Schriftsteller als Intellektuelle: Politik und Literatur im Kalten Krieg [Reprint 2011 ed.] 9783110944730, 9783484350731

The volume analyzes writers as intellectual figures in public discourse. The first section is devoted to the origins of

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German Pages 347 [348] Year 2000

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Table of contents :
Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß
Sektion I
Interdiskursivität und chassés-croisés. Zur Problematik der Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik
»Die jüdischen Intellektuellen«: antisemitischer Code und diskursive Interferenz
Albert Einstein: Ein politischer Intellektueller?
Kritiker des Intellektualismus. Die Rolle der Intellektuellen in der Demokratie
»Les intellectuels«: ein französisches Modell
Sektion II
Vom Exil zum »Kongreß für kulturelle Freiheit«. Anmerkungen zur Faszinationsgeschichte des Stalinismus
Schriftsteller als kulturpolitische Kader: Auswirkungen der sowjetischen Präsenz auf das kulturelle Leben in der SBZ
Becher fuhr nicht nach Wrocław
Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950
Die Intellektuellen und die Macht. Die Repräsentanz des Schriftstellers in der DDR
PEN im Visier der Staatssicherheit
Die Risiken des Dafürseins. Optionen und Illusionen der ostdeuschen literarischen Intelligenz 1945–1990
Der Fund for Intellectual Freedom: Ein Propagandainstrument des Kalten Kriegs?
Zur Vorgeschichte des Hamburger Streitgesprächs deutscher Autoren aus Ost und West: Die Rezeption des Konzepts ›Engagement‹ in der BRD und in der DDR
Personenregister
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Schriftsteller als Intellektuelle: Politik und Literatur im Kalten Krieg [Reprint 2011 ed.]
 9783110944730, 9783484350731

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil

Band 73

Schriftsteller als Intellektuelle

Politik und Literatur im Kalten Krieg Herausgegeben von Sven Hanuschek, Therese Hörnigk und Christine Malende

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Redaktion des Bandes: Georg Jäger

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schriftsteller als Intellektuelle: Politik und Literatur im Kalten Krieg / hrsg. von Sven Hanuschek .... - Tübingen: Niemeyer, 2000 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur; Bd. 73) ISBN 3-484-35073-3

ISSN 0174-4410

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Memminger Zeitung, Memmingen Einband: Geiger, Ammerbuch

ν

Vorbemerkung der Herausgeber

Dieser Band ist aus einem DFG-Projekt zur Geschichte der deutschen PEN-Zentren unter der Leitung von Georg Jäger und Ernst Fischer hervorgegangen. Als Zwischenstation auf dem Weg zur umfassenden PEN-Geschichte ist vom 1. bis 3. Oktober 1996 in Berlin eine DFG-Tagung zum Thema Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg veranstaltet worden. Die meisten Beiträge dieses Bandes wurden dort als Vorträge gehalten und diskutiert. Wir danken zuerst den Beiträgern, die ihre Arbeiten zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben; der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die über die Kosten der Tagung hinaus einen großzügigen Druckkostenzuschuß geleistet hat, außerdem Rea Triyandafilidis, die an der formalen Vereinheitlichung der Manuskripte entscheidenden Anteil hat. Berlin und München, im Dezember 1999 Sven Hanuschek

Therese Hörnigk

Christine Malende

VII

Inhalt

GEORG

JÄGER

Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß

1

Sektion I MANFRED

GANGL

Interdiskursivität und chasses-croises. Zur Problematik der Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik MICHAEL

STARK

»Die jüdischen Intellektuellen«: antisemitischer Code und diskursive Interferenz BRITTA

29

49

SCHEIDELER

Albert Einstein: Ein politischer Intellektueller? HAUKE

69

BRUNKHORST

Kritiker des Intellektualismus. Die Rolle der Intellektuellen in der Demokratie JOSEPH

91

JURT

»Les intellectuels«: ein französisches Modell

103

Sektion II MICHAEL

ROHRWASSER

Vom Exil zum »Kongreß für kulturelle Freiheit«. Anmerkungen zur Faszinationsgeschichte des Stalinismus ANNE

137

HARTMANN

Schriftsteller als kulturpolitische Kader: Auswirkungen der sowjetischen Präsenz auf das kulturelle Leben in der SBZ URSULA

159

HEUKENKAMP

Becher fuhr nicht nach Wroclaw CHRISTINE

173

MALENDE

Z u r Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950

197

VIII

Inhalt

DAVID BATHRICK

Die Intellektuellen und die Macht. Die Repräsentanz des Schriftstellers in der D D R THERESE

HÖRNIGK

PEN im Visier der Staatssicherheit WOLFGANG

249

EMMERICH

Die Risiken des Dafürseins. Optionen und Illusionen der ostdeuschen literarischen Intelligenz 1945-1990 SVEN

235

269

HANUSCHEK

Der Fund for Intellectual Freedom: Ein Propagandainstrument des Kalten Kriegs?

285

H E L M U T PEITSCH

Zur Vorgeschichte des Hamburger Streitgesprächs deutscher Autoren aus Ost und West: Die Rezeption des Konzepts >Engagement< in der BRD und in der D D R

307

Personenregister

331

1 GEORG

JÄGER

Der Schriftsteller als Intellektueller Ein Problemaufriß

1

Zielsetzung und Leitlinien der Argumentation

Der Problemaufriß geht von der These aus, daß die Figur des Intellektuellen ein diskursives Phänomen ist, das aus den Elementen des Intellektuellen-Diskurses rekonstruiert werden muß. Soziologisch bezeichnet der Begriff eine aus seiner »Bestimmung«, »Mission« bzw. »Sendung« resultierende Rolle, aber keine spezifische Berufsgruppe oder soziale Schicht.1 Vielmehr ergibt sich seine Rolle aus den Bestimmungen, die ihm im Intellektuellen-Diskurs zugeschrieben werden. Im ersten Kapitel wird der Anschluß an den allgemeinen Intellektuellen-Diskurs hergestellt, wie er vor allem von Philosophen, Soziologen und Politologen geführt wurde. Zentrale Züge einer Phänomenologie des Intellektuellen, die topische Geltung erlangt haben, sowie die immer wiederkehrenden >großen Themen< des Intellektuellen-Diskurses werden mit Zitaten aus großenteils kanonischen Texten des Intellektuellen-Diskurses in Erinnerung gerufen. Das zweite Kapitel weist den freien Schriftsteller als Musterfall eines »freischwebenden« Intellektuellen aus. Der Gründungsakt des Schriftstellers als Intellektueller ist die Intervention Emile Zolas in der Dreyfus-Affäre, welche die prototypischen Merkmale schriftstellerischer Intervention in öffentliche Angelegenheiten in sich vereinigt. Von ihr schreibt sich der Begriff des Intellektuellen her. Die Unterkapitel referieren einige Überlegungen zur Rolle und Funktion von (Schriftstellern als) Intellektuellen in der DDR und BRD und schließen mit einem Hinweis auf mediengeschichtliche Voraussetzungen für die Sprecherrolle des Intellektuellen.

2

Zur Phänomenologie des Intellektuellen

2.1

Die Definition des Intellektuellen ist die Diskussion um seine Definition

Wer sich über Intellektuelle kundig macht, konsultiert Texte von Intellektuellen, welche die Figur entwerfen und ihr Eigenschaften, eine Rolle sowie Funktionen und

1

Zur Unterscheidung von Beruf und Rolle vgl. Erwin K. Scheuch: Kulturintelligenz als Machtfaktor? In: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 1973, S. 2 4 6 - 2 7 6 .

2

Georg Jäger

Leistungen zuschreiben. »Über Intellektuelle sprechen in der Regel Intellektuelle«; 2 mithin hat man es mit einem sich selbst (re)produzierenden Diskurs zu tun. Was immer auch die Intellektuellen sind - sie und sie allein waren es, die ihre jeweiligen Definitionen entwarfen und verwarfen. Jeder Versuch, Intellektuelle zu definieren, ist ein Versuch der Selbstdefinition; jeder Versuch, den Status eines Intellektuellen zu gewähren oder zu verweigern, ist ein Versuch der Selbstentwerfung. Definieren und über Definitionen zu streiten sind das Kernstück der Produktion und Reproduktion des intellektuellen Ich. 3

Die semantische Füllung des Begriffes ist Teil des gesellschaftlichen Kampfes um die ideologische Bestimmung und werthafte Besetzung zentraler weltanschaulicher Begriffe. In diesem Sinne spricht Dietz Bering, der die deutsche Wortgeschichte untersucht hat, von einem politischen »Wortkampf«, d. h. von einem »Kampf um den Sieg bestimmter politischer Konzepte und Realitätsinterpretationen«. 4 Dieser Kampf spitzt sich im Begriff des Intellektuellen zu, da er im Namen allgemeinverbindlicher Werte spricht und die Interpretation der Realität bzw. die symbolische Ordnung der Dinge betreibt (s. Punkt 2.3). Die »Verbalwaffe i n t e l l e k t u e l l e n « wird durch Werturteile strukturiert: »Von allen präzisen Definitionen verlassen, treten die Vor-Urteile selber als Definitionen auf, so daß man schließlich zum intellektuellem erklären kann, wen man will.« 5 Zum Beleg stellt Bering ein »Hieb- und Stichwortverzeichnis« zusammen, in dem man die Synonyma, Unterscheidungen und (vorwiegend negativen) Konnotationen zum Begriff >Intellektueller< nachlesen kann. 6 In den jeweiligen politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen wird der Begriff situationsspezifisch entfaltet. Bis weit nach Ende des Zweiten Weltkrieges war der Begriff des Intellektuellen in der B R D vorwiegend negativ besetzt. 7 Gesellschaftspolitisch wurde er auf lange Zeit als kritisch, oppositionell und links eingestuft (»heimatlose Linke« der 50er, »intellektuelle Linke«, »Linksintellektuelle«, »Intellektuellenopposition« der 60er

2

3

4

5 6 7

Wolf Lepenies: Das Ende der Utopie und die Rückkehr der Melancholie. Blick auf die Intellektuellen eines alten Kontinents. In: Martin Meyer (Hg.): Intellektuellendämmerung? Beiträge zur neuesten Zeit des Geistes. (Edition Akzente) München: Hanser 1992, S. 15 — 26. Hier S.19. Zygmunt Bauman: Unerwiderte Liebe. Die Macht, die Intellektuellen und die Macht der Intellektuellen. In: Ute Daniel/Wolfram Siemann (Hgg.): Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung 1789-1989. (Fischer Taschenbuch 11854) Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1994, S. 172-200, 237-239. Hier S. 172. Dietz Bering: »Intellektueller« - in Deutschland ein Schimpfwort? Historische Fundierung einer Habermas-Lübbe Kontroverse. In: Sprache in Wissenschaft und Literatur 54 (1984), S.57-72. Hier S. 68. Vgl. die grundlegende Untersuchung Berings: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart: Klett-Cotta 1978. Dietz Bering: »Intellektueller«, S.64. Dietz Bering: Die Intellektuellen, S.464-478. Vgl. beispielhaft die Kontroverse zwischen Joseph O. Zöller: Heimatlose Kritik. Versuch einer Begriffsbestimmung des Intellektuellen. In: Die politische Meinung (1959) H.41, S.43-50, und Walter Dirks: Heilige Allianz. Bemerkungen zur Diffamierung der Intellektuellen. In: Frankfurter Hefte 16 (1961), S.23-32.

Der Schriftsteller

als

Intellektueller

3

Jahre). Erst spät - im Rahmen der Spiegel-Affäre 1962 8 oder auch erst der SchleyerAffäre und Sympathisantendebatte im Herbst 19779 - setzte sich in der B R D »ein Ensemble positiver Definitionselemente und Assoziationen« 1 0 durch. Intellektuelle galten demnach als Menschen, »die kritische Distanz zu den Mächtigen in den Staatsapparaten halten, Abstand halten auch zu den erstarrten Ideologien, Menschen, die sich faschistoider Denk- und rollenspezifischer Lebensweise entziehen, um - streng an demokratischen Ideen und den Menschenrechten orientiert - in der Stunde der Gefahr ihre Stimme öffentlich zu erheben«. 1 1 Themen des Intellektuellen-Diskurses: Wer ist ein Intellektueller? Links-, Rechtsintellektuelle. Der Intellektuelle als Kritiker oder Ideologe. Beschimpfung des Intellektuellen, »Selbsthaß« von Intellektuellen.

2.2

Der Intellektuelle als Spezialist für das Wort und die sich daraus ergebenden Konsequenzen (Distanz zur Realität, Mangel an praktischer Erfahrung, Neigung zur Kritik)

Der Intellektuelle als »der Mensch, der nicht aufhören kann, zu denken« 1 2 und zu sprechen, bezieht seine Identität aus Diskursen. Er ist medial und nicht gesellschaftlich sozialisiert. Seine Heimat bildet das »intellektuelle Gemeinwesen« - ein Begriff, mit dem Ralf Dahrendorf 1 3 die öffentlichen Diskurse und die sie tragenden Institutionen wie Verlage, Zeitschriften, Zeitungen, audiovisuelle Medien etc. zusammenfaßt. Die klassische Argumentationsfigur, die die Haltung des Intellektuellen aus seiner sozialen Lage ableitet, geht auf Karl Mannheim zurück. Die »sozial freischwebende Intelligenz«, »eine relativ klassenlose, nicht allzufest gelagerte Schicht im

" So Jürgen Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. In: J.H.: Eine Art Schadensabwicklung. Kleine Politische Schriften VI. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S . 2 5 - 5 4 . Zur Spiegel-Affäre vgl. Jürgen Seifert: Die Spiegel-Affäre. 2 Bde. (Texte und D o k u m e n t e zur Zeitgeschichte) Ölten, Freiburg i.Br.: Walter 1966; David Schoenbaum: Ein Abgrund von Landesverrat. Die Affaire um den »Spiegel«. Wien u. a.: Molden 1968. v Freimut Duve/Heinrich Böll/Klaus Staeck (Hgg.): Briefe zur Verteidigung der Republik, (rororo aktuell) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977. 10 Dietz Bering: »Intellektueller«. S.68. 11 Ebd. 12 Wolf Lepenies: Das Ende der Utopie und die Rückkehr der Melancholie, S. 18. 11 Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: Piper 1967, S . 3 0 8 - 3 2 4 . Hier S.323. Für eine spezifische Autorengruppe, die stilkonservativen »Priesterdichter« von Friedrich Griese bis Ernst Wiechert, vgl. Ulrike Haß: Militante Pastorale. Zur Literatur der antimodernen Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert. München: Fink 1993. D a s Buch erscheint als der »soziale Ort des Schreibenden« schlechthin und sei demnach als »Sozialphänomen« zu begreifen. Nach Erhard Schütz: Zur Modernität des »Dritten Reiches«. In: I A S L 2 0 ( 1 9 9 5 ) Η. 1, S. 116-136. Hier S. 126.

4

Georg Jäger

sozialen Raum«, 1 4 sei auf die perspektivische Standortgebundenheit politischen D e n k e n s nicht festgelegt. Auf G r u n d ihrer Lage entwickle sie im besonderen Maße »soziale Sensibilität« und schaffe ein »homogenes Medium« für Dynamik, Vielstimmigkeit und Widerstreit sozialer Prozesse. 1 5 Seit Mannheim wird der Intellektuelle immer wieder durch »Abstand« und »Distanz« charakterisiert: durch »Zweifel« im geistigen, durch »Gebrochenheit« im sozialen Bereich. 1 6 In bezug auf die politischen und ideologischen Formationen ist der Intellektuelle ein stets unsicherer Kandidat, ein potentieller Abweichler und >VerräterGeist< zur >TatGeist< und >Tat< - Aktivistische Gruppierungen und Zeitschriften in Österreich 1918/19. In: IASL, 8. Sonderheft (1997): Literatur, Politik und soziale Prozesse. Studien zur deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Weimarer Republik. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 107-146. Hier S. 107.

Der Schriftsteller

3.2

als

Intellektueller

17

Zu Funktion und Rolle der literarischen Intelligenz in Deutschland nach 1945

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren Schriftsteller im Projekt der geistigen Umerziehung (»reeducation«) der Deutschen tätig und als Sinnvermittler in einer Situation gefragt, in der es um »Vergangenheitsbewältigung«, eine neue Standortbestimmung und Identitätsfindung ging. Der »Anspruch auf Geistesführerschaft« 85 wurde von Literaten aller Richtungen erhoben. So sah es auch Peter Suhrkamp als Aufgabe der »Geistigen« an, »wieder ein moralisches menschliches Klima zu schaffen«. 86 Im Nachkriegsdeutschland war quer durch die Fraktionen »die Aufgabe der Literatur primär ethisch bestimmt«, 87 trat der Schriftsteller als »Gewissen der Nation« 88 auf und knüpfte damit an die spezifisch deutsche Rede von der Kulturnation an. Der Kalte Krieg veranlaßte viele Schriftsteller, in einer moralischen Sprecherrolle aufzutreten, der jedoch durch die politische Definition und propagandistische Indienstnahme zentraler humanistischer Werte - objektiv gesehen - der Boden entzogen wurde (Kap. 2.4 b). Selbst der seinen Statuten gemäß unpolitische PEN, die einzige internationale Schriftstellervereinigung, die manche Mitglieder als »eine moralische Macht« 89 ansahen, zerbrach auf deutschem Boden 1951 in ein west- und ostdeutsches Zentrum. Wie lange hielt die literarische Intelligenz an einer kulturellen Einheit Deutschlands fest, und ab wann ging sie in ihren Legitimationsstrategien von der politischen Teilung aus? Erhielten sich gemeinsame substantielle Wertvorstellungen für ein >gutes menschliches Zusammenleben in einem Staat< jenseits der politischen Fronten (worauf Vorstellungen eines »dritten Weges« hindeuten)? Die folgenden Bemerkungen gehen von zwei unterschiedlichen Intellektuellen-Diskursen in beiden deutschen Staaten aus.

3.2.1

DDR

Die historischen Bedingungen der D D R ließen den spezifischen Spätfall einer Intellektuellenkultur entstehen. Bei seiner Rekonstruktion kann man zum einen dem

85

86 87 88

m

Helmut Peitsch: Politisierung der Literatur oder »geistige Freiheit«? Materialien zu den Literaturverhältnissen in den Westzonen. In: Nachkriegsliteratur in Westdeutschland 1945-1949: Schreibweisen, Gattungen, Institutionen. Hg. von Jost Hermand. (Literatur im historischen Prozeß, N.F. 3; A S 83) Berlin: A r g u m e n t 1982, S. 1 6 5 - 2 0 7 . Hier S. 165. Ebd., S. 23. H e l m u t Peitsch: Politisierung der Literatur oder »geistige Freiheit«, S. 189. Keith Bullivant: G e w i s s e n der Nation? Schriftsteller und Politik in der Bundesrepublik. In: Literaturszene Bundesrepublik - ein Blick von draußen. Hg. v. Ferdinand van Ingen u. Gerd Labroisse. ( A m s t e r d a m e r Beiträge zur N e u e r e n Germanistik 25) Amsterdam: R o dopi 1988, S. 5 9 - 7 8 . S o im P E N - Z e n t r u m Bundesrepublik Richard Friedenthal, vgl. seinen Bericht über die Sitzung des Internationalen E x e k u t i v k o m i t e e s in R o m am 1. N o v e m b e r 1961. Zit. nach Sven Hanuschek: D i e Geschichte des P E N - Z e n t r u m s (Bundesrepublik) 1 9 5 1 - 1 9 9 0 (Typoskript, Publikation in Vorbereitung).

18

Georg Jäger

parteiideologischen Diskurs folgen und auf die Idee der »Kulturnation« abheben. In diesem R a h m e n erhielt der Schriftsteller einen (volks)erzieherischen Auftrag. Z u m anderen kann man von der Doktrin des Marxismus-Leninismus als der »offiziellen Wahrheit« 9 0 ausgehen, die durch die Intellektuellen als Ideologen ausgelegt und vermittelt wurde. Neben Ideologen vom Schlage Alexander Abuschs oder Kurt Hagers gab es den wohl seltenen Typus des »kommunistischen Intellektuellen«, 9 1 wie ihn Jürgen Kuczynski repräsentierte. D a die vom Z K der S E D gehütete »Wahrheit« normative Geltung beanspruchte und doch mit der Erfahrung in Widerspruch geriet, konnte der kritische Intellektuelle entstehen, der die Wirklichkeit an der Idee (und später auch umgekehrt die Idee an der Wirklichkeit) maß. Für den Typus des kritischen Intellektuellen in der D D R stehen exemplarisch Rudolf Bahro oder Robert Havemann. Wie beider Schicksal verdeutlicht, hatten unter Bedingungen der Diktatur kritische Intellektuelle die Konsequenzen ihrer Rede persönlich zu tragen (Beglaubigung durch Verfolgung). Unter einer gewissen Schwelle, wo sich für die Parteikader die »Machtfrage« stellte, bestand jedoch ein - je nach kulturpolitischer Situation mehr oder weniger großer - Spielraum für kritische Äußerungen. 9 2 Bedeutende Autoren wie Volker Braun, Stephan Hermlin, Stefan Heym oder Christa Wolf haben ihn genutzt, die Bohemiens des Prenzlauer Berges konnten ihrem Nonkonformismus sogar unter Aufsicht der Stasi frönen. 9 3 Erste Argumentationslinie: Die »sozialistische Kulturnation« bzw. die »Kulturnation D D R « fungierte als staatlicher Gründungsmythos und war dazu gedacht, »den politischen Diskurs durch den Erziehungsdiskurs abzustützen und die Künstler als Künstler-Erzieher in das Machtsystem zu integrieren« 9 4 In diesem Sinne fungierte der Kulturbund als eine »politisch-moralische Anstalt«, der die verschiedenen G r u p p e n der Intelligenz - Lehrer und Professoren, Pfarrer und Geistlichkeit, Literaten - zu gewinnen und umzuerziehen suchte. 9 5 Z u den wichtigsten Formationsbedingungen des Mythos von der Kulturnation zählte der Antifaschismus. Er verpflichtete die Bürger auf das E r b e des Humanismus und der Exilliteratur, das die heimkehrenden Exilanten verwalteten: »Die Geschichten von den gemordeten

90

1,1 92

neuen Kulturmetaphysische< Ordnung«, die alle Glieder verbindet und »einer einheitlichen Art der >Selbstausweisung< unterordnet« (19). Sie prägt sich als »eine Art Kodex von >Verkehrsvorschriften< und >Orientierungstafelnklassischen< Diktatur führt die Grenze zwischen Herrscher und Beherrschten »de facto durch jeden Menschen, denn jeder ist auf seine Art ihr Opfer und ihre Stütze« (25; »Prinzip der gesellschaftlichen >AutototalitätLeben in der Lüge< bewirkt«, hat eine »moralische Krise der Gesellschaft« zur Folge. (33) Der Moral wächst eine das System bedrohende politische Bedeutung zu.

103

Zitate ebd., S.9f. Vgl. Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der D D R . Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Kiepenheuer 1996, S. 13 und 456f. 104 Jeffrey C. Goldfarb: Intellektueller, heile dich selbst, S.66. 105 Friedrich Schorlemmer: Zu seinem Wort stehen, S. 143 und 144. 106 Jeffrey C. Goldfarb: Intellektueller, heile dich selbst, S.73. 107 Ebd., S.74. ")lf Vaclav Havel: Versuch, in der Wahrheit zu leben, (rororo aktuell Essay) Reinbek bei Ham-

Der Schriftsteller als

Intellektueller

21

- Die »Ideologie als Machtinterpretation der Wirklichkeit« hat die Tendenz, »sich von der Wirklichkeit zu emanzipieren, eine Welt des >Scheins< zu schaffen, sich zu ritualisieren.« (19). Das »>Diktat der PhraseDissidentdenkenden< Presse in den U S A « , einen Namen gemacht hat - zur Online-Zeitschrift Slate von Microsoft. Leo Jacobs: Der intellektuelle Diskurs wandert ins Internet ab. In: Berliner Morgenpost, 26.11.1996.

Sektion I

29 MANFRED

GANGL

Interdiskursivität und chasses-croises Zur Problematik der Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik

1

D a s Erkenntnisprivileg der Intellektuellen

Was hat intellektuelles Wissen anderen Wissensformen voraus? Gegenüber Alltagswissen und Fachwissen, die vorrangig praktisches Verfügungswissen bereitstellen, zielt intellektuelles Wissen offenbar auf die Erfassung des gesellschaftlichen Ganzen und hat den Charakter eines gesellschaftlichen Deutungs- und Orientierungswissens. Intellektuelle Wissens- und Argumentationsformen transzendieren mithin partikulare Erfahrungs- und Problemsituationen und erheben Anspruch auf die Universalität ihrer rationalen und moralischen Normen. Wie aber ist der Übergang von partikularen Wissensformen in Diskurse mit universellen Wahrheits- und Geltungsansprüchen zu denken? Wissenssoziologisch wurde dies bereits in der Weimarer Republik exemplarisch entwickelt. Karl Mannheim insistierte gegenüber dem Marx'schen Ideologie- und Klassenbegriff darauf, daß alle Denk- und Bewußtseinsformen gesellschaftlich bedingt - >seinsgebundenSeinsgebundenheit< könne »von Marxisten als Zuordnung zu den durch die Eigentumsverhältnisse gesonderten Gesellschaftsklassen und von den erklärten Gegnern der materialistischen Geschichtsauffassung unter Zustimmung Mannheims als Abhängigkeit von einem spezifischen Geist< ausgelegt werden«. (Max Horkheimer: Ein neuer Ideologiebegriff? [1930]. In: M.H.: Sozialphilosophische Studien. Frankfurt/M.: S. Fischer 1972, S.29.) Ernst Robert Curtius bestätigte dem Mannheimschen Buch Ideologie und Utopie, »das in den rechtsrevolutionären Kreisen unserer Jugend ebenso beachtet und verwertet wird wie auf der Gegenseite« (Ernst Robert Curtius: Deutscher Geist in Gefahr. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1932, S. 88), kurz darauf bereits die von Horkheimer befürchtete Wirkung und sah in Mannheims Werk selbst nur eine Variante der »schon von Nietzsche beschriebenen Bewußtseinshaltung entwurzelter moderner Intellektuellenschichten« (ebd., S.90). Zum Hintergrund der Auseinandersetzung vgl. Dirk Hoeges: Kontroverse am Abgrund. Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und >freischwebende Intelligenz< in der Weimarer Republik. Frankfurt/M.: S. Fischer 1994. Max Weber mißt den Intellektuellenschichten in seinen religionssoziologischen Studien die historisch bedeutsame Rolle zu, den religiösen Rationalismus überhaupt erst produziert zu haben, ausgehend von einer Haltung, »die überhaupt nach dem >Sinn< des innerweltlichen Geschehens fragt«, und der daraus folgenden Forderung: »daß das Weltgefüge

30

Manfred

Gangl

schlossenen und durchorganisierten Intellektuellenschicht eine freie Intelligenz entstanden ist«, 3 habe erst die modernen Denk- und Wissensformen ermöglicht. Da diese modernen Intellektuellen sich aus den unterschiedlichsten sozialen Klassen rekrutieren, liege ihre Chance und Aufgabe darin, »jeweils den Punkt zu finden, von wo aus Gesamtorientierung im Geschehen möglich ist, Wächter zu sein in einer sonst allzu finsteren Nacht«. 4 Nur so könnten sie ihre »Mission, prädestinierter Anwalt der geistigen Interessen des Ganzen zu sein«, 5 auch erfüllen. Diese Bestimmung hatte Georg Lukäcs zuvor noch allein dem Erkenntnisprivileg des Proletariats zugeschrieben, das darin bestehe, daß es gegenüber allen anderen Klassen und Schichten als einzige Klasse in der Lage sei, über das Bewußtsein seiner objektiven Lage hinaus auch den weltgeschichtlichen Prozeß als sein eigenes Produkt zu erkennen. Wie in Hegels idealistischer Konstruktion der P h ä nomenologie des Geistes< das identische Subjekt-Objekt des spekulativen Prozesses sich im dialektischen Durchschreiten der Geistesstufen verwirkliche, indem die entäußerten Gegenstandsformen mit der Rückkehr des Geistes zu sich selbst in der Synthese aufgehoben werden, soll das Proletariat analog durch die historischen Stufen der Verdinglichung und Entfremdung hindurch zum Bewußtsein seiner selbst und zugleich zum Bewußtsein seiner historisch-gesellschaftlichen Mission kommen, da es »zugleich Subjekt und Objekt der Erkenntnis ist und auf diese Weise die Theorie unmittelbar und adäquat in den Umwälzungsprozeß der Gesellschaft eingreift«. 6 Diese »Geschichtsmetaphysik des sich autonom bewegenden Klassenkampfes« 7 war im Frankfurter Institut für Sozialforschung schon früh interner theoretischer Kritik ausgesetzt und spätestens mit der Machtetablierung der Nationalsozialisten auch praktisch desavouiert. Auch wenn, wie Horkheimer als Institutsdirektor spät und vorsichtig formulierte, »die Situation des Proletariats [...] in dieser Gesellschaft keine Garantie der richtigen Erkenntnis« 8 mehr abgeben könne und daraus die kognitive Distanz des marxistischen Intellektuellen gegenüber dem Proletariat begründet, dem sein Denken gilt, so hatte er doch forschungsprogrammatisch bis da-

1

4 5 6

7

8

in seiner Gesamtheit ein irgendwie sinnvoller >Kosmos< sei oder: werden könne und solle« (Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd.I [1920], Tübingen: J.C.B. Mohr 1963, S. 564/253). Vgl. dazu auch unseren Tagungsband: Groupe de recherche sur la culture de Weimar (Hg.): Max Webers Protestantische Ethik und der Geist der Moderne. Paris: Editions de la Maison des Sciences de THomme 1997. Karl Mannheim: Ideologie und Utopie [1929], 7. Aufl. Frankfurt/M.: Klostermann 1985, S. 12 (Zusatz aus dem Jahre 1952). Ebd., S. 140. Ebd., S. 138. Georg Lukäcs: Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik. Berlin: Malik 1923 (Reprint Amsterdam: de Munter 1967), S.15. Diskussionsbeitrag von Theodor Adorno 1931, in: Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Bd. 12: Nachgelassene Schriften 1931-1949. Hg. v. Gunzelin Schmid Noerr. Frankfurt/ M.:Suhrkamp 1985, S.364. Max Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie. In: Zeitschrift für Sozialforschung VI (1937) H.2, S.245-294. Hier S.267.

Interdiskursivität

und

chasses-croises

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hin an der von Lukäcs übernommenen Vorstellung einer theoretischen Erfassung des gesellschaftlichen Ganzen festgehalten, zu der die verschiedenen Einzeldisziplinen interdisziplinär zur richtigen und >kritischen< Theorie der Gesellschaft synthetisiert werden sollten. 9 Angesichts des faschistischen Zerstörungswahns lassen Horkheimer und Adorno am Ende auch diese Hoffnung fahren. Die >Dialektik der Aufklärung< wende sich nun gegen sich selbst, oder genauer: das der Aufklärung von Anfang an eingeschriebene Zerstörungs- und Unterdrückungspotential kehre an ihrem Ende nur zu diesen Ursprüngen zurück. Wo Lukäcs noch im Erkenntnisprivileg des Proletariats den archimedischen Punkt konstruieren wollte, um die verdinglichte Welt aus den Angeln zu heben, Mannheim im Erkenntnisprivileg der Intellektuellen zumindest den Punkt zu fixieren versucht, von dem aus Erkenntnis des Ganzen möglich sei, - gibt es für Horkheimer und Adorno weder in der Erkenntnis als solcher noch in der Bestimmung seiner soziologischen Träger einen Ansatzpunkt befreienden Denkens. Wenn die erkennende Vernunft selbst von Herrschaft affiziert ist, läßt sich herrschende Unvernunft auch nicht mehr kritisieren. Intellektuelle Erkenntnis hat dem verdinglichten Alltagsbewußtsein nichts mehr voraus, steht im gleichen Verblendungszusammenhang. Galt für Lukäcs »das Proletariat als das identische Subjekt-Objekt der Geschichte« 10 und damit der Emanzipation, so ist für Adorno und Horkheimer nun »der ganze Mensch zum Subjekt-Objekt der Repression« 11 regrediert. Wenn nur noch die reine Funktion der Herrschaft regiert, und die Herrschaftsunterworfenen nur noch »zum Material wie die gesamte Natur für die Gesellschaft« 12 geworden sind, so scheint jeder Gedanke an Emanzipation aussichtslos geworden zu sein: Die Verdinglichung, kraft deren die einzig durch die Passivität der Massen ermöglichte Machtstruktur diesen selbst als eiserne Wirklichkeit entgegentritt, ist so dicht geworden, daß jede Spontaneität, ja die bloße Vorstellung vom wahren Sachverhalt notwendig zum abwegigen Sektierertum geworden ist. Der Schein hat sich so konzentriert, daß ihn zu durchschauen objektiv den Charakter der Halluzination gewinnt. 1 3

Obwohl auch der späte Karl Mannheim die Sorge teilte, daß angesichts allgemeiner Bürokratisierung und zunehmender Einvernahmung des Individuums die Rolle nicht nur der >freischwebenden IntelligenzDialektik der AufklärungMenschlichkeit< oder >Gerechtigkeit< genannten abstrakten Prinzips«. 16 Im Frankreich der Zwischenkriegszeit seien die universalen Werte der Menschlichkeit und Gerechtigkeit aber gerade durch jene Intellektuelle gefährdet, die sich - dem deutschen Vorbild gemäß - partikularen politischen Interessen verschrieben hätten. Der Verrat der Intellektuellen bestehe darin, daß sie von ihrer Rolle als quasi-klerikaler Laienelite, die selbstgenügsam über zeitlos gültige kulturelle und moralische Werte wache, dadurch Abschied genommen hätten, indem sie in die Arena der politischen Auseinandersetzungen hinabgestiegen seien und sich in die Kämpfe um Nationalismus, Rassismus und Klassenkampf eingemischt hätten. Auch wenn er eher auf Maurras und Barres im Umkreis der Action frangaise zielt, sieht er in der Politisierung des Geistes allgemein bereits die Abdankung des Intellektuellen. Benda sehne sich danach - so kritisierte Walter Benjamin - den Intellektuellen wieder als »mittelalterlichen Kleriker in seiner Zelle« zu sehen, »in deren Abgeschiedenheit >die Geistigen< sich zurückziehen, um am Text eines Sermons zu weben«, der sich an kein Publikum mehr wendet und der die irdische Macht nicht mehr gefährdet. 17 Benda entpuppe sich so als Vertreter katholischer Doppelmoral: »die 14

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Vgl. Karl Mannheim: The Problem of Intelligentsia. An Enquiry into its Past and Present Role. In: K.M.: Essays on the Sociology of Culture. Ed. by Ernest Manheim. 2. Aufl. London: Routledge and Kegan Paul 1962, S. 91-170, bes. S.166ff. Zur Selbstkritik und Differenzierung seines Konzepts der >freischwebenden Intellektuellem vgl. ebd., S. 111, Fußnote 1. Julien Benda: La Trahison des clercs. Introd. d'Andre Lwoff. Paris: Grasset 1975, zit. nach der dt. Ausgabe: Der Verrat der Intellektuellen [1927]. Mit e.Vorw. v. Jean Amery. München, Wien: Hanser 1978, S. 112. Ebd. In der späteren Einleitung 1946 definiert er die >abstrakte Gerechtigkeit noch genauer: »eine Vorstellung des Geistes, die ihre Befriedigung in sich selbst findet und nicht in der Bemühung, Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen«. (Ebd., S.77) Walter Benjamin: Zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Standort des französischen Schriftstellers [1934], [Ursprüngl. in: Zeitschrift für Sozialforschung 3 (1934).] In: W.B.: Gesammelte Schriften. Bd.II/2. Hg. v.R. Tiedemann u.H. Schweppenhäuser. Frank-

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der Gewalt für die Staaten und Völker, die des christlichen Humanismus für die Intelligenz«. 18 Und doch hatte die Ursprungsgeschichte der Intellektuellen in Frankreich gerade darin bestanden, von der kontemplativen Rolle eines Repräsentanten allgemeiner Bildungswerte Abschied zu nehmen und diese in der tagespolitischen Arena durchzusetzen. Aber auch in Emile Zolas Engagement und dem seiner Mitstreiter für den zu Unrecht wegen Spionagetätigkeit zugunsten Deutschlands verurteilten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus wollte Benda nur jene clercs am Werke sehen, die »auf erhabene Weise ihres Amtes [walteten]. Sie waren die Offizianten der abstrakten Gerechtigkeit, unbefleckt von Passionen für irdische Beweggründe«. 19 Das Amt der wahren Intellektuellen sollte demnach darin bestehen, zwar dem ungerechten Staat gegenüber >abstrakte Gerechtigkeit einzuklagen, sich mit Benda aber nicht zu beklagen, wenn »der Staat, seinerseits der eigenen Wesensbestimmung getreu, ihn zwingt, den Schierlingsbecher zu leeren«, und es als die >Ordnung der Dinge< anzusehen, »daß der solchermaßen in seiner Vormachtstellung kompromittierte Staat sie in den Kerker warf«. 20 Zolas Protest war aber gerade gegen solche Zumutung sokratischer Weisheit gerichtet und das menschenverachtende Prinzip, daß jeder nur seines Amtes walten solle: der Intellektuelle der Huldigung ohnmächtiger abstrakter Gerechtigkeit und der Staat der politischen Notwendigkeit einer u. U. sehr machtvollen konkreten Ungerechtigkeit. So war der Anlaß und die unmittelbare Absicht seines J'accuse, nachdem der wahre Schuldige, Major Esterhäzy, vom Militärgericht freigesprochen worden war, zunächst der Vorwurf der Faktenmanipulationen und Dokumentenfälschungen, um überhaupt ein Wiederaufnahmeverfahren im Fall Dreyfus zu ermöglichen. Zugleich ließen dieser bekannte offene Brief Zolas an den Staatspräsidenten, als bewußt öffentliche Provokation, und die ihm unmittelbar nachfolgenden Petitionen bekannter Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller die juristische Debatte zu einer Frage der öffentlichen Moral werden, in der der Fall Dreyfus, wie Emile Zola selbst bemerkt 2 1 und Emile Dürkheim als Zeitzeuge protokolliert, 22 von einer Fakten- zur

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furt/M.: Suhrkamp 1977, S . 7 7 6 - 8 0 3 . Hier S.784. (So auch fast gleichlautend in seinen Rezensionen zu Bendas Trahison des clercs und Discours ä la nation europeenne, in: W. B.: Gesammelte Schriften. Bd. III. Hg. v. Hella Tiedemann-Bartels. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S . l l l f f . u.437ff./550ff.) Ebd., S. 782. Julien Benda: Der Verrat der Intellektuellen, S. 114. Ebd., S.230. In der Einleitung 1946 kommt er nochmals darauf zurück, daß der Intellektuelle die Konsequenzen für seinen moralischen Protest auf sich nehmen müsse: »d. h. sollte ihn der Staat als gefährlich erachten, so hätte er den dargereichten Schierlingsbecher zu leeren«, und erläutert in der entsprechenden Fußnote: »Und in diesen Dingen ist allein der Staat zum Richter berufen. Hätte er es anläßlich der Dreyfus-Affäre für richtig befunden, die Vorkämpfer der Gerechtigkeit füsilieren zu lassen - sie hätten ihm lediglich ihre Verachtung entgegenschleudern dürfen.« (Ebd., S.66) Zola zog es vor, sich seiner Haft durch die Flucht ins Ausland zu entziehen. »II n'y a plus d'affaire Dreyfus, il s'agit desormais de savoir si la France est encore la France des droits de Thomme.« Emile Zola: Declaration au jury [1898], In: E.Z.: L'Affaire Dreyfus. La verite en marche. Paris: Imprimerie Nationale 1992, S. 117. Emile Dürkheim: L'individualisme et les intellectuels [1898]. In: E.D.: La science sociale et Taction. Paris: Presses Universitaires de France 1970, S. 261-278, bes. S.261 f.

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Prinzipienfrage wird. Die Unterzeichner der Petitionen hatten mit Absicht ihre akademischen Titel und gesellschaftlichen Berufsbezeichnungen zu ihren Unterschriften hinzugefügt, um hervorzuheben, daß sie kraft ihrer akademischen Würden, ihres Amtes und ihrer gesellschaftlichen Stellung und nicht nur als einfache Staatsbürger reagierten. Genau dieser erheischte Legitimationsanspruch aber wurde ihnen von den Dreyfus-Gegnern streitig gemacht. Maurice Barres hält ihnen entgegen, daß die Tatsache, daß jemand Mitglied in der Akademie der Wissenschaften ist, ihm keinerlei spezifische Autorität oder gar universelle Kompetenz verleihe, um das Urteil eines Kriegsgerichts einer kritischen Revision zu unterziehen. 2 3 Dürkheim, der nun seinerseits in die Debatte eingreift, setzt sich genau mit diesem Vorwurf 2 4 auseinander: Wenn in letzter Zeit eine Reihe von Künstlern, vor allem aber Wissenschaftler geglaubt haben, ihre Einwilligung zu einem Urteil verweigern zu müssen, dessen Legalität ihnen suspekt schien, so taten sie das nicht, weil sie sich in ihrer Eigenschaft als Chemiker oder Philologen, als Philosophen oder Historiker irgendwelche Privilegien oder ein besonderes Kontrollrecht über die zu beurteilende Angelegenheit herausnähmen. Sie taten es vielmehr deshalb, weil sie als Menschen ihre Menschenrechte ausüben und ihre Zuständigkeit für eine Angelegenheit behalten wollten, die allein der Vernunft untersteht. 2 5

Während es für Dürkheim »keine Staatsräson (gibt), die einen Angriff gegen die Person entschuldigen könnte«, 2 6 hatte sich für Barres die individuelle Vernunft grundsätzlich der Staatsräson oder dem nationalen Gemeinwohl unterzuordnen. 27 D i e Ligue des droits des hommes, die im gleichen ereignisreichen Jahr 1898 ins Leben gerufen wurde und zu deren Mitbegründern Dürkheim zählte, der die Sektion in Bordeaux leitete, verstand sich daher konsequent als eine »über und außerhalb der Parteien« stehende Organisation, die das »Gewissen der Nation« repräsentieren sollte. 28 Die Ligue de la patrie frangaise, die daraufhin noch im gleichen Jahr von den Dreyfus-Gegnern als durchaus intellektuelle Antwort hierauf gegründet wurde, scheute sich nicht, den bislang verpönten Begriff der Intellektuellen für sich zu reklamieren, und wies mit Stolz darauf hin, daß sich ihr in kurzer Zeit die Hälfte

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Maurice Barres: Scenes et doctrines du nationalisme. Bd. 1. Paris: Plön 1925, S.50f. Es handelt sich freilich nicht um eine direkte Entgegnung auf Barres, sondern auf einen Artikel von Ferdinand Brunetiere, der sich als Dreyfus-Gegner analog dagegen verwahrte, daß jeder Herbeigelaufene ohne weitere Beweise die Justiz und Armee aufs Übelste verleumden könne. Vgl. Ferdinand Brunetiere: Apres le proces. In: Revue des Deux Mondes 156 (1898), S.428-446. Zit. nach der dt. Übersetzung: Emile Dürkheim: Der Individualismus und die Intellektuellen. In: Hans Bertram (Hg.): Gesellschaftlicher Zwang und moralische Autonomie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S.54-69. Hier S.62f. Ebd., S. 57. Maurice Barres, Scenes et doctrines du nationalisme, S.51. Vgl. zu seinem sich aus der Dreyfus-Affäre entwickelnden Nationalismus die detaillierte Studie von Zeev Sternhell: Maurice Barres et le nationalisme fran9ais. Paris: Ed. Complexe 1985. Vgl. Emmanuel Naquet: La Ligue des droits des hommes au tournant du siecle. In: Laurent Gervereau/Christoph Prochasson (Hg.): L'Affaire Dreyfus et le tournant du siecle (18941910). Paris: La Decouverte 1994, S. 164-168.

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der Mitglieder der Academie frangaise angeschlossen hatten. Sie stellte entsprechend die nationalen Interessen, die Liebe fürs Vaterland und die Ehre der französischen A r m e e in den Vordergrund ihres politischen Programms, sah sich aber durchaus als »moralische Kraft« der Wiedererneuerung Frankreichs im Rahmen der Republik. 2 9 Eine langfristig wesentlich wirkungsvollere, aber auch stärker antisemitische und antirepublikanische Reaktion auf die Dreyfus-Affäre war die von Charles Maurras. Als der Chef der französischen Spionageabwehr, Oberst Henry, einzugestehen gezwungen war, daß er eines der Hauptbelastungsstücke gegen Dreyfus selbst gefälscht hatte, und kurz darauf Selbstmord verübte, nahm Charles Maurras dies zum Anlaß, um ihn zum Opfer zu stilisieren, dessen unschuldig verflossenes Blut ebenfalls zur Regenierung Frankreichs beitragen sollte, 30 und Schloß sich hierzu der im gleichen Jahr gegründeten Action frangaise an, deren führender Kopf er bald darauf werden sollte. 31 Auf diese Rechtsintellektuellen, die sich hiermit zu formieren begannen und die weiterhin eine höchst einflußreiche Rolle im Frankreich der Zwischenkriegszeit spielen sollten, hatte Julien Benda seinen Verratsvorwurf gemünzt, wenngleich sich andererseits die intellektuellen Fürstreiter für die Rehabilitation des zu Unrecht verurteilten Dreyfus in seiner Rehabilitation der wahren Intellektuellen nicht unbedingt wiedererkennen mochten. Auf der anderen Seite verstand es der aus der Dreyfus-Affäre neu erwachsene Nationalismus, sich eine ganze Reihe von Begriffen und Werten, die die französischen liberalen Republikaner der Dritten Republik bislang für sich reklamiert hatten, anzueignen und >rechts< zu besetzen. 3 2 Dennoch sollte die Spaltung in zwei unversöhnliche intellektuelle und politische Lager, die durch die Dreyfus-Affäre hervorgerufen wurde, die Geschicke Frankreichs über die Dritte Republik hinaus bis auf den heutigen Tag bestimmen. 3 3

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Vgl. zur (parteilichen) Darstellung des Gründungsvorgangs Maurice Barres: Scenes et doctrines du nationalisme, S.69ff. u. als neuere kritische Studie: Jean-Pierre Rioux: Nationalisme et Conservativisme. La Ligue de la patrie fran9aise. 1899-1904. Paris: Beauchesne 1977. 111 Sein Artikel, der in der Gazette de France erschienen war, trug den provozierenden Titel Le premier sang de l'affaire Dreyfus\ vgl. Charles Maurras: Au signe de Flore. Livre II: U n e Affaire d'Etat: Dreyfus et la Ligue de la Patrie franijaise. Paris: G.C. Cres 1931; S. 51 ff. 11 Vgl. die gründliche Studie von Eugen Weber: L'Action fran^aise. Paris: Stock 1964, und als neueren guten Überblicksartikel Michel Winock: L A c t i o n frangaise. In: M.W. (Hg.): Histoire de l'extreme droite en France. Paris: Seuil 1993, S. 125-156. 12 Vgl. Rene Remond: Les Droites en France. D e la premiere Restauration ä la V e Republique. 4. Aufl. Paris: Aubier 1982, S. 153f. " Das ist nicht als Gemeinplatz zu verstehen. Michel Winock hat an konkreten historischen Konstellationen aufgezeigt, wie die Dreyfus-Affäre als historisches Paradigma bis zum Algerienkrieg und Mendes France funktioniert - vgl. Michel Winock: Les affaires Dreyfus. In: M. W.: Nationalisme, antisemitisme et fascisme en France. Paris: Seuil 1990, S. 157-185. Vgl. dazu ebenso Pierre Birnbaum: U n mythe politique: >La Republique juive< de Leon Blum ä Pierre Mendes France. Paris: Fayard 1988.

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Intellektuelle und (Weimarer) Republik

W e n n v o n Intellektuellen in der Weimarer Republik die R e d e ist, so k ö n n e n diese sicher nicht unmittelbar mit j e n e n intellectuels

in B e z i e h u n g gesetzt werden, deren

Begriff, Rolle und soziale Gruppierung sich in Frankreich letztendlich im Zusamm e n h a n g mit der D r e y f u s - A f f ä r e herausgebildet hatte. 3 4 Z u unterschiedlich sind die nationalen Traditionen und politisch-gesellschaftlichen R a h m e n b e d i n g u n g e n . 3 5 Vorherrschend war die Tendenz, im linken wie rechten Lager den Begriff des Intellektuellen negativ zu besetzen, als denunzierendes Schimpfwort; 3 6 die positive B e setzung des Begriffs >Intellektuellersozial freischwebenden Intellektuellem. In seiner Habilitationsschrift von 1925 gerieten sie noch unter den totalen Ideologieverdacht, wurden historisch-politisch in die N ä h e der gegenrevolutionären Romantik gerückt, aber wie in Carl Schmitts

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Vgl. die detaillierten historisch-soziologischen Untersuchungen von Christophe Charle: Naissance des >intellectuels< 1880-1900. Paris: Ed. Minuit 1990, und Christophe Prochasson: Les intellectuels, le socialisme et la guerre 1900-1938. Paris: Seuil 1993; als neueren deutschsprachigen Beitrag, der einen guten Überblick gibt: Ingrid Gilcher-Holtey: Menschenrechte oder Vaterland? Die Formierung der Intellektuellen in der Affäre Dreyfus. In: Berliner Journal für Soziologie 7 (1997) H . l , S.61-70. Eine komparative Intellektuellengeschichte zeichnet sich erst in Ansätzen ab. Vgl. Christophe Charle: Naissance des >intellectuels< 1880-1900, S.227ff. Zur Wortgeschichte vgl. Dietz Bering: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfworts [1978], (Ullstein TB 39031) Frankfurt/M. u.a.: Ullstein 1982. Habermas hingegen geht sogar so weit, von »einer in Weimar fehlgeschlagenen Institutionalisierung der Rolle des Intellektuellen« zu sprechen. Erst in der Bundesrepublik habe sich »eine Intellektuellenschicht gebildet, die sich selbst als solche akzeptiert«. Jürgen Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. In: J. H.: Eine Art Schadensabwicklung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S.35/46. [Ursprüngl. in: Merkur 40 (1986) H.6, S.453-468.] Dem ist nur zuzustimmen, wenn man vom Selbstverständnis der Intellektuellen selbst ausgeht. Vgl. Gangolf Hübinger/Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt/M.: S. Fischer 1983. Auch hier wäre die These von Habermas, daß »vor dem ersten Weltkrieg [...] in Deutschland eine Intellektuellenkritik ohne Intellektuelle entstanden« sei (Jürgen Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland, S.32), entsprechend zu revidieren. Wolfgang Eßbach hat beispielsweise für das vormärzliche Deutschland gezeigt, daß die Junghegelianer um Arnold Rüge »Verallgemeinerungen produziert [haben], von denen die Intelligenz selbst, wie nicht zuletzt die Soziologie der Intelligenz, bis heute zehrt«. (Wolfgang Eßbach: Die Junghegelianer. Soziologie einer Intellektuellengruppe. München: Fink 1988, S.419.)

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Abhandlung zur politischen Romantik 4 0 als grundsätzlich grundsatzlose opportunistische Gruppe gefaßt, die ihren occasionellen Diskurs jeder politischen Macht bereitwillig zur Verfügung stellte. Sie wurden damit mit all den negativen Konnotationen versehen, die besonders in Deutschland vorherrschend bleiben sollten. 41 Diese freischwebenden Intellektuellen sind die typischen Rechtfertigungsdenker, I d e o l o gen*, die jedes politische Wollen, in dessen Dienst sie sich stellen, zu unter- und zu Hintergründen verstehen. 4 2

Und doch zehrten die Weimarer Intellektuellen in ihrem Selbstverständnis wie in ihrer Kritik vom Prestige des französischen Originals. Ein Intellektueller - hieß es bei Thomas Mann - sei, wer geistig auf seiten der Zivilisations-Entente gegen den >SäbelVerteidigung der Kultur< 1935 in Paris hielt er in seinem Beitrag »Die Französische Revolution und Deutschland« ein eindeutiges Plädoyer für die Ideen von 1789.44 Ernst Troeltsch und mit ihm all die sogenannten Vernunftrepublikaner mobilisierten eher »die Ideen von 1914«45 gegen das »humanitär-demokratisch-zivilisatorische Evangelium«, 46 als deren Missionare sie die französischen Intellektuellen und ihre deutschen Nachbeter ansahen. 47 >Vernunftrepublikaner< reimte sich bei Friedrich Meinecke bekanntlich noch auf

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Vgl. Carl Schmitt: Politische Romantik [1919]. 2. Aufl. München, Leipzig: Duncker & Humblot 1925. D a s übersieht Dietz Bering in seiner Abhandlung, der Mannheim nur unter dem späteren positiven Bedeutungsgehalt, den dieser dem Begriff gegeben hat, abhandelt; vgl. Dietz Bering: D i e Intellektuellen, S.295ff. Karl Mannheim: Konservativismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens. Hg. v. D. Kettler, V. Meja u.N. Stehr. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, S. 146. Thomas Mann: Politische Schriften. Frankfurt/M.: S. Fischer 1963, S.32. Vgl. zur Interpretation seiner Rede Albrecht Betz: Exil und Engagement. Deutsche Schriftsteller im Frankreich der Dreißiger Jahre. München: edition text + kritik 1986, S. 159ff. Dies der bezeichnende Titel von Ernst Troeltschs zentralem Aufsatz, in: E.T.: Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden. Hg. v. Hans Baron. Tübingen 1925. Reprint Aalen: Scientia 1966. S . 3 1 - 5 8 . E. Troeltsch, Privatmoral und Staatsmoral [1916]. In: E.T.: Deutscher Geist und Westeuropa, S. 135. Zum historischen Hintergrund vgl. Wolfgang J. Mommsen: Der autoritäre Nationalstaat. Frankfurt/M.: S. Fischer 1990, S.282f.

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>HerzensmonarchistGeistesVernunftrepublikaneran sich< für die besondere internationale Lage Deutschlands die konstitutionelle Monarchie die gegebene Staatsform sei« 5 2 und »daß der vielverschrieene >Obrigkeitsstaat< die dem deutschen Volk angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt«. 53 Wie schwer es ihnen fiel, ihre »noch ungelenken Zungen zu dem Rufe [zu] schmeidigen: >Es lebe die Re-

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Friedrich Meinecke: Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik [1919]. [Zuerst in: Neue Rundschau (Berlin) X X X (1919) H.l/Jan. 1919.] In: F.M.: Werke. Bd.2: Politische Schriften und Reden. Hg. u. eingel. v. Georg Kotowski. 2. Aufl. Darmstadt: ToecheMittler 1966, S. 281. Friedrich Meinecke: Brief vom 5.10.1918 an seine Frau. In: F.M.: Werke. Bd. 6: Ausgewählter Briefwechsel. Hg. u. eingel. von Ludwig Dehio u. Peter Classen. Stuttgart: Koehler 1962, S.95. Friedrich Meinecke: Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik, S.281. Brief vom 7.5.1933 an den Historiker Walter Lenel, in: F. M.: Werke. Bd.6: Ausgewählter Briefwechsel, S. 138. Max Weber: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland [1918]. In: M.W.: Gesammelte politische Schriften. Hg. v. Johannes Winckelmann. Tübingen: Mohr 1921. 5. Aufl. 1988. S.306-443. Hier S.336. Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen [1919]. Gesamtausgabe. Frankfurt/M.: S. Fischer 1956, S.23.

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publikLiterat< blieb für Thomas Mann wie Max Weber 5 5 noch lange ein Schimpfwort. Andererseits hatte ein Kulturkonservativer vom Schlage eines Thomas Mann durchaus ein sensibles Ohr für Zwischentöne bei ihren scheinbaren Gesinnungsgenossen. Gegenüber Oswald Spengler hegte er schon früh den Verdacht, daß dessen pathetische Warnung vor dem >Untergang des Abendlandes< zugleich der schicksalsmäßig prognostizierte Triumph der Zivilisation über die Kultur war. Unter seiner konservativen Attitüde nehme Spengler die Bejahung der Zivilisation, der die Zukunft gehöre, mit fatalistischer Wut in seinen Willen auf 5 6 - eine Vermutung, die sich spätestens mit Der Mensch und die Technik als richtig erwies. Dieses Schicksal in >heroischem Realismus< auf sich zu nehmen, war letzten Endes Spenglers politisch-ethisches Credo. Der Antimodernismus der bürgerlichen Kulturkritik hatte wenig Mühe, in die Akzeptanz oder gar Ästhetisierung der Technik überzugehen. Thomas Mann hat diese Tendenz im Denken Spenglers gerade als Kulturkonservativer erkannt und kritisiert und antizipierte damit die technologisch-politische Wende, die Spengler und in seiner Gefolgschaft Ernst Jünger, Carl Schmitt und andere in ihrer Abkehr vom traditionellen Konservatismus und Nationalismus zur >Konservativen R e v o l u t i o n und zum >Neuen Nationalismus< tatsächlich vollzogen und die sie meist umstandslos ins Lager des Nationalsozialismus führte. 5 7 Andere wie Gottfried Benn, der noch 1927 im völlig apolitischen Raum seiner Kunst zu schweben schien, gesellten sich beizeiten dazu. »Hohenzollern oder Republik, das ist Jacke wie Hose [...], der Staat hat nie etwas für die Kunst getan.« 5 8 Bis er kurz darauf selbst etwas für den neuen Staat des Nationalsozialismus tun wollte und in dessen Namen alle Intellektuellen, besonders Thomas und Heinrich Mann, diese »geistigen Herren, die Wappentiere der Republik« 5 9 für immer aus ihm verbannt sehen wollte - oder wie Carl Schmitt sich analog in einem Artikel über Die deutschen Intellektuellen ausließ:

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Thomas Mann: Von deutscher Republik [1922], In: Τ. M.: Essays. Bd.2: Politik. Hg. v. Hermann Kurzke. Frankfurt/M.: S. Fischer 1977, S.93. 55 D e n n o c h kommt Weber in seinen religionssoziologischen Studien des Intellektuellen in seiner weltdeutenden und sinnvermittelnden Rolle der modernen Definition des Intellektuellen sehr nahe und kann selbst als ein solcher bezeichnet werden. Vgl. Wolfgang J. Mommsen: Max Weber. Ein politischer Intellektueller im Deutschen Kaiserreich. In: Gangolf Hübinger/Wolfgang J. Mommsen: Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich, S. 33—61. 56 Vgl. Thomas Mann: Über die Lehre Spenglers. In: Th.M.: Gesammelte Werke. B d . X . Frankfurt/M.: S. Fischer 1960, S. 173ff. 57 Vgl. Wolfgang Bialas/Manfred Gangl (Hg.): Intellektuelle im Nationalsozialismus. Frankfurt/M.: Lang 2000. 5K Gottfried Benn: Kunst und Staat [1927], In: G. B.: Sämtliche Werke. Bd. IV: Prosa 2. In Verbindung mit Ilse Benn hg. v. Gerhard Schuster. Stuttgart: Klett-Cotta 1987, S. 173. 5 " Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen [1933]. In: G.B.: Sämtliche Werke. Bd. IV: Prosa 2, S.19.

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Heute sitzen Hunderte von >deutschen Intellektuellem im Ausland und hetzen zum Krieg gegen das deutsche Volk. [...] Sprechen wir besser überhaupt nicht mehr von deutschen Intellektuellen. Das Wort ist zu sehr kompromittiert und war auch in der Sache von Anfang an nichts wert. Der geistige Arbeiter des neuen Deutschland weiß, daß der Relativismus und die freischwebende Voraussetzungslosigkeit jener Intellektuellen bestenfalls Beziehungslosigkeit, meistens aber politischer Betrug war. [...] Auf jene Intellektuellen aber wollen wir verzichten. [...] Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten. 6 0

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Politisches Engagement und intellektueller Diskurs

D i e gängigen Darstellungskriterien der politischen Kultur der Weimarer Republik in Links- und Rechtsintellektuelle, Republikaner und Antirepublikaner, Verfechter und Kritiker der M o d e r n e verfehlen anscheinend schon im A n s a t z die innere A m b i valenz der jeweiligen Gruppierungen. Bereits die üblicherweise

gebrauchten

Selbstbezeichnungen, Grundkategorien und Einteilungskriterien geben e i n e n ersten Hinweis auf diese Problematik, erweisen sie sich doch bei näherem H i n s e h e n als widersprüchlicher und weniger trennscharf als gemeinhin unterstellt: D i e Vernunftrepublikaner hatten, wie erwähnt, ein höchst ambivalentes Verhältnis zur Republik. D i e über A r m i n M ö h l e r in die wissenschaftliche Literatur e i n g e g a n g e n e n Selbstbezeichnungen der >Konservativen R e v o l u t i o n oder des >Nationalbolschewismus< in ihrer b e w u ß t e n Begriffsbesetzung und -Vermischung aus linkem und rechtem Sprachgebrauch 6 1 verbieten von sich aus schon vereinfachte Zuordnungen. O b man wie H a b e r m a s 6 2 die unpolitischen Dichterfürsten, die Mandarine der Wissenschaft, die linksradikalen Aktivisten, die parteipolitisch engagierten k o m munistischen Intellektuellen und schließlich die Rechtsintellektuellen oder wie

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Carl Schmitt: Die deutschen Intellektuellen. [Ursprüngl. in: Westdeutscher Beobachter, 31.5.1933.] Auszugsweise abgedruckt in: Joseph u. Ruth Becker (Hg.): Hitlers Machtergreifung. Vom Machtantritt Hitlers 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933. (dtv 2938; dtv-dokumente) München: dtv 1983, S.323-325. Vgl. die klassische Studie von Jean Pierre Faye: Langages totalitaires. Critique de la raison/ d'economie narrative. Paris: Hermann 1972, sowie Louis Dupeux: Strategie communiste et dynamique conservatrice. Essai sur les differents sens de l'expression >National-bolchevisme< en Allemagne sous la Republique de Weimar (1919-1933). Paris: Champion 1976; Denis Goeldel: >RevolutionSozialismus< und >Demokratieheroische Realismus< als Grundhaltung des Weimarer Neokonservatismus. In: Manfred Gangl/Gerard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik, S.271-285, und La >Revolution conservatriceGeist und Kultur der Weimarer Zeit< wieder hinter den hohen Grad an Selbstreflexivität, der die Weimarer Debatten auszeichnete, zurückfallen. 69 Peter Gay z.B. unterscheidet zwei grundsätzliche Reaktionen gegenüber dem Modernisierungsprozeß: die regressive irrationalistische Reaktion der konservativen Revolution aus »Angst vor Modernität« und die vernunftmäßige progressive Beherrschung der Modernität auf der anderen Seite, ζ. B. durch die Architekten des >Neuen Bauensausgewogene< Gesamtdarstellungen vorgeben, und ihre intellektuelle Gemengelage adäquater zu erfassen, als es beispielsweise hermeneutische Geistesgeschichte, politische Ideologiekritik, soziologische Intellektuellenforschung oder auch politisch-gesellschaftliche Strukturanalyse jeweils alleine vermöchten. Diese komplexen intellektuellen Diskurse hermeneutisch in ihrem versteckten Sinn aufzuschlüsseln, ihre dahinterliegenden politisch-gesellschaftlichen Interessen aufzudecken, sie auf die strukturellen Bedingungen ihrer sozialen Träger zu beziehen oder aber sie in die allgemeinen Strukturen der historischen Konstellation einzubetten - all diese methodischen Verfahrensweisen vermögen das Spezifikum von Kongruenz und Austauschbarkeit jener Diskurse nur von außen zu erfassen, als kontingente Übereinstimmung, gemeinsames Interesse, vergleichbare Lebenslage, gleicher historischer Kontext. Politischer Frontenwechsel der Intellektuellen selber wird dann meist in die psychische Befindlichkeit der Person gelegt: als persönliche Krisen, politische Konstellationen und sonstige Interessenkonflikte, Renegatentum und Opportunismus. 7 3 Was sich dem dennoch nicht fügt, wird dann über analytische Hilfskonstruktionen zusammengepreßt: Totalitarismus, antidemokratisches Denken, Antimodernismus, Antikapitalismus ... von rechts und links. »Die Ideologisierung des Denkens in den Zwanziger Jahren ist am Ende so weit getrieben, daß die Ideologien austauschbar werden.« 7 4 Mögliche gemeinsame Grundprämissen, die in die Tiefenstruktur und die Grundkategorien der Diskurse eingegangen sind, werden damit jedoch nicht erfaßt; Überschneidungen mit anderen Diskursen, Übergänge von einem Diskurs zum anderen - unter Beibehaltung der Grundkategorien und gleichzeitigem Wechsel der politischen Fronten - nicht erklärt. Und doch liegt dem Austausch der Ideologien und dem Wechsel der politischen Positionen immer auch ein chasse-croise75 der Diskurse zugrunde. Die Phänomene sind auch traditionell verfahrender Geistesgeschichte durchaus

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Vgl. ζ. B. die Darstellungen der Entwicklung Gustave Herves vom revolutionären Syndikalismus zum Neobonapartismus und Ernst Niekischs vom Sozialdemokraten zum Nationalbolschewisten in Marieluise Christadler (Hg.): Die geteilte Utopie. Sozialisten in Frankreich und Deutschland. Opladen: Leske u. Budrich 1985 (Beiträge von Jean-Jacques Bekker u. Louis Dupeux), die bezeichnenderweise auf der Basis des Vergleichs der individuellen Biographien unternommen sind und in denen kein einziger innertheoretischer Grund für den jeweiligen politischen Frontenwechsel geliefert wird. Rene König: >Zur Soziologie der Zwanziger JahreArbeit< oder >LebenNationalcharaktere< und der Bruderzwist im Hause Mann. In: Manfred Gangl/Gerard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik, S. 129-144.

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publik von Kommunisten und Faschisten gleichzeitig in Anspruch genommen; 84 Ferdinand Tönnies' Gemeinschaftsbegriff zeigte - auch gegen den Protest seines Autors - während der Weimarer Republik seine reaktionäre Brauchbarkeit; 85 Friedrich Sieburgs freundliches Frankreichbild geriet ihm selbst unter der Hand zur Besatzungsideologie der Nazis. 86 Darüber hinaus finden sich diese diskursiven Figuren in anderen Textsorten, in der Literatur, der Essayistik, der Journalistik, den politischen Propagandaschriften und in den meisten wissenschaftlichen Nachbardisziplinen wieder, insbesondere solchen, die die verschiedenen Diskurse zu einer philosophischen, zeitdiagnostischen Gesamtansicht der Epoche zu integrieren versuchen. Das Frankreichbild, dessen sich Friedrich Sieburg oder auch Gottfried Benn, Thomas Mann, aber auch dessen Bruder Heinrich Mann, Curtius, Wechssler, Distelbarth u. v. a. bedienten, ist das Frankreich als Inkarnation der >ZivilisationMacht und GeistDisziplinen< 8 8 Dies erklärt auch, warum Foucault vom traditionellen politischen Engagement des Intellektuellen Abschied nimmt und es in dessen theoretischer Praxis selbst verankern will. 89 Daher auch seine Zurückweisung des Intellektuellen als Träger universeller Werte besonders des Schriftstellers als Intellektueller >par excellence< - und die Betonung der kritischen Rolle des >speziellen< Intellektuellen, des Fachwissenschaftlers in seinem jeweiligen Tätigkeitsbereich mit je spezifischer Wissens- und Wahrheitsproduktion. 9 0 Wenn es nicht mehr um die Wahrheit selbst, sondern um ihren Status geht und wenn die Wahrheit nicht mehr gegenüber der politischen Macht zu verteidigen ist, sondern selbst politische Machteffekte erzeugt - gewinnt die Analyse der Wissens- und Wissenschaftsformationen eine veränderte Bedeutung. Auch diese Perspektive läßt sich durchaus für die Analyse der Weimarer Republik fruchtbar machen, in der verschiedene Einzelwissenschaften, wie die Soziologie, Anthropologie, Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft u. a. sich als Disziplin formierten und institutionalisierten und in der innerhalb der bereits etablierten Wissenschaften erbitterte interne Debatten stattfanden. Die Formierung des antipositivistischen Lagers innerhalb der Staatsrechtslehre gegenüber dem Rechtspositivismus vereinigte ζ. B. so unterschiedliche Theoretiker wie Carl Schmitt, Rudolf Smend, Hermann Heller und lag völlig quer zu politischen Rechts-Links-Aufteilungen. 9 1 Die ersten Versuche einer Institutionalisierung der deutschen Politikwissenschaft an der Deutschen Hochschule für Politik mit denselben und weiteren Professoren verschiedenster wissenschaftlicher und politischer Herkunft orientierte sich bei ihrer Gründung zudem an einem ausländischen Modell, der Pariser Ecole des Sciences Politiques, und war außerhalb der anerkannten Hochschulinstitutionen angesiedelt. 9 2 Auch die Gründung des Instituts für Sozialforschung ging bekanntlich

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Michel Foucault: L'Ordre du Discours. Paris: Gallimard 1971, S.29ff. »Le röle de l'intellectuel [...] c'est plutöt de lutter contre les formes de pouvoir lä ou il en est ä la fois l'objet et l'instrument: dans l'ordre du >savoirveriteconsciencediscoursgereinigten< Postmoderne ist dabei entgangen, wie weit das von ihnen als Konsequenz der Aufarbeitung zweier totalitärer Vergangenheiten befürwortete endgültige Verschwinden des sozial-utopischen Intellektualismus zur Wirkungsgeschichte der Epoche gehört, die sie bewältigt zu haben glauben. Spätestens seit der realpolitischen Wiederkehr autoritär rassistischer und nationalistischer Sozialbewegungen kann freilich jeder wissen, auf welch dünnem Eis sich Revisionen bewegen, die auch nur den Anschein nachträglicher Rechtfertigung einzelner Züge des deutschen Nationalsozialismus erwecken. 7 Vergegenwärtigt man die heftigen Kontroversen, die das hierzulande an politischer Kultur interessierte Publikum vor und nach der staatlichen Vereinigung am meisten beschäftigt haben, begegnet einem eine Reihe von Versuchen, die kollektive Selbstdefinition der Deutschen im nationalen Sinne zu forcieren. Eher sozialtechnologisch orientierte Strategen glauben die krisenträchtigen Prozesse gesellschaftlicher Individualisierung und modernisierungsbedingter sozialer Triage durch das Identifikationsangebot eines unverfänglichen Patriotismus abfedern zu können. Daneben gibt es in erster Linie kulturideologisch ausgerichtete Geister, die sich allen Ernstes sogar an der Reformulierung eines explizit deutsch-nationalen Projektes abarbeiten. 8 Hier wie dort sind vergangenheitspolitische Korrekturen willkommen, um das in der NS-Zeit korrumpierte nationale Motiv von seiner negativen geschichtlichen Aura zu befreien. Wie besonders der sogenannte >Historikerstreit< vor Augen führte, begünstigt dieses Bestreben jedoch eine zirkuläre Hermeneutik der antisemitischen deutschen Diktatur, die den Vergleich totalitärer Systeme zum Zweck einer entlastenden Historisierung des nationalsozialistischen Völkermords betreibt und sich im Rückgriff auf ebendieselben Ideologien erschöpft, welche dem

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furt/M.: Suhrkamp 1987, S.35/46.] D e s weiteren: Pierre Bourdieu: Satz und Gegensatz. Über die Verantwortung des Intellektuellen. (Fischer TB 11007; Fischer Wissenschaft) Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993; Jürgen Kuczynski: »Nicht ohne Einfluß«. Macht und Ohnmacht der Intellektuellen. Köln: PapyRossa Verlag 1993. D i e s gilt speziell für den am politisch-kriminellen Charakter des NS-Herrschaftssystems und seiner Vernichtungspolitik vorbeigezielten historiographischen Trend, die »Modernisie-rungsfunktion des Nationalsozialismus« als angeblich bislang aus moralischen Intentionen und volkspädagogischen Erwägungen geleugnete oder zumindest unterbewertete Leistung anerkennend hervorzuheben. Vgl. bes. Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hg.): Nationalsozialismus und Modernisierung. Mit einem aktuellen Nachwort zur Neuauflage. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1994. Es entsteht der falsche Eindruck, der ns-spezifische Mix aus reaktionärer Ideologie, technologischer Modernität, instrumenteller Planung und medialer Manipulation sei ein völlig neuer Aspekt des historischen Wissens, der dazu zwinge, die bisherige Darstellung des NS-Staats zu revidieren.

" Vgl. H e i m o Schwilk/Ulrich Schacht (Hg.): Die selbstbewußte Nation. »Anschwellender Bocksgesang« und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte. Frankfurt/M., Berlin: Ullstein 1994.

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Holocaust den Weg bereiteten. 9 Mit dem zur historischen Erklärung des nazistischen Jahrhundertverbrechens vorgetragenen Verständnis für den angeblich legitimen Kampf gegen den »jüdischen Messianismus« als eines vorgeblich geschichtsbildenden Widerstreits der >Seele< gegen den >Geist< wurde zuletzt auch noch die bislang akademisch gewahrte Grenze zu einem offen antisemitischen Geschichtsbild überschritten. 1 0 Im Kontext solch zwanghafter Anstrengungen, das unrühmlichste Kapitel deutscher Vergangenheit apologetisch zu deuten, dürfte inzwischen allerdings die Meinung vorherrschen, der Nationalsozialismus habe zumindest in seinem Kampf gegen den Kommunismus postum recht behalten. Nicht wenige scheinen jedenfalls geneigt, sich von der Betrachtung des deprimierenden Erbes der kommunistischen Bewegung in Deutschland und von der kritischen Analyse des historisch-politischen Verhaltens deutscher Intellektueller in Ost und West rhetorische Beihilfe für die erwünschte Entsorgung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu versprechen. Wie jedoch der sogenannte >Literaturstreit< zur Genüge zeigte, behindert vergangenheitspolitischer Druck aber auch in dieser Hinsicht die Erkenntnis komplexer historischer Realität. Was dort feuilletonweise und pauschal gegen die DDR-Literatur wie gegen die Literatur der Bundesrepublik eingewandt wurde, um beide als veraltete Gesinnungsliteraturen ad acta zu legen, gab allen Grund zu der Frage, ob diese literaturkritisch bemäntelte kulturpolitische Attacke als »Angriff auf eine Literatur, die Vergangenheitsbewältigung inhaltlich und formal zu einem ihrer Hauptthemen gemacht hatte, geführt wird im Dienste eines gewollten Vergessens«. 11 D a f ü r spricht nicht zuletzt der bedenkliche Rückfall in das Vokabular einer historisch unbekümmerten Intellektuellenschelte. Schon der ns-typischen Propaganda gegen die Intellektuellen wegen bleibt der reflektierte Umgang mit dem Schlagwort i n t e l l e k t u e l l e n ein entscheidendes Kriterium politischer Kultur in Deutschland. Im Streit um Christa Wolf, der von Beginn an den skeptischen Vorbehalten von >Linksintellektuellen< gegenüber Erfordernis, Zeitpunkt oder Modalität der deutschen Einigung galt, kam solche Reflexion nicht vor: »Diejenigen, die Christa Wolf besonders scharf angriffen, gebrauchten das Wort >Intellektuelle< vorwiegend in einem abwertenden Sinn, wenn nicht sogar als

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Vgl. Rudolf Augstein u. a.: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München, Zürich: Piper 1987. Zum Kontext vgl. Wolfgang Fritz Haug: Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt. Hamburg, Berlin: Argument-Verlag 1987. 1(1 Ernst Nolte: Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert. Von Max Weber bis Hans Jonas. Berlin u.a.: Propyläen 1991. Konstatiert wird ein ambivalenter Sieg des jüdischen MessianismusDer Geist< siegte im Jahr 1945, aber er schuf die Atombombe.« (S.329) " Andreas Huyssen: Das Versagen der deutschen Intellektuellen. Verschiebebahnhof Literaturstreit. In: Karl Deiritz/Hannes Krauss (Hg.): Der deutsch-deutsche Literaturstreit oder »Freunde, es spricht sich schlecht mit gebundener Zunge«. Analysen und Materialien. Hamburg, Zürich: Luchterhand Literaturverlag 1991, S. 7 8 - 9 4 . Hier S.82f. Siehe auch Jochen Vogt: >Erinnerung ist unsere Aufgaben Über Literatur, Moral und Politik 1 9 4 5 1990. Opladen: Westdeutscher Verlag 1991.

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Schimpfwort.« 12 Wo immer dieser Appell an das anti-intellektuelle Ressentiment wiederkehrt, ist Gefahr im Verzug, weil sich so die Macht eines destruktiven Wortgebrauchs konserviert, dessen höchst fatales Wirkungspotential in einschlägiger Forschung dokumentiert wurde, so daß man es eigentlich als bekannt voraussetzen möchte. 13 Mit diesem Hinweis soll weder die moralische Empörung über die Rolle, die manche Autoren im realsozialistischen System der Überwachung und Einschüchterung gespielt haben, niedriger gehängt, noch die kritische Revision des Anspruchs vieler Schriftsteller, stets Sachwalter eines freiheitlichen Sozialismus gewesen zu sein, verstellt werden. Es geht auch nicht darum, die Verantwortung des literarischen Legitimationsideologen zu leugnen, wie ihn noch jedes System durch Korruption und Repression erzeugt hat. 14 Hinzuweisen ist aber auf die totalitäre Vergangenheit der Strategie, Andersdenkende - heute die ehedem oder gar noch immer sozialistisch gesinnten Intellektuellen - in pejorativer Absicht als >Intellektuelle< zu bezeichnen. Wer hierzulande nach wie vor auf politische Effekte der negativen Wortverwendung spekuliert, liefert so ein weiteres Indiz für latente Hinterlassenschaften der NS-Sprachpolitik in der Gegenwart, wenn nicht einen Beweis für die im Gegensatz zur »NS-reflexiven Literatur« bestrittene Existenz eines unbewältigten »NS-Kontinuums«. 15 Die wissenschaftlich intendierte Aufarbeitung literarisch-politischer Konstellationen während der Zeit des Kalten Krieges ist daher gut beraten, entsprechende Forschungsvorhaben durch eine systematisch tragfähige und zugleich historisch relevante Analyse des Intellektuellen-Diskurses zu fundie-

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Thomas Anz (Hg.): »Es geht nicht um Christa Wolf«. Der Literaturstreit im vereinten Deutschland. München: edition spangenberg 1991, S. 161. Vgl. Dietz Bering: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart: KlettCotta 1978. Berlin: Ullstein 1982 (Ullstein-TB 39031). Vgl. u.a. Karl Corino (Hg.): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus. Hamburg: Hoffmann und Campe 1980; Befriedungsverbrechen. Über die Dienstbarkeit des Intellektuellen. Texte von Basaglia u.a. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt 1980. Vgl. dazu Klaus Briegleb: Vergangenheit in der Gegenwart. In: K. B./Sigrid Weigel (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 12: Gegenwartsliteratur seit 1968. München, Wien: Hanser 1992, S. 73-116. Der Terminus >Diskurs< kann formal definiert werden als »ein System des Denkens und Argumentierens, das von einer Textmenge abstrahiert ist und das erstens durch einen Redegegenstand, zweitens durch Regularitäten der Rede, drittens durch interdiskursive Relationen zu anderen Diskursen charakterisiert ist«. Michael Titzmann: Skizze zu einer integrativen Literaturgeschichte und ihres Ortes in einer Systematik der Literaturwissenschaft. In: M.T. (Hg.): Modelle des literarischen Strukturwandels. Tübingen: Niemeyer 1991, S . 3 9 5 415. Hier S.406. Der wissenschaftliche Diskurs wäre idealiter als Redeordnung aufzufassen, die Erkenntnisse über das Redeobjekt durch rationale Begründungsverfahren und durch Interdisziplinarität zu gewinnen versucht. Das Untersuchungsobjekt >Intellektuellen-Diskurs< als der unter Autoren, Publizisten und Wissenschaftlern in der Rolle des Intellektuellen geführte Diskurs über dieselbe ist realiter Beispiel einer diskursiven Formation, die von Interessen an der Durchsetzung kultureller, gesellschaftlicher, politischer, ideologischer und - nicht zu vergessen - auch persönlich-privater Ziele geprägt wird.

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1 Aufgabe der folgenden Anmerkungen zur Systematik und Historik des Intellektuellen-Diskurses kann es selbstverständlich nicht sein, die deutsch-deutschen Literaturverhältnisse zu thematisieren oder konkreter Erforschung der historisch-politischen Konfiguration beider deutscher PEN-Zentren vorzugreifen. Der Beitrag erinnert an die >essentials< analytischer Erfassung des in Frage stehenden Diskurses und deutet Konsequenzen an, die sich daraus für eine kritische Historisierung totalitärer deutscher Vergangenheit ergeben. 1 7 Beabsichtigt wird dabei nicht, mit einem strategischen Journalismus in Konkurrenz zu treten, der die Aufarbeitung der NSGeschichte gerne als >moralisierende< Veranstaltung beendet sehen und durch eine hypermoralische Verurteilung der DDR-Intellektuellen ersetzt haben möchte, um mit der intellektuellen >Linken< insgesamt abzurechnen. Der von Joachim Fest unmittelbar nach dem Mauerfall artikulierte Vorwurf, diese habe Unrecht und Terror im Realsozialismus weitgehend ignoriert, gab das Stichwort für konsonante Feuilletons, einen totalitären >Sündenfall' von links zu konstruieren, der die historisch ungleich fragwürdigere Mitschuld der deutschen Rechten im Nationalsozialismus zumindest moralisch-psychologisch entlastet. 1 8 Zu hinterfragen wäre allenfalls eine fachinterne Bereitschaft zur grundsätzlichen Revision der Geschichte der literarischen Intelligenz in Deutschland, die sich mit hermeneutischen Umwertungen der Klassischen Moderne, der Weimarer Zeit und der Restaurationsperiode im Umkreis dieser Agenda aufhält. 19 Tatsächlich schwindet heute die legitimatorische Funktion, die der ns-reflexive Interpretationsrahmen für die beiden deutschen Nachkriegsstaaten hatte: Mit dem Zusammenbruch der D D R hat der »Antifaschismus« und damit die ideologische Deutung des Nationalsozialismus als schwerste, doch erfolgreich bestandene Prüfung der

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Hierbei sollte man mit der Infragestellung der deskriptiven Reichweite des Links-RechtsSchemas vorsichtig sein. Vgl. Manfred Gangl/Gerard Raulet (Hg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage. Frankfurt/ M.: Campus 1994. Lizenzausgabe Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1994. Siehe Joachim Fest: Schweigende Wortführer. Überlegungen zu einer Revolution ohne Vorbild. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr.302, 30.12.1989, S.25. Konstruktiver argumentiert Paul Noack: Deutschland, deine Intellektuellen. Die Kunst, sich ins Abseits zu stellen. Stuttgart u.a.: Verlag Bonn Aktuell 1991. Vgl. beispielsweise Peter Ulrich Hein: Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992. So wenig dagegen einzuwenden ist, Manifeste abstrakter Maler und programmatische Aussagen sympathisierender Kunstpädagogen ein weiteres Mal auf totalitäre Implikationen und reaktionäre Gesellschaftsbilder hin zu befragen, die beigebrachten Belege subtiler Beziehungen reichen nicht aus, die bisherige wissenschaftliche Einschätzung des Verhältnisses von historischer Avantgarde und NS-Ideologie zu revidieren. Vor allem haben sie mit dem als Forschungsergebnis präsentierten Revisionsziel nichts zu tun: »Näher betrachtet ist das Vertrauen in den kraftspendenden Urgrund nordischer Rasse genauso unvernünftig wie umgekehrt der Glaube, nur als Kosmopolit und virtuoser Kenner gesellschaftlichen Raffinements zur ganzen Persönlichkeit aufsteigen zu können.« (S.285)

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deutschen Arbeiterbewegung endgültig ausgedient. Im Gegenzug ergibt sich für die ehemalige Bundesrepublik kein zwingender Zusammenhang mehr von Westintegration und den »Lehren der Vergangenheit«, wie diffus und unfreiwillig diese auch immer gezogen worden sind. 2 0

Daher entsteht zunächst der Eindruck eines Deutungsvakuums, das beliebig besetzt werden könnte. Für die Erkenntnis der deutschen Vergangenheit liefert die Tatsache der staatlichen Vereinigung indes keinen Boden neuer Tatsachen, der Ursache gäbe, das ns-reflexive Paradigma generell zu revidieren und die Geschichte der literarischen Intelligenz in Deutschland ab sofort zu Lasten der Linksintellektuellen umzuschreiben. Es bedurfte auch nicht, wie immer wieder suggeriert wird, erst des Untergangs der D D R , um die Majorität der kulturellen Linken in der vormaligen Bundesrepublik davon zu überzeugen, daß »der bürokratische Sozialismus mit Sicherheit eine soziale Pathologie ist, die mit der Selbstzerstörung der Gleichheitsidee im Pseudoegalitarismus parteigesteuerter Öffentlichkeiten zugleich jede intellektuelle Produktivität vernichtet«. 21 Das Interesse aber einmal beiseite gesetzt, die notwendig kritische Reflexion des historisch-politischen Verhaltens von Schriftstellern in der Zeit des Kalten Krieges neokonservativ zu präjudizieren, steht im Intellektuellen-Diskurs historisch mehr auf dem Spiel als die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. 22 Geht man davon aus, »daß die Figur des Intellektuellen ein diskursives Phänomen ist, das aus den Elementen des Intellektuellen-Diskurses rekonstruiert werden muß«, ist ein repräsentatives Korpus der Texte zu sichten, »welche die Figur entwerfen und ihr Eigenschaften, eine Rolle sowie Funktionen und Leistungen zuschreiben« 2 3 Aus den einschlägigen Dokumenten ermittelt sich dann allerdings eine Fülle von teils heterogenen, teils dichotomischen Zuschreibungen, die keine verbindliche Definition erlauben und zudem erhebliche Zweifel wecken, einem Diskurstyp konfrontiert zu sein, der die Produktion von Wissen über seinen Redegegenstand zum Ziel hat. 24 Vielmehr ist die ambivalente Funktion des Intellektuellen-Diskurses zentral, entweder ein Feind- oder ein Leitbild des >Intellektuellen< programmatisch zu normieren. Abgesehen von wissenschaftlich disziplinierter Rede und einer Reihe von Gegenkonzepten, die positive Definitionselemente zur

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Hanno Loewy: Einleitung des Herausgebers. In: H. L. (Hg.): Holocaust. Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992, S. 9 - 2 0 . Hier S.13f. Hauke Brunkhorst: Der Intellektuelle im Land der Mandarine. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S.28. Die zugehörige Frage nach der affirmativen oder systemkritischen Funktion der D D R - L i teratur bedarf sowohl werkseitiger als auch wirkungsanalytischer Untersuchungen. Vgl. Christi Kiewitz: Der stumme Schrei. Krise und Kritik der sozialistischen Intelligenz im Werk Christoph Heins. Tübingen: Stauffenberg 1994. Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß, in diesem Band S. 1 25. Hier S . l . Vgl. Michael Stark (Hg.): Deutsche Intellektuelle 1910-1933. Aufrufe, Pamphlete, Betrachtungen. Heidelberg: Lambert Schneider 1984.

