Schöne Historien: Niederländische Romane im deutschen Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit 9783110452518, 9783110451399

The romance of love and adventure about Margriete and Heinric from the Duchy of Limborch is one of the most popular Dutc

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German Pages 359 [360] Year 2016

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zur niederländisch-deutschen Literaturlandschaft im Mittelalter
1.2 Forschung zur Tradition des Romans Margriete van Limborch
1.3 Zielsetzung
1.4 Überlieferung des Versromans Margriete van Limborch
1.4.1 Handschriften
1.4.2 Exzerpte
1.5 Johann von Soest, Margreth von Limburg
1.6 Der Prosaroman Een schoone historie van Margarieten van Limborch – Drucke und Bearbeitungen bis zum 20. Jahrhundert
1.7 Drucke von Exzerpten (aus dem Königsspiel)
1.8 Auswahl der Textzeugen
2 Paratexte
2.1 Titel, Autor und Dedikation
2.1.1 Titel und Autor in Margriete van Limborch
2.1.2 Titel, Autor und Dedikationsbild in Johann von Soest, Margreth von Limburg
2.1.3 Titelblatt Een schoone historie van Margarieten van Limborch
2.2 Buch- und Kapiteleinteilung
2.2.1 Die Einteilung des Romans Margriete van Limborch in zwölf Bücher
2.2.2 Elf Bücher bei Johann von Soest, Margreth von Limburg
2.2.3 Kapiteleinteilung und Überschriften in der Schoone historie van Margarieten van Limborch
2.3 Vermittlung der Margriete-Romane in den Prologen und im Erzähltext
2.3.1 Margriete van Limborch
2.3.2 Prologe in Margreth von Limburg
2.3.3 Een schoone historie van Margarieten van Limborch
2.3.4 Notizen in der Margreth-Handschrift
2.4 Illustrationen in Een schoone historie van Margarieten van Limborch
2.4.1 Margarieten-Zyklus
2.4.2 Vorstermans eigenes Material
2.4.3 Nachschnitte
2.5 Zusammenfassung
3 Minne und Herrschaft
3.1 Persönliche und gesellschaftliche Lebensentwürfe
3.1.1 Frau, Minne und Gesellschaft
3.1.2 Heinrics Aventiure und Unterricht
3.1.3 Wahnsinn und Vernunft
3.1.4 Evax und Sibille: Minne und Herrschaft durch Umkehr
3.2 „büssen ind bennen“
3.2.1 Grenzüberschreitung durch Demophon
3.2.2 Fürstenspiegel – Herrschaftsdiskurs (Buch X)
3.2.3 „gerechte minne“ im Königsspiel (Buch XI)
3.2.4 Vereinigung von Minne und Herrschaft in Frieden
3.3 Zusammenfassung
4 Distanzierung und Vermittlung in Johanns von Soest Margreth-Roman
4.1 Frömmigkeit und Tugendregeln
4.2 Distanzierte Erzählwelt und ihre Anbindung an den Heidelberger Hof
4.2.1 Distanzierung der Erzählwelt
4.2.2 Anbindung an den Heidelberger Hof
4.3 Verständnissicherung
4.3.1 Emotionalisierung
4.3.2 Veralltäglichung
4.4 Zusammenfassung
5 Deutungs- und Verständigungsstrategien in der Schoone historie van Margarieten van Limborch
5.1 Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung
5.2 Moralisierung und Faszination des Christentums
5.2.1 Moralisierung und Verrat
5.2.2 Darstellung nicht-gesellschaftsfähiger Liebe
5.2.3 Faszination des Christentums
5.3 Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung
5.3.1 Verständlichkeit
5.3.2 Verdichtung
5.3.3 Distanzierung
5.4 Retextualisierung des Vergangenen
5.4.1 Materialisierung
5.4.2 Aventiure und Minne
5.4.3 Inszenierung durch Spiel und „schonen dichte“
5.5 Zusammenfassung
6 Margriete-Werke im brabantischen, ripuarischen, rheinfränkischen und bayerischen Raum
6.1 Brabant
6.2 Ripuarische Margriete-Rezeptionund Umfeld
6.3 Der Heidelberger Hof
6.4 Der Margarieten-Roman in Antwerpen und Süddeutschland
Anhang
Anhang A
Anhang B
Anhang C
Verzeichnisse
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Bibliotheken
Verzeichnis der literarischen Figuren in den Margriete-Romanen
Bibliographie
Texte
Ausgaben
Sekundärliteratur
Abbildungsverzeichnis
Personen und Werkregister
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Schöne Historien: Niederländische Romane im deutschen Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
 9783110452518, 9783110451399

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Rita Schlusemann Schöne Historien

Frühe Neuzeit

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Band 203

Rita Schlusemann

Schöne Historien

Niederländische Romane im deutschen Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL).

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Schl 316/1–1; Schl 316/1–2

ISBN 978-3-11-045139-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045251-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-045156-6 ISSN 0934-5531 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck: Hubert & Co. GmbH Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Robin, Hendrik und Pelle

