrer, vereidigter Landmesser, Auktionator, Bücherrevisor, Schüler oder Student (um nur einige Hauptfälle zu erwähnen), so muß die vorgesetzte Dienstbehörde, Aufsichtsinstanz usw. sowohl von der Erhebung der öffentlichen Klage — Antrag auf Voruntersuchung bzw. Einreichung einer Anklageschrift — wie vom Ausgang des Verfahrens, in den meisten Fällen auch vom Hauptverhandlungstermin, der Einlegung von Rechts-

Staatsanwalt — Eröffnung des Hauptverfahrens

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mittein und anderen Vorgängen, in Kenntnis gesetzt werden. Weitere Benachrichtigungen sind in Strafsachen gegen Minderjährige, in politischen und Pressestrafsachen, in Verfahren wegen Münz-, Zoll-, Steuer- und vielen anderen Sachen vorgeschrieben. Die Mitteilungen, die vor Rechtskraft des Erkenntnisses zu machen sind, liegen regelmäßig der Strafverfolgungsbehörde und die nach der Rechtskraft zu machenden der Strafvollstreckungsbehörde ob. Damit die Erteilung der Nachricht nicht übersehen wird, erhalten die Akten Zutreffenden Falls einen farbigen Aufklebezettel: „Mitteilungen sind zu machen nach §§ an " In der Elfleinschen Sache sind keine Nachrichten erforderlich. S t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e H a n d a k t e n : Außer den Hauptakten fuhrt die Staatsanwaltschaft gemäß § 48 der Aktenordnung für die deutschen Justizbehörden vom 28. November 1934 (Amtl. Sonderveröffentl. der Deutschen Justiz Nr. 6 a) sog. Handakten. Es sind dies Akten, die stets in den Händen der Staatsanwaltschaft verbleiben und die angelegt werden, wenn die Akten des Ermittlungsverfahrens dem Gericht usw. vorgelegt oder Zur Erforschung des Sachverhalts an andere Behörden versandt werden. Sie enthalten vor allem den Entwurf der Anklageschrift, ferner alle den inneren Dienst bei der Staatsanwaltschaft betreffenden Schriftstücke (z. B. Schriftwechsel zwischen Oberund Generalstaatsanwalt über die Behandlung der Sache). Soweit sich die Handakten bei Gericht befinden (s. unten), bilden die Handakten für den Staatsanwalt die einzige Unterlage, namendich muß sich der in der Hauptverhandlung als Sitzungsvertreter auftretende Staatsanwalt aus ihnen vorbereiten, wenn er nicht zufälliger Weise zugleich ordentlicher Dezernent der Sache ist. Die Handakten führen das Aktenzeichen der Hauptsache mit dem Zusatz: „HA". E r ö f f n u n g s v e r f a h r e n . Die erhobene Anklage wird grundsätzlich dem Angeschuldigten (§ 157) durch den Vorsitzenden des Gerichts mitgeteilt, und zwar stets dem Angeschuldigten persönlich im Wege der Zustellung (RiStV 1953 Nr. 93); hat er einen Verteidiger, so wird diesem zugleich eine Abschrift der Anklage formlos übersandt (RiStV a.a.O.). Nur Anklagen, die beim Amtsrichter als Einzelrichter erhoben werden, brauchen dem Angeschuldigten nicht mitgeteilt zu werden (§ 2 0 1 1 1 1 StPO), vielmehr beschließt das Gericht ohne seine Anhörung über die Eröffnung und der Angeschuldigte erhält von der Anklageerhebung dadurch Kenntnis, daß ihm der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet oder die Eröffnung abgelehnt wird, mitzuteilen ist und zwar der Eröffnungsbeschluß spätestens mit der Ladung zum Termin (§ 203 in Verb, mit § 3 5 n , § 2 o 4 m , § 215 StPO) 1 ). Da hier Anklage vor dem Schöffengericht erhoben ist, muß dem Elflein die Anklageschrift zugestellt werden mit der Aufforderung, innerhalb bestimmter Frist seine Einwendungen gegen die Eröffnung sowie etwaige Anträge auf gerichtliche Voruntersuchung oder auf Erhebung einzelner Beweise vor der Hauptverhandlung vorzubringen. § 2 0 1 1 S. 2. Ferner ist er mit deutlichen Worten auf sein Recht hinzuweisen, in den Fällen des § 140 Abs. 1 Nr. 2 oder 5 die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen (§ 201 1 S. 3). Vor der Entscheidung über seine Anträge ist die Staatsanwaltschaft zu hören (§ 33). Der Eröffnungsrichter entscheidet nicht über Schuld oder Unschuld, sondern darüber, ob der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung „hinreichend verdächtig" erscheint (§ 203), d. h. ob die Verdachtsgründe so stark sind, daß es sich rechtfertigt, die Anklage zur Hauptverhandlung zu bringen2). Dabeihat das Eröffnungsgericht nur x ) Der z.Z. dem Bundestag vorliegende, im Jahre i960 von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der StPO und des GVG (BT = Drucksache Nr. 2037) sieht vor, daß künftig auch in amtsgerichtlichen Einzelrichtersachen die Anklageschrift dem Angeschuldigten mitzuteilen ist, um ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben, bevor über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden wird. 2 ) Nach dem in Fußnote 1) bezeichneten Entwurf soll zwar auch künftig das eröffnende Gericht sachlich prüfen, ob die Staatsanwaltschaft den Tatverdacht zu Recht bejaht hat. Der Eröflhungsbeschluß soll aber künftig nicht mehr ausführen, daß und welcher Handlungen im einzelnen der Angeschuldigte hinreichend verdächtig sei, sondern soll lediglich die Anklage der Staatsanwaltschaft— notfalls mit Änderungen — „zur Hauptverhandlung Zulassen" und bestimmen, vor welchem Gericht diese stattzufinden hat. In der Hauptverhandlung soll dann nicht mehr der Eröffnungsbeschluß (§ 243)> sondern die Anklage vom Anklagevertreter verlesen werden.

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Staatsanwalt — Hauptverfahren

nach eigener pflichtmäßiger Überzeugung zu entscheiden und ist an die Rechtsauffassung und die Anträge der Staatsanwaltschaft weder zugunsten noch zuungunsten des Angeschuldigten gebunden (§ 206). Es kann also wegen eines anderen als des in der Anklageformel bezeichneten Delikts eröffnen, kann aber auch Eröffnung beschließen, wenn seitens der Staatsanwaltschaft Außerverfolgungsetzung beantragt war (§ 208). In unserem Fall bestehen gegen die Anträge und Rechtsansichten des Staatsanwalts keine Bedenken: „Beschluß. Der Schuhwarengroßhändler Günther Elf lein in Wiesbaden, Dorotheengasse 18 bei Grosche, wird beschuldigt: zu Wiesbaden im Jahre i960 durch eine fortgesetzte Handlung (folgt die Formel der Anklageschrift mit ihren abstrakten und konkreten Merkmalen, vgl. § 207I) Vergehen gegen §§ 266, 246, 75 StGB. E r ist dieser Tat hinreichend verdächtig. A u f Antrag der Staatsanwaltschaft wird daher gegen ihn das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht in Wiesbaden eröffnet. Untersuchungshaft wird nicht angeordnet. Wiesbaden, den 18. Juni i960. Amtsgericht. Richter Amtsgerichtsrat."

Über Anordnung bzw. Fortdauer der Untersuchungshaft ist immer von Amts wegen zu beschließen (§ 207 1 1 StPO). Der Angeschuldigte, der nunmehr „Angeklagter" heißt (§ 157), hat gegen den Eröffnungsbeschluß kein Rechtsmittel. Dagegen steht dem Ankläger sofortige Beschwerde zu, falls das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen, also z. B. statt vor der Strafkammer, wie beantragt, das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet hat (§ 210). Eine von der Anklageschrift abweichende rechtliche Qualifizierung der Tat im Eröffnungsbeschluß gibt der Staatsanwaltschaft kein Beschwerderecht: es bleibt ihr dann überlassen, ihren Standpunkt in der Hauptverhandlung zu vertreten, notfalls Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. A b w e i c h u n g e n v o m n o r m a l e n E r ö f f n u n g s v e r f a h r e n : i . I m Schnellverfahren(S. 891) fällt der Eröffnungsbeschluß weg, sogar schriftliche Anklage ist nicht erforderlich. Verfahren nach vorausgegangenem amtsrichterlichen Strafbefehl und amtsrichterlicher Strafverfolgung: S. 844, Verfahren nach Strafbescheid des Finanzamtes: 854.

H a u p t v e r f a h r e n . Bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses hat der Eröffnungsrichter in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Schöffengerichts zugleich den Hauptverhandlungstermin auf den 4. Juli i960 bestimmt. Die Zustellung des Beschlusses jedoch, die Ladung des Angeklagten, der Zeugen und Sachverständigen, sowie die Herbeischaffung der als Beweismittel dienenden Gegenstände zur Hauptverhandlung werden grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft, nicht durch das Gericht, ausgeführt: Prinzip der „Reinerhaltung des richterlichen Amtes" von formalem Betrieb, §§ 36, 213, 214 StPO. Ausnahme: § 36 1 1 . Die Regelung gilt auch für die Berufungs- und Revisionsinstanz, für die Zustellung des Urteils an den abwesenden Angeklagten (§§ 3 5 1 1 , 235) oder in Verfolg einer Berufungs- oder Revisionsein-

Staatsanwalt — Strafaussetzung zur Bewährung

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legung (§§ 316 1 1 , 343 11 ) usw. Über die ähnliche Regelung des Strafvollstreckungswesens vgl. S. 802. Vermerk des Sitzungsvertreters über die Elfleinsche Hauptverhandlung in den Handakten der Staatsanwaltschaft: „Antrag:

8 Monate Gefängnis, 1000 D M Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe 100 T a g e G e f ä n g nis), keine Aussetzung zur Bewährung (Vorstrafen I)

Urteil:

6 Monate Gefängnis, 1000 D M Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe 100 T a g e Gefängnis), keine Aussetzung zur Bewährung. 4. Juli i960.

Scharf."

Wenn der Sitzungsvertreter bei der Wiedergabe seines Antrags vermerkt hat: „keine Aussetzung 2ur Bewährung", so zeigt dies, daß er bei seinem Schlußvortrag der Nr. 119 Abs. 3 RiStV 1953 Rechnung getragen hat: „Hält der Staatsanwalt eine Gefängnis- oder Einschließungsstrafe von nicht mehr als neun Monaten oder eine Haftstrafe für angemessen, so nimmt er in der Regel auch zu der Frage Stellung, ob die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung (§ 23 StGB) vorliegen. V o r allem erörtert er, ob eine Wiedereingliederung des Angeklagten in die Gemeinschaft ohne Strafvollzug aussichtsreich erscheint oder ob das öffentliche Interesse die Strafvollstreckung erfordert " Die Strafaussetzung zur Bewährung verdankt ihre Entstehung der Tatsache, daß es bei kurzfristigen Freiheitsstrafen, auf die das Gericht erkannt hat, in vielen Fällen ihrer Vollstreckung nicht bedarf, um den Strafzweck •—• Sühne des begangenen Unrechts, Einwirkung auf den Täter (Spezialprävention) und die Allgemeinheit (Generalprävention) zur Verhütung künftiger Gesetzesverstöße —• zu erreichen, daß vielmehr der spezialprävenierende Zweck besser erreicht werden kann, wenn der Täter für längere Zeit (die Bewährungszeit) durch die Drohung des Widerrufs der Aussetzung und der Vollstreckung der Strafe und darüber hinaus durch spezielle positive Einwirkungsmöglichkeiten (Auflagen) zu gesetzmäßigem Verhalten angehalten wird und die häufig mit alsbaldiger Strafvollstreckung verbundenen Nachteile (z. B. Verlust der Arbeitsstelle, Schwinden der Furcht vor dem „Gefängnis", wenn der Verurteilte erst einmal „gesessen" hat, ungünstige Beeinflussung durch Mitgefangene) vermieden werden, zumal bei kurzen Freiheitsstrafen die planmäßigen auf Resozialisierung gerichteten und ihrer Natur nach eine längere Einwirkungszeit voraussetzenden erzieherischen Bemühungen der Vollzugsorgane nicht zum Zuge kommen können. Technisch wurde die Aussetzung zur Bewährung zunächst in der Weise gehandhabt, daß die Träger des Gnadenrechts die Justizverwaltungen durch Übertragung der Ausübung des Gnadenrechts ermächtigten, unter bestimmten Voraussetzungen die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen befristet auszusetzen und nach Ablauf einer günstig verlaufenen Bewährungszeit zu erlassen. Im Laufe der Zeit wurden die Justizverwaltungen (die Justizministerien) ermächtigt, diese Gnadenbefugnisse weiter zu übertragen. V o n dieser Ermächtigung machten — etwa ab 1920 — die Landesjustizverwaltungen in der Weise Gebrauch, daß sie die Ausübung der entsprechenden Gnadenbefugnisse auf die erkennenden Gerichte übertrugen, die damit als Organe der Justizverwaltung, nicht als Organe der Rechtsprechung tätig wurden. Eine Änderung brachte die Gnadenordnung ( A V d. RJM) vom 6. Februar 193 5 (DJ 203), in der die Befugnis zur Gewährung von bedingter Strafaussetzung (kraft delegierter Gnadenzuständigkeit) einheitlich den Strafvollstreckungsbehörden (an Stelle der erkennenden Gerichte) übertragen wurde. Nach 1945 änderten die einzelnen Landesjustizverwaltungen die Vorschriften der Gnadenordnung von 1935; teils beließen sie die Befugnis zur Strafaussetzung zur Bewährung bei den Strafvollstreckungs-

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Staatsanwalt — Schwurgerichtsanklage

behörden, teils übertrugen sie sie wieder auf die Gerichte. Auch die Voraussetzungen, unter denen die hierzu ermächtigen Stellen Bewährungsfrist erteilen konnten, waren seit 1945 unterschiedlich. Dadurch erhielt die seit langem erhobene Reformforderung, das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung seines Charakters als einer auf dem Gnadenrecht beruhenden Verwaltungseinrichtung zu entkleiden und zu einem richterlichen Akt, zu einem Bestandteil der richterlichen Strafbemessung umzugestalten, neuen Auftrieb. Auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts war diese Forderung schon im J G G 1923 (§§ 10—15) verwirklicht worden (vgl. jetzt §§ 20ff., 88f., 105, noff. J G G 1953). Durch das 3. Strafrechtsänderungsges. vom 4. August 1953 (BGBl I 73 5) wurde die alte Reformforderung nunmehr auch für das Gebiet des allgemeinen Strafrechts erfüllt (vgl. §§ 23—26 StGB, §§453—454 StPO). § 23 StGB stellt bei Gefängnis- und Einschließungsstrafen von nicht mehr als 9 Monaten und bei Haftstrafen die Gewährung von Strafaussetzung zur Bewährung (und zwar für die ganze Strafe; Aussetzung nur eines Teils der Strafe ist unzulässig) in das Ermessen des erkennenden Gerichts („kann aussetzen"). § 23 Abs. 2 umschreibt die positiven Voraussetzungen für die Gewährung (Erwartung, daß der Verurteilte unter der Einwirkung der Aussetzung zukünftig ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben führen wird); § 23 Abs. 3 bestimmt, wann Strafaussetzung nicht erteilt werden darf. Von den Versagungsgründen kommt der Nr. 1 („wenn das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe erfordert") besondere Bedeutung zu; trotz günstiger Prognose (Abs. 2) ist danach die Strafaussetzung ausgeschlossen, wenn das Sühnebedürfnis oder Gründe der Generalprävention, gegebenenfalls auch die Rücksicht auf das Genugtuungsbedürfnis der Verletzten den Vorrang vor dem Interesse an Besserung und Resozialisierung des Täters beanspruchen und die Vollstreckung erheischen (vgl. Bruns GoldtArch 195 6,193 ff. [226]). Darüber hinaus wäre es verfehlt, anzunehmen, daß Strafaussetzung erteilt werden müsse, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 zu bejahen sind und die Versagungsgründe des Abs. 3 nicht vorliegen; vielmehr kann auch in solchen Fällen das Gericht nach pflichtmäßigem Ermessen die Aussetzung ablehnen, denn auch bei bestimmten nicht resozialisierungsbedürftigen Tätern besteht durchaus ein Bedürfnis für die Verhängung und Vollstreckung kurzfristiger Freiheitsstrafen (vgl. Dreher DRiZ 1956, 272). Lehnt das Gericht die Gewährung von Strafaussetzung ab, so bedarf dies keines Ausspruchs in der Urteilsformel; die Urteilsgründe müssen sich aber nach § 267 1 1 1 StPO darüber auslassen, weshalb die Aussetzung entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag nicht ausgesetzt wurde, und auch ohne Aussetzungsantrag ist die Aussetzungsfrage in den Gründen zu erörtern, wenn der Gedanke an Strafaussetzung nahe lag, weil sonst ein Schweigen der Gründe dann dahin gewertet werden kann, daß das Gericht die Möglichkeit einer Strafaussetzung übersehen habe (BGHSt 6, 168). Handakten und Terminsnotiz werden sofort dem ordentlichen Sachbearbeiter vorgelegt, der in erster Reihe zu prüfen hat, ob etwa dem Abteilungsvorsteher (S. 768) die Einlegung eines Rechtsmittels vorgeschlagen werden soll. In unserer Sache gibt die verhältnismäßig geringfügige Abweichung des Urteils vom Antrag der Staatsanwaltschaft keinen Anlaß, von sich aus ein Rechtsmittel einzulegen, denn nach Nr. 130 RiStV 1953 ist zur Nachprüfung des Strafmaßes ein Rechtsmittel im allgemeinen nur einzulegen, wenn die Strafe in einem offenbaren Mißverhältnis zur Schwere der Tat steht. Es wird also lediglich (in den Handakten) eine Frist „nach 1 Woche"

verfügt, um festzustellen, ob Elflein das Urteil angefochten hat oder ob es rechtskräftig geworden ist. Auch Elflein legt kein Rechtsmittel ein.

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Staatsanwalt — Kausalzusammenhang

Schwurgerichtsanklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Kausalzusammenhang. Durch den Erfolg qualifizierte Delikte Der Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht 7 Js 209/60.

Freiburg, den 5. Mai i960,

Anklageschrift Der Hilfsarbeiter Gustav Flohr in Waldorf bei Freiburg, Ortsgasse 8, geb. am 3. Oktober 1919 in Heilbronn, nicht bestraft, wird angeklagt zu Waldorf im Jahre i960 den zehnjährigen Schüler Edgar Hoffmann aus Waldorf vorsätzlich körperlich verletzt und dadurch fahrlässig dessen Tod verursacht zu haben. Verbrechen gegen §§ 223, 226 StGB. Ermittlungsergebnis. Am 10. März i960 befand sich der leicht angeheiterte Angeschuldigte auf dem Weg von der Gastwirtschaft „Zum goldnen Engel" in Waldorf nach seiner Wohnung. Er sprach dabei vor sich hin und stolperte von Zeit Zu Zeit über Hindernisse. Der 10 jährige Schüler Edgar Hoffmann, dadurch auf den Angeschuldigten aufmerksam geworden, folgte ihm und rief ihm Spottworte wie „Volleule", „Saufnase" nach. Darüber geriet der Angeschuldigte in Zorn, ergriff einen am Boden liegenden hühnereigroßen Stein und warf ihn nach Hoffmann, der etwa 10 m von ihm entfernt stehen geblieben war und sich zur Flucht umgewandt hatte. Der Stein traf Hoffmann am Hinterkopf und verursachte eine blutende Hautplatzwunde. Hoffmann fiel rücklings zu Boden, wobei sein Kopf mit dem Straßenschlamm in Berührung kam. Der Angeschuldigte lief in seiner Bestürzung weg. Der Junge kam bald wieder zu sich und ging nach Haus. Seine Mutter wusch ihm die Wunde und klebte ein Hansaplastpflaster drauf. Als sich aber einige Zeit danach bei Hoffmann Schüttelfrost einstellte, verbrachte man ihn Zu dem praktischen Arzt Dr. Kun^e, der eine Tetanusinjektion verabreichte und seine Einweisung in das St. Elisabethenkrankenhaus in Freiburg veranlaßte. Dort ist Edgar Hoffmann am 28. März i960 gestorben und zwar an Wundstarrkrampf, der auf die Berührung der an sich ungefährlichen Hautplatzwunde mit dem Straßenschlamm bei dem Fall am 10. März i960 zurückzuführen ist. Beweismittel: 1. Eigene Angaben des Beschuldigten. 2. Zeugnis a) der Ehefrau Hilda Hoffmann in Waldorf, Ortsgasse 8, b) des praktischen Arztes Dr. Kun%e in Waldorf, Gärtenweg 16. 3. Sachverständigengutachten des Oberarztes Prof. Dr. Brandt, Freiburg, Elisabethenkrankenhaus, Schloßstr. 16—18. Es wird beantragt: das Hauptverfahren vor dem Schwurgericht, hier zu eröffnen. An das Landgericht, Strafkammer, hier.

Der Oberstaatsanwalt Müller.

Wegen der Zuständigkeit des Schwurgerichts vgl. § 80 G V G , wegen der Eröffnungszuständigkeit der Strafkammer § 8 2 1 1 G V G . Die an sich in Schwurgerichtssachen zwingend vorgeschriebene Voruntersuchung kann entfallen, wenn der Beschuldigte durch einen Richter vernommen ist (§ 162 StPO), der Tatbestand einfach liegt und die Voruntersuchung nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft nicht erforderlich ist (§ 178 1 StPO). Wenn aber der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§ 201) auf Durchführung einer Voruntersuchung besteht, so muß seinem Antrag stattgegeben werden. Die Körperverletzung mit Todesfolge (§ 226 StGB) ist ein durch den Erfolg qualifizierter Fall der v o r s ä t z l i c h e n Körperverletzung. Bei den durch den Erfolg qualifizierten Delikten (vgl. — außer § 226 — §§ 178, 2 2 1 1 1 1 , 224, 239 1 1 . n I , 251 307 1 , 309, 312 usw.) genügt nach dem Gesetzeswortlaut, daß objektiv ein ursächlicher

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Staatsanwalt — Körperverletzung mit Todesfolge

Zusammenhang zwischen einem bestimmten v o r s ä t z l i c h herbeigeführten Erfolg und dem Qualifikationserfolg (hier: zwischen der vorsätzlichen Körperverletzung und dem Tod) besteht, ohne daß es auf ein Verschulden des Täters an dem Eintritt der schweren Folge ankäme. Um die sich daraus für den Täter ergebenden Härten zu beseitigen und den Gedanken, daß die Strafe der Schuld gerecht entsprechen müsse, durchzuführen, ist durch das 3. Strafrechtsausübungsges. vom 4. August 1953 (BGBl I 735) der § 56 StGB geschaffen worden, wonach der Täter die erschwerende Folge wenigstens fahrlässig herbeigeführt haben muß. Es ist also zur Anwendung des § 226 StGB zunächst erforderlich, daß der Angeschuldigte den Tod des Edgar Hoffmann verursacht hat. Verursachung (Kausalzusammenhang) liegt vor, wenn die Handlung des Täters in irgendeiner Weise für den konkreten Erfolg mitwirksam war. Das ist stets der Fall, wenn der Täter auch nur eine Bedingung des Erfolgs gesetzt hat, die nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfällt (die also eine conditio sine qua non des Erfolgs ist). Diese (von v. Buri entwickelte) sog. Bedingungs- oder Äquivalenztheorie (weil jede derartige Bedingung gleichwertig ist) ist die in der Praxis herrschende (vgl. z. B. RGSt 69,47; 75,50; 76, 86;BGHSt. 2,14). Danach ist also eine Handlung, die nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfällt, auch dann ursächlich für den Erfolg, wenn ohne den Hinzutritt eines weiteren Umstands der Erfolg nicht eingetreten wäre, auch wenn dieser Umstand in einem vorsätzlichen oder fahrlässigen (ggb. auch strafbaren) Verhalten des Verletzten oder eines Dritten besteht, das den Erfolgseintritt begünstigte, z. B. wenn der den vorsätzlich Verletzten behandelnde Arzt einen Kunstfehler begeht-oder wenn der Verletzte die Wunde verschmutzen läßt, eine ärztliche Behandlung ablehnt usw. Selbst dann liegt bei folgerichtiger Durchführung der Bedingungstheorie Kausalzusammenhang vor, wenn der Erfolg nur durch das Hinzutreten eines ungewöhnlichen Naturereignisses möglich war, z. B. wenn der Verletzte sich infolge der Verletzung vom Tatort nicht fortbewegen kann und bei einem plötzlich auftretenden Gewitter vom Blitz erschlagen wird (vgl. B G H St. 1,3 34). Erst dann würde der Kausalzusammenhang entfallen („unterbrochen sein"), wenn eine Ursache überhaupt nicht zur Auswirkung kommt, weil eine neue Ursachenreihe unabhängig von der Täterhandlung selbständig den Erfolg bewirkt (BGH St. 4, 362), z. B. wenn A in Tötungsabsicht dem B Gift beigebracht hat und B, noch bevor das Gift zu wirken begonnen hat, von C getötet wird (OLG Braunschweig SJZ 1949, 131). Im vorliegenden Fall kann an der Verursachung des Todes durch den Angeschuldigten kein Zweifel sein; ob etwa die Mutter ein Verschulden trifft, tyeil sie, statt ihrer unsachgemäßen Behandlung, den Jungen sofort hätte zum Arzt bringen müssen, ist ohne Bedeutung. Nach § 226 in Verbindung mit § 56 StGB wird bestraft, wenn der Vorsatz des Täters (einschließlich des bedingten Vorsatzes) nur auf die Zufügung einer Verletzung gerichtet war, der Täter aber bei Anwendung der ihm möglichen Sorgfalt und Überlegung hätte erkennen können, daß sein Tun über die Körperverletzung hinaus zum Tod des Verletzten führen könne. Der Angeschuldigte wollte nach seinen eigenen Angaben den Jungen treffen, zum mindesten war es ihm recht, wenn er getroffen würde; er hat also jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Er hat aber auch fahrlässig den Tod verursacht. Denn da er nur leicht angeheitert war, war er vernünftiger Überlegungen fähig; in einer besonders schweren unverschuldeten Zornaufwallung, die eine Bewußtseinsstörung i. S. des § 51 1 StGB zur Folge haben kann (BGH St. 3, 199), hat er nicht gehandelt. Daß eine Verletzung durch den Wurf mit einem Stein tödlich verlaufende Komplikationen infolge Verschmutzens der Wunde zur Folge haben kann, ist jedem durchschnittlich gebildeten und einsichtsfähigen Erwachsenen bekannt; schon der verschmutzte Stein konnte zu einer Infektion führen. Die Einzelheiten des Geschehensablaufes brauchen nicht voraussehbar zu sein, wenn nur allge-

Staatsanwalt — Volltrunkenheit (§ 330a)

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mein ein tödlicher Verlauf als Folge der Verletzung voraussehbar war und der tatsächliche Ablauf nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegt, daß der Täter nicht mit ihm zu rechnen brauchte (RG D J 1959, 522; B G H N J W 1952, 1184). Danach ist nicht zu beanstanden, wenn die Anklage dem Angeschuldigten Fahrlässigkeit hinsichtlich des Todes zur Last legt. Da seit der Schaffung des § 5 6 der fahrlässig herbeigeführte Tod begrifflich zum Tatbestand des § 226 gehört, besteht zwischen § 226 und § 222 (fahrlässige Tötung) nicht Tateinheit, sondern Gesetzeseinheit (BGHSt 8, 54). Hat der Angeschuldigte, indem er davonlief, als er sah, daß der Junge zusammengebrochen war, etwa den Tatbestand des § 330c StGB (Unterlassen der Hilfeleistung) verwirklicht? Diese Vorschrift setzt zunächst voraus, daß objektiv eine Hilfeleistung geboten war. Daran fehlt es aber, da der Verletzte auch ohne Hilfeleistung alsbald wieder zu sich kam und sich fortbewegen konnte ; daß ihm etwa, in der kurzen Zeit während er dalag, Gefahren durch Kraftfahrzeuge oder sonstigen Fahrverkehr gedroht hätte, scheidet aus, da es heller Tag und die Straße übersichtlich war. Aber auch bei länger andauernder Bewußtlosigkeit wäre § 330c unanwendbar gewesen. Zunächst hat sich der Angeschuldigte „in reiner Bestürzung" entfernt; es fehlte ihm daher der Vorsatz, eine als geboten erkannte Hilfeleistung zu unterlassen. Aber unabhängig davon richtet sich das Gebot der Hilfeleistung nicht an den, der vorsätzlich den Erfolg selbst herbeigeführt hat. Denn der Täter wird ja gerade dafür bestraft, daß er dies getan hat, und der Gesetzgeber kann ihm nicht zumuten, den gewollten Erfolg durch Hilfeleistung rückgängig zu machen und sich der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen, die er durch Flucht vom Tatort gerade vermeiden will (OLG Frankfurt N J W 57, 1847). Anders kann es nur bei einer über den gewollten Erfolg hinausgehenden Gefahr (BGHSt 14, 28 2) und bei fahrlässiger oder gar bei unverschuldeter Herbeiführung einer Gefahrenlage liegen, die dem Täter die Pflicht auferlegt, eine aus seinem vorgängigem Tun entstandene nahe Gefahr eines bestimmten Erfolgs abzuwenden, wenn das vorgängige Verhalten eine „natürliche Verantwortlichkeit" für die Herbeiführung der Gefahr begründet (ein Fall der sog. Garantenpflicht; vgl. Dalcke[-Schäfer] [37] i b zu § 47 StGB). Wer z.B. durch unvorsichtiges Umgehen mit einer Schußwaffe einen anderen fahrlässig verletzt, ist verpflichtet, für ärztliche Hilfe zu sorgen, damit der Verletzte sich nicht verblutet, und darf sich dieser Pflicht nicht deshalb entziehen, weil er im Zusammenhang mit der Hilfeleistung Entdeckung seiner Tat und Strafverfolgung befürchten muß. Unterläßt er vorsätzlich die Hilfeleistung und stirbt infolgedessen der Verletzte, so ist der Täter, wenn er diesen Erfolg voraussah oder billigend in Kauf nahm, wegen vorsätzlicher Tötung strafbar; § 330c ist dann als subsidiäre Vorschrift unanwendbar. Unterläßt er vorsätzlich aus Furcht vor Bestrafung die wegen Todesgefahr notwendige Hilfeleistung und wird der Verletzte später von Dritten vor dem Verbluten gerettet, so ist er aus § 330c strafbar (vgl. B G H J Z 1958, 506 und dazu Welzel J Z 1958, 494). Im Fall des § 142 StGB (Verkehrsunfallflucht) muß der an einem Verkehrsunfall Beteiligte ohne Rücksicht darauf, ob er sich dadurch der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, am Unfallsort verbleiben und eine erforderliche Hilfe leisten. BGHSt 1 1 , 137. Wie, wenn der Angeschuldigte nicht nur (in einer seine Zurechnungsfähigkeit nicht berührenden Weise) „leicht angeheitert" gewesen wäre, sondern sich in einem seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Vollrausch befunden hätte oder wenn nicht mit Sicherheit hätte festgestellt werden können, ob der Alkoholgenuß bereits zur Zurechnungsunfähigkeit geführt hatte oder noch nicht? Das schuldhafte Sichversetzen in einen Vollrausch ist nach § 330 a StGB strafbar, wenn der Trunkene den Tatbestand einer strafbaren Handlung verwirklicht und dafür gemäß § 5 1 1 nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Begehung der sog. Rauschtat ist hier eine objekj1

L u x , Schulung j . A u f l . (Schäfer)

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Staatsanwalt — Vollstreckungsbehörde

tive Bedingung der Strafbarkeit (vgl. S. 843,888) dafür, daß der Täter bestraft wird, weil er sich schuldhaft in einen gefährlichen Zustand versetzt hat. Um aber den durch § 330 a 1 1 bgrenzten Strafrahmen nicht zu überschreiten und innerhalb des zulässigen Strafrahmens die angemessene Strafe finden zu können, genügt nicht die obj ektive Feststellung, daß Edgar Hoffmann durch einen vom Angeschuldigten geworfenen Stein getroffen wurde und an den Folgen verstarb, denn das würde z. B. keine Klarheit schaffen, ob nicht der Angeschuldigte, ohne zu zielen, den Stein irgendwohin geworfen und, ohne es zu wollen, den Jungen getroffen hat. Es bedarf vielmehr auch bei der Rauschtat einer Feststellung dessen, was der Täter mit „natürlichem" Vorsatz gewollt und infolge „natürlicher" Fahrlässigkeit verursacht hat. Bleibt trotz erforderlicher und möglicher Bemühungen ungewiß, ob die Zurechnungsfähigkeit des Täters schon ausgeschlossen war oder noch nicht, so ist § 330 a anzuwenden (so mit Recht B G H N J W 1957, 71 in Abkehr von der früheren, durchaus unbefriedigenden Rechtsprechung, wonach eine Verurteilung aus § 330 a eine positive Feststellung der Zurechnungsunfähigkeit erforderte, während ein Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit zum Freispruch aus § 5 1 1 führte). Strafvollstreckung. Begnadigung „Amtsgericht.

Wiesbaden, den 12. Juli i960.

An den Herrn Oberstaatsanwalt hier. In der S trafsache gegen Elf lein werden, nachdem das Urteil des Schöffengerichts vom 4. Juli i960 am 12. Juli i960 rechtskräftig geworden ist, anbei die Akten nebst beglaubigter Abschrift der Urteilsfo rmel zur weiteren Veranlassung gemäß § 4 5 1 1 StPO übersandt. Richter Amtsgerichtsrat." „Beglaubigte Abschrift. Geschäftsnummer: (11) 7 M 1 / 1 0 8 / 6 0 . Strafsache gegen den Schuhwarengroßhändler Günther Elf lein in Wiesbaden, geboren am 25. Januar 1908 zu Nürnberg, wegen Untreue und Unterschlagung. Das Schöffengericht in Wiesbaden hat am 4. Juli i960 für Recht erkannt: Der Angeklagte wird wegen fortgesetzter Untreue in Tateinheit mit Unterschlagung zu sechs Monaten Gefängnis und 1000 D M (i. W.) Geldstrafe verurteilt. An Stelle der Geldstrafe treten im Falle der Nichtbeitreibbarkeit weitere hundert Tage Gefängnis. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last. Die vorstehende Abschrift der Urteilsformel wird beglaubigt. Das Urteil ist vollstreckbar. Wiesbaden, den 12. Juli i960. (Siegel)

Urkund Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle."

Strafurteile dürfen erst nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden (§ 449), eine vorläufige Vollstreckbarkeit gibt es in Strafsachen nicht. Die Vollstreckung geschieht durch die sog. „ V o l l s t r e c k u n g s b e h ö r d e " auf Grund einer von der Geschäftsstelle des erkennenden Gerichts erteilten, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit, d. h. der Rechtskraft, versehenen beglaubigten Abschrift der Urteilsformel (§ 451 1 ). Vollstreckungsbehörde ist nach §§ 4, 5 der von den Landes Justizverwaltungen und dem Bundesjustizminister vereinbarten Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) vom 15. Februar 1956,5 4 5 1 1 . 1 1 1 StPO und § 82 J G G a) der Oberstaatsanwalt beim Landgericht, soweit nichts anderes bestimmt ist;

Staatsanwalt— Strafvollstreckung; Rechtspfleger

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b) der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht, wenn dieses im ersten Rechtszug entschieden hat; c) der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, wenn dieser im ersten Rechtszug entschieden hat; d) der Amtsrichter in den Sachen, in denen er im ersten Rechtszug als Einzelrichter entscheiden hat, jedoch nicht in solchen Sachen, in denen a) der Verurteilte oder ein Mitverurteilter Soldat ist, b) gegen den Verurteilten oder einen Mitverurteilten Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen verhängt worden sind, die einzeln oder insgesamt drei Monate übersteigen oder c), in denen eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel die Sicherung und Besserung angeordnet worden ist. e) der Jugendrichter im Verfahren gegen Jugendliche und in dem gegen Heranwachsende insoweit, als der Richter Jugendstrafrecht angewendet und nach dem J G G zulässige Maßnahmen oder Jugendstrafe verhängt hat (§§ 82fF., 1 1 0 J G G ) . Anstelle der Bezeichnung „Vollstreckungsbehörde" verwendet das J G G den Ausdruck „Vollstreckungsleiter". Der Jugendrichter ist unmittelbar durch das Gesetz zur Vollstreckungsbehörde bestellt. Er ist in dieser Eigenschaft grundsätzlich (weisungsgebundenes) Justizverwaltungsorgan (Dallinger-Lackner Vorbem. 10 vor § 82 J G G ) ; soweit er aber im Vollstreckungsverfahren gewisse Entscheidungen (wie insbes. die Entlassung zur Bewährung während der Vollstreckung einer Jugendstrafe) zu treffen hat, die das J G G ausdrücklich als jugendrichterliche Entscheidungen bezeichnet, handelt der Vollstreckungsleiter in richterlicher Unabhängigkeit (§83 J G G ) . Dagegen wird der Amtsrichter bei Vollstreckung seiner Urteile nur kraft landesrechtlicher Übertragung, die einheitlich für das Bundesgebiet in § 5 StVollstrO erfolgt ist, tätig. Er hat die Rolle eines Organs der Justizverwaltung, genau so wie sonst der Staatsanwalt, denn materiell gehört die Strafvollstreckung zur Justizverwaltung. Daraus folgt, daß er in dieser Eigenschaft an Weisungen der vorgesetzten Stellen gebunden ist und daß Beschwerden gegen seine Verfügungen im Aufsichtswege zu erledigen sind (RGSt 21, 424; 31, 76; 63, 168; Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] 4a zu § 451); § 5 Abs. 1 StVollstrO spricht dies ausdrücklich aus. Zu unterscheiden ist dabei zwischen S t r a f v o l l s t r e c k u n g und S t r a f v o l l z u g . Der Vollzug besteht in der Verwirklichung des dem Verurteilten im Urteil auferlegten Strafübels, also z. B. bei der Verhängung einer Gefängnisstrafe in der Verwahrung in einem Gefängnis, in der Ausführung der dem Gefangenen nach den Vollzugs vorschriften obliegenden Arbeiten usw. Die Strafvollstreckung aber, die den Vollstreckungsbehörden zugewiesen ist, besteht darin, den Vollzug herbeizuführen (durch Ladung zum Strafantritt und dessen Erzwingung), die Strafzeit zu berechnen, die Innehaltung der Vollzugsdauer zu überwachen, eine Aussetzung des Vollzugs anzuordnen usw. Diese Aufgaben obliegen der Vollstreckungsbehörde kraft Gesetzes. Nicht auf gesetzlichen Vorschriften, sondern auf Weisungen der Justizverwaltung und auf einer Ermächtigung durch die zur Ausübung des Gnadenrechts zuständigen Stellen beruht es, wenn in den landesrechdichen Gnadenordnungen (vgl. S. 808) den Strafvollstreckungsbehörden die Mitwirkung bei der Prüfung und Bescheidung von Gnadengesuchen aufgetragen ist, z. B. in der Weise, daß sie bei Gnadengesuchen die Stellungnahme von Gericht und Vollzugsanstalt einzuholen und nach Vornahme eigner Ermittlungen das Gesuch mit eigner Stellungnahme an den Justizminister zur Entscheidung weiterzuleiten haben oder daß sie ermächtigt sind, bei allseitig ablehnender Stellungnahme ein Gnadengesuch namens des Justizministers abzulehnen. Dabei ist aber daraufhinzuweisen, daß heute, nachdem durch das Ges. vom 4. August 195 3 die 51*

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Staatsanwalt — Mitteilungen zum Strafregister

Strafaussetzung zur Bewährung bei kurzen Freiheitsstrafen und die bedingte Entlassung bei Reststrafen nach Yerbüßung von 2 / 3 der Strafe (§26 StGB) den erkennenden Gerichten als richterliche Aufgabe übertragen ist, für eine Betätigung der Gnade nur Raum bleibt, wo im Einzelfall ausnahmsweise aus besonderen Gründen eine weitergehende Vergünstigung erstrebt wird. Die Geschäfte der Strafvollstreckung werden — mit gewissen Ausnahmen — anstelle des Staatsanwalts oder Amtsrichters (als Vollstreckungsbehörde) vom R e c h t s p f l e g e r (Justizinspektor,-Oberinspektor, -amtmann) wahrgenommen. Die Möglichkeit der Übertragung dieser Geschäfte auf Rechtspfleger ist in Art. V I § 1 Ziff. III des Entlastungsges. vom 1 1 . März 1921 (RGBl S. 229) 1 ) vorgesehen und die Übertragung durch die Landesjustiz Verwaltungen für das Bundesgebiet einheitlich in § 10 StVollstrO ausgesprochen. Der Staatsanwalt (Amtsrichter) kann dabei dem Rechtspfleger Weisungen erteilen; er entscheidet auch bei Einwendungen gegen Maßnahmen des Rechtspflegers. Ausgenommen von dieser Übertragung sind die im Vollstreckungsstadium dem Gericht (als richterliche Maßnahme) zustehenden Entscheidungen (z.B. nach §§458ff.) und gewisse Entscheidungen, die die Vollstrekkungsbehörde zu treffen hat, die aber von besonders einschneidender Bedeutung sind ( § 1 1 StVollstrO). Schließlich hat in einer Reihe von Fällen der Rechtsfleger die ihm übertragenen Sachen dem Staatsanwalt (Amtsrichter) v o r z u l e g e n , z.B. wenn er von dessen ihm bekannter Auffassung abweichen will, wenn sich rechtliche Schwierigkeiten oder Bedenken gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung ergeben u.a.m. (§ 12 StVollstrO); dem Staatsanwalt (Amtsrichter) ist es in solchen Fällen überlassen, selbst über die erforderlichen Maßnahmen zu entscheiden oder den Rechtspfleger mit Weisungen zu versehen. Die Sache geht also vorliegend an den Rechtspfleger. Dieser stellt aus dem nach § 22 StVollstrO für jeden Gerichtsbezirk aufgestellten S t r a f v o l l s t r e c k u n g s p l a n fest, in welchem Gefängnis Elflein mit Rücksicht auf sein Alter, Geschlecht und Strafdauer die Strafe verbüßen muß. Alsdann verfügt er: „ 1 . Rechtskräftig."

Die Strafvollstreckungsbehörde darf sich nicht ohne weiteres auf die Rechtskraftbescheinigung des Gerichts verlassen, sondern hat die Rechtskraft selbständig nachzuprüfen. „ 2 . Zählkarte."

Diese Einrichtung dient zur Aufstellung der Bundeskriminalstistik, die (als Reichskriminalstatistik) i. J . 1881 durch Bundesratsbestimmungen (vgl. A V d. P r J M vom 21. Dezember 1881, PrJMBl S. 329) ins Leben gerufen worden ist. „ 3 . Strafregisternachricht. 4. Nachricht dem Polizeipräsidium, hier."

Alle in gerichtlichen Urteilen, Strafbefehlen und Strafverfügungen, FinanzamtsStrafbescheiden und -Unterwerfungsverhandlungen ausgesprochenen kriminellen Strafen, Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Sicherung und Besserung sind registerpflichtig, ausgenommen a) Geldstrafen wegen Ü b e r t r e t u n g , jedoch kommen Geldstrafen aus § 361 StGB ins Register; Haftstrafen sind stets registerpflichtig, b) Geldstrafen wegen gewisser leichter Steuervergehen ( § 4 1 3 R A b g O usw.). Diese Vorschrift ist durch das Rechtspflegergesetz vom 8. Februar 1957 (BGBl. I 18), das die Tätigkeit des Rechtspflegers im Zivilprozeß und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit regelt, nicht berührt worden (vgl. § 3 5 1 Nr. 1 aaO).

Staatsanwalt — Vollstreckung von Geldstrafen

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Zwischen öffentlicher und Privatklage besteht hinsichtlich der Eintragung ins Strafregister kein Unterschied. Strafregisterbehörde ist die Staatsanwaltschaft beim Landgericht des Geburtsorts, für Personen, die im Ausland, in den der deutschen Verwaltung gegenwärtig entzogenen Reichsgebieten (z. B. in Stettin) oder in der D D R geboren sind, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Bundesstrafregister, das in Berlin geführt wird). §§ i, 2 StRegVO (unten S. 813). N i c h t k r i m i n e l l e Strafen, wieinsbes. das Bußgeld nach dem Ges über Ordnungswidrigkeiten vom 28. März 1952 (BGBl 1 1 7 7 ) — vgl. S. 873 —, ferner Ungebühr- und Erzwingungsstrafen (§178 G V G , §§51, 70,77 StPO) werden nicht in das Strafregister eingetragen. Das gleiche gilt für die nichtkriminellen Reaktionsmittel des Jugendstrafrechts — Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel —; diese werden indessen in einer „gerichtlichen Erziehungskartei" vermerkt (s. S. 913). Die Mitteilungen an die Polizei sind durch die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (oben S. 773) vorgeschrieben. Sie bilden die Grundlage der von der Polizei geführten Führungslisten, mit Hilfe derer die polizeilichen Führungszeugnisse ausgestellt werden. „5. Aufforderung an Elflein, bis zum 28. Juli i960 die Strafe in der Strafanstalt hier, Kletschkaustraße, anzutreten. 6. Ersuchen an die Strafanstalt hier, Kletschkaustraße, um Vollstreckung von 6 Monaten Gefängnis."

Die Einzelheiten über die Ladung zum Strafantritt und über die Einweisung in die zuständige Vollzugsanstalt durch ein „Aufnahmeersuchen" enthalten die §§ 27, 29 StVollstrO. Mit dem Aufnahmeersuchen erhält die Vollzugsanstalt eine vollständige Abschrift des Urteils sowie ein Verzeichnis der Vorstrafen ( § 3 1 StVollstrO). Freiheitsstrafen werden grundsätzlich nach ihrer ganzen Dauer in einem Zug (ohne Unterbrechung) vollzogen. Eine Ausnahme gilt bei Freiheitsstrafen von nicht mehr als 2 Wochen; sie können auf Antrag des Verurteilten, in geeigneten Fällen auch von Amts wegen zur Abwendung besonderer Nachteile in Form des Wochenendvollzugs vollstreckt werden, d. h. die Strafe wird jeweils von spätestens Samstagnachmittag um 15 Uhr bis Montag früh um 7 Uhr (übers Wochenende) vollzogen und es gelten jeweils 2 Tage als verbüßt (§32 StVollstrO). „7. Geldstrafe und Kosten erfordern. Frist: 2 Wochen."

Nach § 463 StPO wird eine G e l d s t r a f e nach den Vorschriften vollstreckt, die für die Vollstreckung von Urteilen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gelten, also nach den Vorschriften der ZPO. Diese gelten aber nur sinngemäß; sie sind unanwendbar, soweit sie mit den Vollstreckungsvorschriften der StPO nach Wortlaut oder Sinn unvereinbar sind. Aus § 4 5 1 StPO, wonach die Strafvollstreckung auf Grund einer mit Vollstreckbarkeitsbescheinigung versehenen beglaubigten Abschrift der Urteilsformel erfolgt, ist mit der h. M. zu entnehmen, daß die Zustellung einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen Ausfertigung des Strafurteils nicht Voraussetzung des Beginns der Vollstreckung ist (AV d. R J M vom 6. November 1937, D J 1760). Ergänzende Verwaltungsvorschriften enthalten § 48 StVollstrO und die von den Justizverwaltungen der Länder und des Bundes vereinbarte „Anordnung über die Einforderung und Beitreibung von Vermögensstrafen und Verfahrenskosten" vom 15. Februar 1956. Die Beitreibung der dem Verurteilten auferlegten Verfahrenskosten (§§ 4Ö4f. StPO), die in die gesetzlichen Gebühren (§§ 67fr. G K G ) und die baren Auslagen (§§ 91fr. G K G ) zerfallen, erfolgt nach der vorerwähnten Anordnung vom 15. Februar 1956 in Verb, mit der Justizbeitreibungsanordnung

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Staatsanwalt — Begnadigung

i.d.F. vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 898). Danach werden die Verfahrenskosten grundsätzlich gleichzeitig mit der Vermögensstrafe von der Vollstreckungsbehörde eingefordert und beigetrieben; wird diese Verbindung von Strafe und Kosten gelöst, so geht die Beitreibung der Kosten auf die Gerichtskasse über (§§ 1, 12, i6f. der Anordnung vom 15. Februar 1956). Der Rechtspfleger ordnet also zunächst die Einforderung von Strafe und Kosten an; die Zahlungsfrist beträgt grundsätzlich eine Woche (§§ 4ff. der Anordnung). Nach fruchtlosem Ablauf der Frist bestimmt die Vollstreckungsbehörde, welche Vollstreckungsmaßregeln ergriffen werden sollen (§§ 4, 8 Abs. 1 der Anordnung vom 15. Februar 1956). Die Ersatzfreiheitsstrafe kann grundsätzlich erst vollstreckt werden, wenn ein Versuch, die Geldstrafe beizutreiben, erfolglos geblieben ist; ein Beitreibungsversuch kann aber unterbleiben, wenn seine Erfolglosigkeit bei einer Vollstreckung in das bewegliche Vermögen mit Sicherheit vorauszusehen ist (§§ 28a, 29 StGB). Im allgemeinen wird also zunächst die Vollstreckung in bewegliche Sachen des Verurteilten in Betracht kommen; die Vollstreckungsbehörde erteilt dann dem Vollstreckungsbeamten (Gerichtsvollzieher, Vollziehungsbeamten) einen Vollstrekkungsauftrag (§10 der Anordnung). Bleibt dieser erfolglos, so kann die Zwangsvollstreckung in Forderungen (z. B. Arbeitslohn) und andere Vermögensrechte durch Stellung der nach §§ 828 ff. ZPO erforderlichen Anträge in Betracht kommen. Immobiliarzwangsvollstreckung (durch Antrag auf Einleitung eines Zwangsversteigerungsoder Zwangsverwaltungsverfahrens) ist nur zulässig, wenn ein Erfolg zu erwarten und das Vollstreckungsziel anders nicht erreicht werden kann (§8 Abs. 6 der Anordnung). Kann die Geldstrafe ohne Verschulden des Verurteilten nicht eingebracht werden, so kann nach § 29 Abs. 6 StGB das Gericht anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzstrafe unterbleibt; geschieht dies nicht, so betreibt nunmehr die Vollstrekkungsbehörde die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe (aber nur wegen der Geldstrafe; bei uneinbringlichen Kosten gibt es keine Ersatzvollstreckung). K o s t e n in S t r a f s a c h e n : Bei rechtskräftiger Verurteilung wird eine Gerichtsgebühr erhoben, die bei Geldstrafen von bis zu 50 D M 5 D M , bis zu 100 D M 10 D M und bei höheren Strafen 1 0 % der erkannten Summe (höchstens 20000 D M und nicht über den Betrag der erkannten Strafe hinaus) beträgt, bei Freiheitsstrafe je nach der Dauer von 20 bis 500 D M abgestuft ist. Die Gebühr entsteht für jeden Rechtszug mit materieller Hauptverhandlung besonders. §§ 70, 72 G K G . Diese Gebühr Zusammen mit den Auslagen — Zu denen die oft sehr hohen Kosten der Zeugen und Sachverständigen gehören — bilden den Inhalt der im Verurteilungsfall den Angeklagten treffenden Kostenlast. Bei Freisprechung und Einstellung fehlt es an einem eigentlichen Kostenschuldner. Da nun das Urteil in jedem Falle eine Kostenentscheidung enthalten muß (§ 464 1 StPO), ergibt sich die übliche Formel, daß die Staatskasse die Kosten zu tragen habe (vgl. z.B. unten S. 844). Ohne rechtskräftige Verurteilung werden Kosten im Verfahren auf öffentliche Klage nur ganz ausnahmsweise erhoben, z.B. im Verfahren nach §§ I72f. (oben S. 783) und bei Antragsrücknahme (unten S. 871). Vgl. dazu §§ 74, 75 G K G . Durch Privatklage entstehen immer Kosten (§§ 76f.). Zahlt Elflein von der an Strafe und Kosten von ihm erforderten Summe nur einen Teil, so würde nach dem Prinzip des § 367 B G B der geleistete Betrag in erster Reihe auf die Kosten anzurechnen sein. § 7 StVollstrO in Verb, mit § 3 5 der Justizkassenordnung bestimmt jedoch humaner Weise, daß gezahlte oder beigetriebene Teilleistungen in Strafsachen zunächst auf die Geldstrafe verrechnet werden. Denn die Kosten können lediglich mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden, während bei Nichtbezahlung von Geldstrafen die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe eintritt. Deshalb suchen übrigens die Verurteilten die ihnen auferlegte Geldstrafe, wenn irgend möglich, aufzubringen, während sie es wegen der Kosten ruhig zur fruchtlosen Vollstreckung kommen lassen. Das Schicksal der Kostenforderung teilen gewöhnlich Geldbeträge, auf deren Einziehung in gewissen Fällen erkannt wird, ohne daß eine Ersatzfreiheitsstrafe in Betracht kommt, z. B. Bestechungssummen und Schmiergelder (§§ 335 StGB, 1 2 1 1 1 U W G ) .

8. Bei Verurteilung von Beamten, Anwälten usw. sind weiterhin die S. 773 erwähnten Benachrichtigungen zu erlassen.

Staatsanwalt — Gnadenwesen

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„9. Am 30. Juli." Bei der Wiedervorlegung kontrolliert der Rechtspfleger gemäß Ziff. 5 und 7 der Verfügung den Strafantritt und die Zahlung von Geldstrafe und Kosten. — Wenige T a g e v o r Ablauf der ihm zum Strafantritt bestimmten Frist reicht Elflein ein Gesuch ein, in welchem er gegen die Strafantritts- und Zahlungsaufforderung Vorstellungen erhebt: „Kaldewey hat jetzt seine Restforderung, teils in Wechseln, teils bar erhalten, ist also nicht geschädigt. Ich bleibe nach wie vor dabei, daß ich den zwischen uns geschlossenen Vertrag genau befolgt habe, abgesehen von der durch den Einbruch hervorgerufenen zeitweiligen Zahlungsstockung, an der mich keine Schuld trifft. Sollte ich gleichwohl schuldig sein, so habe ich doch bloß aus Unerfahrenheit und Not gefehlt, was am besten daraus hervorgeht, daß ich mich mit allen Kräften bemüht habe, den Schaden Kaldeweys wieder gut zu machen. Die Vollstreckung der gegen mich erkannten Gefängnisstrafe würde mir gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt schweren gesundheitlichen Schaden bringen, da ich ausweislich des beiliegenden Attestes des Dr. med. Unblutig in Wiesbaden an Nierenentzündung leide, die sich mit Gewißheit im Gefängnis verschlimmern würde. Außerdem habe ich, wie die beiliegenden Briefe beweisen, Aussicht auf eine festbezahlte Anstellung als Reisender für Pirmasenser Schuhfabriken, wobei aber Voraussetzung ist, daß ich die Stellung spätestens Mitte August antreten kann, damit die Firma während der vereinbarten vierwöchigen Probezeit bis zutn Einsetzen des eigentlichen Wintergeschäfts feststellt, ob sie mit meinen Verkaufsergebnissen zufrieden ist und mich dauernd behalten will. Falls ich die Stellung erhalte, hoffe ich in geordnete Verhältnisse zu kommen und in der Lage zu sein, die Geldstrafe nach und nach abzuzahlen. Ich bitte deshalb: a) in erster Reihe: die gegen mich verhängte Strafe im Gnadenwege zu erlassen, b) in zweiter Reihe: mir Aufschub der Vollstreckung der Gefängnisstrafe, möglichst mit Bewährungsfrist und mit Aussicht auf spätere Begnadigung, zuzubilligen, c) wegen der Geldstrafe: anzuordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt, oder mir wenigstens geräumige Ratenzahlungen zur Abtragung der Strafe zu gewähren, d) in jedem Falle aber bis zur endgültigen Entscheidung die Strafvollstreckung auszusetzen. Soweit die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung nicht zuständig sein sollte, bitte ich dieses Gesuch an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Gunther Elf lein." A u f welchen Wegen kann der Erlaß oder zeitweilige Aussetzung rechtskräftig erkannter Strafen herbeigeführt werden? 1. Amnestie (Straffreiheit) ist die g e n e r e l l e Begnadigung, d. h. die Begnadigung einer Vielzahl von Personen nach bestimmten Merkmalen ohne Rücksicht auf die individuelle Gnadenwürdigkeit. Sie kann bestehen in der N i e d e r s c h l a g u n g , d. h. in der Anordnung, daß wegen einer Straftat eine Strafverfolgung nicht eingeleitet oder ein anhängiges Verfahren nicht fortgesetzt werden darf, und in der B e g n a d i g u n g n a c h r e c h t s k r ä f t i g e r A b u r t e i l u n g , d. h. in der Anordnung, daß die erkannte Strafe ganz oder teilweise erlassen, in eine mildere Strafart umgewandelt oder die Strafvollstreckung auf Zeit ausgesetzt wird. Amnestien bedürfen stets eines Gesetzes. Obwohl das Begnadigungsrecht dem Bund nur insoweit zusteht, als Gerichte des Bundes im ersten Rechtszug zur Aburteilung zuständig sind oder rechtskräftig abgeurteilt haben (vgl. auch § 452 StPO), ist anerkannt, daß Bundesamnestiegesetze auch solche Straftaten umfassen können, die von Gerichten der Länder im ersten Rechtszug abzuurteilen wären oder abgeurteilt worden sind (vgl. B V e r f G vom 22. April 1953, N J W 1953, 777 = B G B l 1954 I 292). Dem einzelnen Land steht das Recht zum Erlaß eines Straffreiheitsgesetzes in denjenigen Sachen zu, in denen die Gerichte dieses Landes im 1. Rechtszug zur Aburteilung berufen sind oder geurteilt haben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Zuwiderhandlungen gegen Bundes- oder gegen Landes-

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Staatsanwalt — Strafausstand

strafgesetze handelt. Näheres Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] Yorbem. 9 ff. vor §12 GVG. 2. Zur Gewährung von Gnadenerweisen im Einzelfall (Einzelgnadenerweis) ist in Strafsachen die Zuständigkeit des Bundes auf die Sachen beschränkt, die im 1. Rechtszug der Bundesgerichtshof abgeurteilt hat oder in denen eine Bundesbehörde rechtskräftig eine Kriminalstrafe durch Strafbescheid festgesetzt hat; im übrigen liegt die Gnadenzuständigkeit bei dem Land, dessen Gerichte erstinstanzlich zuständig sind oder geurteilt haben, auch wenn (auf Revision) letztinstanzlich der Bundesgerichtshof entschieden hat. Das Recht zur Begnadigung bei rechtskräftigen Strafen steht im Bund dem Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 2 G G ; vgl. dazu die Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes vom 10. Dezember 1952, B G B l I 790), in den Ländern den nach Landesverfassungsrecht zuständigen Stellen zu. Die Niederschlagung im Einzelfall ist nur zulässig, wo sie ausdrücklich durch Gesetz zugelassen ist; im Bund und in den meisten Ländern ist sie ausgeschlossen. Bei rechtskräftig erkannten Strafen kann die Begnadigung im vollständigen oder teilweisen Erlaß, in der Umwandlung in eine mildere Strafart und in der Aussetzung der Strafvollstreckung auf Zeit bestehen und sich auf die Hauptstrafen, die Nebenstrafen und Nebenfolgen, ausnahmsweise auch auf Maßregeln der Sicherung und Besserung und auf die Verfahrenskosten erstrecken. Die Einzelheiten über das Verfahren in Gnadensachen ergeben sich aus der Gnadenordnung (AV d. R J M ) vom 6. Februar 1935 (DJ 203), die z.T. in den Ländern mit gewissen Änderungen als landesrechtliche Justizverwaltungsvorschrift angewendet wird, z. T. auch durch neue Gnadenordnungen der Länder, die auf der GnadenO vom 6. Februar 1935 aufbauen, ersetzt ist (vgl. Dalcke [ = Schäfer] 37. Aufl. S. i782f.). Neben der gerichtlichen S t r a f a u s s e t z u n g z u r B e w ä h r u n g und der bedingten Entlassung (§§ 23 ff. StGB, §§ 20ff., 88ff. 1 0 5 , 1 1 0 J G G ) besteht auch die Möglichkeit — aber nur aus besonderen Gründen des Einzelfalls —, im Wege der Gnade die Vollstreckung der ganzen Strafe oder eines Strafrestes nach Teilverbüßung auf BeBewährung auszusetzen (vgl. S. 797). 3. Strafaussetzung (Strafausstand) ist die v o r ü b e r g e h e n d e Hinausschiebung des Beginns des Strafvollzuges ( S t r a f a u f s c h u b ) oder die vorübergehende U n t e r b r e c h u n g eines begonnenen Strafvollzugs, die nicht zur Bewährung, sondern aus anderen Gründen erfolgt. Ein solcher Strafausstand kann als Vollstreckungsmaßnahme auf Grund gesetzlicher Vorschriften durch die Vollstreckungsbehörde (ausnahmsweise das Gericht) oder als Gnadenmaßnahme durch die Gnadenbehörde — in der Regel die Vollstreckungsbehörde kraft übertragener Gnadenzuständigkeit — gewährt werden. Strafausstand auf Grund gesetzlicher Vorschriften ist namentlich in § 28 StGB und in §§ 47 Abs. 2, 360 Abs. 2, 455, 456 bis 456c, 458 Abs. 3 StPO vorgesehen. Ein nicht durch besondere gesetzliche Vorschrift zugelassener Strafausstand ist nur in Ausübung des Begnadigungsrechts möglich. Von den gesetzlichen Strafausstandsgründen sind die in §§455, 456 StPO geregelten die am meisten angewendeten. Nach § 45 5 1 1 StPO muß die Vollstreckungsbehörde Strafaufschub gewähren, wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt oder wenn er an einer anderen Krankheit leidet und von dem Strafvollzug eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist; nach § 4 5 6 m kann (nach pflichtmäßigem Ermessen) die Strafvollstreckung auch dann aufgeschoben werden, wenn der Verurteilte sich in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist. Ferner kann (nach Ermessen der Vollstreckungsbehörde) die Vollstreckung auf Antrag des Verurteilten auf die Dauer von

Staatsanwalt — Verfahren in Gnadensachen

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höchstens 4 Monaten aufgeschoben werden, wenn durch die sofortige Vollstreckung dem Verurteilten oder seiner Familie erhebliche außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile erwachsen würden (§456 StPO). Lehnt in diesen Fällen die Vollstreckungsbehörde die Gewährung von Strafausstand ab, so kann nach § 45 8 StPO die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts (d. i. nach § 462 StPO das Gericht des 1. Rechtszuges) angerufen werden. Unterbrechung des Strafvollzugs als Strafvollstreckungsmaßnahme kommt in Betracht, wenn der Verurteilte während des Strafvollzugs wegen körperlicher oder geistiger Erkrankung vollzugsuntauglich wird (vgl. § 461 StPO, §§ 45 f. StVollstrO). Strafausstand im Wege der Gnade steht in Frage, wenn Strafausstand aus anderen als den vorgenannten Gründen oder über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus erbeten wird, z. B. wenn Strafaufschub wegen der dem Verurteilten oder seiner Familie bei sofortiger Vollstreckung drohenden Nachteile auf die Dauer von mehr als 4 Monaten oder wenn Strafunterbrechung nicht wegen Vollzugsuntauglichkeit, sondern zur Beseitigung ihm oder seiner Familie drohender Nachteile (z. B. Strafurlaubsgesuch eines Landwirts für die Dauer der Herbstbestellung, die mit den vorhandenen Arbeitskräften nicht geleistet werden kann) beantragt wird (§§ 34fr. der GnadenO). Bei Ablehnung eines solchen Gesuches entscheidet über Einwendungen nicht das Gericht oder der Vorgesetzte der Vollstreckungsbehörde, sondern lediglich die höhere Gnadenbehörde. 4. Bei Geldstrafen kann das erkennende Gericht des ersten Rechtszuges — im Urteil oder nachträglich — dem Verurteilten Fristen oder Ratenzahlungen bewilligen, oder, wenn die Geldstrafe „ohne Verschulden des Verurteilten nicht eingebracht werden kann", anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt. §§ 28, 29V1 StGB. Für Elfleins Gesuch kommen die Vergünstigungen zu 2, 3 und 4 in Frage. Zu 3 ist die Staatsanwaltschaft, zu 4 das Gericht zuständig, zu 2 hat die Staatsanwaltschaft die Gnadenentscheidung vorzubereiten. Es werden Ermittlungen notwendig sein, die sich innerhalb der Strafantrittsfrist nicht durchführen lassen. Soll bis zur Erledigung des Gesuchs die Strafvollstreckung ausgesetzt werden, wie es Elf lein in seinem letzten Antrag wünscht ? Nach § 2 StVollstrO und § 6 GnadenO darf durch Gnadengesuche sowie durch andere Gesuche und Eingaben die Vollstreckung g r u n d s ä t z l i c h nicht verzögert werden; Ausnahmen sind also nach Ermessen der Vollstreckungsbehörde möglich, wenn dem Verurteilten durch den baldigen Strafantritt ein „unwiederbringlicher Schaden" droht und der Strafzweck die sofortige Vollstreckung nicht verlangt. Nach den eingereichten Unterlagen kann man hier mit diesem Ausnahmefall immerhin rechnen. Strafaussetzung zur Bewährung kommt allerdings nicht in Betracht, nachdem das Gericht sie abgelehnt und das Urteil rechtskräftig geworden ist. Gründe, die insoweit ausnahmsweise ein Eingreifen der Gnade rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Verfügung des Abteilungsvorstehers: „ 1 . Die Strafvollstreckung wird bis auf weiteres ausgesetzt. 2. Nachricht a) dem Verurteilten. Z u s a t z : Wenn Sie Ihren Strafaussetzungsantrag vom 2 j . d. M. darauf stützen wollen, daß Sie haftunfähig seien oder daß die Vollstreckung der Gefängnisstrafe Ihre Gesundheit schädigen würde, wird Ihnen anheimgegeben, sich innerhalb von 1 0 Tagen bei dem Gerichtsarzt Medizinalrat Dr. Ansorge hier zur Untersuchung auf Ihre Kosten zu melden. b) die Strafanstalt hier, Kletschkaustraße. 3. Abschrift des Gesuchs dem Polizeipräsidium, hier, mit dem Ersuchen um baldige Feststellung, ob dem Verurteilten bei alsbaldiger Vollstreckung der Strafe erhebliche Nachteile drohen, die einen Strafaufschub angebracht erscheinen lassen. Ist glaubhaft, daß er Aussicht auf Erlangung einer Stellung aus deren Verdienst hat, er die Geldstrafe bezahlen würde?

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Staatsanwalt — Strafberechnung 4. Mitteilung zu 2 a an Medizinalrat Dr. Ansorge mit Fragebogen. 5. Nach 10 Tagen."

Die Gnadenvorgänge werden nicht in die Hauptakten eingeheftet, sondern in einem besonderen „Gnadenheft" (Aktenzeichen „ G n R " ) aufbewahrt (§ 29 GnadenO). Die Polizei berichtet, daß Elflein wiederholt eine Neigung zu Unredlichkeiten im geschäftlichen Leben gezeigt habe. Es schwebe schon wieder ein Verfahren gegen ihn wegen einer im Mai i960 begangenen Tat. Die Angaben seines Gesuchs über die Schadloshaltung Kaldeweys seien zum großen Teil, die Angaben über die festbezahlte Reisestellung gänzlich aus der Luft gegriffen. Zur gerichtsärztlichen Untersuchung hat Elf lein sich nicht gestellt. Verfügung: „ 1 . An Elf lein: Der von Ihnen gestellte Antrag auf Aufschub der Strafvollstreckung wird abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 455 StPO. nicht nachgewiesen sind und Ihnen oder Ihrer Familie keine erhebliche außerhalb des Strafzwecks liegende Nachteile (§456 StPO) durch die sofortige Vollstreckung erwachsen. Über Ihr Gnadengesuch wird später entschieden werden. Wegen der Bewilligung von Ratenzahlungen für die Geldstrafe und der Niederschlagung der Ersatzfreiheitsstrafe wird eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden. Eine weitere Aussetzung der Strafvollstreckung im Hinblick auf das schwebende Gnadengesuch kann ich nicht gewähren, da die Vollstreckung des Urteils durch derartige Anträge grundsätzlich nicht aufgehalten werden darf und besondere Gründe, die eine Ausnahme rechtfertigen würden, nicht dargetan sind. Ich widerrufe also die Aussetzung, soweit es sich um die Vollstreckung der Freiheitsstrafe handelt. Sie erhalten gleichzeitig erneute Aufforderung zum Strafantritt. 2. Urschriftlich mit Akten und Gnadenheft dem Amtsgericht hier zur Stellungnahme gemäß § 8 GnadenO und zur Entscheidung gemäß §§ 28,2c>VI StGB. Einen Anlaß, dem Verurteilten Teilzahlungen zur Abtragung der Geldstrafe zu gewähren oder anzuordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt, halte ich nicht für gegeben Wiesbaden, den 4 August i960. Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht, i. A.: Scharf, Erster Staatsanwalt."

Befindet oder befand sich der Verurteilte in Haft, so ist außer der gerichtlichen eine Äußerung der Strafanstalt über Persönlichkeit, Führung und Gnadenwürdigkeit einzuholen (§ 8 1 1 1 GnadenO). Soweit es zur Vorbereitung der Gnadenentschließung angezeigt ist, sind ggbf. auch noch andere Stellen und Behörden zu hören, z. B. bei Beamten die vorgesetzte Behörde (§9 GnadenO). „3. Herrn Sachbearbeiter zur weiteren Verfügung wegen des Strafantritts."

Die weitere Verfügung wegen des Strafantritts erfolgt wieder durch den Rechtspfleger und zwar mit Frist bis zum 18. August. Gegen die Ablehnung des Strafaufschubs kann sich Elflein mit der Begründung, daß die Erfordernisse der §§ 455, 456 StPO vorliegen, an das Gericht wenden und gegen die Entscheidung des Gerichts gegebenenfalls sofortige Beschwerde einlegen. §§ 458 11 , 462IV. Über die Ablehnung der Gewährung von Strafausstand im Hinblick auf das Gnadengesuch kann Elflein nur (Verwaltungs-)Beschwerde nach § 37 GnadenO einlegen. Diese geht, wenn der Amtsrichter Vollstreckungsbehörde ist, an den Oberstaatsanwalt, wenn es der Oberstaatsanwalt ist, an den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht. Ist der Generalstaatsanwalt Vollstreckungsbehörde, so entscheidet

Staatsanwalt — Verfahren in Gnadensachen

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der Justizminister. Selbstverständlich sind alle diese Rechtsbehelfe ohne aufschiebende Wirkung. — Der Vorsteher der Strafanstalt Kletschkaustraße meldet, daß Elflein „ a m 17. A u g u s t 1960, vormittags 8 Uhr 45 Minuten die Strafe angetreten hat. Voraussichtliche Entlassung: 16. Februar 1961, 24 U h r . "

Die Berechnung der Strafe bietet in unserem Falle keine Schwierigkeiten. Hat der Verurteilte nicht mehr als eine Woche im Strafvollzug zuzubringen, so wird die Strafe dem Tag und der Stunde nach berechnet; hat sich also der Verurteilte um 1330 gestellt, so endet seine Strafe am Entlassungstag um 13 zu Beginn, nicht im Lauf der Stunde des Beginns. Bei längerer Vollzugsdauer wird die Strafe nur nach Tagen berechnet; Umstände, die im Lauf eines Tages eintreten, gelten als zu Beginn des Tages eingetreten. Ein Strafantritt, der am 17. August durch Selbstgestellung um 1330 begonnen hat, gilt also als zu Beginn des 17. August erfolgt. Elfleins Strafe endet also am 16. Februar um 24 Uhr (§ 37 StVollstrO). Besonderes gilt, wenn das erkennende Gericht gemäß § 60 StGB die gänzliche oder teilweise Anrechnung der Untersuchungshaft angeordnet hat, oder die Untersuchungshaft dem Verurteilten nach § 450 StPO angerechnet werden muß, seit er auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder sein Rechtsmittel zurückgenommen hat oder die Rechtsmittelfrist ohne Einlegung von Rechtsmitteln abgelaufen ist (vgl. dazu §§ 30 Abs. 1 d, e, 38c, 39 StVollstrO). Jedenfalls hat der Rechtspfleger der Strafvollstreckungsbehörde die Berechnung der Vollzugsanstalt stets unter eigener Verantwortung (§ 345 StGB!) nachzuprüfen (§ 36 StVollstrO). Hätte sich Elflein nicht gestellt, so hätte die Staatsanwaltschaft Vorführungsbefehl, Haftbefehl oder Steckbrief gegen ihn erlassen können (§ 457 StPO). Wegen des Eingangs der Entlassungsanzeige wird eine Vorlegung angeordnet. — Inzwischen sind die Akten vom Gericht wieder eingegangen: „ 1 . B e s c h l u ß : In der Strafsache usw. wird der Antrag des Verurteilten v o m 24. Juli i960, ihm zur A b t r a g u n g der Geldstrafe v o n 1000 D M Ratenzahlungen zu bewilligen und anzuordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt, nach A n h ö r u n g der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten gegemäß § § 28, 29 V I S t G B , 462 S t P O zurückgewiesen. (folgt kurze Begründung) 2. Urschriftlich nebst A k t e n dem Herrn Oberstaatsanwalt beim Landgericht hier zur Kenntnisnahme und Zustellung. Wiesbaden, den 15. A u g u s t i960. Amtsgericht.

Richter Amtsgerichtsrat."

Daß die Staatsanwaltschaft die Zustellung des Gerichtsbeschlusses auszuführen hat, folgt aus § 361 S. 1 StPO (oben S. 796). Nach Ablauf der einwöchigen Beschwerdefrist wird der Beschluß rechtskräftig (§§ 311 1 1 , 4Ö2IV). Gleichzeitig teilt das Gericht mit, daß es einen Gnadenerweis nicht befürworten könne. Der Abteilungsvorsteher erteilt Elflein folgenden Bescheid: „Ihr Gnadengesuch v o m 24. Juli i960 wird hiermit, nachdem sich das Gericht gegen einen Gnadenerweis ausgesprochen hat, auf Grund der mir in § 17 der Gnadenordnung erteilten Ermächtigung namens des Herrn Justizministers abgelehnt.

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Staatsanwalt — Strafregister Ihr Gesuch um Gewährung bedingter Strafaussetzung gibt zu Maßnähmen keinen Anlaß, nachdem das Gericht, dem bei Freiheitsstrafen von nicht mehr als neun Monaten die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zusteht, Ihnen eine solche nicht gewährt hat."

Die Entscheidung über Gnadengesuche steht nach den in den Ländern über die Ausübung des Gnadenrechts ergangenen Bestimmungen im allgemeinen dem Justizminister zu. Doch ist — vorbehaltlich abweichender Vorschriften in den jetzt in den Ländern geltenden Gnadenordnungen (vgl. S. 808) — nach § 17 der GnadenO vom 6. Februar 1935 die Vollstreckungsbehörde als Gnadenbehörde befugt, auf Grund allgemein erteilter Ermächtigung den Gesuchsteller ablehnend zu bescheiden: a) wenn die zu hörenden Stellen sich s ä m t l i c h gegen einen Gnadenerweis geäußert haben, b) ohne vorherige Befragung dieser Stellen: wenn das Gesuch sich als bloße Wiederholung eines früher abgelehnten Gnadengesuchs darstellt und keine neuen Gesichtspunkte hervorgetreten sind. Sobald eine der Stellen den Gnadenerweis befürwortet oder die Staatsanwaltschaft selbst ihn für geboten erachtet, muß an den Minister berichtet werden; das gleiche gilt, wenn dieser Bericht eingefordert hat. Der Rechtspfleger ordnet nunmehr die Beitreibung der Geldstrafe an. Die Vollstreckung ist fruchtlos. Die Staatsanwaltschaft könnte die Beitreibungsversuche fortsetzen, vor allem Elflein zum Offenbarungseid laden lassen (vgl. S. 805). Praktischer ist jedoch die Vollstreckung der Ersatzstrafe: „ 1 . An Elflein-. Nachdem die Vollstreckung der gegen Sie durch Urteil vom 4. Juli i960 erkannten Geldstrafe von 1000 DM fruchtlos ausgefallen ist, wird die Vollstreckung der dort bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Tagen Gefängnis angeordnet. Die Strafe ist im Anschluß an die Gefängnisstrafe von 6 Monaten zu verbüßen. 2. Ersuchen an Strafanstalt, hier, Kletschkaustraße, um Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Tagen Gefängnis im Anschluß an die Strafe von 6 Monaten Gefängnis gemäß dem Ersuchen vom 6. August i960. 3. am 31. Mai 1961 (Entlassungsanzeige)."

Falls nichts Besonderes dazwischen kommt, muß die Entlassung am 27. Mai 1961, 24 Uhr erfolgen (vgl. S. 811). Die Strafzeit muß für die Ersatzstrafe getrennt berechnet werden (§ 37 1 StVollstrO). Grundsätzlich soll, wenn mehrere Freiheitsstrafen gleicher Art vollstreckt werden, die kürzere vor der längeren vollstreckt werden (§ 43 StVollstrO). Am 16. Februar 1961 (dem Tag, an dem Elf lein ohne die Vollstreckung der Ersatzstrafe frei geworden wäre) vormittags gegen 1 1 Uhr erscheint in der Kasse eine Dame und zahlt 1000 D M für seine Rechnung als Geldstrafe ein. Ist Elf lein zu entlassen, oder hat sich die Geldstrafe des Urteils durch die Vollstreckungsanordnung endgültig in Gefängnisstrafe verwandelt? Nach § 29V StGB kann der Verurteilte jederzeit, also auch nach teilweiser Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe, ihre weitere Vollstreckung dadurch abwenden, daß er den pro rata temporis noch zu zahlenden Betrag der Geldstrafe entrichtet. Der Rechtspfleger ordnet daher, zunächst fernmündlich, die Freilassung 24 Uhr an (§ 5 1 1 1 StVollstrO). Bei Eingang der Entlassungsanzeige muß die Vollstreckungsbehörde, wenn es sich um eine Freiheitsstrafe von mehr als 3 monatlicher Dauer handelt, den Zeitpunkt der erfolgten Strafverbüßung sowohl zum Strafregister wie zur polizeilichen Liste mitteilen, weil er für den Lauf der beschränkten Auskunfts- und Tilgungsfrist (unten S. 815) von Bedeutung ist. § 4 1 StRegVO, § 1 1 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (oben S. 773). Dabei würden die 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, auch wenn sie in vollem Umfang zur Vollstreckung gebracht worden wären, außer Betracht

Staatsanwalt—Strafregister

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geblieben sein: denn insoweit war nicht, wie es die Vorschriften voraussetzen, „auf" Gefängnis erkannt.

Strafregister und „Verkehrssünderkartei" B e s c h r ä n k t e A u s k u n f t . S t r a f t i l g u n g . Am 22. Mai i960 ersucht die Staatsanwaltschaft in Hildesheim um Übersendung eines vollständigen Strafregisterauszugs über Fridolin Brummer, geboren am 12. Januar 1888 zu Hannover, zu den Akten 3 Js 265/60. Der Referendar schlägt das alphabetisch in Kartothekform geführte Register nach und findet folgende Strafliste: A Strafnachricht für das Strafregister zu Hannover.

„Mitteilende Behörde: Amtsgericht Habelschwerdt.

Aktenzeichen: 2 E 73. 10.

bB)

F a m i l i e n n a m e n (bei Frauen Geburtsname): Brummer V o r n a m e n (Rufname zu unterstreichen): Fridolin F a m i l i e n s t a n d : verwitwet Vor- und Familien- (Geburts-) Name des (bzw. früheren) E h e g a t t e n : Berta Tippelt des Vaters Vor- und Familienname: Raimund Brummer der M u t t e r Vor- und Geburtsname: Anna Krug GeTag: 12. burts- • Monat: 1. Jahr: 1888. tag:

Geburtsort:

Gemeinde: Hannover evtl. Stadtteil: Straße: Verwaltungsbezirk : Stadtkreis Hannover

Landgerichtsbezirk : Hannover Land: Preußen

W o h n o r t : Fulda evtl. letzter Aufenthaltsort: Stand (Beruf, Gewerbe): Klempner evtl. Stand des Ehemanns: V o r b e s t r a f t durch registerpflichtige Verurteilungen: nein Sonstige Bemerkungen: Staatsangehörigkeit: Preußen Heimatgemeinde: Fulda Heimatbezirk:

Vorstehende Person ist rechtskräftig verurteilt worden: am 23. 8. 10

durch Sch.G. Habelschwerdt

wegen Mundraub

Ort und Datum: Habelschwerdt, den 27. August 1910. 6)

Das „b" ist im Original rot.

auf Grund von §

3705

StGB

zu 1 Woche Haft

Bemerkungen Strafe im Gnadenweg erlassen 18. 10. 10.

Unterschrift (Behörde): Amtsgericht. Urkund, Justizsekretär.

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Staatsanwalt — Strafregister

(Rückseite) Umstehend bezeichnete Person ist weiter verurteilt worden: Nr. 2 3

4 5

nach Mitteilung von

Aktenzeichen

am

durch

Sch. G. AG Wal- 5D 203.11 5.9.11 denburg Waldenburg StA Stettin 10 (6) Ls 14.12. St.K. Stettin 528.38 38

wegen Betrug Einbruchsdiebstahl

AG Merse- 4 Ds 39.42 19.5.42 AG Merseburg Hehlerei burg AG Fulda 3 Bs 70. 54 20.6.54 AG Fulda Beleidigung

auf Grund von §263 StGB §*43 ! StGB §259 StGB §185 StGB

zu 4Mon. Gfg. 1J.3M. Gfg. 2 J.Ehrverlust 1 Mon. Gfg. 60 DM evtl. 6 Tge. Haft

Bemerkungen verbüßt 17.1.12 verbüßt 5.3.40"

Femer liegt eine besondere Mitteilung bei, daß Brummer „am 7. April 1927 durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts in Hamborn, Aktenzeichen 4 D 96.27, von der Anklage der fahrlässigen Transportgefährdung auf Grund von § 51 StGB freigesprochen" worden ist. Der Registerführer, ein Justizobersekretär, erläutert die Einrichtung des Registers und die Handhabung der Auskünfte, für welche die StRegVO vom 8. März 1926 (RGBl 157, 254), Fassung vom 17. Februar 1934 (RGBl I 140) u. vom 30. März u. 11. Juli 1957 (BGBl I S. 306, 600), die zugehörigen — bundesrechtlichen — Formulare und die landesrechtlichen im Justizverwaltungsweg ergangenen Ausfuhrungsvorschriften (im ehemaligen Preußen die Ausf.-Vfgen vom 14. April 1926, JMB1 138 [mehrfach geändert, in der zuletzt geltenden Fassung abgedr. bei Krug-SchäferStolzenburg, Strafrechtl. Verwaltungsvorschriften, 3. Aufl. 1942 S. 1074fr.]) maßgebend sind. Welche Tatsachen kommen ins Register? Außer den oben S. 804 bezeichneten Verurteilungen und Anordnungen von Maßregeln der Sicherung und Besserung die Strafverbüßung in den Fällen S. 812, die Bewilligung von Bewährungsfristen einschl. der bedingten Entlassung nach § 26 StGB, alle Gnadenakte, die Aufhebung eines Urteils im Wiederaufnahmeverfahren, rechtskräftige Freisprechungen, Außerverfolgungssetzungen und Verfahrenseinstellungen auf Grund von §§51, 55 StGB, Entmündigungen (ausgenommen den Fall der Verschwendung) und deren Aufhebung, bei den mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregeln der Sicherung und Besserung ihre Erledigung, die Entlassung aus der Verwahrungsanstalt und deren Widerruf, bei Untersagung der Berufsausübung (§ 42I StGB) der Aufschub und die Aussetzung der Untersagung und deren Widerruf. Auch bestimmte für die Strafrechtspflege bedeutsame Maßnahmen der Verwaltungsbehörden sind zum Strafregister mitzuteilen, so Verfügungen der VerwBehörde, durch die ein Ausländer aus dem Bundesgebiet verwiesen wird, ferner Untersagung der Berufsausübung durch die VerwBehörde und die Zurücknahme der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung eines Berufes oder Gewerbes. §§ 2—9 StRegVO. So ergibt sich eine Sammlung von Tatsachen, welche für die kriminalistische Beurteilung einer Person von besonderer Bedeutung sind. Deshalb ist vorgeschrieben, daß in der Regel vor Erhebung der öffentlichen Klage ein Strafregisterauszug beizuziehen ist (Nr. 16 RiStV 1953). Darüber hinaus dient das Strafregister den Zwecken der Strafrechtspflege auch dadurch, daß Steckbriefnachrichten im Strafregister niedergelegt werden können (§39 StRegVO). Wie entsteht eine Strafliste? Die erste Strafnachricht wird einzeln ins Register eingelegt. Sobald aber eine zweite Strafnachricht über dieselbe Person eingeht, überträgt der Registerführer entweder die zweite Nachricht (und ebenso alle folgenden) auf die erste, wie wir es in dem Beispiel S. 792 sehen, oder er überträgt beide Nachrichten auf ein neues Strafnachrichtsformular, dessen Aufschrift entsprechend abgeändert wird. Die Strafverbüßungen usw. sind auf der so geschaffenen Strafliste zu vermerken. Freisprechungs- und einige andere Nachrichten werden nicht in die Liste aufgenommen, sondern mit ihr zusammen aufbewahrt. Die eingegangenen Originalnachrichten werden,

Staatsanwalt — Strafregister

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nachdem sie in die Strafliste übertragen sind, vernichtet. Eine Zeichnung der Eintragungen durch en Registerfuhrer findet nicht statt. Akten werden nicht geführt. §§ 23 StRegVO, 17 AusfVfg. A u s k ü n f t e dürfen nur an Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei- und höhere Verwaltungsbehörden, niemals an dritte Privatpersonen erteilt werden (§§32,36 StRegVO). Ist eine Privatperson daran interessiert, welche Vorstrafen jemand erlitten hat (z. B. eine Firma, bei der sich jemand um Einstellung als Buchhalter oder einen sonstigen Vertrauensposten bewirbt), so stellt sie ihm anheim, sich ein polizeiliches Führungszeugnis zu beschaffen, in dem auf Grund der von der Polizeibehörde geführten Strafliste (vgl. S. 805) in gewissem Umfang die Vorstrafen aufgeführt werden. Welchen Inhalt hat nun die Auskunft aus dem Strafregister ? Bei oftmals verurteilten Personen besteht gewöhnlich kein Interesse an allen Verurteilungen. Zur Vermeidung überflüssigen Schreibwerks gilt deshalb folgendes: a) Von wiederholten Verurteilungen wegen Übertretungen oder leichter Vergehen sind nur die 3 letzten von jeder Art in die Auskunft aufzunehmen, während für die übrigen gleichartigen Verurteilungen die Angabe ihrer Zahl genügt. (§35) b) Für Übertretungssachen werden nur die Verurteilungen wegen Übertretungen angegeben und außerdem die Gesamtzahl der Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen mitgeteilt( § 3 5 a). Beide Vereinfachungen fallen fort, wenn die ersuchende Behörde ausdrücklich einen vollständigen Auszug erfordert hat, wie in unserem Fall. Aber auch dann ist nicht etwa mechanisch der Inhalt der Strafliste und der zugehörigen Mitteilungen abzuschreiben, sondern es muß noch geprüft werden, ob nach dem Ges über die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken (StTG) vom 9. April 1920 (RGBl 507) die Angabe einzelner Verurteilungen unterbleibt. Denn ungeachtet des großen Wertes wahrheitsgemäßer und vollständiger Auszüge bedeutet es doch eine große Härte für einen Bestraften, der kein Gewohnheitsverbrecher ist, die Erinnerung an seinen, früheren Fehltritt immer wieder wachzuhalten. Denn das durch die Eintragung im Strafregister bezeugte „Vorbestraftsein" bildet, namentlich auf dem Weg über das polizeiliche Führungszeugnis naturgemäß in vielen Fällen ein schweres Hindernis für das weitere Fortkommen des Verurteilten und damit für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft (seine „Resozialisierung") und gefährdet einen durch lange straffreie Führung wiedererlangten guten Ruf. Darum setzt das StTG Fristen fest, nach deren Ablauf die Registerbehörde über die Strafe bloß noch „ b e s c h r ä n k t e A u s k u n f t " gibt, und weitere Fristen, nach deren Ablauf der Strafvermerk gänzlich „ g e t i l g t " wird1). Das rote „ b " rechts oben auf der Brummerschen Strafliste bedeutet, daß der Registerführer bei früherer Gelegenheit Strafen, die der beschränkten Auskunft unterliegen, auf der Liste festgestellt hat (§ 3 1 1 1 1 preuß. AusfVfg). Das Zeichen befreit ihn übrigens nicht von der Verpflichtung, bei Erteilung einer Auskunft immer von neuem zu prüfen, ob und über welche Verurteilungen beschränkte Auskunft zu geben ist, zumal in der Zwischenzeit sowohl die Voraussetzungen der Tilgung eingetreten, als auch die Vergünstigung der beschränkten Auskunft wieder verlorengegangen sein kann (unten S. 816). Nach § § 6, 7 StTG beträgt die beschränkte Auskunftsfrist: bei Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten 5 Jahre, sonst 10 Jahre; die Tilgungsfrist: bei Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu einer Woche 5 Jahre, sonst 10 Jahre. Die 5 jährige beschränkte Auskunftsfrist rechnet vom Verurteilungsdatum an (§ 6 1 1 ), die 10jährige beginnt erst mit dem Tag, an dem die erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist; ist im letzteren Fall auf eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung oder auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt worden, so beginnt die Frist erst, wenn diese Maßregeln erledigt sind. Wir sehen also, daß Erlaß der Strafe im Gnadenwege oder nach Ablauf der Bewährungszeit durch das Gericht (§§ 25, 26 StGB) keineswegs zur Löschung im Register führt, sondern bloß den Lauf der beschränkten Auskunftsfrist beginnen läßt. Nur wenn dem Verurteilten die Strafe nach Ablauf einer Probezeit (Bewährungsfrist) erlassen wird, wird die Auskunftsbeschränkungsfrist um die Dauer der Probezeit verkürzt. Jedoch besteht die Möglichkeit, daß die der Strafregisterbehörde (vgl. S. 805) vorgesetzte oberste Justizverwaltungsbehörde (der Justizminister) die beschränkte Auskunft oder gar die Tilgung ohne Rücksicht auf den Lauf der Fristen mit sofortiger Wirkung anordnet (§ 8); auch kann nach § 25 StGB !) Die Reformvorschläge gehen dahin, die aus dem Strafregister sich ergebenden Nachteile für den Verurteilten noch weiter abzumildern. Über den Stand der „Rehabilitations'VReformbestrebungen vgl. die Erörterungen auf dem 42. Deutschen Juristentag J Z 1957, 731 und Dünnebier J Z 1958, 713.

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Staatsanwalt — Auskunftsbeschränkung; Tilgung

das Gericht, wenn es eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erläßt, zugleich den Eintritt der Auskunftsbeschränkung anordnen. Der Eintritt der Auskunftsbeschränkung hat die Wirkung, daß die Strafe zwar im Strafregister vermerkt bleibt, über sie aber nur noch ganz wenigen bestimmten Stellen Auskunft erteilt werden darf und zwar in der Hauptsache den Gerichten und Staatsanwaltschaften und auf ausdrückliches Ersuchen den Landes- und Bundesministerien; dabei muß besonders hervorgehoben werden, daß die Verurteilung der beschränkten Auskunft unterliegt. Anderen Behörden, soweit sie ein Recht auf Auskunft aus dem Strafregister haben, wird bei Anfragen nach Vorstrafen, soweit eine Strafe der Auskunftsbeschränkung unterliegt, mitgeteilt, daß eine Strafe im Strafregister nicht vermerkt sei. In polizeiliche Führungszeugnisse dürfen der Auskunftsbeschränkung unterliegende Strafen nicht aufgenommen werden und der Verurteilte darf sich allen p r i v a t e n Personen und Stellen gegenüber als „unbestraft" bezeichnen und jede Auskunft über die Tat und die Strafe verweigern ( § 4 StTG). — Die T i l g u n g s f r i s t läuft stets vom Ende der beschränkten Auskunftsfrist ab (§ 7 1 1 ) . Die Tilgung bewirkt, daß der Verurteilte sich a l l e n Behörden, Stellen und Personen (nicht nur, wie nach Eintritt der Auskunftsbeschränkung, p r i v a t e n Personen und Stellen gegenüber) als unbestraft bezeichnen kann; nur das Gericht und der Staatsanwalt können aus b e s o n d e r e n G r ü n d e n (d. h. wenn die mit dem Verfahren verfolgten Zwecke sich sonst nicht oder nur unter erheblichen Erschwerungen erreichen ließen) von dem Verurteilten auch über bereits getilgte Strafen Auskunft verlangen. Wer sich als unbestraft bezeichnen darf, darf auch über Einzelheiten, die die Vorstrafe betreifen, die Unwahrheit sagen, um die Vorstrafe nicht preisgeben Zu müssen, z. B. Fragen über seine Tätigkeit zur Verbüßungszeit falsch beantworten. BGHSt. 5, 1 1 9 ; 6, 243. Die Tilgung erfolgt dadurch, daß der Vermerk über die Verurteilung aus dem Strafregister und der polizeilichen Liste entfernt und vernichtet oder wenigstens unkenntlich gemacht wird (§§ 4, 5 StTG); eine getilgte Verurteilung verliert rechtlich ihre Bedeutung als Rückfallsvoraussetzung oder als Grundlage für Rechtsnachteile, die das Gesetz an eine Bestrafung anknüpft (§ 5 1 1 ). Der tatsächlichen Tilgung steht gleich, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Tilgung eingetreten sind, daß „Tilgungsreife" gegeben ist (BGHSt 7, 60). Die Tilgung hindert indessen nicht, die frühere Vorstrafe, wenn sie bekannt ist, bei der Gesamtwürdigung des Täters innerhalb der Strafzumessung zu berücksichtigen (RGSt 60, 287; 74, 1 7 7 ; B G H S t 7, 60). Eine zivilrechtliche Parallele zu diesen Resozialisierungsbestrebungen des S t T G ergibt sich daraus, daß lang zurückliegende strafrechtliche Verfehlungen, die nicht zu einem Strafverfahren geführt haben, nicht oder jedenfalls nicht mehr ohne Not zum Gegenstand von Erörterungen gemacht werden dürfen; dem Zuwiderhandelnden drohen sonst Schadens- und Unterlassungsansprüche aus §§ 826, 249, 1004 B G B (vgl. R G Z 1 1 5 , 416, B G H S t 6, 243). Andrerseits ist auch hier damit, daß sich jemand nach Eintritt der Auskunftsbeschränkung oder Tilgungsreife als „unbestraft" bezeichnen darf, nicht gesagt, daß jedermann ihn als unbestraft behandeln müsse. So ist z. B. auch nach Eintritt der Auskunftsbeschränkung eine Firma nicht gehindert, die Einstellung eines Bewerbers mit Rücksicht auf seine Bestrafung abzulehnen, wenn sie davon Kenntnis hat (vgl. über diesen im einzelnen streitigen Fragenbereich Creifeld N J W 1953, 710; G A 1957, 261; Härtung J R 1952, 44; V G Berlin N J W 1952, 718); andererseits muß sie bei Fragen nach Vorstrafen anläßlich der Einstellung zum Ausdruck bringen, daß getilgte und auskunftsbeschränkte Vorstrafen nicht genannt zu werden brauchen. B A G J Z 1958, 5 1 1 . Solange aber die Voraussetzungen der beschränkten Auskunft für eine von m e h r e r e n Verurteilungen einer Person nicht erfüllt sind, wird über sämtliche Verurteilungen unbeschränkt Auskunft erteilt und so lange nicht alle tilgungsreif geworden sind, darf keine von ihnen getilgt werden: sog. „ V e r k o p p e l u n g s p r i n z i p " (§ 2 1 ). Daher hindert z. B. eine Zuchthausstrafe dauernd die Auskunftsbeschränkung oder Tilgung der übrigen Strafen, da Zuchthaus — abgesehen von einer Anordnung gemäß § 8 — von den Bestimmungen des S t T G überhaupt ausgenommen sind (§ 1 I I T ). Nur für die Geldstrafen gilt das Verkoppelungsprinzip nicht: ist für die Geldstrafe die beschränkte Auskunftsoder Tilgungsfrist noch nicht abgelaufen, so können trotzdem andere Strafen beschränkt beauskunftet bzw. getilgt werden (§ 2 1 1 ) . Die Höhe der Geldstrafe macht dabei keinen Unterschied, ebensowenig der Umstand, daß die Geldstrafe nach § 27 b StGB an Stelle einer an sich verwirkten Freiheitsstrafe getreten ist oder daß wegen ihrer Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden mußte. Wir müssen also die im Gesetz vorgeschriebenen Fristen zunächst für jede einzelne Verurteilung gesondert berechnen, alsdann aber den § 2 S t T G anwenden. Die Auskunft- bzw. Tilgungsfrist ist abgelaufen: bei Nr. 1 am 23. August 1915 bzw. 23. August 1920, bei Nr. 2 am 17. Januar 1932, bei Nr. 3 am 5. März 1950 bzw. 5. März i960, bei Nr. 4 am

Staatsanwalt — Mitteilungen zum Strafregister

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19. Mai 1947 bzw. 19. Mai 1958. Die Strafe Nr. 5 unterliegt seit 20. Juni 1959 der beschränkten Auskunft, kann aber erst am 20. Juni 1964 getilgt werden. Da Nr. 5 nur eine Geldstrafe ist, übt sie auf die Behandlung der seit Ablauf des 5. März 1960 tilgungsreif gewordenen Strafen Nr. 1—4 keinen Einfluß aus. Die Auskunft wird der Staatsanwaltschaft Hildesheim dahin gegeben: „ I m Strafregister sind folgende Verurteilungen vermerkt: Nr. 1 : Nach Mitteilung von Amtsgericht Fulda, 3 Bs 70/54, am 20. Juni 1954 durch Amtsgericht Fulda wegen Beleidigung auf Grund von § 185 StGB zu 60 D M evtl. 6 Tage Haft. Die Strafe unterliegt der beschränkten Auskunft. Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Hamborn, 4 D 96/27, vom 7. April 1927, ist Brummer nach Mitteilung dieses Gerichts von der Anklage der fahrlässigen Transportgefährdung auf Grund von § 5 1 StGB freigesprochen worden. Hannover, den 23. Mai i960. Urkund Justizobersekretär als Registerführer." Die Strafliste nebst der Hamborner Freisprechungsnachricht werden unverändert ins Register zurückgelegt. — Der Referendar: Mir ist nicht klar geworden, warum die Strafe Nr. 5 in die Auskunft kommt, obgleich sie doch der beschränkten Auskunft unterliegt. Aus welchem Grunde werden die Strafen Nr. 1—4 nicht tatsächlich im Register getilgt, aber trotzdem in der Auskunft als nicht vermerkt behandelt? Der Registerführer: Verurteilungen, für die die Voraussetzungen der Auskunftsbeschränkung vorliegen, wie unsere bisherige Nr. 5, sind nach ausdrücklicher Bestimmung des § 4 1 S t T G dem Gericht und der Staatsanwaltschaft regelmäßig mitzuteilen, jedoch unter Hinweis darauf, daß sie der beschränkten Auskunft unterliegen. Die Angabe der Verurteilungen unterbleibt, falls das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft bloß eine „beschränkte Auskunft" erfordert hatte. Ferner werden die Verurteilungen, aber nur auf ausdrückliches Verlangen, auch den obersten Bundes- und LandesZentralbehörden bekannt gegeben. §§ 4 1 StTG, Nr. 3 1 1 1 A u s f V f g . — Die Tilgung von Nr. 1—4 scheitert vorläufig an den Vorschriften über die Wartefrist. Man muß nämlich immer mit der Möglichkeit rechnen, daß vor Ablauf der Tilgungsfrist eine neue Verurteilung erfolgt war, die nach dem Verkoppelungsprinzip des § 2 die Tilgung der bisherigen Strafvermerke ausschließt, aber dem Registerführer unbekannt ist. Die Tilgung geschieht, wie erwähnt, nicht durch einen Löschungsvermerk nach Art des Grundbuchs, sondern durch radikale Entfernung und Vernichtung des Vermerks aus dem Register (§ 5 1 S. 1 StTG). Bei dem gänzlichen Fehlen von Akten und Unterlagen würde eine materiell ungerechtfertigte Tilgung sehr schwer zu reparieren sein. Übrigens bedarf es zur Wiederherstellung von Strafregistervermerken jedesmal einer besonderen Anordnung des Oberstaatsanwalts (§ 28 1 StRegVO). Darum sollen tilgungsreife Vermerke erst 3 Monate nach Eintritt der Tilgungsreife getilgt werden (§ 25 1 S. 2), Nr. 1—4 also frühestens am 6. Juni i960. — Andrerseits gilt der tilgungsreife Vermerk als nicht mehr vorhanden. Deshalb mußte ich in der Auskunft Nr. 1—4 weglassen, Nr. 5 als erste und bisher einzige Bestrafung mitteilen und mit dem Zusatz gemäß § 41 S. 2 S t T G angeben. Schäfer-Hellwig 6 zu § 25 StRegVO. Referendar: Werden am 6. Juni Nr. 1—4 getilgt werden? Registerführer: Das hängt davon ab, ob und wann ich Brummers Strafliste aus irgendeinem Grunde — z. B. wegen Eingangs einer Nachricht, zur Ausstellung eines Registerauszugs, infolge der regelmäßig von 5 zu 5 Jahren vorzunehmenden Revision der Registerfächer (§ 22 pr. AusfVfg.) — zu Gesicht bekomme. Vorlegungen einzelner Registerblätter zu bestimmten Terminen gibt es nicht. Wahrscheinlich wird das in Sachen 3 Js 265.60 ergehende Urteil den nächsten Anlaß geben. Unterstellen wir, daß Brunner dort verurteilt wird, und zwar nicht bloß zu einer Geldstrafe (die keine Verkoppelungswirkung hat, § 2 1 1 StTG), so entsteht das Problem, ob die neue Bestrafung die Tilgung der an sich tilgungsreifen Strafen Nr. 1—4 hindert. Es versteht sich von selbst, daß einmal getilgte Strafen durch spätere Verurteilungen nicht von neuem aufleben können. Da nun, wie wir gesehen haben, der Zeitpunkt des Vollzugs einer an sich zulässigen Tilgung durch Zufallsmomente bedingt ist, darf für die Frage, ob eine nachträgliche Verurteilung die Tilgungsmöglichkeit nach § 2 1 S. 2 beseitigt hat, nicht die technische Ausfuhrung der Tilgung maßgebend sein, sondern der Zeitpunkt der m a t e r i e l l e n T i l g u n g s r e i f e . Mithin steht eine nach dem 5. März i960 ausgesprochene neue Verurteilung der Tilgung von Nr. 1—4 nach dem 5. Juni i960 nicht mehr im Wege. 52

Lux

:Schulung.