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Geltung zu bringen versuchten, war es der >mainstream< des Intellektuellen-Diskurses in Deutschland, einen abrufbaren allgemeinen Affekt gegen Intellektuelle zu reproduzieren oder gegen die Fürsprecher der jeweils weltanschaulich oder politisch als feindlich identifizierten Position zu mobilisieren. Nach der Masse des Textmaterials zu urteilen, diente der Diskurs hierzulande wesentlich der Herstellung und Vermittlung eines gesellschaftlichen Feindbilds auf der sozialpsychologischen Grundlage projektiver Gegenidentifikation, die in der zum Massenmord entschlossenen Intellektuellenfeindschaft des Hitlerfaschismus ihren bislang unüberbotenen Gewaltausdruck fand. Keine Untersuchung, die den spezifischen Sachgehalt des Widerstreits um die Intellektuellenrolle in Deutschland zu erfassen sucht, kommt also an der historischen Tatsache vorbei, »daß die Judenverfolgungen des Dritten Reiches als antisemitische Intellektuellenverfolgungen begonnen hatten«. 2 5 Diskurskritische Aufklärung hat seither dem Verhältnis diskursiver Interferenz zu gelten, in dem sich Intellektuellen-Diskurs und Holocaust-Diskurs 2 6 gegenseitig überlagern. Wer also über das sozialistische Engagement von Schriftstellern und Intellektuellen diesseits und jenseits des >Eisernen Vorhangs< politisch und moralisch richten möchte, darf über Auschwitz nicht schweigen. Denn im Rekurs auf das traumatische Zentrum der Epoche, das zum Beweis für die Barbarei des politischen Gegners diente, rechtfertigten sich die intellektuelle Akzeptanz des Realsozialismus und die Ambivalenz intellektueller Kritik der realsozialistischen Misere. Vor allem aber bleibt der Intellektuellen-Diskurs systematisch unverstanden, solange man nicht die triadische Vorurteilsstruktur entfaltet, auf die er sich entweder affirmativ oder kritisch bezieht, nämlich auf das historische Syndrom aus Antiintellektualismus, Antisemitismus und Antisozialismus. Es dauerte bis weit in die sechziger Jahre, ehe sich der das zählebige anti-intellektuelle Ressentiment einschränkende Gegendiskurs auch innerhalb der deutschen Intellektuellendebatten durchzusetzen begann. 2 7 Geht man vom wortgeschichtlichen Ursprung des Intellektuellen-Diskurses aus, hat »die Intervention Zolas« in der Dreyfus-Affäre als der historische »Gründungsakt [...] des Schriftstellers als Intellektueller« 2 8 zu gelten. Von dort leitet sich nicht nur das Schlagwort >intellectuels< her, sondern zugleich ein prototypisches Verständnis der Diskursrolle: Ein Schriftsteller setzt sein Ansehen ein, um sich in einem konkreten Fall politisch zu engagieren. Er tut dies im Namen allgemeiner aufklärerischer Werte [...] und der republikani-

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Hans Kilian: D a s enteignete Bewußtsein. Zur dialektischen Sozialpsychologie. Neuwied, Berlin: Luchterhand 1971, S. 84. Dazu bes. James E. Young: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt/M.: Jüdischer Verlag 1992. Eine verspätete Intellektuellenbeschimpfung mit theoretischem Anspruch legte Helmut Schelsky vor: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1975. Lizenzausgabe München: dtv 1977 (dtv 1276). Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß, S. 15.

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Michael Stark sehen Grundwerte (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Der Schriftsteller bedient sich der Medien, um Öffentlichkeit herzustellen, und setzt dabei spezifische publizistische und rhetorische Mittel ein (Offener Brief, Appell, Erklärung, Resolution, Gruppenmanifest). Der Schriftsteller bewährt sein Engagement, indem er persönlich die Konsequenzen trägt (Verurteilung, Exil). 2 9

Erst in Kenntnis der Affäre und durch die Bestimmung ihres historisch-politischen Gehalts freilich gewinnt diese Erläuterung der Rolle des kritischen Intellektuellen eine präzise diskursgeschichtliche Bedeutung. Zwar birgt der um 1900 in Frankreich zwischen Militär, konservativen und antisemitischen Republikgegnern auf der einen und liberalen und sozialistischen Republikanern auf der anderen Seite ausgetragene Streit, der das Land an den Rand eines Bürgerkriegs brachte, heute keine Geheimnisse mehr. 30 Doch scheint es noch immer notwendig, Modellcharakter und Stellenwert dieses Justizskandals eigens zu betonen, zumal das damals profilierte Leitbild des literarischen Intellektuellen in Deutschland über ein halbes Jahrhundert lang wenig Chancen hatte, erinnerungsprägend und damit wegweisend zu wirken. Um die wichtigsten Merkmale des Vorgangs zu rekapitulieren: Die Affäre um den zu Unrecht wegen Spionage angeklagten und zu lebenslänglicher Verbannung verurteilten Offizier »entstand in einem republikanischen Staat, der antisemitischen, nationalistischen und autoritären Gefahren ausgesetzt war«. 31 Antisemitische Ausschreitungen bezeugten die Bereitschaft, Dreyfus als Juden, Fremden und Assimilierten von vorneherein für schuldig zu halten. So wurde die Affäre zum Schlüsselerlebnis für den Begründer des politischen Zionismus: Theodor Herzl, der als Auslandskorrespondent über den Prozeß berichtete, gelangte damals zu der Überzeugung, daß nur die Gründung eines autonomen jüdischen Staates künftig vor Anfeindungen schütze. 32 Da es Indizien gab, Dreyfus sei Opfer einer durch reaktionäre Kreise gedeckten Rechtsbeugung, setzten sich immerhin prominente Schriftsteller, Wissenschaftler und engagierte Bürger für eine Revision des Verfahrens ein. Von den Nationalisten als vaterlandsverräterische >Intellektuelle< beschimpft, griffen diese Bürgerrechtler das Stigma auf und wendeten es positiv. Inbesonders aber gelang die Machtprobe: Der Vorverurteilte mußte begnadigt und am Ende rehabilitiert werden. So wurde die Affäre zugleich zum Schlüsselerlebnis für den möglichen Erfolg intellektuellen Protestverhaltens: »Der Begriff des intellektuellem barg mithin die Erinnerung an einen entscheidenden Platzverweis oder auch paradigmatischen Wechsel: Die Argumentation, die gelehrte und moralisch verantwortungsbewußte Anstrengung des Kopfes, war in der Lage, sich an die Stelle

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Ebd. Vgl. schon Bruno Weil: Der Prozeß des Hauptmanns Dreyfus. Berlin: Walther Rothschild 1930. Vincent Duclert: Die Dreyfus-Affäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß. Berlin: Wagenbach 1994, S. 117. Vgl. Theodor Herzl: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig, Wien: Breitenstein 1896; Zürich: Manesse 1988.

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der traditionellen Geheimnis- und Machtträger zu setzen«. 33 Der Sieg erwies sich in der Folgezeit jedoch als vergänglich. Denn die Erinnerung an die >Geburtsstunde< der europäischen Intellektuellen schließt heute das Gedenken ein, daß »Madeleine Levy, Enkelin von Alfred Dreyfus, [...], gefoltert wie er, 1944, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, in Auschwitz ermordet« 3 4 wurde. Spätestens seit der DreyfusAffäre sind der als Reaktion auf die Französische Revolution entstandene konservative Antiintellektualismus und der im Gefolge nationalistischer Ideologiebildung populär gewordene moderne Antisemitismus im aggressiven Affekt gegen kritische Intellektuelle miteinander verwoben. Von der bolschewistischen Revolution und den räterepublikanischen Experimenten schockiert, trat der bürgerliche Antisozialismus hinzu. Geht man von der normativen Explikation der Rolle des Schriftstellers als Intellektueller aus, wie sie im Fall Dreyfus beglaubigt wurde, ist vorab wichtig festzuhalten, »daß ein kritisches Prinzip - und nicht eine Ideologie oder Wahrheit - am Ursprung eines repräsentativen Engagements [der Intellektuellen] stand, eines Bewußtseins über Bürgerrechte und einer Ethik des Wissens.« 35 In Deutschland waren es Autoren aus dem Umkreis des literarischen Expressionismus und Aktivismus, die sich auf das französische Vorbild beriefen und es als innovativ präsent hielten: >Intellektuelle< sei »nicht ein zur beliebigen Verfügung stehendes Schlagwort, sondern die Bezeichnung für eine geschichtliche Erscheinung«, wandte Rene Schikkele gegen die schon bald einsetzende Zerfaserung des Intellektuellen-Diskurses ein und hob auf den parteiunabhängigen Status der dreyfusistischen Opposition ab: »Es war eine Partei geistiger Freischärler. Die Partei der Unprofessionellen oder gar Parteilosen, hochherzig empfindender und radikal denkender Bürger, die vor allem geistige Ziele verfolgten.« 36 Vom anti-modernen Kulturgebaren des Wilhelminismus gereizt, fühlte sich die revoltierende Literatengeneration durch Mentoren wie Heinrich Mann bestätigt, dessen vielbeachteter Essay Geist und Tat das programmatische Diktum enthielt: »Der Faust- und Autoritätsmensch muß der Feind sein. Ein Intellektueller, der sich an die Herrenkaste heranmacht, begeht Verrat am Geist. Denn der Geist ist nichts Erhaltendes und gibt kein Vorrecht.« 37 Noch stand vielfach jedoch der geistesaristokratisch-elitäre Führungsanspruch einer fortschrittlich demokratisch-egalitären Auffassung von der gesellschaftlichen Funktion des Intellektuellen im Wege. Otto Flake, der den Rollenwechsel vom unpolitischen Dichter zum politischen Literaten damals mit Skepsis kommentierte, hielt über-

" Ulrike Haß: Vom »Aufstand der Landschaft gegen Berlin«. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd.8: Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. Hg. von Bernhard Weyergraf. München, Wien: Hanser 1995; München: dtv 1995. S. 3 4 0 - 3 7 0 . Hier S. 361. 34 So die Widmung von Jacques Kayser. Zit. nach: V. Duclert: D i e Dreyfus-Affäre, S. 141. M Ebd., S. 145. 36 Rene Schickele: Die Politik der Geistigen. In: März 7 (1913) H . l l , S . 4 0 5 - 4 0 7 , H.12, S . 4 4 0 - 4 4 1 , H. 14, S . 3 0 - 3 1 . Zit. nach: Michael Stark (Hg.): Deutsche Intellektuelle, S.53. 37 H. Mann: Geist und Tat. In: Pan 1 (1910/11) Nr.5, S. 137-143. Zit. nach: Michael Stark (Hg.): Deutsche Intellektuelle, S.40.

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haupt mangelnde öffentliche Anerkennung der Kulturintelligenz für das ursächliche Motiv: Köpfe mit modernem Selbstbewußtsein [...] werden mit Haß auf Verhältnisse reagieren, in denen die Machthaber das einzige Recht, das sie der Kunst gegenüber haben: die großen Talente zu weithin sichtbaren Repräsentanten der nationalen Kultur zu machen, nicht nur nicht ausüben, sondern sie geflissentlich übersehen oder gar beschimpfen; aus diesem H a ß [...] entstand, später als in anderen Ländern, und noch heute bei uns nicht als berechtigt erkannt, der Intellektuelle,38

Literaturhistorisch betrachtet, lief die wertpositive Aneignung des Intellektuellenbegriffs in der Zeit des Expressionismus mit der Entwicklung einer engagierten Literatur parallel, die den Paradigmenwechsel zur Gesinnungsästhetik vollzog: Von der Überlegenheit und Langeweile des dekadenten, dandyhaften Ästhetismus zur Rhetorik des Aktivismus und der ihn propagierenden »ideelichen Kunst«; vom selbstbildenden Individualismus zum weltverbessernden ethisch-politischen Engagement; vom reformistischen Liberalismus innerhalb des bestehenden Systems zum aristokratischen Sozialismus bzw. revolutionären Utopismus, der sich vornahm, das bestehende System qualitativ zu verändern. 3 9

Was den Intellektuellen-Diskurs im Wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik angeht, gelang indessen weder der >coup de paroleinnerer< Feinde hierzulande wie nirgendwo sonst auf Akzeptanz in den staatstragenden Eliten und in breiten Schichten der Bevölkerung stützen konnte. Es war die deutsch-nationale Ideologie, die populäre Ressentiments gegen Juden, Intellektuelle und Sozialisten im Feindbild des jüdischen Intellektuellem konzentrierte und damit zum Einstieg in die Eliminationspolitik der Nazis beitrug. 40

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Otto Flake: Von der jüngsten Literatur. In: N e u e Rundschau 26 (1915) H.9, S. 1276-1287. Zit. nach: Michael Stark (Hg.): Deutsche Intellektuelle, S.82. Richard W. Sheppard (Hg.): Die Schriften des N e u e n Clubs 1908-1914. Bd.2. Hildesheim: Gerstenberg 1983, S.473. Darauf geht der in Unkenntnis des wissenschaftlichen Forschungsniveaus zum Medienereignis hochstilisierte Ansatz eines kollektiven >eliminatorischen Antisemitismus< gar nicht erst ein: Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin: Siedler 1996.

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2 Aufgabe der nachstehenden Anmerkungen zur Interferenz zwischen dem Intellektuellen-Diskurs der Weimarer Zeit und der diskursiven Entwicklung der sogenannten >Judenfrageseelenlosen JudenJuden< austauschbar. 44 In den 20er Jahren wurden dann beide Stereotypen für die Bestimmung des >Undeutschen< zentral. Damit war dem im nationalen Phantasma von Überfremdung, Zersetzung und Verrat bedrohten Kollektivselbst in Gestalt eines angeblich wurzellosen, volksfernen, parasitären, krankhaf-

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Vgl. Reinhard Rürup: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur »Judenfrage« in der bürgerlichen Gesellschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975. Vgl. zuletzt Gunnar Heinsohn: Warum Auschwitz? Hitlers Plan und die Ratlosigkeit der Nachwelt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995. Michael Stark (Hg.): Der »Kondor-Krieg«. Ein deutscher Literaturstreit. (Fußnoten zur Literatur 36) Bamberg: Otto-Friedrich-Universität Bamberg 1996, S.4. Vgl. Michael Stark: Für und wider den Expressionismus. D i e Entstehung der Intellektuellen-Debatte in der deutschen Literaturgeschichte. Stuttgart: Metzler 1982.

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ten, kopflastigen, überzüchteten, arroganten, dekadenten und destruktiven Gegenkollektivs das fremde Andere erfunden, das um der Bewahrung des Eigenen willen ausgegrenzt werden müsse. Als Beleg für die verheerende Breitenwirkung der diffamierend gemeinten Gleichsetzung von >Jude< und »Intellektuellen mag die diskursive Logik eines banalen Vierzeilers genügen, der am Ende der Weimarer Periode kursierte: »Hinweg mit diesem Wort, dem bösen,/mit seinem jüdisch grellen Schein!/Nie kann ein Mann von deutschem Wesen/Ein Intellektueller sein.« 45 Fraglos war die Fiktion des von den deutschen Juden gefährdeten Deutschtums für das Gros der nichtjüdischen Kultur- und Funktionsintelligenz schon zeitgenössisch als absurde Konstruktion zu durchschauen. Dies hinderte jedoch Vertreter der überwiegend rechtskonservativ und deutsch-national orientierten Eliten keineswegs, sich an der Verquickung von Judenhetze und Intellektuellenschelte zu beteiligen. So beklagte ζ. B. Gustav Roethe, um einen damals führenden Germanisten zu nennen, die »Übermacht drückender fremder Geistesgewalten« 46 als Grundübel der »jetzigen Zustände, die unweigerlich zur Verewigung unserer Versklavung führen müssen, und die man ohne Ausnahme auf die verderblichen Einflüsse der Demokratie und des Parlamentarismus« 47 zurückführen könne. Für sich und seinesgleichen erklärte er es zur Zumutung, »von Juden und Proleten« 48 regiert zu werden. Noch weniger Skrupel hatten Geisteswissenschaftler, die nach dem Untergang der verachteten >Judenrepublik < als Ruhmredner der »nationalen Erhebung< reüssierten und dem kruden NS-Rassismus die akademischen Weihen erteilten. So erklärte etwa Carl Schmitt, um ein bedeutendes Talent der damaligen Juristenzunft zu zitieren: »Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und händlerische Beziehung«, und fügte bedenkenlos hinzu, daß Deutsche »überhaupt zu dem innersten Wesen der Juden keinen Zugang haben. Wir kennen nur ihr Mißverhältnis zu unserer Art. Wer diese Wahrheit einmal begriffen hat, der weiß auch, was Rasse ist.« 49 Seine Theorie des Politischen, derzufolge Politik auf Feinderklärung beruht und nach der der politische Feind prinzipiell als »ein Anderer, ein Fremder«50 zu modellieren ist, überbot das vulgäre antisemitische Wahnbild vom

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Zit. nach Dietz Bering: Die Intellektuellen, S.3. Gustav Roethe: Wege der deutschen Philologie. (Gehalten als Rede zum Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1923.) In: G. R.: Deutsche Reden. Hg. von Julius Petersen. Leipzig: Quelle u. Meyer [1927], S. 439-456. Zit. nach: Anton Kaes (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933. Stuttgart: Metzler 1983, S. 117. So Gustav Roethe nach dem Bericht des Berliner Lokal-Anzeiger vom 29.10.1919 in seinem Vortrag zur Gründungsversammlung des »Deutschnationalen Lehrerbundes«. Zit. nach: Anton Kaes (Hg.): Weimarer Republik, S. 119. So Gustav Roethe nach Cläre Meyer-Lugau: Kultusministerium. In: Die Weltbühne 16 (1920) Nr. 35, S.229. Zit. nach: Anton Kaes (Hg.): Weimarer Republik, S.119. Carl Schmitt: Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. In: Deutsche Juristen-Zeitung 1936, Sp. 1197. Zit. nach: Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München: Kindler 1987, S.52. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. 3. Aufl. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1933, S.8.

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moralisch bösen, ästhetisch häßlichen und wirtschaftlich mit unlauteren Mitteln konkurrierenden >JudenArtverschiedenheit< zur Theorie hermeneutischer Inkommensurabilität verfeinerte: »Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedanken in den existentiellen Bedingungen seiner Art.« 51 Jürgen Habermas verwies unlängst im Blick auf Jacob Grimms Beitrag zur ersten Germanistenversammlung im Vormärz auf die Anfänge einer Hermeneutik der Exklusion. Denn die als alternativ zur beobachtenden und erklärenden Verfahrensweise der Naturwissenschaften gedachte Methode geisteswissenschaftlichen Verstehens kultureller Eigenart und Individualität sah ein privilegiertes Erkenntnissubjekt vor: Grimm hat nicht nur den Gegensatz von Allgemeinem und Besonderem vor Augen. Er verbindet damit den Kontrast des Fremden und des Eigenen. Die hermeneutische Einsicht in die Vorurteilsstruktur des Verstehens wird dahingehend pointiert, daß wir das Eigene besser verstehen als das Fremde. Gleiches muß von Gleichem erkannt werden. [...] D a s hermeneutische Verstehen scheint vom Pathos der einverleibenden Aneignung zu leben. 5 2

Martin Heideggers Verneigung vor Hitler leistete den Offenbarungseid einer Epistemologie, die Erkenntnis als Einverständnis mit dem Eigenen und völkische Empathie konzipiert: »Wahrheit ist die Offenbarung dessen, was ein Volk in seinem Handeln und Wissen sicher, hell und stark macht.« 53 Carl Schmitt wiederum zeigte gelegentlich der Ausbürgerung jüdischer und nicht-jüdischer deutscher Schriftsteller und Publizisten als Repräsentanten jüdischen Intellekts< die antipathische Kehrseite der Rhetorik einfühlender Inkorporation: »Auf jene deutschen Intellektuellen aber wollen wir verzichten [...]. Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten.« 54 Ohne Frage war auch die nach Niederlage und Novemberrevolution verbreitete Fama bolschewistischer Neigungen der jüdischen Kulturintelligenz als fadenscheinige Kampagne durchschaubar, die antisemitische Emotionen gegen den Systemwandel zur Demokratie wachrufen sollte. 55 An Gestalten wie Rosa Luxemburg und M

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Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1933, S.45. Zit. nach: Ingo Müller: Furchtbare Juristen, S.52. In: Süddeutsche Zeitung, Nr.223, 26.9.1996, S.16. Zitiert nach N o a m Chomsky: Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, S. 126. Carl Schmitt: Die deutschen Intellektuellen. In: Westdeutscher Beobachter, Nr. 126, 31.5.1933, S. 1. Zit. nach: Ingo Müller: Furchtbare Juristen, S.51. Vorwand lieferten womöglich manifestantische Aussagen der literarischen Avantgarde: »Der >Intellektuellejüdische Intellektuelle< die seit der Judenemanzipation als ständige Erscheinung im öffentlichen Leben auftretenden jüdischen Literaten und politischen Agitatoren verstanden, welche durch den Radikalismus ihrer revolutionären Zielsetzung charakterisiert sind.« 56 Obwohl sich jüdische und nicht-jüdische Revolutionäre in ihrer Radikalität so wenig unterschieden wie systemidentifizierte Juden und Nichtjuden in ihrer antirevolutionären Bürgerlichkeit, glaubte Robert Michels das zum Problem völkischer Soziologie erklärte Phänomen aus der historisch bedingten gesellschaftlich-kulturellen Sonderstellung des Judentums begreifen zu müssen, in dem »überall noch ein altes und berechtigtes Gefühl sittlicher Empörung über das seinem Volkstum zugefügte Unrecht« gäre, »das sich [...] leichter als bei dem Germanentum in die Empfindung des Abscheus vor allem Unrecht durchsetzt und sich zur Höhe eines revolutionären Dranges nach großangelegter Weltverbesserung erhebt.« 57 Für diese kollektive Anlage zu radikaler Opposition sprächen ferner »das kurze historische Gedächtnis der Juden, das sie an den Traditionen der Gastvölker nur sehr geringen Anteil nehmen ließ; der brennende Ehrgeiz, der alle jüdischen Könner beseelt und sie mit der Autorität in Konflikt bringt, sobald diese sich ihnen nicht fügt; ihre internationale Beziehungswelt und Verwandtschaft; endlich ihr, den Besten unter ihnen eigener, welterlösender Messianismus.« 58 Wer mit Werner Sombart, der die Formel vom »Intellektualismus des jüdischen Volkes« prägte, einseitige Ausbildung »geistiger Interessen und geistiger Fähigkeiten« und unterentwickelte »empfindungs- und gefühlshafte Beziehung zur Welt« für die »Eigenart des jüdischen Wesens« 59 hielt, sah diese vermeintliche Wesenseigenschaft im Intellektuellen potenziert: D e n jüdischen Intellektuellen mangelt in hohem Maße die Fähigkeit, irrationale Faktoren, die in der Volksseele, an die sie sich wenden, eine große Rolle spielen: Liebe zur Heimat, zur Volkssprache, zu allen traditionellen Werten, in ihr Denken einzubeziehen. [...] nie ist es der empirische Gegenstand »Heimat«, »Vaterland«, den sie lieben, sondern die Idee einer vollkommenen Gestalt desselben, ein Abstraktum. 6 0

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Rudolf Schay: Die jüdischen Intellektuellen. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 3 (1923) Bd. 2, S. 126. Ebd., S. 125. Robert Michels: Historisch-kritische Untersuchungen zum politischen Verhalten der Intellektuellen. In: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 57 (1933) Bd.2, S . 2 9 - 5 6 . Hier S.41. Werner Sombart: Der Intellektualismus der Juden. [Aus: W.S.: D i e Juden und das Wirtschaftsleben. 10./11. Aufl. München: Duncker & Humblot 1920.] In: Der Spiegel 2 (1920/ 21) H. 14/15, S. 1 6 - 2 0 . H i e r S . 1 6 . Rudolf Schay: Die jüdischen Intelektuellen, S. 126.

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Es erübrigt sich, die auf der Grundlage der negativen Konnotationen von i n t e l l e k tuellem und >Jude< damals erzielten Austauscheffekte weiter zu detaillieren. Ein beschränkter Vorrat von Stereotypen, Formeln und Floskeln reichte hin, am konstatierten Gegensatz zum Judentum ein deutsch-nationales Selbstbildnis aufzurichten und Pazifismus, Sozialismus und Internationalismus als typisch >jüdisch< zu marginalisieren. Zwar versuchten nichtjüdische Schriftsteller, sich über die diskursive Interferenz zu solidarisieren: »Wir Intellektuellen teilen im jetzigen Deutschland das Los der Juden, außerhalb zu stehen, geistig heimatlos zu sein, keine Gemeinschaft mit dem zu haben, was als nationales Denken gilt.« 61 Doch die längst dominant gewordene Ausgrenzungsfunktion beider Diskurse ermöglichte es, solche Identifikation gerade als den deutlichsten Beweis für die sogenannte »Verjudung der deutschen Literatur« 6 2 anzuführen. Fraglos war die Betonung des hohen Anteils jüdischer Autoren an Expressionismus, literarischem Aktivismus und unter den Linksintellektuellen der Weimarer Republik seinerzeit vor allem eine Strategie, verbreitete Vorbehalte gegen moderne Kunst und engagierte Literatur für antisemitische Agitation zu nutzen. Dieser Sachverhalt und der demagogische Interdiskurs, der Intellektuelle als >Juden< und Juden als >Intellektuelle< aussonderte, haben es vielen Interpreten verleidet, das Faktum besonderer Affinität jüdischer Schriftsteller zu modernen Kulturbewegungen mit politisch-utopischem Einschlag als erklärungsbedürftig zu thematisieren. »Es ist reines antisemitisches Tendenzdenken oder philosemitische Engstirnigkeit«, urteilte noch Peter Gay, »das große Phänomen der Moderne vom Standpunkt der jüdischen Frage aus zu erörtern.« 6 3 Nichtsdestoweniger darf man weder die sozialpsychologisch prekäre Situation von jüdischen Intellektuellen in einer juden- und intellektuellenfeindlichen Gesellschaft aus den Augen verlieren noch die Bedeutung des »jüdisch-messianischen Denkens« 6 4 für ihr kulturrevolutionäres oder systemkritisches Engagement übersehen. Dabei geht es offensichtlich nicht darum, den obsoleten Diskurs über Judentum und Deutschtum unter anderem Vorzeichen fortzusetzen, sondern der Spezifik soziokultureller Emanzipation von Juden als Deutsche gerecht zu werden, die sich der intellektuellen Linken zuwandten: »Das Ergebnis war eine Sonderform des Sozialismus, die die sozialistische Orthodoxie ablehnte [.. .]« 65

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Otto Flake: Die großen Worte. In: Der neue Merkur 4 (1920/21), S.72. Vgl. die Kritik von Lion Feuchtwanger: Die Verjudung der deutschen Literatur. In: Der Spiegel 2 (1920/21) H. 14/15, S.23. Peter Gay: Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen Kultur, (dtv 11027) München: dtv 1989, S.42. Vgl. Hans Otto Horch: Expressionismus und Judentum. Zu einer Debatte in Martin Bubers Zeitschrift »Der Jude«. In: Thomas Anz/Michael Stark: Die Modernität des Expressionismus, S. 120-141. Siehe auch John Milfull: Marginalität und Messianismus. Die Situationderdeutsch-jüdischen Intellektuellen als Paradigma für die Kulturkrise 1910-1920. In: Bernd Hüppauf (Hg.): Expressionismus und Kulturkrise. (Reihe Siegen 42/Germanistische Abteilung) Heidelberg: Winter 1983, S. 147-157. George L. Mosse: Jüdische Intellektuelle in Deutschland. Zwischen Religion und Nationalismus. (Edition Pandora 1) Frankfurt/M., New York: Campus 1992, S.91.

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und eine Humanisierung des Marxismus anstrebte. Schriftsteller vom Rang Kurt Tucholskys, die ihre deutsch-jüdische Identität in einer linken Identität fanden, haben nicht nur den Opportunismus und Dogmatismus in Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei attackiert, sondern auch alle Institutionen, denen der libertäre Intellektualismus mit Skepsis oder Ironie begegnet: Kirche, Staat, Militär, Aristokratie, Justiz, Bürgerlichkeit, Bürokratie usw. mit Kritik überzogen und wurden dafür als >jüdische Zersetzen gescholten, verfolgt, vertrieben oder zu Tode gebracht. Als hätten sie sich ihr Grab selbst geschaufelt, hielt der vergangenheitspolitische Konsens in der Bundesrepublik noch lange am Argwohn gegen die linksintellektuellen >Totengräber< der Weimarer Republik fest, »die durch ihre scharfe Polemik und Satire - sie richtete sich ja keineswegs nur gegen Nationalisten und Faschisten die Republik unterhöhlt hatten«, 66 um ein antidemokratisches Äquivalent zur direkten Komplizenschaft der Rechten und für das nahezu vollständige Versagen des deutschen Bürgertums im Nationalsozialismus vorweisen zu können. Die gegenwärtig unterschiedslos gegen die Linksintellektuellen der beiden deutschen Nachfolgestaaten gerichtete Schuldzuschreibung, bei der Subversion des realsozialistischen Systems versagt oder gar entscheidend an der Aufrechterhaltung subhumaner Gouvernanz mitgewirkt zu haben, erscheint in historischer Perspektive weniger als ein moralisches Pendant erkenntnisorientierter Analyse denn als triviale Ventilsitte, gesellschaftskritische Reflexion durch Selektion von >Sündenböcken< zu ersetzen.

3 Aufgabe der abschließenden Anmerkungen zur Tiefenstruktur des deutschen Intellektuellen-Diskurses kann es nicht sein, die Analyse des Antisemitismus als Code substantiell zu bereichern. 67 Anliegen ist es, das Motiv rationaler Kritik des historisch-politischen Verhaltens von Schriftstellern als Intellektuelle und sachlicher Korrektur idealisierender oder anderweitig defizienter Konzepte der Intellektuellenrolle von Interessen abzugrenzen, die gegenintellektuelle Ressentiments und Affekte wiederzubeleben versuchen. Um vorab problematische Modalitäten schriftstellerischer Positionierung im Spannungsfeld von Literatur und Politik zu resümieren, wie sie sich in der Weimarer Zeit beobachten lassen, ist erstens der Typus des >unpolitischen< Autors zu nennen, der Politik und Literatur als absolut verschiedene Sphären begreift, aber damit die politischen Implikationen seiner literarischen Produktion übersieht oder nicht wahrhaben will. Rollenkritisch zu betrachten wäre

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Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1962, S.389. Vgl. Shulamit Volkov: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays. München: C. H. Beck 1990.

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z w e i t e n s d e r Typus d e s Schriftstellers als L i t e r a t u r p o l i t i k e r , d e n die M a c h t e r g r e i f u n g d e s G e i s t e s fasziniert: Diese Aktivisten teilen mit den unpolitischen Dichterfürsten und mit den Mandarinen der Wissenschaft den bildungselitären Anspruch aufs Höhere, während sie mit den Realpolitikern die falsche Annahme teilen, daß politisches Engagement für den Intellektuellen heißen müsse, im Kampf der politischen Parteien eine eigene Machtposition zu erringen und im politischen Betrieb selbst eine Funktion zu übernehmen. 6 8

P r o b l e m a t i s i e r t w e r d e n k a n n d r i t t e n s d e r Typus d e s Schriftstellers als P a r t e i f u n k t i o n ä r , d e r im L o y a l i t ä t s k o n f l i k t seine kritische D i s t a n z a u f g i b t o d e r zur A u f g a b e g e z w u n g e n wird. W a s n u n die m o r a l i s c h e Q u a l i t ä t d e s schriftstellerischen E n g a g e m e n t s a n b e langt, wird m a n u m B e i s p i e l e v o n O p p o r t u n i s m u s u n d N i e d e r t r a c h t nicht v e r l e g e n sein, in d e n e n sich A u t o r e n als i d e o l o g i s c h e W o r t f ü h r e r h e r v o r t a t e n , u m i n t e l l e k t u elle K o n k u r r e n z a u s z u s c h a l t e n : » Z u Z e i t e n H i t l e r s u n d Stalins ist d a s d e n I n t e l l e k t u e l l e n , die sich f ü r die jeweilige P a r t e i e n g a g i e r t e n , a u f s b e s t e g e l u n g e n : i h r e G e g n e r v e r s c h w a n d e n in d e r E m i g r a t i o n o d e r in d e n G e f ä n g n i s s e n u n d T o d e s l a g e r n , w ä h r e n d sie die P o s t e n in A k a d e m i e n , U n i v e r s i t ä t e n , S c h r i f t s t e l l e r v e r b ä n d e n u n d V e r l a g e n u s u r p i e r t e n . « 6 9 H e u t e , d a m a n K a r r i e r e n u n d L e b e n s l ä u f e d e r literaris c h e n I n t e l l e k t u e l l e n im 20. J a h r h u n d e r t zu ü b e r b l i c k e n b e g i n n t , e n t d e c k t sich u n s eine ambivalente Geschichte des Mutes, der Opferbereitschaft, der künstlerischen u n d s ä k u l a r - r e l i g i ö s e n H i n g a b e wie d e r m e n s c h l i c h e n Feigheit u n d G e m e i n h e i t , e i n e G e s c h i c h t e s o w o h l weitsichtiger E r k e n n t n i s als a u c h f o l g e n s c h w e r e n I r r t u m s . E i n s u m m a r i s c h e s V e r d i k t ergibt sich d a r a u s so w e n i g wie ein triftiges A r g u m e n t , die R o l l e d e s k r i t i s c h e n I n t e l l e k t u e l l e n zu d e m e n t i e r e n o d e r sich k ü n f t i g auf die V e r g e s e l l s c h a f t u n g k r i t i s c h e r K o m p e t e n z zu v e r l a s s e n . In d e r p o p u l i s t i s c h e n Symp a t h i e f ü r d i e » v o l k s t ü m l i c h e D r e i e i n i g k e i t a u s schlichten E i n s i c h t e n d e s G e m e i n sinns, k o n v e n t i o n e l l e r M o r a l u n d u n e r s c h ü t t e r l i c h e r K l e i n e - L e u t e - S k e p s i s s t e c k t ein leicht e r k e n n b a r e s M o m e n t d e r R e g r e s s i o n . « 7 0 V o m V e r s c h w i n d e n d e r I n t e l l e k t u e l l e n r e d e t leicht, w e r sich v o n d e n z u g e m u t e t e n V e r p f l i c h t u n g e n d e r R o l l e e n t l a sten m ö c h t e . D i e politische u n d gesellschaftliche E n t w i c k l u n g zu b e e i n f l u s s e n , ind e m m a n als S c h r i f t s t e l l e r f ü r v o r e n t h a l t e n e R e c h t e a n d e r e r , f ü r u n t e r d r ü c k t e A l t e r n a t i v e n u n d f ü r h u m a n i t ä r e n W e r t e w a n d e l e i n t r i t t , ist j e d o c h n a c h wie v o r m ö g l i c h u n d d a h e r n o c h i m m e r ein K r i t e r i u m s c h r i f t s t e l l e r i s c h e r V e r a n t w o r t u n g . Mit d e m Z e r f a l l d e r S y s t e m - U t o p i e n als G r u n d l a g e d e r L e g i t i m a t i o n d e s G l a u b e n s an die historische Mission p a r t i k u l a r e r Kollektive wie Volk, N a t i o n , Klasse, R a s s e ,

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Jürgen Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland, S.457. Hans Dieter Zimmermann: Der Wahnsinn des Jahrhunderts. Die Verantwortung der Schriftsteller in der Politik. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1992, S. 10. Hauke Brunkhorst: Der entzauberte Intellektuelle. Über die neue Beliebigkeit des Denkens. Hamburg: Junius Verlag 1990, S. 16. Ironischer Einwand gegen Hans Magnus Enzensberger: Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988.

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die Zukunft aller zu bestimmen, und mit dem Ende der »autoritär-etatistischen Linie des utopischen Denkens« 71 haben sich weder die Notwendigkeit von Systemkorrekturen der modernen Verfahrensdemokratie und das Problem normativer Begrenzung ihrer Wirtschaftsweise erledigt, noch der originäre Impetus der undogmatischen Linken überlebt, dem politischen Verrat der republikanischen Grundwerte unter dem Diktat ökonomischer Sachzwänge entgegenzutreten. Gerade die im Zeichen der Globalisierung des pluralistischen Kapitalismus verschärfte Verdrängungslogik, die inzwischen die Marginalisierung ganzer Gesellschaftsgruppen in Kauf nimmt, bedarf mehr denn je des kommunikativen Gegendrucks protestierender und moralisierender Öffentlichkeiten. Obwohl rezidive Intellektuellenschelte hierzulande einen noch stets in den Diskurs der Weimarer Zeit zurückversetzt, wäre es verfehlt, dem aktuellen Ehrgeiz, die >Lebenslügen< sozialistischer Intellektueller zu entlarven, auch heute noch antisemitische Impulse zu unterstellen. 72 Im Vergleich zu Weimar verbietet der Intellektuellen-Diskurs der Bundesrepublik jedenfalls als irregulär, mit negativer Tendenz von Intellektuellen als >Juden< und von Juden als >Intellektuellen< zu sprechen. Auch gab es immer schon eine liberal-demokratische Gegnerschaft zu Kommunismus und Sozialismus, die frei war von Judenfeindlichkeit und Antiintellektualismus. Vor dem Hintergrund gegenintellektueller Bestrebungen, über plausible Kritik intellektueller Deformationen hinaus die Rolle des Schriftstellers oder des Wissenschaftlers als Intellektueller und ihren gesellschaftskritischen Moralismus zur sozialen Pathologie und Dysfunktion einer ohne sie womöglich besser verlaufenden Systementwicklung zu erklären, kommt es mir nur auf eines an: Die Aufarbeitung der NS-Gewaltpolitik, die »jegliches, was die Ahnung an Anderssein und Veränderung aufrechterhält, zu vernichten drohte«, 73 und die Enthüllung der Indifferenz und Ignoranz der damaligen Öffentlichkeit als eine Bedingung der Möglichkeit, das Projekt nationaler Homogenität durch Erfassung, Aussonderung und Ermordung der als heterogen definierten Mitmenschen zu realisieren, öffnen die Augen für das eigentliche tertium comparationis der beschriebenen diskursiven Interferenz: Historische Forschung widerspricht der schlichten Vorstellung, das im Namen >Auschwitz< erinnerte NS-Verbrechen gegen die Menschheit lasse sich als Resultat kumulativer Steigerung antijüdischer Affekte und eines besonders in der deutschen Geschichte vorzufindenden eliminatorischen Judenhasses begreifen, der von der NSWeltanschauung rassistisch-biologistisch radikalisiert und systematisch exekutiert wurde. 74 Zwar waren es vor allem die europäischen Juden, auf die sich das durchge-

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Richard Saage: Reflexionen über die Zukunft der politischen Utopie. In: R.S. (Hg.): »Hat die politische U t o p i e eine Zukunft?«, S. 152-165. Hier S. 156. Vgl. die Kritik an Karl Corino: Außen Marmor, innen Gips. D i e Legenden des Stephan Hermlin. Düsseldorf: Econ 1996. Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt/M.: S. Fischer 1987. Vorwort zur Neuausgabe 1994, S.29. Mit diesem Erklärungsschema hat als erster Hans Mommsen gebrochen in: Die Realisierung des Utopischen. Die »Endlösung der Judenfrage« im »Dritten Reich«. In: Geschichte und Gesellschaft 9,1983, S. 381-420.

»Die jüdischen

Intellektuellen«

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führte Vernichtungsprogramm konzentrierte, doch täuscht die Fixierung auf den >Holocaust< über die noch weiter gespannte Dimension der Entvölkerungspläne des NS-Regimes hinweg. Detlev Claussen gab zu bedenken: Im »Holocaust« ist längst vergessen, daß es bei den Auseinandersetzungen um die »Judenfrage« um die Emanzipation der menschlichen Gesellschaft ging. Der moderne Antisemitismus, der sich des christlichen Judenhasses als einer Autorität bediente, entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem »Code«, mit dem sich die Menschen gegenseitig bestätigten, daß Emanzipation weder möglich noch wünschenswert sei - eine negative Utopie. 7 5

Das angedachte Prospekt einer von Hoffnungen auf grundlegende Veränderung und intellektueller Kritik gereinigten Gesellschaft ist und bleibt diesem Code verhaftet. Die Idee aber, daß die Welt nicht bleiben soll, wie sie ist, und die Hoffnung, daß sie anders und besser werden kann, sind und bleiben unauslöschliche Erbschaft unserer Kultur. George Steiner hat Anfang der siebziger Jahre die fast vollendete Auslöschung des Judentums in Europa als Versuch gedeutet, sich des eigenen »schlechten Gewissens« zu entledigen, das die vom biblisch-urchristlichen Gebot der Nächstenliebe und des Egoismusverzichts abgewichene moderne Zivilisation entwickelt habe, und den »messianischen Sozialismus« als politisches Objekt des im kollektiven Unterbewußten aufgestauten Widerwillens gegen die Ansprüche des internalisierten Ideals verortet, der sich zum tödlichen Projekt auswuchs: Der Mechanismus ist simpel und von aller Zeiten Anfang der gleiche geblieben. Am tiefsten hassen wir jene, die uns ein Ziel vor Augen halten, ein Ideal, eine visionäre Verheißung, also etwas, das wir niemals erreichen können, [...] doch es bleibt - und das ist das Entscheidende - weiterhin zutiefst begehrenswert für uns, und wir können es niemals verwerfen, weil wir seinen überragenden Wert im vollen Ausmaß erkannt haben.76

O b man dieser religionsgeschichtlichen Genealogie und der an sie geknüpften psychosozialen Ableitung den Status einer >Erklärung< der nationalsozialistischen Judenvernichtung zugesteht oder nicht, sie unterlegt der hier beschriebenen diskursiven Interferenz einen verbindenden Term. Denn mit der Intellektuellenrolle ist eine gesellschaftliche Institutionalisierung von moralisch-politischer Kritik assoziiert, die der Öffentlichkeit von Fall zu Fall ins Gewissen redet.

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Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung, S.28f. George Steiner: In Blaubarts Burg. Anmerkungen zur Neudefinition der Kultur. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1972, S.52f.

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Albert Einstein - ein politischer Intellektueller?

Als Ikone des 20. Jahrhunderts erscheint Albert Einstein nicht nur auf Grund seiner umwälzenden Leistungen in der theoretischen Physik. Mindestens ebensosehr trägt dazu die Auffassung bei, daß der bedeutendste Physiker seit Newton »unter Naturwissenschaftlern [...] als politisch motivierter Intellektueller einzigartig« 1 war. Dabei wird Einsteins Rolle als Intellektueller auf Grund seines Engagements für Demokratie und Pazifismus diffus als links oder progressiv umschrieben, aber nicht thematisiert. Im Gegensatz dazu soll im folgenden gezeigt werden, daß diese Intellektuellenrolle keineswegs eindeutig als links oder progressiv verortet werden kann und auch nicht primär politisch motiviert war. In der scheinbaren Widersprüchlichkeit von Einsteins demokratischem und elitärem Denken spiegelt sich vielmehr die ideologische Gemengelage der Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Eine weitere These ist, daß Einsteins Rolle als Intellektueller und sein Politikverständnis zwischen 1914 und 1933 enger als bislang angenommen mit seinem Selbstverständnis als Naturwissenschaftler zusammenhingen. In seinem Aufsatz Kritik als Beruf zählt Lepsius zu den Berufsgruppen, deren Angehörige typischerweise zu den kritischen Intellektuellen werden, auch die Wissenschaftler, weil sie sich berufsbedingt »mit der sozialen Vermittlung abstrakter Wertvorstellungen beschäftigen«. 2 Zwar übe jedermann, der Grundwerte interpretiert und daraus Urteile fällt, inkompetente, also nicht durch die berufliche Zuständigkeit geschützte Kritik als Intellektueller. Wissenschaftler kämen aber kraft ihres Berufes sehr viel häufiger als andere Personen in diese Situation, und zwar regelmäßig dann, wenn sie die Ziele ihrer Profession oder der von ihnen betreuten Institutionen in allgemeine, gesamtgesellschaftliche Wertvorstellungen integrieren, wenn sie damit die gesamtgesellschaftliche Legitimität ihrer Ziele begründen oder den Autonomieanspruch erweitern. 3

Zahlreiche Beispiele für eine solche Kritik als Beruf des Naturwissenschaftlers finden sich nach 1945, als die ethische Verantwortung des Wissenschaftlers zu einem zentralen Thema wurde. So ist die »Mainauer Kundgebung«, in der sich 18 Nobelpreisträger der Naturwissenschaften 1955 gegen »die Gewalt als letztes Mittel der

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Albrecht Fölsing: Albert Einstein. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, S.518. M. Rainer Lepsius: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), S . 7 5 - 9 1 . Hier S.88. Ebd., S. 88f.

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Politik« 4 wandten, einer von vielen Versuchen, die Ziele und Erkenntnisinteressen ihrer Wissenschaft zu legitimieren und in gesamtgesellschaftliche Wertvorstellungen zu integrieren. Die Notwendigkeit eines solchen intellektuellen Engagements so der Mitunterzeichner Max Born - sei ihm jedoch erst nach Hiroshima zu vollem Bewußtsein gekommen, während er in seiner Jugend die Naturwissenschaft unter dem »Standpunkt l'art pour l'art« 5 betrachtet habe. Den gleichen Standpunkt, daß die naturwissenschaftliche Erkenntnis ihren Zweck und ihre Legitimation in sich selber habe, vertrat vor 1933 auch Einstein. 1918 begründete er seine Berufswahl damit, als theoretischer Physiker »das Denken um seiner selbst willen wie die Musik!« 6 treiben zu können. Das Leitmotiv des Forschers sah er darüber hinaus in der pantheistischen Erkenntnis der »Harmonie der Naturgesetzlichkeit«, gegenüber der »alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens [...] ein gänzlich nichtiger Abglanz ist.«7 Seine Rolle als Intellektueller folgte somit nicht daraus, daß er als Naturwissenschaftler die für ihn selbstverständliche Autonomie seines Berufes legitimieren oder erweitern oder die Ziele der Wissenschaft mit abstrakten gesellschaftlichen Werten in Einklang bringen wollte. Aus der oben gegebenen Definition des Intellektuellen, dessen Kritik nicht durch seine berufliche Zuständigkeit geschützt ist, fallen die Wissenschaftler heraus, die »als Wissenschaftler moralische und politische Normen verkündeten«. 8 Hierzu gehörten auch die Naturwissenschaftler, die aus dem Wissen oder der Methode der Naturwissenschaft allgemeinverbindliche Werte ableiteten und ihre soziale und politische Kritik damit als kompetent ausgaben. So glaubte der Chemiker Wilhelm Ostwald, in der »Energetik« das naturgesetzliche Leitprinzip für den gesellschaftlichen und politischen Bereich gefunden zu haben, und propagierte diese »wissenschaftliche Weltanschauung« in zahlreichen Schriften. 9 Unter Berufung auf

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Zit. nach Armin Hermann: Die neue Physik. München: Heinz M o o s 1979, S. 130. Explizit forderte der Physiker Hans-Peter Dürr (Das Netz des Physikers. Naturwissenschaftliche Erkenntnis in der Verantwortung. München, Wien: Hanser 1988) die Naturwissenschaftler als »Intellektuelle« (S.348) auf, sich nicht auf eine Expertenrolle zurückzuziehen, sondern »zu wichtigen Lebensfragen kritisch Stellung zu nehmen« (S. 191) und »die >Freiheit der Wissenschaft mit den Erfordernissen und Bedürfnissen einer Gesellschaft in Einklang zu bringen« (S. 157). Max Born: D i e Zerstörung der Ethik durch die Naturwissenschaft. In: Helmut Kreuzer (Hg.): Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. Dialog über die zwei Kulturen. Stuttgart: Klett 1969, S. 179-186. Hier S. 180. Albert Einstein an Heinrich Zangger, Frühjahr 1918. In: Albert Einstein: Briefe. Hg. v. Helen Dukas und Banesh Hoffmann. Zürich: Diogenes 1981, S. 18. Albert Einstein: Mein Weltbild. Hg. v. Carl Seelig. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1981 (zuerst veröffentlicht Amsterdam 1934), S. 18. Klaus Schwabe: Einführende Bemerkungen: Rahmenbedingungen und Selbstdeutung des beruflichen Wirkens deutscher Gelehrter. In: K.S. (Hg.): Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815-1945. Boppard a. Rh.: Boldt 1988, S . 9 - 2 5 . Hier S.16. Wilhelm Ostwald: Lebenslinien. Bd. 3. Berlin: Klasing 1927, S.3 und 226. Der »Energetik« Ostwalds zufolge war es die »allgemeine Aufgabe der gesamten Kultur [...] das Güteverhältnis bei der Umwandlung der niederen Energien in höhere so günstig wie möglich zu gestalten« (S.320).

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ihr vermeintlich exakteres Denken nahmen die Physiker Philipp Lenard und Johannes Stark eine politische Sprecherrolle an, denn »niemand kann Wahrheit ernsthafter und wirkungsvoller suchen [...] als der Naturforscher, und nur auf Grund von Wahrheit wird es Gedeihen unter den Menschen geben«. 1 0 Als Naturwissenschaftler legitimierten sie die >Rassetheorien< Houston St. Chamberlains und Hitlers als wissenschaftliche Wahrheit, indem sie in Kundgebungen »Hitler's einfaches und naturgemäßes Denken, gleich dem der hervorragendsten Naturforscher« 11 priesen. Sie werden hier erwähnt, um deutlich herauszustellen, daß Einsteins kritisches Engagement nicht auf einem solchen Selbstverständnis als wissenschaftlich autorisierte Wertelite beruhte. Sein Brief an Maurice Solovine von 1951 bringt seine Wissenschaftsauffassung auf den Punkt, die implizit auch in früheren Stellungnahmen enthalten ist: Was wir Wissenschaft nennen, hat ausschließlich das Ziel, festzustellen, was ist. Die Bestimmung darüber was sein soll ist etwas davon Unabhängiges, nicht auf methodischem Wege Erreichbares. 1 2

War somit Einsteins vielbeachtete Rolle als Verfechter von Demokratie, Frieden und Freiheit gänzlich unabhängig von seinem Selbstverständnis als Wissenschaftler? Sein Brief vom Mai 1933 an den theoretischen Physiker Hans Thirring zeigt das Gegenteil: Unsere Vertreter der Wissenschaft versagen in ihrer Pflicht, für das Geistige einzustehen, weil ihnen die leidenschaftliche Liebe für geistige Werte völlig abhanden gekommen ist die Mentalität Giordano Brunos. Deshalb nur können minderwertige und gemeine Naturen zur Herrschaft gelangen [..,]. 13

Wie das Beispiel Giordano Brunos nahelegt, sprach Einstein gerade auch den Naturwissenschaftlern die Aufgabe zu, von abstrakten Werten aus Kritik an der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung zu üben. Ihre Intellektuellenrolle leitete er somit von einer spezifischen Mentalität des »wissenschaftlichen Menschen« 14 ab,

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Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers, der Kaiserreich, Judenherrschaft und Hitler erlebt hat. Unveröffentlichtes Manuskript von 1943 (Archive for the History of Q u a n t u m Physics), S.79. Kundgebung für Hitler in der Großdeutschen Zeitung 1924 - zit. nach Philipp Lenard: Erinnerungen eines Naturforschers, S. 93. Siehe auch Johannes Stark: Adolf Hitlers Ziele und Persönlichkeit. München: Deutscher Volksverlag 1930, S. 8, der darin die Meinung vertrat, daß Hitler »gleich einem großen Naturforscher [...] die gesetzmäßigen Zusammenhänge der beobachteten Erscheinungen erschaut und bis zur Erkenntnis ihrer letzten Ursachen und Kräfte vordringt«. Albert Einstein: Lettres ä Maurice Solovine. Paris: Gauthier-Villars 1956, S. 104. Siehe zur Auffassung, daß die Wissenschaft selbst keine moralischen oder sozialen Prinzipien bereitstellen könne, auch Albert Einstein: Mein Weltbild, S. 14: »Es ist richtig, daß die Ergebnisse der Forschung den Menschen nicht veredeln und bereichern, wohl aber das Streben nach dem Verstehen, die produktive und rezeptive geistige Arbeit.« Albert Einstein: Über den Frieden. Hg. v. Otto Nathan u. Heinz Norden. Bern: Lang 1975, S.235. Albert Einstein an Max von Laue, 26. Mai 1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden,

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der in verschiedenen Reden und Schriften des Physikers näher charakterisiert wird. In seiner Rede zum 60. Geburtstag von Max Planck 1918 zeichnete Einstein das Bild des »Tempel[s] der Wissenschaft«. Dieser werde durch die Wissenschaftler, die es nur aus Ehrgeiz oder praktischen Zwecken geworden seien, gleichsam entweiht. 15 Damit definierte er die Wissenschaft als ein autonomes, von gesellschaftlichen und politischen Zielen, Motiven und Anforderungen unabhängiges Feld. Zwei Motive ließ er für die Beschäftigung mit der Wissenschaft gelten, die den wissenschaftlichen Menschen definieren und beide eine Abkehr von der Gesellschaft beinhalten. Das erste Motiv sah Einstein mit Schopenhauer in der »Flucht [...] aus dem Alltagsleben mit seiner [...] trostlosen Öde, fort aus den Fesseln der ewig wechselnden eigenen Wünsche«. 16 Das zweite bestehe in der Gestaltung eines vereinfachten und übersichtlichen Bildes der Welt, um so »die Welt des Erlebens zu überwinden«. 17 Auch die weiteren Ausführungen sind den Philosophien Schopenhauers und Spinozas entlehnt. Durch die Betrachtung und Erkenntnis der objektiven Welt und der sich in ihr manifestierenden Vernunft und Harmonie überwinde der wahre Wissenschaftler ebenso wie der Künstler seine Determinierung durch den eigenen Willen, durch seine Leidenschaften und Triebe. Er erhebe sich im Streben nach der Wahrheit »über die Knechtschaft selbstischen Wünschens« 18 und erlebe ein pantheistisches religiöses Gefühl. Dieses religiöse Erlebnis bezeichnet Einstein an anderer Stelle als »kosmische Religiosität«, zu der »nur besonders reiche Individuen und besonders edle Gemeinschaften« 1 9 - wie etwa die der Wissenschaftler - finden. Obwohl die Freiheit vom Ich an die Erkenntnis des Überpersönlichen in der autonomen Wissenschaft und Kunst gebunden ist, macht Einstein den wissenschaftlichen Menschen zum universellen Leitbild: »Der wahre Wert eines Menschen ist in erster Linie dadurch bestimmt, in welchem Grad [...] er zur Befreiung vom Ich gelangt ist.« 20 Dieses Ideal liegt auch seinem Gesellschaftsbild zugrunde, dessen nachfolgende Darstellung sich aus der Auswertung der vorhandenen Quellen bis 1933 nach Themenfeldern ergibt. Obwohl oder vielleicht gerade weil der Physiker selbst

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16 17 IB lv 20

S.234. Siehe auch Albert Einstein: Aus meinen späten Jahren. Stuttgart: Deutsche VerlagsAnstalt 1984, S. 5 6 - 5 9 . Siehe Albert Einstein: Mein Weltbild, S. 107: »Ein vielgestaltiger Bau ist er, der Tempel der Wissenschaft. [...] Gar mancher befaßt sich mit der Wissenschaft im freudigen Gefühl seiner überlegenen Geisteskraft; ihm ist die Wissenschaft der ihm gemäße Sport, der kraftvolles Erleben und Befriedigung des Ehrgeizes bringen soll; gar viele sind auch im Tempel zu finden, die nur um utilitaristischer Ziele willen hier ihr Opfer an Gehirnschmalz darbringen. Käme nun ein Engel Gottes und vertriebe alle die Menschen aus dem Tempel, die zu diesen beiden Kategorien gehören, so würde er bedenklich geleert, aber es blieben doch noch Männer aus der Jetzt- und Vorzeit im Tempel drinnen. Zu diesen gehört unser Planck, und darum lieben wir ihn.« Ebd., S. 108. Ebd. Ebd., S. 18. Ebd., S. 16. Ebd., S. 10.

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kaum über seine gesellschaftspolitischen Ansichten und ihre innere Konsistenz reflektiert hat, lassen sich doch grundsätzlich konstante Wert- und Denkmuster feststellen. Die Vorbildfunktion des wissenschaftlichen Menschen erklärt sich aus Einsteins spätidealistischem Persönlichkeitsideal, das von »Güte, Schönheit und Wahrheit« 2 1 bestimmt ist. Es setzt die Überwindung von Egoismen und Trieben voraus. Erst diese Freiheit ermöglicht die Entfaltung der Individuen zu moralisch handelnden und »selbständig denkende[n] [...] Persönlichkeiten«, 2 2 aus denen sich Einsteins Modell der Gesellschaft zusammensetzt: Es läßt sich leicht erkennen, daß alle [...] materiellen, geistigen und moralischen Güter, die wir von der Gesellschaft empfangen, im Lauf der unzähligen Generationen von schöpferischen Einzelpersönlichkeiten herstammen. [...] Eine gesunde Gesellschaft ist also ebenso an Selbständigkeit der Individuen geknüpft wie an deren innige soziale Verbundenheit. 2 3

D a dieses Persönlichkeitsideal die »selbstlose, verantwortungsvolle Hingabe [...] im Dienste der Gemeinschaft« 2 4 einschließt, kann der Zusammenschluß solcher Individuen nur zu einer homogenen, harmonischen Gesellschaft führen. Durch diese Fixierung auf das selbstlose, moralische Individuum entfallen Interessenkonflikte von selbst ebenso wie die Notwendigkeit eines institutionalisierten Interessenausgleichs. Einsteins »politische[s] Bekenntnis« lautete 1931 daher: »Als wichtigste Aufgabe des Staates sehe ich die, das Individuum zu schützen und ihm die Möglichkeit zu bieten, sich zur schöpferischen Persönlichkeit zu entfalten.« 2 5 Als Interessengruppen erscheinen in seinen Schriften - und das durchweg negativ - nur die »geschäftlichen und politischen Interessenten«, die den »gesunde[n] Sinn der Völker [...] systematisch k o r r u m p i e r e n ] « . 2 6 Für Einsteins Verständnis von Demokratie und Politik und für sein eigenes Engagement hatte die fehlende Anerkennung konkurrierender sozialer G r u p p e n und die Fixierung auf das moralische Individuum weitreichende Konsequenzen. Aus der Fixierung auf das selbstlose Individuum folgte seine Auffassung, »dass das Schicksal einer Gemeinschaft in erster Linie durch das moralische Niveau bestimmt wird«. 2 7 Dabei ging er allerdings davon aus, daß nicht alle Menschen das notwendige moralische Niveau erreichen können. Denn während der Wissenschaftler und der Künstler durch das Schauen der objektiven Welt die Freiheit vom egoistischen Willen erreichen, kann der Mensch an sich, wie Einstein sinngemäß Schopenhauer zitiert,

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Ebd., S.8. Ebd., S . l l . Ebd., S . l l f. Rede Einsteins, 25. Januar 1932. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 178. Artikel Einsteins in der New York Times, 22. November 1931. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 167. Albert Einstein: Mein Weltbild, S.9. Albert Einstein an Thomas Mann, 29. April 1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.237.

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»zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will«. 28 Dementsprechend mußte einer selbstbestimmten, moralisch handelnden Minderheit eine Mehrheit von Menschen gegenüberstehen, die ihrem Willen, ihren Trieben und Leidenschaften unterworfen sind. Diese Dichotomie kommt in seinem Beitrag von 1926 für das Buch der Freunde des Schriftstellers Romain Rolland zum Ausdruck: Die rohen Massen tun ihr Werk aus dumpfen Leidenschaften heraus, denen sie und die sie verkörpernden Staaten völlig Untertan sind. [...] Die Wenigen jedoch, die an dem rohen Fühlen der Massen nicht teilnehmen, sondern unbeeinflusst von Leidenschaften am Ideal der Menschenliebe hängen [...],

bilden »die Gemeinschaft der einsamen Menschen, [...] die in der Abschaffung des Krieges ein erstes Ziel der moralischen Gesundung der Menschheit erstreben«. 2 9 Aus der Dichotomie zwischen den triebbestimmten Massen und einer selbstbestimmten Minderheit ergab sich für Einstein somit ein moralischer Führungsauftrag der wissenschaftlichen und künstlerischen Menschen. Wie seine zahllosen Appelle für Frieden, Gerechtigkeit oder Menschenwürde zeigen, übernahm er selbst eine öffentliche Sprecherrolle, um sein vom wissenschaftlichen Menschen abgeleitetes Persönlichkeitsideal gesellschaftlich umzusetzen. 3 0 Mit der Universalisierung von Idealen und Werten, die im autonomen Bereich der Wissenschaft gelten, wird der Physiker den Bestimmungskriterien gerecht, die der Soziologe Bourdieu für die Intellektuellen als »Verteidiger des Universellen« 31 aufgestellt hat. Sie definieren sich dadurch, daß sie unter Berufung auf die mit der Autonomie ihres Feldes verknüpften Werte wie moralische Kraft, Uneigennützigkeit, Vernunft oder Wahrheit in das politische Geschehen eingreifen und »eine Art moralisches Lehramt ausüben«. 3 2 Indem Einstein vom wissenschaftlichen Menschen ein allgemeingültiges Persönlichkeitsideal ableitete, war seine Rolle als Intellektueller eng mit seinem Selbstverständnis als Naturwissenschaftler verknüpft. Zugleich trug diese Intellektuellenrolle wertelitäre Züge, da er als Wissenschaftler dem Ideal des moralischen Individuums bereits entsprach und deshalb als gesellschaftliche Orientierungsinstanz fungieren konnte. Was unterschied Einstein dann aber noch von den Mandarinen, 3 3 wie Fritz Ringer die geistes- und sozialwissenschaftlichen Professoren bezeichnet, die aus ihrem Bildungswissen besondere moralische Kompetenzen und eine wertelitäre Sprecherrolle ableiteten? Dieser Unterschied ist in seinen Bemühungen zu sehen, das Ideal der selbstbestimmten, moralischen Persönlichkeit durch

2S 2Persönlichkeit< g e g e n parteipolitischen Interessenegoismus, einen massendemokratisch verankerten Gleichheitsanspruch und eine pluralistische Gesellschaft zu verteidigen. Auf diese Weise wurden die >Herrschaft der Besten< und die

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Siehe Plancks Charakterisierung von Helmholtz: »Denn in seiner ganzen Persönlichkeit, in seinem unbestechlichen Urteil, seinem schlichten Wesen verkörperte sich die Würde und Wahrhaftigkeit seiner Wissenschaft« (zit. nach: Armin Hermann: Wie die Wissenschaft ihre Unschuld verlor. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1982, S.64). Siehe auch Max Planck: Kausalgesetz und Willensfreiheit (1923). In: M.P.: Vorträge und Erinnerungen. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1979, S. 139-168. Hier S. 168: »Denn auch die Wissenschaft fördert ethische Werte zutage, sie lehrt uns vor allem Wahrhaftigkeit und Ehrfurcht.« Leo Arons: Universitäten heraus! Berlin: Verlag der Sozialistischen Monatshefte 1918, S.3. Siehe zu Einstein als Verfasser der Zuschrift: Bruno Borchardt: Hochschullehrer und Staat. In: Der Abend, Nr.26,16.1.1930, Beilage. Siehe Albert Einstein an Sigmund Freud. Der Brief wurde 1931 oder 1932 geschrieben. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.203. Presseerklärung Einsteins, 23. Mai 1932. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 185. Siehe zu Einsteins Überzeugung, daß erhebliche Qualitätsunterschiede zwischen den Menschen beständen, auch seine Ausführungen zur Todesstrafe: »Im Prinzip wäre ich nicht dagegen, in diesem Sinne [zum Schutz der Gesellschaft, B.S.] wertlose oder gar schädliche Individuen zu töten [...]. Ich schätze nämlich am Leben mehr die Qualität als die Quantität, so wie sich in der Natur die Gesetzmäßigkeit als höhere Realität gegenüber dem Einzelding darstellt« (Albert Einstein an einen jungen Mann aus Prag, 4. November 1931.) In: Albert Einstein: Briefe, S.81.

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>Aristokratie des Geistes< zu Schlüsselbegriffen im bildungsbürgerlichen Diskurs der Vorkriegsjahre. 40 An bildungsbürgerlichen Vorstellungen einer Veredlung des Menschen durch Kultur waren auch Einsteins Stellungnahmen gegen den Ersten Weltkrieg orientiert. Warum er sich nicht wie die meisten anderen Kriegsgegner in stillschweigender Ablehnung zurückzog, läßt sich mit dem universellen Anspruch erklären, mit dem er seine Überzeugung vom Selbstbestimmungsrecht des Individuums, seinen gefühlsmäßigen Pazifismus und sein Persönlichkeitsideal vertrat. Die massive Bedrohung dieser Wertvorstellungen durch den Krieg forcierte sein erstmaliges Auftreten als Intellektueller. An seinen Reaktionen wird zugleich die Fixierung auf das moralische Individuum und seine Vernachlässigung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sichtbar. Im dem Artikel Meine Meinung über den Krieg von 1915 machte Einstein den Destruktionstrieb des Menschen und den durch die Schule anerzogenen Untertanengeist und Patriotismus für den Krieg verantwortlich. Am Ideal der Persönlichkeit orientierte sich auch sein Appell, weitere Kriege dadurch zu verhindern, daß jeder einzelne den Patriotismus durch kulturelle Werte ersetzt und in seinem persönlichen Bereich die Habgier bekämpft: Macht- und Habgier sollen wie in früheren Z e i t e n als verächtliche Laster behandelt werden, e b e n s o der Hass und die Streitsucht. [...] Jeder Wohlwollende sollte daran arbeiten, dass bei ihm selbst und in seiner persönlichen U m g e b u n g in dieser B e z i e h u n g gebessert werde. D a n n werden auch die schweren Plagen verschwinden, wie sie uns heute in so furchtbarer Weise heimsuchen. 4 1

1915 trat Einstein auch dem pazifistischen »Bund Neues Vaterland« bei. In dessen Satzung von 1918 wurde die Entfaltung der Persönlichkeit »auf der Grundlage einer wahrhaft geistigen und moralischen Kultur« 42 als ein Hauptziel festgelegt, das durch eine sozialistische Republik und eine internationale Friedenspolitik erreicht werden sollte. Von dieser Mischung aus vager sozialistischer Philosophie und ausgeprägtem Individualismus 43 fühlten sich auch die Schriftsteller Alfred Döblin, Wilhelm Herzog, Heinrich Mann und Rene Schickele angesprochen, mit denen der Physiker hier bzw. in der Nachfolgeorganisation des Bundes, der »Liga für Menschenrechte«, in Kontakt trat. Briefwechsel oder persönliche Begegnungen Einsteins sind darüber hinaus vor 1933 u. a. mit Max Brod, Kurt Hiller, Alfred Kerr, Käthe Kollwitz, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Ernst Toller, Arnold und Stefan Zweig oder Henri Barbusse und Romain Rolland verbürgt. Mit Einsteins Welt-

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Siehe Rüdiger vom Bruch: Kulturstaat - Sinndeutung von o b e n ? In: Rüdiger vom Bruch/ Friedrich W. G r a f / G a n g o l f Hübinger (Hg.): Kultur und Kulturwissenschaften um 1900. Stuttgart: Steiner 1989, S . 6 3 - 1 0 1 . Hier S.83f. Albert Einstein: M e i n e Meinung über den Krieg (1916). Wiederabgedruckt in: A n n e Kox/ Martin J. K l e i n / R o b e r t Schulmann (Hg.): T h e Collected Papers of Albert Einstein. Vol. 6: T h e Berlin Years: Writings 1 9 1 4 - 1 9 1 7 . Princeton: Princeton University Press 1996, S . 2 1 1 213. Hier S.213. Zit. nach: Wolf Zuelzer: D e r Fall Nicolai. Frankfurt/M.: Societäts-Verlag 1981, S.252. Siehe ebd.

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rühm, der ihn zu einem begehrten Bundesgenossen und Gast auf Gesellschaftsabenden machte, intensivierten sich diese Beziehungen noch. Zu Rudolf Kayser, dem Lektor des Fischer Verlags und Mitbegründer einer der bekanntesten deutschen Intellektuellenorganisationen, des »Aktivismus«, ergaben sich sogar enge familiäre Bindungen durch dessen Heirat mit Einsteins Adoptivtochter Ilse 1926. Diese Schriftsteller, Künstler und Publizisten galten bereits in den 20er Jahren als prototypische linke Intellektuelle 44 und Heinrich Mann geradezu als eine moralische Institution 4 5 An ihm sollen deshalb beispielhaft die Übereinstimmungen aufgezeigt werden, die, abgesehen von der pazifistischen Grundhaltung, zwischen dem Physiker und diesen Intellektuellen bestanden. 1910 hatte Heinrich Mann »de[n] Mensch[en] des Geistes« zum Handeln aufgerufen, da ihm »vom Geist [...] die Würde des Menschen auferlegt« 46 sei. Dieser Geistbegriff bezog sich also nicht nur auf intellektuelle Fähigkeiten, sondern auch auf eine besondere moralische Potenz zur Vertretung universeller Werte. Auch Romain Rollands Manifest, Geistige Arbeiter, Kameraden! von 1919, das Einstein mitunterzeichnete, rief die »Diener des Geistes« auf, »nur die Wahrheit an[zu]erkennen [...], die [...] kein Rassen- oder Klassenvorurteil duldet.« 47 Daher definieren sich die Intellektuellen nach Mann durch die moralische Erziehung des Volkes zu selbstbestimmten Individuen als Wegbereiter einer demokratischen Gesellschaft 4 8 Die Verwirklichung der genuin politischen Zielsetzung einer Demokratie wurde somit nicht von einer Veränderung der politischen, materiellen oder sozialen Verhältnisse, sondern primär von der Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins durch die Intellektuellen abhängig gemacht. Dieser Fixierung auf das Individuum und dessen moralische Vervollkommnung blieb Heinrich Mann auch in der Weimarer Republik treu. Sinn und Idee der Revolution erläuterte er am 15. November 1918 als Vorsitzender des »Politischen Rats geistiger Arbeiter, München« denn auch wie folgt:

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Sie orientierten sich am Vorbild der französischen Intellektuellen, die 1898 mit ihrem Protest in der Dreyfus-Affäre erstmals ein Gruppenbewußtsein der Intellektuellen als Verteidiger der Wahrheit und Gerechtigkeit geschaffen hatten (siehe Dietz Bering: D i e Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1982, S.38 u. 323). 1932 war Heinrich Mann für die Wahl zum Reichspräsidenten im Gespräch, die Einstein begrüßt hätte - siehe Michael Grüning (Hg.): Ein Haus für Albert Einstein. Erinnerungen, Briefe, Dokumente. Berlin: Verlag der Nation 1990, S.202f. Heinrich Mann: Geist und Tat (1910). In: H.M.: Macht und Mensch. Essays. Mit einem Nachwort von Renate Werner und einem Materialienanhang, zusammengest. von PeterPaul Schneider. (Studienausgabe in Einzelbänden) Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1989, S. 11-18. Hier S. 16f. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.49f. Diese Gleichsetzung von Geist und Moral findet sich auch bei Einstein, wenn er 1932 beklagt, daß »die zur Hütung der geistigen Tradition Berufenen untätig der moralischen Verarmung zufsehen]« (ebd., S. 196). Siehe zur Gleichsetzung sowie zum Ersatz des Begriffs >Intellektueller< durch >Geistiger< Dietz Bering: Die Intellektuellen, S.308ff. Heinrich Mann: Geist und Tat, S. 15f.

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»Das seelische Wohl ist wichtiger: denn das Schicksal der Menschen wird mehr von ihrer Art zu fühlen und zu denken bestimmt, als durch Wirtschaftsregeln«. 49 In seiner Utopie der Republik als harmonischer Gemeinschaft sollte die Förderung des Individuums, sollte »Humanität im Sinne Weimars [...] der Kern der Politik sein«. 50 Unentbehrlich erschien ihm dafür der Einfluß des Intellektuellen als »Führer jeder Demokratie«, 51 da er dem Staat und seinen Bürgern »vorhält, [...] was der immer gültige Mensch ist«. 52 Bereits dieser kleine Ausschnitt zeigt die Übereinstimmungen zwischen Heinrich Mann und Einstein in zentralen Denkmustern und Leitbildern. Sie betrafen das Persönlichkeitsideal, das Ziel einer harmonischen Gesellschaft, die Fixierung auf das Individuum und dessen Bewußtseinsveränderung, die Vernachlässigung sozialer und politischer Strukturen und Interessengruppen und den gesellschaftlichen Führungsanspruch des Intellektuellen als moralische Orientierungsinstanz. Diesen moralischen Führungsanspruch übertrug die 1914 von Kurt Hiller, Alfred Wolfenstein und Rudolf Kayser organisierte Intellektuellenbewegung des »Aktivismus« 53 ins Politische. Nach einer Unterredung mit Einstein Mitte 1918 schickte Hiller dem Physiker seine Broschüre Ein Deutsches Herrenhaus zu, in der eine aristokratische Regierung der »geistigen Führer« 54 gefordert wurde. Zwar solle das Volk sich selbst regieren, aber nicht durch Interessengruppen und »Politikerkonzerne«, denn wirklich repräsentiert werde es nur durch seine über den Einzelinteressen und

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Zit. nach: Anton Kaes (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933. Stuttgart: Metzler 1983, S.4. Heinrich Mann: Wir feiern die Verfassung (1923). In: Η. M.: Sieben Jahre. Chronik der Gedanken und Vorgänge. Essays. Mit einem Nachwort von Hans Wißkirchen und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Peter-Paul Schneider. (Studienausgabe in Einzelbänden) Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1994, S. 128-139. Hier S. 138. Heinrich Mann: Schmutz und Schund (1926). In: Heinrich Mann: Sieben Jahre, S. 258-273. Hier S.272. Heinrich Mann: Dichtkunst und Politik (1928). In: Heinrich Mann: Sieben Jahre, S . 4 5 0 466. Hier S.456. D e r Aktivismus entwickelte sich im Verlauf des Krieges zum zentralen Sammelbecken des literarischen Antikriegsengagements und der bürgerlichen oppositionellen Strömungen (siehe Eckart Koester: Literatur und Weltkriegsideologie. Positionen und Begründungszusammenhänge des publizistischen Engagements deutscher Schriftsteller im Ersten Weltkrieg. Kronberg/Ts.: Scriptor 1977, S.345, und Juliane Habereder: Kurt Hiller und der literarische Aktivismus. Z u r Geistesgeschichte des politischen Dichters im frühen 20. Jahrhundert. Frankfurt/M., Bern: Lang 1981, S.57). Mit Hans Blüher und Gustav Wyneken schlossen sich große Teile der Jugendbewegung dem »Bund zum Ziel«, wie die Vereinigung ab Mitte 1917 offiziell hieß, an. Weitere Mitarbeiter an den bis 1921 herausgegebenen Publikationen des Bundes waren u.a. Walter Benjamin, Max Brod, Richard CoudenhoveKalergi, Otto Flake, Hellmut von Gerlach, Magnus Hirschfeld, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Heinrich Mann, der Göttinger Philosoph Leonard Nelson, Carl v. Ossietzky, Helene Stöcker und Franz Werfel (siehe Kurt Hiller: Leben gegen die Zeit. Bd. 1: Logos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1969, S.98 u. 107). Kurt Hiller: Ein Deutsches Herrenhaus (1918). In: K.H.: Verwirklichung des Geistes im Staat. Leipzig: Ernst Oldenburg 1925, S. 80-119. Hier S.107.

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Klassen stehenden »Besten«. Erst durch das »Machthabertum des Geistes« bzw. »des geistigen Menschen« 56 könne die Vernunft politisch umgesetzt und ein Weltfriedensbund geschaffen werden. In seiner Antwort lehnte Einstein diesen Führungsanspruch ab, weil die Konzentration der Macht auf eine kleine Gruppe diese zwangsläufig zu »Macht- bezw. >RealStaatRegierungMachtGewalt< geknüpft ist. 60 Darin stimmt sein Politikverständnis mit der Definition Max Webers überein, die Politik als »Streben nach Machtanteil [...], sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen« 61 charakterisiert. Als solche lehnt Einstein Politik ab, ohne diesem Politikverständnis in der ersten Hälfte der 20er Jahre ein anderes, positives entgegensetzen zu können. Nur 1921 wird einmal ein Verständnis von Politik als praktischer Umsetzung ethischer Ziele deutlich, wenn er den tschechoslowakischen Präsidenten Masaryk für den Friedensnobelpreis vorschlägt, weil dieser »niemals seine edlen

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Beide Zitate ebd., S. 105 - siehe auch ebd., S. 86ff. Ebd., S. 82. Albert Einstein an Kurt Hiller, 9. September 1918. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.42. Siehe dort auch Einsteins Brief an Paul Ehrenfest, 3. Juni 1917: »Ich sehe, dass oft jene Menschen politisch die machtgierigsten und masslosesten sind, welche als Privatmenschen keine Fliege töten können.« (S.38) Siehe hierzu ausführlicher: Hubert Goenner/Giuseppe Castagnetti: Albert Einstein as Pacifist and Democrat during World War I. In: Science in Context 9 (1996) Nr.4, S.325-386. Hier S.377. Ernst Troeltsch: Privatmoral und Staatsmoral. In: Neue Rundschau 27 (1916), S. 145-169. Hier S.154. Siehe zur semantischen »Verengung des Politikbegriffs zur Machtkunst« Volker Sellin: Politik. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Bd.4. Stuttgart: Klett-Cotta 1978, S . 7 8 9 - 8 7 4 . Hier S.831ff. Siehe zum deutschen Politikverständnis im 19. und 20. Jahrhundert E. Vollrath: Politik. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7. Basel: Schwabe & Co. 1989, S. 1056-1072. Max Weber: Politik als Beruf (1919). In: Horst Baier/M. Rainer Lepsius/Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schluchter/Johannes Winckelmann (Hg.): Max Weber Gesamtausgabe. Bd. 17. Tübingen: J.C.B. Mohr 1992, S. 157-252. Hier S.159.

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Überzeugungen einer Erfolg verheissenden Realpolitik geopfert« 62 habe. Zweitens erklären seine Ausführungen zur Korruption durch die Macht und sein Politikverständnis, warum Einstein selbst keine direkte politische Verantwortung übernahm. In der Terminologie Webers könnte man ihn als »Gesinnungsethiker« bezeichnen, der sich damit begnügt, daß die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme ζ. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen, 6 3

wohingegen der »Verantwortungsethiker« die Fehlerhaftigkeit der Menschen und die möglichen Konsequenzen seines Handelns in Rechnung stellt. Von einer Übernahme direkter politischer Funktionen hielt Einstein somit das Bewußtsein einer Gefährdung der eigenen Gesinnungen durch politisches Handeln, »welches mit gewaltsamen Mitteln und auf dem Wege der Verantwortungsethik arbeitet«, 64 ab. In seiner Antwort an Hiller sprach sich der Physiker für eine vollständige Demokratisierung Deutschlands aus, weil sie eine »weitgehende Dezentralisierung des Machtwillens« 65 garantiere. Damit erhob er, so paradox es klingt, eine konkrete politische Forderung, um die Politik als Streben nach Machtanteil im Staat weitgehend zu reduzieren. Mit Blick auf sein Demokratieverständnis löst sich diese Paradoxie jedoch auf. Wenige Tage nach der Revolution im November 1918 hielt Einstein auf einer Veranstaltung des Bundes Neues Vaterland eine Rede, die Rückschlüsse auf sein Demokratieverständnis erlaubt. Die beiden Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie seien »de[r] Glaube an das gesunde Urteil und den gesunden Willen des Volkes und die willige Unterordnung unter« 66 diesen Willen, auch wenn er dem eigenen widerspricht. Hier stellt sich die Frage, warum der Glaube an den gesunden Volkswillen so wichtig war, den Einstein eigentlich kaum teilte? Bereits 1915 hatte er seine Beobachtung über die Manipulierbarkeit des Volkes in dem Zitat zusammengefaßt: »vox populi, vox Rindvieh«. 67 Die Vermutung liegt nahe, daß er einen gesunden Volkswillen postulierte, weil für ihn eine Unterordnung un-

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Albert Einstein an das Nobel-Komitee, 19. Januar 1921. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 60. Max Weber: Politik als Beruf, S.238. Ebd., S.248. Albert Einstein an Kurt Hiller, 9. September 1918. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.42. Ebd., S.44. Sehr wahrscheinlich wurde diese Rede nicht, wie Nathan und Norden vermuten, vor Studenten im Reichstag, sondern auf einer Veranstaltung des >Bundes N e u e s Vaterland< am 13. November 1918 gehalten. In einem Bericht über diese Veranstaltung wird eine Rede Einsteins erwähnt, die inhaltlich mit der bei Nathan und Norden abgedruckten übereinstimmt - siehe Hubert G o e n n e r / G i u s e p p e Castagnetti: Albert Einstein as Pacifist and Democrat during World War I, S.363. Albert Einstein an Hendrik A. Lorentz, 2. August 1915. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.30.

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ter einen Mehrheitsbeschluß an sich, der eventuell seinen universellen Werten zuwiderlief, nicht akzeptabel war. In der Festlegung des Volkes auf einen gesunden Willen spiegelt sich Einsteins harmonische Gesellschaftskonzeption, in der sich die moralischen Individuen am Allgemeinwohl orientieren. Ein Wesensmerkmal freiheitlicher Demokratien ist der Pluralismus, also die Anerkennung konkurrierender sozialer Gruppen mit verschiedenen Werten und Interessen. 68 Einsteins nichtpluralistisches Demokratieverständnis wird deutlich, als ab 1919 die ökonomische, soziale und politische Krise zu Verteilungskämpfen, Aufständen und einem erneuten Militarismus und Nationalismus führte und damit sein Ideal einer harmonischen Gesellschaft desavouierte. Anstatt vom »gesunden Willen des Volkes« sprach er jetzt vom »gemeinefn] Pöbel, der durch Massensuggestion« 69 und »dumpfe Leidenschaften« 70 geleitet wird und durch Schule und Presse zum »willenlosen Werkzeug« 71 von Interessengruppen gemacht werden kann. Interessenkonflikte wurden somit nicht als legitim anerkannt und in geregelte Bahnen verwiesen, sondern moralisch verworfen. Auf die Funktion der Parteien und des Parlaments in einer Demokratie geht Einstein in seinen Schriften daher an keiner Stelle ein. Wenn er in bezug auf die Demokratisierung Deutschlands von der »Erfüllung meiner politischen Hoffnungen« 7 2 spricht, bleibt sein Politikbegriff auf eine Form der Regierung bezogen, die er sehr wahrscheinlich während seines Aufenthalts in der liberalen, demokratischen Schweiz schätzengelernt hat. Inhaltlich, d.h. im Hinblick auf die konkreten politischen Institutionen und deren Aufgaben sowie im Hinblick auf die Definition, Regelung und praktische Umsetzung von politischen Zielen und Interessen, erscheint sein Verständnis von Demokratie und Politik aber weitgehend unbestimmt. So werden die ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen von Einstein nicht danach bewertet, wie sie das Zusammenleben durch den Ausgleich der Interessen regeln, sondern primär danach, inwieweit sie die Entfaltung zu seinem idealistischen Persönlichkeitsideal zulassen. 1930 setzte sich der Physiker mit der erneuten Krisensituation auseinander, die u. a. durch die Weltwirtschaftskrise, das Ende der parlamentarischen Republik und die Bedrohung der Demokratie durch totalitäre Ideologien gekennzeichnet war. Die »gegenwärtigen Verfallserscheinungen« führte er darauf zurück, daß der technische und wirtschaftliche Fortschritt zu einem verschärften Daseinskampf und zur Fremdbestimmung geführt habe, die die Ent-

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Siehe Werner Fuchs: Pluralismus. In: Werner Fuchs/Rolf Klima/Rüdiger Lautmann/Otthein Rammstedt/Hanns Wienold (Hg.): Lexikon zur Soziologie. Opladen; Westdeutscher Verlag 1988, S.576, und W. Steffani: Pluralismus. In: Wilhelm Bernsdorf (Hg.): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: Enke 1969, S. 807-811. Albert Einstein an Marie Curie, 25. Dezember 1923. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 83. Beitrag Einsteins für das Buch der Freunde zu Romain Rollands 60. Geburtstag 1926. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.97. Albert Einstein an Sigmund Freud, 30. Juli 1932. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.206. Albert Einstein an Paul Ehrenfest, September 1919. In: Ebd., S.55.

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wicklung des Individuums behindern. Sein Lösungsvorschlag bestand in einer planvollen Verteilung der Arbeit, damit wieder genug Muße für die Persönlichkeitsbildung bleibe. 7 3 In seiner Klage, daß der zunehmende Organisationsgrad und die Arbeitsteilung und -Intensivierung die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums beschränkt und »Organisation [...] die Führernaturen [in Technik, Wissenschaft und Kunst] ersetzt« 7 4 habe, mischen sich zugleich hellsichtige Modernisierungskritik und bildungsbürgerlicher, an der herausragenden Persönlichkeit orientierter Kulturpessimismus. Seiner Fixierung auf das moralische Individuum entsprechen Einsteins Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Sie zielen auf die Erziehung und »Veredelung der Menschen« durch Bildung, die Kunst und die Beschäftigung mit der Wissenschaft ab. 7 5 Die Erziehung des Individuums hatte folglich Vorrang vor der Veränderung der sozialen und politischen Strukturen. A m 29. September 1932 schrieb er an Maxim Gorki: M ö g e Ihr Werk veredelnd auf die M e n s c h e n wirken, wie sich auch immer die Formen der politischen Organisation gestalten m ö g e n . Für das Schicksal entscheidend wird es immer bleiben, was der Einzelne fühlt, will und tut. 7 6

Einsteins Engagement als Intellektueller war somit nicht primär politisch, sondern moralisch motiviert. Eine gewisse Änderung zeichnete sich darin erst gegen Ende der Zwanziger Jahre parallel zu einem veränderten Politikverständnis ab. Dieses unpolitische Selbstverständnis entsprach seinem Leitbild des selbst- und leidenschaftslosen Naturwissenschaftlers, der deshalb auch von politischen Leidenschaften frei ist. Entsprechend schockiert reagierte Einstein im Ersten Weltkrieg auf den Krieg der Gelehrten, 7 7 der mit seinem Ideal des wissenschaftlichen Menschen und einer internationalen Gelehrtenrepublik unvereinbar war. Wie Versuche, sein Leitbild zu retten, muten seine Erklärungen für das nationalistische Verhalten der Wissenschaftler und ihre Politisierung an. Er führte es auf den Einfluß der Propaganda zurück und betonte, daß »die offiziellen Äusserungen schlimmer als die Gesinnung des einzelnen [sind]«. 78 Gleichsam zum Schutz der Wissenschaftler vor

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Siehe Albert Einstein: Mein Weltbild, S. 12f. Ebd., S. 12. Siehe ebd., S. 14. D a n e b e n setzte er sich in der Kommission für intellektuelle Z u s a m m e n arbeit 1930 aktiv für die Verbesserung der Primär- und Sekundärerziehung ein und trat selbst als Redner in Bildungsveranstaltungen auf. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S.221. Seinen berüchtigtsten Ausdruck fand dieses Weltkriegsengagement der geistigen Elite Deutschlands in dem Aufruf » A n die Kulturwelt!« v o m 4. O k t o b e r 1914, in dem 93 Künstler und Wissenschaftler, darunter Einsteins Kollegen Fritz Haber, Max Planck, Walter Nernst und Emil Fischer, den Krieg und den »deutschen Militarismus« mit dem Schutz deutscher Kultur rechtfertigten - in: T h o m a s A n z / M i c h a e l Stark (Hg.): Expressionismus. Manifeste und D o k u m e n t e zur deutschen Literatur 1910-1920. Stuttgart: Metzler 1982, S.314—316. Hier S.315.