Vorwort Vor genau 500 Jahren, am 1. Oktober 1516, wurde in Antwerpen bei Willem Vors­ terman in Antwerpen mit dem Titel Die historie van Margarieten von Limborch ende van Heyndrick haren broeder eine erzähltechnisch äußerst komplizierte Historie gedruckt. Die Historie fußt, wie die rheinfränkische Bearbeitung des Romans durch Johann von Soest für den Heidelberger Hof, auf dem niederländi­ schen Versroman Margriete van Limborch aus dem 14. Jahrhundert, der in zahl­ reichen Handschriften überliefert ist, auch in einer ripuarischen Handschrift aus dem 15. Jahrhundert. Obwohl die Historie im Druck auf Niederländisch erschien, wurde sie bereits von den Zeitgenossen oder kurz danach im Kloster Wessobrunn in Bayern rezipiert. Damit sind bereits kurz die hunderte von Kilometern zurück­ liegenden niederländisch-deutschen Verbreitungswege dieses bis ins 20. Jahr­ hundert äußerst populären Erzählstoffes angedeutet. Die hier vorliegende Untersuchung setzt sich zum Ziel, die Forschungsarbei­ ten auf dem Gebiet der niederländisch-deutschen Literaturbeziehungen weiter anzustoßen. Sie erscheint in dem Jahr, in dem die Niederlande und Flandern für die Frankfurter Buchmesse nach 1993 als Schwerpunktthema gewählt wurden. Zwischen der heutigen Übersetzung und Adaptation niederländischer und flämi­ scher Literatur im deutschsprachigen Raum und dem Wiederzählen früher nie­ derländischer Romane im deutschen Sprachraum und in der frühen Neuzeit sind viele Jahrhunderte vergangen. Damals wie heute ist jedoch die Wahrnehmung der Besonderheit und der Eigenart niederländischer Literatur beim östlichen Nachbarn ungebrochen. Zwischen dem frühesten Beginn der Arbeit und der Veröffentlichung liegen nunmehr 25 Jahre, denn die ersten Anfänge meines Projekts stellte ich 1991 als Postdoktorandin im Graduiertenkolleg „Schriftkultur und Gesellschaft“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vor. An die wöchentlichen Vorträge der Kollegiaten und auswärtigen Gäste und zahlreichen Gespräche, die oftmals mit einer im Münsterland verbreiteten Altbierbowle endeten, erinnere ich mich gern. Die darauf folgenden Jahre an der Universität Groningen ab 1994 waren von lebendigen und interessanten Gesprächen geprägt, und im Besonderen danke ich Alasdair MacDonald für viele Anregungen. Auf dem Gebiet der Kodikologie und Buchwissenschaft denke ich gern an die Diskussionen mit dem leider viel zu früh verstorbenen Jos. M. M. Hermans zurück. Seine Begeisterung für „alte Bücher“, wie er sie nannte, und seine große Bereitschaft Wissen zu teilen, spiegeln sich in vielen Teilen dieses Buches. Von 1998 an konnte das Projekt, ermöglicht durch ein Stipendium des Hochschulsonderprogramms III, an der Universität Hamburg fortgesetzt werden. DOI 10.1515/9783110452518-202

VIII 

 Vorwort

Durch verschiedene Tätigkeiten an unterschiedlichen Universitäten und (Buch-)Projekten musste die Forschungstätigkeit zu diesem Thema immer wieder unterbrochen werden, bis ich im Herbst 2007 meine Habilitation am Fach­ bereich Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster abschließen konnte. Den Gutachtern Amand Berteloot, Volker Honemann, Jan Konst und Paul Wackers danke ich für ihre umsichtigen Hinweise. Die Vorbereitung der Publi­ kation erfolgte immer neben meinen anderen Projekten zum niederländischdeutschen Literatur- und Wissensaustausch, und fast zeitgleich erscheint meine kommentierte Edition der über 300 Briefe umfassenden Korrespondenz zwischen den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm und niederländischen und belgischen Gelehrten. Der Zusammenhang zu diesem Buch wird bereits im ersten Schrei­ben Jacob Grimms an Hendrik Willem Tydeman deutlich, in welchem er sein starkes Interesse für niederländische Literatur des Mittelalters ausdrückt, und besonders gelegen sei ihm an „Margarete von Limburg“. Mein Buch zum niederländisch-deutschen Romantransfer im späten Mittel­ alter und in der frühen Neuzeit konnte nun thematisch hervorragend passend zur Frankfurter Buchmesse 2016 zu einem guten Abschluss gebracht werden. Die Überarbeitung für den Druck, die nur an wenigen Stellen aktuellere Literatur berücksichtigen konnte, führte ich im Rahmen meiner Tätigkeit in dem Projekt „The Changing Face of Medieval Dutch Narrative Literature in the Early Period of Print (1477–c. 1540)“ an der Universiteit Utrecht durch. Meinem Kollegen Bart Besamusca danke ich für viele Anregungen zum frühen Buchdruck, seiner anste­ ckenden Begeisterung für dieses Thema und die Ermöglichung der Förderung für den Druck. Kurz vor der Drucklegung konnte ich im Antiquariat „Romantic Agony“ in Brüssel das Unikum eines bisher unbekannten bei Jan van Doesborch erschienenen Druckes von Jason ende Hercules (ca. 1525) einsehen, der meine in dieser Arbeit ausgearbeitete Hypothese einer Zusammenarbeit zwischen Jan van Doesborch und Willem Vorsterman, dem Drucker der Historie van Margarieten, nachdrücklich bestätigt. Helwi Blom informierte mich in einem frühen Stadium über die geplante Versteigerung des Druckes, wofür ich ihr herzlich danke, und Marcus de Schepper bin ich für die zuvorkommende Unterstützung, den Roman noch vor der Versteigerung einsehen zu können, verbunden. Steven Van Impe von der Erfgoedbibliotheek in Antwerpen, der neuen Besitzerin des Druckes, stellte die Abbildung bereitwillig zur Verfügung. Dem Verlag De Gruyter, und hier im Besonderen Jacob Klingner, Peter Heyl und Lena Ebert, sei für die kooperative Mitarbeit gedankt, die es auch ermöglicht, dass schon jetzt eine Abbildung vom Titelblatt des Druckes von Jason ende Hercules erscheinen kann. Dem Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Univer­ sität Berlin, der meinem Wunsch auf Umhabilitierung zügig entsprach, bin ich sehr dankbar, und hier im Besonderen Jan Konst, der meinen Weg seit nunmehr