Aull. (Schäfer

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Staatsanwalt — Mitteilungen zum Strafregister

S t e c k b r i e f n a c h r i c h t . Im Register liegt eine Strafnachricht über die aus Hannover gebürtige Brigitte Kaßner. A m 24. Mai i960 geht von der Staatsanwaltschaft München auf dem (roten) Formular G eine Mitteilung ein, welche die Kaßner betrifft: „Gegen die vorstehend bezeichnete Person ist am 21. Mai i960 Steckbrief erlassen worden." Die Nachricht wird ins Register eingelegt. Sie belastet den Registerfuhrer mit der dauernden Verpflichtung, bis zur Erledigung des Steckbriefvermerks, längstens 3 Jahre hindurch, der Steckbriefbehörde Kenntnis zu geben, falls er über den Aufenthalt der Kaßner etwas erfährt, namentlich falls er aus anderen Registernachrichten ersieht, daß sie sich in Straf- oder Untersuchungshaft befindet (§§40, 41 StRegVO). Im Juli ersucht die Amtsanwaltschaft Hannover durch Fernsprecher um sofortige Angabe der Vorstrafen der Kaßner, die in einer Betrugssache 2 P.Ls 328.60 festgenommen sei und dem Bereitschaftsrichter (S. 821) vorgeführt werden solle. Telefonische Auskunftserteilung ist inEilfällen statthaft, doch muß der Registerfuhrer, um Mißbrauch durch Unbefugte zu verhüten, zunächst abhängen, dann von sich aus die anfragende Behörde anrufen und ihr die erbetene Mitteilung machen. Die Angaben sind schriftlich zu wiederholen (§ 3 } v , letzteres gilt auch für die telegraphische Auskünfte, § 33 I V ). Der Registerführer hat nun nicht bloß das Ersuchen der hiesigen Amtsanwaltschaft zu erledigen, sondern muß außerdem von Amts wegen der Staatsanwaltschaft München Nachricht von dem in Hannover schwebenden Verfahren sowie davon geben, daß die Kaßner sich hier in Haft befindet. Die Steckbriefnachricht wird zurückgesandt (§ 40 1 1 1 ). München wird sich jetzt schleunigst mit dem Amtsgericht in Hannover in Verbindung setzen und „Uberhaft" notieren lassen, d. h. es wird vorgemerkt, daß die Beschuldigte nach Beendigung der in dem Verfahren 2 P.Ls 328.60 verhängten Untersuchungs- oder Strafhaft nicht entlassen werden darf, vielmehr auf Grund des Münchener Steckbriefs bzw. Haftbefehls (§§ 1 3 1 , 457 StPO) weiter zur Verfügung der Staatsanwaltschaft München festzuhalten ist. So wird die Einrichtung des Strafregisters hier in den Dienst der Ermittlung flüchtiger Verbrecher gestellt. Die Niederlegung der Steckbriefnachricht beim Strafregister hat zugleich die wichtige materielle Wirkung, daß für die Dauer ihres Bestehens keine Beschränkung der Auskunft und keine Straftilgung eintreten kann (§ 3 1 1 StTG). — Der „ S u c h v e r m e r k " — den Gerichte, staatsanwaltschaftliche und Polizeibehörden beim Strafregister niederlegen können, ohne daß ein Steckbrief erlassen ist — legt dem Registerfuhrer die gleichen Verpflichtungen auf wie eine Steckbriefnachricht ( § 4 2 StRegVO). Einfluß auf die beschränkte Auskunfts- und Tilgungsfrist hat er nicht. B e w ä h r u n g s f r i s t . Ähnliche Folgen wie die Steckbriefnachricht hat es, wenn die Bewilligung einer Bewährungsfrist (S. 797, 8o8)zum Register angezeigt wird. Der Registerführer muß alsdann die bei ihm neu eingehenden Straf- und Steckbriefnachrichten, Suchvermerke, Ersuchen um Auskunftserteilung und anderen Nachrichten, die auf eine anhängige Untersuchung schließen lassen, dem Gericht, das die Bewährungsfrist bewilligt hatte, mitteilen, so lange ihm nicht die nach Ablauf der Probezeit vom Gericht getroffene Entscheidung mitgeteilt wird, damit das Gericht prüfen kann, ob die Voraussetzungen eines Widerrufs gegeben sind (vgl. § 2 5 1 1 Nr. 1 , 2 StGB) oder eine Verlängerung der Bewährungsfrist oder neue Auflagen in Betracht kommen (§ 2 4 1 1 1 . I V StGB). Referendar: Was hat es eigentlich mit der V e r k e h r s s ü n d e r k a r t e i auf sich, von der jetzt so viel die Rede ist? Registerführer: In Verkehrsstrafsachen werden Verurteilungen wegen Übertretungen zu Geldstrafe dem Strafregister nicht mitgeteilt, ebensowenig Urteile, die auf Freisprechung lauten. Für künftige Verkehrsdelikte derselben Person und für die Frage, ob von der Verwaltungsbehörde eine erteilte Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit des Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen werden soll (§ 4 des Straßenverkehrsges. vom 19. Dezember 1952, B G B l I 837), kann aber die Kenntnis solcher Entscheidungen von erheblicher Bedeutung sein. Weiterhin ist zweifelhaft, ob ein auf Geldstrafe wegen einer Verkehrsübertretung lautendes Urteil, das also an sich nicht registerpflichtig ist, in dem aber zugleich gemäß § 42 m S t G B die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen ist, dem Strafregister mitzuteilen ist. Diese Umstände haben zur Einrichtung der Verkehrssünderkartei i. J . 1957 geführt. Sie hat ihre gesetzliche Grundlage in § 6a des Straßenverkehrsges. (StVG) i.d.F. des Ges. vom 16. Juli 1957 (BGBl I 710). Dort ist dem Bundesverkehrsminister die Ermächtigung erteilt, Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Karteimäßige Erfassung von rechtskräftigen Entscheidungen der Strafgerichte zu erlassen, soweit sie wegen einer im Zusammen-

Staatsanwalt — Mitteilungen zum Strafregister

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hang mit der Teilnahme am Straßenverkehr begangenen, mit Strafe bedrohten Handlung auf Strafe oder andere gerichtliche Maßnahmen erkennen oder einen Schuldspruch enthalten; über den Inhalt der Kartei enthält § 6a bereits einige beschränkende Vorschriften. Der Bundesverkehrsmin. hat von der Ermächtigung in den §§ 13fr. S t V Z O (jetzt i.d.F. vom 7. Juli i960, B G B l I 485) Gebrauch gemacht. Die amtlich als Verkehrszentralregister bezeichnete Kartei wird von dem Kraftfahrtbundesamt in Flensburg geführt. Ihr Inhalt deckt sich, soweit es sich um strafgerichtliche Entscheidungen handelt, z.T. mit dem des Strafregisters, geht aber insofern darüber hinaus, als auch Geldstrafen wegen Übertretungen nach der StVO und StVZO und alle rechtskräftigen und vorläufigen Entziehungen der Fahrerlaubnis vermerkt werden. Doch besteht bei Verurteilung wegen einer Übertretung die wichtige Ausnahme, daß die Eintragung unterbleibt, wenn das Gericht (durch besonderen Beschluß bei der Urteilsverkündung) dies anordnet, weil die Voraussetzungen einer gebührenpflichtigen Verwarnung nach § 22 StVG (s. S. 855) vorlagen oder diese nur deshalb nicht erteilt wurde, weil der Verurteilte mit ihr nicht einverstanden oder zur sofortigen Zahlung der Gebühr nicht bereit war. E s sollen also die leichteren Verkehrsübertretungen von der Aufnahme in die Verkehrssünderkartei ausgeschlossen sein. Anders als bei dem Strafregister gibt es bei der Verkehrssünderkartei keine Auskunftsbeschränkung, sondern nur eine Tilgung der Eintragungen in der Kartei. Die Tilgung erfolgt nach Ablauf bestimmter, mit dem Tag der Entscheidung beginnender Fristen, die bei Entziehung der Fahrerlaubnis 10 Jahre (bei Jugendlichen 3 Jahre) beträgt und im übrigen nach der Höhe der Strafe gestaffelt ist (io, 5, 3 und 2 Jahre), Übertretungsgeldstrafen werden nach 2 Jahren getilgt. Tilgung und Auskunftsbeschränkung im Strafregister führt zur Tilgung in der Verkehrssünderkartei. Die Kartei darf nur für Zwecke der Strafverfolgung, für Verwaltungsmaßnahmen auf Grund der Straßenverkehrsvorschriften (z.B. Entziehung und Erteilung der Fahrerlaubnis) und für die Vorbereitung von Rechts- und allgemeinen Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des Straßenverkehrs z.B. durch Mitteilung statistischen Materials) verwertet werden.

i8. K a p i t e l

Beim Untersuchungsrichter Brandstiftungssache. Haftverfahren. Beobachtung des Geisteszustandes A n t r a g auf V o r u n t e r s u c h u n g . „ D e r Oberstaatsanwalt beim Landgericht 7 Js 4 } 1.60.

Wiesbaden, den i. September i960.

Urschriftlich nebst Akten dem Untersuchungsrichter beim Landgericht hier. 1. Ich beantrage, gegen den Landwirt Hugo Strohel aus Rüdesheim, Entengasse 8, zur Zeit in der hiesigen Untersuchungshaftanstalt in Untersuchungshaft, die Voruntersuchung zu eröffnen. Ich beschuldige ihn am 28. August i960 zu Rüdesheim vorsätzlich Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Brand gesetzt zu haben, nämlich einen Strohschober, der seiner Beschaffenheit und Lage nach geeignet war, das Feuer dem alten Kuhstall des Landwirts Frei in Rüdesheim, Entengasse 9 — einer Räumlichkeit, die zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient — mitzuteilen, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen sich darin aufzuhalten pflegen, Verbrechen gegen §§ 308, jo6 3 StGB. 2. Ich beantrage die Fortdauer der Untersuchungshaft, weil Fluchtverdacht besteht. J.A.: Scharf Erster Staatsanwalt."

Am 28. August früh zwischen 1 % und 2 Uhr ist in Rüdesheim der mit Stroh gedeckte alte Kuhstall des Landwirts Frei abgebrannt. Der darin schlafende Knecht Alscher konnte sich mit knapper Not retten. Die im Stalle befindlichen Kühe und Kälber wurden gerettet bis auf eine Kuh, die verbrannt ist. Frei war nicht versichert. Wie der sofort hinzugerufene Polizeiwachtmeister Spieß aus Rüdesheim festgestellt hat, erfolgte die Inbrandsetzung des Kuhstalles durch einen Strohschober, der auf dem an die Freische Besitzung unmittelbar angrenzenden Felde des Angeschuldigten (§§ 157, 170 1 StPO), etwa 2 m vom Freischen Kuhstall entfernt, gestanden hatte. An der Stelle des verbrannten Strohschobers waren verschiedene Fußspuren sichtbar, von denen eine nach der Landstraße nach Geisenheim, eine nach dem Wohnhaus des Angeschuldigten führte. Frei und der 65 jährige, in guten Vermögensverhältnissen lebende Angeschuldigte sind seit Jahren schwer verfeindet und führen Zivil- und Strafprozesse. Die Hausgehilfin Tietze gab dem Polizeibeamten an, daß der Angeschuldigte vor einiger Zeit gegenüber seiner Wirtschafterin Mohaupt den Wunsch geäußert habe, Frei möge einmal ordentlich abbrennen. Außerdem meldete sich der Schmied Dach mit der Bekundung, er habe nachts gegen 24 Uhr in der Nähe des Schobers eine männliche Gestalt gesehen und sowohl an den Bewegungen wie im Gesicht Strobel mit Bestimmtheit erkannt. Auf dieses Belastungsmaterial hin hat Spieß morgens gegen 6 Uhr Strobel, der noch im Bett lag, wegen dringenden Verdachts der

Untersuchungsrichter — Vorläufige Festnahme, Vorführung

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Brandstiftung vorläufig festgenommen. Bei der Abführung hat Strobel versucht, der Mohaupt einen Zettel zuzustecken, auf dem, mit Bleistift geschrieben, die Worte: „Vergeßt nicht die Katze!" standen. E r ist der Ortspolizeibehörde zugeführt worden, die gemäß § 1 6 3 1 sofort die Ermitdungen aufgenommen hat. Die Wirtschafterin Mohaupt hat vor dem vernehmenden Polizeimeister Peter ausgesagt: „Der Beschuldigte kam vor einiger Zeit, es kann 2 Monate her sein, einmal aus Wiesbaden von einem Termin in einer -Fraschen Sache. Er hatte verloren und war darüber sehr aufgeregt. U.a. sagte er: ,Es ist nicht zum Ansehen, wie so ein Lump noch Recht bekommt und wie es ihm immer besser geht. 1000 Mark würde ich zum besten geben, wenn dem mal was passiert. So ein ordentliches Feuer, wenn er nicht versichert ist, das könnte ihm nicht schaden.' In der letzten Nacht ist der Beschuldigte sicher nicht aus dem Haus gekommen. Er war schon drei Tage wegen seines Rheumatismus im Zimmer geblieben und konnte das linke Bein nur mit großen Schmerzen bewegen." Strobel selbst hat erklärt: „Ich bin unschuldig. Seit drei Tagen bin ich wegen rheumatischer Schmerzen nicht aus dem Zimmer gekommen. Den Schober haben wahrscheinlich Landstreicher angezündet, um sich an mir Zu rächen, weil ich im Sommer ein paarmal Landstreicher von meiner Besitzung verjagt habe. Auf Befragen: In ärztlicher Behandlung bin ich wegen meines Rheumatismus nicht gewesen. Es kann aber nicht bloß die Mohaupt, sondern mein ganzes Personal bezeugen, daß ich vor Schmerzen unfähig war, einen Schritt zu gehen. Den Zettel,vergeßt nicht die Katze' habe ich geschrieben, während ich mich anzog, weil unsere Hauskatze, an der ich sehr hänge, krank ist und gepflegt werden muß. Nach Vorhalt der Aussagen von Dach, Tiefte und Mohaupt: Die Aussage des Dach ist ein Racheakt. Ich lasse seit fünf Jahren nicht mehr bei ihm arbeiten, weil er mir ein gutes Pferd vernagelt hat." Die Ortspolizeibehörde hat die vorläufige Festnahme aufrechterhalten und Strobel noch am 28. August unter Beifügung der Vorgänge dem Amtsrichter in Rüdesheim vorführen lassen. V o n diesem ist Strobel am 28. August verantwortlich vernommen worden (§ 1 2 8 1 , 136). Das Recht zur vorläufigen Festnahme steht Privatpersonen nur gegenüber einem „auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten" Täter zu, der der Flucht verdächtig ist oder dessen Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann (§ 127I). Dagegen sind Beamte der Staatsanwaltschaft und der Polizei zur vorläufigen Festnahme schon dann befugt, wenn 1. die Voraussetzungen eines Haftbefehls, d. h. „dringender Tatverdacht" und entweder Flucht- oder Verdunkelungsverdacht, vorliegen und 2. Gefahr im Verzug obwaltet. §§ 112, 127 1 1 . Diese Erfordernisse sind von den Beamten pflichtgemäß zu prüfen. Wann muß die V o r f ü h r u n g des v o r l ä u f i g Festgenommenen v o r den R i c h t e r und die V e r n e h m u n g durch diesen spätestens e r f o l g e n ? Wer auf Grund eines richterlichen Haftbefehls ergriffen wird, ist „unverzüglich, spätestens am Tage nach der Ergreifung", dem zuständigen Richter vorzuführen und „unverzüglich, spätestens am nächsten Tage" — also auch wenn das ein Sonn- oder Feiertag ist —, vom Richter zu vernehmen (§ 114b 1 ) n ) . Für den Fall der vorläufigen Festnahme verordnet § 128 1 S. 1 ebenfalls die unverzügliche, spätestens am Tage nach der Festnahme vorzunehmende Vorführung vor den Amtsrichter des Ergreifungsorts, ohne jedoch ausdrücklich eine Höchstfrist zu bestimmen, binnen deren der Richter den Festgenommenen vernehmen muß. § 128 StPO ist zur Ausführung des — unmittelbar geltendes Recht enthaltenden— Art. 1 0 4 1 1 1 G G ergangen. Danach ist ein wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommener spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihn zu vernehmen und „unverzüglich" entweder einen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen hat. Daraus wird ganz allgemein hergeleitet, daß der Richter den vorgeführten vorläufig Festgenommenen noch im Anschluß

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Untersuchungsrichter — Freiheitsentziehung

an seine Vorführung — also noch am gleichen Tag — zu vernehmen hat, während es bei dem auf Grund eines richterlichen Haftbefehls Ergriffenen genügt, daß ihn der Richter spätestens am Tag nach seiner Vorführung vernimmt (OLG Frankfurt SJZ I 95°> 53! RiStV 1953 Nr. 3 8 11 und die Erläuterungsbücher). Demgemäß muß an jedem Tag und zu jeder Zeit während des Tages ein Richter des Amtsgerichts erreichbar sein, der den nach vorläufiger Festnahme Vorgeführten alsbald vernimmt. Die Schwierigkeiten, die sich daraus für kleine, nur mit einem Richter besetzte Amtsgerichte namentlich an Sonn- und Feiertagen ergeben können, sind dadurch vermeidbar, daß die Justizverwaltung gemäß § 58 GVG die nach § 128 StPO anfallenden richterlichen Aufgaben einem bestimmten Amtsgericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte überträgt; dieses ist dann i. S. des § 128 das Amtsgerichts des Bezirks, in dem die Festnahme erfolgt. — Die jetzt in § 1281 S. 1, Art. 104111 G G bestimmte feste Frist, innerhalb deren die Vorführung vor dem Amtsrichter erfolgen muß, muß auch dann innegehalten werden, wenn die Polizeibehörde das den Erlaß eines Haftbefehls rechtfertigende Belastungsmaterial noch nicht beisammen hat und wichtige Ermüdungen noch im Lauf sind. Der vorläufig Festgenommene muß grundsätzlich körperlich vorgeführt werden; ist das nicht möglich, weil er infolge Erkrankung nicht transportfähig ist, so müssen wenigstens die Akten dem Richter innerhalb der Vorführungsfrist vorgelegt werden, damit er den Festgenommenen, wenn möglich, am Verwahrungsort vernehmen und unverzüglich über den Erlaß eines Haftbefehls oder die Freilassung entscheiden kann („symbolische Vorführung", Nr. 39 RiStV 1953). Innerhalb der zeitlichen Grenze der Vorführungsfrist muß die Vorführung „unverzüglich" erfolgen; daher ist es zulässig, daß zunächst die Polizeibehörde — wie sie es hier getan hat — gemäß § 163 StPO die ersten Ermittlungen anstellt, Vernehmungen durchführt usw. Ebenso ist es zulässig, daß der Festgenommene zunächst der Staatsanwaltschaft zugeführt wird, wenn nur die demnächstige Vorführung vor den Amtsrichter fristgerecht erfolgt. — Art. 1041. n> I V G G enthält weiterhin Vorschriften über Freiheitsentziehungen aus anderen Gründen als denen der Strafrechtspflege. Allgemein gilt, daß Freiheitsentziehungen nur auf Grund eines f ö r m l i c h e n Gesetzes •— eine bloße Verordnung wäre also nicht ausreichend — erfolgen können. Solche Gesetze können Bundesgesetze (soweit der Bund nach Art. 73—75, 125 GG die Gesetzgebungszuständigkeit hat) oder Landesgesetze sein. Über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nach Art. 10411 G G stets nur der Richter zu entscheiden; ob dieser Richter ein solcher der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder eines der anderen gesetzlich vorgesehenen Gerichtsbarkeitszweige (vgl. Art. 96, 96 a GG — letzterer eingefügt durch Ges. vom 19. März 1956, BGBl I m , betr. Wehrstrafgerichte —) ist, richtet sich nach den darüber ergangenen Bundes- und Landesgesetzen. Das in Ausführung des Art. 10411 GG ergangene Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 (BGBl I 599) regelt das Verfahren bei bestimmten bundesgesetzlich vorgesehenen Freiheitsentziehungsfällen, von denen insbesondere Freiheitsentziehung (Isolierung, Zwangsheilung) zur Verhinderung der Verbreitung ansteckender Krankheiten in Betracht kommt; hier entscheidet der ordentliche Richter im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. dazu Kersting J Z 1956, 716). Dem Landesrecht überlassen ist die Regelung der Freiheitsentziehung bei (sich selbst oder anderen) gefährlichen Geisteskranken (zur Verwahrung in geschlossenen Krankenanstalten) und bei Alkohol- und Rauschgiftsüchtigen (zwecks Unterbringung in Entziehungsanstalten); die hierzu ergangenen Landesgesetze (vgl. z. B. Hess. Ges. vom 19. Mai 1952, GVB1 m , Bad.-Württ. Ges. vom 16. Mai 1955, GBl 87, Nordrhein-Westfäl. Ges. vom 16. Oktober 1956, GVB1 300) übertragen ebenfalls durchweg die Entscheidung dem ordentlichen Richter im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Untersuchungsrichter — Haftbefehl

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Das Amtsgericht wird im Vorverfahren regelmäßig auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft tätig. Bei „ G e f a h r im V e r z u g " erfolgt aber die Ausführung v o n Ermittlungshandlungen, die Anordnung v o n Beschlagnahmen und Durchsuchungen sowie der Erlaß des Haftbefehls auch ohne Antrag (§§ 1 2 5 1 6 5 StPO). Wird ein ohne Haftbefehl Festgenommener dem Richter vorgeführt, so muß v o n A m t s wegen geprüft werden, ob Freilassung oder Haftbefehl geboten ist (§ 1 2 8 1 1 ) . Der Rüdesheimer A m t s richter hat sich für den Haftbefehl entschieden. Demgemäß schließt das Protokoll, nachdem Strobels Angaben 2ur Sache wiedergegeben sind, ab: „Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben. Hugo Strohe!. Der anliegende Haftbefehl wurde verkündet und der Beschuldigte über sein Recht auf Abschriftserteilung, auf Beschwerde und auf mündliche Verhandlung über den Haftbefehl belehrt. Annahmebefehl wurde erteilt. Richter. Urkund." „3 Gs 84.60. Haftbefehl. Der Landwirt Hugo Strobelin Rüdesheim, Entengasse 8, geboren am 15. Dezember 1894 zu Rüdesheim, ist zur Untersuchungshaft zu bringen. E r erscheint dringend verdächtig, am 28. August i960 zu Rüdesheim vorsätzlich Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Brand gesetzt zu haben, nämlich einen Strohschober, der seiner Beschaffenheit und Lage nach geeignet war, das Feuer dem alten Kuhstall des Landwirts Frei in Rüdesheim — einer Räumlichkeit, die zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient — mitzuteilen, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen sich darin aufzuhalten pflegen, Verbrechen gegen §§ 308, 3063 StGB. E r ist mit Rücksicht darauf, daß ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet, sowie wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe der Flucht verdächtig. Außerdem weist der Versuch des Beschuldigten, bei seiner Festnahme durch den Polizeiwachtmeister Spieß seiner Wirtschafterin einen Zettel mit der nicht verständlichen Anweisung ,vergeßt nicht die Katze* zuzustecken, daraufhin, daß er Spuren der Tat vernichten oder daß er Zeugen oder Mitschuldige zu einer falschen Aussage oder Zeugen dazu verleiten wird, sich der Zeugnispflicht zu entziehen. § 1 1 2 StPO. Rüdesheim, den 29. August i960. Amtsgericht. Richter." Äußere F o r m des Haftbefehls und Belehrung des Beschuldigten: §§ 1 1 4 1 1 . n l > 1 1 5 StPO. Z u Haftbefehlen wird rotes Papier verwendet. Bisweilen nimmt übrigens das Gericht den Haftbefehl lediglich in das Protokoll über die Vernehmung des V o r geführten oder auf Ladung erschienenen Beschuldigten auf. Das Aktenstück erhält einen roten Aufklebetettel: „ H a f t s a c h e " ; (§ 3 v der Aktenordnung v o m 28. November 1 9 3 4 ) ; auch alle Verfügungen in Strafsachen und ihre Ausfertigungen erhalten den deutlich sichtbaren Vermerk „ H a f t " (Nr. 40 R i S t V 1953). Außerdem wird im Hinblick auf die v o m Gesetz vorgeschriebene periodische Haftprüfung (S. 828 zu 3) ein „Haftmerkzettel" nach § 6 1 1 der Aktenordnung vorgeheftet, und eine Vorlegung kurz v o r dem 29. September notiert. D e r V o l l z u g der U n t e r s u c h u n g s h a f t ist von dem Gedanken beherrscht, daß dem Verhafteten nur solche Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die entweder zur Sicherung des Haftzweckes — Verhinderung von Flucht bzw. Verdunkelung — oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gefängnis notwendig sind; die erforderlichen Entscheidungen trifft der Richter und die in dringlichen Fällen von anderen Beamten getroffenen Anordnungen unterliegen seiner Genehmigung (§ n 6 v StPO). Untersuchungsgefangene sind keine überführten und verurteilten Verbrecher I Um den Gegensatz zur Strafvollstreckung scharf zu betonen, hat man die Vollziehung der

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Untersuchungsrichter — Brandstiftung

Untersuchungshaft nicht in den Strafvollzugsordnungen für die Strafvollzugsanstalten, sondern in einer besonderen von den Justizverwaltungen der Länder und des Bundes vereinbarten Untersuchungshaftvollzugsanordnung (UVollzO) vom 12. Februar 1955 geregelt; sie gilt aber nur, soweit der Richter nichts Abweichendes bestimmt. Die Untersuchungsgefangenen sollen grundsätzlich in besonderen Untersuchungshaftanstalten oder, w o solche nicht Zur Verfugung stehen, in besonderen Abteilungen der Strafvollzugsanstalten untergebracht werden. Sie haben das Recht, sich selbst zu beköstigen, eigene Kleider und Wäsche zu tragen. Die Anstaltskleidung muß von der der Strafgefangenen abweichen. Mit Genehmigung des Richters darf der UHGefangene sich vom Privatarzt behandeln lassen, seine eigenen Bücher lesen und Zeitungen halten. §§ 116 1 » m . v StPO, Nr. 1 1 , 45, 50, 52, 56 UVollzO. Aufnahme und Entlassung nur auf schriftliches Ersuchen des Richters (bei Entlassung auch des Staatsanwalts), in der Praxis „Annahmebefehl" und „Entlassungsbefehl" genannt (Nr. 15, 1 7 UVollzO).

Vom Amtsgericht sind die Akten der zuständigen Staatsanwaltschaft Wiesbaden übersandt worden, die nunmehr die gerichtliche Voruntersuchung beantragt (wegen der Voraussetzungen für den Antrag vgl. oben S. 791). E r ö f f n u n g der V o r u n t e r s u c h u n g u n d A n o r d n u n g der H a f t f o r t dauer. V e r n e h m u n g des A n g e s c h u l d i g t e n . Außer der hier zweifelsfrei gegebenen, formellen Ordnungsmäßigkeit des Antrags ( § 1 7 9 StPO) und seiner eigenen Zuständigkeit (§§ 7, 8) hat der Untersuchungsrichter vor Eröffnung der Voruntersuchung zu prüfen, ob die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat unter ein Strafgesetz fällt, ob die Strafverfolgung und ob die Voruntersuchung zulässig ist (§ 180 1 S. 1). Der Strohschober, den Strobel angesteckt haben soll, war sein Eigentum. Abgesehen von dem, hier nicht in Betracht kommenden, Gesichtspunkt des Versicherungsbetrugs (§ 265 StGB) ist nach § 308 StGB die Inbrandsetzung e i g e n e r Sachen nur strafbar, wenn es sich entweder um die in § 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten (Kirchen, Wohngebäude oder Räumlichkeiten, die zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dienen, während der üblichen Zeit dieses Aufenthalts) handelt, oder wenn die in § 308 genannten Gegenstände (sonstige Gebäude, Warenvorräte, Vorräte landwirtschaftlicher Erzeugnisse u. dergl.) in Brand gesetzt werden u n d diese nach ihrer Beschaffenheit und Lage geeignet sind, das Feuer einer der in § 306 bezeichneten fremden oder eigenen Räumlichkeiten oder einem f r e m d e n Gegenstand der in § 308 genannten Art mitzuteilen. Und zwar genügt hier die Schaffung einer abstrakten Brandverbreitungsgefahr, so daß z. B^ § 308 auch dann anwendbar ist, wenn die Beschaffenheit des benachbarten Gebäudes (etwa bei einem gegen Funkenflug nicht anfälligen massiven Dach) oder die Wetterlage (etwa scharfer, die Funkenübertragung ausschließender Gegenwind) eine konkrete Brandverbreitungsgefahr ausschließt ( B G H N J W 1951, 726). Angesichts der geringen Entfernung des Schobers von dem Kuhstall des Frei, und da der Knecht Alscher nachts im Kuhstall zu schlafen pflegte, sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Das Delikt wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft, zählt also zu den Schöffengerichts- bzw. Strafkammersachen (§24 Nr. 3, § 74 G V G ) , in denen die Voruntersuchung nicht obligatorisch ist, sondern nur angeordnet wird, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint (§ 1 7 8 I J ) (der Angeschuldigte kann einen entsprechenden Antrag erst nach Zustellung der Anklageschrift stellen). Ob der Sachverhalt noch weiterer Aufklärung bedarf und ob ein wesentlicher Verdacht gegen Strobel besteht, ist für die Eröffnung ohne Belang: der Untersuchungsrichter muß eröffnen, sobald sich die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat als ein in die Zuständigkeit des Schöffengerichts oder der Strafkammer fallendes Verbrechen oder Vergehen darstellt und er die Erheblichkeit der Gründe für die Notwendigkeit einer Voruntersuchung anerkennt (§§ 184, 180 1 ). Verneint er erhebliche Gründe, so entscheidet auf seine Vorlage die Strafkammer (§ 180I S. 2 StPO, § 73 G V G ) .

Untersuchungsrichter — Eröffnung der Voruntersuchung

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Soweit es sich um die von der Staatsanwaltschaft beantragte Haftfortdauer handelt, hat der Untersuchungsrichter auch den Tatverdacht sowie die sonstigen Voraussetzungen des Haftbefehls zu prüfen. Verfügung: ».(35)7 Js 4Ji-6°1. Die Voruntersuchung gegen den Landwirt Hugo Strobel usw. wird gemäß dem vorstehenden Antrag des Oberstaatsanwalts vom 1. ds. Mts. eröffnet und die Fortdauer der Untersuchungshaft aus dem im Haftbefehl des Amtsgerichts Rüdesheim vom 29. August i960, Aktenzeichen 3 Gs 84.60, bezeichneten Gründen angeordnet. Wiesbaden, den 2. September 1960. Der Untersuchungsrichter beim Landgericht. Richter. 2. Nachricht dem Amtsgericht Rüdesheim zu den Akten 3 Gs 84.56 mit dem Ersuchen, den Angeschuldigten alsbald durch die Polizei in das hiesige Untersuchungsgefängnis verbringen zu lassen. 3. Vorzulegen dem Herrn Oberstaatsanwalt zur Kenntnisnahme. 4. Nach 3 Tagen." Mit Eröffnung der Voruntersuchung ist die Zuständigkeit in Haftsachen in gewissem Umfang auf den Untersuchungsrichter übergegangen; die periodische Haftprüfung (S. 828 zu 3) obliegt aber der Strafkammer (§ 1 2 4 1 1 . I V ) . In der Kontrollfrist selbst tritt durch den Haftfortdauerbeschluß des Untersuchungsrichters keine Änderung ein. Dagegen hat sich eine Beschwerde nicht mehr gegen den amtsgerichtlichen Haftbefehl, sondern gegen den Fortdauerbeschluß des Untersuchungsrichters zu richten; hätte Strobel gegen den Rüdesheimer Haftbefehl bereits Beschwerde eingelegt gehabt, so würde sie gegenstandslos geworden sein. Härtung, Recht d. Untersuchungshaft, 8 zu § 1 1 5 . — Die Akten kommen von der Staatsanwaltschaft nach Kenntnisnahme zurück. Nunmehr erfolgt die Vernehmung des inzwischen in Wiesbaden eingelieferten Angeschuldigten nach § 1 9 2 : „Gegenwärtig: Landgerichtsrat Richter als Untersuchungsrichter, Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Wiesbaden, den 4. September 1960.

In der Voruntersuchungssache usw. erscheint, aus der Untersuchungshaft vorgeführt: der Angeschuldigte. Er wurde mit der Verfügung vom 2. ds. Mts., durch die die Voruntersuchung eröffnet worden und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet ist, sowie mit dem ihm gegen den Haftbefehl zustehenden Beschwerderecht und dem Recht, mündliche Verhandlung gemäß § H4d StPO zu beantragen, bekannt gemacht. Befragt, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle, erklärte der Angeschuldigte: Wegen des Haftbefehls behalte ich mir meine Schritte vor. Zunächst werde ich einen Verteidiger wählen und die weiteren Maßnahmen mit diesem besprechen. Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben. Hugo Strobel. Der Angeschuldigte wurde in die Untersuchungshaft Zurückgeführt. Richter. Urkund." E r m i t t l u n g e n d u r c h die P o l i z e i . U m Gewißheit über Strobels Täterschaft zu bekommen, bedarf es der sorgfältigen Bearbeitung aller Spuren und eingehender Ermittlungen über die Glaubwürdigkeit des Dach und der übrigen Zeugen. Um die

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Untersuchungsrichter — Polizeiliche Ermittlungen

Ursache des Brandes aufzuklären, empfiehlt es sich, in der Brandermittlung ausgebildete Kriminalbeamte zuzuziehen, die — in gleicher Weise wie kriminaltechnische Sachverständige — erforderlichenfalls die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt zur Verfügung stellen (Nr. 250 RStV 1953). Der Untersuchungsrichter bittet hier das Polizeipräsidium telefonisch, den Leiter des Brandstiftungsdezernats zu ihm zu entsenden. Über die Besprechung mit dem Kommissar, die keine „Untersuchungshandlung" im Sinne des § 188 1 darstellt, wird nicht ein Protokoll (§ 187 S. 1), sondern bloß ein Aktenvermerk aufgenommen: Ich händigte dem Krim.-Komm. Dr. Findig vom hiesigen Polizeipräsidium die Akten mi 1 dem Auftrag aus, über die Persönlichkeit der Zeugen Dach, Mohaupt und Tiefte und ihre Glaubwürdigkeit Erkundigungen einzuziehen, die an der Brandstelle vorhandenen Spuren durch Photographieren, Messen usw. genau festzulegen und die chemische Bearbeitung vorzubereiten. Krim.-Komm. Dr. Findig wird innerhalb 5 Tagen unter Rückgabe der Akten berichten. Er quittiert über den Empfang der Akten durch seine Unterschrift. Dr. Artur Findig. Wiesbaden, den 5. September i960. Richter."

Die Eröffnung einer gerichtlichen Voruntersuchung macht die selbständige Vornahme von Ermittlungshandlungen durch andere Organe der Strafverfolgung nicht unzulässig (Nr. 8jIX> 1 1 1 RiStV 1953). Um Doppelarbeit und Verzettelungen zu vermeiden, empfiehlt es sich aber, daß Staatsanwalt und Polizei Ermittlungen, die nicht unaufschiebbar dringlich sind, nur noch im Einvernehmen mit dem Richter anstellen. Keinesfalls darf jedoch der Staatsanwalt in die Tätigkeit des Untersuchungsrichters eingreifen. Unzulässig ist daher die Vernehmung von Untersuchungsgefangenen durch Staatsanwälte oder Polizeibeamte ohne Vorwissen des Untersuchungsrichters (Nr. 85 1 1 RiStV 1953), nicht zu billigen ist auch die eigenmächtige, ohne besondere Not erfolgende Vornahme von Haussuchungen, deren Ergebnisse nachher dem Untersuchungsrichter als Material aufgedrängt werden. Vgl. dazu RGSt6o, 263 und LöweRosenberg-Kohlhaas [20] Anm. 6 zu § 184. Dagegen besteht kein Bedenken, daß der Untersuchungsrichter sich bei seinen Ermittlungen polizeilicher Hilfe bedient, was § 189 sogar ausdrücklich vorsieht. Leider ist es noch immer so, daß viele Kriminalbeamte, namentlich in den Großstädten, wo ihnen, besonders in Mord-, Betrugs-, Diebstahls-, Hehlerei-, Spieler-, Brandstiftungs- usw. Sachen, die auf der weitgehenden Spezialisierung der Dezernate beruhende Routine zu gute kommt, kriminalistisch weit besser vorgebildet sind als das Gros der Richter und Staatsanwälte. Verteidigung. „Wiesbaden, den 11. September i960. An den Untersuchungsrichter hier. In der Untersuchungssache gegen Strohe1 wegen Brandstiftung überreiche ich die mir von dem Angeschuldigten erteilte Verteidigungsvollmacht und beantrage: mir die Einsicht der gesamten Gerichtsakten zu gestatten. Weiß, Rechtsanwalt als Verteidiger."

Dem Beschuldigten (Angeschuldigten, Angeklagten) als solchem steht die Akteneinsicht niemals zu (RGSt 72, 275). Der Verteidiger hat vom Schluß der Voruntersuchung bzw. von Einreichung der Anklageschrift ab ein unbeschränktes Recht auf Akteneinsicht (§ 147 1 ). Vorher stehen hm die Protokolle über verantwortliche Vernehmungen, Sachverständigengutachten

Untersuchungsrichter — Akteneinsicht des Verteidigers

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und solche gerichtliche Handlungen, denen der Verteidiger nach § 193 beizuwohnen berechtigt ist — Augenscheinseinnahmen; Vernehmung solcher Zeugen oder Sachverständigen, die voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptverhandlung verhindert sein werden — unbedingt offen (§ 1 4 7 1 1 1 ) , während die Einsicht der übrigen Akten nur insoweit zu gestatten ist, als es „ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks" geschehen kann (§ 1 4 7 1 1 ) . Nicht gerechtfertigt wäre es, die Akteneinsicht grundsätzlich abzulehnen, so lange der Beschuldigte nicht geständig oder vollständig überführt ist, aus der Befürchtung, daß er bei seinen späteren Unterredungen mit dem Verteidiger den Inhalt der Akten v o n diesem erfahren und seine Kenntnis zur Verdunkelung des Tatbestandes mißbrauchen könnte. Eine solche Taktik würde den Untersuchungszweck nicht fördern. Überraschende Freisprüche in der Hauptverhandlung haben ihren Grund nicht selten darin, daß Beweise, die ein aus den Akten informierter V e r teidiger schon während der Voruntersuchung beantragt haben würde und die dann kritisch geprüft worden wären, nunmehr in der Hauptverhandlung beantragt und in überstürzter Weise erhoben werden. E s müssen schon im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein, daß die Gewährung v o n Akteneinsicht den Untersuchungszweck gefährden könnte; so wäre z. B. die Vorenthaltung gewisser Aktenteile geboten, wenn ein Polizeibeamter, Sachverständiger oder Zeuge in den Akten einen Plan für die Überführung des Angeschuldigten, für das Verhalten bei Haussuchungen u. dgl. niedergelegt hat. A u c h der infolge des Kassibers auf Strobel ruhende Verdunkelungsverdacht würde die Ablehnung der Akteneinsicht nicht rechtfertigen. D e r Verteidiger ist kein Komplize des Täters, dem man ohne weiteres Begünstigungshandlungen zutrauen dürfte! A k t e n e i n s i c h t im s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e n E r m i t t l u n g s v e r f a h r e n : In diesem Stadium hat der Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht nur nach § 1 4 7 1 1 1 (vgl. Löwe-Rosenberg-Kohlhaas [20] Arim. 10b zu § 147; Nr. 172 1 Satz 3 RiStV 1953 1 ). Dagegen entfällt das Akteneinsichtsrecht nach § 147 1 1 . Denn das Gesetz spricht von „gerichtlichen" Untersuchungsakten, und solche gibt es im Vorverfahren nicht, hier ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens und der Akten. Im Justizverwaltungswege (vgl. Nr. 172 1 RiStV 195}) ist es aber in das pflichtmäßige Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt, dem Verteidiger Einsicht in die Ermittlungsakten zu gewähren, soweit nicht der Untersuchungszweck dadurch gefährdet werden kann. Die Handakten des Staatsanwalts sind von der Einsichtnahme ausgeschlossen (Nr. 176 RiStV 195}). Im beschleunigten Verfahren (§212 StPO) gibt § 147 1 Satz 2 dem Verteidiger das unbeschränkte Akteneinsichtsrecht, sobald der Staatsanwalt die Aburteilung im beschleunigten Verfahren beantragt hat. V e r t e i d i g e r v o l l m a c h t : Der Wahlverteidiger (§§ 137k StPO) wird durch eine Vollmacht des Beschuldigten oder durch die Anzeige, daß er den Verteidiger gewählt habe, legitimiert, der Offizialverteidiger (§§ 8 i n , i ^ d i v , 141) durch die Bestellung seitens des Vorsitzenden (§ 142). Die StPO verlangt schriftliche Vollmacht nur, wenn der Verteidiger an Stelle des Angeklagten die Hauptverhandlung wahrnimmt (§§ 234, 350, 387, 4 1 1 , 4 1 3 ™ ) , doch wird man zweckmäßigerweise auch sonst eine Vollmacht einreichen und in sie die Befugnis zum Empfang der für den Angeklagten bestimmten Zustellungen aufnehmen lassen. Sonst gehen nämlich die Zustellungen, statt an den Verteidiger, an den Angeklagten persönlich, wodurch leicht Versäumnisse eintreten können (besonders wenn sich der Angeklagte in Haft befindet). Aber auch wenn der Verteidiger Zur Empfangnahme von Zustellungen ermächtigt ist, bleibt die an den Angeklagten erfolgte Zustellung gültig (RGSt 6, 93; O L G Kiel HESt 2, 74). Manche Zustellungen müssen trotz der Zustellungsvollmacht des Verteidigers an den Angeklagten persönlich erfolgen, weil der prozeßrechtliche Zweck der Zustellung es erfordert, wie die Anklageschrift, der Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens Nach dem Entw. des Gesetzes Zur Änderung der StPO und des G V G (vgl. Fußnote 1 auf S. 795) soll dem Verteidiger auch im Vorverfahren das uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht zustehen, sobald der Abschluß der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist; vor diesem Zeitpunkt soll ihm die Akteneinsicht nur versagt werden können, wenn sie den Zweck des Verfahrens gefährden könnte.

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Untersuchungsrichter — Haftprüfung

abgelehnt oder der Angeschuldigte außer Verfolgung gesetzt wird, dasi n Abwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil (Schwarz [21 ] Anm. z C zu § 37; Löwe-Rosenberg-Geier [20] Anm. 8 zu § 268). Jedoch ist in diesen Fällen die Staatsanwaltschaft angewiesen, dem Verteidiger formlos eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks zu übersenden (vgl. RiStV 1953 Nr. 9 3 1 I 1 , 1 2 2 1 1 ) , damit er sich mit seinem Klienten in Verbindung setzen kann. — Ein richtiger „Vertreter" ist im Strafprozeß der Anwalt des Privatklägers (§ 378) und des Nebenklägers (§ 397).

Verfügung: „ 1 . Die Einsichtnahme der gesamten Gerichtsakten wird gestattet. 2. Mitteilung an R A . Weiß."

In der Folge verkehrt der Verteidiger wiederholt schriftlich und mündlich mit Strobel. Die persönlichen Unterredungen könnte der Richter, weil die Haft hier nicht bloß wegen Fluchtverdacht, sondern auch wegen Verdunklungsgefahr angeordnet ist, überwachen (§ 148 1 1 1 ) 1 ), indessen macht er von dieser Befugnis keinen Gebrauch. Die Einsicht in die vom Verteidiger an den Angeschuldigten gerichteten Briefe steht dem Gericht gegen den Willen des Verteidigers nicht zu, es darf lediglich diese Briefe, wenn ihm kein Einblick gestattet wird, zurückweisen (§ 148 11 ). Briefe, die der Angeschuldigte seinem Verteidiger schreibt, unterliegen, wie alle Briefe von Untersuchungsgefangenen, der richterlichen Überwachung. Hafttermin. In dem Bestreben, die Aufrechterhaltung grundloser oder grundlos gewordener Haftbefehle nach Möglichkeit zu verhüten, gibt das Gesetz eine Reihe verschiedene Behelfe2), deren Nebeneinanderbestehen eine komplizierte Regelung erforderte. 1. Der Beschuldigte hat gegen den Haftbefehl die (unbefristete) Beschwerde. Gegen die Beschwerdeentscheidung der Strafkammer — einziger Fall eines solchen Rechtsmittels in Strafsachen! — ist weitere Beschwerde an den Strafsenat des Oberlandesgerichts gegeben und zwar ohne Beschränkung auf duae difformes oder Gesetzesverletzungen. §§ 115 S. 1, 3041, 305, 310 1 . 2. Der Angeschuldigte kann verlangen, daß mündliche Verhandlung über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls stattfindet. Ausnahme: wenn der Haftbefehl wegen einer Übertretung (§ 3613.4>8 StGB!) erlassen war. § 114 d StPO. Die auf Grund der mündlichen Verhandlung gefällte Entscheidung unterliegt der Beschwerde und weiteren Beschwerde wie zu 1. Dem ersten Antrag auf mündliche Verhandlung muß das Gericht stattgeben, später wiederholte Anträge kann das Gericht nach freiem Ermessen ablehnen (§ 114 d 1 1 1 ). 3. Ferner wird von Zeit zu Zeit im „Haftprüfungsverfahren" (§ 115 a) v o n Amtswegen über die Aufrechterhaltung der Haft entschieden und zwar bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte es beantragt, nach mündlicher Verhandlung ( § 1 1 5 a I V , § 115 b); dieser Antrag kann (anders als zu 2) bei jedem neuen Termin wiederholt und es muß ihm jedesmal stattgegeben werden. Beschwerde wie zu 1. Neben einem Antrag auf mündliche Verhandlung (zu 2 wie zu 3) ist eine Beschwerde gegen den Haftbefehl nicht zulässig ( § 1 1 5 c 1 1 ). Nach dem Entw. des Gesetzes zur Änderung der StPO und des G V G sind Beschränkungen des schriftlichen oder mündlichen Verkehrs mit dem Verteidiger nicht mehr möglich, sobald der Abschluß der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist. Vorher dürfen Beschränkungen nur angeordnet werden, wenn ohne sie der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. 2 ) Zur weiteren Einschränkung der Untersuchungshaft sieht der in Fußnote 1 bezeichnete Entwurf vor, daß eine Untersuchungshaft, die sechs Monate gedauert hat, ohne daß inzwischen ein (noch nicht rechtskräftiges) auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung lautendes Urteil ergangen ist, nur fortgesetzt werden darf, wenn die Schwierigkeit der Untersuchung oder wichtige Belange der Strafrechtspflege die Haftfortdauer erfordern; über diese Voraussetzungen soll das Oberlandesgericht entscheiden.

Untersuchungsrichter — Zuständigkeit

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Die erste Haftprüfung findet nach einmonatiger Dauer der Untersuchungshaft statt; später werden die Haftprüfungsperioden zwischen 3 Wochen und 3 Monaten von Fall zu Fall durch das Gericht festgesetzt. Erhebt der Beschuldigte Beschwerde oder beantragt er mündliche Verhandlung (oben zu 1 und 2), so laufen die Prüfungsfristen erst von der die Haft aufrecht erhaltenden Entscheidung ab. Selbstverständlich unterliegt die Entscheidung des HaftprüfungsVerfahrens wiederum der Beschwerde und weiteren Beschwerde.

4. Auch außerhalb des periodischen Haftprüfungsverfahrens ist das Gericht berechtigt, den Haftbefehl wegen veränderter Sachlage auf Antrag oder von Amtswegen aufzuheben, sogar gegen den Widerspruch der Staatsanwaltschaft. Die Aufhebung muß erfolgen, sobald der Beschuldigte außer Verfolgung gesetzt oder freigesprochen wird und damit der Tatverdacht entfällt. § 123 StPO. 5. Während zu 1—4 das Gericht nach seinem pflichtmäßigem Ermessen entscheidet, muß nach § 126 der im Vorverfahren erlassene Haftbefehl auf Antrag des Staatsanwalts unbedingt aufgehoben werden, gleichviel welche Auffassung der Richter selbst von der Sache hat. Gelingt es also dem Beschuldigten (oder seinem Verteidiger), die Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen, daß Tat- oder Fluchtverdacht nicht bestehe, so ist ihm seine Freilassung gesichert. Das gilt freilich bloß so lange, wie der Staatsanwalt vor Erhebung der „öffentlichen Klage" das Verfahren als unbeschränkter Herr in der Hand hat. In der Voruntersuchung wird durch die Zustimmung der Staatsanwaltschaft die eigene Prüfungspflicht des Gerichts nicht beseitigt. Strobel versucht es zunächst mit der mündlichen Verhandlung: Wiesbaden, den 15. September i960. A n den Untersuchungsrichter hier. In der Untersuchungssache gegen Strobel wegen Brandstiftung beantrage ich: gemäß § H 4 d StPO Termin Zur mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl anzusetzen. Weiß, Rechtsanwalt als Verteidiger."

In der Voruntersuchung sind die Befugnisse des Gerichts in höchst komplizierter Weise zwischen Untersuchungsrichter und Strafkammer aufgeteilt. Eröffnung, Führung, Schließung und Ergänzung der Voruntersuchung geschehen durch den Richter (§§ 184,197). Dagegen bedarf es zur Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung oder Wiedereröffnung eines Beschlusses des Gerichts, d. h. der Strafkammer (§§ 180 1 S. 2, 1 9 7 1 1 StPO, 73 1 S. 1 G V G ) , und zwar als erstinstanzliches Gericht, also von der noch zu besprechenden Beschwerdezuständigkeit der Strafkammer gegenüber dem Untersuchungsrichter wohl zu unterscheiden. Beschlüsse über Beschlagnahmen einschließlich der Postbeschlagnahme faßt der Richter (§§98*, 100 1 StPO); über Anordnung der Anstaltsbeobachtung s. S. 834. Haftbefehle werden vom Untersuchungsrichter erlassen und, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt und der Richter dem Antrag beistimmt, aufgehoben; versagt dagegen der Staatsanwalt seine Zustimmung, so kann der Haftbefehl — außerhalb des Haftterminsverfahrens — nur von der Strafkammer aufgehoben werden. Für die periodische Haftprüfung des § 115 a ist die Strafkammer zuständig, welche damit indirekt die Tätigkeit des Richters überwacht (§ i24 I V ). Der Untersuchungsrichter kann zwar mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten gegen Sicherheitsleistung freilassen; der Verfall der Sicherheit (§122) wird aber durch die Strafkammer ausgesprochen. Die mündliche Verhandlung gemäß § 1 1 4 d hingegen spielt sich immer vor dem Untersuchungsrichter ab, der in diesem Fall an die staatsanwaltschaftlichen Anträge weder zugunsten noch zuungunsten des Angeschuldigten gebunden ist. § i 2 4 l v . — Verfügung:

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Untersuchungsrichter — Hafttermin „ i . Termin zur mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl gemäß § i i 4 d StPO am 20. September i960."

Ohne ausdrückliche Zustimmung des Angeschuldigten darf der Termin nicht über eine Woche hinaus angesetzt werden (§ i i 4 d n ) . „2. Nachricht: a) der Staatsanwaltschaft, b) dem Angeschuldigten, c) Herrn R A . Weiß. 3. Der Angeschuldigte ist zum Termin vorzuführen."

§ 115 d 1 - u . Zur mündlichen Verhandlung ist der Angeschuldigte vorzuführen, es sei denn, daß er darauf verzichtet oder der Vorführung weite Entfernung oder Krankheit des Angeschuldigten oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen. Für den nicht Vorgeführten muß im Termin ein Verteidiger auftreten und trotz Vorführung ist ein Verteidiger notwendig, wenn die Untersuchungshaft bis zur mündlichen Verhandlung 3 Monate gedauert hat (§ 115 d 1 1 - m ) . Hiernach muß u. U. dem Angeschuldigten für den Hafttermin ein Offizialverteidiger bestellt werden (§ 115 d I V ). „Gegenwärtig: Landgerichtsrat Richter als Untersuchungsrichter, Staatsanwalt Scharf als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizsekretär Urktmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Wiesbaden, den 20. September i960.

In der Voruntersuchungssache usw. erschien, aus der Untersuchungshaft vorgeführt: der Angeschuldigte. Als Verteidiger meldete sich R A . Weiß, der anzeigte, daß er die Wirtschafterin Mohaupt und den Melker Lommel, Rüdesheim, sowie den Kellner Hermann Sperling aus Geisenheim als Zeugen zur Stelle gebracht habe."

Die Anwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft ist in Terminen nach § i i 4 d (oder § i i 5 a I V ) aus sachlichen Gründen immer angebracht. Sie wird aber nicht in dem Sinn vorgeschrieben, daß die Verhandlung (wie eine Hauptverhandlung, § 226) ohne die Staatsanwaltschaft nicht stattfinden könnte. Zuhörer werden nicht zugelassen, denn die Verhandlung findet nicht vor dem „erkennenden" Gericht statt und ist demgemäß zwar eine „mündliche" aber keine „öffentliche" (§ 169 GVG). Öffentliche Termine im Ermittlungs- oder Voruntersuchungsverfahren, wie sie das englisch-amerikanische Recht kennt, gibt es nicht. „Staatsanwaltschaft, Angeschuldigter und Verteidiger wurden über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom

^u8ust 2. September

i960 gehört. Die Staatsanwaltschaft beantragte:

Aufrechterhaltung des Haftbefehls. Der Angeschuldigte und sein Verteidiger beantragten: Aufhebung des Haftbefehls. Hilfsweise erbot sich R A . Weiß namens des Angeschuldigten zur Leistung einer Sicherheit von 5 bis 6000 D M und beantragte, gegen Leistung dieser Sicherheit den Vollzug der Haft auszusetzen."

Vgl. § 1 1 7 StPO. Über die Ausgestaltung der Hafttermine in den Fällen der §§ i i 4 d , 1 1 5 a I V gibt § 115 d nur einige wenige Bestimmungen. Da auf Grund mündlicher Verhandlung entschieden wird, so darf das Gericht seiner Entscheidung lediglich das zugrunde legen, was im Termin — beim Kollegialgericht durch den Berichterstatter, beim Ein-

Untersuchungsrichter — Haftgründe

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zelrichter durch diesen — vorgetragen und damit zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist. Die Schwierigkeiten, die sich sonst für die Verteidigung daraus ergeben, daß vor Eröffnung des Hauptverfahrens der Verteidiger nur ein beschränktes (S. 827), der Beschuldigte als solcher überhaupt kein Recht auf Akteneinsicht hat, werden dadurch wesentlich gemildert. Art und Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne durch Anträge oder Verzichte gebunden zu sein: es gilt also weder der für die Hauptverhandlung aufgestellte Grundsatz der „gebundenen Beweisaufnahme" noch das „Unmittelbarkeitsprinzip" mit seiner Beschränkung des Urkundenbeweises (Kap. 22: „Hauptverhandlung wegen Rückfallbetrugs"). Ob das Gericht Beweise durch persönliche Vernehmung der Zeugen oder durch Verlesung eidesstattlicher Versicherungen oder in den Akten befindlicher Protokolle erheben will, steht in seinem Ermessen. Vgl. Löwe-Rosenberg-Tillmann [20] 9 zu § 115 d. Das Verfahren nähert sich hierin der „Glaubhaftmachung" des Arrestverfahrens. Von Vernehmung der Mohaupt und des Lommel sieht der Richter ab, weil beide zur Zeit, als Strobel von Dach gesehen worden sein soll, geschlafen haben, und die Bejahung des in ihr Wissen gestellten Beweissatzes, daß Strobel wegen rheumatischer Schmerzen 5 Tage das Zimmer nicht verlassen habe, nicht die Möglichkeit ausschließen würde, daß der Angeschuldigte trotzdem seine Schmerzen überwunden hat, um heimlich nach dem Schober zu gehen und ihn anzustecken. Dagegen will er Sperling vernehmen, der als Zeuge für die Unglaubwürdigkeit des Dach und dessen gehässige Gesinnung gegen den Angeschuldigten benannt ist: „Der zur Stelle gebrachte Zeuge Sperling wurde, wie folgt, vernommen: Z . P.: Z . S.: Seit einem halben Jahr bediene ich in der zu Geisenheim, Rheinstraße 5 belegenen Gastwirtschaft .Kornblumenblau', in der viele Rheinschiffer verkehren. Dach besucht das Lokal ab und zu, weil er die Tochter des Inhabers verehrt. Vorige Woche traf er bei uns mit dem Schiffsmaschinisten Gießwein aus Mainz zusammen. E s wurde von dem Brand bei Frei, von der Verhaftung des Strobel und davon gesprochen, daß Dach der Hauptbelastungszeuge sei. Dabei rief Gießmin dem Dach zu: .Alter Schwindler, was du da ausgesagt hast, das glaubst du selbst nicht. D u hast wohl bloß den Strobel reinlegen wollen, weil er nicht bei dir arbeiten läßt. Du hast mir ja vor einem Jahre erzählt, daß du ihn gern ins Zuchthaus bringen würdest.' Dach erwiderte: ,Pst, pst, quatsch nicht solch dummes Zeug' und Gießwein hörte dann auf von der Sache zu reden. Auf Befragen: Gießwein war bei dem Vorfall leicht angetrunken, ich hatte aber den Eindruck, als ob er Dach an ein wahres Erlebnis erinnerte und dem Dach die Äußerung sehr unangenehm wäre. Deshalb habe ich die Sache einer Schwester des Strobel weitererzählt, die es dann wohl dem Verteidiger hinterbracht hat. Gießwein ist, wie er erzählte, über Mainz nach Basel gegangen. E r war für einen Schweizer Dampfer angeheuert, der auf dem Rhein fährt. Den Namen des Schiffes und der Reederei habe ich nicht behalten."

Da das Protokoll des Hafttermins nach den Grundsätzen der Hauptverhandlung, nicht des Vorverfahrens, zu behandeln ist (§§ 115 d v S. 3, 271/3), werden die protokollierten Aussagen nicht vorgelesen. Eine Vereidigung der im Hafttermin vernommenen Zeugen und Sachverständigen findet nur unter den Voraussetzungen der §§ 66, 72 statt. — Die seit dem 29. August angestellten weiteren Ermitdungen haben nichts wesentlich neues ergeben. Es ist weder gelungen, Klarheit über die am Schober befindlichen Fußspuren zu schaffen, noch Anhaltspunkte für die Täterschaft von Landstreichern festzustellen. Der Verdacht, daß der Zettel „Vergeßt nicht die Katze!" die Wirtschafterin auffordern sollte, irgend etwas Belastendes bei Seite zu schaffen, hat sich

882

Untersuchungsrichter — Haftbeschwerde

nicht ausräumen lassen, obgleich Frau Mohaupt bei ihren Vernehmungen auf das Bestimmteste beteuert hat, daß der Angeschuldigte ihr keinerlei Andeutungen gemacht habe und daß er sicherlich bloß an die Hauskatze gedacht habe; der Herr sei halt „manchmal etwas komisch". So bildet die Aussage des Dach in Verbindung mit den von der Mohaupt bekundeten Verwünschungen immer noch das erheblichste Indiz gegen Strobel. Der Verteidiger führt aus, daß nach der Aussage Sperlings die Belastung durch Dach ausscheide und kein dringender Verdacht mehr vorliege. Zum mindesten sei der Verdunklungsverdacht zu verneinen. Der Richter schließt sich der Auffassung nicht an. Er bejaht sowohl den dringenden Tatverdacht und den Fluchtverdacht wie die Verdunklungsgefahr, womit die Möglichkeit der Entlassung gegen Kaution fortfällt (§ 117): „ E s wurde der B e s c h l u ß verkündet: Der Haftbefehl v o m — 2 9- August w|rcj 2. September lassung gegen Sicherheitsleistung wird abgelehnt.

au

f r e c h t erhalten. Der Antrag auf Frei-

Gründe: Der Angeschuldigte wurde in die Untersuchungshaft zurückgeführt.

Richter.

Urkund.

H a f t b e s c h w e r d e . H a f t k a u t i o n . R A . Weiß legt Beschwerde ein und wiederholt seine im Termin gemachten Anführungen und Anträge. Verfügung: „ 1 . D e r Beschwerde wird aus den Gründen des Beschlusses v o m 2. September i960 nicht abgeholfen. 2. Urschriftlich mit Akten dem Landgericht, Strafkammer, hier zur Entscheidung über die Beschwerde."

Denn nach § 73 G V G ist die Strafkammer in der Voruntersuchung nicht nur für gewisse Entscheidungen erstinstanzliches Organ (S. 829), sondern zugleich Beschwerdeinstanz gegenüber dem Untersuchungsrichter. Hätte der Untersuchungsrichter der Beschwerde ohne Abgabe an die Strafkammer gemäß § 3 0 6 1 1 . 1 1 1 abhelfen wollen, so wäre hierzu die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich gewesen (§ I M " S. 1). Die Strafkammer weist die Beschwerde zurück. R A . Weiß ruft auch noch die dritte Instanz an und bekämpft in der Begründung seiner weiteren Beschwerde den Standpunkt der Vorinstanzen mit der Ausführung: ganz zweifellos sei „hinreichender" Verdacht gegen Strobel im Sinne des § 203 nicht gegeben, mithin könne kein „dringender" Tatverdacht angenommen werden, denn dieser Begriff erfordere im Vergleich zum hinreichenden Verdacht ein Mehr an Belastung. — „Beschluß. In der Voruntersuchungssache gegen usw. hat der II. Strafsenat des Oberlandesgerichts in der Sitzung v o m 14. Oktober i960 unter Mitwirkung beschlossen: Die von dem Verteidiger des Angeschuldigten, R A . Weiß in Wiesbaden, gegen den Beschluß des Landgerichts III. Strafkammer in Wiesbaden v o m 3. Oktober i960 eingelegte weitere Beschwerde wird auf Kosten des Angeschuldigten mit der Maßgabe Zurückgewiesen, daß der Angeschuldigte mit der Untersuchungshaft zu verschonen ist, wenn er in Höhe v o n 6000 D M (i. W.) Sicherheit durch Hinterlegung v o n Geld oder Wertpapieren oder durch Bürgschaft der landwirtschaftlichen Vorschußkasse Rüdesheim e. G . m. b. H . in Rüdesheim leistet."

Untersuchungsrichter — Haftkaution

838

Vgl. § i i 8. Bei der von der Vorschußkasse ab2ugebenden Erklärung handelt es sich in Wahrheit nicht um „Bürgschaft" im zivilrechtlichen Sinne, weil die in § 765 B G B vorausgesetzte Verbindlichkeit eines Hauptschuldners fehlt, sondern um eine Garantie. „Gründe. Die weitere Beschwerde ist zulässig aber, soweit sie sich gegen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls richtet, nicht begründet. Der Erlaß eines Haftbefehls setzt nach § 1 1 2 1 S . 1 StPO .dringende* Verdachtsgründe voraus. Damit fordert das Gesetz allerdings einen besonders hohen Grad von Wahrscheinlichkeit; der dringende Verdacht muß im allgemeinen stärker sein als der zur Eröffnung des Hauptverfahrens .hinreichende' Verdacht des § 203, der schon vorliegt, wenn eine Verurteilung mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und es deshalb gerechtfertigt erscheint, durch eine Hauptverhandlung die endgültige Entscheidung über Schuld oder Unschuld herbeizuführen. Auf der anderen Seite ist jedoch der für Erlaß des Haftbefehls maßgebende dringende Verdacht ein relativer Begriff. Er richtet sich nämlich ganz nach dem jeweiligen Stande des Verfahrens, während der hinreichende Verdacht einen gewissen Abschluß der Beweisaufnahme in den Grenzen des § 190 StPO voraussetzt. Da wesentliche Teile der Beweise noch nicht erhoben sind, insbesondere eine Bekundung des Gießmin über die gehässige Gesinnung, welche Dach gegen den Angeschuldigten geäußert haben soll, noch aussteht, mag sich gegenwärtig nicht sagen lassen, daß dem Angeschuldigten eine strafbare Handlung nachgewiesen sei. Es mag auch kein hinreichender, d. h. kein hinreichend gefestigter Verdacht vorliegen. Hingegen kann dringender Tatverdacht schon auf Grund einer unvollständigen und lückenhaften Beweisführung angenommen werden. Man denke an den Fall, daß ein Polizeibeamter nach § 1 2 7 1 1 einen Verdächtigen wegen Gefahr im Verzug festnehmen will, oder daß der vorläufig Festgenommene dem Amtsgericht vorgeführt wird, das nach § 128 1 1 über den Erlaß eines Haftbefehls zu entscheiden hat. Noch unerhobene Entlastungsbeweise müssen also für die Entscheidung über die Haftfrage grundsätzlich außer Betracht bleiben, da das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht voraussehbar ist. Die ganze Würdigung trägt vorläufigen Charakter." Alles das entspricht der zivilprozessualen „Glaubhaftmachung". „Auf Grund des zur Zeit vorliegenden Materials aber läßt sich die Ansicht des Untersuchungsrichters und der Strafkammer, daß der Angeschuldigte der Brandstiftung dringend verdächtig sei, nicht beanstanden. Insbesondere reicht die Bekundung des Sperling, dessen eigene Glaubwürdigkeit noch nachgeprüft werden muß, über gesprächsweise von dem leicht angetrunkenen Gießwein gemachten Bemerkungen nicht aus, um die mit größter Bestimmtheit vorgetragene Aussage Dachs zu erschüttern. Hierzu würde es zum mindesten der Aussage des Gießmin selbst bedürfen. (wird näher dargelegt.) Auch den Fluchtverdacht haben die Vorinstanzen mit Recht bejaht. Dagegen besteht keine Verdunklungsgefahr. Der Zettel ,Vergeßt nicht die Katze I' und vor allem der Versuch des Angeschuldigten, ihn seiner Wirtschafterin heimlich zuzustecken, sind allerdings auffällig, doch kann hier eine Sonderbarkeit des nicht mehr jungen Angeschuldigten vorliegen. Weder der Angeschuldigte noch die Zeugin Mohaupt gehören zu den Personen, bei denen man eine Übung, sich durch Kassiber in der Gaunersprache oder mittels verabredeter Stichworte zu verständigen, ohne weiteres voraussetzen darf. Zudem ergibt die Vorschrift in § 1 1 2 1 , daß Verdunkelungsgefahr bloß auf Grund konkreter, vom Richter aktenkundig zu machender, Tatsachen angenommen werden darf, die gesetzgeberische Absicht, diesen Haftgrund auf solche Fälle zu beschränken, in denen einwandfreie Anhaltspunkte gegeben sind. Da hiernach der Haftbefehl lediglich durch Fluchtverdacht gerechtfertigt wird, besteht die Möglichkeit der Freilassung gegen Sicherheit. Im Hinblick auf das Alter und den gesundheitlichen Zustand des Angeschuldigten, der offenbar sehr an seinem Besitz hängt, erschien es angemessen, ihn gemäß § 117 gegen eine Sicherheit von 6000 DM, die fast die Hälfte seines Vermögens darstellt, mit der Untersuchungshaft zu verschonen. Die Kosten des zum größten Teil erfolglosen Rechtsmittels treffen den Angeschuldigten nach § 4751 StPO. Richterl. Richter II. Richter III." 53

L u x . Schulung 5. Aufl. (Schäfer)

834

Untersuchungsrichter — Beobachtung des Geisteszustandes

Bei Wiedereingang der Akten notiert der Untersuchungsrichter zunächst eine neue Frist für die Haftprüfung, deren Zeitpunkt sich infolge des Oberlandesgerichtsbeschlusses gemäß § 115 a v (oben S. 828) verschoben hat. Einige Tage später reicht RA. Weiß die Erklärung der Rüdesheimer Kasse ein. Verfügung: „ 1 . Entlassungsbefehl anliegend."

Vgl. Nr. 17 UVolLzO (oben S. 823). „ 2 . Nachricht der Staatsanwaltschaft. 3. Vorlage 14. Dezember fällt w e g . "

Sobald nämlich der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen wird, findet keine periodische Haftprüfung mehr statt (§ 115 a 1 StPO). Der Haftbefehl selbst bleibt bestehen, denn durch seine Aufhebung würde die Sicherheit endgültig frei werden (§ 121 1 ), was gerade nicht geschehen soll. Der Haftbefehl kann sogar trotz der Sicherheitsleistung noch vollstreckt werden, falls Strobel Anstalten zur Flucht trifft oder sonstige nova seine Verhaftung notwendig machen (§ 120). Wofür haftet die Sicherheit? Sie wird, wie § 122 1 zeigt, dafür geleistet, daß Strobel sich weder der Untersuchung noch dem Antritt einer etwa gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe entziehen (durch Flucht, Sichverbergen usw., nicht aber bei Selbstmord) wird. Tritt einer dieser Fälle ein, so ist die Sicherheit vom Gericht für verfallen zu erklären (§ 122 1 1 . m ) . Für anderweite Verpflichtungen des Angeschuldigten (z. B. Geldstrafen oder Gerichtskosten) haftet sie nicht, noch weniger für Schadensersatzansprüche des Verletzten. E i n s c h r ä n k u n g der R e c h t s b e h e l f e des H a f t v e r f a h r e n s in b e s o n d e r e n F ä l l e n : Die oben S. 806 grundsätzlich besprochenen Aufhebungsmöglichkeiten gelten grundsätzlich für alle Stadien des Verfahrens. Insbesondere findet auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens die periodische Haftprüfung statt. E s gibt aber dann keine mündliche Verhandlung mehr (§ 1 1 5 b), so daß sich der Angeklagte mit schriftlichen Vorstellungen und Beschwerden und schriftlicher Haftprüfung begnügen muß. Der bei Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § Z07 1 1 gefaßte Haftfortdauerbeschluß tritt ganz an Stelle des früheren Haftbefehls, so daß die Prüfungsfrist jetzt von der Bekanntmachung der Entscheidung aus § 2 0 7 1 1 ab läuft (§ 1 1 5 a v ). Dem Haftfortdauerbeschluß des Untersuchungsrichters bei Eröffnung der Voruntersuchung ist diese besondere Wirkung nicht beigelegt.

Beobachtung des Geisteszustandes. Nachdem die Ermittlungen mehrere Wochen weitergeführt worden sind und sich für Strobel immer ungünstiger gestaltet haben, reicht der Verteidiger einen neuen Schriftsatz ein, zählt eine Reihe von Abnormitäten auf, die ihm an dem Angeschuldigten und seinem Verhalten aufgefallen sind, weist auf die Bekundung der Wirtschafterin hin, daß „der Herr manchmal etwas komisch" sei, und bittet um Untersuchung des Geisteszustandes. Darauf wird der Gerichtsarzt vom Untersuchungsrichter beauftragt, Strobel zu untersuchen und sich über seinen Geisteszustand zu äußern. Das Gutachten geht im Ergebnis dahin: „Wenn auch der Angeschuldigte gewisse Zeichen geistiger Entartung trägt, so halte ich es doch für wenig wahrscheinlich, daß er bei Begehung der ihm zur Last gelegten Straftat im Sinn des § 51 S t G B zurechnungsunfähig war oder daß er jetzt geisteskrank ist."

Zurechnungsunfähigkeit z. Z. der Begehung schließt, da es an der strafrechtlichen Schuld fehlt, eine strafbare Handlung aus und führt, unbeschadet der Möglichkeit, die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt gemäß § 42 b StGB anzuordnen, zur Außerverfolgungsetzung bzw. zum Freispruch. Stellt sich im Lauf der Voruntersuchung heraus, daß der Angeschuldigte nach der Tat geisteskrank geworden ist und ihm die strafverfahrensrechtliche Verhandlungsfähigkeit fehlt, so findet weder eine Außerverfolgungsetzung noch eine Eröffnung des Hauptverfahrens statt; vielmehr ist das Verfahren nach § 205 vorläufig einzustellen. Stellt sich erst nach der Eröffnung des

Untersuchungsrichter — Beobachtung des Geisteszustandes

885

Hauptverfahrens die auf Geisteskrankheit beruhende Verhandlungsunfähigkeit heraus, so wird, je nachdem ob es sich um einen vorübergehenden oder dauernden Zustand handelt, das Verfahren nach § 205 oder § 206 a durch Beschluß eingestellt, und zwar gleichviel, ob. die Geisteskrankheit schon zur Tatzeit bestand oder erst später eingetreten ist (vgl. Löwe-Rosenberg-Kohlhaas [20] 5 zu § 205); dagegen muß bei Geisteskrankheit zur Zeit der Tat die Sache zur Hauptverhandlung gebracht werden, wenn die Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt nach § 42 b StGB in Betracht kommt (das objektive Sicherungsverfahren nach §§ 42yaff. StPO kommt nur in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft das subj. Strafverfahren wegen Zurechnungsunfähigkeit zur Zeit der Tat einstellt, ist also im Hinblick auf §156 StPO ausgeschlossen, sobald die Voruntersuchung oder das Hauptverfahren eröffnet ist). Endlich wird bei Geisteskrankheit nach dem Urteil die Vollstreckung von Freiheitsstrafen aufgeschoben (§ 45 5 1 ). „Ein sicheres Urteil läßt sich jedoch nur durch längere Beobachtung in einer Heil- oder Pflegeanstalt gewinnen. Ich empfehle daher: Unterbringung des Angeschuldigten in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt und Beobachtung seines Geisteszustandes gemäß § 81 StPO. Med.-Rat Dr. Ansorge Gerichtsarzt."

Die Entscheidung über die Anstaltsbeobachtung steht der Strafkammer zu (§ 124 1 1 StPO). Diese gibt zunächst dem Staatsanwalt wie dem Verteidiger — der in diesem Falle notwendig ist (§ 8 1 1 1 StPO) — Gelegenheit zur Äußerung. Alsdann ergeht der „Beschluß. In der Voruntersuchungssache usw. wird nach Anhörung der Staatsanwaltschaft sowie des Verteidigers gemäß § 81 StPO angeordnet: Über den Geisteszustand des Angeschuldigten soll ein Gutachten des leitenden Arztes der Landes-Heil- und Pflegeanstalt in X. erstattet werden. Der Angeschuldigte ist zur Vorbereitung dieses Gutachtens auf die Dauer von höchstens sechs Wochen in die genannte Anstalt zu bringen und dort zu beobachten. Wiesbaden, den 10. Januar 1961. Landgericht. IH. Strafkammer. Richter I.

Richter II.

Richter III."

Der Beschluß wird dem Angeschuldigten, Staatsanwalt und Verteidiger zugestellt. Erst nach Ablauf der einwöchigen Frist für die sofortige Beschwerde ( § § 8 i m , 3 1 1 1 1 ) wird er gemäß § 36 S. 1 der Staatsanwaltschaft zur Durchführung übergeben, die Strobel nach fernmündlicher Verständigung mit dem Leiter der Anstalt dorthin verbringt. Schon vor der Ankunft des Angeschuldigten übersendet sie dem Gutachter alle in ihren Händen befindlichen, für den Gutachter bedetitsamen Unterlagen (die Akten und etwaige Beiakten), veranlaßt ihn, die Vorgeschichte möglichst schon vor Strobels Ankunft zu erheben, um damit keine Zeit zu verlieren, und weist ihn darauf hin, daß die Anstaltsverwahrung nicht länger dauern darf, als zur Beobachtung unbedingt erforderlich ist und daß das gesetzliche Höchtsmaß von 6 Wochen keinesfalls überschritten werden darf (Nr. 48 RiStV 1953). Denn es handelt sich um eine empfindliche Freiheitsbeschränkung, die mit dem früher erlassenen Haftbefehl nichts zu tun hat und deren Anordnung deshalb vom Gesetz an besondere Garantien geknüpft wird. Das spätere Gutachten des Anstaltsarztes lautet zusammenfassend: „Strobel leidet an angeborenem leichten Schwachsinn, der sich durch Alterserscheinungen erheblich verschärft hat. Er leidet ferner zeitweise an epileptischen Anfallen. Es besteht eine 53*

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Untersuchungsrichter — Abschluß der Voruntersuchung große Wahrscheinlichkeit dafür, daß er die ihm zur Last gelegte Brandstiftung unter dem Einfluß epileptischer Störungen begangen hat und daß die Voraussetzungen des § 5 1 1 StGB vorlagen. Die Tat erklärt sich aus der jahrelangen schweren Verfeindung Strobeh mit seinem Nachbarn. Künftige mit Strafe bedrohte Handlungen Strobeh sind nicht wahrscheinlich. Gegen seine Verhandlungsfähigkeit bestehen keine Bedenken."

Darnach wird das Verfahren voraussichtlich mit Außerverfolgungsetzung enden. Auch die Voraussetzungen eines Sicherungsverfahrens (§ 429 a) mit dem Ziel, die Anordnung der Unterbringung Strobels in einer Heil- oder Pflegeanstalt gemäß § 42 b StGB herbeizuführen, sind nicht gegeben. Eine solche Anordnung kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse es erfordert. Das ist aber nur der Fall, wenn die Unterbringung zur Verhütung künftiger nicht unerheblicher Straftaten erforderlich ist, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind; eine solche Erwartung hat der Sachverständige aber mit überzeugenden Gründen verneint. Wegen der Unterbringung gemeingefährlicher Geisteskranker in einer geschlossenen Anstalt auf Grund landesrechtlicher Vorschriften außerhalb eines Straf- oder Sicherungsverfahrens s. oben S. 822. Ist eine solche Unterbringung aus Anlaß der Verwirklichung des äußeren Tatbestandes einer strafbaren Handlung angeordnet worden, so erübrigt es sich, aus demselben Anlaß im Sicherungsverfahren (§§ 429aff. StPO) die Unterbringung des Geisteskranken in einer Heil- oder Pflegeanstalt nach § 42 b StGB zusätzlich anzuordnen, es sei denn, daß das betreffende Landesgesetz sich gegenüber den bundesrechtlichen Unterbringungsmöglichkeiten Subsidiarität beilegt (BGH N J W 1958, 1643). A b s c h l u ß der V o r u n t e r s u c h u n g . Der Untersuchungsrichter bricht die im Gange befindlichen weiteren Ermittlungen ab und verfügt gemäß § 197 1 ' 1 1 1 StPO: „ 1 . Die Voruntersuchung wird geschlossen. 2. Nachricht dem Angeschuldigten. 3. Urschriftlich mit Akten dem Herrn Oberstaatsanwalt beim Landgericht hier zur Stellung seiner Anträge. Wiesbaden, den 16. Februar 1961. Der Untersuchungsrichter beim Landgericht. Richter."

Der Abschluß der Voruntersuchung steht im Ermessen des Untersuchungsrichters. Betrachten Staatsanwalt oder Angeschuldigter die Untersuchung als abschlußreif, während der Untersuchungsrichter noch weiter ermitteln will, so haben sie keine Möglichkeit, den Richter zur Aufgabe seiner Ansicht und zum schnelleren Abschluß der Untersuchung zu zwingen. Dagegen kann gegen den Willen des Untersuchungsrichters eine Ergänzung der Voruntersuchung von der Strafkammer angeordnet werden (§ 197 1 1 ). Das würde z. B. in unserem Falle praktisch werden, wenn die Staatsanwaltschaft § 5 1 StGB nicht für anwendbar hält. Mit Beendigung der Voruntersuchung hat der Untersuchungsrichter jeden Einfluß auf den weiteren Verlauf des Verfahrens verloren. Die Anträge der Staatsanwaltschaft — die entweder auf Eröffnung des Hauptverfahrens oder auf Außerverfolgung (oder vorläufige Einstellung des Verfahrens unter den Voraussetzungen des § 205) oder auf Ergänzung der Voruntersuchung gehen (§§ 1 9 7 1 1 , 198 StPO) — können der Auffassung des Untersuchungsrichters von der Sache entgegengesetzt sein. Von der Mitwirkung in der Eröffnungskammer oder dem erkennenden Gericht ist der Unter-

Untersuchungsrichter — Unzulässige Voruntersuchung

887

suchungsrichter kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 23 I I ). Die Praxis beschränkt das auf den Richter, der die Untersuchung wirklich „geführt", d. h. eigentliche Untersuchungshandlungen vorgenommen und nicht bloß formale Verfügungen (wie 2. B. die Eröffnung oder Schließung der Voruntersuchung) als Untersuchungsrichter erlassen hat. Vgl. Löwe-Rosenberg-Niethammer [20] 1 1 zu § 2 3 ; R G S t 5 9 , i o o ; 6 i , 4 I 5 . Unzulässige Voruntersuchung Der Oberstaatsanwalt stellt Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung — ohne Verhaftung —: „ 1 . gegen den Kaufmann Johannes Held in Mainz, Höhenstraße 25. Ich beschuldige ihn: zu Mainz im Januar und Februar i960 als Schuldner, der seine Zahlungen eingestellt hat und über dessen Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, in der A b sicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, Vermögensstücke, nämlich eine Kiste mit Kleidungsstücken, Decken und Ledersachen, verheimlicht und beiseite geschafft zu haben, 2. gegen den Kaufmann Martin Obst in Koblenz, Bergstraße 17. Ich beschuldige ihn: dem Angeschuldigten Held zur Begehung des Verbrechens zu 1 durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben, indem er die Kiste in seine Wohnung einstellen ließ, Verbrechen gegen §§ 239 1 K O , 49 StStGB. Die Voruntersuchung ist wegen der Bedeutung der Sache erforderlich."

Durch den vom Konkursverwalter ausgefüllten Fragebogen ist zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft gelangt, daß der Gemeinschuldner Held z. Z. der Konkurseröffnung eine Kiste mit Kleidungsstücken, Decken und Ledersachen bei seinem Schwiegervater Obst in Koblenz eingestellt hatte, deren Vorhandensein er erst bei Leistung des Offenbarungseides angegeben hat (vglll S. 41 i f ) . In dem daraufhin eingeleiteten Ermitdungsverfahren haben sowohl Held wie Obst versichert, daß es nicht ihre Absicht gewesen sei, die Gläubiger zu benachteiligen. Als man im Januar i960 die Kiste nach Koblenz gebracht habe, sei an Zahlungseinstellung und Konkurs noch nicht zu denken gewesen. Es handle sich um Reise- und Sportsachen, die man bei Obst in Verwahrung gegeben habe, weil dieser einen Kraftwagen besitze, mit dem die Familie Held wiederholt größere Ausflüge unternommen habe. Bei Aufnahme der Masse mit dem Konkursverwalter in den Tagen nach Konkurseröffnung habe Held in seiner begreiflichen Erregung die Kiste vergessen gehabt, so daß sie ihm erst durch die Vorhaltungen der Gläubiger wieder ins Gedächtnis gerufen worden ist. Der Referendar: Laut Frachtbrief ist die Kiste am 7. Januar i960 in Koblenz eingetroffen. Wie der Zeuge Scheffler, ein Bekannter des Gemeinschuldners, bekundet, hat Held kurz vor oder nach Weihnachten zu ihm darüber gesprochen, daß er im kommenden Frühjahr mit seinem Schwiegervater große Touren machen wolle und deshalb verschiedene Sachen hinschaffen wolle oder schon hingeschafft habe. Der Konkursverwalter hat sich dahin geäußert, daß die Schwierigkeiten Heids bereits im letzten Quartal 1959 begonnen hätten, doch sei das Weihnachtsgeschäft gut gewesen und von einer Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung am 7. Januar könne nicht die Rede sein. — Es wundert mich, daß unter diesen Verhältnissen der Staatsanwalt überhaupt Voruntersuchung beantragt. Er hätte, ohne das Gericht anzurufen, das Verfahren nach § 1 7 0 1 1 StPO einstellen sollen. Der Richter: Die Erklärung für den Antrag der Staatsanwaltschaft geben die zahlreichen in den Akten enthaltenen Anträge und Eingaben des Gläubigers Mangold. Wahrscheinlich ist die Behörde von Heids Unschuld ebenso wie Sie und ich überzeugt. Sie rechnet aber damit, daß im Fall der Einstellung Mangold, der als Konkursgläubiger zu den durch das behauptete Delikt „Verletzten" i. S. des § 172 StPO gehört.

838

Untersuchungsrichter — Erhebliche Gründe für Voruntersuchung

Beschwerde erheben oder später mit erneuten Anzeigen kommen wird. Deshalb will der Staatsanwalt die gerichtliche Außerverfolgungsetzung beantragen, die eine gewisse Rechtskraftwirkung begründet und hierzu bedarf es der vorherigen Voruntersuchung. §§ 198, 2ix — Ist dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben? Referendar: Betrügerischer Bankerott ist Schöffengerichts- oder Strafkammersache (§ 24 1 Nr. 3, § 74 GVG), so daß die Voruntersuchung als fakultative auf Antrag des Staatsanwalts möglich ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Voruntersuchung ist aber nach § 178 1 1 , daß die Staatsanwaltschaft in ihrem Eröffnungsantrag erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint. Ich kann solche Gründe nicht erkennen, da doch bereits alles, was zur Aufklärung der Sache möglich war, geschehen ist und die Nichtschuld des Angeschuldigten bereits feststeht. Richter: Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, daß erhebliche Gründe vorliegen, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich ist, bindet das Gericht nicht. Der Untersuchungsrichter hat vielmehr, wenn er die Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht teilt, die Entscheidung der Strafkammer herbeizuführen (§ 180). Die Staatsanwaltschaft hat sich hier die Begründung einfach gemacht; sie ist nichtssagend. Sie hätte, wie ihr das auch in RiStV 1953 Nr. 84 11 aufgegeben ist, die Gründe für eine Voruntersuchung näher darlegen müssen. Da hier aber die Erwägungen, von denen die Staatsanwaltschaft sich hat leiten lassen, offensichtlich sind, erübrigt es sich, die Akten der Staatsanwaltschaft mit dem Anheimstellen zurückzugeben, ihre Begründung zu ergänzen. Es ist also zu prüfen, ob erhebliche Gründe i. S. des § 178 1 1 gegeben sind. Solche Gründe können z.B. der Umfang oder die Schwierigkeit des Falles sein. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Umfang oder die (tatsächliche oder rechtliche) Schwierigkeit der Sache die Staatsanwaltschaft nicht hindern würden, die Ermittlungen selbst zu betreiben, in denen sie aber ein berechtigtes Interesse daran hat, daß der unabhängige Richter die Untersuchung führt, etwa weil sie in einer aufsehenerregenden Strafsache jede Möglichkeit unsachgemäßer Einwirkungsversuche von Interessenkreisen von vornherein ausschließen oder jeder argwöhnischen Mutmaßung in der Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsorgane könnten nach politisch beeinflußten Weisungen der Regierung (vgl. §§ 146, 147 Nr. 2 GVG) gehandelt haben, den Boden entziehen will. In gleicher Weise kann es ausnahmsweise aus „optischen Gründen" der Staatsanwaltschaft erwünscht erscheinen, daß sie ein zunächst von ihr betriebenes Ermittlungsverfahren nicht selbst durch Einstellung beendet (§ 170), sondern dem Gericht die Entscheidung überläßt, das nach durchgeführter Voruntersuchung gegebenenfalls die Außerverfolgungsetzung beschließen mag. Solche Gründe wird man unter besonderen Umständen im Interesse der Rechtspflege als erheblich i. S. des § 178 1 1 anerkennen können. Ein solcher Ausnahmefall ist aber hier selbstverständlich nicht gegeben. Mangold soll ruhig, wenn er mit der Einstellung des Verfahrens nicht zufrieden ist, das Verfahren nach § 172 betreiben; die Voruntersuchung ist keinesfalls dazu da, ihm Dienstaufsichtsbeschwerden oder neue Anzeigen abzuschneiden und lästige Anzeigeerstatter loszuwerden (vgl. Löwe-RosenbergKohlhaas [20] 7 zu § 170). „Verfügung U. mit Akten der Strafkammer, hier zur Entscheidung vorgelegt. Ich trage Bedenken, die Voruntersuchung zu eröffnen, da ich erhebliche Gründe, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint, nicht für gegeben erachte (wird ausgeführt). Mainz, den 15. Februar 1961. Der Untersuchungsrichter beim Landgericht Richter."

Untersuchungsrichter — Erhebliche Gründe für Vorunteruschung

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Zulässig wäre auch zu verfügen: „Urschriftlich mit Akten dem Herrn Oberstaatsanwalt beim Landgericht hier zurückgereicht. Ich halte erhebliche Gründe, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint, nicht für gegeben (wird ausgeführt). Wird der Antrag auf Voruntersuchung zurückgenommen, oder soll die Sache gemäß § 180 1 S. 2 StPO der Strafkammer zur Entscheidung vorgelegt werden?" Wegen der Zurücknahme des Antrags auf Voruntersuchung, d. h. der öffentlichen Klage, vgl. S. 793.

19. K a p i t e l

B e i m Einzelrichter für Strafsachen Vorbereitung der Hauptverhandlung. Hausfriedensbruch, Bedrohung, Widerstand und ruhestörender Lärm. Objektive Bedingung der Strafbarkeit und Verschuldensgrundsatz „Geschäftsnummer: 5 Ds 95.60. Beschluß. Der Elektromonteur Fritz Keiler in Hanau, Weißenburgerstraße 42 wird beschuldigt: Zu Hanau am 11. August i960 durch mehrere selbständige Handlungen 1. sich aus den Geschäftsräumen eines anderen, in denen er ohne Befugnis verweilte, der Gastwirtschaft des Gastwirts Dünnebier in Hanau, Elbestraße 5 8, auf die Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt zu haben, 2. den Dünnebier mit der Begehung der Verbrechen des Totschlags und der schweren Körperverletzung bedroht zu haben, indem er ihm einen Revolver vorhielt und ihn anschrie: ,Ich mache dich kalt, du Hund, ich haue dich, daß du deine Knochen im Schnupftuch nach Hause tragen kannst und daß du in keinen Sarg mehr paßt', 3. dem Polizeioberwachtmeister Schmidt, einem Beamten, der zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urteilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt Widerstand geleistet zu haben, indem er sich einer Verbringung zur Polizeiwache mit Gewalt widersetzte, 4. ungebührlicher Weise durch lautes Schreien ruhestörenden Lärm erregt zu haben, Vergehen und Übertretung gegen §§ 123, 241, 212, 223, 224, 113, 360 11 ,74, 61 StGB. Er ist dieser Tat hinreichend verdächtig. A u f Antrag der Amtsanwaltschaft wird daher gegen ihn das Hauptverfahren vor dem Amtsrichter als Einzelrichter hier eröffnet. Untersuchungshaft wird nicht angeordnet. Hanau, den 14. September i960. Amtsgericht. Richter."

Verfügung zum Eröffnungsbeschluß: „1. 2. 3. 4. 5.

Hauptverhandlungstermin am 28. September i960, vormittags 9 % Uhr. Z u laden die in der Anklageschrift benannten Zeugen Dünnebier und Schmidt. Angeklagten unter Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und Angabe der Zeugen laden. Vorzulegen dem Herrn Leiter der Amtsanwaltschaft hier. Z u 2 und 3 nach 5 Tagen."

Vgl. § 25 G V G . , §§ 3 6 " , 200, 2011", 203, 207, 213, 215 StPO; Nr. 98*, 99iRiStV. 1953. Die Anklageschrift in dieser Bagatellsache war ohne Ermittlungsergebnis abgefaßt und ist dem Angeschuldigten vor der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mitgeteilt worden. §§ 200 n S. 2, 201IH. 1 ) l)

S. dazu Fußnote 1 auf S. 795.

Einzelrichter — Vorbereitung der Hauptverhandlung

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Der Referendar: Hausfriedensbruch und Bedrohung sind nach § 374 1 ' 4 Privatklagedelikte. Wie ist es zu erklären, daß die Amtsanwaltschaft hier ein öffentliches Interesse im Sinne des § 376 angenommen und durch Ausdehnung der Anklage auf den Hausfriedensbruchs- und Bedrohungsfall dem Verletzten Dünnebier eine wesentlich günstigere prozessuale Stellung verschafft hat, als er im Privatklageverfahren gehabt haben würde (vgl. S. 768)? Der Richter: Wenn der Amtsanwalt die Anklage nicht auf die Offizialdelikte beschränkt hat, so ging er sicherlich nicht von der Ansicht aus, bei dieser „betrunkenen Geschichte" sei ein öffentliches Interesse im Spiel, sondern er hat aus Zweckmäßigkeitsrücksichten gehandelt. Es ist — schon wegen der nach § 79 StGB notwenigen Bildung einer Gesamtstrafe — unpraktisch, Offizial- und Privatklagedelikte, die in so engem Zusammenhang stehen, in besondere Verfahren zu verweisen. Deshalb entspricht die Einbeziehung zusammenhängender Privatklagedelikte in die öffentliche Klage der allgemeinen Übung der Anklagebehörden. Stehen Offizialdelikt und Privatklagedelikt in T a t e i n h e i t (§ 73 StGB), so ist wegen des Verbrauchs der Strafklage durch das zuerst ergehende Urteil eine Vorweisung wegen des Privatklagedelikts auf den Weg der Privatklage überhaupt nicht möglich; vielmehr ist bei öffentlicher Klage das Privatklagedelikt stets von Amts wegen mit dem Offizialdelikt zu verfolgen und abzuurteilen, und zwar auch dann, wenn wegen des Privatklagedelikts auf den Privatklageweg verwiesen sein sollte (RGSt 1 1 , 128; 77, 227). Wenige Tage vor dem Termin überreicht R A . Weiß Verteidigungsvollmacht und beantragt: „gemäß § 219 StPO zum Hauptverhandlungstermin folgende Zeugen zu laden: 1. die Mutter des Angeklagten, Witwe Johanna Keiler, hier, Weißenburgerstraße 42. Sie wird bekunden, daß der Revolver, den der Angeklagte dem Dünnebier entgegengehalten hat, ein Scherzrevolver war, zu dem der Angeklagte nicht einmal Munition besaß, da sie ihm gerade ausgegangen war. Den Revolver werde ich im Termin vorlegen."

Der Referendar: Der Beweis ist unerheblich. Wegen unerlaubten Führens einer Schußwaffe — Vergehen nach §§ 14, 26 des jetzt wieder als Landesrecht geltenden Waffengesetzes vom 18. März 1938 (RGBl I 265) — hat die Amtsanwaltschaft nicht Anklage erhoben, da der Angeklagte einen Waffenschein besitzt und bei sich führte. Zum subjektiven Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB) gehört nur das Bewußtsein des Drohenden, seine Drohung könne bei dem Bedrohten die Befürchtung der Verwirklichung der Drohung hervorrufen, also als ernst gemeint angesehen werden Dieses Bewußtsein hat er sicher gehabt. Daß der Drohende die Absicht hatte, seine Drohung zu verwirklichen, wird nicht verlangt. Der Richter: Trotzdem kann die Art der Waffe für die Feststellung des Bedrohungsvorsatzes von Bedeutung sein. Vielleicht wollte sich Keiler mit dem Revolver bloß einen schlechten Scherz machen. Auf die Worte, die er dabei gebraucht hat, würde ich überhaupt nicht viel geben; solche drastisch-bramarbasierende Redensarten ungebildeter Leute sind meist nur als Verwünschungen, allenfalls als Ehrenkränkung gedacht, ohne daß es der Täter darauf abgesehen hätte, bei seinem Gegner die Besorgnis hervorzurufen, es würde ein Totschlag oder eine schwere Körperverletzung begangen werden. — Im übrigen kann die Strafe für die Bedrohung verschieden ausfallen, je nachdem ob der Angeklagte seinem Gegner einen richtigen Revolver oder eine Scherzattrappe unter die Nase gehalten hat. Die Umstände, die für Art und Maß der Strafe in Betracht kommen, sind in der Hauptverhandlung ebenso sorgfältig aufzuklären, wie die Voraussetzungen der Schuldfrage. Schon im Ermittlungsverfahren sind nach RiStV 1953 Nr. 15 außer den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vgl. S. 772) die sonstigen für die Strafzumessung, für die Strafaussetzung

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Einzelrichter — Widerstand gegen die Staatsgewalt

zur Bewährung und für die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung bedeutsamen Umstände aufzuklären. Denn das Strafmaß hat für den Angeklagten meist weit größere Bedeutung als die juristische Subsumtion der Tat unter ein Strafgesetz. Ist es notwendig, zwecks gerechter Strafzumessung von der Persönlichkeit des Täters ein genaues Bild zu gewinnen, so darf das Gericht selbst eine umfangreiche Beweisaufnahme nicht scheuen, denn nur so kann es seine Pflicht, die Strafzumessung im Urteil zu begründen (§ 2 6 7 1 1 1 S. 1), nicht nur formal, sondern mit überzeugender Kraft erfüllen (vgl. dazu Löwe-Rosenberg-Geier [20] 9 zu § 267).

Frau Keiler muß also geladen werden, weil ihre Aussage zum mindesten für das Strafmaß ins Gewicht fällt. „ 2 . den Möbeltransporteur Konrad Wälder in Hanau, Weißenburgerstraße 19. Sehneidt hat, obgleich er nur als Gast in der Wirtschaft weilte, sich in den Streit des Angeklagten mit Dünnebier eingemischt und ihn für verhaftet erklärt. Der Angeklagte sagte: ,Sie können mich nicht verhaften. Sie sind überhaupt nicht dienstlich hier. Außerdem wird mich mein Freund Wälder ausweisen.' Der Beamte erwiderte jedoch: ,Ach was, Freund, kommen Sie sofort zur Wache, ich verhafte Siel' Als der Angeklagte nicht sofort mitging, faßte ihn Scbneidt am Handgelenk. Darauf warf sich der Angeklagte zur Erde, so daß Scbneidt ihn fortziehen mußte. Weiteren Widerstand hat er nicht geleistet. Scbneidt befand sich also nicht in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes. Jedenfalls hat der Angeklagte die Verhaftung als ungerechtfertigt betrachtet."

Der Referendar: Nach den Akten hat Keiler Hausfriedensbruch begangen, indem er trotz dreimaliger Aufforderung des Dünnebier sich weigerte, die Wirtschaft zu verlassen. Schneidt verlor seine sachliche Zuständigkeit als Polizeibeamter nicht dadurch, daß er dienstfrei war und das Lokal bloß als Gast besuchte (RG DR 1943, 1783). Zu den Aufgaben der Polizei gehört nach den Polizeigesetzen aller deutschen Länder auch die Verhinderung der Begehung oder der Fortsetzung strafbarer Handlungen. Mithin wäre Schneidt ohne weiteres berechtigt gewesen, den Angeklagten gewaltsam aus der Gastwirtschaft herauszubringen. Vgl. RGSt 42, 16; 47, 270. Zu der „Verhaftung", die er vollzogen hat — natürlich kommt nur eine vorläufige Festnahme in Frage —, war er nach § 127 1 StPO (diese Vorschrift findet Anwendung, da Keiler „auf frischer Tat betroffen" wurde; § 127 1 1 , der den Polizeibeamten auch dann Festnahmebefugnisse einräumt, wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, ist hier ohne Bedeutung) nur berechtigt, wenn Keiler der Flucht verdächtig war oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden konnte. Für einen Fluchtverdacht lagen keine Anhaltspunkte vor; seine Persönlichkeit konnte auch sofort festgestellt werden, wenn er selbst keine Ausweispapiere besaß, aber Wälzer bereit war, über Keilers Persönlichkeit Auskunft zu geben und Wälzer selbst dem Polizeibeamten bekannt oder sich auszuweisen willens und imstande war und gegen die Richtigkeit seiner Angaben keine Bedenken zu erheben gewesen wären. Eine vorläufige Festnahme ist übrigens auch dann berechtigt, wenn der Betroffene zwar imstande ist, sich — mit Hilfe eigener Angaben und Unterlagen oder durch die glaubhaften Unterlagen eines seinerseits ausgewiesenen Dritten — auszuweisen, die Feststellung der Persönlichkeit an Ort und Stelle aber wegen irgendwelcher Umstände unangebracht erscheint, z. B. auf offener Straße, wo erhebliches Aufsehen erregt wird oder eine aufgeregte Menschenmenge für den Betroffenen Partei nimmt (vgl. R G JW 1935, 3393 und RGSt 59, 113) und in gleicher Weise auch in einem öffentlichen Lokal, wenn die Gefahr besteht, daß Anwesende die Feststellungsmaßnahmen des Polizeibeamten verhindern oder stören. Schneidt ist offenbar davon ausgegangen, daß Wälzer, der schweigend dabei stand, nicht willens oder nicht in der Lage sei, den Angeklagten und sich selbst auszuweisen, und hat deshalb die Voraussetzungen einer vorläufigen Festnahme für gegeben angesehen. Daß Dünnebier noch keinen Strafantrag gestellt hatte, war nach § 1 2 7 1 1 1 bedeutungslos. Wenn aber ein Polizeibeamter eine im Rahmen seiner Zuständigkeit liegende Handlung auf Grund pflichtmäßigen Ermessens vornimmt, so

Einzelrichter — Ruhestörender Lärm

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ist sie rechtmäßig, auch wenn die von ihm angenommenen Voraussetzungen seines Einschreitens objektiv nicht gegeben waren (vgl. Dalcke [ = Schäfer] [37] 3 zu § 113). Der Richter: Keiler will aber die Festnahme für unberechtigt gehalten haben. Referendar: Das allein würde ihn nicht vor der Verurteilung wegen Widerstandes schützen. Die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung gehört nicht zu den „Tatumständen" des gesetzlichen Tatbestandes, die nach § 5 9 1 StGB vom Vorsatz umfaßt sein müssen, sondern ist lediglich als „objektive Bedingung der Strafbarkeit" aufzufassen, auf die sich der Vorsatz nicht zu erstrecken braucht. Richter: Haben Sie keine Bedenken, daß diese Auffassung dem Verschuldensgrundsatz widersprechen könnte, der unserem Strafrecht zugrunde liegt? Referendar: Mir ist wohl bekannt, daß diese Ansicht im Schrifttum vertreten wird. Ich halte sie aber nicht für richtig. Es müßte zu unerträglichen Ergebnissen führen, wenn der Täter, der gegen eine objektiv rechtmäßige Amtshandlung Widerstand leistet, sich der Bestrafung durch die nicht widerlegbare Schutzbehauptung entziehen könnte, er habe die Amtshandlung für nicht rechtmäßig gehalten. In der Regel kennt der geschulte Beamte den Umfang seiner Befugnisse doch besser als der meist rechtsunkundige Täter. Dieser nimmt also, und darin besteht seine Schuld, das Risiko auf sich, daß er unrecht handeln könne, wenn er seine Auffassung über die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung für richtig, die des Beamten aber für falsch hält. Auf diesem Standpunkt steht auch die Rechtsprechung (BGHSt 4, 141) und überwiegend auch das Schrifttum (vgl. z. B. Dalcke-Schäfer, Anm. 1 f zu § 5 9 StGB.) Für diese Auffassung spricht auch die Regelung in § 22 des Wehrstrafgesetzes (vom 30. März 1957, BGBl I S. 298) in dem vergleichbaren Fall des militärischen Ungehorsams. Nach § 22 Abs. 3 wird ein Soldat, der einen verbindlichen Befehl nicht befolgt, weil er ihn irrig für unverbindlich hält, doch wegen vorsätzlich begangenen Ungehorsams bestraft; nur kann im Rahmen der Strafzumessung die Strafe gemildert werden, wenn ihm sein Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Eine ähnliche Regelung sieht § 419 des neuen StGB-Entw. von i960 beim Widerstand vor. Richter: Soll also Wälzer nicht geladen werden? Referendar: Doch, aber nur deshalb, weil ein etwaiger Irrtum des Angeklagten über die Rechtmäßigkeit der Festnahme strafmildernd wirken würde, und weil der Zeuge ferner bekunden soll, daß Keiler, abgesehen von dem Sichhinwerfen, sich seiner Verhaftung nicht widersetzt habe. Das würde nämlich kein „Widerstand durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt" im Sinne des § 1 1 3 1 , sondern strafloser sog. „passiver Widerstand" sein. Hat sich dagegen Keiler außerdem an einen festen Gegenstand angeklammert, so würde er die Grenzen des passiven Widerstandes überschritten haben und zu bestrafen sein. Vgl. die Kommentare zu § 113, z.B. DalckeF-Schäfer ] 37] Anm. 4 zu § 113. „ 3 . Frau Berta Strauch in Hanau, Elbestraße 58. Die Zeugin, •welche unmittelbar über dem Dilnnebierschen Lokal wohnt und zu der in Rede stehenden Zeit in ihrer Wohnung war, soll bekunden, daß sie keinen ruhestörenden Lärm gehört hat. Der Angeklagte hat höchstens (wie übrigens auch Diinmbier und Schmidt) in seiner Erregung etwas lauter als gewöhnlich gesprochen."

Der Referendar: Der Verteidiger scheint auf dem Standpunkt zu stehen, daß zum Tatbestande des § 360 11 eine tatsächlich eingetretene Ruhestörung des Publikums gehöre. Nach herrschender Ansicht kommt es indes hierauf nicht an, sondern es genügt, wenn der Lärm objektiv" geeignet war, die Ruhe anderer zu stören. Ruhestörender Lärm ist danach ein Gefährdungsdelikt; daraus folgt, daß der Täter das Bewußtsein haben muß, nicht bloß daß er lärmt, sondern auch daß er dadurch die Ruhe des Publikums möglicherweise stört (Dalcke-F.-Schäfer) [36] 20 zu § 360). Trotzdem dürfte der Beweisantrag unter dem Gesichtspunkt erheblich sein, daß Keilers Lärmen, wenn

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Einzelrichter — Strafbefehl

es nicht einmal von der unmittelbar über Dünnebier wohnenden Zeugin gehört wurde, eben nicht geeignet war, einen größeren Personenkreis zu belästigen. „Sollte mein Antrag abgelehnt werden, so bitte ich um beschleunigte Nachricht. Weiß, R A . als Verteidiger."

Im Falle der Ablehnung hat nämlich der Angeklagte bzw. sein Verteidiger nach § 220 StPO. das Recht der unmittelbaren Zeugenladung. Vgl. S. 929. Verfügung: „ 1 . Frau Keiler, Wälder und Frau Strauch zur Hauptverhandlung als Zeugen laden. 2. Nachricht an: a) Angeklagten, b) Verteidiger, c) Amtsanwaltschaft."

Eingang am Morgen des Hauptverhandlungstermins: Hanau, den 27. September i960. A n das Amtsgericht hier. In der Strafsache gegen Keiler wegen Hausfriedensbruchs usw., Aktenzeichen 5 Ds 95/60 nehme ich den am 1 1 . August i960 von mir gestellten Strafantrag zurück. Heinrich Diinnebier, Gastwirt."

Durch die Antragsrücknahme entfällt der Anklagepunkt, gegen den Keiler nichts vorbringen konnte, nämlich der Hausfriedensbruch (§ 1 2 3 1 1 1 S. 2 StGB). Bestehen bleiben an sich nicht bloß Widerstand und ruhestörender Lärm, sondern auch die Bedrohung; denn sie ist zwar Privatklage, aber nicht Antragsdelikt. §§ 241 StGB, 374 1 StPO. Doch gestaltet sich die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung über die noch abzuurteilenden Nicht-Antragsdelikte für Keiler günstig. Urteil: „Das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs wird eingestellt. Im übrigen wird der Angeklagte freigesprochen. Die durch das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs entstandenen besonderen Kosten werden dem Gastwirt Heinrich Dünnebier in Hanau als Antragsteller auferlegt. Im übrigen fallen die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zur Last."

Erfolgt eine Einstellung des Verfahrens wegen Zurücknahme des Antrags, durch den es bedingt war, so hat grundsätzlich der Antragsteller die Kosten zu tragen (§ 470 StPO; Höhe der Gebühr: § 75 G K G ) . Auch die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen hat der zurücknehmende Antragsteller zu tragen, sofern sich nicht der Angeklagte zur Übernahme bereit erklärt hat oder sie ausnahmsweise der Staatskasse auferlegt werden, weil es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten; hier sind aber durch den Antrag keine besonderen Auslagen entstanden. Soweit es sich um die Gerichtskosten handelt, hat wahrscheinlich Keiler dem Dünnebier vor der Antragsrücknahme die Zusicherung gegeben, ihm die Kosten zu vergüten. Strafbefehlverfahren und Urteil wegen Wilderei Strafbefehl. „Geschäftsnummer: 5 Cs 147.60. Strafbefehl. Die Amtsanwaltschaft beschuldigt Sie, am 3. September i960 unter Verletzung fremden

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Einzelrichter — Einspruch gegen Strafbefehl

Jagdrechts dem Wilde nachgestellt und Wild erlegt zu haben, indem die im staatseignen Tannensteiner Forst, Landkreis Neustadt, die Jagd auf Fasanen ausübten und einen Fasan erlegten, Vergehen gegen §§ 292, 295 StGB. Als Beweismittel hat sie bezeichnet: 1. Ihr Geständnis, 2. Zeugnis: a) des Försters Rehbein in Tannenstein, b) des Waldarbeiters Axt in Drachenbrunn, 3. das beschlagnahmte Jagdgewehr. Es wird gegen Sie eine Geldstrafe von 60 D M (i. W.) an Stelle einer verwirkten Gefängnisstrafe von 6 (i. W.) Tagen festgesetzt sowie die Einziehung des beschlagnahmten Jagdgewehrs, das Sie bei der Tat bei sich geführt haben, angeordnet. Zugleich werden Ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dieser Strafbefehl wird vollstreckbar, wenn Sie nicht binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem unterzeichneten Gericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch erheben. Die Geldstrafe von 60 D M und die unten bezeichneten Kosten von 5 D M , zusammen 65 DM, sind an die hiesige Gerichtskasse binnen einer Woche nach Eintritt der Vollstreckbarkeit zu zahlen; andernfalls muß Zwangsvollstreckung erfolgen. Es wird ersucht, bei der Zahlung diesen Straf befehl vorzulegen oder durch Angabe Ihres Namens und der obenstehenden Geschäftsnummer genau zu bezeichnen. Neustadt, den 17. September i960. Amtsgericht. Richter. An den Stellmacher Herrn Berthold Schüt% in Drachenbrunn, Kr. Neustadt

Kostenrechnung:

Vgl. §§ 4071, 409 1 , 464 1 , 465 1 StPO, §§ 70, 71 G K G . Der amtsrichterliche Strafbefehl ist als summarische Prozeßart dem Mahnverfahren verwandt. Während aber bei Erlaß eines Zahlungsbefehls die vom Gläubiger angeführten Tatsachen als richtig unterstellt und lediglich auf ihre rechtliche Schlüssigkeit nachgeprüft werden, erläßt das Gericht einen Straf befehl nur, wenn es nach dem Akteninhalt von der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlung überzeugt ist. Was das Strafmaß anlangt, so ist der Richter nicht gehalten, den Strafbefehl zu erlassen, wenn die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe ihm zu niedrig oder zu hoch erscheint. Beharrt aber die Staatsanwaltschaft trotz dieser Bedenken auf ihrem Antrag, so wird — ohne Erlaß eines Eröffnungsbeschlusses — Hauptverhandlungstermin anberaumt und der Antrag auf Strafbefehl als Anklage behandelt (§ 4 0 8 1 1 1 StPO). Das gleiche gilt, wenn der Amtsrichter Bedenken hat, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden, z. B. wenn er weitere Aufklärung für erforderlich hält (§ 4 0 8 1 1 ; Nr. 163 RiStV 1953). Im Jugendstrafverfahren ist der Erlaß eines Strafbefehls ausgeschlossen (§ 79 1 J G G ; vgl. S. 917). Die Zustellung des Strafbefehls erfolgt durch das Amtsgericht (§ 36 1 1 ) am 19. September. E i n s p r u c h . V o r b e r e i t u n g der H a u p t v e r h a n d l u n g . A m 26. September legt Schütz Einspruch ein 1 ) und leitet damit die Sache ins ordentliche Verfahren über. Da auf Wilderei Gefängnis bis zu 5 Jahren steht (§ 292 StGB), findet die Hauptverhandlung nach Einlegung des Einspruchs vor dem Schöffengericht statt, außer wenn die Staatsanwaltschaft bei dem Antrag auf Erlaß des Strafbefehls Entscheidung durch *) Wegen der Rechtskraftwirkung eines rechtskräftig gewordenen Strafbefehls vgl. S. 860.