™ Begrüßungstelegramm Einsteins, August 1922. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S.79. Siehe auch Albert Einstein an Hendrik A. Lorentz, 21. S e p t e m b e r 1919 (ebd., S.53).

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gesellschaftlichen und politischen Einflüssen bemühte er sich um die Wiederherstellung der internationalen Gelehrtenrepublik als autonomen, unpolitischen Bereich. Die Beziehungen zur Gesellschaft sollten sich darauf beschränken, daß die Wissenschaftler das geistige Klima für die Völkerversöhnung vorbereiten, indem sie durch ihre »Schöpfungen [...] den Menschengeist über die persönlichen und national-egoistischen Ziele erheben«. 79 Ausdrücklich wurde jede Politik ausgeschlossen: »Niemals sollten ihre Korporationen [der Wissenschaftler und Künstler, B. S.] [...] durch öffentliche Erklärungen [...] den politischen Leidenschaften Vorschub [...] leisten.« 80 Einsteins öffentliches Eintreten für die Demokratie nach 1918 fand daher keine Entsprechung in einer Agitation unter den Gelehrten für die Republik. Mit seiner »Überzeugung, dass man in die wissenschaftlichen Bestrebungen keine Politik hineintragen [...] sollte«, 81 erwies sich der Physiker als - in politischer Hinsicht - typischer Naturwissenschaftler. 82 Gleichwohl befand sich seine Rolle als moralisch engagierter Intellektueller nicht in Übereinstimmung mit seinem Selbstverständnis als wissenschaftlicher Mensch, den die »Flucht [...] aus dem Alltagsleben« 83 in den autonomen Bereich der Wissenschaft treibt. So reagierte Einstein im wissenschaftlichen Bereich nicht als Intellektueller, der für universelle Werte eintritt, was eine deutliche Stellungnahme etwa gegen die Mitwirkung von Wissenschaftlern am Gaskrieg zur Konsequenz hätte haben müssen. Überdies bedeutete seine eigene Arbeit am Kreiselkompaß und als Konstrukteur für Flugzeugtragflächen während des Ersten Weltkriegs Mitarbeit an kriegsrelevanter Technologie, was er selbst aber offensichtlich nicht reflektierte. 84 In der Ausklammerung gesellschaftlicher und politischer Fragen aus dem Bereich der Wissenschaft wird sein Selbstverständnis als gesellschaftsabgewandter Wissenschaftler deutlich, das aber erst in Konflikt zu seiner Rolle als Intellektueller geriet, als diese Rolle zunehmend politisch definiert wurde.

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Beitrag Einsteins für den Erinnerungsband des New Yorker Gesellig-Wissenschaftlichen Vereins, September 1920. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.60. Siehe auch Einsteins Artikel über Induktion und Deduktion in der Physik in der Weihnachtsbeilage 1919 des Berliner Tageblatts. Er habe sich dafür entschieden, »in dieser aufgeregten Zeit diese kleine, objektive und leidenschaftslose Betrachtung« zu veröffentlichen, »weil ich der Meinung bin, daß man durch stille Hingabe an die ewigen Ziele, die allen Kulturmenschen gemeinsam sind, der politischen Gesundung heute wirksamer dienen kann als durch politische Betrachtungen und Bekenntnisse« - zit. nach: Albrecht Fölsing: Albert Einstein, S. 540. Beitrag Einsteins für den Erinnerungsband des New Yorker Gesellig-Wissenschaftlichen Vereins, September 1920. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.60. Albert Einstein an Hendrik A. Lorentz, 16. August 1923. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 82. Siehe Britta Scheideler/Hubert Goenner: Albert Einstein in Politics - a Comparative Approach. In: Giuseppe Castagnetti/Hubert Goenner/Jürgen Renn/Tilman Sauer/Britta Scheideier: Foundations in Disarray: Essays on Einstein's Science and Politics in the Berlin Years. In: Max Planck Institute for the History of Science, Berlin, Preprint 63 (1997), S. 1 28. Hier S.2f. Albert Einstein: Mein Weltbild, S.108. Siehe Albrecht Fölsing: Albert Einstein, S.446-451.

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A b 1928 z e i c h n e t e sich ein W a n d e l in E i n s t e i n s E n g a g e m e n t ab, d e r d e n E r z i e h u n g s - u n d F ü h r u n g s a n s p r u c h d e r I n t e l l e k t u e l l e n stärker h e r v o r t r e t e n ließ. D i e L ö s u n g d r i n g e n d e r P r o b l e m e , w i e das d e r A b r ü s t u n g , e r w a r t e t e er nicht m e h r v o n d e r langfristigen Durchsetzung seines Persönlichkeitsideals, sondern v o n der Aufklärung u n d M o b i l i s i e r u n g d e r M a s s e n : Die Massen haben für den Militarismus nichts übrig, solange ihr D e n k e n nicht durch Kriegspropaganda vergiftet wird. [...] wir müssen den Massen den Widerstand gegen diese P r o p a g a n d a beibringen. 8 5 O f f e n b a r w a r s e i n V e r t r a u e n a u c h in d e m o k r a t i s c h g e w ä h l t e R e g i e r u n g e n s e h r g e ring, d a d i e R e g i e r e n d e n z u m e i n e n d i e R e p r ä s e n t a n t e n d e r in ü b e r l e b t e n Tradition e n b e f a n g e n e n V ö l k e r s e i e n u n d z u m a n d e r e n d e r K o r r u p t i o n d u r c h die M a c h t erlägen.86 D i e Aufgabe, die Massen aufzuklären und zu mobilisieren, übertrug Einstein d e n » g e i s t i g e n F ü h r e r [ n ] aller L ä n d e r « . 8 7 D a z u schlug er e i n e » i n t e r n a t i o n a l e V e r e i n i g u n g v o n [ . . . ] pazifistisch e i n g e s t e l l t e n f ü h r e n d e n I n t e l l e k t u e l l e n « vor, d i e v e r s u c h e n sollte, »durch d i e P r e s s e p o l i t i s c h e n E i n f l u s s in d e n F r a g e n d e r A b r ü stung, S i c h e r h e i t usw. z u g e w i n n e n « . 8 8 D e r P h y s i k e r L a n g e v i n s o l l t e die L e i t u n g ü b e r n e h m e n , » w e i l e r nicht nur g u t e n W i l l e n , s o n d e r n a u c h viel p o l i t i s c h e s Vers t ä n d n i s h a t « . 8 9 H i e r wird e i n e r w e i t e r t e s P o l i t i k v e r s t ä n d n i s d e u t l i c h , das nicht m e h r a b l e h n e n d nur auf M a c h t - , R e a l - o d e r I n t e r e s s e n p o l i t i k b e z o g e n ist, s o n d e r n

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Interview Einsteins, Januar 1931. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S. 142. Siehe auch Einsteins A n s p r a c h e in New York, 4. März 1931 (ebd., S. 139): »Die letzten Abrüstungskonferenzen h a b e n gezeigt, dass die Regierungen entweder Unwillens oder unfähig sind, eine wahre A b r ü s t u n g zu erzielen. Nun liegt es an den Menschen, sich f ü r die A b r ü s t u n g einzusetzen [...].«; Albert Einstein an amerikanische Kriegsgegner, Juli 1931 (ebd., S. 157): »Ich glaube nicht, dass die Regierungen selbst auf Kundgebungen hervorragender Einzelner hören würden; nur die Masse macht Eindruck.«; Albert Einstein an die Internationale der Kriegsdienstverweigerer, August 1931 (ebd., S. 158): »[...] bei den Völkern wächst der G e d a n k e der Kriegsdienstverweigerung. Ihr müsst furchtlos und herausfordernd diesen G e d a n k e n verbreiten. Ihr müsst die Völker dazu führen, die A b r ü s t u n g selbst in die H a n d zu n e h m e n [...].«; Albert Einstein an den deutschen Bund der Kriegsdienstgegner, 8. O k tober 1931 (ebd., S. 165): »Wenn wir trotzig und stark sind, werden wir die Besten für uns gewinnen und zuletzt die schwankende Menge.«

Siehe Albert Einstein an die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, 3. Juli 1930. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S. 124: »Die Regierungen sind die Repräsentanten der noch in überlebten Traditionen der Militärpflicht befangenen Völker«, sowie Albert Einstein an J. H a d a m a r d , 24. S e p t e m b e r 1929 (ebd., S. 118): »Man kann nicht darauf warten, bis die leitenden Schichten der Staaten auf die Souveränität ihrer Staaten freiwillig verzichten: die Machtgier wird es verhindern.« S7 Albert Einstein an die Internationale d e r Kriegsdienstverweigerer, August 1931. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S. 158. ** Albert Einstein an Maurice Solovine, 20. N o v e m b e r 1932. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S.200. Siehe auch Albert Einstein an Victor Margueritte, 19. O k t o b e r 1932 (ebd., S. 199), wo er von einer »radikal-pazifistische(n) Vereinigung angesehener Schriftsteller, a n e r k a n n t e r Künstler und Gelehrter« spricht. Albert Einstein an Maurice Solovine, 20. N o v e m b e r 1932. In: Albert Einstein: Ü b e r den Frieden, S.200.

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Politik auch positiv als praktische Umsetzung - oder zumindest öffentliche Propagierung - ethischer Ziele begreift. Das politische Verständnis, das Einstein an Langevin lobt, läßt sich als Bewußtsein der Realisierungschancen und Konsequenzen der politischen Stellungnahmen im Unterschied zu einem ausschließlich gesinnungsethischen Handeln verstehen. Gleichwohl blieb seine Ablehnung einer Partei- und Realpolitik bestehen, weshalb ihm zweifelhaft erschien, »ob ein Politiker von Beruf einer solchen Vereinigung offiziell angehören soll«. 90 Während sich die Handlungsmuster und das Politikverständnis Einsteins erweiterten, änderte sich sein wertelitäres Selbstverständnis als überparteiliche Orientierungsinstanz jedoch nicht. Sein Brief an Sigmund Freud vom Anfang der 30er Jahre ist dafür ein Beispiel: Die politischen Führer bzw. Regierungen verdanken ihre Stelle teils der Gewalt, teils der Wahl durch die Masse. Sie können nicht als eine Vertretung des geistig und moralisch höherstehenden Teiles der Nationen angesehen werden. Die geistige Elite übt aber heute keinen direkten Einfluß auf die Geschichte der Völker aus [...]. 9 1

Dies sollte durch die Bildung einer internationalen »geistige[n] Gemeinschaft« geändert werden, die »durch Stellungnahmen in der Presse [...] auf die Lösung politischer Fragen einen bedeutenden und heilsamen moralischen Einfluß« 9 2 gewinnt. Mit dem Scheitern der Demokratie in der Weimarer Republik gewannen Überlegungen zu einer Elitenherrschaft auch im linksliberalen Spektrum der Intelligenz wieder an Boden. So wurden im »Weimarer Kreis« der republikfreundlichen Hochschullehrer u. a. von Alfred Weber, Lujo Brentano oder Friedrich Meinecke Konzepte einer »Führerdemokratie« ausgearbeitet. »Die Führerdemokratie bestand im Wettbewerb konkurrierender Eliten« - nicht Parteien! - »um die Stimmen des wahlberechtigten Volkes in periodisch wiederkehrenden Wahlen.« 9 3 Ähnliche Vorstellungen finden sich bei Einstein, dem es 1930 auch in einer Demokratie nötig erschien, »daß einer denke, anordne und im Großen die Verantwortung trage. Aber die Geführten sollen [...] den Führer wählen können.« 9 4 Der Weimarer Kreis wird dem linken, demokratisch-liberalen Spektrum der Weimarer Intelligenz zugeordnet. Um so mehr bringen die Bemühungen zahlreicher Mitglieder, den Wertepluralismus in einer Demokratie zu begrenzen und aristokratische Korrekturen vorzunehmen, die gängige Dichotomie von linken versus rechten Intellektuellen, von Modernen versus Kritikern der Moderne durcheinander. 95 Eine solche Zwischenstellung der Befürwortung und Ablehnung verschiede-

"" Albert Einstein an Chaim Weizmann, 20. November 1932. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 200. 91 Ebd.. S. 203. Der Brief wurde 1931 oder 1932 geschrieben. 92 Ebd., S. 203. w Herbert Döring: Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik. Meisenheim a. Glan: Verlag Anton Hain 1975. S.252. Siehe auch S. 2 0 7 - 2 3 1 . 94 Albert Einstein: Mein Weltbild, S.8f. Siehe Manfred Gangl: Vorwort. In: M . G . / G e r a r d Raulet (Hg): Intellektuellendiskurse in

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ner Aspekte der Moderne nimmt auch Einstein ein, wenn er einerseits für das Selbstbestimmungsrecht und die politische Emanzipation des Individuums in einer Demokratie eintritt, andererseits aber unter dem Eindruck einer pluralistischen Gesellschaft eine plebiszitäre Führerdemokratie befürwortet. Trotz seines elitären Selbstverständnisses sollten »die geistig und moralisch Hochstehenden« 9 6 bei Einstein jedoch keine politische Macht, sondern nur einen moralischen Einfluß auf die Lösung politischer Fragen ausüben. Die gesinnungsethische Dichotomie von Macht und Moral blieb somit zumindest bis 1933 bestehen. 9 7 Nicht zuletzt Schloß auch sein Leitbild des wissenschaftlichen Menschen, den die Flucht aus dem Alltagsleben in den autonomen Bereich der Wissenschaft treibt, eine so direkte Handlungsträgerschaft aus. Daß Einsteins zunehmend politisch definierte Rolle des Intellektuellen mit diesem Leitbild in Konflikt geriet, er aber gleichwohl diesem Selbstverständnis als wissenschaftlicher Mensch verhaftet blieb, zeigt sein Briefwechsel mit den Physikern Max von Laue und Max Planck vom Frühjahr 1933. In seinem Brief an Einstein hatte Laue seine politische Zurückhaltung gerade mit dem Selbstverständnis als weltfremder, gesellschaftsferner Naturwissenschaftler begründet: Der politische Kampf fordert andere Methoden und andere Naturen als die wissenschaftliche Forschung. [...] Kannst Du mir einen Mathematiker, einen Physiker, einen Chemiker von Ruf nennen, der sich mit einigem Erfolge um Politik gekümmert hat? Diese Wissenschaften sind nun einmal [...] so weltfremd, daß sie auch einen umfassenden Geist, der sich mit ihnen befaßt, weltfremd machen. 9 8

Einsteins Antwort beleuchtet sowohl sein erweitertes Politikverständnis als auch seine primär moralische Definition der Intellektuellen, deren Versagen er nur auf Charakterschwäche zurückführen kann: 99

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der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage. Frankfurt/M.. New York: Campus 1994, S.9-11, und Hartmut Ruddies: Flottierende Versatzstücke und ideologische Austauscheffekte (ebd., S. 19-35; hier S. 20). Siehe zur breiten Streuung und Vielfalt der Kulturkritik quer durch alle politischen Lager auch Detlev J. Peukert: Die Weimarer Republik: Krisenjahre der klassischen Moderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 179-190, und Jonathan Harwood: Weimar Culture and Biological Theory: Α Study of Richard Woltereck (1877-1944). In: History of Science 34 (1996) Nr. 105, S. 347-377. Hier S. 362-365. Presseerklärung Einsteins. 23. Mai 1932. In: Albert Einstein: Über den Frieden. S. 185. Siehe auch Einsteins Brief an Willem de Sitter vom 5. April 1933, in dem er grundsätzlich der Auffassung zustimmt, »daß die politischen Führer eigentlich alle Pathologen sein müßten, da ein normaler Mensch keine so ungeheure Verantwortung tragen könne, wenn er die Konsequenz seiner Entschlüsse und Handlungen so wenig überschauen könne«. In: Albert Einstein: Briefe, S.53. Max von Laue an Albert Einstein, 14. Mai 1933 — zit. nach: Armin Hermann: Wie die Wissenschaft ihre Unschuld verlor, S. 131 f. Siehe Albert Einstein an Thomas Mann, 29. April 1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.237: »Die übrigen zu geistiger Führung Berufenen haben nicht den Mut und die Charakterstärke aufgebracht, einen deutlichen Trennungsstrich zu ziehen zwischen sich

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Scheideier

Deine Ansicht, daß der wissenschaftliche Mensch in den politischen, d. h. menschlichen Angelegenheiten in weiterem Sinne, schweigen soll, teile ich nicht. [...] Es bedeutet, die Führung den Blinden und Verantwortungslosen widerstandslos überlassen. Steckt nicht Mangel an Verantwortungsgefühl dahinter? 1RegierungMachtGewalt< orientiertes Politikverständnis erweiterte sich erst später um die Dimension von Politik als Umsetzung ethischer Ziele.

und denen, welche auf Grund von Mitteln der Gewalt heute den Staat vertreten.« Die Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte sich Einstein mühelos mit der Manipulierbarkeit des Volkes und der Korruption der wirtschaftlichen und Machteliten erklären (siehe Albert Einstein an Paul Ehrenfest, 14. April 1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden. S. 234). Dagegen hatte er für das Verhalten der Wissenschaftler und Künstler 1933 keine über moralische Defizite hinausgehende Erklärung: »Kurios ist nur das vollständige Versagen der sogenannten geistigen Aristokratie« (Albert Einstein an Willem de Sitter, 5. April 1933. In: Albert Einstein: Briefe, S.53). Ill('

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Albert Einstein an Max von Laue, 26. Mai 1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S. 234. Albert Einstein an Max Planck, 6.4.1933. In: Albert Einstein: Über den Frieden, S.233f.

Albert Einstein - ein politischer

Intellektueller?

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Seine ablehnende Haltung gegenüber Macht-, Partei-, Interessen- und Realpolitik blieb aber bestehen. Dies führte dazu, daß sich sein politisches Engagement auf die moralische Einflußnahme auf politische Fragen beschränkte. 3. Einsteins Rolle als Intellektueller entzieht sich eindeutigen Kategorisierungen als links oder progressiv. Sein Selbstverständnis als Mitglied einer Wertelite war unvereinbar mit der Anerkennung konkurrierender sozialer G r u p p e n mit unterschiedlichen Werten und Interessen. Durch die Fixierung auf das moralische Individuum und eine harmonische Gesellschaft erwies sich sein politisches Denken als elitär und nichtpluralistisch und war insofern dem des Mandarinentums vergleichbar. Wie die Mehrheit der Professoren, einschließlich derer, die die demokratische Weimarer Verfassung akzeptierten, verstand sich auch Einstein als Hüter eines Allgemeinwohls im Gegensatz zum vermeintlichen Partikularinteresse von Parteien und Verbänden. 1 " 2 So ergibt sich ein scheinbar widersprüchliches Bild von Einstein als Demokrat mit elitärem Selbstverständnis.

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Siehe Klaus Schwabe: Einführende Bemerkungen: Rahmenbedingungen und Selbstdeutung des beruflichen Wirkens deutscher Gelehrter, S.22, sowie Herbert Döring: Der Weimarer Kreis, S.248: »Die meisten Wortführer des Weimarer Kreises fühlten sich den Partei- und Klasseninteressen enthoben und wollten als eine intellektuelle Elite politische, soziale und kulturelle Zielvorstellungen artikulieren und die a l l g e m e i n e n Interessen und Notwendigkeiten der Nation< aussprechen, deuten und repräsentieren.«

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Kritiker des Intellektualismus Die Rolle der Intellektuellen in der Demokratie

Für den griechischen Philosophen Piaton war die Frage nach der Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft schnell beantwortet. Sie müssen erst einmal die Demokratie beseitigen und sich dann in das A m t des politischen Führers einsetzen. Wo das nicht möglich war, sollte den Philosophen wenigstens die politisch höchst bedeutsame Rolle des Fürstenerziehers oder Beraters zustehen. Mit dieser Rolle hat Piaton selbst bei einem Tyrannen auf Syrakus experimentiert, nicht sehr erfolgreich, aber die politisch denkenden Philosophen Alteuropas haben sie sich immer zugetraut. Schon Piatons Schüler Aristoteles, der die Lehre des Meisters vom Philosophenkönigtum ablehnte und für Arbeitsteilung plädierte, war als Fürstenerzieher sehr erfolgreich, hat sein Zögling Alexander doch gleich ein Weltreich erobert. Heutzutage sind es vor allem konservative Philosophen und Poeten, die sich diese Rolle noch zutrauen und unumwunden die Einheit von geistiger und politischer Elite einklagen. Der »geistige Führer«, schreibt der Dichter Botho Strauß, fehle der Bundesrepublik, und er hat sich deshalb entschlossen, dem »scheuen Rudel Wissen« mit einem »Bocksgesang« den Marsch ins »Tal der Tölpel« zu blasen. »Wissen« und »Geist« stehen wie bei Piaton auf der Seite der Wenigen, eben der Wissenden, die Strauß gleich mit den politisch »Rechten« identifiziert; und auf der anderen Seite nur Abschaum, die Masse Mensch, eine egalitäre Gesellschaft, der alles »Höhere«, »Tiefe« und »Transzendente«, der »Soldat«, die »Kirche«, die »Autorität« egal ist. Das höhere Wissen des Philosophen hat Martin Heidegger das eigentliche Leben des Geistes genannt, während das Dasein der Massen zumindest in demokratischen Gesellschaften uneigentlich und dem »Man« »verfallen« sei. Sozialer Pessimismus verbindet sich bei vielen platonischen Dichtern und Denkern mit einer optimistischen Metaphysik. Wie kommt der Dichter dazu, so etwas zu behaupten? Ich will eine Antwort versuchen und muß deshalb etwas weiter ausholen und in die Geistesgeschichte zurückgehen. Grundlage des elitären Selbstverständnisses der Denker und Dichter von Piaton und Aristoteles bis Martin Heidegger und Botho Strauß ist eine Lehre, die ich Intellektualismus nennen möchte. Das ist die Lehre Piatons. Sie besagt, das Gelingen unserer Praxis - Piaton nennt es auch das »Gute« oder das »Glück« - wäre eine Sache der richtigen theoretischen Erkenntnis. Wer erkennt, was das Gute unabhängig von den zufälligen Umständen unserer partikularen Existenz in Raum und Zeit ist, wer es mit seinem geistigen Auge klar erfaßt, wird auch das Richtige tun und ein gutes und glückliches Leben führen. Da die Erkenntnis des Wahren zugleich die Erfüllung unseres höchsten und vorrangigsten Bedürfnisses ist, kann der, der die Wahrheit kennt, gar nicht anders, als dieser Kenntnis die Tat folgen zu lassen.

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Die Wahrheit ist so schön, daß ihr niemand widerstehen kann. Nur leider ist sie nicht leicht zu erkennen. Sie entzieht sich dem neugierigen Blick. Die höchste und glücklichste Lebensform, die Teilhabe am bios theoretikos, das Leben »in der Wahrheit« (V. Havel) ist deshalb ein Privileg, das stets nur ganz wenigen zuteil werden kann. Denn die Vielen, die geschäftig durch die Straßen der Stadt eilen, lassen sich von ihren Besonderheiten, von sehr handfesten Interessen und Leidenschaften forttreiben und haben nur Augen und Ohren für die nächstbeste, rasch wechselnde Meinung, die den Tag bestimmt. Ihr inneres Auge ist blind. Sie stellen schon in Piatons Staat die gesellschaftliche Basis dar, ohne deren Arbeit sich oben kein Gedanke regen könnte. Aber Privileg und Herrschaft sind noch keineswegs die Verwirklichung der Vernunft, ohne die der intellektualistische Philosoph sich keine glückliche und stabile politische Ordnung vorstellen kann. Das Beste für seine Freunde tun und seinen Feinden Schlechtes, ist gut nur dann, wenn die Freunde selbst gerecht und gut und die Feinde ungerecht und böse sind. Das Gute ist nicht von der Freundschaft, sondern die Freundschaft vom Guten und dieses wiederum von der Erkenntnis abhängig· Der Tyrann, so glaubt Piaton zeigen zu können, kann kein glücklicher Menschen sein, selbst wenn er in seiner Verblendung glaubt, es zu sein. Der Philosoph aber, der richtig lebt, weil er ums Gute und Gerechte weiß, ist, selbst wenn der Tyrann ihn foltert oder tötet, der Glücklichste von allen. Intellektualismus ist die Lehre von der Unzerstörbarkeit des Geistes, der Vernunft oder der Seele, die im Körper haust wie in einem Gefängnis. Die endlichen, dem Zufall preisgegebenen, in die Welt geworfenen und hinfälligen Körper stören nur die Erkenntnis des zeitlosen Guten und der ewigen Wahrheit, zu der unser geistiges Auge zumindest prinzipiell im Stande ist. Erst wenn der Körper verschwindet, kann die intellektuelle Seele sich dem idealen Zustand ewiger Lust, der in der Ideenwelt herrscht, anverwandeln. Die Sterblichen, auch die Philosophen und Wissenden unter ihnen, müssen sich zeitlebens mit der bloßen Annäherung an die objektive Wahrheit, mit ihrem möglichst genauen Abbild begnügen. Um das zu erreichen aber müssen die Philosophen sich eine strenge Askese verordnen und einem harten geistigen und körperlichen Training unterwerfen. Dadurch wird der »Erdenrest«, den sie (wie Goethes Faust) zu tragen haben, wenigstens leichter. Nur Sokrates vermag es, den »Erdenrest« schon jetzt ganz abzuwerfen. Er trinkt mehr als alle anderen vom honigsüßen Wein und bekommt doch nie einen schweren Kopf. Klar bleibt der Verstand des Philosophen, bis zum letzten Atemzug ein bewußtes, sich selbst durchsichtiges Leben. 1 Ein solches Leben aber ist auch intellektuellen Heroen nicht in die Wiege gelegt. Es bedarf der Erziehung, und richtig ist die Erziehung, die den künftigen Philosophen vom uneigentlichen Leben der Stadt entfernt,

' Vgl. auch Martha C. Nussbaum: The Fragility of Goodness. Luck and Ethics in Greek Tragedy and Philosophy. Cambridge: Cambridge University Press 1986; das Kapitel über Piatons Symposion.

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am besten die in der Akademie vor ihren Toren. Jedenfalls muß der Philosoph lernen, sich die Welt vom Leib zu halten und dem Markt der öffentlichen Meinung nicht zu verfallen, damit er sich auf das Wesentliche und das Wesen konzentrieren und die richtigen Fragen stellen kann. Distanz zur vorgegebenen Ordnung des Politischen und zum »zerstreuten« Leben der Menschen, die der Kulturindustrie und billigem Vergnügen verfallen sind, ist die erste Tugend des intellektualistischen Philosophen. Mit Nietzsche und Rorty könnte man den idealen platonischen Philosophen einen »asketischen Priester« nennen. »Asketische Prister« sind für Nietzsche diejenigen, die bestrebt sind, Brükken zu bauen, die die »Sphäre des Werdens und der Vergänglichkeit« mit derjenigen des zeitlosen Daseins der Ideen verbinden. Um solche Brücken zum G A N Z A N D E R E N bauen zu können, müssen sie zunächst ihr eigenes Leben negieren, »sich selbst verneinen«. In diesem Falle, »dem Falle eines asketischen Lebens«, so Nietzsche, »gilt das Leben als eine Brücke für jenes andere Dasein.« (Genealogie der Moral) Der Philosoph negiert sein bisheriges, falsches Leben, indem er die Stadt verläßt und wie der Prophet in die Wüste zieht. Auch wenn er sich nicht anmaßt, Gott zu sein, so kann er doch aus der Perspektive von außen einen umfassenden Blick auf die Stadt werfen. Und das ist eine Position, die dem angestrebten idealen Standort, den Hilary Putnam den Gottesgesichtspunkt genannt hat, so nahe wie möglich kommt. Die Wahrheit hängt allein von der Übereinstimmung des Denkens mit den Ideen oder der objektiven Wirklichkeit ab, nicht aber von der Zustimmung eines Publikums. Psychoanalytisch gesehen liegt hier die Vermutung einer projektiven Allmachtsphantasie nahe. Die These des intellektualistischen Philosophen lautet, der Hauptmangel in der Stadt sei ein Mangel an Erkenntnis und das Leben in ihr eine Art Irrtum. In den Worten Heideggers ist es ein »seinsvergessenes« Leben »in der Irre«. Ohne die Führung durch richtige Erkenntnis, so lautet Piatons Schlußfolgerung, bleibt das Leben in den Städten von flüchtigen Meinungen abhängig, die wechseln wie der Wind, der durch sie hindurchgeht und sie von Unglück zu Unglück fortzieht. Die Intellektuellen des 20. Jahrhunderts haben zu diesem Intellektualismus der klassischen Metaphysik ein höchst zwiespältiges Verhältnis. Überspitzt gesagt, ist das Ende des philosophischen Intellektualismus der Anfang intellektueller Kritik. Michel Foucault hat die Kritik der modernen Intellektuellen am Piatonismus der alten Philosophen in dem prägnanten Satz zusammengefaßt, der Piaton vom Kopf auf die Füße stellt: »Die Seele, das Gefängnis des Körpers.« Für Piaton war die Demokratie ein großes Unglück und eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben der Philosophen. Für den modernen Intellektuellen ist die Demokratie - ist vor allem die Pressefreiheit - die einzige halbwegs verläßliche Existenzvoraussetzung. Die Demokratie unserer Tage unterscheidet sich freilich dadurch von ihrem klassischen Vorläufer, daß sie den Intellektuellen die Rolle des moralischen Helden verweigert. Sartre stirbt im Bett, Botho Strauß schreibt im Spiegel, und das 20. Jahrhundert, das Talcott Parsons das amerikanische genannt hat, unterscheidet sich auch darin von dem Achtzehnten, daß man Voltaire nicht verhaftet. »Es ist«, schreibt Michael Walzer, »eine der Entdeckungen der modernen

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Demokratie - ein Fortschritt, den wir seit den Griechen gemacht haben - , daß wir, wenn wir den Kritiker nicht töten, dadurch das Recht erwerben, ihn nicht zu bewundern.« 2 Die große Geschichte des okzidentalen Intellektualismus beginnt mit dem gewaltsamen Tod des Sokrates und der Verklärung dieses Todes. Die viel kleinere Geschichte der modernen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts beginnt mit dem Erfolg der Anhänger von Dreyfus und der Utopie des gesellschaftlichen Fortschritts. Obwohl Sokrates nur 30 Stimmen fehlten und die antisemitische Kampagne gegen Dreyfus und seine intellektuellen Anwälte ebensogut hätte triumphieren können, ist es doch mehr als ein Zufall, daß es anders kam. Im faktischen Ergebnis spiegelt sich ein wichtiger Unterschied zwischen der modernen und der klassischen Demokratie. Jean-Paul Sartre hat das Beispiel der Dreyfus-Anhänger, die zunächst als »Intellektuelle« von ihren Gegnern beschimpft wurden, zum Anlaß genommen, die Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft näher zu bestimmen. »Der Intellektuelle«, so führt er 1965 in Vorträgen, die er in Tokio und Kyoto hält, aus, »ist jemand, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen. [...] Für die Dreyfus-Gegner war Freispruch oder Verurteilung des Hauptmanns Dreyfus Sache der Militärgerichte [...]: Dadurch, daß die Dreyfus-Anhänger die Unschuld des Angeklagten feststellten, überschritten sie ihre Kompetenz«. Sie »mißbrauchten« ihre »Berühmtheit«, die sie auf ganz anderen Gebieten, in ihrer spezialisierten beruflichen Praxis als Wissenschaftler, Mediziner, Literaten erworben hatten. Für Sartre ist das »Amt« des Intellektuellen in der Demokratie Amtsanmaßung. Für diese Rolle aber gibt es in der griechischen Polis und in der klassischen Republik keinen Ort. Weder kennt das klassische Zeitalter eine durch und durch unpolitische Berühmtheit, noch konnte eine immer schon politisch verstandene Berühmtheit für politische Zwecke mißbraucht werden. Ruhm war an einen öffentlich ausgezeichneten, weithin sichtbaren Ort in den oberen Regionen der Tugendhierarchie gebunden. Das beginnt sich erst in der christlich dominierten Gesellschaft des Mittelalters zu ändern. Sie ist durch die Spannung zwischen Kirche und Staat geprägt. Aber erst in den modernen Zeiten führt die Spannung zwischen Kirche und Staat zur Sprengung der hierarchischen Ordnung der Gesellschaft und zur funktionalen, privilegienlosen Differenzierung von Politik und Religion. Vom politischen »Mißbrauch« öffentlichen Ruhms kann erst dort die Rede sein, wo mit der Trennung von Privatsphäre und Öffentlichkeit der Vorrang des öffentlichen Lebens über das private gebrochen ist und die aus der Autonomie der Privatsphäre entspringende öffentliche Meinung einem professionalisierten und positivierten öffentlichen Recht gegenübertreten kann. Weder dem rationalen noch dem politischen Tier - von Aristoteles stammen diese beiden Definitionen des Menschen als eines »animal rationale« bzw. eines »zoon politikon« - gebührt in der Mo-

2

Michael Walzer: Z w e i f e l und Einmischung. Gesellschaftskritik im 20. Jahrhundert. Frankfurt/M.: S. Fischer 1991.

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derne irgendein Vorrang vor dem idiosynkratischen, unpolitischen, ungefiederten Zweifüßler. Damit entfällt der Vorrang des »Politikos« gegenüber dem »Idios«, dem »Idioten«, ebenso wie der Vorrang des Citoyen gegenüber dem Bourgeois. Das moderne Recht ist immer schon das Recht des Idioten. Erst die vollständige Säkularisierung von Recht und Politik schafft Raum für die moralische und moralisierende Kritik der Intellektuellen. Die Tugend muß aus Recht und Politik verschwinden, der Zensor muß arbeitslos, das Kreuz in die Kirche zurückgestellt werden, damit der öffentlich ungebundene Intellektuelle sich zum ungebetenen Wächter der republikanischen Tugend aufschwingen kann. Darin bestand der Überraschungseffekt von Zolas ironischem Mißbrauch der gerichtlichen Anklageformel »J'accuse«. Er überschritt mit diesem glücklich verunglückten Sprechakt seine Kompetenz als Schriftsteller. Indem er sich die Rolle des öffentlichen Anklägers anmaßt, gelingt es ihm, die öffentliche Meinung gegen das öffentliche Recht mobil zu machen. Sokrates hatte diese Möglichkeit nicht, denn die öffentliche Meinung war seinerzeit selbst die Recht sprechende Instanz. Er konnte der irrtümlichen Meinung, die für ein drastisches Fehlurteil verantwortlich war, nur die Erkenntnis der höheren Wahrheit des Nomos, der - so oder so - den Vollzug des Gesetzes zur patriotischen Pflicht machte, entgegensetzen. Die dialektische Ironie des Sokrates ging deshalb nicht auf die Revision des Urteils, sondern auf Übereinstimmung mit der im falschen Urteilsspruch verborgenen Idee des Rechts. Souverän spielt der Metaphysiker Sokrates das Wesen des Rechts gegen dessen häßliche Erscheinung aus und leert den Schierlingsbecher heiter und gelassen in einem Zug, wie es bei Philosophen üblich ist. Die Sittlichkeit des Gemeinwesens im ganzen ist nicht durch das Unrecht am Individuum gefährdet, sondern durch die individuelle Verweigerung des Gesetzesgehorsams. Zolas »J'accuse«, das am 13. Januar 1898 in der Zeitung L'Aurore erschien, ist noch in einem anderen Sinn individualistisch - ein Sinn, der dem platonischen Philosophen noch unbekannt war. Individuelle Rechte, die das prämoderne Recht nicht kennt, ermöglichen als nur mehr positiv gültige, einklagbare Grundrechte eine weit fundamentalere Distanz der Bürger zum Staat und seinen Institutionen, als der Daimon des Sokrates es je vermocht hätte. Grundrechte sind Institutionen, zu deren Sinn es gehört, radikale Institutionenkritik zu ermöglichen. Zola kann die verfassungsmäßig institutionalisierten Rechte gleichzeitig in Anspruch nehmen und ihre konkrete Gestalt auf Distanz bringen, indem er zivilen Ungehorsam ankündigt: »Indem ich diese Anklage erhebe, bin ich mir bewußt, daß ich mich der Verfolgung auf Grund der Artikel 30 und 31 des Pressegesetzes vom 20. Juli 1881 aussetze, das die Vergehen der üblen Nachrede betrifft. Das nehme ich absichtlich auf mich [...].« Er kann das nur, weil er an Rechte appelliert, die gleichzeitig einklagbar und veränderlich sind. Letzteres aber macht die Legitimität der Gesetze von der Zustimmung der Gesetzesunterworfenen abhängig. Auf ihre Interpretationsleistung und Gesetzgebungskompetenz kommt es an. Sie sind nicht nur - wie Sokrates Adressaten des Gesetzes, deren subjektive Leistung sich in der Erkenntnis seiner höheren Vernunft erschöpfen würde, sie selbst sind dessen Autoren.

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Nur diese Autorenschaft sichert Zola den Spielraum, das Gesetz zu mißachten und doch gesetzliche Legitimität für sein Handeln in Anspruch nehmen zu können. Indem er den Gesetzesgehorsam an einem bestimmten Punkt verweigert, reklamiert Zola einen zwingenden Bedarf, das Gesetz zu ändern, appelliert er an die Interpretationsmacht der öffentlichen Meinung und die Gesetzgebungskompetenz des Volkes. Der Kampf um die freie Rede wird fortan zur wichtigsten Aufgabe der Intellektuellen zwischen Hollywood, New York und Paris, und zu ihrer eigentlichen Erfolgsgeschichte, von Alexander Meikljohns Auseinandersetzung mit McCarthy bis Sartres Einsatz für »La Cause du Peuple«. Um »üble Nachrede«, um »libel« geht es bei Zola und geht es noch in dem berühmten Prozeß »Times vs. Sullivan«, der die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten in Gang brachte. Zola geht auf Distanz zum Bestehenden, aber er bewegt sich zugleich in dessen Rahmen, sein Engagement setzt eine republikanische Verfassung und insbesondere die Pressefreiheit voraus. Seine Art der Distanz ist sehr verschieden vom »Gottesgesichtspunkt« der Platoniker. Sein Engagement ist das Gegenteil kontemplativer Wahrheitssuche. Es sucht nicht die Übereinstimmung mit der Idee, sondern die seines Publikums, seiner Millionen Leser. Trotzdem ist ein metaphysisches Pathos für seine Rede charakteristisch, ein oft beschriebener »populärer Idealismus« der »republikanischen Religion« und ihrer Dreieinigkeit aus »Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit«. 3 Platonisch ist das Pathos des Unbedingten, der Pflicht, des Gewissens und der Wahrheit. Dieser Idealismus, mit dem Zola den Schriftsteller zum »Gewissen der Nation« erklärt, erscheint uns heute hohl bzw. als das, was er ist: ein »handliches Stück Rhetorik« (Rorty), das seinerzeit höchst nützlich war, aber mittlerweile abgegriffen ist. Sartre, Theoretiker und Propagandist des modernen Intellektuellen, hat ebenfalls auf platonische Motive zurückgegriffen, um die Rolle des intellektuellen Kritikers näher zu erläutern. Besonders intellektualistisch klingt die dauernde Beschwörung des Allgemeinen, die Rede vom »allgemeinen Intellektuellen« und die Forderung, die Intellektuellen sollten sich bemühen, das Allgemeine zu ihrer Existenz zu machen. Das war vor allem Foucault höchst verdächtig, und er hat sich beeilt, dem allgemeinen einen »speziellen Intellektuellen«, den Kämpfer am eigenen Arbeitsplatz, entgegenzusetzen. Platonisch ist auch Sartres Jargon des »Alles oder Nichts«, die Unbedingtheit des Engagements und des Existierens in der Distanz. Das erinnert alles, wenn nicht an Philosophenkönigtum, so doch an den bios theoretikos. Sartre verwendet das Beispiel eines Hundes, dem das Kleinhirn amputiert worden ist, um die Lage der Intellektuellen zu veranschaulichen. Der kleinhirnlose Hund muß sich, da er die Orientierung an der Gewohnheit verloren hat, als allgemeines Wesen neu erfinden. Das Leben zieht sich, so scheint es, wie bei Piaton, von sich zurück, um sich neu zu erschaffen im Medium des Allgemeinen, der unbeding-

3

Vgl. Siegfried Thalheimer: Die Affaire Dreyfus, (dtv 112; dtv-dokumente) München: dtv 1963, S. 165f.

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ten Wahrheit, des unzerstörbar Guten. Ich zitiere eine längere Passage aus Sartres Vorwort zu A n d r e Gorz' autobiographischem Essay Der Verräter:4 »Ich erinnere mich an einen jungen Hund, dem ein Teil des Kleinhirns amputiert worden war: er bewegte sich im Zimmer hin und her und stieß sich selten an den Möbeln, aber er war tiefsinnig geworden: dieses Tier legte sorgfältig seine Route fest, brütete lange, bevor es um ein Hindernis herumging, es brauchte viel Zeit und Überlegung, um die Bewegungen auszuführen, die es vorher gemacht hatte, ohne Notiz davon zu nehmen [...]: es war ein intellektueller Hund [...]; kurz: er mußte krepieren oder den Hund neu erfinden. Und wir [die Intellektuellen, H.B.], die Ratten ohne Kleinhirn, sind so geschaffen, daß wir krepieren oder den Menschen erfinden müssen: wir wissen übrigens genau, daß er ohne uns entstehen wird, durch Arbeit und Kampf [...], aber die Herstellung fände blindlings statt, wäre Improvisation und Flickwerk, wenn wir nicht da wären, wir, die Kleinhirnlosen, und unablässig wiederholten, daß nach Prinzipien vorgegangen werden muß, daß es nicht darum geht, auszubessern, sondern zuzuschneiden und zu gestalten, daß, schließlich, unsere Spezies das konkrete Allgemeine sein oder nicht sein wird.«

Davon ist einiges richtig und für die Demokratie nützlich. So zum Beispiel die Vorstellung, wir wären Tiere, die sich selbst erfinden müssen. Die Tatsache, daß wir zur Selbsterschaffung und Selbstbeschreibung keine Alternative haben, daß wir, nach Sartres berühmter Formel, zur Freiheit verurteilt sind, gibt menschlichen Gesellschaften eine enorme, nie zuvor in der Evolution erreichte Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit. Die Menschen sind Tiere, die aus eigener Kraft und nach Maßgabe eigener Entwürfe ihre Umwelt manipulieren und die biologische als kulturelle Evolution fortsetzen. Sie machen ihre Evolution selbst, ohne sie freilich nach Maßgabe ihrer Voraussicht planen zu können. Mit der These, unser Leben wäre ein Projekt unserer Freiheit, hat Sartre die platonische Vorstellung eines vorgestanzten Wesens, dem wir immer nur besser oder schlechter nacheifern, das wir aber nicht manipulieren können, beiseite geschoben. Die Intellektuellen passen sich an ihre Umwelt an, indem sie sie kritisieren. Kritik ist eine Handlung in der Gesellschaft. Sie kommt ohne Transzendenz, ohne »Gottesgesichtspunkt« aus. Sie beginnt einfach hier und heute, in dieser Situation. A b e r die zitierte Passage zeigt auch, daß Sartre immer noch einigen platonischen, intellektualistischen Vorurteilen aufsitzt. Die Festlegung auf die Alternative, das »konkrete Allgemeine« oder nicht zu sein, ist immer noch viel zu essentialistisch. Falsch und der Demokratie abträglich ist auch die Vorstellung, uns wäre eine vollkommen durchsichtige Praxis, eine Praxis im Namen des Allgemeinen und auf der Grundlage von Plänen und Regeln, die wir genau angeben und erkennen könnten, möglich. 5 Sartres Verständnis des Allgemeinen weist jedoch zugleich - und darin bleibt er aktuell - eine Reihe von Zügen auf, die es vom intellektualistischen Vorurteil auch

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5

Jean-Paul Sartre: Von Ratten und Menschen. In: Andre Gorz: Der Verräter. Aus dem Französischen übersetzt von Eva Moldenhauer. (Edition Suhrkamp 988) Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, S.7-41. Hier S.28. Vgl. zur Kritik dieser Vorstellung Robert Brandom: Making it Explicit. Cambridge/Mass.: Harvard University Press 1994.

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wieder entfernen und der Demokratie anverwandeln. Foucault war etwas zu eilig, den allgemeinen Anspruch der Intellektuellen zurückzunehmen. Denn die unberechenbare Spontaneität, die Sartres Intellektuellen als freies Subjekt auszeichnet, vereitelt die A n n ä h e r u n g an eine objektive Idee des Allgemeinen, des Guten oder Gerechten. D e r Versuch, das Allgemeine zu verdinglichen, abzubilden und zur Norm zu erklären, um eine Brücke zum G A N Z A N D E R E N zu schlagen, scheitert in jedem Augenblick: Der Intellektuelle, schreibt Sartre im Anschluß an die zitierte Passage, »will für die gesamte Menschheit handeln; aber sobald die Handlung vollzogen ist, zieht sie sich ins Besondere zurück: übrig bleibt die zufällige Verwirklichung einer Möglichkeit unter tausend.« Der Piatonismus macht seine Rechnung ohne den Zufall und unsere »nicht reduzierbare Einzigartigkeit«: 6 »Wir kennen alle diese zerstreute, süße Angst - wir, das heißt, wir Intellektuellen. Wir halten uns für universal, weil wir mit Begriffen spielen, und dann sehen wir plötzlich unseren Schatten zu unseren Füßen; wir sind da, wir machen dies und nichts anderes.« Als Sartre eines Tages durch Brooklyn hastet, plagt ihn die Phantasie, ein universelles Wesen, ein »beliebiger Spaziergänger auf einer beliebigen Straße in Brooklyn zu sein«, sich im Allgemeinen zu verlieren und mit allen A n d e r e n eins zu werden bzw. sich in alle anderen zu zerstreuen. A b e r die Phantasie, das - wie Sartre nun sagt - »eitle Verlangen« des Intellektuellen »nach Universalität« scheitert am puren Zufall seiner eigenen Existenz: »Da ich mich nicht verlassen oder vervielfältigen konnte, stürzte ich mich in die U-Bahn. Ich kam nach Manhattan zurück, ich fand in meinem Hotel die normalen - wenig überzeugenden, aber menschlichen - G r ü n d e für mein Dasein wieder.« Sartre stellt sich Universalität nicht als Spiegelung des Intellektuellen in einer Macht vor, die höher ist als das Menschliche und die wir nicht erschaffen hätten. Foucault hat diese Vorstellung zu Recht als »transzendentalen Narzißmus« verspottet. Zutiefst mißtraut Sartre der einsamen Erkenntnis oder, wie er sagt, dem »Unkommunizierbaren«, in dem er nur »die Quelle jeder Gewalt« sehen kann. Universalität besteht nicht in der Korrespondenz des Denkens mit dem zeitenthobenen Wesen der Dinge, sondern der »Appell«, die öffentliche Rede, »die Stimme«, die der engagierte Kritiker erhebt, »fordert, was immer sie sagt, allgemeine Zustimmung«. Sie ist auf die Akzeptanz durch ein reales Publikum angewiesen. Die Intellektuellen sind »Verräter« des Intellektualismus, sie haben »die Tafeln des Universalen zu erschlagen, aber nur, um die Bewegung des Lebens wiederzufinden, diese langsame Universalisierung, die sich in der Bejahung und Überwindung des Besonderen verwirklicht.« Universalität ist der unvollendbare Versuch, sich »mit anderen zu vereinigen«. A b e r diese Vereinigung, wenn sie - so Sartre - die »Herrschaft der Ungerechtigkeit« auch nur »ein bißchen weniger ungerecht« ma-

6

Vgl. auch Manfred Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität. (Reclams Universalbibliothek 8689) Stuttgart: Reclam 1991.

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chen soll, muß eine »Vereinigung in der Anerkennung ihrer Verschiedenheit« sein. Das kommt, wie mir scheint, einer Vorstellung von Demokratie als utopisch entgrenzter Erweiterung von Solidarität, als Einbeziehung von immer mehr und immer vielfältigeren Bedürfnissen in den Horizont unseres Daseins viel eher nahe als die idealistische Promotion des Intellektuellen zum »Hüter der grundlegenden Ziele« des Menschen oder zum »Hüter der Demokratie«, mit der Sartre den zweiten seiner japanischen Vorträge über die Intellektuellen enden läßt. Für die Intellektuellen gibt es, nicht anders übrigens als für Experten, Richter und Berufspolitiker, keine Rolle oberhalb der Demokratie. Der Schriftsteller ist auch nicht das »Gewissen der Nation«. Hier sollten die Intellektuellen mit Rousseau und Kant akzeptieren, daß der »Ruf des Gewissens« (Heidegger) keines besonders trainierten Ohrs und keines herausgehobenen Orts in der Gesellschaft bedarf, um gehört zu werden. Die Intellektuellen sind in der Demokratie ohne Amt. Das hat den Vorteil, daß sie an kein Amtsethos gebunden sind und guten Gewissens im Negativen verharren und der Rolle des Kritikers treu bleiben können. Wie schon Machiavelli (im Unterschied zu Hobbes und Aristoteles) erkannt hat, werden Staaten durch die Zulassung von Streit, Faktionen und Parteien nicht schwächer, sondern stärker. Die Geschichte der westlichen Demokratien beweist, daß das wahr ist. Die Demokratie braucht keine Hüter ihrer Verfassung. Sie bedarf keiner Metaphysik, keiner Metapolitik, keiner politischen Theologie oder gar der höheren Substanz der überlieferten christlichen Kultur zu ihrer Legitimation. Ihr Part ist allein das praktisch nützliche Erbe der alteuropäischen »Onto-Theologie« (Heidegger). Piaton als Utopiker, der die Sprache der Freundschaft mit derjenigen der Gerechtigkeit auf eine völlig neuartige Weise verbunden hat, nicht Piaton als Metaphysiker eines privilegierten Zugangs zu höheren, übermenschlichen Mächten, nach denen unsere Praxis sich zu richten habe. Der biblische Prophet als pragmatistischer Sinnund Ideologiekritiker, als Kritiker der Verdinglichung durch Götzendienst, der schon Rortys Frage stellt: »What use is it?« und von Jesaia bis A d o r n o ein Leben »ohne Leitbild« fordert - nicht der Prophet als Instrument und Sprachrohr eines transzendenten Gottes. Das Christentum als Hoffnung egalitärer Solidarität, nicht als autoritär verkündetes, unkorrigierbares Offenbarungswissen oder als unbedingte, innere Pflicht. Die Intellektuellen in der modernen Demokratie sollten sich freilich dem Christentum und den biblischen Propheten näher fühlen als den idealistischen Philosophen. Denn jene haben als erste die egalitäre Sprache angewandt. Und sie haben das getan, indem sie sich an einem dialogischen Verständnis von Wahrheit als aufrichtige und verläßliche, zustimmungswürdige und akzeptierbare Rede orientiert und schon früh die heidnische Korrespondenztheorie überwunden haben. Sie haben die Metaphysik beiseite gelassen und durch eine soziale Ethik ersetzt. Statt mit einer pessimistischen Anthropologie zu fragen: Woher kommt das Böse?, haben sie konkret gefragt: Wo entspringt das Leid und was kann man dagegen tun?

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Für demokratische Intellektuelle sollte es keine unbedingten, nichtrelationalen Begriffe mehr geben und nichts, was den öffentlichen Diskursen als substantielle Macht vorgegeben und der Revision entzogen wäre. Das Mißverständnis des Avantgardismus und seines Kampfes um Hegemonie, das Sartre mit Gramsci teilt, löst sich in dem Maße auf, in dem die egalisierende »Bildungsrevolution« (Parsons) die letzten Privilegien des Geistes beseitigt und eine dynamische Kultur sich energisch von den Klassenstrukturen der Gesellschaft abstößt. Mit dem E n d e des Bildungsbürgertums, in deren geschlossener Kultur noch A d o r n o und Sartre aufgewachsen sind, werden alle Intellektuellen zu gut ausgebildeten Kleinbürgern, die immer noch der Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen, der E m p ö r u n g über skandalöse Zustände und dem Drang nach utopischen Entwürfen und originellen Neubeschreibungen zur öffentlich wirksamen Artikulation verhelfen. A b e r sie sollten den lächerlich gewordenen Kampf um die Hegemonie aufgeben und dem Vorschlag Rortys folgen, die alteuropäischen Metaphern der »Tiefe« und »Höhe« durch solche der »Breite« und »Weite« zu ersetzen. Sie sollten den Versuch aufgeben, den Blick auf das »Ewige« zu fixieren, und sich statt dessen am vielstimmigen Diskurs über eine bessere »Zukunft« beteiligen. Sie wissen schon lange, daß auch der Entwurf.\ der Grundriß ihrer Praxis kein historisches Apriori ist - wie Heidegger noch geglaubt hatte - , sondern nur ein reversibles Experiment. Ihre Aufgabe ist es, die Kultur für immer wieder neue Interpretationen und überraschende Deutungen offen zu halten. In dem Maße, wie die Gesellschaft in der Lage ist, das Vokabular, in dem sie sich selbst versteht, ohne Gewalt umzuwälzen, die Gleichheit auf immer neue Sphären auszudehnen und immer mehr Stimmen dazu zu bringen, neue Bedürfnisse zu artikulieren, wird radikaler sozialer Wandel zu einem Vorgang, der sich gewaltlos und ohne Grausamkeit vollzieht. Die Differenz von R e f o r m und Revolution verschwindet. Das setzt natürlich einen Rechtsstaat voraus, dem es gelungen wäre, die Revolution, die radikale Selbsterneuerung der Gesellschaft zu institutionalisieren. Statt wie einst die orthodoxen Marxisten die Gegenwart als Übergangsstadium zwischen erkennbaren und erforschbaren Geschichtsepochen, statt die Gegenwart als ein Übergangsstadium zwischen Feudalismus und Kommunismus zu betrachten, geben die demokratischen Intellektuellen sich mit der viel schwächeren und utopischeren Behauptung zufrieden, »die Gegenwart sei ein Übergangsstadium auf dem Weg zu etwas, das unvorstellbar viel besser sein könnte, falls wir Glück haben.« 7 Mit dem praxisphilosophischen, westlichen Marxismus Sartres aber sind die vom Pragmatismus belehrten Intellektuellen sich ganz einig darin, daß die Demokratie nur Fortschritte machen kann, wenn wir, wie Rorty sagt, die »utopische H o f f n u n g auf eine selbstgeschaffene Zukunft des Menschen« an die Stelle der alten »Onto-Theologie«, an die Stelle der »Hoffnung auf Erlösung durch eine nichtmenschliche Macht« setzen. 8 7

Richard Rorty: Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die pragmatische Philosophie. Wien: Passagen-Verlag 1994, S.20. * Ebd.. S. 47.

Kritiker des

Intellektualismus

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Folgt man Rorty, Dewey und Walt Whitman, dann ist es die Aufgabe der Intellektuellen in einer entwickelten Demokratie, »Abschottung« durch »Offenheit« zu ersetzen; die »Sicherheit des Unveränderlichen« preiszugeben zugunsten des »Märchens vom Sprung in den Prozeß unvorhersagbaren Wandels«; die »Gewißheit« durch »Phantasie« und den »Stolz« der Wissenden durch praktische »Neugierde« abzulösen. Rorty nennt das die »Apotheose der Zukunft«, und er faßt sie in der Vorstellung zusammen, »daß die Hoffnung auf die Erfindung neuer Möglichkeiten des Menschseins Vorrang hat vor dem Bedürfnis nach Stabilität, Sicherheit und Ordnung.« 9 Und das ist dann auch der Punkt, an dem der Pragmatismus sich mit dem Utopismus von Bloch oder Marcuse für einen Moment lang berührt: Hoffnung und Möglichkeit statt Erkenntnis und Wirklichkeit. Denn die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist die einzige Substanz, auf die moderne Demokratien bauen können. Die moderne Demokratie bedarf der weit über das Bestehende hinausschießenden, utopischen Energien, ihre Erschöpfung könnte das Ende der Demokratie bedeuten. Denn für die Demokratie ist die radikale Neubeschreibung und die Hoffnung auf heute noch unvorstellbaren Wandel eine Frage des Überlebens. Sie müßte semantisch veröden und in »Legitimationskrisen« zugrunde gehen, wenn eines Tages - um mit Habermas zu reden - die »kommunikative Macht« einer »anarchischen Öffentlichkeit« zwischen Konsumismus und Fundamentalismus zerrieben würde. Die moderne Demokratie lebt von der substantiellen Kraft utopischer Projekte, von der Erschließung immer wieder neuer Möglichkeitsspielräume, die dann von einer reformistischen und inkrementalistischen Praxis ausgefüllt werden müssen. Das gilt in Zeiten enger werdender Alternativspielräume nur um so mehr. Zur globalen und kosmopolitischen Erweiterung demokratischer Solidarität können die Intellektuellen kaum einen anderen Beitrag leisten, als immer von neuem die idealistischen Verdinglichungen, die Verwesentlichung des Symbolischen und die Verselbständigung des Sozialen zu kritisieren. Sie sollten die Macht der Wörter nutzen, um - wie John Dewey es genannt hat - immer wieder die »Krusten der Konvention« zu durchbrechen. Mit John Dewey könnte man sagen, daß die moderne Demokratie einer Serie wissenschaftlicher Experimente gleicht. Schon Denken ist Experimentieren. Die Intellektuellen sind dazu da, andere Möglichkeiten hypothetisch auszuprobieren. Sie sollten ihre Intelligenz nicht verschwenden, um einer zeitlosen Wahrheit, die es ohnehin nicht gibt, nachzurennen. Und sie können dazu beitragen, Illusionen zu zerstören. Ideologiekritik ist immer noch ein unerledigtes Geschäft. Wie die dramatische Dynamik eines im Zuge der Globalisierung aus allen politischen und rechtlichen Verankerungen losgerissenen »Räuberkapitalismus« (Max Weber) zeigt, lassen sich Kapitalismus und Demokratie nicht harmonisieren. Die neuen Probleme des globalen Kapitalismus sind die alten, Umweltblindheit, Ausbeutung, Kinderarbeit, Pauperisierung. Insofern bleibt die nach 1989 allzu rasch vergessene Liberalismuskritik aktuell. Wirksam wird solche Kritik freilich nur dort, wo die Philosophie »down to life« kommt. Aber wie?

* Ebd., S. 89.

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Hauke

Brunkhorst

Dazu hat John Dewey schon am Ende des letzten Jahrhunderts vorgeschlagen: »By introducing a little newspaper business into philosophy.«

103 JOSEPH JURT

»Les intellectuels«: ein französisches Modell

1 »Les intellectuels en premiere ligne« - Die Intellektuellen an vorderster Front, so lautete der Titel des Leitartikels von Le Monde am 14. Februar 1997.' In der Tat hatten Künstler und Intellektuelle im Februar '97 eine Bewegung ausgelöst, die zu einem Bewußtwerdungsprozeß über die wachsende Fremdenfeindlichkeit führte und selbst die Regierung zu einer teilweisen Rücknahme der Verschärfung des Einwanderungsrechts zwang. Begonnen hatte die Protestaktion mit der >Petition der 59< am 12. Februar 1997. 59 junge Filmregisseure riefen zum zivilen Ungehorsam gegen das neue Ausländergesetz (>loi DebreZug für die Freiheit nach Toulon angereisten Künstler, die gegen die unverhohlen politisch motivierte Entlassung des Leiters des international renommierten Tanz- und Musikzentrums (TNDI) durch den rechtsextremen Bürgermeister von Toulon protestierten. Wenn es in dem einen Fall um ein professionelles Anliegen ging, das jedoch über die künstlerische Freiheit auch eine politische Dimension hat, so ging es bei der >Petition der 59< um die Menschenrechte gegen die Übergriffe des Staates. Die Bewegung, so schrieb der genannte Leitartikler von Le Monde, strafte jene gängige Vorstellung einer Intelligentsia Lügen, die fernab von der sozialen Krise lebe. Wenn die unmittelbaren Ergebnisse der Bewegung nicht spektakulär waren, so schafften sie doch einen Bewußtseinswandel: Es war nach dieser Debatte nicht mehr möglich zu behaupten, die Ausländer seien für die gegenwärtige soziale Krise in Frankreich verantwortlich. 2 Im Engagement derjenigen, die

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Les intellectuels en premiere ligne. In: Le Monde, 14.2.1997, S. 15. Siehe dazu Nathaniel Herzberg: »Aujourd'hui, tout le monde doit s'employer ä retablir la verite: les immigres ne sont pas responsables de la crise generale que connait notre pays. [...] Cette idee simple, exprimee haut et fort par de multiples voix, pourrait bien constituer le principal acquis de ce mouvement protestataire.« Derselbe Autor stellt vor allem auch

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Joseph Jurt

m a n in Frankreich s p o n t a n unter d e m Begriff >les intellectuels< z u s a m m e n f a ß t , m a nifestierten sich Z ü g e , die auf e i n e lange Tradition v e r w e i s e n . B e z e i c h n e n d war, d a ß die Intellektuellen und Künstler, die intervenierten, sich nicht auf i r g e n d e i n e parteipolitische Linie beriefen; sie g e h ö r t e n eher zu einer j u n g e n G e n e r a t i o n , w e l c h e die politische Klasse oft insgesamt ablehnt. 3 D i e Parteien, auch die der Linken, w a r e n v o n der B e w e g u n g überrascht; die sozialistische Partei hatte die erste L e s u n g der Loi D e b r e im Parlament v e r s c h l a f e n . 4 D e r Begriff >Petition der 59< erinnert an das ( v o n Schriftstellern, vor allem v o n Sartre, lancierte) >Manifest der 121 M a n i f e s t e aux travailleurs< auf, w e l c h e s 1934 v o m C o m i t e de Vigilance d e s intellectuels antifascistes lanciert wurde, w a s w i e d e r u m an P e t i t i o n e n der Intellektuellen nach Z o l a s >J'accuse< im Jahre 1898 erinnerte. I m m e r sind e s Intellektuelle und Künstler, die als G r u p p e auftreten und ihre p r o f e s s i o n e l l e K o m p e t e n z in der G r u p p e n b e z e i c h n u n g ausweisen. I m m e r geschieht e s außerhalb d e r Parteiapparate und in b e z u g auf universelle Werte.

3

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s

als Erfolg der Bewegung die Tatsache heraus, daß sie sich für ihre klaren Ideen breites Gehör verschaffen konnte: »Des intellectuels aux artistes, des militants associatifs aux responsables politiques de l'opposition, tous partagent la satisfaction d'avoir vu ce qui leur semble aujourd'hui une evidence: se faire mieux entendre en quelques jours qu'au cours des dix dernieres annees.« (Nathaniel Herzberg: Immigration: l'echec d'un refus, la victoire d'une idee. In: Le Monde, 9./10.3.1997, S.l.) Siehe dazu die Aussage der französischen Filmemacherin Tonie Marshall, die den Aufruf der 59 initiiert hatte: »Wir sind alle extrem verschieden, es gibt keinen künstlerischen Konsens zwischen uns. Was uns verbindet, ist in diesem Fall das individuelle Engagement eines jeden einzelnen. Jedes Jahr kursieren zahllose Petitionen. Ich unterzeichne normalerweise nicht und weiß, daß es anderen genauso geht wie mir. Diesmal war klar: Es wurde an unser Engagement als Staatsbürger appelliert, es ging um keine Partei, sondern um unser Gewissen. Wir haben vierzehn Jahre lang geschlafen und Gesetze durchgehen lassen, die unmenschlich sind.« Interview von Martina Meister mit Tonie Marshall. In: Badische Zeitung, 24.2.1997, S.6. Michel Rocard rief dazu auf, die Linke solle sich am zivilgesellschaftlichen Engagement der 59 Filmemacher orientieren und sich wieder auf ihre eigenen Werte besinnen: »Reveillee par le sursaut civique des 59 cineastes et de tous leurs cosignataires, la gauche doit relever la tete et contreattaquer sur le terrain raeme de l'immigration, en changeant totalement de discours et de politique.« (Michel Rocard: U n e certaine idee de la France. In: Le Monde, 21.2.1997, S.14.) Der Text des Manifestes ist abgedruckt in: Jean-Frangois Sirinelli: Intellectuels et passions fran^aises. Manifestes et petitions au XX C siecle. Paris: Fayard 1990, S.211-213. Die Mitarbeiter der von Sartre gegründeten Zeitschrift Les Temps Modernes beriefen sich explizit auf das >Manifest der 121 lois inhumaines< comme hier contre la guerre d'Algerie. L'esprit du >Manifestes des 121 IntellektuellenIntellektuelle< zuallererst eine französische Erfindung ist. Es ist nicht nur der Begriff, der im Umfeld der Dreyfus-Affäre entstanden ist, auch die französische Gesellschaft hat mehr als jede andere dazu beigetragen, dessen Bedeutung nachhaltig zu prägen. D i e französische Geschichte übte nach Boschetti einen grundlegenden Einfluß - als Modell oder als Kontrastfolie - für die Intellektuellen der ganzen Welt aus. 6 Christophe Charle betonte, daß der Begriff >Intellektueller< im außerfranzösischen Kontext schnell eine pejorative Bedeutung annehme, so etwa in Deutschland. 7 D e m Begriff eigne nirgends die ursprüngliche Legitimität, die er in Frankreich gewonnen habe. Intellektueller sei anderswo bloß eine deskriptive sozio-professionelle Kategorie 8 und w e r d e überdies durch a n g e s e h e n e r e B e g r i f f e w i e professional, Bildungsbürgertum,

Intelligenz

freie

Berufe,

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konkurrenziert. Mit >intellectuel< ist s o im französi-

schen Selbstverständnis in der Tat nicht eine Berufskategorie gemeint. Die Intellektuellen umfassen nicht die gesamte Bildungsschicht; sie sind nicht identisch mit der Intelligenz, wenn auch ihre Zugehörigkeit zur Intelligenzschicht in aller Regel Voraussetzung ist. 1 0 >Intellectuel< bezeichnet in Frankreich zunächst jemanden, der durch seine wissenschaftliche oder literarische Tätigkeit ein A n s e h e n - einen Na-

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x

A n n a Boschetti: Le m y t h e du g r a n d intellectuel. In: Atlas de litterature. Paris: Encyclopaedia Universalis 1990, S.244. Siehe Dietz Bering: D i e Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes. Stuttgart: KlettC o t t a 1978. Gangolf H ü b i n g e r w e n d e t sich indes d a g e g e n , d a ß m a n die Geschichte d e r Intellektuellentätigkeit in D e u t s c h l a n d nur an der Geschichte des S c h i m p f w o r t e s mißt, wie das Bering tut. E r findet auch das Verdikt von H a b e r m a s , in D e u t s c h l a n d h a b e es vor d e m E r s t e n Weltkrieg eine »Intellektuellenkritik o h n e Intellektuelle« gegeben, zu u n d i f f e r e n ziert. J ü r g e n H a b e r m a s : Heinrich H e i n e u n d die Rolle des Intellektuellen in D e u t s c h l a n d . In: M e r k u r 448 (1986), S . 4 5 3 - 4 6 8 ; siehe dazu die Kritik von Gangolf H ü b i n g e r : D i e Intellektuellen im wilhelminischen D e u t s c h l a n d . In: Gangolf H ü b i n g e r / W o l f g a n g J. M o m m s e n (Hg.): Intellektuelle im D e u t s c h e n Kaiserreich. F r a n k f u r t / M . : Fischer Taschenbuch Verlag 1993, S . 2 0 0 - 2 0 1 .

D a s ist f ü r den englischen Terminus intellectuals d e r Fall, d e m eine spezifische politische K o n n o t a t i o n abgeht. Talcott Parsons definiert so d e n Intellektuellen als »a person w h o [...] is in his principal role capacity expected [...] to put cultural considerations a b o v e social [...]«. Talcott Parsons: >The Intellectual·. A Social Role Category. In: Philipp Rieff (Hg.): O n Intellectuals. New York 1965, S . 3 - 2 4 . '' C h r i s t o p h e Charle: Naissance des >intellectuels< (1880-1900). Paris: Editions d e Minuit 1990, S. 227-228. Siehe dazu auch Daniel L i n d e n b e r g : L'intellectuel est-il u n e specialite fran9aise? In: Pascal O r y (Hg.): D e r n i e r e s questions aux intellectuels. Paris: O r b a n 1990, S. 155-205. 10 A n d r e a s G i p p e r : D e r Intellektuelle. Konzeption u n d Selbstverständnis schriftstellerischer Intelligenz in Frankreich u n d Italien 1918-1930. (M u n d P-Schriftenreihe f ü r Wissenschaft u n d Forschung) Stuttgart: Μ und Ρ Verlag f ü r Wissenschaft und Forschung 1992, S.21.

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men - erworben hat. U m als >großer Intellektuellen anerkannt zu werden, m u ß man, nach A n n a Boschetti, über eine große theoretische Autorität verfügen. So würde niemand diesen Status einem Bergson, einem Levi-Strauss, einem Jacques Lacan, einem Louis Althusser, einem Michel Foucault oder heute einem Pierre Bourdieu absprechen, die alle sukzessive als >große Denker< eingestuft wurden. Man würde aber den Begriff weniger auf einen Zola oder einen Gide, trotz ihrer eminenten kritischen Funktion, anwenden. Auf Grund eines eigentlichen Kultes, die der literarischen Kreativität seit der Romantik in Frankreich entgegengebracht werde, sei die Kunst des Schreibens, der Stil jedoch ein weiteres entscheidendes Kriterium der Anerkennung des großen Denkers. 1 1 Ich denke aber, daß die theoretische Tätigkeit nicht ein exklusives Merkmal des Intellektuellen ist. Wichtig ist sicher die Autorität, die er sich durch sein Schaffen erworben hat, ob dies nun im wissenschaftlichen oder im literarischen Bereich sei. Ein weiteres Kriterium ist dann aber entscheidend. Der Wissenschaftler oder Schriftsteller, der über Ansehen verfügt, bezieht auf der Basis bestimmter Werte zu allgemeinen Fragen und Problemen der Gesamtgesellschaft Stellung. Der Intellektuelle verfügt so nicht schon per se über einen Status; er erwirbt sich ihn durch seine - zumeist kritische - Intervention. 1 2 Kennzeichnend sind so die beiden Kriterien: intellektuelle Berufstätigkeit und Stellungnahme zu politischen Fragen im weitesten Sinn.

3 Wenn der Begriff der >intellectuels< im genannten Sinn in Frankreich im Umfeld der A f f ä r e Dreyfus erstmals aufgetaucht ist, dann auch darum, weil in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine spezifische historische Konstellation existierte und damit auch eine Erwartung, der die Funktion der >intellectuels< entsprechen konnte. Weder Begriff noch Funktion entstanden indes ex nihilo. Die >Vorgeschichte< ist zweifellos bei den >philosophes< des 18. Jahrhunderts zu situieren, ohne daß deswegen eine lineare Filiation postuliert werden soll. Es gab in Frankreich seit der Aufklärung die Tradition des Schriftstellers, der nicht nur durch die ästhetische Qualität seines Werkes auf Resonanz stieß, sondern auch durch sein Wort politisch

" Anna Boschetti: Le mythe du grand intellectuel, S.244. 12 Siehe dazu Pascal Ory: »L'intellectuel n'est ni une categorie socioprofessionelle, ni un personnage irreductible, precisement parce qu'il ne se definit plus par ce qu'il est - une fonction, un Statut - mais par ce qu'il fait, un certain type d'intervention sur un certain lieu: la cite.« Pascal Ory (Hg.): Dernieres questions aux intellectuels, S.27. - In ähnlicher Weise hatte der Soziologe Lepsius den Intellektuellen durch seine spezifische Interventionsform definiert: »Intellektuelle sind, soziologisch gesehen, also nicht Leute mit irgendwelchen persönlichen Eigenschaften, sondern Leute, die etwas Bestimmtes tun. Was sie treiben, ist Kritik. Kritik ist der Beruf des Intellektuellen.« Rainer Lepsius: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie (1964), S.82 - z i t . bei: Andreas Gipper: Der Intellektuelle, S.21.

»Les intellectuels«: ein französisches Modell

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wirkte. Wenn am E n d e des 19. Jahrhunderts f ü r die politisch intervenierenden Schriftsteller ein n e u e r Begriff geprägt wurde, dann auch weil diese Tradition eine n e u e Qualität erhielt. Die historische Innovation des Eingreifens der Schriftsteller anläßlich der D r e y f u s - A f f ä r e bestand nach H.-U. G u m b r e c h t darin, d a ß sie bereits auf das P h ä n o m e n der öffentlichen Meinung zugeschnitten war, die im 19. Jahrhundert die raisonnierende Öffentlichkeit der Aufklärungszeit abgelöst hatte. 1 3 Mit Victor H u g o hatte der - engagierte - Dichter noch unbestritten als E m b l e m der Nation gelten können. Gegen E n d e des Jahrhunderts, vor allem im Gefolge des verlor e n e n deutsch-französischen Krieges, angeregt durch die deutschen Erfolge Claude Digeon diagnostizierte diese Entwicklung zu Recht als »crise allemande de la pensee frantjaise« wurde der Wissenschaftler zu einer alternativen symbolischen Figur. Pasteur v e r k ö r p e r t e den G e l e h r t e n im Dienste des Fortschritts. Die Schriftsteller selbst beriefen sich auf dieses positive Bild des Wissenschaftlers, auf das Prestige der Wissenschaft, so die Naturalisten o d e r die Vertreter des roman psychologique. 1 4 Zolas R e k u r s auf Taine und Claude Bernard ist hier symptomatisch. In den Begriff des >intellectuel< wird gerade diese n e u e soziale Autorität der Wissenschaft eingehen. 1 5 Christophe Charle hat sehr genau nachgezeichnet, wie der Begriff der >intellectuels< als n e u e Bezeichnung des Selbstverständnisses der intellektuellen Elite seit

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Hans-Ulrich G u m b r e c h t : Zola im historischen Kontext. M ü n c h e n : Fink 1978, S. 105. Siehe dazu auch Joseph Jurt: »Le Statut d e la litterature face ä la science: le cas de Flaubert«. In: Grazieila P a g l i a n o / A n t o n i o G o m e z - M o r i a n a (Hg.): Ecrire en France au X I X e siecle. Langueil ( M o n t r e a l ) 1989, S. 175-192. C h r i s t o p h e C h a r l e e r w ä h n t in diesem Z u s a m m e n h a n g zu d e n politischen I n t e r v e n t i o n e n von Taine, Pasteur, R e n a n und Berthelot nach 1870: » D e s e n g a g e m e n t s t e m o i g n e n t ä la fois de la reconnaissance d e l'autorite nouvelle du savant, non s e u l e m e n t en tant q u e notable [...] mais en tant q u e r e p r e s e n t a n t de la science et d ' u n e a u t r e fa£on d ' a b o r d e r les prob l e m e s politiques et sociaux en fonction des m e t h o d e s specifiques de leur specialite.« ( C h r i s t o p h e Charle: Naissance des >intellectuelsintellectuels< in dieser Debatte der politischen Öffentlichkeit auf die Autorität ihrer spezifischen Kompetenz beriefen, dann war dies ein neues Faktum. Neu war auch die kollektive Natur des Protestes - darum auch gleich zu Beginn

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fus-Parteigänger: »Les statistiques les plus serieuses etablissent en effet qu'il n'y avait, au mois de janvier 1898, pas plus de deux mille Fran$ais resolus ä defendre les droits d'un innocent et ä vouloir la revision complete du proces Dreyfus solidairement avec Zola.« Zur ganzen Affäre Dreyfus siehe auch: Joseph Jurt: Agitation und Aufklärung - die Bedeutung der öffentlichen Meinung, der publizistischen und schriftstellerischen Intervention bei der Affäre Dreyfus. In: Mainzer Komparatistische Hefte 3 (1979), S . 2 9 - 4 8 . In: L'Aurore, 14.1.1898; - zit. bei Jean-Fransois Sirinelli: Intellectuels et passions franintellectuels< partizipierten. Die neuen Elemente dieser Art des kollektiven Protestes lagen auf der Hand. Sie wurden insbesondere von den Dreyfus-Gegnern wahrgenommen, die als erste den Begriff ins Spiel brachten - allerdings mit einer für sie negativen Konnotation. >Intellectuels< war so etwa für den Literaturkritiker Fernand Brunetiere eine pejorative Bezeichnung, welche diesen gerade die Kompetenz und das Recht absprach, im Bereich der politischen Öffentlichkeit zu intervenieren. Diese Ansicht wurde vor allem von Barres vertreten, der am 1. Februar 1898 in der Zeitung Le Journal einen Artikel mit dem Titel »La protestation des intellectuels!« veröffentlichte. Er hob vor allem den Widerspruch hervor, der darin bestehe, sich auf die Menschenrechte und demokratische Prinzipien zu berufen und sich gleichzeitig als eine über den Massen stehende Elite zu artikulieren. Barres erkannte, daß Logik und Ratio das Engagement der >intellectuels< bestimmten. Er aber verlangte, daß man die Existenz überindividueller Kräfte anerkenne, die der Mensch nicht zu meistern vermöge. Das geht - ex negativo - aus der Definition des Intellektuellen in seinem Buch Scenes et doctrines du nationalisme hervor, wo er ihn als Individuum bezeichnet, das überzeugt sei, daß sich die Gesellschaft auf der Logik fundieren solle, und verkenne, daß sie auf ihr vorgängigen Notwendigkeiten beruhe, die vielleicht gar der individuellen Vernunft fremd seien. 21

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Maurice Barres: Scenes et doctrines du nationalisme. Paris 1902, S.45. Barres hatte gleichzeitig seine Argumentation, die den Intellektuellen die Berechtigung einer Intervention in politische Fragen grundsätzlich absprach, wieder unterminiert, indem er den >dreyfusards< den Charakter einer wahren Elite absprach.

»Les intellectuels«:

ein französisches

Modell

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D e r Begriff der >intellectuelsanti-dreyfusardsLigue de la Patrie fran9aiseIntellektueller< war nicht mehr bloß synonym für >dreyfusarddreyfusards< stellten dann nicht so sehr die akademische Kompetenz der >intellectuels< der Gegenseite in Frage, sondern vielmehr deren mangelnde Autonomie; sie stünden, so wendete man ein, im Dienste nicht-intellektueller Kräfte wie der A r m e e oder bestätigten schlicht die bestehende soziale Ordnung. »Ce n'est pas par les signatures que vaut une ligue: c'est par son idee«, schrieb Jaures Anfang Januar 1899 in bezug auf die Rechts-Intellektuellen. Der Bezug auf Ideen, d.h. auf Prinzipien, charakterisiert in der Tat die >intellectuelsintellectuels< zwei fundamentale Wertvorstellungen aufeinander prallten. Hier wurde die D e b a t t e reaktiviert, die durch die Französische Revolution ausgelöst worden war. Auf der einen Seite waren diejenigen, für die die durch die Französische Revolution propagierten Menschenrechte grundlegend waren, die den Primat der Rechte des Individuums gegenüber der Staatsraison verteidigten. Für die Gegenseite war der Staat, nicht das Individuum, primär. Dieser Staat sei durch die A r m e e zu verteidigen, und in Zeiten der Bedrohung von außen dürfe man sich keine inneren Konflikte leisten. In der Dreyfus-Affäre konnten die jungen Schriftsteller und ein Teil der jungen Generation der Universität, die gegenüber der kompromittierten Elite an der Macht neue Formen des politischen Engagements zu entwickeln gedachten, eine ethische Dimension in die Politik einbringen. Charles Peguy, ein sehr überzeugter Verfechter der Sache von Dreyfus, wird von einer »mystischen« Dimension des Dreyfusismus sprechen. Er wird seine Bewunderung für eine Nation aussprechen,

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In: Le Journal, 2.1.1899. Christophe Charle: Vordenker der Moderne, S. 188.

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die es verstand, ihre ganze Kraft, eine gewaltige K r a f t der A r b e i t , eine gewaltige K r a f t der U n r u h e , in den Dienst selbst einer individuellen Sache zu stellen, u m f ü r einen Menschen das zu tun, was so viele V ö l k e r nicht einmal f ü r ihre eigene Existenz getan h ä t t e n . 2 4 Peguy wird B e r n a r d Lazare, den Schriftsteller, der sich als einer d e r ersten f ü r den jüdischen H a u p t m a n n eingesetzt hatte, »einen der größten u n t e r den P r o p h e t e n Israels« n e n n e n . 2 5 Selbst Zola, der sich so sehr am Paradigma der Wissenschaft orientiert hatte, findet nach der A f f ä r e immer m e h r zu einem ähnlich prophetischen Ton. 2 6

4 Mit der D r e y f u s - A f f ä r e ist ein neues Modell der politischen Intervention entstanden, das für das ganze zwanzigste J a h r h u n d e r t wegweisend wird. Bei späteren kollektiven Mobilisierungen der Intellektuellen b e r u f t m a n sich auf dieselben Werte, folgt m a n denselben Ritualen. Die Kontinuität zeigt sich auch in den Mitteln des K a m p f e s und d e r Mobilisierung ( o f f e n e Briefe, Petitionen, G r ü n d u n g von Vereinigungen, Zeugenaussagen in Gerichtsprozessen, Polemiken u n t e r Schriftstellern o d e r Wissenschaftlern) 2 7 - eine Kontinuität, die ablesbar ist bis zum E n g a g e m e n t der Filmemacher im F e b r u a r 1997 gegen die »unmenschlichen Gesetze«: M a n wählte die Form einer Petition im M e d i u m der Presse und berief sich jenseits j e d e r parteipolitischen O b s e r v a n z auf die Menschenrechte. Die w ä h r e n d der D r e y f u s - A f färe gegründete Liga der M e n s c h e n r e c h t e blieb auch w ä h r e n d des ganzen zwanzigsten J a h r h u n d e r t s eine einflußreiche Institution - auch dies ein E l e m e n t der Kontinuität28 Ein weiteres E l e m e n t , das in der D r e y f u s - A f f ä r e zumindest virtuell angelegt war, war der internationale C h a r a k t e r des K a m p f e s f ü r die Menschenrechte. W e n n die

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Charles Peguy: Oeuvres completes. Bd. II. Paris: Gallimard 1940, S.361. Siehe dazu auch: Pie Duploye: Die religiöse Botschaft Peguys. Freiburg: Herder 1970, S. 575-576. Siehe dazu Christophe Charle: Situation de Zola dans le champ litteraire. In: lendemains 36 (1984), S.42-46. Christophe Charle: Vordenker der Moderne, S. 187. Nicht zu Unrecht betonten die Interpreten der Dreyfus-Affäre immer wieder den exemplarischen Charakter dieses Ereignisses, in dem schon die späteren geschichtlichen Entwicklungsstränge potentiell angelegt waren: »Par-delä l'anecdote, par-delä les proces successifs, pourquoi l'affaire Dreyfus nous touche-t-elle ainsi?«, so fragt P. Vidal-Naquet. »Ne serait-ce pas parce qu'elle a proprement cree un vocabulaire, une langue, qui, ä travers les mutations historiques, ont survecu jusqu'ä nous?« (In: Le Monde [hebdomadaire], 7 14.7.1965.) Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung kommt der Historiker Pierre Miquel, wenn er schreibt: »Par toutes ses consequences, l'Affaire Dreyfus est un carrefour de la vie fran9aise. Elle a cree deux types de pensee, d'attitude, deux reflexes politiques, dont il est impossible de ne pas tenir compte pour expliquer revolution de l'opinion publique contemporaine. Avec eile prend figure, dans ses lignes de force essentielles, la France du XX e siecle.« (Pierre Miquel: L'Affaire Dreyfus. Paris: P.U.F. 1961, S. 126.)

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Menschenrechte auf eine spezifische, in der Französischen Revolution begründete Tradition zurückgingen, so ließen sie sich doch nicht auf eine Nation beschränken. So fand der Kampf der Dreyfusards eine Resonanz, die weit über Frankreich hinausging. 29 Davon zeugten auch die zahllosen Briefe, die Zola und Dreyfus aus der ganzen Welt erhielten. Besonders intensiv war das Echo, das die Dreyfus-Affäre bei den Intellektuellen in den Mittelmeerländern und in den kleinen Ländern fand, in denen Frankreich seit der Französischen Revolution als Vorbild galt; dort übernahm man die Bezeichnung >Intellektuelle< und die entsprechenden Verhaltensmuster. In Spanien fiel 1889, das Jahr der Intervention von Zola, mit einem entscheidenden Einschnitt der nationalen Geschichte zusammen - dem Ende des Kolonialreiches, das eine kritische Generation auf den Plan rief, die sich nach dieser Jahreszahl benannte. 3 0 D i e universelle Ausrichtung des Engagements zwang die Intellektuellen, die den Kampf nach 1900 fortsetzten, überall zu Menschenrechtsverletzungen Stellung zu beziehen: zu den Massakern in Armenien, zur Ferrer-Affäre in Spanien, zur russischen Revolution von 1905 usw. 31 Sowohl Christophe Charle wie Pierre Bourdieu erklären die Intervention Zolas und diejenige der Schriftsteller aus der Logik des literarischen Feldes. 3 2 Zola war,

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Siehe dazu Gerd Krumeich: Die Resonanz der Dreyfus-Affäre im Deutschen Reich. In: Gangolf Hübinger/Wolfgang J. Mommsen (Hg.): Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt/M.: S. Fischer 1993, S. 13-32. Der Verfasser zeigt auf, daß der Begriff >lntellektuelle< schon drei Jahre nach der Dreyfus-Affäre in der deutschen Diskussion auftauchte. Das Interesse der sozialdemokratischen Presse war durch Zolas J'accuse geweckt worden; sie geißelte den Militarismus mehr als den Antisemitismus und fand, die Intellektuellen engagierten sich mehr für die Bourgeoisie als für die Menschen- und Bürgerrechte. Erst im Gefolge von Jaures hörte man auf, die Sache von Dreyfus als innerbourgeoise Angelegenheit zu betrachten. In der linksliberalen Presse hob man die Existenz einer langen kritischen Tradition in Frankreich, die in Deutschland fehle, positiv hervor. Die Deutsche Rundschau, Repräsentantin eines gemäßigt liberalen Kurses, interpretierte die Bewegung der >intellectuels< als Beweis für die Existenz eines »großherzigen Frankreichs in dem mit großem Erfolg ein Kampf für Menschlichkeit und Gerechtigkeit gekämpft werde, was das Klischee vom »Niedergang Frankreichs< Lügen strafe. Der hartnäckige und letztlich erfolgreiche Kampf der >intellectuels< um die Republik habe dazu beigetragen, so das Fazit von Gerd Krumeich, bei den deutschen Gebildeten die Überzeugung zu verstärken, daß die Republik eine Staatsform sei, mit der man sich zumindest arrangieren könne - eine Haltung, die im Gegensatz zu den Ansichten der führenden politischen Persönlichkeiten der Wilhelminischen Zeit stand, die vom Stereotyp eines institutionell >schwachen< Frankreich ausgingen. Die Reaktionen auf den Dreyfus-Prozeß im deutschsprachigen Raum wurden beim Potsdamer Symposion von 1994 aufgearbeitet, so in den Beiträgen von Julius H. Schoeps, Eckhardt und Günther Fuchs für Deutschland sowie in denjenigen von E. Weinzierl und J. Le Rider für Österreich. Siehe Julius H. Schoeps/Hermann Simon (Hg.): Dreyfus und die Folgen. Berlin: Edition Hentrich 1995.