Vorwort 

 IX

über zwanzig Jahren mit immer wieder guten Ratschlägen begleitet. Für die Vor­ bereitung der Drucklegung konnte ich auf die gewohnt äußerst zuverlässigen Korrekturarbeiten von Valeska Lembke zurückgreifen und für das Register auf die Sorgfalt von Maxim Roozen. Eventuelle Mängel verantworte ich als Autorin. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die Förderung der Arbeit mit Mitteln aus dem Postdoktorandenprogramm (1991–1994) sowie dem Landschafts­ verband Westfalen-Lippe, der Ernst-Reuter-Gesellschaft zu Berlin und dem genannten Projekt „Changing Face‟ der Universiteit Utrecht für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Den Herausgebern der Reihe „Frühe Neuzeit“ möchte ich meinen Dank für die Aufnahme der Arbeit in ihrer Reihe aussprechen, hier vor allem Jan-Dirk Müller. Mein größter Dank gilt meiner Familie, meinen beiden Kindern Hendrik und Pelle, die in dieser Zeit zu immer wieder inspirierenden jungen Erwachsenen her­ anwuchsen, und meinem Mann Robin, dessen Fähigkeit zur Relativierung und dessen Humor eine unschätzbar reiche Quelle des Wohlbehagens bilden.

Inhaltsverzeichnis Vorwort 

 VII

 1 1 Einleitung  1.1 Zur niederländisch-deutschen Literaturlandschaft im Mittelalter   1 1.2 Forschung zur Tradition des Romans Margriete van Limborch  1.3 Zielsetzung   12 1.4 Überlieferung des Versromans Margriete van Limborch   17 1.4.1 Handschriften   17 1.4.2 Exzerpte   19 1.5 Johann von Soest, Margreth von Limburg   20 1.6 Der Prosaroman Een schoone historie van Margarieten van Limborch – Drucke und Bearbeitungen bis zum 20. Jahrhundert   20 1.7 Drucke von Exzerpten (aus dem Königsspiel)   23 1.8 Auswahl der Textzeugen   24

 5

 27 2 Paratexte  2.1 Titel, Autor und Dedikation   27 2.1.1 Titel und Autor in Margriete van Limborch   27 2.1.2 Titel, Autor und Dedikationsbild in Johann von Soest, Margreth von Limburg   28 2.1.3 Titelblatt Een schoone historie van Margarieten van Limborch   36 2.2 Buch- und Kapiteleinteilung   39 2.2.1 Die Einteilung des Romans Margriete van Limborch in zwölf Bücher   39 2.2.2 Elf Bücher bei Johann von Soest, Margreth von Limburg   43 2.2.3 Kapiteleinteilung und Überschriften in der Schoone historie van Margarieten van Limborch   47 2.3 Vermittlung der Margriete-Romane in den Prologen und im Erzähltext   52 2.3.1 Margriete van Limborch   54 2.3.2 Prologe in Margreth von Limburg   57 2.3.3 Een schoone historie van Margarieten van Limborch   63 2.3.4 Notizen in der Margreth-Handschrift   68 2.4 Illustrationen in Een schoone historie van Margarieten van Limborch   69

XII 

 Inhaltsverzeichnis

2.4.1 Margarieten-Zyklus   71 2.4.2 Vorstermans eigenes Material  2.4.3 Nachschnitte   84 2.5 Zusammenfassung   89

 73

 91 3 Minne und Herrschaft  3.1 Persönliche und gesellschaftliche Lebensentwürfe   93 3.1.1 Frau, Minne und Gesellschaft   93 3.1.2 Heinrics Aventiure und Unterricht   101 3.1.3 Wahnsinn und Vernunft   107 3.1.4 Evax und Sibille: Minne und Herrschaft durch Umkehr   116 3.2 „büssen ind bennen“   125 3.2.1 Grenzüberschreitung durch Demophon   127 3.2.2 Fürstenspiegel – Herrschaftsdiskurs (Buch X)   134 3.2.3 „gerechte minne“ im Königsspiel (Buch XI)   139 3.2.4 Vereinigung von Minne und Herrschaft in Frieden   148 3.3 Zusammenfassung   152 4 Distanzierung und Vermittlung in Johanns von Soest Margreth-Roman   157 4.1 Frömmigkeit und Tugendregeln   159 4.2 Distanzierte Erzählwelt und ihre Anbindung an den Heidelberger Hof   173 4.2.1 Distanzierung der Erzählwelt   173 4.2.2 Anbindung an den Heidelberger Hof   177 4.3 Verständnissicherung   186 4.3.1 Emotionalisierung   186 4.3.2 Veralltäglichung   190 4.4 Zusammenfassung   198 5 Deutungs- und Verständigungsstrategien in der Schoone historie van Margarieten van Limborch   201 5.1 Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung   201 5.2 Moralisierung und Faszination des Christentums   210 5.2.1 Moralisierung und Verrat   210 5.2.2 Darstellung nicht-gesellschaftsfähiger Liebe   216 5.2.3 Faszination des Christentums   219 5.3 Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung   224 5.3.1 Verständlichkeit   224 5.3.2 Verdichtung   226

Inhaltsverzeichnis 

 233 5.3.3 Distanzierung  5.4 Retextualisierung des Vergangenen   241 5.4.1 Materialisierung   241 5.4.2 Aventiure und Minne   242 5.4.3 Inszenierung durch Spiel und „schonen dichte“  5.5 Zusammenfassung   252

 XIII

 246

Margriete-Werke im brabantischen, ­ripuarischen, rheinfränkischen und ­bayerischen Raum   257 6.1 Brabant   257 6.2 Ripuarische Margriete-Rezeptionund Umfeld   259 6.3 Der Heidelberger Hof   266 6.4 Der Margarieten-Roman in Antwerpen und Süddeutschland   277 6