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Einzelrichter — Hauptverhandlung. Protokoll

den Einzelrichter beantragt hat. §§ 2 5 1 2 c G V G , 4 0 7 ™ StPO. Ein solcher Antrag ist hier gestellt worden. — Verfügung: „ i . Hauptverhandlungstermin wird auf den 10. Oktober 1960 vormittags 10 Uhr bestimmt. 2. Zu laden der Angeklagte und die Zeugen des Strafbefehls: Rehbein und Axt. 3. Vorzulegen dem Herrn Leiter der Amtsanwaltschaft." Haupt Verhandlung. „öffentliche Sitzung des Amtsgerichts. Neustadt, den 10. Oktober i960. Gegenwärtig: Amtsgerichtsrat Pächter als Richter, Amtsanwalt Scharf als Beamtet der Staatsanwaltschaft, Justizsekretär Urktmd als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. In der Strafsache gegen den Stellmacher Berthold Schiitz in Drachenbrunn, Landkreis Neustadt, geboren am 7. Mai 1919 daselbst, wegen Wilderei erschien bei Aufruf: der Angeklagte. Es wurden die Zeugen aufgerufen. Es meldeten sich: 1. Förster Rebbein aus Tannenstein, 2. Waldarbeiter -Axt aus Drachenbrunn als Zeugen." Wäre Schütz unentschuldigt ausgeblieben, ohne sich durch einen Verteidiger vertreten zu lassen, so würde sein Einspruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil zu verwerfen sein. § 4 1 2 1 . Vgl. S. 867 zu b. — Der Richter zum Angeklagten: Bevor wir in die Verhandlung eintreten, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Gericht an die im Strafbefehl festgesetzte Strafe nicht gebunden ist (§ 4 1 1 1 1 1 StPO). Die Strafe könnte also unter Umständen erhöht werden. Jetzt können Sie Ihren Einspruch noch zurücknehmen; sobald die Verhandlung erst einmal begonnen hat, ist das nicht mehr möglich (§ 4 1 1 1 StPO). Der Angeklagte: Ich kann nicht verurteilt werden, ich bin unschuldig; es hat niemand gesehen, daß ich den Fasan geschossen habe. — Im ersten Abschnitt der nunmehr beginnenden eigentlichen Hauptverhandlung — Vernehmung des Angeklagten zur Person, Verlesung des Strafbefehls (an Stelle des Eröffnungsbeschlusses) und Vernehmung des Angeklagten zur Sache — müssen die Zeugen abtreten, um ihre Aussage möglichst unbeeinflußt abzugeben (§ 2 4 3 I I _ I V ) : „Die Zeugen wurden mit dem Gegenstand der Untersuchung und der Person des Angeklagten bekannt gemacht. Sie wurden dann zur Wahrheit ermahnt und darauf hingewiesen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen hätten, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliege. Die Zeugen wurden ferner auf die Bedeutung des Eides, die strafrechtlichen Folgen einer falschen uneidlichen Aussage sowie darüber belehrt, daß der Eid sich auch auf die Beantwortung solcher Fragen beziehe, die dem Zeugen über seine Person und die sonst im § 68 StPO vorgesehenen Umstände vorgelegt werden (§ 57). Die Zeugen entfernten sich zunächst wieder aus dem Sitzungssaal. Der Angeklagte, über seine persönlichen Verhältnisse vernommen, erklärte: Den Strafregisterauszug Blatt der Akten erkannte er als richtig an1). Der Angekl. darf durch die Erörterung der Vorstrafen nicht unnötig bloßgestellt werden (Nr. i6 I V RiStV 1953) und der Strafregisterauszug soll nicht verlesen werden, wenn die Vorstrafen für die sachliche oder rechtliche Beurteilung der Tat, für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung oder für die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung ohne Bedeutung sind (Nr. 115 1 1 ).

Einzelrichter — Protokoll

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Der Strafbefehl vom 17. September i960 wurde verlesen und festgestellt, daß er dem Angeklagten am 19. September zugestellt worden ist und daß der Angeklagte am 26. September i960 Einspruch erhoben hat. Der Angeklagte, befragt, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle, erklärte: Ich habe nicht gewildert. Ich habe auch vor der Polizei kein Geständnis abgelegt. Da aber der vernehmende Polizeibeamte mir sagte, nach der Aussage des Försters könne gar kein Zweifel sein, so habe ich halt das Protokoll, das mir vorgelesen wurde, unterschrieben. Das Gewehr, das mir hier als das bei der Tat gebrauchte gezeigt wird, habe ich niemals in Händen gehabt."

Die vollständige Protokollierung der sachlichen Erklärungen des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin ist ebenso wenig notwendig, wie die vollständige Wiedergabe des Inhalts der Zeugenaussagen. Vielmehr gilt folgendes: In der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter und dem Schöffengericht sind nach § 2 7 3 1 1 die w e s e n t l i c h e n Ergebnisse der Vernehmung in das Protokoll aufzunehmen. Der Grund für diese Vorschrift ist, daß nur gegen Urteile des Amtsrichters und des Schöffengerichts die Berufung möglich ist und daß nach § 325 in der Berufungshauptverhandlung Protokolle über Aussagen der in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges vernommenen Zeugen und Sachverständigen unter den in der genannten Vorschrift bezeichneten Voraussetzungen verlesen werden dürfen. Gegen die Urteile des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte im 1. Rechtszug gibt es überhaupt kein Rechtsmittel, gegen die der übrigen Gerichte (Schwurgericht und große Strafkammer als Gericht des 1. Rechtszuges, große und kleine Strafkammer als Berufungsgericht) gibt es nur die Revision. Bei der Revision, die ja nur auf Gesetzesverstöße gestützt werden kann (§ 337), ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden; eine inhakliche Wiedergabe der Zeugenaussagen im Protokoll wäre also für das Revisionsgericht ohne Wert. Bei der Prüfung von Verfahrensverstößen, die mit der Revision gerügt werden, ist dagegen das Protokoll von wesentlicher Bedeutung, denn die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nach § 274 nur durch das Protokoll bewiesen werden. Auch in der Berufungsinstanz kann wegen erstinstanzlicher Verfahrens verstoße, die eine Revision wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften begründen würden, das erstinstanzliche Urteil aufgehoben werden (§ 328 1 1 ). Deshalb ist für alle Gerichte vorgeschrieben, daß das Hauptverhandlungsprotokoll die in § 272 bezeichneten Angaben enthalten und nach § 273 1 den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben, die Beobachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, die verlesenen Schriftstücke und die gestellten Anträge bezeichnen und die ergangenen Entscheidungen einschließlich der Urteilsf o r m e l enthalten muß. Wenn hier gesagt ist, daß die „Ergebnisse" der Hauptverhandlung im wesentlichen wiederzugeben seien, so sind damit nicht die Ergebnisse der Vernehmung der Zeugen und Sachverständigen gemeint, denn diese sind nach § 2 7 3 1 1 nur in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter und dem Schöffengericht in das Protokoll aufzunehmen (vgl. Löwe-Rosenberg-Geier [20] 3 zu § 273). Dem Protokollführer in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter und dem Schöffengericht bleibt im allgemeinen für die (nicht vorgeschriebene, aber zweckmäßige) inhaltliche Wiedergabe der Erklärungen des Angeklagten und für die gesetzlich vorgeschriebene inhaltliche Wiedergabe der Zeugenaussagen nicht viel Zeit; er muß sich auf das Wesentlichste beschränken, z.B. ob der Angeklagte leugnet oder geständig ist. (Wegen der Niederschrift der Zeugenaussagen s. auch Nr. 1 2 7 1 1 RiStV 1953.) Denn er muß ja seine Aufmerksamkeit der Protokollierung der Formalien gemäß §§ 272, 273 1 zuwenden: öffentliche oder nicht-öffentliche Verhandlung, Vereidigung der Zeugen und Sachverständigen, Verlesung aller in der Anklageschrift als Beweismittel bezeichneten oder sonst herbeigeschafften Urkunden, Anhörung des Angeklagten zu

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Einzelrichter — Urteilsgründe

den einzelnen Beweisaufnahmeakten, die gestellten Anträge, die darauf verkündeten Beschlüsse usw. Neuere Reformwünsche gehen dahin, in sehr viel weiterem Umfang als das geltende Recht es vorsieht (vgl. § 273 I v ), in geeigneten Fällen den Verlauf der Hauptverhandlung genau festzulegen (etwa durch Tonbandaufnahmen). Nunmehr folgt die Beweisaufnahme (§ 244): „Die Zeugen wurden hierauf einzeln vorgerufen und in Abwesenheit der später abzuhörenden Zeugen, wie folgt, vernommen: 1. Zeuge Rehbein Z . P.: Z . S.: Der Zeuge wurde vereidigt. 2. Zeuge Axt Z. P Z . S.: Der Zeuge wurde vereidigt. Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen wurde der Angeklagte befragt, ob er etwas zu erklären habe."

Vgl. § 5 9 (Zeugen sind in Form des Nacheides grundsätzlich zu vereidigen; Ausnahmen: §§ 60, 61, insbes. § 62, wonach in Übertretungssachen und Privatklageverfahren die Vereidigung grundsätzllich unterbleibt), § 2 5 7. Es folgen die SchlußVorträge (Plaidoyers) (§ 258): „Die Staatsanwaltschaft und sodann der Angeklagte erhielten zu ihren Ausführungen das Wort. Die Staatsanwaltschaft beantragte: 50 D M Geldstrafe an Stelle verwirkter 5 Tage Gefängnis und Einziehung des Gewehrs. Der Angeklagte beantragte: Freisprechung. Der Angeklagte hatte das letzte Wort."

Die Verhandlung schließt mit der Verkündung des Urteils und der Rechtsmittelbelehrung gemäß §§ 260, 268; 35 a, Nr. 124 RiStV 1953: „ E s wurde das Urteil durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts dahin verkündet: Der Angeklagte wird wegen Wilderei an Stelle einer verwirkten Gefängnisstrafe von 5 Tagen zu einer Geldstrafe von 50 D M verurteilt. Ferner ist das beschlagnahmte Jagdgewehr einzuziehen. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last. Der Angeklagte wurde über die ihm gegen das Urteil zustehenden Rechtsmittel belehrt. Richter.

Urkund."

Vgl. dazu unten S. 944. U r t e i l s g r ü n d e . Das Hauptverhandlungsprotokoll (das auch hinsichtlich der nach § 273 1 1 aufgenommenen Zeugenaussagen nicht vorgelesen und genehmigt wird; Ausnahme: § 273 I V ) ist vom Vorsitzenden und Urkundsbeamten zu unterzeichnen (§ 271). Die Urschrift des Urteils muß von allen bei der Entscheidung mitwirkenden Richtern unterschrieben werden, „falls es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden ist" (§ 275 r , n ) . Hieraus ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder wird eine selbständige Urteilsurschrift (mit Urteilskopf, -formel und -gründen) hergestellt und von sämtlichen Richtern unterzeichnet. Oder man läßt den

Einzelrichter — Gegenstand der Urteilsfindung

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K o p f des Urteils weg, hängt die von allen Richtern unterschriebenen Gründe einfach an den Verkündungsvermerk des Protokolls an und schließt das Ganze mit den Unterschriften des Vorsitzenden und Protokollführers ab. R G S t 64, 2 1 4 . N a c h der zweiten, nur in einfachen Sachen, besonders in Bagatellprozessen, empfehlenswerten Methode wird in unserer Sache verfahren: „Gründe: Am 3. September i960 nachmittags gegen 1 8 % Uhr machte der Zeuge Rebbein einen dienstlichen Gang durch den Tannensteiner Forst. Als er auf dem Mathildensteig bis in eine Entfernung von ungefähr 25 Metern von der sogenannten Krebswiese gelangt war, hörte er aus der Gegend der Wiese kurz hintereinander zwei Schüsse aus einem Jagdgewehr und sah über der Wiese einen Fasan auffliegen. E r eilte nach der Wiese und sah am entgegengesetzten Rand einen Mann, der ein Gewehr unter dem Arm hielt und sich gerade bückte, um einen auf der Erde liegenden Fasan aufzuheben. Der Mann bemerkte das Herankommen Rebbeins, ergriff den Fasan und verschwand im Dickicht. Der Zeuge wollte ihn verfolgen, stürzte aber über eine Wurzel und verlor dadurch mehrere Minuten. Dann raffte er sich auf und lief in der Richtung, die der Flüchtige eingeschlagen hatte, durch den Wald. Als er ungefähr nach sieben Minuten an die Tannenstein-Hertwigswaldauer Landstraße kam, saß der Angeklagte am Straßenrande auf einem Stein, einen Knotenstock neben sich liegend, und steckte sich eine Pfeife an. Rebbein warf ihm vor, den Fasan geschossen zu haben, was der Angeklagte mit Entrüstung zurückwies. Rebbein gab mit seiner Alarmpfeife ein Signal, worauf der in der Nähe beschäftigte Zeuge Axt herbeikam. Diesem übergab Rebbein den Angeklagten zur Bewachung, während er selbst nach der Krebswiese zurückging, um den erlegten Fasan sowie Gewehr und Munition zu suchen. Inzwischen sagte Axt zum Angeklagten: .Leugnen Sie nur nicht lange, wer solls denn sonst gewesen sein', worauf der Angeklagte erwiderte: ,Na ja, wer solls denn sonst gewesen sein' und hinzusetzte: ,beim ersten Mal kann bloß so ein Pechvogel wie ich reinfallen.' Dann kam Rebbein zu den beiden, brachte den Fasan und das beschlagnahmte Jagdgewehr, die er einige Meter von der Krebswiese im Dickicht gefunden hatte, und hielt beides dem Angeklagten vors Gesicht. Axt sagte: ,Herr Förster, er hats mir schon gestanden.' Der Angeklagte schwieg. Bei seiner verantwortlichen Vernehmung 5 Tage später durch den Polizeimeister Abendroth in Drachenbrunn hat der Angeklagte gestanden, den Fasan erlegt und nachher, ebenso wie Gewehr und Munition, weggeworfen zu haben. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sein Geständnis widerrufen und angegeben, er sei auf dem Heimweg von der Arbeit aus Hertwigswaldau gewesen und habe sich eben hingesetzt gehabt, um etwas auszuruhen. Dem Axt habe er auf seine Frage geantwortet: ,na ja, wer solls denn gewesen sein? wenn es ein Pechvogel ist, wird ihn der Förster schon erwischen.' Als Axt zu dem Förster von einem Geständnis gesprochen habe, habe er gelacht und gesagt: ,der Mann ist wohl nicht richtig im Kopfe 1' Bei der Polizei habe er die Tat in Abrede gestellt, doch habe ihm der vernehmende Polizeibeamte vorgehalten, daß nach der Aussage des Rebbein gar kein Zweifel sein könne, und so habe er das von Abendrotb aufgesetzte Protokoll widerspruchslos unterzeichnet. Das Gericht hat durch die eidlichen, mit voller Bestimmtheit abgegebenen Aussagen von Rehbein und Axt die Überzeugung gewonnen, daß der Vorfall sich in der oben angegebenen Weise angespielt hat und die Darstellung des Angeklagten unwahr ist. Der Angeklagte wurde von Rehbein an der Stelle der Landstraße getroffen, an der der Wilderer aus dem Walde herausgetreten sein mußte. Er hat den beiden Zeugen gegenüber die Tat eingestanden und sein Geständnis bei der polizeilichen Vernehmung wiederholt. Schließlich hat Ribbein bekundet, daß der von ihm nur von hinten gesehene Mann an der Waldlichtung in Statur und Bewegungen dem Angeklagten geglichen habe. Danach sieht das Gericht als erwiesen an, daß der Angeklagte mit diesem Mann identisch ist." Der erkennende Strafrichter hat die Aufgabe, den Sachverhalt in der Hauptverhandlung nach den Regeln der Offizialmaxime unter Beachtung der für die Beweisaufnahme geltenden Vorschriften (§§ 244fr.) zu erforschen, das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung zu würdigen (§ 261), den nach seiner Überzeugung festgestellten Sachverhalt rechtlich zu prüfen und danach sein Urteil zu fällen. 54

Lux

Schulung 5. Aufl. (Schäfer)

850

Einzelrichter — Wilderei

Der Gegenstand seiner Urteilsfindung ist der in dem Eröffnungsbeschluß bezeichnete geschichtliche Vorgang, aber in der Gestalt, wie er sich ihm nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt (§ 264 1 ). Die Grundlage seiner Urteilsfindung können — abgesehen von allgemein bekannten (notorischen) — nur solche Tatsachen sein, die er aus der Haufitverhandlung geschöpft hat. Er darf also sein privates Wissen nicht verwerten, und zum privaten Wissen gehören auch z. B. aus den Strafakten erlangte Kenntnisse, wie etwa die von früher abweichenden Aussagen eines Zeugen, wenn sie nicht in verfahrensrechtlich zulässiger Weise (vgl. § ¿ j 3 1 1 ) zum Gegenstand der Verhandlung gemacht sind. Auf der Grundlage der aus der Hauptverhandlung gewonnenen Kenntnisse aber darf er tatsächliche Folgerungen ziehen, an die kein Prozeßbeteiligter gedacht hat und Tatsachen, die unter den Prozeßbeteiligten unstreitig waren, als nicht bewiesen ansehen. Die zur Schuld- und Straffrage von Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Angeklagtem gestellten Anträge (§258) haben für das Gericht keine irgendwie bindende Bedeutung. Wenn den erkennenden Richter aber auch die in dem Eröffnungsbeschluß vorgenommene rechtliche Würdigung der Tat nicht bindet, so darf er doch eine abweichende rechtliche Beurteilung seinem Urteil nur zugrunde legen, wenn er zuvor den Angeklagten auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben hat; das gleiche gilt, wenn sich erst in der Hauptverhandlung Umstände ergeben, die nach gesetzlicher Vorschrift die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßregel der Sicherung und Besserung rechtfertigen (§ 265 T> l : ) . Und wenn auch Anträge der Prozeßbeteiligten zur Schuld- und Straffrage ohne bindende Wirkung sind, so müssen sich doch die Urteilsgründe nach Maßgabe des § 267 1 1 . 1 1 1 mit ihnen auseinandersetzen. Bringt die Verhandlung Taten des Angeklagten, die vom Eröffnungsbeschluß nicht umfaßt werden, zur Kenntnis des Gerichts, so können sie auf Nachtragsanklage der Staatsanwaltschaft und unter Zustimmung des Angeklagten mit zum Gegenstand der Aburteilung gemacht werden, wenn das Gericht für sie zuständig ist (§ 2661). Einen Tatbestand nach Art des Zivilprozesses (§ 3 1 3 1 , 3 ZPO) kann das Strafurteil nicht haben, weil es hier keinen „Sach- und Streitstand" gibt. An den Anfang der Urteilsgründe gehören vielmehr nach § 267 1 S. 1 StPO die Tatsachen, welche das Gericht als festgestellt ansieht; daran schließt sich die rechtliche Würdigung. Wird, wie in unserem Fall, der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert, so sollen (nicht: müssen) nach § 267 1 S. 2 auch die Indizien mitgeteilt werden. Dagegen genügt es in einfachen Fällen, den vom Gericht als erwiesen angesehenen Sachverhalt in direkter Rede zu erzählen, wobei die übliche schematische Einleitung: „die Hauptverhandlung hat folgenden Sachverhalt ergeben" oder „auf Grund der Hauptverhandlung ist folgendes für erwiesen erachtet worden", im Hinblick auf §§ 261, 264 1 selbstverständlich und daher entbehrlich ist. Die Gründe gehen jetzt zur rechtlichen Würdigung über, und zwar — da prozessuale Gesichtspunkte nicht zu erörtern sind — alsbald zur materiell-rechtlichen Prüfung der Tat: „Fasanen sind jagdbare Tiere (§ 2 1 2 des Bundesjagdges. vom 29. November 1952, B G B l I

780).1)

Daß der Angeklagte nicht berechtigt war, die Jagd im Tannensteiner Forst auszuüben, steht außer Zweifel. Der Forst ist, wie gerichtsbekannt, vollständig eingehegt; am Ein- und Austritt der Tannenstein-Hertwigswaldauer Landstraße befinden sich Gattertore, die von den Passanten jedesmal geöflnet werden müssen und infolge einer Gewichtsregulierung automatisch wieder zufallen. E s entsteht daher die Frage, ob der Forst als .Tiergarten* im Sinne des § 960 1 S. 2 B G B aufzufassen ist. Wäre dies der Fall, so käme, da nach § 6 S. 3 des Bundesjagdgesetzes Tiergärten nicht Jetzt: i. d. F. v. 30. 3. 1961 (BGBl I 304).

Einzelrichter — Aufbau der Urteilsgründe; Einziehung

851

unter die Vorschriften dieses Gesetzes fallen, eine Verletzung fremden Jagdrechts, wie sie § 292 StPO erfordert, nicht in Betracht, die Tat des Angeklagten wäre vielmehr als Diebstahl zu würdigen."

(Wie oben ausgeführt, darf eine Verurteilung auf Grund eines im Eröffnungsbeschluß nicht angeführten Strafgesetzes nur unter Beachtung des § 265 StPO erfolgen.) Ob ein Wald von fast 600 ha überhaupt noch Tiergarten sein kann, ist streitig (vgl. MitzschkeSchäfer, Komm. z. Reichsjagdges. 3. Aufl. Anm. 10 zu § 1). Diese Frage kann aber hier dahingestellt bleiben, denn jedenfalls werden Fasanen durch die Einhegung nicht in ihrer natürlichen Freiheit behindert."

Nach richtiger Auffassung ist als Tiergarten ein zur Festhaltung von Wild dauernd und vollständig umschlossener Raum anzusehen, der nach seiner Flächengröße das Einfangen oder Ergreifen und Töten des Wildes jederzeit ohne Bejagung im eigentlichen Sinn ermöglicht (vgl. die angeführte Kommentarstelle sowie Mitzschke-Schäfer, Komm. z. Bundesjagdges. [2] 4 zu § 7); eingefriedete Reviere, die so groß sind, daß das Fangen und Erlegen des Wildes im allgemeinen eine Jagdausübung im eigentlichen Sinn erfordert (Ausmachen usw.), sind lediglich sog. Gatterreviere oder „Tierparks" ohne jagdrechtliche Besonderheit. Die vom R G (insbes. in R G S t 60, 273 und zuletzt in H R R 1935 Nr. 398) vertretene abweichende Auffassung würde zu der mit den Grundgedanken des Bundesjagdges. nicht zu vereinbarenden Folgerung führen, daß dem Wild in eingehegten großen Wäldern ohne Beachtung der Schonzeitvorschriften, aber auch ohne Beachtung der eine Veredelung des Waidwerks und den Schutz des Wildes bezweckenden sonstigen Jagdausübungsbeschränkungen (§§ 39f. B J G ) nachgestellt werden könnte. — Nicht zweifelhaft ist, daß da, wo ein Tiergarten vorliegt, der Ausschluß der Anwendbarkeit des B J G sich nur auf solche (größeren) Tiere erstreckt, die durch die Einfriedigung am Verlassen des Reviers verhindert werden können. „Danach ist der Angeklagte schuldig, am 3. September 1956 unter Verletzung fremden Jagdrechts Wild erlegt zu haben. Vergehen gegen §§ 292, 295 S t G B . "

An dieser Stelle des Urteils wird vielfach gesagt: „ E s war daher tatsächlich festzustellen, daß der Angeklagte „es war nicht tatsächlich festzustellen, daß der A n g e k l a g t e . . . . " . Es handelt sich aber gar nicht um tatsächliche Feststellungen, sondern um eine — im Gesetz nicht vorgeschriebene, aber zur Erhöhung der Übersichtlichkeit des Urteils zu empfehlende — rechtliche Würdigung des Verhandlungsergebnisses in schematischer Form durch Zusammenfassung der abstrakten und konkreten Tatbestandsmerkmale. Wenn z. B. in der Revisionsinstanz geprüft wird, ob die „tatsächlichen Feststellungen" des Vorderrichters seine Entscheidung rechtfertigen, so kommt es dabei nicht auf die sog. tatsächliche Feststellung am Ende des Urteils an, sondern auf die vorher festgestellten konkreten Einzeltatsachen. — Notwendig ist die Angabe des Strafgesetzes (§ 2 6 7 1 1 1 S. 1 StPO). „ D a der Angeklagte nach dem Strafregisterauszug B1 d. A . wegen einschlägiger Vergehen noch nicht bestraft und der von ihm angerichtete Schaden gering ist, so kann der Strafzweck durch eine Geldstrafe erreicht werden. Unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse erschien eine Geldstrafe von 50 D M angemessen und ausreichend."

Vgl. § 2 6 7 1 1 1 S. i (Zwang zur Begründung der Strafzumessung). Zur Strafzumessung vgl. noch Nr. 249 1 RiStV 1953: „Die Jagdwilderei ist, nicht zuletzt wegen der Gefahren, die dem Jagdschutzberechtigten von Seiten der Wilderer drohen, streng zu verfolgen". — Das Gericht hat das „dreiste" Ableugnen der Tat in der Hauptverhandlung nicht straferhöhend verwertet. Das war richtig. „Uneinsichtiges" Leugnen wird grundsätzlich nur dann straferhöhend in Betracht kommen, 54*

852

Einzelrichter — Einziehung. Strafverfügung

wenn es bei der Art der Tat und bei der Persönlichkeit des Angeklagten auf Rechtsfeindschaft, auf Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen läßt; andernfalls läge eine dem Gesetz unbekannte Lügenstrafe vor (vgl. Leipz. . K o m m . [Jagusch] [8] B / V I b Abs. 3 vor § 1 3 StGB). — Der Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe bedurfte es nicht (§ 29™ StGB). „Ferner war gemäß § 295 StGB, auf Einziehung des beschlagnahmten Jagdgewehrs, das der Angeklagte bei der Jagdwilderei bei sich geführt hat, zu erkennen." V o n der allgemeinen Einziehungsvorschrift des § 40 weicht § 295 nach zwei Richtungen ab: die Einziehung ist grundsätzlich z w i n g e n d vorgeschrieben und sie findet nicht nur gegen den Täter oder Teilnehmer, sondern ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse statt, jedoch mit Milderungsmöglichkeit nach § 295 Vorschriften, wie die des § 2951, die die Einziehung zwingend vorschreiben und sie auch gegen, über dem tatunbeteiligten Eigentümer vorschreiben oder zulassen (sog. unterschiedslose Einziehung)finden sich in zahlreichen Gesetzen, besonders im Nebenstrafrecht. Nebenstrafe •— wie sie es im Fall des § 40 StGB ist — kann die Einziehung in solchen Fällen nicht sein, denn dem tatunbeteiligten Eigentümer gegenüber gibt es keine Strafe. Eine polizeiliche Sicherungsmaßnahme, die die Einziehung gegenüber jedermann rechtfertigen würde, aber kann die unterschiedslose Einziehung nur dann sein, wenn der Gegenstand der Einziehung an sich gefährlich ist (vgl. z. B. § § 1 5 2 , 245 a 1 1 1 , auch § 861 — s. dazu B G H S t 6, 62 — ) , nicht aber, wo der Gegenstand vom Täter oder Teilnehmer nur in gefährlicher Weise gebraucht wurde, bei einer Rückgabe an den unbeteiligten Dritteigentümer Gefahren aber nicht mehr drohen. Die neuere Rechtsprechung geht davon aus, daß eine Haftung des tatunbeteiligten Eigentümers für die Schuld des Täters oder Teilnehmers durch Eröffnung der Einziehbarkeit seines Eigentums aus Gründen der Gerechtigkeit und Billigkeit nur dann vertretbar ist, wenn er für den Verlust seines Eigentums entschädigt wird oder wenn ein die Einziehung rechtfertigender Grund deshalb vorliegt, weil er um die Tat, bei der sein Eigentum verwendet wurde, vor ihrer Begehung wußte oder wissen mußte, oder wenn er nach der Begehung von der Tat einen Vorteil gehabt hat, dessen Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erkennbar war. Diese Grundsätze sind für das Gebiet des Ordnungsunrechts jetzt in den §§ 18 ff. des Ges. über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. März 1952 (BGBl. 1 1 7 7 ) niedergelegt und gelten auch für die unterschiedslose Einziehung im Strafverfahren (näheres Dalcke-F.-Schäfer [37] 7 zu § 40 StGB). Im Fall des § 295 bedarf es des Rückgriffs auf diese allgemeinen Überlegungen nicht, weil bereits § 295 II eine der Billigkeit entsprechende Entscheidung ermöglicht. Z . T . wendet die Rechtsprechung in Fällen unterschiedslos vorgesehener Einziehung den § 295 II entsprechend an (vgl. BGHSt. 9, 96; BayObLG M D R 1957, 434). Mit der Rechtskraft der die Einziehung anordnenden Entscheidung geht das Eigentum an dem Gegenstand kraft Gesetzes auf den Staat über, dem das erstinstanzliche Gericht angehört (§ 60 StVollstrO, § 22 OWiG). Rechte Dritter erlöschen, unbeschadet eines etwaigen Entschädigungsanspruchs. Voraussetzung ist aber, daß der Einziehungsgegenstand in der Entscheidung genügend deutlich bezeichnet ist ( R G JW 1935, 949). Ist der Gegenstand in behördlicher Verwahrung, so genügt ein Hinweis darauf („das beschlagnahmte Jagdgewehr"). Ist dies aber nicht der Fall, so müßte eine Bezeichnung nach anderen Merkmalen, z. B. durch Angabe eines Beschußzeichens, einer Fabriknummer usw. erfolgen. Ein Urteil, das nur auf „Einziehung des bei der Tat geführten Jagdgewehrs" lautete, wäre unvollziehbar, da es den Vollstreckungsorganen keine genügende Grundlage zur Durchfuhrung der Vollstreckung böte; eine Nachholung der genaueren Bezeichnung durch eine das Urteil ergänzende Entscheidung wäre verfahrensrechtlich nicht mehr möglich. A u c h die Kostenentscheidung bedarf der Begründung im Urteil: „Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte nach § 465 1 StPO zu tragen, weil er zu Strafe verurteilt ist" (vielfach wird auch formuliert: „ D i e Kostenentscheidung folgt aus § 465 I StPO"). Richter.

Urkrnd"

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Einzelrichter — Verwaltungsstrafverfahren

Richterliche Strafverfügung Das Amtsgericht in Bad Nauheim hat folgende Strafverfügung erlassen: Geschäftsnummer: 5 Es 137/60. „Strafverfügung. Sie sind am 23. September i960 in Bad Nauheim in der Frankfurter Straße, in der die Geschwindigkeit auf 30 km je Stunde beschränkt ist, auf einem Motorrad mit mehr als 30 km Stundengeschwindigkeit gefahren und zwar so übermäßig schnell, daß Sie auf der belebten Straße nicht in der Lage waren, Ihren Verpflichtungen im Verkehr jederzeit Genüge zu leisten. Die Übertretung wird bewiesen durch das Zeugnis des Geschäftsführers Ewald Knopf in Bad Nauheim. Auf Grund der §§ 1, 4 1 , 9, 49 der Straßenverkehrs-Ordnung i. d. F. vom 29. März 1956 (RGBl I 271, 327), § 413 StPO wird deshalb gegen Sie eine Geldstrafe von 50 D M (i. W.) festgesetzt, an deren Stelle, wenn sie nicht beizutreiben ist, eine Haftstrafe von 5 (fünf) Tagen tritt. Zugleich werden Ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt. Diese Strafverfügung wird vollstreckbar, wenn Sie nicht binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem unterzeichneten Gericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch erheben. Die Geldstrafe von 50 D M und die unten bezeichneten Kosten von 3 D M , zusammen 53.— DM, sind an die hiesige Gerichtskasse binnen einer Woche nach Eintritt der Vollstreckbarkeit zu zahlen; andernfalls muß Zwangsvollstreckung erfolgen. Es wird ersucht, bei der Zahlung diese Strafverfügung vorzulegen oder durch Angabe Ihres Namens und der oberstehenden Geschäftsnummer genau zu bezeichnen. An den Buchhalter Herrn Joseph Hindemith in Gießen, Laurentiusstraße 29.

Bad Nauheim, den 24. September i960. Amtsgericht Richter"«

Vgl. § 4 1 3 1 ' n > I V , § 409!, §§464!, 465; Hess. Ges. vom 27. März 1951 ( G V B 1 1 3 ) ; §§9. 7°> 7 1 G K G . 1. Die amtsrichterliche Strafverfügung, die eine beschleunigte Erledigung von Ü b e r t r e t u n g e n ermöglicht, ist erst durch das Rechtsvereinheitlichungsges. vom 12. September 1950 (BGBl 455) geschaffen worden. Vordem standen für eine summarische Ahndung von Übertretungen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: der amtsrichterliche Strafbefehl, der aber nur erlassen werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft es beantragt (§ 407 1 ; s. S. 844) und die p o l i z e i l i c h e Strafverfügung. § 413 a.F. StPO gestattete den Ländern, die Polizeibehörden zur Ahndung von Übertretungen durch die gesetzlich angedrohten Geld- oder Haftstrafen durch eine schriftliche Strafverfügung (im Volksmund auch „Strafmandat" oder „Protokoll" genannt) zu ermächtigen. Diese Strafverfügung konnte der Beschuldigte durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung (durch den Amtsrichter als Einzelrichter) anfechten; das Landesrecht konnte dem Beschuldigten aber auch die Befugnis einräumen, statt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung die Beschwerde an die Polizeiaufsichtsbehörde zu wählen, die dann ohne Beteiligung der Strafgerichte endgültig entschied. Von der Möglichkeit der polizeilichen Strafverfügung hatten die meisten Länder, insbesondere Preußen, Gebrauch gemacht. Nachdem in der Zeit nach dem 8. Mai 1945 die polizeiliche Strafverfügung schon weithin durch Anordnung der damaligen Besatzungsbehörde beseitigt worden war, wurde durch das erwähnte Ges. vom 12. September 1950 das polizeiliche Strafverfügungsrecht allgemein aufgehoben, weil man davon ausging, daß die Verhängung von K r i m i n a l s t r a f e n grundsätzlich nur dem Richter zustehen könne; übrigens würden, da Freiheitsstrafen nach Art. 1 0 4 1 1 G G nur der Richter verhängen kann, polizeiliche Strafverfügungen nur noch unter Beschränkung

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Einzeltichter — Strafverfiigungsverfahien

auf die Festsetzung von Geldstrafen möglich gewesen sein, wobei auch die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe nur durch den Richter hätte erfolgen können. Folgerichtig durchgeführt hätte die Erwägung, von der sich der Gesetzgeber bei der Behandlung der polizeilichen Strafverfügung hat leiten lassen, dazu führen müssen, schlechthin die summarische Festsetzung von Kriminalgeldstrafen durch Verwaltungsbehörden zu beseitigen. Diese Folgerung hat der Gesetzgeber aber nicht gezogen, sondern für gewisse Rechtsgebiete, bei denen man auf die Mitwirkung der sachkundigen Verwaltungsbehörden nicht glaubte verzichten zu können, in beschränktem Umfang das summarische Verwaltungsstrafverfahren beibehalten, nämlich in Poststrafsachen (§§ 34fr. desPostges. vom 28. Oktober 1871, RGBl. 347), vor allem aber in Steuer-, Zoll- und (auch kommunalen) -Abgabestrafsachen (§§421 ff. R A b g O in Verb, mit § 6 Abs. 2 Nr. 2 EGStPO i.d.F. von Art. 3 Nr. 206 des Ges. vom 12. September 1950, B G B l 455). In diesen Fällen können die dazu ermächtigten Verwaltungsbehörden (in Steuerstrafsachen die Finanzämter) Geldstrafen festsetzen und die Einziehung von Gegenständen aussprechen, vorbehaltlich des Rechts des Beschuldigten, dagegen die Entscheidung des Strafrichters (durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung) anrufen oder statt dessen Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde einzulegen. Es fehlt freilich nicht an Stimmen, die diesen Rest der Verwaltungsstrafgerichtsbarkeit als grundgesetzwidrig bezeichnen, weil er mit Art. 92 G G (Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch die Gerichte) unvereinbar sei. Mindestens sei er durch Art. 6 der Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik beigetreten ist (Ges. vom 7. August 1952 u. Bek. vom 15. Dezember 1953, B G B l II 1952, 685, 953; 1954, 14) aufgehoben; nach letzterer Vorschrift haben nur unabhängige Gerichte über strafrechtliche Anklagen zu entscheiden. Die durchaus h.M. teilt diese Bedenken aber nicht, weil nach der historischen Entwicklung das Rechtsprechungsmonopol der Gerichte auch dann als gewahrt angesehen wird, wenn der Beschuldigte das Recht hat, gegen eine summarische (vorläufige) Straffestsetzung der Verwaltungsbehörde die Entscheidung des ordentlichen Strafrichters herbeizuführen (vgl. B G H N J W 1959, 1230). Auch in diesen Fällen aber ist nicht nur die Festsetzung von Freiheits-, sondern auch von Ersatzfreiheitsstrafen gem. Art. 104 1 1 G G den Verwaltungsbehörden entzogen und nur dem Strafrichter vorbehalten (vgl. § 470 RAbgO). Ferner ist davon auszugehen, daß zwar der Betroffene nach wie vor gemäß §§ 450fr. R A b g O gegen den Strafbescheid des Finanzamts Beschwerde an die Oberfinanzdirektion einlegen kann; er begibt sich damit aber nicht — und insoweit ist § 450 Abs. 2 R A b g O überholt — des Rechts, auf gerichtliche Entscheidung anzutragen, vielmehr kann er auch gegen den Beschwerdebescheid der Oberfinanzdirektion, soweit er den Strafbescheid des Finanzamts aufrecht erhält, den Strafrichter anrufen (BGH aaO.) Der tiefere Grund dafür, den Polizeibehörden das summarische Bestrafungsrecht bei Übertretungen zu entziehen, lag nicht in den aus dem Rechtsprechungsmonopol der Gerichte (Art. 92 G G ) hergeleiteten Bedenken, sondern im Zug der Entkriminalisierung des sog. Polizeiunrechts (s. darüber S. 873). Die durch den erhöhten Anfall von Übertretungssachen infolge des Wegfalls der polizeilichen Strafverfügung entstehende Mehrbelastung der Strafjustizbehörden einigermaßen auszugleichen ist der Sinn der Schaffung der amtsrichterlichen Strafverfügung. Sie unterscheidet sich von dem Strafbefehl lediglich dadurch, daß sie a) nur bei Übertretungen (nicht auch, wie der Strafbefehl, bei Vergehen) zulässig ist und b) daß die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft bei der Erwirkung der Strafverfügung wegfällt. Die summarische Aufklärung des Sachverhalts ist Sache der Polizei-

Einzelrichter — Gebührenpflichtige Verwarnung durch die Polizei

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behörde. Sie hat den Beschuldigten zu vernehmen (§ 4 1 3 1 „nach Vernehmung des Beschuldigten"), ebenso etwaige Zeugen und sonstige Ermittlungen anzustellen. Hält sie nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen eine Ahndung durch Strafverfügung für möglich und angezeigt, so übersendet sie die Vorgänge — abweichend von der Regel des § 1 6 3 1 1 1 — nicht der Staatsanwaltschaft, sondern legt sie unter Bezeichnung der Beweismittel und der anzuwendenden Strafvorschriften sowie mit einem Vorschlag zum Strafmaß unmittelbar dem Amtsrichter vor. Voraussetzung für das amtsrichterliche Strafverfügungsverfahren ist, daß Landesgesetz auf Grund der Ermächtigung in § 4x3 1 es gestattet; das ist in allen Ländern geschehen (vgl. die Aufzählung in Dalcke-Fuhrmann-Sch [37] 1 zu § 413; für Hessen s. das oben angeführte Gesetz, für Bayern Art. 3 BayAGStPO vom 17. November 1956, GVB1 254 = SaBl. 1227). Das Gegenstück zur amtsrichterlichen Strafverfügung des Erwachsenenrechts ist im Jugendstrafverfahren die jugendrichterliche Verfügung (vgl. S. 915). Der Amtsrichter ist weder an die rechtliche noch an die tatsächliche Beurteilung der Polizei gebunden noch braucht er —• anders als beim Strafbefehl, wo er sich nicht über den Antrag der Staatsanwaltschaft zum Strafmaß hinwegsetzen kann, §408 1 1 S. 2 u. S. 844 — auf den Strafbemessungsvorschlag der Polizei Rücksicht zu nehmen, denn die Angaben und der Vorschlag der Polizei sollen ihm nur die Prüfung bei Erlaß der Strafverfügung erleichtern. Hat der Amtsrichter Bedenken, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden oder hält er noch weitere Ermüdungen für nötig, zeigt sich also, daß es nicht möglich ist, die Sache summarisch ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft zu erledigen, so übersendet der Amtsrichter die Akten der Staatsanwaltschaft (§ 4 1 3 m ) , die dann — so als sei ihr die Sache von der Polizeibehörde nach § 1 6 3 1 1 1 zugeleitet worden — nach den allgemeinen Vorschriften das Verfahren einstellen, Strafbefehl beantragen oder Anklage erheben kann. Der Amtsrichter ist jedoch befugt, selbst das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen ( § § 4 1 3 v , 15 3 1 ), eine Befugnis, die ihm sonst erst nach Erhebung der Anklage und dann auch nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zusteht (§ 15 3 1 1 1 ) 1 ) . Auch muß ihm das Recht zustehen, das Verfahren wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses — Amnestie, Verjährung, fehlender Strafantrag — in entsprechender Anwendung des § 210 II StPO einzustellen; dann muß er aber die Staatsanwaltschaft vorher hören (§33) und diese kann gegen einen solchen Einstellungsbeschluß sofortige Beschwerde einlegen. Unbeschadet des Rechts des Amtsrichters, eine von der Polizei vorgelegte Übertretungssache wegen Geringfügigkeit einzustellen, kann schon die Polizei in leichteren Übertretungsfällen von einer Übersendung der Akten nach § 4 1 3 1 absehen und statt dessen eine gebührenpflichtige polizeiliche Verwarnung erteilen, wenn Bundes- oder Landesrecht dies vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 des Straßenverkehrsges. vom 19. Dezember 1952 (BGBl I 837) sind dazu ermächtigte Polizeibeamte befugt, den bei leichteren V e r k e h r s Übertretungen auf frischer Tat betroffenen Täter zu verwarnen und eine Gebühr bis zu 5 D M zu erheben. Dieses Verfahren ist aber nur zulässig, wenn der Täter darüber belehrt ist, daß er die Entgegennahme der gebührenpflichtigen Verwarnung verweigern könne — wer sich unschuldig fühlt, darf in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt werden —, sich mit der Verwarnung einverstanden erklärt und zur sofortigen Zahlung der Gebühr bereit ist. Nach der Zahlung 1 ) Streitig ist, ob der Amtsrichter auch dann noch befugt ist, das Verfahren ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit einzustellen, wenn er eine Strafverfügung erlassen und der Angeklagte dagegen Einspruch eingelegt hat. Nach herrschender und richtiger Auffassung ist die Frage zu verneinen (vgl O L G Hamburg N J W 1958, 1887 und Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] Anm. 8 zu § 413).

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Einzelrichter — Fahrlässigkeit bei Übertretungen

kann gem. § 2 2 1 1 die Zuwiderhandlung nicht mehr als Übertretung verfolgt werden; die Strafklage ist also insoweit konsumiert. Die L ä n d e r haben für sonstige Übertretungen meist entsprechende Vorschriften erlassen (vgl. die Aufzählung bei LöweRosenberg-Schäfer [20] Anm. 4c zu § 13 G V G ; neben den dort genannten ist an neueren Vorschriften noch § 31 des Bad.-Württ. Polizeiges. vom 21. November 195 5, GBl 249 = SaBl 1368 und das Brem. Ges. vom 9. September 1958, G V B 1 S. 83 = SaBl S. 1237, zu erwähnen); doch ist in den Landesgesetzen der Zahlung der Gebühr keine konsumierende Wirkung beigelegt. Die Zulässigkeit solcher Landesvorschriften ist anfänglich mit der Begründung angezweifelt worden, daß es dem Landesrecht nicht zustehe, dem Richter und der Staatsanwaltschaft die ihnen bundesgesetzlich (§§ 153 1 , 4 1 3 v ) zugewiesene Prüfung über die Voraussetzungen einer Einstellung zu entziehen; dem ist aber entgegenzuhalten, daß das in § 15 3 1 ausgesprochene Verbot, geringfügige Übertretungen zu verfolgen, wenn nicht ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht, sich auch an die Polizeibehörden und -beamten als Hilfsorgane der Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft) richtet. Am 30. September erhebt Hindemith Einspruch. „Die Beschuldigung ist unbegründet. Ich bin nur mit 22—25 km Geschwindigkeit gefahren. Ich beantrage: zum Termin meine Braut, die Modistin Frl. Mathilde Pupke, Gießen, Alexanderstraße 38, die hinter mir auf dem Soziussitz meines Rades gesessen hat, als Zeugin vorzuladen. Joseph Hindemith."

Der Amtsrichter setzt Hauptverhandlungstermin an, läßt Knopf und Frl. Pupke als Zeugen laden und einen vollständigen Strafregisterauszug über Hindemith einholen. Die Staatsanwaltschaft ist von jetzt ab am Verfahren beteiligt (§ § 4 1 3 I V , 411 „5 E s 137/60. Öffentliche Sitzung des Amtsgerichts.

Bad Nauheim, den 15. Oktober i960.

Gegenwärtig:...

In der Strafsache gegen Hindemith wegen Übertretung, erschien bei Aufruf: der Angeklagte.

E s wurden die Zeugen aufgerufen. E s meldeten sich: 1. Geschäftsführer Knopf aus Bad Nauheim, 2. Modistin Pupke aus Gießen."

Wenn der Angeklagte weder persönlich erscheint — es sei denn mit genügender Entschuldigung — noch einen zu Vertretung bevollmächtigten Verteidiger entsendet, muß sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ohne Beweisaufnahme durch Urteil verworfen werden (§ 4 i 3 I V , § 412 1 ). Bis zum Beginn der Hauptverhandlung kann der Angeklagte den Einspruch zurücknehmen; ist aber das Gericht einmal in die Verhandlung eingetreten, so ist es an den Ausspruch der Strafverfügung nicht mehr gebunden, hat also unter Umständen über die dort festgesetzte Strafe hinauszugehen (§§ 4i3 IV > 4i i 1 , U I ) . Der Richter belehrt Hindemith über diese Gefahr: Nach dem Strafregisterauszug sind Sie schon einmal wegen vorsätzlicher und einmal wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft. Wenn Sie verurteilt werden, ist erhebliche Verschärfung der Strafe möglich. Hindemith: Mein Tachometer hat keine 30 km gezeigt. Ich muß freigesprochen werden. Richter: Vielleicht hat Ihr Geschwindigkeitsmesser nicht genau angezeigt. Außer-

Einzelrichter — Zeugenvereidigung in Übertretungssachen

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dem befinden Sie sich im Irrtum, wenn Sie glauben, bei Einhaltung der 30 km-Grenze unter allen Umständen straffrei zu sein. A n erster Stelle steht die Pflicht des Fahrers, seine Geschwindigkeit und sein Verhalten so einzurichten, daß er jederzeit in der L a g e bleibt, den an ihn plötzlich herantretenden Anforderungen Genüge zu leisten und das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anhalten zu können ( § 9 S t V O ) . Danach kann eine Geschwindigkeit unter 30 km mitRücksichtaufdieBeschaffenheitder Straße, den Verkehr usw. unzulässig sein. Andrerseits wird Überschreitung des 30 km-Tempos in der von Ihnen befahrenen Straße immer bestraft. Schließlich wäre es denkbar, daß Sie schneller als 30 km gefahren sind, ohne es zu bemerken, während Sie es bei A n wendung der erforderlichen Sorgfalt hätten bemerken und auch darauf achten müssen, weil die Geschwindigkeitsbegrenzung durch das aufgestellte Verkehrszeichen angezeigt war (§ 4IV S t V O ) . § 49 StVO bedroht ausdrücklich auch fahrlässige Verkehrsübertretungen. Der heutigen Gesetzestechnik entspricht es, bei Ubertretungsstrafdrohungen deutlich auszusprechen, ob nach der inneren Tatseite Vorsatz erforderlich ist oder Fahrlässigkeit genügt. In älteren Vorschriften wird aber die erforderliche Schuldform häufig nicht genannt. Es muß dann nach der Natur der einzelnen Übertretungen und dem Zweck, den der Gesetzgeber mit der Strafvorschrift erkennbar verfolgt, geprüft werden, ob auch der fahrlässige Gesetzesverstoß strafbar sein soll (vgl. Dalcke- F.-Schäfer [57] *d vor § 560 StGB). Daß zur Bestrafung mindestens Fahrlässigkeit erforderlich ist, ist auch da, wo das Gesetz über die Schuldform schweigt, selbstverständlich, denn eine Strafe ohne Schuld gibt es nicht; auch ein u n v e r s c h u l d e t e r V e r b o t s i r r t u m schließt bei Übertretungen—nicht anders als bei Vergehen und Verbrechen — die Zurechenbarkeit und damit die Schuld aus (vgl. S. 887). Das Schweigen des Gesetzgebers über die erforderliche Schuldform, das den Richter zur Auslegung zwingt, birgt die Gefahr der Unsicherheit der Rechtshandhabung in sich. Deshalb hat für das Gebiet der O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n der Gesetzgeber eine klare Regelung getroffen, indem nach § n 1 OWiG eine Ordnungswidrigkeit nur bei vorsätzlichem Handeln geahndet wird, es sei denn, daß durch G e s e t z , also ausdrücklich im Gesetzeswortlaut, etwas anderes bestimmt ist (vgl. S. 881). Auf dem Gebiet des Strafrechts fehlt es aber z. Z. noch an einer solchen Vorschrift. Bei Delikten „polizeilichen Charakters" wird Fahrlässigkeit für ausreichend angesehen, falls — und das ist meist der Fall — die „polizeiliche" Strafbestimmung ihren Zweck verfehlen würde, wenn sie nur au vorsätzliche Zuwiderhandlungen Anwendung finden könnte. — Dabei deckt sich der Begriff des „Polizeidelikts" nicht mit dem der Übertretung. Man versteht darunter die sittlich indifferenten Verstöße gegen solche Vorschriften, die nur der guten äußeren Ordnung des Gemeinlebens, dem reibungslosen Funktionieren dienen, im Gegensatz zu den sittlich verwerflichen Angriffen auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter. Es gibt also auch Vergehen „polizeilichen Charakters". Im einzelnen, namentlich bei den sog. abstrakten „Gefährdungsdelikten" ist die Grenze schwer zu ziehen. Gerade das ist der Grund, warum die neue Gesetzgebung sich bemüht, durch formale Kriterien das bloße „Ordnungsunrecht" vom echten Kriminalunrecht (der materiellen Rechtsgutverletzung) abzuscheiden (vgl. S. 875). Hindemith: Ich bestehe auf der Verhandlung. „Die Zeugen wurden entfernten sich wieder aus dem Sitzungssaal" (usw. wie S. 846, es folgen die Vernehmung des Angeklagten zur Person, die Verlesung der Strafverfügung und die Erklärung zur Sache) Die Zeugen wurden hierauf einzeln vorgerufen und in Abwesenheit der später zu verhörenden Zeugen, wie folgt, vernommen: 1. Zeuge Knopf Z. P.: Z. S.: Ich bin selbst Motorradfahrer und stelle manchmal mit Hilfe meiner Stoppuhr fest, ob Motorradfahrer, die durch Bad Nauheim durchkommen, mit der festgesetzten Höchstgeschwindigkeit von jo km fahren. Der Angeklagte ist, wie ich genau beobachtet habe, mit 37,5 km die Frankfurter Straße heruntergerast und hat auf die übrigen Verkehrsteilnehmer keinerlei Rücksicht genommen. N a c h § 62 werden in Übertretungssachen (ebenso wie im Privatklageverfahren)

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Einzelrichter — Verbrauch der Strafklage

Zeugen nur ausnahmsweise, nämlich nur dann vereidigt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage für notwendig hält. Ausschlaggebend ist eine Aussage, wenn das Gericht sein Urteil entscheidend auf die Aussage stützt. Unterbleibt die Vereidigung, weil das Gericht einen solchen Ausnahmefall nicht für gegeben hält, so ist gemäß § 64 der Grund im Protokoll anzugeben. Die Begründung muß so gehalten sein, daß die Verfahrensbeteiligten erkennen können, aus welchen Gründen das Gericht die Nichtbeeidigung für zulässig hält; nur bei einer für alle Beteiligten eindeutigen Beweislage genügt der bloße Hinweis auf § 62 (BGHSt. 14, 374 N J W i960, 1776). 2. Zeugin Pupke Z . P.: Ich heiße Mathilde Pupke, bin 23 Jahre alt, Modistin in Gießen, mit dem Angeklagten verlobt, wegen Meineids nicht bestraft. Das mir zustehende Zeugnisverweigerungsrecht ist mir bekannt. Ich will aussagen. Z . S.: Ich habe gesehen, daß der Geschwindigkeitsmesser weniger als 30 km zeigte, ich glaube 22 oder 23 km. Ich weiß das darum so genau, weil ich das erstemal mit meinem Bräutigam ausfuhr und in meiner Angst immerfort auf die Uhr gesehen habe, so daß er mich auslachte und sagte: ,Auf den Apparat kannst du dich so wie so nicht verlassen, der ist kaputt.' Auf Befragen: Wir fuhren wohl ziemlich schnell, vielleicht kam es mir aber bloß deshalb so vor, weil ich das Motorradfahren noch nicht gewöhnt war. Als wir die alte Frau anfuhren, sind wir bestimmt schon langsamer gefahren, als wie vorher bei der Knopfschsa Fabrik und Villa."

Richter: Was ist das für eine Geschichte mit der alten Frau? Zeugin: „ A l s wir an der Stelle vorbeifuhren, wo die Straße vom Bahnhof von links einbiegt, kam ein großes Auto von dort gefahren. Um nicht zusammenzustoßen, mußte mein Bräutigam ganz weit nach rechts bis an den Rand des Fahrdamms ausbiegen und riß dabei eine alte Frau um, die auf dem Fußgängerwege stand und nicht rechtzeitig wegspringen konnte."

Knopf bestätigt, daß damals eine Frau Kern aus Gohlau von einem Motorradfahrer angefahren worden sei, beim Fallen einen Rippenbruch erlitten habe und nach wenigen Tagen im Krankenhaus verstorben sei. Danach erscheint die Tat Hindemiths nicht mehr als bloße Übertretung verkehrspolizeilicher Vorschriften, sondern als fahrlässige Körperverletzung oder gar Tötung (§230 bzw. 222 StGB), Fahrerflucht (§ 142) und als vorsätzliche oder fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung (§315 a 1 4 , § 316 1 1 ), während umgekehrt eine Bestrafung nach § 49 StVO infolge der in ihm enthaltenen Subsidiaritätsklausel („wenn die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist") entfällt (BGHSt 6, 25). Damit entfällt die Zuständigkeit des Einzelrichters nach § 25 Nr. 1 G V G ; auch die nach § 25 Nr. 2b ist nicht gegeben. Die Staatsanwaltschaft kann jetzt aber auch nicht mehr eine Zuständigkeit nach § 25 Nr. 2 c begründen. Zwar ist, wenn der Beschuldigte Einspruch gegen die Strafverfügung erhoben hat, die Stellung der Staatsanwaltschaft die gleiche wie nach Einspruch gegen einen Strafb e f e h l ; in dieser Lage des Verfahrens kann sie den Antrag nach § 25 Nr. 2 c G V G noch bis zum Beginn der Hauptverhandlung nachholen (vgl. Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] 5 b zu § 24 GVG). Bis zu diesem Zeitpunkt aber kam ein Antrag nach § 25 Nr. 2 c nicht in Betracht, da ja die Zuständigkeit des Einzelrichters nach § 25 Nr. 1 gegeben war. Unzulässig wäre auch die Erhebung einer Nachtragsanklage nach § 266 StPO, denn eine „weitere Straftat" i. S. dieser Vorschrift ist nur eine solche, die mit der im EröfFnungsbeschluß (hier: in der Strafverfügung) genannten in Tatmehrheit (§74 StGB) steht, während hier, von der Subsidiarität des § 49 StVO abgesehen, z.T. Tateinheit in Betracht kommt

Einzelrichter —Beschränkte Rechtskraftwirkung bei Strafbefehl und Strafverfügung

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und im übrigen setzt die Anwendbarkeit des § 266 1 voraus, daß das Gericht für die weitere Straftat zuständig ist und das ist eben nicht der Fall. Der Amtsrichter muß also die Sache nach § 270 durch einen Beschluß, der den Erfordernissen eines Eröffnungsbeschlusses entsprechen muß, an das Schöffengericht verweisen, etwa mit der Formel: „Das Amtsgericht erklärt sich für unzuständig und verweist die Sache an das Schöffengericht zu Bad Nauheim, weil der Angeklagte hinreichend verdächtig erscheint, zu Bad Nauheim am 23. September i960: 1. durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen, der Frau Kern aus Gohlau, verursacht zu haben, 2. durch dieselbe Handlung die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt zu haben, daß er in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise an einer Straßeneinmündung zu schnell fuhr und dadurch fahrlässig eine Gemeingefahr, nämlich eine Gefahr für das Leben der Frau Kern, verursacht zu haben. 3. durch eine weitere selbständige Handlung sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung seiner Person und der Art seiner Beteiligung an dem Unfall vorsätzlich durch Flucht entzogen zu haben, obwohl nach den Umständen in Frage kam, daß sein Verhalten zur Verursachung des Unfalles beigetragen hat. Vergehen gegen §§ 222, 316, 142, 73, 74, StGB. Innerhalb einer Frist von 2 Wochen kann der Angeklagte die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Untersuchungshaft wird nicht angeordnet." Ne bis in i d e m : Wir sahen, daß der Tod der Frau Kern nur zufällig zur Kenntnis des Gerichts gelangte. Würde Hindemith, wenn er es bei der Strafverfügung belassen hätte oder wenn er vom Richter lediglich wegen Übertretung abgeurteilt worden wäre, vor einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung oder Straßenverkehrsgefährdung geschützt sein? Ein rechtskräftiges U r t e i l bewirkt einen Verbrauch der Strafklage, d. h. eine erneute Aburteilung derselben Tat unter dem gleichen oder einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt ist ausgeschlossen (Art. 1 0 3 1 1 1 GG). Was dabei unter „derselben Tat" zu verstehen ist, ergibt sich aus § 264: es ist der im Eröflnungsbeschluß bezeichnete geschichtliche Vorgang, wie ihn das Gericht nach verfahrensrechtlich zulässiger Umgestaltung (ggbf. nach Verweisung vor das sachlich zuständige höhere Gericht) zum Gegenstand der Urteilsfindung machen konnte. Grundsätzlich gilt, daß eine Verurteilung einen Strafklageverbrauch wegen aller tateinheitlich konkurrierenden Gesetzesverstöße bewirkt (vgl. Löwe-Rosenberg-Kohlhaas [20] Vorbem. 23a vor § 151), und zwar ohne Rücksicht auf die Schwere des vom Urteil nicht gewürdigten Gesetzesverstoßes und ohne Rücksicht darauf, ob wesentliche Umstände des Sachverhalts zwar im Verfahren hervorgetreten waren, aber versehentlich unverwertet blieben oder ob solche Umstände dem Gericht unbekannt waren und ob dies auf unzulänglicher Aufklärung durch Strafverfolgungsbehörde und Gericht beruht oder nicht. Die strenge Durchführung dieses Grundsatzes kann zu Ergebnissen führen, die mit dem Rechtsgefiihl unvereinbar sind. Bekannte Schul- und Schreckbeispiele, die sich glücklicherweise in dieser Zuspitzung in der Praxis nicht verwirklicht finden: Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu geringer Vergehensstrafe, während sich nachträglich herausstellt, daß vollendeter Mord vorliegt, oder: Verurteilung zu Übertretungsgeldstrafe wegen Schießens an bewohnten Orten — § 367 18 StGB —, während nachträglich offenbar wird, daß der Schuß des Täters einem Menschen galt und Mordversuch vorliegt. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kommt nur unter den sehr engen Voraussetzungen des § 3Ö2 1-3 in Betracht; selbst ein nachträgliches Geständnis würde eine Wiederaufnahme nicht ermöglichen, da es nicht von einem (völlig) Freigesprochenen abgelegt ist (§ 3Ö24). Es handelt sich hier um einen Konflikt zwischen zwei sich widersprechenden Prinzipien: Die R e c h t s s i c h e r heit gebietet, die Voraussetzungen, unter denen ein durch Urteil abgeschlossenes Verfahren zuungunsten des Verurteilten erneuert werden kann, so eng wie möglich zu gestalten, die materielle G e r e c h t i g k e i t dagegen drängt darauf, eine der wirklichen Rechtslage nicht entsprechende Verurteilung, die der Gerechtigkeit grob widerstreitet, durch ein neues Urteil ersetzen zu können. Zwischen diesen widerstreitenden Interessen den richtigen Ausgleich zu finden, ist eine schwierige gesetzgeberische Aufgabe, und fällt die Lösung verschieden aus, je nachdem welche Bedeutung dem

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Einzelrichter — Sühneattest des Schiedsmannes

einen oder dem anderen Prinzip beigelegt wird. Die Gesetzgebung des „Dritten Reichs" hatte geglaubt, der „materiellen Gerechtigkeit" uneingeschränkt den Vorrang einräumen zu müssen. Dem Oberreichsanwalt wurde das Recht zugesprochen, N i c h t i g k e i t s b e s c h w e r d e gegen ein rechtskräftiges Urteil zu erheben, „wenn die Entscheidung wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts ungerecht ist oder wenn erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der in der Entscheidung festgestellten Tatsachen oder gegen den Strafausspruch bestehen" (Art. 7 § 2 der V O vom 13. August 1942, R G B l I 508). Ferner wurde durch die V O vom 29. Mai 1943 (RGBl I 342) die Wiederaufnahme zuungunsten eines Verurteilten zugelassen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht wurden, die geeignet waren, eine „wesentlich strengere Ahndung" zu begründen; doch sollte die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten nur zulässig sein, wenn die neue Verfolgung „zum Schutze des Volkes notwendig ist". Die Nachkriegsgesetzgebung sah umgekehrt in einer so weitgehenden Durchbrechung der Rechtskraft eine unerträgliche Zurückdrängung der Rechtssicherheit; das Rechtsvereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 (BGBl 455) kehrte zu dem früheren Recht mit seinen engen Voraussetzungen einer Verfahrenswiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten zurück und dieBetonung des (bis dahin ungeschriebenen) Rechtssatzes „ne bis in idem" als eines tragenden Grundsatzes eines rechtsstaadichen Strafverfahrens erschien so bedeutsam, daß dieser Grundsatz zum Verfassungssatz erhoben wurde (Art. 1 0 3 1 1 1 G G ) . Weniger weitgehend als bei einem Urteil ist indessen die Konsumtionswirkung beim rechtskräftigen Strafbefehl und bei der rechtskräftigen amtsrichterlichen Strafverfügung. Beide Entscheidungen erlangen zwar, wenn nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils (§§ 410, 4 1 3 ™ ) . Auch findet gemäß ausdrücklicher Vorschrift (§ 373 a) gegen einen rechtskräftigen Strafbefehl die Wiederaufnahme in gleicher Weise wie gegen ein rechtskräftiges Urteil statt. Für die Strafverfolgung fehlt es an einer entsprechenden Vorschrift, und ob auf sie § 373 a e n t s p r e c h e n d anzuwenden ist, ist streitig (vgl. Löwe-Rosenberg-Kohlhaas [20] Vorbem. 2c vor § 359). Die Rechtsprechung hat aber, weil in dem summarischen Strafbefehlsverfahren die Sachaufklärung nicht in dem Umfang stattfindet und möglich ist wie in der einem Urteil vorausgehenden Hauptverhandlung, von jeher die Auffassung vertreten, daß die materielle Rechtskraft des Strafbefehls beschränkt sei und sich nicht auf solche im Strafbefehl nicht gewürdigte Gesichtspunkte erstrecke, die eine e r h ö h t e Strafbarkeit begründen (RGSt 65, 295). Daß der rechtskräftige Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils erlangt, bedeutet danach nur, daß der Strafbefehl einen Vollstreckungstitel bildet und daß seine Rechtskraft bei rechtlich gleichbleibendem Sachverhalt einer erneuten Aburteilung entgegensteht. A n diesem Grundsatz hält auch die heutige Rechtsprechung fest (BGHSt 3, 1 1 ; B G H M D R 1956, 310; B V e r f G N J W 1954, 69). Bei nachträglichem Hervortreten eines tateinheitlich Konkurrierenden schwereren Delikts, wonach sich z. B. die im Strafbefehl als Übertretung gewürdigte Tat als Vergehen oder Verbrechen darstellt, schließt also die Rechtskraft des Strafbefehls eine erneute Verfolgung nicht aus 1 ); erforderlichenfalls ist eine schon verbüßte Strafe auf die neue anzurechnen und eine gezahlte Geldstrafe, wenn demnächst nur auf Freiheitsstrafe erkannt wird, zurückzuzahlen (RGSt 52, 183; 69, 97; B G H N J W 1951, 894). Das alles gilt entsprechend für die rechtskräftige amtsrichterliche Strafverfügung.

Privatklagesache wegen Beleidigung Privatklage. „ A n das Amtsgericht hier.

Wiesbaden, den 4. Oktober i960. Privatklage der Ehefrau Edith Müller geb. Krämer in Wiesbaden, Nachtigallenweg 37, Privatklägerin, gegen die Ehefrau Alice Schulz geb. Mehnert in Hannover, Wahlstätterstraße 84, Beschuldigte. A m 4. Januar d. J . hat die Beschuldigte an den Seifenfabrikanten Metzger, Vorsitzenden des Theater- und Literaturvereins ,Faust', einen Brief gerichtet, durch den sie mich schwer beleidigt und in bezug auf mich unwahre Tatsachen behauptet und verbreitet, die mich verächtlich zu *) Anders liegt es, wenn der Täter wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Strafbefehl rechtskräftig bestraft wird und der Verletzte nach der Rechtskraft an den Folgen der Verletzung stirbt. In diesem Fall ist eine erneute Verfolgung wegen fahrlässiger Tötung ebenso wenig zulässig, wie wenn der Täter statt durch Strafbefehl durch Strafurteil rechtskräftig verurteilt worden wäre. Vgl. dazu Bruns J Z i960, 585.

Einzelrichter — Tatort; Strafantragsfrist

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machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind und zwar wider besseres Wissen. Der Brief wird zu den Gerichtsakten überreicht. Ich erhebe nach §§ 185, 187 StGB beim Amtsgericht Wiesbaden Privatklage und beantrage die Eröffnung des Hauptverfahrens. Von der Beibringung eines Sühneattestes bitte ich abzusehen, da die Privatbeklagte in Hannover wohnt. 2 Abschriften der Privatklage sowie 20 DM Gebührenvorschuß in Gerichtskostenmarken anbei. Edith Müller." „Wiesbaden, den 4. Januar i960. Herrn Otto Metzger z. Zt Brückenberg, Gasthof zum Riesen. Lieber Herr Metzger! Mit Vergnügen gedenke ich der schönen Abende, die ich in ihrem Verein bei den Aufführungen und anschließenden geselligen Zusammenkünften verlebt habe. Sie wissen, daß ich immer eine begeisterte Anhängerin Ihrer Bestrebungen war. Deshalb möchte ich Sie dringend warnen, Frau Edith Müller aufzunehmen, die, wie ich gehört habe, sich um die Mitgliedschaft bewirbt. Wer den zweifelhaften Vorzug hat, die Dame näher zu kennen, wird ihr schauspielerische Begabung nicht absprechen, vor allem für das Fach der jugendlichen Liebhaberin, das sie vor ihrer Verheiratung mit wechselnden Partnern eifrig studiert hat (alle Mitbewohner ihres Hauses kennen die Namen). Sie müssen aber doch in erster Linie auf das gesellschaftliche Niveau Ihres Vereins achten und dürfen sich nicht mit einer solchen minderwertigen Person belasten. Falls Sie nähere Auskünfte wünschen, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung. Wir siedeln übrigens Ostern nach Hannover über, wohin mein Mann versetzt ist. Vorher wird hoffentlich noch einmal Gelegenheit sein, in Wiesbaden mit Ihnen zusammenzukommen. Gute Erholung wünschend, bin ich mit besten Grüßen Ihre Alice Schuld" V o r Zahlung des in §§ 77, 1 1 3 G K G bezeichneten Vorschusses soll in Privatklagesachen keine gerichtliche Handlung vorgenommen werden, es sei denn, daß dem Privatkläger das Armenrecht bewilligt ist oder Gebührenfreiheit zusteht oder glaubhaft gemacht wird, daß ihm die Verzögerung einen nicht oder nur schwer zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Hätte Frau Müller nicht die 20 D M beigefügt, so würde ihr zunächst eine Zahlungsfrist bestimmt worden sein mit dem Hinweis, daß nach deren Ablauf die Privatklage kostenpflichtig zurückgewiesen werde (§ 379 a). Außer den Formalien der §§ 379a, 380, 381, 200 StPO umfaßt die Prüfung bei Eingang einer Privatklage die Zuständigkeit des Gerichts sowie die Schlüssigkeit der Klage, wobei Verjährungs- und Antragsfrist im Vordergrund stehen. Eines schiedsmännischen Sühneattestes (§ 380) bedarf es nach Maßgabe landesrechtlicher Vorschriften nicht, wenn die Partei zur Zeit der Klageerhebung nicht im selben Gemeindebezirk wohnen. §§ 3 8 0 ™ StPO. Nach 36 pr. SchiedsmO vom 3. Dezember 1924 (GS 747) = § 36 Hess. Ges. über das Schiedsmannswesen vom 12. Oktober 1953 (GVB1 163) kann das Gericht auf Antrag des Privatklägers Befreiung von dem Erfordernis der Beibringung des Sühneattestes wegen distantia loci gewähren. Zuständig für das Sühneverfahren ist der Schiedsmann, in dessen Bezirk der beschuldigte Teil wohnt (§35 S. 1). Das Gericht kann auf den Sühneversuch verzichten, wenn die Entfernung so erheblich ist, daß dem Privatkläger unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse und nach den Umständen des Falles nicht zugemutet werden kann, zur Verhandlung zu erscheinen. Statt dessen kann das Gericht den Privatkläger auch ermächtigen, sich in dem auswärtigen Sühnetermin vertreten zu lassen § 361 S. 2). Soweit der erfolglose Sühneversuch die Vorbedingung für Erhebung der Privatklage bildet, muß der Antragsteller (also der künftige Privatkläger) immer persönlich zum Sühnetermin erscheinen, während es der Anwesenheit des Gegners nicht bedarf (§§ 38 1 1 , 401). Doch kann der Schiedsmann den Antragsgegner durch Ordnungsstrafe zum Erscheinen zwingen (§ 39 11 ). Ist bis zur Erhebung der Privatklage der erforderliche Sühneversuch unterblieben, so muß die Privatklage zurückgewiesen werden; eine Nachholung ist nicht möglich (sehr str.). Ist allerdings

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Einzelrichter — Verleumdung; üble Nachrede

trotz des Fehlens das Hauptverfahren eröflnet worden, so verliert der Mangel seine Bedeutung ( O L G Hamburg N J W 1956, 522).

Die Zuständigkeit des Wiesbadener Gerichts ist gegeben, freilich nicht aus § 8 StPO (forum domicilii), weil es auf den Wohnsitz z. Zt der Erhebung der Klage, nicht z. Zt der Begehung der Tat, ankommt, sondern aus § 7 (forum delicti commissi). Dieser Gerichtsstaad, in welchem die überwiegende Mehrzahl aller strafbaren Handlungen verfolgt wird, besteht nach § 3 1 1 1 StGB an jedem Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder im Fall des Unterlassens hätte handeln sollen oder an dem der Erfolg eingetreten ist oder (beim Versuch) eintreten sollte. Tatort ist also z.B. bei brieflich begangenem Betrug oder schriftlicher Erpressung der Absendungs- wie der Bestimmungsort, wo der Brief zur Kenntnis der Person gelangte, auf deren Willen einzuwirken er bestimmt war. Als Begehungsort der hier zur Anklage stehenden brieflichen Beleidigung gilt demgemäß außer Brückenberg, wo Metzger Kenntnis vom Inhalt des Briefes nahm, auch Wiesbaden als Ort der Abfassung und Absendung. Dagegen sind Orte, an denen Metzger der Privatklägerin oder dritten Personen den Inhalt des Briefes weitererzählt hat, nicht mehr Begehungsorte, denn mit der Kenntnisnahme durch Metzger in Brückenberg war die Tat bereits abgeschlossen. Zweifelhaft erscheint die Wahrung der Antragsfrist. Verfügung: „ 1 . A n Privatklägerin: Strafantrag wegen Beleidigung kann nur innerhalb von 3 Monaten, nachdem der Berechtigte von der strafbaren Handlung und der Person des Täters Kenntnis erlangt hat, gestellt werden (§ 61 StGB). Da der Brief der Beschuldigten volle 9 Monate zurückliegt, wollen Sie unter Angabe von Beweismitteln darlegen, wann Sie zuerst Kenntnis von dem Brief erlangt haben. Hierzu wird Ihnen gemäß § 3 9 1 1 1 StPO eine Frist von zwei Wochen bestimmt, nach deren fruchdosem Ablauf die Einstellung des Verfahrens ausgesprochen werden wird. 2. Abschrift der Privatklage der Beschuldigten zur Erklärung mit Frist von 2 Wochen. 3. Z u 1 und 2 zustellen. 4. A m 23. Oktober."

Vgl. § 382. Einer Mitteilung an die Staatsanwaltschaft, wie sie früher vorgeschrieben war, bedarf es nicht. Das Gericht legt ihr aber die Akten vor, wenn es die Übernahme der Verfolgung durch sie für geboten erachtet (§ 377 1 S. 2). Das kann z.B. auch der Fall sein, wenn der Privatkläger die ihm zugefügte Beleidigung darin erblickt, daß der Beschuldigte behauptete, der Privatkläger habe ein Offizialdelikt begangen. Dann leitet die Staatsanwaltschaft zunächst wegen der dem Privatkläger vorgeworfenen strafbaren Handlung ein Verfahren ein. Das Privatklageverfahren wird nach § 191 StGB ausgesetzt, und wenn das Offizialverfahren gegen den Privatkläger zur rechtskräftigen Verurteilung geführt hat, so gilt damit für den Beleidigungsprozeß der Wahrheitsbeweis endgültig als geführt, während durch einen Freispruch des Privatklägers der Wahrheitsbeweis nur ausgeschlossen wird, wenn der Freispruch vor der Aufstellung oder Verbreitung der beleidigenden Äußerung erfolgte (§ 190). Die Notwendigkeit der Aussetzung besteht übrigens auch bei Verfahren wegen falscher Anschuldigung (trotz des „soll" in § iÖ4 VI : BGHSt 8, 133); dort bindet aber das Urteil, welches im Prozeß über das behauptete Delikt ergeht, den über die falsche Anschuldigung erkennenden Richter nicht. — Frau Müller erfüllt die ihr vom Gericht gemachte Auflage: „ A n das Amtsgericht, hier.

Wiesbaden, den 17. Oktober i960.

In der Privatklagesache Müller gegen Schuld, 5 Bs 109/60, überreiche ich die mir von der Privatklägerin erteilte Vollmacht und führe zufolge der Verfügung vom 6. Oktober i960 folgendes an: V o n dem Brief vom 4. Januar i960 hat die Privatklägerin ungefähr am 20. Januar durch Metzger Kenntnis erhalten. Beweis: Metzger.

Einzelrichter — Wahrnehmung berechtigter Interessen

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Anfang April wollte sie Privatklage erheben. In der Rechtantragsstelle des Amtsgerichts von dem diensttuenden Urkundsbeamten über das Erfordernis des vorgängigen Sühneversuchs belehrt, begab sie sich zu dem für die Beschuldigte, die damals noch in Wiesbaden wohnte, zuständigen Schiedsmann Friede, der ihr aber sagte, daß es bis zur Durchführung des Sühneverfahrens mehrere Tage dauern werde und daß es wahrscheinlich nicht möglich sein würde, auf diese Weise die Antragsfrist Zu wahren. Auf Rat des Schiedsmannes stellte deshalb die Privatklägerin am 17. April i960 bei der Staatsanwaltschaft gegen Frau Schulz schriftlich Strafantrag, der unter dem 22. April dahin beschieden wurde, daß kein öffentliches Interesse vorliege. Beweis: die Akten gegen Schulz 7 Js 372.60 der hiesigen Staatsanwaltschaft. Inzwischen war die Beschuldigte nach Hannover verzogen, so daß sich die Erhebung der Privatklage verzögerte. Für die Privatklägerin: Schwang Rechtsanwalt." Die alsbald herangezogenen staatsanwaltschaftlichen Akten bestätigen die Darstellung der Privatklägerin. In der Regel enthält die Privatklage, ausdrücklich oder dem Sinne nach, zugleich den Strafantrag. Der Strafantrag kann aber auch in anderer Weise gemäß § 15 8 1 1 StPO gestellt werden. A n die Dreimonatsfrist des § 61 S t G B ist der Strafantrag, nicht die Privatklage, gebunden, während das Erfordernis des schiedsmännischen Sühneversuchs bloß für die Privatklage gilt. Tatsächlich hat Frau Müller durch ihren bei der Staatsanwaltschaft erfolglos gestellten Strafantrag die Antragsfrist gewahrt (natürlich unter der Voraussetzung, daß sie die Beleidigung nicht vor dem 17. Januar i960 erfahren hatte) und hätte mit ihrer Privatklage bis unmittelbar vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 6 7 1 1 ) warten können. G e g e n e r k l ä r u n g . W i d e r k l a g e . Für Frau Schulz meldet sich R A Weiß mit Vollmacht und beantragt: „die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen. I. Die Beschuldigte bestreitet nicht, den Brief vom 4. Januar i960 an Metzger geschrieben zu haben. Die in dem Brief angestellten Behauptungen entsprechen jedoch in allen Punkten der Wahrheit. (folgt eine Reihe von Skandalgeschichten aus dem Leben der Privatklägerin mit Angabe von Zeugen.) Die Zeugen werden auch bekunden, daß sie der Beschuldigten die angegebenen Vorfälle erzählt haben. Die Beschuldigte hat also an die Richtigkeit ihrer Behauptungen fest geglaubt. Das Gelingen des Wahrheitsbeweises schützt Frau Schulz nicht unbedingt vor Verurteilung. Allerdingst liegt dann weder „verleumderische Beleidigung" (§ 187 noch „üble Nachrede" (§ 186) vor. E s kann aber auch die Mitteilung wahrer Tatsachen als Beleidigung — und zwar als sog. „Formalbeleidigung" (§ 185) — strafbar sein, wenn sie sich als absichtliche Kundgebung der Mißachtung darstellt: dabei kommen für das „Vorhandensein", d. h. die Absicht der Beleidigung, Form und Umstände der Mitteilung in Betracht (§192). Die Wahrheit zu sagen, ist ein Grundrecht (Art. 5 G G ) , doch macht man sich strafbar, wenn die Äußerung in unpassender Form oder bei unpassender Gelegenheit erfolgt. Wer einem Jubilar vor versammelter Festgesellschaft eine vor Jahren erlittene Bestrafung vorhält, wer für eine die Öffentlichkeit nicht berührende ehrenrührige Angelegenheit die Presse benutzt ( J W 1 9 2 8 , 2049 1 9 ) macht sich strafbar 1 ). A u f das Strafmaß wird der Wahrheitsbeweis in jedem Fall von Einfluß sein. § 182 StGB-Entw. i960 sieht eine besondere Strafvorschrift vor: (1) Wer ohne verständigen Grund eine ehrenrührige Behauptung tatsächlicher Art über das Privat- oder Familienleben eines anderen, die das öffentliche Interesse nicht berührt, öffentlich . . . aufstellt oder verbreitet, wird ohne Rücksicht darauf, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist, mit. . . bestraft (2). Über die Wahrheit der Behauptung darf kein Beweis erhoben werden."

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Einzelrichter — Widerklage

Kann Frau Schulz nicht die von ihr behaupteten Tatsachen, sondern bloß ihre eigene Gutgläubigkeit beweisen, so würde die verleumderische Beleidigung fallen, nicht hingegen die (mit geringerer Strafe bedrohte) üble Nachrede. Diese setzt nämlich lediglich voraus, daß die verbreiteten Tatsachen nicht erweislich wahr sind. Die Nichterweislichkeit gehört nicht zum gesetzlichen Tatbestand im Sinn des § 5 9, auf den sich der Vorsatz beziehen muß, ist vielmehr eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. BGHSt 1 1 , 274 (vgl. den ähnlichen Fall des § n j o b e n S . 801,843). Zum Vorsatz der üblen Nachrede gehört nichts als das Bewußtsein, daß die behaupteten Tatsachen geeignet sind, den anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. II. Außerdem hat die Beschuldigte den Brief in Wahrnehmung berechtigter Interessen geschrieben, so daß ihr der Schutz des § 193 StGB zur Seite steht. Wie

Metzger als Zeuge bekunden wird, ist sie mit ihm und vielen anderen Mitgliedern des Vereins .Faust' seit Jahren freundschaftlich bekannt. Sie wollte deshalb Metzger in seinem und des Vereins Interesse warnen."

§ 193 ist ein Ausdruck des allgemeinen aus der Regelung des Notstandes hergeleiteten Rechtssatzes, daß bei einer Rechtsgüter- oder -pflichtenkollision die Verwirklichung eines Straftatbestandes gerechtfertigt oder doch wenigstens entschuldigt sein kann, wenn bei einer gewissenhaften Abwägung der Güter und Pflichten der Täter die von ihm wahrgenommenen Belange als höherrangig ansah. Im Widerstreit steht hier das Interesse des Täters an der Aufdeckung der von ihm behaupteten Tatsachen gegen das des Beleidigten am Schutz seiner Ehre. Ein berechtigtes Interesse an der Aufdeckung i. S. des § 193 liegt vor, wenn sich das Interesse bei billiger verständiger Beurteilung der Sachlage als ein gerechtfertigtes darstellt. Wenn sich Rechte und Interessen nicht ohne Verletzung fremder Ehre wahren lassen, so muß der Richter dann die einander entgegenstehenden Interessen beider Teile abwägen und besonders sorgfältig prüfen, ob die Verletzung der Ehre des Angegriffenen auch wirklich ein durch die Umstände gebotenes und angemessenes Mittel der Interessenwahrnehmung war. Geht aber aus Form oder Umständen der Interessenwahrnehmung das „Vorhandensein" (d. h. wiederum die Absicht) der Beleidigung hervor, so schließt die Wahrung berechtigter Interessen die Strafbarkeit der Beleidigung nicht aus: der Täter hat dann eben nicht „in", sondern nur „bei Gelegenheit" der Wahrung berechtigter Interessen beleidigt. Vgl. dazu RGSt 59,414; 60, 335; R G J W 1936,1909. Bei einer V e r l e u m d u n g , die Frau Schulz begangen haben soll, gibt es grundsätzlich keine Berufung auf § 193 (BGH N J W 52, 194, 825), ausnahmsweise aber z. B. dann, wenn ein Angeklagter durch Leugnen von Tatsachen, ohne gegen § 164 StGB zu verstoßen, andere verleumdet (RGSt 63, 94; H R R 1940 Nr. 1180). Die Beschuldigte will aber mit ihrem Brief nicht eigene Interessen, sondern solche des Metzger und des Vereins „Faust" wahrgenommen haben. Nach dem, unserem § 193 entsprechenden, § 824 B G B ist es gleichgültig, ob derjenige, der eine unwahre Tatsache behauptet, damit seine eigenen Interessen oder diejenigen des Empfängers der Mitteilung verfolgt. Die Rechtsprechung zu § 193 StGB steht auf einem anderen Standpunkt. Sie hält den Eingriff in das Rechtsgut der Ehre des Verletzten um fremden, privaten oder öffentlichen ( = allgemeinen) Interesses willen bloß dann für erlaubt, wenn so nahe persönliche Beziehungen des Täters zu den von ihm wahrgenommenen fremden oder allgemeinen Interessen bestehen, daß es nach billiger und vernünftiger Beurteilung der Verhältnisse als gerechtfertigt erscheint, sich zu ihrem besonderen Verfechter aufzuwerfen (RGSt 63, 229). Beispiele: wenn der Täter mit dem, dessen Interessen er wahrnimmt, nah verwandt oder eng befreundet ist, wenn er kraft

Einzelrichter — Eröffnung des Hauptverfahrens

865

Berufs fremde Interessen zu vertreten hat wie der Anwalt, der in Verfolgung der Rechte seiner Partei über den Prozeßgegner objektiv beleidigende Behauptungen aufstellt, oder das Auskunftsbüro, das auf Anfrage eine ungünstige Auskunft erteilt, um dadurch den Interessen seines Auftraggebers zu dienen. Wegen der Bedeutung des § 193 für die Presse s. S. 957 und über die Frage, inwieweit jeder Staatsbürger unter dem Gesichtspunkt ihn nahe angehender öffentlicher Interessen befugt ist, Mängel bei Behörden zu kritisieren, Verfehlungen von Beamten oder im öffentlichen Leben stehender Personen bekannt zu geben war, vgl. Dalcke-F.-Schäfer [57] 3 g zu § 193. „III. Sollte gleichwohl eine strafbare Handlung der Beschuldigten angenommen werden, so ist doch jedenfalls ihre Schuld gering und die Folgen der Tat unbedeutend. Gemäß § 383 1 1 wird deshalb das Verfahren einzustellen sein."

Die Vorschrift beruht auf dem gleichen Gedanken wie der für öffentliche Klagen geltende § 1 5 3 StPO (S. 766 zu 2). Der Einstellungsbeschluß bedarf hier weder der Zustimmung der Staatsanwaltschaft noch derjenigen des Privatklägers, dafür wird dem Privatkläger sofortige Beschwerde gegeben. Der Privatklagerichter hat in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob eine Einstellung des Verfahrens geboten erscheint. Sogar in zweiter Instanz kann aus diesem Grunde noch eingestellt werden (§ 39o v ). „IV. Am 10. Oktober 1959 hat die Privatklägerin bei einem Geburtstagskaffee die Beschuldigte als ,neidische alte Ziege' bezeichnet. Das ist der Beschuldigten im Dezember 1959 von der nachbenannten Zeugin erzählt worden. Beweis: Ehefrau Elfriede Zenker in Wiesbaden, Kirchgasse 8. Namens der Beschuldigten erhebe ich Widerklage wegen Beleidigung aus § 18j StGB. Ich beantrage: die Eröffnung des Hauptverfahrens. Für die Beschuldigte: Weiß, Rechtsanwalt."

Widerklagen in Privatklagesachen sind bis zum Beginn der Schlußvorträge des ersten Rechtszuges zulässig. Sie erfordern weder einen besonderen Sühneversuch noch Vorschußzahlung (§ 1 1 3 1 S. 3 G K G ) , sondern bloß Gegenseitigkeit und,,Zusammenhang" des Widerklagedelikts — das ein Privatklagedelikt beliebiger Art sein kann — mit dem den Gegenstand der Klage bildenden Vergehen. § 388 1 StPO. Der Zusammenhang ist hier unbedenklich, da Frau Schulz ihren Brief an Metzger im frischen Ärger über die ihr soeben erst bekannt gewordene abfällige Äußerung der Privatklägerin geschrieben haben dürfte. Für einen Minderjährigen übt die Befugnis zur Erhebung der Privatklage sein gesetzlicher Vertreter aus (§ 374 1 1 1 ); der Minderjährige ist dann selbst Partei und kann demgemäß nicht Zeuge sein. Gegen Jugendliche ist eine Privatklage nicht zulässig; hier verfolgt die Staatsanwaltschaft unter den Voraussetzungen des § 8oi J G G die Verfehlung auch dann, wenn ein öffendiches Interesse an der Verfolgung nicht besteht. Dagegen ist gegen einen jugendlichen Privatkläger auch Widerklage möglich (§ 80 11 ). Gegen Heranwachsende ist stets Privatklage zulässig; zuständig ist der Jugendrichter (§§ 1 0 8 " , 109 JGG).

§ 198 StGB verlängert für wechselseitige Beleidigungen die Antragsfrist. Der Teil, gegen den zuerst Strafantrag gestellt war, muß den Antrag auf Bestrafung des Gegners vor Schluß der Verhandlung erster Instanz stellen, ist hierzu aber auch dann berechtigt, wenn „zu jenem Zeitpunkt die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen war". Legt man die Vorschrift nach ihrem Wortlauf aus, so dürfte Frau Schulz, einzig und allein durch die Verjährungsfrist eingeschränkt, jede Beleidigung ;;

Lux, Schulung 5. Aufl. (Schwer)

866

Einzelrichter — Ausbleiben in der Hauptverhandlung

zur Widerklage stellen, die Frau Müller jemals gegen sie begangen hat. Das ist jedoch nicht der Sinn des Paragraphen. Frau Schulzens Strafantragsrecht muß vielmehr noch bestanden haben, als sie die den Gegenstand der Klage bildende Beleidigung beging. Wenn die Zeitangaben des Schriftsatzes zutreffen, so würde das Erfordernis hier gewahrt sein. Die ihr im Dezember 1959 zu Ohren gekommene beleidigende Äußerung der Privatklägerin zu verfolgen, hat Frau Schulz vielleicht gerade deshalb unterlassen, weil sie erwartete, die Privatklägerin würde wegen des Briefes vom 4. Januar i960 das gleiche tun. Nachdem sich ihre Annahme als unrichtig erwiesen hat, ist ihr, an sich im Februar erloschenes, Antragsrecht wieder aufgelebt. Es lebte aber nicht auf bezüglich solcher Beleidigungen, die sie am 4. Januar nicht mehr zur Strafverfolgung bringen konnte. RGSt 44, 161. Übrigens wäre Frau Schulz nicht genötigt, den Antrag in der Form der Widerklage zu stellen, denn § 198 StGB setzt nicht voraus, daß über die wechselseitigen Beleidigungen gleichzeitig entschieden werden kann (OLG Düsseldorf NJW 1954, 123). E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s , V o r b e r e i t u n g der H a u p t v e r h a n d lung. „5 Bs 109.60. Beschluß. A u f die Privatklage der wird gegen die das Hauptverfahren vor dem Amtsrichter hier eröffnet. Sie erscheint hinreichend verdächtig, am 4. Januar i960 zu Wiesbaden durch den Brief B l a t t . . . . der Akten die Privatklägerin beleidigt und durch dieselbe Handlung wider besseres Wissen in Beziehung auf die Privatklägerin unwahre Tatsachen behauptet und verbreitet zu haben, die diese verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind, Vergehen gegen §§ 185, 187, 73, 194, 61 StGB. Auf die Widerklage wird in gleicher Weise das Hauptverfahren gegen die Privatklägerin eröffnet. Sie ist hinreichend verdächtig, die Angeklagte am 10. Oktober 1959 bei einem Geburtstagskaffee als „neidische alte Ziege" bezeichnet zu haben. Vergehen gegen § 185, 194, 198 StGB. Das persönliche Erscheinen der Privatklägerin und der Angeklagten wird angeordnet. Wiesbaden, den 24. Oktober i960. Amtsgericht.

Richter."

§§ 383, 203, 207, 387 111 StPO. Das Privatklageverfahren kennt ein Ermittlungsverfahren im eigentlichen Sinn nicht. Es ist zwar dem Gericht nicht verwehrt, vor der Eröffnung des Hauptverfahrens einzelne Beweise zu erheben, namentlich wenn aus tatsächlichen Gründen Bedenken gegen die Eröffnung bestehen (Nr. 154 RiStV 1953). Im allgemeinen fehlt es aber an vorausgegangenen Ermittlungen, die ein Urteil über das voraussichtliche Gelingen des Schuldbeweises gestatten würden; daher legt man der Entscheidung über die Eröffnung die ungeprüften Behauptungen des Privatkläges zugrunde und spricht, nicht ganz zutreffend, von „hinreichendem Verdacht" auch dann, wenn der Privatkläger für seine vom Angeklagten bestrittenen Behauptungen erst Beweis angetreten hat. Nicht selten wird übrigens die Eröffnung wegen Geringfügigkeit (S. 865), auf Grund des § 193 StGB, wegen Ablaufs der Antragsfrist oder aus sonstigen Rechtsgründen abgelehnt. Dann steht dem Privatkläger nach §§ 390, 210 11 StPO die sofortige Beschwerde zu. — Auch auf die Widerklage ist ein Eröffnungsbeschluß nötig, wenn dies auch im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen ist (LG Duisburg MDR 195 3, 633; Str.). In der Praxis wird vielfach ein kurzer „Zulassungsbeschluß" gefaßt, den das Gericht, wenn die Widerklage erst in der Hauptverhandlung erhoben war, im Termin verkündet.

Einzelrichter — Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

867

Der Beschluß wird den Parteien zugestellt. Der Richter bestimmt den Hauptverhandlungstermin und läßt Parteien und Zeugen laden. Die beiden Ehemänner — denen nach § 1491 das Recht zusteht, in der Hauptverhandlung als Beistand zugelassen zu werden — brauchen nicht geladen zu werden. Doch sollen ihnen nach § 1491 S. 2 Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, sobald sie ihren Wunsch auf Zulassung mitgeteilt haben. V e r s ä u m n i s der P r i v a t k l ä g e r i n . W i e d e r e i n s e t z u n g „öffentliche Sitzung des Amtsgerichts. Gegenwärtig:

Wiesbaden, den i j . November i960.

In der Privatklagesache Müller gegen Scbulz erschienen bei Aufruf der Sache: 1. für die Privatklägerin R A . Schwang 2. die Angeklagte und R A . Weiß als Verteidiger, 3. nachbenannte Zeugen: Die Privatklägerin war nicht erschienen. Es wurde festgestellt, daß ihr die Ladung zum heutigen Termin sowie der das persönliche Erscheinen anordnende Beschluß vom 24. am 27. Oktober i960 zugestellt worden sind."

RA. Schwarz erklärt, daß die Privatklägerin noch am letzten Nachmittag zur Besprechung der Sache bei ihm gewesen sei, daß sie nicht im Entferntesten daran gedacht habe, das Verfahren aufzugeben und daß sie durch etwas Unvorhergesehenes am pünktlichen Erscheinen verhindert sein müsse. Dagegen triumphiert die Angeklagte: Frau Müller sei nicht gekommen, weil sie den Wahrheitsbeweis und die Widerklage fürchte. Dem Strafprozeß, der auf der Offizialmaxime beruht, ist die Einrichtung des Versäumnisurteils fremd. Erscheint der Angeklagte nicht, so wird er zwangsweise zur Verhandlung gestellt (§ 23011); in gewissen leichteren Fällen darf ausnahmsweise in seiner Abwesenheit, aber unter voller Erhebung aller Beweise, verhandelt werden (§ 232). Auch das nach § 282a förmlich als „Abwesenheitsurteil" zu kennzeichnende Urteil im Verfahren gegen Abwesende (§§ 276fr.) ergeht, wie sich aus § 282 ergibt, nur, wenn die erhobenen Beweise ein Urteil über die Schuld trotz der Abwesenheit des Angeklagten ermöglichen und rechtfertigen; gegen ein solches Urteil kann der später ergriffene oder sich freiwillig stellende Verurteilte unter erleichterten Voraussetzungen die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen (§ 282 c). Versäumnisfolgen gegen den ohne genügende Entschuldigung nicht erschienenen Angeklagten läßt die StPO nur eintreten, wenn bereits eine seine Schuld bejahende Entscheidung vorliegt, nämlich: a) wenn er die erste Berufungsverhandlung versäumt (§ 329, dazu RGSt 61, 278), b) nach vorangegangenem amtsrichterlichen Strafbefehl oder Strafverfügung (§§ 41*1, 4 I 3 IV » oben S. 846), c) nach vorangegangenem Finanzamts-Strafbescheid (§ 465 11 AbgO). Anwesenheit eines bevollmächtigten Verteidigers genügt zu b und c ohne weiteres, zu a nur in den Fällen, in denen Vertretung durch einen Verteidiger überhaupt zulässig ist. In erheblich weiterem Umfange gibt es Versäumnisfolgen gegen den Privatkläger: a) Einstellung des Verfahrens, wenn der Privatkläger eine ihm unter entsprechender Androhung vom Gericht gesetzte Frist (z. B. zum Nachweis der Rechtzeitigkeit des Strafantrags, oben S. 863, zur Beibringung des Schiedsmannsattestes usw.) verstreichen läßt ( § 3 9 1 " StPO). JS*

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Einzelrichter — Einstellung des Verfahrens

b) Einstellung des Verfahrens, wenn der Privatkläger in der erstinstanzlichen oder — nach Berufung seitens des Angeklagten — in der Berufungs-Hauptverhandlung entweder gänzlich unvertreten oder, wie Frau Müller, trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nur durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist; Androhung dieses Rechtsnachteils in der Ladung ist im Gesetz nicht vorgeschrieben, aber in der Praxis üblich (§ 3 9 1 n ) . Hat der Privatkläger Berufung eingelegt, ist sie unter den vorbezeichneten Voraussetzungen zu verwerfen (§ 3 9 1 1 1 1 ) . c) Nichteinhaltung der Vorschußfrist, oben S. 861. Das Allerverdrießlichste für Frau Müller ist, daß sie durch ihr Ausbleiben zwar die eigene Privatklage, nicht hingegen Frau Schulzens Widerklage zu Falle bringt. Infolge des Ausbleibens der Privatklägerin „gilt" nämlich die Privatklage als „zurückgenommen", was im Erlaß eines Einstellungsbeschlusses seinen prozessualen Ausdruckfindet (Löwe-Rosenberg-Sarstedt [20], 7, i o d z u § 391). Nun bestimmt § 388 IV , daß die Zurücknahme der Klage auf die Widerklage, falls diese einmal wirksam erhoben war, keinen Einfluß mehr hat. Das gilt auch für die fingierte Rücknahme des § 391 XI . Die Versäumnis Wirkungen im Strafprozeß sind schärfer als die im Zivilprozeß, denn sie können nicht durch Einlegung des keiner besonderen Begründung bedürfenden Einspruchs wieder gutgemacht werden, sondern bloß unter den strengen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. §§ 235, 329 1 1 , 3 9 i I V , 4 1 2 1 1 , 4 i 3 I V StPO. Auch gegen die Versäumung der Gebührenvorschußfrist (§ 379a) gibt es Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Wenn das Gesetz so schwere Verwirkungsfolgen an das Nichterscheinen knüpft, soll das Gericht die Vorschrift nicht formalistisch anwenden. Man behandelt den ausgebliebenen Privatkläger bzw. Angeklagten nicht schon deshalb als „ausgeblieben", weil er sich bei Aufruf der Sache nicht sofort gemeldet hat. RGSt 6 1 , 1 7 7 ; BayObLG N J W 59, 2224. Das Gericht wartet also einige Zeit, läßt Frau Müller auf den Korridoren, in denen sie sich verirrt haben könnte, im Anwaltszimmer usw. suchen und stellt schließlich die Sache kurze Zeit zurück. Aber auch nach einer halben Stunde ist die Privatklägerin nicht erschienen: „ E s wurde der Beschluß verkündet: Das Verfahren wird, soweit es sich auf die erhobene Privatklage bezieht, auf Kosten der Privatklägerin eingestellt. Zur Verhandlung über die Widerklage wird neuer Hauptverhandlungstermin auf den 8. Dezember i960 vormittags 10 Uhr bestimmt, zu welchem Frau Zenker als Zeugin geladen werden soll. Das persönliche Erscheinen der Privatklägerin und der Angeklagten wird angeordnet. Über die Vorführung der Privatklägerin zu dem neuen Termin soll nach einer Woche Entscheidung getroffen werden. Richter.

Urkund."

Der Richter will abwarten, ob und wie Frau Müller ihr Nichterscheinen aufklären wird. Schon am zweiten Tag nach dem Termin geht der Wiedereinsetzungsantrag des R A . Schwarz ein: „Die Privatklägerin hat sich am Morgen des Terminstages zu ihrer Freundin Frl. Felicitas Fechner, hier, Rheinstraße 30 begeben, um sie zur Hauptverhandlung abzuholen. Als sie gemeinsam mit Frl. Fechner deren Wohnung verlassen und nach dem Gericht gehen wollte, erlitt sie auf der Treppe plötzlich einen so heftigen Anfall von Gallensteinkolik, daß sie schleunigst bei Frl. Fechner zu Bett gebracht und ein Arzt geholt werden mußte. Infolge der Aufregung vergaß man ganz, das Gericht von dem Vorfall zu benachrichtigen.

Einzelrichter — Ausschluß der Öffentlichkeit

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Zur Glaubhaftmachung überreiche ich eidesstattliche Versicherung des Frl. Fecbner und Attest des Facharztes für innere Krankheiten Dr. Unblutig. Da die Privatklägerin hiernach durch einen unabwendbaren Zufall am Erscheinen verhindert worden ist, beantrage ich gemäß §§ 39i I V , 44 StPO: der Privatklägerin gegen die Folgen ihres Nichterscheinens im Hauptverhandlungstermin am 15. November ds. Js. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, den erlassenen Einstellungsbeschluß aufzuheben, den auf den 8. Dezember i960 angesetzten Hauptverhandlungstermin auch zur Verhandlung und Entscheidung über die Privatklage zu bestimmen und die für diese erheblichen Zeugen zu laden." Vgl. § § 4 5 , 46. Über das Wiedereinsetzungsgesuch entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitig erfolgter Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre (§ 46 1 ). In den Fällen der Terminsversäumnis ist das immer der Richter, gegen dessen auf dem Ausbleiben der Partei beruhende Entscheidung die Wiedereinsetzung sich richtet (auch wenn diese Entscheidung, wie z. B. in § 4 1 2 1 , ein Urteil war). Nach Anhörung der Angeklagten wird die Wiedereinsetzung bewilligt. Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 46 1 1 ). Was hätte Frau Müller wegen der ihr angetanen Beleidigung noch unternehmen können, wenn kein Wiedereinsetzungsgrund gegeben gewesen wäre ? 1. Erfolgt Einstellung wegen Nichteinhaltung einer dem Privatkläger aus § 391 1 1 gesetzten Frist (S. 867 zu a) und will er geltend machen, daß die Fristsetzung nicht gerechtfertigt gewesen sei, so ist eine Beschwerde (§ 3041) am Platze; denn das höhere Gericht hat die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Fristsetzung nachzuprüfen. Bei Einstellung wegen Terminsversäumnis hilft die Beschwerde nichts, weil die Nachprüfung der Beschwerdeinstanz sich auf die formalen Voraussetzungen des § 391 1 1 beschränken würde, die in unserem Falle gar nicht zu bestreiten sind (Entsprechendes gilt für die Berufung gegen ein aus § 412I, die Revision gegen ein aus § 3291 erlassenes Urteil). 2. Die Privatklage, ihre Erhebung und Zurücknahme sind als prozessuale Akte von der Stellung und Zurücknahme des eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Strafbarkeit bildenden Strafantrags zu unterscheiden. Es gibt ja Privatklagedelikte, die keinen Strafantrag voraussetzen (z. B. § 3744 StPO, vgl. § 241 StGB) und Antragsdelikte, die mit öffentlicher Klage verfolgt werden müssen (z. B. §§ 182, 236, 237 StGB). Im allgemeinen wird freilich in der Klagerücknahme, besonders wenn sie auf Grund eines Vergleichs erfolgt, die Antragsrücknahme liegen (Parallele bei Erhebung der Privatklage; oben S. 839). Es gibt aber auch eine Rücknahme der Privatklage, die nicht zugleich Antragsrücknahme ist, z. B. wenn sie lediglich zwecks Kostenersparnis erfolgt, und gegenüber der bloß fiktiven Klagerücknahme des § 391 1 1 StPO wäre es im höchsten Maße unbillig, sie als Antragsrücknahme aufzufassen. Ergebnis: der von Frau Müller gestellte Strafantrag hat seine Kraft behalten, und falls es ihr gelingt, die Staatsanwaltschaft nachträglich vom Vorhandensein eines öffentlichen Interesses zu überzeugen, würde der ergangene Einstellungsbeschluß kein Hindernis für eine neu zu erhebende öffentliche Klage bilden. 3. Äußersten Falls muß es Frau Müller im Zivilprozeß mit einer „vorbeugenden Unterlassungsklage" versuchen. Diesen Rechtsbehelf hat die Praxis einerseits aus §§ 823f., 249 BGB, andrerseits aus der Analogie der negatorischen Unterlassungsklage (§§ 12, 1004 usw.) entwickelt. Er setzt voraus: 1. Verletzung eines der in §§ 823f. geschützten Rechtsgüter, zu denen die Ehre gehört, 2. die Gefahr künftiger weiterer Verletzungen (Wiederholungsgefahr). Früher verlangte die Rechtsprechung, wenn die unerlaubte Handlung zugleich strafbar war, ein besonderes „Rechtsschutzinteresse", das verneint wurde, sobald und so lange dem Verletzten strafrechtliche Mittel, insbesondere die Privatklage, zu Gebote stehen. Diese Einschränkung ist später nicht mehr aufrecht erhalten worden (vgl. R G Z 1 1 6 , 1 5 1 ; 138, 219; 156, 377); sie würde in unserem Fall auch bedeutungslos sein, nachdem Frau Müller ihr Privatklagerecht verloren hat. Selbstverständlich kann der Unterlassungsanspruch der vorbeugenden Unterlassungsklage durch einstweilige Verfügung gesichert werden. S t r e i t i g e H a u p t v e r h a n d l u n g . A u s s c h l u ß der Ö f f e n t l i c h k e i t . V e r g l e i c h . Im Termin am 8. Dezember sind nicht bloß sämtliche Zeugen (deren Ladung der Richter bei Bewilligung der Wiedereinsetzung angeordnet hat), sondern auch die

870

Einzelrichtet — Vergleich im Privatklageverfahren

beiden Parteien erschienen. Ein Vergleichsversuch des Gerichts, den es an sich in geeigneten Fällen möglichst frühzeitig (vor Eröffnung des Hauptverfahrens oder doch vor Eintritt in die Hauptverhandlung) machen soll, Nr. 15 5 RiStV 195 3, scheitert, weil Frau Müller eine schriftliche Ehrenerklärung verlangt, welche Frau Schulz nicht abgeben will. Es muß daher in die Verhandlung eingretreten werden. „Die Angeklagte gab zur Person an: Die Privatklägerin und Widerbeklagte gab zur Person an: Der Beschluß vom 24. Oktober i960 über die Eröffnung des Hauptverfahrens wird verlesen. RA. Weiß beantragte: die Öffentlichkeit wegen Gefahrdung der Sittlichkeit auszuschließen und über diesen Antrag in nicht-öffentlicher Sitzung zu verhandeln. Hierauf wurde in nicht-öffentlicher Sitzung über die Frage der Ausschließung der Öffentlichkeit verhandelt und nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit der Beschluß verkündet: Die Öffentlichkeit wird für die Verhandlung ausgeschlossen, weil sie eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt. Nach Verkündung dieses Beschlusses wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen und in nichtöffentlicher Sitzung weiter verhandelt."