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Christophe Charle: Vordenker der Moderne, S. 173. Christophe Charle: Vordenker der Moderne, S. 189. Siehe dazu auch: Bernd Rother: Spanien und die >Affäre< Dreyfus. In: Julius H. Schoeps/Hermann Simon (Hg.): Dreyfus und die Folgen, S.81-91. Zur Theorie des literarischen Feldes siehe Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1995.

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Joseph Jurt

so Charle, auf Grund seiner einzigartigen Position im literarischen Feld der einzig Mögliche für eine erfolgversprechende Aktion. 3 3 Wegen seines Nonkonformismus befand er sich in einer >prophetischen< Situation, die homolog war zu derjenigen der Avantgarde und somit der >dreyfusardsdreyfusards< - war die Intervention Zolas so wertvoll, für ihn selbst aber auch äußerst riskant: Er konnte alles verlieren. Indem er die Debatte außerhalb des engen Rahmens des Parlamentsbereichs und der traditionellen Kontroversen situierte und sich auf Kriterien ideologischer und literarischer Natur (Wahrheit und Gerechtigkeit) berief, zwang Zola das literarische Feld, das vorher abseits stand, Stellung zu beziehen. 34 Mit seiner Intervention zugunsten von Dreyfus führte Zola auch in den Augen Bourdieus nicht politische Betrachtungsweisen in das literarische Feld ein, sondern berief sich in seiner Unabhängigkeit auf die Universalität von Prinzipien (Wahrheit und Gerechtigkeit), die das literarische Feld bestimmten. Grundlage war die Unabhängigkeit der Hüter dieser Werte gegenüber den politischen Forderungen (Patriotismus) und den ökonomischen Zwängen. J'accuse war nicht Ausdruck eines Verlustes von Autonomie, sondern Ausdruck dieser Autonomie. 35 Bourdieu erhebt sich ausdrücklich gegen die These, die Intellektuellen verlören im Maße der fortschreitenden Autonomisierung an politischer Wirkkraft. 36 Der

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Man erinnere sich an Leon Blums Hinweis: »Pour les dreyfusards, Zola etait moins un heros qu'un allie inattendu et inestimable. Pour les adversaires, il etait un meteque, un perverti, un demi-dement, un agent venal du Syndicat« (Leon Blum: Souvenirs de l'Affaire Dreyfus. Paris: Gallimard 1935, S. 133-134). Christophe Charle: Champ litteraire et champ du pouvoir: les ecrivains et l'Affaire Dreyfus. In: Annales 32/2 (März-April 1977), S.252-53. Der Bezug auf universelle Werte charakterisiert nach Christophe Charle das Selbstverständnis der Intellektuellen, die so in Konkurrenz treten zur politischen Elite, die - eigentlich - als Hüter des Gemeinwohls auftreten müßte. »Ainsi, paradoxalement, c'est l'autonomie du champ intellectuel qui rend possible l'acte inaugural d'un ecrivain qui, au nom des normes propres du champ litteraire, intervient dans le champ politique, se constituant ainsi en intellectuel« (Pierre Bourdieu: Les regies de l'art. Genese et structure du champ litteraire. Paris: Seuil 1992, S. 186). Zur Autonomie als Vorbedingung der politischen Intervention siehe auch Bourdieus Aussage an anderer Stelle: »Lorsque Sartre, et les 121, se dressent contre la Raison d'Etat, et appellent au soutien de >l'ennemireine< Sache, die sie verteidigten, instrumentalisiert wurde, daß die Dreyfusards, einmal an der Macht, den wahren Prinzipien nicht mehr treu blieben. Clemenceau, der 1898 Zolas J 'accuse veröffentlicht hatte, ließ 1906 als Innenminister auf Arbeiter schießen, ergriff Maßnahmen gegen die linke Gewerkschaft CGT, verteidigte statt der Menschenrechte die Staatsräson. Peguy stellte die Enttäuschung über diese Entwicklung des Dreyfusismus, der zur >Politik< verkommen sei, wie gesagt, in seinem Werk Notre Jeunesse (1910) dar. Ein ähnliches Fazit bestimmte die literarische Transposition der Dreyfus-Affäre in Prousts A la recherche du temps perdu39 und vorher schon Zolas Virite (1903), der enttäuscht war, daß das Engagement der Intellektuellen nicht seine logische Lösung fand, daß Dreyfus bloß begnadigt, nicht aber freigesprochen wurde. Die Figur des Intellektuellen, der nach der Wahrheit sucht, der von reaktionären Kräften der >Finsternis< bedroht wird, stellte in Verite bezeichnenderweise der Grundschullehrer dar. In dieser Phase der Desillusionierung hatten viele der vorher engagierten Schriftsteller das Lager der Rechten gewählt und verteidigten nun individualistische Werte. Von der Trennung von Politik und Literatur zeugten auch die ersten Nummern der von Gide, Schlumberger, Gheon 1909 gegründeten Zeitschrift N. R.F. In der 1913 von Henri Massis und Alfred de Tarde unter dem Pseudonym Agathon veröffentlichten Umfrage bei der studentischen Jugend erklärte sich die neue Generation nicht mehr so sehr für die Wissenschaft und die Reflexion wie noch die Generation der Dreyfus-Affäre, sondern begeisterte sich für den Kult der Tat, für den Sport und schien offen zu sein für ein neo-nationalistisches Programm. 40 Die Intellektuellen, die sich so aktiv für das Prinzip der Menschenrechte und gegen den Korpsgeist, gegen den Militarismus engagiert hatten, mußten den Ausbruch des Ersten Weltkrieges als totales Scheitern ihrer Vorstellungen empfinden. Selbst die avantgardistische Kunst, die sich vor dem Krieg durch ihre internationale Dimension ausgezeichnet hatte, stellte nun, wie Kenneth Ε. Silver aufgezeigt hat, 41 wieder die Nation in den Mittelpunkt. Im Zeichen der >union sacree< kehrte die Avantgarde zu patriotischen Werten zurück, und das kulturelle Paradigma der

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Die Literatur, die einem unmittelbaren politischen Ziel untergeordnet wird, erliegt nach Proust dem Zwang zur Vereinfachung, zur unreflektierten Parteinahme. Die Komplexität der Realität war dem Schriftsteller gerade hinsichtlich der Dreyfus-Affäre offenbar geworden. Zudem könne das politisch-ethische Engagement, das dem Bürger schlechthin aufgegeben sei, die eigentliche schriftstellerische Aufgabe, seine Erkenntnisfunktion, nicht ersetzen, und gerade diese Gefahr sah Proust in der politischen Literatur eines Barres. (Siehe dazu auch: Joseph Jurt: Politisches Handeln und ästhetische Transposition, S . 8 5 107.) Agathon: Les jeunes gens d'aujourd'hui. Paris: Plön 1913. Michel Winock spricht von einer eigentlichen »generation d'Agathon« (Michel Winock: Les generations intellectuelles, S. 2 2 - 2 4 ) . Kenneth Ε. Silver: Vers le retour ä l'ordre. L'avant-garde parisienne et la Premiere Guerre mondiale. Paris: Flammarion 1991.

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Rechten, wie es die Action franchise am deutlichsten artikuliert hatte (als Verbind u n g von Klassizismus und Nationalismus), wurde zur D o m i n a n t e . Der Krieg als technisierter Massenkrieg war indes ein vollauf neues P h ä n o m e n , das zur Stellungn a h m e herausforderte. Die R e a k t i o n e n der Schriftsteller waren indes - trotz des gen a n n t e n Dominanten-Wechsels - keineswegs h o m o g e n . G. Colin u n d J.-J. Becker unterschieden zwischen vier Typen von R e a k t i o n e n . Barres stand f ü r eine nationalistische Haltung, die den Krieg als Kampf der Zivilisation gegen die >deutsche Barb a r e i wertete und ein optimistisches Bild der Kriegswirklichkeit entwarf. Ein ähnliches schematisches Muster fand sich in M a u r r a s ' Organ L'Action frangaise, die nun auf ihre größte Resonanz stieß. In einer zweiten G r u p p e von Werken - etwa bei R e n e Benjamin - wurde die Mission Frankreichs im Krieg ebenfalls nicht in Frage gestellt; das idealisierte Bild des Krieges war jedoch nicht mit einer explizit politischen Botschaft gekoppelt. Eine dritte G r u p p e bildeten die Autoren, die als unmittelbare Kriegsteilnehmer ( D u h a m e l , Dorgeles, Genevoix) in ihren Werken ein schonungsloses Bild der Kriegswirklichkeit e n t w a r f e n und so implizit den Krieg verurteilten. Bei einer vierten G r u p p e , zu der m a n vor allem Barbusse und R o m a i n Rolland zählen kann, m ü n d e t e die realistische Schilderung des Krieges in eine explizite politische Botschaft: die Verurteilung des Nationalismus jedwelcher Provenienz im N a m e n des pazifistischen Internationalismus. 4 2

6 Nach d e m Krieg entstand - vor allem initiiert durch Barbusse und R o m a i n Rolland - eine starke pazifistische Bewegung, die an die f r ü h e Tradition der Dreyfusardes a n k n ü p f t e , die sich als Reaktion gegen den Militarismus verstanden hatte. Die Politisierung eines Teils der Intellektuellen wurde verstärkt durch das historische Faktum der Oktoberrevolution, die als ein E c h o der Französischen Revolution eingestuft wurde, auf die sich die >dreyfusards< ebenfalls bezogen hatten. Die G r ü n dung der Kommunistischen Partei in Frankreich im Jahre 1920 hatte für die Struktur des literarischen Feldes b e d e u t s a m e Konsequenzen, weil sich die Partei nicht auf das strikt politische Territorium beschränkte, sondern alle Bereiche der Gesellschaft zu verändern gedachte, zuletzt den literarischen Bereich mittels einer spezifischen Kulturpolitik und Ästhetik. Andererseits k o n n t e n Schriftsteller glauben, in der kommunistischen Ideologie universelle Werte zu finden, die mit denjenigen des literarischen Feldes nicht unvereinbar erschienen. Als Klasse, die eine neue Universalität v e r k ö r p e r e (die klassenlose Gesellschaft), sollte das Proletariat für die Schriftsteller oder wenigstens für gewisse unter ihnen, wie Jean-Michel Peru schreibt, im Kontext nach O k t o b e r 1917 und in der Folge des großen Scheiterns von 1914 zu einem n e u e n E m b l e m w e r d e n . 4 3

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Genevieve Colin/Jean-Jacques Becker: Les ecrivains, la guerre de 1914 et Topinion publique. In: Relations internationales 24 (1980), S.425-442. Jean-Michel Peru: Une crise dans le champ litteraire fran£ais. Le debat sur la litterature

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Barbusse, fasziniert von der Oktoberrevolution, schrieb so der UdSSR messianische Werte zu. Er sah im Kommunismus eine Weiterführung der Prinzipien der Aufklärung. Bei der Legitimation des pazifistischen Kampfes ging er jedoch immer mehr von der Parteiargumentation aus, also von Prinzipien des politischen Feldes, indem er sich auf die Idee des Klassenkampfes bezog und die Gewalt als Mittel der Politik befürwortete. Das Engagement eines Barbusse oder das der anderen Intellektuellen der KP war nicht mehr das eines Zola oder das der >intellectuels dreyfusardsclerc< treu, welcher nicht in die Arena der unmittelbaren Politik >niederzusteigen< habe; 4 8 denn es sei Aufgabe des >LaienMeisterdenker< geworden war, zwang ihn die Logik dieser Position, nun auch zu politischen Fragen Stellung zu beziehen; er äußerte Anfang der 30er Jahre seine Sympathie für einen - moralisch verstandenen - Kommunismus, ohne je Mitglied der KP zu werden. Nach seiner RußlandReise bekundete er 1936 auf der Basis seines autonomen Status schonungslose Kritik an den dortigen Zuständen in seinem Buch Retour de l'URSS. Eine analoge Position kann man Georges Bernanos zuschreiben, der zunächst der Action fran^aise nahestand, 1932 mit Maurras brach, um dann als Zeuge des spanischen Bürgerkrieges ebenso schonungslos und ohne jede Rücksichtnahme den franquistischen Terror in seinem Buch Les grands cimetieres sous la lune anzuklagen. 54 Schließlich gab es die Position der Kompagnons de routeWeggenossen< der Kommunisten, die weder Partei-Intellektuelle noch autonome Intellektuelle im klassischen Sinne waren. Dazu gehörte zweifellos Andre Malraux. Seine Romane

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Zeit der Dreyfus-Affäre die Presse das einzige Medium war, über das man die Massen mobilisieren konnte, traten nun auch das Radio und das Kino (Wochenschau) auf den Plan, Medien, zu denen Intellektuelle nur eingeladen wurden, wenn sie berühmt waren. Es ist hier nicht möglich, die französische Intellektuellen-Geschichte in ihrer ganzen Breite auszufalten. Verwiesen sei auf frühere Studien: Joseph Jurt: Schriftsteller und Politik in Frankreich der dreißiger Jahre. In: Peter Brockmeier/Hermann H. Wetzel (Hg.): Französische Literatur in Einzeldarstellungen. Bd.3. Stuttgart: Metzler 1982, S. 133-216: ders.: Das literarische Feld, S . 2 5 5 - 2 8 2 : D i e Krise des literarischen Feldes in den dreißiger Jahren. Jean-Michel Peru: U n e crise dans le champ litteraire fran9ais (Anm.43). Siehe dazu Joseph Jurt: L'engagement de Drieu et la structure du champ litteraire de l'entre-deux-guerres. In: Marc Dambre (Hg.): Drieu la Rochelle ecrivain et intellectuel. Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle 1996, S. 1 5 - 3 8 . Siehe dazu Joseph Jurt: >Les deux plus grands ecrivains engages que je connaisse.. .Presentation< war der literarische Wert< darum auch ein Kriterium für die Annahme von Texten in der Zeitschrift. Das Konzept des Engagements sollte der Literatur dienen und ihr »neues Blut zuführen«. So war es kein Zufall, daß Sartre schon 1957 in seiner Zeitschrift Qu'est-ce que la litterature? veröffentlichte, wo er versuchte, eine Definition der legitimen neuen Literatur zu geben. Angesichts des Prestiges, das damals die KPF und das mythische Bild eines Proletariats als Verkörperung des Sinns der Geschichte genossen, kam kaum ein Schriftsteller um die Frage der sozialen Funktion der Literatur herum. Für den engen Kreis der Schriftsteller und Kritiker, die über die eigentliche literarische Norm bestimmten und am Autonomie-Anspruch des Feldes festhielten, konnte sich Literatur jedoch nur über ein ästhetisches Engagement legitimieren. Sie teilten keineswegs Sartres Konzeption. Anfang der 50er Jahre überließ Sartre gleichsam das Terrain der Literatur den Gegnern des Engagements und stellte die in der Präsentation von Les Temps Modernes behauptete Rolle der Literatur als höchste Form der Aktion in Frage. Nach Anna Boschetti entsprang diese Krise bei Sartre dem Gefühl der Ohnmacht der Intellektuellen angesichts des Kalten Krieges. Mit der Veröffentlichung der Artikelserie »Les Communistes et la Paix« in seiner Zeitschrift ab Juli 1952 näherte er sich für Jahre der KPF; der von dieser behauptete Primat der Aktion weckte in ihm offenbar Schuldgefühle, die in Les Mots ihren Ausdruck fanden, wo der Glaube an die Macht der Literatur als eine Neurose dargestellt wurde, von der man sich durch die Anamnese der Kindheit lösen müsse. Wenn das von Sartre propagierte Programm einer engagierten Literatur kaum realisiert wurde, so verkörperte er doch die Figur des Intellektuellen, vor allem auch in dem von ihm initiierten und in Les Temps Modernes veröffentlichten >Manifest der 141 Manifest der 121 Philosophen< der Enzyklopädie).« 7 1

9 Nach d e m Tod von Sartre 1980 hatte m a n das E n d e der Tradition des intellektuellen E n g a g e m e n t s prognostiziert. 7 2 Im Juli 1983 hatte Max Gallo, Schriftsteller und

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Pierre Bourdieu: Les regies de l'art, S.465. Deutsch: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, S.527. Markus Schwingel: Bourdieu zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag 1995, S. 139. Pierre Bourdieu: Der Korporativismus des Universellen, S.61. Siehe etwa Edward Reichel: Von der Literatur zur Technologie: Frankreichs Wende. Zum Verschwinden des literarischen Intellektuellen im gegenwärtigen Frankreich. In: Wolfgang A s h o l t / H e i n z Thoma (Hg.): Frankreich - ein unverstandener Nachbar: 1945-1990. Bonn: Romanistischer Verlag 1990, S. 2 4 8 - 2 6 5 . Über die Intellektuellen zurZeit der V. Republik bis 1990 informiert sehr ausführlich, wenn vielleicht auch zu wenig theoretisch fundiert: Remy Rieffei: La tribu des clercs. Les intellectuels sousla V c Republique 1958-1990. Paris: Calman-Levy 1993. - In Deutschland begann man auch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre die junge Tradition des Engagements der literarischen Intelligenz totzusagen. So

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Sprecher der sozialistischen R e g i e r u n g , sich in e i n e m Artikel in Le Monde S c h w e i g e n der Intellektuellen a u f g e h a l t e n .

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über das

D e r Sieg der L i n k e n im Jahre 1981 sei

e i n h e r g e g a n g e n mit einer n e u e n kulturellen O f f e n s i v e der R e c h t e n . D i e Intellektue l l e n hätten sich aber z u r ü c k g e z o g e n und Mai-Juni 1981 nicht als ihren Sieg betrachtet. Warum sie sich d e n n nicht b e i m A u f b a u e i n e s n e u e n Frankreichs b e t e i l i g t e n ? 7 4 D i e s e r Aufsatz löste e i n e intensive D e b a t t e der Intellektuellen in Le Monde

aus.

M a x G a l l o hatte dabei w o h l verkannt, d a ß die primäre F u n k t i o n der Intellektuellen nicht die U n t e r s t ü t z u n g selbst einer Linksregierung ist, s o n d e r n die Kritik. E i n e erste A b k ü h l u n g z w i s c h e n d e n Intellektuellen und der Linksregierung hatte sich s c h o n bei der Erklärung des Kriegszustandes durch G e n e r a l Jaruzelski und der Verhaftung vieler G e w e r k s c h a f t s f ü h r e r von Solidarnosc in Polen im D e z e m b e r 1981 a b g e z e i c h n e t , als die R e g i e r u n g erklärte, sich nicht in die inneren A n g e l e g e n h e i t e n P o l e n s e i n m i s c h e n zu wollen. Z a h l r e i c h e Intellektuelle - s o auch Foucault und B o u r d i e u - erklärten z u s a m m e n mit der G e w e r k s c h a f t C F D T ihre Solidarität mit der p o l n i s c h e n Solidarnosc und kritisierten heftig die französische R e g i e r u n g . 7 5 Z u d e n zahlreichen R e a k t i o n e n , die der Artikel v o n M a x G a l l o auslöste, v e r d i e n e n vor

schrieb Karl Heinz Bohrer 1987 in bezug auf Boll und Grass, die Problematik dieser Literatur des Engagements sei deutlich geworden, »als dieses moralisch-politische zum parabolischen Verfahren geriet, dessen Abfall ins Kunsthandwerk nicht mehr zu übersehen war«. Karl Heinz Bohrer: Die permanente Theodizee. Über das verfehlte Böse im deutschen Bewußtsein. In: Merkur 4 [1987], S.282. Vor allem nach dem Mauerfall wurden solche Stimmen immer deutlicher. Frank Schirrmacher zieh die engagierte Literatur der Bundesrepublik, vertreten durch Namen wie Boll und Grass, der Konventionalität, der Fixation auf die Probleme einer Generation (Frank Schirrmacher: Abschied von der Literatur der Bundesrepublik. In: FAZ, 2.10.1990, S.61), und Die Zeit sprach von Gesinnungsästhetik: »Verbindung von Idealismus und Oberlehrertum« (Die Zeit, 2.11.1990). Nach dem Erscheinen von Ein weites Feld wurde Grass in mehreren Besprechungen als »der letzte Intellektuelle« apostrophiert, so etwa von Martin Lüdke: »Gewohnt, mit dem moralischen Kredit der Gruppe 47 als Repräsentant des besseren Deutschland aufzutreten, mußte er [Grass], sicher schmerzhaft, erkennen, daß ihn am Ende keiner mehr hören wollte. Und die deutsche Öffentlichkeit konnte an seinem Fall sehen, daß die Epoche, in der Schriftsteller zu politischen und gesellschaftlichen Problemen gefragt waren, endgültig zu Ende gegangen ist.« (In: Die Woche, 5.5.1995.) Während in Frankreich vor allem seit 1996 eine intensive Debatte unter den Intellektuellen über den Euro stattfand, vermerkten in Deutschland Beobachter vor allem das Schweigen der Intellektuellen (siehe dazu: Rainer Hoffmann: Das Ende des großen Schweigens? Deutschlands Intellektuelle in der Helmut-Kohl-Ära. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr.2,4./5.1.1997, S.32). 73

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Max Gallo: Les intellectuels, la politique et la modernite. In: Le Monde, 26.7.1983, S. 7. Der Artikel findet sich auch im Sammelband von Max Gallo: Les idees decident de tout. Paris: Editions Galilee 1984, S.21-32. »Aussi mai-juinl981, dont le lien avec mai 68 est pourtant evident, peut apparaitre - et ce serait, de ce point de vue, un cas specifique dans Phistoire politique de la France - comme une victoire de la gauche ä laquelle les intellectuels en tant que groupe emblematique ont relativement peu participe, au moins activement.« (Max Gallo: Les idees decident de tout, S.26.) Siehe dazu Marcin Frybes: Rencontre ou malentendu autour de Solidarnosc. In: C F D T aujourd'hui 100 (März 1991), S. 13-110; Didier Eribon: Michel Foucault (1926-1984). Paris: Flammarion 1989, S.314-326.

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allem die von E d g a r Morin und Jean-Fran9ois Lyotard h e r v o r g e h o b e n zu werden. D e r letztere unterstrich, d a ß die Figur des >Intellektuellen< an die Vorstellung eines universellen Subjektes g e b u n d e n sei und d a ß es mit d e m E n d e dieser Idee f ü r den klassischen Intellektuellen in einer dezentrierten p o s t m o d e r n e n Gesellschaft keinen Platz m e h r gebe. 7 6 In der Folge beschäftigten sich i m m e r m e h r Historiker mit der Geschichte der Intellektuellen, so etwa Michel Winock in einer Studie der Zeitschrift Vingtieme Siecle.77 Auch er ging von der Frage aus, die Max Gallo im g e n a n n t e n Artikel gestellt hatte: » O ü sont les Gide, les Malraux, les Alain, les Langevin d ' a u j o u r d ' h u i ? « Eine solche Frage sei nur möglich in Frankreich, wo man den Intellektuellen eine »besond e r e B e r u f u n g zur Politik« zuschreibe. Die Frage von Max Gallo machte in der Tat offensichtlich, d a ß sich eine Tradition der intellektuellen Intervention in Frankreich herausgebildet hatte, die so verfestigt war, d a ß sie eine bestimme Erwartungshaltung hervorrief. Winock sah mit d e m Beginn der 80er Jahre eine W e n d e g e k o m m e n . E r k o n n t e nun als Historiker einen geschichtlichen Rückblick e n t w e r f e n und in relativ deskriptiver Weise verschiedene Phasen dieser Geschichte nachzeichnen. Die Periode seit dem Krieg nannte er >Zeit der P a r t e i g ä n g e n . Die Aktivität in der Resistance habe der Kommunistischen Partei eine Art Legitimität verliehen und eine große Zahl von Intellektuellen in ihren Bann gezogen. Eine E r n ü c h t e r u n g zeichnete sich erst in den 70er Jahren u n t e r dem Einfluß der sowjetischen Dissidenten und angesichts der Pol Pot-Diktatur in K a m b o d s c h a ab. Retrospektiv konnte die Zeit des Kalten Krieges nach Winock als eine Periode des V e r s t u m m e n s der intellektuellen Vernunft, des Verzichts auf ein a u t o n o m e s D e n k e n zugunsten der Parteiraison erscheinen. Winock weist aber auch darauf hin, d a ß in dieselbe Zeit das antikolonialistische E n g a g e m e n t der Intellektuellen falle. 7 8 Später widmete auch die Zeitschrift Magazine litteraire eine ganze N u m m e r der Rolle der Intellektuellen. 7 9 In dieser N u m m e r fand sich eine große U m f r a g e , in der nun bezeichnenderweise die Frage gestellt wurde, o b sich der Intellektuelle überhaupt engagieren solle. Die politische Intervention stellte nicht m e h r eine Selbstverständlichkeit dar. D e r Historiker Jean-Fran9ois Sirinelli veröffentlichte hier eine Studie ü b e r die Intellektuellen in der Geschichte Frankreichs im 20. J a h r h u n d e r t . 8 0 Hier fällt auf, d a ß der A u t o r die verschiedenen Studien und Formen der Interven-

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»II ne devrait done plus y avoir d'intellectuels, et s'il y en a, c'est qu'ils sont aveugles ä cette donnee nouvelle dans la realite, au nom duquel la pensee puisse dresser un requisitoire qui soit en meme temps une c o n c e p t i o n du monde< [...]. Le declin, peut-etre la ruine. de l'idee universelle peut affranchir la pensee et la vie des obsessions totalisantes.« (JeanFran9ois Lyotard: Tombeau de rintellectuel et autres papiers. Paris: Galilee 1984. S . 2 0 21.) Michel Winock: Les intellectuels dans le siecle. In: Vingtieme Siecle. Revue d'Histoire 2 (April 1984), S. 3 - 1 4 . Ebd., S . U . Le role des intellectuels. In: Magazine litteraire 248 (Dezember 1987). Jean-Fran9ois Sirinelli: Les intellectuels au miroir du siecle. In: Magazine litteraire 248 ( D e z e m b e r 1987), S. 1 8 - 2 3 .

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tion nicht bloß beschreibt und situiert, sondern wertet und versucht, die »Verantwortung der Intellektuellen« einzuschätzen, obwohl er die Gefahr einer subjektiven Geschichtsschreibung durchaus auch sieht. 81 Die Wertung der intellektuellen Intervention geht von einem gewissen Selbstbild der Intellektuellen als autonome Subjekte aus, wobei zu wenig beachtet wird, daß diese in einem bestimmten historischen intellektuellen Feld stehen, das sie auch wieder bestimmt. Die Figur des traditionellen Intellektuellen wird seit Ende der 80er Jahre in Frage gestellt durch diejenige des >neuen Philosophen< und neuerdings durch den >ExpertenSchweigen< eines Beckett oder eines Michaux nicht. Andererseits spricht er von »der den Schriftstellern von der Politik gestohlenen Zeit« und stellt als eine Art Gesetz fest: »Je stärker der politische Einsatz, desto geringer die literarische Ausbeute.« Von den »großen Hoffnungen« im ersten bis zum »Ende der Propheten« im letzten Kapitel wird eine Verfallsgeschichte skizziert: Die Intellektuellen, so B.-H. Levy, waren immer wieder anfällig für linke oder rechte Totalitarismen. Der Totalitarismus-Rundumschlag bleibt jedoch sehr schwammig. Die Heftigkeit der Worte (»Die Kommunisten sind Schweinehunde, Kriminelle, manchmal Monster«) vermag eine nüchterne Analyse nicht zu ersetzen. B.-H. Levy bemüht sich nicht zu verstehen oder zu situieren; ihm geht es stets darum, zu beurteilen und zu verurteilen. 84 Immer wieder überrascht man ihn in der Pose des Inquisitors, mit erhobenem Zeigefinger. Ähnliche Züge eignen dem neuli-

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Die Wertung ist etwa aus folgenden Zeilen von Sirinelli abzulesen: »Certains de ces defauts, non specifiques il est vrai, parfois apparus lors de ces engagements - ingenuite extreme, meconnaissance des rapports de force nationaux et internationaux - prennent une gravite particuliere quand 1'intervention en politique et le röle joue sont censes proceder de la lucidite, nourrie par la Raison.« (Ebd., S.23.) »Les intellectuels ne sont ni ha'is, ni vilipendes, ni m e m e reellement fustiges c o m m e ä l'epoque de l'affaire Dreyfus, des annees trente, ou de la guerre d'Algerie. Et force est de constater qu'ils traversent une crise molle, voilee, comme etouffee [...]. Pour la premiere fois, cette France qui les a inventes, portes aux nues, traines dans la boue, mais toujours avec passion, ne sait plus qu'en faire ni qu'en penser. Les intellectuels ont connu des epoques noires. lis ont mene des batailles autrement plus dramatiques. Jamais cependant, ils n'avaient eprouve semblable sentiment d'irrealite.« (Bernard-Henri Levy: Eloge des intellectuels. Paris: Grasset 1987, S . 9 - 1 0 . ) Bernard-Henri Levy: Les aventures de la liberte. U n e histoire subjective des intellectuels. Paris: Grasset 1991; deutsche Version: Die abenteuerlichen Wege der Freiheit. Frankreichs Intellektuelle von der Dreyfus-Affäre bis zur Gegenwart. München, Leipzig: List 1992. Die fragwürdigen Qualitäten B.-H. Levys als >Historiker< waren schon in seinem Buch L'id0ologie frangaise (1981) zutage getreten. Siehe dazu Joseph Jurt: Le fascisme aux couleurs de la France? Zu Bernard-Henri Levys L'ideologie frangaise. In: lendemains 22 (1981), S. 9 9 - 1 0 8 .

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chen Buch von B e r n a r d - H e n r y Levy Le lys et la cendre (1996). Hier finden sich Ausf ü h r u n g e n über sein Bosnien-Engagement n e b e n Pariser Klatschgeschichten. Levy liefere, so ein Kritiker, eine Karikatur des Intellektuellen als Salonlöwen, die wohl auch seinem schlimmsten Feind k a u m besser gelungen wäre. E r mimt den Intellektuellen, eine Rolle, die er durch seine Selbstgefälligkeit und Mediengeilheit selber wieder untergräbt. Er vergißt, d a ß erst das A n s e h e n , das ein Intellektueller als Denker, als Wissenschaftler, als Schriftsteller e r w o r b e n hat, seiner Intervention G e wicht gibt. 8 5 Bourdieu scheint an B.-H. Levy zu d e n k e n , wenn er von Interventionen spricht, die bloß der Logik der M o d e gehorchten: »ce sont des Zola qui lanceraient des J 'accuse sans avoir ecrit L'Assommoir ou Germinal ou des Sartre qui signeraient des petitions ou meneraient des manifestations sans avoir ecrit Γ Eire et le Neant ou La Critique de la raison dialectique.«86 G a n z ähnlich äußerte sich Bourdieu in einem Interview: »Es gibt sie ja in Frankreich, diese aufgeregten, ein bißchen lächerlichen Intellektuellen, B e r n a r d - H e n r i Levy, solche Leute. D i e verschaffen dem französischen Intellektuellen ein so schlechtes Image, d a ß es für ernsthafte Leute schwierig ist, R e s p e k t zu b e k o m m e n . Was wir brauchen, ist ja nicht eine moralische o d e r philosophische, sondern eine wissenschaftliche Kritik.« 8 7 N e b e n einer rein philosophisch-moralischen Kritik, die nicht auf der Kaution eines a n e r k a n n t e n wissenschaftlichen oder literarischen Werkes beruht, artikulierte sich in Frankreich vor allem w ä h r e n d der Streikbewegung von 1995 ein neuer Typus des Intellektuellen: der Experte. Eine ganze Reihe von Intellektuellen, d a r u n t e r auch viele ehemalige Berater der f r ü h e r e n Links-Regierungen, erklärten in einer a u f s e h e n e r r e g e n d e n Petition in der Zeitschrift Esprit (24. N o v e m b e r 1995), sie wollten ihre Verantwortung w a h r n e h m e n , sie unterstützten d a r u m die Regierung, namentlich den Plan von J u p p e zur G e s u n d h e i t s r e f o r m . 8 8 Diese Form einer Petition war f ü r Frankreich neu. Intellektuelle definieren sich nicht hier m e h r durch ihre kritische Funktion, sondern als E x p e r t e n . Die E x p e r t e n verstanden sich nun als V e r k ö r p e r u n g des eigentlichen Fortschritts und warfen den G e w e r k s c h a f t e n vor, sie k l a m m e r t e n sich noch an archaische Modelle. 8 9 D a r a u f folgte eine entschiedene

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Siehe die klassische Definition von Sartre: »Originellement, done, l'ensemble des intellectuels apparait comme une diversite d'hommes ayant acquis quelque notoriete par des travaux qui relevent de l'intelligence (science exaete, science appliquee, mcdecine, litterature etc.). Et qui abusent de cette notoriete pour sortir de leur domaine et critiquent la societe et les pouvoirs etablis au nom d'une conception globale et dogmatique (vague ou precise, moraliste ou marxiste) de l'homme.« (Jean-Paul Sartre: Situations VIII, S.378.) Pierre Bourdieu/Hans Haacke: Libre-echange, S.58. Interview von Thierry Chervel mit Pierre Bourdieu. In: Basler Zeitung, Nr. 303. 29.12.1995, S.35. Der Text der Petition und die Namen der Unterzeichner finden sich in Jacques Juillard/Michel Winock (Hg.): Dictionnaire des intellectuels fran^ais. Les personnes. Les lieux. Le moment. Paris: Seuil 1996, S . 8 8 4 - 8 8 5 . Philippe Videlier schrieb in einem sehr persönlichen Artikel zu dieser neuen Form der intellektuellen Intervention: »Les intellectuels n'ont plus ä transformer le monde, pas m e m e ä l'interpreter. D e projet, ils n'ont guere. A toute analyse ils opposent la >complexitela mort des utopiesla fin des ideologies«, les cantonnant dans une etroite fonetion de con-

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Reaktion anderer Intellektueller zur Unterstützung der Streikenden. 90 Unter anderen unterzeichnete auch Bourdieu den Aufruf und wandte sich auf einer Betriebsversammlung in der Gare de Lyon an die Streikenden - eine Reaktion, die am nächsten Tag auf der Titelseite von Le Monde (14. Dezember 1995) vermerkt wurde. 91 Er sei gekommen, um all jenen die Unterstützung zuzusichern, die seit drei Wochen gegen die Zerschlagung einer Zivilisation kämpften: »Es geht um eine Zivilisation, in welcher der öffentliche Dienst den Zugang aller zu den gleichen republikanischen Rechten garantiert: dem Recht auf Ausbildung, auf Gesundheitsversorgung, auf Kultur, Forschung, Kunst und, vor allem, dem Recht auf Arbeit.« Gleichzeitig wandte er sich gegen eine Staatsaristokratie, die das sichere Gefühl ihrer Legitimität aus Diplomen und der Autorität der Wissenschaft bezöge. Für diese neuen »Regenten von Gottes Gnaden« seien Vernunft und Modernität allein auf seiten der Minister und der Experten, während das Volk, die Gewerkschafter und die kritischen Intellektuellen noch archaischen unflexiblen Modellen der Vergangenheit anhingen. Bourdieu intervenierte hier im Sinne von Foucaults spezifischem Intellektuellem, der sich auf seine professionelle Kompetenz stützt. So meinte er auch in bezug auf die soziale Krise in Frankreich, daß die Intellektuellen, Künstler, Wissenschaftler eine entscheidende Rolle bei der Neudefinition des öffentlichen Dienstes spielen könnten: »Ich denke, daß man die nationale und internationale Technokrat e nur effizient bekämpfen kann, wenn man sie auf ihrem eigenen Terrain angreift, der Wissenschaft, vor allem der Wirtschaftswissenschaft und ihrem abstrakten und verstümmelten Wissen Erkenntnisse entgegenhält, welche Menschen und Realitäten, mit denen sie konfrontiert sind, besser respektieren.« 92 Wenn Bourdieu - mit anderen - eine technokratische Elite, die den Kontakt mit dem Volk verloren hatte, für die Krise in Frankreich verantwortlich machte, dann war das keineswegs aus dem hohlen Bauch gesprochen, sondern fußte auf langwierigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Seine Analyse des französischen »Staatsadels«, der in den Eliteschulen ausgebildet wird, hatte er 1989 im sechshundertseitigen Werk La Noblesse d'Etat vorgelegt. Schon nach 1968 setzte er sich im übrigen mit den Selektionsmechanismen des Bildungssystems in seinem Buch Die Illusion der Chancengleichheit (1971) auseinander. Wenn sich auch der politische Kontext gewandelt hat, wenn auch die Medienlandschaft eine andere ist, so scheint doch auch hundert Jahre nach dem ersten Auf-

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seiller technique: ils pensent desormais ä la petite semaine. La mise en mouvement de la societe autour de l'idee de justice sociale leur parait essentiellement deraisonnable, et done, condamnable [...]. Par un extra-ordinaire renversement des röles la parole experte desormais recentree denonce dans les revendications populaires un >conservatisme< et pretend voir >le progres, >Ia reforme< dans la regression sociale.« Philippe Videlier: D e s intellectuels sonnants et trebuchants. In: Le Monde diplomatique (Januar 1996), S . l l . Abgedruckt in Jacques Juillard/Michel Winock (Hg.): Dictionnaire des intellectuels fran?ais, S.885 - 886. Sylvia Zappi: Pierre Bourdieu choisit la greve contre la >barbarieDeckmantel< für ein Bedrohliches: »einen viel gefährlicheren verkappten Feind, der unter scheinrevolutionären Losungen und radikalen Formen individual-anarchistische und reaktionäre Inhalte verbirgt«. 2 Der Literaturkritiker wird zum Polizisten; noch nicht mit realer Machtbefugnis ausgestattet, befriedigt ihn der Blick dahin, wo eine Kritik den Charakter eines politischen Aktes und einer Urteilssprechung gewinnt. Daß aber die Suggestion des machtpolitischen Diskurses allein für die Faszinationskraft des stalinistisch-bolschewistischen Modells auf deutsche Schriftsteller verantwortlich ist, wäre wohl eine zu simple Erklärung. Wenige Monate nach Bihas Angriff in der Linkskurve erschien die deutsche Ausgabe von Pilnjaks Roman Die Wolga fällt ins Kaspische Meer (in dem die beanstandete Novelle Mahagoni in korrigierter Version wiederauftaucht), mit einer umfangreichen Vorrede von Karl Radek, der darin unterstrich, daß die künstlerische Autonomie eine bürgerliche Phrase sei: Niemals haben wir die »Freiheit der Kunst« versprochen, wie wir die Freiheit des Waffenschmuggels, des Kokainhandels niemandem versprochen haben [...]. Das Verbot eines Kunstwerks, mag es noch so herrlich sein, ist bei uns Barbaren selbstverständlich, wenn es der Revolution schädlich ist [...].

Auch Radek skizziert Pilnjak als Typus des »Mitläufers«, der nicht in der sozialistischen Revolution und dem Proletariat verwurzelt sei; doch für Pilnjak spreche, so

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O. Biha: Der Fall Pilnjak und die Folgen. In: Die Linkskurve 1 (1929) H . 5 (Dezember), S. 13-15. Pilnjaks Novelle Mahagoni war im März 1929 (auf russisch) im Berliner Petropolis-Verlag erschienen, der in der sowjetischen Presse nun als »Verlag der Berliner Weißgardisten« bezeichnet wurde, obwohl dort auch Autoren wie Michail Scholochow oder Konstantin Fedin publizierten. Die Novelle erhielt den Stempel »konterrevolutionär«, nicht weil man dem Autor Fälschung oder Unwahrheit vorwarf, sondern weil Pilnjak es unterlasse, »die treibenden Kräfte« in Sowjetrußland zu schildern (Biha). Vgl. Boris Pilnjak: »Ehrlich sein mit mir und Russland«. Briefe und Dokumente. Hg. von Dagmar Kassek. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994.

Vom Exil zum »Kongreß

für kulturelle

Freiheit«

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Radek, »daß der Verurteilte meinen Rechtsstandpunkt teilt«. Er schließt: »Pilnjak steht auf dem Scheideweg. Möge er wählen.« Eine Position des »Außen« wird nicht länger geduldet. Radek kokettiert mit dem Bild des >Barbarischenbarbarische< russischen Seele, die der dekadenten Zivilisation des Westens Heilkraft verheißt. Auch bei Radek fällt das Stichwort von der Zweckhaftigkeit der Literatur, deutlicher wird aber auch der Hintergrund der Schelte, nämlich die auffällige Hochschätzung der Kunst. Radek zeigt sich überzeugt, »daß die Literatur, Roman wie Poesie, ein mächtiges Mittel der Beeinflußung der Volksmassen« sei. Wenn ein großes Kunstwerk »wie Gift« wirken könne, wie Radek postuliert, 3 dann gibt er damit der Literatur eine im Westen vergessene Macht zurück, verleiht ihr eine Hochschätzung, die - das meine These - jenes Element der sowjetischen Kulturpolitik (nicht nur) der 30er Jahre enthält, das am stärksten auf die westlichen Schriftsteller wirkte. Noch die 1500 inoffiziellen und informellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die allein den Schriftstellerverband der D D R beobachteten, zeugen von der singulären Bedeutung, die man der Literatur beimaß. 1934, auf dem Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller in Moskau, war es wohl ebendiese Hochschätzung der Rolle des Schriftstellers, die zur Feier des Kongresses in den Berichten und Erinnerungen der ausländischen Besucher am meisten beitrug. Gefeiert wird die Einheit von Geist und Macht (versinnbildlicht in den überlebensgroßen Porträts von Gorki und Stalin, die im Sitzungssaal hingen); gefeiert wird eine Aufhebung des modernen literarischen Marktes mit seinen anonymen Adressaten und anonymen Kritikern. An seine Stelle tritt die sinnlich erfahrene Leserschaft als Auftraggeber und Kritiker, eine Leserschaft, die nebenbei auch Garant für hohe Auflagen war. In den Kongreßberichten der deutschen Besucher wird nicht das Szenario einer staatlichen Organisation von Literatur analysiert und nicht die Grundsteinlegung des sozialistischen Realismus, stattdessen wird in verklärenden Bildern die sinnliche Präsenz der Lesermassen gefeiert und das ungeheure Ansehen unterstrichen, das Schriftsteller in diesem Land genossen. Noch der kritischste Beobachter, Klaus Mann, bekennt Becher in einem Brief: »In diesem Lande muß ein Schriftsteller glücklich sein können.« 4 Der Schriftsteller sieht sich von seinen Lesern auf ein priesterliches Podest gehoben; seinen Werken wird, um den Preis der literarischen Unabhängigkeit, die ersehnte soziale Nützlichkeit attestiert und eine zentrale Bedeutung im historischen Prozeß zuerkannt, zu einem Zeitpunkt, der ne-

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Karl Radek: Boris Pilnjaks Stellung in der sowjetrussischen Literatur. In: Boris Pilnjak: D i e Wolga fällt ins Kaspische Meer. Berlin: N e u e r Deutscher Verlag 1930, S. V-XXIII; vgl. Gert Quade: Boris Pilnjak. Zur Situation der Sowjetrussischen Literatur. In: D e u t s c h e Republik (Frankfurt/M.) 5 (1930) H. 10 ( D e z e m b e r ) , S.306f. Klaus Mann an Johannes R. Becher, 22.8.1934, IfW (= Maxim-Gorki-Institut für Weltliteratur, Moskau), F 316/17.

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ben existentiellem Elend Vertreibung aus der Sprachheimat und Verlust der früheren Leserschaft markierte. In dem Stalin-Wort vom Schriftsteller als »Ingenieur der menschlichen Seele« war die verantwortliche Rolle am Schaltpult sozialer Prozesse festgeschrieben; aus dem Staatsoppositionellen wird der Exeget parteilicher Beschlüsse und der Exekutor der Parteimacht. Impliziert ist mit der Definition, daß dem Autor-Ingenieur, der an seinem Nutzeffekt gemessen wird, nicht mehr die Position eines bloßen »Augenzeugen« zugebilligt wurde, und die Warnung, daß Stalin die Schriftsteller wie jene Ingenieure zu verfolgen gedachte, die der Wirtschaftssabotage bezichtigt waren. Noch in einem späten Kommentar Ernst Blochs (im Prinzip Hoffnung) spiegelt sich die Rechnung, daß man für den Preis der künstlerischen Autonomie das Plazet der Nützlichkeit gewonnen habe; hier wird auch das eschatologische Moment sichtbar: Kultur verliert das Beliebige und Ziellose, sie gewinnt den scharf orientierenden Hintergrund eines Wozu; neue Heilsordnung, nämlich für den Menschenstoff, zieht auf. 5

Es lassen sich vier wesentliche Elemente nennen, die das Phänomen der Anziehungskraft des Stalinismus auf westliche Schriftsteller erklären können (weder sind sie streng voneinander zu trennen, noch umfassen sie das ganze Spektrum der Gründe): 1. Das historisch früheste Element liegt in der religiösen Heilserwartung, die auch im literarischen Blick auf das >Licht aus dem Osten< aufscheint. Diese religiöse Aufladung der Literatur ist gewachsen mit der Erfahrung der Krisen der Weimarer Republik, des Liberalismus, der Weltwirtschaft; sie ist gewachsen mit der politischen Konsolidierung Sowjetrußlands, mit der Installierung der Überväter Lenin und Stalin - diese Aufladung mündet in den Glauben an eine terroristische VernunftMenschentypsterrible simplificateurfriedensgefährdende< Literatur, daß nicht nur die explizite Kriegspropanda zu bekämpfen sei, sondern auch »die indirekte«, die »besonders giftig« sei, weil sie Mutlosigkeit, Verzweiflung und Schicksalsergebenheit produziere. »Das lähmende Gift dieser Ideologie«, die den Krieg fördere, wird in der »sogenannten Existenzphilosophie« entdeckt, bei Wolfgang Borchert, bei »Sartre und Wilder, Eliot und [Henry] Miller«. 14 Der amerikanische Journalist Melvin Lasky, ehemaliger Kriegshistoriker des amerikanischen Heeres, der für die US-Zeitschrift New Leader wie den Berliner Tagesspiegel schrieb und ein Jahr darauf eine der wichtigsten deutschen Nachkriegszeitschriften, den Monat, gründete, störte das Harmoniegebot der Versammlung, indem er die Schweigeregel unter den Alliierten brach, die Attacken gegen die je andere Seite unterband. 1 5 Er war von Günther Birkenfeld, der am Vormittag des 6. Oktober Tagungsvorsitzender war, als Gegengewicht zu den drei überraschend

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Johannes R. Becher: Rede auf dem Ersten deutschen Schriftstellerkongreß. In: J. R. B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S. 167-186. Herbert Burgmüller: Der große Betrug. In: Aufbau 6 (1950) H.7, S.585f. Burgmüllers Beitrag scheint gegen den Kongreß für kulturelle Freiheit gerichtet. So durfte beispielsweise George Orwells Animal Farm in den drei Westzonen nicht erscheinen. A b Februar 1949 erschienen Teile des Romans in Laskys Monat, gefolgt von ausgewählten Kapiteln aus Nineteen Eighty Four. Das Stillschweigen war aber bereits von Oberst Tjulpanow gebrochen worden, der, kurz vor dem Kongreß, auf dem II. Parteitag der SED, die U S A scharf angegriffen hatte.

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erschienenen sowjetischen Delegierten (Boris Gorbatow, Valentin Katajew, Wsewolod Wischnewski) auf die Rednerliste gesetzt worden. Lasky wies in seiner Rede hin auf die Unterdrückung von Literatur und Literaten in der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten und griff die sowjetische Gastdelegation an, vor allem seinen Vorredner Gorbatow, der auf einer Pressekonferenz nicht nur die alte Sozialfaschismustheorie reaktiviert, sondern auch den Surrealismus attackiert und die dem >gesunden Volksempfinden< widersprechenden Verse Anna Achmatowas kritisiert hatte. Wenn Lasky rückblickend in einem Rundfunkgespräch sich erinnert: »Ich sprach Banalitäten aus, vertrat einfache Thesen, daß die Polizei nicht über Literatur entscheiden sollte«, dann schwingt da Understatement mit. Denn seine Wortmeldung setzte ein mit den Hinweis auf sowjetische Zwangsarbeitslager; Lasky griff die jüngste Shdanowsche Verbotskampagne gegen Leningrader Zeitschriften auf und die aktuellen Attacken gegen Michail Soschtschenko und Anna Achmatowa vom August 1949. Er desavouierte damit die propagandistische Friedensrede, auch weil in den an ihn gerichteten Antworten dann Kriegsrhetorik und stalinistische Denunziationspraxis dominierten. 16 Hans Mayer gibt in seinen Erinnerungen Lasky die Schuld, daß der Geist des Kongresses gestorben sei. Er vergleicht die Rede mit der späteren von Alexander Fadejew auf dem Breslauer Kongreß von 1948, in der es hieß, daß, wenn Schakale Schreibmaschine schreiben könnten, sie so wie Jean-Paul Sartre, Andre Malraux oder Henry Miller schreiben würden. Auch mit dieser Rede sei ein Kongreß >gestorbenaußen und innen< überbrückt« worden sei (also zwischen Exil und innerer Emigration) wie die zwischen den Generationen, daß die politische Bewußtwerdung des Schriftstellers begonnen habe, daß man allgemein der »Friedensmission des deutschen Schriftstellers« zustimme, wie sie Becher gefordert habe. 1 8 Die kritische Bilanz mit dem Fazit, daß der Kongreß sich in seinem Neutralitätsbestreben nur hingeschleppt habe, wird von Mayer erst im Rückblick von 1982 eingestanden; und noch einmal zehn Jahre später schreibt er, der Kongreß habe nur >gesamtdeutsch< getan, in Wahrheit hätten die Autoren und Kulturpolitiker um Becher und um die sowjetischen Offiziere dominiert. 1 9 Tatsächlich waren die Konflikte, etwa zwischen Emigranten und Autoren, die in Deutschland geblieben waren, nur mühsam überdeckt worden. Der Kongreß inszenierte mit großer Anstrengung eine Einheits- und Vereinigungsvision gegen den Schatten der aktuellen politischen Konstellation, die sich auf den Tagungen in Spannungen zwischen westlichen und östlichen Autoren niederschlug, in Konflikten zwischen Greta Kuckhoff und Elisabeth Langgässer (eine verschärfte Neuauflage des Streites zwischen Thomas Mann und Frank Thiess) oder in Attacken von Wolfgang Harich gegen Karl Jaspers. Wolfgang Schivelbusch wertet heute den Kongreß denn auch als »die symbolische Besiegelung der Teilung der deutschen Intelligenz nach den Frontlinien des Ost-West-Konflikts«. 20 Daß die politische Entwicklung die Losung vom Zusammenwirken aller aufbauwilligen Autoren bereits überholt hatte, spiegelt sich in den divergierenden Kommentaren zum Kongreß. Alfred Kantorowicz schrieb in seiner Zeitschrift Ost und West zwar ähnlich pathetisch wie Hans Mayer: »Der erste Deutsche Schriftstellerkongreß [...] hat die Hoffnungen der an ihm teilnehmenden deutschen Schriftsteller aller Zonen gewiß erfüllt, wahrscheinlich überboten«, 2 1 doch in seinem Deutschen Tagebuch heißt es unter dem Datum des 29. September 1947:

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1982, S.392. In einem Aufsatz von 1948 erklärte Mayer den Streit noch zur »nichtdeutschen Auseinandersetzung« - Η. M.: Vom ersten zum zweiten deutschen Schriftstellerkongreß. In: Frankfurter Hefte 3 (1948) H.8, S.691-696. Hier S.694. Hans Mayer: Macht und Ohnmacht des Wortes. In: Frankfurter Hefte 2 (1947) H. 12, S. 1179-1181. Mayers Fazit: »Ein Gespräch zwischen deutschen Schriftstellern hat stattgefunden. Es gibt Kräfte, die das nicht gewünscht haben mögen« (S. 1181). D a s Wort vom »Parlament des Geistes« prägte auf dem Kongreß Günther Weisenborn. Hans Mayer: Der Turm von Babel. Erinnerung an eine Deutsche Demokratische Republik. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 195. Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948. München, Wien: Hanser 1995. Ähnlich war bereits der Tenor des Sp/eg^Z-Berichts vom 11. Oktober 1947 (1. J g . , N r . 4 1 , S . 1 7 ) . Zu unseren Beiträgen. In: Ost und West 1 (1947) H.4, Rückseite des Deckblatts (unpaginiert).

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Die Funktionäre haben die Sache in die Hand bekommen, so ist mein Interesse daran erloschen. [...] Als da 1936 die Partei anfing, sich für uns Schriftsteller zu interessieren und ihre Phillipps (oder wie immer sie sich nannten) zur Verstärkung der Abuschs in die Sitzungen sandten, verkümmerten wir.22 Die beiden Schriftstellerkongresse im folgenden Jahr fanden nicht mehr in Berlin statt, das ins Zentrum einer machtpolitischen Zerreißprobe gerückt war. Der eine Kongreß in der Frankfurter Paulskirche vom 19. bis 21. Mai 1948 ging (mit der Ausnahme von Hans Mayer, 2 3 der zu dieser Zeit aber noch in Frankfurt lebte) ohne die ostdeutschen Autoren über die Bühne. Becher hatte abgelehnt zu erscheinen; dafür trat dort zum ersten Mal der in den Westen übergesiedelte Theodor Plievier auf und hielt eine Rede, die sich mit ihrem Titel Wille zur Freiheit programmatisch von Bechers Rede von 1947 abhob. 2 4 Der andere Kongreß fand bald darauf in Breslau

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Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. Erster Teil. München: Kindler 1959, S.375. Ein ganz anderes Bild vom Kongreß (als Mayer und Kantorowicz) entwirft Arnold Bauer in der Neuen Zeitung. »Wenn jemals die biblische Metapher von der babylonischen Sprachverwirrung auf eine Versammlung anwendbar war, dann auf diese. Das ist der vorherrschende Eindruck der Teilnehmer des ersten deutschen Schriftstellerparlaments nach 1945, die sich bemühen, die Sprache ihrer Mitmenschen zu verstehen, die nicht nur ihren eigenen Stimmen fasziniert lauschen und die verhaßte der anderen überhören oder niederschreien. Selten wurde der Urgrund aller Friedlosigkeit so offenbar wie jetzt in Berlin, wo sich nun auch die geistigen Weltmächte im Räume stoßen. Der politische Gegensatz von Ost und West wäre nur ein recht grobes Differential für einen Zerfall, der sich nun auch im Munde der berufenen und unberufenen >Sprecher der Nation< offenbart. Der Kontrast geht tiefer. Er besteht zwischen den Seelen der Menschen. Die einen, aufgerührt und erschüttert durch den Höllensturz unseres Zeitalters, haben die Leere und Starre laut verkündeter Parolen und Schlagworte erkannt, sie scheuen nicht vor der Qual zurück, eine unteilbare Wahrheit in neuer Begrifflichkeit zu suchen. Sie sind hellhörig geworden gegen große Worte, die einstmals befeuernd klangen und heute nur noch kläglich scheppern. Auf der anderen Seite steht die geschlossene Phalanx derer, die in einer Art Trotzreaktion oder eines physischen Trägheitsgesetzes - vor einer geistigen Umschichtung und Umwertung die Augen schließen.« (Zweierlei Sprache. Zum ersten deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin. In: Die Neue Zeitung, 10.10.1947 - wieder abgedruckt in: »Als der Krieg zu Ende war«. Literarisch-politische Publizistik 1945-1950. Marbach 1973, S.326). Walter Kolbenhoff erinnert sich an den Wodkarausch nach dem Empfang der Schriftsteller in der sowjetischen Botschaft und an die große Ernüchterung auf der Konferenz; er nimmt die Konfrontation zweier Lager mit verschiedenen Sprachen wahr: »und mich überfiel eine tiefe Verzweiflung« (Schellingstraße 48. Erfahrungen mit Deutschland. Frankfurt/M.: S. Fischer 1984, S.257). Weitere Literatur zum Kongreß: Jürgen Engler: »Geistige Führer« und »arme Poeten«. Autorenbilder der Nachkriegszeit. In: Ursula Heukenkamp (Hg.): Unterm Notdach, S.4787; Ruth Rehmann: Unterwegs in fremden Träumen. Begegnungen mit dem anderen Deutschland. München, Wien: Hanser 1993; Ursula Reinhold/Dieter Schlenstedt: Der erste Schriftstellerkongreß 1947. Umfeld und Positionen. In: Neue deutsche Literatur 38 (1990) H. 11, S. 9-36. Vgl. den Kongreßbericht von Hans Mayer (Anm. 17). Theodor Plievier: Wille zur Freiheit. Rede auf dem Frankfurter Schriftstellerkongreß. In: Die Neue Zeitung, 23.5.1948- wieder abgedruckt in: »Als der Krieg zu Ende war«, S.341f. Die Überschrift stammt von der Redaktion der Neuen Zeitung, die Plieviers Position verkürzte, der sich vor einer Funktionalisierung zu schützen versucht hatte - vgl. Th. P.: Einige

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statt, genauer: in Wroclaw. Becher sagte wiederum ab, diesmal, weil er nicht in ein polnisches Schlesien fahren wollte. 25 Dort tagte im August 1948 ein Weltkongreß, mit Picasso und Fernand Leger, Ronald Searle, Ivo Andric und Max Frisch, Georg Lukäcs und Hanns Eisler, Ernst Fischer, Friedrich Wolf, Irene Joliot-Curie und Ilja Ehrenburg. Frisch notierte in seinem Tagebuch, daß ein alter Bekannter, Torte essend, ihm den Unterschied zwischen gutem und bösem Terror erklärt habe. »Sagen Sie«, drängt ihn dieser dann, »was ist in den letzten drei Jahrzehnten schon geschaffen worden an kulturellen Werten - außer in der Sowjetunion?« Hans Mayers später Kommentar: Ich selbst werde mich, wohl oder übel, wiedererkennen müssen in dem, was Frisch über unsere Gespräche in Breslau und später in Warschau aufgezeichnet hat. Meine Erinnerung sieht einiges anders, vielleicht war ich bei diesen Aussprachen inmitten einer Atmosphäre von Festivität nicht mehr ganz nüchtern. 2 6

Das Treffen unter dem Namen Kongreß der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens galt als Bewegung zur Sammlung der >Friedenswilligenkalten< und des >heißen< Krieges. Man wollte keine neue >Zerstörung der Kultur< dulden. Die Namensformel, die an die legendären Kongresse von Paris 1935 und Barcelona/Valencia 1937 anknüpfte, wurde wörtlich genommen; doch im Gegensatz zu Berlin 1947 waren die Grenzlinien bereits scharf gezogen: Wer sich nicht auf den positiven Pol »Sowjetunion« beziehen wollte als wahrer Friedensmacht, war auf dem Kongreß fehl am Platz. Mayer nennt den Kongreß in seinen Erinnerungen »das Große Religionsgespräch«. 27 Alexander Fadejew, Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbandes, ernannte dort Dos Passos, T. S. Eliot, Eugene O'Neill, Henry Miller, Sartre und Malraux zu »Renegaten«, »Kettenhunden« und »Schakalen«; seine Rede widersprach allen Bündnisphantasien und untermauerte die Zweilagertheorie von Friedenshütern und Kriegstreibern. Mayer und Ernst Fischer machten Fadejew und seine Rede für den negativen Effekt des Kongresses verantwortlich, so als hätte er aus eigener Initiative den guten Geist der Tagung gestört; in den Frankfurter Heften wertete Mayer 1948 die Rede noch anders: Nur Fadejew und Prenant boten eigentlich Grundsätzliches als Basis für die Debatten eines internationelen Kongresses. [...] (Fadejew) hatte ohne Frage die bürgerlich-konservativen Elemente des Kongresses schwer gereizt. 2 8

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Bemerkungen über die Bedeutung der Freiheit. Rede zur deutschen Schriftsteller-Tagung in Frankfurt am Main am 20. Mai 1948. Nürnberg: Nest 1948. Vgl. Ernst Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945-1955. Wien, München, Zürich: Molden 1973, S.249; Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf, B d . l , S.403. Max Frisch: Tagebuch 1946-1949. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1950, S.297 (vgl. die Eintragungen vom 25.8. und 1.9.1948); Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf, B d . l , S.410. Mayer spart in seinen Erinnerungen aus, daß er in Breslau als offizieller Berichterstatter fungierte. Ebd., S. 402. Hans Mayer: Der Breslauer Weltkongreß. In: Frankfurter Hefte 3 (1948) Η. 11, S . 9 7 5 - 9 8 0 . Hier S. 977. Zu den Spannungen zwischen der sowjetischen Delegation und den polnischen Gastgebern vgl. Anneli Hartmann/Wolfram Eggeling: Der Wroctawer Kongreß (1948)

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Der Glaube an die Chance einer >geistigen Volksfront^ war gestorben, die lautstark verkündete Idee einer Friedensbewegung entlarvte sich als propagandistischer Vorwand stalinistischer Kulturpolitik. War die Berichterstattung 1947 in der östlichen Presse streckenweise noch kontrovers gewesen, so galt nun der Satz Alexander Abuschs, der von einigen erfolglosen Störmanövern sprach, die nur ihren eigenen Mangel an gutem Willen offenbarten. Kritische Gegenstimmen wurden nur noch denunziert, nicht mehr zitiert.

3 Der Kongreß für kulturelle Freiheit, der vom 25. bis 30. Juni 1950 in Westberlin stattfand, war nicht von Einheitshoffnung und Neutralitätsbestreben geprägt wie der Schriftstellerkongreß von 1947, noch war er eine Beschwörung von >FriedensmächtenFriedensbewegungc. Die vorangegangenen >Friedenskongresse< hatten in New York und Paris stattgefunden. Der Kongreß im New Yorker Waldorf-Astoria-Hotel (März 1949) versammelte 800 Prominente, unter ihnen von amerikanischer Seite Lillian Hellman, Arthur Miller, Norman Mailer und Aaron Copland. Sidney Hook organisierte mit Mary McCarthy, Nicolas Nabokov, Max Eastman und anderen eine Störaktion, die in unbequemen Fragen an die sowjetischen Festredner und in öffentlichen Gegendiskussionen bestand. Er gab seiner Organisation den Namen Americans for Intellectual Freedom, nachdem er bereits zehn Jahre zuvor mit John Dewey ein Committee for Cultural Freedom gegründet hatte, das Nazis und Stalinisten bekämpfte. Auch in Paris fand am 30. April 1949 eine Gegenveranstaltung zum dortigen >Weltfriedenskongreß< statt, die Hook gemeinsam mit David Rousset organisiert hatte.

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und die Friedensbewegung: Stalinisierung mittels Friedenskampf. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hg.): Germanistentreffen Bundesrepublik Deutschland - Polen: 26.9.-30.9.1993. Dokumentation der Tagungsbeiträge. Bonn: D A A D 1994, S. 177-201. Albert Einsteins Botschaft an den Kongreß mit dem Vorschlag einer Weltregierung wurde sowohl auf dem Kongreß wie auch in der Berichterstattung unterdrückt. Seitenangaben in runden Klammern beziehen sich im Folgenden auf das Kongreßheft der Zeitschrift Der Monat (2. Jg., Nr. 22/23, Juli/August 1950). Karl Jaspers war mit Lasky befreundet, und dieser fungierte auch als Bote zwischen Hannah Arendt und Jaspers. Ich danke Melvin Lasky für seine freundliche Unterstützung bei meinen Recherchen.

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Daran Schloß sich die erwähnte Planung eines großen Kongresses von antikommunistischen Intellektuellen aus Europa und Amerika an. Im August 1949 traf in Frankfurt a. M. Melvin Lasky die Exkommunisten Ruth Fischer und Franz Borkenau, um diesen Plan zu verwirklichen. Ruth Fischer: Es war die Idee eines großen Anti-Waldorf-Astoria-Kongresses, der alle Exkommunisten versammeln sollte samt einer repräsentativen Gruppe von amerikanischen und europäischen Antistalinisten, die ihre Sympathie mit Tito, Jugoslawien, der schweigenden Opposition in Russland und den Satellitenstaaten bekunden sollten. 3 0

Während Fischer aber an eine politische Konferenz dachte, planten Lasky, Hook und Michael Josselson einen Kongreß über kulturelle Freiheit, über die Unterdrükkung von Literaten und Intellektuellen in totalitären Systemen. Von Eugen Kogon bis Karl Jaspers, Carlo Schmid und Benedetto Croce, von Hermann Kesten bis Richard Loewenthal, Golo Mann, Walter Mehring und Luise Rinser, von Dolf Sternberger bis Raymond Aron, Tennessee Williams, Alexander Mitscherlich und Carl Zuckmayer reicht die Namensliste der am Kongreß Beteiligten. In den späteren Darstellungen des Kongresses fehlt dennoch selten der Hinweis darauf, daß »fast alle bedeutenden westdeutschen Autoren nicht an ihm teilnahmen]«. 31 Man mag fragen, ob das gegen den Kongreß oder die Autoren spricht; gewiß macht aber die Dominanz der Exilautoren ihre künftige Isolation im Literaturbetrieb des Nachkriegs deutlich. Signifikant ist auch die hohe Zahl der Exkommunisten unter den Teilnehmern. Neben Berlins regierendem Bürgermeister Ernst Reuter und den Mitorganisatoren Ignazio Silone und Arthur Koestler gehörten Franz Borkenau dazu, Margarete Buber-Neumann, James Burnham, Sidney Hook, Elinor Lipper, Theodor Plievier, Charles Plisnier und Altiero Spinelli; hinzu kamen Grußadressen von John Dos Passos, Andre Gide, Andre Malraux oder Upton Sinclair. An dem bemerkenswerten Schlußmanifest mit Anklängen an die Erklärung der Menschenrechte von 1789 hatte Manes Sperber mitgearbeitet, der dann wie Ruth Fischer am Kongreß selbst nicht teilnahm. 32 Adolf Grimme attackierte auf dem Kongreß die »politischen Konvertiten« als unzuverlässige Zeugen und äußerte Zweifel, ob Koestler jemals seine dialektisch-materialistische Überzeugung aufgegeben habe. Während Koestler sich zurückhielt, antwortete Franz Borkenau, daß gerade die Renegaten mit ihrer spezifischen Erfahrung in der Lage seien, die Situation zu analysieren und »in der Demokratie einen ganz besonderen Beitrag zu geben« (S.468). 33

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Zitiert nach: Michael Warner: Origins of the Congress for Cultural Freedom 1949-1950. In: Studies in Intelligence (Washington) 38 (1995) H.5, S.92. Im Zusammenhang mit dem Schriftstellerkongreß 1947 war Lasky von Alexander Dymschitz als »eine Kreatur der Bande von Ruth Fischer« bezeichnet worden (Alexander Dymschitz: Ein Provokateur ohne Maske) - vgl. Anneli Hartmann/Wolfram Eggeling: Kontroverse Ost/West. 11 Klaus Wagenbach u.a. (Hg.): Vaterland, Muttersprache. Berlin: Wagenbach 1994, S.96. 12 Sperber nahm 1955 am Nachfolgekongreß in Mailand teil. " Vgl. Sidney Hook: Out of Step. An unquiet Life in the 20th Century. New York: Harper & Row 1987, S. 438f.

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D i e politischen Vorzeichen des Tagungsortes wurden v o n den Gästen e b e n s o w a h r g e n o m m e n wie die Eskalation des Krieges in Korea nach der nordkoreanischen Invasion wenige Stunden vor Kongreßbeginn - »by a lucky stroke« heißt es zu d i e s e m Zusammenprall zweier Ereignisse später in den von der C I A edierten Studies in Intelligence?4

D e r Angriff Nordkoreas wurde in Westberlin mit Blick auf

die Spaltung der Stadt begreiflicherweise mit besonderer A u f m e r k s a m k e i t verfolgt - Silone nannte Berlin, das von D a v i d R o u s s e t als Tagungsort vorgeschlagen w o r d e n war, in seiner Eröffnungsansprache ein »Sturmzentrum der schärfsten G e gensätze« (S. 334), und Ernst Reuter sprach von der Stadt als der »Enklave der Freiheit im Reich zwischen Elbe und W l a d i w o s t o k « . 3 5 Auch im Osten wurde die koreanische Lage auf die deutsche bezogen: M a n schrieb von »Wiedervereinigung«. 3 6 D e n Berlinern war in Erinnerung geblieben, daß die sowjetische B l o c k a d e o h n e die alliierte Luftbrücke eine tödlichen U m k l a m m e r u n g g e w e s e n wäre. Ernst Reuter sagte am 29. Juni auf d e m Kongreß, er habe die Nachricht erhalten, daß die Sowjets im Blick auf die Entwicklung in Korea die Lieferung von Fernstrom nach Westberlin einstellen würden. 3 7 Einige der G e l a d e n e n k a m e n nicht, weil ihnen das eingeschlossene Berlin damals zu gefährlich schien; Theodor Plievier hatte, aus Furcht vor Kidnapping, seine R e d e in Stuttgart auf B a n d gesprochen, kam dann aber angesichts der Entwicklung in Korea doch selbst. Sidney H o o k erinnert sich: Es war die aufregendste Konferenz, an der ich jemals teilgenommen habe, zuvor und danach. Die Nachricht von der Koreanischen Invasion erreichte uns kurz vor der Eröffnungstagung im Titania-Palast. [...] Beethovens Fidelio wurde vom Berliner Philharmonischen Orchester gespielt, eine Musik mit Symbolkraft, weil eine beträchtliche Unsicherheit herrschte, ob die Sowjets auch gegen Westdeutschland losmarschieren würden, womit wir alle innerhalb weniger Stunden zu Gefangenen der sowjetischen Sicherheitskräfte geworden wären. 3 8

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Michael Warner: Origins of the Congress for Cultural Freedom 1949-1950, S.89. Am 25. Juni um vier Uhr morgens überschritten nordkoreanische Truppen den 38. Breitengrad. Vgl. K. W.: Gegenoffensive des Geistes. Nachwort zum internationalen Kongreß für kulturelle Freiheit in Berlin. In: Die Zeit, 5. Jg., Nr.27, 6.7.1950, S.2. Vgl. Unüberwindliche Stärke. In: Sonntag, 5. Jg., Nr.27,2.7.1950, S.2. Johannes R. Becher schrieb im Blick auf den Wunsch nach Wiedervereinigung, daß die Ereignisse in Korea »jeden Deutschen aufs tiefste berühren müssen« (Unser aller große Sehnsucht. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S.379). Auf der Abschlußkundgebung sprach Ernst Reuter auf russisch die Grußworte: »Es lebe die Freiheit des großen russischen Volkes!« Koestler schrieb im Herbst 1950, daß der Kongreß eine Art geistiger Luftbrücke gewesen sei, eine Demonstration westlicher Solidarität mit dem mitgenommenen Vorposten Berlin, und ein Versuch, der von der totalitären Propaganda angestrebten geistigen Verwirrung unter dem Slogan des Friedens entgegenzuwirken (Die Spur des Dinosauriers. In: Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen. Bericht über die gemeinsame Zeit. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, S. 104). Sidney Hook: Out of Step, S.433. Ebd., S.434: »Das analytische Niveau einiger Diskussionsbeiträge ließ manchmal zu wünschen übrig, dagegen waren die Vorträge selbst außerordentlich gut. Und man muß die Umstände berücksichtigen, in denen die Diskussionen stattfanden, deren Zuhörerschaft oft in die Tausende ging.«

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»Die kalte Dämonie des Moskauer Systems erhob ihr Medusenhaupt zynischer als je zuvor«, schreibt ein Korrespondent der Zeit zum sowjetischen Engagement in Korea und fragt nach den Konsequenzen für den Kongreß. 3 9 In der Tat scheinen viele Referate unter dem Eindruck der koreanischen Ereignisse umgeschrieben, scheint eine stärkere Politisierung der Debatten stattgefunden zu haben. Liest man in den Kongreßberichten, Reden und Debatten, fällt zuerst das militärische Vokabular auf. Von Mobilisierung, Offensive und Kampfbündnis ist die Rede; Freiheit im Angriff titelte Rudolf Pechel in der Deutschen Rundschau (Juli 1950). Fransois Bondy sprach von einer neuen »resistance« gegen die totalitäre Gefahr, Sidney Hook vom organisierten Widerstand gegen die »Partisanen des Friedens« (S. 350), Koestler gar von einem Kreuzzug; seine Schlußworte auf dem Kongreß: »Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen« (S.472). D e m läßt er später einen Aufruf »für eine europäische Freiheitslegion« folgen, der im Monat kontrovers diskutiert wurde. 4 0 Man wolle den »Virus der Neutralität« bekämpfen, sagte Sidney Hook, 4 1 was Arthur Koestler in seinen Erinnerungen später erläutert: Neutralismus war in Wirklichkeit die raffinierteste Form des intellektuellen Betrugs und vielleicht die verachtenswerteste. Er zeigte eine vergebende Haltung gegenüber dem totalitären Terror, denunzierte jedoch mit unbarmherziger Gehässigkeit alle Mängel der Ungerechtigkeiten im Westen. Er setzte die Hollywood-Säuberungen von verdächtigen Roten in der Filmindustrie mit jenen Säuberungen auf die gleiche Stufe, welche die Sowjetbevölkerung dezimiert haben. Diese perverseste Haltung der Nachkriegs-Intelligenz erhielt ihre stärkste geistige und moralische Unterstützung von den diversen Friedensappellen, internationalen Kongressen und pazifistischen Bewegungen, die von den Frontorganisationen der Komintern aufgezogen oder für die eigenen Zwecke ausgenützt wurden. Durch den gleichen semantischen Taschenspielertrick, der Einparteien-Diktaturen als »Volksdemokratien« bezeichnet, wurde der Begriff »Frieden« in einen Slogan verwandelt, der wohlwollende Neutralität gegenüber Tyrannei und Terror implizierte, während jene Intellektuellen, die dagegen protestierten, als Kriegshetzer und Werkzeuge der imperialistischen Aggression gebrandmarkt wurden. Was unter diesen Umständen gebraucht wurde, war eine kraftvolle Demonstration, um die intellektuelle Atmosphäre im Westen zu reinigen. So kam es zum Projekt für den Berliner Kongreß für Kulturelle Freiheit im Juni 1950.42

In seinem Roman The Age of Longing (Gottes Thron steht leer, 1951) schilderte er dann im fiktiven Szenario einer negativen Utopie die Verführbarkeit der Intellektuellen des Westens. Leitmotiv ist der »Sehnsuchtsbazillus« der Intellektuellen angesichts eines »verwaisten Himmels«. Frankreich steht am Vorabend durch die Invasion der Friedensmacht Sowjetrußland, Deutschland und Österreich sind bereits >befriedetBefreiung< vor, indem sie Namenlisten von schädlichen Volksfeinden in den eigenen Kreisen erstel-

w

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Christian E. Lewalter: Macbeth und die positive Tyrannei. Notwendige Ergänzungen zum Berliner Freiheitskongreß. In: Die Zeit, 5. Jg., Nr.27, 6.7.1950, S.4. Koestlers Aufruf in: Der Monat, 3. Jg., Nr.26, November 1950, S. 115ff.: die Kontroverse in: Nr.27, S.319ff. und Nr.28. S.44f. Vgl. Sidney Hook: Out of Step, S.432ff. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S. 103f.

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len - die Listen, gespeist aus N e i d und Mißgunst, sind s o umfangreich, daß selbst der N K W D - R e s i d e n t sie nicht v e r w e n d e n kann. E s ist nicht Koestlers bester, aber sein b o s h a f t e s t e r R o m a n , vielleicht d e s h a l b s o gut v e r g e s s e n . D a s militärische Vokabular, die A u f k ü n d i g u n g der N e u t r a l i t ä t s - U t o p i e n , die scharfen A n g r i f f e auf d e n Stalinismus p r o v o z i e r t e n im s t a a t s k o m m u n i s t i s c h e n Lager die erwartbaren R e a k t i o n e n . Wer sich g e g e n die >Friedenskongresse< stellte, war folglich Kalter Krieger. D i e R e d e ist v o n Polizeispitzeln, K o s m o p o l i t e n , Wallstreetgespenstern, Kriegstreibern, W e r w ö l f e n und Trotzkisten. Koestler - »der prim u s inter pares unter d e n g r o ß e n K o n v e r t i t e n « 4 3 - wurde z u m B e f e h l s h a b e r im Hauptquartier des Kalten Krieges ernannt (in L'Humanite,

d e m Zentralorgan der

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französischen K P ) . B e s o n d e r s häufig w u r d e in A n s p i e l u n g an d e n Reichstagsbrand v o n (Kriegs-)Brandstiftern g e s p r o c h e n

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W o l f g a n g Harich w i e s z u d e m hin

auf die literarische I m p o t e n z der v e r s a m m e l t e n Schriftsteller, d e n e n er die Schreibkraft einer A n n a Seghers e n t g e g e n s t e l l t e , 4 6 und Johannes R. B e c h e r sprach v o n »literarisch getarnten Gangstern«, d e r e n Tun g e g e n nationale Interessen gerichtet sei

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Bertolt Brecht schrieb nicht nur w i e der K u l t u r b u n d 4 8 e i n e n o f f e n e n Brief an

Jean Amery: Geburt der Gegenwart. Gestalten und Gestaltungen der westlichen Zivilisation seit Kriegsende. Ölten, Freiburg: Walter 1961, S.70. Vgl. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S. 104f. Prawda, 2.7.1950 (nach dem Presse-Echo im Kongreßheft des Monat, S.484-495). Bechers Reaktion wird dokumentiert in: Der Monat, 3. Jg., Nr. 29, Februar 1951, S.492f. Im Oktober 1951 erschien in der anonymen (Westberliner) Reihe Briefe an bekannte Friedensbrandstifter ein »Brief« an Becher. Wolfgang Harich: Werwölfe, in Freiheit dressiert. Gibt es im imperialistischen Lager »freien Geist«? In: Neues Deutschland, 27.6.1950. »Wenn solche Leute anläßlich des Spitzel- und Kriegsbrandstifter-Kongresses, wie er vor einiger Zeit in Berlin stattfand, an Arnold Zweig, Anna Seghers, Bertolt Brecht und mich die Aufforderung gerichtet haben, uns mit ihnen zusammenzusetzen und zu diskutieren, so antworten wir ihnen: >Mit Spitzeln und Kriegsverbrechern gibt es keinerlei Art von Diskussion. Solche Leute sind für uns keine Gesprächspartner. Wir setzen uns mit ihnen auseinander nur im wörtlichen Sinn. Wir setzen uns mit ihnen so weit wie möglich auseinander, um nicht in Tuchfühlung mit ihnen zu geraten, die ja längst keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr sind, sondern die sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt haben, in literarisch getarnte Gangster. [.. .]Klubhauses der Kulturschaffendem in der Jägerstraße) und äußert seinen heftigen Unmut gegen den abtrünnigen Freund Theodor Plievier (S.319, 322 und 328ff.). Im Offenen Brief des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« an einige Teilnehmer am sogenannten »Kongreß für kulturelle Freiheit« (in: Sonntag, 5. Jg., Nr. 27, 2.7.1950, S.4) ist die Rede von Nihilisten, Abenteurern, Bankrotteuren, Provokateuren und Kriegshetzern; Einladungen seien nur an zuverlässige Personen ergangen, weshalb der Begriff des Totalitären sich auf den Kongreß selbst anwenden ließe. Tatsächlich

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die Teilnehmer des Kongresses, sondern zielte auch in seinem letzten Stück, Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher, vor allem mit dem Motiv der Brandstiftung, auf den Berliner Kongreß. In Turandot sind die Intellektuellen als ergebene Diener ihres Clans gezeichnet, so daß andere Interpretationen, die das Stück auf den Juni 1953 und die D D R bezogen, später überwogen (und Wieland Herzfelde veranlaßten, dem Autor die Umbenennung des Stückes in »Kongreß der Schönfärber« nahezulegen). 4 9 Auffällig war in der östlichen Presse die Verbindung von leisen nationalen Tönen mit einem lauten Antiamerikanismus, 5 0 der meist in den Hinweis auf den »amerikanischen Geheimdienst« als Drahtzieher und Organisator mündete. Schon wenige Tage nach dem Kongreß war im Sonntag die Rede vom »größten Kulturskandal unseres Jahrhunderts«, daß nämlich der Kongreß unter dem Protektorat des amerikanischen Geheimdienstes CIC stattfindet. Der Organisator dieses Kongresses ist der Polizeispitzel Melvin J. Lasky [...], Angestellter des amerikanischen Geheimdienstes. 51 1967 folgte (in der New York Times und der Saturday Evening Post) die offizielle Bestätigung, daß eine finanzielle Unterstützung des Kongresses (und des Monat) durch die CIA über Stiftungen wie die New Yorker Farfield- und Ford-Foundation stattgefunden hatte, was zu heftigen internen Kontroversen unter den Mitgliedern führte - Raymond Aron und Ignazio Silone distanzierten sich von der Kongreß-Organisation, zumal Michael Josselson zuvor mehrfach versichert hatte, daß keine derartigen Gelder verwendet worden seien. 5 2 1995 hat schließlich auch die CIA eine

waren beispielsweise Jean-Paul Sartre und Merleau-Ponty eingeladen worden, hatten aber ihre Teilnahme abgesagt (vgl. Sidney Hook: Out of Step. S.837). George Grosz sagte seine Teilnahme ab, nachdem Gerhart Eisler ihn brieflich inständig gebeten hatte, nicht am >Antikommunistenkongreß< teilzunehmen (Der Spiegel, 4. Jg., Nr.27, 6.7.1950, S.29). 49 Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Bertolt-Brecht-Archiv, Mappe 559, Blatt 118. 50 Im Aufruf an alle deutschen Kulturschaffenden des Kulturbundes wird der »Massenimport amerikanischer Unkultur« beklagt (in: Sonntag, 5. Jg., Nr.27,2.7.1950, S. lf.); der Kongreß wird knapp »USA-Kongreß« genannt (ebd., S.4); Pjotr Pawlenko schrieb, der Kongreß habe »auf Befehl der amerikanischen Regierung« in Berlin stattgefunden (Sonntag, 5. Jg.. Nr.29,16.7.1950, S.4). Besonders bei Becher wird der Tenor deutlich, daß der amerikanische Einfluß deutschen Interessen zuwiderlaufe. In einem späteren Artikel, Exempel westdeutscher Demokratie, weist Becher daraufhin, daß nichts den Betreibern des »Kongresses für sogenannte >kulturelle Freiheit« so »sehr verhaßt ist, als wenn Deutsche gemeinsam mit Deutschen sprechen und sich in den Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands und der Erhaltung des Friedens verständigen« (J. R. B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S.582, vgl. auch ebd., S.368 und 380). 51 Offener Brief des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« an einige Teilnehmer am sogenannten »Kongreß für kulturelle Freiheit«. In: Sonntag, 5. Jg.. Nr.27, 2.7.1950, S.4. •"'2 Vgl. Edward Shils: Remembering the Congress for Cultural Freedom. In: Encounter, September 1990, S.53-65. Hier S.62. Er erinnert sich, daß im Oktober 1955 die ersten Gerüchte über eine CIA-Finanzierung an sein Ohr gedrungen seien. Im (unveröffentlichten) zweiten Teil seines Aufsatzes geht Shils ausführlich auf die Person Josselsons ein. Melvin Lasky gab in einem Leserbrief einen knappen Überblick über die Finanzierung seiner

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Studie über die B e e i n f l u ß u n g d e s K o n g r e s s e s publiziert, die o f f e n z u l e g e n scheint, w e r v o n der U n t e r s t ü t z u n g durch die U S - R e g i e r u n g w u ß t e (die g r o ß e M e h r h e i t ) , und w e r v o n d e r Finanzierung durch die C I A ( M i c h a e l Josselson, einer d e r H a u p t o r g a n i s a t o r e n ) . 5 3 D i e publizistische Entrüstung aus d e m östlichen Lager war vor all e m propagandistischer Natur, d e n n natürlich w a r e n alle e i g e n e n K o n g r e s s e mit staatlichen G e l d e r n finanziert w o r d e n ( o h n e d a ß in totalitären S y s t e m e n U m w e g e gesucht w e r d e n m u ß t e n ) . A b e r die B e t o n u n g der e i g e n e n (auch finanziellen) U n a b hängigkeit auf d e m K o n g r e ß und der Mißkredit, d e n sich die C I A in d e n 60er Jahren durch ihre internationalen A k t i v i t ä t e n vor allem in V i e t n a m einhandelte, brachte d e n g a n z e n Berliner K o n g r e ß samt der Zeitschrift Der Monat

in Verruf, was sich bis

h e u t e in d e n t e n d e n z i ö s e n D a r s t e l l u n g e n d e s K o n g r e ß g e s c h e h e n s niederschlägt. 5 4 A l f r e d A n d e r s c h sprach 1979 v o n d e m Berliner K o n g r e ß als einer reinen C I A - A n g e l e g e n h e i t 5 5 und n o c h 1994 b e t o n t e G ü n t e r Grass (in seiner R e d e zur Verleihung d e s H e r m a n n - K e s t e n - P r e i s e s ) , d a ß Der Monat

bekanntlich ein C I A - B l a t t g e w e s e n

sei. Klaus Harpprechts Kritik an Grass ist d e s Zitierens wert - er hat es mir freundlicherweise erlaubt: Es ist blanke Demagogie, wenn Grass eine Linie von Gehlen und die C I A zum Monat auszieht, in dem, wenn ich mich recht entsinne, seine Blechtrommel das Licht der Welt erblickt hat. Grass weiß - oder er könnte es wissen - , daß die Zeitschriften Monat, Encounter, Preuves, Forum, Tempo Presente aus unvernünftig »haushaltstechnischen« Gründen aus den Fonds der CIA subventioniert wurden (auf dem Umweg über die Ford Foundation), weil die Abgeordneten und Senatoren des amerikanischen Congresses kaum bereit gewesen wären, die Mittel für solchen Luxus zu genehmigen. [...] Die Agentur, die sich an-

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Zeitschrift (Fakten über den »Monat«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.2.1992, S.10). Michael Warner: Origins of the Congress for Cultural Freedom 1949-1950, S.95ff. In Franziska Meyers Darstellung (»Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda«. D e r Kongreß für kulturelle Freiheit und die Folgen. In: Eine Kulturmetropole wird geteilt. Literarisches Leben in Berlin (West) 1945 bis 1961. Hg. vom Berliner Kulturrat. Berlin: 1987, S. 3 3 - 4 8 ) ist affirmativ von Kongressen für den Frieden die Rede, von großen Namen und Zahlen, denen in Berlin 1950 nichts entsprochen habe; der Koreakrieg wird auf eine »amerikanische Invasion« reduziert (S.37), der Totalitarismus zu einer pauschalen Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus. Vgl. auch Helmut Peitsch: »Die Freiheit fordert klare Entscheidungen«. Die Spaltung des PEN-Zentrums Deutschland. In: kürbiskern (1985) H.3, S. 105-124 - wieder abgedruckt in: H. P.: Vom Faschismus zum Kalten Krieg - auch eine deutsche Literaturgeschichte. Literaturverhältnisse, Genres, Themen. (Sigma Medienwissenschaft 21) Berlin: Sigma 1996, S. 215-244; oder die polemische Skizze von Jost Hermand: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945-1965. München: Nymphenburger 1986, S. 147 und 86. Dagegen findet sich im ehemaligen Parteiorgan Neues Deutschland nicht nur eine positive Einschätzung des Kongresses, sondern auch der Vorschlag zu einer Wiederbelebung des Kongresses und der Zeitschrift Der Monat - Gerhard Zwerenz: Notwendige Worte gegen die Unfreiheit des Wortes. In: Neues Deutschland, 10.2.1992). Gespräch mit Hans Magnus Enzensberger. In: Martin Lüdtke (Hg.): Nach dem Protest. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, S.88.