Anhang Anhang A 

 289

Anhang B 

 294

Anhang C 

 296

Verzeichnisse Abkürzungsverzeichnis 

 305

Verzeichnis der Bibliotheken 

 307

Verzeichnis der literarischen Figuren in den Margriete-Romanen   309 Bibliographie  Texte   309 Ausgaben   310 Sekundärliteratur  Abbildungsverzeichnis 

 315

 339

Personen und Werkregister 

 341

 308

1 Einleitung 1.1 Zur niederländisch-deutschen Literaturlandschaft im Mittelalter … wie die altholländische Sprache, so ist auch Ihre ganze altvaterländische Literatur und Poesie mit der deutschen eng verbunden und zusammenhängend … was wir also jetzo mit Fug und Recht trennen und vereinzeln, dürfen wir beiderseits nicht thun, sobald wir über das 15. Jahrhundert hinaufgehen. … Leichter ist wohl meine zweite nicht minder angelegentliche Bitte zu befriedigen, der Ankauf aller holländischen Volksbücher … am meisten liegt mir freilich an den drei folgenden 1.) Margarete von Limburg. 2.) Ritter mit dem Schwan. 3.) Zauberer Virgilius.1

Dieses Schrei­ben vom 1. Juli 1811 von Jacob Grimm an den Leidener Professor für Rechtswissenschaft Hendrik Willem Tydeman kann als der eigentliche Beginn der Jahrzehnte währenden regen Korrespondenz zwischen den Brüdern Grimm und niederländischen und belgischen Kollegen bezeichnet werden. Grimm betont die enge Verbundenheit der niederländischen und deutschen Literatur vor dem 15. Jahrhundert und vertritt die Auffassung, dass die Erforschung dieser duytschen2 Literaturen angemessen nur im Kontext betrieben werden könne. Anlässlich der Bitte, ihm einige „Volksbücher“ zuzuschicken, nennt Grimm an erster Stelle den Roman „Margarete von Limburg“. Damit meint er eine gedruckte Prosaversion der in der Forschung als Roman van Heinric ende Margriete van Limborch bezeichneten Dichtung. Der Versroman wird in dieser Arbeit als Margriete van Limborch, der Prosaroman als (Historie van) Margarieten van Limborch bezeichnet.3 Wenn man sich einen Überblick über die niederländisch-deutschen Literaturbeziehungen bis zur Frühen Neuzeit verschaffen oder die jahrhundertealte Geschichte eines wichtigen Erzählwerks über heutige nationale Grenzen hinaus verfolgen will, stößt man auf einige Schwierigkeiten. Die Niederlandistik und Germanistik haben sich als Philologien entwickelt, deren Gegenstandsbereiche von 1 Eine Edition des Briefwechsels der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Niederländern und Belgiern bietet: Schlusemann 2016, hier S. 41 (Ausgaben, siehe auch Kapitel 6.4). 2 Damit ist das sprachliche kontinentalwestgermanische Kontinuum zwischen Nordsee, Ostsee und Alpen gemeint, dessen Varietäten in Antwerpen, Lübeck, Magdeburg, Tongeren, Aachen, Maastricht oder auch Brügge, Köln und Kleve gesprochen wurden (vgl. Cornelissen 2006). 3 Der früheste Roman in Versen ist bisher unter dem Titel Heinric ende Margriete van Limborch bekannt, den Roman Johanns von Soest kennt man als Die Kinder von Limburg. Zur Begründung der vorgeschlagenen Neuerungen der Namensgebung siehe Kapitel 2. Wenn im Folgenden die Gesamttradition des Romans gemeint ist, wird diese als Margriete-Traditon bezeichnet. DOI 10.1515/9783110452518-001

2 

 Einleitung

der Verbreitung der jeweiligen modernen Standardsprache bestimmt werden. Die historische Entwicklung Europas hat seit dem Wiener Kongress Länder geschaffen, die mit den älteren Sprach- und Kulturräumen nicht übereinstimmen. Die Philologien operieren somit, vom Blickpunkt mittelalterlicher Literatur, Sprache und Kultur aus, in anachronistischen Grenzen. Hinzu kommt, dass die mittelalterliche Rezeption niederländischer Literatur im deutschen Kulturgebiet zwar schon lange bekannt ist, ihre Erforschung in der deutschen und niederländischen Literaturwissenschaft jedoch noch immer eine marginale Position besetzt.4 Eine Literaturgeschichte, die jeweils die zeitgenössischen territorialen Bezüge als Basis für die sprachlichen und literarischen Verhältnisse wählt, sollte für viele Literaturen bis in die Frühe Neuzeit selbstverständlich sein und erscheint angesichts der europäischen Entwicklung und der damit verbundenen Bewusstwerdungsprozesse europäischer Gemeinsamkeiten gebotener denn je. Seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts mehrten sich Ansätze, die intensiven literarischen Wechselbeziehungen des deutsch-niederländischen Raumes im Mittel­ alter, vor allem die Wirkung vom westlichen Raum in die öst­lichen Gebiete hinein, verstärkt zu berücksichtigen.5 Die niederländisch-(nieder-)deutschen Literaturen im Zusammenhang zu betrachten, entspricht der historischen Situation besser, denn die Grafschaft Flandern (vor allem zwischen 1150 und 1400) sowie das brabantische Gebiet (im 15. und 16. Jahrhundert) gehörten auch literarisch zu den blühendsten Gebieten, die mit verschiedenen Regionen Europas einen regen Handel pflegten.6 Bücher aus den „nideren landen“ wurden u. a. nach Schottland exportiert,7 und bereits 1496 schloss der zunächst in Delft tätige Drucker Henrick Eckert van Homberch auf der Frankfurter Fastenmesse einen Vertrag für