Vgl. §§ 172, 174 1 GVG. Bei den im Gesetz für den Ausschluß der Öffentlichkeit zugelassenen 3 allgemeinen Gründen — Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, der Sittlichkeit und wichtiger Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse — sowie in den 3 Spezialfällen der Ehe- und Entmündigungssachen und der Unterbringung des Beschuldigten in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§§ 170 bis 172 a GVG) ist das Verfahren das gleiche. Bei Gefährdung der Staatssicherheit oder eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses kann aber das Gericht weiterhin den anwesenden Personen ein Schweigegebot auferlegen, dessen Übertretung mit Strafe belegt wird (§ 174 1 1 GVG, Art. II Ges vom 5. April 1888 RGBl 133), während Mitteilungen aus Gerichtsverhandlungen, in denen die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Sittlichkeit ausgeschlossen war, nur dann strafbar sind, wenn sie öffentlich und in einer Ärgernis erregenden Weise gemacht werden; ein besonderes Schweigegebot ist für diese Fälle nicht vorgesehen (§ 184b StGB). Ausschluß der Öffentlichkeit in Jugendsachen: S. 920. „Die Angeklagte, befragt, ob sie etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle, erklärte:...."

Auf die sachlichen Erklärungen der Angeklagten und (wegen der Widerklage) der Privatklägerin folgt die Beweisaufnahme. Es ergibt sich, daß Frau Müller am 19. oder 20. Januar i960, Frau Schulz im Dezember 1959 von der begangenen Beleidigung Kenntnis erhalten hat. Die Zeugen der Angeklagten bekunden, daß die Privatklägerin als junges M idchen viel getanzt habe, daß eine frühere Verlobung mit einem Studienreferendar von diesem aufgelöst worden sei und daß man davon gesprochen habe, sie sei abends in den Anlagen in Umarmung mit einem jungen Manne gesehen worden. „Die Angeklagte wurde gemäß § 265 StPO daraufhingewiesen, daß die Verurteilung auch aus § 186 StGB erfolgen könne."

Im Eröffnungsbeschluß waren §186 und sein gesetzlicher Tatbestand nicht aufgeführt, weil die Bestimmung erst dann in Betracht kommt, wenn das Gericht nicht aus dem in erster Linie geltend gemachten § 187 verurteilt. „Die Parteien und ihre Anwälte erhalten zu ihren Ausfuhrungen das Wort. RA. Schwarz beantragte: gegen die Angeklagte auf Gefängnis zu erkennen und Freisprechung auf die Widerklage. RA. Weiß beantragte: Freisprechung auf die Privatklage, Verurteilung auf die Widerklage.'

Einzelrichter — Vergleich in Privatklagesachen

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Der Richter empfiehlt den Parteien nochmals dringend einen Vergleich. Frau Schulz ist jetzt zur Abgabe der Ehrenerklärung bereit unter der Bedingung, daß Frau Müller sich ebenfalls entschuldige. Nachdem hierüber sowie über die Formulierung der Erklärungen durch Vermittlung des Richters eine Verständigung erzielt ist, kommt es zu einem neuen Streit wegen der Kostenfrage. Schließlich sieht Frau Schulz ein, daß die von ihr begangene Beleidigung schwerer wiegt: „Hierauf schlössen die Parteien folgenden Vergleich: Die Angeklagte nimmt die in ihrem Brief vom 4. Januar i960 gemachten beleidigenden Ausdrücke und die darin aufgestellten tatsächlichen Behauptungen mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Sie verpflichtet sich, den Brief gegenüber dem Gesamtvorstand des Theaterund Literaturvereins .Faust' innerhalb von 10 Tagen schriftlich zu -widerrufen und in dem Widerruf der Privatklägerin eine Ehrenerklärung auszustellen. Die Privatklägerin nimmt die den Gegenstand der Widerklage bildende Äußerung mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Privatklage und Widerklage und die von beiden Parteien gestellten Strafanträge werden zurückgenommen. Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Angeklagte. Hierauf wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt und in öffentlicher Sitzung der Beschluß verkündet: Das Verfahren wird, nachdem Privatklage und Widerklage und die Strafanträge Zurückgenommen sind, eingestellt. Die Kosten des Verfahrens sowie die der Privatklägerin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Angeklagte zu tragen.

Richter.

Urkunä."

Der Vergleich in Strafsachen ist in der StPO nicht geregelt. Daraus ergeben sich eine Reihe von Zweifeln (vgl. dazu F. Härtung DRiZ 195 3, 225). Fest steht, daß Privatklagen in jeder Lage des Verfahrens zurückgenommen werden können (§ 391 1 StPO). Die Zurücknahme ist also noch in der Revisionsinstanz zulässig (vgl. aber § 391 1 S. 2) und es macht keinen Unterschied, ob die Vorinstanz verurteilt oder freigesprochen hat. Man „konstruiert" deshalb Privatklage-Vergleiche vielfach durch Zurücknahme der Privatklage und -Widerklage. Ein Zivilprozeß würde mit der Aufnahme des Vergleichs zu gerichtlichem Protokoll beendet sein. Für das Privatklageverfahren ist streitig, ob auf Grund des Vergleichs noch ein besonderer Einstellungsbeschluß (vgl. § 391 1 1 ) erlassen werden muß; die h. M. bejaht es (Löwe-Rosenberg [20] 7 zu § 391; 6 zu § 471). Nun bietet das Gesetz aber bei einer Beschränkung auf die Zurücknahme der Privatklage keine Handhabe, um die Kostenregelung des Vergleichs in den Einstellungsbeschluß aufzunehmen. Denn § 471 1 1 sieht grundsätzlich eine automatische Kostenregelung vor und die Voraussetzungen des § 4 7 1 1 1 1 für eine Kostenverteilung nach freiem Ermessen sind nicht gegeben, auch nicht Nr. 3, wo an den Fall der Entscheidung über die Widerklage gedacht ist. Eine von der Regelung des § 471 1 1 abweichende vergleichsweise Vereinbarung bindet zwar die Parteien im Innenverhältnis, begründet auch nach § 99* G K G die Kostenschuldnerschaft gegenüber der Staatskasse, würde aber den Inhalt der vorgeschriebenen Kostenentscheidung nicht beeinflussen können. Hier bringt indessen § 470 Satz 2 Abhilfe, wonach bei Verfahrenseinstellung wegen Zurücknahme eines Strafantrags zwar grundsätzlich der Antragsteller die Verfahrenskosten trägt, diese aber dem zur Übernahme bereiten Angeklagten, evtl. sogar der Staatskasse auferlegt werden können. Bei Zurücknahme der Privatklage wird deshalb hier die (zulässige, vgl. § 194 StGB) Zurücknahme der gestellten Strafanträge ausgesprochen. Da sich Frau Schulz zur Übernahme der Kosten, die in dem Verfahren auf Privatklage entstanden sind, bereit

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Einzellichter — Vergleich in Privatklagesachen

erklärt hat, und sie die durch das Verfahren auf den eignen Antrag (die Widerklage) entstandenen Kosten gemäß § 470 S. 1 selbst trägt, so bestehen keine Bedenken, ihr in dem Einstellungsbeschluß die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen. Z u beachten ist aber, daß die Rücknahme des Antrags, abweichend von der Rücknahme der Privatklage, nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils statthaft ist (§ 64 1 ), also durch eine erstinstanzliche Verurteilung endgültig ausgeschlossen wird; in solchen Fällen erscheint § 470 S. 2 e n t s p r e c h e n d anwendbar. Die Verkündung des Einstellungsbeschlusses in öffendicher Sitzung ist im Gesetz nicht vorgeschrieben, aber zweckmäßig. Damit keine falschen Gerüchte entstehen, hat der Richter nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit auch den Wortlaut des Vergleichs bekannt gegeben. Die Damen im Zuhörerraum, die in der Hoffnung, bei Verkündung der Urteilsgründe ( § 2 Ö 8 I S . 2) pikante Einzelheiten zu erfahren, während der langen nicht-öffentlichen Sitzung geduldig vor dem Sitzungssaal gewartet haben, kommen nicht auf ihre Rechnung. Für die Verkündung von Urteilen ist die Wiederherstellung der Öffentlichkeit zwingend vorgeschrieben (§ 173 1 GVG), doch kann gemäß § 1 7 3 1 1 die Bekanntgabe der Gründe in geheimer Sitzung geschehen. Das Protokoll lautet dann beispielsweise: „Nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit wurde das Urteil durch Verlesung der Urteilsformel dahin verkündet: Ferner wurde der Beschluß verkündet: Für die Verkündung der Urteilsgründe wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil sie eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt. Die Öffentlichkeit wurde daraufhin wieder ausgeschlossen und sodann in nicht-öffentlicher Sitzung der wesendiche Inhalt der Urteilsgründe verkündet. (folgt die Rechtsmittelbelehrung und die Unterschriften)." A u ß e r g e r i c h t l i c h e r V e r g l e i c h in P r i v a t k l a g e s a c h e n : Es besteht Streit, ob ein Vet gleich, wonach Privatklagen (oder Widerklagen) zurückgenommen oder überhaupt nicht erhoben werden sollen, unmittelbar auf das Strafverfahren einwirkt und ob er auch dann zu berücksichtigen ist, wenn die Privatklage, der Abrede zuwider, dennoch erhoben bzw. aufrecht erhalten wird. Da die Privatklage in den Fällen des § 580 einen erfolglos vorgenommenen schiedsmännischen Sühneversuch voraussetzt, wird man annehmen müssen, daß der vor dem Schiedsmann geschlossene bedingungslose Vergleich das Privatklagerecht des Verletzten sofort tilgt. Dasselbe dürfte vom gerichtlichen Vergleich gelten. Für den (nicht vor dem Schiedsmann abgeschlossenen) außergerichtlichen Vergleich ging früher die herrschende Meinung dahin, daß das Rücknahmeversprechen des Privatklageberechtigten für das Strafrecht bis zur tatsächlichen Zurücknahme bedeutungslos sei, daß aber die Abmachung die Parteien obligatorisch binde, so daß der Angeklagte aus dem Vergleich auf Zurücknahme der Privatklage klagen kann. Angesichts der Langwierigkeit eines solchen Verfahrens wird heute überwiegend angenommen, daß der Strafrichter selbst den außergerichtlichen Vergleich beachten muß, wenn er ihm vorgetragen und bewiesen wird (vgl. Löwe-Rosenberg-Sarstedt [20] 9 zu § 391). Für den entsprechenden Fall, daß Rücknahme einer Zivilklage außergerichtlich vereinbart worden ist, ist streitig, ob es einer besonderen Klage auf Zurücknahme bedarf oder ob nicht der Fortsetzung des Prozesses ohne weiteres die Einrede der prozessualen Arglist entgegensteht (vgl. Baumbach-Lauterbach [25) 2 B zu § 271 ZPO), die zur Abweisung der vertragswidrig aufrecht erhaltenen Klage fuhrt. Zu der streitigen Frage, welche Bedeutung es für den Privatklagerichter hat, wenn in einem außergerichtlichen Vergleich vereinbart wurde, daß der Verletzte auf die Erhebung der Privatklage verzichte, vgl. K G NJW i960, 2207 und Härtung NJW 1961, 523. D u r c h f ü h r u n g des V e r g l e i c h s : Wird das Privatklageverf. durch Urteil oder Einstellungsbeschluß abgeschlossen, so findet ein dem Zivilprozeß entsprechendesKostenfestsetzungs verfahren beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle statt (§ 464 11 StPO). Auch hinsichdich der Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten sind die Vorschriften der ZPO vorbildlich (§§ 471V S. 2 StPO, 9 1 " ZPO). Vorbedingung dafür ist, daß das Urteil zu Lebzeiten der Parteien volle Rechtskraft erlangt; denn vorher bildet es keinen zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel im Sinne von § 103 1 ZPO (§ 465 1 1 StPO).

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Einzelrichtet — Bußgeldbescheid

Auch der gerichtliche Vergleich, in dem die Parteien den Kostenpunkt geregelt haben, bildet gemäß § 794 Abs. i Nr. i ZPO unabhängig von der Kostenentscheidung in einem Einstellungsbeschluß einen vollstreckbaren Titel, auf Grund dessen Kostenfestsetzung stattfinden könnte; vgl. Löwe-Rosenberg-Schäfer [20] 6 zu § 471; Härtung DRiZ 195 3, 225). Hätten die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen und zahlte Frau Schulz die Kosten nicht gutwillig, so müßte selbstverständlich Frau Müller aus dem Vergleich Klage im Zivilprozeß erheben. Häufig kommt es vor, daß sich in einem gerichtlichen Privatklagevergleich der Angeklagte außer zur Kostentragung zur Zahlung einer Buße zu gemeinnützigen Zwecken verpflichtet, die Verpflichtungen aber später nicht erfüllt. Ob es möglich ist, einen Zwang zur Erfüllung in der Weise auszuüben, daß die Zurücknahme der Privatklage unter der aufschiebenden oder gar auflösenden Bedingving (Widerruf) der Erfüllung des Vergleichs ausgesprochen wird, erscheint zweifelhaft, denn Prozeßhandlungen sind grundsätzlich bedingungsfeindlich. Nur die Kostentragungspflicht betreffende Bedingungen sind, wie sich aus § 4702 ergibt, als zulässig anzusehen (BGHSt. 9, 154). Will man also allen Weiterungen vorbeugen, so ist folgendes Verfahren anzuraten (s. auch Nr. 157 RiStV 1953): der Vergleich wird mit Verpflichtung zur Kostentragung und Bußzahlung und zur Zurücknahme der Privatklage, aber ohne die Rücknahmeerklärung selbst, protokolliert, und die Sache auf kurze Zeit vertagt. Sind bis zum neuen Termin Kosten und Buße gezahlt, so erfolgt nunmehr die formelle Rücknahme der Privatklage und die Sache ist erledigt. Andernfalls wird verhandelt. Wenn Frau Schulz die versprochene Ehrenerklärung nicht abgibt, muß Frau Müller auf ihre Abgabe im Zivilprozeß klagen. Die Zulässigkeit einer solchen Klage steht fest (RG 87, 80). Vollstreckung des Urteils nach § 888 ZPO., da der Widerruf keine Willenserklärung darstellt. Eine solche Klage gehört vor das Landgericht, weil es sich um eine nicht-vermögensrechtliche Streitigkeit handelt (§§ 23 1 , 711 GVG). V e r g l e i c h bei ö f f e n t l i c h e r K l a g e : Ist wegen eines Antragdelikts, bei dem der Antrag zurückgenommen werden kann (z. B. §§ 1 2 3 1 1 1 , 194, 232 1 1 StGB), öffentliche Klage erhoben, so wird die vergleichsweise Beilegung der Sache in der Weise durchgeführt, daß die Beteiligten sich über die Bedingungen, unter denen der Verletzte seinen Antrag zurücknehmen will, verständigen und hierauf die Rücknahme erklärt wird. Es gilt dann § 470. Bei Offizialdelikten oder wenn die Antragsrücknahme nach § 64 StGB ausgeschlossen ist, hilft § 153 StPO (S. 766 zu 2). Der Umstand, daß Angeklagter und Verletzter sich über die Schadloshaltung verständigen, kann vom Gericht dahin gewürdigt werden, daß „die Folgen der Tat unbedeutend" sind. Dagegen ist es nicht zulässig, die Einstellung davon abhängig zu machen, daß der Beschuldigte sich zur Tragung der durch das Verfahren der Staatskasse erwachsenen Auslagen bereit erklärt (vgl. Nr. 7 5 1 1 1 RiStV 1953).

Gerichtliche Nachprüfung eines Bußgeldbescheids Der Landrat Gesch.-Nr

Fulda, den 1. März i960.

Bußgeldbescheid. Ich setze hiermit eine Geldbuße von 150 (i. W.) DM gegen Sie fest, weil Sie am 24. Februar i960 gegen § 38 Nr. 9 des Hessischen Ausführungsgesetzes vom 24. März 1953 (GVB1 27) zum Bundesjagdgesetz vom 29. November 1952 (BGBl I 780) verstoßen haben. Sie haben an dem genannten Tag Ihre beiden Schäferhunde in dem gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Gemeinde Sontra unbeaufsichtigt umherlaufen lassen, indem Sie nicht verhinderten, daß die frei in dem Hof Ihres Anwesens in Sontra umherlaufenden Hunde durch eine Lücke in der Umzäunung des Hofes das Freie gewannen, wo sie dem Wilde nachstellten und ein Reh rissen. Die Zuwiderhandlung wird bewiesen durch das Zeugnis des Jagdpächters Emil Müller in Sontra, Geinhäuserstraße 9, und durch Ihre eigene Einlassung. Gegen diesen Bußgeldbescheid können Sie binnen zwei Wochen nach seiner Zustellung schriftlich oder mündlich zur Niederschrift bei dem hiesigen Landratsamt Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen. Zur Wahrung der Frist genügt es auch, wenn Sie den Antrag rechtzeitig bei dem Amtsgericht in Fulda einreichen. Sie können innerhalb dieser Frist zugleich beantragen, daß das Amtsgericht auf Grund einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Ich weise Sie darauf hin, daß, auch wenn Sie keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, die Staatsanwaltschaft nach den § § 5 8 ff. des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 28. März 1952 (BGBl I 177), § 38 1 1 Hess.AusfGes. binnen zwei Wochen nach Zustellung des

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Einzelrichter — Bußgeldverfahren Bußgeldbescheids eine gerichtliche Überprüfung beantragen kann, ob die dem Bußgeldbescheid zugrunde liegende Handlung als Straftat gerichtlich zu verfolgen ist. Ich ersuche Sie, sobald dieser Bußgeldbescheid vollstreckbar geworden ist, die Geldbuße von 150 D M nebst den nachstehend berechneten Kosten des Verfahrens, die Sie zu tragen haben, an die Amtskasse des Landratsamts unter Vorlage dieses Bußgeldbescheides oder unter Angabe des oben angeführten Aktenzeichens einzuzahlen. Falls dies nicht binnen einer Woche nach Eintritt der Vollstreckbarkeit geschieht, müßte der Betrag zwangsweise beigetrieben werden. Dr. Muller. An Herrn Viehkaufmann Peter Esser in Sontra, Kostenberechnung: Bahnhofstraße 8. 1. Gebühr 7,50 D M 2. Zustellungskosten . 0,75 D M § 71 des Ges. über Ordnungswidrigkeiten vom 2 5. März 19 5 2, § j 8 " Hess.Ausf.Ges.

V g l . § § 4 4 " , 48, J2, 53ff., 57, 70, 71 O W i G . Der Bußgeldbescheid ist dem Betroffenen Esser am 3. März i960 durch die Post zugestellt worden. Gleichzeitig ist der Staatsanwaltschaft in Fulda eine Ausfertigung des Bußgeldbescheids unter Beifügung der Akten übersandt worden ( § 5 3 OWiG). Diese Akten bestehen aus einer schriftlichen Anzeige des Jagdpächters Müller vom 25. Februar i960, die am 26. Februar in Abschrift dem Betroffenen mit dem Anheimgeben einer Äußerung mitgeteilt wurde, und aus einer schriftlichen Erklärung des Betroffenen vom 28. Februar, er sei sich keiner Schuld bewußt, die Hunde müßten durch eine Lücke im Zaun, die er erst jetzt entdeckt habe, entwichen sein. Die Staatsanwaltschaft hat die Vorgänge am 6. März dem Landratsamt mit der Erklärung zurückgesandt, daß sie nach Prüfung des Sachverhalts keinen Anlaß zu Maßnahmen gefunden habe (vgl. § 62 OWiG). A m 7. März i960 geht beim Landratsamt folgender Brief Essers ein: „Gegen den Bußgeldbescheid vom 1. 3. i960 beantrage ich gerichtliche Entscheidung. Wie ich Ihnen neulich schon schrieb, trifft mich keine Schuld, daß die Hunde durch das Loch im Zaun entwichen sind. Ich habe das Loch erst entdeckt, als ich nach Erhalt Ihres Schreibens vom 26. Februar Nachforschungen anstellte, wie es überhaupt möglich war, daß die Hunde trotz des 2 m hohen Zauns entweichen konnten. Ich muß noch erwähnen, daß ich den Zaun, weil er an einigen Stellen schadhaft war, erst am 20. Februar i960 durch den Tischlermeister Meyer von hier habe ausbessern lassen; ich habe ihm ausdrücklich gesagt, er solle den Zaun gründlich in Ordnung bringen, auf ein paar Mark mehr käme es mir nicht an. Damit habe ich alles, was an mit liegt, getan; man kann doch nicht verlangen, daß ich die Arbeit eines Fachmannes noch nachprüfe. Dazu läßt mir mein Beruf auch wirklich keine Zeit, ich bin vom frühen Morgen bis zum späten Abend unterwegs. Ich bin, trotzdem ich 60 Jahre alt bin, noch nie bestraft worden; das wäre meine erste Strafe. So kann man gegen einen unbescholtenen Staatsbürger und Steuerzahler nicht vorgehen. Schließlich wäre es mit einer Verwarnung genug gewesen, wenn mir wirklich ein kleiner Vorwurf gemacht werden könnte." Der Landrat hat mit Verfügung vom 10. März i960 die Vorgänge dem Amtsgericht Fulda übersandt: „U. mit Akten dem Amtsgericht, hier zur Entscheidung vorgelegt. Zu den Ausführungen des Betroffenen in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nehme ich wie folgt Stellung: Die Angaben, daß er den Zaun erst kürzlich habe reparieren lassen, mögen zutreffen, auch ist bekannt, daß Esser durch sein gutgehendes Geschäft zeitlich sehr in Anspruch genommen ist. Er kann aber die ihm als Hundehalter obliegende Verantwortung nicht einfach auf den Tischlermeister abwälzen, sondern hätte sich dessen Arbeit ansehen müssen. Wenn er dazu keine Zeit hatte, so hätte er seine Frau oder seine bei ihm im Haus wohnende erwachsene Tochter damit beauftragen können.

Einzelrichter — Kriminalunrecht und Ordnungsunrecht

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Soweit der Betroffene meine Ermessensausübung bemängelt, erübrigt sich eine Stellungnahme, da sie nicht Gegenstand der dortigen Nachprüfung ist. Ich bemerke daher nur kurz, daß mir in letzter Zeit zahlreiche Klagen über Rehwildverluste durch wildernde Hunde zugegangen sind und ich deshalb zu energischem Durchgreifen gezwungen bin."

Vgl. § 54 1 1 1 OWiG („mit ihrer Stellungnahme"). Der Referendar: Ich werde heute zum ersten Mal praktisch mit dem OWiG befaßt und habe es mir genauer angesehen, ich habe auch die Äußerungen in der Literatur1) über seine allgemeine Bedeutung durchgelesen. Danach ist die Sache so: Das OWiG bezweckt, das echte Kriminalunrecht von dem bloßen Ordnungsunrecht abzuscheiden; es will — namentlich wegen der großen und ständig wachsenden Zahl von sog. strafrechtlichen Nebengesetzen — verhindern, daß jeder geringfügige Gesetzesverstoß vor den Strafrichter oder wenigstens den Staatsanwalt gebracht werden muß. Es soll dabei einmal vermieden werden, daß die Strafjustiz durch die Überschwemmung mit Bagatellsachen von ihrer Aufgabe, schwererwiegende Gesetzeszuwiderhandlungen, also „echtes Kriminalunrecht" rasch und nachdrücklich zu verfolgen, abgezogen wird, aber auch, daß der Respekt vor der echten Kriminalstrafe sinkt und der Gedanke, daß eine Straftat etwas ethisch Verwerfliches ist, schwindet, weil zahllose Gesetzesverstöße, die als ethisch indifferent empfunden werden, mit Strafe bedroht sind. Der „Verwaltungsungehorsam" soll nur noch mit einer scharfen Pflichtenmahnung beantwortet werden und die Sanktion sich nicht gradmäßig, sondern wesensmäßig von der Strafe abheben. Dieser Gedanke ist an sich nicht neu; es gab schon vorher eine Reihe von Gesetzen, die für bestimmte Verstöße nur Ordnungsstrafen androhen, die — unter Ausschluß des Strafrichters — von Verwaltungsbehörden festgesetzt werden. Auf breiterer Grundlage hat das preuß. Polizeiverwaltungsgesetz vom i.Juni 1931 (GS S.77) den Gedanken verwirklicht, in dem es in § 3} Zuwiderhandlungen gegen Polizeiverordnungen, die nach früherem Recht Übertretungen i. S. des § 1 StGB waren, mit Zwangsgeld bedrohte, dessen Festsetzung den Polizeibehörden oblag. Als Rechtsbehelf gegen eine solche Zwangsgeldfestsetzung sah dasprPVG die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde und gegen deren Entscheidung die Anrufung der Verwaltungsgerichte vor (§57). Das OWiG unterscheidet sich von diesen Lösungsversuchen dadurch, daß nicht Verstöße gegen einzelne bestimmt bezeichnete Gesetze oder bestimmte Gruppen von Gesetzesverstißen (wie die Zuwiderhandlungen gegen Polizeiverordnungen) aus dem Bereich des Kriminalunrechts herausgenommen werden, sondern daß ganz allgemein die geringfügige, die ethisch indifferente Gesetzesverletzung nicht mehr Kriminalunrecht sein soll. Nun gibt es aber kein exaktes Kriterium dafür, wann ein Gesetzesverstoß nur die äußere Ordnung des Gemeinwesens in wenig fühlbarer Weise berührt und wann er wichtige Belange der Allgemeinheit ernsthaft verletzt oder gefährdet, so daß das Gebiet des sittlich Verwerfbaren erreicht wird und der Spruch des Strafrichters ein ethisches Unwerturteil darstellt. Denn im Einzelfall gehen oft die Auffassungen über Wert und Bedeutung des vom Gesetz geschützten „Rechtsguts" auseinander. Das OWiG hat deshalb ein formales Unterscheidungsmerkmal gewählt: bloßes Ordnungsunrecht ist das, was der Gesetzgeber dafür erklärt, indem er als Reaktion auf den Gesetzesungehorsam nicht Kriminalstrafe, sondern „Geldbuße" androht; wo dagegen Strafe angedroht ist, ist die Zuwiderhandlung eine „Straftat" (§ 1 OWiG). Das OWiG enthält also gewissermaßen eine Anweisung an den Gesetzgeber, bei jedem neuen Gesetz zu prüfen, ob, wenn es überhaupt der Androhung einer Sanktion für die Verletzung der darin ausgesprochenen Gebote und Verbote bedarf, die Androhung von Geldbuße genügt l

) Vgl. z . B . Rotberg, K o m m . z . O W i G 2 . Aufl. (1958); Dalcke[-Schäfer] [371453 ff.; Kohlhaas i n E r b s , Strafrechtl. Nebengesetze O 187 [1957].

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Einzelrichter — Grundgedanken des Bußgeldverfahrens

oder die von Strafe erforderlich ist. Die Aufgabe, die Masse der z. Z. bestehenden, nur Strafe androhenden Gesetze darauf hin zu prüfen, wo die Umwandlung der Strafe in eine Geldbuße geboten ist, ist der Zukunft vorbehalten. Die Geldbuße soll auch „ahnden" (§ 2), d. h. sie hat den Charakter einer Sühne für begangenen Ungehorsam; in erster Linie soll sie aber ein fühlbarer Ruf zur Ordnung, ein Appell zu künftigem gesetzmäßigem Verhalten sein. Sie ist deshalb auch gegenüber Jugendlichen, falls sie einsichtsfähig sind, uneingeschränkt zulässig (§ 13). Die Entscheidung über die Festsetzung einer Geldbuße ist in die Hand der Verwaltungsbehörde gelegt, die dabei — anders als früher die Polizeibehörde im polizeilichen Strafverfügungsverfahren und als jetzt noch die Postbehörde, das Finanzamt im Strafbescheidsverfahren (vgl. S- 853) —• nicht Kraft delegierter Justizhoheit, sondern Kraft ursprünglicher Verwaltungshoheit tätig wird. Für sie gilt nicht das grundsätzlich für die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte maßgebende Legalitätsprinzip, sondern das Opportunitätsprinzip (§ 7), das auch sonst die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden beherrscht, wenn auch das Ermessen in § 7 11 » 1 1 1 durch gewisse, aber sehr allgemein gehaltene Richtlinien begrenzt ist. Die Festsetzung der Geldbuße erfolgt also in einem reinen Verwaltungsverfahren (Bußgeldverfahren) und durch einen reinen Verwaltungsakt (Bußgeldbescheid). Als „beschwerenderVerwaltungsakt" müßte derBußgeldbescheid nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar i960 (BGBl I S. 17) an sich der Anfechtungsklage des Betroffenen unterliegen, über die die Verwaltungsgerichte zu entscheiden hätten. Diesen Weg ist aber das OWiG nicht gegangen, sondern hat die Rechtsbehelfskontrolle den ordentlichen Strafgerichten übertragen: gegen den Bußgeldbescheid kann der Betroffene Antrag auf gerichtliche Entscheidung (durch den Amtsrichter als Einzelrichter) stellen (§§54, 55) und gegen die Entscheidung des Amtsrichters kann sowohl der Betroffene als auch die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hatte, Rechtsbeschwerde (auf die Rüge von Gesetzesverletzung beschränkte Beschwerde) an das Oberlandesgericht einlegen (§ 56). Materiell ist hiermit den Strafgerichten die Ausübung von Verwaltungsrechtspflege übertragen worden; sie handeln nicht etwa in Ausübung originärer Strafjustizhoheit. Diese Aufgabenverlagerung ist erfolgt, um die besondere Sachkenntnis und Erfahrung der Strafgerichte bei der Feststellung des äußeren und inneren Tatbestandes eines Gesetzesvers^oßes und bei der Bemessung einer gerechten Unrechtsfolge nutzbar zu machen. Aus diesem Grunde ist auch — allerdings in sehr beschränktem Umfang — die Staatsanwaltschaft am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Sie hat zwar kein Rechtsbeschwerderecht. Im Verfahren vor dem Amtsrichter ist sie überhaupt nicht beteiligt (§ 5 5 I V S. 2); im Rechtsbeschwerdeverfahren wird sie aber „angehört" (§ 5ÖIV S. 1), d. h. sie hat Gelegenheit, sich zu der Rechtsbeschwerde zu äußern, weil die hier auftauchenden Rechtsfragen des materiellen und prozessualen Rechts vielfach auch für die Auslegung des allgemeinen Straf- und Prozeßrechts von Bedeutung sind. Grundsätzlich ist jedoch die Vertreterin des öffentlichen Interesses im Nachprüfungsverfahren vor dem Amtsrichter wie im Rechtsbeschwerdeverfahren die Verwaltungsbehörde { § § 5 5 I V S . i , 5 6 1 1 1 S . i , I V S.i). Daraus folgt, daß sie Rechtsbeschwerde auch zugunsten des Betroffenen einlegen und daß auf ihre zuungunsten des Betroffenen erhobene Rechtsbeschwerde das Oberlandesgericht auch zu dessen Gunsten abändern kann (BayObLG M D R 1954, 376). Daß auch im Stadium der gerichtlichen Nachprüfung des Bußgeldbescheids das Verfahren ein Verwaltungsverfahren bleibt, zeigt sich insbesondere in folgendem: geht das summarische S t r a f bescheidsverfahren bei der Verwaltungsbehörde durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung in das gewöhnliche gerichtliche Strafverfahren über, so ersetzt der Strafbescheid zwar die Anklage und den Eröffnungsbeschluß, verliert aber völlig seine Bedeutung als vorangegangene Entscheidung; das Urteil lautet nunmehr auf

Einzelrichter — Grundgedanken des Bußgeldverfahrens

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Freispruch, Verurteilung usw. so, als sei das gerichtliche Verfahren durch die Erhebung einer Anklage in Gang gebracht. Ganz anders im gerichtlichen Stadium des Bußgeldverfahrens: ergibt nach Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Nachprüfung, daß der Bußgeldbescheid der Sach- und Rechtslage entspricht, so lautet die Entscheidung (die auch nach mündlicher Verhandlung — § 5 5 1 1 1 — in Form des Beschlusses ergeht) auf „Aufrechterhaltung des Bußgeldbescheids" (§ 5 5 v S. 1). Der Bußgeldbescheid kann auch geändert, z. B. die festgesetzte Geldbuße herabgesetzt werden. Erweist sich aber der Bußgeldbescheid als unbegründet, weil der innere oder äußere Tatbestand eines Geldbuße androhenden Gesetzes nicht verwirklicht ist, weil die Tat nicht rechtswidrig oder wegen unverschuldeten Verbotsirrtums (vgl. S. 888) nicht zurechenbar ist, so wird der Betroffene nicht „freigesprochen", sondern lediglich der Bußgeldbescheid „als unbegründet aufgehoben" (§ 5 5 v S. 3). In gleicher Weise lautet die Entscheidung des Amtsrichters, wenn der Bußgeldbescheid auf Verfahrensverstößen beruht oder wenn Verfahrenshindernisse (Verjährung, Amnestie usw.) einer Sachentscheidung entgegen standen, nicht auf Aufhebung und Zurückverweisung, sondern auf Aufhebung des Bußgeldbescheids als unzulässig, wobei streitig ist, ob bei unbehebbaren Verfahrenshindernissen nicht auch statt Aufhebung des Bußgeldbescheids die Einstellung des Verfahrens ausgesprochen werden kann (vgl. Dalcke-F.-Schäfer [37] 17 zu § 55). Der rechtspolitische und konstruktive Grundgedanke des OWiG ist mir danach klar. Aber eines habe ich noch nicht recht begriffen. Auf der einen Seite hat der Gesetzgeber das Recht der Polizei, Strafverfügungen wegen Übertretungen zu erlassen, beseitigt, weil die Ausübung von Strafgewalt dem Richter vorbehalten sei und die Strafbescheidsbefugnis der Verwaltungsbehörde wollen manche als grundgesetzwidrig oder doch als durch den Beitritt der Bundesrepublik zur Menschenrechtskonvention beseitigt ansehen (vgl. S. 8 5 4). Auf der anderen Seite dagegen ist die Befugnis der Verwaltungsbehörden, wenn auch unter einer anderen Bezeichnung, enorm erweitert worden. Das Höchstmaß der Geldstrafe bei Übertretungen ist stets 150 DM, das der Geldbuße dagegen grundsätzlich 1000 DM, es kann aber im Einzelfall überschritten werden (§§ 5, 6) und es gibt einzelne Gesetze, die Geldbußen von mehr als 10000 DM, ja über 100000 D M hinaus androhen. Ist das nicht ein innerer Widerspruch ? Dem Betroffenen wird es recht gleichgültig sein, ob eine Übertretungsstrafe von 20 D M eine Kriminalstrafe, eine Geldbuße von 500 D M dagegen „nur" eine nicht kriminelle Ahndung ist; ihm kommt es doch wohl entscheidend darauf an, daß er wegen eines Gesetzesverstoß zahlen muß und vor allem, wie hoch der zu zahlende Betrag ist. Er wird auch eine Übertretungsgeldstrafe nicht als „Vorstrafe" empfinden, denn sie wird ja weder im Strafregister noch im polizeilichen Führungszeugnis vermerkt (vgl. S. 804) und er kann sich deshalb genau so als unbestraft bezeichnen, wie wenn er „nur" mit einer Geldbuße belegt ist. Auch scheint es mir vom Standpunkt des Betroffenen aus praktisch wenig wichtig zu sein, daß die Strafjustizbehörden unter dem Legalitätsprinzip, die bußgeldbefugten Verwaltungsbehörden unter dem Opportunitätsprinzip handeln, denn das Legalitätsprinzip ist ja gerade bei Übertretungen weitgehend aufgehoben (§ 15 3 1 StPO, vgl. S. 766) und das Opportunitätsprinzip in § 7 1 1 durch die Rücksichtnahme auf das öffentliche Interesse beschränkt. Auf der anderen Seite scheint mir das Bußgeldsystem Bedenken zu erwecken: die Verwaltungsbehörde betreibt die Ermüdungen (§§ 35 fr.) und hat zugleich das Recht zur Entscheidung (§§ 46, 48), ist also Ankläger und Richter in einer Person. Der Leiter der Behörde oder sein allgemeiner Vertreter, die zur Unterzeichnung des Bußgeldbescheids befugt sind, brauchen nicht die Befähigung zum Richteramt zu haben (§ 48 1 ); nur ein sonstiger Verwaltungsangehöriger muß, wenn ihm der Erlaß von Bußgeldbescheiden übertragen ist, diese Befähigung oder die zum höheren Verwaltungsdienst

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Einzelrichter — Grundgedanken des Bußgeldverfahrens

besitzen, während die Strafverfügung über die kleinste Übertretungsstrafe vom Richter erlassen werden muß (§ 413 1 StPO). Auch möchte ich meinen, daß die Verwaltungsbehörde, die ja so eine Art „Hausgerichtsbarkeit" erhält, dazu neigen kann, die Belange ihres Aufgabenbereichs zu überschätzen und so auf eine überhöhte Geldbuße zu erkennen oder eine Geldbuße festzusetzen, wo ein Ahndungsbedürfnis nicht gegeben ist, während der Strafrichter durch seine Befassung mit Gesetzesverstößen aus allen Lebensgebieten eher ein ausgleichendes Urteil über die Bedeutung einer Tatbestandsverwirklichung für die Gesamtheit der öffentlichen Belange haben wird. Andrerseits kann bei der Verwaltungsbehörde eher die Gefahr bestehen, daß von persönlichen Rücksichtnahmen beeinflußte Erwägungen für ihre Entscheidung maßgebend sind als bei dem unabhängigen Richter. Der Richter: Sie haben ganz recht mit Ihrer Auffassung, daß das Nebeneinanderbestehen von Übertretungen und Ordnungswidrigkeiten mit dem Grundgedanken einer Trennung des Kriminalunrechts vom Ordnungsunrecht nicht vereinbar ist. Aber das ist eine Übergangserscheinung. Denn nach dem heutigen Stand der Vorarbeiten für eine allgemeine Strafrechtsreform kann damit gerechnet werden, daß es künftig Übertretungen i. S. des § 1 1 1 1 StGB nicht mehr geben wird und daß allgemein Verstöße gegen bloße Ordnungsvorschriften Ordnungswidrigkeiten sein werden, während nur Gesetzesverstöße von erheblicherer Bedeutung dem eigentlichen Kriminalunrecht zugeordnet werden (vgl. die Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission S. 112, 341 der „Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission" Bd. I, Bonn 1956, ferner § 12 StGB-Entw. i960 und S. 94 der amtl. Begr.). Die Vergehensgeldstrafe und die Geldbuße aber unterscheiden sich sehr wesentlich dadurch, daß nur die erstere im Fall der Uneinbringlichkeit in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden kann, während bei Uneinbringlichkeit einer Geldbuße nach § 69 OWiG allenfalls die Anordnung von Erzwingungshaft in Betracht kommt, wenn begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß der Betroffene sich der Zahlung der Geldbuße zu entziehen sucht1). Ferner wird nur die Vergehensgeldstrafe, nicht auch die Geldbuße, im Strafregister vermerkt und macht den Verurteilten zum Vorbestraften. Was aber Ihre allgemeinen Bedenken gegen das Bußgeldverfahren betrifft, so muß doch folgendes berücksichtigt werden, wenn man zu einer gerechten Beurteilung kommen will: Die Zahl der Strafvorschriften außerhalb des Strafgesetzbuchs war jahrzehntelang verhältnismäßig klein. Einem Gesetz ohne Strafdrohungen Gehorsam zu verschaffen, war den Verwaltungsbehörden überlassen, die im Einzelfall befugt waren, ihre Anordnungen mit den Mitteln des Verwaltungszwangs (Erzwingungsstrafen, unmittelbare Ausführung, Ersatzvornahme) durchzusetzen. Erst die letzten Jahrzehnte, in denen die Gesetzgebung in steigendem Maße dazu überging, ein Lebensgebiet nach dem anderen ordnend zu erfassen, haben zu der gewaltigen Zahl von „Nebengesetzen" geführt, wobei sich die meisten Gesetze nicht mehr damit begnügten, die Erzwingung der Befolgung dem behördlichen Verwaltungszwang im Einzelfall zu überlassen, sondern generell Verstöße mit Strafe bedrohten. Dadurch erst entstand das Bedürfnis, die Folge einer massenhaften Verwirkung von Strafen wieder abzuschwächen, indem das Legalitätsprinzip durchbrochen (siehe vor allem § 15 3 1 StPO), die gebührenpflichtige Verwarnung eingeführt (s. S. 855) oder indem die Verfolgung von einem Strafantrag oder einem „Verlangen" der sachlich beteiligten Behörde abhängig gemacht wurde. Auch die Wandlung der Rechtsprechung in der Frage des Verbotsirrtums (S. 887) ist zu einem Ob dieser Grundsatz künftig bestehen bleiben wird, wenn die Masse der häufigen Übertretungen, insbesondere die Verkehrsübertretungen in das Ordnungsrecht einbezogen werden, ist eine andere Frage.

Einzelrichter — Jagdrechtliche Ordnungswidrigkeiten

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guten Teil auf das ständige Anwachsen der Zahl der Strafdrohungen zurückzuführen. Die Schaffung des Bußgeldverfahrens bedeutet demgegenüber die Einschlagung eines neuen Wegs zur Durchsetzung von Gesetzesbefehlen: es bleibt zwar dabei, daß generell der Ungehorsam mit einer Unrechtsfolge — eben der Geldbuße — bedroht wird, aber die Unrechtsfolge soll, entsprechend dem Einsatz des Verwaltungszwangs mit Beuge- oder Erzwingungsstrafen, nur da verwirklicht werden, wo es der Verwaltungsbehörde nach pflichtmäßigem Ermessen im Einzelfall zur Erreichung der mit dem Gesetz verfolgten Zwecke erforderlich erscheint. Anders ausgedrückt: es werden gewissermaßen die Mittel des Verwaltungszwangs um die Geldbuße vermehrt. Dieser Gedankengang führt zwangsläufig zur Aufgabe des Legalitätsprinzips und die Bedenken, die dagegen erhoben werden könnten und die Sie vorhin andeuteten, laufen im Grunde darauf hinaus, das Opportunitätsprinzip aus dem Bereich der Verwaltungstätigkeit zu verbannen. Das hat wohl noch niemand befürwortet und wäre auch schlechterdings undurchführbar. Das OWiG ist ein gesetzgeberischer Versuch, ein Problem mit neuen Mitteln zu lösen. Darüber, ob der Versuch in vollem Umfang geglückt ist, wird man vielleicht noch nicht abschließend urteilen können. Immerhin erscheint mir beachtlich, daß, soweit ich unterrichtet bin, wesentliche Klagen über Mängel des Bußgeldverfahrens nicht der Öffentlichkeit unterbreitet wurden. Die Klagen aus den Kreisen derer, die an der Durchführung eines Gesetzes interessiert sind, gehen mitunter in Einzelfällen dahin, daß die Verwaltungsbehörde von der Verhängung einer Geldbuße abgesehen habe, obwohl ein Einschreiten geboten gewesen sei. In solchen Fällen gibt es allerdings kein Erzwingungsverfahren nach Art der §§172 StPO — das übrigens bei Übertretungennach § 1 7 2 1 1 S. 3 ausgeschlossen ist — und es bleibt nur der Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde bei der vorgesetzten Behörde (BayObLG N J W 1954, 354)- — Wir können uns jetzt wohl unserem Fall zuwenden. Der Referendar: Verfahrensmäßig ist der Bußgeldbescheid in Ordnung. Das OWiG findet keine unmittelbare Anwendung, denn es gilt nur, wenn b u n des gesetzlich ein Gesetzesverstoß mit Geldbuße bedroht ist (§ 3). Das Bundesjagdgesetz vom 29. November 195 2 1 ) ist ein sog. Rahmengesetz, da nach Art. 75 Nr. 3 G G der Bund auf dem Gebiet des Jagdwesens nur Rahmenvorschriften erlassen darf und deren Ausfüllung im einzelnen der Landesjagdgesetzgebung überlassen muß. Deshalb sind in § 39 B J G nur einige wenige Gesetzesverstöße von Bundeswegen mit Geldbuße bedroht. Den Ländern steht aber, soweit sie Gesetzgebungsbefugnis haben, das Recht zu, Verstöße gegen die von ihnen erlassenen Vorschriften mit Strafe oder mit Geldbuße zu bedrohen (§42 B J G ) . Sie könnten, soweit sie letzteres tun, das Bußgeldverfahren frei ohne Rücksicht auf die Vorschriften des OWiG regeln. Wo aber die Länder bisher Ordnungswidrigkeitstatbestände geschaffen haben, haben sie meist die materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften des OWiG für anwendbar erklärt. Insbesondere ist dies bei den Ordnungswidrigkeitsbeständen geschehen, die die Landesjagdgesetze rahmenausfüllend aufgestellt haben (vgl. Mitzschke-Schäfer, B J G [2] II zu § 42). Gegenstand landesjagdrechtlicher Regelung ist auch das unbeaufsichtigte Umherlaufenlassen von Hunden und Katzen in einem Jagdrevier. Das hier anwendbare Hess. AusfGes. vom 24. März 1953 bestimmt in § 38: (1) „Eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 1 des Bundesgesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 195 2 . . . begeht, w e r . . . 9. Hunde und Katzen unbeaufsichtigt in einem Jagdbezirk laufen läßt. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des zweiten Buches des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten." Damit ist also in vollem Umfang auf den Tatbestand des § 3 8 1 9 kraft landesrechtlicher Inbezugnahme das OWiG anwendbar. Jetzt i. d. F. v. 30. 3. 1961 (BGBl I S. 304).

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Einzelrichter — Umfang der Nachprüfung des Bußgeldbescheids

Zuständige Verwaltungsbehörde ist nach § 73 OWiG in Verb, mit § 25 der 1. D V O z. Hess. AusfGes. die untere Jagdbehörde und das ist nach § 3 2 1 1 1 HessAusfGes in Landkreisen der Landrat als Behörde der Landesverwaltung (nicht: der kommunalen Kreisverwaltung). Das Amtsgericht Fulda ist zuständig für die Nachprüfung, weil der Landrat, der den Bußgeldbescheid erlassen hat, im Amtsgerichtsbezirk seinen Sitz hat (§ 35 1 S. 3). Der Betroffene Esser ist im Bußgeldverfahren gehört worden (§ 44 1 1 OWiG); der Bußgeldbescheid entspricht auch den Anforderungen der §§ 48 1 , 5 2 OWiG. Er enthält insbesondere auch den in § 5 2 S. 3 vorgeschriebenen Hinweis auf die Möglichkeit der gerichtlichen Zuständigkeitsüberprüfung nach §§ 58—64 OWiG. Der Richter: Hat dieser Hinweis hier irgendeine praktische Bedeutung ? Der Referendar: Nein. Nach § 5 3 1 1 1 wird von jedem Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft unter Beifügung der Akten eine Ausfertigung übersandt. Die Staatsanwaltschaft hat dann zu prüfen, ob der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegende Sachverhalt eine (Kriminal-)Straftat darstellt, die von den ordentlichen Strafjustizbehörden zu verfolgen und abzuurteilen ist. Das kann einmal der Fall sein bei den sog. M i s c h t a t b e s t ä n d e n (§ i m OWiG), bei denen die Handlung nach ihren äußeren abstrakten Tatbestandsmerkmalen sowohl Straftat wie Ordnungswidrigkeit sein kann und die Zuordnung zu der einen oder anderen Gruppe von der Erfüllung bestimmter gesetzlicher Abgrenzungsmerkmale abhängt (Beispiel: ein Gesetz bedroht einen Gesetzesverstoß mit Geldbuße, wenn er aber aus Gewinnsucht begangen wird oder einen schweren Schaden herbeigeführt hat, mit Kriminalstrafe). Ferner kommt der Fall in Betracht, daß dieselbe Handlung sowohl eine Ordnungswidrigkeit wie eine Straftat darstellt, also Tateinheit besteht; dann ist nur das Strafgesetz anzuwenden (§ 4 1 OWiG; Beispiel: der Hund, den sein Herr unbeaufsichtigt im Jagdbezirk umherlaufen läßt, beißt einen Menschen, so daß fahrlässige Körperverletzung — § 230 StGB — in Betracht kommt). Ist nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die dem Bußgeldbescheid zugrunde liegende Handlung eine Straftat, so kann sie beim Landgericht eine gerichtliche Überprüfung des Bußgeldbescheides beantragen; sieht dieses eine Straftat als gegeben an, so hat die Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben, und wenn daraufhin eine Verurteilung erfolgt, so wird der Bußgeldbescheid im Urteil aufgehoben (§§ 58, 59, 61 1 ). Hier kommt etwas derartiges nicht in Betracht. Da aber die Verwaltungsbehörde nicht übersehen kann, zu welchem Ergebnis die Staatsanwaltschaft bei Prüfung des Bußgeldbescheides kommt, so hat sie nach § 5 3 8 . 3 den Betroffenen in jedem Fall auf die Überprüfungsmöglichkeit hinzuweisen, um ihn vor dem Irrtum zu bewahren, als werde der Bußgeldbescheid schon dadurch endgültig, daß er keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellt. Der Richter: Warum wird der Betroffene zur Zahlung der Geldbuße und Verfahrenskosten nach Eintritt der „Vollstreckbarkeit" des Bußgeldbescheids aufgefordert P Strafurteile werden grundsätzlich erst mit Eintritt der Rechtskraft vollstreckbar (§ 449 StPO; s. S. 802). Gilt bei Bußgeldbescheiden etwas anderes? Der Referendar: ja. Hier zeigt sich wieder der Unterschied zwischen der Geldbuße als einem Mittel zur Durchsetzung eines Gesetzesbefehls in der Hand der Verwaltungsbehörde und der Kriminalstrafe. Im Strafverfahren haben alle Rechtsmittel die Rechtskraft hemmende Wirkung; im Bußgeldverfahren dagegen ist nur dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, nicht auch der Rechtsbeschwerde aufschiebende Wirkung beigelegt; doch kann das Oberlandesgericht im Einzelfall die Aussetzung der Vollstreckung des Bußgeldbescheides anordnen ( § 5 7 OWiG). Der Richter: Und wie denken Sie über die materiell-rechtliche Seite der Sache? Der Referendar: Der Betroffene will zunächst darauf hinaus, die Verwaltungsbehörde hätte bei richtiger Ermessensausübung eine Geldbuße nicht festsetzen dürfen.

Einzelrichter — Aufhebung des Bußgeldbescheids

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Damit kann er aber nicht gehört werden; die Ermessensfrage, ob die Festsetzung einer Geldbuße angezeigt oder geboten war, ist der gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Wohl aber hat der Richter nachzuprüfen, ob die Verwaltungsbehörde den § 7 1 1 1 verletzt hat, wonach von einer Geldbuße abzusehen ist, wenn eine Ordnungswidrigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände ohne Bedeutung ist (vgl. Dalcke-F.-Schäfer [36] 17 zu § 55 OWiG). Von einer Bedeutungslosigkeit der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit kann aber — selbst wenn er Recht haben sollte, daß seine Schuld gering ist — keine Rede sein, denn die Auswirkung des Gesetzesverstoßes, der Verlust eines Rehes, ist nicht unbedeutend (vgl. Dalcke-F.-Schäfer zu 3 § 7). Auch scheint mir, daß Fahrlässigkeit zu bejahen ist; ich meine, daß man bei dem Halter eines Schäferhundes mit Rücksicht auf die schweren Gefahren, die aus unbeaufsichtigten Umherlaufen des Hundes in einem Jagdbezirk dem Wild drohen, strenge Anforderungen an seine Sorgfaltspflicht stellen muß. Esser, der ja wußte, daß der Zaun schadhaft war, hätte nachprüfen müssen, ob er richtig wieder instand gesetzt war oder hätte damit einen zuverlässigen Hausgenossen beauftragen müssen. Der Richter: Wenn Fahrlässigkeit genügte, ließe sich darüber reden. Aber sie genügt nicht. § 38 HessAusfGes enthält keine Vorschrift über die zur Ahndung mit Geldbuße erforderliche Schuldform 1 ). Also bewendet es bei § 1 1 1 OWiG, wonach eine Ordnungswidrigkeit nur bei vorsätzlichem Handeln geahndet werden kann, sofern nicht durch das Gesetz (d. h. durch eine a u s d r ü c k l i c h e Vorschrift eines Geldbuße androhendes Gesetzes, vgl. S. 8 5 7) etwas anderes bestimmt ist. Der im Strafrecht — wenigstens für die Auslegung älterer Gesetze — geltende Grundsatz, daß bei sog. Polizeidelikten, wenn der Gesetzgeber über die Schuldform schweigt, Fahrlässigkeit genügt, falls sonst der Zweck des Gesetzes nicht erreicht würde, gilt also keinesfalls für das Ordnungsunrecht (BGHSt 11,228). Übrigens hätte der Hess. Gesetzgeber, wenn er auch die Fahrlässigkeit hätte treffen wollen, nach der neueren Gesetzestechnik für sie einen milderen Geldbußerahmen festsetzen müssen als für die vorsätzliche Begehung. Daß der Hess. Gesetzgeber nicht an die Einbeziehung der Fahrlässigkeit dachte, ergibt sich auch daraus, daß von allen Landesjagdgesetzen, die für das Umherlaufenlassen von Hunden und Katzen Geldbußen androhen, nur das von Schleswig-Holstein das fahrlässige Umherlaufenlassen im Tatbestand erwähnt (vgl. Mitzschke-Schäfer [2] 9a zu § 25 BJG). „Gesch.-Nr. 2 G s (B) 3/60. Beschluß. In dem Bußgeldverfahren gegen den Viehkaufmann Peter Esser in Sontra, Bahnhofstr. 8 wegen Verstoßes gegen § 38 Nr. 9 des Hess. Ausfuhrungsgesetzes vom 24. März 1953 (GVB1 27) zum Bundesjagdgesetz wird der Bußgeldbescheid des Landrats in Fulda vom 1. Februar i960 — Gesch.-Nr — als unbegründet aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Gründe: A m 24. Februar i960 ließ der Betroffene seine beiden Schäferhunde in dem umzäunten Hof seines Anwesens in Sontra frei herumlaufen. Durch eine Lücke in der Umzäunung, die dem Betroffenen nicht bekannt war, entwichen die Hunde in die Flur und rissen in dem gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Gemeinde Sontra ein Reh. Wegen dieses Sachverhalts, den der Betroffene nicht in Abrede stellt, hat der Landrat in Fulda durch Bußgeldbescheid vom 1. März 1956 Dagegen sieht der im Zusammenhang mit der Neufassung des B J G (vgl. Fußnote auf S. 879) aufgestellte Entwurf einer Novelle zu den Hess. Ausführungsvorschriften vor, daß künftig auch das fahrlässige unbeaufsichtigte Laufenlassen von Hunden und Katzen in einem Jagdbezirk als Ordnungswidrigkeit ahnbar ist. l 56

L u x , Schulung 5. Aufl. (Schäfer)

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Einzelrichter — Aufhebung des Bußgeldbescheids gegen den Betroffenen eine Geldbuße von IJO DM festgesetzt. Gegen diesen, ihm am 3. März i960 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit Schreiben vom 6. März, eingegangen beim Landratsamt am 7. März i960 gerichtliche Entscheidung beantragt. Der Antrag ist frist- und formgerecht gestellt; er mußte zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides fuhren. Der Landrat hat nämlich das Verschulden des Betroffenen darin erblickt, daß er von dem Loch in der Umzäunung, durch das die Hunde entwichen, zwar nichts gewußt habe, daß er aber davon hätte wissen können, wenn er sich vergewissert hätte, ob die kurz vorher an dem schadhaften Zaun vorgenommenen Ausbesserungen sachgemäß ausgeführt wurden. Damit wird dem Betroffenen ein fahrlässiger Verstoß gegen § 3 8 Nr. 9 HessAusfGes z. B J G vorgeworfen. Als Ordnungswidrigkeit nach dieser Vorschrift ist indessen nur ein vorsätzlicher Verstoß ahndbar. Denn (wird ausgeführt wie oben). Der Bußgeldbescheid war demgemäß nach § 55 v OWiG als unbegründet aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 70 1 OWiG. Fulda, den 15. März i960. Das Amtsgericht Richter Amtsgerichtsrat."

Ohne mündliche Verhandlung hätte dieser Beschluß auch ergehen können, wenn Esser gemäß § 5 5 Abs. 3 OWiG mündliche Verhandlung beantragt hätte. Denn dieser Antrag, dem grundsätzlich entsprochen werden muß, ist als dahin stillschweigend beschränkt anzusehen, daß mündliche Verhandlung nur erfolgen solle, wenn nicht das Amtsgericht bereits auf Grund der Akten den Bußgeld bescheid als unbegründet aufhebt.

20. K a p i t e l

Beim Schöffenrichter Eröffnungsverfahren. Versuchte Erpressung. Sachverhalts- und Verbotsirrtum Die Staatsanwaltschaft klagt den bisher unbestraften Kolonialwarenhändler und Bezirksvorsteher Krautwald in Hannover an, er habe „in Hannover am 28. August i960 versucht, einen anderen rechtswidrig durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung zu nötigen und dadurch dem Vermögen des Genötigten Nachteil zuzufügen, um sich zu Unrecht zu bereichern. Er hat nämlich dem Waffenhändler Schwerdtfeger gedroht, ihn in die Zeitung Zu bringen, wenn er nicht den von dem Sohn des Angeschuldigten, Elektrotechnikerlehrling Paul Krautwald, bei Schwerdtfeger gekauften Revolver gegen Herauszahlung des Kaufpreises zurücknähme, Vergehen gegen §§ 253,43, 44 StGB."

Nach § 200 1 hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat „unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes" zu bezeichnen. Die gesetzlichen Merkmale müssen nicht notwendig in vollem Umfang mit den Worten des Gesetzes wiedergegeben werden. Sie können vielmehr, wo es die Verständlichkeit der Anklageschrift erfordert und zuläßt, durch einfache gesetzliche Begriffe (z. B. Versuch) ersetzt werden (RiStV 1953 Nr. 89 1 1 2 ). Auf diese Art können Satzungetüme, wie sie sich früher vielfach in Anklageschriften fanden, vermieden werden (es ist also nicht zu formulieren: „ . . . wird angeklagt, den Entschluß, einen anderen rechtswidrig durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung zu nötigen und dadurch dem Vermögen des Genötigten Nachteil zuzufügen, um sich zu Unrecht zu bereichern, durch Handlungen betätigt zu haben, die einen Anfang der Ausführung dieses beabsichtigten, aber nicht vollendeten Vergehens enthalten, indem e r . . . " ) . Das Hauptverfahren soll vor dem Schöffengericht eröffnet werden. Voruntersuchung hat nicht stattgefunden. Das Ermitdungsergebnis lautet: „ A m 25. August i960 feierte der Sohn des Angeschuldigten, Elektrotechnikerlehrling Paul Krautwald, seinen 17. Geburtstag. Aus diesem Anlaß schenkte ihm der Gastwirt Erwin Hielscber aus Grünberg, ein Bruder der verstorbenen Ehefrau des Angeschuldigten, 50 DM mit den Worten: ,Gib sie für etwas aus, worauf Du besonders Lust hast'. Der Angeschuldigte war hierbei zugegen. Am folgenden Tag ging Paul Krautwald in den Laden des Waffenhändlers Schwerdtfeger und kaufte dort einen gebrauchten Revolver für 28,50 DM, den er mit dem von Hielscber geschenkten Geld bezahlte. Am Abend des 27. August fragte der Angeschuldigte seinen Sohn, was er mit den 50 DM gemacht habe. Als dieser bekannte, den Revolver gekauft zu haben, geriet der Angeschuldigte in große Erregung, ließ sich den Revolver geben und sagte: ,Das ist ja unerhört von Schwerdtfeger, dem Jungen das Geld für solch unnützes Zeug aus der Tasche zu ziehen. Gleich gehe ich morgen früh hin und er muß den Revolver zurücknehmen'. Am 28. August begab sich der Angeschuldigte in Begleitung seines Sohnes in den Laden Schwerdtfegers und verlangte die Zurücknahme des Revolvers und Herauszahlung der 28,50 DM mit der Begründung, daß sein Sohn noch minderjährig, außerdem der Revolver ohne Waffen56«

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Schöffengericht — Erpressung

schein abgegeben und der Kauf daher ungültig sei. Schwerdtfeger erwiderte: ,Das werden Sie doch selbst nicht glauben. Was Ihr Sohn mit seinem Taschengeld macht, geht Sie nichts an, und wenn ich jemandem einen Revolver ohne Waffenschein verkaufe, ist das gerade so, als ob Sie während der Sonntagsruhe Milch abgeben, oder beim Drogisten etwas einkaufen, was eigentlich bloß der Apotheker führen darf. Im übrigen hat Ihr Sohn bei mir schon einmal für seinen Meister einen Revolver mit Waffenerwerbsschein gekauft und da glaubte ich, der vorgestern gekaufte Revolver ginge auf den damaligen Waffenschein'. Der Angeschuldigte erwiderte darauf: ,Das ist mir ganz gleich. Entweder Sie nehmen den Revolver zurück, oder ich bringe Sie in die Zeitung, damit die ganze Stadt Ihre Geschäftsgrundsätze kennen lernt'. Schwerdt feger erwiderte: ,Tun Sie, was Sie nicht lassen können*. Der Angeschuldigte hat dann den .Hannoverschen Neuesten Nachrichten' eine Darstellung des Falles übersandt, die jedoch nicht zum Abdruck gebracht, sondern von der Schriftleitung als zur Veröffentlichung ungeeignet zurückgesandt wurde."

Als Beweismittel ist (außer den eigenen Angaben des Angeschuldigten) das Zeugnis des Schwerdtfeger, seiner Verkäuferin, des Paul Krautwald und des Hielscher angeführt. Nachdem Krautwald die Anklageschrift gemäß § 201 1 StPO zugestellt erhalten hat und die Erklärungsfrist verstrichen ist, hält der Referendar dem Richter über die Sache Vortrag und votiert dafür, das Hauptverfahren antragsgemäß zu eröffnen: „Die Erpressungshandlung besteht in der rechtswidrigen Nötigung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung, begangen durch das Mittel der Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel, in der dadurch bewirkten Zufügung eines Nachteils für das Vermögen des Genötigten oder eines anderen, begangen in der Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. 1 . Krautwald hat bei seiner verantwortlichen Vernehmung angegeben, er habe die Ablehnung seiner Forderung durch Schwerdtfeger als unabänderlich betrachtet und habe durch seine Worte dem Schwerdtfeger lediglich mitteilen wollen, was er nunmehr zu tun beabsichtige, eine Einwirkung auf den Willen Schwerdtfeger^ habe ihm ferngelegen. Wäre das richtig, so würde keine Nötigungshandlung vorliegen. Der von Schwerdtfeger und seiner Verkäuferin übereinstimmend bekundete Wortlaut der Äußerung mit dem kategorischen .entweder — oder' beweist jedoch, daß der Angeschuldigte die Verhandlung noch nicht als beendigt ansah, sondern einen letzten Versuch gemacht hat, den Widerstand Schwerdtfeger^ zu beugen. 2. Als Drohung kommt nach § 253 StGB nicht bloß die Ankündigung einer strafbaren oder rechtswidrigen Handlung, sondern das Inaussichtstellen jedes empfindlichen Übels in Betracht; auch ein an sich erlaubtes Verhalten kann zum Inhalt der Drohung gemacht werden. Die öffentliche Erörterung des Vorfalles in der Zeitung war für Schwerdtfeger in jedem Fall unangenehm, und der Angeschuldigte hat überdies Zum Ausdruck gebracht, daß die Leser von Schwerdtfeger und seiner Geschäftshandhabung einen ungünstigen Eindruck haben sollten. 3. Als eine zu Unrecht erfolgende Bereicherung ist jede Verbesserung der Vermögenslage anzusehen, wenn diese dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit als Unrecht erseneint, gleichgültig, ob und wie das im Bürgerlichen Recht zum Ausdruck kommt. Wer lediglich das erstrebt, was der andere ihm zu leisten verpflichtet ist, will sich nicht zu Unrecht bereichern. Trotz fehlenden Rechtsanspruchs kann es sein, daß der erstrebte Vorteil dem Recht nicht zuwiderläuft. Objektiv ist der vom Angeschuldigten als gesetzlichen Vertreter seines Sohnes geltend gemachte Anspruch auf Rückerstattung der 28,50 D M gegen Rückgabe der Waffe unbegründet, denn die Rechtsgültigkeit des Revolverkaufs ist nicht zu beanstanden: a) Infolge der Minderjährigkeit des Paul Krautwald war der Vertrag zunächst von der Genehmigung des Angeschuldigten abhängig, .schwebend unwirksam' (§ 108 BGB). Der Angeschuldigte hat nicht genehmigt. Da aber der Minderjährige ihn mit Mitteln erfüllte, die ihm von seinem Onkel unter Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu freier Verfügung überlassen waren, ist der Vertrag nach dem .Taschengeld'-§ xio nachträglich mit rückwirkender Kraft verbindlich geworden.

Schöffengericht — Nichtigkeit von Rechtsgeschäften wegen Verstoßes gegen Strafgesetze

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b) Beide Parteien haben bei dem Rechtsgeschäft objektiv gegen die Strafvorschriften des Waffengesetzes verstoßen; ob Schwerdtfeger sich damit entschuldigen kann, er habe geglaubt, der Waffenerwerb erfolge auf den Waffenerwerbschein des Meisters des Jungen Krautwalds,, kann m. E . dahingestellt bleiben. N a c h § 1 1 1 des Waffengesetzes v o m 18. März 1 9 3 8 ( R G B l I 265), das nach allgemeiner Auffassung jetzt wieder — und zwar als Landesrecht — gilt, nachdem die früheren besatzungsrechtlichen Vorschriften, die in der Nachkriegszeit seiner A n w e n d u n g entgegenstanden, am 5. Mai 1 9 5 5 aufgehoben wurden, dürfen Faustfeuerwaffen (Pistolen und Revolver) nur gegen Aushändigung eines behördlich ausgestellten Waffenerwerbsscheins überlassen oder erworben werden. N a c h § 13 des Ges. dürfen Jugendlichen unter 18 Jahren Schußwaffen und Munition nicht entgeltlich überlassen werden. W e r vorsätzlich oder fahrlässig entgegen den gesetzlichen Bestimmungen Waffen und Munition .erwirbt' oder .überläßt', ist gemäß § 26 zu bestrafen. § 1 1 richtet sich also gegen beide Teile, Käufer und Verkäufer, und man kann nicht — wie in manchen anderen Fällen — die Nichtigkeit aus § 1 3 4 B G B mit der Begründung ablehnen, daß nur das Verhalten der einen Partei und nicht ,das Rechtsgeschäft' (d. h. der Vertrag) als Ganzes gegen das Gesetz verstoße. N a c h § 1 3 4 tritt aber keine Nichtigkeit ein, ,wenn sich aus dem Gesetz ein anderes ergibt'. A u c h bei beiderseitiger Verletzung v o n Strafgesetzen kann sich aus dem Z w e c k des Strafgesetzes ergeben, daß der Verstoß nicht die zivilrechtliche Nichtigkeit des strafgesetzwidrig abgeschlossenen Rechtsgeschäfts zur Folge haben soll; das gilt namentlich dann, wenn die Strafvorschrift offensichdich nicht Veränderungen im Privatrechtskreis der Beteiligten treffen, sondern die öffentliche Ordnung schützen soll (Soergel [8] 6 b Zu § 134). E i n Fall dieser A r t scheint mir hier gegeben zu sein."

An diesen Ausführungen ist so viel richtig, daß die Rechtsprechung in der Tat di e Tendenz zeigt, die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht ohne weiteres daraus herzuleiten, daß bei seinem Abschluß gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen wurde. So wird in der Regel ein Rechtsgeschäft als gültig angesehen, wenn sich die verletzte Strafvorschrift nur gegen das Verhalten einer Partei richtet ( R G Z 104, 107). Dieser Gesichtspunkt rettet z. B. in den früher preuß. Gebietsteilen obligatorische Abmachungen über das Nichtbieten bei Versteigerungen, weil § 270 des preuß. StGB von 1851 bloß denjenigen mit Strafe bedroht, der durch Gewährung oder Versprechen vom Bieten abhält, nicht die Partei, die sich vom Bieten abhalten läßt (§ 270 ist in Kraft geblieben, denn er betrifft eine im allgemeinen StGB nicht geregelte Materie, vgl. § 2 1 E G zum StGB). — Daß Überschreitung der Polizeistunde keine Nichtigkeit des zwischen Gastwirt und Gast geschlossenen Vertrages herbeiführt, begründet R G 103, 263 mit der zutreffenden Erwägung: die Einrichtung der Polizeistunde wende sich nicht gegen den Abschluß privatrechtlicher Verträge, sie verfolge vielmehr den Zweck, die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, in Zeiten der Kohlenknappheit auch Licht und Heizung zu sparen. Die von Schwerdtfeger dem Angeschuldigten entgegengehaltenen Beispiele der Verletzung der Sonntagsruhe und des Apothekermonopols sind ebenfalls durchaus richtig (Soergel a. a. O.). — Bei Verstoß gegen Preisvorschriften nimmt die Rechtsprechung, soweit es sich um bewegliche Sachen handelt, seit langem an, daß zwar die Vereinbarung des unzulässigen Preises nichtig ist, das Gesamtgeschäft jedoch gültig bleibt, wobei an die Stelle des unzulässigen der zulässige Preis tritt (Palandt [20] 3 b zu § 134; dieser Rechtsgedanke hat bei Veräußerung von Grundstücken in der V O vom 7. Juli 1942 (RGBl I 451) in gewissem Umfang gesetzliche Anerkennung gefunden (über den derzeitigen Rechtszustand insoweit vgl. Palandt, Anh. zu § 313). Z. T. nimmt auch der Staat den ungesetzlichen Mehrpreis für sich in Anspruch (vgl. die Mehrerlösabführung nach § § 8ff",des Wirtschaftsstrafgesetzes vom 9. Juli 1954, B G B l I S. 175) — Die Nichtigkeit nach § 134 erfaßt auch Umgehungsgeschäfte. Hierher gehören z.B. die Fälle, in denen zur Ausübung eines Berufs oder Gewerbes eine persönliche behördliche Erlaubnis erforderlich ist und der Erlaubnisinhaber versucht, den Betrieb versteckt auf einen

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Schöffengericht — Sachverhalts- und Verbotsirrtum

anderen zu übertragen. Bei den sog. „Kastellanverträgen" oder Bierzapfverträgen z.B. — deren Zweck die Ausübung einer Schankkonzession für Rechnung eines anderen ist, der nach außen hin bloß als Vertreter und Angestellter des Konzessionsinhabers auftritt — nimmt die Praxis nicht bloß Nichtigkeit der Abmachungen zwischen dem Konzessionsinhaber und dem „Kastellan", sondern unter Umständen des über das Lokal geschlossenen Mietvertrags, ja sogar von Warenlieferungsverträgen an (Kommentare zu §§134/138). Bei Schmuggelgeschäften ist Nichtigkeit aus §134 gegeben, sobald Vorschriften des deutschen Rechts verletzt sind; kommt lediglich Hinterziehung des ausländischen Einfuhrzolls in Frage, so ist der Vertrag nicht aus §134, gegebenenfalls aber aus § 138 1 nichtig (vgl. Soergel [8] D 19 zu § 138). Überhaupt muß, wenn Nichtigkeit nach § 1 3 4 nicht gegeben ist, stets untersucht werden, ob etwa ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt und daher die Nichtigkeit aus § 138 1 eintritt. „Nach alledem hat der Angeschuldigte, wenn er Rückzahlung der 28,50 D M an seinen Sohn verlangte, diesen (,oder einen Dritten') objektiv zu Unrecht bereichem wollen. Die .Bereicherung' wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeschuldigte den Revolver zurückgeben will. Denn im allgemeinen ist die Vermögenslage bei wirtschaftlicher Betrachtung günstiger, wenn jemand bares Geld erhält, als wenn er eine Sache behält, die nicht jederzeit ohne weiteres zu einem ihrem Wert entsprechenden Kaufpreis weiterveräußert werden kann. Was den subjektiven Tatbestand betrifft, so sind nach § 59 1 StGB dem Täter solche ,Tatumstände' nicht zur Schuld zuzurechnen, deren Vorhandensein ihm bei Begehung der Tat unbekannt war. Z u den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen des § 253 gehört, daß eine Bereicherung objektiv zu Unrecht erstrebt wird. Wer also infolge Irrtum nicht erkennt, daß er den Vorteil ,zu Unrecht' erlangen will, weil er glaubt, einen Rechtsanspruch darauf zu haben, kann wegen Fehlens des erforderlichen Vorsatzes nicht aus § 253 bestraft werden ( B G H N J W 1953, 834). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Nichtkenntnis auf einem Irrtum über tatsächliche Umstände oder auf falscher Würdigung der Rechtslage beruht. Denn die Unterscheidung zwischen Tatirrtum und Rechtsirrtum, die die Rechtsprechung früher bei der Auslegung des § 59 S t G B machte, ist heute aufgegeben. Glaubte also der Angeschuldigte infolge Irrtums, daß Schwerdtfeger zur Herauszahlung der 28,50 D M gegen Rückgabe des Revolvers verpflichtet sei, so würde sein Vorsatz ausgeschlossen sein."

Der Referendar nimmt auf den Wandel der Rechtsprechung in der Irrtumsfrage Bezug. Hierzu ist folgendes zu sagen: § 59 regelt den Irrtum über „Tatumstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören". Die Merkmale, aus denen sich der gesetzliche Tatbestand zusammensetzt, können sehr verschiedener Art und demzufolge kann auch der Irrtum verschiedenartig sein. Sie können so beschrieben sein, daß in der Regel für niemanden ein Zweifel aufkommen kann, was darunter zu verstehen ist. Das ist z. B. der Fall, wenn das Gesetz das Tatbestandsmerkmal „Mensch" (oder auch „ein anderer") verwendet. Der Jäger, der auf einen Menschen schießt und ihn tötet oder verletzt, weil er glaubt, ein Stück Wild oder einen wildernden Hund vor sich zu haben, kann niemals wegen vorsätzlicher Tötung (§ 212) oder Körperverletzung (§§ 223, 223a), sondern allenfalls — wenn sein Irrtum verschuldet ist (§ 59 1 1 ) — wegen fahrlässiger Tötung (§ 222) oder fahrlässiger Körperverletzung (§ 230) bestraft werden. Andere Tatbestandsmerkmale sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre Bedeutung erst durch eine gewisse rechtliche, wenn auch im allgemeinen verhältnismäßig einfache Wertung erkennbar wird. Wenn zum Tatbestand des Diebstahls eine f r e m d e Sache gehört, so bemißt sich die Fremdheit danach, ob sie nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts im Eigentum des Täters oder im Eigentum eines anderen steht. Andere Tatbestandsmerkmale gehören zwar der Sinnenwelt an, aber ihre genaue Bedeutung ist nur dem Rechtskundigen bekannt, weil ihre begriffliche Bestimmung auf komplizierten rechtlichen Überlegungen beruht, deren der „ L a i e " gar nicht fähig ist. So fallen z. B. unter den Begriff der Urkunde i. S. des § 267 StGB das Loch in der Steckuhr, der Korken mit Korkbrand, oder der Bierfilzdeckel, den der Kellner zur Kennzeichnung des Verzehrs des Gastes mit Strichen versehen hat.

Schöffengericht — Sachverhalts- und Verbotsirrtum

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Schließlich gibt es Tatbestandsmerkmale, die ganz der Rechtswelt angehören, wie das „zu Unrecht" in § 253. Noch bunter wird das Bild durch den Hinzutritt sog. n e g a t i v e r Tatumstände, d. h. von Umständen, die den Täter zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes berechtigen, sofern der Täter über einen solchen Rechtfertigungsgrund irrt. Auch ein solcher Irrtum kann sich auf dem Gebiet des Tatsächlichen oder der rechtlichen Bewertung vollziehen: wenn A bei B nur einen harmlosen „Budenzauber" verüben will, B aber, A's Absichten verkennend, glaubt, A wolle ihn bestehlen oder überfallen und den vermeintlichen Angriff abwehrt, indem er A niederschlägt, so liegt der Irrtum des B auf tatsächlichem Gebiet (Putativnotwehr). Wenn aber A einem fremden ungezogenen Kind, das ihm durch einen Schneeballwurf die Kleidung verunreinigt hat oder das Laternenscheiben einwirft, eine Ohrfeige versetzt, weil er glaubt, die Rechtsordnung gestatte ihm, anstelle des abwesenden Erziehungsberechtigten die verdiente Züchtigung vorzunehmen, so hat er über den rechtlichen Bestand eines solchen Züchtig\ingsrechts geirrt. Endlich kann es bei der Fülle von sog. strafrechtlichen Nebengesetzen vorkommen, daß jemand das Gesetz, dessen Tatbestand er verwirklicht, überhaupt nicht kennt oder zwar weiß, daß es einmal erlassen worden ist, aber irrtümlich annimmt, es sei inzwischen wieder außer Kraft getreten. Darüber, inwieweit ein Irrtum nach den vorbezeichneten Richtungen die Strafbar keit der Tatbestandsverwirklichung berühre, hatte die Rechtsprechung des R G feste Grundsätze entwickelt. Sie unterschied zwischen Tatirrtum und Rechtsirrtum. T a t i r r t u m war der Irrtum über diejenigen Tatbestandsmerkmale, die „tatsächlicher" Natur sind einschl. des tatsächlichen Irrtums über negative Tatumstände; R e c h t s i r r t u m jeder Irrtum über Rechtssätze und -begriffe (d. h. über Bestand und Auslegung). Bei dem Rechtsirrtum war wiederum zu unterscheiden zwischen S t r a f r e c h t s i r r t u m — Irrtum über das im Strafgesetz enthaltene Verbot, irrige Annahme eines gesetzlich nicht bestehenden Rechtfertigungsgrundes, Irrtum über die r e c h t l i c h e n Grenzen eines im Strafgesetz geregelten Rechtfertigungsgrundes — und dem a u ß e r s t r a f r e c h t l i c h e n Irrtum, d. h. dem Irrtum über solche Tatbestandsmerkmale, die auf Rechtsbeziehungen und Rechtsverhältnisse des Zivil-, Staats-, Verwaltungs- usw. -rechts verweisen (z. B. Fremdheit der Sache, § 242, oder „gesetzliche Unterhaltspflicht", § 170b). Als vorsatzausschließend i. S. des § 59 1 sah das R G nur den Tatsachenirrtum und den außerstrafrechtlichen (Rechts-)Irrtum an. Den Strafrechtsirrtum erklärte es für unbeachtlich, einen Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat (soweit die Rechtswidrigkeit nicht ausnahmsweise ausdrücklich als Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes in das Gesetz aufgenommen war) für bedeutungslos. Der grundsätzliche Wandel der Rechtsprechung, der von dem vielzitierten Beschluß des Großen Strafsenats des B G H vom 18. März 1952 (BGHSt 2, 194) seinen Ausgang genommen hat, besteht darin, daß zwischen Sachverhalts- und Verbotsirrtum zu unterscheiden ist. Nach der diesem Beschluß zugrunde liegenden sog. S c h u l d t h e o r i e ist das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, soweit diese allgemeines Verbrechensmerkmal und nicht ausnahmsweise besonderes Tatbestandsmerkmal ist, ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Element der zur Bestrafung erforderlichen strafrechtlichen Schuld. Vorsätzlich handelt, wer mit Wissen und Willen die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands verwirklicht; wegen vorsätzlicher Begehung bestraft wird aber nur, wer entweder das Unrecht (die Vorwerfbarkeit) dieser Tatbestandsverwirklichung kennt oder bei der ihm zumutbaren Sorgfalt und Anspannung seines (sittlichen oder rechtlichen) Gewissens hätte erkennen können. Wer das Unrecht nicht erkennt, aber hätte erkennen können (unentschuldigter Verbotsirrtum), wird wegen vorsätzlicher Begehung bestraft, doch kann die Strafe nach den bei Versuch, Beihilfe oder verminderter Zurechnungsfähigkeit geltenden Vorschriften

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Schöffengericht — Sachverhalts- und Verbotsirttum

(§§ 4 4 1 1 . m , 4 9 1 1 , 5 1 1 1 ) gemildert werden. W a r der Verbotsirrtum unverschuldet (entschuldbarer Verbotsirrtum), so bleibt der Täter trotz vorsätzlicher Begehung straflos. D e r Vorsatz ist also von der Zurechenbarkeit nicht mehr abhängig (s. S. 981). D e r Vorsatz wird durch Sachverhaltsirrtum ausgeschlossen. Sachverhaltsirrtum i. S. des § 5 9 ist aber jezt jeder Irrtum über ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands, gleichviel ob das Merkmal rein tatsächlicher Natur ist oder (auch oder nur) Rechtsbeziehungen und Rechtsverhältnisse zum Gegenstand hat. Freilich gehört bei diesen letzteren Merkmalen zum Vorsatz nicht etwa eine richtige rechtliche Subsumtion — sonst müßte z. B. der Täter in der Regel (wenn er nicht gerade Jurist ist) freigesprochen werden, wenn er unwiderlegt geltend macht, er habe nicht gewußt, daß falsches Stechen der Kontrolluhr eine Urkundenfälschung sei — , vielmehr genügt eine richtige „Parallelwertung in der Laiensphäre" (vgl. S. 949). Beim Irrtum über negative Tatumstände liegt nach § 59 zu beurteilender Sachverhaltsirrtum vor, wenn der Irrtum sich auf die t a t s ä c h l i c h e n Grundlagen des Rechtfertigungsgrunds bezieht, Verbotsirrtum dagegen bei einem Irrtum über die r e c h t l i c h e n Voraussetzungen und Grenzen des irrig angenommenen Rechtfertigungsgrundes ( B G H S t 3 , 1 0 5 , 196, 2 7 1 ) . Diese für das allgemeine Strafrecht entwickelten Grundsätze haben inzwischen für das Gebiet des Ordnungsrechts in § 1 2 des Ges. über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. März 1 9 5 2 ( B G B l I 1 7 7 ) gesetzliche Anerkennung gefunden. N a c h wie v o r gilt der Grundsatz, daß der Vorsatz sich nicht auf die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit zu beziehen braucht, ein Irrtum über ihr Vorhandensein also bedeutungslos ist. Der praktisch wichtigste Fall einer solchen Strafbarkeitsbedingung ist die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, § 1 1 3 S t G B (vgl. S. 843). A u c h ist der Irrtum des Täters über die Strafbarkeit seines Verhaltens, der v o m Irrtum über das Unrecht scharf zu trennen ist, rechtlich bedeutungslos. Über Einzelheiten der hier nur in ihren Umrissen dargestellten Irrtumslehre s. etwa Schröder-Schönke [9] V f f . , LeipzKomm. [8] II B, Dalcke-F.-Schäfer [ 3 7 ] 1. alle zu § 59. „Auf Zweifel, die etwa in dieser Richtung bestehen könnten, braucht jedoch nicht eingegangen zu werden. Denn zur vorsätzlichen Begehung genügt es grundsätzlich, wenn der Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, d. h. zwar nicht alle Tatbestandsmerkmale oder Folgen seiner Handlung positiv kannte, aber sich der Möglichkeit ihres Vorhandenseins oder Eintretens bewußt war, und sie für den Fall des Eintritts billigend in seinen Willen aufgenommen hat. Der Angeklagte hat auf die zutreffenden rechtlichen Darlegungen Scbwerdtfegers erwidert: ,Das ist mir ganz gleich'. Damit brachte er zum Ausdruck, daß er mit der Möglichkeit, im Unrecht zu sein, gerechnet und trotzdem die Handlung gewollt hat. Bezüglich der unrechtmäßigen Bereicherung liegt also zum mindesten dolus eventualis vor. Bei den sonstigen Tatbestandsmerkmalen des Delikts kann der Vorsatz Krautwalth nicht zweifelhaft sein. Schließlich hat der Angeschuldigte auch rechtswidrig gehandelt. Nach § 2 5 3 1 1 ist die Tat rechtswidrig, wenn die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn es dem allgemeinen sittlichen Empfinden, den Auffassungen der anständigen, billig und gerecht denkenden Mitbürger widerstrebt, mit einer solchen Drohung einen Druck auszuüben. Der Gesetzgeber will damit zum Ausdruck bringen, daß es nicht als Erpressung strafbar sein soll, wenn jemand eine Bereicherung, auf die er keinen Rechtsanspruch hat, mit verkehrsüblichen (.sozialadäquaten') Mitteln zu erreichen sucht. Wenn ein Kaufmann dem Fabrikanten, von dem er Ware bezieht, erklärt, er werde künftig seine Ware nicht mehr bei ihm beziehen, wenn er ihm nicht ein Zahlungsziel einräume, so will er sich zwar ,zu Unrecht bereichern', denn er will seine Vermögenslage verbessern, weil er über seine Mittel in der Zwischenzeit verfügen kann, und er hat auf diese Bereicherung keinen Anspruch, während umgekehrt dem Vermögen des Fabrikanten, der nicht über die Summe verfugen kann, durch die Kreditierung Nachteil zugefügt wird. Die Drohung, einen Kunden zu verlieren, ist auch eine solche mit einem empfindlichen Übel, Aber eine solche Drohung ist, wenn nicht besondere Umstände hin-

Schöffengericht — Innerer Tatbestand der Erpressung

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zutreten, nicht rechtwidrig; sie ist nicht verwerflich, weil es dem Kaufmann freisteht, künftig seine Ware da zu beziehen, w o er die günstigsten Zahlungsbedingungen findet, und im kaufmännischen Leben die Benutzung dieses Druckmittels bei der Gestaltung der Vertragsbeziehungen als erlaubt angesehen wird. So liegt es in unserem Fall aber nicht. Gewiß hat jeder das Recht, seine Meinung überall frei zu äußern (Art. 5 G G ) . Aber wenn jemand androht, Beschwerden an die Presse zu bringen, dann weiß er, daß der andere eine, wenn auch nicht falsche, so doch eine unvollständige oder eine in bestimmter Weise zu seinem Nachteil gefärbte Darstellung befurchtet, auch wenn der Androhende an eine falsche oder entstellende Darstellung selbst nicht denkt. Das geht über die Androhung eines verkehrsmäßigen Übels weit hinaus. Ich möchte mich deshalb dem O L G Hamm N J W 57, 1801 anschließen, das in der Androhung, eine Angelegenheit in die Presse zu bringen, eine rechtswidrige Drohung mit einem empfindlichen Übel i. S. der §§ 240, 253 angenommen hat, während die Auffassungen darüber, ob die Androhung einer Presseveröffentlichung eine rechtswidrige Drohung i.S. des § 1 1 4 ist, auseinandergehen. Darnach sind — unter der Voraussetzung, daß die Hauptverhandlung von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht abweicht — alle Merkmale der versuchten Erpressung erfüllt."

Der Richter: Gegen Ihr Ergebnis habe ich erhebliche Bedenken. Zunächst bin ich der Meinung, daß Krautwald objektiv ein Rückforderungsrecht hatte. § 1 1 des Waffengesetzes will wegen der Gefahren, die daraus unmittelbar für die Allgemeinheit entstehen können, verhindern, daß die leicht verbergbaren Faustfeuerwaffen in die Hände von Personen gelangen, deren Zuverlässigkeit nicht geprüft und durch Erteilung eines Waffenerwerbsscheines anerkannt ist. Jugendlichen darf überhaupt kein Waffenerwerbsschein erteilt werden (§ 1 5 1 1 1 Waffenges). Das Gesetz mißbilligt also nicht nur, wie etwa beim Verkauf von Ware unter Verletzung der Vorschriften über die Sonntagsruhe, die Umstände, unter denen der dem Inhalt nach unbedenkliche Kaufvertrag abgeschlossen wird, sondern es richtet sich gerade gegen die Überlassung selbst. Kann aber kein Eigentum gültig übertragen werden, so ist der Kaufvertrag auf eine unmögliche Leistung gerichtet und nichtig (§ 306 BGB). Ob der Verkäufer an dem Geld Eigentum erworben hat, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls hatte der Angeschuldigte als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes einen Bereicherungsanspruch 1 ). Aber selbst wenn Sie in diesem Punkt Recht hätten, könnte ich den Vorsatz bezügl. der zu Unrecht erstrebten Bereicherung nicht als gegeben ansehen. Aus den Worten Krautwalds: „Das ist mir ganz gleich" kann ich nicht entnehmen, daß ihn Schwerdtfegers rechtliche Darlegungen überzeugt hätten oder daß er auch nur von der Möglichkeit ihrer Richtigkeit ausgegangen wäre. Viel näher liegt doch die Annahme, daß er die aussichtslose Unterredung abbrechen und zum Ausdruck bringen wollte, er sei nach wie vor von seinem Rückforderungsrecht überzeugt. Man muß doch auch bedenken, daß Erpressung ein häßliches Delikt ist. Krautwald scheint ein ordentlicher und anständiger, in rechtlichen Dingen aber sicher wenig geschulter Mensch zu sein,der schon wegen seiner Aufregung gar nicht in der Lage war, halbwegs objektiv die Argumente des Gegners zu prüfen. Einen solchen einfachen Mann auf eine Redewendung festzunageln, wäre eine lebensfremde Rechtsprechung. Ich kann mich also nicht überzeugen, daß er die Rückzahlung der 28,50 D M als etwas ihm nicht Zustehendes erkannt oder auch bloß mit dieser Möglichkeit gerechnet hat. Der Referendar: Augenblicklich handelt es sich doch bloß darum, ob „hinreichender Verdacht" für die Eröffnung des Hauptverfahrens besteht. Ich würde es für unrichtig halten, durch Ablehnung des Hauptverfahrens der Aufklärung des erkennenden Gerichts, was Krautwald mit seiner Äußerung sagen wollte, vorzugreifen und x

) § 8 1 7 S. 2 B G B steht nicht entgegen: nur die Überlassung der Pistole, nicht die Leistung des Gegenwerts verstieß gegen ein gesetzliches Verbot; auch war sich der Leistende eines Verstoßes nicht bewußt.

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Schöffengericht — Bedenken gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens

dem Ankläger die Möglichkeit, zweifelhafte Tat- und Rechtsfragen im Instanzenzuge des Spruchverfahrens entscheiden zu lassen, endgültig zu entziehen. Der Richter: Ihr Standpunkt wäre vielleicht noch berechtigt, wenn das Hauptverfahren auf Privatklage oder wegen einer belanglosen Übertretung, die den Angeklagten nicht diffamiert, eröffnet werden sollte. Ehe wir aber einen unbescholtenen angesehenen Mann unter einer so schweren Beschuldigung, wie es versuchte Erpressung ist, auf die Anklagebank bringen und ihn den damit verbundenen wochenund monatelangen Aufregungen aussetzen, müssen wir strenger prüfen. Daß das Schöffengericht wegen Erpressungsversuchs verurteilen würde, halte ich für ausgeschlossen. — Mit der Verneinung des hinreichenden Verdachts der versuchten Erpressung ist im übrigen unsere Aufgabe nicht erledigt. Denn „iura novit curia", und das Gericht ist an die Anträge und Ansichten der Staatsanwaltschaft bei Eröffnung des Hauptverfahrens nicht gebunden (§ 206 StPO). Liegt hinreichender Verdacht einer anderen strafbaren Handlung vor ? Der Referendar: Wird die Absicht, sich zu Unrecht zu bereichern,"aus subjektiven Gründen verneint, so kommt versuchte Nötigung (§ 240 StGB) in Betracht. Bei diesem Delikt sind die Absichten des Täters gleichgültig. Auch hier genügt Drohung mit einem empfindlichen Übel, und dieses Tatbestandsmerkmal halte ich für gegeben. Der Richter: Dann müßten wir aber prüfen, ob Krautwald nicht in entschuldbarem Verbotsirrtum gehandelt hat. Wenn schon, wie Sie richtig ausführten, die Auffassungen der Gerichte darüber auseinandergehen, ob die Drohung, die Sache „in die Zeitung zu bringen", ein adäquates Mittel ist, kann man dann dem einfachen Mann zumuten, er habe die Vorwerfbarkeit seines Tuns erkennen können ? Der Referendar: Ich möchte annehmen, daß in diesem besonderen Fall eine rechtswidrige Drohung vorliegt und der Angeschuldigte das Vorwerf bare seines Tuns auch hätte erkennen können. Er warf Schwerdtfeger vor, er habe eine Straftat begangen und gerade das wollte er, so verstehe ich seine Drohung und so mußte sie auch Schwerdtfeger verstehen, öffentlich bekannt machen. Die öffentliche Mitteilung einer Straftat aber bedeutet eine schwere Bloßstellung mit schwer wiegenden Folgen. Diese Wirkung hätte der Angeschuldigte um so mehr berücksichtigen müssen, als er sah, daß Schwerdtfeger sich auf die rechtliche Zulässigkeit seines Verhaltens berief. Ich würde es als eine adäquate und deshalb nicht rechtswidrige Drohung ansehen, wenn Krautwald mit einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gedroht hätte, um seinen Rückgabeanspruch durchzusetzen. Der B G H (NJW1954,5 65) hat aber ausgesprochen, daß es rechtswidrig sei, statt einer solchen Strafanzeige die Bloßstellung durch öffentliche Mitteilung der Straftat anzudrohen. Das halte ich für überzeugend. Der Richter: Darin stimme ich Ihnen zu. Ich bin aber nicht sicher, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hätte, wenn Sie unsere Bedenken gegen die Eröffnung wegen versuchter Erpressung gekannt und ob sie nicht vielleicht dann das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt hätte (§ 15 3 1 1 StPO). Es ist wohl richtiger, daß ich zunächst die Akten in diesem Sinn der Staatsanwaltschaft vorlege. Wenn die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt wird, so wird beschlossen und verfügt: „ 1 . B e s c h l u ß : In Sachen weil

wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, (folgt kurze Begründung).

Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Hannover, den 10. Oktober i960. Amtsgericht. Richter Amtsgerichtsrat.

Schöffengericht — Beschleunigtes Verfahren

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2. Beschluß dem Angeschuldigten zustellen. 3. Vorzulegen dem Herrn Oberstaatsanwalt hier. 4. nach 2 Wochen."

Vgl. §§ 2 0 4 1 . I n , 4 6 4 3 6 1 1 , 4 1 S. 1 StPO. Innerhalb einer Woche seit der Bekanntmachung (Präsentat der Vorlegung, § 41 S. 2!) kann die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde an die Strafkammer erheben, deren Entscheidung endgültig ist. §§ 2 1 0 1 1 , 3 1 0 1 1 . Hat das Gericht die Eröffnung durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß abgelehnt, so tritt nach § 2 1 1 zugunsten des Angeschuldigten die gleiche begrenzte Rechtskraftwirkung ein wie im Falle des § 1 7 4 1 1 (vgl. S. 783). Von der Nichteröffnung soll der Staatsanwalt den Verletzten, der die Anzeige erstattet hat, kurz benachrichtigen (Nr. 93 I V RiStV 1953). Beschleunigtes Verfahren („Schnellverfahren"). Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Hehlerei, Vortäuschung einer Straftat. Gerichtliche Aussetzung der Strafvollstreckung Die Hausangestellte Schönhals ist am 1. April i960 bei dem Lotterieeinnehmer Glücksmann in Stellung getreten. Im Laufe des Mai oder Juni hat sie verschiedene ihrer Herrschaft gehörige Schmucksachen und Wäschestücke entwendet und in ihrer Stube verwahrt. Mitte September trat die Familie eine mehrwöchige Autoreise durch Süddeutschland und die Schweiz an, übergab Wohnungs-, Zimmer- und Schrankschlüssel der Schönhals und ließ die Wohnung in ihrer Obhut. Während der Abwesenheit ihrer Herrschaft hat das Mädchen alle Gold- und Silbersachen, mehrere Kleider, seidene Wäsche und einen Persianermantel an sich genommen, in einen großen und einen kleinen Koffer verpackt und die Koffer zu ihrer 68 jährigen halbblinden Tante nach Brockdorf geschafft. Darauf hat sie Schränke und Zimmer in künstliche Unordnung gebracht, ist auf zwei Tage zu Verwandten nach Hamburg gefahren und hat bei der Rückkehr Hausbewohner und Polizei alarmiert, daß während ihrer Abwesenheit eingebrochen worden sei. Einige der gestohlenen Schmuckstücke hat sie in dem Juweliergeschäft von Goldhelm verkauft und den Erlös in Höhe von 150 D M ihrem Verlobten, Kaufmann Liebrecht, geschenkt. Ihre Absicht ging dahin, nach und nach die ganze Beute — bis auf einige Stücke, die sie für den eigenen Gebrauch zurückbehalten wollte — zu verkaufen und den Erlös ihrem Bräutigam zur Verfügung zu stellen, damit dieser in der Lage sei, die zur Übernahme einer Geschäftsfiliale erforderliche Kaution zu leisten und sie zu heiraten. Die Familie Glücksmann hat keinen Verdacht geschöpft. Am 14. Oktober hat die Verkäuferin Glofke, eine Freundin der Schönhals, die in den ganzen Sachverhalt eingeweiht war, sich mit ihr entzweit und der Kriminalpolizei Anzeige erstattet. Die Sachen sind bei der Tante beschlagnahmt, die Schönhals und Liebrecht am 15. Oktober polizeilich festgenommen worden. Beide haben ein volles Geständnis abgelegt. Sie versichern, daß Liebrecht weder die Schönhals angestiftet noch sich mit Rat oder Tat an der Wegnahme und späteren FortschafFung und Veräußerung der Sachen beteiligt habe. Dagegen gibt Liebrecht zu, sich bei Empfang der 150 D M gedacht zu haben, daß das Geld wohl auf unredliche Weise erworben sein dürfte. Goldhelm hat die Schmuckstücke an Glücksmann herausgegeben. Der Sachverhalt ist also außerordentlich klar und einfach, und deshalb beschließt der Staatsanwalt, dem die Akten noch am 15. Oktober zugeleitet worden sind, im Interesse der verhafteten Beschuldigten den Fall im beschleunigten Verfahren ( § 2 1 2 StPO) vor das am 16. Oktober tagende Bereitschafts-Schöffengericht zu bringen.

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Schöffengericht — Erhebung der Anklage im beschleunigten Verfahren

Das „Schnellverfahren" ist nur vor dem Einzelrichter und vor dem Schöffengericht zulässig. Es kann — unter der Voraussetzung, daß der Sachverhalt einfach und die sofortige Aburteilung möglich ist — in allen Sachen durchgeführt werden, die in die Zuständigkeit des Amtsrichters oder des Schöffengerichts fallen, doch soll auch das Schöffengericht (wegen des Einzelrichters vgl. § 2j Nf. 2C, 3 G V G ) die Aburteilung im beschleunigten Verfahren ablehnen, wenn eine höhere Strafe als Gefängnis von einem Jahr zu erwarten ist. Stellt sich die Tat in der Hauptverhandlung schwerer dar, als angenommen, so kann die Aburteilung noch bis zur Verkündung des Urteils abgelehnt werden. Das Gericht kann aber auch die Hauptverhandlung durchführen, darf dann aber zwar eine ein Jahr überschreitende Gefängnisstrafe, jedoch nicht Zuchthaus oder eine Maßregel der Sicherung und Besserung — außer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 42 m StGB) — verhängen (§ 212b). Daß der Beschuldigte sich freiwillig stellt oder nach vorläufiger Festnahme vorgeführt wird, ist nicht Voraussetzung des beschleunigten Verfahrens. Gegenüber Jugendlichen ist das Schnellverfahren ausgeschlossen (§ 7 9 " JGG); bei diesen gibt es das vereinfachte Jugendverfahren (§§ 76—78 JGG). Abgesehen vom Wegfall des Erfordernisses der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses vollzieht sich das Schnellverfahren in den sonstigen Formen. Insbesondere gilt für die Hauptverhandlung, gleichviel ob sie sich im Gerichtsgebäude, Polizeipräsidium oder anderswo abspielt, der Öffentlichkeitsgrundsatz: „11 (7) Ms 37.60. öffentliche Sitzung des Schöffengerichts. Gegenwärtig: 1. Amtsgerichtsdirektor Richter als Vorsitzender, 2. Schlossermeister Hartmann, 3. Oberschwester Weicbmann als Schöffen, Staatsanwalt Scharf als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

Hannover, den 16. Oktober i960.

In der Strafsache gegen Scbänhals und Genossen wegen Diebstahls usw. erschienen, auf Grund vorläufiger Festnahme vorgeführt:

1. die Beschuldigte Usbeth Scbänhals, Hausangestellte in Hannover, Gartenstraße 22, geboren am 23. September 1936 in Leuthen, Kreis Neumarkt (Schlesien), nicht bestraft, 2. der Beschuldigte Heinz Liebrecht, Kaufmann in Hannover, Rhedigerstraße 49, geboren am 3. Oktober 1930 in Breslau, wegen Eigentums vergehen nicht bestraft. Ferner erschien RA. Weiß als Verteidiger für beide Beschuldigten." Die Schönhals und Liebrecht sind „vorläufig festgenommen". Auch im Schnell" verfahren darf die vorläufige Festnahme nicht über die Fristen des § 128 StPO aus" gedehnt werden. Kann also das Urteil nicht mehr am Tage der Vorführung ergehen» so hat sich das Gericht zunächst über den Erlaß eines Haftbefehls schlüssig zu machen (vgl. oben S. 821). Über das Ende der Hauptverhandlung hinaus darf man die Beschuldigten auf Grund der vorläufigen Festnahme keinesfalls zurückhalten; daraus erklärt sich der später vom Staatsanwalt gestellte Antrag auf Haftbefehl (S. 894). Gegen die Verteidigung der zwei Beschuldigten durch e i n e n Verteidiger bestehen in unserem Fall keine Bedenken, da beide über die Beteiligung Liebrechts die gleichen Angaben machen (§ 146). „Die Verhandlung begann mit dem Aufruf der Zeugen und Sachverständigen. Es meldete sich als Zeugin: Verkäuferin Glofke von hier. Die Zeugin wurde (usw. wie S. 823). Die Staatsanwaltschaft klagte die Erschienenen zu 1 und 2 durch Verlesung der Anlage a n . " Die ihrem wesendichen Inhalt nach ins Protokoll aufzunehmende (§ 212a 1 1 S. 2) Anklageformel wird, wie dies auch Nr. 129 1 1 RiStV 1955 empfiehlt, üblicherweise

Schöffengericht — Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren

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von der Staatsanwaltschaft schriftlich ausgearbeitet, verlesen und als Protokollanlage überreicht. Damit ist die Anklage erhoben. Die Angeklagten haben kein Recht, dem Schnellverfahren zu widersprechen, dagegen kann das Gericht, auch noch nach begonnener Hauptverhandlung, bis zur Verkündung des Urteils durch unanfechtbaren Beschluß die Aburteilung im beschleunigten Verfahren ablehnen, falls sich zeigt, daß die Sache zur Verhandlung in diesem Verfahren ungeeignet ist. Das geschieht von Amts wegen und hat die Wirkung, daß die öffentliche Klage als nicht erhoben gilt (§ 212b). Die Ladungsfrist, die im gewöhnlichen Verfahren 1 Woche beträgt (§ 2 1 7 1 StPO), ist im Schnellverfahren auf 24 Stunden herabgesetzt (§ 2 1 2 a 1 1 1 ) , die zwischen Zustellung und Beginn der Hauptverhandlung liegen müssen (Löwe-RosenbergKohlhaas [20] 8 zu § 2 1 2 a). Bei Nichteinhaltung der Frist hat ein Angeklagter bis zur Verlesung des Eröffnungsbeschlusses — im Schnellverfahren bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache — das Recht, Vertagung zu fordern; auf dieses Recht ist er vom Vorsitzenden hinzuweisen (§§ 2 1 7 1 1 , 2 2 8 1 1 1 StPO). Wenn aber der Angeklagte sich freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder, wie hier, vorgeführt wird, findet gar keine Ladung statt und es entfällt das Vertagungsrecht. — Der Staatsanwalt klagt die beiden Beschuldigten an: „zu Hannover im Jahre i960 durch mehrere selbständige Handlungen: A. die Schönhals: 1. fremde bewegliche Sachen, nämlich a) eine goldene Armbanduhr mit Brillanten, b) , sämtlich dem Lotterieeinnehmer Günther Glücksmann in Hannover gehörig, diesem in der Absicht weggenommen zu haben, sich die Sachen rechtswidrig zuzueignen, 2. fremde bewegliche Sachen, die sie in Besitz oder Gewahrsam hatte und die ihr anvertraut waren, nämlich a) komplettes Tafelsilber für 10 Personen, b) sämtlich dem Lotterieeinnehmer Günther Glücksmann in Hannover gehörig, sich rechtswidrig zugeeignet zu haben, 3. in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögens vorteil, nämlich die ungestörte Verwertung der Beute des zu 2 bezeichneten Diebstahls, zu verschaffen, das Vermögen des Glücksmann dadurch beschädigt zu haben, daß sie durch Vorspiegelung der falschen Tatsache, es sei ein Einbruch in die Glücksmannsche Wohnung erfolgt, einen Irrtum erregte, 4. in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil, nämlich 150 DM, zu verschaffen, das Vermögen des Juweliers Goldhelm in Hannover dadurch beschädigt zu haben, daß sie ihm durch die Vorspiegelung, sie sei Eigentümerin, zum Ankauf folgender der zu 1) bezeichneten Schmuckstücke gegen Zahlung von 150 DM veranlaßte, B. Liehrecht: seines Vorteils wegen Sachen, von denen er wußte oder den Umständen nach annehmen mußte, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt waren, nämlich 150 DM bares Geld, an sich gebracht zu haben, Vergehen gegen §§ 242, 246, 263, 74, 259 StGB. Es wird Aburteilung im beschleunigten Verfahren durch das Schöffengericht beantragt." Ein Eröffnungsbeschluß wird nicht gefaßt, sondern alsbald in der Verhandlung fortgefahren. Zunächst sind die Angeklagten nach §§ 2 4 3 1 1 1 , 1 3 6 StPO zu vernehmen: „Die Angeklagten, über ihre persönlichen Verhältnisse vernommen, erklärten: 1. Schönhals : 2. Liebrecht: Die von der Staatsanwaltschaft überreichte anliegende Bescheinigung des Bundesstrafregisters betreffend die Angeklagte Schönhals sowie die, ebenfalls von der Staatsanwaltschaft überreichte, anliegende telegraphische Auskunft des Bundesstrafregisters über den Angeklagten Liebrecht1) wurden verlesen. Der Angeklagte Liebrecht erkannte die Auskunft als richtig an. Die Angeklagten, befragt, ob sie etwas auf die Beschuldigung erwidern wollen, erklärten: 1. Schönhals: Auf den Gedanken, meiner Herrschaft Sachen wegzunehmen, kam ich dadurch, daß mein oben S. 804, 813.