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Freiheit«

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derswo in der Welt die schrecklichsten Idiotien leistete und die gewiß für manches Verbrechen verantwortlich ist, hat ihr Geld niemals für einen besseren Zweck ausgegeben. 5 6

Trotz der CIA-Gelder und trotz der Befürworter der Rolle der USA als Weltpolizist (wie James Burnham) war der Kongreß geprägt von Kontroversen; in diesen Uneinigkeiten lag aber wohl gerade seine Stärke. Auch wenn eine gewisse organisatorische Übereinstimmung mit den >Friedenskongressen< darin bestand, daß Schriftsteller und Intellektuelle als Gewährsleute und Autoritäten versammelt wurden (Koestler hatte schließlich einige Lehrjahre im >Münzenberg-Konzern< absolviert), so ging es in Berlin 1950 offensichtlich nicht um die Durchsetzung von Direktiven und Instruktionen. »Nicht nur die Sprachen waren verschieden, sondern auch die Dialekte der Meinungen«, heißt es im Wochenblatt Die Zeit.51 Sidney Hook, der in seinen Erinnerungen ausführlich die Rolle der CIA diskutiert, schreibt: Woher auch immer die Gelder für den Kongreß kamen, es hatte keine Bedeutung für Entscheidungen und Initiativen des Kongresses. Es ist schlicht lächerlich zu glauben, daß Männer wie Ignazio Silone, Raymond Aron, Nicolas Chiaromonte, Michael Polyani, Haakon Lie oder Carlo Schmidt nach einer fremden Melodie getanzt haben würden. 5 8

Der ehemalige Trotzkist James Burnham, wie Hook Professor für Philosophie in New York, blieb mit seinem Anliegen, einer politischen Offensive gegen die Sowjetunion das Wort zu reden (S.448ff.), weitgehend isoliert. Neben Burnham stand auch Koestler im Brennpunkt der Kritik, die von Hugh Trevor-Roper bis Ignazio Silone und Ernst Reuter reichte. Franco Lombardi und Eugen Kogon kritisierten ausführlich Koestlers Forderung nach einem >klaren Ja oder NeinMcCarthyismus< war vor allem der Begriff der Freiheit Gegenstand von Auseinandersetzungen (S.436ff. u. 467). Anna Siemsen erklärte, jeder Kampf für Freiheit und Kultur sei illusorisch angesichts des in Deutschland bestehenden Heeres jugendlicher Arbeitsloser. 60 Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Kongressen wurden diese Differenzen nicht unterdrückt oder künstlich harmonisiert; man wies hin auf die Unterschiede, die beispielsweise zwischen den Exkommunisten

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Klaus Harpprecht an Ingrid Bacher, 5.1.1995. Die Rede von Grass war zuvor in der Woche erschienen. 57 K. W.: Gegenoffensive des Geistes. In: Die Zeit, 6.7.1950. 5 * Sidney Hook: Out of Step, S. 451. 59 Der Monat, Nr. 22/23, S.372 und 464ff. Vgl. Franziska Meyer: »Auch die Wahrheit bedarf der Propaganda«, S.37; Eugen Kogon: Die Freiheit, die wir meinen. Anmerkungen zum Ja und Nein von Arthur Koestler. In: Frankfurter Hefte 5 (1950) H.8, S.811-818. Auch Kendali Foss unterstrich in seinem Kongreßbericht die Kontroversen (ebd., S. 8 6 0 - 8 6 2 ) . Die Auseinandersetzungen schildert auch Edward Shils im ersten Teil seiner Erinnerungen, der unter dem Titel Remembering the Congress for Cultural Freedom im September 1990 im Encounter erschien, und im unveröffentlichten zweiten Teil; vgl. auch Sidney Hook: Out of Step, S. 437. 60 Einerseits wies die DDR-Presse auf diese Widersprüche hin, versicherte aber, da das Bild der Gleichschaltung betont wurde, daß solche Einsprüche unterdrückt worden seien (obwohl sie im Kongreßheft des Monat nachzulesen waren) - vgl. Sonntag, 16.7.1950.

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herrschten (S.466,468). Am deutlichsten wurde das im Gegensatz der beiden Präsidiumsmitglieder Arthur Koestler und Ignazio Silone. Während Koestler den besten Weg des Widerstands gegen den Totalitarismus in der Konfrontation suchte, sah der Sozialist Silone ihn in politischen und sozialen Reformen im eigenen Lager, womit der kommunistischen Agitation der Boden entzogen würde. Auch in der Zeitschrift Der Monat (dessen Name, so erinnert sich Lasky, auf einen Vorschlag von Klaus Mann zurückgeht) spiegeln sich diese Auseinandersetzungen. Noch in späteren Nummern wurden die Kontroversen fortgesetzt. 61 Silone, der deutlichste Opponent gegenüber den Rufern nach einem starken Staat, betonte: Jeder weiß, daß zwischen den hier zusammengekommenen Menschen bedeutende politische und ideologische Verschiedenheiten bestehen. Das aber ist keine Schwäche, sondern im Gegenteil die Stärke dieses Kongresses. Der höchste Wert der Freiheit liegt gerade in der Differenzierung jener Kräfte, die sie erweckt. Sie verbietet gewiß nicht, daß wir einer Meinung sind, aber sie erträgt auch keine Gleichschaltung. [...] Eine Demokratie, die, um schlagkräftiger zu sein, die totalitären Methoden nachahmt und sich eine geistige Uniform anlegt, handelt im Grunde wie ein Mensch, der sich aus Angst vor dem Tode das Leben nimmt (S.347).

Eine Episode macht den Umgang mit widersprechenden Positionen deutlich: Der österreichische Atomphysiker Hans Thirring wandte sich in seinem geplanten Referat gegen die »Kriegstreiber« an allen Fronten; am schärfsten aber attackierte er die USA. Angesichts der jüngsten kriegerischen Entwicklung in Korea (die seine Annahme widerlegte, daß die politische Aggressivität der Sowjetunion sich nicht in eine militärische transformieren würde) zog Thirring den Vortrag mit seinem Plädoyer für Neutralität, die von Burnham und Koestler angeprangert worden war, zurück. Doch die schriftliche Fassung lag allen Teilnehmern wie der Presse vor, und ausführlich wurden öffentlich die Umstände von Thirrings Rückzug geprüft, um eine mögliche Zensur oder Repression gegen einen Andersdenkenden auszuschließen. 62 Nicht die Literatur stand im Zentrum dieses Kongresses (sowenig wie 1947 und 1948), sondern deren Bedingungen und deren Feinde, wobei keineswegs die stalinistischen Diktaturen allein im Visier waren. Gerade die deutschen Gäste wie Alfred Weber, 63 Dolf Sternberger, Rudolf Pechel oder Eugen Kogon bezogen sich auf die nationalsozialistische Diktatur, man nahm Stellung gegen Franco (auch in der Schlußresolution) und andere nichtkommunistische Diktatoren (S.433); man beklagte und untersuchte die Lage von Intellektuellen im Westen. Es gab keine >antikommunistische Einheitsfront^ auch wenn der Antikommunismus Grundkonsens

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Z.B. Briefe des Monats. In: Der Monat,3. Jg., Nr.25, Oktober 1950, S. 108ff. Nach Michael Warner (Origins of the Congress for Cultural Freedom 1949-1950, S.94f.) wurden die Kongreß-Macher von amerikanischen Antikommunisten später dafür attackiert, daß in Berlin zu viel Kritik an Mängeln des amerikanischen Systems toleriert worden war. Bericht über die Diskussion (S.370f.); vgl. Sidney Hook: Out of Step, S.434f. Alfred Weber erklärte auf dem Kongreß seinen Austritt aus der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Ostberlin), weil diese, auch in seinem Namen, eine Ergebenheitsadresse an Stalin gesandt hatte.

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Freiheit«

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der Beteiligten war. M a n c h e kritisierten explizit dessen Funktionalisierung und w a n d t e n sich gegen die Gleichsetzung von A n t i k o m m u n i s m u s mit der A b l e h n u n g aller emanzipatorischen H o f f n u n g e n . Weder war es der A n t i k o m m u n i s m u s der Nazi-Zeit noch j e n e r des Nachkriegs, der vom nationalsozialistischen System weglenken sollte und den als Kommunisten denunzierte, der von den Verstrickungen des Faschismus sprach. Stattdessen war die R e d e vom Mißbrauch des K a m p f e s gegen den Kommunismus, »um die Interessenvertretungen der Unterklassen zu schädigen u n d um den G e d a n k e n des Schutzes des Schwächeren zu diskreditieren« (S.417). Thematisiert wurde die Rolle der Intellektuellen und Schriftsteller im totalitären Zeitalter und ihre Verführbarkeit; die Technik der Sprachmanipulationen; die Zweckdienlichkeit von Literatur und ihre religiöse Aufladung; schließlich ihre vielfältigen U n t e r d r ü c k u n g e n . T h e o d o r Plievier sprach in seiner Rede, Vom Nullpunkt der Kultur, über die U n t e r d r ü c k u n g der Literatur und der Schriftsteller durch jene, die gegen diese U n t e r d r ü c k u n g einst g e k ä m p f t hatten. 6 4 Auch dieser Kongreß war getragen vom G l a u b e n an die B e d e u t u n g des Schriftstellers, auch hier w u r d e der Nutzeffekt der Literatur unterstrichen; aber die Rolle des Schriftstellers hieß nun nicht ( m e h r ) P r o p a g a n d i s t der freien WeltUngeziefer< des amerikanischen Feindes, das für Mißernten in Nordkorea bis in der D D R verantwortlich gemacht wurde eine propagandistische Erfindung von Albert Norden und Gerhart Eisler.

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Michael

Rohrwasser

l a n d 6 6 ) und n e b e n Publikationen ein N e t z w e r k v o n Zeitschriften edierte, zu d e r e n b e k a n n t e s t e n n e b e n d e m Monat

Tempo

Presente,

Forum,

Encounter

und

Preuves

zählten. A r t h u r Koestler, v o n vielen als ü b e r r a g e n d e Figur d e s K o n g r e s s e s v o n 1950 beschrieben, z o g sich nach kurzer Zeit aus d e m O r g a n i s a t i o n s k o m i t e e zurück, M e l vin Lasky blieb in Berlin, 6 7 w ä h r e n d Sidney H o o k , R a y m o n d A r o n , Michael Josselson, Arthur Schlesinger jr. und N i k o l a s N a b o k o v in d e m K o n g r e ß - K o m i t e e weiterarbeiteten.68

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Z u m Mailänder Kongreß im September 1955 war auch Hannah Arendt eingeladen und sprach über The Rise and Development of Totalitarianism and Authoritarian Forms of Governments in the Twentieth Century. Ihr harsches Urteil über die luxuriös organisierte Veranstaltung: »Diese ganze Sache ist ein Riesenskandal. Man könnte beinahe auf die Vermutung kommen, die hätten das alles mit Absicht so angestellt, um den Kommunisten Propaganda zu liefern« (Hannah Arendt an Heinrich Blücher, 13.9.1955. In: Η. A./H.B.: Briefe 1936-1968. Hg. u. mit einer Einleitung von Lotte Köhler. München, Zürich: Piper 1996, S. 398). Lasky arbeitet derzeit an seinen Erinnerungen. Vgl. Der Monat, 3. Jg., Nr.28, Januar 1951, S.380f.; Nr.29, Februar 1951, S.45Iff. 1960 fand in Berlin ein Kongreß für die Freiheit der Kultur statt (vgl. Der Monat, 12. Jg., Nr. 143, August 1960). Z u r Organisation vgl.: Peter Coleman: The Liberal Conspiracy. The Congress for Cultural Freedom and the Struggle for the Mind of Postwar Europe. New York, London: The Free Press 1989; sowie die Übersicht der Aktionen des Kongresses bis 1956 in: Sidney Hook: Out of Step, S.458-460; Nicolas Nabokov: Zwei rechte Schuhe im Gepäck. Erinnerungen eines russischen Weltbürgers. München, Zürich: Piper 1975, S.307-323.

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Schriftsteller als kulturpolitische Kader: Auswirkungen der sowjetischen Präsenz auf das kulturelle Leben in der SBZ

»Der rachsüchtige Sieger versucht, in der Wüste Ostdeutschlands etwas Leben zu organisieren. Für die Intelligenz gibt es bestimmt Anziehungspunkte. Das künstlerische Leben in Berlin und in den Provinzen ist vorwiegend dank russischer Unterstützung neu belebt worden.« Diese Einschätzung, die Isaac Deutscher im Oktober 1945 in einer Reportage formulierte, Schloß mit folgendem Resümee: »Was bei der russischen Militärregierung bis jetzt bemerkenswert war, ist vielleicht nicht das Ausmaß, in dem sie russische totalitäre Methoden nach Deutschland verpflanzt hat, sondern der Umfang, in dem sie sich dessen enthalten hat.« 1 D a ß es in der SBZ um den Aufbau einer sozialistischen Kultur und Gesellschaft gehen sollte, zeichnete sich 1945/46 nicht mit Deutlichkeit ab. Das Vorgehen in der ersten Nachkriegszeit war vor allem durch das bündnispolitisch geleitete Bemühen um herausragende Vertreter der deutschen Kultur und vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber der Intelligenz bestimmt. Mit dem im Ostblock als Kulturvereinigung einzigartigen Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands wurde allen literarisch und künstlerisch Interessierten ein politisch unverdächtiges Forum geboten. Sein werbender Aufruf »Der >Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands< will die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wieder erwecken und ein neues deutsches Geistesleben begründen« 2 stieß denn auch auf breite Resonanz. Mitarbeiter der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland ( S M A D ) und die von ihnen eingesetzten deutschen Kräfte entfalteten lebhafte Aktivitäten, um den Kulturbetrieb wieder in Gang zu setzen. Entsprechend der durch die Volksfrontstrategie des Exils vorgegebenen Ausrichtung auf das klassische und realistische Erbe, kamen dabei durchaus bürgerlich konventionelle Kunstvorstellungen zum Zuge. Man bemühte sich - wesentlich intensiver als in den Westzonen - um die Gewinnung emigrierter Künstler; vor allem in Berlin wurde die interalliierte Konkurrenz bald auch durch den Versuch bestimmt, prominente Künstler, selbst wenn sie politisch belastet waren, 3 für den eigenen Sektor zu

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Isaac Deutscher: Reportagen aus Nachkriegsdeutschland. Hamburg: Junius Verlag 1980, S. 131. Aufruf zur Gründung des »Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands«. In: Manifest des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Berlin: Aufbau o. J. [1945], Vgl. Hans Borgelt: Das war der Frühling von Berlin oder Die goldenen Hungerjahre. Eine Berlin-Chronik. München: Schneekluth 1983, S.203. Oftmals waren es in der Anfangszeit die Amerikaner, die monierten, daß die Sowjets die Qualifikation von Künstlern an die erste Stelle setzten und mit zu großer Nachsicht deren politische Vergangenheit behandel-

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gewinnen (umworben wurden etwa Wilhelm Furtwängler, Jürgen Fehling, Karl Hofer und Gustaf Gründgens). Eher verprellte man kommunistisch engagierte junge und alte Künstler - auch durch materielle Zuwendungen an die Prominenz, so daß selbst einige Funktionäre der S E D das >Ködern< der Intelligenz durch eine >Pajokpolitik< als schädlich kritisierten: »Mir stehen manchmal die Haare zu Berge«, so Josef Naas im Januar 1947, »bis zu welchem Grade das getrieben wird, wie wir im Kulturbund Listen aufstellen, welche Intellektuellen Weihnachtspakete von der S M A bekommen sollen.« Es gehe nicht an, daß wir ζ. B. im Kulturbund jetzt genötigt sind, einen Intellektuellen, der der NSDAP angehört hat, aber einen bekannten Namen hat, nur damit er nicht in die englische Zone geht, ein Bauerngut zu verschaffen, eine Villa am Meer oder sonst etwas zu verschaffen, oder sonst Menschen, für deren literarische Produktion wir nicht das geringste Interesse haben, nur damit die Bücher nicht in anderen Zonen verlegt werden, alle möglichen wirtschaftlichen Vorteile zuschanzen müssen. 4

Die Enttäuschung lag in den ersten beiden Nachkriegsjahren eher bei denjenigen, die geglaubt hatten, mit Kriegsende würden die Verhältnisse revolutioniert. 5 D i e bürgerlich-konservative Intelligenz sah sich zunächst einer - unverhofften - Kontinuität gegenüber. Sie konnte, auch an den Universitäten, relativ bruchlos an das Frühere anknüpfen. Loyalität mit den neuen Machthabern reichte aus, politische Bekenntnisse waren noch nicht gefordert. Doch auch die gemäßigte Linke konnte sich Hoffnung auf eine eigenständige Entwicklung machen, eine Vision, die in Anton Ackermanns Formel vom »besonderen deutschen Weg zum Sozialismus« 6 Gestalt gewann. Die sowjetische Besatzung wirkte sich in diesem Zeitraum noch nicht als Transfer des alle Lebensbereiche umfassenden sowjetischen Modells stalinistischer Prägung aus. 7 Dennoch war von Beginn an der sowjetische Einfluß personell und struk-

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ten. Vgl. Brewster S. Chamberlin: Kultur auf Trümmern. Berliner Berichte der amerikanischen Information Control Section Juli-Dezember 1945. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1979, S. 29f. Stenographische Niederschrift (unkorrigiert) über die SED Kulturkonferenz am 28. und 29.1.1947 in Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der D D R im Bundesarchiv (SAPMO-BArch). Berlin: Zentrales Parteiarchiv (ZPA) IV 2/101/33. Vgl. ζ. B. die Beschwerde, mit der sich Hans Lorbeer im Dezember 1945 an Becher wandte: »Die Herren nehmen ihre Plätze schon ein. Sie werden den Ton angeben, den Ton bestimmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn auch die Herren Pohl, Barthel, Binding, von der Vring und ähnliche sich einfänden.« - Zit. nach: Rolf Harder: Zum Anteil Johannes R. Bechers an der Herausbildung einer Konzeption zur politisch-moralischen Vernichtung des Faschismus. In: Weimarer Beiträge 31 (1985) H.5, S.730f. Vgl. den programmatischen Aufsatz von Anton Ackermann: Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus? In: Einheit 1 (1946) Η. 1, S.22-32. 1948 mußte Ackermann seinen früheren Aufsatz widerrufen: Über den einzig möglichen Weg zum Sozialismus. In: Neues Deutschland, 24.9.1948. Zum Modelltransfer und seinen verschiedenen Phasen vgl. im einzelnen: Anne Hartmann/ Wolfram Eggeling: Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen D D R (1945-1953). Berlin: Akademie-Verlag 1998.

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turell bestimmend - alle Entscheidungsbefugnisse lagen unzweideutig bei den Vertretern der Sowjetischen Militäradministration. Von vornherein betrieb die S M A D eine entschiedene Personalpolitik, indem sie wichtige Schaltstellen mit deutschen Kommunisten, vor allem Rückkehrern aus dem sowjetischen Exil, besetzte. Beim Aufbau einer Kulturverwaltung brachte man die Remigranten gezielt in einflußreiche Positionen und stattete sie mit realen Machtbefugnissen aus. Die damalige »Personalunion von Künstlern und Politikern« 8 kann man als gelungenes Bündnis von Geist und Macht identifizieren. Doch war die Bevölkerung in dieses Bündnis nicht eingeschlossen; ihr blieb die Rolle des Unmündigen, für den andere die Vormundschaft übernahmen. Die breite Masse mußte, so analysierte Robert Havemann später das Autoritäre dieses Erziehungskonzepts, »geleitet werden, ohne gefragt zu werden, von klugen, fortschrittlichen und selbstlosen Leuten. Erfüllt von unserem Sendungsbewußtsein, hielten wir uns für die einzig historisch Berufenen. Wir wurden zu Stalinisten, ohne es überhaupt zu merken.« 9 Als die Instanz, die sowjetische Kulturvermittlung und die Kontrolle des literarischen Lebens in der S B Z betrieb, traten in den ersten Nachkriegsjahren vor allem die Kulturoffiziere der S M A D in Erscheinung. Wer immer mit dem kulturellen Leben der Nachkriegszeit zu tun hatte, äußert sich positiv über das Engagement und Wirken dieser Offiziere. Sergej Tjulpanow, Chef der Informationsverwaltung der SMAD, Alexander Dymschitz, der Leiter der ihr eingegliederten Kulturabteilung, und ihre Mitarbeiter auf der oberen E b e n e waren hochgebildete Intellektuelle (in der Regel Wissenschaftler, Lehrer oder Journalisten von Beruf) mit subtilen geschichtlichen und literarischen Kenntnissen, die gewandten und souveränen Umgang mit den deutschen Intellektuellen pflegten. Dymschitz und sein Vorgesetzter, Oberst Sergej Tulpanow. hatten, bevor ihre Pläne von der späteren politischen Entwicklung durchkreuzt wurden, den Ehrgeiz, aus Berlin - und zwar aus Groß-Berlin - wieder ein Kunstmekka zu machen, den kulturellen Mittelpunkt eines einheitlichen Deutschlands,

so der Journalist Hans Borgelt, 1 0 ein sicherlich unverdächtiger Zeuge. Allerdings war das Mißverhältnis zu den unteren Armeerängen, die vom Kontakt mit der deutschen Sprache und der Bevölkerung ferngehalten wurden, eklatant. 1 1 Auch war der Kredit, den die Kulturoffiziere durch ihre Liberalität, Toleranz und großzügige Hilfe für die sowjetische Kulturpolitik erwarben, von vornherein durch das politische Vorgehen der SMAD, die Rechtsunsicherheit, das Wirken des Geheimdien-

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Günter Jordan: Defa-Wochenschau und Dokumentarfilm 1946-1949. Neuer deutscher Film in der Nachkriegsgesellschaft zwischen Grundlegung und Wandel von Selbstverständnis, Funktion und Gestalt. Phil. Diss. Berlin 1990. S. 147. Robert Havemann: Fragen Antworten Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1972, S.59. Hans Borgelt: Das war der Frühling von Berlin, S.201. Vgl. Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen. Bd. 2. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984. S. 13 und 15.

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stes, das zynische Reagieren der Kommandanturen gefährdet, später wurde er dann endgültig verspielt. Doch auch die Verklärung ins Legendäre, die das Handeln der Kulturoffiziere in der Geschichtsschreibung und Memoirenliteratur erfahren hat, bedarf der Korrektur. Während ihre Aktionen in Deutschland den Eindruck erweckten (und in der Forschungsliteratur vor allem der D D R so dargestellt wurden), als seien sie spontan, improvisiert oder zumindest weitgehend selbständig erfolgt, zeigt ein Blick hinter die Kulissen ein ganz anderes Bild. Denn auch die Kulturoffiziere waren, wie alle Vertreter der SMAD, Teil des sowjetischen Apparats; sie waren berichterstattungspflichtig gegenüber den entsprechenden Moskauer Stellen und selbst einer umfassenden Kontrolle unterworfen. 12 Praktisch für jede einzelne Maßnahme (Publikationen, Übersetzungen, Aufführungen, Ausstellungen, Einladungen, Delegationen) ging ein Beschluß, eine Bewilligung oder ein Verbot aus Moskau voraus, d. h., Entscheidungen auf deutschem Boden erfolgten immer in sowjetischen Systemstrukturen und -zwängen. Gerade die administrative Kleinarbeit im Verborgenen, die fast täglich geführte zähe briefliche Auseinandersetzung - vor allem mit der Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (WOKS), dem Sowjetischen Informationsbüro und der Auslandskommission des Schriftstellerverbands erhellt die Abhängigkeiten von den Moskauer Institutionen. Diese Dienststellen waren ihrerseits weisungsgebunden, und ihre Kompetenzen überschnitten sich oftmals. Sie agierten nicht nur sehr viel bürokratischer und schwerfälliger als die Kulturvertreter Rußlands in Berlin, sondern sie dachten auch in den politischen Kategorien Stalins und Shdanows, die bereits seit Kriegsende nach innen und außen auf Konfrontation ausgerichtet waren. Im August 1946 erging unter Federführung Shdanows ein ZK-Erlaß zu Fragen der Kunst und Literatur, dem unmittelbar anschließend zwei weitere (zu den Bereichen Theater und Film) und 1948 ein letzter (zur Musik) folgten. Ihre Merkmale waren ästhetischer wie ideologischer Natur: Kampf gegen Formalismus, Modernismus und Dekadenz; Hervorhebung des Sowjetpatriotismus und Verurteilung von »Verleumdern«; Antisemitismus unter dem Stichwort Kampf gegen »die Katzbuckelei vor dem Westen« bzw. den »wurzellosen Kosmopolitismus«. Durch ihre ideologische Engführung ließen die ZK-Erlasse, die schwerwiegende Beschuldigungen exemplarisch gescholtener Künstler enthielten, die Ungleichzeitigkeit hervortreten, die zwischen der innersowjetisch 1945/46 schroff vollzogenen Re-Stalinisierung und

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Dies belegen auch die erst seit kurzem zugänglichen Akten des SMAD-Archivs. - Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj federacii/Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF): Moskau: Sovetskaja voennaja administracija ν Germanii. Katalog rassekrecennych del. (Opisi)/Sowjetische Militäradministration in Deutschland. Bestandsverzeichnis der sekretierten Akten. Moskau 1995, Teil 1: SVAG R-7317. Zu Aufbau und Funktionsweise der S M A D sind zuletzt erschienen: V. V. Zacharov/D.N. Filippovych/M. Chajneman [Heinemann]: Materialy po istorii Sovetskoj Voennoj Administracii ν Germanii 1945-1949 gg./ Materialien zur Geschichte der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland 1945 — 1949. 2 Bde. Moskau 1998 u. 1999; Jan Foitzik: Sowjetische Militäradministration in Deutschland ( S M A D ) 1945-1949. Struktur und Funktion. Berlin: Akademie 1999.

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dem werbenden Programm bestand, das die sowjetischen Kulturoffiziere in Deutschland zu vertreten hatten oder das sie vertreten wollten. 1 3 Zu den beharrlichen Topoi der Erinnerungsliteratur seitens der beteiligten Sowjets gehört die Aussage, daß man habe Rücksicht nehmen müssen auf den Entwicklungsstand der Ideologie in Deutschland. Inwieweit damit der >Pluralismus< der ersten Nachkriegsjahre zu weiten Teilen auf taktische Anweisungen zurückzuführen ist, oder aber auf tatsächlicher Toleranz und einem maximalen Ausnutzen des den Kulturoffizieren selbst zugestandenen Spielraums beruhte, ist kaum entscheidbar. Ihr Einsatz in Deutschland war jedenfalls mit erheblichem persönlichem Risiko verbunden, zumal seitdem in der Sowjetunion der Antisemitismus zur Kampagne erhoben wurde. Denn ein bedeutender Teil der führenden Kulturoffiziere war jüdischer oder deutsch-jüdischer Herkunft; im Herbst 1946 stellten sie 180 von 489 Mitarbeitern der Informationsverwaltung. 1 4 Dies wurde von den übergeordneten Moskauer Dienststellen denn auch mit Mißfallen registriert, die Auswahl der Kader unter »dem Gesichtspunkt ihrer Nationalität« als »besonders unglücklich« bezeichnet; vorgeschoben wurde bei der Beanstandung die deutsche Situation: »Ein solcher Zustand ist in dem von Antisemitismus verseuchten Deutschland eindeutig nicht normal.« 1 5 Z u d e m standen die Kulturoffiziere auf Grund ihrer Tätigkeit notwendigerweise in engem Westkontakt, was im Falle zahlloser sowjetischer Heimkehrer aus deutscher Kriegsgefangenschaft genügt hatte, um sie in sibirische Lager zu verschicken oder das Todesurteil über sie zu verhängen. Viele dieser hochgebildeten, gegenüber der westlichen Kultur offenen Kulturoffiziere der ersten Stunde wurden bereits 1947/48 wieder abberufen. Es kam zu Verhaftungen und politischen Denunziationen. Vielfach wurden die Offiziere erst Mitte der 50er Jahre demobilisiert, nachdem sie zum Teil in entlegene Garnisonen abgeschoben worden waren. 1 6 Brüche in der

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Diesen Widerspruch akzentuieren auch: Ilse Tschörtner: »Die Seelen der Deutschen erobern«. Über die Kulturoffiziere der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. In: Berliner Debatte INITIAL (1994) H . l , S.106ff.. sowie Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948. München, Wien: Hanser 1995. S.56ff. I z d o k l a d n o j z a p i s k i . . . A. Z d a n o v u ο rezul'tatach proverki raboty upravlenijapropagandy S V A G / A u s dem Rechenschaftsbericht... an A. Shdanow über die Ergebnisse der Überprüfung der Arbeit der Verwaltung für Propaganda, Rossijskij Centr Chranenija i Izucenija Dokumentov Novejscej Istorii/Russisches Zentrum für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuesten Geschichte ( R C C h l D N I ) . Moskau: 17/117/674. zit. nach: Bernd Bonwetsch/Gennadij Bordjugov/Norman Nejmark [Naimark] (Hg.): SVAG. Upravlenie propagandy (informacii) i S. I. Tjul'panov 1 9 4 5 - 1 9 4 9 / S M A D . Die Verwaltung für Propaganda (Information) und S. I. Tjulpanow. Moskau: Rossija molodaja 1994, S. 191. Iz zapiski zamestitelja nacal'nika Upravlenija kadrov CK VKP ( b ) . . . A Kuznecovu ο proverke rukovodjascich kadrov S V A G / A u s dem Bericht des stellvertretenden Leiters der Kaderabteilung des ZK der VKP (b) an A. Kusnezow über die Überprüfung der leitenden Kader der S M A D , R C C h l D N I 17/117/758, zit. nach: Bernd Bonwetsch u.a. (Hg.): SVAG. Upravlenie propagandy, S.204f. Vgl. Ilse Tschörtner: »Die Seelen der Deutschen erobern«, S. 110.

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Biographie und der wissenschaftlichen Karriere stellen bei dieser Gruppe eher die Regel als die Ausnahme dar. Auch Tjulpanow wurde 1949 oder 1950 - die Angaben schwanken - in die Sowjetunion zurückbeordert, 17 nach Verleumdungen 1 8 erst 1956 aus der Armee entlassen und durfte nur nach Jahren, 1965 erstmals, wieder in die D D R reisen. 1 9 Dymschitz reichte, entnervt durch Auseinandersetzungen mit dem Parteibüro der Informationsverwaltung, im Januar 1949 seine Demissionierung ein. Das Parteibüro habe »eine Atmosphäre der Hetzjagd und Verleumdung« 2 0 gegen ihn verbreitet, die ihm die Fortsetzung der Arbeit unmöglich mache. Die in Deutschland im Gegensatz zur Sowjetunion zunächst zu beobachtende weitgehende kulturpolitische Offenheit war sicherlich Reflex der abwartenden sowjetischen Haltung in der Deutschlandpolitik. Innerhalb der Führungsspitze der KPdSU gab es durchaus verschiedene Optionen in bezug auf die SBZ, wobei sich Stalin in den ersten beiden Nachkriegsjahren ein Maximum an Möglichkeiten zu erhalten suchte. Erst mit den Vorgängen des Jahres 1947 (Truman-Doktrin, MarshallPlan, Kominform-Gründung) wurde die »reaktive Mechanik« 2 1 des Kalten Kriegs in Gang gesetzt und fiel damit auch die Entscheidung zur Sowjetisierung der eigenen Zone in einem geteilten Deutschland. Kulturpolitisch bedeutsam wurde vor allem die Rede Andrej Shdanows während der Gründungskonferenz der Kominform am 22. September 1947. Shdanow entwickelte hier die Theorie vom unversöhnlichen Gegeneinander des imperialistischen und antidemokratischen Lagers auf der einen und des antiimperialistischen und demokratischen Lagers auf der anderen Seite.

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Den Beschluß, Tjulpanow abzuberufen, faßte das Sekretariat des ZK der kommunistischen Partei am 18. Oktober 1949; es kann jedoch noch einige Zeit gedauert haben, bis er Deutschland verließ. - Ο t. Tjul'panove S. I./Über den Gen. S. I. Tjulpanow, RCChlDNI 17/118/567, zit. nach: Bernd Bonwetsch u.a. (Hg.): SVAG. Upravlenie propagandy, S.234. Zu den vorangegangenen Angriffen auf Tjulpanow vgl. Bernd Bonwetsch/Gennadij Bordjugov: Die Affäre Tjurpanov. Die Propagandaverwaltung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland im Kreuzfeuer der Kritik 1945-1949 In: Deutsche Studien 31 (1994), S.247-272; Norman M.Naimark: The Russians in Germany. A History of the Soviet Zone of Occupation; 1945-1949. Cambridge/Mass., London: The Belknap Press of Harvard University Press 1995, S.338ff. 18 Vgl. Jürgen Kuczynski: Mein Freund Sergej Iwanowitsch Tulpanow. In: Sinn und Form 36 (1984) H.5, S.956. ''' Mehrfach hatte sich Tjulpanow vorher beim ZK der KPdSU beschwert, daß er Einladungen aus der D D R mit fadenscheinigen Argumenten stets habe ablehnen müssen. Vgl. seine Briefe und Eingaben vom Juni 1960 und vom 8.10.1963 aus dem Privatarchiv der Familie, zit. nach: Bernd Bonwetsch u.a. (Hg.): SVAG. Upravlenie propagandy, S.236-239. 2 " Raport Dymsica nacal'niku upravlenija informacii SVA ν Germanii polkovniku tov. Tjul'panovu, S. I./Rapport von Dymschitz an den Chef der Informationsverwaltung der SMAD, Gen. Oberst S. I. Tjulpanow, Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva/Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst (RGALI), Moskau: Nachlaß Dymschitz 2843/1/2500. Zum politischen Lebenslauf von Dymschitz vgl. Hartmann/Eggeling, Sowjetische Präsenz, S. 167-174. 21 Dietrich Geyer (Hg.): Osteuropa-Handbuch: Sowjetunion. Außenpolitik. B d . l . Köln, Wien: Böhlau 1972, S.373.

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Das erste kulturelle Großereignis, das vom Ausbruch des Kalten Kriegs betroffen war, war der Erste deutsche Schriftstellerkongreß im Oktober 1947. 22 Schon im Umfeld war es zu propagandistischen Scharmützeln (etwa zwischen Clay und Tjulpanow) gekommen. Am 8. Oktober, d.h. am letzten Tag des Schriftstellerkongresses, untersagten die Amerikaner dem Kulturbund jede Tätigkeit in ihrem Sektor und forderten ihn auf, gemäß einer Verordnung der Alliierten Kommandantur vom 23. Januar erneut den Antrag auf Anerkennung zu stellen; andernfalls gelte er ab dem 1. November als verboten. Damit kam eine Auseinandersetzung zum Abschluß, die schon länger schwelte und bereits seit einiger Zeit auf der Tagesordnung der Alliierten Kommandantur gestanden hatte. Der Konflikt und die Art, wie er publizistisch ausgeschlachtet wurde, ist symptomatisch für die Abkühlung des politischen Klimas. Daß die Spannungen auch in den Kongreß selbst hineingetragen wurden, konnte nicht ausbleiben. 23 Den sowjetischen Delegierten, geschult, die Signale des stalinistischen Diskurses aufzunehmen und umzusetzen, fiel die Aufgabe zu, die neue Abgrenzungspolitik und Entscheidungsforderung einzubringen, ohne daß die deutschen Intellektuellen begriffen, was tatsächlich vor sich ging. Schon in seiner Begrüßungsansprache gab Dymschitz im Sinne Shdanows vor: »Der Kampf zwischen dem Neuen und dem Alten, zwischen Demokratie und Reaktion entwickelt sich in Ihrem Lande mit ungewöhnlicher Intensität und die Sprache des Schwertes erstarkt mit jedem Tag.« 24 Der Dramatiker Wsewolod Wischnewski und später der Erzähler Boris Gorbatow aus der sowjetischen Delegation sekundierten ihm, indem sie antipazifistische Attacken gegen die »schwarze Reaktion« und »Barbarei« im Westen ritten. 25 Der eigentliche Eklat wurde durch den in letzter Sekunde ins Pro-

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Vgl. Anneli Hartmann/Wolfram Eggeling: Kontroverse Ost/West. Der I. Deutsche Schriftstellerkongreß - ein Beginn des Kalten Krieges. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 17 (1992) Η. 1, S. 6 6 - 9 2 . Z u m Diskussionsverlauf im einzelnen vgl. Carsten Gansei: Parlament des Geistes. Literatur zwischen Hoffnung und Repression 1945-1961. Berlin: BasisDruck 1996, S.41-92. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß 1947 - veranstaltet vom Schutzverband deutscher Autoren. Original-Protokoll, Bd. 1, Akademie der Künste (AdK). Berlin: Archiv des Schriftstellerverbands (ASV) 66, S. 11. Es ist bemerkenswert, daß beim Abdruck der Rede in der Täglichen Rundschau eine signifikante Korrektur vorgenommen wurde. Dort heißt es: »Und die Kräfte des Fortschritts erstarken mit jedem Tage.« (»Die Literatur - Seele des Volkes«. Rede Oberstleutnant Dymschitz' auf dem Schriftsteller-Kongreß. In: Tägliche Rundschau, 4.10.1947.) Auf diese Abänderung hat als erster aufmerksam gemacht: Carsten Gansei: Wider die »gestockten Widersprüche«, für Denkbewegung und Grenzüberschreitung. Zur gegenwärtigen Situation in der Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für Germanistik N. F. 1 (1991), S. 130f. - Die Dokumente zum Ersten deutschen Schriftstellerkongreß sind inzwischen im Druck erschienen: Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.-8. Oktober 1947. Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau 1997. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 1, S. 317f. Vgl. die ebenfalls abgemilderte Berichterstattung im Neuen Deutschland: Me.: Die erste nationale Tagung der deutschen Schriftsteller. In: Neues Deutschland, 7.10.1947; Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. Original-Protokoll. Bd.2. AdK: ASV 67, S.713. Siehe auch: Boris Gorbatow: Ich glaube an den Menschen. In: Tägliche Rundschau, 14.10.1947.

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gramm geschobenen Auftritt des amerikanischen Journalisten Melvin J. Lasky ausgelöst. Lasky entwarf ein positives Bild von der Meinungsfreiheit in den USA, um ihm die schwierige, von Zensurbedingungen geprägte Situation der sowjetischen Künstler entgegenzuhalten, die sich stets nach der neuesten Parteidoktrin zu richten hätten und mit ihrem Schaffen ein hohes persönliches Risiko eingingen. In den polemischen Repliken von sowjetischer Seite wurde Lasky mit Goebbels verglichen, als »leibhaftiger Kriegsbrandstifter« und Trotzkist bezeichnet und als »Mensch von abstoßendem Äußerem« verunglimpft. 26 Trotz Günther Weisenborns fast beschwörender Ermahnung »Unsere ausländischen Gäste sprechen außerhalb der Tagesordnung, und es steht uns nicht zu, an ihren Äußerungen Kritik zu üben«, 27 war ob der Vehemenz der Konfrontation nicht einfach zur Tagesordnung zurückzukehren. Das Erwachen aus der Illusion alliierter Harmonie stand bevor, selbst wenn die deutschen Teilnehmer dies nicht wahrhaben wollten. Eine Forderung, wie sie Gorbatows Schlußvotum enthielt, »Es gibt eigentlich doch zwei Lager, ein gewaltiges Lager der Demokratie und ein kleines Lager der Reaktion. [...] Und jeder von uns muß für sich selbst entscheiden, in welchem Lager er steht«, bedeutete noch keinen verbindlichen Befehl für die deutschen Schriftsteller. Doch schon bald sollte auch in Deutschland der Kalte Krieg die Hilfestellung der Kultur für den Politikbereich verlangen. Mit der organisatorischen Weichenstellung wurde von der SED unmittelbar nach dem Schriftstellerkongreß begonnen. 28 Die Bündnisstrategie unter antifaschistisch-demokratischen Vorzeichen hatte ausgedient. Die neue ideologische Programmatik stand, Shdanows Zwei-LagerTheorie umsetzend, im Zeichen der Abgrenzung: hier Sozialismus, Verteidigung des Friedens und der Kultur, dort Imperialismus, Kriegshetze, Kulturlosigkeit. Ein im August 1948 nach Wroclaw einberufener »Kongreß der Intellektuellen« vereinigte erstmals Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler vieler, auch kapitalistischer Länder unter dem Nenner »Verteidigung des Friedens«. Doch der Kongreß, von dem einladenden französisch-polnischen Initiativkomitee als Forum der Sammlung geplant, um heißen und kalten Krieg zu verhindern, sollte sich als Schauplatz der Spaltung erweisen. Das ideologische Aufladen des Friedensenga-

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Vgl. Valentin Katajews Replik, in: Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd.2, S.557; Alexander Dymschitz: Ein Provokateur ohne Maske. In: Tägliche Rundschau, 11.10.1947. Es lag vor allem an der Lasky-Rede, daß die Beiträge des Kongresses erst fünzig Jahre später publiziert werden konnten. - Zu der langwierigen Publikationsgeschichte vgl. Ursula Reinhold/Dieter Schlenstedt: Vorgeschichte, Umfeld, Nachgeschichte des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses. In: Ursula Reinhold u.a. (Hg.): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, S. 13 f. Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, Bd. 2, S.558. Vgl. dazu im einzelnen: David Pike: The Politics of Culture in Soviet-Occupied Germany. 1945-1949. Stanford/Ca.: Stanford University Press 1992, S.423ff.; Gerd Dietrich: Politik und Kultur in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945-1949. Mit einem Dokumentenanhang. Bern, Berlin, Frankfurt/M., New York, Paris, Wien: Lang 1993, S. 11 Iff.

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gements - aggressiv-militanter, antiwestlicher Friedenskampf statt eines beide Lager einbeziehenden Eintretens für den Frieden - blieb dem Generalsekretär des sowjetischen Schriftstellerverbands, Alexander Fadejew, vorbehalten. In seinem Grundsatzreferat attackierte Fadejew nicht nur mit einem ganzen Katalog von Vorwürfen die »Herren Imperialisten«, sondern er diffamierte auch prominente westliche Schriftsteller wie Eugene O'Neill, Henry Miller, Dos Passos, Jean-Paul Sartre und T.S. Eliot als »Kettenhunde« ihrer Herren. Wenn »Schakale auf der Schreibmaschine schreiben könnten«, käme etwas wie von Eliot, Miller oder Malraux heraus. 29 Der »Redner vom Moskauer Zentralkomitee [machte] alles jäh erfrieren«, hielt Hans Mayer die Schockwirkung der Rede fest. 30 Er bezeichnete den Kongreß als das »Große Religionsgespräch« 31 - verlangt war fortan das Bekenntnis von Glaubensvertretern; Zweifelnde wurden als Häretiker ausgestoßen, andere Stimmen unterdrückt (so wurde z.B. Einsteins Botschaft an den Kongreß mit dem Vorschlag, eine Weltregierung zur Kontrolle der atomaren und konventionellen Angriffswaffen einzusetzen, nicht verlesen und entgegen der Ankündigung des Generalsekretärs des Kongresses, Jerzy Borejsza, nicht in den Konferenzband aufgenommen). 3 2 Der Wroclawer Kongreß hatte weitreichende Konsequenzen - auch für die DDR. 3 3 Wenn in der S B Z / D D R mit aller Macht und unter Einspannung aller Organisationen die Friedensbewegung übernommen wurde, erklärt sich dies aus deren doppelter Funktion für die DDR: Außenpolitisch signalisierte sie den Anschluß an das sozialistische Lager; innenpolitisch hatte sie die Aufgabe, den Transfer von Elementen des sowjetischen Modells stalinistischer Prägung ideologisch zu verankern, wobei es eine Gemengelage von Außensteuerung und Internalisierung gab. Dekrete und Entscheidungen zur sozialistisch-stalinistischen Transformation der DDR-Gesellschaft aus Moskau verzahnten sich mit Dispositionen und Aktivitäten auf deutscher Seite. Denn die deutschen Funktionäre verfolgten eigene Machtinter-

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Congres mondial des intellectuels pour la paix Wroclaw - Pologne, 2 5 - 2 8 aoüt 1948. Compte-rendu presente par le bureau du secretaire general. Warschau 1949, S.24f. Die Rede ist auch in einem Kongreßbericht im Archiv des sowjetischen Komitees zur Verteidigung des Friedens enthalten, G A R F 9539/1/1. Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen. Bd. 1. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S.406. Vgl. Ernst Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945-1955. Wien, München, Zürich: Fritz Molden 1973, S.249; Max Frisch: Tagebuch 1946-1949. 86.-105. Tsd. München, Zürich: Droemer Knaur 1969, S.218. Fischer und Frisch halten ebenfalls fest, daß der sowjetische Autor alle Verständigungsversuche unterminierte. Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf, Bd. 1, S.402. Vgl. Rudolf Heukenkamp: »Gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers«. Literarische Beiträge zum Atomdiskurs. In: Ursula Heukenkamp (Hg.): Unerwünschte Erfahrung. Kriegsliteratur und Zensur in der D D R . Berlin, Weimar: Aufbau 1990, S.279ff. Vgl. im einzelnen: Anneli Hartmann/Wolfram Eggeling: Der Wroclawer Kongreß (1948) und die Friedensbewegung: Stalinisierung mittels Friedenskampf. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hg.): Germanistentreffen Bundesrepublik Deutschland-Polen: Tagungsbeiträge. Bonn 1994, S. 177-201.

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essen, die sie mit Hilfe der sowjetischen Autorität zu legitimieren und zu behaupten suchten, wobei die unsichere deutsch-deutsche Situation einen besonderen Druck zu Anpassung und vorlaufendem Gehorsam bedeutete. Die Übernahme des sowjetischen Modells war also ein zweiseitiger Vorgang, wobei eine innere Entwicklungslogik ebenso in Rechnung zu stellen ist wie der Selbstlauf von einmal nach einem bestimmten Vorbild modellierten Organisationen. Als ab 1948/49 das sowjetische Modell mit Merkmalen wie Einparteienherrschaft, umfassender Kontrolle aller Gesellschaftsbereiche (Zensur), dem Prinzip des »demokratischen Zentralismus«, Planwirtschaft in der S B Z / D D R installiert wurde, war die Kultur als Bestandteil dieses Gefüges selbstverständlich zentral mit betroffen. Denn »Kultur« ist nicht auf den Fundus künstlerischer Hervorbringungen zu reduzieren, sondern umschließt auch deren Abhängigkeit von der Politik und die Vernetzung mit der Ideologie in ihrer Funktion, das Verhältnis zur Welt und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu klären und verbindlich zu bestimmen. Der Friedenskampf diente ähnlich wie die damaligen innersowjetischen Kampagnen in der Kulturpolitik, Philosophie, Ökonomie und Biologie der Durchsetzung des Geltungs- und Interpretationsmonopols einer einzigen Linie. Jede wissenschaftliche Entscheidung war nun auch eine politische: Abweichende Meinungen zu vertreten, bedeutete fortan, sich als Feind der Sowjetunion zu erklären. Auch in der D D R , wo die sowjetischen Wissenschaftskampagnen der 40er Jahre nicht als Diskussionen., sondern als Ergebnisse mit verbindlichem Wahrheitsanspruch eingeführt wurden, trat an die Stelle von werbenden Maßnahmen und Überzeugungsarbeit ein umfassender Dirigismus. Die Intellektuellen büßten ihre (zumindest potentielle) Rolle als Partner der Politik ein, sie wurden »Rädchen und Schräubchen« in deren Apparat, der ihnen Entscheidungen abnahm und nur noch deren Bestätigung verlangte. In diesen Zusammenhang ist auch die planmäßige Erfassung, Organisierung und Schulung der Intellektuellen zu rücken, der sich praktisch niemand entziehen konnte. Dabei gingen sowjetische und deutsche Funktionäre von der falschen Voraussetzung aus, daß durch Propaganda und Agitation das gewünschte Bewußtsein, ja mehr noch: die gewünschte Realität herzustellen sei. Die Forderungen bezogen sich nicht allein auf das politische Verhalten, sondern der Schriftsteller und Künstler sah sich vor konkrete thematische Aufgaben gestellt und mit formalen Vorgaben konfrontiert. Ähnlich wie in der UdSSR, wo seit Beginn des ersten Fünfjahrplans im Jahre 1929 den Schriftstellern und bildenden Künstlern der »soziale Auftrag« zugewiesen worden war, wurde er mit Einführung der Planwirtschaft 1948 auch den Kunstschaffenden der SBZ erteilt. Neben der auf Shdanows Zwei-Lager-Theorie aufgebauten Friedensbewegung gehörten Aufbau und Planwirtschaft zu den ideologischen Kernbereichen der sozialistischen Transformation in der SBZ. Auf zahlreichen Tagungen und Versammlungen wurde von den Künstlern gefordert, sich der »Gegenwart zuzuwenden«, die man in einen linearen Zusammenhang mit den Belangen der Produktion brachte. Der Kampf zur Durchführung des Plans »gegen reaktionären Widerstand und Sabotage der Feinde des Volkes« sei hart, so Ackermann auf einer im September 1948

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veranstalteten Tagung »Künstler und Schriftsteller im Zweijahrplan«: »und keiner kann in ihm beiseitestehen. Jeder Schriftsteller und jeder Künstler wird in seiner Arbeit die Durchführung des Zweijahrplans ablehnen oder bejahen, hemmen oder fördern«. 34 Für die prominenten Autoren der älteren Generation, auch die Rückkehrer aus dem Exil, hatte die so geartete Auftragserteilung Ende der 40er Jahre beträchtliche Konsequenzen. Vielfach wurde angemahnt, daß ihr Schreiben unstatthaft rückwärtsgewandt sei und sie dem neuen Gegenstand nicht den fälligen Tribut zollten. 35 Im Zuge der 1949/50 in der Täglichen Rundschau ausgetragenen Diskussion Wo steht die Gegenwartsdichtung? monierte Otto Gotsche, damals persönlicher Referent Ulbrichts: »Die, wie sie glauben, >Berufenen< haben versagt, sie lassen >abklärenAbstandEs lohnt sich nicht, noch darüber zu diskutieren, man muß einen anderen Weg gehen: man muß neue Kräfte entwickeln^« 36 Damit waren Gräben aufgeworfen zwischen den Schriftstellern, die als Rückkehrer aus dem Exil oder als Überlebende des KZ den Blick auf die Vergangenheit als »künstlerische Notwendigkeit« auffaßten - so Herzfelde in der Diskussion - , um der Gegenwart allererst gerecht zu werden, und denjenigen, die eilig den »Tempoverlust« gegenüber dem Aufbau a b zugleichen suchten. Die Vorgaben betrafen nun auch die Art der Darstellung. Schon im August 1946, d. h. zeitgleich mit dem ZK-Erlaß zu Fragen der Kunst und Literatur, hatte Alexander Dymschitz in einer vierteiligen Artikelserie der Täglichen Rundschau die Züge einer neuen Kunst skizziert. 37 Sein Vorgehen war sowohl offensiv, indem die Notwendigkeit einer Kunst des sozialistischen Realismus vorgestellt wird, als auch abfedernd, durch den Hinweis, daß damit keine »genormte Lehre«, »kein Dogma« propagiert würde. Noch kamen zu jenem Zeitpunkt solche Beiträge ohne Drohgebärde aus und hatten keine konkreten Konsequenzen für die deutschen Künstler. Anders verhielt es sich 1948, als Dymschitz, wiederum in der Täglichen Rundschau, zwei Aufsätze Warum wir gegen Dekadenz sind38 und Über die formalistische

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Bekenntnis und Verpflichtung. In: Neues Deutschland, 5.9.1948. Vgl. Tagung der Schriftsteller und bildenden Künstler am 2. und 3. September in Klein-Machnow [Protokoll], SAPMO-BArch: ZPA IV 2/906/254. Vgl. Gustav Leuteritz: Wo steht die Gegenwartsdichtung? In: Tägliche Rundschau, 12.11.1949. Tägliche Rundschau, 23.12.1949. Tägliche Rundschau, 13.8., 14.8., 15.8. und 17.8.1946. Tägliche Rundschau, 21.3.1948.

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Richtung in der Malerei39 veröffentlichte. 4 0 Der erste, im März 1948 erschienene Beitrag argumentiert ganz im Sinne der Zwei-Lager-Theorie Shdanows: 41 Zwei Welten stehen einander gegenüber: die Welt des aufblühenden Sozialismus und die des verfallenden, unausweichlich zum Tode verurteilten Kapitalismus. Die zwei Welten, diese beiden wirtschaftlichen und sozialen Systeme, drücken auch dem Gebiet des Ideologischen ihren Stempel auf. Von der gleichen Unversöhnlichkeit, mit der sich zum Beispiel der millionenreiche Bankier und der sozialistische Arbeiter gegenüberstehen, ist der Gegensatz zwischen den beiden Typen geistigen Schaffens und künstlerischen Denkens, zwischen bürgerlich-dekadentem »Schöpfertum« und demokratischem Schöpfertum. Was hier als Ost-West-Gegensatz im Zuge der Polarisierung der Welt erscheint, wird im zweiten Beitrag vom November innenpolitisch gewendet und zu einer Absage an die bisherige Bündnispolitik verschärft. Die Verurteilung der Dekadenz geht jetzt mit harschen Angriffen auf das Bürgertum einher: Die formalistische Richtung in der Kunst ist ein typischer Ausdruck der bürgerlichen Dekadenz, die das künstlerische Schaffen entarten zu lassen droht, die einen direkten Anschlag auf das Wesen der Kunst bedeutet, die die eigenste Natur der Kunst zerstört und ihre Selbstauflösung herbeiführt. Daher ist der Kampf gegen den Formalismus ein Kampf um die Kunst, um die Rettung des künstlerischen Schaffens vor dem ihm drohenden Untergange. Zwar trägt Dymschitz' Artikel den Untertitel Bemerkungen eines Außenstehenden, doch ist der richtunggebende Charakter des Beitrags nicht zu übersehen. Jetzt wurden auch erstmals Künstler aus den eigenen Reihen, insbesondere Karl Hofer, namentlich angegriffen: Die Hartnäckigkeit, mit der dieser Maler die von ihm erfundenen Formen der Wirklichkeitsverfälschung kultiviert, ist ein Beweis dafür, daß in seiner Kunst er dem Leben den Rücken wendet und sich in eine Welt von Phantasien begibt, die, wie jede subjektivistische Phantasie, die Probe des Lebens nicht bestehen. Dies bedeutete ein unmißverständliches Einschwören auf den - nun einzig - >richtigen< Weg und eine klare Kampfansage. Der Artikel von Dymschitz wurde umgehend durch flankierende Beiträge von deutschen Autoren aufgegriffen und verbreitet. 1950 wurde dann deutlich erkennbar, daß die SED-Führung zur >Übernahme< der Formalismuskampagne, die in der Sowjetunion bereits 1948 ihren Höhepunkt erreicht hatte, gewillt war bzw. von sowjetischer Seite dazu genötigt wurde. Konsequent »lief« dann - von oben verordnet - die Formalismusdiskussion nicht nur in allen Bereichen »an«, ihr kulturpolitisches Argumentationsmodell wurde auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der

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Tägliche Rundschau, 19. und 24.11.1948. Schon 1947 war es in Organen der SED, z.B. der Zeitschrift Einheit, zu vereinzelten Angriffen gegen den Formalismus gekommen. Vgl. Günter Erbe: Die verfemte Moderne. Die Auseinandersetzung mit dem »Modernismus« in Kulturpolitik, Literaturwissenschaft und Literatur der DDR. Opladen: Westdeutscher Verlag 1993, S.59. Diese Theorie hatte er bereits vorher vertreten. Vgl. Lüd.: Große Form aus neuem Inhalt. Dymschitz und Barski über sozialistische Kultur. In: Berliner Zeitung, 2.12.1947.

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S E D im März 1951 auch gleichsam höchstamtlich festgelegt. Die auf dieser Konferenz unter dem Titel Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Literatur angenommene Entschließung stellt »das programmatische Dokument jener Jahre« 4 2 dar. Das Dokument hatte, ganz ähnlich wie der sowjetische ZK-Erlaß von 1946, zwei Stoßrichtungen: Außenpolitisch zielte es gegen den amerikanischen »Imperialismus«, bezweckte also Abgrenzung; innenpolitisch intendierte es die Disziplinierung der heimischen Intelligenz. Gerade das Gemenge politischer Kategorien mit - nicht präzisierten - ästhetischen Argumenten verrät diese Absicht. 4 3 Seitdem häufen sich in den privaten Briefen Friedrich Wolfs, Ehm Welks, Erich Weinerts, Willi Bredels, Alfred Kantorowiczs u.a. die Klagen darüber, daß sie nicht mehr rezensiert, gedruckt, berücksichtigt würden, ja daß die Atmosphäre nachhaltig vergiftet sei. So resümierte Ernst Bloch in einem Brief an den Bildhauer Gustav Seitz, der Ernst Barlach gegenüber den Formalismus-Vorwürfen von Kurt Magritz 4 4 verteidigt hatte: Auf philosophischem Gebiet gibt es Parallelen zu diesem Magritz [...]. Der gleiche freche Dilettantismus (das Wort ist fast zu vornehm), der gleiche mörderische Größenwahn. Sie nehmen Rache am Geist, den sie nicht haben und kennen. Sie verwandeln die Künstlerund Gelehrtenrepublik in einen Polizeistaat [...]. 4 5

Daß es sich hierbei um »keine privaten, sondern symptomatische Fälle« handelte 4 6 die Künstler zum Verstummen brachten, ist mit Alfred Kantorowicz, ebenfalls ein Leidtragender der rigiden Kulturpolitik, hervorzuheben. Kantorowicz prägte im Zusammenhang mit Stückabsetzungen und Schriftstellerdiffamierungen voll bitterem Sarkasmus den Ausdruck: »Die Kristallnächte der Funktionäre«. 4 7 Doch die Intellektuellen machten ihr Wissen nicht publik. Es kam zur Ausbildung eines doppelten Bewußtseins, öffentliche und interne oder private Rede klafften auseinander. Die Schriftsteller und Künstler waren hier vielfach Opfer und Täter zugleich, weil sie den sie bevormundenden Apparat bedienten und nicht de-

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Stephan Bock: Literatur Gesellschaft Nation. Materielle und ideelle Rahmenbedingungen der frühen DDR-Literatur (1949-1956). Stuttgart: Metzicr 1980, S.91. Vgl. Leonore Krenzlin: Das »Formalismus-Plenum«. Die Einführung eines kunstpolitischen Argumentationsmodells. In: Jochen Cerny (Hg.): Brüche, Krisen, Wendepunkte. Neubefragung der DDR-Geschichte. Leipzig, Jena, Berlin: Urania 1990, S.58f. Magritz gehörte zu den Kritikern, die am schlimmsten gegen den Formalismus eiferten. Vgl. Wolfgang Harich: Es geht um den Realismus - Die bildenden Künste und die Kunstkommission. In: Berliner Zeitung, 14.7.1953. Es wurde auch verschiedentlich gemutmaßt, daß Magritz Autor oder Mitverfasser der mit N. Orlow gezeichneten, die Formalismus kampagne einleitenden Artikel Das Reich der Schatten auf der Bühne (Tägliche Rundschau, 19.11.1950) und Wege und Irrwege der modernen Kunst (Tägliche Rundschau. 20./ 21.1.1951) war. Ernst Bloch an Gustav Seitz, 11.1.1952. In: G.S.: Werke und Dokumente. Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. München: Prestel 1984, S.92f. Alfred Kantorowicz an Bertolt Brecht, 5.3.1952, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Nachlaß Kantorowicz I / B 18. Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. Bd. 2. Berlin: Verlag Anpassung und Widerstand 1979, S. 205.

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montierten, weil sie das fällige gesellschaftliche Engagement erbrachten, obwohl oftmals Spontaneität und kreatives Potential weggekürzt wurden. Politische Rücksichtnahmen spielten hier ebenso eine Rolle wie die Aufrechterhaltung einer Sozialismushoffnung, für deren Verwirklichung man nur im Osten und nicht im Westen Deutschlands Voraussetzungen sah. Der Mythos des antifaschistischen Neubeginns erwies sich als haltbarer Kitt. 48 Einerseits verloren die Intellektuellen an Macht, Einfluß und Möglichkeiten der Einrede, andererseits gehörten sie als Kader zu der über Herrschaftswissen verfügenden »Kaste der Eingeweihten«. Sie durchschauten zwar (wie Briefe, Tagebücher, Memoiren belegen) die Mechanismen der Macht, konnten diese Einsicht aber nicht preisgeben, da sie über ihren gesellschaftlichen Auftrag beteiligt wurden. Immerhin blieben sie privilegiert: Nicht nur wegen der ihnen gewährten materiellen Vergünstigungen, sondern auch durch den Nimbus eine schöne Seite des sowjetischen Modells mit dem, ganz ähnlich wie in Rußland, die Schriftstellerexistenz umgeben wurde.

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Vgl. Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Gustav Kiepenheuer 1996, S. 29-41.

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N ö t i g e Vergewisserung

Wer über Becher redet, hat sich mit zwei Diskursen auseinanderzusetzen, wenn er sich nicht von ihnen bestimmen lassen will. Der eine ist der politisch-moralische; der andere der Intellektuellen-Diskurs. Der Diskurs über den Schriftsteller und sein Verhalten in politischen Entscheidungssituationen führt im Falle dieses Autors und Intellektuellen, der sich zum >symbolischen< Repräsentanten eines politischen Systems machen ließ, in der Regel zur Beliebigkeit in Urteilen, Wertungen und Maßstäben. Das hat sich in den frühen 50er Jahren eingebürgert und dauert bis heute an. Bechers Lyrik wurde bald hoch gelobt, bald exemplarisch verrissen, so daß Vermittlung oder auch nur Annäherung der Aussagen ausgeschlossen war. Seit den 50er Jahren wurde Becher im Westen nicht mehr als Autor wahrgenommen, sondern pauschal als Protagonist des politischen Systems angesehen. Damit wurde er zu einer Spielfigur der System- und Regimekritik, und zwar nicht nur im Westen Deutschlands. Seitdem schwankt das Bild zwischen übermäßigem Lob und exemplarischem Verriß. Nicht darin aber liegt die methodische Schwierigkeit, über einen Fall Becher zu sprechen; denn aus der Perspektive der 90er Jahre lassen sich derartige Rezeptionsgeschichten und die Stereotype kritisieren, so daß differenzierte Darstellungen sowohl des Lyrikers als auch des Kulturpolitikers wieder möglich wurden. Hermann Kortes Geschichte der deutschen Lyrik seit 19451 gibt das Beispiel für das eine; Wolfgang Schivelbuschs Vor dem Vorhang2 für das andere. Entsprechende Korrekturen gehen im Falle anderer Autoren wie Arnold Zweig, Anna Seghers inzwischen relativ leise und unspektakulär vor sich. Aber Bechers Wirken und Produktion nach 1945 läßt sich von der Geschichte der deutschen Teilung und der Entstehungsgeschichte der D D R auf keine Weise abtrennen. Daher steht jede Aussage über Becher jetzt, in der Mitte der 90er Jahre, im Kontext der jeweils ungeprüft übernommenen Teile der früheren Urteilsbildung über die D D R und im gegenwärtigen Dissens über diese Urteile, der sich gerade in der Diskussion über die Anfangsjahre ausprägt. 3 Die Arbeit an der Kulturgeschichte der Nachkriegsjahre hat mit dieser

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Hermann Körte: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945. Stuttgart: Metzler 1989. Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948. München, Wien: Hanser 1995. Jens Fietje Dwars: Abgrund des Widerspruchs. Das Leben des Johannes R. Becher. Berlin: Aufbau 1998.

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Offenheit zu rechnen. Sie hat zu akzeptieren, daß eine Reihe von Problemen einstweilen Gegenstand der Kontroverse bleiben müssen oder sogar dazu gemacht werden sollten. Im Falle Bechers zeigt sich die jeweilige Vorurteilsbildung, die der Diskurs verordnet, daran, daß Fragestellungen relativ beliebig gewählt sind und der Historizität des Gegenstandes, des Becherschen Werkes oder Wirkens, kaum Rechnung tragen, so daß es auch an sachlich begründeten Untersuchungen lange gefehlt hat. Angemessen wäre es sicher gewesen, seine Gedichte in den Zusammenhang der deutschen Lyrik zu stellen oder den Traditionen nachzugehen, auf die Becher selbst sich berief. Seine Rolle auf dem kulturpolitischen Felde wiederum wurde, sieht man von einigem ab, was Hans Mayer dazu gesagt hat, nicht unter dem Aspekt der realen Handlungsmöglichkeiten beurteilt, die ein Autor oder Kulturpolitiker im Deutschland der 40er Jahre und in der D D R der 50er Jahren besaß. So war es beinahe zu fürchten, daß nach 1990 die allgemeinen Vorwürfe an die Autoren aus der D D R , auf die Formel »Verrat an der Literatur« gebracht, in besonderem Maß auf Becher bezogen wurden und damit die Tonart vorherrschen würde, die bereits Luise Rinser in ihrem Absagebrief an Becher angeschlagen hatte. 4 Wenn nun auch reichlich nebulös ist, was »Verrat an der Literatur« sein soll, so liegt immerhin nahe, Becher vorzuhalten, daß er in den Jahren der D D R den eigenen Projekten untreu geworden sei. Dazu hat er einigen Anlaß gegeben, schon dadurch, daß er auf öffentliche Kritik an der DDR-Entwicklung völlig verzichtete. Damit war er freilich nicht allein; erinnert sei nur an die Werkgeschichte der Buckower Elegien, die auf Brechts Veranlassung nicht an die Öffentlichkeit kamen. Doch Becher hatte außerdem - das wiegt mehr als der Posten des Ministers - , die politische Führung der D D R mit Projekten und Visionen beliefert, die diese zu ihrer Legitimation nutzen konnte und das auch tat. Doch sind derartige Verhaltensweisen, auch entsprechende literarische Verlautbarungen bei nahezu allen Autoren anzutreffen, die aus dem Exil nach Ostberlin gekommen waren. In diesem Punkte bestehen starke Übereinstimmungen. Es scheint daher geboten, das Urteil nicht am Einzelfall festzumachen, sondern vergleichend zu verfahren. Dabei ergibt sich das Phänomen, daß die Autorengruppe, die sich in Ostberlin in einem bekennenden Antifaschismus zusammenfand, sich zwar nicht immer mit den Machtträgern identifizierte, aber generell mit der Zielsetzung der Machtausübung. Diese Gruppe sah das Autonomie-Prinzip als grundsätzlich überholt und daher auch als nicht einklagenswert an, auch wenn im einzelnen, mehr als Becher es tat, um Freiräume für die Kunstausübung gekämpft wurde. Die betreffenden Autoren räumten der DDR-Führung einen großen Kredit ein und schwiegen vielfach, wo sie ihrer Gesinnung nach hätten reden müssen. Dieses Phänomen kann nicht allein als Anpassung an die Macht beschrieben oder von der jeweiligen literarischen Produk-

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Luise Rinser an Johannes R. Becher, Februar 1951. In: Briefe an Johannes R. Becher. 1910-1958. Hg. von Rolf Harder. Berlin: Aufbau 1993, S.401-403.

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tion abgetrennt behandelt werden. Denn die literarisch-kulturellen Rückwirkungen einer geglaubten und vorausgesetzten Gemeinschaft zwischen Machtträgern und Autoren haben eine Vorgeschichte. Unter dem Aspekt der biographischen Dimension nicht nur der Exilerfahrung, sondern mehr noch der Vertreibung aus Deutschland im Jahre 1933, dem Verlust von Lebenswelt und Kommunikationsraum der 20er Jahre, wird die Bereitschaft, mit einer noch unverbrauchten politischen Führung zu kooperieren, begreiflich. Die Autoren waren der Überzeugung, daß die Chance einer nachkapitalistischen Gesellschaft gekommen sei und genutzt werden müsse, auch wenn sie gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt werden mußte. Daß diese durch den Nationalsozialismus durchweg korrumpiert sei, wurde beinahe stillschweigend vorausgesetzt und aus diesem Grunde auch deren politische »Entmündigung« akzeptiert. Diese an sich nicht unberechtigte Auffassung bewirkte wiederum eine geringe Empfänglichkeit für die Gedanken der politischen und auch kulturellen Demokratie. Die Hoffnung auf einen geschichtlichen Neuanfang war auch deshalb so fest, weil man die D D R als Alternative sehen wollte. Sie sollte der Preis für die verlorenen Jahre sein. Dieser Aspekt ist in der Forschung zur Literatur nach 1945 zu wenig berücksichtigt worden, obwohl die betreffenden Autoren selbst ziemlich häufig das Opfer an Lebenszeit reflektierten, das sie, nach ihrem Verständnis, der »Geschichte« gebracht hatten. Und ihre Märchen von der »wunderbaren Fahne«, von der »glücklichen Menschengemeinschaft« oder von der »Kraft der Schwachen« laufen alle auf die Beschwörung einer gelungenen Ankunft hinaus. Die biographische Prägung durch das Exil zeigt Determinationen des Verhaltens dort, wo ein Urteil vom Zuschnitt des moralisch-politischen Diskurses die Freiheit von Gewissen und Entscheidung voraussetzt. Über diese Freiheiten verfügte ein deutscher linker oder gar kommunistischer Autor seit 1933 nicht mehr, weder subjektiv, unter dem Aspekts seines Ermessens, noch tatsächlich, unter dem Aspekt seiner Handlungsräume. Urteilsformen, die derartige Maßstäbe anlegen, sind auf ihre Tauglichkeit zu prüfen angesichts des Erfahrungshintergrunds dieser Autoren, deren Etablierungsversuche mehrfach vereitelt worden waren und für die es zu einem entscheidenden Umstand wurde, daß sie endlich die Bedingungen fanden, unter denen sie arbeiten und auch wirken konnten. Eine Folge der neuerlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sollte es sein, sich um die Historisierung der bisher vernachlässigten Bewertungsgrundlage des politischen Verhaltens dieser nach 1933 aus Deutschland vertriebenen Autoren zu bemühen. Die Exilerfahrungen begründeten wesentlich die Erwartungen der Rückkehrer. Im Falle Bechers läßt sich zum Beispiel beobachten, daß er bereits in den 30er Jahren einen Umbau seiner Wertordnung vornahm. Die »Revolution«, im marxistischen und zugleich utopisch-visionären Sinne verstanden, wurde vom Platz der finalen Zielvorstellung verdrängt. An ihre Stelle trat als neue Bezugsgröße mit utopischer Leuchtkraft »Deutschland«. Mit Hilfe von Selbstaussagen aus den Nachkriegsjahren läßt sich ziemlich genau bestimmen, wodurch der Wechsel motiviert ist. Becher hat sich in Briefen unumwunden und gegenüber Adressaten, bei denen

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solche Offenheit seinerseits nicht unbedingt zu erwarten war, mehrfach darüber geäußert, was »Exil« für ihn bedeutete. So schreibt er zum Beispiel an Hans Carossa, das Exil sei ein Fegefeuer, ja die Hölle gewesen. Er hebt hervor, wie schnell er das Exil vergessen habe, seit er wieder in Deutschland sei. In Kenntnis solcher Dokumente wie der Tschistka-Protokolle 5 fällt es nicht schwer, diese Aussagen zu interpretieren. Die Notwendigkeit, historische Beschreibungsverfahren einzuführen, besteht auch im Falle des zweiten der beiden Diskurse, von denen oben die R e d e war, dem Intellektuellen-Diskurs. Hierbei geht es um die Methode der Beschreibung von Dispositionen, die durch den Marxismus vorgegeben waren und in der D D R zu spezifischen Ausprägungen führten. Als gesellschaftliche Übereinkunft galt, daß die Angleichung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen das Ziel der D D R sei und den eigenen Inhalt der sozialistischen Verhältnisse ausmache. Daraus folgte, daß die Rolle des Intellektuellen in der Form des »bürgerlichen Intellektuellen« und in Richtung der Aufhebung seiner partikularen Existenzbedingungen reflektiert wurde. »Kulturrevolution«, ein Begriff, den Becher ins »Feld« warf, stellte einen durchaus nicht folgenlosen Entwurf für eine solche Angleichung dar. Die Lossagung von der Rolle des »bürgerlichen Intellektuellen« wurde gleichzeitig vollzogen; rückblickend wurde dessen geschichtliche Existenz vielfach unter dem Vorzeichen der »Schuld« behandelt; auch das eine Anschauungsweise, die vorwiegend in den Exiljahren ausgebildet worden war. Kulturrevolutionäres Projekt und Abrechnung mit dem Versagen des Intellektuellen brachten jene spezielle Semantik hervor, in der intellektuelle Selbstkritik als Kritik des Bürgerlichen eine Brechung erfuhr. Die betreffenden Varianten wurden von der Autorität der antifaschistischen Intellektuellen, d.h. von den Autoren der älteren Generation, festgelegt. In der »Tui«-Variante überwog die Abrechnung mit den »Intellektuellen«, die selbstredend auch Aussage über die Hörigkeit der Intellektuellen gegenüber dem Nationalsozialismus war. Sie ging bis zur Feindseligkeit und konnte durchaus masochistisch erscheinen, wenn man die allgemeine Degradierung der Intelligenz und besonders die Abwertung ihres Status durch die politische Führung, also die SED, in der D D R mitbedenkt. Diese Variante wurde bei jenen Autoren ausgearbeitet, die in der D D R das Projekt der sozialen Gerechtigkeit und der Überwindung des Kapitalismus sahen und eine moderne Gesellschaft mit egalitärer Perspektive erwarteten. Wichtige Protagonisten sind Hanns Eisler und Bertolt Brecht. In Brechts Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher artikuliert sich ebenso wie in Eislers Libretto zur nie entstandenen O p e r Johann Faustus6 eine Art spätbürgerliches Schuldbewußtsein gegenüber denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, also grundsätzlich in »entfremdeten« Verhältnissen existieren. Das war keinesfalls ledig-

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Georg Lukäcs/Johannes R. Becher/Friedrich Wolf u.a.: Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Hg. von Reinhard Müller. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991. Hanns Eisler: Johann Faustus. Oper. Berlin: Aufbau 1952.

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lieh eine Referenz an die herrschende Auffassung von der D D R als einem »Arbeiterstaat«. Vielmehr sah Brecht bereits seit dem Ende der 20er Jahre die Klassengegensätze als Differenz der Existenzformen an. In der Heiligen Johanna der Schlachthöfe hatte er zuerst begonnen, das Dasein der Arbeiter mit Verbannung in die »Tiefe« und Gewöhnung an die »Kälte« zu verbinden. 7 Nach 1945 trat das Schuldgefühl, das vormals die Figur der Johanna ausgedrückt hatte, in Brechts Aussagen über die Lage des Produzenten der materiellen Güter, über dessen lebenslängliche Entfremdung zutage. Da ist dann die Rede vom »unerträglichen Leben in der Tiefe«, das »dennoch gelebt wird« 8 und von den »schrecklichen und nie endenden Arbeiten, die ihm den Unterhalt geben sollen«. 9 Figuren wie der Hirsebauer Tschaganag Bersijew aus der Erziehung der Hirse sind in diesen Diskurs gestellte Entwürfe der Aufhebung des arbeitsteilig begründeten Privilegs des Intellektuellen, die Brecht einer wirklich modernen, die kapitalistische ablösenden Gesellschaft zutraute. Becher dagegen steht für die andere Variante des Diskurses. Er hat das soziale Projekt nur oberflächlich wahrgenommen, soziale Gerechtigkeit war nie ein Fluchtpunkt seines Denkens. Vielmehr wird sein Ansatz der Interpretation der >Wunschgesellschaft< aus romantischer Quelle gespeist und bezieht sich auf einen geistesgeschichtlichen Hintergrund des triadischen Geschichtsdenkens mit Kernmetaphern wie der »Aufhebung« der in der bürgerlichen Gesellschaft eingetretenen entfremdeten Individualität. Berührungen mit spätbürgerlichen Denkansätzen, sogar der »konservativen Revolution« sind bezüglich der kulturellen Sphäre nicht von der Hand zu weisen. Sie materialisieren sich u.a. in der Anspielung, die Becher in den Namen der Zeitschrift legte, die ursprünglich Die Tradition heißen sollte, dann aber den Titel Sinn und Form erhielt. Denn Becher hatte ein Bild der »neuen Kultur«, in dessen Zentrum der Dichter stand, umgeben von einer Aura und berufen, das Gewissen der Nation zu sein, also ein moralisches Amt auszuüben. Dieses Bild setzt sich aus Metaphern zusammen, die teilweise aus dem Fundus des Selbstverwirklichungsdenkens, der Sehnsucht nach Erlösung von bürgerlicher Isoliertheit durch Rückbindung ans Ganze kommen, teils auch aus der Vorstellung von Heimkehr ins Volk, von der Annäherung an die Natur gespeist sind. Bechers »Menschengemeinschaft« zielt nicht auf eine »moderne« Gesellschaft, sondern auf eine imaginäre Gemeinschaft, in der sich die Neugeburt eines wahren Geistes des Volkes vollziehen soll. Wiederum nicht nur bei ihm

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Johanna: »So kalt war's nicht in meinem Traum. [...] Und sicher standet ihr/Schon in vielen Nächten vieler Jahre/Beisammen und lerntet/Kalt zu denken und furchtbar.« Bertolt Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe. In: Β. B.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd.3: Stücke 3. Berlin, Weimar, Frankfurt/M.: Aufbau, Suhrkamp 1988, S. 198 und 201. Bertolt Brecht: Die neue Mundart. Aus: Buckower Elegien. In: Β. B.: Werke. Bd. 12: Gedichte 2. Berlin, Weimar, Frankfurt/M.: Aufbau, Suhrkamp 1988, S.311. Bertolt Brecht: Kleines Organon für das Theater. In: Β. B.: Werke. Bd. 23: Schriften 3. Berlin, Weimar, Frankfurt/M.: Aufbau, Suhrkamp 1993, S. 97.

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wird diese Rückerinnerung teilweise inbrünstig beschworen, so daß vormoderne Züge der DDR-Gesellschaft als Boten des »Neuen« ausgestaltet werden konnten. Schuldgefühle des Intellektuellen treten hier nicht auf. Das Selbstverständnis des Dichters ist in dieser Variante davon bestimmt, daß mit dem Abschied von der bürgerlichen Klasse eine Wahl vollzogen und damit aus dem Autor ein >Dichter des Volkes< geworden sei. Nachdem, wie die entsprechende Wendung im Diskurs hieß, >der Weg an die Seite der Arbeiterklasse gefunden< war, galt auch das »Anderswerden« als vollzogen. Außerhalb des Diskurses gesprochen, prägt sich in dieser Variante stärker die Tradition des Versöhnungsdenkens mit ihrer oft heilsgeschichtlichen Einfärbung aus. Das ästhetische Korrelat ist dann die Hochschätzung von »Volkstümlichkeit«. Hiermit korrespondiert ein nationaler Zug, das Vaterland, nicht Sprachraum, sondern Kulturgemeinschaft, wird als der Rahmen aufgefaßt, wo der Intellektuelle von seiner Vereinzelung erlöst wird, indem er ζ. B. das Dichteramt im Namen des Volkes verwaltet. Die oft in Wendungen wie »als namenloses Lied durchs Volks zu gehn« 1 0 beschworene Einfachheit steht im offenkundigen Widerspruch zur Stilisierung des Dichters als herausragende, exemplarische Individualität, die den Kern von Bechers Poetik der lyrischen Gattung ausmacht. Ein Bewußtsein dieser Aporie gibt es in Bechers späten Schriften jedoch nicht, da sein Konstrukt der >Wunschgesellschaft< insgesamt keinen Raum für Widersprüche aufweist. Angesichts der Lebenserfahrungen Bechers ist das zwar erstaunlich, aber es fügt sich in die Linie des tragischen Denkens, dessen Gewohnheit sich in der DDR-Kultur noch lange fortsetzte und schriftstellerische Profile begründete. Mit Widersprüchen konnte in dieser Linie nie rational umgegangen werden. Jede der beiden Varianten wurzelte in einem anderen Gesellschaftsbild; beide jedoch stimmten überein in dem Imperativ der Negation des >spätbürgerlichen Künstlersstinkenden Nationalismus< vorwarf, so ist ihm aber zu widersprechen. Vom amerikanischen Exil aus konnte er nicht nachvollziehen, warum Becher unentwegt seine Sehnsucht nach Deutschland beschwor, nicht begreifen, daß es sich um einen aus Angst und Ungeduld gemischten, hypertrophierten Fluchtwunsch handelte. Becher machte aus Deutschland einen Ort der Wunscherfüllung; die Rede vom »Märchenreich« übersteigert sich, enthält sonderbar unwirkliche Züge. Jedoch, Becher spricht nicht wie ein Nationalist. Denn es läßt sich in den Deutschland betreffenden Reden und Gedichten kein einziger von jenen Ansätzen zur Diffamierung des Anderen als des Fremden entdecken, die den Keim zum Feindbilde darstellt, das zum Nationalismus unbedingt gehört. Als 1947 das Feindbilddenken in Form der Ideologie der feindlichen Lager, im Osten als Antiamerikanismus, einsetzte, kamen die selben Mechanismen der Unterscheidung zwischen Wir-Gruppe und feindlicher Außengruppe erneut in Gang, die auch im Nationalismus stecken. Von ihnen ließ sich sogar Brecht anstecken, nicht aber Becher, der gar nicht zu den Fürsprechern des Denkens in Feindbildern gehörte und sie nur als Versatzstücke in öffentlichen Reden gebrauchte. Der Einzug des Kalten Krieges in die kulturelle Kommunikation wurde einer internationalen Öffentlichkeit das erste Mal von östlichen Akteuren auf dem Weltfriedenskongreß von Wroclaw (1948) demonstriert. Der Kongreß war Teil einer Reihe von Aktivitäten, durch welche die osteuropäischen Intellektuellen formiert werden sollten und auch wurden. Außerdem, aber erst in zweiter Linie, bestand die Absicht, die linke westeuropäische Intelligenz zu verpflichten, um die sozialistischen Strömungen der Nachkriegsjahre auszunutzen. Eine entsprechende Kampagne wurde 1947 mit einem offenen Brief Dr. Einsteins irrtümliche Ansichten, verfaßt von vier sowjetischen Physikern, eröffnet. 1 3 Einstein hat Anfang 1948 geantwortet; sein Brief war an den Kongreß gerichtet, wurde aber dort nicht vorgelesen. 14 Dem Brief der Physiker folgte noch 1947 ein weiterer offener Brief diesmal von »sowjetischen Schriftstellern« unter der Überschrift Mit wem geht Ihr, amerikanische Meister der Kultur? Er wurde in den Zeitschriften der SBZ, auch in der sonst zurückhaltenden Kulturbundzeitschrift Sonntag, publiziert, 13 und zwar genau zum Zeitpunkt, als der Erste deutsche Schriftstellerkongreß (Oktober 1947) in Berlin tagte, so daß er entsprechend kontraproduktiv gewirkt haben dürfte. Wenn man aus dem Exil in

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Bertolt Brecht: Notat vom 10.11.1943. In: B.B.: Werke. Bd.27: Journale 2. Berlin, Weimar, Frankfurt/M.: Aufbau, Suhrkamp 1995, S. 181. Dr. Einsteins irrtümliche Ansichten - ein offener Brief von vier russischen Gelehrten erschien am 26.11.1947 in der New Times (Moskau); deutsche Version in: Albert Einstein: Aus meinen späten Jahren. Frankfurt, Berlin: Ullstein 1984, S. 148-156. Einsteins Antwort an die Sowjet-Gelehrten erschien im Februar 1947 im Bulletin of the Atomic Scientists (Chicago); deutsche Version in: Albert Einstein: Aus meinen späten Jahren, S. 155-164. Mit wem geht Ihr, amerikanische Meister der Kultur? In: Sonntag, Nr.40, 5.10.1947, S.5.