4 Es gibt jedoch einige sprachwissenschaftlich angelegte Studien zur deutschen Rezeption niederländischer Texte (z. B. Duijvestijn 1985; Duijvestijn 1989a; Duijvestijn 1993; Goossens 1997; de Smet 1999a; de Smet 1999b; De Grauwe 2003). Literaturwissenschaftliche Forschungen konzentrieren sich allerdings beinahe ausschließlich auf deutsche Wiedererzählungen französischer Vorlagen (Backes 2004; Bumke 2005). Ob das literarische Interesse an deutschen Höfen ganz nach Frankreich ausgerichtet war, wie manche Aussagen andeuten, bedarf einer Überprüfung. 5 Sonderegger 1993; Schlusemann / Wackers 1997; Küsters / Lehmann-Benz etc. 1997; Lehmann-Benz / Zellmann 2003. In dem richtungsweisenden Werk Van der Masen tot op den rijn (Tervooren 2006) wurden viele der im Folgenden genannten Aspekte für den Rhein-Maas-Raum berücksichtigt. 6 Zur literarischen Situation vgl. die Übersicht von van den Berg / Berteloot 2003. 7 Der in der Cambridge University Library aufbewahrte Druck der Historia Alexandri Magni, der in den Niederlanden erschien (Utrecht: Nicolaes Ketelaer und Gerard de Leempt, 1474), befand sich nach dem Eigentumsvermerk am 21. April 1474 im Besitz des Schotten Henry Barry (vgl. Goudriaan 2005, mit einer Abbildung der betreffenden Seite).



Niederländisch-deutsche Literaturlandschaft 

 3

den Druck von 600 Exemplaren eines Missales ab.8 Niederländische Ritterromane wurden  – auch im wörtlichen Sinn  – weit bis in das deutsche Sprachgebiet hineingetragen: Ein Exemplar des Prosaromans Olyvier von Castillen, der um 1510 bei Henrick Eckert van Homberch in Antwerpen erschien, enthält einen Besitznachweis des Herolds von Kaiser Maximilian: „das bouch gehoert antony tyrol den kayserlich mayestat herold“.9 Verschiedene Exemplare früher niederländischer Drucke sind mit zeitgenössischen deutschsprachigen Notizen versehen. Dazu gehören das Boecxken van Cokeryen (ca. 1514), Mariken van Nieumeghen (ca. 1515), Parys ende Vienne (1510) sowie Margarieten van Limborch (1516).10 Diese Bände, und noch einige mehr, müssen sich bereits im 16. Jahrhundert im Benediktinerkloster Wessobrunn in Südbayern befunden haben (vgl. Kapitel 6). Sie wurden dort offensichtlich auch gelesen, wie ein Exemplar vom frühen Druck des Strijt van Roncevale (ca. 1520) bezeugt. An verschiedenen Stellen sind im erhaltenen Exemplar dieses Romans Randbemerkungen auf Deutsch wie kamppf [sic] (p3r) oder Reinouts große (v4r) eingefügt worden.11 Darüber hinaus wurden weitere niederländische Werke auf Deutsch wiedererzählt, wie die Historie van Troyen, Alexanders geesten oder Merlijns boec des Jacob van Maerlant sowie die Ritterromane Renout van Montelban, Ogier van Denemarken und Perchevael im Bereich der Ritterepik. Aber auch im Bereich der geistlichen Literatur wurden niederländische Texte vielfältig auf Deutsch adaptiert, wie verschiedene Werke des Jan van Ruusbroec oder des Gerard van Vliederhoven sowie der Spiegel der sonden, der Spiegel der maechden oder das Boec van den houte.12

8 Siehe die Webseite der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe mit einer Abbildung aus dem Missale Cartusiense (Signatur: Inc 2), das Peter Drach in einer Auflage von 600 Exemplaren in Speyer für Henrick Eckert druckte (GW M24135). 9 Das Exemplar befindet sich in Louvain-la-Neuve, Bibliothèque de l’Université, Rés. 2 B 2528, ein Abdruck der Seite bei Pleij 1990, S. 154. 10 Vgl. ausführlich Resoort 1976/1977. 11 Erschienen bei Jan Seversz. in Leiden, Ex.: München, UB, 4°p germ. 165. Die Randbemerkung kampff bezieht sich auf die Textstelle: hoe datter een was [Renout, R. S.] die meerre was dan twee grootte luiden ende vacht met een grote staue daer hi mede versloech man ende paert. Als dat die soudaen hoerde swoer hi. Zudem sind viele Textstellen, die die Stärke Gottes, die Kampfkraft Roelants oder Reynouts oder das Thema des Verrats ansprechen, unterstrichen (vgl. fol. x1r, y3r, v4, x1r, x3v). Vgl. Schlusemann 2006. 12 Hier seien nur einige wenige Beispiele genannt. Zu den deutschen Übertragungen niederländischer Literatur bis 1550 siehe Schlusemann 2011 (Angabe der jeweiligen Nummer in Klammern). Zu den übersetzten Werken des Jacob van Maerlant zählen: Alexanders geesten (J-001); Historie van den Grale (J-002); Boek van Merline (J-005); Historie van Troyen (J-007); der niederländische Versroman Ogier van Denemarken als Quelle der für den Heidelberger Hof angefertig-