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Schöffengericht — Diebstahl und Unterschlagung

Bräutigam mir gesagt hatte, er könnte eine Filiale bekommen, wenn er 1500—2000 DM Kaution hätte. Er hat aber nichts von meiner Absicht gewußt. Die goldene Armbanduhr u n d . . . . habe ich abends, als Herr und Frau GlUcksmann ausgegangen waren, aus der offenen Schublade an mich genommen. Als dann die Familie verreist war und ich die ganzen Schlüssel unter mir hatte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, auch das Tafelsilber und wegzunehmen. Mein Bräutigam sagte, als ich ihm die beim Juwelier erlösten 150 DM gab: ,Die sind doch sicher gestohlen'. Ich erwiderte: ,Nimm nur.' 2. Liebrecbt: Daß die 150 DM von einem Diebstahl herrührten, habe ich mir gedacht, aber nichts Näheres darüber gewußt." Die Beweisaufnahme (§ 244 1 ) besteht lediglich in der Vernehmung der Zeugin Glofke: „Die Zeugin wurde hierauf vorgerufen und wie folgt vernommen: Zeugin Glofke Z.P.: Z. S.: Die Schönhals hat es mir von Anfang an so dargestellt, daß Liebrecbt von der ganzen Sache nichts wisse. Die Zeugin leistete den Zeugeneid. Die Vereidigung mußte erfolgen, da bloße Mitwisserschaft von der Tat ohne eine Pflicht zur Verhinderung oder Anzeige (§ 139) nicht strafbar ist und die Anwendbarkeit des § 60 Nr. 3 StPO nicht begründet ( R G S t 57, 186). Die Angeklagte Scbönhals wurde darauf hingewiesen, daß wegen der in der Anklage als Betrug gewerteten Vortäuschung eines Einbruchs auch eine Bestrafung nach § 145 d StGB in Betracht komme. Es wurde ihr Gelegenheit zur Verteidigung gegeben (§ 265T). Nach der Vernehmung der Zeugin oder eines Mitangeklagten sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks wurden die Angeklagten befragt, ob sie etwas zu erklären haben." E s folgen die Schlußvorträge (§ 258): „Die Staatsanwaltschaft und sodann die Angeklagten und der Verteidiger erhielten zu ihren Ausführungen das Wort. Die Staatsanwaltschaft beantragte: gegen ScbSnhals 2 Monate Gefängnis wegen Unterschlagung, 8 Monate Gefängnis wegen Diebstahls, je 2 Monate Gefängnis wegen Betruges in zwei Fällen, zusammenzuziehen in eine Gesamtstrafe von einem Jahr Gefängnis, sowie Erlaß des Haftbefehls, gegen Liebrecht 300 DM Geldstrafe an Stelle einer verwirkten Gefängnisstrafe von 2 Monaten wegen Hehlerei. Der Verteidiger beantragte: Freisprechung der Scbönhals von der Betrugsanklage, milde Bestrafung wegen Unterschlagung, Diebstahls und Vortäuschung einer Straftat, alsbaldige Freilassung, Freisprechung des Liebrecbt. Der Verteidiger hatte das letzte Wort. Die Angeklagten, befragt, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung auszuführen haben, erklärten: das selbe wie der Verteidiger." Unterschlagung ist die rechtswidrige Zueignung fremder Sachen, die der Täter in seinem „Besitz oder Gewahrsam" hat; Diebstahl liegt vor, wenn der Täter fremde Sachen aus dem Gewahrsam eines anderen in Zueignungsabsicht wegnimmt. G e wahrsam bedeutet tatsächliches Herrschaftsverhältnis oder tatsächliche Verfügungsgewalt. „Gewahrsam" ist nicht dasselbe wie Besitz i. S. des B G B (§§ 854fr.). Wenn § 246 von „Besitz oder Gewahrsam" spricht, so handelt es sich dabei nicht um verschiedene Begriffe; gemeint ist vielmehr auch in § 246 nur der Gewahrsam im Sinne der tatsächlichen Verfügungsgewalt. Der fingierte Besitz des Erben (§ 857) ist, da es an der tatsächlichen Verfügungsgewalt fehlt, strafrechtlich ebenso bedeutungslos wie

Schöffengericht — Betrug, Vortäuschung einer Straftat

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der durch Traditionspapiere vermittelte und der bloß mittelbare Besitz (§ 868). Ob Haus- und Geschäftspersonal — dem zivilrechtlich „Besitzdiener"Stellung zukommt (§ 855), Gewahrsam an dem Eigentum des Hausherrn oder Geschäftsinhabers hat, hängt davon ab, ob letzterer trotz Lockerung der räumlichen Beziehung zur Sache und trotz der Einschaltung des Besitzdieners nach der Anschauung des täglichen Lebens noch die Herrschaftseinwirkung auf die Sache hat (RGSt 60, 272; B G H N J W 1953, 1 2 7 1 ; O L G Hamburg MDR 1947, 35). So behält z. B. der Geschäftsinhaber, wenn sein Kraftfahrer am Sitze des Geschäfts Waren nach Anweisung abfährt, mindestens Mitgewahrsam, folglich begeht der Fahrer durch Zueignung einen Diebstahl. Dagegen liegt Unterschlagung vor, wenn der Fahrer die Waren nach auswärts oder unter Abweichung von dem ihm vorgeschriebenen Wege abfährt oder wenn es sich um abgeholte Waren handelt, denn hier hat der Fahrer den alleinigen Gewahrsam. Waren und Kasse von Ladengeschäften stehen regelmäßig unter der Herrschaft des Geschäftsinhabers (RGSt 77, 37); dagegen haben Kassierer, die die alleinige Verantwortung für die Kasse tragen (z. B. in einem Warenhaus) regelmäßig Alleingewahrsam am Kasseninhalt bis zu dessen Ablieferung (BGHSt 8, 275). An den einem Dienstboten übergebenen Sachen hat die Herrschaft Gewahrsam; verreist sei aber auf nicht kurze Zeit und übergibt sie der in der Wohnung zurückgelassenen Hausangestellten sämtliche Schlüssel, so liegt darin die Einräumung einer so weitgehenden Selbständigkeit unter Wegfall der eigenen Einwirkungsmöglichkeit, daß vom Gewahrsam der Herrschaft nicht mehr die Rede sein kann. — Der Staatsanwalt hat also zutreffend die Wegnahme der Armbanduhr und der Schmucksachen und Wäschestücke im Mai oder Juni als Diebstahl, die Aneignung des Silbers usw. während der Reise Glücksmanns als Unterschlagung angesehen. „Gesindediebstahl" (§ 247 1 ), der nur •Buf Antrag verfolgt wird, liegt nicht vor, da die gestohlenen Sachen keinen unbedeutenden Wert hatten. Auch die Annahme zweier selbständiger Handlungen ist zutreffend. Einmal hat die Schönhals nach ihrer eigenen Darstellung den Entschluß zu der Entwendung vom September selbständig gefaßt (vgl. S. 891); im übrigen ist, da es sich um verschiedenartige Delikte handelt, ein Fortsetzungszusammenhang zwischen Diebstahl und Unterschlagung nicht möglich (RGSt 58, 229). Die Staatsanwaltschaft hat in der Vortäuschung eines Einbruchs und der Alarmierung von Polizei und Hausgenossen einen vollendeten Betrug gesehen. Das ist jedoch rechtsirrig. Zum Betrug gehört, daß der Getäuschte eine V e r m ö g e n s v e r f ü g u n g vornimmt und daß durch diese Vermögens Verfügung eine Vermögensschädigung eintritt, wobei Getäuschter und Geschädigter verschiedene Personen sein können. Eine Vermögensverfügung aber kann grundsätzlich nur vornehmen, wer eine tatsächliche Verfügungsgewalt über das Vermögen hat, und die hatten weder die Polizei noch die Hausbewohner. Selbst wenn die Schönhals der zurückgekehrten Herrschaft die Geschichte vom Einbruchsdiebstahl aufgetischt hätte, um einen Verdacht, der sich sonst gegen sie gerichtet hätte und entsprechende Nachforschungen mit dem Ziel der Rückgewinnung der Sachen abzuwenden, läge darin kein Betrug. Denn die Vermögensschädigung war bereits (durch Diebstahl und Unterschlagung) eingetreten und die durch täuschende Handlungen bewirkte Aufrechterhaltung dieses Zustandes war weder eine (neue) Vermögensschädigung für die Geschädigten noch eine (neue) Bereicherung für die Täterin. Wohl aber hat die Schönhals, indem sie der Polizei von dem angeblichen Einbruchsdiebstahl Anzeige erstattete, eine Dienststelle des Staates über die Person eines an einer Straftat Beteiligten (nämlich über die Täterschaft des von ihr verübten Diebstahls) zu täuschen gesucht und sich nach § 145 d StGB strafbar gemacht (BGHSt 6, 25 5). Gesetzgeberischer Grund: es liegt nicht lediglich eine (straflose) Selbstbegünstigung vor, sondern die Polizei sollte auf eine falsche

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Schöffengericht — Hehlerei

Fährte gelockt werden, so daß die Gefahr einer Verfolgung unschuldiger Personen entstand. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft mit Recht in dem Verkauf der gestohlenen Schmuckstücke im Juweliergeschäft von Goldhelm Betrug erblickt. Zwar ist die Verwertung der Diebsbeute durch den Dieb als solche nicht mehr strafbar („mitbestrafte" Nachtat). Dagegen ist die Verwertungshandlung als neue selbständige Tat strafbar, wenn sie in strafbarer Weise in Rechtsgüter anderer Personen als des Bestohlenen eingreift. Hier hat die Schönhals sich dem Juwelier gegenüber als Eigentümerin des Schmuckes ausgegeben, und ihn um den Kaufpreis betrogen, da er an der gestohlenen Sache nicht gutgläubig Eigentum erwerben kann und dem Eigentumsanspruch des Bestohlenen ausgesetzt bleibt (§ 935 B G B ; vgl. RGSt 54, 80; 60, 371; R G H R R 1933 Nr. 5 50). Selbst dann, wenn jemand von ihm unterschlagene Sachen einem Gutgläubigen unter Täuschung über die Herkunft verkauft, nimmt die neuere Rechtsprechung (RGSt 73, 61; BGHSt 3, 370; N J W 60, 916) mit Recht an, daß trotz gutgläubigen Erwerbs im Einzelfall Betrug vorliegen kann, weil bei einem nicht offensichtlich unverfänglichen Erwerb eine Vermögensminderung bei dem Käufer darin zu erblicken ist, daß er einem mit Opfern an Zeit, Geld und Nervenkraft verbundenen Rechtsstreit aussetzt und an der Verwertung des Gegenstandes gehindert ist. — Natürlich kann auch der Bestohlene selbst mit Hilfe der gestohlenen Sache betrogen werden, etwa wenn der Dieb sie so zurechtmacht, daß der Bestohlene sein Eigentum nicht wiedererkennt und sie dem Dieb abkauft; auch das ist keine straflose Nachtat, sondern ein selbständiger neuer Betrug. Hat Liebrecht sich der Hehlerei schuldig gemacht ? Hier erhebt sich die sehr umstrittene Frage nach der Strafbarkeit der sog. Ersatzhehlerei. § 259 StGB nennt als Gegenstand der Hehlerei die „mittels einer strafbaren Handlung erlangte Sache". Daraus hat die Rechtsprechung gefolgert (vgl. z.B. RGSt 26, 318; O L G BraunschweigNJW 1952, 557; B G H N J W 1955, 586), daß nur die gestohlene Sache selbst, nicht der durch ihren Verkauf erzielte Erlös gehehlt werden könne, während im Schrifttum z.T. (vgl. Nachweise bei Dalcke-F.-Schäfer [37] 4 zu § 259) der Standpunkt vertreten wird, daß diese enge, zu unbefriedigenden Ergebnissen führende Auslegung durch den Wortlaut nicht geboten sei, dem Sinn des § 259 vielmehr die Erstreckung auf solche Ersatzsachen entspreche, die zeitlich, örtlich und nach den sonstigen Umständen in so naher Beziehung zu der Straftat stehen, daß sie (wie der Erlös aus der Veräußerung der Diebsbeute) noch mit dem gleichen Makel wie die strafbar erlangte Sache selbst behaftet sind.1) Die Frage der Ersatzhehlerei kann indessen offenbleiben. Denn die 150,— DM, die die Schönhals dem Liebrecht geschenkt hat, sind hier unmittelbar durch eine strafbare Handlung, nämlich durch den von der Schönhals gegenüber dem Juwelier begangenen Betrug erlangt. Liebrecht hat sich, wie er zugibt, gedacht, daß sie aus einem Diebstahl stammten, er hat also — was genügt, R G S t 39, 6; BGHSt 2, 118 — mit bedingtem Vorsatz hinsichtlich der strafbaren Erlangung der 1 5 0 , — D M gehandelt; die in §259 aufgestellte gesetzliche — widerlegbare — Vermutung des Wissens, wenn Umstände vorliegen, die den strafbaren Erwerb für jeden Einsichtigen erkennbar machen („oder den Umständen nach annehmen muß") spielt hier keine Rolle. Die konkrete strafbare Handlung des Vortäters braucht der Hehler nicht zu kennen (OLG Dresden L Z 1931, 794). Strafbar erlangte Sachen i. S. des § 259 sind nur solche, bei denen die Vortat mit der Verletzung der V e r m ö g e n s r e c h t e eines anderen verbunden ist. Daher gibt es l ) § 288 StGB-Entw. i960 sieht eine besondere Strafvorschrift gegen „Beteiligung an der Beute" vor: „Hat jemand einen Erlös aus einer Sache erzielt, die er gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, so wird wie ein Hehler . . . bestraft, wer mit Einwilligung des Vortäters sich oder einem Dritten aus dem Erlös in verwerflicher Weise einen Vermögensvorteil verschafft."

Schöffengericht — Strafzumessung, Rechtsmittelverzicht

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z.B. keine Hehlerei an den durch Betteln erlangten Sachen oder an dem vom Jagdausübungsberechtigten unter Verletzung der Schonzeitvorschriften erlegten Wild (RGSt. 6, 2 1 8 ; 7, 9 1 ; 70, 385). Hätte Goldhelm die ihm verkauften Stücke weiterverkauft, so hätte Glücksmann sie, weil sie ihm unfreiwillig abhanden gekommen sind (§ 935), von jedem (auch gutgläubigen) Erwerber vindizieren können, falls er vor Ablauf der Ersitzungszeit (§§ 937, 941, 943) ausfindig gemacht werden konnte. Glücksmann hätte aber auch von dem Juwelier den durch Weiterveräußerung erzielten Kaufpreis aus § 8161 S. 1 beanspruchen können, indem er die Weiterveräußerung genehmigte. Außerdem hätten ihm natürlich die Schönhals und Liebrecht fur allen Schaden gehaftet. Die gesamte Diebesbeute ist hier zur Stelle, da Goldhelm die Stücke herausgegeben und die Polizei alles andere als Beweismittel beschlagnahmt hat (S. 786); diese Sachen werden nach Abschluß des Strafverfahrens ohne förmliches Verfahren an Glücksmann herausgegeben ( § 1 1 1 StPO). Bei Bemessung der Strafe für die Schönhals ist strafmildernd zu berücksichtigen, daß sie bisher unbestraft ist, ferner, daß sie, nachdem sie schon lange verlobt ist und wegen -wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihres Verlobten keine Aussicht zum Heiraten gesehen hatte, in dem Bestreben handelte, die Möglichkeit der Verheiratung zu schaffen; schließlich, daß dem Bestohlenen kein Schaden entstanden und der dem Juwelier entstandene Schaden verhältnismäßig gering ist. Andrerseits hat sie gegen Glücksmann einen groben Vertrauensbruch begangen und durch Vortäuschung des Einbruchs erhebliches verbrecherisches Raffinement bewiesen. Darum erkennt das Gericht wegen des Diebstahls auf 2, wegen der Unterschlagung auf 5 Monate, wegen des Betrugs auf 1 Monat Gefängnis und wegen des Vergehens nach § 145 d auf 100 D M Geldstrafe, ersatzweise 10 Tage Gefängnis. Die Freiheitsstrafen nach §74 S t G B zu einer Gesamtstrafe von 6 Monaten zusammengezogen, deren Vollstreckung mit der Auflage, den durch die Tat dem Goldhelm verursachten Schaden wieder gut zu machen, zur Bewährung ausgesetzt wird. Liebrecht erhält an Stelle einer verwirkten Freiheitsstrafe von 2 Wochen eine Geldstrafe von 175 D M (§§ 27b, 2 7 c Abs. 2 StGB). „Es wurde das Urteil durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts dahin verkündet: Die Angeklagte Schönhals wird wegen eines Diebstahls, einer Unterschlagung, eines Betrugs und wegen einer Vortäuschung einer Straftat zu einer Gesamtstrafe von 6 Monaten Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 100 DM, an deren Stelle im Nichtbeitreibungsfall 10 Tage Gefängnis treten, verurteilt. Die Vollstreckung der Gefängnisstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte Liebrecbt wird wegen Hehlerei anstelle einer verwirkten Strafe von z Wochen Gefängnis zu einer Geldstrafe von 175 DM verurteilt. Die Kosten des Verfahrens fallen den Angeklagten zur Last. Es wurde ferner folgender Beschluß verkündet: Die Bewährungszeit für die Angeklagte Stbönbals wird auf 3 Jahre festgesetzt. Es wird ihr zur Auflage gemacht, den dem Juwelier Goldhelm in Hannover zugefugten Schaden wiedergutzumachen und zwar durch Zahlung von 150 DM an Goldbelm. Die Zahlung hat in monatlichen Raten von 20 DM, beginnend mit dem 1. des auf den Eintritt der Rechtskraft des Urteils folgenden Monats zu erfolgen. Die Angeklagten wurden über die gegen das Urteil zustehenden Rechtsmittel belehrt. Die Angeklagte Sehänbals wurde weiter über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung, die Bewährungszeit und die Bewährungsauflagen belehrt. Es wurde die sofortige Freilassung beider Angeklagten angeordnet. Richter Urhmd." „Um 11 Uhr 35 Minuten vormittags verzichteten die Angeklagten auf Einlegung eines Rechtsmittels. Urktmd." 57

L u x , Schulung 5. Aufl. (Schäfer)

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Schöffengericht — Urteil in einer Bestechungssache

Wegen der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung vgl. S. 797, wegen der im Jugendstrafverfahren S. 918, wegen der verfahrensrechtlichen Behandlung S. 924. Die Rechtsmittelbelehrung erstreckt sich nur auf die Anfechtung des Urteils, nicht auf die des nach § 305 a StPO mit der einfachen Beschwerde anfechtbaren Beschlusses über die Dauer der Bewährungszeit und die Bewährungsauflage (vgl. § 3 5 a StPO: Rechtsmittelbelehrung nur bei Entscheidungen, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden können). Der Rechtsmittelverzicht ist schriftlich oder zu Protokoll eines Urkundsbeamten zu erklären (Löwe-Rosenberg-Jagusch [20] 4a zu § 302.) Er hat die Wirkung, daß vom Zeitpunkt des Verzichts ab die Haft des in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten unverkürzt auf die erkannte Freiheitsstrafe angerechnet wird (§ 450 StPO). Verzichtet auch die Staatsanwaltschaft auf Berufung, so kann der Richter das Urteil nach § 2Ö7IV StPO als „Kurz-Urteil" absetzen. Das Schnellverfahren entspricht dem volkstümlichen Justizideal, dem Angeklagten spart es Untersuchungshaft und ist auch für ihn besonders eindrucksvoll. Doch darf es nicht überstürzt angewandt werden. Vor allem darf unter dem Streben nach Beschleunigung die Verteidigung des Beschuldigten nicht leiden (Nr. 129 1 RiStV 1953). Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Schnellverfahren: oben S. 827. Daß das Schnellgericht die erforderlichen Feststellungen — zur Schuld- und Straffrage — mit gleicher Sorgfalt zu treffen hat, wie der Richter des ordentlichen Verfahrens, versteht sich von selbst. Urteil in einer Beamtenbestechungssache. „Geschäftsnummer: 1 1 (7) L s 69/60. I m N a m e n des V o l k e s ! In der Strafsache gegen 1. den Lademeister Ludwig Holm in Hannover , geboren in Bunzlau am i. März 1 9 1 5 , 2. den Kaufmann Peter Edlich in Hannover geboren in Marienburg am 28. August 1918, wegen Bestechung hat das Schöffengericht in Hannover in der Sitzung vom an welcher teilgenommen haben: 1. Amtsgerichtsrat Richter als Vorsitzender, 2. Schlossermeister Hartmann 1 ^ Schöffen 3. Oberschwester Weichmann J ' Staatsanwalt Scharf als Beamter der Staatsanwaltschaft Justizsekretär Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle für Recht erkannt: Die Angeklagten werden freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Gründe. Der Angeklagte Edlicb ist Mitinhaber der Firma Koch &• Edlicb, Getreide- und FuttermittelGroßhandlung in Hannover, welche auf der Briegerstraße einen Speicher mit eigenem Gleisanschluß an den Güterbahnhof Hannover-Ost besitzt. Die Firma hat in ihrem Geschäftsbetrieb andauernd die Verladung ganzer Waggons auszuführen, bei der es sehr auf pünktliche Erledigung ankommt. Dabei hat sie ständig mit dem Angeklagten Holm, der auf dem Güterbahnhof Hannover-Ost, und zwar im Verladeabschnitt HI, das Amt eines Lademeisters versieht, dienstlich zu tun. Holm hat nun am 10. Dezember 1958, 27. Januar, 5. April, 17. Juli und 29. November 1959 von der Firma Koch & Edlicb je einen Sack Weizenmehl „Bäckerblume" von 50 kg geliefert erhalten. Nach den ordnungsmäßig geführten Büchern der Firma und den im Umschlag B1

Schöffengericht — Urteil in einer Bestechungssache

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der Akten befindlichen Quittungen hat er dafür 0,70 DM für das kg, also 3 5 DM für jeden Sack, in Wochenraten von 2 DM gezahlt. Der Kleinhandelspreis für solches Mehl schwankte z. Z. der Lieferungen zwischen 0,90 und 0,92 DM für das kg, bei Abnahme ganzer Säcke bis 2 Pfennige weniger. Im Großhandel wurden 0,75 bis 0,76 DM gerechnet und zu diesem Preise haben Koch & Edlicb ausweislich ihrer Bücher auch größere Mengen Weizenmehl umgesetzt. Der Ankaufspreis von Koch 316a 1 1 StGB bestimmt, und muß auch im Fall der §§ 46 Nr. 2, 310 StGB entsprechend gelten (Dalcke-F.-Schäfer [37] 5 zu § 46, 5 zu § 310); in den Fällen der §§ 158 11 , 163 1 1 StGB findet dieser Grundsatz jedoch keine Anwendung. Der Berichterstatter: Sie haben völlig Recht; der Verteidiger verkennt die Bedeutung der Worte in § 1 j 8 1 1 : „wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann". Der Sinn dieser Voraussetzung für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs, die erst bei der Neufassung des § 158 durch die V O vom 29. Mai 1943 ( R G B l I 339) den 3 übrigen Rechtzeitigkeitsvoraussetzungen hinzugefügt wurde, geht dahin, daß spätestens mit dem Ergehen einer die Instanz abschließenden (wenn auch mit Rechtsmitteln anfechtbaren) Entscheidung der Widerruf erfolgt sein muß. Der Gesetzgeber wollte, auf die vorangegangenen Strafgesetzentwürfe zurückgreifend, die eine entsprechende Regelung vorsahen (vgl. § 190 StGB-Entw. 1927), eine eindeutige zeit-

Strafkammer — Entschädigung fiir unschuldig erlittene Untersuchungshaft

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liehe Grenze für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs ziehen, ohne daß es darauf ankommt, ob die ergangene Entscheidung zum Vorteil oder zum Nachteil der Partei lautet und ob sie durch die falsche Aussage beeinflußt ist. Ganz unwesentlich ist also, ob die Berichtigung im Einzelfall für die Entscheidung von Bedeutung ist, wie ja auch die Strafbarkeit des Meineids und des fahrlässigen Falscheids nicht davon abhängt, ob die falsche Aussage einen für die Entscheidung wesentlichen Punkt betrifft. Die abstrakte Gefahr, daß auf eine falsche Aussage hin ein unrichtiges Urteil ergehen kann, bildet den Grund für die Bestrafung (uneidlicher oder eidlicher) falscher Aussagen; in gleicher Weise kommt es in § 158 1 1 auf die abstrakte Verwertbarkeit der Berichtigung, d. h. darauf an, ob sie so rechtzeitig eingeht, daß aus ihr noch Folgerungen für die zu treffende Entscheidung gezogen werden könnten, wenn sie etwas für die Entscheidung Erhebliches enthielte. In unserem Fall wird ein freisprechendes Urteil verkündet, worin die Kosten und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden (§§ 467 1 , 468 11 S. 2). Ferner wird durch verkündeten Beschluß der Haftbefehl aufgehoben (§ 123 1 ) und durch nicht verkündeten Beschluß, der erst nach Rechtskraft des freisprechenden Urteils zugestellt wird, dem Angeklagten ein Anspruch auf Entschädigung aus der Staatskasse für den durch die Untersuchungshaft entstandenen Vermögensschaden zugesprochen (§§ i 1 , 3, 4 des Ges. betr. die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. Juli 1904 (RGBl 321) i. d. F. des Ges. vom 24. November 1933 (RGB111000). Nach diesem Gesetz, das dem Ges. betr. die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898 (vgl. S. 945) weitgehend nachgebildet ist, wird einem Freigesprochenen oder durch Gerichtsbeschluß außer Verfolgung Gesetzten — Außerverfolgungsetzung ist hier nicht im technischen Sinn (§ 198 1 StPO) gemeint, sondern umfaßt auch die Fälle, in denen ohne vorausgegangene Voruntersuchung die Eröflnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird (§ 204) — Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft gewährt, wenn das Verfahren seine „Unschuld" ergeben oder „dargetan" hat, daß „gegen ihn ein begründeter Verdacht nicht vorliegt" (§ i 1 ). Hatte er die Verhaftung vorsätzlich herbeigeführt oder grob fahrlässig verschuldet, so ist der Anspruch ausgeschlossen (§ 2 1 ). Die „Unschuld" hat sich auch ergeben, wenn das Gericht zwar die Verwirklichung des äußeren Tatbestandes als erwiesen ansieht, den Angeklagten aber freispricht, weil seine Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit feststeht; nur wenn die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt angeordnet wird (§ 42 b StGB) oder wenn die Tat in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch begangen ist, kann der Anspruch versagt werden (§§ i m , 2 1 1 ). Ist es zu einem Urteil oder einer „Außerverfolgungsetzung" nicht gekommen, weil die Staatsanwaltschaft schon aus den Gründen des § 1 1 das Verfahren eingestellt hatte (§ 170 11 ), so findet das Entschädigungsgesetz keine Anwendung; wohl aber kann hier aus Billigkeitsgründen im Justizverwaltungswege eine Entschädigung gewährt werden; dies ist in den oben S. 971 angeführten inhaltlich übereinstimmenden Verwaltungsvorschriften der Länder vorgesehen. Der Referendar: Ich finde, daß der Angeklagte, was die Entschädigungsfrage anlangt, Glück gehabt hat. Wäre es, womit sein Verteidiger rechnete, so ausgegangen, daß er des fahrlässigen Falscheids wegen übereilter Aussage schuldig befunden, aber wegen rechtzeitiger Berichtigung von Strafe abgesehen worden wäre, dann hätte er nichts bekommen können. Der Berichterstatter: Das wäre aber doch gerechtfertigt gewesen, weil Hofrichters Schuld ausgesprochen worden wäre. Der Referendar: Ja, aber ich finde, daß der Gesetzgeber nicht ganz folgerichtig verfahren ist. Mit der Inaussichtstellung von Straflosigkeit bei tätiger Reue will der

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Strafkammer — Entschädigung flir unschuldig erlittene Untersuchungshaft

Gesetzgeber dem Täter eine „goldene Brücke" bauen. Betritt der Täter diese Brücke, so müßte doch eigentlich die Wirkung immer die gleiche sein. Warum sieht der Gesetzgeber einmal in der tätigen Reue einen Strafaufhebungsgrund, der zum Freispruch führt, so daß, wie mir scheint, § i des Entschädigungsges. von 1904 Anwendung finden kann, während er in den anderen Fällen nur ein Absehen von Strafe zuläßt, so daß § 1 unanwendbar ist ? Der Berichterstatter: Ich kann nicht einsehen, daß der Gesetzgeber unsystematisch verfahre. Aus kriminalpolitischen Gründen knüpft er in einzelnen Fällen an die tätige Reue zwingend die völlige Befreiung von der bereits verwirkten Strafe (so §§ 46 Nr. 2, 49a 1 1 1 , 49b 1 1 1 , i29 I V ; s. oben S. 959). Dann liegt allerdings ein Strafaufhebungsgrund vor und das Urteil muß auf Freisprechung, d. h. auf die Feststellung lauten, daß ein staatlicher Strafanspruch aus materiellrechtlichen Gründen nicht besteht, weil er wieder erloschen ist, während bei bloßen Verfolgungshindernissen, die den materiellen Strafanspruch unberührt lassen, auf Einstellung zu erkennen ist. In anderen Fällen stellt der Gesetzgeber es nur in das Ermessen des Gerichts, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen. Hier ist ersichtlich der Strafanspruch nicht untergegangen; das Absehen von Strafe bedeutet hier nur, daß die Schuld als so gering (geworden) angesehen werden darf, daß die Unterlassung einer Bestrafung verantwortet werden kann, nicht anders, als wenn bei von vornherein geringer Schuld und unbedeutenden Tatfolgen teils im sachlichen Recht das Absehen von Strafe (vgl. z. B. §§ 129 1 1 1 , 129a 1 1 , 1 7 5 n , 199, 233 StGB), teils im Verfahrensrecht die Einstellung des Verfahrens durch Strafverfolgungsbehörde oder Gericht (§§ 153, 153a StPO) vorgesehen ist. Ein solches Absehen von Strafe geschieht in der Hauptverhandlung durch Urteil und zwar in der Form, daß mit dem Absehen von Strafe die Schuldigsprechung zu verbinden ist (§ 2ÖoIV S. 2 StPO). Die Aufhebung des Haftbefehls kann die Staatsanwaltschaft mit der (einfachen) Beschwerde angreifen (§ 3041). Der Beschluß über die Haftentschädigung ist sowohl im Falle der Bewilligung wie der Ablehnung jeder Anfechtung entzogen (§ 4 1 1 1 S. 2 Ges.). Nicht berührt durch das Entschädigungsgesetz wird die Möglichkeit, daß ein durch Verschulden des Gerichts zu Unrecht Verhafteter im Wege der Amtshaftungsklage (§ 839 BGB, Art. 34 G G ) Schadensersatz begehrt. Während aber die Entschädigungspflicht nach den Gesetzen von 189g und 1904 von der Schuldfrage unabhängig ist, setzt die Amtshaftungsklage den Nachweis des Verschuldens der beim Erlaß des Haftbefehls tätigen Richter voraus (bei Ermessensentscheidungen Haftung nur wegen Ermessensmißbrauchs, R G Z 135, 110). Das Privileg des Spruchrichters (§ 839 1 1 S. 1 BGB) steht dem Richter, der einen Haftbefehl erlassen hat, nicht zu, weil Haftbefehle keine „Urteile" im Sinne dieser Vorschrift darstellen (RG 116, 90). War im Laufe des Verfahrens eine Beschlagnahme angeordnet und durchgeführt, so bildet die Amtshaftungsklage überhaupt die einzige Möglichkeit, Ersatz für den entstandenen Schaden zu erlangen. „Urteil" im Sinne von § 839 1 1 S. 1 ist auch die Beschlagnahmeordnung nicht. Nach anderer Auffassung — so Koch J R 59, 293 — besteht bei objektiv ungerechtfertigter Beschlagnahme ein Entschädigungsanspruch gegen den Staat in entsprechender Anwendung des Art. 14 G G (s. auch § 19 des Hess. Presseges. i.d.F. vom 20. November 1958, GVBL S. 153, betr. Entschädigung bei objektiv ungerechtfertigter Beschlagnahme von Presseerzeugnissen).

23. Kapitel

Beim Arbeitsgericht Urteil über Tarifansprüche Im Namen des Volkes! Geschäftszeichen: 2 Ca 526/58

Verkündet am 10. 10. 1958 Urkund als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

Urteil In dem Rechtsstreit des Kaufmannes Paul Habermutb, Düsseldorf, Duisburger Str. 25, Klägers Prozeßbevollmächtigter: RA. Dr. Weißviel, Düsseldorf gegen den unter der Firma E. Kurtwig handelnden Kaufmann Emil Kurtwig, Solingen, Auf dem Plan 12, Beklagten Prozeßbevollmächtigter: Syndicus Dr. Hurtig, Einzelhandelsverband Köln e. V .

Nach dem A r b G G 1926 waren Rechtsanwälte von der Vertretung vor den Arbeitsgerichten in erster Instanz völlig ausgeschlossen. Dieser Rechtszustand galt auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 21 bis 1953. Erst durch das Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. 9. 1953 (i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 2. 12. 1955, B G B l I 1953 S. 1267; 1955 S. 743) wurden Anwälte auch in erster Instanz beschränkt zugelassen. Nach § 1 1 ArbGG sind Rechtsanwälte nur zugelassen, wenn die Wahrung der Rechte der Parteien dies notwendig erscheinen läßt. Über die Zulassung entscheidet zunächst der Vorsitzende des Arbeitsgerichts allein. Bei Ablehnung durch den Vorsitzenden kann die Partei die Entscheidung der Kammer des Arbeitsgerichts (besetzt mit dem Vorsitzenden und je einem Beisitzer aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen) beantragen, die dann endgültig entscheidet. Erreicht der Streitwert mindestens 300 DM, sind Rechtsanwälte jedoch stets zugelassen. Die Zulassung der Anwälte bei einem Streitwert von mindestens 300 D M beruht darauf, daß in solchen Fällen die Urteile stets berufungsfähig sind und in 2. Instanz Vertretungszwang besteht. Ein Anwalt soll aber den Rechtsstreit auch schon in 1. Instanz führen können, wenn er ihn in 2. Instanz führen muß. Beträgt der Streitwert weniger als 300 DM, muß zunächst die Partei die Klage und auch den Antrag auf Zulassung einreichen. Ein Anwalt ist bis zur Zulassung nicht postulationsfähig, so daß er eine Klage nicht wirksam erheben kann. Da der Streitwert erst im Urteil festzusetzen ist ( § 6 1 II ArbGG), muß das Gericht zu erkennen geben, ob es die Zulassung für erforderlich hält oder nicht, wenn die Höhe des Streitwertes nicht feststeht (z. B. in einem Zeugnisstreit oder für einen Feststellungsantrag). Es empfiehlt sich, in Zweifelsfällen den Antrag auf Zulassung vorsorglich stellen zu lassen. Die Zulassung kann aber auch stillschweigend erfolgen, so schon durch Anberaumung eines Termins auf die von einem Anwalt eingereichte Klage. Sind Anwälte zugelassen, bleibt die Vertretungsbefugnis auch dann bestehen, wenn die Voraussetzungen später entfallen, also beispielsweise der Streitwert durch teilweise Erledigung während des Prozesses oder Teilvergleich unter 300 D M sinkt (Ausnahme: Willkürliche Zuvielforderung, um die Zulassungsgrenze zu überschreiten). Zulassung des Anwalts einer Partei bewirkt, daß sich auch der Gegner durch Anwalt vertreten lassen kann. Nach § 1 1 a A r b G G hat sogar die Gegenpartei einen 6z* (Neumann)

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Arbeitsgericht — Vertretung vor Arbeitsgerichten

Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Armenrecht, wenn der Gegner durch Anwalt vertreten ist, sie selbst arm in Sinne dieser Vorschriften ist und nicht durch einen Sozialpartner vertreten werden kann. Die Beiordnung kann aber unterbleiben, wenn sie aus besonderen Gründen nicht erforderlich oder die Rechtsverfolgung offensichtlich mutwillig ist (also nicht nur keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat!). Neben Anwälten können Vertreter von Gewerkschaften oder von Arbeitgeberverbänden und ihren Spitzenorganisationen vor den Arbeitsgerichten auftreten. Sie müssen kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sein und dürfen nur für die Verbände, Spitzenorganisationen oder deren Mitglieder auftreten. Sind sie nebenher Rechtsanwalt, dürfen sie nur dann auftreten, wenn sie auch als Rechtsanwälte auftreten dürften. Die gleiche Befugnis haben Vertreter von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung. Sie unterscheiden sich von den Gewerkschaften insbesondere dadurch, daß sie nicht tariffähig zu sein brauchen. (Dazu gehören aber z. B. nicht Kriegsopferverbände, weil sie nicht nur Arbeitnehmer umfassen). Nachdem sich die christlichen Arbeitnehmervereinigungen zum „Bund der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands" zusammengeschlossen haben, dürfte dieser Vorschrift nicht mehr die bisherige Bedeutung zukommen, weil es sich jetzt um echte Gewerkschaften handelt. Sonstige Personen, die die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, insbesondere also Prozeßagenten, sind von der Vertretung vor den Gerichten für Arbeitssachen völlig ausgeschlossen. Es ist auch nicht möglich, solchen Personen das mündliche Verhandeln vor Gericht zu gestatten oder eine dahingehende Anordnung zu treffen (§ 157 III ZPO ist in § 1 1 III A r b G G nicht aufgeführt). In 2. Instanz müssen sich die Parteien vor den Landesarbeitsgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. An ihrer Stelle kann ein Vertreter einer Gewerkschaft, eines Arbeitgeberverbandes oder einer Spitzenorganisation (aber nicht einer sozialoder berufspolitischen Vereinigung) auftreten. Vor dem Bundesarbeitsgericht gilt Anwaltszwang. Vor den Landesarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht kann jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Anwalt auftreten. wegen Gehaltsforderung hat das Arbeitsgericht Köln auf die mündliche Verhandlung vom 10. 10. 1958 durch den Arbeitsgerichtsrat Dr. Richter als Vorsitzenden und die Arbeitsrichter Hellwtg und Pietsch als Beisitzer für Recht erkannt: 2

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 298,10 D M (i. W.) nebst 4 % Zinsen seit dem 5- 9- 1958 zu zahlen. Im übrigen wird der Kläger abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden zu dem Beklagten, Zu 1 / 7 dem Kläger auferlegt. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 348 D M festgesetzt. Der Betrag der Gerichtsgebühr wird mit 12 D M festgestellt. Tatbestand.

Durch schriftlichen Vertrag vom 28. 3. 1958 hat der Beklagte die kinderlose Witwe des Grundstücksvermittlers Fritz Laufer, Frau Selma Laufer geb. Mix vom 1. 4. 1958 ab als Leiterin seiner neu errichteten Filiale in Solingen angestellt und ihr als Vergütung unter Ausschluß fester Bezüge 10% Umsatzprovision für verkaufte Plattenspieler und Tonbandgeräte und 5 % der verkauften Schallplatten und Radioartikel zugesichert. Dem Kläger steht gegen die Eheleute Laufer eine rechtskräftig festgestellte Darlehensforderung von 1000 D M nebst Zinsen und Kosten zu. Gemäß Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 26. 6. 1958, zugestellt am 29. 6. 1958, sind dem Kläger die angeblichen gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen der Schuldnerin an den Beklagten auf Zahlung aller Bezüge an Arbeitseinkommen nach näherer Maßgabe des Beschlusses

Arbeitsgericht — Beschränkung der Vertragsfreiheit

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Hier sind im Beschluß die Vorschriften der §§ 850a, 850c Z P O inhaltlich wiederholt, eine erneute Darstellung des Gesetzestextes erübrigt sich. Nach 5 8 5 0 c Abs. 2 Z P O i. d. F. des Gesetzes vom 26. 2. 1959 genügt auch im Beschluß die Bezugnahme auf die dem Gesetz beigefügte Pfändungstabelle. gepfändet und dem Kläger zur Einziehung überwiesen. Wie nach Vorlage der Lohnkarten der Beklagten unter den Parteien unstreitig geworden ist, hatte nach Abzug der Lohnsteuer sowie der Beiträge zur Sozialversicherung die Schuldnerin Frau Lauf er folgende Provisionsansprüche: April 250,50 DM Mai 220,80 DM Juni 230,30 DM Juli 290,40 DM August 205,30 DM September 280,50 DM. Ausgezahlt wurden an Frau Lauf er folgende Nettobeträge: April 290,— DM Mai 290,— DM Juni bis zur Pfändung 300,— DM Juli 200,— DM August 200,— DM September 197,80 DM. Die Beträge von April bis Juni sind in ungleichmäßigen Raten ausgezahlt. Frau Laufer hat darüber jedesmal Erklärungen nach folgendem Muster unterschrieben: „Schuldschein: Hierdurch bekenne ich, von der Fa. E. Kurimg den Betrag von DM erhalten zu haben, der bei der nächsten Provisionszahlung zu verrechnen ist." Ferner hat Frau Laufer am Ende eines jeden Monats — auch nach der Pfändung — eine Ausgleichsquittung unterschrieben, wonach sie erklärt, daß sie die ihr zustehenden Beträge ordnungsgemäß empfangen und keine weiteren Ansprüche gegen die Fa. E. Kurtwig habe. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Beklagten am 12. 8. 1958 zum 30. 9. 1958 gekündigt. Seit dieser Zeit ist die Schuldnerin nicht mehr für den Beklagten tätig. Der Kläger behauptet, daß der schriftliche Anstellungsvertrag unvollständig sei. Daneben wäre mündlich eine Mindestvergütung von 350,— DM brutto = 310,50DM netto monatlich vereinbart worden. Deshalb seien bis zur Zustellung des Pfändungsbeschlusses Beträge ausgezahlt worden, die die Monatsprovision erheblich überschritten und nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge etwa 300,— DM monatlich ausmachten. Außerdem stünde Frau Lauf er nach dem allgemeinverbindlichen Lohntarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 16. 4. 1958 in Ortsklasse I als Filialleiterin ein Monatsgehalt von 340,— DM brutto = 301,— DM netto zu, da es sich um eine Verkaufsstelle mit 5 bis 6 Arbeitnehmern gehandelt habe (Gehaltsgruppe 4). Die Vertragsfreiheit beherrscht zwar auch das Arbeitsrecht. Nach wie vor muß •der Arbeitsvertrag als Teil des Dienstvertragsrechts und damit des Schuldrechts des B G B angesehen werden. Zahlreiche Sondervorschriften schränken zwar die Dispositionsfreiheit ein, im Kern bleibt aber der Arbeitsvertrag ein gegenseitiger schuldrechtlicher Vertrag. Neben den Sonderbestimmungen in H G B , G e w O , der vorläufigen Landarbeitsordnung und der Handwerksordnung sind es vor allem die arbeitsrechtlichen Sondervorschriften, die ähnlich wie im Mietrecht Einschränkungen der Vertragsfreiheit mit sich bringen. E s hat sich herausgestellt, daß der Arbeitnehmer als der wirtschaftlich schwächere Teil des Arbeitsverhältnisses eines besonderen Schutzes bedarf. Neben diesem staatlichen Schutz, der in unserem sozialen Rechtsstaat auch verfassungsmäßig garantiert ist, haben sich schon frühzeitig die Arbeitnehmer selbst .zusammengeschlossen, um als Gesamtheit der wirtschaftlichen Machtstellung der

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Arbeitsgericht — Tarifvertragsrecht

Unternehmer entgegenzutreten. Sie schlössen (schon 1873, Buchdruckertarif) Kollektiwereinbarungen, in denen die Arbeitsbedingungen niedergelegt und der Arbeitslohn als Mindestlohn festgelegt wurden. Zunächst hatten diese zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen T a r i f v e r t r ä g e keine gesetzliche Grundlage. Die TarifvertragsVO vom 23. 12. 1918 legte jedoch bereits die automatische und zwingende Wirkung ( U n m i t t e l b a r k e i t und U n a b d i n g b a r k e i t ) fest. Außerdem sah sie die Möglichkeit vor, Tarifverträge für a l l g e m e i n v e r b i n d l i c h zu erklären, d. h. ihre Wirkung auch auf Außenseiter, die nicht Mitglieder der Tarifvertragsparteien waren, zu erstrecken. Diese vorläufige Regelung (Neufassung durch V O vom 28. 2. 1928) wurde von Rechtsprechung und Wissenschaft weiterentwickelt und zu einem System des Tarifvertragsrechts ausgebaut. 1933 wurde diese Entwicklung jedoch durch Auflösung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterbrochen. Eine Zeitlang wurden sie durch die Treuhänder der Arbeit sozusagen treuhänderisch ersetzt. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 beseitigte dann die Tarifverträge und setzte an ihre Stelle staatliche Rechtsverordnungen, die Normen objektiven Rechts setzten und als T a r i f o r d n u n g e n von den staatlichen Beamten der Treuhänder der Arbeit erlassen wurden. An die Stelle der kollektiven Selbstbestimmung trat die staatliche Regelung für alle Arbeitnehmer des betreffenden Geltungsbereiches. Zwar sollten ursprünglich die B e t r i e b s o r d n u n g e n im Vordergrund stehen, die vom Betriebsführer erlassen wurden und insbesondere auch den Lohn als Mindestbedingung regeln sollten. Nur wenn zum Schutze der Beschäftigten die Festsetzung von Mindestbedingungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse zwingend geboten war (§32 Abs. 2 AOG), konnte der Treuhänder nach Beratung mit einem Sachverständigenausschuß eine Tarifordnung erlassen, deren Bestimmungen als Mindestbedingungen rechtsverbindlich waren. Mit der immer weiter forschreitenden Regelung aller Wirtschaftsvorgänge durch den Staat wurden jedoch die Tarifordnungen in der Praxis ein Instrument staatlicher Lohnregelung, von denen der weitaus größte Teil der Arbeitnehmer erfaßt wurde. Schließlich wurde dem Treuhänder für Arbeit durch die V O über die Lohngestaltung vom 25. 6. 1938 mit D V O vom 23. 4. 1941 sogar die Befugnis gegeben, die Löhne in den Tarifordnungen als Höchstlöhne zu erklären, womit jede einzelvertragliche Lohnabrede ausgeschlossen wurde. Nach 1945 bestanden die Tarifordnungen fort, auch nach der Aufhebung des A O G durch Kontrollratsgesetz Nr. 40 mit Wirkung vom 1. 1. 1947. Der Erlaß neuer Tarifordnungen war nicht mehr möglich, wohl aber der Abschluß von Tarifverträgen zwischen den sich neu bildenden Sozialpartnern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine Rechtsgrundlage fehlte zunächst noch, man griff auf die von der Rechtslehre und Rechtsprechung vor 193 3 entwickelten Grundsätze zurück. Zunächst behinderte auch noch der geltende L o h n s t o p den Abschluß frei vereinbarter Tarifverträge, bis das Gesetz über die Aufhebung des Lohnstops vom 3. 1 1 . 1948 ab 10. 1 1 . 1948 volle Vertragsfreiheit herstellte. Mit dem Tarifvertragsgesetz vom 9. 4. 1949 (WiGBl S. 5 5) wurde dann die neue Rechtsgrundlage für den Tarifvertrag geschaffen. Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält R e c h t s n o r m e n , die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln können (§ 1 T V G ) . Damit ist gesetzlich die normative Wirkung der Tarifbestimmungen festgelegt. Dies führt gleichzeitig dazu, daß Tarifnormen als Rechtsnormen revisibel sind ( § 7 3 ArbGG). Tarifgebunden sind aber nur Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Tarifpartei ist (§ 3). Es besteht jedoch die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären

Arbeitsgericht — Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung

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(§ 5 T V G ) und damit auch Außenseiter in seinem Geltungsbereich zu erfassen. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine im Verwaltungsrechtsweg nicht anfechtbare Rechtsverordnung (BVerwG vom 6. 6. 1958 — A P Nr. 6 zu § 5 TVG), a. M. die herrschende Lehre des Arbeitsrechts, die einen Verwaltungsakt annimmt. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten unmittelbar und zwingend für die Tarifgebundenen als Mindestvorschriften. Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung tariflicher Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte müssen im Tarifvertrag vereinbart werden (§ 4 TVG). Die bestehenden Tarifordnungen werden durch Tarifverträge ersetzt (§9 T V G ) , so daß heute Tarifordnungen teilweise auf solchen Gebieten bestehen, die noch nicht durch Tarifvertrag geregelt sind. Diese fortgeltenden Tarifordnungen haben weiterhin die Wirkungen der Rechtsverordnung, gelten also insbesondere auch für Außenseiter. Ein Tarifvertrag hebt aber eine Tarifordnung vollständig auf, soweit er eine neue Regelung setzt, also auch soweit er bestimmte Fragen nicht mehr regeln will. Die Tarifordnungen gelten dann auch nicht mehr für Außenseiter. Während die Tarifordnungen als staatliches Recht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, prüfen die Gerichte für Arbeitssachen nicht von Amts wegen, ob ein Arbeitsverhältnis von tariflichen Normen beherrscht wird. Ergibt sich jedoch aus dem Parteivorbringen, daß tarifliche Normen erheblich sein können, ist der Inhalt dieser Normen nach § 239 ZPO zu ermitteln (BAG vom 29. 3. 1957 — A P Nr. 4 zu § 4 T V G TarifKonkurrenz). Das Gericht muß auch von Amts wegen feststellen, ob ein Tarifvertrag allgemeinverbindlich ist. Neben dem Tarifvertrag spielt die Betriebsvereinbarung heute keine so ausschlaggebende Rolle mehr. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezieht sich zwar zwingend ebenfalls auf sonst arbeitsvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen, z. B. Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen, Zeit und Ort der Lohnzahlung, Aufstellung des Urlaubsplans, Regelung von Akkord- und Stücklohnsätzen (§ 56 Betriebsverfassungsgesetz vom 1 1 . 10. 1952, BGBl. I. S. 681). Eine Einschränkung besteht jedoch darin, daß ein Mitbestimmungsrecht nur gegeben ist, wenn eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Vor allem sind auch nur fakultative Betriebsvereinbarungen dann nicht zulässig, soweit Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, es sei denn, daß ein Tarifvertrag ergänzende Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zuläßt ( § 5 9 BetrVG). Danach ist eine Lohnregelung durch Betriebsvereinbarung praktisch ausgeschlossen, weil nach überwiegender Meinung diese Einschränkung auch für Außenseiter und bei tariflosem Zustand gilt. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht weiter bei Einstellung und Versetzung und in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Bei Kündigungen hat er ein Anhörungsrecht. W e i t e r e E i n s c h r ä n k u n g e n der V e r t r a g s f r e i h e i t i m A r b e i t s r e c h t : Obwohl grundsätzlich der Arbeitgeber einen freien Arbeitsplatz mit einem frei ausgewählten Arbeitnehmer besetzen kann, bestehen arbeitsrechtliche Beschränkungen negativ durch Abschlußverbote und positiv im Sinne eines Abschlußzwangs. Es gibt öffentlich-rechtliche Einstellungsverbote, z. B. für Beamte das Verbot von Nebentätigkeiten (§§ 64fr. BBG). Unzuverlässigen Personen kann eine leitende und beaufsichtigende Tätigkeit in Gaststätten verboten werden ( § 1 7 Abs. 1 Gaststättengesetz). Sehr zahlreich sind die Beschäftigungsverbote für Frauen ( § 1 6 A Z O ) in Bergwerken, Salinen, Kokereien, bei Bauarbeiten, vor und nach der Niederkunft (§§ 3, 4 MuSchG), als Führerinnen von Schienenfahrzeugen, Omnibussen und L K W . Beschäftigungsverbote bestehen weiter für Kinder (§7 JArbSchG),für Jugendliche bei

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Arbeitsgericht — Abschlußgebote . Darlehen

gefährlichen Arbeiten (§ 37 JArbSchG). Ausländer bedürfen einer Arbeitserlaubnis; ohne diese Erlaubnis dürfen Ausländer nicht beschäftigt werden ( § 4 3 A V A V G ) . Abschlußgebote gelten für Schwerbeschädigte nach dem Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 16. 6. 195 3 (BGBl. I S. 389). Werden die danach vorgeschriebenen Pflichtquoten nicht erfüllt und nicht genügend Schwerbeschädigte beschäftigt, ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. U. U. kann sogar eine Z w a n g s e i n s t e l l u n g erfolgen (§ 10 SchwBeschG). Durch Zustellung des Einstellungsbeschlusses des Landesarbeitsamtes gilt ein Arbeitsvertrag als geschlossen, dessen Inhalt vom Landesarbeitsamt bestimmt wird oder sich nach kollektivem Recht richtet. Dieses durch staatlichen Verwaltungsakt begründete Arbeitsverhältnis ist jedoch ein privatrechtliches Verhältnis, der Arbeitsvertrag bleibt ein schuldrechtlicher Vertrag. Einen gleichartigen Einstellungszwang kennt das Gesetz über einen Bergmannsversorgungsschein in Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 9 . 1 . 1 9 5 8 (GVB1. S. 14) im § 8. Weiter haben Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung einen Anspruch auf Einräumung des früheren oder eines gleichwertigen Arbeitsplatzes (Bundesentschädigungsgesetz i. d. F. vom 29. 6. 1956, BGBl. 1,562, § 89), im öffentlichen Dienst besteht Anspruch auf bevorzugte Einstellung (BWGöD v. 1 1 . 5. 1951 i. d. F. v. 10. 10. 1957/BGBl. I, 1951, 291, 1957, 1703). Unter besonderen Umständen kann sich ein Anspruch auf Einstellung auch aus dem Gesetz zu Art. 131 G G ergeben (i. d. F. vom 1 1 . 9. 1957, BGBl. I, 1296; vgl. O V G Münster DÖV 1955 S. 380). Über Kündigungsbeschränkungen vgl. den folgenden Fall. Danach aber seien zum Zeitpunkt der Pfändung noch 51,5 oDM und später monatlich 98,70 DM abzuführen gewesen. Mit der am 25. 9. 1958 zugestellten Klage beantragt der Kläger, den Beklagten zur Zahlung von 347,60 DM nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu verurteilen. Der Beklagte beantragt Klageabweisung, hilfsweise Ausschluß der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Er bestreitet die vom Kläger behauptete mündliche Abrede über eine Mindestlohngarantie. Da er mit Fritz Läufer befreundet gewesen sei, habe er die völlig mittellose Witwe in seiner Filiale versuchsweise beschäftigt, um ihr zu helfen. Sie sei noch nie als Verkäuferin tätig gewesen und könne nur als ungelernte Kraft, allenfalls als einfache Verkäuferin angesehen werden. Insbesondere habe sie keinerlei selbständige Dispositionen getroffen, wie dies zu den Voraussetzungen für eine Bezahlung als Filialleiter gehöre, sondern streng nach seinen bzw. seines Prokuristen Weisungen gehandelt. Über das andere Personal des Zweiggeschäftes habe sie lediglich wegen ihres Alters und ihrer sozialen Stellung eine rein formale Aufsicht geführt. Der Tariflohn einer Verkäuferin im 1. Berufsjahr belaufe sich nur auf 210,— DM brutto, an Frau Lauf er sei aber erheblich mehr gezahlt worden. Darüber hinaus seien Garantiezusagen nicht gegeben worden, sein Geschäft könne auch eine so hoch bezahlte Angestellte gar nicht tragen. Deshalb habe er auch trotz der bestehenden freundschaftlichen Bindungen das Arbeitsverhältnis gekündigt, nachdem der Kläger die Pfändung ausgebracht und Ansprüche auf höheren Tariflohn geltend gemacht habe. Darüberhinaus habe Frau Laufer auf weitere Ansprüche durch Erteilung von Ausgleichsquittungen verzichtet. Soweit die gewährten Scjiuldscheindarlehen noch nicht mit Provisionen verrechnet sind, stelle er sie zur Aufrechnung. Der Kläger erwidert, daß die Zahlungen, die in den Schuldscheinen quittiert worden sind, im Hinblick auf die für Frau Laufer entstehenden Vergütungsansprüche geleistet worden seien und daher keine Darlehen, sondern Vorschüsse darstellten. Der Beklagte hätte sie nach Zustellung des Pfändungsbeschlusses vom unpfändbaren Gehaltsteil abziehen müssen und könne jetzt nicht gegen Forderungen des Klägers aufrechnen.

Ein Darlehen begründet eine selbständige Gegenforderung, die gegenüber Lohnforderungen nur im Rahmen des § 394 B G B , also nur gegenüber dem pfändbaren Teil aufrechenbar ist. Dagegen ist ein Vorschuß die im Voraus bewirkte Gegenleistung

Arbeitsgericht — Pfändung bei Darlehen und Vorschuß

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aus dem gegenseitigen Schuldverhältnis des Arbeitsvertrages. Wird er von der Vergütung abgezogen, so handelt es sich nicht um Aufrechnung, vielmehr macht der Arbeitgeber geltend, daß er die ihm obliegende Leistungspflicht bereits ganz oder zum Teil erfüllt hat. Dieser Erfüllungseinwand greift gegenüber unpfändbaren Gehaltsforderungen durch. Nach heute herrschender Meinung ist ein Vorschuß zunächst auf den unpfändbaren Teil anzurechnen und nur der evtl. verbleibende Rest auf den pfändbaren Vergütungsteil zu verrechnen, so daß u. U. dem Arbeitnehmer nach Pfändung nichts mehr verbleibt, er vielmehr vom Vorschuß leben muß ( R A G ArbRSamml. Bd. 26 S. 218; Bd. 39 S. 39; L A G Düsseldorf A P Nr. 1 zu § 614 B G B Gehaltsvorschuß). Die Unterscheidung spielt aber auch dann eine Rolle, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor der Pfändung ein Darlehen gegeben hat, das erst nach der Zustellung des Pfändungsbeschlusses und der Lohnforderung fällig wird. Dann geht eine Pfändung nach § 392 B G B vor, die Aufrechnung mit Darlehensforderungen, die nach dem Vergütungsanspruch fällig werden, ist danach unzulässig. Hier hat der Arbeitgeber das Nachsehen. Zu beachten ist dabei jedoch, daß bei einer Vereinbarung, das Darlehen in Raten vom Lohn jeweils abzuhalten, § 392 B G B eine Aufrechnung nicht ausschließt, weil dann beide Forderungen gleichzeitig fällig werden ( B A G A P Nr. 1 zu § 392 B G B ; O L G Hamburg, N J W 1952, 388). Ist jedoch vor der Pfändung ein Vorschuß gewährt worden, gehen die Ansprüche des Arbeitgebers in jedem Falle der Pfändung vor. Die Unterscheidung, ob ein Vorschuß oder ein Darlehen vorliegt, hat also für den Arbeitnehmer insoweit Bedeutung, als sich danach entscheidet, ob der Betrag auf den unpfändbaren oder auf den pfändbaren Teil der Vergütung anzurechnen ist. Für den Gläubiger ist sie wesentlich, weil die Aufrechnung des Arbeitgebers mit Darlehensforderungen, die vor dem Lohnanspruch fällig sind, seinem gepfändeten Anspruch vorgeht. Für den Arbeitgeber ist wichtig, daß er einen Vorschuß stets anrechnen kann, mit einem Darlehen auf den pfändbaren Teil verwiesen wird und er bei Fälligkeit nach dem Lohnanspruch auch noch hinter dem Pfändungsgläubiger zurücktreten muß. Ob der Arbeitnehmer ein Darlehen oder einen Vorschuß erhalten hat, richtet sich nicht nach dem von den Parteien gewählten Wortlaut. Entscheidend ist vielmehr, ob der gewährte Betrag sich nach den Umständen als Darlehen oder Gehaltsvorschuß darstellt, dabei handelt es sich um eine Tatfrage ( R A G ArbRSamml. Bd. 39 S. 42). Darlehen sind selbständig, d. h. unabhängig von dem Arbeitsvertrag, aus dem die Mittel zur Tilgung fließen sollen, während Vorschüsse auf den demnächst fälligen Wochen- oder Monatslohn oder auf die nächsten bald fälligen Vergütungsansprüche gegeben werden ( R A G ArbRSamml. Bd. 38 S. 202; vgl. auch R G Z 133, 252). Eine Abgrenzung wurde vom L A G Düsseldorf (AP Nr. 1. zu § 614 B G B Gehaltsvorschuß) versucht. Danach soll ein Gehaltsvorschuß nur dann vorliegen, wenn demnächst fällige Vergütungszahlungen für kurze Zeit vorverlegt werden, um dem Schuldner die Bestreitung seines normalen Lebensunterhaltes bis dahin zu ermöglichen. Bei Hingabe größerer Beträge, die den Lohn erheblich übersteigen und zu Zwecken gegeben werden, die mit normalen Gehaltsbezügen nicht erreicht werden können, soll dagegen ein Darlehen anzunehmen sein. Mit Recht führt Larenz in seiner Kritik (Anm. aaO) diese Einschränkung zugunsten des Arbeitnehmers darauf zurück, daß u. U. die Anrechnung von Vorschüssen auf den unpfändbaren Teil unbillig ist (vgl. auch Bischoff, BB 1952, S. 434). A u f Grund des Beweisbeschlusses vom 13. 10. 1958 sind über die streitige Nebenabrede, Art und Umfang der von Frau Laufer ausgeübten Tätigkeit und das Zustandekommen der Schuldscheinzahlungen die Zeugen Frau Lauf er, Herold und Kettwich uneidlich vernommen worden. A u f die Niederschrift der Beweisaufnahme wird Bezug genommen. 63

L u x , Schulung 5. Aufl. (Neumann)

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Arbeitsgericht — Ausschlußfrist . Ausgleichsquittung Entscheidungsgründe: Dem Kläger war lediglich ein Betrag in Höhe von 298,10 D M zuzusprechen. Die vom Kläger behauptete mündliche Vereinbarung einer monatlichen Mindestvergütung in Höhe von 350,— D M monatlich ist von keinem der Zeugen bestätigt worden. Eine solche Abrede ergibt sich auch nicht aus der Höhe der Zahlungen bis zur Pfändung, weil insoweit nicht vertragliche Gehaltsansprüche gezahlt zu sein brauchen, sondern auch Vorschüsse gegeben sein können. Der vom Kläger gezogene Schluß ist nicht zwingend, zumal die Beträge nicht auf einmal wie Gehalt, sondern in Raten und verschiedener Höhe gewährt wurden. Dagegen steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, daß Frau Laufer Anspruch auf Bezahlung des Tarifgehaltes einer Filialleiterin nach Gehaltsgruppe 4 des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 16. 4. 1958 in Höhe von 540,— D M brutto monatlich zustanden. Nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen hat Frau Laufer die Filiale in Solingen mit 5 Angestellten selbständig geleitet, dem Beklagten und seinem Vertreter Vorschläge über die zum Verkauf zu stellenden Waren gemacht und sogar eine eigene Kundenwerbung eingerichtet und durchgeführt. Frau Lauf er steht der Tarifanspruch auch zu, obwohl sie nicht Mitglied einer der Tarifparteien ist. Der Tarifvertrag vom 16. 4. 1958 ist für allgemeinverbindlich erklärt (BuridAnz. Nr. . . . vom 30. 4. 1958 S. . . .) und gilt auch für das Arbeitsverhältnis von Frau Laufer. Demgegenüber konnte sich der Beklagte auch nicht auf die jeweils von Frau Laufer unterschriebenen Ausgleichsquittungen berufen. Tarifansprüche sind unabdingbar und unverzichtbar (§ 4 Abs. 3, 4 TVG). Frau Laufer kann auch nicht nachträglich auf entstandene tarifliche Rechte verzichten, selbst wenn sie einen Verzichtswillen gehabt hätte. Die Ausschlußfrist aber ist noch nicht abgelaufen.

Ausschlußfristen oder auch Verwirkungsfristen genannt sind Fristen für die Geltendmachung von Rechten. J e nach dem Inhalt kann schriftliche oder nur mündliche Geltendmachung verlangt werden. Häufig wird daneben festgelegt, daß nach erfolgloser Geltendmachung binnen einer weiteren Frist Klage zu erheben ist. Mit ihrem Ablauf erlischt das Recht materiell. Der Anspruch wird in einer Ausschlußfrist zeitlich begrenzt und geht bei Ablauf der Frist unter. Es handelt sich also nicht um eine Einrede gegenüber dem Recht wie bei der Verjährung, sondern um die von Amts wegen zu berücksichtigende Rechtsvernichtung. Weil das Recht ipso jure untergeht, gibt es auch keine Hemmung, Wiedereinsetzung oder ähnliche Rechtsbehelfe gegen Fristablauf. Jedoch kann im Rahmen der allgemeinen Arglist eine Berufung auf die Ausschlußfrist verwehrt sein oder ein Schadensersatzanspruch entstehen. Der B G H wendet § 390 Satz 2 B G B (Rückwirkung auf den Zeitpunkt, zu dem sich die Forderungen aufrechenbar gegenüberstanden) auch auf Ausschlußfristen an und stellt sie insoweit Verjährungsfristen gleich (AP Nr. 1 zu § 390 B G B ) . Ausschlußfristen können nur in Tarifverträgen vereinbart werden (§ 4 Abs. 4 T V G ) , sie brauchen sich aber nicht nur auf Tarifansprüche zu beziehen, sondern können auch alle anderen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen. Bei einer Pfändung geht der Anspruch mit allen Einwendungen über, die Ausschlußfristen müssen daher auch vom Drittgläubiger beachtet werden. In der Praxis ist daneben die A u s g l e i c h s q u i t t u n g sehr häufig. Sie ist mehr als ein einfaches Empfangsbekenntnis über die Leistung (§ 368 B G B ) , das durch den Nachweis entkräftet werden kann, die geschuldeten Leistungen seien noch nicht vollständig erbracht. Vielmehr handelt es sich um die vertragliche Abrede, daß das Rechtsverhältnis völlig erfüllt ist ( § 3 9 7 Abs. 1 und 2 BGB). Es handelt sich in der Regel um ein n e g a t i v e s S c h u l d a n e r k e n n t n i s , wobei eingeschlossen ist, daß etwa noch bestehende Ansprüche erlöschen (§ 392 Abs. 2 BGB). Die Ausgleichsquittung entspricht praktischen Bedürfnissen und verstößt weder gegen die guten Sitten noch gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Auf Tarifansprüche aber kann der Arbeitnehmer wirksam nicht verzichten, ihnen gegenüber ist also auch eine

Arbeitsgericht — Kosten

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Ausgleichsquittung in jedem Falle unwirksam. Darüberhinaus kann eine Ausgleichsquittung wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Drohung angefochten werden. U. U. kann sich auch ein Anspruch auf Rückgabe der Quittung aus ungerechtfertigter Bereicherung ergeben ( § 8 1 2 Ab. 2 BGB). Die an Frau Laufer gezahlten „Schuldscheinbeträge" sind Vorschüsse, die auf den unpfändbaren Teil angerechnet werden müssen und nicht vom pfändbaren Gehaltsteil abgezogen werden dürfen, das vielmehr dem Kläger in vollem Umfang zustand. Wie Frau Laufer und der Zeuge Herold übereinstimmend aussagen, sind die Gelder mit der Begründung erbeten worden, daß Frau Laufer Geld benötigt und die Provisionen noch nicht fällig seien. Man solle ihr inzwischen etwas „borgen" und die Zahlungen später mit der Provision verrechnen. Danach aber hätte der Beklagte an den Kläger folgende Beträge abfuhren müssen: Zum Zeitpunkt der Pfändung stand Frau Lauf er noch ein Betrag in Höhe von 23,— DM netto zu, der von der Pfändung erfaßt wurde und durch Vorschüsse nicht gedeckt war.

Die Pfändung von Lohn erfolgt vom Nettolohn (§ 850c ZPO). Werden die Nettobezüge nicht zwischen den Parteien unstreitig, lassen sie sich aus den überall erhältlichen Steuertabellen leicht ablesen und die pfändbaren Bezüge aus § 850c Z P O errechnen. Ab 1. 4. 1959 gilt das Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 26. 2. 1959 (BGBl. I S. 49), dem eine amtliche Tabelle für die pfändbaren Beträge bis zu einem Einkommen von 800,— D M beigefügt ist.

Bei einem Lohn von 340,— DM brutto = 301,— DM netto hatte Frau Laufer Anspruch auf Auszahlung von 903,— DM für 3 Monate. Hieraufwaren 880,— DM gezahlt. Darüber hinaus hätten monatlich von 301,— DM netto jeweils 91,70 DM als pfändungsfreie Beträge abgehalten werden müssen. Bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses ergibt dies weitere 275,10 DM. Eine Verrechnung der Vorschüsse konnte nicht erfolgen, auch nicht, soweit sie den pfändungsfreien Betrag überstiegen. Die Bezüge von Frau Laufer waren nicht überbezahlt, der Beklagte hat vielmehr noch Beträge nachzuzahlen. Danach waren dem Kläger 275,10 DM + 23,— DM = 298,10 DM nebst den geforderten 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit als Prozeßzinsen (§§ 246, 291 BGB) zuzusprechen, die Mehrforderung aber abzuweisen. Die Kosten des Rechtsstreits sind zu V7 dem Kläger, zu "/, dem Beklagten nach § 92 ZPO aufzuerlegen, weil sie in diesem Verhältnis in der Hauptsache unterlegen sind. Die Gerichtsgebühr war nach §§ 12, 61 ArbGG festzustellen. Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO festzusetzen. Der Ausschluß der vorläufigen Vollstreckbarkeit konnte nicht ausgesprochen werden, weil der Beklagte einen nicht zu ersetzenden Nachteil nicht glaubhaft gemacht hat (§ 62 ArbGG). Dr. Richter."

Das arbeitsgerichtliche Verfahren kennt einige Besonderheiten im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens, einer Verbilligung für die Parteien und der Klarheit der Entscheidung. Für die Kostenentscheidung finden die Vorschriften der Z P O entsprechende Anwendung (§ 46 A r b G G i. V. mit §§ 3fr., 91 ff. ZPO). Ausnahme: Wert von Klage und Widerklage sind im arbeitsgerichtlichen Verfahren entgegen der Vorschrift des § 5 Z P O bei der Bemessung des Streitwertes zusammenzurechnen, wie dies auch für die Kostenberechnung vorgeschrieben ist. Die Gerichtskostengebühren sind nach § 1 2 A r b G G wesentlich geringer als im ordentlichen Verfahren. Es wird auch nur eine Gebühr erhoben, gleichgültig, ob Beweis erhoben wurde und Urteil erging. Bei Beendigung des Verfahrens durch Vergleich entfällt auch diese Gebühr. In erster Instanz sind darüberhinaus Kosten für die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten niemals erstattungsfähig. (Über die Berechnung und Erstattungsfähigkeit von Kosten bei Verweisung vom ordentlichen an ein Arbeitsgericht und umgekehrt vgl. A P Nr. 1 zu § 61 A r b G G mit ausführlicher Anmerkung). Ebensowenig besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis. Soweit der Betrag der Kosten sofort ermittelt werden kann, ist er im Urteil festzulegen. Das gilt vor allem für die Gerichtskosten. Kosten können trotzdem später noch fest-

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Arbeitsgericht — Berufung . Revision . Vollstreckbarkeit

gesetzt werden, soweit dies nicht sofort erfolgen konnte. Das gilt auch, wenn Zeugengebühren erst später entstehen. Urteile der Arbeitsgerichte sind berufungsfähig, wenn der Streitwert 300,— D M erreicht oder die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen ist. Der Streitwert ist im Urteil festzusetzen. Er ist bindend; selbst wenn er falsch berechnet wurde, kann er auch in zweiter Instanz nur geändert und neu festgesetzt werden, wenn sich der Streitgegenstand geändert hat (§69 Abs. 2 ArbGG). Auf den Beschwerdewert kommt es für die Berufungsfähigkeit nicht an. Da hier der Streitwert 348,— D M beträgt, kann der Beklagte Berufung einlegen, obwohl er nur mit einem Betrag beschwert ist, der unter 300 D M liegt. Aber auch der Kläger kann Berufung einlegen, weil auch er beschwert ist, eine Beschwerdegrenze nicht besteht, die Streitwertgrenze aber erreicht ist. Obwohl in § 61 Abs. 2 A r b G G vorgeschrieben ist, daß in bestimmten Fällen die Berufung zugelassen werden soll, gibt es gegen eine Nichtzulassung keine Rechtsbehelfe. Etwas verschieden ist die Revisibilität zweitinstanzlicher Urteile geregelt (vgl. §§ 69, 72 ArbGG). In der Praxis besonders wichtig ist auch hier die Zulassung der Revision, die bei Abweichung sogar zwingend vorgeschrieben ist, ohne daß es bei einem Verstoß gegen die Muß Vorschrift einen Rechtsbehelf gibt. Daneben gibt es eine sog. Divergensrevision und eine Streitwertrevision, für die eine absolute Revisionsgrenze gilt, die der in der ordentlichen Gerichtsbarkeit angeglichen ist. In diesem Fall genügt nicht Erreichen einer Streitwertgrenze, sondern muß ein Streitwert von mindestens 6000,01 D M bzw. bei Zahlungsansprüchen eine Beschwer in dieser Höhe vorliegen (BAG, Großer Senat, A P Nr. 61 zu § 72 ArbGG). Die unterschiedliche Regelung von Berufungs- und Revisionsfähigkeit ist darauf zurückzuführen, daß in 1. Instanz die Parteien sich selbst vertreten können und sofort erkennen sollen, ob das Urteil berufungsfähig ist. Die Revision aber muß stets durch einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Urteile der Gerichte in Arbeitssachen sind auch ohne dahingehenden Ausspruch im Urteil vorläufig vollstreckbar, es sei denn, die vorläufige Vollstreckbarkeit wird ausdrücklich ausgeschlossen (§62 ArbGG). Der Ausschluß kann (ebenso wie die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung) nur dann erfolgen, wenn ein nicht zu ersetzender Nachteil glaubhaft gemacht ist. Das Anerbieten einer Sicherheitsleistung genügt nicht. Ausnahme: Bei Zwangsvollstreckungsgegenklage richtet sich die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 und den anderen Vorschriften der ZPO! § 769 ZPO ist in § 62 A r b G G nicht genannt. Ein nicht zu ersetzender Nachteil kann auch darin gesehen werden, daß die beigetriebenen Beträge nicht zurückerstattet werden können. Die Gerichte stellen dann aber strenge Anforderungen, vorübergehende Arbeitslosigkeit reicht nicht aus. Erstinstanzliche Urteile werden vom Vorsitzenden allein unterschrieben. Nur wenn ein von der Kammer gefälltes Urteil in Abwesenheit der Beisitzer verkündet wird (§60 Abs. 1 und 3 ArbGG), ist die Urteilsformel vorher vom Vorsitzenden und den Beisitzern zu unterschreiben. Urteile 2. und 3. Instanz sind stets von allen Richtern, also auch von den Beisitzern zu unterschreiben (§§ 69, 75 ArbGG). Die Zustellung erfolgt von Amts wegen (§50 ArbGG). Dabei ist auf dem Urteil die Rechtsmittelbelehrung zu vermerken (in der Praxis mit dem Urteil verbunden und gesiegelt). Fehlt die Belehrung oder ist sie falsch, beginnt die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen. Das Rechtsmittel kann dann erst nach Ablauf eines Jahres nach Zustellung nicht mehr eingelegt werden (§ 9 Abs. 4, 5 ArbGG). Referendar: Wie wäre die Rechtslage, wenn kein allgemeinverbindlicher Tarif vorgelegen hätte ?

Arbeitsgericht — Lohnschiebung . Fristlose Entlassung

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Richter: Leistet der Schuldner einem Dritten in einem ständigen Verhältnis Arbeiten oder Dienste, die nach Art und Umfang üblicherweise vergütet werden, unentgeltlich oder gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung, so gilt nach § 850h ZPO im Verhältnis des Gläubigers zum Dienstberechtigten eine angemessene Vergütung als geschuldet. Daß die Umsatzprovisionen des Vertrags vom 28. 3. 1958 „unverhältnismäßig gering" seien, wird man nicht gerade sagen können. In dem von Ihnen unterstellten Fall hätte daher der Kläger nur nach Maßgabe des Vertrages und des 5850c ZPO pfänden können. Es kommt aber häufig vor, daß der Schuldner, um die Gläubiger nicht an seinen Arbeitsverdienst herankommen zu lassen, im Betriebe eines nahen Angehörigen: seiner Ehefrau, Eltern, Geschwister u. dgl., ganz ohne Vergütung oder bloß gegen Kost und Wohnung, allenfalls noch ein geringes Taschengeld, arbeitet. Besonders häufig geschieht das, wenn die geschiedene Ehefrau oder ein anderer Unterhaltsberechtigter, der mit dem Schuldner in Feindschaft lebt, Gläubiger ist. Das Problem hat Gerichte und Wissenschaft viel beschäftigt. In erster Reihe ist zu prüfen, ob überhaupt ein Arbeitsvertrag oder lediglich ein familienrechtliches Verhältnis besteht (das ja auch über den Rahmen der §§ 1356, 1617 B G B hinaus möglich ist). Im ersten Fall hat der Schuldner — unabhängig vom Willen der Vertragsparteien — bei Tarifgebundenheit den tariflichen Lohn zu beanspruchen, der vom Gläubiger gepfändet werden kann, wobei gerade für Unterhaltsgläubiger erweiterte Möglichkeiten bestehen. Andernfalls ist nach allen Umständen des Einzelfalles ein angemessener Lohn als geschuldet anzunehmen. Das ist nicht in jedem Fall der ortsübliche Lohn i. S. von § 612 Abs. 2 BGB. Vielmehr können davon je nach Verwandtschaftsgrad, Art der Dienstleistungen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit größere Abschläge vorgenommen werden. In jedem Fall entscheiden auch über nur fingierte Lohnansprüche aus einem echten Familienverhältnis die Gerichte für Arbeitssachen ( L A G Mannheim, A P 1953 Nr. 1 5 1 ; gegen die abweichende Entscheidung L A G Hannover, AP 1951 Nr. 194 vgl. die Anm. von Volkmar).

„Klage An das Arbeitsgericht in Düsseldorf

Kündigungsprozeß Neuß, den 9. September 1958

Hierdurch erhebe ich Klage gegen den Druckereibesitzer Max Greilich in Düsseldorf, Odenthalstraße 45, wegen ungerechtfertigter Kündigung. Ich bin über 5 Jahre bei dem Beklagten als Meister in seiner Druckerei tätig. In letzter Zeit sind häufig Satzstücke, die zum Einschmelzen bestimmt waren, weggekommen. Nach längeren Untersuchungen wurde ein Arbeiter Heinz Dieblich dabei ertappt, als er Gußmaterial mitnehmen wollte. Er hat angeblich behauptet, in meinem Einverständnis gehandelt zu haben und mit mir den Erlös aus dem Verkauf zu teilen. Ich bin deshalb am 30. August fristlos entlassen worden. Diese Entlassung ist unberechtigt, ich habe mit der Sache nichts zu tun. Da ich keine Papiere erhalten habe, kann ich auch keine andere Stellung erhalten. Ich bitte, die Kündigung für unwirksam zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, mir das Gehalt für September bei Fälligkeit am 30. 9. in voller Höhe zu zahlen. Georg Ehrlich Neuß, Obere Domstr. 9."

Der Kläger ist als Meister gewerblicher Angestellter i. S. von § 133a Gewerbeordnung. In §§ 133b—d GewO sind (ähnlich wie in §§ 70—72 HGB, wenn auch nicht wörtlich übereinstimmend) Gründe für die fristlose Endassung genannt, während im übrigen die Mindestkündigungsfristen von § i33aa GewO (1 Monat zum Monatsende) gelten. In § 133 c Abs. 1 Ziff. 2 ist die Untreue im Dienst ausdrücklich genannt. Diese Aufzählung ist jedoch nicht wie in § 123 GewO für gewerbliche Arbeiter enumerativ, sondern lediglich beispielhaft („insbesondere"). In jedem Fall geht § 13 3 b

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Arbeitsgericht — Güteverhandlung

GewO vor, d. h. es muß immer ein wichtiger, nach den Umständen des Falles die Aufhebung rechtfertigender Grund vorliegen (ebenso nach § 70 H G B für Handlungsgehilfen). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann ( R A G ArbRSamml Bd. 17 S. 474; Bd. 23 S. 194; Bd. 40 S. 52; B A G A P Nr. 3—6 zu § 626 BGB); vgl. S. 975 f. VondenSondervorschriften für Betriebsbeamte, Werkmeister,Techn i k e r ist § 133a GewO, der die normale Kündigungsfrist auf 6 Wochen festsetzt, ganz bedeutungslos, da sich diese Frist bereits aus § 622 B G B ergibt. Wichtig sind dagegen die in § 13 3 aa f. GewO enthaltenen, den § § 67—69 H G B entsprechenden Schranken der Vertragsfreiheit. § § 133 b—d GewO behandeln die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. Im § 13 3 e wird die Anwendung einiger für gewerbliche Arbeiter geltenden, praktisch nicht sehr erheblichen Bestimmungen angeordnet. Am wesentlichsten ist § 13 3 f, der die Konkurrenzklausel der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker regelt und vom Rechte der Handlungsgehilfen (§§ -¡4L HGB) stark abweicht. Insbesondere gilt bei den höheren technischen Angestellten weder das Erfordernis der Schriftform (§ 74 I HGB) noch die Karenzentschädigung (§74 IV), noch die absolute Grenze von zwei Jahren (§ 74a I S. 3). Für Konkurrenzklauseln von Angestellten, die weder Handlungsgehilfen noch Betriebsbeamte usw. sind, fehlt es an jeder Sondervorschrift, ihre Zulässigkeit ist ausschließlich nach § 138 B G B zu beurteilen. Auf den Kündigungsgrund einzugehen, hätte der Kläger nicht nötig gehabt. Er braucht nicht den vom Beklagten behaupteten wichtigen Grund zu widerlegen, sondern es genügt, wenn er in der Klage vorträgt, daß überhaupt fristlos gekündigt war. Alsdann ist es Sache des Beklagten, seinen Kündigungsgrund zu behaupten und im Streitfall zu beweisen. In Annahmeverzug brauchte der Kläger den Beklagten nicht besonders zu versetzen. Nach fristloser Entlassung ist gemäß der ständigen Rechtsprechung der Gerichte vielmehr davon auszugehen, daß der Arbeitgeber die Dienste in keinem Fall annehmen werde. Eines tatsächlichen Angebotes bedarf es daher nicht, um die Folgen des § 615 B G B (Fortzahlung des Gehaltes) eintreten zu lassen, ein wörtliches Angebot, das auch im Widerspruch gegen die Kündigung zu sehen ist, genügt vielmehr. Die Klage geht am 10. September ein. Sie ist zwar nicht ganz vollständig. Insbesondere enthält sie keinen genauen Antrag. Hinsichtlich des Zahlungsanspruches ist nicht einmal klar, welchen Betrag der Kläger verlangt. Er hat die Höhe des Gehalts nicht angegeben. Die Klage läßt jedoch zur Genüge erkennen, daß der Kläger die fristlose Entlassung vom 5. September angreifen will und entsprechende Feststellungsklage (§§3 mit 11 KSchG vom 10. 8. 1951, B G B 1 I S. 499) erheben will. Da insoweit jedenfalls die Klage den zu stellenden Anforderungen genügt (BAG A P Nr. 8 zu § 3 KSchG), ist Termin anzuberaumen, um dann im Gütetermin die noch notwendigen Ergänzungen aufzunehmen. Die Vorschriften über Prozeßkostenvorschuß finden im arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung. Ebenso brauchen auch für Zeugengebühren oder Sachverständigenkosten keine Vorschüsse gezahlt zu werden. Alle Gebühren werden erst mit Beendigung des Verfahrens fällig ( § 1 2 Abs. 4 ArbGG). Aus diesem Grunde besteht auch an der Bewilligung des Armenrechts wegen der Gebühren kein Rechtsschutzinteresse, da Armenrecht nur die vorläufige Befreiung von den Prozeßkosten bedeutet. Nur für die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt die Bewilligung des Armenrechts vor dem Arbeitsgericht in Betracht (über die erleichterten Voraussetzungen nach § 1 1 a A r b G G oben S. 963 f). Auf die Klage wird umgehend Termin zur Güteverhandlung vor dem Vorsitzen-

Arbeitsgericht — Nachschieben von Gründen

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den (§ 54ArbGG) angesetzt. Die Einlassungs- und Ladungsfrist beträgt nur einen Tag, weil der Beklagte am Sitz des Arbeitsgerichts wohnt. Die Klage muß am zweiten Tag vor dem Termin zugestellt sein (§47 ArbGG). Mit der Ladung wird eine Abschrift der Klage zugestellt. Eine Aufforderung, sich auf die Klage schriftlich zu äußern, erfolgt in der Regel nicht ( § 4 7 Abs. 2 ArbGG). Tag der Zustellung 16. 9. 1958. „Öffentliche Sitzung des Arbeitsgerichts Düsseldorf Geschäftszeichen: 2 Ca 425/58 Gegenwärtig: Dr. Richter als Vorsitzender

Düsseldorf, den 19. September 1958

In dem Rechtsstreit Ehrlich gegen Greilich

Kläger Urkund als Urkundsbeamter Beklagten erschien bei Aufruf 1. der Kläger persönlich 2. der Beklagte persönlich. Es fand eine Güteverhandlung statt. Sie blieb erfolglos. Der Kläger erklärt, daß der Beklagte mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt und er Antrag auf Feststellung stellen werde, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 30. 8. 1958 nicht aufgelöst ist. v. u. g."

Der Kläger hat damit seinen Antrag formuliert (§3 KSchG i. V. mit § 1 1 KSchG) und die Voraussetzungen für die Anwendung des KSchG nach § 21 KSchG dargetan. In seiner Klageerwiderung legt der Beklagte dar, daß er den Kläger zu Recht fristlos entlassen habe. „Ich kann durch den Zeugen Diehlich nachweisen, daß der Kläger am Verkauf der Bleistücke beteiligt gewesen ist. Darüber hinaus habe ich jetzt erfahren, daß der Kläger vor seiner Entlassung mich auch noch bei den anderen Arbeitern herabgesetzt und beleidigt hat, indem er von mir als „unfähigem, ausbeuterischem und arrogantem Pinsel" gesprochen hat, der doch nichts vom Betrieb verstehe und dem er, der Kläger, alles erst sagen müsse (Beweis: Zeugnis der Arbeiter Fleißig, Redlich und Tüchtig). Selbst wenn dies zu einer fristlosen Entlassung nicht ausreichen sollte, muß auf Grund dieser Umstände das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. 9. 1958 enden. Monatliche Kündigung ist vereinbart."

Die Kündigung kann auch nachträglich im Prozeß auf einen anderen Grund gestützt werden, es sei denn, daß aus dem Verhalten des Kündigenden der Schluß zu ziehen ist, daß er aus dem neu herangezogenen Kündigungsgrund früher ein Kündigungsrecht nicht ableiten wollte, er also diesen Grund verziehen hat. Außerdem können aber auch Kündigungsgründe n a c h g e s c h o b e n werden, die schon v o r der Kündigung liegen, dem Kündigenden aber erst später bekannt werden. Auch solche Gründe rechtfertigen die ausgesprochene Kündigung (BAG A P Nr. 9 zu § 626 BGB). Ist aber eine Kündigung zu Unrecht ausgesprochen worden und tritt n a c h t r ä g l i c h ein Kündigungsgrund ein, der zur Entlassung berechtigt, kann zu diesem Zeitpunkt nunmehr die Kündigung ausgesprochen werden. Der neu hinzugetretene Kündigungsgrund läßt aber nicht die ausgesprochene Kündigung wirksam werden, es muß vielmehr neu gekündigt werden (BAG A P Nr. 9, 1 1 zu § 626 BGB). Das Arbeitsverhältnis endet dann nicht etwa von selbst oder auf Grund der früheren Kündigung zu diesem späteren Zeitpunkt. Möglich ist aber, daß ein zunächst nicht ausreichender Kündigungsgrund durch die nachgeschobenen, später entstandenen Tatsachen in einem neuen Licht erscheint und deshalb die frühere Kündigung wirksam wird (BAG A P Nr. 1 zu § 67 HGB). Hier liegen die nachgeschobenen Kündigungsgründe vor der

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Arbeitsgericht •—• Umdeutung . Folgen der Entlassung

Kündigung. Daß sie erst nach der Kündigung dem Beklagten bekannt wurden, ist unbeachtlich. Als wichtige Kündigungsgründe zur fristlosen Lösung des Arbeitsverhältnisses kommen Tatsachen aller Art in Betracht, sogar solche, an denen der Kündigungsgegner unschuldig ist (z. B. langanhaltende oder abschreckende Krankheit, § 72 Ziff. 3 H G B ; §§ 123 Ziff. 8, 133 c Ziff. 4 GewO; vgl. auch B A G A P Nr. 4, 20 zu § 626 BGB). Maßgeblich ist die Abwägung der Belange beider Teile. Für eine auf Beleidigung gestützte fristlose Entlassung kommt es nicht auf den strafrechtlichen Tatbestand der Beleidigungsvorschriften, sondern darauf an, ob dem Arbeitgeber nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAG A P Nr. 13 zu § 626 BGB). Das Gesetz stellt unterschiedlich auf Ehrverletzungen (§ 133c Ziff. 5 GewO), erhebliche Ehrverletzungen ( § 7 2 Ziff. 4 HGB) oder grobe Beleidigung ( § 1 2 3 Ziff. 5 GewO) ab, ohne daß damit sachliche Unterschiede bestehen. Zu den Umständen gehört dabei insbesondere auch der Umgangston im Betrieb selbst. So ist sogar in Einzelfällen das bewußte Zitat aus Götz von Berlichingen im Baugewerbe nicht als grobe Beleidigung angesehen worden. Der Beklagte beruft sich hilfsweise darauf, daß seine fristlose Entlassung jedenfalls als fristgemäße Kündigung wirksam werden müsse. E r macht damit eine U m d e u t u n g der fristlosen in eine fristgemäße Kündigung geltend. Früher wurde diese Umwandlung regelmäßig zugelassen, wenn der Wille des Kündigenden nicht entgegenstand ( R A G ArbRSamml. Bd. 18 S. 446; Bd. 30 S. 283; Bd. 31 S. 49; Bd. 36 S. 69; Bd. 37 S. 387; Bd. 47 S. 143). Heute bestimmt jedoch § 1 1 Abs. 2 KSchG, daß eine unwirksame fristlose Kündigung im Zweifel nicht als Kündigung für den nächsten zulässigen Kündigungszeitpunkt gilt. Es handelt sich um eine Vermutung, die widerlegt werden kann. Ihr Wert ist gering. Sie gilt nur im Rahmen des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzes; auch dürfte in den meisten Fällen erkennbar sein, daß sich der Arbeitgeber in jedem Fall von dem Arbeitnehmer trennen wollte. „ D a ein neuer Meister erst für den 1 5 . 9 . fest eingestellt werden konnte, mußte ich vorübergehend ab 1. 9. ddn Verlagsdirektor i. R. Helfereich mit den Aufgaben des Meisters betrauen, der hierfür Fahrtspesen in Höhe von 45,— D M und täglich 30,— D M erhält. Der Gesamtaufwand beträgt 405,— D M , während der Kläger in dieser Zeit nur 250,— D M erhalten hätte. Ich behalte mir vor, den Mehraufwand in Höhe von 1 5 5 , — D M vom Kläger im Wege der Widerklage zu verlangen. Greilich."

Die Rechtsfolgen einer — objektiv gerechtfertigten — fristlosen Kündigung ergeben sich aus § 628 B G B : 1. Hat der Arbeitnehmer gekündigt, so behält er den Anspruch auf die bis zum Kündigungstag verdiente Vergütung. Für die Folgezeit sind Erfüllungsansprüche nicht mehr denkbar, weil die Kündigung den Vertrag aufgelöst hat. Hatte aber der Arbeitgeber durch sein vertragswidriges Verhalten den Kündigungsgrund gegeben, so kann der Arbeitnehmer Ersatz des ihm durch die vorzeitige Vertragsauflösung erwachsenen Schadens verlangen, in erster Reihe also entgangenen Arbeitsverdienst bis zur Wiedererlangung einer neuen Stellung (als Schadensersatz 1); ferner den Minderbetrag, wenn das Gehalt in der neuen Stellung gegen das der alten zurückbleibt. 2. Bei Kündigung des Arbeitgebers bleibt ebenfalls grundsätzlich dem Arbeitnehmer der Vergütungsanspruch bis zur Kündigung, außer wenn seine eigenen Vertragswidrigkeiten die Kündigung veranlaßt haben und wenn außerdem infolge der vorzeitigen Vertragsaufhebung die bisherige Leistung des Angestellten für den Arbeitgeber kein Interesse hat. Beispiel: ein Buchhalter wird mitten während der Arbeiten zum Jahresabschluß wegen Unregelmäßigkeiten endassen, und der Nachfolger muß von vorn anfangen. Ferner haftet der Arbeitnehmer (unter der Voraussetzung

Arbeitsgericht — Vorbereitung der Kammerverhandlung . Beweisaufnahme

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eigenen vertragswidrigen Verhaltens) dem Arbeitgeber auf Ersatz des diesem durch die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Schadens. Die Befugnisse des Vorsitzenden und der Beisitzer im Arbeitsgerichtsverfahren bestimmen sich grundsätzlich nach dem Vorbild der Landgerichtskammer (§ 53 II ArbGG), doch ist die Stellung des Arbeitsgerichtsvorsitzenden eine stärkere und geht in manchen Punkten sogar über die des Einzelrichters hinaus. Die nicht auf Grund mündlicher Verhandlung ergehenden Beschlüsse und Verfügungen des Arbeitsgerichts erläßt er immer allein (§ 53 I); hierunter fallen z. B. Arreste und einstweilige Verfügungen (nicht nur in Eilfällen, wie nach § 944 ZPO), ferner Armenrechtsentscheidungen, Ergänzungen von Beweisbeschlüssen usw. In nicht kontradiktorischen Sachen kann er ohne weiteres allein erkennen, ebenso in streitigen Sachen, wenn die Parteien es übereinstimmend beantragen (§ 55 II ArbGG). Hier ist ein Antrag auf Entscheidung durch den Vorsitzenden allein nicht gestellt worden. Die Entscheidung könnte auch nur dann ergehen, wenn sie sofort erfolgen kann, insbesondere also evtl. notwendige Zeugen zur Stelle sind. Deshalb wird im Protokoll festgestellt: „b. u. v. Kammertermin am 23. 9. 1959 10.30 Uhr Dr. Richter Urkrnd"

Grundsätzlich ist die Kammerverhandlung vom Vorsitzenden so weit vorzubereiten, daß der Rechtsstreit in einem Termin zu Ende geführt werden kann. Zu diesem Zweck sollen Zeugen und Sachverständige geladen, amtliche Äußerungen herbeigeführt, Unterlagen beigezogen oder das persönliche Erscheinen angeordnet werden. Häufig wird dabei dem Arbeitgeber aufgegeben, die in seinem Betrieb beschäftigten Zeugen zum Termin zu stellen. Dies ist hier nicht möglich, der Zeuge Dieblich ist von Greilich ebenfalls entlassen worden und nach Freudenstadt verzogen. Da sich dort kein Arbeitsgericht befindet, leistet das Amtsgericht nach § 1 3 A r b G G Rechtshilfe und wird um Vernehmung des Zeugen ersucht. Die Beweisaufnahme ergibt, daß der Kläger mit den Diebstählen nichts zu tun hat, Dieblich im Gegenteil mehrfach verwarnt hat, weil er Verdacht schöpfte. Deshalb wird nach Durchführung der Beweisaufnahme neuer Kammertermin anberaumt. Zu diesem Termin werden die Zeugen für die beleidigenden Äußerungen vom Vorsitzenden geladen, damit sie nach § 5 8 Abs. 1 A r b G G vor der Kammer vernommen werden können. § 5 6 A r b G G über die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gilt auch hier. Vor Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen Dieblich stand noch nicht fest, ob die anderen Zeugen überhaupt benötigt werden. Eine Beweisaufnahme im Bezirk, aber außerhalb des Sitzes des Arbeitsgerichts kann daneben auch von der Kammer dem Vorsitzenden übertragen werden. Müßte also z. B. in Neuß der Kläger als Partei vernommen werden, könnte dies dem Vorsitzenden übertragen werden. Die Augenscheinseinnahme in Düsseldorf muß aber auch dann von der Kammer vorgenommen werden, wenn dazu eine eingehende und langwierige Betriebsbesichtigung am Rande der Stadt erforderlich ist. Wichtig ist diese Vorschrift für die Beweisaufnahme durch das Landesarbeitsgericht, wenn sie außerhalb des Gerichtssitzes in den manchmal sehr großen Gerichtsbezirken stattfinden muß (z.B. L A G Hannover für Emden; §§58 Abs. 1 mit § 64 Abs. 3 ArbGG). Auch nach der Vernehmung der weiteren Zeugen bleibt zweifelhaft, ob eine fristlose Kündigung berechtigt war. Die von den Zeugen bekundeten Äußerungen liegen längere Zeit zurück, sie sind auch nicht sehr schwerwiegend und z. T. auf berechtigte Verärgerung des Klägers zurückzuführen. Die gütliche Einigung des Rechtsstreits soll während des ganzen Verfahrens angestrebt werden (§57 Abs. 2 ArbGG).

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Arbeitsgericht — Kündigungsfristen für Angestellte

Nochmalige Vergleichsverhandlungen führen aber zu keinem Ergebnis. Nunmehr wird wichtig, ob die Kündigung evtl. als fristgemäße Kündigung wirkt. „Die Parteien erklären übereinstimmend, daß beim Beklagten 10 Arbeitnehmer, darunter 3 Angestellte beschäftigt sind. Der am 3. 12. 1915 geborene Kläger ist seit dem 1. 1. 1953 bei dem Beklagten beschäftigt. A b 1. 10. 1950 war er bei dessen Vater im gleichen Druckereibetrieb tätig. Sein Gehalt betrug zuletzt 500,— D M brutto. v. u. g . "

Welche Kündigungsfrist hat nun Ehrlich zu beanspruchen ? Durch § 2 Ges. über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (RGBl. I 399) — sog. A n g e s t e l l t e n k ü n d i g u n g s s c h u t z g e s e t z — werden zugunsten älterer Angestellter im Sinne des AngestVersG., welche der Gefahr der Arbeitslosigkeit erfahrungsgemäß in besonderem Maße ausgesetzt sind, die sonst geltenden gesetzlichen oder vertraglichen Fristen verlängert, und zwar abgestuft von 3 Monaten (bei 5 jähriger Dienstzeit) bis zu 6 Monaten (bei 12 jähriger Dienstzeit). Da die Kündigung nach dem AngKündSchG nur für den Schluß eines Kalendervierteljahres statthaft ist, verlängert sich die Frist praktisch oft noch um mehrere weitere Monate. Das Gesetz gilt für kaufmännische, technische, landwirtschaftliche und sonstige Angestellte, auch wenn ihre Bezüge die Obergrenze der Versicherungspflicht übersteigen (§ 1), aber nur bei Kündigung des Arbeitnehmers, während sie selbst mit der gesetzlichen bzw. vertraglichen Frist unbeschränkt kündigen dürfen. Fristlose Kündigung bleibt beiderseits möglich. Arbeiter genießen niemals die verlängerte Frist; wird ein Arbeiter später Angestellter beim gleichen Arbeitgeber, so findet eine Anrechnung der Beschäftigungsdauer als Arbeiter statt ( R A G , ArbRSamml. Bd. 1, S. 103; Bd. 2 S. 27). Vorausgesetzt wird ein Mindestpersonalstand des Betriebes von 3 Angestellten ausschließlich der Lehrlinge. Nur die nach Vollendung des 25. Lebensjahres Hegenden Dienstjahre werden berücksichtigt (§ 2 I S. 3), deshalb die Feststellung des Lebensalters des Klägers. § 2 I S. 1 schreibt die Anrechnung der beim Rechtsvorgänger des Kündigenden verbrachten Dienstzeit vor. Der Begriff der „Rechtsnachfolge" ist nicht im strengen Sinne des Zivilrechts zu verstehen. Wird ein Betrieb übernommen und, gleichgültig in welcher Rechtsform, ohne wesentliche Änderung des Geschäftszweckes fortgeführt, so liegt Rechtsnachfolge vor, sofern nur die früheren Angestellten weiter beschäftigt werden, mag auch der Arbeitgeber neue Verträge mit ihnen schließen. Sogar Fortführung bloßer Betriebsteile oder auf Grund staatspolitischen Hoheitsaktes („Vorwärts"-Druckerei — Deutsche Arbeitsfront im Verhältnis zu einer früheren Gewerkschaft) kann genügen. Vgl. die interessanten RAG-Entscheidungen ArbRSamml. Bd. 1 S. 14; Bd. 5 S. 1 1 3 , 347, 397; Bd. 13 S. 3 1 3 ; Bd. 15 S. 573; Bd. 16 S. 108, 1 1 2 ; Bd. 23 S. 127, 158; Bd. 24 S. 9; Bd. 30, S. 285; L A G Bremen A P 1950 Nr. 16; L A G Düsseldorf Betrieb 1952 S. 1091; L A G Mannheim B B 1954 S. 381; z.T. mit Anm. von Hueck). Danach sind hier die bei dem Vater des Beklagten verbrachten Dienstzeiten anzurechnen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem, nicht der Zeitpunkt, zu dem die Kündigung ausgesprochen wurde ( R A G ArbRSamml. Bd. 1 S. 103; Bd. 2 S. 247; L A G Hannover A P 1950 Nr. 234; B G H RdA 1952 S. 37). Allerdings ist eine verfrüht ausgesprochene Kündigung zur Umgehung der längeren Frist entsprechend § 162 B G B zu behandeln. Sonst aber vereitelt auch das Fehlen weniger Tage den Kündigungsschutz ( R A G ArbRSamml. Bd. 29 S. 14). Da Ehrlich bei seinem Eintritt in den Betrieb des Vaters des Beklagten über 2 5 Jahre alt war, sind die Dienstzeiten insgesamt anzurechnen. Da der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht ganz 8 Jahre beschäftigt war, beträgt die Kündigungsfrist 3 Monate und endet am 31. 12. 1958.

Arbeitsgericht — Allgemeiner Kündigungsschutz

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Den Zahlungsantrag stellt der Kläger vorerst nicht. Er müßte sich auf das Gehalt anrechnen lassen, was er anderweit verdient oder zu erwerben böswillig unterläßt (§ 615 B G B ; § 9 KSchG). Eine Klage auf zukünftige Leistung kann aber auch auf Lohnzahlung gerichtet sein. Daß der Lohnanspruch von der Erbringung der Gegenleistung abhängt, hindert dies nicht. Notfalls kann nach § 767 ZPO im Wege der Zwangsvollstreckungsgegenklage vorgegangen werden (BAG A P Nr. 1 zu § 259 ZPO). Ebenso will auch der Beklagte auf Grund der Beweisaufnahme den angekündigten Widerklageantrag nicht stellen. „Nach Hinweis erklärt der Kläger, daß er sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 1 K S c h G berufe. Der Kläger beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30. 8. 1958 weder fristlos noch zum 31. 12. 1958 aufgelöst ist. Der Beklagte beantragt Klageabweisung, hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Festsetzung einer angemessenen Entschädigung." v. u. g.

Damit geht der Rechtsstreit auch um die Frage, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt i. S. von § 1 KSchG ist. Der allgemeine Kündigungsschutz wurde 1920 mit den Vorschriften der §§ 84 fr. Betriebsrätegesetz eingeführt und dann in §§ 56 fr. des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit fortgeführt. Wesentlich war die Bestimmung, daß Einspruch gegen eine Kündigung möglich war bzw. die Kündigung widerrufen werden mußte, wenn sie unbillig hart und nicht durch Verhältnisse des Betriebes bedingt war. War die Kündigung unbillig, erkannte das Gericht jedoch gleichzeitig von Amts wegen auf Zahlung einer Entschädigung für den Fall, daß der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ablehnte. Der Arbeitgeber hatte also bei ungerechtfertigter Kündigung die Wahl zwischen Weiterbeschäftigung und Zahlung der Entschädigung. Ähnliche Regelungen wurden nach 1945 in den Ländern eingeführt, teilweise wieder in den Betriebsrätegesetzen. Diese Verbindung war darauf zurückzuführen, daß der Betriebsrat vor Klageerhebung angerufen werden mußte. Es handelt sich aber um eine privatrechtliche Institution, die vom kollektiven Recht unabhängig ist. In der früheren britischen Zone fehlte nach Aufhebung des A O G seit dem 1. 1. 1947 ein Individualkündigungsschutz. Die Gerichte halfen durch Ausdehnung der Generalklauseln der §§ 138, 242 B G B . Eine ungerechtfertigte Kündigung wurde als treuwidrig und damit als unwirksam angesehen. Damit war jedoch eine Wahlmöglichkeit zwischen Weiterbeschäftigung oder Zahlung einer Abfindung ausgeschlossen. Das K ü n d i g u n g s s c h u t z g e s e t z vom 10. 8. 1951 stellte die Rechtseinheit auf dem Gebiet des allgemeinen Kündigungsschutzes wieder her. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, der länger als 6 Monate ohne Unterbrechung in demselben Betrieb oder Unternehmen beschäftigt ist und das 20. Lebensjahr vollendet hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG). Ein Kündigungseinspruch bei dem Betriebsrat binnen 1 Woche nach der Kündigung ist zwar noch vorgesehen ( § 2 KSchG), aber keine Voraussetzung für eine Klage beim Arbeitsgericht und praktisch völlig bedeutungslos. Der Arbeitnehmer, der sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft, muß binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Feststellungsklage erheben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist (§ 3 KSchG). Verspätete Klagen können in einem besonderen Beschlußverfahren nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Klage recht-

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Arbeitsgericht — Sozialwidrige Kündigung . Soziale Auswahl

zeitig zu erheben (Näheres § 4 KSchG). Praktisch handelt es sich um eine Wiedereinsetzung in einem getrennten Verfahren, obgleich nach wohl überwiegender Ansicht die Klagefrist eine materielle Frist ist, weil nach § 6 KSchG die Kündigung von Anfang an als wirksam gilt, wenn ihre Unwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht ist. Eine Klage ist bei Verspätung also als unbegründet und nicht als unzulässig abzuweisen. Die Anrufungsfrist ist bis zur letzten mündlichen Verhandlung 1. Instanz verlängert, wenn die Kündigung aus anderen Gründen binnen der Frist angegriffen wurde. Das war hier der Fall, indem Ehrlich die Kündigung als fristlose Entlassung angriff. Er war deshalb nach § 5 KSchG darauf hinzuweisen, daß er sich noch auf die soziale Unwirksamkeit der Kündigung berufen könne. Auf die Klage muß der Arbeitgeber dartun und beweisen, daß die Kündigung durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG). An diese Gründe sind nicht so scharfe Anforderungen zu stellen wie an die Gründe zu einer fristlosen Entlassung. Insbesondere kann nicht verlangt werden, daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber geradezu unzumutbar ist. Vielmehr muß eine I n t e r e s s e n a b w ä g u n g vorgenommen werden, bei der die Belange des Arbeitgebers und sein Interesse an der Lösung des Arbeitsverhältnisses mit den sozialen Belangen des Arbeitnehmers und seinem Interesse an dem Bestandsschutz der Erhaltung des Arbeitsplatzes gegeneinander abzuwägen sind. Danach muß die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände billigenswert, angemessen und gerecht sein(BAG A P Nr. 5, 6, 21, 25 zu§ 1 K S c h G ; Nr. 5 zu § 1 K S c h G Betriebsbedingte Kündigung. Gründe in der Person des Arbeitnehmers sind vor allem Eignung, Fähigkeiten oder Krankheiten des Arbeitnehmers. Zum Verhalten des Arbeitnehmers gehören Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber, aber auch von Arbeitnehmern untereinander. Als dringende betriebliche Erfordernisse müssen besonders Absatzrückgang, Betriebseinschränkung und Betriebsrationalisierung angesehen werden. Gegenüber einer Kündigung aus betrieblichen Gründen kann der Arbeitnehmer einwenden, daß bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden (§ 1 Abs. 3 KSchG). Zur sozialen Auswahl muß das Lebensalter des Arbeitnehmers, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Familienstand, sonstige besondere Belastungen wie Krankheit der Ehefrau, Versorgung von Eltern und die Möglichkeit, eine neue Stellung zu finden, berücksichtigt werden. Die falsche soziale Auswahl muß der Arbeitnehmer darlegen und notfalls beweisen. Das ist eine nicht immer glückliche Regelung, weil der Arbeitnehmer dadurch praktisch gezwungen wird, einen Arbeitskollegen an seiner Stelle als sozial besser gestellt zur Entlassung vorzuschlagen. Gegenüber der falschen sozialen Auswahl kann dann der Arbeitgeber geltend machen, daß betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse einer anderen sozialen Auswahl entgegenstehen. Das bedeutet aber, daß der Arbeitgeber tüchtige Arbeitnehmer behalten darf, auch wenn sie sozial günstiger stehen als weniger geeignete Arbeitnehmer. Hierher zählen auch bessere Verwendungsmöglichkeiten eines Arbeiters, der etwa an anderen Arbeitsplätzen bei Krankheit oder Urlaub einspringen kann. Die Berufung auf betriebliche Belange kann aber nicht so weit gehen, daß ein älterer Arbeiter, der seine Arbeitskraft im Betrieb verbraucht hat, zugunsten einer jüngeren Kraft entlassen wird. Vielmehr sind im Ergebnis betriebliche und soziale Belange gegeneinander abzuwägen. A m besten wird hierzu der Betriebsrat herangezogen, von dessen Entscheidung auch die Gerichte nur in Ausnahmefällen abweichen werden.