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Moskau gekommen war, so konnte man wissen, was ein knappes Jahr später in Wroclaw ablaufen würde. Max Frisch wußte es nicht, fuhr ahnungslos nach Wroclaw. Sein Entsetzen spiegelt sich in seinem Tagebuch.16 Becher aber fuhr nicht nach Wroclaw; äußerte sich nicht; schrieb nicht einmal ein Gelegenheitsgedicht zu diesem Anlaß. Er hätte es nicht ertragen, durch seine Anwesenheit die Trennung von einem vormaligen Zentrum der deutschen Kultur zu bekräftigen. Die Oder-Neiße-Grenze war ein tabuisiertes Thema. Aber ihm war es unmöglich, in ein »polnisches Schlesien« zu reisen.17 Aus demselben Grunde sorgte er dafür, daß der Außau, die Monatsschrift des Kulturbundes, bis Anfang der 50er Jahre Beiträge von recht vielen Autoren veröffentlichte, die für die deutsche Kultur in Schlesien gestanden hatten. Auch August Scholtis beschreibt in seiner Autobiographie, welche Mühe man sich gab, ihn, den plebejischen Schlesier, für den Außau und den Kulturbund zu gewinnen. Eigentlich konnte Becher Wroclaw nicht ausweichen. Immerhin war die Delegation der ostdeutschen Schriftsteller in Wroclaw vom Kulturbund entsendet; und es gehörten Prominente wie Anna Seghers dazu.18 Diese hielt sich auf dem Kongreß offenbar abseits von ihren Landsleuten, worüber dann nachträglich im Präsidialrat des Kulturbundes Klage geführt wurde. Allerdings verzögerte die Zeitschrift Sonntag, auf die Becher einigen Einfluß ausübte, die Berichterstattung, bis schließlich Hans Mayer in einer betont inoffiziellen Weise, aber engagiert von seinen Eindrükken auf dem Kongreß >erzählteFrieden< betrafen -, findet sich im Augustheft 1948 nicht mal eine begleitende Textauswahl. Es scheint geradezu, als sei die Diskussion über den >magischen RealismusLinke< beziehe: Dieses »uns« allerdings bedeutet kein uns im engeren Sinne, sondern ein uns im Sinne einer wirklichen, freiheitlichen, demokratischen Entwicklung. 2 5

Das war die Antwort auf eine Beschwerde Lorbeers über den Besuch Bechers bei Gerhart Hauptmann, den Lorbeer für Unsinn hielt, besonders weil dieser Besuch zu Kontakten mit einem der »windigsten Gesellen der vergangenen >deutschen volkhaften DichtungVerrat< sollte insofern nicht die Rede sein; nur von einem anachronistischen Modell, das noch dazu in sich selbst brüchig war. Zum Erfolg hätte derartige Umsicht nur dann führen können, wenn es zu einem funktionsfähigen literarischen Feld gekommen wäre. Das wurde aber nicht nur durch den ideologischen Führungsanspruch der SED, der ihr Machtausbau im Laufe der 40er Jahre folgte, außer Kraft gesetzt. Die betreffenden Autoren waren selbst beteiligt; denn sie hatten ihre Position untergraben, als sie das Autonomieprinzip preisgaben, da sie es für ein Attribut »bürgerlicher« Literaturverhältnisse hielten. Von nun an lag eine tiefe Ironie in ihrer Situation, derzufolge sie sich permanent in Widersprüche zwischen ihrem Selbstverständnis als »sozialistische Autoren« und ihrem Status als Auftragnehmer im Rahmen einer staatlich und ideologisch gelenkten Kulturpolitik verwickelten. Im Falle Bechers äußerte sie sich darin, daß er danach trachtete, das politische Feld zu besetzen, doch gleichzeitig, ζ. B. als Mitglied des ZK der SED, die eigene Autorität und damit die Repräsentanz des literarischen Feldes schwächte, etwa indem er die ihm vorab bekannte Vorlage zum Formalismus-Plenum von 1951 passieren ließ, obwohl das einem vernichtenden Schlag gegen die von ihm vertretenen Interessen und die aller Autoren gleichkam. Becher stellte

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Bodo Uhse: Der Dichter und die Schufte. In: Aufbau 7 (1951) 5, S.407f. Johannes R. Becher: Rede auf dem Ersten deutschen Schriftstellerkongreß in Berlin, S.176f.

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sich von nun an blind vor der Realität, wenn er bis in die Mitte der 50er Jahre immer wieder Versuche unternahm, am Konzept »Nationalliteratur« festzuhalten.

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Deutschlandbild: Märchenreich und kalter Krieg

Niemand außer Becher sprach in den Jahren 1945 bis 1948/49 noch vom »Nationalgefühl«. Besonders seine Briefe zeigen, daß es sich nicht bloß um eine Formel handelte, sondern er sich wirklich verletzt fühlte von der Verewigung der Zonenstruktur oder der Festlegung der Nachkriegsgrenzen, die den Bestand »Deutschlands« beeinträchtigten. Offenbar hatte er noch angesichts des beginnenden Konflikts zwischen den Großmächten gehofft, daß Deutschland herausgehalten werden könne. Auf der Ersten Bundeskonferenz des Kulturbundes im Mai 1947 machte er sogar den Besatzungsmächten Vorwürfe wegen ihrer Deutschlandpolitik: N e u e Krisen melden sich an >und die Risse und Sprünge im Weltgebäude drohen nach wie vor mit Zusammenbruch und Einstürze Nun wirkt sich auch für uns Deutsche erst so recht aus, daß es uns nicht aus eigener Kraft gelungen ist, mit den Kriegsverbrechern rechtzeitig fertig zu werden und in unserem Haus selber Ordnung zu schaffen. [...] Aber wie kann ein Land auch befriedet werden, wenn die Siegermächte so offen ihre Meinungsverschiedenheiten vor der deutschen Bevölkerung ausbreiten, [...] wenn die deutsche Bevölkerung selbst in diesen Meinungsstreit mit einbezogen wird und sich gezwungen sieht, auf der Seite der oder jener Besatzungsmacht gegen die andere Besatzungsmacht Partei zu ergreifen! [...] Die trübe Hoffnung wuchert, aus einem zwischen den Alliierten ausbrechenden kriegerischen Konflikt einen deutschen Sonderprofit herauszuschlagen. Es sei hier unmißverständlich und mit aller Entschiedenheit betont, daß wir Deutsche bei einem solchen Konflikt nicht nur nichts zu gewinnen hätten, sondern nur noch den Rest dessen verspielen würden, was uns noch verblieben ist. 39

Dergleichen Beschwörungen erfolgten zwischen der Rede an München (1946) und der auf dem Bundeskongreß des Kulturbundes, Befreiung (1949), stets und ständig. Nach und nach änderte sich jedoch, fast unabhängig von Bechers Absichten, die Bedeutung des nationalen Vokabulars, von dem er sich nicht trennte. Wenn er im November 1949 von der »tragischen Zerrissenheit unseres Volkes« sprach, 4 0 dann war angesichts der institutionalisierten Teilung der Wortgebrauch bereits entleert. Die Gründung der D D R selbst war ein schwerwiegender und nachhaltiger Schritt zur Verhinderung der Nation. Das verschwieg Becher und begründete damit den propagandistischen Gebrauch des nationalen Wortschatzes in der offiziellen Sprache der D D R bis 1961. Daß er, anders als 1947, die gefährliche Situation nicht mehr zur

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Johannes R. Becher: Wir, Volk der Deutschen. In: J. R. B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S. 9 6 - 9 8 . Die Ergänzung in spitzer Klammer ist dem Auszug aus der Rede Bechers im Sonntag vom 1.6.1947 (2. Jg., Nr. 22, S.3) entnommen. Johannes R. Becher: Befreiung. Deutsche Kultur und nationale Einheit. [Rede auf dem 2. Bundeskongreß des Kulturbundes am 24.11.1949]. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S.272.

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Sprache brachte, mag in einer Zeit mit hohem Konformitätsdruck noch erklärlich sein. Doch vermied er auch die Reflexion der Konsequenzen, die aus der Begründung eines zweiten deutschen Staates folgen mußten und die in Hinsicht auf die nationale Perspektive als der reine Sezessionismus anzusehen gewesen wären. Dieser Widerspruch, den Becher sich selbst verschwieg, manifestierte sich augenfällig in Text und Geschichte der Nationalhymne. Sie war für die D D R geschrieben, sprach von »Deutschland, einig Vaterland«. Aus diesem G r u n d e wurde der Text in der D D R später nicht mehr gesungen. »Die Lügen strafen die Verse«, urteilte der Lyriker Heinz Czechowski über solche Inkonsequenzen. Daher lesen sich dann Reden wie die vor dem Kulturbund im November 1949 wie Anweisungen, die Kultur als Mittel zur Unterwanderung der Bundesrepublik einzusetzen, so wenn von einer »reformatorische [n] Mission des Kulturbundes« gesprochen wird und von der Unwiderstehlichkeit einer »Bewegung, die solch einer geschichtlichen Befreiung dient«. 4 1 Z u retten wäre die Integrität des Projektes und seines Protagonisten ab 1949 nur noch durch Widerstand, entschiedene Gegenrede etwa, gewesen. Das brachte Becher nicht zustande. Mit dem Wunschbild ging auch ihm die Fähigkeit einer sprachlichen Selbstbehauptung verloren. Nach 1950 gelang kein Neuansatz mehr. Für den Lyriker war das eine Katastrophe; es bedeutete das E n d e seiner Produktivität, was er wohl registriert hat. Die politische Realität hatte das für Becher Undenkbare hervorgebracht und das ideelle Korrelat, die »Heimat Deutschland«, widerlegt. Infolge davon haftete seinen Reden ebenso wie seinen Gedichten eine Doppeldeutigkeit an. Ein Wortschwulst sollte die Leere, die mit dem Funktionsverlust eingetreten war, verhüllen. Bechers geistige Biographie läßt sich als Versuch der Erfüllung eines intellektuellen Heimat- und Heimkehrbedürfnisses beschreiben, der im Zuge des Kalten Krieges in die Krise geriet. Das politische Ansinnen scheiterte völlig; aber der poetische Ertrag, die Deutschland-Dichtung des Exils und der Nachkriegsjahre, ist damit nicht hinfällig. Mit Hilfe der Heimatland-Topik war es Becher gelungen, die Ängste seines Lebens produktiv zu machen. Angst hat ihn immer begleitet; seine Selbstmordversuche verweisen ebenso darauf wie die andauernde Neigung zum Rauschgift. In der Sowjetunion der 30er Jahre war die Angst aufs höchste gesteigert worden, hatte aber den Dichter nicht zum Verstummen gebracht. Erst nach 1949 unterlag er der Angst wirklich, als ihm die Schreibanlässe ausgingen. 4 2 D e n n er brauchte Emphase, Steigerung und Umschlag ins Widerlogische, die aus den Utopien zu gewinnen waren. D e r beschriebene Vorgang hat auch paradoxe Seiten. Die übersteigerte Heimatliebe und Deutschlandsehnsucht wurde zeitweise von Zügen der Behaglichkeit, Ä u ßerungen der Zufriedenheit mit der »neuen Heimat« verdrängt. Ähnliches findet sich bei zahlreichen Autoren, die, aus dem Exil kommend, sich in Ostberlin niedergelassen hatten. In der Literatur der S B Z / D D R breitete sich die Inszenierung von Heimat-Orten regelrecht aus; die Lebensumstände wurden einem über Jahre ausge-

41 42

Ebd., S. 291 und 296. Das berichtete der erste Herausgeber von Bechers Werken, Ernst Stein.

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bildeten Schutzbedürfnis entsprechend eingerichtet. Ostberlin war zwar der Ort eines Neuanfangs, den diese Autoren für unterstützungswürdig hielten, aber sie liebten es nicht als Ort der Geschichte. Wie andere kultivierte Becher den Rückzug aufs Land, nach Saarow oder Ahrenshoop, aber er teilte nicht das verbreitete, negative Verhältnis zur deutschen Geschichte insgesamt. Wie lebensfähig das kulturpolitische Projekt einer konservativ getönten Kulturnation gewesen wäre, das ihm vorschwebte, kann hier nicht erörtert werden. Vielleicht war die Berufung auf »Deutschland« eine Schimäre, Wiederbelebungsversuch am wenig tauglichen Objekt, nachdem die politischen Eliten die Teilung im Verlaufe des Kalten Krieg eingeleitet und durchgesetzt hatten. Eindeutig aber ist der Ausgang: Sieger war der Kalte Krieg. Das trifft besonders für die Rezeptionsgeschichte der Deutschland-Lyrik Bechers zu. Obwohl in den Nachkriegsjahren sehr geschätzt, wurde sie in der Bundesrepublik, wie naheliegend, ganz vergessen, aber weitgehend auch in der DDR. Für die nachwachsenden Generationen war die Nation ein vollständig leerer Begriff; daher faßten sie auch jene Reden und Gedichte, die etwas zu sagen hatten, wenn sie »Deutschland« beschworen, als überholte und insofern hohle Denk- und Sprachform auf. In diesem Falle entzogen extraliterarische Umstände der Rezeption den Boden. Dem Autor, der selbst von sich gesagt hatte, daß ihm die Jahrhundertmitte die geistige Grenze setze, ist nicht einmal die Illusion zugute gehalten worden. Dagegen weist Hermann Körte darauf hin, daß die Trauer um Deutschland in Bechers Lyrik der Nachkriegsjahre ein durchaus singuläres Phänomen sei: Becher ist wie kaum ein anderer Lyriker nach 1945 der Dichter der Trauer über das zerstörte Land, ohne daß er damit zugleich den überlegenen Tröster und Deuter spielt. Das lyrische Subjekt seiner Verse ist ein nach Worten ringendes, dessen Betroffenheit aus der Bereitschaft zur Identifikation mit den Opfern erwächst. Aber es gelingt ihm [...] selbst in solchen Gedichten, die einen obsolet geworden Heimat-Topos und einen emphatischen, 1945 seltsam anmutenden Deutschland-Begriff adaptieren, ein melancholisches Pathos zu entfalten, in dem gleichsam privateste Trauer ein Bewußtsein für die Barbarei des Faschismus evoziert. Der geschundene Heimkehrer in der >Dunkelheit< des Landes wird zum lyrischen Subjekt eben jener Trauerarbeit, der sich die Lyrik nach 1945 in Ost und West fast auf der ganzen Linie entzogen hat. 43

Seit Mitte der 80er Jahre erst begann wieder ein Nachdenken darüber, daß die Nation nicht durch Handstreiche und politische Entscheidungen aufgehoben werden konnte. Haben also die belächelten »Nationalisten« der 40er Jahre so Unrecht nicht gehabt, wenn sie »Nation« als eine Art Aufgabe ansahen? In diesem Sinne, nicht als bedingungslose Aufwertung Bechers, sondern als selbstkritische Beobachtung wäre seine Deutschland-Lyrik aus dem Jahrzehnt zwischen 1939 und 1949 im zugehörigen historischen Rahmen zu behandeln. Hier will ich nur versuchen, kursorisch einigen Pauschalurteilen über die Lyrik Bechers zu entgegnen. Becher begegnete Deutschland nach 1945 - anders als Brecht - mit Unbefangenheit und Zuneigung. Die Heimat-Topik mußte nicht umgestülpt werden, sondern 4J

Hermann Körte: Geschichte der deutschen Lyrik seit 1945, S.26f.

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konnte aus den Gedichten der Exiljahre in die der Nachkriegszeit hinübergenommen werden: Soll ich mich als Deutschen selbst verdammen? Nein, solang noch einer lebt wie ich, Glauben wir an Deutschland, und wir gehn zusammen, U n d wir kämpfen, deutsches Volk, für dich. 4 4

Vor Kriegsbeginn war meist ein lieblich ländliches Deutschland erschienen. Von 1941 an weicht dieser Ausdruck von Heimweh und Fremdheit einer Auseinandersetzung mit der Kriegswirklichkeit, die ihresgleichen in der deutschen Lyrik nicht hat. Tafeln zum Andenken an Opfer und Täter werden aufgestellt. Ein tiefes Grab zwang man sie auszuheben, Die Unsern stellten sie aufrecht ins Grab. Bald sah man nur die vielen Büschel Haar ... Danach kann man als Mensch nicht weiterleben U n d darum fiel der Mensch auch, der ich war ...

endet das Gedicht Soldatenbrief.45 Solche Rollengedichte werden mit Texten der Ich-Reflexion konfrontiert: Soll es denn sein, daß, Deutschland, alles, was D u je vollbracht, durch deiner Mörder Taten Verdunkelt wird? Hast du dich losgesagt [.. .] 4 6

Die Gedichte aus den Kriegsjahren sagen mehr von der »Festung Deutschland« und der allgemeinen Todesbezogenheit, als man in sämtlichen Gedichten der naturmagischen Schule finden kann. Bei Becher ist auch der Holocaust ein Thema; und die lachenden Henker, die sich auf Fotos zur Schau stellen, werden nicht verschwiegen. In der Sammlung Deutschland ruft kommt ein bei Becher sonst ganz unüblicher Sarkasmus hinzu, wo immer er mit dem Mittun deutscher Soldaten und den Untaten deutscher Offiziere konfrontiert ist. Dennoch gibt der Autor dem lyrischen Ich nicht die Rolle des Richters und auch nicht den Ton des Apokalyptikers. Durch die Sammlungen aus den Kriegsjahren geht die sehr verständliche Hoffnung, die Deutschen könnten sich endlich doch noch dem Nationalsozialismus verweigern und mit dem Krieg Schluß machen. Darauf ist die lyrische Sprache abgestimmt; sie ist auf Zureden und Mitgefühl eingestellt. Manche Gedichte enthalten Aufrufe und direkte Handlungsanweisungen, z.B. die, das eigene Leben zu retten. Studien zu sozial-konkreten Verhaltensweisen sind in das Deutschlandbild aufgenommen. Im Zentrum aber stehen die Dialoge der Vergewisserung, in denen Deutschland als ein »Du« personifiziert wird:

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Johannes R. Becher: A n Deutschland. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd.5: Gedichte 1942-1948. Berlin, Weimar: Aufbau 1967, S.67. Johannes R. Becher: Deutscher Soldatenbrief, ebd., S.294. Johannes R. Becher: Soll es denn sein ..., ebd., S.282.

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Ein Windruf ist's, der über Gräber streicht, Und nach der fernen Heimat sehnt er sich. Vielleicht, daß Deutschland, dich, der Ruf erreicht. Ich ruf ins Reich. Deutschland, ich rufe dich! 4 7

Der zeigende Gestus und das emblematische Verfahren sind Stärken dieser Gedichte. Wenn die Variation des Deutschland-Themas sich allerdings verselbständigt, dann verliert sich die konkrete Auseinandersetzung im Pathos der Ergriffenheit, das dann auch sprachliche und gedankliche Fehlgriffe einschließt. Die Sprache der Deutschland-Lyrik kann das Erbe der pathetischen Beschwörung der neuen, befreiten Welt nicht verleugnen. Beide Visionen waren als Gegenbilder zum »Jetzigen« gemeint. Insofern liegt den Gedichten ein Kompromiß zugrunde, der sich häufig als Bruch der Tonarten bemerkbar macht. Das »heilige Deutschland« ersetzte die »neue Welt«, wobei die gläubige Metaphorik spürbar weiterwirkt: Es ist mein letztes bestes Glaubensgut. Ich glaube, ja. An Deutschland glaube ich ... 4 H

In der Nachkriegslyrik sind wieder zwei Phasen zu unterscheiden. Bis zum Ende der 40er Jahre verwendete Becher den neuen, nüchternen Ton, der bereits in den Gedichten der Kriegsjahre auftritt. Er steht neben dem pathetisch-visionären, mit dem der Neuanfang als zweite Schöpfung gefeiert wird. Die große Heilserwartung, eine eschatologische Zielbestimmung, der die Abkunft vom semantischen Feld der »Weltrevolution« anzumerken ist, wird noch einmal besetzt mit sakralen Metaphern vom Typ »dann aber« und »wenn einst«. Aber dagegen steht ein Typ von Bildgedichten, die, oft erzählend, eine Bestandsaufnahme der deutschen Katastrophe unternehmen. Erst gegen Ende der 40er Jahre - zusammen mit der erwähnten Krise - überwuchert die rhetorische und redundante Beschwörung des Neuen diesen Ansatz zur Nüchternheit. Bechers Leitgedanke aus den Nachkriegsjahren läßt sich auf die Formel »Vom Gewinn der Niederlage« bringen. Drei Varianten sind im lyrischen Deutschlandbild zu unterscheiden: Da ist zunächst eine sakrale Ausgestaltung: Du heilig-schönes Land, mein Heiligtum! 4 9

Sie findet sich in den Landschaftsgedichten, ob sie nun die Landschaften der Kindheit darstellen oder Landschaften der Dichter zeigen. Stets sind die Bilder Äquivalente für die Innigkeit der Beziehung und das Glück des Wiederfindens. Häufig werden auch heimatliche Regionen regelrecht als säkularisierte Wallfahrtsorte dargestellt, zu denen dann der Heimkehrer, Wanderer, zieht, um für sich Heilung zu finden. Oft ist die Ankunft im Heimatlichen als ein Ankommen bei sich selbst konnotiert. Hierher gehören die Ahrenshoop-Gedichte: 47

Johannes R. Becher: Rufe ins Reich, ebd., S.215. * Johannes R. Becher: Der Glaube, ebd., S.592. 40 Johannes R. Becher: D u heilig-schönes Land, ebd., S.500. 4

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In der Sonne lagen wir am Meer, Und die Zeit weithin schien wüst und leer, Und das Nichts brach drohend auf uns ein Wir erhoben uns, Gestalt zu sein. 50

In der dritten Variante, besonders ausgeprägt in der Sammlung Volk im Dunkel wandelnd (1947), ist Deutschland ein Ort der Totenklage, dessen Zerstörung besichtigt wird: Gedenken muß ich all der Betrogenen und der Mißbrauchten [...] Gedenken muß ich der Gefangenen, Deren Herz vor Heimweh Alltäglich wund sich reißt [...] Gedenken muß ich der Jugend, die verlassen ist [...] 51

Diese Trauer ist kein bloßes Ritual: Zu Ende die Schlacht... Das Wetter hat sich abgekühlt. Ein dunkler Schatten Legt sich über die Welt, Und die Überlebenden frösteln. [•·•] Daß wir leben, ist Schuld. 52

Bechers Wendung an seine Adressaten, die Deutschen, unterscheidet sich von der anderer Exilautoren. Das »Wir«, das er gebrauchte, war als Angebot gemeint. Das lyrische Ich, Becher spricht von »lyrischer Gestalt«, sollte exemplarisch und im Namen aller Trauer und Hoffnung, Erinnerung und Selbstfindung vollziehen und damit die allgemeine Sprachlosigkeit überwinden. Dem liegt durchaus Sprachreflexion zugrunde, indem der Autor eine Heilung der Sprache vornimmt, damit diese geeignet wäre, der allgemeinen Verdrängung entgegenzuwirken, die Becher 1947 als beängstigend beschrieben hatte: Ein gewaltiger Verdrängungsprozeß hat eingesetzt, der alles aus dem Bewußtsein verdrängt, was einen mitverantwortlich machen könnte an der Blutschuld der vergangenen Jahre.53

Die angewandte Poetik jener Jahre steht in unmittelbarer Verbindung zu den Ideen der geistigen Erneuerung. Auf den Einsatz kathartischer Effekte gegen das dumpfe

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Johannes Johannes Johannes Johannes

R. R. R. R.

Becher: Becher: Becher: Becher:

In der Sonne lagen wir am Meer, ebd., S.496. Gespräch, ebd., S. 695. Zu Ende die Schlacht, ebd., S.681. Wir, Volk der Deutschen, S. 99.

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Schweigen setzten sämtliche Nachkriegszeitschriften mit ihren Erziehungsprogrammen. Der Appell, »offen hervorzutreten und ein Bekenntnis abzulegen von jener tragischen Verwirrung und Verstrickung, in welche die deutsche Intelligenz geraten ist«, 54 ist ebenso in Jaspers Die Schuldfrage enthalten wie in den Zeitungsreden von Ricarda Huch. Allen Akteuren war gleichfalls klar, daß die Auseinandersetzung mit deutscher Schuld - einschließlich der juristischen Konsequenzen - an die Existenz Deutschlands gebunden war. Auch unter diesem Aspekt muß der Nationalismus-Vorwurf durchdacht werden! Bechers narrative Gedichte gehen aber darüber hinaus. An ihnen ist bemerkenswert, daß sie das sonst sorgfältig verschwiegene Grauenhafte übermitteln, und zwar durchaus anschaulich. Man kann sogar heute noch nachvollziehen, daß sie einmal ergreifend gewirkt haben. Dazu nimmt Becher in dem Gedichtband Heimkehr (1946/47) das Kompositionsprinzip der Gedenktafeln wieder auf. Die sieben Tafeln des Gedenkens55 sind je einem gewidmet, der gegen den Nationalsozialismus aufbegehrt hat. Becher benennt und beschreibt Todesarten, von denen die Überlebenden gewohnheitsmäßig wegsahen: Die Männerschlacht - sie war ein Kinderschlachten. 56

Allerdings muß aus vielen Texten das faszinierend Gesagte zusammengesucht werden. Auch diese Gedichte kreisen oft wortreich um Eindrücke und Erlebnisse; aber sie lassen sich auf die Erfahrungen mit dem Nachkriegsdeutschland ein. Züge einer Zeitanalyse sind erkennbar: Wie viele haben ihr Gesicht verloren, [...] Und welches tragen sie jetzt von den ihren? 57

Gedichttitel heißen Wir Dichter des zweiten dreißigjährigen Krieges5ii oder Erstarrung, Angst und Graues Schweigen. Diese Gedichte sprechen auch von denen, die spurlos verschwunden sind, ein seinerzeit massenhaftes und gleichwohl verdrängtes Phänomen: Seid aufgerufen hier, in eurem Leid Ihr, die ihr spurlos uns entschwunden seid! 5 9

Ich schließe diese Zitatenfolge mit den bekannteren Schlußversen aus dem Sonett Da es dunkel war in unsern Tagen:

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56 57 5X 59

Ebd., S. 114. Johannes R. Becher: Sieben Tafeln des Gedenkens. In: J. R. B.: Gesammelte Werke. Bd.5: Gedichte 1942-1948, S. 4 3 8 - 4 4 4 . Johannes R. Becher: Der Kindermord, ebd., S.448. Johannes R. Becher: Gesichter-Wandel, ebd., S.460. Johannes R. Becher: Wir Dichter des zweiten dreißigjährigen Krieges, ebd., S.540. Johannes R. Becher: Spurloses Entschwinden, ebd., S.554.

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Ursula Heukenkamp Trümmer sahen wir im Dunkel ragen.

Und wir wußten: Es wird nichts verziehn.60 Gedichte wie diese konnten Becher den guten Glauben geben, eine unabweisbar nötige Arbeit zu leisten. Um sie würdigen zu können, muß man den Standard der gesamten deutschen Nachkriegslyrik mitbedenken, die von der Neigung zur Idyllisierung, zu Innerlichkeit, zu Pathos und Selbstmitleid bestimmt wird und in der von den Opfern kaum die Rede ist. Erst in solchen Zusammenhängen erfährt Bechers Lyrik eine literaturgeschichtlich angemessene Behandlung.

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Kapitulation vor der Macht der Tatsachen - die Jahre in der D D R

In einer Rede, die zur Goethe-Feier im August 1949 in Weimar gehalten wurde und später den Titel Der Befreier bekam, findet sich der erste Versuch, einen Kompromiß zwischen kulturellem Führungsanspruch für die Literatur und dem gesellschaftlichen System anzubieten. In dieser Rede gipfelte die Inkarnations-Metaphorik, wenn Becher nämlich vom »Reich, das Goethe heißt« 61 spricht. Die These wird aufgestellt, eine Neuentdeckung Goethes sei infolge der gesellschaftlichen Veränderungen möglich geworden: Das besagt, daß geschichtliche, gesellschaftliche Veränderungen erfolgt sind, welche die Grundvoraussetzung dafür bilden, eine ungezwungen Haltung freier Menschlichkeit [...] einzunehmen. [...] und so sind wir auch imstande, eine Gestalt wie Goethe tiefer und umfassender zu erkennen, als es den Generationen vor uns möglich gewesen ist. 62

Der Perspektivwechsel war brüsk. In allen programmatischen Reden von 1947 und 1948 war von der heillosen Lage des deutschen Volkes gesprochen worden, davon, daß man keinen Grund habe, sich über die blutige Vergangenheit zu erheben, weil man selbst tief in ihr stecke. Nun aber werden »Anderssein« und gelungener Neubeginn postuliert; eine weitreichende Wandlung wird gepriesen. Mit dieser Affirmation wurde faktisch die deutsche Teilung legitimiert. Die Rede weist eine symptomatische Euphorie auf. Becher präsentierte sich im August 1949 scheinbar auf dem Höhepunkt seiner Erfolge, als er an der Seite Thomas Manns im Nationaltheater Weimar auftrat, um Goethe zu ehren. Der Gast spielte im geistigen Leben der S B Z / D D R die Rolle eines Idols und Repräsentanten der geistigen Werte des Humanismus. In Wahrheit war das Projekt tot, hatte sich der Abstieg des Kulturbundes, der Hausmacht Bechers, seit 1947, dem Zeitpunkt des Lizenzentzugs für den Kulturbund in den Berliner Westsektoren, stetig vollzogen. Der Kulturbund war in den

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Johannes R. Becher: Da es dunkel war in unsern Tagen, ebd., S.555. Johannes R. Becher: Der Befreier. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III, S.223. « Ebd., S.224f. 61

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Kalten Krieg hineingeraten und verlor die viel beschworene, auch umstrittene, aber doch sein Wirkungsfeld begründende »Überparteilichkeit«, nachdem er eine ostdeutsche Organisation geworden war. Becher selbst erfuhr damit einen Prestigeverlust; er wurde nunmehr trotz seiner hohen Ämter und durch sie zu einer machtlosen Repräsentationsfigur. Nichtöffentlichen Reaktionen auf entsprechende Vorhaltungen von Freunden ist zu entnehmen, daß er nie eine Form gefunden hatte, sich dagegen zu wehren, obwohl er sah, daß der Funktionsverlust des Kulturbundes beabsichtigt war. 6 3 Dennoch begann er sich in öffentlichen Reden in den Dienst der Legitimationsinteressen der D D R zu stellen. So war er dann endlich doch auf einer Seite der Fronten des Ost-West-Konflikts eingereiht. Zur Erklärung sind verschiedene Gründe geltend zu machen. Der subtilste ist die Unfähigkeit, ohne die über das eigene Dasein hinausreichende Utopie zu leben. Becher war regelrecht abhängig von Utopien. Als er für sich den Kompromiß vollzogen hatte, Deutschland zum entscheidenden Ziel und zur Bezugsgröße seines Schreibens zu machen, war das Nationale auf das Substrat der Welt- und Menschheitserneuerungsträume aufgelegt worden, mit denen er groß geworden war. Diese untere Bedeutung bildete den Kern der Bilderfolgen vom neuen, vom »befreiten Deutschland«; sie war darin aufgehoben und bewahrt. Mit dem Scheitern des Projektes »Kulturbunddeutschland« (Schivelbusch) sah er sich vor dem Zusammenbruch seiner ganzen geistigen Welt. Die Folge ist ein beispielloser Nominalismus, in dem die einstigen Leitworte wie »Befreiung«, »Wandlung«, »Jahrhundert« so nebeneinandergestellt wurden, daß sie zwischen polaren Feldern wie der Gesellschaftsutopie und dem nationalen Traum gleichsam oszillierten. Die Folge dieser Anpassung war praktisch ein Widerruf oder konnte als solcher genutzt werden. In diesem letzten Kompromiß war aus der Aussicht auf die revolutionäre Neuschöpfung des Menschen die Verklärung der ostdeutsche Region geworden, und zwar um den Preis der uneingeschränkten Verpflichtung auf das sowjetische Vorbild. Bechers öffentliche Äußerungen tragen von nun an Züge der Selbstverneinung; seine Worte verhehlen die eigenen Einsichten und Überzeugungen. Anläßlich der Rezension Hans Mayers zum Tagebuch 1950 schrieb er resigniert: Weder ist es meine Aufgabe, noch auch liegt es in meinem Vermögen, der Gestalter des neuen Lebens zu sein, das begonnen hat. Das ist schon Sache nachfolgender Generationen. Meine Aufgabe kann es nur sein, nach bestem Vermögen noch dazu beizutragen, daß dieses neue Leben Gestalt annimmt [...] Daher auch das »von oben«, das andere steckt nicht mehr in mir drin. 64

Weniger subtile Gründe für Bechers Selbstverlust sind Enttäuschung und Kränkung: Becher sah sich seit 1948 zunehmend mißgünstigen Beurteilungen von westlichen Kollegen und Zeitschriften ausgesetzt; er konstatierte ein jähes Umschlagen

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Seinen Äußerungen in den Sitzungen des Präsidialrats des Kulturbundes ist zu entnehmen, daß er nicht ahnungslos war, sondern die Strategie durchaus durchschaute. Johannes R. Becher an Hans Mayer, 15.9.1951. In: J.R.B.: Briefe, S.425.

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Ursula Heukenkamp

der Urteile über seine Gedichte, das er für politisch motiviert hielt. Er erlebte, daß viele Beziehungen auf persönlich kränkende Weise abgebrochen wurden. Statt gesamtdeutscher Anerkennung erfuhr er nun, daß ihm das frühere Ansehen abgesprochen wurde. Das verletzte ihn und machte ihn sprachlos. Die Folge ist ein Rückzug in die Melancholie der Idylle. Späte Gedichte weisen sonderbar zufriedene Züge auf. Neben der Bereitschaft, die D D R durch politische Verse zu unterstützen, ist bei vielen Zurückgekehrten die literarische Produktion zeitweilig von einem gewissen Behagen über privilegierte Lebensformen und Annehmlichkeiten im Privaten zu erkennen. Dazu Becher: Ο Saarow-Strand und Lilly überall, Und Brecht ist da, und Busch singt Eisler-Lieder, [...] und wir sitzen wieder U m einen Tisch vereint nach alter Sitte. 65

Becher gab zum Schluß selbst den Kommentar dazu ab: Ich hab mich selbst betrogen mit Idyllen und bin erlegen manchem schlimmen Wahn. 6 6

Schließlich ist da auch noch die Fülle der Ämter und Ehrungen, nach denen Becher wie zur Selbstbetäubung griff. Im Tagebuch 1950 spiegelt sich schon das Bewußtsein, damit vor eigener Unproduktivität wegzulaufen. Der Becher der 50er Jahre ist in einer Krise. Die einzig verbliebene Bezugsgröße, die neue Ordnung der Verhältnisse in der D D R , erwies sich als unzuträglich für seine Lyrik; sie trug nicht weit. Der Traum von Deutschland aber war abhanden gekommen. Für Becher war er als Quelle dichterischer Produktivität unentbehrlich gewesen.

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Johannes R. Becher: D a s Atelier. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd.6: Gedichte 1 9 4 9 1958, S.344. Johannes R. Becher: U n d dennoch .... ebd., S.433.

197 CHRISTINE

MALENDE

Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Pechel im Dezember 1950

1

» Ü b e r das Persönliche hinaus ...«

Nur zwei Jahre nach der ersten Zusammenkunft der Gründungsgruppe des PENZentrum Deutschland, an deren vorangegangener internationaler Bestätigung Johannes R. Becher erheblichen persönlichen Anteil hatte, wurde auf der 3. Jahrestagung am 4. Dezember 1950 in Wiesbaden ein Brief an die Kollegen verlesen, der vorab an das Präsidiumsmitglied Erich Kästner gerichtet worden war. In ihm wurde die Trennung von »Johannes R. Becher und seinen Gesinnungsgenossen« verlangt. Der Vorwurf lautete, sie handelten als »Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit und Unterdrückung, beständig und öffentlich im schroffen Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen PEN-Charta«. 1 Die abwesenden Unterzeichner Dr. Rudolf Pechel, Theodor Plievier und Dr. Günther Birkenfeld hatten vom 26.-30. Juni des gleichen Jahres am Kongreß für kulturelle Freiheit in Berlin teilgenommen. Zum Anlaß für ihre Ausschlußforderung nahmen sie Bechers Schmähungen der »ausländischen und deutschen Delegierten dieses Kulturkongresses« in der Zeitschrift Aufbau. Es handelte sich um Bechers Schlußwort auf dem als Gegenveranstaltung einberufenen Zweiten deutschen Schriftstellerkongreß vom 4.-6. Juli 1950, in dem er sich in eine Vernichtungsphantasie hineingesteigert und über die Teilnehmer des »Spitzel- und Kriegsbrandstifterkongresses« 2 u. a. gesagt hatte: Solche Leute sind ja längst keine deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Schriftsteller mehr, sondern haben sich längst als Handlanger der Kriegshetzer in eine Bande internationaler Hochstapler verwandelt, in literarisch getarnte Gangster. 3

Im Rahmen des kalten Presse-Krieges waren solche Töne durchaus üblich, ihrem Gebrauch ist offenbar keine persönliche Reflexion vorausgegangen, gerade hierin aber sehe ich ein Problem im Hinblick auf die Frage nach der Rolle der Intellektuellen im kalten Krieg. Initiator und Verfasser des Textes war Günther Birkenfeld. Aus seinem Schrei-

1

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3

Tagung des Internationalen P.E.N.Clubs, Zentrum Deutschland in Wiesbaden vom 47.12.1950, S.2 (fortan: Bericht Wiesbaden), Nachlaß Johannes Tralow, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Haus 1, Κ 86, Μ 38 (fortan: Tralow-NL). Die Wortwahl folgte der Literaturnaja Gazeta und der Prawda - vgl. Presse-Echo. In: Der Monat, 2. Jg., Nr. 22/23 (Juli/August 1950), S.484f. Johannes R. Becher: Schlußwort auf einem Schriftstellerkongreß. In: J. R. B: Gesammelte Werke. Bd. 17: Publizistik III. Berlin, Weimar: Aufbau 1979, S.355.

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Christine

Malende

ben vom 21. November 1950 an Pechel und Plievier 4 geht außerdem hervor, daß er auch Eugen Kogon, Hermann Kesten und Dolf Sternberger in die Aktion einbeziehen wollte, von ihnen aber keine Antwort erhalten hatte. Die Genannten waren Mitglieder des Zentrums und hatten ebenfalls zu den Kongreßteilnehmern gehört (das galt auch für Luise Rinser, die er aber anscheinend nicht einweihen wollte). Ferner habe er die »Berliner Mitglieder des PEN Karl Friedrich Boree und Friedrich Luft informiert«. Boree habe bereits von sich aus Kästner »jenseits der Kongreß-Affaire auf den grundsätzlichen Konflikt hingewiesen, dessen Lösung der PEN nicht länger umgehen könnte«. Birkenfeld hatte dem Brief an die Kollegen lediglich eine Blütenlese aus jener Rede beigegeben. Da sie zudem mit einer falschen Quellenangabe versehen war und Becher erklärte, keinen der Genannten gemeint zu haben (seine Rede enthielt im fraglichen Teil überhaupt keine Namen 5 ), wurde auf Antrag des Geschäftsführenden Präsidenten Hermann Friedmann beschlossen, »den ganzen Komplex der Londoner Exekutive des Internationalen PEN zur Beurteilung vorzulegen«. 6 Und Becher wurde von den Anwesenden, nachdem Karl Friedrich Boree, der gegen ihn »Bedenken« geäußert hatte, »da er >eine betonte Funktion in der D. D. R. habeIn Reih und Glied!umsetzteDritten Reichesgroße Gestaltem als Vorbilder darstellen wollten, was nicht ohne Verklärung und Harmonisierung abging. Zwischen dem politischen und literarischen Teil der Deutschen Rundschau bestand keine einfache und pünktliche >GleichschaltungTausend Jahre< in der Heimat miterlitten« hatten. Die zutage tretenden »Grenzen zwischen Ost und West« bezeichnete der Bericht als »Interessenlinien fremder Mächte, den Deutschen aufgezwungen«. Unsere Lage erlaubt es nicht, die Schuldfrage anzuschneiden. Wichtig für die Beurteilung des Kongresses und damit für unsere heutige Situation ist die Reaktion des Auditoriums der Deutschen, als der Russe Wischniewski die »angelsächsische Reaktion« und der Amerikaner Lasky den »sowjetischen Totalitarismus« angriffen. Nun ging der »eiserne Vorhang« quer durch den Saal [...] 77

Der Berichterstatter bedauerte, daß der Kongreß »je länger desto heftiger von den publizistischen Eiferern blockiert, statt von den Dichtern bestimmt« wurde. Unter diesen nannte er Johannes R. Becher, dessen »schmerzhaft-vehementes Werben um den Frieden« er neben Hagelstanges »kompromißloser Wahrheitsliebe« herausstellte. Das Resümee variierte die Überschrift: So wurde der 1. Deutsche Schriftstellerkongreß, was er unter den heutigen Gegebenheiten werden mußte, ein Spiegelbild des unglücklichen Deutschland.

Die Sorge um Deutschlands Zukunft als einheitliches, lebensfähiges Land in geistiger und politisch-wirtschaftlicher Hinsicht scheint zu dieser Zeit für den Herausgeber der Deutschen Rundschau noch im Mittelpunkt des Denkens gestanden zu haben, 7 8 die Orientierung auf die westlichen Alliierten, deren Maßnahmen er im einzelnen vielfach kritisierte, war ihm dabei selbstverständlich, auch als er noch vermied, direkt Kritik an der Sowjetunion zu äußern. 7 9 (Ein Beispiel für verdeckte Kritik aus dem Jahre 1947: »Man erkennt mit Schaudern, daß auch heute für manche Regierungen Stahl vor Brot geht.« ) Die erste Nummer der wieder erscheinenden Deutschen Rundschau hatte eine wahrscheinlich von Pechel selbst geschriebene kurze Besprechung von Bechers Romanen in Versen enthalten, die vermutlich gar nicht einmal aus taktischen Gründen Schloß: Becher steht in der Zeit seiner Reife, und wir zählen auch dieses Buch zu den wahrhaften und dichterischen Dokumenten unserer Zeit, da es den tiefen Sinn des furchtbaren Geschehens deutet. 8 1

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Ein Spiegelbild Deutschlands. In: DR 70 (1947) H . l l , S.135. Für Pecheis Verfasserschaft spricht die Art der Polemik gegen den ungenannt bleibenden Wolfgang Harich und die positive Wertung von Albin Stübs. Vgl. ζ. B. Gerhardt Albrecht: Ausgangspunkte des wirtschaftlichen Wiederaufbaus. In: DR 70 (1947) H.8, S.90, der die Bizone als Anfang dankenswert fand, aber daran die Forderung knüpfte, die »wirtschaftliche Einheit ganz Deutschlands« müsse »wiederhergestellt werden«, und sich gegen eine Spaltung in einen deutschen Osten und Westen mit zwei Volkswirtschaften aussprach. Vgl. z.B. Rudolf Pechel: »Sagen, was ist«. In: D R 69 (1946) H.4 (Juli). Rudolf Pechel: Menschenliebe aus der Fülle des Hasses. In: DR 70 (1947) H.9, S. 170. P: »Romane in Versen«. In: DR 69 (1946) Η. 1 (April), S.77f.

Zur Vorgeschichte

eines öffentlichen

Briefwechsels

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Das Deutschlandpathos, die Würdigung des innerdeutschen Widerstands wie die traditionelle Versform entsprachen offenbar durchaus dem Literaturgeschmack des Herausgebers. Eine ebenso positive Würdigung wurde dem Band Die Hohe Warte zuteil, der Gedichte aus den Jahren 1933-1945 enthielt: Becher versteht unter Deutschland-Dichtung die deutsche Dichtung im Kampf zur Errettung der Nation, eine Aufgabe der er sich mit der ganzen Leidenschaft seiner dichterischen Gabe unterzieht. 8 2

Die 1947 abgedruckten Becher-Gedichte 83 unterschieden sich hinsichtlich ihrer Verssprache nicht von den übrigen Gedichten in der Zeitschrift, deren Verfasser sich meist der inneren Emigration zurechneten. Bis Mitte 1949 wurde Johannes R. Becher in der Deutschen Rundschau mit Respekt behandelt. In der Märznummer 1948 hatte Otto Heinrich von der Gablentz anläßlich von dessen Erziehung zur Freiheit seinen weltanschaulichen Einwand erhoben: Die Volksbildneraufgabe des Schriftstellers wird noch gestellt und tief begründet. Wenn aber Becher den Marxismus, dessen geistige Größe und dessen wissenschaftlichen Ernst er eindrucksvoll und mit gutem Grunde preist, als die »Krönung und Vollendung aller objektiven Denklehre« darstellt, dann erheben wir die Frage: 1st wirklich das Wesensgesetz des Menschen erfaßt, wenn man in ihm weiter nichts sieht als ein soziales Wesen. 8 4

Und Gerhart Pohls Bericht über Hauptmanns letzte Tage vom Juni 1949 würdigte Bechers persönliches Engagement bei dieser Gelegenheit. 85 Erst im Dezemberheft 1949 wurde in einem Abdruck aus Ruth Fischers Buch Stalin und der deutsche Kommunismus, also innerhalb des politischen Teils, eines seiner Stalin-Gedichte zitiert, mit der bissigen Ankündigung: Wenige Wochen nach dem Selbstmord des Führers in den Ruinen Berlins präsentierte ein deutscher kommunistischer Dichter aus Moskau, Johannes R. Becher, aufs neue den Führer. 86

Von hier an wurde Becher nur noch im politischen Teil der Deutschen Rundschau erwähnt, und das hieß attackiert. Im Jahre 1950 hat der im politischen Teil schon früher rituell wie inflationär gewordene Gebrauch von »totalitär« auch den literarischen Teil erreicht. Anläßlich einer Stockholmer Ausgabe von Arnold Zweigs Beil von Wandsbek heißt es über den

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D. R.: Endlich wieder Bücher. In: D R 69 (1946) H . 3 (Juni) - es handelt sich um eine Sammelrezension. Vgl. auch die respektvolle Nennung von Bechers Deutschem Bekenntnis in der Oktobernummer 1946. D R 70 (1947) H.5/6, H . 8 und H.9. Otto-Heinrich von der Gablentz: Erziehung zur Freiheit. In: D R 71 (1948) H.3, S. 142. Gerhart Pohl: Hauptmanns letzte Tage. In: D R 75 (1949) H.6, S . 5 2 6 - 5 3 2 . Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus. In: D R 75 (1949) H. 10 (Dezember), S.891.

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Christine

Malende

Verfasser, der mit diesem Buch »im Grunde jede Gewaltherrschaft« bekämpfe: »Heute ist er Präsident der totalitären sowjetdeutschen Akademie!« 8 7 Von ihr heißt es im gleichen Heft, ihre Gründung diene »dem neuen Spiel der sowjetdeutschen Kommunisten, das D D R (Deutsche demokratische Republik) heißt«. 88

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Gründungspräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Erst die Gründung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der ersten Nachkriegsgründung einer solchen Einrichtung mit nationalem Anspruch in ihrem Titel, im August 1949, deren erster Präsident Rudolf Pechel wurde (Vizepräsident war Frank Thieß), eröffnete ihm die Möglichkeit größeren Einflusses auf das literarische Leben, auch wenn er dem Herausgebergremium des Literarischen Deutschland nicht selbst angehörte. Diese seit November 1950 zweimal monatlich erscheinenden »Zeitung der Akademie für Sprache und Dichtung« scheint eine wichtige Publikationsmöglichkeit für Autoren der hier weit gefaßten inneren Emigration aus der älteren und mittleren Generation gewesen zu sein, deren soziale Situation nach der Währungsreform ζ. T. sehr gedrückt war. Die Deutsche Rundschau berichtete im April 1950 von der ersten Tagung der Akademie am 17./18. März in Stuttgart. Als ihre dringlichsten Aufgaben bezeichnete sie 1. »die Säuberung und Pflege der stark verwahrlosten deutschen Sprache, unseres kostbarsten und des letzten gemeinsamen Gutes aller Deutschen« und 2. »eine würdige Repräsentanz des deutschen Geistes zu schaffen, durch die richtige Auswahl seiner Vertreter«. Die Aufgabe sei nur mit Erfolg zu lösen, »wenn man den einzelnen Dichter oder Schriftsteller in seiner Bedeutung als geistige Persönlichkeit würdigt, ohne kleinlich in der Vergangenheit herumzustöbern« 8 9 Eine Kondition, die sich von den international ausgehandelten Bestimmungen über die Zuwahlbedingungen für das PEN-Zentrum Deutschland unterschied und vermutlich indirekt auf sie Bezug nahm. 9 0 Als dritte Aufgabe stellte man sich »die Pflege und Förderung der schriftstellerischen Jugend«. Zielvorstellung war eine »Körperschaft«, »die dank dem moralischen und geisti-

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Weitere Schranken fielen. In: DR 76 (1950) H.5, S.411 (Sammelbesprechung eingeführter deutscher Bücher). Koptisch. In: D R 76 (1950) H.5, S.392. Um unser kostbarstes Gut. In: DR 76 (1950) H.4, S.294. Vgl. die 1948 in Kopenhagen angenommene, von Claude Aveline und Vercors verfaßte Resolution über die Gründung einer innerdeutschen PEN-Gruppe in: Mitteilungsblatt [des P. E. N.Clubs deutscher Autoren im Ausland], Nachlaß Tralow und Nachlaß Sternfeld, auszugsweise zitiert bei Christine Malende: Die »Wiedererrichtung« und Trennung des P.E.N.-Zentrums Deutschland 1946/48 bis 1951/53. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 5 (1995) H . 1 , S . 8 2 - 9 5 . Hier S.85.

Zur Vorgeschichte eines öffentlichen

219

Briefwechsels

g e n G e w i c h t ihrer Mitglieder ihre S t i m m e zu d e n Fragen unseres V o l k e s e r h e b e n kann mit gültigem A n s p r u c h auf B e a c h t u n g drinnen und draußen«. D a s » d e u t s c h e Volk in seiner G e s a m t h e i t « sei aufgerufen, sie als seine A n g e l e g e n h e i t a n z u s e h e n 9 1 und durch » S p e n d e n zu unterstützen«. 9 2 D a s patriotische P a t h o s dieser Vision weist auf P e c h e l , der zugleich ein erfahrener, w e n n auch nicht i m m e r erfolgreicher S p e n d e n s a m m l e r in Kreisen der d e u t s c h e n Industrie und bei R e g i e r u n g s s t e l l e n g e w e s e n sein m u ß

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V o n » B e h ö r d e n e i n f l u ß « m ü s s e die A k a d e m i e frei sein, » w o b e i selbst-

verständlich auf e i n e vertrauensvolle Z u s a m m e n a r b e i t mit d e n B e h ö r d e n Wert gelegt wird«. D i e H o f f n u n g , auch D i c h t e r »aus der O s t z o n e « h e r a n z u z i e h e n , habe angesichts der » S t e l l u n g n a h m e der totalitär ausgerichteten Presse« b e g r a b e n w e r d e n 94

müssen. D e r D e u t s c h e n A k a d e m i e für Sprache und D i c h t u n g g e h ö r t e n a m 1. Juni 1950 8 0 A u t o r e n an, 9 5 30 v o n ihnen waren zugleich Mitglieder d e s P E N - Z e n t r u m s D e u t s c h l a n d , 9 6 das zu d i e s e m Z e i t p u n k t 112 Mitglieder zählte. ( E s g e h ö r t e n also 3/8 bzw. etw a s m e h r als 1/4 der jeweils anderen Institution an.) D i e erste A u s g a b e der A k a d e m i e - Z e i t u n g Das liierarische

Deutschland

veröf-

fentlichte a m 1. N o v e m b e r 1950 e i n e » E n t s c h l i e ß u n g « der »auf der ersten Tagung der D e u t s c h e n A k a d e m i e für Sprache und D i c h t u n g in D a r m s t a d t v e r s a m m e l t e n Mitglieder«: 9 7 1. Sie [die Mitglieder] verurteilen ohne Einschränkung jeden Versuch, die freie Entfaltung des deutschen Geisteslebens durch parteipolitische Anweisungen zu verhindern oder durch Sondergesetze zu stören, die mit den idealen und moralischen Gesetzen des Schrifttums unvereinbar sind. 2. Überzeugt, daß die geistige Einheit der abendländischen Völker bereits besteht und in den Grundsätzen der Menschenrechte und des Christentums ihre unverletzliche Prägung gefunden hat, bekennen sie sich zur Idee der politischen Einheit Europas und sind entschlossen, für sie zu wirken, soweit dies in ihrer Macht steht. 9 "

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Um unser kostbarstes Gut. In: D R 76 (1950) H.4, S.294. Aufruf der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, ebd., S.320. Vgl. hierzu Rosemarie Schäfer: Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau« 1946-1961, S. 186-200. Um unser kostbarstes Gut. In: DR 76 (1950) H.4, S.294. - Vgl. Akademie der Selbstmörder. In: Sonntag, Nr. 15, 9.4.1950, S.7, sowie: Pechel forderte - Hitler verwirklichte, ebd. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. In: D R 76 (1950) H.6, S.491f. Es waren dies: Stefan Andres, Emil Barth, Walter Bauer, Emil Beizner, Werner Bergengruen, Günther Birkenfeld, Karl Friedrich Boree, Kasimir Edschmid, O t t o Flake, Wilhelm Hausenstein, Walther von Hollander, Erich Kästner, Marie Luise Kaschnitz, Eugen Kogon, Horst Lange, Elisabeth Langgässer, Wilhelm Lehmann, Hans Leip, Karl August Meissinger, Rudolf Pechel, Gerhart Pohl, Hans Reisiger, Luise Rinser, Oda Schaefer, Reinhold Schneider, Rudolf Alexander Schröder, Dolf Sternberger, Otto von Taube, Fritz Usinger und Leo Weismantel. U. d.T. Um unser kostbarstes Gut hatte die Aprilnummer der Deutschen Rundschau über eine erste Tagung, die am 17./18. März 1950 in Stuttgart stattfand, berichtet. Hier scheint es sich um die erste Tagung an ihrem nunmehrigen »ständigen Sitz« zu handeln, die lt. D R 76 (1950) H.6, S.491f. um den 15. Juni 1950 stattgefunden hat. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Entschließung. In: Das literarische Deutschland, 1.11.1950.

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Christine

Malende

Abgesehen von der Akzentuierung, die sich aus dem vorgesehenen nationalen Wirkungsraum der Akademie ergab, unterscheidet sich diese Entschließung von den PEN-Grundsätzen durch ihre weihevollere Auffassung von »Schrifttum« (statt des sachlichen Oberbegriffs Literatur), zugleich schwört sie auf konkrete politische Ziele ein: die Mitwirkung an der Schaffung eines Europas der abendländischen Völker. Diese Akademie-Gründung scheint ein Versuch ihrer Initiatoren gewesen zu sein, für die in Gründung begriffene Bundesrepublik Deutschland unter Bezugnahme auf die Europa- und Abendland-Idee »ein eigenständiges Staats- und Identitätsbewußtsein« zu entwerfen," selbstverständlich mit dem Anspruch, für alle Deutschen zu handeln.

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Z u m politischen I n t e r e s s e n s p e k t r u m Pecheis u m 1950

Rudolf Pechel war im Zusammenhang mit und neben seiner Herausgeberschaft immer in Vereinen, Verbänden, Freundeskreisen mit politischen Zielen u. ä. engagiert. 100 Dieser Weg der politischen Einflußnahme war ihm offenkundig wichtiger als die Betätigung innerhalb einer Partei, er gehörte seit Sommer 1945 der CDU an. (Im Oktober 1945 hatte er sogar die Leitung des Berliner CDU-Organs Neue Zeit übernommen, die er aber schon im Dezember nach massiven Eingriffen der sowjetischen Zensur aufgab.) 101 Zwischen 1949 und etwa 1952 beteiligte er sich außer an der schon erwähnten Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit u.a. an den Initiativen zur Gründung des Bundes der Verfolgten des Nazi-Regimes, d. h. der Trennung nichtkommunistischer und kommunistischer Verfolgter des Nazi-Regimes. Er wurde Kuratoriumsmitglied des Hilfskomitees für politische Häftlinge in der Sowjetzone des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen der Sowjetzone, 102 unterstützte Margarethe Buber-Neumann bei der Gründung des Befreiungskomitees für die Opfer totalitärer Willkür, gehörte einem Komitee ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge an usw. - es handelt sich zumeist um Vereinigungen, die sich als Hilfsorganisation, als soziale Interessenvertretung und antikommunistische Propagandisten in einem verstanden. Vor allem die Korrespondenz mit Ruth Fischer aus den Jahren 1949/50 zeigt ihn als Nachrichtensammler in Ostberlin, speziell hinsichtlich »sowjetischer Pläne in

yg

Vgl. Rudolf Morsey: Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969. München: Oldenbourg 1987, S.24, der das Fehlen eines solchen »bis weit in die fünfziger Jahre« konstatiert und hinzugefügt hatte: »ohne daß an dessen Stelle im Gefolge der verbreiteten Europa-Idee ein neues Bezugssystem trat«. im v g i Volker Mauersberger: Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau«, sowie Rosemarie Schäfer: Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau« 1946-1961. 1,11 Vgl. ebd., S. 179-182. 102 Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen der Sowjetzone - Der Leiter - an Rudolf Pechel, 4.12.1951, BArch Koblenz, Ν 1160,111/95.

Zur Vorgeschichte

eines öffentlichen

Briefwechsels

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Berlin und Westdeutschland« - wieweit das Klatsch und Spekulation, eine Art Konspirationsgewohnheit, war oder doch mit einer gewissen Systematik betrieben wurde, muß offenbleiben, im übrigen hielt er seine Briefpartnerin auch über die Bonner Gerüchteküche auf dem laufenden. 1 0 3 Jedenfalls zeigte er besonderes Interesse an der Besetzung leitender Posten in der Polizei - vor allem im Hinblick auf die Verwendung von ehemaligen »Gestapo- und SD-Männern« - und erwähnt einmal auch einen »Vertrauensmann mit Verbindungen zu Karlshorst und hohen SEDFunktionären sowie >bürgerlichen< Ministern in der Ostregierung«. 11)4 Den Aufruf David Roussets, des Verfassers von L'Univers concentrationnaire, das im französischen Sprachraum eine ähnliche Bedeutung wie Kogons SS-Staat im deutschen gehabt zu haben scheint, an die ehemaligen Konzentrationslagerhäftlinge, eine Untersuchungskommission zu gründen, um von der Sowjetunion Aufklärung über deren Arbeitslager zu erreichen, hatte Pechel offenbar sofort wahrgenommen, noch bevor er ζ. B. im Monat ab Januar 1950 propagiert wurde. 105 In dem Streit zwischen Birkenfeld und Weisenborn im Anschluß an die Münchner PEN-Tagung von 1949, der eigentlich auf der Wiesbadener Tagung zur Sprache kommen sollte, war es u. a. um den richtigen Umgang mit Roussets Forderungen gegangen. 106 Für Rudolf Pechel war der Kongreß für kulturelle Freiheit im Juni 1950, an dem auch Rousset teilnahm, allem Anschein nach ein ersehnter Orientierungspunkt, der ihm das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer auf große Ziele gerichteten Gemeinschaft wiedergab. Er begrüßte ihn als Freiheit im Angriff, und kritische Überlegungen über Die Freiheit, die wir meinen, wie sie Eugen Kogon in bezug auf James Burnhams Verteufelung des Pazifismus und dessen Unterscheidung »>moralisch gute[r]< und >moralisch schlechte[r]< Atombomben« anstellte, 107 lagen ihm offenbar fern. 1 0 8 Aus Kogons Kongreßbeitrag über Die Bewältigung der Massendemokratie griff er

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Rudolf Pechel an Ruth Fischer, 16.3.1950, BArch Koblenz, Ν 1160,11/94. Rudolf Pechel an Ruth Fischer, 28.11.1949, ebd., vgl. auch ders. an dies.. 29.9.1949 und 10.8.1950, ebd. "'5 A m 28. November 1949 bedankte er sich bei Dominique Aucleres vom Figaro für die Texte der Erstveröffentlichung, BArch Koblenz, Ν 1160, II/A-E. 106 Vgl. Bericht Wiesbaden, S. 3 (hier allerdings ohne Hinweis auf den Gegenstand des Streites). Zur Sache vgl.: Die Gewissensfrage. Feststellungen von Dr. Günther Birkenfeld. In: Telegraf, 18.12.1949, sowie: Grenzgänger der Humanität. In: Kurier, 23.1.1950. Vgl. ferner: Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. In: J.R.B.: Gesammelte Werke. Bd. 12. Berlin, Weimar: Aufbau 1969, S.70. 107 Eugen Kogon: Die Freiheit, die wir meinen. Anmerkungen zum Ja und Nein von Arthur Koestler. In: Frankfurter Hefte 5 (1950) H.8, S.817. ,HS Hinsichtlich der in der Deutschen Rundschau vertretenen Haltung zu Burnhams radikalem Antikommunismus vgl. den Beitrag des regelmäßigen außenpolitischen Mitarbeiters Helmut Lindemann: Verliert Stalin den Kalten Krieg? In: D R 76 (1950) H.4, S.231-236. Zustimmend wird referiert, der Ex-Kommunist B. kenne »die geistige und psychologische Situation des heutigen Kommunismus« und halte den Verzicht auf die kommunistischen Weltherrschaftspläne für »undenkbar«. »Darum verlangt er den offensiven Untergrundkrieg aller westlichen Völker« zur »Vernichtung der kommunistischen Weltmacht« (ebd., S.235f. - Hervorhebung C. M.). UM

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Christine Malende

den Gedanken heraus, daß »grade die Vorkämpfer für die Freiheit« bereit sein müßten, »im Interesse eines wirksamen Kampfes auch ihrerseits für eine zu begrenzende Zeit auf bestimmte Rechte der persönlichen Freiheit zu verzichten«. 1 0 9 (Im April 1950 hatten z.B. die Hollywood Ten ihre einjährige Gefängnisstrafe angetreten.) 1 1 0 Seine Auseinandersetzung mit dem P E N - Z e n t r u m stellte Pechel nicht nur durch seine Unterschrift unter den Wiesbadener Protestbrief in Beziehung zu der neugewonnenen Gemeinschaft. Als er nach der Publikation von Karl O. Paetels Aufsatz Ignazio Silone und Arthur Koestler als Zeugen europäischer Selbstbesinnung in der Februar-Nummer 1951 der Deutschen Rundschau beiden Belegexemplare zusandte, teilte er ihnen seinen Austritt aus dem Z e n t r u m mit: Ich hoffe im Sinne der Arbeit des Kongresses für kulturelle Freiheit, die ich in jeder Weise unterstützen möchte, gehandelt zu haben. 1 1 1

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G e g e n s e i t i g e V o r w ü r f e 1950

Becher hielt in seinem Offenen Brief der Ausgrenzungsforderung seine Vorstellung von einem sinnvollen Gespräch entgegen, das schwieriger, aber auch lohnender sei, wenn sich Menschen zusammensetzten, die »in einigem Wesentlichen sich unterscheiden« und im geistigen Ringen miteinander »doch in dem oder jenem Punkt eine gemeinsame Lösung« finden. Ziel eines solchen punktuellen Kompromisses sollten gemeinsame Bemühungen um Frieden sein: Frieden nichts als Frieden, das wollen wir, so banal und selbstverständlich das auch erscheinen mag. Aber diese »selbstverständliche Banalität« muß verwirklicht werden, soll von unserem Volk die Heimsuchung einer neuen Weltkriegskatastrophe abgewendet werden. 1 1 2

Z u der »inkriminierte[n] Rede« erklärte Becher, sie habe »überhaupt mit deutschen Schriftstellern nichts zu tun«, sondern beziehe sich »allein auf Herrn Lasky, Herrn Koestler, Herrn Burnham und ähnliche Figuren«. 1 1 3 Er habe sehr wohl unterschieden »zwischen den Veranstaltern des Kongresses für >kulturelle F r e i h e i t und seinen Teilnehmern«. Einen sehr persönlichen, vorwurfsfrei bedauernden Brief, daß sie sich mißbrauchen lasse »von Leuten, die einzig und allein die Vorbereitung eines

,0

» Rudolf Pechel: Freiheit im Angriff. In: D R 76 (1950) H.7, S. 516f. Vgl. Eugen Kogon: Die Bewältigung der Massendemokratie. In: Der Monat, 2. Jg., Nr.22/23, Juli/August 1950, S. 420 - 422. 110 Vgl. Albert Maitz: A n der Schwelle des Kerkers. In: Sonntag, 9.7.1950. 111 Rudolf Pechel an Arthur Koestler bzw. Ignazio Silone, 1.3.1951, BArch Koblenz, Ν 1160, I I / 7 4 . - V g l . Nachtrag zu Anm.151. 112 Johannes R. Becher: Über das Persönliche hinaus ... In: Sonntag, Nr.52, 24.12.1950. 111 Ebd.

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neuen Weltkrieges im Sinn haben«, hatte Johannes R. Becher am 27. Juni 1950 an Renee Sintenis geschrieben. 114 Pechel gegenüber bezog er sich vermutlich auf den am 2. Juli im Sonntag publizierten Offenen Brief des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« an einige Teilnehmer am sogenannten »Kongreß für kulturelle Freiheit«. In ihm wurde auf das »Protektorat des amerikanischen Geheimdienstes (CIC)« hingewiesen und Melvin J. Lasky ein Polizeispitzel genannt, »der nach außenhin als Chefredakteur der internationalen Zeitschrift Der Monat figuriert«. 115 (Pechel kannte diesen Offenen Brief, wie die Pressezitate am Ende seines Leitartikels nach dem Kongreß belegen, die er mit der Zwischenüberschrift versehen hatte ... und das Gekläff der sowjetdeutschen »Kulturträger«,116) Burnham, ein ehemaliger Trotzkist, der Autor von Managergesellschaft und Strategie des kalten Krieges, Koestler und Lasky gehörten inzwischen zu Pecheis Autoritäten in Sachen Totalitarismus. Pecheis persönliches Engagement im Kampf um die >Säuberung< des PEN bzw. um den PEN begann erst mit seiner Offenen Antwort an Becher vom 29. Dezember 1950. In ihr ging er über den bis dahin allgemein formulierten Vorwurf, »Becher und seine Parteigänger« seien »Wortführer eines Systems der kulturellen Unfreiheit« hinaus, indem er seine Vorwürfe gegen dieses konkretisierte und Becher sein Schweigen vorwarf. Seine Anklagepunkte gegen das »Regime, das unter sowjetischem Einfluß ärger als die Gestapo gegen Menschen wütet«, waren: eine allgemeine Rechtsunsicherheit, die Unverhältnismäßigkeit von Strafen für Meinungsäußerungen, Spitzelapparat, Folterung von Häftlingen, Entführungen, Einfuhrverbot für Zeitungen und Zeitschriften (davon war auch die Deutsche Rundschau betroffen), Knebelung der Presse, wobei er sich auf seine Erfahrungen als Chefredakteur der Neuen Zeit berief. Mit den Unrechtsfällen, auf die er sich bezog, hatte er in den vorangegangenen Monaten und Wochen zu tun gehabt. Für den im März 1950 verschleppten Bundestagsabgeordneten und Stellvertretenden KPD-Vorsitzenden hatte er sich im Verteidigungskomitee ehemaliger Sachsenhausener KZ-Kameraden von Kurt Müller eingesetzt. 117 Auf die Verwendung seiner Peiniger SS-Obergruppenführer Müller und Kriminalrat Leo Lange im Polizeiapparat der D D R war er schon im Juni 1949 hingewiesen worden. 118

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Johannes R. Becher an Renee Sintenis, 27.06.1950, B A , 3162 - von ihm (mit geringfügigen stilistischen Änderungen) publiziert in: J. R. B.: Auf andere Art so große Hoffnung, S.317f. Offener Brief des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« an einige Teilnehmer am sogenannten »Kongreß für kulturelle Freiheit«. In: Sonntag, 2.7.1950, S.4. Rudolf Pechel: Freiheit im Angriff, S.518f. Vgl. Abschriften des Briefwechsels Heta Fischers, der Lebenskameradin Kurt Müllers, mit David Rousset und Theo Bernard im Pechel-Nachlaß, BArch Koblenz, Ν 1160, II/73. Auch Plievier beteiligte sich nach dem Zeugnis Heta Fischers an den Aktivitäten im Falle Kurt Müller. Bezugnehmend auf eine vorangegangene Veröffentlichung im Tagesspiegel, Hans Detlof von Winterfeldt an Rudolf Pechel, 27.6.1949, BArch Koblenz, Ν 1160, II/9.

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Fälle willkürlicher Verhaftungen und die Verhältnisse in den sowjetischen Lagern der SBZ kannte er durch die Aussagen Entlassener in dem von Birkenfeld herausgegebenen Band Der NKWD-Staat, an dessen Druckvorbereitung er zwischen Juli und Oktober 1950 beteiligt war. Außerdem erinnerte er Becher an »das harte Schicksal von Grete Buber-Neumann, Zensl Mühsam und Susanne Leonhard«, die während des Exils in Stalins Lager gekommen waren. Besonders empört haben Pechel Äußerungen Bechers auf einer Pressekonferenz in Mainz. Dessen Behauptung, daß »nur >Kriegshetzer< und >Feinde des Friedens< in den östlichen Gefängnissen und Konzentrationslagern wären«, sei »unhaltbar«. 119 Er warf ihm vor: Durch Ihr Schweigen schon haben Sie sich mitschuldig gemacht, und durch ihre öffentlichen Erklärungen über die Konzentrationslager, die Gefängnisse und die Verherrlichung des neuen östlichen Blutgesetzes 1 2 0 haben Sie diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdrücklich gebilligt. [...] Dadurch haben Sie jede Brücke zwischen Ihnen und mir abgebrochen und eine Zusammenarbeit mit Ihnen in irgendeiner Vereinigung für mich unmöglich gemacht - es sei denn, Sie fänden den Mut zu einer Verurteilung der genannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 1 2 1

Das hieß einen Tabubruch einfordern, der für Becher im Jahre 1950 nicht nur im äußeren Sinne existenzgefährdend gewesen wäre. Eine Reaktion auf Pecheis Antwort enthielt Bechers Artikel Auf der Schwelle in der Täglichen Rundschau vom 31. Dezember 1950. Hier stellte er auch die Beziehung zu dem Brief des »Ministerpräsidenten Grotewohl an Dr. Adenauer« vom 30. November her, in dem die Bildung eines paritätischen gesamtdeutschen Rates vorgeschlagen wurde. 122 Diese Beziehung hatte Pechel seinerseits als Motiv für Bechers Brief unterstellt. 123 Becher variierte - mit verstärkter Betonung des Nationalen - seinen Vorwurf, daß Pechel und die »Pechel-Deutschen« nicht bereit seien, »im Interesse ihres Vaterlandes [...] ein Gespräch zu beginnen und zu untersuchen«, ob nicht trotz prinzipieller Gegensätze »in entscheidenden Fragen« - wie er nun konzidierte - »in sehr vielen für die Existenz unseres Volkes lebenswichtigen Fragen [...] dennoch eine gemeinsame Lösung zu erreichen wäre«. 124 In der vorwurfs-

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Rudolf Pechel: O f f e n e Antwort an Johannes R. Becher, S. 16. - Einen exakten Wortlaut der Becherschen Äußerung habe ich nicht auffinden können. Die Neue Zeitung zitiert eine AP-Meldung vom 7. Dezember, in der die Rede ist von »Kriegshetzern]« und »Feinden der Demokratie«. Auf das damit gemeinte Gesetz zum Schutze des Friedens war Becher auf einer Pressekonferenz über die Wiesbadener PEN-Tagung in Berlin eingegangen - vgl. Ost und West an einem Tisch. In: N e u e Zeit, 17.12.1950. Rudolf Pechel: Offene Antwort an Johannes R. Becher, S. 17. Vgl. Zeittafel in: Deutschland im Kalten Krieg 1945-1963, S.216. Vgl. Rudolf Pechel: Offene Antwort an Johannes R. Becher, S. 18: »Alles, was Sie heute öffentlich sagen und schreiben, ist Propaganda auf Befehl, die nicht die Wahrheit und geistige Entscheidung sucht, sondern jede Tribüne zweckbestimmt mißbraucht.« Johannes R. Becher: A n der Schwelle. In: Tägliche Rundschau, 31.12.1950, S.4.

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vollen Erörterung, worin gerade die Kunst von Gesprächen bestehe, blieb ausgeblendet, u m welche prinzipiellen Gegensätze es sich handelte. U n t e r ihnen gab es einen Punkt, und auf ihn hatte Pechel, seine durch die eigene Widerstandsbiographie gestützte Autorität in die Waagschale werfend, in seiner A n t w o r t an J o h a n n e s R. Becher gezielt - die Existenz der Lager und die A b s c h r e k kungs-Justiz gegen Oppositionelle (»Schulkinder wegen Z e t t e l a n k l e b e n s zu zehn, f ü n f z e h n und m e h r Jahren Z u c h t h a u s verurteilt« 1 2 5 ). Was immer Becher auf jener Mainzer und den zeitlich eng b e n a c h b a r t e n Pressek o n f e r e n z e n in F r a n k f u r t und Berlin zu einschlägigen Vorhaltungen wörtlich gesagt hat, es lief o f f e n b a r auf eine hilflos-aggressiv vorgebrachte Teilwahrheit hinaus: D e n n tatsächlich hatten die in der S B Z / D D R e n t s t a n d e n e n Lager ihren U r s p r u n g in den anfangs auch in den anderen Besatzungszonen eingerichteten Internierungslagern f ü r Nazi-Funktionäre. 1 2 6 D a m i t aber ließen sich die von Pechel e r w ä h n t e n Praktiken und speziell Fälle wie der Kurt Müllers nicht rechtfertigen, noch weniger die Stalinschen Lager in der Sowjetunion. Hier kann nicht auf den katastrophalen G e s a m t k o m p l e x und seine D e u t u n g e n eingegangen werden. (Nach Bechers Zeugnis von 1956 waren G e s p r ä c h e d a r ü b e r k a u m noch im vertrauten Kreise möglich. 1 2 7 ) Es war dies jedenfalls ein Punkt, über den im Jahre 1950, in der Spätphase der Stalin-Ära, nicht öffentlich und differenzierend sprechen konnte, wer wie Becher überzeugt war, d a ß die kapitalistische, die sich frei n e n n e n d e Welt keine Alternative biete für Menschheitsfragen wie Frieden und Freiheit von A r m u t und Ausbeutung, weil er an ihr speziell in Deutschland vor allem restaurative Z ü g e w a h r n a h m , fehlende Bereitschaft, Faschismus und Nationalsozialismus den B o d e n zu entziehen. D a s Nichtzulassenkönnen einer wesentlichen Frage zur Qualität der angestrebten n e u e n O r d n u n g des gesellschaftlichen Z u s a m m e n l e b e n s traf hier auf eine wahre Aussage, die im R a h m e n des kalten Krieges - um einen Ausdruck Kogons aufzugreifen - »zu I n t e r e s s e n k ä m p f e n genutzt wurde«. 1 2 8 Freiheit - im Sinne der in den Medien dominierenden Sprecher des Kongresses f ü r kulturelle Freiheit wie Koestler, der das Nuancieren verwarf, 1 2 9 o d e r B u r n h a m , der die »Befreiung ganz Europas« von d e m »lastenden Alpdruck der kommunistischen Massenparteien« zur Voraussetzung eines »Friedens durch Freiheit« er-

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Rudolf Pechel: Offene Antwort an Johannes R. Becher, S. 16. Vgl. z.B.: »Friedensruf« des SED-Dichters. Becher wünscht Aussprache in Westberlin Neues vom Pen-Club. In: Der Tag, 16.12.1950: »Im übrigen könnten Westdeutsche mit ihm durch Gefängnisse der Sowjetzone gehen und ihm sagen, wie viele dort zuviel eingesperrt sind. Er würde dann durch die Straßen Westdeutschlands gehen und sagen, wie viele dort zuwenig eingesperrt sind.« Vgl. Johannes R. Becher: Selbstzensur. In: Sinn und Form 40 (1988) H.3. S.546, s. auch unten (S. 228f.). Eugen Kogon: Der Terror als Herrschaftssystem. In: E.K.: Der SS-Staat. 3. vollst, u. erw. Ausg. Frankfurt/M.: Verlag der Frankfurter Hefte 1948, S.5. Arthur Koestler (auf der Eröffnungskundgebung): In: Der Monat, 2. Jg., Nr.22/23, Juli/ August 1950, S.355.

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k l ä r t e 1 3 0 - war ja zugleich eine Mobilisierungsideologie in der globalen Auseinandersetzung der damaligen Weltmächte. U n d als solche auch >leicht zu entlarvender I n t e l l e k t u e l l als Sprecher im Namen universeller Werte, als >Gewissen< (wahlweise der Nation, der Klasse, der Demokratie, der Menschheit usf.), als Sachwalter von »meinungs- und glaubenshaften Letztwerten« 1 auftreten kann, der global zuständig ist für die symbolische Ordnung der Dinge, geschieht nicht zufällig gleichzeitig mit dem Verfall der Religiosität in der abendländischen Moderne im Zeichen durchgreifender Entzauberung, Rationalisierung und Säkularisierung der gesamten Lebenswelt. Moderne Intellektuelle, in der Regel freigestellt von unmittelbar zwanghaften Lebens- und Arbeitsverhältnissen und mit dem Privileg tendenziell unbehinderten, bestehende Grenzen überschreitenden Nachdenkens ausgestattet, sind gleichzeitig, und mehr als andere, der Gefahr ausgesetzt, den Weltzustand der zivilisatorischen Moderne in seiner ganzen Heillosigkeit ungeschönt wahrnehmen und durchdenken zu müssen. Der Intellektuelle als eine Ausgeburt des Modernisierungsprozesses par excellence erfährt als erster und am bewußtesten die Pathologie der Moderne als Sinn- und Heilsentzug. Doch die menschliche Psyche ist nicht so beschaffen, daß sie dieser Erfahrung ohne weiteres standhält. Vielmehr sucht der Intellektuelle mit immer wieder verfeinerten und anspruchsvolleren Argumenten seiner Lebensführung wie seinem Lebenslauf einen durchgehenden >Sinn< zu verleihen, sich als mit sich selbst, mit der Menschheit und mit dem Weltlauf in Übereinstimmung befindlich darzustellen. Er trachtet, als der dem Priester nachfolgende konstitutionelle Sinnsucher, die metaphysische Entzugserfahrung zu kompensieren und wird zum Sinnstifter und Heilslehrer auf der kalten, wüsten, von Gott verlassenen Stätte, der im Extremfall »die Heilsherrschaft über alle Wirklichkeit« beansprucht. 2 Indem ich in diesem Sinn nach der psychischen Motivation von Intellektuellen frage, solche und ähnliche B e stimmungen und sozialen Rollen zu erfinden und sich selbst zuzuschreiben (denn

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Helmut Schelsky: Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1975, S. 106. Helmut Schelsky: D i e Arbeit tun die anderen, S.94.

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am häufigsten ist der Diskurs über Intellektuelle ja einer unter Intellektuellen), überschreite ich theoretisch und methodisch den von Georg Jäger und anderen vorgeschlagenen kategorialen Rahmen, »die Figur des Intellektuellen« primär als ein »diskursives Phänomen« zu erfassen. 3 Die Diskursanalyse leistet viel, mehr noch freilich, wenn sie sich nicht gegen andere Frageperspektiven wie ζ. B. die nach den menschlichen und sozialen Beweggründen für die Generierung von Diskursen abschottet. Sehr verschiedene Philosophen, (Wissens-)Soziologen und Historiker von Karl Mannheim und Karl Löwith bis zu Francois Lyotard und F r a n c i s Füret haben die folgenschwere Tendenz des modernen Denkens, die säkularisierte »Weltgeschichte als Heilsgeschehen« 4 zu projektieren, so verständnisvoll wie kritisch beschrieben. Mannheim hat in Ideologie und Utopie (1929) als erster gezeigt, wie in der sozialistisch-kommunistischen Utopie die alte chiliastische Erwartung des Himmelreichs auf Erden erneuert und, mit dem Versprechen eines baldigen Untergangs des Kapitalismus, in die nahe Zukunft verlegt wird. Freilich, so Mannheim, versäumt es das marxistische Denken, sein gegen alle anderen Denkweisen als Ideologien gerichtetes kritisches Enthüllungsverfahren, »diese seinsrelativierende Methode«, auch gegen sich selbst, gegen »die eigene Hypostasierung und Verabsolutierung« zu wenden. 5 Vielmehr ermächtigt die kommunistische Utopie ihre eigenen Ideen von einem Reich der Freiheit und Gleichheit zur materiellen Gewalt, deren Durchsetzung nicht aufzuhalten sei. Ideen wird in solchem Denken ein fragloser Realitätsstatus zugesprochen, eine die soziale Wirklichkeit gesetzmäßig und unaufhaltsam steuernde Macht, so daß man nicht zufällig an den in früheren Epochen dominanten Status religiöser Glaubensinhalte und speziell deren Zukunftsprojektionen erinnert ist. Eben diesen Zusammenhang hat Karl Löwith so materialreich wie überzeugend aufgewiesen: Die großen geschichtsphilosophischen Entwürfe der Neuzeit, und speziell die marxistischen, sind »ganz und gar abhängig von der Theologie, das heißt von der theologischen Ausdeutung der Geschichte als eines Heilsgeschehens.« Sie säkularisieren ihr eschatologisches Vorbild durchgreifend, stellen nach dem »Leitfaden eines Prinzips« zwischen allen historischen Einzelereignissen einen Zusammenhang her und beziehen sie solchermaßen auf einen »letzten Sinn.« 6 Mittels einer solchen Deutung des Geschichtsprozesses als »Sinngebung des Sinnlosen«, mit Theodor Lessing zu sprechen, 7 gehört die marxistische Sinnstiftung namens Kommunismus mit ihrem »theologischen Glutkern« (Ernst Bloch) allemal zu den »ver-

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Vgl. in diesem Band Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß, S.l. Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie. 8. Aufl. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1990. Karl Mannheim: Ideologie und Utopie. 5. Aufl. Frankfurt/M.: G. Schulte-Bulmke 1969, S.215. Karl Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen, S . l l . Vgl. den Titel von Theodor Lessings einflußreichem Buch: Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. München: C. H. Beck 1916.

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kappten Religionen«, 8 wie sie zumal seit der Jahrhundertwende in Europa in vielen Arten blühten. Es erscheint mir wichtig, den hier angedeuteten Zusammenhang zwischen der Entstehung des modernen Intellektuellen und der radikalen Sinnkrise der abendländischen Zivilisation, die den Hunger nach Sinn gewaltig anwachsen ließ, bei allen Untersuchungen zu den Selbstbildern und Rollen der Intellektuellen im Auge zu behalten, ja, zur leitenden Perspektive zu machen. Das ideologische Schwärmen, das das ältere religiöse Schwärmen ablöste, blieb - dies ist entscheidend - nicht bei sich selbst stehen. Vielmehr steckte in den neuen politischen Mythologien eine Kraft, die unweigerlich zur Praxis drängte: zur totalitären Ideokratie, in der die Ideen tatsächlich zur materiellen, ja, zur blutigen Gewalt wurden. Schon die »Ideen von 1914«, also die radikal chauvinistischen, militant gewalttätigen Visionen deutscher Intellektueller - Schriftsteller, Philosophen, Historiker, Sozialwissenschaftler, Literaturwissenschaftler usw. (die meisten von ihnen wohlbestallte Professoren) zeigen ein erstes Mal, welch grauenhafte Beiträge Intellektuelle als Herrscher über die symbolisch-kulturelle Ordnung, als selbsternanntes >Gewissen der Nation< zur blutigen Realgeschichte leisten können. 9 Doch erst das Zeitalter der totalitären Regimes von 1917/18 bis 1945 resp. 1989/90, das ohne die großen Systemutopien, die totalisierenden Metaerzählungen aus der Feder von Intellektuellen so nicht möglich gewesen wäre, hat auf erschreckende Weise deutlich gemacht, wie weit der »Verrat der Intellektuellen« 10 gehen kann. Dies gilt bekanntlich sowohl für die Liaison mit rechten wie mit linken Versionen des Totalitarismus. Aber im Blick auf den Marxismus bleibt es eine anhaltende Irritation, daß dieser Entwurf, in seiner ideellen Intention universeller und freiheitlicher selbst als das Christentum, sich in so massiver Weise mit totalitärer Praxis verbunden hat. Mich soll die Frage beschäftigen, warum es noch nach 1945 - und über weitere Jahrzehnte hin - möglich war, daß sich so viele Angehörige der Intelligenz aufs neue dem sozialistischen Projekt mit Haut und Haaren verschrieben, wo sich doch die Irrtums- und Enttäuschungsgeschichte des Sozialismus schon über Jahrzehnte erstreckte und dementsprechend genügend Erfahrungsmaterial bereithielt, mit Hilfe dessen man die eigenen Wünsche und Projektionen hätte überprüfen können.

* Carl Christian Bry: Verkappte Religionen. Gotha: F. A. Perthes 1924. 9 Vgl. neben der umfangreichen älteren Literatur neuerdings Wolfgang Mommsen (Hg.): Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg. München: Oldenbourg 1996. 10 Vgl. Julien Benda: La Trahison des Clercs. Paris: B. Grasset 1927. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung erschien erst 1948 unter dem Titel Der Verrat der Geistigen in der Literarischen Revue (Nr. 3). Ich unterlege der berühmten Wendung von Benda hier bewußt einen Sinn, der mit der Intention des Autors nicht kongruent ist.

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2 Als der Krieg zu Ende war, verfügten die am Leben gebliebenen Deutschen in allen vier Besatzungszonen über die gleiche Erbschaft an Trümmern und Zerstörung, an Wegsehen und Mitmachen, in selteneren Fällen auch an Mut und Solidarität. »In weniger als sechs Jahren«, schrieb Hannah Arendt 1950, »zerstörte Deutschland das moralische Gefüge der westlichen Welt, und zwar durch Verbrechen, die niemand für möglich gehalten hätte [.,.].« u Doch was in der Folge aus dieser Erbschaft wurde, hing entscheidend von dem Einfluß der jeweiligen Besatzungsmacht ab sowie davon, auf welche Teile der Bevölkerung und auf welche Institutionen sie sich stützte. In den drei Westzonen gab es nur wenige Angehörige der Intelligenzschicht (von den in nur geringer Zahl zurückgekehrten Exilierten abgesehen), die bereit waren, die Situation des »Nullpunkts« nicht nur als »Zusammenbruch«, sondern auch als »Befreiung« von einem Terrorregime und damit als Chance zu einer durchgreifenden mentalen und politischen Umwälzung zu begreifen. Selbst die bislang als rühmliche Ausnahme geltenden demokratisch-sozialistisch gesonnenen Initiatoren des Ruf, später dann der Gruppe 47, Alfred Andersch und Hans Werner Richter, müssen sich neuerdings heftige Kritik als männerbündisch-soldatische Truppe gefallen lassen, die den kriminellen, terroristischen Charakter des Zweiten Weltkriegs nicht begriffen, sondern ihn und ihr eigenes »Schuldwissen« vielmehr mit hohlen Pathosformeln und dem »Phantasma einer phallischen Wir-Erzeugung« verhüllt habe. 12 Dominant war und blieb lange eine Haltung der sich vornehmlich der »Inneren Emigration« zurechnenden literarischen Intelligenz, aus der heraus »Kultur inszeniert« wurde, »um die Wirklichkeit des Faschismus an die Wand zu spielen.« 13 In diesem Sinne deutete auch Adornos wichtiger Aufsatz »Auferstehung der Kultur in Deutschland?« von 1950 den Pferdefuß des zunächst eindrucksvollen kulturellen Enthusiasmus in Westdeutschland. 14 Natürlich hätten die bedeutenden Intellektuellen und Schriftsteller, die ins Exil gegangen waren, eine Schlüsselrolle spielen können bei der anstehenden »sanitären Aufgabe [...] nach dem Ende des Faschismus«, nämlich der »ideologischen Müllabfuhr«, mit Enzensberger zu sprechen. 15

" Hannah Arendt: Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes [1950]. Berlin: Rotbuch 1993, S.23. 12 Vgl. Klaus Briegleb: »Neuanfang« in der westdeutschen Nachkriegsliteratur - Die »Gruppe 47« in den Jahren 1947-1951. In: Sigrid Weigel/Birgit Erdle (Hg.): Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Zürich: vdf Hochschulverlag 1996, S. 119-164. Hier S. 143 und S. 133. 13 Jürgen Manthey: Zurück zur Kultur. Die Wiedergeburt des nationalen Selbstgefühls aus dem Geist der Tragödie. In: [Rowohlts] Literaturmagazin 7 (1977): Nachkriegsliteratur, S. 13. 14 Der Aufsatz ist wiederabgedruckt in: Theodor W. Adorno: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, S.20-33. 15 Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Die Gesellschaft ist keine Hammelherde. Interview in: Der Spiegel, Nr. 4 (1987), S.76.