4 

 Einleitung

Trotz der weiten Verbreitung niederländischer mittelalterlicher Literatur im deutschen Sprachraum fehlt es bisher an einer Darstellung dieses reichen Einflusses in Lexika oder Literaturgeschichten oder als Übersicht.13 Dazu haben eine weitgehende Vernachlässigung der Erforschung des Schrifttums aus dem 15. und 16. Jahrhundert in der Germanistik und in der Niederlandistik wie auch die Problematik der Wissenschaftsbeziehungen nach 1945 hinsichtlich Fragen der wechselseitigen (literarischen) Beeinflussung zwischen den Niederlanden und Belgien sowie den meisten deutschsprachigen Ländern beigetragen. Auch wenn am Anfang des 20. Jahrhunderts die Reihe „Nederlandsche volksboeken“, durch die Initiative Boekenoogens und der Maatschappij der Nederlandse letterkunde, einige diplomatische Editionen oder Faksimiledrucke der spätmittelalterlichen Literatur hervorbrachte, sind bis heute zahlreiche niederländische Werke noch immer nicht ediert. Dabei handelt es sich um Hunderte verschiedener Texte, wenn man die geistliche und didaktische Literatur mit einbezieht.14 Dennoch erwiesen sich die meisten dieser Texte als äußerst „hartnäckig“, denn sie überlebten die Jahrhunderte in vielen Nachdrucken, manchmal bis ins 19. Jahrhundert.15 Ähnlich beschreibt Braun die Situation der Forschung zu den deutschen Historien, wenn er von einer Überlieferungslage spricht, „deren Komplexität die derzeitige Editionspraxis nicht annähernd“ widerspiegele, da vieles nicht ediert sei oder nur in Facsimiles vorliege.16 Die Tradition des Romans Margriete van Limborch kann exemplarisch verdeutlichen, wie sehr der niederländisch-deutsche Raum dieser Zeit als eine zusammengehörige, aus vielen Regionen bestehende, kontinentalwestgermanische Literaturlandschaft zu betrachten ist. Das auf dem Titelblatt des 1516 gedruckten „Volksbuchs“ als „schoone historie“ bezeichnete Werk wurde zuerst zwischen 1291 und 1317 in Brabant geschrieben und wanderte in den folgenden Jahrhunderten in vielen niederländischen und deutschen „Wiedererzählun-

ten Handschrift Heidelberg, UB, cpg 363, ist fragmentarisch erhalten (O-004). Siehe auch Renout van Montelban (R-001); Percevael (P-006). 13 Erste Schritte zur Schließung dieser Lücke unternimmt die bereits genannte Bibliographie der deutschen Übersetzungen niederländischer Literatur bis 1540 (Schlusemann 2011). 14 Zur Situation der Editionen im Bereich des niederländischen gedruckten Prosaromans vgl. van Anrooij 2004, S. 165–167. 15 In Gerritsen / van Melle 1993, S. 11, bezeichnete Gerritsen sie im Vorwort als „ware diehards“, d. h. wirklich „schlechtsterbende“ bzw. langlebige (Werke). Vergleichbares gilt für andere Erzählstoffe, wie z. B. Floris ende Blancefleur, Historie van den vier heemskinderen, Frederick van Jenuen, Malegijs oder Peeter van Provencen, die durch die Prosaversionen, deren Nachdrucke und Bearbeitungen jahrhundertelang, auch in verschiedenen Sprachen, überlebten (vgl. Debaene 1977 sowie die verschiedenen Einträge in Gerritsen / van Melle 1993). 16 Braun 2004, S. 318.

Forschungsstand 

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gen“17 vom Westen des niederländischen Sprachgebiets bis zum Süden des deutschsprachigen Raumes. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts waren Versionen des Romans Margriete van Limborch in Brabant, in Flandern, in Seeland, an den Höfen zu Manderscheid, Rottenburg und Heidelberg, im Kloster Wessobrunn sowie in Antwerpen und Hoorn (Nordholland) bekannt. Der Roman erschien als gedruckte Prosahistorie zwischen 1516 und dem Anfang des 19. Jahrhunderts in mindestens 13 verschiedenen Auflagen und Bearbeitungen. Darüber hinaus wurden Teile des Vers- wie des Prosaromans exzerpiert, und im 20. Jahrhundert entstanden kürzende Gedichte und Erzählungen. Der Roman wurde als Limburger Geschichte verbreitet und vom Leidener Professor Albert Verwey für seine Studenten ausführlich nacherzählt.18 In dieser Studie werden drei Wiedererzählungen des Romans analysiert: 1. die älteste Version Margriete van Limborch, etwa 22.000 Verse umfassend, als deren am besten erhaltener Textträger die ripuarische Handschrift (ca. 1420– 1430) gelten kann; 2. die für den Heidelberger Hof um 1480 verfasste und in einer Handschrift überlieferte Version des Johann von Soest, Margreth von Limburg, und 3. die Postinkunabel Een schoone historie van Margarieten von Limborch, die 1516 bei Willem Vorsterman in Antwerpen erschien.

1.2 Forschung zur Tradition des Romans Margriete van Limborch „Een der beste uit onze middeleeuwsche letterkunde“, so lautete 1922 das Urteil te Winkels19 über den Versroman Margriete van Limborch in seiner Geschichte der niederländischen Literatur des Mittelalters und der Renaissance.20 Van Oostrom

17 In einem richtungsweisenden Aufsatz subsumierte Worstbrock mittelalterliche Rezeptionsformen unter dem Begriff „Wiedererzählen“ (Worstbrock 1999, S. 130). Der „generelle und neutrale Begriff der Retextualisierung“, den Bumke / Peters (2005) in ihrem Sammelband „Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur“ einführten, fasst die „verschiedenen Ebenen und Aspekte vormoderner Arbeit am Text als eine Interaktion von Prä- und Retext“ (S. 2). Darunter sind verschiedene Retextualisierungsformen wie Umschreibung, Übersetzung, Bearbeitung, redaktionelle Eingriffe und Aufbereitung von Texten in Bilderhandschriften zu verstehen. Siehe jetzt auch Dimpel 2015 sowie auf Englisch Forschungsarbeiten, die diese Verfahren unter dem Begriff „retelling“ betrachten (siehe z. B. Stahlberg 2008). 18 Vgl. die Übersicht der Tradierung in Kapitel 1.6. 19 Te Winkel 1922, S. 355. 20 Zur neuen Namengebung vgl. Kapitel 2.1.1 bis 2.1.3. Eine knappe Übersicht der überlieferten Handschriften bietet Kapitel 1.4 dieser Arbeit. Vgl. auch De Wachter / Schlusemann u. a. 2001; Kienhorst 1988; Heinzle / Staub 1990.