Arbeitsgericht — Auflösung gegen Abfindung . Abfindung

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Steht nach § i Abs. 2 und 3 K S c h G fest, daß die Kündigung sozial unwirksam ist, kann das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers gegen Zahlung einer Abfindung an den Arbeitnehmer aufgelöst werden ( § 7 KSchG). Die Entscheidung, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder eine Abfindung zu zahlen ist, fällt also das Gericht und nicht mehr wie früher der Arbeitgeber. A u f Antrag des Arbeitnehmers ist aufzulösen, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist, er also z. B. zu Unrecht schwer verdächtigt wurde. Der Arbeitgeber braucht zur Begründung des Auflösungsantrages nur darzulegen, daß eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Ihn trifft dabei nur die Darlegungspflicht, keine Beweislast. Die Gerichte sind hier manchmal sehr großzügig und lösen das Arbeitsverhältnis schon auf, weil zwischen den Parteien ein hart geführter Prozeß geschwebt hat. Diesem Antrag des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer jedoch entgegentreten. Er muß dann aber beweisen, daß die vom Arbeitgeber dargelegten Gründe in wesentlichen Punkten unrichtig sind, oder daß die Kündigung offensichtlich willkürlich oder aus nichtigen Gründen unter Mißbrauch der Machtstellung des Arbeitgebers im Betrieb erfolgt ist. Die Auflösungsanträge können bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Die Auflösung ist zu dem Zeitpunkt auszusprechen, an dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Hier wäre das der 31. 12. 1958. Es handelt sich um eine Rechtsgestaltungsklage, die v o m Arbeitnehmer als Zusatzantrag, vom Arbeitgeber aber als echter Hilfsantrag zu dem Antrag auf Klageabweisung erhoben wird. Die A b f i n d u n g ist vom Gericht bis zu 12 Monatsverdiensten festzusetzen (§8 KSchG). Dabei sind besonders die Dauer der Betriebszugehörigkeit und die wirtschaftliche Lage von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu berücksichtigen. Das Gericht entscheidet nach freiem Ermessen und muß den Betrag ziffernmäßig festlegen, wobei aber nicht ein bestimmtes Vielfaches des Monatsverdienstes festgesetzt zu werden braucht, sondern jede Summe innerhalb des Höchstbetrages von 12 Monaten gewählt werden kann. Es empfiehlt sich nicht, einen Antrag auf Abfindung in bestimmter Höhe zu stellen, weil dann u. U. die Klage im übrigen abgewiesen werden muß und entsprechend ein Teil der Kosten zu tragen ist, wenn das Gericht eine andere Höhe festsetzt. A m geeignetsten ist der Antrag auf „Auflösung gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung". Mit der Begründung, daß der Betrag unangemessen sei, kann dann in jedem Fall Berufung eingelegt werden, weil insoweit eine Beschwer vorliegt und im übrigen die Berufungsfähigkeit nur von der Höhe des Streitwertes abhängt, der nach §12 Abs. 6 A r b G G bis zu 3 Monatsgehältern beträgt. Vgl. dazu entsprechend den Antrag bei Schmerzensgeld, O L G Stuttgart, N J W 1957, 147; O L G Karlsruhe, N J W 1957, 593; und NJW 1957, 130, 1063, 1661. Die Abfindung ist weder Lohn- noch Schadensersatzanspruch, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung. Sie unterliegt weder den Lohnpfändungsbeschränkungen noch der Lohnsteuer noch der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Im Konkurs genießt sie nicht das Vorrecht des § 61 Ziff. 1 K O . Wird das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst und die Kündigung für unwirksam erklärt, muß sich der Arbeitnehmer den Zwischenverdienst und das, was er zu verdienen böswillig unterlassen hat, anrechnen lassen ( § 9 KSchG). Hat der Arbeitnehmer dann eine andere Arbeitsstelle gefunden, kann er binnen 1 Woche nach Rechtskraft des Urteils dem früheren Arbeitgeber erklären, daß er das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen will. Mit dem Zugang dieser Erklärung erlischt das ältere Arbeitsverhältnis. Eine Abfindung wird in diesem Falle nicht gezahlt.

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Arbeitsgericht — Massenentlassungsschutz

Bei a u ß e r o r d e n t l i c h e r Kündigung muß Feststellungsantrag nach § 3 KSchG binnen 3 Wochen gestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes vorliegen (BAG A P Nr. 4, 5, 7 zu § 1 1 KSchG). In diesem Fall kann nur der Arbeitnehmer den Antrag auf Auflösung stellen, die dann zum Zeitpunkt der fristlosen Entlassung auszusprechen wäre (BAG A P Nr. 1 1 zu § 13 KSchG). Keine Anwendung finden diese Kündigungsvorschriften auf leitende Angestellte ( § 1 2 KSchG). Ausgenommen sind weiter Kleinbetriebe mit 5 und weniger Arbeitnehmern (§ 21 KSchG), außerdem Kündigungen aus Anlaß von Arbeitskämpfen (§23 KSchG). Das Kündigungsschutzgesetz bietet also eine Fülle von Möglichkeiten, die hier zur Übersicht nochmals kurz zusammengefaßt werden: 1. Feststellungsklage des Arbeitnehmers. 2. Arbeitgeber: Beweislast für Kündigungsgründe. 3. Arbeitnehmer: Beweislast für falsche soziale Auswahl. 4. Arbeitgeber: Beweislast für entgegenstehende betriebliche Bedürfnisse. 5. Arbeitnehmer: Beweislast für seinen Auflösungsantrag (Klagehäufung). 6. Arbeitgeber: Hilfsweiser Auflösungsantrag, nur Darlegungspflicht. 7. Arbeitnehmer: Beweislast gegenüber Auflösungsantrag des Arbeitgebers. 8. Nach Rechtskraft: Erklärung des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis nicht fortzusetzen. Weitere Kündigungsbeschränkungen: Neben diesem 1. a l l g e m e i n e n K ü n d i g u n g s s c h u t z des K S c h G vom 10. 8. 1951 und dem 2. K ü n d i g u n g s s c h u t z f ü r ältere A n g e s t e l l t e nach dem Gesetz vom 9. 7. 1926 bestehen noch folgende Schutzvorschriften: 3. K ü n d i g u n g s s c h u t z bei M a s s e n e n t l a s s u n g e n . Der Massenentlassungsschutz gilt in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern. Werden innerhalb von 4 Wochen in Betrieben bis 5 o Arbeitnehmern mehr als 5, bis 499 Arbeitnehmern 10% oder mehr als 25, in Betrieben von mindestens 500 Arbeitnehmern aber mehr als 50 Arbeitnehmer entlassen, ist darüber eine Anzeige an das Arbeitsamt zu erstatten. Die anzeigepflichtigen Entlassungen werden vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige nur mit Zustimmung des Landesarbeitsamtes wirksam. Das Landesarbeitsamt kann bestimmen, daß sich diese Frist auf 2 Monate verlängert, und kann in der Zwischenzeit Kurzarbeit zulassen (§§ 15 ff. KSchG). Fehlt es an der Anzeige, sind die Entlassungen unwirksam, und zwar auch solche Entlassungen, die zunächst wirksam waren, später aber unter den Massenentlassungsschutz fallen, weil innerhalb der 4 Wochen weitere Entlassungen nachfolgen. Die Unwirksamkeit dieser Kündigungen tritt aber nur ein, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft (wichtig für den Übergang von Ansprüchen auf das Arbeitsamt; vgl. B A G A P Nr. 1, 2, 4 zu § 15 K S c h G ; vgl. die interessante Auseinandersetzung mit Molitor und Herschel A P Nr. 4 zu § 15 KSchG und dazu Nipperdey „Die Unwirksamkeit von Massenendassungen und die Lehre von der Nichtigkeit" inRdA i960 S. 285). Ist die Anzeige erstattet, muß die Entlassung innerhalb eines Monats nach Ablauf der Monats- bzw. Zweimonatsfrist erfolgen. Spätere Entlassungen zählen wieder für die Berechnung zum Massenentlassungsschutz und werden u.U. erneut anzeigepflichtig. Das Recht zur fristlosen Entiassung bleibt unberührt. Ordentliche Kündigungen zählen aber in jedem Fall mit, auch dann, wenn an ihrer Stelle Neueinstellungen vorgenommen werden. Eine Kompensation ist nicht möglich. In Saison- und Kampagnebetrieben und bei Entlassungen aus Witterungsgründen auf Baustellen gelten die Vorschriften über den Massenentlassungsschutz nicht (§§ 20, 21 Abs. 3 KSchG). Die Genehmigung einer Entlassung durch das Arbeitsamt hindert nicht, die Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 1 KSchG geltend zu machen oder auf andere Gründe zu stützen.

Arbeitsgericht — Betriebsrats-, Schwerbeschädigten-, Mutterschutz

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4. B e t r i e b s r a t s m i t g l i e d e r genießen einen besonderen Kündigungsschutz nach § 1 3 KSchG. Ihnen gegenüber ist eine ordentliche Kündigung unzulässig. Bei einer Betriebsstillegung ist die Kündigung erst zum Zeitpunkt der Stillegung erlaubt. Bei Stillegung einer Betriebsabteilung ist zunächst die Unterbringung in einer anderen Betriebsabteilung zu versuchen; nur wenn dies nicht möglich ist, kann eine Kündigung zum Zeitpunkt der Stillegung der Abteilung erfolgen. Die außerordentliche Kündigung bleibt möglich, auch eine außerordentliche befristete Kündigung. Bei Verstoß gegen Pflichten des Betriebsrats ist aber zu beachten, daß nur ein Ausschluß aus dem Betriebsrat in Betracht kommt, wenn nicht gleichzeitig auch der Arbeitsvertrag verletzt wurde. Die fristlose Kündigung ist auch bei gewerblichen Arbeitern aus jedem wichtigen Grund möglich (§ i 2 4 a G e w O ) ; vgl. B A G Nr. 2ff. zu § 13 KSchG, Nr. 1 zu § 23 BetrVG. Will ein Betriebsratsmitglied gegen eine außerordentliche Kündigung vorgehen, muß es ebenfalls binnen 3 Wochen Klage erheben und kann einen Auflösungsantrag nach § 7 KSchG stellen ( B A G A P Nr. 1 1 zu § 13 K S c h G ; sehr umstritten). 5. S c h w e r b e s c h ä d i g t e dürfen nur mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gekündigt werden (§ 14 Schwerbeschädigtengesetz vom 16. 6. 1953, BGBl. I, 389). Die Kündigungsfrist beträgt mindestens 4 Wochen (§ 15 SchwBeschG). Die Hauptfürsorgestelle berücksichtigt Gesichtspunkte zur Unterbringung Schwerbeschädigter (§§ 17, 18 SchwBeschG). Der allgemeine Kündigungsschutz bleibt unberührt. Da die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle aber im Verwaltungsstreitverfahren angegriffen werden kann und dann noch vor dem Arbeitsgericht über die SozialWirksamkeit der Kündigung gestritten werden kann, ist der Rechtsweg u.U. außerordentlich lang. Eine Entlassung bei einem Aushilfs- oder Probearbeitsverhältnis bis zu 3 Monaten und aus wichtigem Grund bleibt zustimmungsfrei (§ 19 SchwBeschG). Erfolgt aber die außerordentliche Kündigung aus einem Grund, der mit der Gesundheitsschädigung in unmittelbarem Zusammenhang steht, bedarf auch die fristlose Entlassung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle (§ 19 Abs. 3 SchwBeschG). Der Schwerbeschädigtenschutz ist unabhängig von der Erfüllung der Pflichtquote und der Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbeschädigteneigenschaft (BAG A P Nr. 4, 9 zu § 14 SchwBeschG). U.U. kann aber das Arbeitsverhältnis angefochten werden nach §§ 119, 123 BGB. Einen ähnlichen Schutz genießen die Inhaber von Bergmannsversorgungsscheinen in Nordrhein-Westfalen (§ 1 1 Gesetz i.d.F. v. 9. 1. 1958, GVB1. S. 14) und Niedersachsen (§ 1 Gesetz vom 6. 1. 1949, GVB1. S. 15). 6. Nach dem M u t t e r s c h u t z g e s e t z vom 24. 1. 1952 (BGBl. I S. 69) ist die Kündigung während der Schwangerschaft bis zum Ablauf von 4 Monaten nach der Niederkunft unzulässig. Selbst eine außerordentliche Kündigung kann nur nach vorheriger Zulässigkeitserklärung der obersten Arbeitsschutzbehörde des Landes erfolgen ( § 9 MuSchG). Hausgehilfinnen und Tagesmädchen haben den besonderen Kündigungsschutz nur bis zum Ablauf des 5. Monats der Schwangerschaft. Die Kündigung ist unwirksam, wenn dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bekannt ist oder binnen 1 Woche nach der Kündigung mitgeteilt wird. Wegen dieses besonders weitgehenden Mutterschutzes wird häufig versucht, diese scharfen Kündigungsbeschränkungen durch eine A n f e c h t u n g des Arbeitsverhältnisses auszuschalten. Grundsätzlich ist die Anfechtung als besonderes Rechtsinstitut neben der Kündigung anzuerkennen. Schwangerschaft (oder die Schwerbeschädigteneigenschaft) stellt in der Regel aber noch keine verkehrswesentliche Eigenschaft dar, so daß eine Irrtumsanfechtung nur unter besonderen Umständen möglich ist (z.B. bei Schwangerschaft eines Mannequins, einer Tänzerin o. ä).

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Arbeitsgericht — Kündigungsschutz . Urteil bei Auflösung

Wissentlich falsche Angabe auf Befragen können eine arglistige Täuschung darstellen. Die Anfechtung bewirkt aber wegen des Dauerrechtscharakters des Arbeitsverhältnisses keine rückwirkende Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages, sondern nur eine ex-nunc-Auflösung (BAG A P Nr. 2 zu § 123 BGB). 7. P o l i t i s c h V e r f o l g t e haben einen besonderen Kündigungsschutz in Baden (Gesetz v. 10. 1. 1950, GVB1. S. 139, Gleichstellung mit Schwerbeschädigten), in Württemberg-Baden (Gesetz v. 8. 10. 1947, ReglBl. S. 101, Zustimmung desLandesarbeitsamtes, vgl. auch B A G A P Nr. 1 zu § 73 ArbGG) und in Rheinland-Pfalz (Gesetz vom 17. 12. 1956, GVB1. S. 177, Zustimmung des Landesamtes für Wiedergutmachung). 8. Im W e h r d i e n s t gilt der Kündigungsschutz des Eignungsübungsgesetzes (vom 20. 1. 1956, BGBl. I S. 13) und des Arbeitsplatzschutzgesetzes vom 20. 3. 1957 (BGBl. I S. 293). Während der Eignungsübung ist jede ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Die Teilnahme an der Eignungsübung ist kein wichtiger Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses. Vor und nach der Eignungsübung darf nicht aus Anlaß der Teilnahme an der Eignungsübung gekündigt werden. 6 Monate nach Meldung und 3 Monate lang nach der Eignungsübung wird vermutet, daß eine Kündigung aus Anlaß der Eignungsübung erfolgt. Während des Grundwehrdienstes und einer Wehrübung besteht ein Verbot jeder ordentlichen Kündigung. Einberufung zum Wehrdienst ist kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung. Das gilt aber nicht für unverheiratete Arbeitnehmer in Betrieben mit 5 oder weniger Arbeitnehmern bei Einberufung zum Grundwehrdienst. Diesen Arbeitnehmern kann aus Anlaß der Einberufung außerordentlich mit einer Frist von 2 Monaten zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Wehrdienst gekündigt werden. Vor und nach dem Wehrdienst darf nicht aus Anlaß des Wehrdienstes gekündigt werden. Bei der Auswahl im Falle von betriebsbedingten Kündigungen darf die Einberufung nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. 9. Für A b g e o r d n e t e ergibt sich ein Kündigungsschutz aus dem Benachteiligungsverbot des Art. 48 G G . Ähnliche Vorschriften kennen die Landesverfassungen von Baden-Württemberg (Art. 29), Niedersachsen (Art. 17), NordrheinWestfalen (Art. 46), Schleswig-Holstein (Art. 4). 10. Kündigungen können aber auch nach §§ 138, 242 B G B unwirksam sein (BAG A P Nr. 1 zu § 620 B G B Schuldrechtliche Kündigungsbeschränkung) oder gegen die Grundrechte verstoßen (BAG A P Nr. 26 zu § 1 KSchG, Verstoß gegen das Verbot der ungleichen Behandlung von Mann und Frau, Art. 3 GG). Kündigungsschutzvorschriften gelten nur bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung, nicht aber bei Anfechtung oder Beendigung wegen Nichtigkeit (vgl. B A G A P Nr. 2 zu § 125 B G B ) oder durch Zeitablauf. Ein befristetes Arbeitsverhältnis endet aber nur dann durch Zeitablauf, wenn die (insbesondere mehrfache) Befristung objektiv gerechtfertigt ist und kein unzulässiger Kettenvertrag vorliegt. Führt eine unberechtigte Befristung zum Verlust eines Kündigungsschutzes (Umgehungsabsicht wird nicht gefordert!), ist die Befristung unwirksam, der Arbeitsvertrag gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen und bedarf zu seiner Beendigung einer den Kündigungsschutzvorschriften unterliegenden Kündigung ( B A G A P Nr. iff. zu § 620 B G B befristeter Arbeitsvertrag, vgl. auch sehr weitgehend L A G Düsseldorf, A P Nr. 2 zu § 620 B G B Probearbeitsverhältnis). U r t e i l auf A u f l ö s u n g d e s A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s . Die Kammer kommt zu der Überzeugung, daß weder eine fristlose noch eine fristgemäße Kündigung gerecht-

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Arbeitsgericht — Kosten . Streitwert

fertigt war. Die Vorfälle haben sich nach der Beweisaufnahme nicht als so schwerwiegend herausgestellt, daß sie die Kündigung nach so langer Beschäftigungsdauer gerechtfertigt hätten. Jedoch hält sie das Vertrauensverhältnis für so zerrüttet, daß eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Angesichts der Tatsache, daß nur der Arbeitgeber den Auflösungsantrag gegenüber der fristgemäßen Kündigung erklärt hat, die hilfsweise anzunehmen war, konnte die Auflösung erst zum 31. 12. 1958 ausgesprochen werden. Bis dahin hat der Kläger Anspruch auf Gehalt. Deshalb wurde die Abfindung auf 4 Monatsgehälter festgesetzt. Die Abfindung ist bei Auflösung am 31. 12. fällig. Sind die Parteien bei der Verkündung des Urteils anwesend, sind die wesentlichen Entscheidungsgründe mündlich zu eröffnen ( § 6 0 Abs. 2 ArbGG). „Nach geheimer Beratung wurde folgende Urteilsformel unter Mitteilung der wesentlichen Entscheidungsgründe verkündet: Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung vom 30. 8. 1958 nicht aufgelöst ist. Auf Antrag des Beklagten wird das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Zum 31. 12. 1958 aufgelöst und der Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 2000.— D M netto zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt. Der Streitwert wird auf 1500,— D M festgesetzt."

Wenn auch der Beklagte zur Zahlung von 2000,—DM verurteilt wird, darf doch nach § 12 Abs. 6 A r b G G für Kündigungsstreitigkeiten der Streitwert höchstens 3 Monatsgehälter betragen. Diese Höchstgrenze gilt auch für Streitigkeiten, in denen höhere Abfindungen festgesetzt werden, weil auch insoweit der Rechtsstreit um das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geht (BAG A P Nr. 7 zu § 12 A r b G G 1953). Entstehen durch den Auflösungsantrag besondere Kosten, etwa bei widersprechenden Anträgen und Beweisaufnahme zu § 7 KSchG, sind auch entsprechend die Kosten zu verteilen ( B A G A P Nr. 2 zu § 7 KSchG). Hier hat sich der Kläger gegen den Auflösungsantrag nicht gewandt. Er war daher nach § 92 Abs. 2 ZPO auch nicht mit einem Teil der Kosten zu belasten, obwohl der Beklagte mit seinem Hilfsantrag auf Auflösung durchgedrungen war. Es hätte auch genügt, lediglich die Auflösung zum 31. 12. im Tenor auszusprechen, den Feststellungsantrag aber nur in den Gründen zu bescheiden. Der erste Satz des Tenors entfällt dann, er ist Voraussetzung für den Auflösungsantrag (vgl. B A G A P Nr. 2 zu § 7 KSchG). Weil hier aber die Kündigung vom 30. 8. 1958 sowohl als frisdose als auch als fristgemäße Kündigung angegriffen wurde, empfiehlt sich eine Klarstellung über die Unwirksamkeit. Betriebsrisiko, Streik „Kiel, den 30. 8. 1958 Klage der kaufmännischen Angestellten 1. Paul Heinrich 2. Erwin Kalt 3. Friedrich Einig 4. Herbert Mäßig 5. August Born, alle Kiel, Husumer Weg 75—77 Prozeßbevollmächtigter Rechtsschutzsekretär Dieter Rieger, D A G , Kiel gegen die Fa. Heinrich Augist Ueppig A G , Kiel, Uferstr. 9 wegen Lohnzahlung. Ich werde beantragen, 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1 650,— D M „ „ 2 700,— D M

„ „ ,,

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„ 3 5°°»— D M 4 555 —DM

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475,— D M zu zahlen.

64 Lux, Schulung j. Aufl. (Neumaon/Klaus)

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Arbeitsgericht — Annahmeverzug . Betriebsrisiko 2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Industrie-Gewerkschaft Metall im D G B hat in der Zeit vom i. 6. bis 30. 6. 1958 nach Ablauf des Tarifvertrages für die Arbeiter in der Metallindustrie den Betrieb der Beklagten in Kiel bestreikt. Die Arbeiter sind geschlossen dem Streikaufruf gefolgt. Hierdurch konnten die in der Betriebsaufsicht und der Lohnstelle tätigen Kläger nicht mehr beschäftigt werden, weil für sie keine Arbeit mehr anfiel. Sie wurden von der Beklagten ab 5. Juni ohne Bezüge beurlaubt und erst ab x. 7. 1958 wieder beschäftigt. Die Kläger waren am Streik nicht beteiligt. Mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist ein ab 1. 6. 1958 geltender neuer Angestelltentarif geschlossen worden, so daß sich die Angestellten gar nicht am Streik beteiligen konnten, weil Friedenspflicht bestand. Wenn die Beklagte einen Streik durch ihre unnachgiebige Haltung gegenüber den Arbeitern heraufbeschwört, muß sie die Folgen dafür tragen, daß sie die Kläger nicht weiterbeschäftigen kann. Die Kläger haben sämtlich ihre Arbeitskraft angeboten. Die Beklagte ist demzufolge in Annahmeverzug geraten und muß den Klägern den Lohnausfall in der Zeit der Beurlaubung ersetzen, der in der eingeklagten Höhe eingetreten ist.

Wenn der Arbeitgeber von den angebotenen Diensten des Arbeitnehmers keinen Gebrauch machen kann, gerät er nach § 615 B G B in Annahmeverzug und muß den Lohn fortzahlen, auch wenn die Verhinderung noch so lange dauert. Verschulden der Nichtannahme auf Seiten des Arbeitgebers ist keine Voraussetzung für den Annahmeverzug. Jedoch schließt die Unmöglichkeit der Annahme den Annahmeverzug aus (BAG, A P Nr. 5 zu § 9 MuSchG). Unmöglichkeit der Leistung und Annahmeverzug sind unvereinbar und können nicht nebeneinander bestehen. Im Einzelfall kann aber die Abgrenzung zwischen Unmöglichkeit und Annahmeverzug Schwierigkeiten bereiten. Das gilt vor allem für das sog. „Betriebsrisiko", auf dem Gebiet des Arbeitsrechts vorkommende Grenzfälle, in denen eine schematische Einordnung nach § 323 oder § 615 B G B zu groben Unbilligkeiten führen kann. Vom Betriebsrisiko spricht man immer dann, wenn ohne Verschulden des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers eine gänzliche oder teilweise Stillegung, Einschränkung oder Störung des Betriebes eintritt und deshalb keine Arbeit geleistet werden kann. Diejenigen Fälle, in denen den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer ein Verschulden an dem Arbeitsausfall trifft, scheiden aus. Sie regeln sich nach §§ 324, 325 BGB. Früher nahmen die einen Annahmeverzug oder Schuldnerverzug, andere aber Unmöglichkeit an. Schließlich löste sich die arbeitsrechtliche Rechtsprechung und Lehre völlig von diesen Regeln des B G B für die Lösung des Betriebsrisikos. Grundlegend war die Entscheidung des Reichsgerichts vom 6. 2. 1923 ( R G Z 106, 272fr.), das im Falle des Teilstreiks entschied, die Lösung müsse dem Gedanken der sozialen Arbeits- und Betriebsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entnommen werden. Das Reichsarbeitsgericht hat dann in der Entscheidung vom 20. 6. 1928 (ArbRSamml. Bd. 3 S. i i 6) die endgültige Trennung von den Bestimmungen des B G B vollzogen und anerkannt, daß diese Frage aus dem B G B nicht gelöst werden könne, sondern eine Lücke im Gesetz besteht. Aus allgemeinen Rechtsgedanken heraus müsse derjenige die Folgen des Betriebsrisikos tragen, der die Ereignisse zu vertreten hat. Diese '„Sphärentheorie" ist im wesentlichen beibehalten worden. In der Zeit vor 1945 wurde zwar das Führerprinzip stärker betont, im Ergebnis aber behielt man die bisherigen Grundsätze bei. Nach 1945 waren die Anlässe zu Entscheidungen durch Strom- und Kohlenmangel besonders häufig. Durch die starke Gefährdung des Bestandes der Unternehmen wurden häufig die Arbeitnehmer am Betriebsrisiko stärker beteiligt. Das Bundesarbeitsgericht hat ausdrücklich an die Rechtsprechung des R G und R A G angeknüpft, sie bestätigt und weiterentwickelt (BAG, A P Nr. 2, 3, 4 zu § 615 B G B Betriebsrisiko). Daraus lassen sich folgende Grundsätze entwickeln: 1. Das Problem des Betriebsrisikos trifft nur Fälle, in denen weder den Arbeitgeber noch den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft. Die Regeln des B G B sehen hierfür keine Bestimmungen vor, sondern enthalten eine Lücke.

Arbeitsgericht — Streik

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2. Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung für die Führung des Betriebes. Er bezieht die Erträge und muß grundsätzlich dafür eintreten, daß der Betriebsorganismus in Funktion bleibt und die Arbeitsmittel zur Verfügung stehen, damit der Arbeitnehmer Lohn erzielen kann. 3. Dieses Grundprinzip findet keine Anwendung, wenn die Nichtbeschäftigung auf das Verhalten der Arbeitnehmer zurückzuführen ist. 4. Ausnahmen, die auch zu einer Verteilung des Betriebsrisikos führen können, gelten dann, wenn die Ereignisse nicht nur die Führung des Betriebes betreffen, sondern den Bestand des Betriebes beeinträchtigen. Bei S t r o m a u s f a l l wurde dementsprechend in der Regel der Lohnanspruch der Arbeitnehmer bejaht ( R A G ArbRSamml 4, 131; 5, 34; 7, 305; 8, 413; 10, 437; a. A . 5,38 vgl. aber die Anm. von Hueck). Nach dem Krieg wurde dagegen das Betriebsrisiko auch geteilt ( L A G Hamburg, BB 1947, 410). So wurde auch das Kriegsrisiko verteilt ( L A G Hamburg, RdA 1948, 144; L A G Düsseldorf, BB 1948, 190). M a s c h i n e n s c h ä d e n und K o h l e n m a n g e l wurden der Sphäre des Arbeitgebers zugerechnet ( R A G ArbRSamml. 4, 149; 5, 41, 366; 7, 415; 8, 260, 407; 10, 523; 15, 350), ebenso Naturereignisse ( R A G ArbRSamml 3, 119; 5, ixo; 10, 150). Der Lohnanspruch wurde weiter zuerkannt bei Verweigerung des Zutritts zur Arbeitsstätte durch Dritte ( R A G ArbRSamml. 3, 178), bei kurzfristigem Rohstoffmangel ( R A G ArbRSamml. 14, 363), bei Inventuraufnahme ( R A G ArbRSamml 7, 137), bei Arbeitsverhinderung durch behördliche Anordnung ( R A G ArbRSamml. 23, 219). Dagegen hat das B A G für die Dauer regelmäßiger Überholpausen Unmöglichkeit angenommen und den Lohnanspruch verneint (AP Nr 2 zu § 611 B G B Lohnanspruch). Der Hauptfall, in dem die Arbeitnehmer das Betriebsrisiko zu tragen haben, ist der S t r e i k . Der Streik ist die planmäßige gemeinsame Arbeitseinstellung von Arbeitnehmern zu einem bestimmten Kampfziel mit dem Willen, nach Kampf beendigung die Arbeit wieder aufzunehmen. Dem steht als Kampfmittel der Arbeitgeber die Aussperrung gegenüber: Die Ausschließung von Arbeitnehmern unter Lösung des Arbeitsverhältnisses zur Erreichung eines Kampfzieles mit dem Willen, nach Kampfende die Arbeitnehmer wieder einzustellen. Eine besondere Streikfreiheit ist nicht etwa durch Art. 9 G G garantiert, sie ergibt sich nur aus einigen Landesverfassungen im Rahmen der Gesetze. Wichtig ist die neuere Rechtsprechung des B A G zum Streik (Großer Senat vom 28. 1. 195 5, A P Nr. 1 zu Art. 9 G G Arbeitskampf): Während bis dahin die Auffassung herrschte, daß eine Streikbeteiligung ohne Kündigung und Einhaltung der Kündigungsfrist eine Arbeitsvertragsverletzung darstelle, die den Arbeitgeber zur fristlosen Entlassung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung berechtigt, hat das B A G die Einheit des Streiks in kollektivrechtlicher und privatrechtlicher Hinsicht betont. Die Beteiligung am legitimen Streik ist danach nicht vertragswidrig und nicht rechtswidrig, eine fristlose Entlassung ist unzulässig. Die Arbeitsverhältnisse bleiben bestehen, Streik bedeutet keine Kündigung durch die Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber kann aber gegenüber dem Streik im Wege der kollektiven Abwehraussperrung die Arbeitsverhältnisse der streikenden Arbeitnehmer fristlos lösen. Es handelt sich um einen von der Kündigung zu unterscheidenden Lösungstatbestand sui generis, der im kollektiven Recht wurzelt. Die Wiedereinstellung nach einer Aussperrung liegt im unternehmerischen Ermessen. Das Ermessen darf aber nicht mißbräuchlich ausgeübt werden. Außerdem werden häufig nach dem Streik Maßregelungsverbote zwischen denTarifpartnern vereinbart, nach denenwegen derStreikbeteiligung keine Benachteiligung erfolgen darf, also in der Regel alle Arbeitnehmer wieder einzustellen sind.

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Arbeitsgericht — Sozialadäquanz

Maßgeblich für den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse der Streikenden wird damit die Frage, ob der Streik l e g i t i m ist. Sie ist weiter dafür von Bedeutung, ob der Bestreikte Schadensersatzansprüche hat. Ein Streik ist illegitim und unzulässig, wenn er obligatorische Pflichten aus dem Tarifvertrag verletzt (Friedenspflicht und Durchführungspflicht; vgl. zum Umfang der Friedenspflicht B A G v. 31. 10. 1958, A P Nr. 2 zu § 1 T V G Friedenspflicht; Leitsätze auch NJW195 9, 35 6f.). Darüber hinaus kann ein Streik sich als rechtswidrige unerlaubte Handlung darstellen. Jetzt ist allgemein anerkannt, daß der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ein im Rahmen des § 823 Abs. 1 B G B geschütztes Rechtsgut ist. Die Verletzung dieses Rechtsgutes ist aber nur dann rechtswidrig, wenn der Arbeitskampf nicht s o z i a l a d ä q u a t ist. Die Sozialadäquanz bildet einen in der rechtsstaatlichen Sozialordnung wurzelnden Rechtfertigungsgrund. Die Ordnung menschlichen Zusammenlebens bringt aus der historischen Entwicklung heraus gewisse Einschränkungen mit sich, die sich in der Sozialadäquanz niederschlagen. Das gleiche gilt für die Aussperrung, die grundsätzlich das Recht am Arbeitsplatz als geschütztes Rechtsgut verletzt, aber auch herkömmlicher Weise unter bestimmten Bedingungen nicht rechtswidrig ist. Unter folgenden Voraussetzungen ist der Arbeitskampf sozialadäquat: 1. Der Arbeitskampf muß vom Berufsverband geführt werden. Wilde Streiks und Aussperrungen sind sozialinadäquat. 2. Der Arbeitskampf muß um Arbeitsbedingungen (allerdings im weitesten Sinn) geführt werden. Politische Ziele (vgl. den sog. Zeitungsstreik um das Betriebsverfassungsgesetz) sind rechtswidrig. 3. Der Arbeitskampf muß die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung der Ziele sein. 4. Er muß den Grundregeln des Arbeitsrechts entsprechen und mit zulässigen Mitteln geführt werden (vgl. B A G A P Nr. 2 zu Art. 9 G G Arbeitskampf, Streik des Senefelder Bundes um freie Lohnvereinbarung als Tarifklausel). Tritt infolge eines Streiks in einem anderen Betrieb eine Betriebsstörung ein oder kann ein Betrieb wegen eines Teilstreiks nicht arbeiten, fällt die Störung in die Sphäre der Arbeitnehmer. Das gilt nicht nur bei einem gewerkschaftlichen Streik, weil die Arbeitnehmer in einem Solidaritätsverhältnis stehen und in Gewerkschaften über den einzelnen Betrieb hinaus organisiert sind, sondern auch beim wilden Streik. Der Grundsatz der Kampfparität verlangt, den Kampfgegner nicht mit dem Risiko des Arbeitskampfes zu belasten. Sonst könnte gerade beim Teilstreik durch gezielte Maßnahmen praktisch das gesamte Risiko auf den Arbeitgeber abgewälzt werden. Würde man beim wilden Streik davon ausgehen, daß ein Solidaritätsgefühl und die Klammer des Berufsverbandes fehlen, würde dies zu wilden Streiks anreizen. Deshalb muß hier vor allem darauf abgestellt werden, daß die Ursachen der Betriebsstörung aus der Sphäre der Arbeitnehmer kommen. Das gilt auch im Verhältnis der Angestellten zu den Arbeitern. Selbst wenn die Angestellten den Forderungen der Arbeiter (etwa auf Gleichstellung mit den Angestellten) ablehnend gegenüber stehen, gehören doch die Angestellten der Arbeitnehmersphäre an und müssen das Risiko mittragen (BAG A P Nr. 4 zu § 615 B G B Betriebsrisiko). Voraussetzung muß immer sein, daß die Betriebsstörung infolge eines Kollektivaktes eintritt. Kommt es dadurch zum Arbeitsausfall, daß infolge der Unachtsamkeit eines Arbeitnehmers eine Maschine ausfällt oder durch den Unfall des TransportL K W das Rohmaterial nicht rechtzeitig angeliefert wird, ist das ein Fall des unternehmerischen Risikos des Arbeitgebers. Für Ungeschicklichkeit oder schuldhaftes Handeln eines Kollegen brauchen die anderen Arbeitnehmer nicht einzustehen. Welchen Arbeitnehmer der Arbeitgeber einstellt, obliegt seiner Betriebsführung. Fehler fallen daher in seine Sphäre.

Arbeitsgericht — Beschluß- und Urteilsverfahren

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Der Arbeitgeber muß weiter das Risiko tragen, wenn die Betriebsstörung durch eine Aussperrung hervorgerufen wird. Sperrt der Arbeitgeber eines Zulieferbetriebes die Arbeitnehmer aus, muß in den betroffenen Lieferbetrieben der Arbeitgeber den Lohnausfall tragen. Das würde auch bei einer Sympathieaussperrung, nicht aber bei einer Abwehraussperrung gelten, weil diese durch Streik, also durch eine Arbeitnehmerhandlung hervorgerufen ist. Der Arbeitgeber muß aber auch den Lohnausfall tragen, wenn der Streik durch sein eigenes rechtswidriges oder vertragswidriges Verhalten von ihm verschuldet worden ist. Das machen die Kläger auch hier geltend, wenn sie vortragen, die Beklagte habe den Streik heraufbeschworen. Eine bloß unnachgiebige Haltung reicht aber dazu nicht aus. Der Arbeitgeber kann ihm zu weit gehende Forderungen ablehnen ( R G Z 106, 272; L A G Hannover A P 1954 Nr. 28). Hier müssen die Angestellten für den Streik der Arbeitnehmer mit eintreten. Ihr Antrag ist zurückzuweisen. Beschlußverfahren Essen, den 29. 11. 1958 An das Arbeitsgericht Essen des Betriebsrates der Gustav Schulz GmbH

Antrag Prozeßbevollmächtigter: Gewerkschaftssekretär Freilich, D G B Essen

gegen die Gustav Schuld GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Hans Endlich, Essen, Obere Mauer 20. Ich werde beantragen festzustellen, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, einen Aufsichtsrat zu bilden, der zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer besteht.

Es handelt sich um einen Antrag im B e s c h l u ß v e r f a h r e n nach § 82 BetrVG bzw. § 2 Ziff. 4 ArbGG. Das Beschlußverfahren ist ein selbständiges Verfahren neben dem Urteilsverfahren. Es hat eine etwas merkwürdige Stellung. Als besonderer Verfahrensteil ist es im Arbeitsgerichtsgesetz (§§ 80ff.) geregelt. Es weicht in wichtigen Teilen vom Urteilsverfahren erheblich ab, insbesondere ist es vom Offizialprinzip beherrscht. Aus diesem Grunde wurde das Beschlußverfahren teilweise als Verwaltungsstreitverfahren angesehen (Dietz-Nikisch, vor § 80 A r b G G Anm. 5 ff.). Diese Auffassung könnte dadurch bestärkt werden, daß für Streitigkeiten aus dem Personalvertretungsrecht die Verwaltungsgerichte in einem besonderen Beschlußverfahren entscheiden (§§ 76, 77 PersVG). Die Verwaltungsgerichte verfahren aber im Beschlußverfahren nach den Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes. Diese Sonderregelung wird nur dann verständlich, wenn man davon ausgeht, daß das Beschlußverfahren der Arbeitsgerichte Zivilgerichtsbarkeit ist. Als solche muß es auch schon deshalb angesehen werden, weil im Beschlußverfahren ausschließlich über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten sowie über die Tariffähigkeit von Verbänden entschieden wird und beide Rechtsgebiete nach weitaus herrschender Meinung dem Privatrecht zuzurechnen sind. Selbst wenn man die Betriebsräte als öffentlich-rechtliche Einrichtungen ansehen wollte, bliebe der Charakter der Gerichte für Arbeitssachen der einer Zivilgerichtsbarkeit, welcher auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in einem Zivilverfahren zugewiesen sind. Die Arbeitsgerichte sind schon ihrer ganzen Entwicklung nach, insbesondere aber im Hinblick auf die Verweisungsmöglichkeit nach § 276 B G B (§ 48 ArbGG) Teile der Zivilgerichtsbarkeit. Man hat dementsprechend das Beschlußverfahren auch mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit verglichen. Daran ist jedenfalls so viel richtig, als damit zum Ausdruck

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Arbeitsgericht — Beteiligte im Beschlußverfahren

kommt, daß hier ein besonderer Verfahrensteil vorliegt. E r muß aber mehr der streitigen als der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugerechnet werden, insbesondere finden die Vorschriften des F G G auch nicht subsidiär Anwendung. Urteilsverfahren und Beschlußverfahren schließen einander aus ( B A G A P Nr. 46 zu § 2 A r b G G ; Nr. 1 zu § 2 A r b G G 1953 Betriebsverfassungsstreit). In allen Fällen, in denen das Beschlußverfahren zum Ziele führt und der Beschluß einer Vollstreckung fähig ist ( § 8 6 ArbGG), kann das Urteilsverfahren keine Anwendung finden. Das hindert aber nicht eine Vorentscheidung von Fragen des Beschlußverfahrens in einem Urteilsverfahren. Nach § 37 BetrVG haben z. B. die Betriebsratsmitglieder Anspruch auf die für die Ausführung ihres Amtes notwendige Freizeit. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, wegen hierdurch eintretender Arbeitsversäumnis den Lohn zu kürzen. Geschieht dies trotzdem, muß das Betriebsratsmitglied seinen Lohn als Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis im Urteilsverfahren einklagen. Dabei wird inzidenter die Vorfrage entschieden, ob die Zeitversäumnis zur Ausübung des Amtes notwendig war (vgl. B A G A P Nr. 1 ff. zu § 37 BetrVG). Geht der Streit aber nur um die Notwendigkeit von Freizeit, etwa über eine teilweise oder völlige Freistellung von der Arbeit, ist diese Entscheidung im Beschlußverfahren über die Geschäftsführung des Betriebsrates zu entscheiden ( § 2 A r b G G Ziff. 4 Buchst, i). Wird später der Lohnanspruch für die Freizeit streitig, muß das Betriebsratsmitglied den Lohn im Urteilsverfahren einklagen, in dem die Entscheidung über die Notwendigkeit derFreizeit präjudiziell ist. Das Beschlußverfahren ist für kollektivrechtliche Streitigkeiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen. Der ursprünglich unvollständige Katalog in § 82 BetrVG ist mit Einführung des A r b G G 1953 erweitert worden. Er ist aber immer noch nicht ganz erschöpfend; auch wenn er vom Gesetzgeber so aufgefaßt wurde, bleibt er doch lückenhaft. Grundsätzlich sind alle betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Beschlußverfahren auszutragen. Ist eine Frage in dem Katalog in § 2 Ziff. 4 A r b G G nicht ausdrücklich erfaßt, muß sie trotzdem im Beschlußverfahren entschieden werden, weil die Besonderheiten dieses Verfahrens eine spezielle, schnelle, bessere und billigere Entscheidung gewährleisten (BAG A P Nr. 46 zu § 2 A r b G G für den Fall der Herausgabe von Betriebsratsakten); anders aber beim Streit über eine Betriebsratskasse, für den das Beschlußverfahren nicht zulässig ist (vgl. A P Nr. 2 zu § 82 BetrVG und B A G A P Nr. 1 zu § 2 A r b G G 1953 Betriebsverfassungsstreit). Das besondere Beschlußverfahren über die Tariffähigkeit von Vereinigungen ist in § 97 A r b G G geregelt. Damit sind aber nicht alle Kollektivstreitigkeiten im Beschlußverfahren auszutragen. Vielmehr gilt für Streitigkeiten zwischen Tarifparteien aus Tarifverträgen und über Arbeitskämpfe und Koalitionsrecht das Urteilsverfahren nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 ArbGG. Zu beachten ist, daß bei einem Teil von Kollektivstreitigkeiten das Arbeitsgericht mit je 2 Beisitzern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu besetzen ist, also in einer Besetzung von 5 Richtern entscheidet (§ 16 Abs. 2 A r b G G , für die 2. Instanz gilt diese Vorschrift entsprechend, § 3 5 ArbGG). Eingeleitet wird das Beschlußverfahren auf Antrag ( § 8 1 ArbGG). Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Betriebssitz (§82 ArbGG). Bei Streitigkeiten, die das Unternehmen betreffen, ist der Sitz des Unternehmens maßgeblich. Die Verweisung an das zuständige Gericht richtet sich auch hier nach § 276 ZPO. Im Beschlußverfahren gibt es keine eigentlichen Parteien, sondern nur Beteiligte. In bestimmten Fällen, z.B. bei der Einsetzung eines Wahlvorstandes nach § 16 BetrVG, richtet sich der Antrag auch gar nicht gegen einen Streitgegner. Wenn hier ein Antragsgegner genannt ist, wird damit der Streitpartner gemeint. Das enthebt aber das Gericht nicht der Prüfung, welche Organe noch beteiligt sind. Im Streit um die Aufsichtsratsbildung sind zunächst Betriebsrat und Unternehmen Beteiligte. Geht der Streit um die Beteiligung der Arbeitnehmer an einem bestehenden Aufsichts-

Arbeitsgericht — Aufsichtsrat für GmbH

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rat, ist auch dieser beteiligt. Schließlich müssen alle sonstigen Betriebsräte von unternehmenszugehörigen Betrieben als Beteiligte angesehen werden (BAG A P Nr. 7 zu § 92 ArbGG). Aus dieser Interessenstellung heraus ist auch § 10 A r b G G zu verstehen, nach dem alle nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligten Stellen und Personen parteifähig sind. Sowohl der Betriebsrat als auch der Wahlvorstand, der Gesamtbetriebsrat, die Jugendvertretung oder tarifliche Sondervertretungen können danach am Beschlußverfahren Beteiligte sein. Schwierigkeiten bereitet dabei die Vertretung solcher „Stellen". Nach § 1 1 A r b G G können die Gewerkschaften nur ihre Mitglieder vertreten. Der Betriebsrat oder der Wahlvorstand können aber nicht Mitglied der Gewerkschaft sein. Man hält die Vertretungsbefugnis dann für gegeben, wenn wenigstens ein Mitglied des Betriebsrates usw. der Gewerkschaft angehört (BAG A P Nr. 7 zu § 1 1 ArbGG). Der Antragsteller ist Betriebsrat der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin betreibt einen Schrottgroßhandel unter teilweiser Ver- und Bearbeitung. Neben dem Hauptbetrieb in Essen sind noch 3 weitere Betriebsstätten in Hamburg, Hannover und Ludwigshafen vorhanden. In Essen wurden nach der letzten Aufstellung aus dem Juli 1958 350 Arbeitnehmer beschäftigt, in Hamburg 103, in Hannover 34 und in Ludwigshafen 28 Arbeitnehmer. Schon danach sind die Erfordernisse des § 77 BetrVG erfüllt, weil die Antragsgegnerin mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Sie muß dann aber einen Aufsichtsrat bilden, an dem die Arbeitnehmer zu beteiligen sind.

Der Antrag erscheint insoweit schlüssig. Nach § 77 BetrVG müssen Gesellschaften mit beschränkter Haftung einen Aufsichtsrat bilden, an dem die Arbeitnehmer nach § 76 BetrVG zu beteiligen sind. Die Verpflichtung zur Bildung eines Aufsichtsrates folgt ex lege. Einer besonderen Bestimmung im Gesellschaftsvertrag bedarf es nicht. Entgegenstehende Vorschriften des Gesellschaftsvertrages sind nichtig. Der Aufsichtsrat hat bestimmte Rechte und Pflichten, die durch Verweisung in § 77 Abs. 1 BetrVG auf die entsprechenden Vorschriften des Aktiengesetzes festgelegt sind. Die Befugnisse sind erheblich geringer als die eines Aufsichtsrates einer A G . So werden z.B. die Geschäftsführer als gesetzliche Vertreter der GmbH nach wie vor von den Gesellschaftern bestellt und abberufen. Der Aufsichtsrat besteht mangels anderer Vorschriften aus 3 Personen, von denen eine Arbeitnehmervertreter ist. Im Gesellschaftsvertrag können andere durch 3 teilbare Mitgliederzahlen festgelegt werden. Verabsäumt die Gesellschaft die Bestellung eines Aufsichtsrates, kann aber das Arbeitsgericht keine Ersatzbestellung vornehmen. Die einzige Möglichkeit, den fehlenden Aufsichtsrat zu ersetzen, besteht nach § 89 AktG, jetzt i.d.F. des Gesetzes vom 15. 7. 1957 (BGBl. I, S. 714). Danach bestellt auf Antrag des Betriebsrates das Registergericht die notwendigen Aufsichtsratsmitglieder. Wäre deshalb der Antrag unzulässig? Auch das Beschlußverfahren setzt ein Rechtsschutzinteresse voraus (BAG A P Nr. 2 zu § 81 A r b G G ; Nr. 1 zu § 19 BetrV G ; Nr. 1 zu § 82 BetrVG). Wenn aber ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, das gewünschte Ziel zu erreichen, fehlt es regelmäßig am Rechtsschutzinteresse. Hier kann man aber die Antragsteller nicht auf den Antrag an das Registergericht verweisen. Das Registergericht hätte nämlich wiederum nicht darüber zu befinden, ob an dem Aufsichtsrat Arbeitnehmer zu beteiligen sind. Zwar ist in § 77 BetrVG die Errichtung eines Aufsichtsrates nur wegen der Beteiligung der Arbeitnehmer vorgeschrieben. Auch hat der Betriebsrat nur dann ein Antragsrecht nach § 89 AktG, wenn die Arbeitnehmer am Aufsichtsrat zu beteiligen sind. Trotzdem kann das Registergericht hierüber nur Inzidenzentscheidüngen treffen, die keiner Rechtskraft fähig sind. Ob die Arbeitnehmer am Aufsichtsrat zu beteiligen sind, entscheidet nach § 2 Abs. 1 Ziff. 2 Buchst, o allein das Arbeitsgericht in ausschließlicher Zuständigkeit. Wenn über die hierfür notwendigen Voraussetzungen Streit besteht, können die Beteiligten

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Arbeitsgericht — Arbeitnehmerähnliche Personen

eine rechtskräftige Entscheidung darüber verlangen. Sie haben ein Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Frage, ob Arbeitnehmer in einen zu bildenden Aufsichtsrat zu entsenden sind. Man könnte allenfalls daran denken, nur für den zweiten Teil des Antrags über die Beteiligung der Arbeitnehmer das Rechtsschutzinteresse zu bejahen, weil § 2 Abs. i Ziff. 4 Buchst, o nur diese Frage erfaßt. Wie bereits erwähnt, wollte aber der Gesetzgeber den Katalog des § 2 Ziff. 4 A r b G G zwar erschöpfend, aber auch vollständig angeben. Da beide Fragen untrennbar zusammenhängen, ist das Rechtsschutzinteresse am gesamten Antrag zu bejahen, zumal davon auszugehen ist, daß die GmbH nach einem rechtskräftigen Beschluß die Bestellung eines Aufsichtsrates vornehmen wird, schon um einer sonst notwendigen Ersatzbestellung durch das Registergericht zuvorzukommen. Der Betriebsrat stellt aber seinen Antrag in der Begründung lediglich darauf ab, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr als 5 00 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sind. Wenn auch richtig die Beschäftigten aller Betriebe des Unternehmens zusammengerechnet werden, muß doch eine r e g e l m ä ß i g e Beschäftigung von mehr als 500 Arbeitnehmern vorliegen. Nur vorübergehendes Ansteigen der Belegschaftszahlen verpflichtet noch nicht zur Errichtung eines Aufsichtsrates. Hierauf stellt auch die Antragsgegnerin ab, nachdem das Arbeitsgericht die Antragsschrift den Beteiligten zugestellt hat: Die Darstellung des Betriebsrates entspricht nicht ganz den Tatsachen. Zwar stimmen die in der Antragsschrift genannten Zahlen. E s ist aber darauf hinzuweisen, daß im Sommer Hochbetrieb herrscht und deshalb mehr Arbeitnehmer beschäftigt werden als in anderen Jahreszeiten. So beliefen sich die Beschäftigungszahlen am 1. 1. 1958 nur auf 325 Arbeitnehmer in Essen 91 „ „ Hamburg 29 ,, „ Hannover und 25 „ „ Ludwigshafen zusammen also nur 470 Arbeitnehmer. Zur Zeit beträgt die Zahl der Beschäftigten noch 505 Arbeitnehmer, sie wird aber bald wieder unter 500 sinken. Im arithmetischen Mittel werden weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Hinzu kommt aber, daß in diesen Zahlen noch 48 Vertreter enthalten sind. Diese können nicht zu den Arbeitnehmern i. S. des Betriebsverfassungsrechtes gezählt werden, weil sie selbständige Kaufleute sind, die für uns Schrott vermitteln und hierfür nur Provisionen erhalten.

Arbeitnehmer sind Dienstverpflichtete i. S. des § 611 B G B , die in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, das Rechtsverhältnis wird als Arbeitsverhältnis bezeichnet. Davon ist das unabhängige Dienstverhältnis zu unterscheiden. Auch im unabhängigen Dienstvertrag sind Dienste gegen Vergütung zu leisten; es fehlt aber die persönliche Abhängigkeit (Beispiel: Industrieberater, Vorstandsmitglied einer AG). Dazwischen steht eine Gruppe, die ihre Dienste nicht in persönlicher Abhängigkeit leisten, wohl aber wirtschaftlich weitgehend vom Dienstberechtigten abhängen. Sie sind bei der Bestimmung der Arbeitszeit, der Arbeitseinteilung, manchmal auch in der Heranziehung von Hilfskräften im wesentlichen frei. Dadurch, daß sie aber auf den Verdienst aus dem Dienstvertrag angewiesen sind, stehen sie in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Als Beispiele haben besonders die Heimarbeiter und die Handelsvertreter zu gelten. Man bezeichnet sie als arbeitnehmerähnliche Personen. Damit ist schon ausgedrückt, daß sie keine Arbeitnehmer sind. Weil sie aber wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit häufig besonders schutzbedürftig sind, werden arbeitsrechtliche Schutzvorschriften für anwendbar erklärt. Das muß aber stets durch besondere gesetzliche Bestimmungen erfolgen und ergibt sich noch nicht aus dem nur wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis. So haben Heim-

Arbeitsgericht — Handelsvertreter . Beschluß . Beschwerde

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arbeiter nach den Urlaubsgesetzen einen besonderen Urlaubsanspruch. Sie werden nach dem Betriebsverfassungsgesetz den Arbeitnehmern gleichgestellt, soweit sie in der Hauptsache für den gleichen Betrieb arbeiten ( § 5 Abs. 1 BetrVG). Dagegen haben Heimarbeiter keinen Kündigungsschutz nach dem K S c h G v o m 10. 8. 1951, sondern nur Anspruch auf Einhaltung einer Kündigungsfrist von 14 Tagen nach ausschließlicher oder überwiegender Beschäftigung von 1 Jahr ( § 2 9 Heimarbeitsgesetz v o m 14. 3. 1951, BGBl. I S. 191). A u f der anderen Seite fallen Heimarbeiterinnen unter das Mutterschutzgesetz (§ 1 Buchst, b MSchG). Streitigkeiten von arbeitnehmerähnlichen Personen mit ihren Auftraggebern gehören zur Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ( § 5 A r b G G ) . Für Handelsvertreter ist hinsichtlich der Zuständigkeit eine Abgrenzung gesetzlich, in Art. 3 des Gesetzes über das Recht der Handelsvertreter v o m 6. 8. 1953 (BGBl. I S. 771) festgelegt: Für Handelsvertreter ist die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nur dann gegeben, wenn es sich a) um sogenannte Einfirmenvertreter handelt (entweder dürfen sie vertraglich nicht für weitere Unternehmer tätig werden, oder es darf ihnen eine andere Tätigkeit nach Art und Umfang der verlangten Dienste nicht möglich sein, § 92 a H G B ) und sie b) während der letzten 6 Monate (oder bei kürzerer Vertragsdauer während dieser) nicht mehr als 500 D M an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist damit aber nur die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben. Trotzdem bleiben die Handelsvertreter selbständig, sie werden keine Arbeitnehmer. Arbeitsschutzvorschriften wie das Schwerbeschädigtengesetz, das Kündigungsschutzgesetz und andere Schutzbestimmungen gelten für sie nicht, wenn nicht wie z. B. im Eignungsübungsgesetz und im Arbeitsplatzschutzgesetz besondere Vorschriften erlassen sind ( § 5 Eignungsübungsgesetz, Kündigungsverbot aus Anlaß der Eignungsübung; § 8 Arbeitsplatzschutzgesetz, Kündigungsverbot aus Anlaß des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung). Für die Anwendung von arbeitsrechtlichen Vorschriften auf einen sog. Vertreter kommt es nicht auf die Abgrenzung des Art. 3 Handelsvertretergesetz, sondern auf die Definition für Handelsvertreter und Angestellte in § 84 H G B an. Das gilt ebenfalls für die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes. Geschäfte können auch im Angestelltenverhältnis gegen Provision vermittelt werden. Nach § 84 Abs. 1 H G B kommt es darauf an, ob der Dienstverpflichtete seine Tätigkeit im wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Ein Güteverfahren gibt es im Beschlußverfahren nicht. Der Vorsitzende lädt deshalb alle Beteiligten zum Anhörungstermin vor der Kammer (§83 A r b G G ) . Beteiligte sind hier vor allem auch die Betriebsräte der Zweigwerke der GmbH. Der Pflicht zur Anhörung ist genügt, wenn ein Beteiligter auf die Ladung hin unentschuldigt ausbleibt. Eine schriftliche Äußerung kann gestattet werden. Das Verfahren ist unter dem Prinzip der Amtsermittlung verhältnismäßig frei. Es können Zeugen und Sachverständige vernommen werden, Urkunden und Auskünfte eingeholt sowie der Augenschein eingenommen werden. Die Beweisaufnahme erfolgt in aller Regel vor der Kammer ( § 5 8 A r b G G gilt entsprechend). Die Kammer entscheidet auf Grund des Verfahrens „nach freier Überzeugung" durch Beschluß ( § 8 4 A r b G G ) . Der Beschluß ist ohne Einschränkung binnen der Berufungsfrist von 14 Tagen durch Beschwerde beim L A G anfechtbar. Die Beschwerde muß gleichzeitig begründet werden, eine besondere Begründungsfrist ist im Gegensatz zum Urteilsverfahren nicht vorge-

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Arbeitsgericht — Rechtsbeschwerde . Konzernunternehmen

sehen. Diese kurze Frist gilt auch für die Rechtsbeschwerde gegen den zweitinstanzlichen Beschluß an das B A G (§94 ArbGG). Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, wenn das L A G sie zugelassen hat oder der Beschluß von einer Entscheidung des B A G abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Beschlußverfahren über die Tariffähigkeit sind stets rechtsbeschwerdefähig (§97 Abs. 2 ArbGG). Eine Kostenentscheidung gibt es im Beschlußverfahren nicht. Das Verfahren ist gebühren- und auslagenfrei ( § 1 2 Abs. 5 ArbGG). Es fehlt auch an eigentlichen Streitparteien. Der Betriebsrat und sonstige Beteiligte sind nicht vermögensfähig und wechseln in ihrer Zusammensetzung. Eine Kostenentscheidung kann daher auch nicht für außergerichtliche Kosten ergehen (BAG A P Nr. 1 zu § 13 BetrVG, Nr. 2 zu § 81 ArbGG). Jedoch kann auf Antrag der Verfahrenswert festgesetzt werden. Hier ergibt die Erörterung des Sachverhalts folgendes: Die GmbH legt die Lohnund Gehaltslisten vor. Danach waren in der Zeit von April bis November 1957 und 195 8 in allen Betrieben mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. In der Zeit von November bis März sank die Zahl z. T. erheblich unter 5 00. Dadurch ergäbe sich tatsächlich ein arithmetisches Mittel von weniger als 5 00 Arbeitnehmern. Bei der Frage nach der regelmäßigen Beschäftigung kann aber nicht auf ein arithmetisches Mittel abgestellt werden, vielmehr muß danach gefragt werden, ob längere Zeit hindurch mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Vorübergehendes Ansteigen, besonders in Saisonund Kampagnebetrieben zählt nicht, selbst wenn so viel Arbeitnehmer mehr beschäftigt werden, daß ein arithmetisches Mittel einen höheren Durchschnitt als 5 00 Arbeitnehmer ergäbe. Hier ist lediglich in der kurzen Winterperiode ein geringerer Personalbestand zu verzeichnen, der für die Berechnung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl außer Betracht zu bleiben hat. Dagegen ergibt die weitere Aufklärung, daß 48 Beschäftigte nicht als Arbeitnehmer, sondern als echte Handelsvertreter anzusehen sind, da sie ihre Arbeitszeit und Tätigkeit jedenfalls im wesentlichen selbst bestimmen. Damit sind weniger als 500 A r b e i t n e h m e r , auf die das Gesetz allein abstellt, beschäftigt. Der Vertreter des Betriebsrates bittet nach dieser Aufklärung um Vertagung mit dem Hinweis darauf, daß außerdem noch abhängige Unternehmen von der GmbH beherrscht würden, deren Arbeitnehmer ebenfalls mitzuzählen seien. Dem Antrag wird entsprochen. Die Antragsgegnerin betreibt nicht nur die Schrotthandlung mit Be- und Verarbeitung. Den Gesellschaftern der Gustav Schul£ GmbH gehören vielmehr auch die Anteile der Biergroßhandlung Friedrich Müller GmbH in Dortmund. E s handelt sich damit um ein beherrschtes Unternehmen, deren Arbeitnehmer ebenfalls der Arbeitnehmerzahl der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Da im Biergroßhandel mindestens 150 Arbeitnehmer beschäftigt sind, wird die Mindestzahl von 500 Arbeitnehmern auch nach Abzug der Handelsvertreter weit überschritten.

Für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Aufsichtsrat an Gesellschaften mbH finden die Vorschriften von § 76 BetrVG insgesamt Anwendung. Es gilt also auch die Vorschrift des § 76 Abs. 4 BetrVG, wonach an der Wahl des Aufsichtsrates eines herrschenden Unternehmens die Arbeitnehmer der abhängigen Unternehmen teilnehmen. Es muß sich aber um einen Konzern handeln, d. h. das herrschende Unternehmen muß den anderen seinen Willen aufzwingen können und aufzwingen (§ 15 AktG). Dazu genügt es in keinem Fall, daß die Aktien oder hier die Stammanteile in den gleichen Händen sind. Vielmehr muß rechtlich und tatsächlich die Beherrschung eines Unternehmens durch das andere gegeben sein. Das könnte u.U. vorliegen, wenn durch Vertrag oder Satzung ein Unternehmen dem Willen des anderen zu folgen hat. Sonst aber können selbst bei gleichem Inhaber und auch bei gleicher Leitung (Geschäftsführung in Personalunion) zwei gleichberechtigte Unternehmen vorliegen, von denen keines das andere beherrscht. So Hegt der Fall auch hier. Im nächsten Termin stellt

Arbeitsgericht — Antragsriicknahme . Mitbestimmungsrechte

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sich nach Vorlage der Satzungen und Vernehmung des Geschäftsführers heraus, daß eine Beherrschung nicht möglich ist. Dafür spricht auch schon die Tatsache, daß es sich einmal um Schrott-, zum anderen aber um Bierhandel handelt. Eine Beherrschung des einen durch den anderen wäre ohne wirtschaftliche Vernunft. Die Arbeitnehmer beider Unternehmen sind daher auf keinen Fall zusammenzuzählen. Im übrigen ist es außerordentlich streitig, ob der Arbeitnehmerzahl einer herrschenden GmbH die Arbeitnehmer der beherrschten Unternehmen zuzuzählen sind oder die GmbH selbst mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen muß. Die Literatur ist hier geteilter Ansicht, ohne daß man von einer herrschenden oder überwiegenden Meinung sprechen könnte. Eine richterliche Entscheidung fehlt noch. Nach Feststellung dieses Sachverhaltes erklärt der Antragsteller: Der Antrag wird zurückgenommen, b. u. v. Das Verfahren wird eingestellt. Dr. Richter Urkund

Der Antrag kann im Beschlußverfahren jederzeit zurückgenommen werden. Dies hat schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu geschehen. Auch nach Verhandlung bedarf die Antragsrücknahme keiner Zustimmung anderer Beteiligter. Vielmehr hat der Vorsitzende das Verfahren einzustellen und allen Beteiligten davon Mitteilung zu machen, denen der Antrag bekanntgegeben war (§81 Abs. 2 ArbGG). Da eine Kostenentscheidung nicht möglich ist, gibt es auch keine Erledigung der Hauptsache. Wird sie seitens des Antragstellers erklärt, ist sie in eine Antragsrücknahme umzudeuten. Weitere Mitbestimmungsrechte: 1. Das soziale Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates §§ 56—59 BetrVG (siehe dazu auch S. 991), des Personalrates §§ 66—69 PersVG und die entsprechenden Vorschriften der Personalvertretungsgesetze der Länder. 2. Das personelle Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates §§ 60—66 BetrVG (vgl. dazu auch S. 1003), des Personalrates §§ 70—73 PersVG und die entsprechenden Ländervorschriften. Zur Anhörung des Betriebsrates vor der Kündigung vgl. B A G A P Nr. 1 ff. zu § 66 BetrVG. 3. Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht in Unternehmen mit mehr als hundert Arbeitnehmern §§ 67—71 BetrVG. Danach hat der von Betriebsrat und Unternehmer je zur Hälfte zu besetzende Wirtschaftssausschuß das Recht, in wichtigen Fragen unterrichtet zu werden. 4. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Betriebsstillegungen und -änderungen in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern (§§ 72—75 BetrVG). Kommt zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber eine Einigung nicht zustande, kann eine Vermittlungsstelle angerufen werden, deren unparteiischen Vorsitzenden der Oberlandesgerichtspräsident bestellt, wenn sich die Beisitzer nicht einigen. Weicht der Unternehmer von einer Einigung oder dem Einigungsvorschlag der Vermittlungsstelle ab, könnnen die Arbeitnehmer eine Abfindung verlangen, wenn sie infolge der Abweichung entlassen werden. Damit wird nur ein indirekter Druck auf den Unternehmer ausgeübt, er bleibt in seiner unternehmerischen Entscheidung selbst frei. 5. Beteiligung am Aufsichtsrat. Nach § 76 BetrVG ist ein Drittel des Aufsichtsrats von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Arbeitnehmern zu besetzen. Eine Ausnahme gilt für Familiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern (vgl. dazu B A G A P Nr. 3 zu § 76 BetrVG). 6. Neben den behandelten Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind die Arbeitnehmer in Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften mit mehr als 5 00 Arbeit-

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Arbeitsgericht — Mitbestimmungsrechte

nehmern zu einem Drittel am Aufsichtsrat zu beteiligen. Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit mit mehr als 5 00 Arbeitnehmern findet eine Beteiligung nur statt, wenn ein Aufsichtsrat besteht. Ein Zwang zur Bildung eines Aufsichtsrates besteht im Gegensatz zur Regelung für die GmbH nicht. 7. Am weitesten geht das Mitbestimmungsrecht im Bergbau und der Stahl und Eisen erzeugenden Industrie. Im Anschluß an die nach 1945 bei der Entflechtung durch die Alliierten geschaffenen Regelung wurde das Mitbestimmungsgesetz vom 21. 5. 1951 (BGBl. I S. 377) geschaffen, das durch die sog. Holdingnovelle vom 7. 8. 1956 (BGBl I S. 707) ergänzt wurde. Danach setzen sich in diesen Industrien die Aufsichtsräte zur Hälfte aus Vertretern der Anteilseigner, zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer und den „weiteren Mitgliedern" zusammen, die unabhängig sein müssen. Zu den weiteren Mitgliedern gehört vor allem der sogenannte „elfte Mann', der auch 15. oder 21. Mann sein kann und den Ausschlag geben kann. Dessen Bestellung obliegt zunächst dem Aufsichtsrat; kommt eine Einigung nicht zustande, ist ein Vermittlungsausschuß zu bilden, der 3 Vorschläge macht. Werden diese Vorschläge abgelehnt, entscheidet das Oberlandesgericht über die Berechtigung der Ablehnung (§8 MitBestG). Die Abberufung erfolgt jedoch durch das Amtsgericht im Wege der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§19 MitBestErgG). Ebenso ist der Aufsichtsrat vonKonzernunternehmen zur Hälfte aus Arbeitnehmern und zur Hälfte aus Arbeitgebern und einem elften (15., 21.) Mann zu bilden. Ob der Konzern zum Bergbau oder zur Stahl und Eisen erzeugenden Industrie zu rechnen ist, bestimmt sich nach dem Umsatz ( § 3 MitBestErgG), der vom Abschlußprüfer zu berechnen ist. Für die Anfechtung der Wahl zum Aufsichtsrat der Konzernunternehmen ist die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte im Beschlußverfahren festgelegt (§8 Abs. 2 MitBestErgG). Der Vorstand dieser Unternehmen ist mit einem gleichberechtigten Arbeitsdirektor zu besetzen, der nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt werden darf ( § 1 3 MitBestG und § 3 MitbestErgG).

24- K a p i t e l

Bei den Verwaltungsgerichten Vorbemerkung I. 1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im heutigen Sinn (aber nicht im heutigen Umfang und Ausmaß) geht zurück auf das vergangene Jahrhundert1). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde in den einzelnen Ländern eingeführt 1863 in Baden, 1873 in Preußen, 1876 in Württemberg, 1878 in Bayern, 1895 in Braunschweig, 1898 in Lippe, 1906 in Oldenburg, 1916 in Lübeck. 2. Auf Reichsebene gab es zunächst kein zentrales Reichsverwaltungsgericht; dieses wurde erst 1941 errichtet und bestand nur bis 1945. Doch gab es schon frühzeitig Spezialverwaltungsgerichte für einzelne Sachgebiete wie das Reichsversicherungsamt, das Bundesamt für Heimatwesen für Fürsorgestreitigkeiten, später u. a. den Reichsfinanzhof, das Reichswirtschaftsgericht und das Reichsversorgungsgericht. 3. Nach 1945 galten zunächst nach im wesentlichen gleichen Grundsätzen: a. das Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl I S . 625), abgekürzt B V e r w G G ; b. die landesrechtlichen Regelungen der einzelnen Länder in B a d e n - W ü r t t e m b e r g , dem aus den früheren Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern neu gebildeten Bundesland, zuletzt das Gesetz über die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 12. Mai 1958 — Gesetzblatt für Baden-Württemberg S. 131 — berichtigt S. 162 — mit seiner Anlage, dem „Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg" (Verwaltungsgerichtsgesetz), das eine geänderte und neue Fassung des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 1 1 0 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221) war; in B a y e r n das Gesetz Nr. 39 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 25. September 1946 (GVB1 S. 281), geändert mit Gesetz vom 30. September 1949 (GVB1 S. 258 — berichtigt S. 274) — BayBS I S. 147; in B e r l i n das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 8. Januar 1951 (VOB1 für Berlin S. 46) i.d.F. der Gesetze vom 3. Dezember 1956 (GVB1 S. 1143) und vom 19. Juni 1958 ( G V B 1 S . 549); in B r e m e n das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 5. August 1947 (GBl S. 171) nebst zehn Ausführungsverordnungen und das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Wohnungssachen vom 1 1 . Oktober 1948 (GVB1S. 201), verlängert mit Gesetz vom 7. Dezember 1951 (GBl S. 123) 2 ); in H a m b u r g , N i e d e r s a c h s e n , N o r d r h e i n - W e s t f a l e n und S c h l e s w i g - H o l s t e i n die Verordnung Nr. 165 der britischen Militärregierung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone (VOB1 B Z S. 263), geändert durch A H K G Nr. 13 (ABljAHK S. 54), V O Nr. 214 (ABl A H K 1950 S. 520), V O Nr. 248 v. 24. November 1952 (ABl A H K S. 2x66) und V O Nr. 249 v. 25. April 1953 (ABl A H K S. 2501) 3 ); in H e s s e n das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 31. Oktober 1946 (GVB1 S. 194), geändert mit Gesetz vom 30. Juni 1949 (GVB1 S. 79) — neue Fassung nach Bek. vom 27. September 1949 (GVB1. S. 137) — und vom 6. März 1954 (GVB1 S. 21); x ) Näheres s. von Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. Auflage, 19. Kapitel und die dortigen Literaturnachweise. 2 ) S. dazu BVerwGE 2, 80. 3 ) S. dazu u. a. für N i e d e r s a c h s e n : Gesetz über die Errichtung eines Oberverwaltungsgerichtes usw. vom 28. März 1949 (GVB1S. 68), Gesetz über den Staatsvertrag zwischen den Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein über das gemeinschaftliche Oberverwaltungsgericht usw. vom 16. März 1956

Verwaltungsgerichte — Vorbemerkung — Rechtsgrundlagen in R h e i n l a n d - P f a l z das Landesgesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 14. April 1950 (GVB1 S. 103), geändert mit Gesetz vom 12. Februar 1954 (GVB1 S. 21), im S a a r l a n d das Gesetz Nr. 268 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 10. Juli 1951 (ABl S. 1075) mit späteren Änderungen und Gesetz Nr. 595 betreffend die Einführung des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl I S. 625) im Saarland vom 13. Juli 1957 (ABl S. 999)1). Außer den angeführten Vorschriften waren in den Ländern vielfach noch weitere Ergänzungen und Ausführungsverordnungen ergangen. Im wesentlichen — größtenteils sogar im Wortlaut — übereinstimmend sind die Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den zur ehemaligen amerikanischen Zone gehörenden Ländern Bayern, Bremen, Hessen und dem früheren WürttembergBaden. 4. Nunmehr ist durch Bundesgesetz eine bundeseinheitliche Regelung erlassen worden und zwar die V e r w a l t u n g s g e r i c h t s o r d n u n g v o m 2 1 . J a n u a r i 9 6 0 (BGBl I S. 17) — V w G O — mit Änderungen (s. Deutsches Richtergesetz vom 8. September 1961 •— BGBl. I S. 1665—). Sie ist am 1. April i960 in Kraft getreten. Dazu kommt das (Bundes-)Gesetz über die Beschränkung d e r B e r u f u n g im v e r w a l t u n g s g e r i c h t l i c h e n V e r f a h r e n v o m 2 1 . J a n u a r i 9 6 0 ( B G B 1 I S. 44) — BerBeschrG —. Die V w G O enthält grundsätzlich einheitliches Recht für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland. Doch ist diese Einheitlichkeit nicht vollständig durchgeführt; hier sind u.a. hervorzuheben: für besondere Rechtsgebiete sind Sonderregelungen anderer Bundesgesetze aufrecht erhalten (s. § 190 V w G O ) , weiter ist den Ländern die Möglichkeit eingeräumt, Ausführungsvorschriften zu erlassen, und schließlich sind besondere Bestimmungen für die Ubergangszeit getroffen (s. § 195 VwGO) 2 ). Was die Länder anlangt, so sind von ihnen folgende Ausführungsgesetze und weitere Regelungen ergangen: B a d e n W ü r t t e m b e r g : Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. März 1960 — GBl S. 93 — und Verordnung über die Landesanwaltschaften bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 22. März i960 — G B l S. 99 — B a y e r n : Verordnung über den Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 23. März i960 — G V B 1 S. 31 — Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 28. November i960 (GVB1 5. 266) B r e m e n : Gesetz zur Ausfuhrung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 15. März i960 — G V B 1 S. 25 — H a m b u r g : Gesetz zur Ausfuhrung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar i960. Vom 29. März i960 — G V B 1 S. 291 — (GVB1 S. 15) und V O über Rechtsmittel in Verwaltungssachen im Lande Niedersachsen vom 20. Januar 1949 (GVB1 S. 56); für N o r d r h e i n - W e s t f a l e n : Ausführungsgesetz zu der Verordnung Nr. 165 usw. vom 18. Marz 1949 (GVB1 S. 196), Verordnung über die Errichtung des Oberverwaltungsgerichtes und der Landesverwaltungsgerichte vom 6. Juli 1949 (GVB1 S. 196), Verordnung über die Anfechtung von Verwaltungsakten in Verkehrsangelegenheiten vom 9. Februar 1949 (GVB1 S. 61) und Verordnung über die Anfechtung von Verwaltungsakten der Bergbehörden vom 25. Juni 1951 (GVB1 S. 85); für S c h l e s w i g - H o l s t e i n : Gesetz zur Regelung einiger Fragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein vom 31. Mai 1949 (GVB1 S. 115), Verordnung über die Errichtung der Verwaltungsgerichte in Schleswig-Holstein vom 22. Juni 1949 ( G V B 1 S . 15 3) und Gesetz über die Beschränkung der Berufung und Beschwerde in Verwaltungsstreitsachen vom 9. August 1954 (GVB1 S. 119) — wiederholt, zuletzt mit Gesetz vom 13. Mai 1958 (GVB1 S. 201) verlängert — ; für H a m b u r g : Gesetz über die Errichtung des Landes Verwaltungsgerichts Hamburg, über das Hamburgische Oberverwaltungsgericht usw. vom 16. Mai 1950 (GVB1 S. 107). J ) Vgl. die Gesetze zur Einführung von Bundesrecht im Saarland vom 30. Juni 1959, insbes. das Gesetz zur Einführung von Bundesrecht im Saarland vom 30. Juni 1959 (BGBl I S. 313); nach letzterem tritt im Saarland grundsätzlich das im gesamten übrigen Bundesgebiet geltende Bundesrecht in Kraft und bleibt das während der Übergangszeit und das durch besondere Regelung mit dem Ende der Übergangszeit für das Saarland gesetzte Bundesrecht unberührt. 2 ) Im einzelnen s. hierzu von Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. Auflage, 19. Kapitel.

Verwaltungtgerichte— Urteilsfassung des Verwaltungsgerichts

1023

N i e d e r s a c h s e n : Niedersächsisches Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung — VwGO — (Nds. Verwaltungsgerichtsgesetz) vom 12. April i960 — GVB1 S. 21 — Verordnung über die Bestellung eines Vertreters des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 24. März 1961 (GVB1. S. m ) ; N o r d r h e i n - W e s t f a l e n : Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar i960 (BGBl I S. 17) im Land Nordrhein-Westfalen (AG VwGO) vom 26. März i960 — GV NW S. 47, ber. S. 68—; Verordnung über die Bestellung von Vertretern des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 26. März i960 — GV NW S. 48 — R h e i n l a n d - P f a l z : Ausfuhrungsgesetz zur VwGO vom 26. Juli i960 — GVB1S. 145 —; Landesverordnung über den Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Oktober i960 (GVB1 S. 255) S a a r l a n d : Gesetz Nr. 719 Saarländisches Ausfuhrungsgesetz zur VwGO vom 5. Juli i960 — ABIS. 558 — S c h l e s w i g - H o l s t e i n : Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 29. März i960 — GVOB1. Sehl — H. S. 86 — geändert mit Gesetz vom 11. Februar 1961 — GVOB1. Sehl - H. S. 19 —; Verordnung über die Vertretung der öffentlichen Interessen nach der Verwaltungsgerichtsordnung vom 29. März 1961 — GVOB1. Sehl - H. S. 32 — B e r l i n hat mit Gesetz zur Übernahme der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 4. März i960 — GVB1 S. 207 — die VwGO des Bundes vom 21. Januar i960 in Berlin für anwendbar erklärt, ebenso mit Gesetz vom 4. März i960 — GVB1 S. 207 — das Bundes-Gesetz über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 21. Januar i960 Dazu erging weiter das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AG VwGO) vom 22. März i960 — GVB1 S. 269 —. II. Abgesehen von noch aufrecht erhaltenem früherem Recht sind die neueren Gesetze über die Rechtsgebiete des m a t e r i e l l e n V e r w a l t u n g s r e c h t seit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl S. 1) und zwar seitdem 7. September 1949 (vgl. hierzu Art. 122 und ferner Art. 123, 124 und 125 GG) teils von der Bundesrepublik und teils von den Ländern erlassen. Auf dem zur Verfügung stehenden beschränkten Raum werden die als Beispiele gebrachten Urteilsentwürfe wegen der möglichst umfassenden Verwendungsmöglichkeit sich im wesentlichen mit m a t e r i e l l e m B u n d e s r e c h t befassen.

Erstinstanzielles Urteil in einet Wohnungssache; Verfahren bei Anfechtungsund Verpflichtungsklagen/ insbesondere allgemeine Grundsätze I. Urteilskopf und -formel (Tenor) für Nordrhein-Westfalen „ 4 K m/61 ( = Geschäftsnummer) Verkündet am 29. März 1961. gez. Gruber, Verwaltungsgerichtsangestellter als Urkundsbeamter Urteil Im Namen des Volkes I In der Verwaltungsstreitsache des Kaufmannes Heinrich Huber in K., Schillerstraße 101, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Maier in K., Gärtnerstraße 8, gegen die Stadtverwaltung K - Beschwerdestelle in Wohnungssachen — Beigeladene: Helene Schul% in K., Schillerstraße 181, wegen Wohnungsmaßnahmen

Klägers,

Beklagte

1024

Verwaltungsgerichte — Gerichtsbarkeit nach G G .

hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts K auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1961, an welcher teilgenommen haben Verwaltungsgerichtsdirektor Dr. A.

als Vorsitzender,

Verwaltungsgerichtsrat Dr. B. Verwaltungsgerichtsrat Dr. C. als beisitzende Richter, Andreas D. Paula E. als ehrenamtliche Verwaltungsrichter, für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Die Berufung wird nicht zugelassen." 2. Urteilskopf und -formel (Tenor) für Bayern. III — 151/61 ( = Geschäftsnummer) Verkündet am 29. März 1961 (§§ 1 1 6 Abs. 1 und 1 1 7 Abs. 4 V w G O ) Der Urkundsbeamte des Bayer. Verwaltungsgerichts K . (III. Kammer) gez. Gruber, Angestellter. Im Namen des Volkes! In der Verwaltungsstreitsache des Kaufmanns Heinrich Huber in K., Schillerstr. i o i , —• Kläger — Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Maier in K., Gärtnerstr. 8, gegen die Stadt K., vertreten durch den Oberbürgermeister, beigeladen: Helene Schult^ in K., Schillerstr. 101, wegen Wohnungsmaßnahmen erläßt das Verwaltungsgericht K., III. Kammer, unter Mitwirkung von Verwaltungsgerichtsdirektor Dr. A. als Vorsitzendem, Verwaltungsgerichtsrat B. Verwaltungsgerichtsrat C. als Beisitzern, Gastwirt D. Geschäfsführer E. auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29.März 1961 folgendes Urteil: I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

— Beklagte —

III. Die Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wird nicht zugelassen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. Mai 1949 ( B G B l . S. 1 ) = G G bringt — wie auch die Länderverfassungen — grundsätzlich die Trennung der Gewalten (Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung). A u f dem

Verwaltungsgerichte — Gerichtsbarkeit nach G G . Obere Bundesgerichte . Rechtsweg 1 0 2 5

Gebiete der Rechtsprechung sieht es neben dem Bundesverfassungsgericht (Art. 94) und dem — noch nicht errichteten — Obersten Bundesgericht (Art. 95) obere Bundesgerichte für die Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit vor (Art. 96). Dem Art. 96 G G entsprechend ist der Aufbau der Gerichtsbarkeit erfolgt und sind als obere Bundesgerichte errichtet worden: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe für das Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit, das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Berlin für das Gebiet der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der Bundesfinanzhof (BFH) in München für die Finanz, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Kassel für die Arbeits- und das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel für die Sozialgerichtsbarkeit. Die wesentlichen hierzu ergangenen Gesetze sind das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 in der Fassung des Gesetzes vom 12. September 1950 (BGBl S. 45 5/513), die V w G O (bisher B V e r w G G und Verwaltungsgerichtsgesetze für die Länder bzw. M R V O Nr. 165), das Gesetz über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (BGBl S. 2 5 7) nebst der Reichsabgabenordnung sowie dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Finanzgerichtsbarkeit vom 22. Okt. 1957 (BGBl I S. 1746), das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) vom 3. September 1953 (BGBl I S. 1267) und das Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 3. September 1953 (BGBl I S . 1239) in der Fassung vom 23. Aug. 1958 (BGBl I S. 614). Art. 96 a G G in der Fassung des zwölften Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 6. März 1961 (BGBl I S. 141) sieht darüber hinaus weitere Gerichte vor und zwar ein Bundesgericht für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes1), Wehrstrafgerichte, Bundesdienststrafgerichte für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte und Bundesrichter sowie Bundesdienstgerichte für Dienststrafverfahren gegen Soldaten und für Verfahren über Beschwerden von Soldaten; oberes Bundesgericht für das Bundesgericht für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes und für die Wehrstrafgerichte ist der Bundesgerichtshof; für die Dienststrafgerichtsbarkeit gegen Bundesbeamte und Bundesrichter sind ergangen das Gesetz über die Errichtung von Bundesdienststrafgerichten vom 12. November 1951 (BGBl I S. 883) und die Bundesdisziplinarordnung vom 28. November 1952 (BGBIIS.761) 2 ). Weiterhin ist noch die Berufsgerichtsbarkeit eingeführt und zwar teils durch Bundesrecht z. B. für Rechtsanwälte durch die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 ( B G B 1 I S. 565) und teils durch Landesrecht. Für Notare ist das Disziplinarverfahren in der Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 (BGB1I S. 98) besonders geregelt (s. §95ff.); als Disziplinargerichte für Notare sind im ersten Rechtszug das Oberlandesgericht und im zweiten Rechtszug der Bundesgerichtshof zuständig. Das BVerwG ist das obere allgemeine Verwaltungsgericht des Bundes; BFH, B S G und B D H sind obere besondere Verwaltungsgerichte des Bundes. Neben diesen allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichten sind insbesondere nach Landesrecht Sonderverwaltungsgerichte möglich. Die früheren Regelungen haben zum Teil durch die V w G O Änderungen erfahren; insbesondere sind dadurch Bestimmungen ergangen über die Zulässigkeit des Rechtswegs (§40 VwGO), über die Rechtswegsverweisung zu den verschiedenen Gerichtsbarkeiten (s. §§ 41 und 180 V w G O sowie § 178 V w G O hinsichtlich des § 17 G V G ) ; Errichtet ist nun das Bundespatentgericht — s. Ges. vom 23. März 1961 — BGBl. I und Patentgesetz i.d.F. vom 9. Mai 1961 — BGBl. I S. 550 —. 2 ) S. dazu auch wegen des Beschwerdeverfahrens der Soldaten das Soldatengesetz vom 1956 (BGBl I S. 1 1 4 ) und die Wehrbeschwerdeordnung vom 23. Dezember 1956 (BGBl I ferner wegen der Dienststrafverfahren gegen Soldaten die Wehrdisziplinarordnung vom 1957 (BGBl I S. 189). 65

L u x , Schulung 5. Aufl. (Kraus)

S. 274 — 19. März S. 1066); 15. März

1 0 2 6 Verwaltungsgerichte—Umfang undAbgrenzung derVerwaltungsgerichtsbarkeit. Generalklausel

schließlich wird in § 179 V w G O durch Einfügung der §§ 23 bis 30 in das E G G V G die Anfechtung der sog. Justizverwaltungsakte vor den ordentlichen Gerichten festgelegt, soweit die ordentlichen Gerichte nicht schon bisher angerufen werden konnten. Vor jeden Rechtsweg gehören bestimmte Streitigkeiten und zwar jeweils grundsätzlich die bürgerlichen Streitigkeiten und die Strafsachen vor die ordentlichen Gerichte ( § 1 3 GVG), die öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungs-rechtlicher Art vor die Verwaltungsgerichte (§40 VwGO), die Finanzangelegenheiten, insbesondere die Steuerstreitigkeiten, vor die Finanzgerichte (§§ 47, 229 AO, s. auch Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Finanzgerichtsbarkeit vom 22. Oktober 1957 — BGBl I S. 1746 — und §§ 41, 180 VwGO), die Arbeitsstreitigkeiten (angeführt besonders in §§ 2, 3 ArbGG) vor die Arbeitsgerichte und die Sozialsachen (angeführt besonders in §§ 51, 52 SGG) vor die Sozialgerichte. Dienststrafverfahren gehören vor die Dienststrafgerichte; doch können die Länder den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit Aufgaben der Disziplinargerichtsbarkeit übertragen (s. § 187 Abs. 1 VwGO). § 187 Abs. 1 V w G O läßt weiter die Übertragung der Schiedsgerichtsbarkeit bei Vermögensauseinandersetzungen öffentlich-rechtlicher Verbände an die allgemeinen Verwaltungsgerichte und die Angliederung der Berufsgerichte an diese Verwaltungsgerichte zu. Was den V e r w a l t u n g s r e c h t s w e g anlangt, so ist er in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind oder soweit öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiete des Landesrechts nicht einem anderen Gericht durch Landesgesetz zugewiesen sind. Diese in § 40 V w G O statuierte G e n e r a l k l a u s e l 1 ) ist allerdings im Bundesverfassungsrecht nicht gesichert; denn es gibt kein im G G verfassungsrechtlich gesichertes Entscheidungsmonopol der Verwaltungsgerichte für alle öffentlichrechtlichen Fragen schlechthin2). Beispiel für die Zuweisung an andere Gerichtszweige als an die Verwaltungsgerichte enthält schon das G G in Art. 14 Abs. 3 Satz 3 (Streit über die Höhe der Entschädigung bei Enteignung) und Art. 34 Satz 3 (Ansprüche auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung — s.a. § 40 Abs. 2 VwGO); ferner ist — abgesehen von den besonderen Vorschriften des Beamtenrechts — nach § 40 Abs. 2 V w G O bei vermögensrechtlichen Ansprüchen aus Aufopferung und öffentlich-rechtlicher Verwahrung der ordentliche Rechtsweg gegeben. Weitere Beispiele für Zuweisung öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten an die ordentlichen Gerichte sind § 179 V w G O mit den dort neugefaßten § § 2 3 ff. E G G V G (Anfechtung von Justizverwaltungsakten) und das Baulandbeschaffungsgesetz vom 3. August 195 3 (BGBl I S. 720) — nun Bundesbaugesetz vom 23. Juni i960 (BGBl I S. 341) —, nach dem z. B. Verwaltungsakte wegen Entschädigungen in Baulandsachen nur durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den bei den Landgerichten eingerichteten Kammern für Baulandsachen angefochten werden können3). V o r 1945 galt im Deutschen Reiche mit wenigen Ausnahmen das sog. E n u m e r a t i o n s p r i n z i p , bei dem die Fälle der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vom Gesetzgeber einzeln aufgeführt werden. 2 ) B V e r f G E 4, 387; wegen eines etwaigen solchen Monopols kraft Landesrecht s. in Bayern Art. 9} bayVerf.,in Nordrhein-Westfalen Art. 74 Verf. und in Rheinland-Pfalz Art. 124 Verf.; für Bayern wurde zum Teil die Ansicht vertreten, daß Art. 93 bayVerf. für Landesrecht ein Monopol der Verwaltungsgerichte für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten schaffe, doch hat der Landesgesetzgeber auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art den ordentlichen Gerichten zugewiesen. 3

) Im einzelnen s.

§ 157fr. Bundesbaugesetz.

Verwaltungsgerichte — Aufbau und Besetzung

1027

In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß ein umfassender Rechtsschutz durch Art. 19 Abs. 4 G G („königlicher Artikel") gewährt wird: wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, dann steht ihm der Rechtsweg offen; soweit eine andere Zuständigkeit — wie etwa heute im wesentlichen mit Rücksicht auf die Generalklausel die der Verwaltungsgerichte — nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Ist der zu dem Gericht der einzelnen Gerichtsbarkeit eingeschlagene Rechtsweg unzulässig, so kann grundsätzlich zu dem zuständigen Gericht des a n d e r e n G e r i c h t s z w e i g s v e r w i e s e n werden (s. §§ 41, 180 V w G O und für das Verhältnis zwischen ordentlichen Gerichten und den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit § 48 Abs. 1 A r b G G — s. a. § 17 Abs. 5 G V G i.d.F. des § 178 Nr. 1 VwGO). Doch ist die Möglichkeit der Verweisung von Rechtsweg zu Rechtsweg nicht lückenlos gesetzlich geregelt 1 ). Für die V e r w e i s u n g i n n e r h a l b des V e r w a l t u n g s r e c h t s w e g s gilt § 83 V w G O . Im vorliegenden Fall handelt es sich, wie nachstehend dargelegt werden wird, um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit nach der V w G O bildet grundsätzlich ein dreistufiges G e r i c h t s s y s t e m bestehend aus den Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten (Verwaltungsgerichtshöfen) der Länder und dem Bundesverwaltungsgericht des Bundes in Berlin (s. §§ 2, 184 VwGO). Das Verwaltungsgericht entscheidet kraft bundeseinheitlicher Regelung in Kammern in der Besetzung von drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern ( § 4 V w G O ) ; bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Vorbescheiden ( § 8 4 V w G O ) wirken die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter nicht mit. Für die Besetzung der Oberverwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe), die grundsätzlich zweite Instanz sind, ist bundesrechtlich ( § 9 Abs. 3 V w G O ) vorgesehen, daß ihre Senate in der Besetzung von drei Richtern entscheiden; doch kann die Landesgesetzgebung vorsehen, daß die Senate in der Besetzung von fünf Richtern entscheiden, von denen zwei auch ehrenamtliche Verwaltungsrichter sein können; auf Grund dieser Ermächtigung hat z.B. Bayern für Urteile und Beschlüsse in der mündlichen Verhandlung sowie für Entscheidungen im Normenkontrollverfahren ( § 4 7 V w G O ) die Besetzung der Senate mit fünf Berufsrichtern vorgeschrieben; Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die Besetzung der Senate mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern eingeführt; die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter wirken bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Vorbescheiden nicht mit. Beim Bundesverwaltungsgericht sind Senate gebildet, die in der Besetzung von fünf Richtern entscheiden, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern. Ungeachtet der gesetzlichen Vertretung können sich die Beteiligten durch B e v o l l m ä c h t i g t e vertreten lassen. Ebenso wie in der ZPO sind in den Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Prozeßbevollmächtigte zugelassen2). § 67 V w G O enthält die Voraussetzungen und näheres über das Auftreten vor den Verwaltungsgerichten und damit über die V e r h a n d l u n g s f ä h i g k e i t , d.h. die Fähigkeit, selbst vor Gericht Vgl. im einzelnen von Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. Auflage, 20. Kapitel. 2

) Wegen des Auftretens von Patentanwälten vor dem Bundesverwaltungsgericht im Verfahren gegen Beschlüsse und Entscheidungen des Deutschen Patentamts wird auf § 176 V w G O verwiesen — s. nun aber die Regelung des Rechtsweges in Patentsachen (Bundespatentgericht und BGH) durch Gesetz vom 23. 3. 1961 (BGB1I S. 274), nun Patentgesetz i. d. F. vom 9. Mai 1961 — B G B I I S . 550—. 65

1028

Verwaltungsgerichte — Bevollmächtigte . Vertretungsirwang vor B V e r w G

aufzutreten. Gegenüber den bisherigen Regelungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bringt die VwGO vor allem den Vertretungszwang vor dem BVerwG; vor diesem muß sich jeder Beteiligte von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten lassen; die bis zum 30. Sept. i960 gleichfalls zugelassenen Verwaltungsrechtsräte (s. § 177 VwGO) können nunmehr beim BVerwG nicht mehr auftreten. Der Vertretungszwang gilt schon für die Einlegung der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde und der Beschwerden in den Fällen des § 99 Abs. 2 und des § 125 Abs. 2 VwGO 1 ). Die Fassung dieser Bestimmung macht es zweifelhaft, ob auch der Vertreter des öffentlichen Interesses eines Landes (Völ), sei es in seiner Eigenschaft als Völ oder als Vertreter des Landes bzw. von Landesbehörden, sich vor dem BVerwG durch einen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer vertreten lassen muß. Das BVerwG hat jedenfalls entschieden, daß die Staatsanwaltschaft eines Landes als Vertreterin des öffentlichen Interesses dem durch § 67 VwGO eingeführten Vertretungszwang nicht unterworfen ist 2 ). Noch nicht abschließend entschieden ist die Frage, ob die Staatsanwaltschaft (Völ), soweit ihr gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vertretung des Landes oder von Landesbehörden übertragen wird, dem Anwaltszwang vor dem BVerwG unterliegt3). Fraglich ist auch, ob die Behörden, soweit sie prozeßfähig sind, sich vor dem BVerwG durch einen Bevollmächtigten im Sinn des § 67 Abs. 1 VwGO vertreten lassen müssen, was wohl zu bejahen sein wird 4 ), da sie jedenfalls nicht die besonders gestaltete und geregelte Stellung des Völ haben. Auch von den Verwaltungsgerichten und den Oberverwaltungsgerichten kann durch Beschluß angeordnet werden, daß ein Rechtsanwalt bestellt oder ein Beistand hinzugezogen werden muß. Vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht kann als Bevollmächtigter jede Person auftreten, die zum sachgemäßen Vortrag fähig ist. Eine Person, die dazu nicht fähig ist, kann zurückgewiesen werden (§ I 73 VwGO mit § 157 ZPO). Juristische Personen können nicht Bevollmächtigte sein; eine auf sie lautende Vollmacht wird aber in der Regel als eine auf die für sie vertretungsberechtigte Person ausgestellte Vollmacht angesehen. Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen; sie kann nachgereicht werden; hierfür hat das Gericht eine Frist zu bestimmen ( § 6 7 Abs. 3 VwGO). Reicht der als Bevollmächtigter Auftretende keine Vollmacht ein, so kann er in die Kosten verurteilt werden (vgl. § 89 ZPO). Die von ihm für einen anderen erhobene Klage bzw. das eingelegte Rechtsmittel sind in diesem Falle unzulässig. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so sind die Zustellungen oder die Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Für die Zustellungen gilt das Verwaltungszustellungsgesetz vom 10. Juli 1952 (BGBl I S. 379)*). Wegen des Übergangsrechts s. § 195 Abs. 6 Nr. 9: Hiernach gelten die Vorschriften des § 67 Abs. 1 nicht für Verfahren, die beim Inkrafttreten der V w G O vor dem B V e r w G schweben. Kein Anwaltszwang ist für das Armenrechtsverfahren vor dem B V e r w G vorgeschrieben (s. B V e r w G Beschl. vom 2. September i960 in D V B 1 S. 935). 2 ) S. B V e r w G Beschl. vom 30. Mai i960 in D V B 1 S. 563. 3 ) Mit Beschl. vom 5. September i960 in D V B 1 S. 893 wurde diese Frage dem Großen Senat des B V e r w G zur Entscheidung vorgelegt. Kein Anwaltszwang wurde für den V ö l auch in solchen Fällen angenommen in B V e r w G Beschl. vom 14. Oktober i960 (DVB1 S. 895) und vom 5. September i960 (DVB1 S. 893). 4 ) Anwaltszwang angenommen für Landesbehörde, die in einem Verfahren nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz beigeladen ist, in B V e r w G Beschl. vom 17. Februar 1961 V C 191, 60 und für Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds in B V e r w G Beschl. vom 17. Februar 1961 V C 126, 60. 6 ) S. § 56 V w G O .

Verwaltungsgerichte — Beistand . Tatbestand . Klagearten

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Außer Bevollmächtigten kann ein Beteiligter sich in der mündlichen Verhandlung auch eines B e i s t a n d e s bedienen. Durch Beschluß kann angeordnet werden, daß sich der Beteiligte bei dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht eines Beistandes bedienen muß. Bei Ungeeignetheit zum sachgemäßen Vortrag kann der Beistand v o m Gericht zurückgewiesen werden. „Tatbestand. Der Kläger Heinrich Huber ist Eigentümer des im Jahre 1906 gebauten Wohnhauses Schillerstraße 101 in der Großstadt K . Das Haus besteht aus einer Anzahl kleinerer abgeschlossener Wohnungen, die der Wohnraumbewirtschaftung unterliegen. Die Wohnung im ersten Obergeschoß war an den Heizer Jung vermietet. Nach der Kündigung der Wohnung durch Jung meldete der Kläger das Freiwerden der Wohnung dem Wohnungsamt (WA) mit am selben Tage eingegangenen Schreiben vom 17. Dezember i960 und erklärte, daß er als Mieter für die zum 31. Dezember i960 frei werdende Wohnung den Portier Klein vorschlage und die Erteilung der Benutzungsgenehmigung beantrage. Das WA lehnte mit der am 29. Dezember i960 zugestellten Verfügung vom 27. Dezember i960 diesen Antrag mit Rücksicht auf die allgemeine Wohnungsnot und die hinreichende bisherige Unterbringung des Klein ab und bemerkte, daß es über die Wohnung nach Freiwerden verfügen werde. Jung zog am 31. Dezember i960 aus. Mit Verfügung vom 1 1 . Januar 1961, zugestellt am 12. Januar 1961, wies das WA dem Kläger die wohnungsuchende Helene Schulz, zu. In der Begründung führte es aus, daß Helene Schulz mit zwei Kindern auf dem Dachboden eines einsturzgefährdeten Gebäudes untergebracht sei; es handle sich um einen sog. Elendsfall; zudem herrsche in der Stadt noch eine große Wohnungsnot; Helene Schulz könne zur Zeit nicht anderweitig untergebracht werden. Mit am 1. und am 18. Januar 1961 eingegangenen Schreiben vom selben Tage legte der Kläger gegen die Verfügungen vom 27. Dezember i960 und 1 1 . Januar 1961 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid der Regierung von O. (Beschwerdestelle in Wohnungssachen der kreisfreien Stadt K.) vom 27. Februar 1961 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Zustellung erfolgte am 28. Februar 1961. Mit Schriftsatz vom 4. März 1961 — eingegangen am 5. März 1961 — erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht K . mit dem Antrag, die Verfügungen vom 27. Dezember i960 und vom 1 1 . Januar 1961 sowie den Widerspruchsbescheid vom 27. Febr. 1961 aufzuheben und ihm die Benutzungsgenehmigung für Klein zu erteilen. Zur Begründung führte er aus, daß er den Klein als guten Bekannten im Hause haben wolle und er als Hauseigentümer ein Recht darauf habe, die Benutzungsgenehmigung für den von ihm vorgeschlagenen Mieter zu erhalten, ferner daß die zugewiesene Helene Schulz a n ansteckender Tbc leide; vor allem aber habe das WA nach Ablauf von drei Wochen nach Eingang des Vorschlags vom 17. Dezember i960 das Verfügungsrecht über die Wohnung verloren, da vorher kein ablehnender Bescheid im Sinne des § 14 Abs. 4 des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes vom 31. März 1953 (BGBl I S. 97) i. d. F. des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht vom 23. Juni i960 (BGBl I S. 389/418) = WBewG zugestellt worden sei; als ein solcher sei nur ein Bescheid anzusehen, der den Antrag auf Benutzungsgenehmigung ablehne und gleichzeitig eine Zuweisung verfüge; die Verfügung vom 1 1 . Januar 1961 sei hiernach verspätet ergangen. Im übrigen hätten ihm mehrere Wohnungsuchende zur Auswahl zugewiesen werden müssen. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie bestritt, daß die Verfügung zu spät ergangen sei und daß Helene Schulz a n ansteckender Tbc leide; hierwegen beantragte sie die Erholung eines ärztlichen Gutachtens. Weiter brachte sie vor, daß es sich bei der Unterbringung der Helene Schulz u m einen Elendsfall handle. Mit Beschluß vom 10. März 1961 wurde Helene Schulz beigeladen." A n K l a g e a r t e n werden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allgemein unterschieden : Leistungsklagen (auch Verurteilungsklagen genannt), Feststellungsklagen und Gestaltungsklagen (Klagen auf Aufhebung, Begründung oder Änderung von Rechten und Rechtsverhältnissen). Bestimmungen über die Klagearten sind in den § § 4 2

1080

Verwaltungsgerichte — Anfechtungsklage

und 43 V w G O enthalten. Mit heranzuziehen ist dazu auch § 1 1 3 V w G O über die Arten und Aussprüche der Urteile. Eine abschließende Aufzählung der Klagearten enthält die V w G O nicht; der Gesetzgeber hat von einer solchen ausdrücklich abgesehen, um die Rechtsentwicklung nicht einzuengen1)). Die V w G O enthält ausdrücklich nur die Anfechtungsklage, d. i. die Klage auf Aufhebung eines Verwaltungsakts (§42), die Verpflichtungsklage, d. i. die Klage auf Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (§ 42), die Feststellungsklage, d.i. die Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (§ 43). Davon gehört die Anfechtungsklage zur Gattung der Gestaltungsklagen, die Verpflichtungsklage zur Gattung der Leistungsklagen, die Gattung Feststellungsklage ist in § 43 Abs. 1 enthalten. Darüber hinaus hat aber die Leistungsklage überhaupt im Verwaltungsstreitverfahren ihren Platz und ihre Bedeutung und zwar besonders in den sogenannten anderen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts" 2 ), also solchen, die nicht zu den Anfechtungsklagen und Verpflichtungsklagen nach § 42 V w G O gehören. Denn die Verwaltungsgerichte entscheiden nicht nur über Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen hinsichtlich von Verwaltungsakten im Sinne von § 42, sondern auch über andere Streitigkeiten des öffentlichen Rechts nichtverfassungsrechtlicher Art (vgl §40). Daß solche Leistungsklagen anderer Art als die Verpflichtungsklagen des § 42 möglich sind, ergibt sich aus der ausdrücklichen Erwähnung in § 43 Abs. 2. Unterstützend für diese Auffassung kann auch die Überschrift des 8. Abschnitts des Teils II der V w G O herangezogen werden, die ausdrücklich „Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen" vorsieht. Aus den gleichen Gründen sind rechtstheoretisch auch andere Gestaltungsklagen außer der (kassatorischen) Anfechtungsklage möglich. Zu den einzelnen Klagearten ist u.a. noch besonders zu bemerken: a) D i e A n f e c h t u n g s k l a g e Mit der Anfechtungsklage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Diese Klageart ist also ausdrücklich auf Verwaltungsakte beschränkt. Sie ist wie erwähnt, eine Gestaltungsklage; sie bezieht sich auf den Bereich der Hoheitsverwaltung. Die besonderen Vorschriften über die Anfechtungsklage, insbesondere über das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren), sind in § 68 ff. enthalten. Für Urteile bei Anfechtungsklagen sind § 1 1 3 Abs. 1 und 2 und § 1 1 4 V w G O von Bedeutung. Mit der Anfechtungsklage kann auch ein Verwaltungsakt zu einem Teil angefochten werden, soweit er seiner Natur nach teilbar ist, so etwa wenn eine Bereitstellungs- oder Zuweisungsverfügung mehrere Wohnräume betrifft. Die Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Rechtsprechung hat wohl überwiegend angenommen, daß die Anfechtungsklage nur zulässig ist, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt; doch ist diese Auffassung nicht unbestritten3). S. Bericht des Rechtsausschusses vom 12. Mai 1959, Bundestagsdrucksache 1094 der 3. Wahlperiode. 2 ) Sie bestanden früher im wesentlichen in den sog. Parteistreitigkeiten; doch gehen heute diese „anderen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts nichtverfassungsrechtlicher A r t " über diesen Begriff hinaus und decken sich nicht mit ihm. 3 ) S. u.a. Bayer. V G H n.F. 7, 7 1 ; B V e r w G E 1, 263; 5, 325/530; a.A. B a y V G H in D Ö V 1957 S. 241 u. Bachof in D Ö V 1957 S. 243 u. 263.