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Doch die meisten von ihnen kamen bekanntlich nicht nach Westdeutschland zurück. Zwischen 1949 und dem Ende der 50er Jahre wurde die deutsche Teilung zementiert und die Integration der beiden Staaten in die Militärblöcke der Großmächte vollzogen. Man praktizierte entschieden weniger lebendige Demokratie, als das Grundgesetz es zugelassen hätte, und ein behäbig-konservatives, wo nicht reaktionäres Kulturmilieu konnte sich etablieren, das die Verstrickung vieler Deutscher in die Naziverbrechen möglichst ignorierte. Dieser Gang der deutschen Dinge war nicht geeignet, die kritischen Autoren zur Identifikation mit der jungen Bundesrepublik, zu einem emphatischen Dafürsein zu veranlassen. Stattdessen empfanden die meisten von ihnen sich als Einzelgänger und Außenseiter in einem neuen juste milieu, das sie als »Restauration« erlebten. 16 So übten sich die meisten westdeutschen Intellektuellen in Verweigerung, genannt Nonkonformismus, sofern sie nicht resignierten. Wie anders entwickelten sich politische Bewußtwerdung und Ortsbestimmung zumal der jungen literarischen Intelligenz in der S B Z / D D R . Ein entscheidender Unterschied zu den Westzonen liegt zunächst darin, daß die meisten Schriftsteller und auch einige Wissenschaftler, die als Kommunisten (oder Sozialisten) ins Exil gegangen waren, die Sowjetische Besatzungszone bzw. die junge D D R als neuen Lebensort und damit auch als Zentrum ihres literarischen und politischen Wirkens wählten. Einige, wie Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Erich Arendt, Rudolf Leonhard oder Stefan Heym, zögerten lange, nicht zuletzt, weil sie nicht völlig blind gegenüber dem stalinistischen Terror seit 1936 waren und einer KPD/SED unter Führung Walter Ulbrichts zumindest skeptisch gegenüberstanden. Dennoch taten sie wie vor ihnen viele andere den folgenreichen Schritt. Der Haß auf die Nazis und deren Verbrechen an den eigenen Leuten saß tief, und das Bedürfnis, so viele Jahre Lebenszeit, die nur aus Opfern und Entsagung bestanden, nun endlich hinter sich zu lassen, war groß. 17 Hinzu kam wachsende Skepsis gegenüber der westdeutschen Entwicklung im Bündnis mit der kapitalistischen Führungsmacht USA. Doch den Ausschlag gab vermutlich die Versuchung, endlich einmal - zum erstenmal! - in einem deutschen Staat leben zu können, der auf der >richtigen< Seite, nämlich der der Humanität, des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit, zu stehen schien und zudem der Kultur und den Künsten einen hohen Stellenwert beimaß. So erschienen schon der ersten, vorwiegend aus Exilierten bestehenden Generation der literarischen Intelligenz der D D R die Chancen des Dafürseins größer als die Risiken. Um wieviel mehr galt das für die zweite Generation der in den 20er Jahren Gebo-

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Helmuth Kiesel polemisiert in seinem Aufsatz Die Restaurationsthese als Problem für die Literaturgeschichtsschreibung, in: Walter Erhart/Dirk Niefanger (Hg.): Zwei Wendezeiten. Blicke auf die deutsche Literatur 1945 und 1989. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 1 3 45, mit guten Gründen gegen eine spätere pauschale Verwendung des Begriffs Restauration für die fragliche Zeit. Daß viele westdeutsche Intellektuelle in den 50er Jahren die Zeichen der Zeit als restaurativ wahrnahmen, ist hingegen schwerlich zu bestreiten. Vgl. hierzu auch den Beitrag Becher fuhr nicht nach Wroclaw von Ursula Heukenkamp in diesem Band.

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renen. Eine große Zahl von ihnen band sich - für nachträgliche Beobachter zunächst überraschend - freiwillig, gläubig und affirmativ an das neue antifaschistischsozialistische Staatswesen - und fesselte sich damit selbst mit noch nicht absehbaren Folgen. Es geht gerade nicht um die erste weiträumige Generation der literarischen Intelligenz von Brecht, Becher, Seghers, Zweig und Bloch bis zu Hans Mayer, Heym und Hermlin, die eine durch ihre frühere Biographie im Exil beglaubigte antinazistische linke Identität hatten oder eine solche zumindest glaubhaft machen konnten. Vielmehr sind es die in den zwanziger Jahren geborenen Autoren - Autoren, die das NS-Regime und den Krieg als junge Männer und Frauen, oft noch als Kinder, als Soldaten, SA-Leute, Hitlerjungen und BdM-Mädel erlebt hatten, in der Regel als naiv Begeisterte oder als Mitläufer. Ich nenne stellvertretend die Namen Erwin Strittmatter, Franz Fühmann, Hermann Kant, Günter de Bruyn, Erich Loest, Christa Wolf, Heiner Müller, Dieter Noll und Erik Neutsch. Ihre Bekehrung erfuhren sie, sofern sie Soldaten gewesen waren, häufig in der Kriegsgefangenschaft oder dann zu Hause. Die Regel ist, daß ein Glaube, ein totales Weltbild durch einen neuen Glauben, ein neues totalisierendes, geschlossenes Weltbild ersetzt wurde, das des Marxismus. Günther Deicke (1922 geboren) hat das 1988 bestätigt: »Ein westdeutscher Publizist nannte uns >Dichter im DienstÜberläufer< gleich noch handstreichartig zu »Siegern der Geschichte« erklärte. Am (vorläufigen) Ende dieses Prozesses stand die freiwillig-unfreiwillige Selbstbindung des reuigen Sünders an den Anti-Faschismus als das Gegenteil dessen, dem er einst verfallen war: dem Faschismus, der auch Auschwitz hervorgebracht hatte. In diesem Kontext ist Franz Fühmanns vielzitiertes Wort »ich bin über Auschwitz in die andere Gesellschaftsordnung gekommen« zu verstehen - und es gilt für fast alle Autoren dieser Generation. 19 War »der Faschismus« (wie in der D D R das NS-Regime pauschalierend genannt wurde) das Böse schlechthin, so wurde »der Antifaschismus« (was immer das konkret meinte) als sein Gegenteil automatisch zum Guten und Wahren, zur ideologischen Klammer, die fast alles zusammenhielt. Zweifellos war der DDR-Antifa-

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Günther Deicke: Die jungen Autoren der vierziger Jahre. In: Sinn und Form 39 (1987) H.3, S. 644. Deicke spielte damit auf das Buch Dichter im Dienst. Der sozialistische Realismus in der deutschen Literatur von Lothar Balluseck an, das zuerst Wiesbaden 1956, erweitert 1963 erschien. Franz Fühmann: Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens. In: F. F.: D a s Judenauto [u. a. Texte]. Rostock: Hinstorff 1979, S.478.

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schismus »verordnet« (selbst Heiner Müller n a n n t e ihn ohne Abstriche so), 2 0 aber im gleichen A t e m z u g e wurde er freiwillig als A n k e r der moralischen Selbstrettung und imaginativen Wiedergutmachung ergriffen. So promovierte »der Antifaschismus«, und auf seinem R ü c k e n der Sozialismus gleich mit, automatisch zum H u m a nuni schlechthin, das z u d e m - n a c h d e m die eine, die nazistische gerade in sich zusammengestürzt war - eine n e u e heilsgeschichtliche Perspektive auf E r d e n eröffnete. D a ß m a n damals einem dergestalt dualistischen, prinzipalistischen Vorstellen und D e n k e n verhaftet war, ist historisch plausibel. G e g e n ü b e r d e m terroristischen NS-Regime gab es tatsächlich nur zwei Grundmöglichkeiten des Verhaltens: A n passung und U n t e r w e r f u n g o d e r Verweigerung und Widerstand. >Abseits gestand e n oder >nur mitgelaufen< zu sein, hatte sich im Nachhinein als moralische Illusion erwiesen. Die von den n e u e n M a c h t h a b e r n , den founding fathers der D D R , eröffnete Falle bestand darin, daß sie diesen Dualismus als unausweichlich a n d a u e r n d dekretierten. Wer nicht »antifaschistisch« und f ü r den A u f b a u des Sozialismus war, w u r d e rasch d e m unterstellten Gegenteil, d e m »Faschismus« (später gemildert zu »feindlich-negativer Einstellung«) zugeordnet. »Politische Traditionslinien jenseits der Entgegensetzung von Faschismus und seinem b e h a u p t e t e n Gegenteil treten damit erst gar nicht in den Blick«, so hat D a n Diner treffend festgestellt. 2 1 D a s Angebot an alle ehemaligen Mitläufer, ja sogar an die sogenannten »kleinen Täter« aus d e m Dritten Reich, jetzt ins breite antifaschistische Bündnis eintreten zu dürfen und damit zu den »Siegern der Geschichte« zu gehören, war verlockend und beruhigend zugleich, sofern j e m a n d e m das schlechte Gewissen schlug. Zugleich aber erwies es sich als »Loyalitätsfalle« (ich ü b e r n e h m e A n n e t t e Simons hilfreichen Ausdruck), 2 2 der schwer wieder zu e n t k o m m e n war. D e n n wer das D D R - R e g i m e unbeschönigt beschreiben wollte (ζ. B. als Schriftsteller), wie es wirklich war, o d e r gar entsprechend seinen kritischen Einsichten handeln wollte, der verließ automatisch den antifaschistischen Grundkonsens, nach d e m Antifaschist-Sein und Ein-guterD D R - B ü r g e r - S e i n miteinander identisch waren und umgekehrt. »Man hätte bei uns [in der D D R , W. E.] Antifaschisten b e k ä m p f e n müssen, um den Stalinismus zu bek ä m p f e n « - auf diese f r a p p i e r e n d e Formel hat es nach der Wende Wolfgang Kohlhaase gebracht. 2 3 D a r a u s entstand j e n e intime, kindliche, familiäre Loyalität, um nicht zu sagen Gefolgschaftstreue, der vom sozialistischen Ü b e r v a t e r in G n a d e n ang e n o m m e n e n gefallenen Kinder, die f ü r lange Jahre die Texte dieser A u t o r e n der zweiten G e n e r a t i o n durchzieht und ihr Selbstverständnis und H a n d e l n als >Intellektuelle< prägt. Was Julien B e n d a 1927 prophetisch als »Verrat der Intellektuellen«

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21

22 23

Vgl. Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1992, S.364. Vgl. D a n Diner: Kontraphobisch. Über Engführungen des Politischen. In: D.D.: Kreisläufe. Nationalsozialismus und Gedächtnis. Berlin: Berlin Verlag 1995, S. 102. Annette Simon: Antifaschismus als Loyalitätsfalle. In: FAZ, 1.2.1993. Wolfgang Kohlhaase in einem Gespräch mit der tageszeitung (Ausgabe Bremen), 17.6.1990.

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stigmatisiert hatte, nämlich das Amt eines Sprechers für universelle Werte, für Bürger- und Menschenrechte ohne Abstriche preiszugeben zugunsten eines Eintretens für partiale und ausschließende Werte (damals zu Recht vor allem gegen die irrationale, voluntaristische faschistische Intelligenz gerichtet, aber auch gegen den Marxismus), was zwischen 1933 und 1945 bereits in Nazi-Deutschland und in der Sowjetunion unter Stalin von Intellektuellen so schrecklich praktiziert worden war, vollzogen die meisten Angehörigen der literarischen Intelligenz in der DDR, und zumal die aus der zweiten Generation, auf paradoxe Weise freiwillig und gezwungenermaßen zugleich, gläubig und notgedrungen. Die von der SED-Führung durchaus geschickt (und bis zu einem gewissen Grad wohl gleichfalls gläubig) vollzogene »Engführung des Politischen« 24 engte zugleich die Optionen von Intellektuellen in der D D R radikal ein. Außer Dafürsein blieb nur: Dagegensein, und eben das wollte man nicht. Jorge Sempruns (Horkheimers berühmtes Kapitalismus-Faschismus-Diktum abwandelndes) Wort: »Wer vom Stalinismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus schweigen« markiert das zentrale Tabu des verordneten DDR-Antifaschismus als Staatsdoktrin und Lebenslüge zugleich. Kaum einer hat das schon so (relativ) früh und so treffend durchschaut wie Uwe Johnson in seinem Versuch eine Mentalität zu erklären von 1970. »Der Fall war«, konstatierte Johnson, »daß hier mit der Vergangenheit gebrochen werden sollte« - was kein Wohlmeinender verweigern konnte. Und auch der »Annahme, daß nach dem abgetanen System der Faschisten diese neue Autorität von Haus aus die bessere war, weil anti-faschistisch«, war kaum zu entgehen: »Die moralische Eindeutigkeit war verführerisch. Das saß.« So konnte sich die D D R »als Lehrerin, so streng und wunderlich sie auftrat, [...] lange Zeit fast unbedenklich verlassen auf die beiden moralischen Wurzeln, die antifaschistische und die der sozialen Proportion [...]. Denn die Einladung zum neueren Leben, die Gebärde der weit geöffneten Arme, sie war zum Mißverstehen gewesen« - so erkannte Johnson, und damit meinte er die Älteren, von Krieg und Nazismus Gebrannten, wie die Jüngeren, zu denen er selbst gehörte. 25 Die Belege für den skizzierten Sachverhalt aus der DDR-Belletristik wie aus autobiographischen Zeugnissen von DDR-Autoren sind ungemein zahlreich und haben sich seit der Wende noch einmal beträchtlich vermehrt. Hier sei nur ein einziger zitiert, und zwar gezielt von Christa Wolf. Er dokumentiert zugleich ihr prototypisches Befangensein (um nicht zu sagen Gefangensein) in der verordneten »Engführung des Politischen« - und ihr im Lauf der Jahre und Jahrzehnte zunehmend kritisches Bewußtsein von dieser Beengung. In einem öffentlichen Gespräch aus dem Jahrel987 sagte sie u.a. die folgenden Sätze:

24 25

Dan Diner: Kontraphobisch. Über Engführungen des Politischen, S.95 und passim. Vgl. Uwe Johnson: Versuch, eine Mentalität zu erklären. Über eine Art DDR-Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. In: U. J.: Berliner Sachen. Aufsätze. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 53f.

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Meine Generation hat früh eine Ideologie gegen eine andere ausgetauscht, sie ist erst spät, zögernd, teilweise gar nicht erwachsen geworden, will sagen, reif, autonom. Daher kommen ihre - unsere Schwierigkeiten mit den Jüngeren. D a ist eine große Unsicherheit, weil die eigene Ablösung von ideologischen Setzungen, intensiven Bindungen an festgelegte Strukturen so wenig gelungen ist, die Jungen so wenig selbständiges D e n k e n und Handeln sehen und daher keine Leitfiguren finden, auf die sie sich verlassen können. So holt uns, im Verhältnis zu den Jungen, unsere nicht genügend verarbeitete Kindheit wieder ein. 2 6

Was Christa Wolf hier selbstkritisch auf der E b e n e von individueller psychischer Deformation und gestörtem Generationenverhältnis beschreibt, hatte auch konkrete politische Konsequenzen. Indem man sich bedingungslos mit »dem Antifaschismus« ä la D D R identifizierte, übernahm man gleichsam huckepack die Zukunftsperspektive Sozialismus, ohne dessen bisherige von Terror gezeichnete Realgeschichte auch nur ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen. Die Sehnsucht, nach dem zerstörten Sinnkonstrukt Nationalsozialismus einer neuen, scheinbar unbefleckten Glücksverheißung zu folgen, die Verlockung, endlich einmal ohne schlechtes Gewissen dafürsein zu können im guten neuen Staat, erstickte alle möglichen kritischen Vorbehalte schon im Keim. D a ß dieses Dafürsein auch beträchtliche Risiken, ja, Aporien barg, dämmerte erst viel später. Und selbst dann hielt man in der Regel am zentralen Muster der Sinnfindung und -deutung des (nachgeholten oder imaginierten) Antifaschismus fest. Man kann sich fragen, woher die Kräfte hätten kommen sollen, die frühe Zweifel, ja Distanz gegenüber dem angetragenen Projekt hätten wecken können, nunmehr zu den »Siegern der Geschichte« zu gehören und einen erkennbar undemokratischen Sozialismus aufzubauen. Es gab ja auch einige Kommunisten, alte und junge, wie Theodor Plivier oder Wolfgang Leonhard, die sich schon früh, 1947/48/ 49/50, der realsozialistischen Diktatur versagten und die D D R verließen. Doch gerade weil sie nicht frei, öffentlich wirken konnten, vielmehr aus der S B Z resp. D D R flüchten mußten, war ihr Einfluß auf die jungen potentiellen Intellektuellen, die Orientierung jenseits der offiziellen Doktrin hätten brauchen können, fast gleich Null. A m ehesten waren jene Angehörigen der Kriegsgeneration gegen die erörterte antifaschistisch-sozialistische Selbstbindung als Selbstfesselung gefeit, die Widerstandskraft aus einem intakten religiösen, bildungsbürgerlich-humanistischen oder auch sozialdemokratisch-konservativen Wertehorizont schöpften. Ich will hier nur auf das Beispiel Günter de Bruyn hinweisen, dessen beide Autobiographiebände Zwischenbilanz und Vierzig Jahre eindrucksvoll belegen, daß und wie die Prägung durch ein katholisches Familienmilieu sich als dauerhafte Imprägnierung gegen die heilsgeschichtlichen Versprechungen des »realen Sozialismus« bewähren konnte. Schließlich stehen noch Forschungen aus zu dem, was Günter Wirth in einem Aufsatz von 1995 für die Zeit bis ca. 1950 als »Gegenkultur aus bildungsbürgerlichem Geist« 2 7 bezeichnet hat. Immerhin gab es ja an den ostdeutschen Universitäten, neben den linken Remigranten wie Bloch, Hans Mayer, Werner Krauss, Ernst

26 27

Zitiert nach Therese Hörnigk: Christa Wolf. Berlin: Volk und Wissen 1989, S.9. Günter Wirth: Gegenkultur aus bildungsbürgerlichem Geist. In: FAZ, 1.4.1995.

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Engelberg oder Walter Markov, bedeutende bürgerliche Gelehrte wie Hans-Georg Gadamer, Hermann August Korff und Theodor Litt in Leipzig, Hans Leisegang oder Max Bense in Jena, Wilhelm Fraenger (den Volkskundler und Kunsthistoriker) in Dresden oder Eduard Spranger in Berlin. Es gab die Dresdener Künstlerszene um Josef Hegenbarth, Hans Theo Richter und Fritz Löffler, und es gab nicht zuletzt vom Nazismus weit entfernte bürgerliche Literaten im Umkreis von Sinn und Form wie Hermann Kasack, Werner E. Stichnote und Werner Wilk. Fast alle Genannten verließen, mehr oder weniger freiwillig, bis 1950 die S B Z / D D R . Damit wurde der in sich plurale antinazistische Grundkonsens des Anfangs, der alles andere als nur kommunistisch war, zerstört. Aus >Antifaschismus< als einem authentischen politischen und kulturellen Impuls zum Neubeginn wurde die künstlich homogenisierte »ideologische Existenzlüge« 28 der D D R (mit Dan Diner zu sprechen), und das für 45 Jahre. Friedrich Dieckmann, nicht als Schönredner der verblichenen D D R bekannt, hat einmal behauptet, in der SBZ sei der »Schnitt [zum NS-Regime, W. E.] [...] realiter und gewaltsam vollzogen« worden, »nicht von Nachgeborenen, die sich an die Stelle der Widerstandskämpfer setzten, sondern von diesen selbst, von Menschen, die aus den Lagern, den Gefängnissen, den Todeszellen des Hitlerstaats gekommen waren oder aus Exilländern zurückkehrten. Der Vorgang machte den Erfahrungsvorsprung jener Zone aus, die seit 1949 Deutsche Demokratische Republik hieß [.. ,].« 29 Dem möchte ich widersprechen. Zum einen muß es mit dem Wissen von heute als fraglich gelten, ob die aus dem sowjetischen Exil zurückkehrenden Kommunisten (die mit Glück und Geschick überlebt hatten) oder die ehemaligen Lagerhäftlinge von Buchenwald (die auf ebensolche Weise überlebt hatten) wirklich den »Erfahrungsvorsprung« hatten, den Dieckmann ja im Sinne einer moralischen Qualität meint. Und auch in den Westzonen/der Bundesrepublik wirkten Widerständler und Exilierte, von Adenauer und Schumacher bis zu Heinemann und Brandt, denen ein »Erfahrungsvorsprung« nicht abzusprechen ist. Eine in der Folgewirkung ganz erhebliche Begleiterscheinung des planen »Antifaschismus« war, daß der Sowjetunion als der Macht, die den »Faschismus« heroisch besiegt hatte (und das hatte sie unzweifelhaft und unter ungeheuren Opfern) ein »Nachkriegsbonus« 3 " eingeräumt wurde, der auch auf ihr sozialistisches System übertragen wurde. Zumindest unter manchen Angehörigen der literarischen Intelligenz verbreitete sich ein vertrackter »Philosowjetismus«, 31 dem es häufig weit über 1956 hinaus gelang, die Verbrechen des Stalinismus zu ignorieren oder schönzureden. Dies ist ein wichtiger und bisher eher vernachlässigter Aspekt der Selbstfesselung der DDR-Intelligenz, den ich hier auch nur erwähnen kann. Überblickt man die ersten zwanzig Jahre der ostdeutschen Sonderexistenz von 1945 bis etwa 1965, dann muß man feststellen, daß die übergroße Mehrzahl der

2

* Dan Diner: Antifaschistische Weltanschauung. In: D.D.: Kreisläufe, S.79. '' Friedrich Dieckmann: Land unter Bomben. Vereint in der Zerstörung, im Aufbau gespalten. In: FAZ, 19.4.1995. Dan Diner: Antifaschistische Weltanschauung, S.82. 31 Ebd., S.84. 2

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Dafürseins

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Schriftsteller gerade aus der von mir so genannten >zweiten G e n e r a t i o n die ihr angetragene Rolle als Erzieher der noch nachhinkenden Volksmassen auf dem Weg zum Endziel Sozialismus, als sozialistisches Gewissen willig annahm und sich ihrer volkspädagogischen, »ganz ausgesprochen sozialaktivistischen« Aufgabe (Uwe Johnson 3 2 ) mit Hingabe widmete. Da die D D R sich den Autoren lange erfolgreich als »das bessere Deutschland« darstellte (noch Anfang der 60er Jahre fühlte sich Heinz Czechowski »in diesem besseren Land«, 3 3 und Adolf Endler und Karl Mickel wählten die Wendung 1966 als Titel einer bedeutenden Lyrikanthologie), gingen diese bereitwillig auf das ihnen gemachte Angebot ein, an der Macht beteiligt zu sein, eben als Erzieher und Sprecher der sozialistischen Nation. Schon der Leninismus hatte die Vormachtstellung der Intelligenz gegenüber der Arbeiterklasse begründet und festgeschrieben. György Konräds Buch Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht (deutsch 1978) hat gezeigt, daß unter anderem auf Grund dieser Privilegierung die Attraktivität des sozialistischen Modells für große Teile der Intelligenz so lange erhalten blieb. Das galt für keine Gruppierung mehr als für die literarische Intelligenz. Die Literatur sollte in der D D R als einem sozialistischem Land gerade keine autonome Wertsphäre im Sinne Max Webers sein, sondern als dem Gesamtsystem »sozialistische Gesellschaft« zugehörige eingreifende Kraft die Massen für den Sozialismus mobilisieren und »sozialistische Persönlichkeiten« heranbilden helfen. Diese Aufgabenzuschreibung band die Schriftsteller - und schmeichelte ihnen doch zugleich, weil sie sich selbst wichtig finden durften. In diesem Sinne hatte die Literatur einen tendenziell vormodernen Systemstatus, der noch dadurch befestigt wurde, daß die Gesamtkultur der D D R viel weitergehend als in vergleichbaren westlichen Länder in der traditionellen Schriftkultur verharrte. 3 4 Hier sind wohl die größten Unterschiede im prekären Verhältnis von Geist und Macht in Ost und West zu konstatieren. So geriet die Literatur in der Bundesrepublik viel früher und heftiger als im Osten in die Konkurrenz mit den audiovisuellen wie auch den anderen Printmedien und mußte (durfte) sich über Jahrzehnte hin schrittweise daran gewöhnen, kein wegweisendes Leitmedium mehr zu sein. Und sie hatte sich, ob ihre Urheber wollten oder nicht, als tendenziell autonome Wertsphäre in einer modernen pluralen Gesellschaft zu bewähren, der ein politischer Erziehungsauftrag allenfalls zeitweise von bestimmten konservativen, ab 1968 dann auch linken Gruppen auferlegt wurde. Selbst wenn die politische Führung in der

,2

34

U w e Johnson in dem Gespräch Sie sprechen verschiedene Sprachen. Schriftsteller diskutieren. In: alternative 7 (1964) H. 38/39, S.98. Heinz Czechowski: Brief [= Gedichttitel]. In: In diesem besseren Land. Gedichte der Deutschen Demokratischen Republik seit 1945. Halle/S.: Mitteldeutscher Verlag 1966, S. 286. Zu diesen beiden wichtigen Aspekten der im zeitgenössischen Vergleich hypertrophen Rolle der Literatur und ihrer Urheber in der D D R - vormoderner Systemstatus und Verharren in der Schriftkultur - habe ich mich andernorts geäußert. Vgl. meinen Aufsatz: Zwischen Hypertrophie und Melancholie. Die literarische Intelligenz der D D R im historischen Kontext. In: Universitas. Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft (1993) H.8. S. 778-792.

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Bundesrepublik den Intellektuellen und Schriftstellern angeboten hätte, sie in irgendeiner Weise an der Macht zu beteiligen, hätten diese sich grundsätzlich verweigert, eben weil sie gegenüber der konservativen, als restaurativ taxierten Mehrheits- und Regierungspartei >nonkonform< waren und bleiben wollten. Diese Haltung radikalisierte sich sogar noch in der Phase der Großen Koalition und dauerte, verändert, fort in Zeiten der sozial-liberalen Regierung. Indem die Intellektuellen nicht oder allenfalls partiell >dafür< sein konnten, entgingen ihnen die verführerischen, schmeichelhaften Optionen, die sich der literarischen Intelligenz der D D R boten, aber auch die damit verknüpften Risiken und Illusionen. Vielen Angehörigen der literarischen Intelligenz in sozialistischen Ländern, zumal in der D D R , gelang - oder geschah? - im Lauf der späten 60er und 70er Jahre etwas ganz Erstaunliches: Auch als ihre Einstellung gegenüber dem »real existierenden Sozialismus« als dem falschen, mißlungenen kritischer und kritischer wurde, hielten sie - nachweislich ungebrochen auf der Basis eines emphatischen Bekenntnisses zum »Antifaschismus« - an der vertrauten Zuschreibung fest, einer Elite mit aufklärerisch-erzieherischem Auftrag anzugehören. Diese beharrliche Selbstzuschreibung wurde natürlich durch den tendenziell vormodernen Systemstatus von Literatur in der DDR, durch ihr ideologisch verordnetes Verharren in der Schriftkultur und den ihr zugewachsenen Status einer >Ersatzöffentlichkeit< mangels einer genuin bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit ermöglicht. Die besagte Selbstzuschreibung wurde überdies bestätigt und befestigt durch eine westdeutsche linke Kulturintelligenz, die mit dem schmeichelhaften sozialen Status der kritischen DDR-Literaten sympathisierte, gerade weil sie ihn längst nicht mehr innehatte. Diese systemischen Bedingungen hielten mehr oder weniger bis zum Ende des Staates D D R an. Gewiß sind für die späten 70er und 80er Jahre gravierende Veränderungen und Verschiebungen auch in den Rollen-(Selbst-)Zuschreibungen der literarischen Intelligenz zu verzeichnen - aber ebenso bleibende Strukturen des weiterhin DafürseinWollens, des Sich-nicht-lösen-Könnens. In diesem Sinne konnte Stefan Heym am 1. Dezember 1976, zwei Wochen nach der Biermann-Ausbürgerung, einem Korrespondenten von Newsweek, der nach den »Dissidenten« in der D D R fragte, zumindest partiell zutreffend antworten: »Es gibt keine Dissidenten bei uns in dem im Westen gebräuchlichen Sinne, selbst Biermann sei alles andere als ein Solschenizyn, und die Schriftsteller gar, die den Protestbrief unterzeichneten, seien sämtlich für die Republik, für den Sozialismus.« 35 Abschließend soll an zwei signifikanten Beispielen gezeigt werden, wie sich diese dilemmatische Situation im Einzelfall darstellte. Dabei lege ich meiner Skizze seit der Wende zugänglich gewordene bzw. publizierte Archivquellen und gerade in letzter Zeit gehäuft veröffentlichte autobiographische Texte von Vertretern der literarischen Intelligenz zugrunde.

35

Stefan Heym: Der Winter unsers Mißvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant. München: Goldmann 1996, S. 123.

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3 Der lange Weg von Christa Wolf zum späten und, soweit ich sehe, nur partiell vollzogenen Abschied vom Projekt Sozialismus ist schon manches Mal thematisiert worden. A b e r er ist auch besonders aufschlußreich, zumal nach neuen Quelleneditionen aus den letzten sieben Jahren. Ich zitiere hier nur einige Sätze aus dem Band In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung (erschienen 1994), der vor allem die Vorgänge in der Berliner (SED-)Parteigruppe im Schriftstellerverband seit Mitte November 1976 - vollständige Protokolle der beiden tribunalartigen Partei Versammlungen vom 23.11.1976 und vom 20.1.1977 sowie Briefwechsel zwischen Autoren und Parteileitung - dokumentiert. Christa Wolfs Briefe zeigen eindrucksvoll ihre schon seit dem 11. Plenum des ZK der S E D im Dezember 1965 bekannte protestantisch gefärbte Standhaftigkeit 3 6 gegenüber einer Parteileitung, die sie zur Rücknahme ihrer Unterschrift und zur Reue schlechthin zwingen wollte. Sie tat weder das eine noch das andere - und beharrte doch gleichzeitig darauf, daß sie sich »immer als Genossin fühlen« werde »und auch versuchen [werde], so zu handeln.« 3 7 Wenn die Partei »nach einer Parteizugehörigkeit von siebenundzwanzig Jahren, die ich niemals formal aufgefaßt habe«, ihre weitere Mitgliedschaft »von dem Eingeständnis eines Fehlers« abhängig mache, »was nicht aufrichtig wäre, dann muß eben auch ich mit dem höchsten Strafmaß rechnen und darauf bestehen.« 3 8 Der Schritt, die >Kirche< S E D von sich aus zu verlassen, ist für Christa Wolf und manche andere ein noch zu großer zu diesem Zeitpunkt. Die Verkehrsformen des Strafens und Bestraftwerdens, von Reue und Buße gelten noch als normal, auch wenn Wolf sich im konkreten Fall strikt verweigert. Gewiß ging es damals, im Spätherbst/Winter 1976/77, »um einen Versuch intellektueller Emanzipierung«, wie der in der Halbdistanz stehende, der sozialistischen Lehre immer fremd gebliebene Günter de Bruyn in seiner autobiographischen Bilanz Vierzig Jahre treffend festgestellt hat. 3 9 A b e r der Emanzipationsversuch war von vornherein gebremst dadurch, daß (so weiter de Bruyn) das, »was die Individualisten verband«, die da protestiert hatten, »die Ablehnung des Ausbürgerungsaktes« war, »nicht des Regimes«. 4 0 Ganz deutlich zeigt das auch eine Einlassung von Christa Wolf während des Gesprächs von einigen aufmüpfigen Autoren und Schauspielern mit dem SED-Politbüromitglied Werner Lamberz und zwei anderen Funktionären

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17

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39 40

Vgl. erhellend zu Christa Wolfs Protestantismus in einem expliziten Sinne Ricarda Schmidt: Religiöse Metaphorik im Werk Christa Wolfs. In: German Monitor 30. Sonderband: Christa Wolf in Perspective. Hrsg. v.l. Wallace. Amsterdam: Edition Rodopi 1994, S. 7 3 - 1 0 6 . Christa Wolf: Erklärung für die Parteileitung des Berliner Schriftstellerverbandes. 7.12.1976. In: R. Berbig u.a. (Hg.): In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung. Berlin: Links 1994, S.278. Christa Wolf: Brief an den Parteisekretär des Berliner Schriftstellerverbandes. 9.12.1976. In: R. Berbig u.a. (Hg.): In Sachen Biermann, S.279. Günter de Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht. Frankfurt/M.: S. Fischer 1996, S.212. Ebd., S. 215.

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im Haus von Manfred Krug am 20. November 1976, das dieser 1996 in seinem Buch Abgehauen nach dem versteckt mitlaufenden Tonband dokumentiert hat. Dort gibt die Autorin ihrer Hoffnung Ausdruck, daß in der D D R eine »offene« Diskussion, eine wirklich kritische Öffentlichkeit entstehen werde. Käme sie, »dann wäre das natürlich eine ganz große Sache. Und ihr [im Politbüro, W. E.] hättet uns [die Protestanten, W. E.] alle wieder zu euren Verbündeten. Wir alle zusammen wären an diesem selben Zug, und das wollen wir auch.« 41 Fünfzehn Jahre später, im September 1991, hat Christa Wolf in einem Brief an Wolfgang Thierse die Einsicht formuliert, daß sie und andere »sich an unlösbaren [Hervorhebung von mir, W. E.] Widersprüchen in einem Dauerkonflikt aufgerieben« hätten. Gleichzeitig sieht sie noch 1991 keine authentische Alternative zu ihrer bis zum Staatsende durchgetragenen Haltung: »den [welchen?, W. E.] Widerspruch aufrecht[zu]erhalten und Leuten [zu] helfen«. 42 In einem Brief an Günter Grass aus der gleichen Zeit erklärt sie sich deutlicher: »Ich habe dieses Land [DDR, W.E.] geliebt.« 43 Und damit meint sie ja nicht nur die mecklenburgische Landschaft oder Klein-Machnow, sondern zu allererst das politische Versprechen des Staates DDR, wie es frühzeitig in seinen Gründungsmythen Antifaschismus und Sozialismus artikuliert wurde. Auch der Aufruf Für unser Land vom Dezember 1989 folgt dieser inneren Logik. Interessanterweise kehren solche und ähnliche Wendungen dann noch einmal in einer in freie Verse gekleideten Rückäußerung. Auf den Brief eines Freundes von Ende März 1993 aus Santa Monica, gerichtet an Volker Braun, auf. Hier zitiert und reflektiert die Autorin zunächst Brauns schon oft als Schlüsseltext der Aporien des Reformsozialismus erkanntes Gedicht Das Eigentum. Später dann heißt es: Das Schlimme ist Wir haben dieses Land geliebt (Regieanweisung: Tosendes Gelächter),

und kurz darauf: Daß das Andere nicht das Unsere war daß wir es zu dem Unseren auch nicht machen konnten das war und ist allerdings unser Problem Überanstrengte Leben Hatten wir keine Wahl Ich Volker hätte damals eine Wahl gehabt

41

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Christa Wolf in: Manfred Krug: Abgehauen. Ein Mitschnitt und Ein Tagebuch. Düsseldorf: Econ 1996, S.79. Christa Wolf: Auf dem Weg nach Taboo. Texte 1990-1994. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994, S.81. Ebd., S.262.

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Warum hab ich mich nicht verweigert Ich weiß es nicht mehr Das Gedächtnis ist ein tückischer Filter Kaum wollte ich mir selber glauben daß ich das vergessen konnte Antwortversuche Ich habe sie noch nicht als D I E A N D E R E N gesehen Ich traute meinen eigenen Gefühlen nicht Ich glaubte ihnen Auskunft schuldig zu sein Beklommen glaubte ich D E R S A C H E so zu nützen Ich wußte mir nicht zu helfen Ich hatte Angst

[-Γ Der Text spielt natürlich auf die (vergessene) IM-Tätigkeit von Christa Wolf von 1959-62 an, aber das ist eigentlich sekundär. Entscheidend ist die Frage nach den Motiven dafür, warum die Autorin damals, zwischen 1945 und Anfang der 50er Jahre, der Option namens »Antifaschismus« und später »Deutsche Demokratische Republik« gefolgt ist. Ihre eigenen »Antwortversuche« sind, denke ich, von meinen historisch-psychologischen Erklärungsversuchen nicht sehr weit entfernt - außer, daß ich, noch ein wenig nüchterner, die Reize des Dafürseins auch explizit in der Genugtuung des Beteiligtseins an der Macht, wie bescheiden in den meisten Fällen auch immer, verankert sehe. Dieser Hinweis versteht sich in keiner Weise als diffamierend und ist nicht gegen einzelne Personen wie Christa Wolf gerichtet, insofern ich Menschen - und (uns) Intellektuelle zumal - grundsätzlich den Versuchungen der Macht und der Teilhabe an ihr ausgesetzt sehe. Von Volker Brauns Gedicht Das Eigentum vom Juli 1990, das zunächst Nachruf hieß, war bereits die Rede. Es hatte in beispielhaft prägnanter Form dem Dilemma Ausdruck gegeben, daß das Versprechen und die »Hoffnung« Antifaschismus/Sozialismus gleichzeitig eine »Falle« war, der, so lange die D D R bestand, nicht zu entkommen war, so stark war zumindest für einige die Bindung nicht nur an das ideelle Projekt, sondern auch, gleichsam eingewachsen, an seinen irdischen und mehr als unvollkommenen Träger, den SED-Staat. Braun hat kürzlich, in seinem kleinen Aufsatz Das Ende der >Unvollendeten Geschichtet, noch einmal und, wie ich denke, produktiv, sich aus gewissen trotzig-melancholischen Erstarrungen der ersten Jahre nach 1989 lösend, sein aporetisches Doppelverhältnis von Selbstfesselung und vehementer Abstoßung in Bezug auf den DDR-Sozialismus reflektiert. Den Anstoß dazu gab die Konfrontation mit der so unerwünschten wie unabweisbaren Erkenntnis aus den Stasi-Akten, daß jene Tochter eines Ersten Sekretärs einer Kreisleitung der S E D im Bezirk Magdeburg, die seine Gewährsfrau für die erzählte »unerhörte Begebenheit« seiner Erzählung war und gleichzeitig für seine alle Sympathien tragende Heldin Karin Modell gestanden hatte, eine Informelle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen war, die ihren Auftraggebern über alle Kontakte mit dem Autor getreulich Bericht erstattet hatte. So sah sich der Autor in einer

44

Christa Wolf: Rückäußerung. Auf den Brief eines Freundes. In: C. W.: Auf dem Weg nach Taboo, S.273f.

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zusätzlichen und gänzlich unverhofften Weise an >sein Land< gebunden. »Eine Zugehörigkeit«, so kommentierte er, nunmehr im Jahre 1996, band mich an die Sache, die ich angriff; öffentlich kritisch und innerlich versöhnt. Das lag daran, daß wir die Wahrheit hatten, die nur erst Dichtung war, die B E S S E R E WELT; aber dichten hieß, die Wahrheit leugnen. Der Wahrheit schaden, schwieriger Beruf. Sie sollte sich ja erst behaupten. Aber auch den Sozialismus, der unglaubwürdig wurde, verteidigte ich insgeheim um der Wahrheit willen, die er nicht war [...] Ich war ein Verräter und Genösse, geschirrt in die Geschichte von Absichten und Rücksichten. Von Hoffnungen auf den Sinn der Sache. Absurde Gefangenschaft, die die Bedingung des Schreibens war, des rücksichtslosen Texts, [...] Opfer und/oder Täter, nicht sie, meine hoffnungslose und hintergründige Heldin, ist der erschreckende Fall, sondern ich, die insgeheim hoffende Person. Noch als ich fertig war mit der Gesellschaft und sie >mitleidlos< sah, schrieb ich sie nicht ab.45

So öffnete sich die Loyalitätsfalle und Zwickmühle namens »realer Sozialismus« zweifelsfrei nur für diejenigen seiner anhänglichen Kritiker, die das SED-Regime inhaftierte und ausbürgerte oder auf andere Weise hart bestrafte. Ja, der Wolf Biermann der ersten Jahre nach 1976, nachdem er »in die Heimat vertrieben« war (Heinrich Boll), ist ein Beispiel dafür, daß es selbst nach massivem Liebesentzug seine Zeit brauchte, bis ein lange und tief »Verfilzter« und »Verfitzter« (so er selbst über sich) 46 sich zu lösen und neue, produktive politische Optionen zu entdecken vermochte. Diejenigen, denen die innerliche Ablösung von der doppelten Loyalitätsfalle Antifaschismus/Sozialismus früher und leichter gelang als manchen ihrer Kollegen (und oftmals früheren engen Freunde) - und dies vor allem deshalb, weil das DDR-Regime sie vergleichsweise noch ärger schikanierte und am Ende vertrieb oder hinauswarf-, sollten die Melancholie, den Trotz, die (aus ihrer Sicht) Verstocktheit ebendieser Kollegen souveräner und verständnisvoller hinnehmen, als sie es häufig tun.

45

46

Volker Braun: D a s Ende der »Unvollendeten Geschichte«. In: Sinn und Form 48 (1996) H.4, S.590f. Vgl. Wolf Biermann: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. In: Die Zeit, 24.8.1990.

285 SVEN

HANUSCHEK

Der Fund for Intellectual Freedom: Ein Propagandainstrument des Kalten Kriegs?

1

Der FIF als repräsentative Institution im Kalten Krieg

Es ist nicht Gegenstand des PEN-Forschungsprojekts, wie kollektive Feinde konstruiert werden - das wäre ein eigenes Projekt. A m P E N der 50er Jahre läßt sich aber zeigen, daß die Konstruktion auch bei Intellektuellen erfolgreich gewesen ist. Was der Antisemitismus für den deutschen Alltag von 1812 bis 1933 war, hat Dietz Bering erforscht, die Folgen von 1933 bis 1945 wurden in der Goldhagen-Debatte umstritten. In den 50er Jahren hat ihn in den westlichen Ländern - auch in der Bundesrepublik, auch unter Intellektuellen - der Antikommunismus als Breitenphänomen ersetzt (nach Robert Neumann wäre zu sagen: ergänzt).1 D e r Antikommunismus war eine Überzeugung, die nicht mehr als solche bewußt, sondern selbstverständlich, sozusagen in die Mentalität gerutscht war. 2 Diese These läßt sich am besten an nichtöffentlichen Institutionen überprüfen, wo sich die Beteiligten nicht nach außen hin stilisieren oder profilieren müssen, sondern nur vor sich selbst. Deshalb - und auch wegen der Überschaubarkeit des Gegenstands - soll hier die Geschichte der deutschen Sektion des Fund for Intellectual Freedom (FIF) vorgetragen werden. Sie ist in ihrem beschränkten Wirken repräsentativ für den ( w e s t deutschen PEN der 50er Jahre: ein Club mit etwa 150 Mitgliedern (nach einer signifikanten Z u n a h m e in den frühen 70er Jahren hat sich der Mitgliederstand bei knapp 500 eingependelt), dessen Präsiden zufrieden waren, wenn auf gewöhnlichen Jahresversammlungen 30 Mitglieder erschienen. Das Jahr 1952 war im westdeutschen P E N so ereignisarm, daß Edschmids FIF-Tätigkeit zu einem Tagesordnungspunkt aufsteigen konnte (die erste Jahresversammlung im »Zwiebelfisch« in Darmstadt vom 6.-8. Dezember 1952 hatte 26 Teilnehmer 3 ). Man verstand sich als intellektuelle und künstlerische Elite, die politisch unabhängig sein wollte, möglichst freundschaftlich miteinander verkehrte, und durch die recht allgemein verstandene PEN-

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2

1

Vgl. Robert Neumann: Ausflüchte unseres Gewissens. D o k u m e n t e zu Hitlers »Endlösung der Judenfrage« mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation. (Hefte zum Zeitgeschehen) Hannover 1960, sowie Robert Neumann: [ο. T.]. In: Leonard Freed: Deutsche Juden heute. Mit Beiträgen von R.N., Alphons Silbermann, Ludwig Marcuse, Hermann Kesten hg. von Hans Hermann Köper. München: Rütten & Loening 1965, S. 2 3 - 2 7 . Definitionsversuche zu Mentalität vgl. Ulrich Raulff (Hg.): Mentalitäten-Geschichte. Zur Rekonstruktion geistiger Prozesse. (WAT 152) 2. Aufl. Berlin: Wagenbach 1989, S. 11,39f„ 127,136-140. Vgl. Protokoll, n. dat., S.2, PEN-Archiv Darmstadt (fortan D A ) .

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Charta auf Humanität eingeschworen war. Humanitäre Hilfe sollte deshalb unbürokratisch, am besten von Schriftsteller zu Schriftsteller vor sich gehen (so etwa der Versuch einer Ungarnhilfe 1956). Auch der FIF ging auf private Initiative zurück. Im folgenden werden die Gründungsgeschichte (2) und die Übergabe an den PEN (3) referiert, die deutschen FIF-Aktivitäten zusammengefaßt (4), und schließlich wird das Scheitern der Stiftung an strukturellen Schwierigkeiten geschildert (5).

2

Gründungsgeschichte

Arthur Koestler ist berühmt für die stark wechselnden Tendenzen seines Engagements - erst für den Zionismus, dann für den Kommunismus; Anfang der 50er Jahre lebte er in den USA und war international einer der führenden intellektuellen Kalten Krieger, in dieser Zeit war er auch einer der »Geburtshelfer des erfolgreichen Berliner Kongresses für Kulturelle Freiheit«. 4 Der letzte, erst postum veröffentlichte Teil von Koestlers autobiographischen Schriften, Auf fremden Plätzen, ist in Teilen zusammen mit seiner letzten Frau Cynthia Jeffries verfaßt. Dort bezeichnet er seinen Beitritt zur Kommunistischen Partei als einen »tragischefn] Fehler«, 5 den aber in den 30er Jahren die gesamte »intellektuelle Avantgarde« begangen habe, »von Auden bis Brecht, von Malraux bis Silone, von Hemingway bis Picasso«. 6 Von den Genannten waren zwar nur Silone und Picasso in der Partei, es geht Koestler hier aber um die Darstellung seiner Entwicklung als »typischer für ihre Zeit [...], als es auf den ersten Blick erscheint«. 7 Seine Abrechnung mit dem eigenen »roten Jahrzehnt« erschien 1949 (dt. 1950) in dem Band Ein Gott der keiner war, zusammen mit den antikommunistischen Erinnerungen anderer Apostaten, der »Aktivisten« Ignazio Silone und Andre Gide und der »gläubigen Jünger« Richard Wright, Louis Fischer und Stephen Spender. Koestlers Beitrag - sein Verfasser wird in der Sammlung ebenfalls unter die »Aktivisten« gezählt - ist als Auskopplung unter dem Titel Das rote Jahrzehnt erneut 1991 erschienen; auch in diesem Buch findet sich die durchgehende Tendenz, den eigenen Fall als typisch, keineswegs individuell darzustellen; die Fehler, die er gemacht habe, die Gutgläubigkeit, der er erlegen sei, seien aus der Zeit zu erklären, wie die Folgerungen, die er aus den Schauprozessen 1936/ 37 gezogen habe. 8 Auch im Rückblick zweifelt Koestler nicht an der individuellen Richtigkeit seiner Entscheidungen, sein Engagement war stets ungebrochen und hundertprozentig - auch im Kalten Krieg. Koestler warf dem Internationalen PEN

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5 6 7 x

Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen. Bericht über die gemeinsame Zeit. Hg., mit einem Vorwort und einem Epilog versehen von Harold Harris. Übersetzt von Liesl Nürenberger. Wien, München, Zürich: Europaverlag 1984, S.45. Ebd., S. 21. Ebd. Ebd. Vgl. Arthur Koestler: Das rote Jahrzehnt. Wien, Zürich: Europaverlag 1991. [Auskopplung aus: Ein Gott der keiner war. Konstanz, Zürich, Wien 1950.]

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1950 vor, er gebärde sich neutralistisch, und das schien ihm die »raffinierteste Form des intellektuellen Betrugs und vielleicht die verachtenswerteste«. 9 Seine späteren Ausführungen über den Kongreß für kulturelle Freiheit gehen dahin, er sei als eine »andere Art von Luftbrücke gedacht« gewesen, 10 eine »kraftvolle Demonstration, um die intellektuelle Atmosphäre im Westen zu reinigen«. 11 Harold Harris, der Herausgeber dieses Memoirenbandes, bestätigt, daß Koestler »für gewöhnlich aktiv mit irgendeiner Kampagne beschäftigt« war. 12 Eine dieser Kampagnen war der karitative Fund for Intellectual Freedom (FIF), gedacht weniger als kraftvolle Demonstration, vielmehr als nichtöffentlicher Rettender Engel für Emigranten. Koestler beschreibt den FIF als seine »Hauptbeschäftigung«, seine »fixe Idee«: 13 Er sollte Schriftsteller aus der Sowjetunion und den Satellitenstaaten unterstützen, »denen es gelungen war, ihre physische Existenz und ihre geistige Integrität zu retten, indem sie in den Westen flüchteten«. 14 Wohlhabende westliche Schriftsteller sollten ihren Kollegen konkret helfen, nicht durch Sozialhilfesätze, sondern etwa durch Schreibmaschinen, an ein Buch gebundene Schreibstipendien, Übersetzerhonorare, Vermittlungen z.B. an Verlage und Rundfunkanstalten. Vor allem beschaffte der FIF kreative Betätigungsmöglichkeiten, indem er Emigrantenzeitschriften in mehreren Sprachen herausgab oder subventionierte: russisch (Literaturny Sovremennik), auch polnisch (Kultura), rumänisch (Orizontori) und ungarisch ( U j Magyar Ut). Das [sie] ehrgeizigste dieser Unternehmungen, der Literaturny Sovremennik, war eine Monatszeitschrift von ungefähr 260 Seiten, die in München erschien. 1 5

Dieser Zeitschrift schreibt Koestler Symbolcharakter zu, den er mit einem ausführlich zitierten Dankesbrief des Herausgebers Boris Jakowlew belegen will; Jakowlew empfindet die real stattfindende Solidarität unter Kollegen als »ein Wunder«, ebenso wie es ein Wunder sei, »schreiben zu dürfen, was wir denken, und das, was wir geschrieben haben, veröffentlicht zu sehen« - zum ersten Mal seit 30 Jahren könne man in gedruckter Form sagen, was man wolle. 16 Das gespaltene Echo auf Koestlers Spendenaufruf wird in seiner eigenen Darstellung nicht verschwiegen. Zwar kostete der FIF nichts, weil die Verwaltung von Koestler selbst und Agnes Knickerbocker von New York aus koordiniert wurde, die europäischen Helfer arbeiteten ebenfalls ehrenamtlich. Der FIF hatte aber anfänglich auch nichts zu vergeben: Beim Start dieses Wagnisses hatte ich die Idee gehabt, nicht um Geldspenden zu appellieren [sie], sondern wohlhabende Schriftsteller zu bitten, dem FIF in Form von Selbstbesteuerung einen Prozentsatz der Tantiemen für ein Buch, eine fremdsprachige Überset-

9 10 11 12 13 14 15

Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S. 103. Ebd., S. 105. Ebd.. S. 104. Harold Harris: Vorwort zu: Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S.8. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S. 112. Ebd., S. 113. Ebd. Ebd., S. 114.

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zung oder für Bühnen- oder Filmproduktionen usw. zu überweisen. Die Idee erschien (mir zumindest) gut, aber die Reaktion der amerikanischen Schriftsteller auf den FIF-Appell, der von der New York Times, der Herald Tribune und Saturday Review of Literature veröffentlicht wurde, war trostlos. Ein anonymer Spender schickte einen Fünf-Dollar-Scheck. Ein Spinner, der einen Regenschirm mit einer innen angebrachten elektrischen Glühbirne erfunden hatte, schlug vor, daß der FIF seine Erfindung vermarkten und dann 10 Prozent vom Erlös behalten könne. Dieser Brief und der anonyme Scheck waren die einzigen spontanen Reaktionen auf den Appell. 17

3

Die Übergabe an den PEN

Der Jahresbericht von 1952 beschreibt ebenfalls die Erfolglosigkeit, neue fördernde Mitglieder zu werben: »against our principle to avoid any publicity« 18 wurde zusammen mit dem International Rescue Committee (IRC) 1 9 eine Dinner-Einladung zu »Delmonico's Restaurant« in N e w York an 1000 Personen verschickt, darunter seien 500 Berufsschriftsteller gewesen. »Enclosed with the invitations, was a circular letter outlining the aims of the F. I. F. and the conditions of joining it. Only two writers accepted the invitation, but did not join the F . I . E « 2 0 Auf individuelle Nachfragen bekam Koestler doch noch einige Zusagen, eingelöst worden seien sie aber nur von Aldous Huxley, Stephen Spender und Budd Schulberg. D a ß der FIF einige Zeit lang doch beträchtliche Mittel hatte, war der Broadway-Produktion von Koestlers Sonnenfinsternis zu verdanken; Koestler konnte die Dramatisierung Sidney Kingsleys nicht leiden, prozessierte sogar vergeblich gegen den Bearbeiter 21 und vermachte seine Tantiemen daran dem FIF. Wider Koestlers Erwarten wurde die Broadwayproduktion ein großer Erfolg und spielte in 18 Monaten 40000 $ ein; diese Summe machte 90% des FIF-Budgets aus. 2 2 Der Jahresbericht von 1952 war

17 18 19

20 21 22

Ebd., S. 115. FIF-Jahresbericht, 15.3.1952, S.-5-, DA. Das IRC existiert seit 1933, zunächst unter dem Namen Emergency Rescue Committee, und organisierte die Flucht von mehreren tausend Menschen aus Nazideutschland; darunter etwa auch die berühmte Flucht von Heinrich und Nelly Mann, Franz Werfel und Alma Mahler über die Pyrenäen. Seither unterstützt das IRC Flüchtlinge in aller Welt, in den 50er Jahren v. a. aus dem Ostblock, später aus den Diktaturen Lateinamerikas und der Karibik, Afrikas und Südostasiens. Einer der Gründer war Reinhold Niebuhr, der spätere Vorsitzende Leo Cherne führte auch öffentlich Auseinandersetzungen mit McCarthy; weitere prominente Mitglieder des IRC-Präsidiums waren z.B. Ernst Reuter und Liv Ulimann. Die einzige größere Darstellung des Komitees liefert Aaron Levenstein: Escape to Freedom. The Story of the International Rescue Committee. (Studies in Freedom 2) Westport/Connecticut, London/England: Greenwood Press 1983, leider eher ein Nachbuchstabieren der weltweiten Flüchtlingsbewegungen seit 1933/38 bis in die 80er Jahre als eine Institutionen-Geschichte mit präzisen Fakten. In welcher Weise das IRC konkret Flüchtlingen geholfen hat, s. noch am ehesten Levenstein, S.296-299. FIF-Jahresbericht, 15.3.1952, S.-5-, DA. Vgl. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S. 159-161. Ebd., S. 115f.

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adressiert an: Lewis Corey, John Dos Passos, James T. Farrell, Graham Greene, Huxley, Koestler, Richard Rovere, Schulberg und Spender. Seine Verfasser waren Farrell, Knickerbocker und Koestler. 23 Koestler befand laut seiner Autobiographie, der FIF verschlinge einen unzumutbar hohen Anteil seiner Arbeitszeit, und übergab ihn 1952 dem Internationalen PEN; im selben Jahr übersiedelte er wieder von seiner Farm in Stockton (New Jersey) nach Europa. 2 4 D o c h David Carver, der Nachfolger von Hermon Ould als Sekretär des PEN, überlegte es sich anders: Wenn P E N nur Flüchtlingen aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang und nicht aus Ländern mit anderen diktatorischen Regimen [sie] half - zum Beispiel aus Lateinamerika - , würde er sich dem Vorwurf, politische Vorurteile zu haben, aussetzen. Daher überwies der PEN das, was vom Fonds noch übrig war, dem Kongreß für Kulturelle Freiheit. 25

Der Kongreß für kulturelle Freiheit wurde damals vom CIA finanziert; Koestler schreibt, daher stehe nicht er, wie von »Kommunisten und Sympathisanten« angedeutet, auf der Gehaltsliste des CIA, sondern der CIA auf der Koestlers 2 6 Soweit Koestlers Selbstdarstellung. Aus dem FIF-Jahresbericht von 1952, den Koestler mitverfaßt hat, läßt sich in der Erfolgsmeldung zur deutschen Sektion noch ein anderes Movens als das puren Altruismus' ablesen; nach der Aufzählung der einzelnen Projekte folgt: These samples of F. I. F. publications can hardly give an idea of how much the possibility to appear in print means, not only to the authors, but to the various »cultures in exile«. The books and magazines published or subsidized by the F. I.F. are distributed and sold by the national committees of the various emigree groups and have steady sales of two to three thousand copies on the average. They are broadcast, sometimes in their entirety, by Radio Free Europe and thus reach audiences even behind the Iron Curtain and keep them in touch with the creative activities of their exiled elites. The guiding principle of the F. I.F.'s activities among these »cultures in exile« remains as before: Freedom of expression and continuity of tradition. 27

Die exilierten Gruppen können also ihre kulturelle Identität auch im fremden Land bewahren; in dieser Selbsteinschätzung steckt aber auch: Durch den Multiplikator Radio Free Europe kommen multikulturelle Äußerungen multimedial hinter den Eisernen Vorhang, und die dortige Bevölkerung bleibt so in Verbindung mit ihrer kulturellen Elite, die emigriert ist (ob in den jeweiligen Ländern noch eine solche verblieben ist, wird nicht erwähnt). Radio Free Europe war ein amerikanischer Propagandasender von delikatem Status: Betrieben von privater Hand und nur verdeckt durch die amerikanische Regierung bezuschußt, konnte er unangefochten von Protesten der Ost-Regierungen senden. 1950 wurde der Sender in Biblis in Betrieb genommen, zunächst mit einer halbstündigen Nachrichtensendung täglich in

21 24 25 26 27

FIF-Jahresbericht, 15.3.1952, DA. Arthur und Cynthia Koestler: Auf fremden Plätzen, S.258. Ebd., S. 116. Ebd. FIF-Jahresbericht, 15.3.1952, S.-4-, DA.

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der jeweiligen Landessprache nach Albanien, Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und die Tschechoslowakei; 1958 arbeiteten 29 Sendestationen mit 3000 Wochenstunden Programm, gestaltet von Emigranten. Die europäische Zentrale von RFE war München, Sender standen außer in Westdeutschland auch in Spanien und Portugal. 28 Die Verbindung zu RFE deutet auf die erhoffte Außenwirkung des FIF, ein weiteres Loch in der Mauer sollte er sein - neben der berufsbezogenen humanen Hilfe im Westen. Auch in Anna W. Matsons undatiertem Abschlußbericht (ca. 26. Oktober 1952) an David Carver, gedacht als Grundlage für die PEN-FIF-Gründungsversammlung, finden sich Zeugnisse eines durchaus politischen stolzen Bewußtseins. Die geförderten Übersetzungen von Stefan George und T. S. Eliot ins Ukrainische gelten Autoren, die politische Kritik an sich gezogen haben wie wenige sonst, und ein Roman mit dem Titel Behind Stalin's Back sollte einen Druckkostenzuschuß erhalten. Matson schreibt, im Literaturny sowremennik - »purely literary, publishing no political material at all« - sei den Schriftstellern und Dichtern, die in Lagern - sc. sowjetischen - umkamen oder in den Selbstmord getrieben wurden, eine eigene Abteilung eingeräumt worden: »Indeed for the first time in 33 years writers from the Soviet world have an organ where they can be published according to their literary worth.« Wieder die gleiche Unterstellung - alle Flüchtlinge aus der Sowjetunion, die Schriftsteller sind, wurden aus politischen Gründen dort nicht gedruckt, während sie in den FIF-Publikationen nur aus ästhetischen Gründen gedruckt werden; das ist die schematische Logik des Kalten Krieges, in der es nur schwarz und weiß gibt. Waren Koestlers genannte Gründe die einzigen, den FIF an PEN zu übergeben? Wie wurde diese Entscheidung getroffen, nachdem Koestler ja nicht mehr allein für FIF verantwortlich war? Auch hier gibt der Jahresbericht von 1952 Auskunft. Die drei Ausführenden, also Agnes Knickerbocker, Farrell und Koestler, seien »overburdened with other work«, 29 und die Geschäftsführerin Pearl Kluger werde aus persönlichen Gründen kündigen. Die Möglichkeiten einer Fortsetzung von FIF se-

21i

Nach Sig Mickelson: America's Other Voice. The Story of Radio Free Europe and Radio Liberty. New York: Praeger 1983. Dagegen verzeichnet International Broadcasting & Audience Research nur 497 Wochenstunden für 1950,1495 für 1960, einen allmählichen Anstieg auf 2360 für 1988 - und diese Ziffern bezeichnen alle US-amerikanischen Sender zusammen, also auch Voice of America und Radio Liberty (nach Hansjürgen Koschwitz: Entwicklung und Perspektiven des Auslandsrundfunks. In: Media Perspektiven 1 (1990), S.43. - Zur Geschichte von RFE s. Robert T. Holt: Radio Free Europe. Minneapolis 1958; Sig Mickelson: America's Other Voice; zum Themenspektrum vgl. ζ. B. Radio Free Europe - Radio Liberty: Challenges of our Time. Ο. Ο., ο. J. [ca. 1979], sowie die Schriftenreihe von Radio Free Europe und Radio Liberty: East European Area Audience and Opinion Research. München 1982-1984; zur Vorgeschichte auch Andreas Michaelis: Agenturen des Kalten Krieges in Deutschland. In: Winfried Ranke u.a. (Red.): Deutschland im Kalten Krieg 1945-1963. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums. (Bausteine 9) Berlin: Argon 1992, S . 2 5 3 - 2 7 4 , hier S.264. - Persönliche Erinnerungen an die Bedeutung von RFE liefert Marcin Krol: Listening through the Jamming. In: The American Scholar 3 (1992), S. 431-435.

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FIF-Jahresbericht, 15.3.1952, S.-6-, DA.

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hen die Verfasser entweder in der Festanstellung von Personal - das die Fixkosten unverhältnismäßig erhöhen würde; oder in der Anbindung an eine öffentliche oder private Stiftung - was das Ende der Unabhängigkeit von FIF bedeuten würde; oder: »To hand our assets over, together with the administrative burden, to some larger agency pursuing similar aims.« 3 0 Natürlich plädieren die Verfasser, schon aus der Formulierung deutlich zu sehen, für die dritte Lösung; sie halten karitative Organisationen und Körperschaften »connected with political propaganda« 3 1 für ungeeignet, und deshalb bleibe als »only possible agency« der Internationale PEN. Ihre G r ü n d e zeigen die Einschätzung des P E N durch Schriftsteller, die ihm distanziert gegenüberstehen und obendrein entschieden politisch engagiert sind: a) The moral and professional high-standing of the P. Ε. Ν. Club. b) The possibility of winning new members through the national groups of the P.E.N. Club. c) The existence of an international organization with branches in every country. d) The existence of the P.E.N. Club Center for Writers in Exile, pursuing aims similar to those of the F. I. F. e) The preservation of the non-political and non-charity character of the F. I. F. within the framework of the P. Ε. N. Club. 3 2 P E N gilt also den Verfassern des Berichts als Organisation mit >ähnlichen< Zielen: als unpolitischer oder zumindest politisch neutraler Club, dem aber aus diesem Grund die Übernahme der FIF-Förderstruktur zugemutet werden könne, die ausschließlich Flüchtlinge aus den Ostblockländern unterstützt, nicht aber solche aus Spanien oder Portugal. Der FIF soll von der internationalen Organisation des P E N und von dessen R e n o m m e e profitieren, das eine Vergrößerung der Mitgliederzahl erbringen soll, somit mehr Geld und damit mehr Einfluß. Statt Mitgliedern werde es künftig nur noch Beitragszahler geben. Die Adressaten des Jahresberichts konnten ihre Meinung zu dieser Entscheidung bis zum 1. April abgeben, falls sie sich bis dahin nicht gemeldet hatten, wurde Zustimmung angenommen - das war ein Zeitraum von zwei Wochen. Der Ausgang ist bekannt, James T. Farrell bat auf dem Internationalen PEN-Kongreß in Nizza (1952) erfolgreich um die Übernahme des FIF. 3 3

10

Ebd., S. -7-. Ebd. 12 Ebd. " Vgl. hierzu: [Günther Birkenfeld:] Fonds für Schriftsteller im Exil. In: Kontakte 14 (Juli 1952), S . I I . - Ossip Kalenter: Die junge Generation und die Literatur. In: Stuttgarter Nachrichten, 28.6.1952, berichtet, daß sich nach »heftigem Für und Wider [...] das merkwürdige Schauspiel« geboten habe, »daß der ostdeutsche PEN-Präsident Johannes Tralow mit >Ja< der Uebernahme und Verteilung des antikommunistischen Fonds zustimmte, indes Erich Kästner für den westdeutschen P E N sich der Stimme enthielt. >Tralow schläft und Stalin wachteine Stimme zu gebenvertraulich< an Carver geschickt. Vgl. auch Fedor Stepun an Kasimir Edschmid, 11.1.1955, DA.

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kowlew es »fertigbringt den Band aus allen politischen Streitigkeiten und Parteien herauszuhalten«. 47 Jakowlew sei hauptberuflich der faktische Leiter des Münchner Institutes zur Erforschung der Sowjetunion, ähnlich RFE eine amerikanische Gründung des Kalten Krieges, in diesem Fall von 1950. Das Institut gab zehn Zeitschriften in sechs Sprachen heraus, darunter auch die Sowjetstudien (1956-1970) in deutsch. Beiträger waren russische Emigranten in aller Welt; sie seien »now engaged in research on their homeland«, heißt es in einer Selbstdarstellung des Institutes. 4 8 Stepun schreibt: Der Geist und die Arbeit dieses Institutes sind für viele Emigranten, keinesfalls nur für die alten Flüchtlinge, ein sehr schwieriges Kapitel. Zur Zeit hat die amerikanische Direktion wieder neue Menschen nach München gesandt, die meinem Eindruck nach berufen wären, dem Institut ein neues Gesicht zu geben. Ob diese Hoffnung sich erfüllen wird, ist eine große Frage. 49

Die Abstimmung zwischen Edschmid und Jakowlew gestaltete sich von Anfang an schwierig, bei äußerst höflichen Umgangsformen. Edschmid kommt die Summe zu hoch vor, er klagt mehrfach den fehlenden Kostenvoranschlag ein, die 7000 D M sind sein halber Jahresetat!, er schlägt als Sparmaßnahme vor, die Illustrationen wegzulassen, und ist erbost, als er den fertigen, 300 Seiten starken Almanach in Händen hält. Zumindest läßt sich das aus dem Brief seiner Sekretärin Hildegard Finger ahnen: Nach den Glückwünschen - dem Dank für das »Vergnügen«, das Buch zu empfangen, und dem Wunsch, es möge »bei Ihren Landsleuten und deren Freunden grossen Anklang finden«, verlangt er die Abrechnung und bringt sein »Erstaunen« zum Ausdruck dass nun doch der Stifter und der Name der Stiftung gross in englischen Buchstaben gebracht wurde, denn Herr Edschmid hatte den dringenden Wunsch des Internationalen Sekretariats des P.E.N. in London in einem Schreiben (vom 29.1.1955) an Mrs. Matson weitergegeben, es solle in der A N T H O L O G I E kein Wort Englisch stehen. 5 0

Die entsprechende Passage aus Edschmids Brief wird zudem sogar als Postscriptum wiederholt; es handelte sich tatsächlich um den Wunsch Carvers, dem Jakowlew zugestimmt hatte: »Uns ist das ganz egal«, schreibt Edschmid an Carver (Februar

47

Fedor Stepun an Kasimir Edschmid, 20.12.1954, DA. Institute for the Study of the USSR. Institute Publications (1951-1956). Consolidated Table of Contents. Munich 1957: Vorsatzblatt; vgl. auch: Institute for the Study of the USSR. Institute Publications (1951-1958). Part I: Complete List of Institute Publications. Part II: Breakdown of Contents by Subject. Munich 1959, sowie die entprechenden Ausgaben von 1961 und 1969: Institute for the Study of the USSR. Institute Publications (1951-1960). Part I: Complete List of Institute Publications. Part II: Breakdown of Contents by Subject. Part III: Index of Authors. Munich 1961, und: Institute for the Study of the USSR. Institute Publications (1951-1968). Part I: Publication Index. Part II: Subject Index. Part III: Author Index. Munich 1969. 4 " Fedor Stepun an Kasimir Edschmid, 20.12.1952, DA. 50 Hildegard Finger an Boris Jakowlew, 12.7.1955, DA; vgl. Literaturnyj sovremennik. Almanach. Proza, Stichi, Kritika. [Originaltitel kyrillisch] München 1951-1952, Vorsatzblatt. 4S

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1955).51 Edschmid aktivierte einen neuen Gutachter - diesmal den Slawisten Professor Maximilian Braun in Göttingen. Edschmid will von ihm wissen: ist diese Anthologie wirklich von so literarischem Wert und so repräsentativ, dass sie die 7000 - wert ist, die der Ρ. Ε. N. dafür ausgegeben hat? Ist sie wirklich ein Querschnitt durch die freie Literatur der Russen, und ist sie auch formal interessant genug, um bestehen zu können? 5 2

Brauns Gutachten scheint Edschmid »glänzend formuliert wie radikal [ . . . ] - genau so, wie ich es mir gewünscht hatte« 5 3 und veranlaßt ihn, eine Wiederholung der Anthologie abzulehnen. Das Gutachten ist vernichtend. Als literarisch »wertvoll« hebt Braun einen einzigen Beitrag heraus, den Alexei Remisows, der sei ein »>alter Meisten von hohen Graden«, und was der schreibe, sei immer interessant - »vielleicht allerdings mehr für den Literarhistoriker als für den durchschnittlichen Leser. Die übrigen Beiträge sind nach meiner persönlichen Meinung reichlich flau.« Bruchstücke ohne Zusammenhänge, autobiographische Episoden, wenig geformte Tagebuchstücke, gut erzählt - »die Russen schreiben selten >schlechtDritten Reichs< gemeint, vergleichbar wären etwa deren Kinder! - Mit diesem Gutachten Brauns scheint der Literaturny sowremennik für den FIF gestorben. Es gibt dennoch einen Brief Edschmids an Jakowlew vom Februar 1956, in dem er eine kurze, rein lyrische Anthologie vorschlägt; sie ist m. W. nicht mehr erschienen.

51

Kasimir Edschmid an David Carver, Februar 1955, DA. Kasimir Edschmid an Maximilian Braun, 27.9.1955, DA. " Kasimir Edschmid an Maximilian Braun, 19.11.1955, DA; es geht im folgenden nicht um die Frage, wie wertvoll die Zeitschrift tatsächlich war, sondern um Edschmids Entscheidungsfindung. 54 Maximilian Braun an Kasimir Edschmid, 14.11.1955, DA. 52

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4.2

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Jahrbuch der Rumänischen Bibliothek Freiburg

Auch der Rumänischen Bibliothek Freiburg stand Edschmid skeptisch, aber wohl grundsätzlich wohlwollend gegenüber. In einer Selbstdarstellung ihres Direktors Virgil Mihailescu von 1955 wird die Geschichte dieser Institution kurz rekapituliert: Gegründet am 1. Mai 1949 von einer Gruppe rumänischer Flüchtlinge, wurde eine Bibliothek von 7000 Bänden aufgebaut (Stand 1955!), die an rumänische intellektuelle Emigranten aller politischen Richtungen in aller Welt verliehen wurden, damals 600. Darin liege die Aufgabe der Bibliothek - »rumänischer Kultur-Mittelpunkt für alle rumänischen Emigranten in der ganzen freien Welt ohne Unterschied ihres politischen oder religiösen Bekenntnisses zu sein - allein unserem heiligen Rumänentum verpflichtet«. 55 Daneben hat die Bibliothek literarische Texte herausgegeben, selbst abgezogene und geheftete Bändchen mit Erzählungen, Gedichten, Märchen; und ein Jahrbuch oder Bulletin, das vor allem wissenschaftliche Arbeiten enthält. Von diesem Buletinul Bibliotecii Romane sind bis 1955 zwei Nummern erschienen, jeweils gut 200 hektographierte Seiten im Quartformat. Laut Mihailescu sollen sie »ein Forum« für die »wissenschaftlich an rumänischen Fragen arbeitende gelehrte Welt« sein, das »die intellektuelle Gruppe unserer Exilrumänen zusammenfasst und ihnen Richtung gibt [...] damit beitragend, unseren gemeinsamen Kampf zu gliedern und zusammenzufassen«. 56 Auch hier geht es also durchaus um ein politisches Anliegen. Edschmid hat sich wieder zunächst in Freiburg nach dem Wirkungskreis der Institution erkundigt 57 und den Kostenvoranschlag Mihailescus für ein drittes Jahrbuch der Rumänischen Bibliothek eingehend geprüft; es erscheint für die Jahre 1955/56, seither permanent nur noch alle zwei Jahre. Von dem Buletinul wurden allerdings nur 300 Exemplare gedruckt, es ging um eine Summe von etwa 500 DM. 5 8 Edschmid teilt Mihailescu schließlich mit, er sei »gerne bereit [...], Sie zu unterstützen«, 59 läßt die Verwendung der einen Monat später per Scheck übersandten 500 DM aber offen; die Finanzierung einer Publikation sei sehr im Sinne der Stiftung des FIF. 6 0 -1959 feiert das »Kulturzentrum der rumänischen Emigration in der Bundesrepublik« zehnjähriges Bestehen, Edschmid nimmt die Einladung an und findet sie »[rjührend, diese balkanische Insel mitten im Badischen«. Er notiert das Fest, ohne dabei den FIF zu erwähnen: Gottesdienst in der Mutterhauskirche. [...] Weihe der Bibliothek durch Erzpriester Vasiloschi. Konzert im Kurhaussaal am Münsterplatz. Rumänische Chöre, Volkstänze. Der Bassist Aurelian Neagu. Im Kolpinghaus Empfang durch Prinz Nicolae und Prinzessin Joana. 61

55 56 57 58 59 m 61

Virgil Mihailescu: [o.T., o.D.], DA. Ebd. Hildegard Finger an Anna Matson, 31.10.1955, D A . Kostenvoranschlag Mihailescus, 26.9.1955, DA. Kasimir Edschmid an Virgil Mihailescu, 23.5.1956, D A . Hildegard Finger an Virgil Mihailescu, 23.6.1956, D A . Kasimir Edschmid: Tagebuch 1958-1960. S. 148.

298 4.3

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Hanuschek

Bela Horväth

Bela Horväth (1907-1975) war seit 1937 Mitglied des ungarischen PEN, ging 1945 ins Exil und wurde Mitglied des Centre for Writers in Exile (London). Seit 1952 lebte er in München. Als Lyriker war er auf die ungarische Sprache besonders angewiesen, nach 13 Bänden in Ungarn ist ihm in den zehn Jahren des Exils keine einzige Buchveröffentlichung gelungen. Die ungarische Exilzeitschrift Lätöhatär (München) wollte ihn unterstützen und einen Band der bedeutendsten Gedichte drukken - bei entsprechendem Zuschuß. Horväth selbst schreibt, ihm sei vom PEN für diesen Zweck eine Summe von 500 $ zugestanden worden (es ließ sich nicht eruieren, von wem und ob überhaupt). In diesem Sinne wandte er sich am 27. Januar 1955 an Edschmid mit der Bitte um die - für ihn sozusagen schon zugesagte - Unterstützung. Edschmid waltet wiederum treu seines Amtes - und erkundigt sich: bei Franz Csokor, dem österreichischen PEN-Präsidenten, und bei Paul Tabori, dem Präsidenten des Exilzentrums, selbst ein ungarischer Emigrant. Taboris Bescheid ist kurz und eindringlich; Horväth sei: considered to be the greatest Hungarian poet living in exile. He has a long and distinguished record on fighting both Fascism and Communism; in Hungary, during the most critical time of the Nazi regime, he was several times imprisoned and for the last two or three years he has been literary editor of Radio Free Europe in Munich. 6 2

Außerdem teilt Tabori mit, daß Horväth zahlreiche Gedichte aus dem Italienischen, Lateinischen, Französischen und Deutschen übersetzt habe und einer der Herausgeber der Lätöhatär sei, »probably the best Hungarian magazine published in exile«. 63 Edschmid bittet Horväth daraufhin um nähere Angaben - wer wird das Buch publizieren, welchen Umfang soll es haben etc., auch einen Kostenvoranschlag verlangte er, da ihm die Summe als Teilzuschuß verhältnismäßig hoch vorkam. 64 Horväth erklärt - ich gebe in der Folge sein ungarisch gefärbtes Deutsch wieder - , die Kosten kämen durch den Druck zustande, der allein »4725 Marken kostet«, 65 bei einem Umfang von 15 Bogen (240 Seiten) und einer Auflage von 2000 Exemplaren. Edschmid versetzt ihm einen Dämpfer: die Kalkulation sei schon in Ordnung, aber so viel Geld habe der FIF nicht zur Verfügung. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so scheint mir die Auflage viel zu gross zu sein. Es gibt keinen deutschen Verleger, der einen Gedichtband eines noch so berühmten Lyrikers in 2000 Ex. drucken würde, und dies bezieht sich doch immerhin auf ein Gebiet von ca. 9 0 100 Millionen deutschsprechende mögliche Leser. Man wird in den meisten Fällen 500 drucken - kaum 1000. Ich schreibe Ihnen dies nur, weil ich das Gefühl habe, dass es sich bei Ihrem Publikum doch nur um einen schmalen Sektor handeln kann. 6 6

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Paul Tabori an Hildegard Finger, 7.3.1955, DA. Ebd. Hildegard Finger an Bela Horväth, 5.5.1955, DA. Bela Horväth an Kasimir Edschmid, 14.5.1955, DA. Kasimir Edschmid an Bela Horväth, 20.5.1955, DA.

Der Fund for Intellectual

Freedom: Ein Propagandainstrument

des Kalten Kriegs?

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Horväth reagiert verschnupft und sieht sich »leider gezwungen meine Gedichte weiter in meinem Tisch halten und mit der Ausgabe warten«, ohne die $ 500 könne Lätöhatär das Buch nicht machen - Edschmid solle sich doch die Sache nochmals überlegen. Auch die Auflage schätzt Horväth ganz anders ein: Das mag viel sein am deutschen Büchermarkt, wo das Publikum unter Tausenden und Tausenden von Büchern wählen kann. Die mehr als eine Millione Ungarn im Ausland haben keine Bücher in Ihrer Sprache zur Verfügung. Es erscheinen nur selten ungarische Bücher im Westen. So können die erscheinenden Bücher viel leichter verkauft werden, als in einem Land, wo täglich hunderte von Veröffentlichungen erscheinen. 6 7

Edschmid bespricht daraufhin auf dem Internationalen Kongreß in Wien mit David Carver die Angelegenheit, der ihn bestärkt; Carver »hält es in anbetracht der vielen Anliegen von Schriftstellern, die sich in ähnlicher Lage wie Sie befinden und die für eine Unterstützung durch den fund for intellectual freedom in Frage kommen, für nicht tragbar«, die gewünschte Summe zu zahlen; ist aber mit einem Beitrag zu 1000 Exemplaren einverstanden. Edschmid reist in die Schweiz in Urlaub, läßt aber seine Sekretärin vorher noch 1250 D M vorschlagen, 6 8 sie erinnert ihn mit einer auf den Durchschlag getippten Bemerkung, daß er Horväth, »wenn er anständig reagiere, etwas mehr schicken [wollte] als D M 1250.-«. O f f e n b a r fand Edschmid die Reaktion akzeptabel, Horväth schrieb ihm deutlich kleinlauter mit ausreichend Dankesund Demutsformeln, er habe sich seine »Pläne ganz anders vorgestellt«, wolle aber die Herausgabe seines Buches »in viel kleinerem Rahmen« verwirklichen - : »Ich anerkenne Ihre Schwierigkeiten, aber Sie müssen einsehen, dass es mir auch grosse Schwierigkeiten macht aus so wenig Geld ein etwas reprezentatives Buch herauszubringen.« 6 9 Im August 1955 wurden ihm 1500 D M überwiesen, 7 0 kurz darauf erscheint der Band, mit einem knappen Dankesvermerk an den P E N auf dem Vorsatzblatt. 7 1 Edschmid ließ um eine persönliche Dedikation des Paperbacks bitten; 7 2 am Jahresende 1956 fragt er an, ob Horväth aktuelle Vertriebene wisse, denen Geld aus einem kleinen Fonds zugewendet werden könne, eine rechte Silvesterformulierung: »Wissen Sie Adressen und die Namen von Landsleuten, die einwandfrei um der Freiheit willen und im Kampf gegen die russische Aggression ihre Heimat verlassen haben und sich jetzt in Deutschland befinden? (In der Bundesrepublik).« 7 3 Über eine Antwort Horväths ist nichts mehr bekannt.

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Bela Horväth an Kasimir Edschmid, 24.5.1955, DA. Hildegard Finger an Bela Horväth, 27.6.1955, die Bemerkung für Edschmid datiert: 19.7.1955, DA. ft " Bela Horväth an Kasimir Edschmid, 15.7.1955, D A . 70 Hildegard Finger an Bela Horväth, 6.8.1955, DA. 71 Vgl. Bela Horväth: Versek. München: Lätohatär 1956, S. [4], 72 Hildegard Finger an Bela Horväth, 31.10.1955. D A . 73 Kasimir Edschmid an Bela Horväth, 31.12.1956, DA.

300 4.4

Sven

Hanuschek

Eaghor Kostetzky

Der Umgangston mit Eaghor G. Kostetzky (recte Georg Liszczynskyj, 1913 — 1983) 74 dagegen ist stets persönlich, ja herzlich, Edschmid unterstützt ihn, wo er nur kann. Er kenne ihn seit 30 Jahren, und Kostetzky habe damals schon Edschmids erste Erzählungen ins Ukrainische übersetzt. 7 5 1953 wird durch Kostetzkys Vermittlung Edschmids Novelle Maintonis Hochzeit (dt. zuerst 1915 in Die sechs Mündungen) ins Ukrainische übertragen und erscheint in der Zeitschrift Ukraine und die Welt.16 Das erste vom FIF geförderte Projekt Kostetzkys, mit 800 D M (4/5 der Druckkosten), ist ein Bändchen mit einer Auswahl von Gedichten, auch Essay- und Dramenauszügen T.S. Eliots, übersetzt ins Ukrainische. Nach längerem Hin und Her und der Erhöhung der ursprünglich niedriger angesetzten Fördersumme erhoffte sich der F I F »durch Ihren kleinen Band einen wünschenswerten Beitrag zu den bisher vorliegenden Eliot-Übertragungen«, was immer das heißen soll. 77 Kostetzky meint in seinem Dankesbrief mit dem Belegstück der Broschüre, es könne »kein Zufall« sein, »daß das Bändchen gerade in Deutschland herausgekommen ist«, dem Land »der Aufgeschlossenheit und künstlerischen Einfühlsamkeit des deutschen Geistes«; speziell Edschmid werde »Vertrauen und Sympathie [...] schon vor Jahrzehnten von meinen Landsleuten entgegengebracht«. 7 8 Auf dem Vorsatz des Buches bedankt sich Kostetzky bei Anna Matson, »Administrator of The Fund for the Intellectual Freedom«, und bei Edschmid, »Secretary General of the Deutsches PEN-Zentrum der Bundesrepublik«. 7 9 Im Falle Kostetzky muß sich Edschmid etwas weniger auf Gutachter verlassen, da dessen Frau Elisabeth Kottmeier (1902-1983) 8 0 selbst Dichterin ist und Ge-

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Vgl. Elisabeth Kottmeier (Hg.): Weinstock der Wiedergeburt. Moderne ukrainische Lyrik ausgewählt, übertragen und hg. von Elisabeth Kottmeier. Mannheim: Kessler 1957, S. 101. Kasimir Edschmid an Marlene Braun, 23.3.1956, DA; in einem Brief Edschmids an Carver (18.4.1953, D A ) heißt es dagegen, er kenne ihn seit 1945 - eine biologisch glaubwürdigere Angabe. Eaghor Kostetzky an Kasimir Edschmid, 24.10.1953; s.a. Ihor Kostec'kyj (Hg.): Vybrane. Kazimir Edschmid. [Originaltitel kyrillisch] München 1960. Hildegard Finger an Eaghor Kostetzky, 1.12.1955, DA. Eaghor Kostetzky an Kasimir Edschmid, 5.3.1956, DA. Ihor Kostec'kyj: Vybrane. T. S. Eliot. Poeziji. Drama. Esej. Uporjadkuvav Ihor Kostec'kyj. [Originaltitel kyrillisch] München 1955. - T.S. Eliot hat an Kostetzky einen Dankesbrief geschrieben, an dem dessen Reisen das bemerkenswerteste sind. Kostetzky hat ihn Edschmid mitgeteilt, und der hat ihn an den Internationalen PEN weitergegeben, der ihn an Anna Matson geschickt hat, die ihn wieder in der FIF-Selbstdarstellung verwendet. Eliots Brief ist nicht mehr als eine freundliche Geste; er bedankt sich bei dem »Dear Herr Kostetzky« und schreibt: »I am very happy to know that this book has come out at last and I hope that when the copies are distributed the poems and translation will meet with the approval of the readers« (nach: Eaghor Kostetzky an Kasimir Edschmid, 1.8.1956, DA). Vgl. Petra Köhler in: Elisabeth Kottmeier: Die Stunde hat sechzig Zähne. Gedichte posthum. Ausgewählt und hg. von Reiner Kunze. Mit einem Vorwort von Petra Köhler. (Edition Toni Pongratz 13) Hauzenberg: Pongratz 1984 [n. p.].