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bezeichnete den Roman neben dem Seghelijn van Jerusalem als eine der beiden „meest originele“ Schöpfungen der mittelniederländischen Ritterliteratur, und Janssens betrachtete ihn als eines der Meisterwerke mittelniederländischer Epik.21 Der in Brabant entstandene Roman Margriete van Limborch genießt mit elf erhaltenen Textzeugen bis ca. 1430 eine für das niederländische Sprachgebiet außerordentlich große Popularität. Nur Jacobs van Maerlant Historie van Troyen, der Madelgijs und der Parthonopeus van Bloys weisen im Bereich der niederländischen erzählenden Literatur eine vergleichbar beeindruckende Zahl an handschriftlichen Überlieferungszeugen auf.22 Im Laufe des 15. Jahrhunderts riss das Interesse für den Margriete-Roman nicht ab. Nach seiner literarischen Verbreitung besonders in Brabant und Flandern wurde der Roman Margriete van Limborch spätestens um 1430 weiter im Osten adaptiert. Um ca. 1420–1430 entstand in der Gegend um Aachen eine Handschrift auf Ripuarisch. Der Roman wurde im 15. Jahrhundert in Blankenheim, in Rottenburg am Neckar und am Heidelberger Hof rezipiert, und Johann von Soest, Sängermeister am Kurfürstenhof zu Heidelberg, widmete 1480 im einzig erhaltenen Exemplar seinen Roman Margreth von Limburg Philipp dem Aufrichtigen, Pfalzgraf bei Rhein. 1516 erschien bei Willem Vorsterman in Antwerpen Een schoone historie van Margarieten van Limborch in Prosa. Den Druck, der mit Verspassagen in Dialogform angereichert ist, bezeichnete van Mierlo als einen der besten niederländischen Prosaromane; der Literaturhistoriker Albert Verwey rühmte dessen Natürlichkeit, Klarheit und Ausgewogenheit.23 In der niederländischen Literaturgeschichtsschreibung wurde der MargrieteRoman bisher verschiedenen Gattungen zugeordnet. Kalff beurteilte den Ritter­ roman sehr negativ als ein „totgeborenes Kind zeugend von Belesenheit und Streben nach Ehre“, das nicht aus dem Leben heraus, sondern aus Büchern entstanden sei.24 Te Winkel nahm an, dass eine Episode aus der Geschichte der Kreuzzüge die Abfassung des Romans ausgeregt habe, und behandelte den von ihm als „Oostersche roman“ bezeichneten Text unter den Kreuzzugsromanen.25 Knuvelder ordnete den Roman, wenig aussagekräftig, bei der Ritterpoesie ein, nannte den Autor einen glänzenden Schriftsteller und bezeichnete den Margriete-Roman als Vorläufer der modernen Romankunst.26 In der neuesten

21 Van Oostrom 2000, S. 10; Janssens im Vorwort zu De Wachter / Schlusemann u. a. 2001, S. V. 22 Kienhorst 1988, vgl. De Wachter / Schlusemann u. a. 2001. 23 Van Mierlo 1953, S. 121; Verwey 1937, S. 13. 24 Kalff 1906–1907, hier Bd. 1, 1906, vor allem S. 301–303, Zitat S. 301. 25 Te Winkel 1922, Abschnitt XIII, S. 351–352. 26 Knuvelder [o. J.], S. 224–226.

Forschungsstand 

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Literaturgeschichte van Oostroms wird der Ritterroman als das beste Beispiel dafür bezeichnet, wie mittelniederländische Dichter die Tradition der Epik für etwas vollkommen Eigenes nutzen konnten, so dass diese „kreative Collage“ als eine eigenständige „Schöpfung mit Format“ entstanden sei, „eine Krone auf den Erfolg des Ritterromans“.27 Im Vergleich zu deutschen literarischen Werken des Mittelalters, die vergleichbare Strukturen und ähnliche literarästhetische Bedingungen aufweisen, besitzt der Margriete-Roman viele Übereinstimmungen mit den Merkmalen des Minne- und Abenteuerromans, eine Gattungsbezeichnung, die bisher in der Niederlandistik nicht Fuß gefasst hat, trotz der zum Teil selben Erzählstoffe wie zum Beispiel über die Abenteuer von Floris und Blanscheflur.28 Die von Ridder entwickelten Charakteristika der Intertextualität, der fingierten Erzählwelt und der historischen Faktizität sowie der Reflexion des Erzählens wurden wenigstens in Ansätzen bereits in früheren Publikationen zur Margriete behandelt.29 In dieser Studie soll der Margriete-Roman erstmals als zur Gruppe der Minne- und Abenteuerromane gehörend betrachtet und somit auch vor dem Hintergrund der bisherigen Forschung zu dieser Werkreihe analysiert werden.30 Deren besonderer Akzent liege auf der „chronologischen, sich aus der Antike herleitenden, und