Verwaltungsgerichte — Vetpflichtungs- und Feststellungsklage

1031

Daß der Kläger grundsätzlich eine Verletzung in seinen Rechten geltend machen muß, schließt die Popularklage, die Klage jedes Staatsbürgers bzw. Menschen, der keine Beziehung zur Streitsache hat, aus. b) Die V e r p f l i c h t u n g s k l a g e Sie begehrt die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. Sie ist ihrem Wesen nach eine Leistungsklage und nicht Gestaltungsklage wie die Anfechtungsklage. Doch ist sie mit dieser in vielfacher Hinsicht verbunden, insbesondere dadurch, daß es in beiden Fällen um Verwaltungsakte, also um Hoheitsakte geht, und dadurch, daß die Klagen beider Klagearten auf Rechtsverletzung und Ermessensfehlgebrauch überprüft werden (§§ 42, 113 Abs. 1, 113 Abs. 4 und 114 VwGO). Die Verpflichtungsklage richtet sich gegen einen Hoheitsträger und erstrebt den Erlaß eines Verwaltungsakts, nicht einer sonstigen Verwaltungsmaßnahme1). Die Verpflichtungsklage wird Vornahmeklage genannt, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts abgelehnt worden ist, z.B. ein Antrag an die Verwaltungsbehörde auf Erteilung einer Genehmigung — etwa einer Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft, eines Linienverkehrs nach dem Personenbeförderungsgesetz u. dgl. Sie heißt Untätigkeitsklage, wenn auf den Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts die angegangene Stelle überhaupt keinen Bescheid erteilt, also untätig bleibt. Als eine weitere hier einschlägige Unterart der Verpflichtungsklage wird in einem Teil des Schrifttums die Weigerungsgegenklage eingeführt: Nach dieser Auffassung ist die Vornahmeklage im engeren Sinn dann gegeben, wenn die Behörde den beantragten Verwaltungsakt als solchen abgelehnt hat, z.B. die beantragte Genehmigung, weil auf sie kein Rechtsanspruch besteht; dagegen ist hiernach eine Weigerungsgegenklage gegeben, wenn die Behörde den Erlaß eines Verwaltungsakts überhaupt formell und ausdrücklich abgelehnt hat, also sich weigert, überhaupt tätig zu werden. c) Die Feststellungsklage aa) Maßgebende Bestimmung ist § 43 VwGO. Eine besondere Art der Feststellungsklage ist in § 48 und § 51 VwGO geregelt, nämlich die Klage der Bundesoder Landesregierung auf Feststellung, daß eine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 G G verboten ist. Eine Feststellung erstrebt auch das Normenkontrollverfahren, das gemäß § 47 VwGO durch die Landesgesetzgebung eingeführt werden kann und in dem über die Gültigkeit einer landesrechtlichen Verordnung oder einer anderen unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift entschieden wird. Eine weitere Feststellung durch die Verwaltungsgerichte ist in § 113 Abs. 1 Satz 4 V w G O vorgesehen; danach spricht das Gericht durch Urteil aus, daß ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich dieser vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (sog. unechtes Feststellungsurteil). In diesem Zusammenhang ist auch § 113 Abs. 2 zu erwähnen: Betrifft ein mit der Anfechtungsklage angefochtener Verwaltungsakt eine Feststellung, so kann das Verwaltungsgericht diese Feststellung durch eine andere ersetzen. bb) Durch die besonders geregelte Feststellungsklage nach § 43 kann begehrt werden: a) Die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses und ß) die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts. ' ) So wohl herrschende Meinung, vgl. bes. B V e r w G E 2, 2 7 5 ; a.A. Bettemann in N J W i960 S. 649.

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Verwaltungsgerichte — Sonstige Klagen

Z u a) Die Feststellungsklage des § 43 kann sich zunächst nur auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses richten und zwar eines Rechtsverhältnisses öffentlich-rechtlicher Art, das nach § 40 V w G O oder kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung zur Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist unter einem Rechtsverhältnis eine aus einem g r e i f b a r e n Tatbestand entstandene Rechtsbeziehung von Personen zu Personen oder Sachen zu verstehen 1 ). Nicht mit der Klage des § 43 können Tatsachen oder abstrakte Rechtsfragen festgestellt werden. Die Feststellungsklage auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ist aber nur subsidiär gegeben. Eine solche Feststellung kann nicht begehrt werden, wenn der Kläger sein Recht durch Gestaltungsklage, insbesondere Anfechtungsklage oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Z u ß) Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist nunmehr besonders geregelt. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts konnte nach der bisherigen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum und kann auch nach Erlaß der V w G O weiterhin in jedem Verfahren — auch in einem zivilgerichtlichen — und in jedem Stadium eines Verfahrens geltend gemacht werden; ein nichtiger Verwaltungsakt mußte und muß immer als unbeachtlich angesehen werden, so daß an sich keine besondere Klage hinsichtlich der Nichtigkeit erforderlich ist2). Der B a y V G H hat darüber hinaus auch schon bisher die Anfechtungsklage wegen nichtiger Verwaltungsakte für gegeben erachtet3). Nunmehr ist hinsichtlich eines nichtigen Verwaltungsaktes in § 43 V e r w G O ausdrücklich die Feststellungsklage zugelassen. Voraussetzung für eine solche Feststellungsklage ist ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Doch ist hier die Feststellung auch dann möglich, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könnte. Fristen für eine solche Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts laufen nicht. Ebensowenig besteht eine zeitliche Grenze für die Geltendmachung einer solchen Nichtigkeit. Doch kann auch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt die Anfechtungsklage erhoben werden, wie sie im allgemeinen bei Verwaltungsakten gegeben ist, und zwar auch unter Beachtung der dafür vorgeschriebenen Voraussetzungen, also unter Wahrung der Fristen und unter Einhaltung des vorgeschriebenen Vorverfahrens. d) S o n s t i g e

Klagen

In der V w G O sind nur Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklagen ausdrücklich geregelt. Nach ihrem System sind aber, wie bereits erwähnt, andere Klagen nicht ausgeschlossen. Daher sind neben der Anfechtungsklage als Gestaltungsklage und der Verpflichtungsklage als Leistungsklage auch darüber hinaus Gestaltungs- und Leistungsklagen gegeben. Dies gilt besonders für die Verwaltungsstreitsachen, die bisher als Parteistreitigkeiten bezeichnet wurden, also Streitigkeiten, bei denen sich die Rechtsträger nicht im Verhältnis von Überordnung und Unterordnung, sondern gleichgeordnet gegenüberstehen; dazu gehören je nach der Regelung, insbesondere des Landesrechts, beispielsweise Ansprüche auf Nutzungen des Gemeindevermögens oder auf Genuß oder Mitgenuß von Stiftungen. Doch sind solche sonstigen Klagen auch über den Begriff der Parteistreitigkeiten hinaus — je So Baumbach, ZPO, § 256 Anm. 2 und R G Z 107, 304. 2) 3)

So schon Fleiner, Institutionen, 8. Aufl., S. 205. Vgl. Bayer. V G H n.F. 2, 39 u. 3, 143.

Verwaltungsgerichte — Beteiligte

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nach der materiellen Regelung — denkbar. A u f Grund solchen besonders gesetzten materiellen Rechts ist auch eine Unterlassungsklage als Leistungsklage möglich. Im vorliegenden Falle handelt es sich dem förmlichen Antrag nach um eine Anfechtungsklage, soweit die Aufhebung der Verfügung über die Zuweisung der Helene Schuld und des entsprechenden Teils des Widerspruchsbescheids begehrt wird, sowie um eine Verpflichtungsklage, soweit die Benutzungsgenehmigung für den Wunschmieter Klein erstrebt wird. Nach einer weitverbreiteten, insbesondere auch im wesentlichen vom B V e r w G vertretenen Auffassung, ist aber das Wesen einer solchen Klage das einer Verpflichtungsklage (nicht unbestritten!). Die Unterscheidung, ob eine Anfechtungsklage oder eine Verpflichtungsklage anzunehmen ist, kann vor allem wegen der Feststellung des für die Rechts- und Sachlage maßgebenden Zeitpunktes von Bedeutung sein. Bei der Entscheidung über eine Anfechtungsklage ist die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt des letzten Bescheides der Verwaltungsbehörde maßgebend. Bei der Verpflichtungsklage ist die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Urteils ausschlaggebend — allerdings abgesehen von den besonderen Fällen der Zeitabschnittsgesetze und der Leistungen nach Zeitabschnitten, letzteres vor allem bei Ansprüchen auf Leistungen der Fürsorge bei zeitlich wechselnden Richtsätzen. Für den vorliegenden Fall ist die Frage des für die Rechts- und Sachlage maßgebenden Zeitpunktes ohne Bedeutung, da keine Änderungen im Rechte oder im Sachverhalt nach dem Text der Aufgabe eingetreten sind. Weiter ist dieser Unterschied auch deswegen hier unbeachtlich, weil — wie unten näher dargelegt werden wird — sowohl für die Anfechtungsklage als auch für die Verpflichtungsklage das Widerspruchsverfahren als Vorverfahren vorgeschrieben ist. Zur Entscheidung über die Klage berufen ist hier — wie auch sonst grundsätzlich lieh — das Verwaltungsgericht erster Instanz 1 ), also nicht das Oberverwaltungsgericht und nicht das B V e r w G , da keine Voraussetzungen für deren besondere Zuständigkeit als Erstinstanzgericht gegeben sind. B e t e i l i g t e am Verfahren sind nach § 63 V w G O 1. der Kläger 2. der Beklagte 3. der Beigeladene 4. der Oberbundesanwalt oder der Vertreter des öffentlichen Interesses, falls von der Beteiligtenbefugnis Gebrauch gemacht wird. Z u 1—2 Kläger und Beklagter werden Beteiligte durch die Klageerhebung. Sowohl die Klägerseite wie die Beklagtenseite können aus mehreren Personen bestehen (s. besonders wegen Streitgenossenschaft § 64 V w G O mit § 59fr. ZPO). Die Klage ist zu richten bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen •— wie im vorliegenden Fall — gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 V w G O ) ; diese sind hiernach Beklagte; doch genügt zur Bezeichnung der Beklagten die Angabe der Behörde. Allerdings kann das Landesrecht bestimmen, daß die Klage gegen die Behörde selbst, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder unterlassen hat, zu richten ist2). Besonderes gilt, wenn ein Widerspruchsbescheid erlassen ist und durch ihn ein Dritter erstmalig beschwert wird; dann ist Behörde, gegen die oder gegen deren Körperschaft die Klage zu richten ist, die Widerspruchsbehörde. Dementsprechend kann Gegenstand *) In Nordrhein-Westfalen bisher Landes Verwaltungsgericht benannt. 2 ) Eine solche landesrechtliche Bestimmung ist z.B. ergangen in Nordrhein-Westfalen (s. § 5 A G V w G O ) , Niedersachsen (s. § 7 A G V w G O ) , Schleswig-Holstein (s. § 6 A G VwGO).

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Verwaltungsgerichte — Beteiligte . Insich-Prozeß . Partei- und Prozeßfähigkeit

der Anfechtungsklage sein der ursprüngliche Verwaltungsakt, gegebenenfalls in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, oder auch der Widerspruchsbescheid bei einer neuen selbständigen Beschwer (s. dazu § 79 VwGO). Umstritten ist die Frage, ob Verwaltungsstreitverfahren zwischen Dienststellen derselben Person des öffentlichen Rechts möglich sind (sog. Insich-Prozeß)1). Zu 3: Zu dem Verfahren k ö n n e n — abgesehen von der Revisionsinstanz (s. § 142 V w G O ) — andere Personen beigeladen werden, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden; solche andere Personen m ü s s e n beigeladen werden (Fall der notwendigen Beiladung), wenn sie derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. im einzelnen § 65 VwGO). Zu 4: Der Oberbundesanwalt ist Beteiligter, wenn er sich ausdrücklich als beteiligt erklärt, also in das Verfahren „einsteigt". Das gleiche gilt für den Vertreter des öffentlichen Interesses, wenn ein solcher gemäß § 36 V w G O auf Grund Rechtsverordnung der Landesregierung beim Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht bestimmt ist; einem solchen Vertreter des öffentlichen Interesses kann allgemein oder für bestimmte Fälle die Vertretung des Landes oder von Landesbehörden übertragen werden2). Über den Kreis dieser Personen zu 1—4 hinaus können aber kraft besonderer gesetzlicher Regelung noch weitere Beteiligte am Verfahren vorhanden sein3). Die P a r t e i f ä h i g k e i t ist in § 6 1 V w G O geregelt und zwar etwas großzügiger als in der ZPO. Die P r o z e ß f ä h i g k e i t entspricht im Grunde ebenfalls der der ZPO mit einigen Ausweitungen (s. § 62 V w G O und die dortige besondere Regelung, z.B. für Behörden). Wegen der F o r m des U r t e i l s wird auf § 1 1 7 V w G O verwiesen. Daraus ergibt sich insbesondere, daß entsprechend der Regelung der ZPO eine Teilung in Tatbestand und Entscheidungsgründe erfolgt. „In der mündlichen Verhandlung vom 29. März 1961 sagte der als Sachverständiger vernommene Leiter des Tbc-Krankenhauses Y . Dr. Ar%t aus, daß die Beigeladene, die in seiner Behandlung stehe, nicht an ansteckender Tbc. leide. Der Bevollmächtigte des Klägers und der Vertreter der Beklagten wiederholten ihre bisherigen Ausfuhrungen und Anträge. Helene Schulz schloß sich dem Antrage der Beklagten an."

Für Anfechtungsklagen und Verpflichtungsklagen, also auch für den vorliegenden Fall, gelten besondere Vorschriften in den §§ 6 8 ff. V w G O und hinsichtlich des Urteils in den §§ 1 1 3 — 1 1 5 V w G O . In Abweichung von dem theoretischen Grundsatz der V w G O , daß dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Vorverfahren vorausgeht, ist bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sowie bei der besonderen S. dazu von Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 26. Kapitel; vgl. ferner B V e r w G Urt. vom 13. Januar i960 in D V B 1 S. 908: In einem gemäß § 22 K g f E G geführten „In-sich-Prozeß" kann auch der beklagte Besch Werdeausschuß Revision einlegen; hier kann der Leiter der Behörde gegen Beschlüsse des bei dieser Behörde gebildeten Beschwerdeausschusses kraft Gesetzes Klage erheben. Nach B V e r w G E 2, 149 sind In-sich-Prozesse der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht gemäß und nur ausnahmsweise kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung — z.B. § 322 L A G — zugelassen. 2 ) Ein solcher Vertreter des öff. Interesses, dem auch die Vertretung des Landes übertragen ist, ist z.B. in Bayern durch Verordnung vom 23. März i960 ( G V B 1 S. 31) in der Staatsanwaltschaft bei den Verwaltungsgerichten und dem V G H bestimmt. Über die Frage des Anwaltszwangs in der Rechtsmittelinstanz für ihn s. S. 1028, wegen der Bestellung der V ö l durch die Landesgesetzgebung s. S. 1022/1023. 3 ) Ein Beispiel ist der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds gemäß §§ 1 1 6 , 322 des Lastenausgleichsgesetzes vom 14. August 1952 (BGBl I S. 446) mit späteren Änderungen; diese Sonderregelung ist durch § 190 V w G O aufrecht erhalten.

Verwaltungsgerichte — Vorverfahren bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen

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Regelung der Klagen nach § 126 Abs. 3 B R R G i.d.F. des § 191 V w G O ein Vorverfahren vorgeschrieben; auch sonst kann kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung ein Vorverfahren erforderlich sein. Das für den vorliegenden Fall nach §§ 68 ff. vorgeschriebene Vorverfahren ist das Widerspruchsverfahren (früher Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren). Fälle, in denen ein Widerspruchsverfahren auch bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht stattfindet, sind in § 68 Abs. 1 enthalten; ebenso entfällt das Widerspruchsverfahren bei Verpflichtungsklagen, wenn die Behörde überhaupt untätig geblieben ist (vgl. §§68 Abs. 2, 75, 76 VwGO). Das im vorliegenden Fall erforderliche W i d e r s p r u c h s v e r f a h r e n begann mit der Erhebung des Widerspruches ( § 6 9 VwGO). Die Form des Widerspruchs ist schriftlich oder zur Niederschrift, die Frist ein Monat. Gegen die Versäumung der Frist ist Wiedereinsetzung möglich. Der Widerspruch ist bei der Behörde einzulegen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist kann aber auch durch Einlegung bei der Widerspruchsbehörde gewahrt werden. Widerspruchsbehörde ist grundsätzlich die nächsthöhere Behörde, es sei denn, daß diese eine oberste Bundes- oder Landesbehörde ist. Besonderes gilt in Selbstverwaltungsangelegenheiten und bei Vorschriften, nach denen im Vorverfahren Ausschüsse oder Beiräte, an die Stelle der Behörde treten (s. § 73 Abs. 1 Nr. 3 und § 73 Abs. 2 VwGO). Im vorliegenden Fall ist für den Bereich des Freistaates Bayern der Widerspruchsbescheid zutreffend von der Regierung erlassen worden (s. § 73 V w G O mit Art. 14 Nr. 9 A G V w G O ) . In Nordrhein-Westfalen entscheiden gemäß § 7 Abs. 2 A G V w G O über den Widerspruch gegen Verfügungen der Wohnungsbehörden die Beschwerdestellen nach § 12 des Landeswohnungsgesetzes vom 9. 6. 1954 (GS. NW. S. 473) 1 ), die bei den kreisfreien Gemeinden und den Landkreisen eingerichtet sind. Hiernach ist das vorgeschriebene Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) im vorliegenden Fall durchgeführt2). Die Klage ist auch sonst zulässig; insbesondere ist die Klagefrist von einem Monat ( § 7 4 Abs. 1 für die Anfechtungsklage, § 74 Abs. 2 für die Verpflichtungsklage) gewahrt. Die Klage ist schriftlich zu erheben ( § 8 1 Abs. 1 Satz 1 V w G O ) ; bei den Verwaltungsgerichten (nicht aber beim O V G — V G H — und BVerwG) kann sie auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. Die Klage muß Kläger, Beklagten und den Streitgegenstand bezeichnen und soll einen bestimmten Antrag enthalten (früher mußte sie einen bestimmten Antrag enthalten). Dieser bestimmte Antrag braucht kein ausdrücklich formulierter zu sein. Dem auch sonst öfter vorgeschriebenen Erfordernis eines „bestimmten Antrags" ist genügt, wenn das Ziel der Klage (Berufung, Revision) aus der Tatsache der Erhebung der Klage (Einlegung der Berufung, Revision) allein oder in Verbindung mit den während der Frist der Klage (Berufung, Revision) abgegebenen Erklärungen erkennbar ist3). Wegen des Vorverfahrens in Nordrhein-Westfalen s. a. RdErl. d. Innenministers vom 21. Dez. i960 (MAB1 1961 S. 71). 2 ) Nach der der Vereinfachung dienenden Bestimmung des § 77 V w G O sind alle b u n d e s r e c h t l i c h e n Vorschriften in anderen Gesetzen ü b e r E i n s p r u c h s - o d e r B e s c h w e r d e v e r f a h r e n d u r c h die Vorschriften des Widerspruchsverfahrens ersetzt, ebenso alle landesrechtlichen Vorschriften über Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren als Voraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage. Darüber hinaus sind auch in den Ländern für das von ihnen Zu regelnde landesrechtliche Verwaltungsverfahren Vereinfachungen erfolgt; so hat Bayern in Art. 15 A G V w G O bestimmt, daß— abgesehen von Sonderregelungen — grundsätzlich der Widerspruch an die Stelle aller förmlichen Rechtsbehelfe tritt, die das Landesrecht für das V e r w a l t u n g s v e r f a h r e n einräumt. Wegen des Wegfalls des Rekursverfahrens jedenfalls für das Bundesrecht s. § 195 Ab. 3 V w G O , der die §§ 20, 21 G e w O aufhebt. 3

) V g l B V e r w G E 1, 222; 5, 57.

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Verwaltungsgerichte — Grundsätze des Verfahrens . Beweislast . Entscheidungsgründe

Die Klage wird •— abgesehen von dem Falle des Vorbescheides ( § 8 4 V w G O ) oder der Verweisung innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit (§83 V w G O ) oder zu einem anderen Rechtsweg (vgl. § 41 V w G O ) 1 ) — zufolge Verfügung des Vorsitzenden dem Beklagten zugestellt. Durch Erhebung der Klage wird die Sache rechtshängig (§90 VwGO). Die weiter eingehenden Schriftsätze werden jeweils den anderen Beteiligten von Amts wegen zugestellt (s. § 86 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Grundsätzlich entscheidet das Verwaltungsgericht auf Grund mündlicher Verhandlung, doch kann mit Einverständnis der Beteiligten von einer solchen abgesehen werden; Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen (vgl. § 101 VwGO). Die Grundsätze des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind: der G r u n d s a t z des A m t s b e t r i e b s ( O f f i z i a l m a x i m e ) , d.h. das Gericht betreibt das gerichtliche Verfahren von Amts wegen; die U n t e r s u c h u n g s m a x i m e , d.h. das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen und ist nicht an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden; in Abweichung hiervon gilt der Verfügungsgrundsatz (Dispositionsmaxime) in gewissem Umfang hinsichtlich der Klageerhebung, der Einlegung von Rechtsmitteln und der Beendigung des Verfahrens; der G r u n d s a t z der f r e i e n B e w e i s w ü r d i g u n g ; der G r u n d s a t z der M ü n d l i c h k e i t ; der G r u n d s a t z der U n m i t t e l b a r k e i t ; der G r u n d s a t z der Ö f f e n t l i c h k e i t ; der G r u n d s a t z des r e c h t l i c h e n G e h ö r s . Diese Grundsätze sind nicht immer rein durchgeführt, sondern in mancher Hinsicht eingeschränkt2). Was insbesondere den Grundsatz der Untersuchungsmaxime anlangt, so ergibt sich aus ihm, daß eine B e w e i s l a s t im Sinne einer Beweisführungspflicht nicht besteht. Doch wird — wenn auch nicht unbestritten — u. a. vom Bundesverwaltungsgericht der Standpunkt vertreten, daß dann, wenn die von Amts wegen vorzunehmenden Ermittlungen erfolglos geblieben sind, zu Ungunsten derjenigen Partei entschieden werden kann und muß, welche die Beweislast trägt; diese Last, nämlich die Gefahr zu unterliegen, wenn und weil eine bestimmte rechtserhebliche Tatsache nicht zur richterlichen Gewißheit festgestellt werden kann, besteht nach dieser Ansicht auch im Verwaltungsprozeß, die bei der Anfechtungsklage in der Regel der Kläger trägt, weil er die Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsakts nur verlangen kann, wenn dessen Rechtswidrigkeit feststeht3). „Entscheidungsgründe: Die Klage stellt sich als eine Anfechtungsklage und eine Verpflichtungsklage dar. Gegenstand der Anfechtungsklage sind die Verfugungen des Wohnungsamts vom 27. Dezember i960 und vom 1 1 . Januar 1961 sowie der Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1961. Mit der Verpflichtungsklage erstrebt der Kläger den Ausspruch, daß die Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, den von ihm vorgeschlagenen Klein ihm zuzuweisen. Dem Sinn und Zweck seines Vorbringens nach behauptet der Kläger, durch die angefoch1

S. auch oben S. 1027.

2

) Im einzelnen wird auf von Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 24. Kapitel, verwiesen. 3

) So u.a. B V e r w G Ent. v. 18. April 1956 in DVB1. 1956 S. 682.

Verwaltungsgerichte — Sachliche und örtliche Zuständigkeit . Prozeßvoraussetzungen 1 0 3 7 tenen Verfügungen und Bescheide der Verwaltungsbehörden und durch die Verweigerung der Zuweisung des Klein in seinen Rechten verletzt zu sein. Hiernach und mit Rücksicht auf die zutreffende Durchführung des Vorverfahrens sowie die frist- und formgerechte Erhebung der Klage bestehen gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken. Zur Entscheidung ist das Verwaltungsgericht K. sachlich und örtlich zuständig."

Die vorstehende Formulierung folgt im wesentlichen der Praxis vieler Gerichte. Wegen einer kürzeren Fassung und den Angaben über Form und Fristen im Tatbestand wird auf andere Beispiele dieses Lehrbuchs verwiesen. Satz i entspricht im wesentlichen dem Wortlaut des § 79 V w G O . Dem gesetzlichen Begriff Gegenstand der Anfechtungsklage steht der sehr umstrittene Begriff des Streitgegenstands1) gegenüber. Die Begriffe s a c h l i c h e und ö r t l i c h e Z u s t ä n d i g k e i t entsprechen denen der ZPO. Die sachliche Zuständigkeit ist grundsätzlich in den § § 4 5 , 46, 48, 50 V w G O geregelt. Darüber hinaus kann sie in Sondergesetzen vorgeschrieben sein, z.B. in Bundesgesetzen wie im Flurbereinigungsgesetz vom 14. Juli 1953 — (BGBl I S. 591) — s. dazu § 190 V w G O — oder in Landesgesetzen, soweit eine solche Regelung vorbehalten ist, wie etwa hinsichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit und Disziplinargerichtsbarkeit (s. § 187 V w G O ) und der Normenkontrolle auf Grund des §47 V w G O . Die Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit bestimmen, welches Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit für Entscheidungen über Streitigkeiten der zu entscheidenden Sache nach berufen ist. Über die örtliche Zuständigkeit trifft § 52 V w G O Bestimmung. Sie regelt die Frage, welcher Gerichtsbezirk zu entscheiden hat; man unterscheidet den allgemeinen Gerichtsstand (§ 52 Nr. 5) und die besonderen Gerichtsstände (§§ 52 Nr. 1—4 VwGO). Neben der eigentlichen und sachlichen Zuständigkeit spricht man noch von der f u n k t i o n e l l e n Zuständigkeit. Sie enthält im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit die Frage, in welcher Eigenschaft, d.h. besonders in welcher Instanz (erste Instanz, Rechtsmittelinstanz, Vollstreckungsgericht u. dgl.), das Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit oder ein Organ dieses Gerichts im Einzelfall tätig wird. Wegen der Verweisung bei örtlicher und sachlicher Unzuständigkeit im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird auf § 83 V w G O und wegen der Bestimmung des sachlich und örtlich zuständigen Gerichts durch das nächsthöhere Gericht auf § 5 3 V w G O verwiesen. Die Sätze 3 und 4 der Gründe befassen sich weiter mit der Zulässigkeit der Klage. Hierwegen gilt im allgemeinen dasselbe wie in der Z P O ; die sogen. P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g e n ( S a c h u r t e i l s v o r a u s s e t z u n g e n ) sind dementsprechend auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorweg zu prüfen, bevor eine Entscheidung in der Sache selbst erlassen werden kann. Solche Prozeßvoraussetzungen sind: Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung, insbesondere Wahrung von Frist und Form, Parteifähigkeit, Prozeßfähigkeit, gesetzliche Vertretung, Vollmacht des gewillkürten Vertreters, Klagebefugnis, Zulassung des Verwaltungsrechtswegs, örtliche und sachliche Zuständigkeit, Rechtsschutzbedürfnis, anderweitige Rechtshängigkeit, deutsche Gerichtsbarkeit. Ob und welche Reihenfolge bei der Prüfung durch das Gericht einzuhalten ist, ist umstritten. Die ProzeßVoraussetzungen sind von Amts wegen und in j eder Lage des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu prüfen. Fehlt eine dieser Voraussetzungen oder fällt sie vor Schluß der letzten mündlichen Verhandlung oder vor der Entscheidung weg, so ist die Klage ohne sachliche Würdigung als unzulässig abzuweisen (Prozeß urteil). S. dazu Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 42 Anm. C 1 6.

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Verwaltungsgerichte — Maßgebender Zeitpunkt der Rechts- und Sachlage

Im vorliegenden Fall ist sowohl eine Anfechtungsklage als auch eine Verpflichtungsklage (s. § 42 V w G O ) erhoben. Mit der Anfechtungsklage wird die Aufhebung der Verfügungen vom 27. Dezember i960 und vom 1 1 . Januar 1961 begehrt, mit der Verpflichtungsklage die Zuweisung des Wohnungsmieters Klein beantragt. Letzten Endes wird das gleiche erstrebt. Die Anfechtungsklage (Auf hebungsklage) verfolgt das (kassatorische) Ziel der Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts durch Richterspruch; sie ist eine Gestaltungsklage. Die Verpflichtungsklage ist eine Leistungsklage, die ein Handeln der Verwaltungsbehörde erstrebt und zwar die Vornahme eines Verwaltungsakts 1 ). Die Unterscheidung zwischen Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage ist vor allem bei im Lauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auftretenden Rechtsänderungen und Änderungen des Sachverhalts von Bedeutung: Während bei der Anfechtungsklage als Auf hebungsklage der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts zugrundezulegen ist (BVerwGE 2,5 5) und für den Widerspruchsbescheid (früher Einspruchs- bzw. Beschwerdebescheid) die Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt seines Ergehens (BVerwGE 2,5 5), ist bei der Verpflichtungsklage der Rechts- und Sachstand im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung maßgebend (BVerwGE i , 291). In einem Urteil des Bayerischen V G H vom 25. Februar 1958 ( V G H n.F. 1 1 , 61) ist allerdings in einer dem vorliegenden Fall in etwa entsprechenden Streitsache für die Beurteilung der Rechts- und Sachlage auf den Zeitpunkt des Beschwerdebescheids (heute Widerspruchsbescheid) abgestellt. Die Entscheidung der Streitfrage kann hier dahingestellt bleiben, da nach dem gegebenen Sachverhalt keine Änderungen der Rechtslage und des Sachstandes eingetreten sind. Im übrigen ist für den Fall, daß sowohl Anfechtungsklage auf Aufhebung ergangener Verwaltungsakte als auch Verpflichtungsklage etwa auf Erteilung der mit den angefochtenen Verwaltungsakten abgelehnten Genehmigung erhoben ist, manches umstritten2). Für die Zulässigkeit der Klage ist neben den oben angeführten Prozeßvoraussetzungen noch erforderlich, daß hinsichtlich der Anfechtungsklage der Kläger — wie seinem Vorbringen zu entnehmen — behauptet, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein, und hinsichtlich der Verpflichtungsklage — wie dem Sinn seiner Ausführungen zu entnehmen ist — ebenfalls behauptet, ein Recht auf Vornahme des begehrten Verwaltungsakts zu haben, das durch die Ablehnung verletzt sei. Erwähnt wird noch, daß die Klage auch auf Fehlgebrauch des Ermessens, insbesondere Ermessensmißbrauch, gestützt werden kann (s. im einzelnen §§ 114, 115 VwGO). Im Grunde wird — wie in immer steigendem Maß in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt wird — auch Ermessenfehlgebrauch Rechtsverletzung sein. Die Verwaltungsgerichte entscheiden über die Klagen in der Regel auf Grund mündlicher Verhandlung (s. § 101 VwGO). Doch kann auch anderes bestimmt sein; so wird beim Vorbescheid (§84 V w G O ) ohne mündliche Verhandlung entschieden. Weiter kann mit Einverständnis der Beteiligten das Verwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VerGO). Entscheidungen des Gerichts, *) Im einzelnen s. oben S. iojof. 2 ) S. dazu BVerwGE 3 , 2 1 ; Koebler, VwGO-Kommentar, § 1 1 3 Anm. B X 1 f.; XJle, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 108 Anm. HI 2; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Anm I 3 ; s. weiter unten S. I052f. In der Rechtsprechung wird u.a. der Standpunkt vertreten, daß weder bei dem Verpflichtungs-(Vornahme-) noch beim Bescheidungsurteil (s. § 113 Abs. 4 V w G O ) auf Klage gegen die Ablehnung oder Unterlassung einer beantragten Amtshandlung (Verwaltungsakt) eine gerichtliche Aufhebung der Ablehnung vorgeschrieben ist (s. V G H Kassel Urt. vom 1. Dezember i960 in DVB1 1961 S. 680).

Verwaltungsgerichte — Wohnraumbewirtschaftung

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die nicht Urteile sind, können in der Regel ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes vorgeschrieben (vgl. hierzu § 101 und für die Berufungsinstanz § 125 V w G O ) . „2. Die Klage ist weder, soweit sie gegen die Verfügung vom 29. Dezember i960, noch, soweit sie gegen die vom 1 1 . Januar 1961 gerichtet ist, begründet. a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 WBewG ist die Benutzungsgenehmigung entsprechend dem Antrag des Verfügungsberechtigten zu erteilen, wenn Wohnraum nicht aus gewichtigen Gründen der Wohnraumbewirtschaftung einem anderen als dem vorgeschlagenen Wohnungssuchenden zuzuteilen ist. Nach § 14 Abs. 4 gilt die Benutzungsgenehmigung als erteilt, wenn dem Verfügungsberechtigten nicht binnen drei Wochen nach Eingang seines Antrags ein ablehnender Bescheid zugegangen ist. § 15 Abs. 5 WBewG bestimmt, daß Wohnungsuchende binnen drei Wochen zugewiesen werden müssen, nachdem Wohnraum frei geworden und die Anzeige gemäß § 7 Abs. 3 bei der Wohnungsbehörde erstattet ist. Ergeht die Zuweisung nicht fristgerecht, so gilt die Überlassung von Wohnraum an den Wohnungsuchenden als genehmigt, den der Verfügungsberechtigte der Wohnungsbehörde benennt. E s kann hier dahinstehen, ob der Antrag des Verfügungsberechtigten auf Benutzungsgenehmigung erst nach dem Freiwerden der Wohnung gestellt werden kann oder schon vorher (so B V e r w G Urteil vom 19. Oktober 1956 in N J W 1957 S. 686), wie es hier geschehen ist; denn jedenfalls wurde der Antrag vom 17. Dezember i960 bereits mit der am 27. Dezember i960 zugegangenen Verfügung vom 27. Dezember i960, also innerhalb der dreiwöchigen Frist, abgelehnt. Die bereits v o r Freiwerden der Wohnung erstattete Freimeldung setzte — was hier von entscheidender Bedeutung ist — den Lauf der Frist des § 15 Abs. 5 WBewG nicht in Lauf. Diese Frist beginnt vielmehr erst zu laufen, wenn der Wohnraum tatsächlich frei oder bezugsfertig geworden ist, mag auch die Anzeige gemäß § 7 Abs. 3 WBewG schon früher erstattet worden sein (ebenso B V e r w G Urteil vom 12. November 1958 V C 3.57). Die Wohnungsbehörde war also im Zeitpunkt ihrer Verfugung vom 1 1 . Januar 1961 (zugestellt am 12. Januar 1961) nicht durch Fristablauf gehindert, die Wohnung zuzuweisen. Hieraus ergibt sich Zunächst, daß eine Benutzungsgenehmigung für den vom Kläger gewünschten Mieter Klein nicht als erteilt gilt. Die Wohnungsbehörde hat auch die Benutzungsgenehmigung für den sog. Wunschmieter Klein mit Recht versagt. Einen Rechtsanspruch auf diese Genehmigung hat der Kläger nicht, da das WBewG — anders als z. B. in den §§ 17 Abs. 1 Satz 1 , 1 8 , 1 4 Abs. 2 — für solche Fälle wie den vorliegenden keinen Rechtsanspruch geschaffen hat. Weiter lagen gewichtige Gründe der Wohnraumbewirtschaftung vor, die Wohnung einem anderen als dem vorgeschlagenen Wohnungsuchenden zuzuteilen, nämlich der Beigeladenen Schulz- Ihr Wohnungsfall stellte einen sog. Elendsfall dar, der einer beschleunigten Regelung bedurfte und der — nach dem gegebenen Sachverhalt — bei der großen Wohnungsnot in der Stadt K . nur durch die verfügte Zuweisung gelöst werden konnte. Die Klage ist daher, soweit mit ihr beantragt wird, die Verfügung vom 27. Dezember i960 und den Widerspruchsbescheid, soweit er sich hierauf bezieht, aufzuheben und die Verwaltungsbehörde für verpflichtet zu erklären, die beantragte Benutzungsgenehmigung für Klein zu erteilen, als unbegründet abzuweisen. b) Wie bereits ausgeführt, war bei den besonderen Umständen der Unterbringung der Beigeladenen Schulst m i t ihren Kindern auf dem Dachboden eines einsturzgefährdeten Hauses, der großen Wohnungsnot in der Stadt K . und der Unmöglichkeit, für die Beigeladene eine Unterkunft zu schaffen, ein sog. Elendsfall gegeben und sofortiges Eingreifen geboten. Bei dieser Sachlage konnte die Wohnungsbehörde auch davon absehen, dem Kläger mehrere Wohnungsuchende zur Auswahl zu benennen. Sie konnte dem Kläger das Auswahlrecht versagen ( § 1 5 Abs. 1 und 6 WBewG). Das Vorbringen des Klägers, die Zuweisung an die Beigeladene Schulz hätte nicht vorgenommen werden dürfen, weil diese an ansteckender Tbc leide, kann schon deswegen keinen Erfolg haben, weil nach dem Gutachten des Sachverständigen keine solche Tbc vorliegt. Die Zuweisung ist daher zu Recht erfolgt. Auch soweit die Klage die Aufhebung der Zuweisungsverfügung und des hierauf bezüglichen Teiles des Widerspruchsbescheiddes begehrt, ist sie somit als unbegründet abzuweisen."

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Verwaltungsgerichte — Kosten . Rechtsmittelbelehrung

Die sachliche Würdigung befaßt sich in Kürze mit dem Recht der Wohnraumbewirtschaftung, Gerade auf solchen Gebieten zeigt sich die Bedeutung der Generalklausel. Sie ist die Grundlage des Rechtsschutzes auf allen Gebieten des öffentlichen Rechts durch die Verwaltungsgerichte, soweit nicht besondere Vorschriften etwas anderes bestimmen. Sie zieht in diesen Rechtsschutz weite Bereiche, für die er früher nicht bestanden hat. Nach dem WBewG — nun i. d. F. des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht vom 23. Juni i960 (BGBl I S. 389), sogen. Abbaugesetz — obliegt der Wohnraum und zwar grundsätzlich der sogenannte Altwohnraum und der öffentlich geförderte Wohnraum der öffentlichen Bewirtschaftung (§§ 1 , 2 , 3 WBewG). Wird solcher Wohnraum frei oder bezugsfertig oder unterbelegt, dann ist dies der Wohnungsbehörde zu melden. Sie hat dann diesen Wohnraum zuzuteilen und zwar entweder durch die Genehmigung der vom Verfügungsberechtigten beantragten Benutzung, sei es an ihn selbst oder an einen von ihm vorgeschlagenen Wohnungssuchenden, den sogen. Wunschmieter, oder durch Zuweisung von Wohnungsuchenden an den Verfügungsberechtigten. Mit der Zuweisung verlangt die Wohnungsbehörde, daß der Verfügungsberechtigte mit dem einen (Alleinzuweisung) oder einem von mehreren zur Auswahl (Auswahlzuweisung) ihm zugewiesenen Personen ein Rechtsverhältnis über die Benutzung der Wohnräume abschließt. Kommt ein solcher Vertrag nicht freiwillig zustande, so kann die Behörde eine Mietverfügung erlassen, die die Wirkung eines Mietvertrages hat. Die Zugewiesenen können alsdann in den Besitz des zugeteilten Wohnraumes oder der sonstigen Gegenstände der Zuteilung mit Zwang eingewiesen werden. Gegebenenfalls kann auch eine Bereitstellungsverfügung erlassen werden, die den Bezug von Wohnraum vorbereiten und sichern soll. Das WBewG trifft ferner noch Bestimmungen über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, über das Verbot baulicher Änderungen, über die Möglichkeit, sanitäre Einrichtungen und Versorgungsanlagen erbauen zu lassen, über die Wohnungsräumung zur Vornahme baulicher Maßnahmen u. a. Die Wohnraumbewirtschaftung, die in den Jahren nach 1945 von großer Bedeutung war, soll nach dem oben erwähnten Abbaugesetz voraussichtlich bis 1965 ihr Ende finden. Sie ist schon bisher u.a. durch das Erste Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 (BGBl S. 83) mit späteren Änderungen und das zweite Wohnungsbaugesetz — nun i. d. F. vom 1. August 1961 — B G B l I S . 1122 — gelockert worden. Das Abbaugesetz bringt weitere solche Lockerungen; es sind eine Reihe von Kategorien von Wohnungen nunmehr kraft Gesetzes aus der Wohnraumbewirtschaftung ausgeschlossen wie z.B. Groß Wohnungen, Dienst-, Werk- und Betriebswohnungen; ferner kann die Wohnraumbewirtschaftung gebietsweise aufgehoben werden und unter gewissen Voraussetzungen auch auf persönlichen Antrag des Verfügungsberechtigten. Wegen Einzelheiten wird auf das Abbaugesetz verwiesen 1 ). „5. Als unterliegender Teil trägt der Kläger die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). 4. Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 1 3 1 Abs. 1 V w G O i.V.m. § 1 des Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 21. Januar i960 (BGBl I S. 44) vorliegt. Rechtsmittelbelehrung Die Nichtzulassung der Berufung kann selbständig durch Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) K. innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils 1 ) S. auch die kurze Zusammenfassung im Lehrbuch des Verwaltungsrechts von TureggKraus.

Verwaltungsgerichte — Beschränkung der Berufung . Streitwert

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angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgericht K. in K., X-straße Nr. 5, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts einzulegen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Oberverwaltungsgerichts (Verwaltungsgerichtshofs), von der das Urteil des Verwaltungsgerichts abweicht, bezeichnet werden. Die Beschwerdeschrift soll sechsfach eingereicht werden."

Das Urteil muß im Tenor auch einen Ausspruch enthalten, wem die Kosten auferlegt werden. Grundsätzlich hat der im Verwaltungsstreitverfahren Unterliegende die Kosten zu tragen. Im einzelnen wird auf § 154fr. V w G O verwiesen. Bemerkt wird, daß die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts für das verwaltungsgerichtliche Verfahren stets erstattungsfähig sind; für das Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) sind solche Gebühren und Auslagen, wenn sich ein verwaltungsgerichtliches Verfahren anschließt, nur erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt (vgl. § 162 VwGO). Was die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen anlangt, so ist auch hier ein Ausspruch des Gerichts Voraussetzung für ihre Erstattungsfähigkeit (vgl. § 1 6 2 V w G O ) ; im vorliegenden Fall ist ein solcher Ausspruch nicht erfolgt, da nach dem Sachverhalt nicht anzunehmen ist, daß die Beigeladene besondere außergerichtliche Kosten hatte, sie insbesondere nicht von einem Rechtsanwalt vertreten war. Eine Rechtsmittelbelehrung wird jedem Urteil angefügt. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz des Gerichtes und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist (§ 58 Abs. 1 VwGO). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs (Rechtsmittels) nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig außer bei höherer Gewalt oder bei schriftlicher Belehrung, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (im einzelnen s. § 5 8 V w G O und wegen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 60 VwGO). Das Rechtsmittel gegen Urteile der Verwaltungsgerichte erster Instanz ist in der Regel die Berufung (s. dazu § 124fr. VwGO). Sie ist aber auf Grund des § 1 3 1 V w G O durch das oben erwähnte Bundesgesetz über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren für gewisse Rechtsgebiete bis zum 31. März 1965 ausgeschlossen, so für das Gebiet des Preisrechts, der öffentlichen Abgaben, der Kosten, der Strafen und des Zwangsgeldes mit einem Werte des Beschwerdegegenstandes unter dreihundert Deutsche Mark sowie auf den Gebieten der Wohnraumbewirtschaftung, der Notaufnahme von Deutschen usw. Die Berufung findet in diesen Fällen nur statt, wenn sie im Urteil zugelassen ist. Bemerkt wird, daß die Berufung auch durch Landesgesetz für einzelne Rechtsgebiete des Landesrechts beschränkt werden kann. Weitere Einschränkungen der Berufung finden sich in Sondergesetzen des Bundes (s. z.B. § 339 des Lastenausgleichsgesetzes und § 23 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes i.d.F. vom 8. Dezember 1956, B G B l I S. 908; wegen der Weitergeltung dieser Bestimmungen s. § 190 VwGO). Bemerkt wird besonders, daß anstelle einer an sich zulässigen Berufung unter den Voraussetzungen des § 134 V w G O Revision zum BVerwG eingelegt werden kann (sogen. Sprungrevision). Die Anfechtung der Entscheidung im Kostenpunkt allein ist grundsätzlich nicht möglich (s. dazu §158 VwGO). Im allgemeinen ist in den Landesgesetzen vorgesehen, daß die Gerichte auch den Wert des Streitgegenstandes für ihr Verfahren festsetzen. Der Streitwert ist die Grundlage für die Berechnung der Gerichtskosten, insbesondere der einzelnen 66

L u x , Schulung 5 . A u f l . (Kraus)

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Verwaltungsgerichte — Urteil in der Berufungsinstanz

Gebühren (Verhandlungsgebühr, Beweisgebühr, Urteilsgebühr), sowie auch der Gebühren der Rechtsanwälte (Prozeßgebühr, Beweisgebühr) nach der Bundesgebührenordnung f ü r Rechtsanwälte i. d. F . des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften v o m 2.6. J u l i 1957 ( B G B l I S. 861/907). Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes erfolgt nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften in der Regel auf G r u n d des Gerichtskostengesetzes i . d . F . der Bekanntmachung v o m 26. J u l i 1957 ( B G B l I S. 9 4 1 ) 1 ) ; dabei wird zwischen vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitgegenständen unterschieden. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes wird in der Praxis v o n den Gerichten im Anschluß an ein Urteil hinter der Rechtsmittelbelehrung durch Beschluß vorgenommen, der etwa wie folgt lautet: „Beschluß Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird auf 360,— DM festgesetzt." Wohnungssachen wie die vorliegende werden als vermögensrechtliche Streitsachen behandelt; der Wert des Streitgegenstandes berechnet sich nach dem einjährigen Betrag der Miete der strittigen Räume. Urteil der Berufungsinstanz i m verwaltungsgerichtlichen Verfahren in einer Anfechtungssache nach dem Gaststättengesetz I. Urteilskopf u. -formel für Bayern „Nr. 11 VI 60 ( = Geschäftsnummer) Verkündet am 29. März 1961 Der Urkundsbeamte des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs gez.: Wein Reg.Ob.Insp. Im Namen des Volkes! In der Verwaltungsstreitsache Anton Abel in Neukirchen, — Kläger — Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Müller in Neustadt, gegen den Freistaat Bayern, — Beklagten — vertreten durch die Staatsanwaltschaft beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof in M., wegen Versagung der Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft; hier Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts M. vom 2. Januar 1961, erläßt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof, VI. Senat, unter Mitwirkung von Senatspräsident Dr. A. als Vorsitzendem Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. B. Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. C. als Beisitzern, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. D. Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. E. auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. März 1 9 6 1 folgendes S. für Bayern Art. 17 AGVwGO i. V. m. dem dort für grundsätzlich anwendbar erklärten Gerichtskostengesetz und § 189 VwGO; für Nordrhein-Westfalen § 189 Abs. 1 i. V.m. § 195 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sowie § 104 Abs. 1 MRVO Nr. 165 i.V. m. dem Gerichtskostengesetz.

Verwaltungsgerichte — Besetzung der OVGe

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Urteil: I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. III. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen." 2. Urteilskopf und -formel für Nordrhein-Westfalen III A 22/61

Verkündet am 29. März 1961

„3 K 185/60 M

gez.: Wein Verwaltungsgerichtsangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes!

Verwaltungsstreit wegen Versagung der Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft 1. Kläger: Anton Abel, Neukirchen, Gartenstr. 375, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Müller in Neustadt, Grabenstr. 1 5 , 2. Beklagte: Kreisverwaltung Beburg, 3. Beteiligt: der ständige Vertreter des öffentlichen Interesses beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, D., Innenministerium. Der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen hat nach mündlicher Verhandlung vom 29. März 1961, an der teilgenommen haben Senatspräsident Dr. Aman Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Bedarf 1 . • 1^ ^ f Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Claus I Hausmeister David 1 Landwirt Elsen I

als Vorsitzender, . . . . , . , als beisitzende Richter .

, ,. , TT , . ehrenamtliche Verwaltungsrichter,

auf die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts M. vom 2. Januar 1961 für Recht erkannt: Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen." Im Gegensatz zur Regelung der Besetzung der Verwaltungsgerichte erster Instanz und des Bundesverwaltungsgerichts hat die V w G O die Besetzung der Oberverwaltungsgerichte ( V G H ) nicht einheitlich gestaltet. Nach § 9 Abs. 3 V w G O entscheiden die Senate der Oberverwaltungsgerichte ( V G H ) in der Besetzung von drei Richten!; doch kann die Landesgesetzgebung vorsehen, daß die Senate in der Besetzung von fünf Richtern entscheiden, von denen zwei auch ehrenamtliche Verwaltungsrichter sein können. Die Landesgesetzgebung hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht. So verhandelt und entscheidet in Bayern der V G H in Senaten in der Besetzung mit fünf Richtern (Berufsrichtern); Beschlüsse außerhalb der mündlichen Verhandlung fassen die Senate in der Besetzung mit drei Richtern (Berufsrichtern); in den Fällen des § 47 V w G O (Normenkontrollverfahren) ergeht die Endentscheidung in der Besetzung mit fünf Richtern (Berufsrichtern). Ehrenamtliche Verwaltungsrichter wirken beim V G H nicht mit (Art. 5 A G V w G O ) . In Nordrhein-Westfalen besteht der Senat bei Urteilen auf Grund mündlicher Verhandlung aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern. „Tatbestand. Der Anfechtungskläger Anton Abel stellte am 4. April i960 Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft in seinem Anwesen in Neukirchen für einen Schankraum mit Terasse und Garten und neun Fremdenzimmern. Mit Beschluß vom 20. Mai i960 — 66»

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Verwaltungsgerichte — Gaststättenrecht . Zuständigkeit und Vorverfahren

zugestellt am 25. Mai i960 — versagte das Landratsamt Beburg (für Nordrhein-Westfalen der Oberkreisdirektor der Kreisverwaltung Beburg) die nachgesuchte Erlaubnis. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß in der 500 Einwohner zählenden Gemeinde bereits sieben Gastwirtschaften vorhanden seien; diese genügten für die geringe Zahl der Einwohner und bei dem Fehlen eines Fremdenverkehrs. Die durch die Gemeinde führende Bundesstraße weise zwar einen sehr starken Kraftfahrzeugverkehr auf, doch hielten die Kraftfahrer in Neukirchen kaum an, sondern führen zu dem nächstgelegenen bekannten Ausflugsort Carlsberg durch. Ein Bedürfnis zur Errichtung einer weiteren Gastwirtschaft sei daher nicht anzuerkennen. Auch der gegen den Beschluß vom 20. Mai i960 eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg."

Nach § 1 des GastG 1 ) bedarf der Erlaubnis, wer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder den Kleinhandel mit Branntwein betreiben will. Gegen einen ablehnenden Bescheid war früher das Rekursverfahren vorgeschrieben (§ 18 Nr. 2 GastG und § 20 GewO), das bestimmten Anforderungen entsprechen mußte (s. §§ 20, 21, 21a GewO), insbesondere die Entscheidung durch eine kollegiale Behörde verlangte (s. für früher auch Art. II des Gesetzes zur Änderung der Titel I—IV, V I I und X der GewO vom 29. September 1953, B G B l I S. 1459, 1485); das Rekursverfahren konnte durch Landesrecht abweichend von den Vorschriften der §§ 20, 21 GewO geregelt werden. Nunmehr sind durch § 195 Abs. 3 V w G O die §§ 20, 21 GewO aufgehoben. Für Bayern ist daher, da die frühere besondere Regelung, wonach der Rekurs durch Erhebung der Anfechtungsklage ohne vorhergehendes Einspruchs- (Beschwerde-) verfahren einzulegen war (s. § 38 Abs. 2 V G G ; vgl. auch § 79 Abs. 4 V G G ) , vor der Erhebung der Anfechtungsklage bzw. der Verpflichtungsklage im vorliegenden Falle das Widerspruchsverfahren durchzuführen gewesen. Über den Widerspruch entscheidet die Regierung. Das Widerspruchsverfahren hatte nach dem gegebenen Sachverhalt keinen Erfolg, so daß die Voraussetzung — Durchführung des Vorverfahrens — gegeben ist. Im einzelnen wird auf die Ausführungen im vorhergehenden Urteil Bezug genommen. In Nordrhein-Westfalen entscheiden über die Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder zum Kleinhandel mit Branntwein und einige weitere Maßnahmen die kreisfreien Städte, amtsfreien Gemeinden und die Ämter mit mindestens 20000 Einwohnern, im übrigen die Landkreise als Ordnungsbehörden (s. § 6 Abs. 2 Satz i des ersten Gesetzes zur Neuordnung und Vereinfachung der Verwaltung in Nordrhein-Westfalen und erstes Vereinfachungsgesetz vom 23. Juli 1957, GVB1 S. 189, in Verbindung mit der Anlage 2 zu § 6 Abs. 2 Satz 1). Gegen diese Entscheidungen gibt es den Widerspruch, über den gemäß § 7 Abs. 1 A G V w G O von Nordrhein-Westfalen die Aufsichtsbehörde, im vorliegenden Fall der Regierungspräsident mit Widerspruchsbescheid zu entscheiden hat. Bemerkt wird noch, daß — im Gegensatz zu dieser Regelung bei Erteilung (Versagung) der Erlaubnis — über die Zurücknahme der Erlaubnis eines der in § 1 Abs. 1 GastG angeführten Betriebes und entsprechender sonstiger Maßnahmen (z. B. Untersagung des Kleinhandels mit Bier und Wein) Beschlußausschüsse entscheiden (s. § 6 Abs. 1 des ersten Vereinfachungsgesetzes in Verbindung mit Anlage 1 zu dieser Bestimmung); gegen diese Entscheidungen der Beschlußausschüsse ist unmittelbar Klage zu den Verwaltungsgerichten gegeben (s. § 6 A G V w G O für NW und § 68 V w G O ) ; für den Sonderfall, daß der Vorsitzende des Beschlußausschusses entscheidet, besteht die Möglichkeit, entweder die Entscheidung des Beschlußausschusses zu beantragen oder sofort Klage zum Verwaltungsgericht zu erheben. Gaststättengesetz vom 28. April 1930 — RGBl. I S. 1 4 6 — , mehrmals geändert, zuletzt durch Gesetz vom 4. August 1961 — BGBl. I S. 1 1 7 1 —.

Verwaltungsgerichte — Gaststättenerlaubnis . Voraussetzungen

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„Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 10. Juni i960 — eingegangen am 11. Juni i960 — erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) M. vom 2. Januar 1961 — zugestellt am 7. Januar 1961 — als unbegründet abgewiesen. Das Verwaltungsgericht verneinte mit Rücksicht auf die geringe Einwohnerzahl der Gemeinde, auf das Fehlen eines Fremdenverkehrs und auf die vorhandenen sieben Gastwirtschaften das Bedürfnis für die Errichtung eines neuen Gastwirtschaftsbetriebes; die Bestimmungen des GastG über die Bedürfnisprüfung beanstandete es nicht. Mit dem am 19. Januar 1961 eingelaufenen Schriftsatz vom 17. Januar 1961 legte der Kläger Berufung ein mit dem Antrag, das Urteil des VG und den Beschluß vom 20. Mai i960 sowie den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Zur Begründung führte er insbesondere aus, daß die Bedürfnisprüfung mit dem Grundrecht der freien Berufswahl nach dem GG nicht mehr vereinbar sei. Der Beklagte beantragte, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Hinsichtlich der Bedürfnisfrage äußerte er sich nicht; doch brachte er vor, daß die Erlaubnis Zum Betrieb einer Gastwirtschaft auch deswegen versagt werden müsse, weil der Kläger nicht die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässgkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 GastG besitze. Er sei nach den Ermittlungen der Polizei schon seit langem dem Trünke ergeben, sei insbesondere wegen Trunkenheit am Steuer 1957 und 1958 zweimal bestraft worden, habe weiter den Gaststättenbetrieb, ohne die Erlaubnis abzuwarten, bereits mehrere Monate vor seinem Gesuch aufgenommen und sei hierwegen gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 GastG bestraft worden und habe schließlich während dieser Zeit sich auch der Kuppelei schuldig gemacht, indem er unverheiratete Personen beiderlei Geschlechts in seinen Fremdenzimmern beherbergt und ihnen Gelegenheit zur Unzucht gegeben habe; auch hierwegen sei er bestraft worden. Der Kläger, dem Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern, bestritt dieses Vorbringen nicht, erklärte jedoch, es könne in diesem Verfahren nicht berücksichtigt werden, da es zu spät geltend gemacht worden sei. Das Gericht erholte die Strafakten und vernahm die benannten Zeugen. Auf den Inhalt der Akten und die Niederschriften über die Zeugenvernehmungen wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 29. März 1961 wiederholten die Beteiligten ihre bisherigen Ausführungen und Anträge. An Hand der Strafakten und der Zeugenaussagen wurde insbesondere auch über die Frage einer etwaigen UnZuverlässigkeit des Klägers gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 GastG verhandelt." Bemerkt wird zunächst, daß früher nicht in allen Urteilen der Oberverwaltungsgerichte ( V G H ) eine Scheidung zwischen Tatbestand und Gründen erfolgte. Vielfach waren nach dem Urteilstenor Tatbestand und Entscheidungsgründe (Gründe) zusammengefaßt unter e i n e r Überschrift „Gründe" niedergelegt. Nunmehr regelt § 1 1 7 V w G O die Form des Urteils; das Urteil enthält u.a. die Urteilsformel, den Tatbestand und die Entscheidungsgründe, so daß nach diesem Rechtszustand auch in der Praxis eine Unterteilung in Tatbestand und Entscheidungsgründe vorgenommen wird. Nach dem GastG bedarf der Erlaubnis, wer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder Kleinhandel mit Branntwein betreiben will. Gastwirt ist, wer ein offenes Lokal hält, um Personen, sei es mit, sei es ohne Verpflegung, gewerbsmäßig zu beherbergen. Die Schankwirtschaft besteht in dem gewerbsmäßigen Ausschank geistiger oder auch anderer Getränke zum Genuß auf der Stelle. Auf Einzelheiten wird hier nicht eingegangen. Maßgebend für Art und Umfang der Erlaubnis nach dem GastG ist die Erlaubnisurkunde (s. auch § 3 GastG). Nach § 1 Abs. z GastG darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist (hierüber s. unten). Weiter ist sie aus den in § 2 Abs. 1 Nr. 1—5 aufgeführten Gründen zu versagen, d. i., wenn der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, wenn er die Vorschriften über die Beschäftigung von Angestellten und Arbeitern nicht einhalten wird, wenn die zum Betrieb des Gewerbes oder zum Aufenthalt der Angestellten und Arbeiter bestimmten Räume nicht genügen, wenn die Verwendung der Räume für den Betrieb des Gewerbes den öffentlichen Interessen widerspricht, wenn die zum

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Verw.-Gerichte — Verfassungsrechtl. Prüfung . Berufswahl. Berufsausübung. Art 12 GG

Betrieb bestimmten Räume zu gewissen strafbaren Handlungen mißbraucht worden sind und wenn keine ordnungsmäßige Führung des Betriebes zu erwarten ist. In das Gewerberecht, besonders hinsichtlich der Frage der Bedürfnisprüfung, hat die Militärregierung in manchen Ländern eingegriffen, so in Bayern durch den sogen. Gewerbefreiheitsbefehl vom 18. Dezember 1948 (StAnz. 1949 Nr. 4); diese Gewerbefreiheitsdirektive und die in Zusammenhang damit erlassenen Vorschriften über Bedürfnisprüfung und Zuverlässigkeit sind nunmehr durch die Beendigung des Besatzungsregimes am 5. Mai 1955 mittags 12 Uhr außer Kraft getreten und nicht mehr anzuwenden (vgl. B V e r w G Urt. vom 27. Mai i960 in BayVBl. S. 350; s. dazu Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Protokolls vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vom 5. Mai 1955, B G B l II S. 628, Gesetz vom 24. März 1955, B G B l II S. 213, und Bekanntmachung vom 30. März 1955, B G B l II S. 301). Die früheren Vorschriften des GastG sind daher wieder maßgebend, soweit ihnen nicht sonstige Gründe entgegenstehen. „Entscheidungsgründe 1. Dem Kläger steht die Berufung gegen das Urteil des VG vom 2. Januar 1961 zu (§ 124 Abs. 1 VwGO); sie ist form- und fristgerecht eingelegt ( § 1 2 4 Abs. 2 VwGO). 2. Zu prüfen ist, ob die beantragte Erlaubnis zum Betrieb einer Gastwirtschaft mit Recht versagt wurde. a) Nach § 1 Abs. 2 GastG darf diese Erlaubnis nur erteilt werden, wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist. In Schrifttum und Rechtsprechung war die Frage umstritten, ob diese Bestimmung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist. Zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und damit zur Auslegung des Grundgesetzes berechtigt und verpflichtet sind alle Gerichte; jedes Gericht kann in eigener Zuständigkeit entscheiden, daß Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ohne Rücksicht, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten des GG erlassen worden sind. Zur Entscheidung der Frage, ob Gesetze mit dem GG u n v e r e i n b a r sind (negatives Entscheidungsmonopol), kommt es darauf an, ob diese Gesetze vor oder nach dem Inkrafttreten des GG ergangen sind. Das vorkonstitutionelle Recht, d. i. das Recht aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des GG, unterliegt nicht der Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (s. dazu BVerfGE 2, 124 und 4, 551). Nur für alle nach dem Inkrafttreten des GG (23. Mai 1949) erlassenen Gesetze ist die ausschließliche Verwerfungszuständigkeit des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben. Doch kann nach der Rechtsprechung des BVerfG eine vorkonstitutionelle Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG vom BVerfG überprüft werden, wenn sie in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers aufgenommen und damit nachkonstitutionelles Recht geworden ist. Wegen der dabei maßgebenden Fragen, insbesondere bei Teilabänderung vorkonstitutioneller Gesetze in solchen Fällen, wird vor allem auf BVerfG Beschl. vom 17. Mai i960 in N J W i960 S. 1563 und die dortigen Fundstellen Bezug genommen. Wegen des richterlichen Prüfungsrechts wird noch auf BVerfGE 1, 184/198 verwiesen. Art. 12 Abs. 1 GG bestimmt in Satz i, daß jeder Deutsche das Recht der freien B e r u f s w a h l hat, und in Satz 2, daß die B e r u f s a u s ü b u n g durch Gesetz geregelt werden kann. Die B e r u f s z u l a s s u n g wird in Art. 12 nicht ausdrücklich geregelt. In Schrifttum und Rechtsprechung war umstritten, ob die Berufszulassung die Vollziehung der Berufswahl bedeute und damit unter die Freiheit der Berufswahl falle, ob sie den Beginn der Berufsausübung darstelle und sie deshalb der nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässigen gesetzlichen Regelung unterfalle oder ob sie gar ein dritter von Art 12 GG nicht erfaßter Vorgang sei. Das Bundesverwaltungsgericht, das über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des in § 1 Abs. 2 GastG vorgeschriebenen Bedürfnisses — vorkonstitutionelles Recht —• entscheiden konnte, hatte sich dahin ausgesprochen, daß diese Bestimmung mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei; es ist dabei davon ausgegangen, daß die Berufszulassung den Beginn der Berufsausübung darstelle, eine Regelung der Berufszulassung, besonders im Hinblick auf die in Art. 74 Nr. 19 GG vorgesehene Regelung der Zulassung zum ärztlichen und anderen Heilberufen, möglich sei, diese Einschränkung der Berufsausübung durch

Verwaltungsgerichte — Bedürfnis und überragend wichtige Gemeinschaftsgütet

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eine Zulassung aber das Grundrecht der freien Berufswahl in seinem Wesensgehalt nicht antasten dürfe (Art. 19 Abs. 2 G G ) ; dies geschehe aber, wenn der Nachweis eines Bedürfnisses gefordert werde; denn dieser Nachweis liege — anders wie etwa die Frage der Zuverlässigkeit und der Beschaffenheit der zum Betrieb bestimmten Räume — außerhalb der Tatbestände, auf die der Bewerber Einfluß nehmen könne; die Bedürfnisprüfung mache also im Ergebnis die Freiheit der Berufswahl hinfällig und taste damit den Wesensgehalt dieses Grundrechtes an (so BVerwGE 1,48 und 1,269). Das Bundesverfassungsgericht hat sich später ebenfalls mit den Auswirkungen des Art. 12 Abs. 1 G G befaßt. Es kommt in seinem grundlegenden Urteil vom 11. Juni 1958 (BVerfG E 7> 377)> dem sogenannten Apothekenurteil, zu folgenden Leitsätzen: „1. In Art. 12 Abs. 1 G G wird nicht die Gewerbefreiheit als objektives Prinzip der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung proklamiert, sondern dem Einzelnen das Grundrecht gewährleistet, jede erlaubte Tätigkeit als Beruf zu ergreifen, auch wenn sie nicht einem traditionell oder rechtlich fixierten „Berufsbild" entspricht. 2. Der Begriff „Beruf" in Art. 12 Abs. 1 G G umfaßt grundsätzlich auch Berufe, die Tätigkeiten zum Inhalt haben, welche dem Staate vorbehalten sind, sowie „staatlich gebundene" Berufe. Doch gibt und ermöglicht für Berufe, die „öffentlicher Dienst" sind, Art. 33 G G in weitem Umfang Sonderregelungen. 3. Wenn eine Tätigkeit in selbständiger und in unselbständiger Form ausgeübt werden kann lind beide Formen der Ausübung eigenes soziales Gewicht haben, so ist auch die Wahl der einen oder anderen Form der Berufstätigkeit und der Übergang von der einen zur anderen eine Berufswahl im Sinne des Art. 12 Abs. 1 G G . 4. Inhalt und Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G lassen sich schon durch eine Auslegung, die dem Sinn des Grundrechts und seiner Bedeutung im sozialen Leben Rechnung trägt, weitgehend sachgemäß bestimmen; es bedarf dann nicht des Rückgriffs auf die Schranke des Wesensgehalts (Art. 19 Abs. 2 GG). 5. Die Regelungsbefugnis nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G erstreckt sich auf Berufsausübung und Berufswahl, aber nicht auf beide in gleicher Intensität. Sie ist um der Berufsausübung willen gegeben und darf nur unter diesem Blickpunkt allenfalls auch in die Freiheit der Berufswahl eingreifen. Inhaltlich ist sie um so freier, je mehr sie reine Ausübungsregelung ist, um so enger begrenzt, je mehr sie auch die Berufswahl berührt. 6. Das Grundrecht soll die Freiheit des Individuums schützen, der Regelungsvorbehalt ausreichenden Schutz der Gemeinschaftsinteressen sicherstellen. Aus der Notwendigkeit, beiden Forderungen gerecht zu werden, ergibt sich für das Eingreifen des Gesetzgebers ein Gebot der Differenzierung etwa nach folgenden Grundsätzen: a) Die Freiheit der B e r u f s a u s ü b u g kann beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen; der Grundrechtsschutz beschränkt sich auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen. b) Die Freiheit der B e r u f s w a h l darf nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert. Ist ein solcher Eingriff unumgänglich, so muß der Gesetzgeber stets diejenige Form des Eingriffs wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt. c) Wird in die Freiheit der Berufswahl durch Aufstellung bestimmter Voraussetzungen für die Aufnahme des Berufs eingegriffen, so ist zwischen s u b j e k t i v e n und o b j e k t i v e n V o r a u s s e t z u n g e n zu unterscheiden: für die subjektiven Voraussetzungen (insbesondere Vor- und Ausbildung) gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinn, daß sie zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen. An den Nachweis der Notwendigkeit objektiver Zulassungsvoraussetzungen sind besonders strenge Anforderungen zu stellen; im allgemeinen wird nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diese Maßnahme rechtfertigen können.

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Verwaltungsgerichte — Bedürfnis

d) Regelungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 G G müssen stets auf der „Stufe" vorgenommen werden, die den geringsten Eingriff in die Freiheit der Berufswahl mit sich bringt; die nächste „Stufe" darf der Gesetzgeber erst dann betreten, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit dargetan werden kann, daß die befürchteten Gefahren mit (verfassungsmäßigen) Mitteln der vorausgehenden „Stufe" nicht wirksam bekämpft werden können. 7. Das Bundesverfassungsgericht hat zu prüfen, ob der Gesetzgeber die sich hiernach ergebenden Beschränkungen seiner Regelungsbefugnis beachtet hat; wenn die freie Berufswahl durch objektive Zulassungsvoraussetzungen eingeschränkt wird, kann es auch prüfen, ob gerade dieser Eingriff zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts zwingend geboten ist. 8. Auf dem Gebiete des Apothekenrechts entspricht der Verfassungslage gegenwärtig allein die Niederlassungsfreiheit, verstanden als das Fehlen objektiver Beschränkungen der Zulassung." Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung auf weitere Rechtsgebiete erstreckt. So hat es in dem Beschluß vom 17. Dezember 1958 in NJW 1959 S. 187 die Festsetzung einer Mindestmilchmenge als Voraussetzung für die Ausübung des Milchhandels nach § 14 Abs. 5 Nr. 6 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 als mit dem in Art. 12 Abs. 1 G G gewährten Grundrecht der freien Berufswahl nicht vereinbar erklärt. Weiter hat es in seinem Beschluß vom 8. Januar 1959 in NJW 1959 S. 523 entschieden, daß eine Strafnorm, die der Durchsetzung eines gegen Art. 12 Abs. 1 G G verstoßenden Gebotes beruflicher Betätigung dient, und ein auf ihr beruhendes Urteil den Art. 12 Abs. 1 G G verletzen, so daß die Verordnung vom 11. Februar 1943 über die Herstellung von Arzneifertigwaren (RGBl. I S. 99) mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar und daher nichtig ist. Dagegen ist in einem weiteren Beschluß des BVerfG vom 17. Dezember 1958 in NJW 1959 S. 188 ausgesprochen, daß die Grundsätze des obenerwähnten Apothekenurteils nicht ohne weiteres für das Recht aus der Zeit der Zwangswirtschaft gelten, das nach Inkrafttreten des G G aus zwingenden sachlichen Gründen während einer kurzen Übergangszeit noch beibehalten werden mußte. In Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung hat das BVerfG die Bedürfnisprüfang nach § 9 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes bei der Zulassung zum Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen und Droschken als mit Art. 12 Abs. 1 G G nicht vereinbar erklärt (vgl. Beschl. vom 8. Juni i960 in NJW i960 S. 1517). Nach — praktisch weittragenden — weiteren Entscheidungen ist auch die Beschränkung der Zulassung der Ärzte und Zahnärzte zur Kassenpraxis auf Grund der Einrichtung von Kassenarztsitzen nach einer Verhältniszahl mit Art. 12 Abs. 1 G G nicht vereinbar und nichtig (s. BVerfG Urt. vom 23. März i960 in DVB1 S. 355 und Beschluß vom 8. Februar 1961 — BGBl I S. 116 —). Für den vorliegenden Fall kann sowohl der Rechtsprechung des BVerfG wie der des BVerwG das Ergebnis entnommen werden, daß die Bedürfnisprüfung des § 1 Abs. 2 GastG mit Art. 12 Abs. 1 G G nicht vereinbar ist. Übereinstimmend enthält die Rechtsprechung beider Gerichte hierfür als Begründung den Gedanken, daß die objektive Zulassungsvoraussetzung des Bedürfnisses im allgemeinen nur dann verfassungsmäßig ist, wenn sie durch die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt werden kann. b) Zu untersuchen ist daraufhin noch, ob sich aus den Grundrechtsbestimmungen des G G selbst oder aus über dem G G stehendem Recht auch eine Einschränkbarkeit des Grundrechts der freien Berufswahl ergeben kann oder ob überragend wichtige Gemeinschaftsgüter die Aufrechterhaltung der Bedürfnisprüfung im GastG verfassungsmäßig begründen können. Die Frage, ob es auch übergesetzliche, dem Grundgesetz vorangehende Rechte gebe, ist von Rechtsprechung und Schrifttum bejaht. Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Existenz überpositiven, auch den Verfassungsgesetzgeber bindenden Rechts an (s. BVerfGE 1, 14 u. 3, 225). Ebenso erkennt es an, daß Bestimmungen des G G selbst nichtig sein und daraufhin überprüft werden können (s. BVerfGE 3, 225). Zu solchen übergesetzlichen Rechten wird man das Grundrecht der freien Berufswahl nicht rechnen können. Was die Einschränkung des Grundrechts der freien Berufswahl durch andere Bestimmungen des G G anlangt, so findet nach einer weit verbreiteten Auffassung die Ausübung der Grundrechte ihre Grenze und Beschränkung darin, daß sie sich im Rahmen des Grundgesetzes halten muß und den Bestand der für die Staatsgemeinschaft notwendigen Rechtsgüter nicht gefährdet. Unterstellt man die Richtigkeit dieser Auffassung, so könnte auch hieraus kein anderes Ergebnis gefolgert werden.

Verwaltungsgerichte — Nachschieben von Gründen

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Unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung etwaiger Gefahren für die Volksgesundheit, die durch Alkoholmißbrauch entstehen könnten, ist die Bedürfnisprüfung kein durchgreifendes Mittel, da die zugelassenen Gaststätten Alkohol ohne Beschränkung ausschenken dürfen. Sie läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, daß bei scharfem Konkurrenzkampf Gastwirte sich zu unlauteren Machenschaften verleiten lassen könnten, um ihre Existenz aufrechtzuerhalten. Denn diese Gefahren bestehen bei wirtschaftlicher Not für alle Berufe. Die nach vorstehenden Ausführungen unzulässige Bedürfnisprüfung nach § i Abs. 2 GastG kann auch nicht in eine allgemeine Sicherheitsprüfung umgedeutet werden. Bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Recht mit dem G G sind das Bundesverfassungsgericht und für vorkonstitutionelles Recht die übrigen Gerichte nur berechtigt und verpflichtet, einer Gesetzesvorschrift (vorkonstitutionellen Gesetzesvorschrift), die mit dem G G nicht vereinbar ist, die Anwendung zu versagen. Die für grundgesetzwidrig erklärte Rechtsvorschrift entfällt damit, ohne daß das BVerfG (oder für vorkonstitutionelles Recht ein anderes Gericht) befugt wäre, die nun bestehende Lücke selbst auszufüllen, da es insoweit in den Bereich der gesetzgebenden Gewalt eingreifen würde (Grundsatz der Gewaltenteilung; vgl. BVerfGE i, 97/100 2, 380/ 405/406; 4, 219/234)." Wegen der vorstehend erörterten Fragen wird noch auf B V e r w G E 1 , 5 4 und i, 92 verwiesen, wonach die Bedürfnisprüfung für den Kleinhandel mit Branntwein und für die Genehmigung nach § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Beförderung von Personen zu Land vom 4. Dezember 1934 (RGBl I S . 1 2 1 7 ) in der Fassung vom 6. Dezember 1937 (RGBl I S. 1319) entfallen ist. Als Folgerung aus dieser Auffassung ist in B V e r w G E 1,79 weiter entschieden, daß die der wirtschaftlichen Vereinigung der Arbeitgeber im Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe nach § 1 9 Abs. 2 Satz 2 des GaststG zustehende Klagebefugnis nicht mehr gegeben ist. Wegen der Bedürfnisprüfung und ihrer Vereinbarkeit mit dem G G hinsichtlich der Zulassung von Rechtsberatern und Prozeßagenten wird auf B V e r w G E 2 S. 85, 89 und 276 verwiesen. Die Rechtsprechung erkennt nicht in allen Fällen, in denen das Gesetz den Begriff „Bedürfnis" verwendet, diese Frage als eine vom Gericht in vollem Umfang zu überprüfende Tat- und Rechtsfrage und den Begriff „Bedürfnis" als einen u n b e s t i m m t e n R e c h t s b e g r i f f an. Verschiedentlich wird es schwierig sein zu entscheiden, ob hinsichtlich derartiger im Gesetz verwendeter Begriffe wie Bedürfnis, öffentliche Interessen, wichtiger Grund eine solche von den Verwaltungsgerichten überprüfbare Rechts- und Tatfrage vorliegt oder ob damit der Behörde ein Ermessen eingeräumt wird, so daß die Gerichte eine Nachprüfung lediglich unter dem Gesichtspunkt des Ermessensfehlgebrauchs (s. § 1 1 4 V w G O ) vornehmen können. Über das Problem des unbestimmten RechtsbegrifFs und der damit zusammenhängenden Fragen ist ein umfangreiches Schrifttum entstanden (s. wegen der Fundstellen hierüber Groß in D V B 1 . 1954 S. 739, Ule in D V B 1 . 1955 S. 148 und Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, i960, § 1 1 7 Anm. B, u.a.). „3. Wenn hier im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter Angabe von Tatsachen die mangelnde Zuverlässigkeit des Klägers geltend gemacht wird, so handelt es sich um ein „Nachschieben von Gründen" und zwar eines Rechtsgrundes unter gleichzeitiger Neuanführung von Tatsachen. Hierfür gilt folgendes: Im allgemeinen kann die Verwaltungsbehörde zur Begründung des von ihr erlassenen Verwaltungsakts während des Verwaltungsstteitverfahrens Rechtsgründe und Tatsachen, die bereits bei seinem Erlaß vorlagen, nachschieben, wenn hierdurch der Verwaltungsakt in seinem Wesensgehalt und in seinem Ausspruch nicht geändert und der Betroffene in seiner Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (so BVerwGE 1 , 1 2 und 1, 311). Der Ausspruch einer Verwaltungsbehörde, die, soweit nichts anderes vorgeschrieben, einen Verwaltungsakt auch ohne Begründung erlassen könnte (in dieser allgemeinen Fassung nicht

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Verwaltungsgerichte — Zuverlässigkeit im Gaststättenrecht.

unbestritten)1), wird grundsätzlich nicht dadurch geändert, daß ihm eine andere Begründung beigegeben wird; es wird dadurch im allgemeinen kein neuer Verwaltungsakt geschaffen, vorausgesetzt, daß die Behörde das gleiche aussprechen will wie im ursprünglichen Verwaltungsakt. Dies ist hier der Fall. Der Ausspruch des Verwaltungsakts geht auch mit der neuen Begründung auf dasselbe, nämlich die Versagung der Erlaubnis, so daß der Akt in seinem Wesen und Ausspruch nicht verändert wird. Der Kläger hatte auch Gelegenheit, im Berufungsverfahren zu dem neuen Vorbringen Stellung zu nehmen; seine Rechtsverteidigung ist damit nicht beeinträchtigt worden. Diese durch das Recht der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht ausgeschlossene Auffassung trägt auch dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie Rechnung; denn sie verhindert ein umständliches Verfahren. Die andere Auffassung würde dazu führen, daß nach Aufhebung des Verwaltungsaktes mit der ursprünglichen Begründung durch das Gericht die Verwaltungsbehörde einen neuen Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt, aber veränderter Begründung erlassen müßte mit der Folge, daß in einem neuen Prozeß dasselbe behandelt werden müßte. Letztlich ist hier auch grundsätzlich noch der Umstand von Bedeutung, daß eine Anfechtungsklage dann begründet ist, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 115 Abs. 1 VwGO; vgl. auch § 113 Abs. 4 VwGO). In seinen Rechten verletzt kann der Betroffene aber nur dann sein, wenn der Eingriff der Verwaltungsbehörde (die Ablehnung eines Antrages) sich auf keine Rechtsgrundlage stützen kann. Kann sich aber dieser Eingriff (die Ablehnung) auf eine Rechtsgrundlage stützen, dann kann im allgemeinen der Betroffene nicht in seinen Rechten verletzt und der Verwaltungsakt nicht rechtswidrig sein. Die sachliche Würdigung des nachgebrachten Vorbringens ergibt: Die Annahme der gewerblichen UnZuverlässigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GastG wird — nach der Rechtsprechung des BVerwG — durch den Mangel solcher Wesenseigenschaften eines Gewerbetreibenden begründet, die den Verdacht rechtfertigen, daß er sein Gewerbe nicht im Rahmen der durch Rechtsordnung, Sitte und Herkommen gezogenen Schranken ausübt. Dabei reicht nicht jedes Versagen in der Vergangenheit aus, um die Annahme der gewerblichen UnZuverlässigkeit zu rechtfertigen, sondern nur ein solches Verhalten, das zu der Annahme berechtigt, der Gewerbetreibende werde auch in Zukunft keine Gewähr dafür bieten, daß er bei der Ausübung seines Gewerbes die gebotenen Schranken achten werde. Bei der Prüfung dieser Frage ist dabei von dem Gesamtbild der Persönlichkeit des Gewerbetreibenden, wie sie sich auf Grund seiner Führung in der Vergangenheit darstellt, auszugehen. Das Verwaltungsgericht ist dabei nicht an die Würdigung der Tatsachen durch ein anderes Gericht, etwa durch das Strafgericht, gebunden, es muß vielmehr auf die Tastachen selbst eingehen und die aus Zeugenaussagen und anderen Beweismitteln sich ergebenden Beweisgründe selbst würdigen. Im vorliegenden Falle ergibt sich aus den Beweiserhebungen, insbesondere aus den beigezogenen Strafakten und den vom VGH (OVG) selbst vorgenommenen Zeugenvernehmungen, daß die vom Beklagten nachträglich vorgebrachten Tatsachen richtig sind, wonach der Kläger dem Trünke ergeben ist und eine Reihe von strafbaren Handlungen (Betrieb der Gastwirtschaft ohne Erlaubnis und Kuppelei in diesem Betrieb) begangen hat. — (Wird im einzelausgeführt) — Die hiernach festgestellten Tatsachen ergeben das Bild einer Persönlichkeit, die sich nicht in der Hand hat und den Verlockungen des Trunkes und des unerlaubten Gelderwerbs nachgibt und nachgeben wird. Die hiermit festgestellten Tatsachen rechtfertigen die Annahme, daß der Kläger die für den Gewerbebetrieb einer Gastwirtschaft erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere dem Trünke ergeben ist und das Gewerbe zur Förderung der Unsittlichkeit mißbrauchen wird. 4. Wenn auch die Begründung seines Urteils nicht als zutreffend erachtet werden kann, so hat doch das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis im Recht abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist daher als unbegründet zurückzuweisen. *) Nach B VerfGE 6,3 2/44 sind belastende Verwaltungsakte, mit denen in Rechte eingegriffen wird, stets zu begründen. Bemerkt wird, daß der Widerspruchsbescheid nach § 73 Abs. 2VwGO ebenfalls einer Begründung bedarf. Vgl. hierzu im einzelnen von Turegg-Kraus, 7. Kapitel, Nr. 10 Einzelfragen.

Verwaltungsgerichte — Urteilstenor. Rechtsmittelbelehrung der Berufungsinstanz

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5. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last (§§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 1, 162 V w G O ) . "

Zu den einzelnen Rechtsproblemen ist in der Begründung schon das Wesentliche ausgeführt. Ist die Entscheidung des Erstgerichts (hier Abweisung der Klage) an sich richtig, nicht aber seine Begründung, dann ist gleichwohl die Berufung als unbegründet zurückzuweisen, ohne daß im Urteilstenor hierwegen ein Ausspruch erfolgt. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Klage zum Verwaltungsgericht unzulässig war; dann lautet der Tenor des Berufungsurteils: „Die Berufung wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird 1 )". Ist wie im vorliegenden Falle die Berufung unbegründet, dann wird die Berufung zurückgewiesen. Wäre aber die Berufung selbst, etwa wegen Fristversäumnis, unzulässig, dann lautete der Tenor des Berufungsurteils: „Die Berufung wird verworfen". Für die Kosten selbst, insbesondere die Gerichtskosten, gilt im allgemeinen in den Ländern das Gerichtskostengesetz i. d.F. der Bekanntmachung vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 941) und zwar in Bayern seit 1. Dezember i960, dem Tage des Inkrafttretens des Bayer. A G V w G O (vgl. Art. 17). Wie bereits oben erwähnt, unterscheidet man bei den Gerichtskosten zwischen vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten. Auf dieser Grundlage wird in der Praxis dem Urteil nach der Rechtsmittelbelehrung auch ein Beschluß über den Wert des Streitgegenstandes beigefügt. Im vorliegenden Fall geht es um die Erlangung einer Gastwirtschaftskonzession. Die darüber geführte Verwaltungsstreitsache wird als eine solche vermögensrechtlicher Natur angesehen. Welchen Wert eine solche Konzession hat, muß im Einzelfalle festgestellt werden; im allgemeinen wird bei Weiterverleihung einer bestehenden Konzession dieser sich aus dem bisherigen Betrieb entnehmen lassen. Letzten Endes ist der Wert des Streitgegenstandes nach freiem — aber pflichtmäßigen — Ermessen festzusetzen (s. § ioff. G K G , insbesondere § 1 1 G K G und § 3 ff. ZPO). Auch die Gebühren des Rechtsanwalts bestimmen sich grundsätzlich nach diesem für die Gerichtskosten festgesetzten Wert des Streitgegenstandes (s. Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte i.d.F. der Bekanntmachung vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 861/907), besonders §§ 7, 8, 9 und wegen einer besonderen Wertfestsetzung für Rechtsanwaltsgebühren § xo. „Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keine der Voraussetzungen des § 1 3 2 Abs. 2 V w G O gegeben ist. Rechtsmittelbelehrung: Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Berlin innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden (§ 132 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung — V w G O ) . Die Beschwerde ist beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof in München, Ludwigstr. 23, (Briefanschrift: München 34, Abholfach) schriftlich einzulegen. In der Beschwerdeschrift muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Die Revision ist auch ohne Zulassung statthaft, wenn die Voraussetzungen der §§ 133, 137 V w G O vorliegen. Sie ist in diesem Fall innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof in München, Ludwigstr. 23, (Briefanschrift: München 54, Abholfach) schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen (§ 139 Abs. 1 V w G O ) . Nach § 139 Abs. 2 V w G O muß die Revision das angefochtene Urteil angeben, die Revision oder die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die S. z. B. B V e r w G Urt. vom 10. Februar i960 in D V B 1 S. 364. — Wegen des umgekehrten Falles s. B G H Z 23, 36: dort war die Berufung als unbegründet mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Klage als unbegründet —• statt wie geschehen als unzulässig — abgewiesen wird.

1052

Verwaltungsgerichte — Zeitpunkt der Rechts- und Sachlage

verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist außerdem zu beachten, daß nach § 67 Abs. 1 V w G O sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen muß. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision sowie der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision."

Die vorstehende umfangreiche Rechtsmittelbelehrung entspricht einer — früheren — Anregung des BVerwG. Eine Pflicht über die Belehrung hinsichtlich der Vertretung durch Rechtsanwälte usw. vor dem BVerwG besteht an sich nicht 1 ). Wird — entgegen dem vorliegenden Beispiel — eine Revision zugelassen, so muß die Rechtsmittelbelehrung auch auf die Revisionsbegründungsfrist hinweisen2). Abweichend von der vorstehend verwendeten umfangreichen Form der Rechtsmittelbelehrung wird sie in der Praxis vielfach kürzer gefaßt. Nach dem Beschluß des BVerwG vom 14. Oktober i960 in DVB1 S. 897 genügt es, wenn die Rechtsmittelbelehrung die in § 5 8 Abs. 1 V w G O geforderten Angaben enthält, um die Rechtsmittelfrist in Lauf zu setzen; hiernach ist insbesondere eine Belehrung über Begründungspflicht und über die Pflicht, sich vor dem BVerwG durch Rechtsanwälte u. a. vertreten zu lassen, nicht erforderlich3). Im vorliegenden Fall beruht die Entscheidung auf der Rechtsprechung des B VerfG und der des BVerwG, so daß nicht ersichtlich ist, warum die Revision zugelassen werden sollte. Die Revision bzw. die Nichtzulassungsbeschwerde sind in §§ 132fr. V w G O geregelt. Wegen der Einzelheiten wird auf das nachfolgende Beispiel verwiesen. Das Urteil wird in Nordrhein-Westfalen nur von den drei Berufsrichtern unterschrieben, nicht aber von den ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern, in Bayern von den fünf Berufsrichtern. „Beschluß Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5000 D M festgesetzt. Dr. Amann

Dr. Bedorf

Dr. Claus."

Anhang Wegen des maßgebenden Zeitpunktes hinsichtlich der Rechts- und Sachlage für die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen hat das BVerwG folgendes entschieden: 1. Für die Aufhebungsklage (kassatorisches Urteil) B V e r w G E 2, 55 und 1, 35 „ 1 . Für die verwaltungsgerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist die Rechtslage zur Zeit seines Erlasses maßgebend. 2. Bei einer Änderung der Rechtslage nach Erlaß des Verwaltungsakts während der Dauer des Verwaltungsverfahrens hat die Beschwerde- oder die Einspruchsbehörde den Sachverhalt nach den veränderten rechtlichen Verhältnissen zu beurteilen, sofern ihr das nach dem neuen Gesetz nicht verwehrt ist. 3. Danach kann eine Anfechtungsklage allein hinsichtlich des Beschwerdebescheides zum Erfolg führen, weil dieser zwar dem neuen Recht widerspricht, der ursprüngliche Verwaltungsakt aber dem früheren Recht entspricht." Z u diesem Grundsatz kommen noch als Ergänzungen für besondere Fälle: Vgl. dazu B V e r w G Beschl. vom 21. Oktober 1955 V C 11.54. ) Vgl. BVerw, Großer Senat, Beschl. vom 5. Juli 1957 in D V B 1 S. 644. 3 ) S. auch B V e r w G Beschl. vom 30. November i960 in D V B 1 1961 S. 206. 2

Verwaltungsgerichte — Zeitpunkt der Rechts- und Sachlage

1053

a) BVerwGE 2,259. „Wenn auch bei der Anfechtung der Entziehung einer Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts nur nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit seines Erlasses zu beurteilen ist, so hindert dies doch nicht, auch das spätere Verhalten des Anfechtungsklägers insoweit zu berücksichtigen, als sich aus ihm ergibt, daß seine Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges auf Grund seiner früheren, vor Erlaß des angefochtenen Verwaltungsakts liegenden Verstöße gegen die Verkehrs Vorschriften richtig beurteilt worden ist." b) BVerwGE 5,351. Ergreift eine neue Bauklasseneinteilung auch die bereits vorhandenen Bauten und steht sie damit der Vollziehung von Abbruchverfügungen entgegen, die auf der alten Bauklasseneinteilung beruhen, so muß dem Urteil im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsprozeß, in dem über die Abbruchsverfugung zu befinden ist, die neue Bauklasseneinteilung zugrunde gelegt werden. c) BVerwGE 6,321. Einwendungen, mit denen geltend gemacht wird, daß nach Eintritt der Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils, durch das eine auf einer Landschaftsschutzbestimmung beruhende Beseitigungsverfügung bestätigt worden ist, Umstände eingetreten sind, welche die Aufrechterhaltung der Verfügung rechtswidrig machen, können in dem wegen der Vollstreckungsmaßnahme schwebenden Verwaltungsstreitverfahren noch vorgebracht werden. 2. Für die Verpflichtungsklage a) BVerwGE 1,291. Gesetzesänderungen, die während der Rechtshängigkeit einer Vornahmeklage aus § 24 M R V O Nr. 165 ergehen, sind vom Verwaltungsgericht zu beachten. Das gilt — mindestens im Bereich der M R V O Nr. 165 — auch dann, wenn nicht nur auf Vornahme der Amtshandlung, sondern auch auf Aufhebung des die Amtshandlung ablehnenden Bescheides der Verwaltungsbehörde geklagt ist. Das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht hat Rechtsänderungen, die während des Rechtsstreites eintreten, im selben Umfang zu berücksichtigen wie die Instanzgerichte. b) BVerwGE 4 , 1 6 1 . Erstrebt der Antragsteller einen begünstigenden Verwaltungsakt, so ist, wenn der Vertreter der Interessen desAusgleichsfonds gegen den einen Antrag stattgebenden Verwaltungsakt die Anfechtungsklage erhebt, ebenso wie bei Vornahmeklagen die zur Zeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehende Rechtslage maßgeblich, soferne es sich bei der nach Erlaß des angefochtenen Verwaltungsaktes eingetretenen Rechtsänderung um eine solche zugunsten des Antragstellers handelt. Nicht ganz einheitlich ist die Auffassung der Rechtsprechung, auch die des B V e r w G , wenn Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage (Vornahmeklage) miteinander verbunden sind. Hier liegt vor c) BVerwGE 3, 21 Wird mit einer Anfechtungsklage eine Vornahmeklage verbunden so ist in der Regel der Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen. Bei sog. Zeitabschnittsgesetzen oder bei Änderung der Grundlagen v o n Leistungen in zurückliegenden Zeitabschnitten (z.B. Fürsorgeleistungen bei nach Zeitabschnitten wechselnden Fürsorgerichtsätzen) wird v o n einer verbreiteten Rechtsprechung nicht der Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, sondern jeweils die Sach- und Rechtslage in den entsprechenden Zeitabschnitten zugrunde gelegt.

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Verwaltungsgerichte — Urteil und Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Revisionsverfahren. Beamtenrecht „ B V e r w G V I C 33.56 III A 98/59 — O V G H )

Verkündet am 29. März 1961 gez. Maier Amtsrat als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes!

In der Verwaltungsstreitsache des Adrian Asam in Altenstadt, Sängerstr. 5, Klägers, Berufungsklägers und Revisionsklägers, Prozeßbevollmächtigter: Rechsanwalt Dr. Bauer in Altenstadt, Lerchenstr. 10, gegen den Freistaat B., vertreten durch die Staatsanwaltschaft beim V G H in Y . , Schillerstr. 14, Beklagten, Berufungsbeklagten und Revisionsbeklagten, hat der sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1961 durch den Senatspräsidenten Dr. A. und die Bundesrichter Dr. B., Dr. C., Dr. D. und Dr. E für Recht erkannt: Die Revision gegen das Urteil des V G H Y vom 10. Oktober i960 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens."

Das B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t verhandelt und entscheidet in Senaten, die mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt sind (§ 10 VwGO). Es entscheidet im ersten u n d l e t z t e n R e c h t s z u g e über einige VerwaltungsStreitsachen von besonderer Bedeutung oder auf besonderen Rechtsgebieten, die ihm in Einzelaufzählung (Enumeration) durch § 50 V w G O oder sonst durch Bundesgesetz zugewiesen sind (z.B. Anfechtungsklagen gegen Entscheidungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen gemäß § 10 a des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen vom 31. Juli 1951 •—• B G B l I S. 480 — i.d.F. vom 22. Dezember 1954 — B G B l I S. 501 — vgl. § 190 Abs. 1 VwGO). In der Hauptsache aber ist das B V e r w G R e v i s i o n s g e r i c h t ; das BVerwG entscheidet über das Rechtsmittel der Revision gegen Urteile der Oberverwaltungsgerichte (VGH) nach §§ 132—133 V w G O (s. a. § 49 Abs. 1) und über Revisionen gegen Urteile der Verwaltungsgerichte nach §§ 134—135 — Sprungrevisionen und Revisionen, wenn durch Bundesgesetz die Berufung ausgeschlossen ist —- (§ 49 Nr. 2 V w G O ) sowie gegen Urteile der Verwaltungsgerichte nach bisher bereits bestehender bundesrechtlicher Sonderregelung, wie § 339 des Lastenausgleichsgesetzes vom 14. August 1952 (BGBl I S. 446), § 23 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes i.d.F. vom 8. Dezember 1956 (BGBl I S. 904), § 34 des Wehrstrafgesetzes vom zi. 7. 1956 (BGBl I S. 651) i.d.F. des § 192 V w G O . Bemerkt wird, daß ausnahmsweise auch das O V G (VGH) nach besonderer landesgesetzlicher Regelung Revisionsgericht sein kann (s. §§145 mit 131 VwGO). Weiter ist das B V e r w G R e c h t s m i t t e l g e r i c h t für Entscheidungen über •— einige wenige — B e s c h w e r d e n und zwar über die Beschwerden nach § 99 Abs. 2 V w G O — gegen Beschlüsse des O V G hinsichtlich der Verweigerung der Vorlage von Akten und Urkunden und von Auskünften durch die oberste Aufsichtsbehörde —, nach § 125 Abs. 2 V w G O —• Verwerfung der Berufung als unzulässig — und nach § 132 Abs. 3 V w G O — Nichtzulassungsbeschwerde, d. h. Beschwerde gegen Nichtzulassung der Revision (s. a. § 49 Nr. 3 VwGO).

Verwaltungsgerichte — Revision, besonders Zulassung

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Was die im vorliegenden Fall zu behandelnde R e v i s i o n anlangt, so ist sie das Rechtsmittel, das die Überprüfung von Entscheidungen lediglich in rechtlicher Hinsicht bezweckt und zwar sowohl hinsichtlich des Verfahrensrechts als auch des materiellen Rechts. Das BVerwG als Revisionsgericht ist an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe geltend gemacht werden ( § 1 3 7 Abs. 2 VwGO). Die Revision ist im wesentlichen in den §§ 132fr. V w G O geregelt, doch kann auch eine besondere Regelung in Bundesgesetzen ev. auch durch den Landesgesetzgeber erfolgen. Nicht zulässig ist die Revision kraft der ausdrücklichen Bestimmung des § 136 V w G O gegen Urteile nach § 123 Abs. 4 über einstweilige Anordnungen nach mündlicher Verhandlung. Für das Normalverfahren der Revision zum Bundesverwaltungsgericht gelten die Voraussetzungen der §§ 132, 133 V w G O . Die Revision ist hiernach grundsätzlich von einer Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht im Urteil 1 ) abhängig. Sie ist als S a c h r e v i s i o n zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat —• Grundsatzrevision — oder wenn das Urteil von einer Entscheidung des BVerwG abweicht und auf dieser Abweichung beruht — Divergenzrevision —,oder als V e r f a h r e n s r e v i s i o n , wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht, ausgenommen den Fall des § 1 3 3 V w G O . Keiner Zulassung der Revision bedarf die Verfahrensrevision nach diesem § 133, wenn besonders aufgeführte Verfahrensmängel gerügt werden, wie vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts, Mitwirkung eines ausgeschlossenen oder mit Erfolg abgelehnten Richters, mangelnde Vertretung eines Beteiligten, Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens, Fehlen von Gründen für die Entscheidung. Die Nichtzulassung der Revision kann mit der N i c h t z u l a s s u n g s b e s c h w e r d e angefochten werden (vgl. § 132 Abs. 3—-5 VwGO). Wird der Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung des Beschwerdebescheides des BVerwG der Lauf der Revisionsfrist. Eine S p r u n g r e v i s i o n ist nach den gesetzlichen Vorschriften u.a. nach § 134 V w G O möglich. Diese Sprungrevision nach § 134 gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts unter Übergehung der Berufungsinstanz steht den Beteiligten nur zu, wenn sie vom Verwaltungsgericht durch Beschluß zugelassen wird und wenn der Rechtsmittelgegner zustimmt. Die Sprungrevision kann nicht auf Verfahrensmängel gestützt werden2). Die R e v i s i o n kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der V e r l e t z u n g v o n B u n d e s r e c h t beruht3). Dabei gehören die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts, wenn sie der Ergänzung von Bundesrecht dienen, l ) Die Zulassung bzw. Nichtzulassung wird in der Praxis im Urteilstenor ausgesprochen und in den Gründen kurz gewürdigt. 2 3

) Im einzelnen wird auf § 134 verwiesen.

) Diese Bestimmung des § 137 Abs. 1 V w G O ist die für das normale Verfahren maßgebende. Wie das B V e r f G mit Beschluß vom 2. Februar i960 in N J W 1960, S. 763 ausgesprochen hat, ist der Bundesgesetzgeber jedoch nicht gehindert, gemäß Art. 74 Z 1 G G , den Zuständigkeitskreis der oberen Bundesgerichte bezüglich des Umfanges des revisiblen Rechts auch insofern zu bestimmen, als es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt, wie es z.B. in § 127 B R R G hinsichtlich des Landesbeamtenrechts geschehen ist (s. dazu auch § 191 Abs. 2 V w G O ) .

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Verwaltungsgerichte — Revision . Revisionsgründe . Bevollmächtigte

dem Bundesrecht und wenn sie der Ergänzung von Landesrecht dienen, dem Landesrecht an 1 ). Als verletzt gerügtes Bundesrecht kann Verfahrensrecht in Frage kommen, also insbesondere die Vorschriften der V w G O , oder materielles Recht. Bei der Rüge der Verletzung materiellen Bundesrechts genügt die Rüge unter Angabe der verletzten Rechtsnorm. Bei der Rüge von Verfahrensmängeln müssen auch die Tatsachen angegeben werden, die den Mangel ergeben (vgl. § 139 Abs. 2 VwGO). Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das BVerwG an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden; es hat bei der Rüge der Verletzung materiellen Bundesrechts ohne Rücksicht auf die vorgetragenen Rügen das Urteil in vollem Umfang daraufhin nachzuprüfen, ob überhaupt das Recht verletzt ist. Was die V e r f a h r e n s m ä n g e l anlangt, so werden unterschieden die a b s o l u t e n und die r e l a t i v e n R e v i s i o n s g r ü n d e . Liegen absolute Revisionsgründe vor, so ist das Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. Solche absoluten Gründe sind in § 138 aufgezählt und entsprechen den oben erwähnten in § 13 3 angeführten einzelnen Mängeln; die Aufzählung des § 1 3 8 stellt aber insofern eine Erweiterung dar, als darin auch die Versagung des rechtlichen Gehörs als absoluter Revisionsgrund angeführt ist. Bei den relativen Revisionsgründen ist stets zu prüfen, ob eine Verletzung von Bundesrecht gegeben ist und ob das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Die S p r u n g revision kann nicht auf Verfahrensmängel gestützt werden. Das Verfahren vor dem BVerwG entspricht in seinen Grundsätzen im wesentlichen dem Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Eine Abweichung besteht u.a. hinsichtlich des Vertretungszwanges durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten (s. § 67 Abs. 1 VwGO). Schon die Einlegung der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde sowie der Beschwerde in den Fällen des § 99 Abs. 2 und § 125 Abs. 2 muß durch einen solchen Bevollmächtigten erfolgen. Für das Armenrechtsverfahren vor dem BVerwG besteht dagegen kein Anwaltszwang (BVerwG Beschluß vom 2. September i960 in DVB1 S. 935) und ebenso nicht für die Anfechtung des Kostenansatzes des Urkundsbeamten (s. BVerwG Beschluß vom 3. August i96oinNJW S. 1973), ferner nicht für den Verzicht auf mündliche Verhandlung und für die Erledigterklärung, zumindest nicht seitens des Revisionsbeklagten. Behörden als solche unterliegen dem Anwaltszwang. Umstritten ist die Frage, ob der Vertreter des öffentlichen Interesses eines Landes nach § 3 6 V w G O dem Anwaltszwang unterliegt, während für den Oberbundesanwalt unbestritten Freiheit vom Anwaltszwang angenommen wird. Was den Vertreter des öffentlichen Interesses nach § 36 anlangt, so wird er wohl übereinstimmend als vom Anwaltszwang befreit erachtet, wenn er lediglich als Vertreter des öffentlichen Interesses und nicht auch als Vertreter des Landes oder von Landesbehörden auftritt (s. B V e r w G Beschluß vom 30. Mai i960 in DVB1 S. 563). In der Frage, ob der Vertreter des öffentlichen Interesses als Vertreter des Landes oder von Landesbehörden dem Anwaltszwang vor dem BVerwG unterworfen wird, ist eine grundsätzliche Entscheidung zu erwarten, da diese Frage dem Großen Senat vorgelegt wurde (s. B V e r w G Beschluß vom 5. September i960 in DVB1 S. 893). Vgl. BVerwGE 2, 22.

Verwaltungsgerichte — Revision . Urteilsform

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Wenn nach landesiechtlicher Regelung nicht die Körperschaft, der die Behörde angehört, Beklagte ist, sondern die Behörde (s. §§ 61, 78 VwGO), dann bleibt sie dies auch im Revisionsverfahren vor dem BVerwG (s. B V e r w G E 3, 150, vgl. auch wegen des Übergangsrechts BVerwG Urteil vom 1 1 . Mai i960 in N J W S. 1587) 1 ). Im vorliegenden Fall kommt es darauf nicht an; denn schon im bisherigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem V G H war der Freistaat B. der Beklagte, was der grundsätzlichen Regelung des § 7 8 Abs. 1 Nr. 1 V w G O entspricht; die Beklagtenseite bleibt daher auch im Revisionsverfahren unberührt. „Gründe:

I

Mit Bescheid vom 14. April 1958 war dem Kläger — einem Bundesbeamten — mit Wirkung vom 1. Mai 1958 das Ruhegehalt entgegen den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen versehentlich zu hoch festgesetzt worden und zwar so, daß es fast die Höhe der zuletzt bezogenen Dienstbezüge erreichte. Bei einer Überprüfung wurde dies festgestellt. Mit Bescheid vom 4. April i960 wurde daher die Festsetzung vom 14. April 1958 aufgehoben; mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag wurden die Versorgungsbezüge auf Grund der nunmehr erfolgten richtigen Berechnung mit Wirkung vom 1. Mai 1958 auf den zutreffenden Betrag neu festgesetzt und mit einem dritten Bescheid vom selben Tag wurde angeordnet, daß die seit dem 1. Mai 1958 erfolgten Uberzahlungen von insgesamt 2199,50 D M in monatlichen Raten von 50,— D M zu erstatten seien. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch und die von ihm weiter erhobene Anfechtungsklage hatten keinen Erfolg. Der Kläger hatte mit der Klage die Aufhebung der drei Bescheide vom 4. April i960 beantragt und geltend gemacht, daß er sowohl für die Vergangenheit ab 1. Mai 1958 als auch für die Zukunft die Gewährung der am 14. April 1958 festgesetzten Versorgungsbezüge begehre. Seine Berufung wurde mit Urteil des V G H vom 10. Oktober i960 als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision zum B V e r w G wurde zugelassen. Gegen das am 20. Oktober i960 zugestellte Urteil des V G H hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 10. November i960 Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 21. Dezember i960 begründet; er rügt die Verletzung materiellen Rechts. E r beantragt, das Urteil des V G H vom 10. Oktober i960 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts und die Bescheide der Verwaltungsbehörden (Widerspruchsbescheid und Bescheide vom 4. April i960) aufzuheben."