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dichte ihres Mannes ins Deutsche übertragen hat, für die Edschmid ihm »seine Anerkennung« ausspricht. 81 Kostetzkys nächstes Projekt, die erste vollständige Übersetzung von Shakespeares Sonetten ins Ukrainische, gedacht als zweisprachiger Druck, fand gleichfalls Edschmids Zustimmung und immerhin so viel Vertrauen, daß Kostetzky die kleine Restsumme aus der Eliot-Förderung für das neue Projekt behalten durfte obwohl der Fonds »sehr bescheiden« ist, 82 auch von Edschmids »bescheidenen Kräften« ist einmal die Rede. 83 Allerdings ging Edschmid wieder Maximilian Braun um seine Meinung zu drei Probesonetten an, der diesmal zu größerem Lob bereit war. Er könne »nicht umhin, sie gut zu finden«, sie seien »bedeutend besser als etwa die deutschen von Gundolf, die man eigentlich erst dann verstehen kann, wenn man sich mit dem englischen Text vertraut gemacht hat«. Er sei zwar im Ukrainischen nicht so firm wie im Russischen: »Ich kann ζ. B. nicht beurteilen, ob die Wortwahl immer den höchsten Ansprüchen genügt, ob nicht vielleicht mundartliche Eigentümlichkeiten durchschlagen u. ä. Ich kann nur sagen: diese Übersetzungen haben mir besser zum Verständnis der englischen Originale verholfen als alle mir bekannten deutschen.« 84 Kurzum: »Die Sonette seien grossartig«, reicht Edschmids Sekretärin als Ergebnis des Gutachtens weiter. 85 Die Sonette erscheinen 1958; statt zu einem vollständigen zweisprachigen Druck reichte es nur dazu, die englischen Anfangszeilen vor die ukrainische Übertragung zu setzen; Kostetzkys Kommentar füllte 60 % des Bandes. Auf dem Vorsatzblatt findet sich wieder eine Dankesformulierung: »This edition owes its realization to the spiritual and financial assistance of Mr. Kasimir Edschmid, Secretary General of the Deutsches PEN-Zentrum der Bundesrepublik, Darmstadt, administrator of The Fund for the Intellectual Freedom.« 86

4.5

Janis Jaunsudrabins

Alexander Plensners, der Präsident des lettischen PEN, der seinen Sitz in Stockholm hatte, bat beim Internationalen PEN um eine FIF-Unterstützung für den Kurländer Janis Jaunsudrabins (1877-1962) - 1/15 der lettischen Nation lebe im Exil, darunter auch die meisten Schriftsteller. Jaunsudrabins sei nicht nur der Nestor, sondern überhaupt der bedeutendste und trotz seines Alters weiterhin kreativ. Plensners beschreibt ihn als Neorealisten und Hamsun-Schüler, der mit zahlreichen Büchern hervorgetreten ist, Theaterstücken, Romanen, Erzählungen, die auch in

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Hildegard Finger an Eaghor Kostetzky, 15.10.1956, DA; vgl. Elisabeth Kottmeier (Hg.): Weinstock der Wiedergeburt, S. 6 7 - 6 9 . Hildegard Finger an Eaghor Kostetzky, 4.3.1956, D A . Kasimir Edschmid an Eaghor Kostetzky, 19.3.1956, D A . Maximilian Braun an Kasimir Edschmid, 7.6.1956, D A . Hildegard Finger an Eaghor Kostetzky, 8.6.1956, DA. Ihor Kostec'kyj: Sekspirovi Sonety. V perekladi Ihorja Kostec'koho. [Originaltitel kyrillisch] München 1958, S. [2],

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mehrere Sprachen übersetzt wurden, darunter auch Aija ins Deutsche. 87 Jaunsudrabins war auch Maler, er hatte in dieser Eigenschaft 1905 eine Studienreise nach München unternommen und war 1908/1909 Meisterschüler bei Lovis Corinth. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee in Lettland 1944 floh er deshalb nach Deutschland, 1948 ließ er sich in Körbecke am Möhnesee (Westfalen) nieder. 88 - Im Falle dieses lettischen Antrags ergaben sich keine Probleme außer dem des geringen Etats von FIF: Carver verwies Plensners an Edschmid und schlug gleich die Modalität von 100 DM im Monat vor. 89 Der lettische Präsident schreibt daraufhin ausführlicher und in deutsch an Edschmid, betont in seinem Porträt auch die Übersetzungsleistungen Jaunsudrabins' (darunter auch Dauthendey und Kellermann). Edschmid bewilligt umstandslos die monatlichen 100 DM für die Dauer eines Jahres 90 - und wundert sich, als sich der so Beschenkte nicht rührt. Seine Sekretärin bittet Jaunsudrabins um Bestätigung, ob er überhaupt das Geld bekommen habe, und der schreibt freundlich zurück, ja, er habe, übrigens bereits drei Zahlungen, und ob er jede einzeln bestätigen solle? Er habe gedacht, dazu gebe es doch einen Bankauszug? 91 - Dieses recht wenig dankbare Verhalten entpuppt sich als Mißverständnis, als Edschmid pikiert darauf hinweist, Jaunsudrabins bekomme das Geld nicht aus London, sondern vom deutschen PEN. Dem ist daraufhin »höchst unangenehm, dass ich von meinen Gönnern in London und Stockholm falsch informiert bin«, und jetzt gehöre seine »volle Dankbarkeit [...] dem Deutschen Pen-Zentrum«; als Zeichen schickt er Edschmid auch ein Bändchen. 92

5

D a s E n d e : N o t with a b a n g but a w h i m p e r 9 3

Welche Rolle spielten das IRC und dessen Direktorin Anna Matson? Edschmid als »Governor« für Deutschland war der alleinige Verwalter und Zuweiser der finanziellen Mittel, die letzten Entscheidungen lagen stets bei ihm. Matson konnte ihm Vorschläge machen, und beide gaben dem Internationalen PEN-Sekretär David Carver Rechenschaft. 94 Es gab etliche Spannungen zwischen Edschmid und Matson: Sie hatte vor der Übergabe an PEN den FIF verantwortlich verwaltet, bekam

87

Vgl. K N L L VIII, S . 6 5 8 - 6 6 0 . "B Vgl. Janis Jaunsudrabins: Erzählungen vom Möhnesee. (Schriftenreihe des Heimatvereins Möhnesee 5) Möhnesee-Körbecke o. J. [1982], S.23f. m David Carver an Alexander Plensners, 6.7.1954, D A . 90 Hildegard Finger an Alexander Plensners, 29.11.1954, DA. 91 Janis Jaunsudrabins an Kasimir Edschmid, 14.3.1955, DA. 92 Janis Jaunsudrabins an Kasimir Edschmid, 5.1.1956, D A . 93 Schlußzeile aus T.S. Eliots Gedicht The Hollow Men; vgl. Thomas Stearns Eliot: Gesammelte Gedichte. 1909-1962. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Eva Hesse, (st 1567) Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988, S.136. 94 Das geschah regelmäßig auf den Internationalen PEN-Kongressen; wenn Edschmid verhindert war, besprach seine Sekretärin den Bericht mit Carver, so z.B. 1955 in Wien (vgl. Protokoll Hildegard Finger an Edschmid, Juni 1955; überlassen von H. Finger).

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also einen neuen - sozusagen zusätzlichen - Vorgesetzten; Edschmid wiederum kam in eingeschliffene Förderstrukturen, die er aber nicht unbedingt einsah und übernehmen wollte - vor allem nicht im geschilderten Fall Jakowlew/Literaturny sowremennik. Von den ersten Briefen an (November 1952) blieb es bei freundlicher Korrespondenz und einem Treffen Edschmids mit Matson und Jakowlew in München (März 1953; ein erster Versuch im November 1952 scheiterte) - es waren »Schwierigkeiten aufgetaucht wegen Bezahlung von Steuern für die Gelder des fund. Ehe das nicht geklärt ist, können keine Mittel mehr frei gemacht werden.« 9 5 Bitten um Förderung gingen natürlich auch in dieser Zeit ein, begleitet von Stoßseufzern: »You well know how distressed I am that our help to refugee writers is so unrealistic.« 96 Im März 1954 zeichnet sich ab, daß das Geld doch noch eintreffen wird, Edschmid empfiehlt aber, »lieber erst sotto voce [zu] jubeln«; er schlägt ein weiteres Treffen in München vor (es findet im April 1954 statt), um die zu fördernden Projekte zu besprechen, soweit sie schon bekannt und entschieden sind - »ich habe den Eindruck, dass nach diesem Geld kein weiteres kommen wird«. 97 Ein Vierteljahr später kann Hildegard Finger endlich das Eintreffen des Geldes aus den USA verkünden: ein Scheck über 5000 $ von der New Yorker FIF-Verwalterin Mrs. Kleeman, 9 8 und drei Wochen später ist er tatsächlich gutgeschrieben. 9 9 Vom Oktober 1952 bis zum Juli 1954,22 Monate lang, bestanden die Aktivitäten des deutschen FIF also im Schreiben von Briefen (auch an David Carver) und einigen persönlichen Treffen in London und München, in organisatorischem Leerlauf. Sobald das Geld vorhanden ist, ändert sich schlagartig der Ton der Korrespondenz: (Angeblich sprachliche) Mißverständnisse, verlorene Briefe, Anmahnungen von Antworten; herrschte anfangs ein fast herzlicher Umgangston, wird er jetzt kalt und formell - von Anna Matsons Seite, Edschmid kann sich den Grund nicht erklären; er beklagt sich darüber in einem ausführlichen FIF-Berichts-Brief an Carver, in dem es auch heißt, er werde das Geld nicht los (»I cannot get rid of the money«). 1 0 0 Als Matson ihm erklärt, daß und warum Jakowlew sofort 3000 DM brauche, ohne daß dieser ihm selbst schreibt, platzt ihm der Kragen, und er sucht die Struktur der Zusammenarbeit zu klären, indem er droht, sie zu beenden: Wenn Sie der Ansicht sind, dass es nicht gut möglich sei, einen Kostenanschlag [...] zu verlangen für eine Summe, die ich zu betreuen habe und für ein Unternehmen, dessen Art ich verantworten muss, so erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen, dass dies nach selbstverständlichem Usus nicht nur möglich, sondern das Gegebene ist. Denn ich bin der Fachmann, der diese Dinge zu beurteilen hat, und es ist mir in London durchaus ans Herz gelegt worden, dafür zu sorgen, dass die Dinge nicht zu teuer werden. Ich kann kein Büro führen, ohne dass ich die primitivsten Unterlagen dafür habe. So habe ich bis heute nicht die Bestätigung des Herrn Gobeliewski, dem ich auf Ihre Veranlassung eine Schreibmaschine gekauft

95 96 97 9S 99

Hildegard Finger an Anna Matson, 1.5.1953, DA. Anna Matson an Kasimir Edschmid, 13.11.1953, DA. Kasimir Edschmid an Anna Matson, 27.3.1954, DA. Hildegard Finger an Anna Matson, 7.7.1954, DA. Hildegard Finger an Anna Matson, 24.7.1954, DA. Kasimir Edschmid an David Carver, 8.11.1954, DA.

304

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habe, und so hat Herr Jaunsudrabins, der seit 1. Januar 1955 eine Jahresrente bezieht, weder eine Bestätigung geschickt, noch ein Wort über diese Angelegenheit verloren. - Wenn Herr Jakowlew schreibt, dass die ganze Arbeit an der Anthologie-Herausgabe ohne Entgelt von ihm geliefert wird, so darf ich ebenso darauf hinweisen, dass die ausserordentlichen Mühen, die mir durch den P.E.N. und die keineswegs leichte Verwaltung des FIFFonds entstehen, ebenfalls ehrenamtliche Arbeit sind, für die ich nicht einmal die Auslagen bezahlt bekomme. [...] Da, wie ich sehe, die Sorgfalt, mit der ich mich um die Dinge der FIF kümmere, durchaus verkannt werden [sie], werde ich Mr. Carver bitten, mich von der Position [...] zu entbinden und einen anderen Governor zu ernennen. 101 Matson beteuert in ihrer Antwort den Kummer über die vielen Mißverständnisse, bekniet Edschmid, doch sein Ämtlein weiterzuführen, entschuldigt sich und erklärt vor allem, inwiefern sie sich für Jakowlew verantwortlich fühle. Ein Teil der Mißverständnisse rührte auch von den zwei Büros her - wer ihr nicht schreibt, nimmt sie an, der hat Edschmid geschrieben, und das traf eben nicht zu. 1 0 2 Carver beruhigt Edschmid, natürlich sei letztlich er für die Verwaltung des Geldes verantwortlich, »I can only admire your punctiliousness«. 103 D e r führte die Geschäfte weiter, ließ sich aber nicht besänftigen; und der nächste Konflikt stand vor der Tür. David Carver wie Anna Matson bitten um Unterstützung für Gustav Regler, und Edschmid lehnt das ab - Regler ist nicht aus dem Osten vertrieben und kann in seiner Muttersprache publizieren (und, nb, gehörte in der Weimarer Republik dem PEN an, ist ihm aber nach dem Krieg nicht wieder beigetreten). »Ich würde ihm natürlich persönlich gern die Rente zuführen und werde darüber in Wien auch mit Mr. Carver sprechen, dem ich bei dieser Gelegenheit noch einmal mitteilen werde, dass ich nicht gewillt bin, dieses Amt unter den Umständen, unter denen ich es jetzt verwalte, weiterzuführen.« 104 Auch Richard Friedenthal versuchte, das eigentliche Anliegen des Fonds zu umgehen, um Hans Sahl Hilfestellung zu geben, der an Tbc erkrankt war und eine Kur benötigte. 1 0 5 Friedenthal formulierte einen ausdrücklichen Antrag an FIF, mit dem Beibrief: »Es brauchen ja nicht unbedingt nur Ukrainer zu sein, die von Koestlers Tantiemen zehren. Aber dies nur als Anregung.« 1 0 6 Edschmid fühlte sich genötigt: Der Fonds ist »nicht da [...] für soziale Zwecke und nicht für Wohlfahrtunterstützung.« 1 0 7 Deshalb habe er die Rente für Gustav Regler abgelehnt. A n Carver schrieb er: ,H1 1(12 m 104 105

11)7

Kasimir Edschmid an Anna Matson, Ende Januar 1955, DA. Anna Matson an Kasimir Edschmid, 2.2.1955, DA. David Carver an Kasimir Edschmid, 1.2.1955, DA. Kasimir Edschmid an Anna Matson, 17.5.1955, DA. Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid, 2.6.1955, Nachlaß Kasimir Edschmid im Deutschen Literaturarchiv im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. (NLE). Richard Friedenthal an Kasimir Edschmid, 24.8.1955, NLE. Kasimir Edschmid an David Carver, 14.9.1955, DA. - Edschmid hat später eine solche Unterstützung doch gewährt: Der Tbc-kranke russische Lyriker Nikolaus Berner, der in einem Auffanglager lebte und auf die Einweisung ins Sanatorium wartete, erhielt zur Finanzierung der nötigen Sonderkost acht Monate lang jeweils 30 DM (Kasimir Edschmid an Anna Matson, 2.11.1955, DA).

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Persönlich unterstütze ich lieber den charmanten und ausgezeichneten Schriftsteller Hans Sahl als Ukrainer, die ich nicht kenne, aber mir wurde sowohl von Friedenthal wie von Sahl selbst erklärt, dass Sie und Koestler nichts dagegen hätten, wenn ich den Fonds für Sahl benutze. Kurz, ich wurde unter schweren moralischen Druck gesetzt und habe Dr. Sahl einen Scheck über D M 800, - gesandt. Sie werden aber begreifen, dass das nicht geht. Ich kann nicht einmal sagen, der Fonds ist nicht für soziale und wohltätige Zwecke da und ein anderes Mal, den Fonds für diese Zwecke benutzen. Das ist inkonsequent und bringt mich in schiefe Situationen. Ich bitte Sie daher, zumal mir es gar nicht gefällt, dass Mrs. Matson - die jede Verantwortung für den Fonds abgelehnt hat (zumal die Übernahme und Verwaltung der Summe) - sich in sämtliche Unternehmungen einschaltet, mir mitzuteilen: 1.) dass ich die Erlaubnis habe, Spenden ausserhalb des ursprünglichen Zweckes des FIF verteilen oder 2.), was mir noch lieber wäre, mir in strenger Form zu schreiben, dass dies nicht getan werden soll und dass das Geld nur so verteilt werden soll, wie es ursprünglich geplant war. Nur auf diese Weise kann ich, wie Sie begreifen werden, weiterhin das Amt als governor ausüben. 1 0 8

Matson vermeldet die enthusiastische Aufnahme der Anthologie Literaturny sowremennik - »während ihr Inhalt nicht ganz so rückhaltlos angenommen wurde« - und fragt Edschmid nach der Fortsetzung. 109 Das Briefzitat ist in deutsch, weil das IRC bzw. Anna Matson hinfort pedantisch darauf bedacht ist, Mißverständnisse zu vermeiden; ihre Sekretärin Margaret von Veh übersetzt nun die Briefe, und Original und Übersetzung werden an Edschmid geschickt. Bei neuen Vorschlägen des IRC die Rumänische Bibliothek will ein Gebetbuch Randiala Crestineasca drucken lassen - wird nun sofort ein Kostenvoranschlag beigelegt. 110 Kleinere, eher freundschaftliche Querelen gab es auch mit Carver, der Edschmid mitteilte, Matson sei nun definitiv in den USA (23. Oktober 1956). Edschmid setzte die Bezuschussung der Shakespeare-Sonette gegen Carver durch, als tatsächlich apolitische Förderung; Carver hätte pauschal russische Anthologien bevorzugt vor Literatur aus dem 16. und 17. Jahrhundert. 111 Edschmid verteidigt sich diesmal nicht erneut mit FIF-Satzungsfragen, sondern mit seinem Ruf: Wenn er Kostetzky jetzt nicht unterstütze zu einem Zeitpunkt, wo dessen Arbeit derart fortgeschritten sei und von ihm auch non-materiell unterstützt wurde - verliere er »any belief in my respectability and authority as a governor of FIF«. 112 Jakowlew, der inzwischen in New York lebt, habe ohnehin den Kontakt zu den Emigranten in Deutschland verloren und könne vernünftigerweise eine Anthologie nicht mehr koordinieren. Carver ließ sich überzeugen, auch Sozialhilfe aus FIF-Mitteln solle künftig verhindert werden (der Fall Sahl), setzte ihn im gleichen Brief aber in Kenntnis über Veränderungen des Fonds. Er sollte weiterhin im PEN unter anderem Namen existieren. Die Restmittel sollten an den Kongreß für kulturelle Freiheit überwiesen werden, und dort werde sie

1 K

" Kasimir Edschmid an David Carver, 14.9.1955, DA. Anna Matson an Kasimir Edschmid, 21.9.1955, D A . 1,0 Margaret von Veh an Kasimir Edschmid, 21.11.1956, D A . 111 David Carver an Kasimir Edschmid, 23.10.1956, D A . 112 Kasimir Edschmid an David Carver, 31.10.1956, DA. 11)9

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Sheba Goodman verteilen. 113 Edschmid verstand dieses Manöver nicht und bezweifelte, ob er die Verantwortung an solch zweifelhaften Unternehmungen weiterhin übernehmen könne 1 1 4 - dies ist der letzte Brief der FIF-Unterlagen in Darmstadt. Über eine Fortführung von FIF innerhalb des PEN unter anderem Namen ist nichts bekannt, es handelt sich jedenfalls nicht um eine frühe Form von Writers in Prison. Die Außenwirkung des FIF ist - nach den Nennungen in der Tagespresse zu urteilen - gleich null gewesen, 115 keine bekanntere historiographische Arbeit über den Kalten Krieg erwähnt FIF. Einigen wenigen Schriftstellern wurde bei kleinen Projekten geholfen, die verwaltungsmäßig wie emotional aufwendige Arbeit erforderten. Die gutgemeinte, letztlich herzlich leerlaufende Unternehmung verging ohne markanten Abschluß, sang- und klanglos. Der Fonds belegt paradigmatisch das Elend der Intellektuellen im Kalten Krieg: das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit; eine fatale Selbstüberschätzung; und mentalitätsgeschichtlich einen - vielleicht nur für mich - nicht mehr recht nachvollziehbaren selbstverständlichen Antikommunismus.

113 114 115

David Carver an Kasimir Edschmid, 23.10.1956; s.a. ders. an dens.,18.11.1956, beide DA. Kasimir Edschmid an David Carver, 31.10.1956, DA. Vgl. oben, S.293.

307 H E L M U T PEITSCH

Zur Vorgeschichte des Hamburger Streitgesprächs deutscher Autoren aus Ost und West: Die Rezeption des Konzepts >Engagement< in der BRD und in der DDR Ein Problem, das in Anwesenheit von Kollegen und Gästen aus dem ach so fernen Osten naheliegt zu behandeln, ist natürlich das Problem der litterature engagee oder non-engagee, was man mit seinen mehrfachen Verzweigungen auch noch mit anderen Namen bezeichnen kann, etwa der zweckgebundenen und der zweckfreien Literatur oder auch des Konformismus und des Nonkonformismus oder, wie einige es auch ausdrücken, der Ja-Sager und der Nein-Sager. 1

Martin Beheim-Schwarzbachs klar nach Ost und West polarisierte Gegenüberstellung kann darauf aufmerksam machen, daß im Hamburger PEN-Gespräch von 1961 nicht nur die Eindeutigkeit dieser Frontenbildung verwirrt wurde, sondern daß diese Podiumsdiskussion zusammen mit anderen Ost-West-Kontakten in den frühen 60er Jahren zu einer Veränderung des Literaturbegriffs in der Bundesrepublik beitrug. Die öffentliche Auseinandersetzung mit den Schriftstellern der D D R erst war es - so meine These - , die den Begriff des Engagements eindeutschte. Wenn bis 1961 an seiner Stelle ein französisches Zitat stand: litterature engagee, das nie ohne seinen Gegenbegriff, poesie pure, gebraucht wurde, so setzte sich in den Ost-WestDiskussionen der frühen 60er Jahre das Substantiv als deutsches Wort durch. In den von Atomrüstung der Bundeswehr, Hakenkreuzschmierereien, Notstandsgesetzen, dem Rotbuch der CDU und der Anwendung des Paragraphen 90a StGB einerseits, 2 Mauerbau anderseits bestimmten Diskussionen holten die westdeutschen Schriftsteller in Konfrontation mit den ostdeutschen nach, was in Italien und Frankreich fünfzehn bis zehn Jahre früher diskutiert worden war: den Streit ums Engagement. Das Stichwort »verspätet[es]« Nachholen der europäischen Engagementdebatte benutzte Karl Markus Michel schon 1965 in einem zeitnahen Rückblick im Kursbuch kritisch. 3 Unter diesen Aspekten - internationale Verspätung und zweistaatliche Konfrontation - erwiesen sich die bis heute am ehesten erinnerten Beiträge, die allesamt ins Jahr 1962 fallenden Essays von Theodor W. Adorno, Hans Magnus Enzensberger und Walter Jens, einerseits als nachträgliche Fixierungen des Konsenses der 50er Jahre, anderseits als eingebundene Beiträge zum Terminologisierungs-

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Josef Müller-Marein/Theo Sommer (Hg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager? Das Hamburger Streitgespräch deutscher Autoren aus Ost und West. Das vollständige Tonbandprotokoll. Hamburg: Rütten & Loening 1961, S.83. 2 Diesen Kontext skizzierte Hartmut von Hentig in einem vom Merkur gedruckten Bericht über eine Abiturienten-Reise in die D D R : Berliner Gespräche. Beobachtungen aus Anlaß einer Studienfahrt im März 1961. In: Merkur 15 (1961), S. 1055-1072. Hier S.1056f. * Karl Markus Michel: Die sprachlose Intelligenz. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1968, S.78.

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prozeß; dieser kommt zum Abschluß in der Gleichsetzung der als gesamtdeutsch wahrgenommenen Literatur der Gruppe 47 mit einer Literatur des Engagements. Nicht länger ist Engagement etwas, das außerhalb der literarischen Produktion oder des Werks geschieht, sondern sowohl der deskriptive als auch der normative Begriff von Engagement, Involviert-Sein und Pflicht zur Stellungnahme, den Sartre in Was ist Literatur? entwickelt hatte, wird wie selbstverständlich auf die Literatur angewandt. Willy Brandt fügt ihn 1965 in einen Interviewtext ein, den ihm Peter Härtling im Rahmen des Wahlkontors geschrieben hatte; 4 Hans Schwab-Felisch schreibt in der Welt Kulturgeschichte der Ära Adenauer als die »engagierter Literaten«; 5 1966 ist Engagement in der Zeit das letzte Wort zur Tagung der Gruppe 47 in Princeton; 6 Hermann Kant wendet ihn gegen Grass; 7 der auf BRD-Literatur spezialisierte DDR-Kritiker Heinz Plavius erhebt in einer Skizze der BRD-Diskussion über Engagement Einspruch gegen die Ablehnung des Begriffs durch das Neue Deutschland, das ihn als eins der »sprachlichen Verlegenheitskosmetika« (29. Mai 1966) bezeichnet hatte; Plavius faßt Engagement als »Keimform der Parteilichkeit«. 8 In einem ersten Schritt möchte ich die Bedeutung des Podiumsgesprächs an seiner Rezeption zeigen. In drei wichtigen Publikationen des Jahres 1961 kamen die an ihnen Beteiligten immer wieder auf das Hamburger Ost-West-Gespräch zurück: in dem von Martin Walser herausgegebenen Band Die Alternative, in Hans Werner Richters Die Mauer oder der 13.August und im Protokollband des V. Deutschen Schriftstellerkongresses. Die Bezugnahmen auf Hamburg verdeutlichen den Kontext des Dialogs, in dem Antifaschismus den Antitotalitarismus entlegitimiert. Im zweiten Teil geht es um die Vorgeschichte der Hamburger Kontroverse im engeren Sinne, indem die Auswahl der Diskussionsteilnehmer auf deren Stellung in der Rezeption des Engagementbegriffs bezogen wird. Ins Zentrum gerät hier die Problematisierung des Nonkonformismus, wie er in Wolfgang Weyrauchs Sammelband Ich lebe in der Bundesrepublik 1960 Ausdruck gefunden hatte. Im dritten Teil wird die dominante mit zwei marginalen Positionen der bundesrepublikanischen Rezeption konfrontiert: Der unter konservativ-liberalen und linken Kritikern konsensualen Ablehnung des Engagements - von Friedrich Sieburg bis Alfred Andersch - wird eine christliche Aktualisierung gegenübergestellt sowie eine marxistische Denunziation aus einer Zeitschrift im Umkreis jener Organisationen, die mit der Hamburger Veranstaltung aus dem Bereich des Verfassungsverrats und der Staatsgefährdung herausgelangten.

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Klaus Roehler/Rainer Nitsche (Hg.): Das Wahlkontor deutscher Schriftsteller in Berlin 1965. Berlin: Transit 1990, S.87 (Härtlings Entwurf), S.88 (Brandts Text). Hans Schwab-Felisch: Zerrissen und doch eine Einheit. Deutsche Kunst und Literatur in der Ära Adenauer. Ein Bericht. In: D i e Welt, 8.2.1964. Dieter E. Zimmer: Gruppe 47 in Princeton. In: D i e Zeit, 6.5.1966 (unter Bezugnahme auf Hans Mayer). Hermann Kant: Zu den Unterlagen. Publizistik 1957-1980. Berlin, Weimar: Aufbau 1981, S.67 (zuerst in: Neues Deutschland, 7.8.1966). Heinz Plavius: »Zwischen Protest und Anpassung«. Westdeutsche Literatur Theorie Funktion. Halle/Saale: Mitteldeutscher Verlag 1970, S.98.

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1 Martin Walser stellte das Plädoyer von Schriftstellern für die Wahl der SPD, das er im August 1961 herausgab, im Vorwort als eine »plötzlich[e]« »Einmischung« von Schriftstellern in »Tagesfragen« in Gegensatz zu deren bisherigem Verhalten: »Es muß einer seine Ruhe haben, um die nötige Unruhe zu stiften oder das, >was bleibtengagierter< Literatur« (S.695); auf der einen Seite sah er sich genötigt, vor der Wiederkehr der »alte[n] und verderbliche [n] deutsche [n] Scheidung des reinen Poeten und des dem Tag zugewandten Schriftstellers, den in dieser Form die französische Literatur niemals gekannt hat« (S. 694), zu warnen, auf der anderen Seite glaubte er dem Kongreß gutschreiben zu können: Es wurde freilich doch erkannt, daß alle Literatur heute vor den Forderungen des Tages »engagiert« erscheinen müsse, ob sie das nun wisse und wolle oder nicht. Auf dem berliner Kongreß hatte man das als Problem der »Zeitnähe« formuliert: diesmal in Frankfurt gebrauchte man den französischen Ausdruck des »Engagements«. D i e Sache selbst hat sich nicht geändert (S.695).

Meinte Mayer zu Frankfurt noch, in der Frage »menschlicher wie künstlerischer Verantwortung« die »Scheidung« nach den Kriterien »Rückschritt und Humanität« vornehmen zu können (S. 695), so zeigte die Einbeziehung des Breslauer Kongresses in die beginnende Formalismus-Kampagne eine Verschiebung der Fronten, die es in Zukunft immer weniger möglich machte, den Terminus des dekadenten und kosmopolitischen Formalisten Sartre zu zitieren: Die Debatten über den sogenannten »Formalismus« in Kunst und Literatur enthüllen letztlich den Gegensatz zwischen einer Auffassung des Intellektuellen, die von seiner Funktion her bestimmt ist, von seiner möglichen und wirklichen Rolle in den Krisen unserer Zeit - und einer Auffassung vom Eigenwert der geistigen Leistung unabhägig von ihrer Wirkung, die von der individuellen Substanz her bestimmt ist. 6 4

Mayer leitete aus der Einsicht, daß die zweite Auffassung von der Mehrheit der Schriftsteller »als Erbschaft des bürgerlichen Denkens« geteilt werde, eine Prognose ab, die das Sartresche Konzept des Engagements implizit als Waffe des Westens im Kalten Krieg abwies: Auch die Nichtentscheidung aber ist eine politische Entscheidung. In einer Welt des Nachkriegs und des erneuten Kriegsgeredes kann auch die Überbetonung einer praktisch immer fragwürdiger werdenden »geistigen Freiheit« und Bindungslosigkeit des Künstlers für ihn selbst höchst unerwartete Konsequenzen haben. [...] Es wäre denkbar, daß mit dem Ruf nach »geistiger Freiheit« eine Politik der gesellschaftlichen Versklavung der Intellektuellen betrieben werden könnte (S.979).

Die enge Definition des Schriftstellers als Parteiintellektuellen, der in seinem Werk der Methode des sozialistischen Realismus zu folgen habe, ersetzte in der DDRKulturpolitik begrenzend die Kriterien des Antifaschismus und Humanismus, die Hermlins und Mayers frühe Anwendung des Engagementbegriffs auf Werke des Modernismus und das Verhältnis von Schreiben und Handeln erlaubt hatten. Dennoch zeigt sich bei beiden Autoren eine Kontinuität der Auseinandersetzung mit dem Engagement, die sich nicht zuletzt aus ihrer Aneignung westlicher Literatur ergab. Hermlins Essayistik wird durchzogen von den Topoi der Teilnahme des Künst-

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Hans Mayer: Der Breslauer Weltkongreß. In: Frankfurter Hefte 3 (1948), S. 9 7 5 - 9 8 0 . Hier S.979.

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lers an den Kämpfen der Zeit und vom Parteiergreifen auch des Kunstwerks. Sie verbinden sich im Modell der »literarische[n] Resistance«, die »sich nach der Befreiung Deutschlands auch bei uns verwirklichen zu können« »schien«. 66 Entsprechend warf er 1955 Westdeutschen, die »vor wenigen Jahren noch die Position einer >litterature non-engagee< zu verteidigen suchtejn]«, vor, »sich seither ihrerseits deutlich und unmißverständlich bis über ihre langen Ohren engagiert [zu haben], nämlich dort, wo die N A T O steht« (S. 180). Das Gegenteil von Sieburgs, Holthusens und Schnurres Engagement sah Hermlin in zwei Gedichten Celans, womit er bewies, daß es ihm weder auf »Ansichten« (S. 189) ankam noch darauf, »diese oder jene künstlerische Methode als Bedingung für den gemeinsamen Kampf um die Erhaltung unserer Hoffnungen abzufordern« (S. 188). Hermlins Einbeziehung des Modernismus in den einheitlichen Strom der Literatur folgte nicht nur aus seiner Begrenzung des Dekadenzbegriffs, sondern auch aus der humanistischen Auffassung, daß »alle große Poesie« »Partei ergriffen« habe und damit »Zeugnis« ablege »für das Nichtbestehen eines [...] Gegensatzes« »zwischen Aktion und Poesie« (S. 195). Mit dieser Definition von Poesie als Zeugnis bezog sich Hermlin auf die einzige Möglichkeit, die Sartre selbst gesehen hatte, in der Poesie engagiert zu sein. Indem Hermlin aber dieses Zeugnis ausdrücklich als Handeln bestimmte, ging er noch über Sartre hinaus, der nur die Prosa als Aktion hatte gelten lassen. Mayer wies in H a m b u r g »die Frage >Ja-Sager oder Nein-SagerNicht-Übereinstimmung< (S. 110), »divergierende]« »Auffassungen« (S. 109) und »Pluralität [...] ästhetischer Standpunkte und ihrer freien Entwicklung« (S. 110) zu betonen. Im R a h m e n der staatlich definierten »kulturpädagogischen« »Funktion« von Literatur öffnete Mayer den »kritische[n]« Spielraum des »einzelne[n] Schriftsteller[s]« (S. 125): [...] die Frage der Entscheidung oder Nichtentscheidung: Jede Literatur bedeutet für den Schriftsteller seiner Tage einen Erkenntnisprozeß. U n d da gibt es in der Tat ein echtes Gespräch mit dem Schriftsteller: Erkennst du die Welt richtig oder falsch? (S. 126f.)

Mayers Plädoyer für den Schriftsteller als Kritiker verhüllte eher die Übereinstimmung mit Sartre, die aus dem Interesse am Verhältnis von Intellektuellen zu Arbeiterbewegung und Partei folgte. Mayers Beiträge bewiesen deshalb nicht nur, daß die Rezeption des Begriffs Engagement noch nicht zu terminologischer Festigkeit geführt hatte:

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Stephan Hermlin: Lektüre 1960-1971. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 197. 201. Stephan Hermlin: Äußerungen 1944-1982, S. 183. Josef Müller-Marein/Theo Sommer (Hg.): Schriftsteller: Ja-Sager oder Nein-Sager, S.97.

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Ein Schriftsteller kann sich nicht trennen von der Frage: Wie wirkt das, was ich tue? U n d jede Entscheidung, auch die Entscheidung für die Mc/ii-Engagierung, ist eine Entscheidung (S. 98).

Es wurde in Mayers Diskussionsbeiträgen auch deutlich, daß seine persönliche Entscheidung zwischen DDR und B R D noch nicht zugunsten der Übersiedlung gefallen war. Entgegen der Darstellung der Autobiographie, in der die Mauer endgültig die Augen öffnen soll für den eigenen Widerspruch, 68 unterstreicht der »eigens für die Veröffentlichung« 69 im Rowohlt-Band Ansichten. Zur Literatur der Zeit 1962 geschriebene Abschnitt seiner Anmerkungen zu Sartre über Was ist Literatur?, daß Mayers Stellungnahme immer noch Übereinstimmungen mit der Politik der SED zeigte, ohne auf Kritik zu verzichten, also auf eine individuelle Weise verpflichtet war. Durchaus auf der Linie von Hager, Abusch, Kurella oder Koch war der zentrale Einwand gegen Sartres Engagement als »Sowohl-Als-Auch«. Gerade indem Mayer dem Essay Was ist Literatur? den obersten Rang in Sartres Gesamtwerk zusprach: »Die Literaturtheorie dieses philosophischen Schriftstellers bildet [...] die Grundlage des Gesamtwerks« (S. 151), und den Autor sich »am gültigsten« >erfüllen< sah, »wo er als Essayist zu Wort kommt« (S. 150), nämlich »sich vollständiger« »offenbart« »als in irgendeinem Theaterstück oder Roman« (S. 151), machte Mayer den Essay auch zum Selbstporträt. Mayer enthüllte den eigenen Widerspruch zwischen dem »Moralisten«, der sich »eine Literatur ohne Funktion nicht vorstellen kann« (S. 152), und der »Konstatierung« seiner »Situation« (S. 154), indem er ihn in eine Kritik am philosophischen Widerspruch von >metaphysisch Absolutem< und historisch Relativem< verhüllte: »Der Schriftsteller Sartre strebt nach einer Literatur des Sowohl-Als-Auch. Es wird daraus aber eine Literatur des Weder-Noch.« (S. 154) Mayers Ansichten spielten eine Schlüsselrolle in der Kampagne zu seiner Entfernung vom Leipziger Lehrstuhl, 70 nach der er mit der Übersetzung von Sartres Autobiographie begann. Das Interview, in dem Sartre seine Wiederannäherung an die FKP im Vorfeld des Wiener Friedenskongresses als den Entstehungskontext von Die Wörter beschrieb, erschien bald darauf zunächst in Sinn und Form, dann in Enzensbergers Kursbuch?1 es bildete einen der Diskussionsgegenstände, an denen sich der Wandel vom Konsens der Autonomie zu dem des Engagements in der Mitte der 60er Jahre vollzog.

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Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Bd.2. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988, S.240. Hans Mayer: Ansichten. Zur Literatur der Zeit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1962, S.243. Vgl. Hans-Uwe Feige: Hans Mayers Vertreibung von der Karl-Marx-Universität Leipzig. In: Deutschland-Archiv 24 (1991), S.730-733. Vgl. einerseits Mayers Nachwort: Jean Paul Sartre: Die Wörter. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1965, S.204, anderseits Enzensbergers Verwendung des Interviews gegen Peter Weiss: Joachim Schickel (Hg.): Über Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, S.251.

Zur Vorgeschichte des Hamburger

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3 Es war ein Außenseiter der konservativen Literaturkritik der 50er Jahre, der Schweizer Germanist Walter Muschg, der unter ausdrücklicher Berufung auf Sartre eine religiös-moralische »Gesinnungskunst« 72 forderte. Die Situation der späten 50er Jahre wird recht genau dadurch bezeichnet, daß in der auf Autonomie gestimmten Zeitschrift Akzente 1960 unter den »widerborstigen Reden« neben Hildesheimers Erlanger und Eichs Darmstädter die Berliner Schillerrede Muschgs war; während Hildesheimer dem Dichter des Absurden, der mit Camus in der Frage verharre, nur einen >Einsatz< »für die gute Sache« außerhalb des Werks, »im Leben«, 73 erlaubte und Eich - der von Holthusen auf die gleiche Stufe gestellt wurde wie die Beiträger von Weyrauchs Anthologie - das Werk seiner Sprache wegen zum »Nein«, zur »Kritik« erklärte 74 : »Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, als unbequeme Frage und als Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst«, 75 pries Muschg unumwunden Schiller als »Urbild eines [...] engagierten Dichters«: In Frankreich, Italien, England, Amerika gibt es heute bedeutende Dichter [...], die einem religiösen, sozialen und politischen Glauben verpflichtet sind, ohne ihrer geistigen Würde etwas zu vergeben. 7 6

Muschgs Berufung auf Schiller als deutsche »große Überlieferung einer Kunst, die sich nicht als selbstherrlich [...] betrachtet«, sondern als »moralisches Phänomen« oder »Dienerin einer Idee« (S.34) war explizit polemisch. Muschg bezog sich auf das Versagen 77 des klassizistischen wie des nihilistischen Ästhetizismus im Faschismus, um einen »Auftrag« (S.43) der Literatur zu formulieren, der an Christentum und Aufklärung gebunden sei: »Mitverantwortung [...] geistigen Handelns, [...] Hilfe bringen und eine Wahrheit aussprechen [...], Einheit von Leben und Werk« (S. 39): In Muschgs Sartre-Rezeption wurden sowohl die Skepsis gegen Werke als »Beweis des Egoismus oder des schlechten Gewissens« (S.41) aufgenommen als auch das Bild des »>engagierten< oppositionellen Literaten, de[s] von niemandem erwarteten und gewünschten Fechter[s] für Freiheit und Gerechtigkeit« (S.41). Muschg spitzte beides zur Bestimmung der Situation der Literatur zu: »Das Wort vom Ende der Dichtung liegt in der Luft« (S.36). Mit dieser Entscheidung gegen die von Sartre der Poesie durchaus zugestandene Nebenrolle stand Muschg im Gegensatz zu der Technik, die die dominante konser-

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Walter Muschg: Die Zerstörung der deutschen Literatur. Gekürzte Ausgabe. München: List 1961, S.29f., 41, 40. " Wolfgang Hildesheimer: Erlanger Rede über das absurde Theater. In: Akzente 7 (1960), S. 5 4 3 - 5 5 6 . Hier S. 547 u. S. 553. 74 Günter Eich: Darmstädter Rede bei der Entgegennahme des Georg Büchner Preises. In: Akzente 7 (1960), S . 3 5 - 4 7 . Hier S.37. 75 Ebd., S. 46. 76 Walter Muschg: Berliner Schillerrede. Auszug. In: Akzente 7 (1960), S . 2 5 - 3 5 . Hier S.34. 77 Walter Muschg: Die Zerstörung der deutschen Literatur, S. 18.

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vative Kritik entwickelte, um mit Sartres Konzession des »Reservats« der Poesie das Engagement auszuhebeln. 7 8 Holthusen setzte an Sartres Unterscheidung von Dichter und Schriftsteller an, um für den Gegensatz zwischen einem zivil-demokratischen Interesse an Öffentlichkeit und einem poetischen - von Romantik zur Moderne gleichbleibenden - an der Grenzziehung zwischen Kunst und Nicht-Kunst nur einen gemeinsamen Nenner zu finden: die persönliche Unabhängigkeit des Einzelnen (S.35). Holthusen stimmte mit Enzensberger und Adorno überein, wenn er Engagement in der Literatur als »selbst diktierte Beschränkung des Bewußtseins« ansah, »das sich nützlich machen will« (S. 39). Er ging insofern über deren Kritik am Engagement hinaus, als er - dem Sachlichkeits- und Verantwortungsethik-Postulat der Konservativen verpflichtet 7 9 - das Engagement als den eigentlichen Ästhetizismus entlarvte: D e r belletristische Widerstand [...] ist autark. Indem er den Anspruch erhebt, [...] für die Humanität und gegen die Barbarei zu votieren, befriedigt er vor allem innerliterarische Bedürfnisse (S.36).

Die konservative Kritik konnte die Konzepte des Nonkonformismus und der Autonomie gegen diejenigen Schriftsteller wenden, die seit den späten 50er Jahren zunehmend als engagiert bezeichnet wurden, 8 0 sich selbst aber auf Grund ihrer Teilhabe an den Konzepten widersprüchlich zur Theorie des Engagements verhielten. Ulrike Meinhof etwa sprach von Schriftstellern als »engagierten Skeptikerjn]« 8 1 der bundesdeutschen Atom- und Notstandspolitik, als sie sich 1960 mit dem Rotbuch als einer der »regierungsamtlichen Interventionen im Ost-West-Gespräch« (S. 15) auseinandersetzte, die um eine angebliche fünfte Kolonne ein »Ghetto« (S. 14) bauen wolle, was die Verfasser zu McCarthyistischen »Pioniere[n] eines neuen deutschen Faschismus« (S. 19) werden ließe. Enzensberger, der sich in Meinhofs Konkret ironisch darüber beschwerte, von den Rotbuch-Werfassern »übergangen« worden zu sein, konzentrierte seine Kritik darauf, daß die Beschreibung kommunistischer Aktivität unterstelle, jeder Unterzeichner einer »Resolution gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen« sei diesen »Agenten« zum »Opfer« gefallen: »Das Rotbuch ist eine gezielte Aktion gegen die legitime Opposition in unserm Land.« 8 2 Wenn Enzensberger den Verfasser und »seine Mithelfer« »die Ge-

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Hans Egon Holthusen: Plädoyer für den Einzelnen. Kritische Beiträge zur literarischen Diskussion. München: Piper 1967, S.37. 79 Vgl. hierzu den einflußreichen Text von Arnold Gehlen: Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat. In: Merkur 18 (1964), S. 4 0 1 - 4 1 3 . K " Vgl. hierzu Horst Krüger: Der Schriftsteller in der Opposition. In: Η. K. u. a.: Literatur zwischen links und rechts. Deutschland. Frankreich. U S A . München: Ehrenwirth 1962, S . 5 28. Hier S.23. 81 Ulrike Marie Meinhof: Deutschland Deutschland unter anderm. Aufsätze und Polemiken. Berlin: Wagenbach 1995, S. 14. 1,2 Hans Magnus Enzensberger: Anmerkungen zum Rotbuch. In: Hermann L. Gremliza (Hg.): 30 Jahre KONKRET. Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1987, S.42 (zuerst in: 18/ 1960).

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fahr« nannte, »vor der uns retten zu wollen sie vorgeben«, 83 werden Nähe und Distanz zu Meinhofs Einschätzung deutlich. Im selben Jahr setzte der »engagierte Skeptiker< im Vorwort seines Museums der modernen Poesie denn auch »Gralshüter des Abendlandes, Mitglieder der Reichsschrifttumskammer und kommunistische Kulturfunktionäre« wegen ihrer Vorliebe für »das Eingängige, Unkritisch-Stimmige, das Positive und Volksverbundene« gleich, um den »Zwist« »zwischen poesie pure und poesie engagee« zum »Scheinproblem« zu erklären: »Was sie allesamt Formalismus nennen, gilt ihnen als Verbrechen, weil es ausdrückt, was doch camoufliert werden soll, Unfreiheit und Entfremdung.« 8 4 Wenn die dominante konservative Kritik darauf drängte, daß die nonkonformistischen Gesellschaftskritiker den Kapitalismus und die parlamentarische Demokratie als positive Bedingung ihrer Kritik akzeptieren und mit ihrem literarischen Werk die nationale Tradition affirmieren sollten, also, wie Sieburg formulierte, als Nein-Sager Ja-Sager zu sein oder die Rolle des »Alibi der Mächtigen« und der »Parasiten des Kapitalismus« 85 unumwunden zu bejahen, so wurde den Nonkonformisten in den frühen 60er Jahren gerade die Integration problematisch, die sie rückblickend darin sahen, Verweigerung auf das autonome Werk beschränkt zu haben. 1962 verschickte der Kongreß für kulturelle Freiheit 86 eine Einladung, die deutlich macht, daß das in der Ost-West-Auseinandersetzung um die Nazi-Vergangenheit aktualisierte Konzept des Engagements eine eigene Dynamik besaß: Franz Wördemann lud für das Kölner Sekretariat zu einem europäischen »Gespräch« »über die Pflicht zum Widerstand« ein, indem er die Wichtigkeit in einer Sprache voller Anklänge an die gerade wiedergedruckten Aufsätze von Anderschs und Richters Ruf begründete: »weil das Erlebnis des Widerstandes eine ganze europäische Generation geprägt hat und selbst dann verbindet, wenn man sich in feindlichen Lagern gegenüberstand«. 87 Die Fragen, die Wördemann vorgab, gewannen zunehmend an Dringlichkeit: von »Gab es wirklich eine Pflicht zum Widerstand gegen den Nazismus?« über »War der Kampf der Resistance-Bewegung gegen die deutsche Besetzung immer gerechtfertigt?« und »Ist es an uns, die Deutschen in der Sowjetzone zum Widerstand gegen das Ulbricht-Regime aufzufordern?« ging es zu der einzi-

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Ebd. Hans Magnus Enzensberger (Hg.): Museum der modernen Poesie. München: dtv 1964. S.27. Friedrich Sieburg: Verloren ist kein Wort, S. 18 u. 17. Vgl. zu den Beziehungen zwischen Kongreß und Gruppe 47 meinen Aufsatz: Die Gruppe 47 und die Exilliteratur - ein Mißverständnis? In: Justus Fetscher u. a. (Hg.): Die Gruppe 47 in der Geschichte der Bundesrepublik. Würzburg: Königshausen und Neumann 1991, S. 108-134. A d K Berlin, Archiv der Gruppe 47, 236, S.2. Vgl. den Neudruck ausgewählter Aufsätze aus dem Ruf: Hans Schwab-Felisch (Hg.): Der Ruf. Eine deutsche Nachkriegszeitschrift. München: dtv 1962. Die Ausgabe enthielt im Anhang einen in der Zeitschrift nicht mehr erschienenen Text Hans Werner Richters, der den Ruf gegen eine Ostberliner Kritik wegen »>neofaschistischen< Existentialismus« (S.303) verteidigte.

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gen, von der es hieß: »Hier werden die Meinungen hart aufeinanderprallen.« Sie lautete: »Gibt es ein Recht oder gar eine Pflicht zum Widerstand gegen den >Bonner StaatRegime Adenauer< oder die atomare Bewaffnung des Westens?« Zugleich war diese Frage jedoch die einzige, zu der die Einladung die Antwort bereits vorwegnahm, wenn auch als rhetorische Frage verkleidet: »Handelt es sich dabei nicht einfach um einen billig zu kompensierenden Nachholbedarf?« Diese Antwort ist von Frank Trommler 88 bis Frank Schirrmacher 89 zur Literatur der Gruppe 47 gegeben worden - allerdings mit sehr unterschiedlichen Wertungen verbunden. Was an dem Brief des Kongresses für kulturelle Freiheit bemerkenswert scheint, ist die Annahme, die vom Antitotalitarismus gesetzten Analogien wären kontrollierbar. Was Trommler schon 1971 nachgeholte Resistance genannt hat, Schloß im Zeichen des aktualisierten Antifaschismus zweierlei ein: einmal das Nachholen des Engagements der Literatur - nicht bloß nebenberuflich - , dann das Nachholen eines westeuropäisch-normalen Verhältnisses von Intellektuellen und Arbeiterbewegung. Eine Kritik am Kursbuch aus Italien, auf die Enzensberger wenig später mit dem Eingeständnis antwortete, daß »mit der Linken anderer europäischer Länder [...] die >Linksintellektuellen< in Deutschland bis vor kurzem kaum etwas gemein hatten«, 90 stellte als »lokalen Usus« heraus, »sich für nichts Bestimmtes >einzusetzenBürgerkriegs< die Voraussetzungen schlecht für »eine Literatur der >persönlichen BeteiligungVerpflichtung< unterordnete; hieraus folgte eine direkte Verknüpfung von literarischer Methode, Weltanschauung und politischer Position des Autors sowie gesellschaftlicher Funktion des Werks: Es gibt nicht nur die Reaktion von 1914 und die von 1933, es gibt auch die Existentialistenreaktion von 1945, das sind jene Landsknechtsnaturen, die das Kriegschaos in einem permanenten »kalten Krieg« aller gegen alle zivil fortsetzen wollen, was über die gemeinsame Parole vom »Gefährlichen Leben« wieder zum faschistisch-anarchistischen »Willen zur Macht« zurückführt. Die dubiosen Literaten der sogenannten »heimatlosen Linken«, die sich bei der Literatur ebenso zu Hause fühlten, wie beim amerikanischen Monat sind dafür der anschaulichste Beweis. 95

Diesem moralisierten Realismus-Begriff entsprach die auf moralische Vernichtung des Autors zielende Rezension der »>Bekenntnisse< eines Ausreißers«, Anderschs Die Kirschen der Freiheit. Lebensphilosophie und Stilproben, die Stichworte Nietzsche und Gide, wurden unmittelbar verknüpft mit Zitaten zum Faschismus, die die politische Position belegen sollten; so wurde Andersch zum politischen Typus der »konjunktursicheren Schmarotzer und Mitmarschierer« verallgemeinert, »die sich unter jede reaktionäre Ordnung ducken«, 96 und moralisch gewertet: »seine ständigen Desertionen sind leider niemals aus der Freiheit des sittlichen Entschlusses, sondern immer aus der Nachgiebigkeit des Mitläufertums geboren worden« (S. 146). Der als »Unverschämtheit« zurückgewiesene Vergleich der »rein egoistischen Desertion« mit dem »Charakter und Haltung« beweisenden »Martertod« der Verschwörer des 20. Juli wies für Trischen den »Radfahrer ä la Andersch« aus: Jenseits von Gut und Böse kennen sie nur ein Gebot: nie aus der Rolle dessen zu fallen, der - Bäumchen, Bäumchen verwechselt euch - stets rechtzeitig dem jeweiligen Machthaber zu Füßen liegt (S. 147).

Diese Weise, auf Verpflichtung zu bestehen, ohne die individuelle Wahl ernst zu nehmen, begegnete in der Zeitschrift Geist und Zeit verstärkt nach Sartres Wiederannäherung an die FKP; man berief sich auf ihn, um nach dem Vorbild Frankreichs einen linken Flügel in der deutschen Literatur auch im Westen, nicht nur im Osten

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Teo [sie] Trischen: Der Konkurs bringt es an den Tag! Hans Werner Richters Scheingefechte gegen die Restauration. In: Heute und Morgen. Illustrierte Monatszeitschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft, Zeitgeschehen und Unterhaltung 2 (1952), S. 1097-1099. Hier S. 1098. Vgl. auch die Polemiken gegen Die Literatur und den Roman Sie fielen aus Gottes Hand: Theo Trischen: Ein neuer Hauptmann von Köpenick. In: Heute und Morgen 2 (1952), S. 563-565; Ferdinand Reichel: Über einen deutschen Sartre-Imitator. In: Heute und Morgen 2 (1952), S. 278-281. Teo [sie] Trischen: »Bekenntnisse« eines Ausreißers. Zu Alfred Andersch's »Kirschen der Freiheit«. In: Heute und Morgen 3 (1953), S. 146f. Hier S. 147.

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zu entwickeln; 97 dieser Appell aber konnte keinen Einfluß auf diejenigen ausüben, die solches Engagement als Fremdbestimmung zu Tendenzliteratur wahrnahmen. Einer der seltenen Belege für das deutsche Substantiv Engagement spielt denn auch genau mit dem erwünschten Nebensinn der Indienstnahme eines Schauspielers; ausgerechnet eins der ersten Ost-West-Gespräche, das Starnberger Gespräch, das der BRD-Regierung zum Anlaß ihrer Intervention wurde und so in die Spaltungsgeschichte des PEN führte, wurde vom damaligen Feuilletonchef der Zeit folgend e r m a ß e n angegriffen: Deutsche Schriftsteller im Engagement. kungen zu einer Kollektiv-Entdeckung (3. M a i 1951 ). 9 8

Notwendige

Anmer-

4 Zehn Jahre später eröffnete das Hamburger PEN-Streitgespräch somit erst die Diskussion über das Engagement, die Adorno im ersten Satz seines Aufsatzes von 1962 zu Unrecht als längst gelaufen und somit abgetan hinstellte. 99 Erst in ihrem Verlauf entfiel jene bundesrepublikanische Besonderheit des >Einsatzes für nichts Bestimmtest Mitte der 60er Jahre sah es so aus, als könnte der kalt-kriegerische >Sonderweg< der BRD im Zeichen der Entspannung beendet werden. War mit dem KPD-Verbot das Problem von Intellektuellen, Arbeiterbewegung und kommunistischer Partei exterritorialisiert worden, so kehrte im Gespräch mit den DDR-Autoren auch die einheimische Arbeiterbewegung wieder ins Bewußtsein der westdeutschen literarischen Intelligenz zurück. Wenn die Zweistaatlichkeit des Kalten Kriegs der 50er Jahre in der BRD bedeutet hatte, den linken Flügel der deutschen Literatur als etwas Äußeres zu verdrängen, so machte es der Entspannungsdialog der 60er Jahre möglich, zwischen den beiden Staaten das nachzuholen, was in anderen westeuropäischen Ländern im Rahmen einer Nationalliteratur debattiert worden war: antifaschistisches Engagement in der Literatur. Adornos Polemik gegen Sartre mußte so ein Jahr nach dem Bau der Mauer eine gegen Brecht werden.

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9ίί

w

Vgl. Willi Fetz: U m die deutsche Nationalliteratur. Betrachtungen zum Schriftsteller-Kongreß in der D D R . In: Geist und Zeit 1 (1956) H.2, S. 131-135, insbesondere S.134: »Zur französischen Nationalliteratur gehören seit langem auch die Werke kommunistischer Schriftsteller.« Vgl. auch die Verwendung von >engagieren< im Sinne von >anstellen< bei Erich Kästner (1957): Büchner-Preis-Reden 1951-1971. Stuttgart: Reclam 1972, S.51. Theodor W. Adorno: Engagement. In: T.W.Α.: Noten zur Literatur. Bd.3. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1965, S. 109-135.

331

Namenregister

Abusch, Alexander 18f„ 146, 148, 243, 310-313,324 Achmatowa, Anna 144 Ackermann, Anton 160,168 Adenauer, Konrad 206,224, 308,328 Adorno, Theodor W. 31, 49, 99, 100, 272, 307, 317f., 326,330 Alain 122,129 Alleg, Henri 124 Althusser, Louis 106,125 Amery, Jean 5,152, 238 Andersch, Alfred 154, 185, 272, 308, 318f., 327, 329 Anderson, Sascha 236 Andres, Stefan 215,219 Andric, Ivo 147 Aragon, Louis 121,319 Arendt, Erich 273 Arendt, Hannah 148,158, 227, 272 Aristoteles 91,94,99 Aron, Raymond 121,149,153,155,158 Arons, Leo 76 Aucleres, Dominique 221 Auden, Wystan H. 286 Augstein, Rudolf 51 Aveline, Claude 218 Bacher, Ingrid 155 Bachmann, Ingeborg 310 Bahro, Rudolf 18,245 Baierl, Helmut 312 Barbusse, Henri 77,117 - 1 1 9 Barlach, E m s t 171 Barres, Maurice 32,34,108,110f., 117,119 Barski 170 Barth, Emil 219 Bauer, Arnold 146 Bauer, Walter 215,219 Baumann, Zygmunt 2 Becher, Johannes R. 10,137,139,141-143, 145-147, 152f., 160, 173, 197, 199-201, 203f., 206, 209-211, 213, 215-217, 2 2 1 234,236, 244, 274,315

Becher, Lilly 196,212 Becker, Jean-Jaques 117 Beckett, Samuel 130 Beer, Fritz 4,14 Beethoven, Ludwig van 150 Beheim-Schwarzbach, Martin 307, 316 Beizner, Emil 219 Benda, Julien 5,32f., 35,119,120,237-239, 271,275 Benjamin, Walter 32,44,79,117 Benn, Gottfried 39,46,141,157, 265,319f. Bense, Max 278 Bergengruen, Werner 183, 202f„ 207, 215, 219 Bergson, Henri 123 Bering, Dietz 2f„ 36f., 5 2 , 6 0 , 7 8 , 1 0 5 , 2 8 5 Bernanos, Georges 121 Bernard, Claude 107 Bernard, Theo 223 Berner, Nikolaus 304 Berthelot, Marcelin 107 Biermann, Wolf 242f., 250, 262, 265, 280f„ 284 Biha, Otto 137f., 141 Birkenfeld, Günther 143, 183, 197, 208, 210, 212, 214, 219, 221, 224, 228, 231, 233, 291 Blanckenhagen, Herbert von 294 Bloch, Ernst 42, 44,101,140,171,236, 270, 274,277, 328 Blöcker, Günter 320 Bloys, Leon 108 Blücher, Heinrich 158 Blüher, Hans 79 Blum, Leon 35,114f. Bock, Theodor 231 Boll, Heinrich 3,7,13,22,128,251,259,284 Bondy, Frangois 151,157 Borchert, Wolfgang 143 Boree, Karl Friedrich 198, 219 Borejsza, Jerzy 167 Borgelt, Hans 161 Borkenau, Franz 142, 149

332

Namenregister

Born, Max 11,70 Boschetti, Anna 105f., 124 Bourdieu, Pierre 6, 15, 23, 41, 50, 74,113115,123,126-128,131f. Brandt, Willy 308 Braun, Maximilian 296, 301 Braun, Volker 18,182,243, 282-284 Brecht, Bertolt 141, 152f., 174, 176-179, 183,189,196,230,236,253,273f., 286, 330 Bredel, Willi 143,171,184,230 Brenner, Hans Georg 317,328 Brentano, Lujo 86 Broch, Hermann 314 Brod, Max 77,79 Bruck, Moeller van den 40 Brunetiere, Ferdinand 34,110,111 Brunkhorst, Hauke 23 Bruno, Giordano 71 Bruyn, Günter de 256f., 263, 274, 277,281 Buber-Neumann, Margarete 149, 220,224 Bucerius, Gerd 314 Burckhardt, Jacob 141 Burgmüller, Herbert 253 Burnham, James 10, 149, 155f„ 221-223, 225f. Busch, Ernst

196

Calas, Jean 238 Camus, Albert 318,319,325 Canetti, Elias 314 Carey, John 141 Carlysle, Thomas 235 Carossa, Hans 176,203 Carver, David 289f., 293 -295,299,302 - 305 Celan, Paul 323 Chamberlain, Houston St. 71 Charle, Christophe 105,107f„ 113f., 120 Cherne, Leo 288 Chiaromonte, Nicolas 155 Chomsky, Noam 61 Chruschtschow, Nikita S. 228 Claudius, Matthias 143 Claussen, Detlev 67 Clay, Lucius D. 10,165,209 Clemenceau, Georges B. 116 Colin, Genevieve 117 Conrad, Joseph 296 Copland, Aaron 148 Corey, Lewis 289 Corinth, Lovis 302 Coudenhove-Kalergi, Richard 79 Cramer, Heinz von 313 Croce, Benedetto 149

Csokor, Franz Theodor 298 Curie, Marie 82 Curtius, Ernst Robert 29,46 Czechowski, Heinz 188,279 Dahrendorf, Ralf 3,24 Daudet, Leon 115,122 Dauthendey, Max 302 Deicke, Günther 264, 274 Deleuze, Gilles 46, 47 Demetz, Peter 292 Desch, Kurt 22 Deutscher, Isaac 159 Dewey, John 101f., 148 Diderot, Denis 12 Dieckmann, Friedrich 265, 278,314 Digeon, Claude 107 Diner, Dan 275,278 Dirks, Walter 2,6,13,21 Distelbarth, Paul 46 Döblin, Alfred 77,183,198 Dor, Milo 294 Dorgeles 117 Dos Passos, John 147,149,167,289,293 Dostojewski, Fjodor 265 Dresen, Adolf 265 Drewitz, Ingeborg 260 Dreyfus, Alfred 1, 9, 14f„ 33-36, 55-57, 78,94,105-113,115f., 118f„ 121-123,126, 130, 236-238 Drieu LaRochelle, Pierre 121 Drumont, Edouard 108 Duclaux, Emile 110,238 Duhamel, Georges 117 Dürkheim, Emile 33f. Dürr, Hans-Peter 70 Duve, Freimut 3 Dymschitz, Alexander 144, 161, 164-166, 169f. Eastman, Max 148 Edel, Peter 254 Edschmid, Elisabeth 294 Edschmid, Kasimir 22, 219,285, 292-306 Ehrenburg, Ilja 147 Ehrenfest, Paul 80,82 Eich, Günter 325 Eisler, Gerhart 157 Eisler, Hanns 147,176 Einstein, Albert 11, 69-77, 79-89, 148, 167,179 Einstein, Ilse 78 Eisner, Kurt 62

Namenregister

333

Eliot, Thomas Stearns 147, 167, 290, 293, 300-302 Eluard, Paul 319, 321 Emmet, Christopher 233 Endler, Adolf 279 Engelberg, Ernst 277f. Engels, Friedrich 215 Ensslin, Gudrun 260 Enzensberger, Hans Magnus 65, 154, 272, 307,309-311, 315-318, 324, 326-328 Esterhäzy, Major 33 Eulenberg, Herbert 199 Fabri, Albrecht 321 Fadejew, Alexander 144,147,167 Fallada, Hans 183 Farrell, James T. 289-291, 293 Fehling, Jürgen 160 Ferrer 113 Fest, Joachim 49, 53 Feuchtwanger, Lion 63,141 Finger, Hildegard 293-295,297-303 Fischer, Emil 83 Fischer, Ernst 147,167 Fischer, Heta 223 Fischer, Louis 286,292 Fischer, Ruth 149, 214,217, 220, 221 Flake, Otto 57f„ 63, 79,219 Flusser, Vilem 20 Foucault, Michel 12, 44-47, 93, 98, 106, 125-128,132,246,267 Fraenger, Wilhelm 278 France, Anatole 109f. France, Pierre Mendes 35 Franke, Konrad 259 Franzen, Erich 315f. Freud, Sigmund 76, 82, 86 Friedenthal, Richard 304f. Friedmann, Hermann 198, 200,231, 234 Fries, Fritz Rudolf 250, 254, 256,260-262 Frisch, Max 147,167,180 Fuchs, Eduard 44 Fuchs, Peter 24 Fucik, Julius 312 Fühmann, Franz 259, 274 Füret, Fran$ois 270 Furtwängler, Wilhelm 160 Gablentz, Otto Heinrich von Gadamer, Hans-Georg 278 Gallo, Max 127-129 Gay, Peter 42, 63 Gehlen, Arnold 4,23f.

217

Gehlen, Reinhard 154 Genevoix, Maurice 117 George, Stefan 290 Gerlach, Hellmut von 79 Gerson, Jean Charlier de 238 Gheon, Henri 116 Gide, Andre 106, 109, 116, 119-121, 123, 129f„ 149, 286, 329 Giesen, Bernhard 21 f. Girod 265 Gobeliewski 303 Goebbels, Joseph 6,166, 203, 205 Goerdeler, Carl 202f. Goethe. Johann Wolfgang von 76, 92,194 Goldhagen, Daniel Jonah 285 Göll, Iwan 61 Goodman, Sheba 306 Gorbatow, Boris 144,165, 166 Gorki, Maxim 83,139 Gorz, Andre 97 Gotsche, Otto 169,255 Gramsci, Antonio 100 Grass, Günter 9,13,22,128,154,282,308f„ 312f. Greene, Graham 289, 293 Greiner, Ulrich 236, 239, 243 Griese, Friedrich 3 Grimm, Jacob 61 Grimme, Adolf 149 Grosz, George 153 Grotewohl, Otto 19,224 Gründgens, Gustaf 160 Guesde, Jules 108 Gumbrecht, Hans-Ulrich 107 Gundolf, Friedrich 301 Günther, Gotthard 10 Haber, Fritz 83 Habermas, Jürgen 3, 36,40,49, 61,65,101, 105,126,244 Hacks, Peter 255,314 Hadamard, Jacques Salomon 85 Hagelstange, Rudolf 215 Hager, Kurt 18,243, 310f„ 324 Hamsun, Knut 301 Harich, Wolfgang 145, 151, 171, 184, 207, 212, 216, 228, 254 Harpprecht, Klaus 21,154f. Harris, Harold 287 Härtling, Peter 11,23,308 Hauptmann, Gerhart 182,203,217 Hausenstein, Wilhelm 219 Haushofer, Albrecht 214

334 Haushofer, Karl 206,214 Havel, Vaclav 9,14,20, 92, 237 Havemann, Robert 18,161 Heckendorf 183 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 30,125 Hegenbarth, Josef 278 Heidegger, Martin 61, 91,93, 99 Hein, Christoph 9,14, 54, 246 Heine, Heinrich 3,13, 36, 40,49,65,105 Heinrich, Otto 217 Heller, Hermann 47 Hellman, Lillian 148 Helmholtz, Hermann von 76 Hemingway, Ernest 286 Henry 35 Hermlin, Stephan 18,66,198,232,234,250, 254, 258-260, 262f„ 274, 310, 312-314, 321-323 Herr, Lucien 108,111 Herve, Gustave 43 Herzfelde, Wieland 153, 169, 184, 255f., 260,314f. Herzog, Wilhelm 77 Heß, Rudolf 205 Heukenkamp, Ursula 204 Heuss, Theodor 41 Heym, Stefan 18, 239, 242f„ 250, 254f., 259f„ 263, 273f., 280 Heymann, Stefan 200 Hildebrandt, Rainer 214 Hildesheimer, Wolfgang 325 Hiller, Kurt 16, 77,79-81,215,228 Himmler, Heinrich 207 Hirschfeld, Magnus 79 Hitler, Adolf 40, 59, 61, 65, 71, 183, 2 0 5 207, 209, 214,234,236 Hobbes, Thomas 99 Hofer, Karl 160,170 Holitscher, Arthur 79 Hollander, Walther von 219 Holthusen, Hans Egon 315-317, 319, 321, 323,325, 326 Holz, Hans Heinz 328 Homeyer, O. 215 Homeyer, Helene 215 Hook, Sidney 148-151,155,158 Horaz, Quintus Flaccus 317 Hörisch, Jochen 20 Horkheimer, Max 29-31, 48, 276 Horst, Karl August 321 Horväth, Bela 293,298f. Huch, Ricarda 185,193 Hüchel, Peter 310, 314f.

Namenregister Hueber, Viktor 16 Hugo, Victor 12,107,110 Huhn, Kurt 182 Hume, David 49 Huxley, Aldous 288f„ 293 Ilberg, Werner

253

Jacoby, Russell 235 Jäger, Georg 269f. Jäger, Hans 214 Jahnn, Hans Henny 141,314 Jakob, Franz 203 Jakowlew, Boris 287,294-296, 303-305 Jancke, Oskar 232 Janka, Walter 228,254, 255 Jaruzelski, Wojciech Witold 128 Jaspers, Karl 9,145,148f„ 193, 227 Jaunsudrabins, Janis 301f., 304 Jaures, Jean 108,111,113 Jeffries, Cynthia, vgl. Koestler, Cynthia Jens, Walter 23,307 Jesaia 99 Johnson, Uwe 19,260,276,279,313 Johst, Hanns 234 Joliot-Curie, Irene 147 Jonas, Hans 51 Josselson, Michael 149,153f., 158 Jung, Edgar J. 206 Jünger, Ernst 39,42 Juppe, Alain 131 Kafka, Franz 265f., 313, 320 Kahlau, Heinz 258 Kalenter, Ossip 291 Kamnitzer, Heinz 250, 252, 254, 261-263, 314f. Kant, Hermann 76, 99, 243, 254, 256, 258, 261,274, 308,312-315 Kantorowicz, Alfred 145f„ 171, 215, 232, 252 Karsch, Walther 310 Kasack, Hermann 278 Kaschnitz, Marie Luise 219 Kästner, Erich 22, 197, 199, 215, 219, 231, 291,293,330 Katajew, Valentin 144,166 Kaufmann, Walter 250,257 Kayser, Jacques 57 Kayser, Rudolf 78f. Keisch, Henryk 250,253,261 Kellermann, Bernhard 302 Kerckhoff, Susanne 210-212

Namenregister Kerr, Alfred 77, 79 Kesten, Hermann 149,154,198,291 Killy, Waither 13 Kingsley, Sidney 288 Kleeman 303 Klopstock, Friedrich Gottlieb 13 Kluger, Pearl 290 Knickerbocker, Agnes 287,290 Koch, Hans 263,310,324 Koch, Thilo 263 Koeppen, Wolfgang 313 Koestler, Arthur 10, 149-152, 155f., 158, 212-214, 221-223, 225, 233, 286f., 289f., 292f„ 304f„ 316f. Koestler, Cynthia 150 - 1 5 2 , 286 - 289 Kogon, Eugen 149, 155f., 198, 219, 221, 225-227 Kohlhaase, Wolfgang 275 Kolbenhoff, Walter 146 Kollwitz, Käthe 77 Königsdorf, Helga 246, 253f. Konräd, György 5,237,279 Kopelew, Lew 259 Korff, Hermann August 278 Körte, Hermann 173,189 Kostetzky, Eaghor G. 293, 300f„ 305 Kottmeier, Elisabeth 300 Kracauer, Siegfried 141 Krämer-Badoni, Rudolf 310 Kraus, Karl 313 Krauss, Werner 277 Krolow, Karl 319 Krug, Manfred 282 Krüger, Horst 12, 326 Kuckhoff, Greta 145 Kuczynski, Jürgen 18, 50,164 Kügelgen, Else von 265 Kundera, Milan 237 Kunert, Günter 241, 264,274 Kunze, Rainer 300 Kurella, Alfred 2 4 3 , 3 1 0 - 3 1 2 , 3 2 4 Lacan, Jacques 106,125 Lamartine, Alphonse de 110 Lamberz, Werner 281 Landauer, Gustav 62 Lange, Horst 183,219 Lange, Leo 223 Langevin, Paul 85, 122,129 Langgässer, Elisabeth 145,219, 317 Langner, Ilse 199 Lasch, Christopher 12 Lasky, Melvin J. 10, 143f„ 148f„ 152f„ 158, 166, 209,216,222f.,231

335 Lattmann, Dieter 10 Laue, Max von 71, 87f. Lazare, Bernard 108,112 Lederer, Kurt A. 294 Leers, Johannes von 206, 234 Leger, Fernand 147 Lehmann, John 293 Lehmann, Wilhelm 219 Leip, Hans 219 Leisegang, Hans 278 Lenard, Philipp 71 Lenin, Wladimir J. 140,244 Lenz, Siegfried 309,316,319 Leonhard, Rudolf 273 Leonhard, Susanne 214,224 Leonhard, Wolfgang 277 Leonhardt, Rudolf W. 315f. Lepenies, Wolf 2f„ 23, 49, 236f„ 239 Lepsius, Rainer M. 7 Lessing, Theodor 13, 270 Levi-Strauss, Claude 106,125 Levy, Bernard-Henri 130f. Levy, Madeleine 57 Lie, Haakon 155 Liebknecht, Karl 62 Lindemann, Helmut 221 Linder, Christian 7 Link, Jürgen 45 Lipper, Elinor 149 Liszczynskyj, Georg 300 Litt, Theodor 278 Ljubimow, Juri 259 Loest, Erich 274 Löffler, Fritz 278 Lorbeer, Hans 160,182 Lorentz, Hendrik A. 83f. Loewenthal, Richard 7,149 Lombardi, Franco 155 Löwith, Karl 270 Luft, Friedrich 198f. Luhmann, Niklas 8f., 24 Lukäcs, Georg 30f„ 42, 147, 176, 201, 215, 255,318, 328f. Luther, Martin 265 Luxemburg, Rosa 61 Lyotard, Jean-Fran9ois 5, 6, 22, 129, 236, 270 Machiavelli, Niccolo 99 Magny, Claude-Edmonde 119 Mahler, Alma 288 Mailer, Norman 148 Makarenko, Anton Semjonowitsch

313

Namenregister

336 Mallarme, Stephane 121 Malraux, Andre 121f„ 129, 144, 147, 149, 167,286,312 Maitz, Albert 222 Man, Paul de 237 Manet, Edouard 115 Mann, Golo 149 Mann, Heinrich 13,15, 37, 39f., 46, 57, 7 7 79,183-185,288,312,315 Mann, Klaus 139,156 Mann, Nelly 288 Mann, Thomas 37-39, 46, 73, 87, 141, 143, 145,183 Mannheim, Karl 3f., 29, 31f., 36f„ 41,270 Marcuse, Ludwig 42,101,141, 315 Margueritte, Victor 85 Markov, Walter 278 Maron, Monika 256 Marshall, George Catlett 164 Marx, Karl 29,215 Masaryk, Tomas Garrigue 80 Massis, Henri 116,119,122 Matson, Anna W. 290, 292, 295, 297, 300, 302-305 Mauersberger, Volker 201 Maurras, Charles 32,35,115,117 -119,122, 123 Mayer, Hans 144-147, 161, 167, 174, 180, 195, 274, 277, 310f., 314f., 318, 3 2 1 324 McCarthy, Mary 96,148,288, 326 Mehring, Walter 149 Meikljohn, Alexander 96 Meinecke, Friedrich 37f., 86 Meinhof, Ulrike Marie 326f. Meissinger, Karl August 219 Mendelssohn, Peter de 142 Merleau-Ponty, Maurice 153 Michaux, Henri 130 Michel, Karl Markus 307 Michels, Robert 62 Mickel, Karl 279 Mielke, Erich 252 Mihailescu, Virgil 297 Miller, Arthur 148 Miller, Eliot 143 Miller, Henry 143f„ 147,167 Milosz, Czestaw 237 Mitscherlich, Alexander 149 Möhler, Armin 40 Molo, Walter von 183 Monikovä, Libuse 11 Morgner, Irmtraud 243

Morin, Edgar 129 Mühsam, Erich 62, 77 Mühsam, Zensl 224 Müller, Heiner 9, 182, 240, 242f„ 246, 248, 250, 274,275 Müller, Kurt 223,225 Müller, Robert 16 Mundstock, Karl 254 Muschg, Adolf 11 Muschg, Walter 325 Musil, Robert 313 Naas, Josef 160 Nabokov, Nicolas 148,158 Naumann, Friedrich 38 Neagu, Aurelian 297 Nelson, Leonard 79 Nernst, Walter 83 Neumann, Robert 230,285,314 Neutsch, Erik 274 Newton, Isaac 69 Nicolae, Prinz 297 Nicolae, Prinzessin 297 Niebuhr, Reinhold 288 Niekisch, Ernst 43 Nietzsche, Friedrich 29,93, 329 Nizan, Paul 12 Noll, Dieter 274,312 Nolte, Ernst 51 Norden, Albert 157 Norman 292 Olden, Rudolf 230 O'Neill, Eugene 147,167 Orleans, Ludwig von 238 Orlow 171 Ossietzky, Carl von 77, 79 Ottwalt, Ernst 260 Ould, Hermon 289 Paetel, Karl O. 222 Parsons, Talcott 93,100 Pasteur, Louis 107 Paulhan, Jean 293 Pawlenko, Pjotr 153 Pechel, Rudolf 10, 151, 156, 184, 197-216, 218-222, 224f., 228,231-234 Peguy, Charles l l l f . , 115f„ 119 Penzoldt, Ernst 183 Peru, Jean-Michel 117f., 121 Petersen, Jan 260 Pettkoff, Nikola 208 Pfemfert, Franz 16

Namenregister Picasso, Pablo 147,286 Pilnjak, Boris 137-139 Planck, Max 72, 76, 83, 87f. Piaton 9 1 - 9 3 , 9 6 , 9 9 Plavius, Heinz 308 Plensners, Alexander 301 f. Plievier, Theodor 146,149f„ 152,157, 197199, 233,277 Plisnier, Charles 149 Pohl, Gerhart 182,206,215,217,219 Polyani, Michael 155 Pönig 263 Prenant, Christian 147 Preuß, Hugo 38 Proudhon, Pierre-Joseph 115 Proust, Marcel 109,116,119f„ 320 Psichari, Jean 110 Putnam, Hilary 93 Raddatz, Fritz J. 309 Radek, Karl 138f„ 141 Raulet, Gerard 45 Regler, Gustav 304 Rehmann, Ruth 146 Reich, Jens 5f.,21,245f. Reifenberg, Benno 183, 185 Rein, Hans 183 Reinfrank, Arno 312 Reisiger, Hans 219 Remisow, Alexei 296 Renan, Ernest 107 Renn, Ludwig 313 Rennert, Jürgen 264 Reuter, Ernst 149f., 155, 288 Richter, Hans Werner 21, 272, 308-310, 315,327, 329 Richter, Hans Theo 278 Richter, Karl 314f. Rilke, Rainer Maria 143 Ringer, Fritz K. 74 Rinser, Luise 149,174,198, 219 Ritter, Henning 49 Rivet, Paul 122 Rodenberg, Julius 201,215 Roethe, Gustav 60 Röhm, Ernst 206 Rolland, Romain 74, 77f., 82, 117-120 Röpke, Wilhelm 184, 204, 207f. Rorty, Richard 93, 96,99-101 Roßberg 255 Rousseau, Jean-Jacques 49, 99 Rousset, David 148,150, 221, 223 Rovere, Richard 289

337 Rubiner, Ludwig 16 Rüge, Arnold 36 Rühmkorf, Peter 310 Russell, Bertrand 11 Sabais, Heinz-Winfried 4, 215 Sahl, Hans 304f. Said, Edward W. 4 Sapiro, Gisele 123 Sartre, Jean-Paul 12, 23, 93f., 96-98, 104, 114, 123-127, 131, 143f„ 147, 167, 308, 312, 317-319, 321-326, 330 Scammell, Michael 263 Schaefer, Oda 219 Scharrer, Adam 182 Schay, Rudolf 62 Schedlinski, Rainer 236 Scheler, Max 38 Schelsky, Helmut 7, 269 Schickele, Rene 57,77 Schiller, Friedrich von 325 Schirrmacher, Frank 243, 328 Schivelbusch, Wolfgang 18, 145, 163, 195

100, 153, 328,

173,

Schlesinger, Arthur jr. 158 Schlumberger, Jean 116 Schmid, Carlo 149,155 Schmid, Richard 226 Schmitt, Carl 36, 37, 39f„ 42,47, 60f. Schmoller, Gustav 38 Schneider, Reinhold 183, 215, 219, 263 Schneider, Rolf 10 Schnurre, Wolfdietrich 309, 323 Schober, Rita 254 Schopenhauer, Arthur 72f., 76 Schorlemmer, Friedrich 10,20 Schröder, Rudolf Alexander 219 Schulberg, Budd 288f„ 293 Schultze, Gerhard 24 Schulz, Max Walter 313 Schumpeter, Joseph A. 4,42 Schwab-Felisch, Hans 308 Schwingel, Markus 127 Searle, Ronald 147 Seeger, Bernhard 250 Seelig, Carl 70 Seghers, Anna 152, 173, 180, 215, 230, 232, 274 Seitz, Gustav 171 Semprun, Jorge 276 Senghor, Leopold Sedar 319 Shakespeare, William 293, 301.305

338 Shdanow, Andrej 144,162-166,168,170 Sieburg, Friedrich 46, 308, 312, 315-317, 320f„ 323 Siedler, Wolf Jobst 310 Siemsen, Anna 155 Silone, Ignazio 149f„ 153,155f„ 222,286 Silver, Kenneth Ε. 116 Simon, Annette 275 Sinclair, Upton 149 Sinsheimer, Hermann 215 Sintenis, Renee 142 Sirinelli, Jean-Frangois 129 Sitter, Willem de 87f. Sloterdijk, Peter 42 Smend, Rudolf 47 Sokrates 92, 94, 95 Solonowitsch, Iwan 207 Solovine, Maurice 71,85 Sombart, Werner 62 Sontheimer, Kurt 7 , 4 1 , 6 4 Sorel, Georges 45 Soschtschenko, Michail 144 Spender, Stephen 286, 288f., 293 Spengler, Oswald 39 Sperber, Manes 149 Spinelli, Altiero 149 Spinoza, Baruch 72,238 Spranger, Eduard 278 Springer, Ferdinand 11 Staeck, Klaus 3 Stalin, Jossif W. 65,139f„ 162,209,217,221, 224-226,228f., 234, 236,276, 290f. Stark, Johannes 71 Steiner, George 67 Stephan, Alexander 256 Stepun, Fedor 294f. Stern, Jeanne 254 Stern, Kurt 259, 312 Sternberger, Dolf 148, 156,198,219 Sternfeld, Wilhelm 199f„ 206,213,215, 218 Stichnote, Werner E. 278 Stöcker, Helene 79 Strauß, Botho 91,93 Strittmatter, Erwin 274 Stübs, Albin 216 Suhrkamp, Peter 16 Sullivan 96 Süskind, Wilhelm Emanuel 320 Szelenyi, Ivan 5 Tabori, Paul 298 Taine, Hippolite 107 Tardc, Alfred de 116

Namenregister Taube, Otto Freiherr von 215,219 Thierse, Wolfgang 282 Thieß, Frank 145,183,203, 218 Thirring, Hans 71, 156 Tito, Josip 149 Tjulpanow, Sergej Iwanowitsch 161,164f. Tkaczyk, Wilhelm 182 Togliatti, Palmiro 312f. Toller, Ernst 62, 77, 230 Tolstoi, Lew N. 313 Tönnies, Ferdinand 46,48 Tralow, Johannes 197,218,254,291 Tretjakow, Sergei M. 141 Trevor-Roper, Hugh 155 Trischen, Theo 329 Troeltsch, Ernst 37, 44, 80 Trommler, Frank 328 Truman, Harry S. 164 Tucholsky, Kurt 64 Uhse, Bodo 185f.,253 Ulbricht, Walter 169, 254, 327 Ullmann, Liv 288 Usinger, Fritz 219 Valery, Paul 119f. Vasiloschi 297 Veh, Margaret von 305 Vercors 218 Vesper, Will 234 Villain, Jean 253 Voltaire 12,49,238 Walser, Martin 308f.,316 Walther, Joachim 256,317 Walzer, Michael 93 Wander, Fred 243 Wästberg, Per 263 Weber, Alfred 38,86,156 Weber, Carl August 313f. Weber, Max 29f., 38f., 41, 51, 80f„ 101, 279 Wechssler, Adolf 46 Weinert, Erich 143,171 Weisenborn, Günther 166,199,221, 228 Weiskopf, F. C. 184 Weismann, Willi 314 Weismantel, Leo 219 Weiss, Peter 324 Weizmann, Chaim 86 Weizsäcker, Carl Friedrich von 11 Welk, Ehm 171 Wendt, Erich 255 WerfeI, Franz 79, 288

Namenregister Westphal, Uwe 4,14 Weyrauch, Wolfgang 308, 315f„ 325 White, Hayden 247 Whitman, Walt 101 Wiechert, Ernst 3, 22, 183, 199,203, 321 Wiens, Paul 250, 254,256, 258f., 261, 313 Wiesel, Elie 14 Wilder, Thornton 143 Wilk, Werner 278 Williams, Tennessee 149 Winock, Michel 115,129 Winterfeldt, Hans Detlof von 223 Wischnewski, Wsewolod 144,165,216 Witt, Cornells de 238 Witt, Johan de 238 Wolf, Christa 18, 51 f., 182, 235, 239, 242f„ 246, 248, 254, 256, 263, 265f.. 274, 276f., 281-283 Wolf, Friedrich 147, 171,176, 232 Wolf, Gerhard 254, 263

339 Wolfenstein, Alfred 79 Wördemann, Franz 327 Wright, Richard 286 Wyneken, Gustav 79 Zangger, Heinrich 70 Zehm, Günter 310 Zima, Peter 247 Zimmermann, Hans Dieter 239 Zola, Emile 1, 9, 12, 14f„ 33, 37. 95f., 104, 106-110, 112-116, 118, 120, 127, 131, 237f. Zöller, Joseph 2 Zuckmayer, Carl 149 Zweig, Arnold 77, 141, 152, 173, 198, 217, 254f„ 273f., 314 Zweig, Michael 255 Zweig, Stefan 77 Zwerenz, Gerhard 154