Die Praxis des BVerwG verwendet im allgemeinen in der Gliederung der Begründung des Urteils nicht die Worte, Tatbestand und Entscheidungsgründe (vgl. § 1 1 7 Abs. 2 VwGO), sondern läßt hinter dem Entscheidungssatz (Tenor) des Urteils die Ausführungen unter der Überschrift „Gründe" folgen. Doch werden in der Bezifferung I eine kurze Übersicht über den Verlauf des etwaigen Verwaltungs- und des bisherigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegebenenfalls nebst Angabe der Verwaltungsakte und der weiteren Bescheide und Urteile und ihre Begründung aufgeführt und in derBezifferunglldie Entscheidungsgründe dargelegt. Der vorstehend ebenfalls mit I bezeichnete Sachverhalt ist zur Vereinfachung nur in den Grundzügen angeführt ; auf die Einzelheiten wird soweit erforderlich später eingegangen werden. Zu der Frage des Tatbestands in Revisionsurteilen ist allgemein zu sagen, daß er in der Regel gekürzt ist und an sich keine selbständige Bedeutung hat; denn maßgebend ist nach dem gemäß § 173 V w G O anwendbaren § 561 ZPO der Tatbestand des Berufungsurteils (bzw. des mit der Revision angefochtenen Urteils) und das Sitzungsprotokoll. Der im Revisionsurteil enthaltene gekürzte Sachverhalt dient nur dazu, das Verständnis der nachfolgenden Gründe zu erleichtern, die sich in diesem Umfang allein auf die von dem Berufungsgericht (bzw .dem vorher entscheidenden Gericht) in dem angefochtenen Urteil festgestellten und sich aus dem Sitzungsprotokoll ergebenden Tatsachen stützen (soBGH Beschluß vom 27. Juni 1956 in N J W S. 1480). Vgl. entsprechend B V e r w G Urt. vom 25. November i960 I V C 336, 58. 67

L u x , Schulung 5. Aufl. (Kraus/Berg)

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Verwaltungsgerichte — Revision . Zulässigkeit . § 127 BRRG

„n 1. Die kraft Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision kann keinen Erfolg haben."

Die Revision ist vom Y G H gemäß § 127 des Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz — B R R G ) vom 1. Juli 1957 — B G B l I S. 667 — mit späteren Änderungen 1 ) mit Recht zugelassen worden. § 127 B R R G ist gemäß § 191 Abs. 2 V w G O unberührt geblieben. § 127 gehört ebenso wie § 126 B R R G zu den Vorschriften des Kapitels II des B R R G , die einheitlich und unmittelbar gelten und zwar sowohl für Bundesbeamte als auch für Beamte anderer Dienstherren z.B. von Ländern, Gemeinden usw. Die Bestimmung des § 172 des Bundesbeamtengesetzes i.d.F. vom 18. September 1957 (BGBl I S. 1338) mit späteren Änderungen 1 ), die ausführt, daß für Klagen aus dem Beamtenverhältnis eines Bundesbeamten §§126, 127 B R R G gelten, hat nur deklaratorische Bedeutung (s. PlogWiedow, Bundesbeamtengesetz, § 172 RdNr. 1). Wie im Sachverhalt I angegeben ist, handelt es sich in der vorliegenden Verwaltungsstreitsache um die Klage eines Bundesbeamten. Die weiteren formellen Voraussetzungen der Revisionseinlegung, Wahrung der Form und Frist, sind nach dem angegebenen Sachverhalt erfüllt. Die Revision ist schriftlich einzulegen und zwar bei dem iudex a quo, d.h. bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird (vgl. § 139 VwGO). Auch die Revisionsbegründung bedarf der Schriftform. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben. Besonders strenge Anforderungen werden hieran nicht gestellt; nach Rechtsprechung und Rechtslehre ist es genügend, wenn etwa aus Aktenzeichen und Datum der Verkündung das angefochtene Urteil hinreichend bestimmt ist. Die Revisionsschrift oder die Revisionsbegründungsschrift muß einen bestimmten Antrag enthalten (s. § 139 Abs. 2 V w G O ) ; dieser Antrag braucht also nicht schon in der Revisionsschrift enthalten zu sein. Auch der Begriff „bestimmter Antrag" wird nicht besonders streng ausgelegt; es wird nach der Rechtsprechung des BVerwG (s. insbesondere B V e r w G E 1, 22) als ausreichend angesehen, wenn das Ziel der Revision aus der Tatsache der Revisionseinlegung allein oder in Verbindung mit den während der Revisionsfrist — nun auch während der Revisionsbegründungsfrist — abgegebenen Erklärungen erkennbar ist. Revision und Revisionsbegründung sind auch von einem Rechtsanwalt als Bevollmächtigten eingereicht (vgl. § 67 VwGO). Die Frist zur Einlegung der Revision beträgt einen Monat, die Revisionsbegründungsfrist einen weiteren Monat. Die Zweimonatsfrist der Revisionsbegründung läuft ab Zustellung des angefochtenen Urteils der Vorinstanz (vgl. hierzu B V e r w G E 7, 293). Die Revisionsbegründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden und zwar nach herrschender Meinung durch den Vorsitzenden des Senats des BVerwG, nicht durch den Vorsitzenden des Senats des O V G (VGH). Die Entscheidung über die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist kann — vorausgesetzt daß der Antrag auf diese Verlängerung vorher gestellt ist —, noch nach ihrem Ablauf ergehen. „2. Die Festsetzung der Versorgungsbezüge am 14. April 1958 stellt einen Verwaltungsakt dar; sie ist ein feststellender (deklaratorischer) Verwaltungsakt; die zu gewährenden Versorgungsbezüge ergeben sich aus den bestehenden beamten- und besoldungsrechtlichen Vorschriften. Die den Pensionsfestsetzungsbescheid erlassende Verwaltungsbehörde gewährt daher nicht konstitutiv neue subjektive öffentliche Rechte, sondern erklärt nur feststellend, was auf Grund der geltenden Bestimmungen rechtens ist. Gewährt ein solcher feststellender Pensionsfestsetzungsbescheid mehr Versorgungsbezüge, als die gesetzlichen Bestimmungen zulassen, dann nimmt die Rechtsprechung einen sogen, begünstigenden feststellenden Verwaltungsakt an. *) Zuletzt durch das Deutsche Richtergesetz vom 8. September 1961 — BGBl I S. 1665 —.

Verwaltungsgerichte — Vertiauensschutz bei Beseitigung von Verwaltungsakten

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Dies ergibt sich insbesondere aus dem Urteil des BVerwG vom 24. April 1959 in NJW i960 S. 258 (nicht unbestritten!). Dieser begünstigende feststellende Verwaltungsakt ist hier der Bescheid vom 14. April 1958. Er ist zugleich ein rechtswidriger Verwaltungsakt, da er nach der Angabe des Sachverhalts entgegen den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen versehentlich das Ruhegehalt zu hoch festgesetzt hat. Der Verwaltungsakt vom 14. April 1958 ist auch rechtsbeständig geworden; er ist damals nicht angefochten worden; begünstigende Verwaltungsakte erlangen, wenn sie unanfechtbar geworden sind, eine in ihrer Wirkung der Rechtskraft (von gerichtlichen Urteilen) verwandte Beständigkeit mit der Folge, daß sie nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden können (s. BVerwGE 5, 312). Darüber, ob solche rechtsbeständige begünstigende Verwaltungsakte allein wegen ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben werden können, besteht keine einheitliche Auffassung. Rechtsbeständige rechtswidrige Verwaltungsakte, und zwar auch solche feststellender Art konnten nach der früheren Rechtsprechung später widerrufen werden (zurückgenommen werden) und zwar im Hinblick auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit allein unter dem Gesichtspunkt, daß sie rechtswidrig waren (vgl. insbesondere bayer. VGH n.F. 4,203). Demgegenüber hat das BVerwG in seiner Rechtsprechung zwar ebenfalls grundsätzlich daran festgehalten, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt widerrufen (zurückgenommen) werden kann, weil dies aus dem Rechtsstaatsgedanken und der Bindung der Verwaltung an die Gesetze folge (vgl. BVerwG Urteil vom 20. Oktober 1959 in VerwRspr. Bd. 13 S. 38); es hat aber darüber hinaus den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eingeführt. Das BVerwG prüft daher im Einzelfall, ob das schutzwürdige Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes oder das öffentliche Interesse an seiner Beseitigung überwiegt (s. BVerwGE 5, 312). Den entsprechenden Standpunkt vertritt das BVerwG in seinem Urteil vom 29. Mai 1958 in ZBR 1958 S. 247. Nach dieser neuerlichen Rechtsprechung des BVerwG wird i. a. davon ausgegangen, daß rechtswidrige Verwaltungsakte jedenfalls dann widerrufen werden können, wenn sie Dauerleistungen gewähren; nach BVerwG Urt. vom 24. Oktober 1958 in NJW 1959 S. 1553 können jedoch langes Bestehen des Verwaltungsaktes, voraussichtliches baldiges Ende der Dauerwirkung sowie eine im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Aktes vom Begünstigten getroffene Planung eine Ausnahme vom grundsätzlichen Widerruf fehlerhafter Verwaltungsakte mit Dauerwirkung begründen. In seinem Beschluß vom 20. Mai 1959 VH B 9.59 hat das BVerwG den Widerruf gesetzwidrig unbefristet erteilter Genehmigungen für den Kraftdroschkenverkehr für zulässig erklärt, weil der Rechtsbesitz des Unternehmers gegenüber dem überwiegenden öffentlichen Interesse an der gesetzmäßigen Ordnung im Kraftdroschkenverkehr zurückweichen müsse. Diese neuere Rechtsprechung hat hinsichtlich des Gedankens des. Vertrauensschutzes Widerspruch gefunden, insbesondere bei Forsthoff,Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Auflage, S. 240 und Vorwort. Sein Standpunkt wird anzuerkennen sein. Denn einmal gibt die neuere Rechtsprechung des BVerwG die bisherige im wesentlichen klare Linie auf und führt grundsätzlich zu nicht voraussehbaren Ergebnissen. Zum anderen weicht sie von dem grundsätzlich zu fordernden Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ab. Schließlich kann auch dem vom BVerwG herausgestellten Vertrauensschutz — ein anerkannter und anerkennenswerter Gesichtspunkt — Rechnung getragen werden und zwar durch die Heranziehung der auch früher im öffentlichen Recht anerkannten Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung (s. auch § 122 BGB) und evtl. der Regelung des Schadensersatzes bei Amtspflichtverletzungen1). l ) Wie hier nun auch Wirth unter Zustimmung wohl von Dürig in DÖV i960 S. 173, der den Gedanken des Vertrauensschutzes nach der Beseitigung (Widerruf) des Verwaltungsaktes anwendet und ausführt: „Gegen den — nach dem Widerruf des Verwaltungsaktes in Frage kommenden — Rückforderungsanspruch kann der Begünstigte sich auf das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Verwaltung dann berufen, wenn ihm eine Rückgewähr nicht zuzumuten ist". Hierzu sei bemerkt, daß schon die Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung, die hier von vornherein in der Regel für den Rückforderungsanspruch zur Anwendung kommen werden, im wesentlichen einen billigen Ausgleich bringen. Auch Scheerbarth hält die Heranziehung des Vertrauensschutzgedankens beim Widerruf nicht für vertretbar; eine Abhilfe sieht er gegebenenfalls in der Prüfung, ob der Widerruf ermessensmißbräuchlich ist, wobei er unterstellt, daß keine Pflicht der Behörde zum Widerruf besteht, sondern dieser in ihrem Ermessen steht (DVB1 i960 S. 185). S. auch Erning in DVB1 i960 S. 188. 67'

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Verwaltungsgerichte — Rückforderung von Pensionsbezügen

Bemerkt wird noch, daß der Sprachgebrauch wegen der Beseitigung rechtsbeständiger Verwaltungsakte noch nicht einheitlich ist. Das B V e r w G verwendet, soweit ersichtlich, im allgemeinen im Anschluß an Forsthoff, a. a. O. S. 258 für die Beseitigung fehlerhafterVerwaltungsakte den Begriff „Rücknahme". Für die Beseitigung fehlerfreier Verwakongsakte schlägt Forsthoff die Verwendung von „Widerruf" vor. Diese Begriffe berücksichtigen aber nicht die praktisch vielfach bedeutsame Frage, ob die Rücknahme oder der Widerruf ex tunc oder ex nunc wirkt. Wolff versteht unter diesem Gesichtspunkt in seinem Lehrbuch, Verwaltungsrecht I, 2. Auflage 1958, S. 260 unter dem Oberbegriff „Widerruf" die ex tunc wirkende Zurücknahme (FürNichtig-Erklärung) und die ex nunc wirkende „Beseitigung". Das Lehrbuch des Verwaltungsrechts von Turegg-Kraus, 4. Auflage, unterscheidet im Hinblick auf das Merkmal der zeitlichen Wirkung entsprechend Wolff ebenfalls zwischen der „Selbstanfechtung" mit Wirkung ex tunc und dem „Widerruf " mit Wirkung ex nunc, und zwar im Anschluß an Begriffe des bürgerlichen Rechts. Im vorliegenden Falle braucht die Frage, ob man sich der Auffassung des B V e r w G hinsichtlich des Vertrauensschutzes oder der Gegenmeinung anschließen will, nicht abschließend entschieden zu werden; denn die Klage und damit die eingelegten Rechtsbehelfe und Rechtsmittel können schon aus einem anderen Grunde keinen Erfolg haben. Wie dem Sachverhalt zu entnehmen ist, wurde der Ruhegehalt durch Nichtberücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen versehentlich so hoch festgesetzt, daß er an die Höhe des zuletzt gezahlten Beamtengehalts herankam. Hierwegen ist § 87 Abs. 2 B B G maßgebend, der lautet: „Die Rückforderung Zuviel gezahlter Dienst- oder Versorgungsbezüge regelt sich im übrigen — d. i. abgesehen von dem hier nicht zutreffenden Fall des Abs. 1 — nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Der Kenntnis des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, daß der Empfänger ihn hätte erkennen müssen." Auf Grund dieser Bestimmung ist zweierlei zu prüfen: Einmal ob die bloße Rückforderung der überzahlten Beträge — unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung — allein genügt oder ob ein Widerruf — Zurücknahme, Selbstanfechtung — des früheren rechtsbeständigen rechtswidrigen begünstigenden feststellenden Verwaltungsakts, nämlich des Pensionsfestsetzungsbescheids, erforderlich ist und zum anderen ob die Voraussetzungen für die Rückforderung der überzahlten Beträge in diesem Sinne eine Grundlage haben. In Übereinstimmung mit dem B V e r w G (s. besonders dessen Urteil vom 24. April 1959) ist davon auszugehen, daß § 87 Abs. 2 B B G nichts darüber aussagt, ob Überzahlungen unmittelbar zurückgefordert werden können oder nicht. Aus allgemeinrechtlichen Erwägungen kann eine Uberzahlung dann keine ungerechtfertigte Bereicherung darstellen, wenn sie auf Grund eines rechtsbeständigen Verwaltungsakts (Pensionsfestsetzungsbescheides) erfolgt, auch wenn dieser nicht den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Denn ein rechtsbeständiger Verwaltungsakt ist solange rechtswirksam und zu beachten als er nicht zurückgenommen ist. Was bis zu seiner Zurücknahme geleistet wird, erfolgt auf Grund dieses rechtsbeständigen Verwaltungsakts und ist somit nicht ungerechtfertigt. Dabei kann die Frage dahingestellt bleiben wie es mit einem von vorneherein nichtigen Verwaltungsakt zu halten wäre. Nach der vorstehenden Darlegungen ist daher zunächst eine Zurücknahme (Widerruf — Selbstanfechtung) des Pensionsfestsetzungsbescheides vom 14. April 1958 notwendig gewesen; diese Zurücknahme ist auch in dem späteren Bescheide vom 4. April 1960 ausgesprochen worden. Mit der Zurücknahme des Pensionsfestsetzungsbescheides vom 14. April 1958 ist nun der rechtliche Grund für die Überzahlungen weggefallen. Diese Überzahlungen in der Vergangenheit sind daher ohne einen solchen rechtlichen Grund geleistet worden. Die Rückforderung kann im vorliegenden Fall auch für die Vergangenheit — d.i. für die Zeit vom 1. Mai 1958 an — vorgenommen werden; denn mit Rücksicht auf die Höhe der festgesetzten Versorgungsbezüge, die fast die Beamtenbezüge erreichten, mußte dem Kläger — einem lange Jahre tätigen Beamten —, dem die Kenntnis des Beamtenrechts und des Versorgungsrechts zuzurechnen ist, auffallen, daß bei der Berechnung ein Mangel vorliegen müsse. Es liegt also jedenfalls die Voraussetzung des § 87 Abs. 2 Satz 1 B G B vor, daß der Kläger, wenn er schon den offensichtlichen Mangel nicht erkannt hat, ihn jedenfalls hätte erkennen müssen.

Verwaltungsgerichte — Kostenentscheidung . Beamtenrecht

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Nach den vorstehenden Darlegungen ist weiterhin festzustellen, daß der Kläger auch für die Zukunft nach dem Bescheid vom 4. April i960 keine Überzahlungen auf Grund des früheren Bescheides vom 14. April 1958 fordern kann. Davon, daß Billigkeitsgründe vorliegen, so daß von einer Rückforderung nach § 87 Abs. 2 Satz 3 BBG abgesehen werden könnte und daß insoweit die Bescheide vom 4. April i960 angefochten sind, ist aus dem gegebenen Sachverhalt nichts ersichtlich. Die Revision muß nach allem mit der sich aus § 1 5 4 Abs. 2 V w G O ergebenden Kostenfolge zurückgewiesen werden. Dr. A. Dr. B. Dr. C. Dr. D. Dr. E. „Beschluß Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 6000,— D M festgesetzt. Dr. A. Dr. B. Dr. C." Ergänzend zu den Darlegungen in der Begründung des Urteils ist noch auf folgendes einzugehen: a) auf die Kostenregelung b) auf die Unterschriften c) auf die besondere Regelung des Verfahrens in Beamtenangelegenheiten d) auf das materielle Beamtenrecht in Kürze. Zu a: Nach § 154 Abs. 2 V w G O fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels — hier der Revision — dem zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens; entgegen manchen bisherigen Vorschriften sind dabei entsprechend der Regelung der Z P O die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistandes, in Steuersachen auch eines Steuerberaters stets erstattungsfähig (vgl. im einzelnen § 162 VwGO). Darauf hingewiesen wird noch, daß § 163 Abs. 1 V w G O das bisher bestehende Gebührenprivileg (Gebührenfreiheit) öffentlich-rechtlicher Körperschaften beseitigt. Die Entscheidungen des BVerwG enthalten im Anschluß an die Unterschriften unter dem Urteil weiterhin einen Beschluß hinsichtlich des Wertes des Streitgegenstandes, der für die Gerichtskosten (Gebühren) und für die Rechtsanwaltsgebühren die Grundlage bildet. Dieser Beschluß stützt sich auf § 1 8 9 Abs. 1 V w G O mit § 73 Abs. 2 BVerwGG. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach freiem Ermessen unter entsprechender Anwendung des Gerichtskostengesetzes. Zu unterscheiden sind dabei vermögensrechtliche und nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten. Im vorliegenden Falle, bei dem es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt, wird der Unterschied zwischen der richtigen Festsetzung und der unrichtigen Festsetzung für die Vergangenheit, also die Überzahlungen für die zurückliegende Zeit, sowie für die Zukunft der einjährige Betrag dieser Überzahlung zugrunde zu legen sein. Eine feste Bindung an die Bestimmungen des G K G ev. in Verbindung mit der ZPO (§ 3 ff.) wird, soweit ersichtlich, vom BVerwG im allgemeinen im Hinblick auf § 73 Abs. 2 BVerwG — aufrechterhalten in § 189 V w G O — nicht unbedingt angenommen. Zu b: Urteile sind von den fünf Richtern des BVerwG ,die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben (vgl. §§ 141, 125 Abs. 1, 1 1 7 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 VwGO). Ist ein Richter verhindert seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden bzw. vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Beschlüsse — wie hier der Beschluß über den Streitwert — werden entsprechend den vorerwähnten Bestimmungen von drei Richtern des BVerwG unterschrieben.

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Verwaltungsgerichte — Beamtenrecht

Zu c: Für Klagen aus dem Beamtenverhältnis bestehen besondere Vorschriften. Wie bereits erwähnt, gilt dies zunächst für die Revision; sie ist sowohl für Bundesbeamte — wie im vorliegenden Fall — als auch für Beamte der Länder, Gemeinden usw., somit also für Bundesbeamtenrecht und Landesbeamtenrecht, gegen das Urteil eines Oberverwaltungsgerichts über eine Klage aus dem Beamtenverhältnis stets zuzulassen; diese Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm beruht (§ 127 BRRG, § 172 BBG, § 191 Abs. 2 VwGO). Für Klagen aus dem Beamtenverhältnis und für Klagen des Dienstherrn ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben; das gilt auch für die vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis, die früher vielfach, insbesondere kraft Landesverfassungsrechts, den ordentlichen Gerichten zugewiesen waren (s. § 126 BRRG und § 172 BBG). Von der überwiegenden Meinung wird dies auch für Richter 1 ) angenommen (vgl. § 189 BBG, § 134 BRRG). Für Ansprüche auf Schadensersatz aus Amtspflichtsverletzungen und auf Rückgriffe sind allerdings die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. Art. 34 GG und § 40 VwGO). § 126 Abs. 3 BRRG i. d. F. des § 191 Abs. 1 VwG,0 (vgl. auch § 172 BBG) sieht für alle Verfahren aus dem Beamtenrechtsverhältnis ein Vorverfahren vor, also insbesondere auch dann, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen worden ist und wenn es sich nicht um Anfechtungsklagen und Verpflichtungsklagen, sondern auch um andere Leistungsklagen sowie um Feststellungsklagen handelt. Kein Vorverfahren ist dagegen vorgeschrieben bei einer Untätigkeitsklage (s. RdErl. d. InnM. von Nordrhein-Westfalen vom 21. Dez. i960 — MAB1 S. 71 —). Weiterhin ist hiernach der Widerspruchsbescheid grundsätzlich von der obersten Dienstbehörde zu erlassen, die aber die Entscheidung in den Fällen, in denen sie den Verwaltungsakt nicht selbst erlassen hat, auf andere Behörden übertragen kann. Zu d: Das Beamtenrecht ist ein Teil des Rechts des öffentlichen Dienstes und zwar der überwiegende Teil. Im Dienst des Staates und der sonstigen.Dienstherrn stehen nicht nur Beamte, sondern auch Angestellte und Arbeiter. Beamte im staatsrechtlichen Sinne (zu unterscheiden von Beamten im Sinne der Haftungsbestimmungen und Beamten im Sinne des Strafrechts) sind Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis mit einem Subjekt des öffentlichen Rechts stehen. Verfassungsrechtliche Grundlage ist Art. 33 GG; er enthält eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums; er gebietet nicht die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums unter allen Umständen zu beachten, sondern sie nur bei Regelung des Rechts des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen (BVerfGE 3, 288 u. 7, 155). Art. 3 3 Abs. 5 GG hat aber eine über die bloße institutionelle Garantie hinausgehende Bedeutung. In BVerfGE 8, 1 ist anerkannt, daß diese Bestimmung dem Beamten grundrechtsähnliche Individualrechte in gewisser Hinsicht gibt, deren Verletzung nach § 90 Abs. 1 BVerfGG mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Das Recht der Beamten ist verschieden geregelt, je nachdem wer Dienstherr des Beamten ist. Für die im Dienst des Bundes stehenden Beamten, sowie für die Beamten der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gilt das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 (BGBl I S. 551) i.d.F. vom 18. September 1957 (BGBl I S. 1338) — BBG — mit späteren Änderungen. Eine Vereinheitlichung des Beamtenrechts bringt das Beamtenrechtsrahmengesetz vom 1. Juli 1957 (BGBl I S. 667) mit späteren Änderungen — BRRG —. BRRG Für das Recht der Richter gilt ab 1. Juli 1962 (von 2 Ausnahmen abgesehen) das Deutsche Richtergesetz vom 8. September 1961 — B G B l I S. 1665 —•. Vgl. unten S. 1065.

Verwaltungsgerichte — Beamtenrecht

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und Gesetz vom xi. September 1957 ändern zunächst das B B G . Weiter bringt das B R R G in seinem Kapitel II Vorschriften, die einheitlich und unmittelbar für alle Beamten gelten, also vor allem für Bundes- und Landesbeamte usw. Es handelt sich hier um Vorschriften über den Rechtsweg — Verwaltungsrechtsweg, insbesondere auch für vermögensrechtliche Ansprüche des Beamten aus dem Beamtenverhältnis und des Dienstherrn gegen den Beamten —, über Dienstherrneigenschaft, über die Rechtsstellung bei Umbildung von Körperschaften und Wechsel des Dienstherrn u.dgl. Schließlich enthält das B R R G auf Grund des Art. 75 Abs. 1 G G noch Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder mit der Verpflichtung der Länder, ihr Beamtenrecht dem B R R G anzugleichen. Daraufhin sind dann u.a. ergangen in Bayern das Bayer. Beamtengesetz vom 18. Juli i960 (GVB1 S. 161) und in Niedersachsen das niedersächsische Beamtengesetz vom 14. Juli i960 ( G V B S. 145); in Nordrhein-Westfalen ist das Landesbeamtengesetz vom 15. Juni 1954 (GSNW S. 225) durch Gesetz vom 6. April i960 (GVB1 S. 56) geändert worden. Die Länderbeamtengesetze gelten nicht nur für die Beamten der Länder als solche, sondern im allgemeinen auch für die Beamten anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, insbesondere für die Beamten der Gemeinden, Kreise und Bezirke. Neben den allgemeinen Beamtengesetzen des Bundes und der Länder bestehen noch weitere besondere beamtenrechtliche Gesetze. Erwähnt seien u. a. Lauf bahnvorschriften sowie die Regelungen für besondere Beamtenarten, wie Polizeibeamte, Hochschullehrer, ferner Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 G G fallenden Personen1) und zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im öffentlichen Dienst2) und schließlich für die Personalvertretung der Beamten und das Dienststrafrecht. Bestimmungen über Dienstbezüge und Versorgungsbezüge der Beamten und Richter des Bundes sind im B B G (s. bes. § § 8 2 ff. und § § 105 ff.) sowie im Bundesbesoldungsgesetz vom 27. Juli 1957 ( B G B 1 I S. 993) enthalten. Wegen der Dienstbezüge und der Versorgungsbezüge der Beamten (Richter) der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände u.a. bringt das Bundesbesoldungsgesetz Rahmenvorschriften; die Länderbesoldungsgesetze enthalten neben dem B R R G und den Landesbeamtengesetze weitere Regelungen über die Dienst- und Versorgungsbezüge dieser Beamten. Was die B u n d e s b e a m t e n 3 ) im b e s o n d e r e n anlangt, so unterscheidet man nach der Dauer des Dienstverhältnisses Beamte auf Lebenszeit, Beamte auf Probe, Beamte auf Widerruf (insbesondere solche im Vorbereitungsdienst), Beamte auf Zeit und Ehrenbeamte (vgl. § 5 BBG). Das Beamtenverhältnis wird grundsätzlich durch die Ernennung begründet, d.i. ein Staatshoheitsakt und zwar ein rechtsgestaltender empfangsbedürftiger einseitiger Verwaltungsakt, der der Zustimmung des zu Ernennenden bedarf (§ 6BBG). Für die Ernennung gilt das U r k u n d s p r i n z i p , d.h. soweit nicht Sonderbestimmungen bestehen, wird das Beamtenverhältnis durch die Aushändigung der Ernennungsurkunde begründet, umgewandelt, das Amt erstmalig verliehen oder ein anderes Amt mit anderem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung verliehen (§6 BBG). Das Beamtenverhältnis endet durch Ausscheiden kraft Gesetzes — z. B. Verlust der Staatsangehörigkeit, durch strafgerichtliche Verurteilung zu Zuchthaus u.a. —, durch Entlassung durch Verwaltungsentscheidung — z.B. auf eigenen Antrag, Entlassung eines Widerrufsbeamten durch Widerruf u. dgl. —, durch 1

) Nun in der Neufassung vom 21. August 1961 — B G B l I S. 1578 —. ) Nun in der Fassung vom 24. August 1961 — B G B l I S. 1627 — und für im Ausland Lebende Neufassung vom 24. August 1961 —• B G B l I S. 1645 — . 3 ) Wegen der Richter im Bundesdienst s. Deutsches Richtergesetz vom 8. September 1961 — B G B l I S. 1665 —. 2

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Verwaltungsgerichte — Ruhestand

Versetzung in den Ruhestand oder bei sogen, politischen Beamten durch Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, durch Tod, durch Entlassung im Dienststrafverfahren (s. §§ 28 ff. BBG). Unter gewissen Voraussetzungen kann eine Ernennung nichtig sein (s. § i i BBG) oder zurückgenommen werden (s. § 12 BBG). Die Laufbahn der Beamten ist besonders geregelt, insbesondere hinsichtlich des Aufstiegs und der Beförderungen, der Prüfungen und des Vorbereitungsdienstes u. a. (s. § § 15 ff. B B G und Bundeslaufbahnverordnung vom 31. Juli 1956 — B G B l I S. 712 —, nun i.d.F. vom 2. August 1961 — B G B 1 I S. 1173 —; unterschieden werden vier Laufbahnen und zwar der höhere Dienst (z. B. Regierungsrat), der gehobene Dienst (z. B. Inspektor), der mittlere Dienst (z.B. Sekretär) und der einfache Dienst (z.B. Amtsgehilfe). Das Beamtenverhältnis gehört zu den sogen, besonderen Gewaltverhältnissen. Es hat seine besondere Regelung erfahren, die vor allem die Rechte (s. besonders §§ 79 ff. B B G Anspruch auf Fürsorge, auf Dienst- und Versorgungsbezüge, auf Urlaub usw.) und die Pflichten (s. §§ 5 2ff. B B G Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung, zu achtungsvollem Verhalten, zur Beratung des Vorgesetzten und zum Gehorsam usw.) festlegt. Eine besondere, noch nicht völlig abschließend entschiedene Frage ist die, inwieweit im Rahmen des besonderen Gewaltverhältnisses des Beamten einzelne Maßnahmen der vorgesetzten Stellen Verwaltungsakte oder Dienstbefehle sind und inwieweit der Verwaltungsrechtsweg hierwegen gegeben ist. Die Entwicklung der Rechtsprechung ist hier immer mehr dazu übergegangen, auch bei sogen. Dienstbefehlen im Verwaltungsrechtsweg angreifbare Verwaltungsakte zu sehen (s. hierzu Koehler a. a. O. § 42 Anm. IV). Entscheidend wird es dabei auf die Umstände des Einzelfalles anzukommen haben. Mit Rücksicht auf den vorliegenden besonderen Tatbestand ist hinsichtlich des Eintritts in den Ruhestand von Bundesbeamten und dessen Folgen zu bemerken: Im wesentlichen enthalten die § § 3 5 ff. B B G die Vorschriften über den Eintritt in den Ruhestand. Dieser kann erfolgen: a) kraft Gesetzes bei Erreichung der Altersgrenze (gegebenenfalls Hinausschiebung des Eintritts in den Ruhestand) — § 41 B B G —; b) durch einen Verwaltungsakt des Dienstherrn bei Dienstunfähigkeit (§§ 42fr. BBG); c) für den Eintritt in den einstweiligen Ruhestand nach den Sondervorschriften der §§ 3 6ff. B B G ; d) nach weiteren Sondervorschriften in verschiedenen Sonderfällen z.B. für Richter des Bundesverfassungsgerichts in dem Gesetz über das Bundesverfasungsgericht vom 12. März 1951 ( B G B 1 I S. 243) mit späteren Änderungen 1 ). Eintritt und Versetzung in den Ruhestand beenden das Beamtenverhältnis, doch bleibt ein besonderes Verhältnis zwischen dem Ruhestandsbeamten und seinem Dienstherrn mit gegenseitigen Rechten und Pflichten auch weiterhin bestehen (s. § 6 Abs. 4 BBG). Zu den Rechten gehören besonders die Rechte auf Versorgung (§§47 Abs. 3, 85 BBG), auf Fürsorge und Schutz (§79 BBG), auf Führung der Amtsbezeichnung mit einem entsprechenden Zusatz, auf Akteneinsicht (§ 90) u. dgl. Zu den Pflichten des Ruhestandsbeamten gehören vor allem die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und Herausgabe von Aktenvorgängen ( § 6 1 Abs. 2 und 3 BBG), die Pflicht, keine Belohnungen und Geschenke in bezug auf das Amt ohne Zustimmung der obersten bzw. der letzten obersten Dienstbehörde anzunehmen (§§70, 77 Abs. 2 Nr. 3 BBG), die Pflicht einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis bei Wiederherstellung der Dienstfähigkeit Folge zu leisten (§45 BBG) u.a. Auch ein Ruhestandsbeamter kann Dienstl ) Zuletzt geändert durch das Deutsche Richtergesetz vom 8. September 1961 — B G B l I S. 1665 — , das allerdings für die Richter des B V e r f G nur beschränkt gilt (vgl. § 69 des Deutschen Richtergesetzes). Wegen der Richter überhaupt s. das Deutsche Richtergesetz und S. 1065.

Verwaltungsgerichte — Richterrecht

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vergehen begehen; das Nähere über die Bestrafung solcher Dienstvergehen enthält die Bundesdisziplinarordnung (s. § 77 B B G und §§ 9, 2 BDO). Für die R i c h t e r , die schon bisher nicht als Beamte anzusehen waren, gilt ab 1. Juli 1962 das Deutsche Richtergesetz vom 8. September 1961 — B G B l I S . 1665 —. Es bringt in seinem Ersten Teil (§§ 1—45) unmittelbar und allgemein geltende Vorschriften für das Richteramt in Bund und Ländern, insbesondere über die Befähigung zum Richteramt, über das Richterverhältnis (Ernennung, Entlassung), über die richterliche Unabhängigkeit und die besonderen Pflichten. Im Zweiten Teil (§§46 bis 70) behandelt es die Richter im Bundesdienst, für die grundsätzlich das Recht der Bundesbeamten entsprechend anwendbar ist; dieser Teil befaßt sich vor allem mit der Regelung der Richtervertretung und der Dienstgerichte. Der Dritte Teil enthält Rahmenvorschriften für die Regelung des Rechtes der Richter im Landesdienst; er schreibt insbesondere bindend die Bildung von Richterräten und Dienstgerichten vor. Der Vierte Teil bringt Übergangs- und Schlußvorschriften, z.B. Änderungen und Aufhebung von Gesetzen.

25. Kapitel

Beim Rechtsanwalt Maschinenliefeningsvertrag mit Nachbessetungsklausel. Mündliche Nebenabreden. Mandatseingang

Hürth, den i8. Oktober 1961.

Herrn Rechtsanwalt Voß Köln. Ich bitte Sie, meine Vertretung in der beiliegenden Klagesache zu übernehmen und die Klage abweisen zu lassen, da die Zentrifuge nicht zu brauchen ist. Manchmal kommt die Milch genau so heraus, wie sie hineingegossen worden ist. Dann wieder treten Verstopfungen und andere Störungen ein. Ich habe deshalb schon nach 4 Tagen der Fabrik den Apparat zur Verfügung gestellt. Darauf wurde ich aufgefordert, die Maschine zur Untersuchung und Reparatur in die Fabrik zu bringen. Das tat ich und ließ durch meinen Schaffer Vogt bestellen, daß ich die Abnahme endgültig verweigere, falls die Zentrifuge nicht in einer Woche tadellos hergestellt wird. Nach 6 Tagen erhielt ich sie zurück. Es ging etwa 1 o Tage ganz gut. Dann kamen wieder die alten Störungen. Durchschnittlich bei jedem dritten oder vierten Male arbeitet die Maschine nicht glatt. Der Molkereidirektor Dankwirth in Hermülheim hat mir gesagt, daß die Maschine falsch konstruiert ist und Zu enge Bohrungen hat. Reparaturen haben deshalb keinen Zweck. Als ich die Maschine beim Kläger bestellte, sagte ich zu ihm: „ A u f Lieferungsbedingungen lasse ich mich nicht ein. Einer meiner Nachbarn (ich meinte den Bauern Hartwig von hier, für den Sie den Prozeß gegen Schliebitz wegen der Drillmaschine verloren haben) hat mit einer Firma deshalb Differenzen gehabt. A m besten ist es, Sie liefern mir die Zentrifuge zunächst auf 2 Wochen zur Probe." Der Kläger erwiderte: „Das geht leider nicht. Denn Sie wollen eine Größe haben, die nicht vorrätig ist. Ich muß die Maschine extra für Sie anfertigen lassen. Sie können den Bestellschein ruhig unterschreiben. Ich will nur, wie alle Maschinenfabrikanten, mich davor schützen, von der Kundschaft wegen jeder Kleinigkeit schikaniert zu werden. Wenn eine Maschine einen erheblichen Mangel hat, so nehme ich sie natürlich anstandslos zurück, darauf können Sie sich verlassen. Außerdem gebe ich Garantie auf ein volles Jahr statt der gesetzlichen Frist von 6 Monaten." Wir sprachen dann über Leistungsfähigkeit, Preis usw., und ich unterzeichnete zum Schluß den Bestellschein. Ich bitte Sie, das Verhalten des Klägers gebührend zu beleuchten. Ich berufe mich für das schlechte Funktionieren der Maschine auf meine Frau, Schaffer Vogt und die Angestellte Fengler als Zeugen. Meine bisherigen Kosten und Schäden betragen 122 DM. (folgt Spezifikation unter Angabe von Beweismitteln) A m 9. Oktober habe ich die Zentrifuge dem Kläger definitiv zur Verfügung gestellt und daraufhin die Klage erhalten. Ich muß Ihnen die Information schriftlich geben, weil ich wegen eines verstauchten Fußes das Zimmer hüte und weil der Termin schon am 25. Oktober ansteht. Teilen Sie mir mit, was ich als Vorschuß zu zahlen habe und schicken Sie mir bald Abschrift Ihrer Klagebeantwortung. Walter Diebitsch Gutspächter."

Die Klage ist eine amtsgerichtliche Formularklage auf 550 DM Restkaufpreis nebst Zinsen. Der Bestellschein lautet:

Rechtsanwalt — Maschinenlieferungsbedingungen

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„An die Spezialfabrik für landwirtschaftliche und Molkereimaschinen Willy Donath Köln. Hierdurch bestelle ich Unterzeichneter eine Milchzentrifuge mit Tellereinsatz, Modell ,Alm', für Hand- und elektrischen Betrieb eingerichtet, Milchgefäß 9% Liter, nebst eisernem Untersatz. Lieferung: sofort nach Fertigstellung. Preis: 650 DM. Der Preis ist zahlbar: 100 DM sofort, Rest innerhalb 10 lagen seit Abnahme. Erfüllungsort für beide Teile: Köln. Garantie: Die Fabrik leistet für Mängel, die nachweislich zur Zeit des Gefahrübergangs vorhanden waren, ein Jahr lang in der Weise Garantie, daß die Maschine, wenn sie nicht ordnungsmäßig funktionieren sollte, kostenlos in Ordnung gebracht wird und schadhafte Teile ausgewechselt werden. Die Kosten des Hin- und Rücktransports zur Fabrik zwecks Instandsetzung bzw. Auswechselung hat der Besteller zu tragen. Ist das schlechte Arbeiten der Maschine die Folge unsachgemäßer Behandlung, so werden für die Reparatur die Selbstkosten (mit den üblichen Aufschlägen für Generalunkosten) berechnet. Ansprüche des Bestellers auf Schadensersatz, Preisminderung oder Rücknahme der Maschine sind unbedingt ausgeschlossen. Mündliche Gültigkeit.

Abmachungen

haben

gegenüber

diesen

Bedingungen

keine

Köln, den 29. Juni 1961. (Vor- und Zunahme) Walter Diebitscb (Stand und Beruf) Gutspächter (Wohnort) Hürth." Der Termin wird im Terminkalender vermerkt und die Sache dem Referendar zur Bearbeitung übergeben. P r ü f u n g . Der Referendar erklärt den Prozeß für so gut wie aussichtslos: Da die Zentrifuge vom Kläger aus von ihm zu beschaffenden Stoffen nach den Wünschen des Mandanten besonders hergestellt wurde, ist sie keine vertretbare Sache (§ 91 B G B ) . E s liegt also ein Werklieferungsvertrag im Sinne des § 6 5 1 1 S. 2 zweiter Satzteil vor. Gemäß §§ 6 3 4 , 6 3 5 , 639 1 , 4 7 8 , 4 7 9 stehen Diebitsch — die Richtigkeit der von ihm angeführten sachlichen Bemängelungen unterstellt — Rechte auf Wandelung, Minderung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung sowie die entsprechenden Einreden und Aufrechnungsbefugnisse zu, denn er hat durch V o g t zur Mängelbeseitigung eine Frist von einer Woche mit der Erklärung bestimmt, daß nach Ablauf der Frist die Beseitigung abgelehnt werden würde; die Maschine wurde aber nicht in Ordnung gebracht. Doch kann die gesetzliche Regelung durch Vertrag abgeändert werden. Das ist hier durch die Garantieklausel des Bestellscheins geschehen. Nun werden zwar formularmäßige Bedingungen im Zweifelsfall zu Gunsten der Partei ausgelegt, welche sie nicht aufgestellt hat. Der Donathsche Bestellschein sagt aber mit absoluter Deutlichkeit, daß Schadensersatz, Minderungs- und Wandelungsrecht „unbedingt" ausgeschlossen sind und der Besteller auf die kostenlose Instandsetzung beschränkt ist. Typenmaschinen, die massenhaft hergestellt und im Verkehr nur nach Zahl bezeichnet werden, wie Fahrräder, Schreibmaschinen, Kraftwagen gewisser Marken, sind „vertretbar". Der Vertrag über Lieferung einer vom Lieferanten herzustellenden vertretbaren Sache wird in § 651 1 S. 1 erster Satzteil schlechthin als Kauf behandelt, weil es für den anderen Teil gleich ist, ob er eine solche Maschine auf besondere Anfertigung oder vom Lager erhält. Der Unterschied zwischen den Vertragsformen des Kaufes und des in unserem Falle gegebenen Werklieferungsvertrags zeigt sich bei der Gewährleistung. Ein Käufer kann nämlich Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur bei Zusicherung oder im Falle der Arglist fordern (S. 188), während beim (Werk- und) Werklieferungsvertrag schon einfaches Verschulden des Unternehmers genügt (§ 635). Andrerseits hat der Besteller des Werk- und Werklieferungsvertrags der Regel nach zunächst bloß das Recht auf Nachbesserung (§ 633 11 S. 1) und erlangt Wandelungs-, Minderungs- oder Schadensersatzansprüche erst durch Ablauf der von ihm zu stellenden Frist (§ 634im).

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Rechtsanwalt — Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit

Da gerade Maschinen regelmäßig unter Zugrundelegung von Formularbedingungen gehandelt werden, kommt es für die praktische Behandlung weniger auf die Natur des Vertragsverhältnisses als vielmehr darauf an, inwieweit die besonderen Bedingungen den gesetzlichen Gewährleistungsansprüchen entgegenstehen. In dieser Beziehung sucht die Rechtsprechung fast immer, dem Erwerber der Maschine zu helfen. Bei N a c h b e s s e r u n g s k l a u s e l n deduziert man z. B.: aus dem Inhalt der Bestimmung ergebe sich, daß sie bloß für solche Mängel gelte, die durch Reparatur bzw. Auswechselung überhaupt behoben werden können; bei Fehlern andrer Art, namentlich grundlegenden Konstruktionsfehlern, würde die Klausel auf eine unmögliche Leistung gerichtet und demgemäß unwirksam (§ 325), zum mindesten durch Fristsetzung nach § 326 zu beseitigen, und alsdann die gesetzlichen Bestellerrechte in vollem Umfang wiederhergestellt sein. R G 87, 335; 96, 266; vgl. auch B G H N J W i960, 667. In den vom Reichsgericht entschiedenen Fällen hatte allerdings die Vorschrift des Formulars bloß besagt, daß „weitergehende Ansprüche des Bestellers ausgeschlossen" seien oder der Lieferant „für Fracht- und sonstige Kosten sowie Schäden nicht hafte". Dagegen schließen die Donathschen Bedingungen Wandelungs-, Minderungs- und Schadenersatzrechte „unbedingt" aus. Wird im Werk- oder Werklieferungsvertrag eine G a r a n t i e f r i s t vereinbart, so stehen dem Besteller wegen aller innerhalb der Garantiefrist hervorgetretenen Mängel Gewährleistungsansprüche zu, die in den Fristen des § 638 verjähren. Beide Fristen laufen unabhängig voneinander. Ist die Garantiefrist länger als die gesetzliche Verjährungsfrist, so liegt in der Vereinbarung der Garantiefrist zugleich die Verlängerung der Verjährungsfrist. Über die Garantiefrist hinaus gilt in analoger Anwendung von § 639 11 die Verjährung als gehemmt, bis der Lieferant dem Besteller gegenüber den Mangel für beseitigt erklärt oder die Fortsetzung der Reparaturarbeiten verweigert. R G 128, 2 1 1 . Wann verjährt die in einem Kaufvertrag als N e b e n p f l i c h t übernommene Verpflichtung, den ordnungsmäßigen Einbau sowie die Nachbesserung etwaiger Fehler auszuführen? Nach R G 144, 162 nicht in 6 Monaten (§ 477), sondern in 30 Jahren (§ 195). Vgl. dagegen für den Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung oben S. 188. Wenn Diebitsch sich darauf berufen will, daß durch die der Unter2eichnung des Scheines vorangegangenen Vereinbarungen seine gesetzlichen Gewährleistungsrechte für den jetzt eingetretenen Fall aufrecht erhalten seien, so steht dem die V e r mutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde entgegen. O b zur Entkräftung der Vermutung der v o m Mandanten behauptete Sachverhalt genügt, halte ich für zweifelhaft. Vielleicht wird das Gericht sagen: Diebitsch habe nach seiner eigenen Darstellung zwar zu Beginn der Verhandlung Bedenken gegen die gedruckten Bedingungen geäußert, schließlich aber vorbehaltlos unterzeichnet, weil er sich durch die beruhigenden Erklärungen des Klägers und durch seinen Hinweis auf die gegenüber dem Gesetz verlängerte Garantiefrist dazu bestimmen ließ, die Lieferungsbedingungen in vollem Umfang zum Vertragsinhalt zu machen. Ist über einen an sich nicht formbedürftigen Vertrag eine Urkunde errichtet, so wird dadurch in erster Reihe die Beweislast beeinflußt: wer etwas von der Urkunde Abweichendes geltend macht, muß seine Behauptung beweisen. Darüber hinaus hat das Vorhandensein der Urkunde auch materiellrechtliche Wirkung. Bekanntlich wird bei jedem wichtigeren Vertragsschluß Zunächst viel hin- und hergeredet, die Parteien bringen alle möglichen Punkte zur Sprache, machen Vorschläge und Gegenvorschläge. Wird dann zum Schluß der Vertrag schriftlich fixiert, so kann man nach den Erfahrungen des Lebens im allgemeinen davon ausgehen, daß sich die Kontrahenten zuletzt auf den Inhalt der Urkunde, und nur auf diesen, geeinigt haben und daß die bei den vorhergegangenen Verhandlungen geäußerten Wünsche, soweit der schriftliche Vertrag ihnen widerspricht oder sie übergeht, fallen gelassen sind. Hierauf beruht die sog. „Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit". Bevor der B e w e i s des anders v e r a b r e d e t e n als b e u r k u n d e t e n V e r t r a g s erhoben werden kann, hat die Partei nach § 292 ZPO die Vermutung durch den Nachweis besonderer Umstände zuwiderlegen, aus denen hervorgeht, daß das mündlich Besprochene trotz Nichtaufnahme in den Vertragstext gelten sollte. Ein solcher besonderer Umstand ist es z. B., wenn bei der Unterzeichnung gesagt wurde: „Unterschreiben Sie ruhig, es bleibt bei dem, was wir mündlich besprochen haben, der schriftliche Vertrag ist bloße Formsache." Oder das Schriftstück nimmt auf die Unterredung Bezug. Oder die Parteien sind darüber einig, daß die Urkunde nur die Hauptpunkte enthält und die mündlich besprochenen Einzelheiten daneben gelten sollen. Oder sie halten die Verbindlichkeit der mündlichen Abmachung für selbstverständlich. R G . 52, 23; 68, 1 5 ; 77, 403; 88, 370; Erman 7 vor § 125 B G B .

Rechtsanwalt — Beratung der Partei

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Günstiger ist die Rechtsstellung der widersprechenden Partei, sofern die mündlichen Erklärungen der Urkunde nicht widersprechen, sondern sie vielmehr erläutern. Der A u s l e g u n g s b e w e i s geht der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit vor. Die Heranziehung mündlicher Äußerungen zum Zwecke der Auslegung setzt jedoch voraus, daß die behauptete Auslegung mit der schriftlichen Fassung noch vereinbar ist. Macht die mündliche Nebenabrede den ganzen Vertrag gemäß § 125 B G B nichtig, falls die Parteien g e w i l l k ü r t e S c h r i f t f o r m vereinbart hatten? R G 130, 145 will aus der Tatsache, daß mündliche Nebenabreden getroffen sind, die Folgerung ziehen, daß die Parteien für das Gebiet der mündlichen Vereinbarung die rechtsgeschäftliche Anordnung der Schriftform ausschließen wollten (§ 125 S. 2 schreibt bloß „im Zweifel" Nichtigkeit vor). Vgl. dazu Ruth J W 32, 37 1 .

Weiterhin war zu prüfen, ob Diebitsch wenigstens befugt ist, den noch unbezahlten Werklohn so lange zurückzuhalten, bis der Kläger die Zentrifuge in brauchbaren Zustand gebracht hat (§§ 320, 322, 633 1 1 S. 1). Sein Zurückbehaltungsrecht wird durch die Nachbesserungsklausel des Bestellscheins nicht ausgeschlossen. Wohl aber hat es Diebitsch dadurch verloren, daß er die Maschine, wie er schreibt, dem Kläger „definitiv" zur Verfügung stellte. Wer sich endgültig vom Vertrage lossagt, ist auf Gewährleistungsansprüche (§§ 634 f.) beschränkt, die Einrede des Zurückbehaltungsrechts soll nur die Durchführung der beiderseitigen Leistungen, also die Erfüllung des Vertrages, sichern. R G 58, 174; 69, 381. Der Rechtsanwalt: Was schlagen Sie vor? Referendar: Ich will das Mandat ablehnen und Diebitsch empfehlen, die Klageforderung sofort zu bezahlen, damit ihm keine überflüssigen Kosten entstehen. Rechtsanwalt: Obwohl ich gegen Ihre Darlegung, rein juristisch genommen, nichts Wesentliches einzuwenden habe, bin ich dennoch mit dem Ergebnis nicht einverstanden. Sie betrachten die Sache, wie Neulinge in der anwaltlichen Tätigkeit es gern tun, unter der gerichtlichen Perspektive. Sie sagen: als objektiver Richter würde ich zur Verurteilung gelangen, folglich ist der Prozeß für Diebitsch aussichtslos. Die Aufgabe des Anwalts verlangt aber eine abweichende Einstellung. Sie werden hier sehen, daß die Dinge vielfach ganz anders laufen, als wir geglaubt haben. Ein guter Teil der Prozesse, zu denen der Anwalt auf Grund gewissenhaftester Prüfung geraten hat, geht verloren, und Sachen, die man als schwach betrachtet hat, werden gewonnen. Und zwar nicht bloß, weil Zeugen überraschende Bekundungen machen, weil der Mandant uns Teile des Tatbestandes — ungünstige und günstige — bei der Information vorenthalten hat, die er für unerheblich hielt, oder weil neue rechtliche Gesichtspunkte auftauchten: sondern oft genug auch, weil das Gericht die Tat- und Rechtsfragen nicht so würdigt, wie wir es erwarteten. Stünde die Anwaltschaft allgemein auf Ihrem Standpunkt, nur vermeintlich „sichere" Sachen zu übernehmen und alles abzulehnen, was der sogenannten „ständigen Rechtsprechung" zuwiderläuft, so wären die Entscheidungen, auf denen die Weiterentwicklung des Rechts beruht, niemals ergangen. Vielleicht behalten Sie mit Ihrer Prognose des Rechtsstreits Donath gegen Diebitsch recht. Man kann aber die Rechtsfragen, auf die es ankommt — ob die Ausschließung des Wandelungsrechts sich überhaupt auf Konstruktionsfehler bezieht, ob der Beweis des anders verabredeten als beurkundeten Vertrages schlüssig angetreten ist, und ob der Besteller durch endgültige Zurverfügungstellung seines Zurückbehaltungsrechts auch dann verlustig geht, wenn er in concreto keine Gewährleistungsansprüche hat — sehr wohl zu Gunsten unseres Mandanten entscheiden. Ein formalistischer Richter wird sich an den Wortlaut der Nachbesserungsklausel halten und verurteilen, ein Gericht mit starkem Billigkeitsgefühl, das dem kleinen Manne helfen will, die Einwendungen zulassen. Der Prozeß ist für Diebitsch nicht aussichtslos, sondern er ist zweifelhaft.

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Rechtsanwalt — Klagebeantwortung

Referendar: In welcher Form soll ihm das mitgeteilt werden ? Rechtsanwalt: Bei der Beratung und Belehrung unserer Klienten müssen wir die unter ihnen bestehenden großen Verschiedenheiten beachten. Ein Geschäftsmann, der mit dem Gericht öfter zu tun hat und sich nicht viel daraus macht, einmal eine Sache 2u verHeren, verlangt eine andere Behandlung als ein Rentner oder eine ängstliche alte Dame, für die selbst ein gewonnener Prozeß wegen der mit seiner Führung verbundenen Aufregungen schädlich wirkt. Bankiers und Großkaufleute möchten über alle Feinheiten der Rechtslage aufgeklärt sein, unerfahrene Parteien würden längere juristische Darlegungen nur verwirren. Diebitsch weiß, daß der Nachbar auf Grund einer Nachbesserungsklausel seinen Prozeß verloren hat, will aber die Sache trotzdem durchführen, weil er hofft, daß Donaths mündliche Erklärungen der Klausel vorgehen. Ich reiche also die Klagebeantwortung alsbald ein, mache aber den Mandanten kurz auf die Gefahrenpunkte aufmerksam, damit er Veranlassung nehmen kann, seinen Entschluß zu ändern. In der K l a g e b e a n t w o r t u n g beantragt der Anwalt: „die Klage abzuweisen, hilfsweise: den Beklagten zur Zahlung nur Zug um Zug gegen Instandsetzung der dem Beklagten vom Kläger gelieferten Milchzentrifuge mit Tellereinsatz, Modell ,Alm', zu verurteilen, im Falle einer ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Verurteilung: dem Beklagten die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung vorzubehalten. Begründung. 1. Die Zentrifuge ist vollkommen unbrauchbar. Manchmal kommt die Milch genau so heraus, wie sie hineingegossen worden ist, dann wieder treten Verstopfungen und andere Störungen ein. Der Beklagte hat deshalb schon 4 Tage nach Empfang den Apparat dem Kläger zur Verfügung gestellt. Darauf wurde er aufgefordert, die Maschine Zur Untersuchung und Reparatur in die Fabrik zu bringen. Das tat er und ließ dabei durch seinen Schaffer Vogt bestellen, daß er die Abnahme endgültig verweigere, falls die Zentrifuge nicht in einer Woche tadellos hergestellt werde. Nach 6 Tagen erhielt er sie zurück, und sie funktionierte etwa 10 Tage lang in leidlicher Weise. Dann setzten wieder die alten Störungen ein. Durchschnittlich bei jedem dritten oder vierten Male arbeitet die Zentrifuge nicht glatt. Beweis: 1. die Ehefrau des Beklagten, 2. Schaffer Vogt, 3. Angestellte Fengler, sämtlich beim Beklagten in Hürth. Die Mängel beruhen darauf, daß die Zentrifuge falsch konstruiert ist und die Bohrungen zu eng sind. Beweis: Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen. Als solcher wird Molkereidirektor Dankwirth in Hermülheim vorgeschlagen. Am 9. Oktober 1961 hat deshalb der Beklagte, wie der Kläger nicht bestreiten wird, die Maschine dem Kläger endgültig zur Verfügung gestellt. 2. Nach § 6341 S. 3 BGB ist der Beklagte zur Wandelung des geschlossenen Vertrages berechtigt. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß die auf dem Bestellschein abgedruckten allgemeinen Lieferungsbedingungen die Wandelung ausschließen und dem Besteller nur das Recht kostenloser Instandsetzung gewähren. Aus Inhalt und Zweck der Garantieklausel folgt, daß ihre Geltung sich auf solche Mängel beschränkt, deren Beseitigung durch Nachbesserung überhaupt möglich ist. Den Besteller auf Nachbesserung zu verweisen, wenn sie, wie im vorliegenden Falle, technisch unausführbar ist, wäre im höchsten Grade unbillig. Die Klausel wäre dann auf eine unmögliche Leistung gerichtet und der Vertrag nach § 325 BGB zu behandeln. Außerdem hat der Beklagte dem Kläger gemäß § 326 BGB eine Nachfrist zur ordnungsmäßigen Instandsetzung gestellt, die nicht eingehalten worden ist. Es kommt dazu,

Rechtsanwalt — Verlust des Wandelungsrechts durch Benutzung

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daß nach feststehender Rechtsprechung formulatmäßige Verträge im Zweifelsfall zum Nachteil der Partei auszulegen sind, welche sie einseitig aufgestellt hat. Überdies hat der Kläger, als der Beklagte Bedenken trug, einen Bestellschein mit so weitgehenden Einschränkungen Zu unterzeichnen, erklärt: der Beklagte könne unbesorgt unterschreiben, der Kläger wolle sich durch die Lieferungsbedingungen nur davor schützen, von der Kundschaft wegen Kleinigkeiten schikaniert zu werden; falls dagegen die Maschine einen ernstlichen Mangel habe, nehme er sie natürlich trotz des Bestellscheins anstandslos zurück. Beweis: Parteivernehmung des Klägers; die Benennung von Zeugen bleibt vorbehalten. Es ist also auch aus diesem Grunde klar, daß bei den hier gegebenen erheblichen Konstruktionsfehlern dem Besteller alle gesetzlichen Befugnisse zustehen müssen. R G 87, 352; 92, 55; 96, 266. Die beiden rechtlichen Gesichtspunkte der restriktiven Auslegung von Nachbesserungsklauseln entsprechend ihrem Zweck sowie der Auslegung zweifelhafter schriftlicher Abmachungen auf Grund mündlicher Erklärungen sind im Schriftsatz mit Absicht nicht auseinander gehalten, weil sie sich gegenseitig stützen. Daß der Anwalt die Rechtsfragen nicht als zweifelhaft hinstellt, versteht sich von selbst. Wer Bedenken gegen die eigene Ansicht äußert, wird niemals das Gericht überzeugen. „3. Zum mindesten steht dem Beklagten bis zur vollständigen Instandsetzung der Zentrifuge ein Zurückbehaltungsrecht aus §§ 320, 322, 633 11 S. 1 BGB zu. Ergänzungen dieses Schriftsatzes werden vorbehalten. Der Beklagte war infolge eines Unfalls verhindert, persönlich zum Anwalt zu kommen und hat deshalb die Information bloß auf brieflichem Wege erteilen können. Für den Beklagten: Voß Rechtsanwalt." Die V e r f ü g u n g zur Klagebeantwortung lautet: „Eilt! 1. Gebührenregister Nr. 470.61. 2. Telefonische Nachricht Herrn Rechtsanwalt Schwang daß ich den Beklagten vertrete. 3. Termin notieren. 4. Abschrift des Schriftsatzes dem Landgericht. j. Beglaubigte und einfache Abschrift Herrn RA. Schwärz zustellen. 6. An Mandanten: In Sachen Donath gegen Sie bestätige ich Eingang und Übernahme des Mandats. Ich habe eine Klagebeantwortung gefertigt, von der ich Abschrift beifuge. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es trotz der zu 2 angeführten Tatsachen ungewiß bleibt, ob das Gericht gegenüber der Garantieklausel des Bestellscheins auf die mündlichen Erklärungen eingehen wird. In jedem Falle müssen Sie alle von Ihnen aufgestellten Behauptungen voll beweisen. Sie wollen mir umgehend schreiben, ob und welche Personen bei der Bestellung zugegen waren, damit ich sie im Termin als Zeugen benennen kann. Sonst würde als Beweismittel nur die Parteivernehmung des Klägers übrig bleiben. Wenn Sie es mit den Bedürfnissen Ihres Betriebes irgendwie vereinbaren können, rate ich Ihnen dringend, bis zur Entscheidung der Sache die Zentrifuge in keiner Weise zu benutzen, damit Sie nicht Ihr Recht auf Rücknahme (Wandelung) verlieren. Ferner bitte ich Sie, das anliegende Vollmachtsformular zu unterzeichnen und einzusenden, sowie mir einen Gebühren- und Auslagenvorschuß von 90,— DM zu überweisen. 7. Am 24. Oktober (Vollmacht, Information, Vorschuß)." Die telefonische Mitteilung an R A Schwarz soll verhindern, daß der Anwalt der Klägerin Versäumnisurteil nimmt, falls sich die Zustellung des Schriftsatzes an ihn aus irgendwelchen Gründen verzögert. V o n den beiden zuzustellenden Schriftsatzexemplaren ist die einfache zur Weitergabe an die Partei des R A Schwarz bestimmt. Die Warnung, die Zentrifuge bis auf weiteres möglichst nicht zu benutzen, hat ihren guten Grund. Zwar läßt das B G B den Verlust des Wandelungsrechts nur durch

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Rechtsanwalt — Parteivernehmung

eine vom Käufer (oder seinem Abkäufer) herbeigeführte Verarbeitung oder wesentliche Veränderung eintreten (S. 187). Die dauernde Benutzung der fehlerhaften Sache nach Erklärung der Wandlung kann aber als Verzicht auf die Wandlung angesehen werden oder nach Treu und Glauben mit dem Wandlungsbegehren unvereinbar sein. Vgl. B G H N J W 1958, 1773; i960, 2331. Daher können rechtsunkundige Käufer durch eine nicht unbedingt notwendige Fortsetzung des Gebrauchs im Laufe des Prozesses leicht um ihr Wandelungsrecht kommen. Eine schriftliche Vollmacht läßt sich der Anwalt grundsätzlich in allen Sachen geben, auch wenn er sie — wie in gewöhnlichen Landgerichtsprozessen — zunächst nicht braucht. Sie kann jederzeit zufolge Rüge des Gegners, für Zwangsvollstreckung, Arrest und einstweilige Verfügung erforderlich werden. Vgl. S. 53, 156, 162, 2 i 2 f . Außerdem schützt der Besitz der Vollmacht den Anwalt vor dem Einwand, daß die Partei ihn nicht mit Führung der Sache betraut habe. Recht des Anwalts auf Vorschuß: s. § 1 7 BundesgebührenO für Rechtsanwälte vom 26. Juli 1957 (BGBl I 907). In streitigen Prozessen werden in der Regel zwei Gebühren (Prozeß- und Verhandlungsgebühr) zuzüglich Umsatzsteuer und voraussichtlichen Portoauslagen, nach oben abgerundet, erhoben. Vgl. S. 6 3 ff. — Der Referendar: Fällt die Beweislast, nachdem die ZPO den Parteieid abgeschafft und durch die Parteivernehmung ersetzt hat, noch so sehr ins Gewicht, daß es notwendig war, den Auftraggeber besonders auf sie hinzuweisen ? Der Rechtsanwalt: In erster Reihe habe ich an Wirkungen der Beweislast gedacht, die mit Parteieid oder Parteivernehmung nichts zu tun haben (oben S. 35 f.) und die in unserer Sache sehr leicht praktisch werden können. Nehmen Sie z. B. an, daß mehrere Sachverständige gehört werden, von denen der eine die Zentrifuge für irreparabel erklärt, während der zweite meint, sie könne auf ziemlich einfache Weise in brauchbaren Zustand versetzt werden. Oder ein Sachverständiger ist überzeugt, daß die Mängel der Maschine bereits zur Zeit des Gefahrübergangs vorhanden waren (vgl. dazu unten S. 1077 der andere hält sie für Folgen unsachgemäßer Behandlung im Betriebe des Klägers. Dann würde Diebitsch, wenn kein stichhaltiger Grund vorliegt, dem einen Gutachten den Vorzug vor dem anderen zu geben, den Prozeß lediglich deshalb verlieren, weil er die Beweislast trägt. — Wegen der Äußerungen beim Vertragsschluß wird es wohl zur Parteivernehmung kommen, denn es sieht nicht so aus, als ob der Kläger die Behauptungen unseres Mandanten zugeben würde, und Diebitsch hat in seiner Information keine Zeugen benannt, die zugegen gewesen sind. Auch die Parteivernehmung ist keineswegs ganz von der Beweislastverteilung losgelöst. Das Gesetz unterscheidet zwei Fälle, von denen der eine dem zugeschobenen, der andere dem richterlichen Eide des früheren Verfahrens entspricht. Der erste (§445 ZPO) setzt den Antrag einer Partei voraus, welche „den ihr obliegenden Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht" hat. Darin liegt die Notwendigkeit, daß gerade die beweispflichtige Partei die Vernehmung des Gegners beantragt und gleichzeitig die Subsidiarität des Beweismittels (vgl.S. 32f). In der Vorschrift des § 447, nach welcher das Gericht auch die beweispflichtige Partei vernehmen kann, „wenn eine Partei es beantragt und die andere damit einverstanden ist", erkennen wir unschwer die einstige Zurückschiebung des Eides wieder. Die zweite Art der Parteivernehmung beruht auf dem Gedanken der Offizialmaxime, sie findet „auch ohne Antrag einer Partei und ohne Rücksicht auf die Beweislast" statt, falls das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen (§ 448). Ebenso wie einst beim richterlichen Eide muß also für die streitige Behauptung schon eine ge-

Rechtsanwalt — Kreditkauf

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wisse Wahrscheinlichkeit, jedoch noch kein voller Beweis erbracht sein (vgl. S. 32). Die Auswahl der nach § 448 zu vernehmenden Partei wird unter dem gleichen Gesichtspunkt zu erfolgen haben, der früher für Auferlegung eines richterlichen Eides maßgebend war, daß es nämlich die Partei sein muß, durch deren Bekundung bzw. Eid das Gericht am ehesten die Überzeugung vom wahren Sachverhalt gewinnen kann: also wer an sich glaubwürdiger ist, oder wessen Angaben sich im Prozeß als zuverlässiger erwiesen haben. Entsteht die Frage, ob eine vernommene Partei (welche zunächst uneidlich auszusagen hat) beeidigt werden soll, so wird hierüber — sowohl im Falle des § 445 wie des § 448 — immer von Amts wegen, ohne Rücksicht auf gestellte Anträge und auf die Beweislast, entschieden (§ 452), ähnlich wie bei der Beeidigung von Zeugen nach § 391. Verschlechterung der Vermögenslage des Käufers Prokurist Pommer von der Textil-Großhandlung M. Hering & Co.: Unser Reisender Timm hat im September an das Kaufhaus Manthey Nachfolger Eugen Wallroth in Düren Ware für 655 D M verkauft, zahlbar 6 Wochen nach Datum der Rechnung. Der erste Teil des Schlusses im Betrage von 410 DM, den wir auf Lager hatten, wurde am 27. September geliefert. Die übrigen Artikel mußten neu hergestellt oder zugerichtet werden, sind aber jetzt versandbereit. Nachträglich habe ich noch eine Spezialauskunft*) über Wallroth eingeholt, weil es unser erstes Geschäft mit ihm war. Die Auskunft ist heute vor einer Woche, am 14. Oktober eingegangen und leider sehr ungünstig ausgefallen: „Der Angefragte hat sein Geschäft von dem Vorbesitzer Manthey ohne erhebliche eigene Mittel erworben und die Anzahlung auf den Kaufpreis aus dem Vermögen seiner Ehefrau geleistet. A n der Laden- und Kontoreinrichtung soll ein Eigentumsvorbehalt des Verkäufers Manthey bestehen, dessen Restkaufgeldforderung auf 8 bis 10000 D M geschätzt wird. Wallroth ist ein tüchtiger Fachmann und hat den Umsatz des Geschäfts, das als das erste am Platze gilt, sehr gesteigert. Neuerdings soll er durch Glücksspiel und Börsenspekulationen mehrere Tausend Mark verloren haben. E r hat Differenzen mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse sowie mit verschiedenen Lieferanten und ist häufig auf dem Gericht zu sehen. Bei Krediten über 100 D M ist Sicherheit anzuraten."

Herr Hering fürchtet nun, sein Geld zu verlieren. Nach seiner Meinung ist durch die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Käufers der ganze Kaufpreis sofort fällig geworden. Er will wegen der 410 D M einen Arrest ausbringen und die Restlieferung von 245 D M nur unter Nachnahme schicken. Am liebsten möchte er die gelieferten Waren zurückholen. Der Rechtsanwalt: Haben Sie sich an den gelieferten Waren das Eigentum vorbehalten? Glauben Sie, daß der Käufer auf einen nachträglichen Eigentums vorbehält eingehen würde? Pommer: In unseren Lieferungsbedingungen steht der erweiterte Eigentumsvorbehalt vorgedruckt. Wallroth hat ihn jedoch in der Kommissionskopie (S. 128) durchstrichen mit der Begründung, daß er sich bei seinen bisherigen Lieferanten auf nichts derartiges eingelassen habe. Da Timm viel daran lag, mit Wallroth ins Geschäft zu kommen, hat er sich dabei beruhigt. V e r l ä n g e r t e r E i g e n t u m s v o r b e h a l t : Der Verkäufer behält sich nicht bloß das Eigentum an der gelieferten Ware vor, sondern bedingt sich auch aus, daß im Falle des Verkaufs dieser Ware *) Die Auskunfteien haben über die meisten Firmen in ihren „Archiven" Angaben liegen, auf Grund deren bei Anfrage Auskunft erteilt wird: sog. „Archivauskunft". Die „Spezialauskunft" wird auf Grund besonderer Erkundigungen durch die Vertrauensleute der Auskunftei gegen erhöhte Gebühren gegeben. 68

L u x , Schulung, 5. Aufl. (Berg)

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Rechtsanwalt — § 321 B G B

an Dritte (wozu der Käufer berechtigt ist) die Kaufpreisforderung ipso jure auf den Erstverkäufer übergeht bzw. im voraus auf ihn übertragen wird. Vgl. S. 1 5 ^ 405, 432 Sind die verkauften Sachen zur Verarbeitung bestimmt, so lautet die entsprechende Vereinbarung dahin, daß der Verkäufer „in allen Stadien der Verarbeitung" das Eigentum behält, d. h. der spezifizierende Käufer soll (in Abänderung des § 950 B G B ) nicht für sich, sondern für den Verkäufer Eigentumsrechte erwerben. Im einzelnen vgl. zu dieser umstrittenen Frage Staudinger-Berg Anm. 15 zu § 950 und B G H 2 0 , 1 5 9 f f . sowie O L G Frankfurt M D R 1959, 578. N a c h t r ä g l i c h e r E i g e n t u m s v o r b e h a l t : Sind Waren ohne Eigentumsvorbehalt geliefert und dadurch bereits ins Eigentum des Käufers übergegangen, so kann es der Verkäufer zurückerlangen, indem er mit dem Käufer nachträglich den Eigentumsvorbehalt vereinbart. Das Besitzmittlungsverhältnis im Sinne des § 868 B G B wird durch eine dem § 455 entsprechende Inhaltsänderung des nicht erloschenen Kaufvertrags begründet. Vgl. Schlegelberger-Hefermehl, Anhang zu § 368 H G B Anm. 3. Auf Grund des (ursprünglichen oder nachträglichen) Eigentumsvorbehalts kann der Verkäufer intervenieren bzw. aussondern. Nimmt er im Einverständnis mit dem Käufer die Kaufsache in seine Verwahrung, so braucht darin nicht notwendig ein Rücktritt vom Vertrage zu liegen. Denn § 5 AbzahlG (oben S. 16) gilt bloß beim echten Abzahlungsgeschäft, also beim Verkauf mit ratenweiser Tilgung der Kaufpreisschuld, nicht bei jedem Verkauf unter Eigentumsvorbehalt.

Der Rechtsanwalt: Sie gehen davon aus, daß Wallroths Vermögenslage sich seit dem Verkauf verschlechtert habe. Indessen könnte es auch sein, daß die in der Auskunft geschilderten Verhältnisse bereits zur Zeit des Abschlusses bestanden. Dann würde es sich nicht um nachträglichen Vermögensverfall handeln, sondern Sie hätten sich über die Kreditwürdigkeit Ihres Gegenkontrahenten im Irrtum befunden. Ein solcher Irrtum berechtigt zur Anfechtung (§ 1 1 9 1 1 BGB), die freilich „unverzüglich" nach Entdeckung des Irrtums, d. i. ohne schuidhaftes Zögern (§ 1 2 1 1 S. 1) ausgesprochen werden muß. Die erste Frage würde also sein, ob Sie nicht seit Einholung der Auskunft die Ihnen zuzubilligende Überlegungsfrist schon überschritten haben. Nun zu den Wirkungen der Anfechtung. Es kommt keine isolierte Anfechtung des dem Käufer eingeräumten Zahlungsziels in Frage. Wir können nicht beweisen, daß Wallroth die Waren auch gegen sofortige Kasse gekauft hätte. Folglich beseitigt die Anfechtung, wenn sie überhaupt begründet ist, den ganzen Kaufvertrag (§ 139), und Wallroth schuldet Ihnen nicht den vertraglichen Kaufpreis, vielmehr gehen Ihre Ansprüche auf sofortige Herausgabe der gelieferten Waren und Ersatz des Wertes der fehlenden nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812, 818 1 1 ). Sollte sich nachweisen lassen, daß Wallroth sich einer arglistigen Täuschung Ihres Reisenden Timm schuldig gemacht hat, so beträgt die Anfechtungsfrist ein volles Jahr (§§ 123, 124), und Wallroth haftet Ihnen aus seiner unerlaubten Handlung (§§ 823, 826) auf das volle Interesse, nicht bloß auf die Bereicherung. Ob aber die Anfechtung des obligatorischen Kaufvertrages zugleich den Übergang des Eigentums an den bereits gelieferten Waren auf Wallroth rückgängig macht, ist — sowohl bei Irrtums- wie bei Arglistanfechtung — zweifelhaft. Vgl. dazu oben S. 404^ Resultat der Anfechtung: Sie haben Forderungen, die zwar sofort fällig, der Höhe nach jedoch weit schwerer zu begründen sind, als wenn Sie beim Vertrage stehen bleiben, und dabei steht nicht einmal fest, daß die gelieferten Waren in Ihr Eigentum zurückfallen und Sie in einem etwa ausbrechenden Konkurse gesichert sind. — Gehen wir jetzt von der zweiten Möglichkeit aus, daß Wallroth bei Abschluß des Geschäfts noch gut war. Die nachträgliche Verschlechterung der Vermögenslage des Gegenkontrahenten bei einem Kreditgeschäft regelt § 321 dahin, daß der andere Teil seine Leistung verweigern darf, bis die ihm zukommende Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie gestellt wird. Soweit Sie bereits erfüllt haben, also in Höhe der 410 DM, nützt Ihnen das Leistungsweigerungsrecht nichts. Wegen der 245 D M schützt es Sie vor der Gefahr, selbst ohne ausreichende Sicherheit leisten zu müssen, wenn Wallroth

Rechtsanwalt — Vermögensverschlechterung als Arrestgrund ?

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die ausstehenden Waren fordert. O b und wie Sie aber gegen ihn mit Hilfe des § 3 2 1 auf Zahlung der 245 D M oder auf Abnahme der Restlieferung gegen Zahlung bzw. Sicherstellung klagen oder ihn in Verzug setzen und zu einem Schadensersatzanspruch gemäß § 326 gelangen können, ist eine umstrittene Frage. Das Recht, die Restlieferung mit einer Nachnahme zu belegen, haben Sie keinesfalls. Denn bei der N a c h n a h m e muß der Empfänger die Sendung einlösen, ohne ihre Beschaffenheit geprüft zu haben. Wenn dagegen Lieferung und Zahlung Zug um Zug vorzunehmen sind (§§ 320, 322), so braucht der Käufer erst zu zahlen, nachdem ihm Gelegenheit zur Untersuchung geboten war. In Fällen der zweiten Art pflegt der Verkäufer einen am Wohnort des Käufers ansässigen Spediteur einzuschalten, der die Anweisung erhält, dem Käufer die Ware anzudienen, Besichtigung und.Probeziehung zu gestatten, die Aushändigung jedoch von der Bezahlung des Kaufpreises abhängig zu machen. Z u r T r a g w e i t e des § 3 2 1 : Nach dem Wortlaut des § 321 hat der an sich vorleistungspflichtige Verkäufer bloß ein L e i s t u n g s v e r w e i g e r u n g s r e c h t , während im übrigen der Inhalt des Schuldverhältnisses unverändert bleibt. Der Vorleistungspflichtige erhält also keinen Anspruch gegen den anderen Teil auf Zug- um Zug- oder Sicherheitsleistung. Damit tritt — wie Erman-Groepper, Anm. 3b zu § 321 mit Recht betont — ein mißlicher Schwebezustand ein, während dessen ungewiß bleibt, ob sich der andere Teil zur Leistung Zug-um-Zug oder zur Sicherheitsleistung verstehen wird, der Vorleistungspflichtige aber an den Vertrag gebunden und zur Erfüllungsbereitschaft verpflichtet bleibt (RG 53, 65). Eine Beseitigung dieses Schwebezustandes soll mit Hilfe des § 326 nicht zu erreichen sein, da der andere Teil mangels einer Verpflichtung zur Zug-um-Zug-Leistung nicht im Verzug sei. Doch wird dem Vorleistungspflichtigen heute überwiegend ein Rücktrittsrecht nach § 242 zuerkannt, wenn der Gegner bis oder nach Fälligkeit seiner Vorleistung die Erfüllung Zug um Zug oder Sicherheitsleistung verweigert, vgl. B G H 1 1 , 85. Verweigert der andere Teil endgültig die Gegenleistung, so wird dem Vorleistungspflichtigen ein Recht zum Rücktritt oder Schadenersatz unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung zuerkannt. Erman-Groepper aaO. V e r m ö g e n s v e r s c h l e c h t e r u n g im W e c h s e l r e c h t : Hätte Wallroth der Firma Hering sein Akzept gegeben, so würden alle Schwierigkeiten behoben sein. Dem Inhaber des Papiers steht nämlich schon vor Verfall der (früher sogenannte) „Sicherheitsregreß" zu, sofern über das Vermögen des Bezogenen — gleichviel ob er den Wechsel angenommen hat oder nicht — Konkurs oder Vergleichsverfahren eröffnet wird, oder er seine Zahlungen einstellt, oder eine fruchtlose Zwangsvollstreckung gegen ihn vorgenommen wird. Der Regreß geht auf sofortige Zahlung der Wechselsumme mit Nebenforderungen, jedoch unter Abzug des Zwischenzinses bis zum eigentlichen Fälligkeitstermin. Art. 43« Ziff. 2, 481 Ziff. 1 , Abs. II WechsG. Pommer: U n d der Arrest? Rechtsanwalt: Daß die Fälligkeit Ihrer Forderung noch aussteht, würde für den Arrest nicht stören (arg. § 9 1 6 1 1 Z P O ) . Fraglich ist dagegen, ob der Arrestgrund für ausreichend befunden werden oder das Gericht wenigstens eine Sicherheitsleistung von Ihrer Seite als Surrogat für volle Glaubhaftmachung annehmen wird (vgl. S. 5 5 f.). Sie wollen mir entgegenhalten: wenn Wallroths übrige Gläubiger der Firma Hering mit Pfändung zuvorkommen, gehen wir leer aus, folglich liegt die Gefahr vor, daß die Vollstreckung meines Anspruchs ohne Erlaß des Arrestes vereitelt wird. Die in § 9 1 7 1 vorausgesetzte Gefahr der Vollstreckungsvereitelung muß aber in einer V e r ringerung der zugriffsfähigen Aktiva bestehen, während die drohende Konkurrenz anderer Gläubiger nicht als Arrestgrund anerkannt wird ( R G 67, 26). Für eine A b sicht Wallroths, Bestandteile seines Vermögens zu verschieben, ergibt die Auskunft nichts. U n d dann noch eins: wird der Arrest — mit oder ohne Sicherheit — angeordnet und erweist er sich später als ungerechtfertigt, so ist Ihre Firma Wallroth für den entstandenen Schaden ersatzpflichtig (S. 6zf.). Pommer: Sind wenigstens die Pfändungen anderer Gläubiger, die uns zuvorkommen, anfechtbar ? Rechtsanwalt: N u r wenn Konkurs oder Vergleichsverfahren eröffnet ist und nur zu Gunsten der gemeinsamen Masse. 68*

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Rechtsanwalt — Klage auf künftige Leistung

Vgl. S. 34Öf, 361 f. Für das Vergleichsverfahren sind §§ 28, 87, 104 VerglO maßgebend. A n f e c h t u n g v o n P f ä n d u n g e n a u ß e r h a l b des K o n k u r s e s : Außerhalb von Konkurs und Vergleichsverfahren gibt es keine par conditio creditorum (S. 352f). Mithin kann der Umstanddaß einzelne Gläubiger durch Vollstreckungsmaßregeln gesichert und vor den übrigen bevorzugt sind, hier keinen Arrestgrund bilden. Zudem beschränkt § 1 A n f G die Anfechtbarkeit auf Rechtshandlungen „eines Schuldners", während § 29 K O der Anfechtung schlechthin Rechtshandlungen unterwirft, die „vorgenommen sind", auch wenn der Schuldner nicht aktiv handelndes Subjekt war. Daraus folgt: Pfändungen sowie sonstige Maßnahmen der Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung sind außerhalb des Konkurses nur anfechtbar, wenn sie gewissermaßen als Rechtshandlungen „des Schuldners" erscheinen, weil sie durch Kollusion des Schuldners mit dem pfändenden Gläubiger zustande gebracht wurden. Beispiel: Die Forderung, wegen der vollstreckt wurde, war im Einverständnis mit dem Schuldner fingiert; der Schuldner hat dem Gläubiger den Wink gegeben, Zahlungsbefehl gegen ihn zu beantragen, gegen den er keinen Widerspruch erhoben hat, während die Klagen anderer Gläubiger von ihm durch unbegründete Einwendungen hingehalten wurden; er hat den Gläubiger selbst auf geeignete Vollstreckungsobjekte aufmerksam gemacht. R G 47, 223; 69, 163.

Pommer: Was raten Sie mir zu tun? Rechtsanwalt: Schicken Sie Timm nach Düren und lassen Sie ihn in erster Reihe feststellen, ob ein wirklicher Arrestgrund vorliegt und glaubhaft gemacht werden kann. Glaubt Timm etwas Positives ausfindig gemacht zu haben, so soll er mich anrufen. In zweiter Reihe soll Timm versuchen, Wallroth zur Unterzeichnung eines nachträglichen Eigentumsvorbehalts zu bestimmen, wobei wir uns allerdings klar darüber sein wollen, daß die Rückübereignung der gelieferten Waren unter Umständen anfechtbar ist, falls es in nächster Zeit zum Konkurse kommt (S. 361). Kann Ihre Forderung weder durch Arrest noch durch nachträglichen Eigentumsvorbehalt gesichert werden, so stehen zwei Wege offen: Entweder wir erheben beim hiesigen Amtsgericht, das nach Ihren Lieferungsbedingungen als Gerichtsstand des Erfüllungsortes zuständig ist, sofort Klage auf Zahlung der 410 DM zum 8. November mit der Begründung, daß angesichts des Vermögensverfalls des Beklagten die Gefahr vorliegt, er werde sich der rechtzeitigen Erfüllung seiner Zahlungspflicht entziehen (§259 ZPO). Der Termin wird noch vor dem 8. November angesetzt werden. Sie haben dann am Fälligkeitstag einen Schuldtitel in der Hand und können vollstrecken; das Risiko ist bloß, daß Wallroth anerkennt und beantragt, Ihnen die Prozeßkosten aufzulegen, weil ein Anlaß zur Klage auf künftige Leistung nicht bestanden, und weil er die Schuld nach Fälligkeit sofort anerkannt habe (§93). Oder aber — und das würde ich tun, falls man nach Timms Erkundigungen die Situation so beurteilen muß, daß Wallroth tatsächlich zahlungsunfähig ist — es wird beim Amtsgericht Düren Konkurs beantragt, damit Ihnen wenigstens kein Dritter mit Pfändung zuvorkommt, und damit die vorhandene Masse unter sämtliche vorhandene Gläubiger gleichmäßig aufgeteilt wird. Zum Konkursantrag sind Sie schon vor Eintritt der Fälligkeit berechtigt (S. 334). Haben Sie Glück, so zahlt Wallroth Ihre Forderung voll aus, um die Eröffnung des Konkurses abzuwenden (S. 3 5 8). Den Konkursantrag sowie den Entwurf der Erklärung über den nachträglichen Eigentumsvorbehalt werde ich aufsetzen und Timm mitgeben. Wegen der Restlieferung von 245 DM warten Sie vorläufig ab. Rechte des Käufers bei Ankunft schwimmenden Gutes mit Mängeln. Beweissicherung. Streitverkündung I n f o r m a t i o n . Am 24. Oktober 1961 schreibt die Öl- und Fettwarenhandlung Leopold Möller-Köln dem Anwalt: „Wir kauften am 6. d. M. von Härder & Co. in Hamburg einen Posten von 100 Faß zu 250 kg prima norwegischen Fischtran in guten haltbaren Fässern zum Preise von 58 D M je 100 kg,

Rechtsanwalt — Ankunft mangelhafter Ware

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Kasse gegen Dokumente. Wir haben den Kaufpreis von 14540 D M am 10. Oktober an Härder & Co. gezahlt und das Konnossement"

korrekt: den „Ladeschein" (§§ 444f. H G B , 26,72 BSchG), nur im Seerecht heißt das Papier „Konnossement" (§ 642 HGB), „sowie die Transportversicherungspolice der .Friesischen Transportversicherungs A G ' in Lübeck über 14500 D M , beide mit Blankoindossament versehen, ausgehändigt erhalten. Die Ware ist am 20. Oktober mit Kahn, Brigitte' der .Pommerania', Flußschiffahrts-Reederei GmbH, in Hamburg, Schiffer Kröger, in Köln Stadthafen eingetroffen."

„Schiffer" ist der Schiffsführer (Kapitän, magister navis), während der Eigentümer des Schiffes als solcher (exercitor navis) „Schiffseigner", im Seerecht „Reeder" genannt wird. Der Schiffer hat gesetzliche Vollmacht, bestimmte Rechtsgeschäfte namens des Eigentümers vorzunehmen, und öffentlich-rechtliche Obliegenheiten, u. a. zur Führung des Schiffstagebuchs und zur Herbeiführung einer „Verklarung" nach Unfällen. §§ -j£. GSchG, 511 f. HGB. „ D a sich bald herausstellte, daß die Fässer großenteils schadhaft und ausgelaufen, der Tran verschmutzt, zersetzt und verdorben war, so haben wir die Sendung nicht abgenommen, vielmehr zur Wahrung unserer Rechte die Ware durch die vereidigten Sachverständigen Bongartz und Born besichtigen lassen."

— es handelt sich um eine Begutachtung ohne förmliches Verfahren, zu welcher kein Zwang bestand, weil Möller, bisher wenigstens, nicht abgenommen hat. Dagegen ist — im Land- wie im Binnenschiffahrtsrecht— die Feststellung durch „amtlich bestellte'' Sachverständige (einer genügt!) zur Erhaltung der Rechte gegen den Frachtführer notwendig, falls der Adressat das Gut annehmen will. Die Besichtigung muß a) bei sofort erkennbaren Mängeln vor der Annahme erfolgen, b) bei heimlichen Mängeln sofort nach der Entdeckung und binnen einer Woche seit Annahme beantragt werden. Man kann entweder das Beweissicherungsverfahren (unten S. 1081, 1084) oder das Verfahren nach § 164 R F G G wählen, sich aber auch außergerichtlich an den Sachverständigen wenden. Ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachweisbar, so haftet der Frachtführer ohne Beobachtung dieser Formalien. §§438 H G B , 61 BSchG — „und den Schadensfall telegraphisch und brieflich der Reederei, der Verkäuferin Härder »{., 372 — Grundbuch s. dort — gegen Offenbarungseid s. dort •— gegen Scheidungsbegehren 175, 177 f. — Teilungsplan 297, 298, 318, 519 — gegen Verteilung durch Gerichtsvollzieher 224, 261 — Arrestbefehl 56 fr. Widerspruchsklage 262, 275 — des Erstehers 321 — des Nacherben 476 f. Widerstand, gegen Staatsgewalt 842, 888 Wiederaufnahme, Strafbefehl- und -verfugung 859 — Strafsachen 961—971 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand — Armenrecht 78, 190 — F G G : 610 Strafsachen 867, 868 Wiederkehrende Leistung, Zwangsversteigerung 273, 277, 3 1 4 — Zwangs Verwaltung 323, 328 Wiederkehrschuldverhältnis und Konkurs 397 Wilderei 850, 851 Willenserklärung 6 •— Verurteilung zur Abgabe 306 — Vollstreckung der Verpflichtung 1 1 4 , 232 — Zugehen 729 Witwe, Arbeitspflicht 1 1 1 — Pension und Scheidung 45 — Rente 196 Wohnraumbewirtschaftungsgesetz 22, 546, 1024fr., 1 0 3 9 ^ — Genossenschaftswohnung 547 Wohnsiedelungsgebiet 1 1 1 0 Wohnsitz 530 Wohnung, Auseinandersetzung s. Hausrats— Genossenschafts- 546, 547 Wohnungsamt 546 Wohnungsblatt 626 Wohnungseigentum 1 1 3 , 655 Wohnungsrecht, dingliches 276 Wohnungszwangswirtschaft 22f., 1040 Wucher, Nichtigkeit 89 Wunschmieter 1040

Zählkarte 804 Zeiteinteilung bei juristischen Arbeiten 115 8 f. Zahlungsbefehl 7 fr. — Urkunden- 47 — Vollstreckung 2 1 4 — Zustellung 1 2 Zahlungseinstellung s. Konkurs Zahlungssperre 7 5 3 , 7 5 4 , 757, 759 Zahlungsunfähigkeit s. Konkurs Zahlvaterschaft 500 Zession s. Abtretung

Zeuge 35, 935 — Aussage aus Beiakten 69, 933, 934, 976 — Beeidigung 169, 8 3 1 , 846, 857, 894, 936, 937 — Bürovorsteher als Erkennungszeuge 427 — Erbe 573 — F G G 473 — Gesellschafter 125, 145 — Konkursverfahren 363 — Ladung 2 — Privatkläger als 769 —• sachverständiger s. dort — Vernehmung des 773, 776—778, 934, 935 im Ermittlungsverfahren 773, 776—778 — Testaments- 473 —• V-Mann als 934, 935 Zeugnisverweigerungsrecht 776, 974,975, 976 — Bankier 788 —-Belehrung 168 — Fälle 776 — Glaubhaftmachung 205 — Rechtsanwalt 776 —- uneheliche Mutter 490 Zinsen 126 —-gleitende 681, 682, 683 — Hypotheken- 73 — Prozeß- 126 — Straf- 682 —-Verzugs- 126 — Wechsel- u. Scheck- 48 Zinseszinsformel 313 Zinshypothek 319 — in Zwangsversteigerung 319 Zinsrückstandshypothek in Zwangsversteigerung 3 I 2 f f . — i n Zwangs Verwaltung 3 23 ff. Zinsschein, Kraftloserklärung 753, 757 Zivilprozeß, Forderungsübergang 109 —-Vertagung 48 — Veräußerung des Geschäfts und Firma während 125 — Unterbrechung 413 — Verweisung 130ÎÏ. Zubehör, Bestandteil und 278, 279 — und Grunderwerbssteuer 446 — Hypothek und 279, 332 — Pfändung 228 f. —• Zwangsversteigerung 267, 274, 278, 279, 283 — Zwangsverwaltung 267, 323 Züchtigungsrecht, Eltern 965 Zuchtmittel 913 Zueignung 784, 785 — Vermischung als 785 Zugewinngemeinschaft 465 ff. — Ausgleich 466 — erbrechtliche Losung 466 — Gleichberechtigungsgesetz und 465 — Klagebefugnis 10, 1 1 — Passivlegitimation 10, 1 1 — Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkung 656 Z u g - u m - Z u g Leistung, Zwangsvollstreckung 231fr., 629 Zulässigkeit, Voraussetzungen im verw.gerichtlichen Verfahren 1037, 1038

Die Zahlen be Zurechnungsfähigkeit 801, 834, 835, 981, 982 — und Vorsatz 981, 982 Zurückbehaltungsrecht an Urkunden 1 1 0 1 , 1 1 0 2 (Briefhypothek) — Vermieter 947 — Werkvertrag 1068 Zurückweisung, Verwaltungsstreitverfahren 1049 f. Zuschlag 289, 290 — Beschluß 289, 290 — Kosten 28} — nachlaßgerichtlicher 567 — als rechtfertigender Grund 322 — Rechtmittel gegen 284, 289, 308 — Versagung 288, 3o8f. — Verhandlung über 289 — Vorbehalt im 283, 289 — als Vollstreckungstitel 290, 304 — Wirkung 253, 273, 289fr. — in der Zwangsverwaltung 329 Zuschreibung 620 Zusicherung, beim Kauf 7, 185 ff. — bei Miete 29 Zuständigkeit, Arrestverfahren 5 4 f. — Arbeitsgericht s. dort — ausschließliche 196 — Behandlung im Gutachten s. Gutachten — Ehesachen 174 — Entscheidungsgründe 41 — Jugendsachen 902, 914, 915 — Pressedelikte 953 — Rüge der Unzuständigkeit 132, 196, 1090 — und Schlüssigkeit 130 — Strafsachen 791, 792, 793, 798, 861, 961 — Unterhaltsprozeß 40 — Vereinbarung 41 — Verlöbnis 78 — Vertragstheorie 78 •—Wandelungsklage i o 8 i f . — Wiederaufnahme 961, 962 Zustellung 30 — Anklage 919 •—Arrestbefehl 57 — und Berufung 30 — von Beschlüssen 245, 253 — F G G 496, 548 — Fürsorgesachen 909 — Haftbefehl 238 — Kostenfestsetzungsbeschluß 209 — der Ladung 2 — nicht verkündete Beschlüsse 236, 245 — Pfändungsankündigung 241, 316 — Prozeßbevollmächtigter 213 — Rückdatierung 1090 — Schuldtitel 208 f., 304 — Streitverkündung 1086 — Urteil(sformel) 30, 209 — Vergleichsverfahren 344 — Verwaltungsstreitverfahren s. dort — vollstreckbare Urkunde 209 — Vollstreckungsklausel 214 — Zahlungsbefehl 1 1 — Zwangsversteigerung 266, 267, 275 76«

iten die Seiten

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Zustellungsvertreter — Zwangsversteigerung 275 Zuverlässigkeit im Gaststättenrecht 1050 Zwang, unmittelbarer 520, 538 Zwangseinstellung 992 Zwangsgeld 875 Zwangshypothek 244 — Antrag 664, 665 — Eintragung auf Ersuchen des Vollstreckungsgerichts 206 — guter Glaube s. dort — Gesamthypothek als 312, 665 — Passivlegitimation 306 Zwangsmittel nach § 3 3 F G G : 44, 5 20, 538 Zwangs vergleich 373 ff. — Abstimmung 349, 375 — Anfechtung 380 — Bestätigung 349, 379 — Bürgschaft 376, 377 — Gläubigerbegünstigung 380 — Konkursgläubiger und 359, 373, 4 1 1 — Rechtsmittel 355, 380, 381 — Sonderabreden 380 — Sicherheiten in 375, 381 — Stimmliste 376 — Stimmrecht 373, 377, 378 — Vergleichstermin 375 — Vergleichsverfahren s. dort — Vorschlag 373 — Verwerfung 380 — Wirkungen 381 f., 4 1 1 — Zinsen 373 f. Zwangsversteigerung 254 — Abschlußprovision 282 — Anmeldung v. Rechten 276, 281 — Antrag 264 — Altenteil in 284 — Abgabe von Geboten 284 — Anordnung 265, 305 — Aufhebung 30of., 308 der Erbengemeinschaft 606 — Bargebot s. dort — behördliche Genehmigung 274, 287 — Bietungssicherheit 285 — Beitritt 269, 270, 271, 276 — besondere 283 — Bekanntmachung 276 — bestehenbleibende Rechte 277, 279, 281, 297, 298 — Beschlagnahmewirkung 265, 267, 271, 273, 277» 291. 5 " — Beteiligte 275, 276, 277, 278, 284, 289 — Bestandteil s. dort — Baukostenvorschuß 291 f. — Befriedigungsberechtigte 273, 291 — Drittwiderspruchsklage und 305 — Deckungsgrundsatz 281, 312 — doppeltes Ausgebot 283, 3 1 1 — Einstellung 268 f., 280, 307 fr. — Einwendungen gegen Zulässigkeit 287 — gegen Eigenbesitzer 305 — Erlösverteilung 273 — Erstehet s. dort — gegen nicht eingetragenen Erben 304 fr.

1204

Sachregister

Zwangsversteigerung, Forderungsübertragung s. dort — Gebot 275, 284, 285, 307, 308 — geringstes Gebot s. dort — Gesamthypothek in s. dort — Gesamtausgebot 309 — Aufhebung einer Gemeinschaft 272 — Gleichberechtigung 287 — Grunderwerbssteuer s. dort — Grundbuchdoppelbuchung 617 — Heimstättenvermerk 264 — Höchstbetragshypothek 295 — Hypothekengewinnabgabe 275, 277, 281 — Hypothekenbrief und 300fr., 303 — und Konkurs 264, 267 — Kosten 267, 269, 294, 295 — Legitimationsfragen 287 — mehrerer Grundstücke 309 fr. — Rechte der Mieter u. Pächter 291 ff. — Meistgebot 288, 289, 307 — Mindestbargebot 277 f., 310 — Mindestgebot 284, 288, 307, 322 — Nachricht an Finanzamt 266, 267, 275 an sonstige Behörden 275 — Notgebot 288 — öffentliche Aufforderung 272, 273 —• öffentliche Lasten 273, 275, 277 — Pfändung und 229 — Rechnungssachverständiger 280 — Rechtsmittel 284, 289 — Sittenwidrigkeit der 322 — Sicherheitsleistung 285, 291, 298 — Sicherungshypothek 293 — Teilungsplan 293 —• Terminbestimmung 272 — Tilgungshypothek in s. dort — Übergebot 287 — Übernahmegrundsatz 281, 312 — Umwandlungsgrundsatz 293, 316 — Verkündungstermin s. dort — und Vergleichsverfahren 346 — Vertrag über Nichtbieten 885 — Versteigerungsbedingungen 282, 283, 292, 307, 309 — Versteigerungstermin s. dort — Verteilungstermin s. dort — im Verwaltungszwangsverfahren 270 — Vollstreckungsschut 268 —• Vollstreckungstitel und 299 fr. — und Voreintragung 305 — Wertfestsetzung 284 — Wieder- 304 — Wiederkehrende Leistungen s. dort — Zinshypothek s. dort — Zinsrückstandshypothek in s. dort — Zubehör s. dort — Zuschlag s. dort —• Zustellungen 266, 267, 275 — und gleichzeitige Zwangsverwaltung 323 f. Zwangsverwalter 324, 325, 327, 329fr. Zwangs Verwaltung 305, 3 22 f. — Antrag 323 —-Aufhebung 327, 329

Zwangs Verwaltung, Beteiligte 325 — Beschlagnahmewirkung 267, 323, 325, 326 —• gegen Eigenbesitzer 305 — Einstellung 324 — Grundbuch und 325, 330, 332 —• Hypothekenbrief und 332 — Kosten 267, 327 — Lidlohn 328 — Nießbrauch und 296, 324 — öffentliche Lasten 323 — Pfändungsankündigung 241, 325 — Schuldtitel und 332 — Schlußtermin 330 — Schlußrechnung 330, 331 — Vorausverfügungen in 326 — im Verwaltungszwangsverfahren 270 — wiederkehrende Leistungen s. dort — Zuschlag und 329 — Zwangsversteigerung und 322, 323, 324 — Zwangsverwaltungsvorschuß 327 Zwangsvollstreckung 255 — allgemeine Voraussetzungen 208, 209, 233, 264f., 304 — Akteneinsicht 240 — Arrestvollziehung 256, 259 — Beendigung 255 — Beschlagnahmeanordnung 953 — Beschwerde 236 — gegen Bund 270 —• gegen bundesunmittelbare juristische Person 270 — Duldung der — des Anfechtungsgegners 90 — Einstellung s. dort — gegen Einzelhandelskaufmann 125 — Einwendungen gegen 215 fr. — gegen Erben 227 fr. — Erinnerung s. dort — Erlösverteilung 224 — Geldstrafe in Nachlaß 567 — gegen Gesellschafter 125 — Glaubhaftmachung im Vorverfahren der 5°5 — und Gewahrsam 221 — und guter Glaube s. dort —• in Herausgabeanspruch 222 — aus Hypothek 68, 463, 464 — aus Immissionsurteil 2 0 4 f r . —und Konkurs 216, 352, 353, 4 1 1 — Kosten 212, 233, 243, 264, 269, 665 —-aus Kostenfestsetzungsbeschluß 214 — gegen Landwirte 228, 250 — nichtige 258 — in Nachlaß 476, 477, 567, 761 — OHG, K G 47, 125 — Pfändung s. dort —• Postschein 219 — Quittung 219 — und Rangvorbehalt 668 — Rechtsbehelfe und Beendigung 86, 255 —• Stundung 219 — Unbrauchbarmachung 959, 960 —• Unterlassungsstrafe 206 — wegen unvertretbarer Handlungen 204, 206 — Urteilsveröffentlichung 959, 960

Die Zahlen bedeuten die Seiten Zwangsvollstreckung, in Vereinsvermögen 734 — aus Vergleich 114, 115 —-und Vergleich 216, 339, 340, 342, 345, 346 •— in Vermächtnisgegenstände 230 — Vermieterpfandrecht 250fr. — Vollmacht 211, 242 — Vollstreckungsschutz 224 —-Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung 156fr. — aus Wechselurteil 214, 233

1205

Zwangsvollstreckung, eines Zug-um-Zug-Urteils 231 ff., 629 — aus Zuschlag 304 Zweckentfremdung 1040 Zweigniederlassung 702, 703, 711 Zwischenstreit 1085, 1086 Zwischenurteil 110, 125, 1085, 1086 Zwischenschein, Pfändung 232 Zwischenverfügung nach § 18 GBO: 524, 663 664, 681, 682, 683 — nach § 26 HRV: 715

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GRUNDRISSE

RECHTSWISSENSCHAFT

1. Band: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches Von Professor Dr. jur. Dr. rer. pol. h.c. Dr. phil. h.c. Heinrich Lehmann, 13., unveränderte Auflage. X V I , 472 Seiten. 1962. Ganzleinen D M 16,— 2. Band: Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches Von Professor Dr. Justus Wilhelm Hedemann. 3., umgearbeitete Auflage. X X X , 422 Seiten. 1949. Halbleinen D M 18,— 3. Band: Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches Von Professor Ut. Justus Wilhelm Hedemann. 3., neubearbeitete Auflage. X X V I I I , 431 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 32,— 4. Band: Deutsches Familienrecht Von Professor Dr. jur. Heinrich Lehmann. 3., vermehrte und verbesserte Auflage. X I , 305 Seiten, i960. Ganzleinen D M 18,— 6. Band: Handelsrecht und Schiffahrtsrecht Von Professor Dr. Julius von Gierke. 8., vermehrte und verbesserte Auflage. 21./22. Tausend. X V , 651 Seiten. 1958. Ganzleinen D M 32,— 8. Band: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (früher Elster) 3. Auflage Von Professor Dr. Kurt Bussmann, Rechtsanwalt Dr. Rolf Piet^cker, Rechtsanwalt Dr. Hein^ Kleine. 1962. Im Druck 9. Band: Einführung in die Rechtswissenschaft Von Professor Dr. Bernhard Rehfeldt. 1962. Im Druck 10. Band: Deutsche Rechtsgeschichte Von Professor Dr. Hans Fehr. 6., verbesserte Auflage. 1962. Im Druck 15. Band: Zwangsvollstreckung Von Professor Dr. KarlBlomeyer. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. X I I , 170 Seiten. 1957. Ganzleinen D M 9,80 19. Band : Grundzüge der Rechtsphilosophie Von Professor Dr. Helmut Coing. X I , 302 Seiten. 1950. Halbleinen. D M 17,— 20. Band : Lehrbuch des Verwaltungsrechts Von Bundesrichter Privatdozent Dr. Kurt Egon von Turegg. 4., neubearbeitete Auflage von Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Erwin Kraus. 1962. Im Druck 21. Band: Das Seerecht. Ein Grundriß mit Hinweisen auf die Sonderrechte anderer Verkehrsmittel, vornehmlich das Binnenschiffahrts- und Luftrecht Von Professor Dr. Hans Jürgen Ahraham. 2., ergänzte und erweiterte Auflage. XII, 195 Seiten, i960. Ganzleinen D M 22,—

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•vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Für junge

ACHILLES-GREIFF

Juristen

BGB unter Einarbeitung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. 6. 1957, mit E i n führungsgesetz und Nebengesetzen 21., verbesserte Auflage Dünndruckausgabe. X X I I I , 1457 Seiten. 1958. Ganzleinen DM 38,— (Sammlung Guttentag Band )&\}9) So beurteilen Professoren die 20. Auflage

(19ji)

Ich bin gern bereit, den Kommentar, mit dem ich immer gern gearbeitet habe, auch in seiner neuen Auflage meinen Studenten zu empfehlen, da ich den Kommentar sehr schätze. Professor Dr. H. Coing, Frankfurt/M. Ich habe den Kommentar bei verschiedenen Fragen, die aufgetreten sind, zu Rate gezogen und war erfreut, immer schnell und zuverlässig unterrichtet zu werden ... Der neue Achilles-Greiff wird die gesicherte Stellung unter der besten Literatur zum B G B weiter inne haben. Professor Dr. R. Dietz, Münster (Westf.) Es ist sehr erfreulich, daß diese alte ehrwürdige Ausgabe nunmehr in neuer Bearbeitung erschienen ist. Der erste Überblick zeigt, daß Sie sich ausgezeichnete Mitarbeiter auserwählt haben ... Ich werde gerne Ihren Kommentar in meinen Vorlesungen und Übungen den Hörern empfehlen. Professor D. Tb. Süss, Köln-Marienburg. „Das Buch sollte jeder Examenskandidat besitzen." Die Erlanger Universität

BERG

Übungen im Bürgerlichen Recht Eine Anleitung zu Lösungen von Rechtsfällen anhand von praktischen Beispielen 6., durchgesehene und verbesserte Auflage. Oktav. X V I , 148 Seiten. 1961. D M 8,50 Von Hans B e r g , Oberlandesgerichtsrat, Mitglied des Justizprüfungsamtes Köln „Die .Übungen' wenden sich an den Anfänger und an den Vorgerückten. Mit Recht stellt B e r g die Aufbaufragen und die Fragen zu den Anspruchsgrundlagen in den Vordergrund. Ein Merkblatt am Schluß des Buches gibt wertvolle Hinweise und Richtlinien für die Fallbearbeitung." Deutsche Ricbter^eitung

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SCHUMACHER

Technik der Rechtsfindung Ein Leitfaden Von Landgerichtsdirektor,Referendargemeinschaftsleiter K a r l S c h u m a c h e r , Duisburg Oktav. VI, 56 Seiten. 1958. D M 5,40 , , . . . ist bewußt durch eine kurze übersichtliche Anleitung gekennzeichnet, die aus der Vielzahl der Einzelfragen die großen Richtlinien deutlich macht. Damit bewahrt das Studium des Leitfadens den Referendar vor den gröbsten Fehlern." Monatsschrift für Deutsches Recht

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