27 Van Oostrom 2006, S. 295–296. 28 Die Bezeichnung der Gattung als „Minne- und Abenteuerroman“ ist zwar unglücklich, wie mehrfach hervorgehoben wurde (Ridder 1998, S. 1, Anm. 1; Achnitz 2002, S. 2–3; Schulz 2000, S. 16–19), soll jedoch hier beibehalten werden, um die Konzepte des Margriete-Romans zu den Forschungsergebnissen bezüglich dieser Gattung in Beziehung zu setzen. Achnitz und Schulz führen keine neue Terminologie ein, bemängeln aber den Begriff „Minne- und Abenteuerroman“, da er zu allgemein sei und auf fast alle mittelalterlich-höfischen Versromane zutreffe. Siehe auch Putzo 2013. – Ridder 1998 behandelt den Reinfried von Braunschweig, Friedrich von Schwaben und Wilhelm von Österreich. Die Klassifizierungen der verschiedenen Untergruppen der Gattung sind bei Schulz 2000, S. 17–18, zusammengestellt. Wesentliches Charakteristikum des Werktyps sei die „Harmonisierung von individuell-ausschließlicher Liebe und Herrschaftsanspruch“ (Ridder 1998, S. 25). Die zuerst den gesellschaftlichen Regeln widersprechende Minne setze zwar die Aventiure in Gang (Ridder 1998, S. 26), aber die Minne müsse sich an die Normen der Herrschaft anpassen. Siehe auch Eming 2006 sowie Baisch / Eming 2013. 29 Janssens 1976; Janssens 1977a; Janssens 1977b; van Uytven 1983; Sonnemans 1995; De Wachter 1998a. 30 Ridder ordnet den Roman bereits der Gattung zu, ohne ihn in seiner Arbeit näher zu untersuchen (Ridder 1998, S. 10, Anm. 41). Achnitz 2002 postuliert überzeugend den Apollonius von Tyrland des Heinrich von Neustadt wegen seiner Motivreihe von „Trennung und Reise, Suchen und Finden“ neu für den Werktyp. Für ihn gehören somit fünf Romane in die Werkgruppe: ­Ulrichs von Etzenbach Wilhelm von Wenden (zwischen 1289/1291 und 1297), Reinfried von Braunschweig (nach 1291), Apollonius von Tyrlant (vor 1298), Wilhelm von Österreich (1314) und Friedrich von Schwaben (nach 1314).

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 Einleitung

auf der geographischen, den östlichen Mittelmeerraum und zum Teil den gesamten Erdkreis umfassenden, Ausweitung von Herrschaftsansprüchen“.31 Diese Umschreibung erfasst eine wichtige Dimension des Margriete-Romans, der überdies in der gleichen Zeit wie die deutschen Minne- und Abenteuerromane entstanden ist und ähnliche Verfahren der Sinnkonstituierung wählt. Betrachtet man die niederländischen und deutschen Minne- und Abenteuerromane zusammen, erweist sich der Margriete-Roman als das am zweitmeisten schriftlich rezipierte Werk, denn der Reinfried von Braunschweig ist in einer Handschrift erhalten, der Wilhelm von Wenden in zwei, der Apollonius von Tyrland des Heinrich von Neustadt in vier, der Friedrich von Schwaben in sieben und der Wilhelm von Österreich in 18 Textzeugen. Das wissenschaftliche Interesse am Literaturtyp Minne- und Abenteuerroman bezeugen verschiedene überwiegend synchron angelegte Studien.32 Die weitgehende Ausklammerung der spätmittelalterlichen Margriete-Tradition aus diesem Forschungskontext scheint durch die getrennte Entwicklung der Philologien Germanistik und Niederlandistik begründet zu sein. Die Zusammengehörigkeit der kontinentalwestgermanischen Minne- und Abenteuerliteratur dieser Zeit findet somit in den Literaturgeschichten und Untersuchungen kaum eine angemessene Berücksichtigung. Dabei gelten die am Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandenen Minne- und Abenteuerromane auch als ein wichtiges Bindeglied zwischen dem höfischen Versroman und dem frühneuzeitlichen Prosaroman, doch auch in dieser Hinsicht zeigte die Forschung bislang wenig Interesse am Margarieten-Prosaroman.33 Obwohl bereits Mitte des 19. Jahrhunderts van den Bergh eine Ausgabe des Textes nach der brabantischen Handschrift vorlegte, wurde der mittelniederländische Margriete-Versroman in der Niederlandistik seit Jonckbloets Verdikt der Epigonalität bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts beinahe ausschließlich zu Aspekten der Überlieferung befragt.34 Te Winkel und Verwey erkannten gleichwohl frühzeitig die Qualitäten der künstlerischen Komposition.35 Meesters eröffnete mit seiner Ausgabe der ripuarischen Handschrift neue Wege der Margriete-

31 Achnitz 2002, S. 420. 32 Ridder 1998; Achnitz 2002. 33 Kiening 1993, S. 494; Ridder 1998; Achnitz 2002. 34 Jonckbloet 1851–1855, Bd. 3, S. 372. Van Mierlo dagegen bekräftigte die Meinung Verweys, der Roman sei zu einem spannenden und harmonischen Ganzen komponiert worden (van Mierlo [1949], S. 369). Vgl. Cosijn 1870; van Vloten 1870; de Vries 1870; van Vloten 1970; Verdam 1871; te Winkel 1873 usw. zur Textkritik. Für eine Bibliographie der Margriete-Forschung siehe Vijfwinkel 1974 und van Royen / Wolthuis 1996. 35 Te Winkel 1922, S. 351–356; Verwey 1937, S. 13.

Forschungsstand 

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Forschung. Verschiedene Beiträge befassten sich mit Fragen zur Datierung und zum Autor36 oder konzentrierten sich auf Aspekte des Rechts37 und des Königsspiels in Buch XI.38 Janssens legte 1976 die erste größere Studie zum Margriete-Roman vor, in der er die Zeit- und Raumstruktur des Romans mit dem Walewein, dem Trojeroman des Segher Diengotgaf und mit Seghelijn van Jerusalem verglich.39 Nach Janssens kann der Abenteuerweg der verschiedenen Protagonisten des Margriete-Romans auf dreifache Weise gelesen werden. Im wörtlichen Sinn seien die Handelnden unterwegs von einem Ort zum anderen. Der Weg spiegele zweitens die Entwicklung einer Figur von ungesteuerter Emotionalität und Impulsivität zur Überwindung derselben im Laufe der Erzählung. Drittens führe die Reise bei Echites zu einer schrittweisen Erkenntnis der Herkunft seiner Geliebten. Ab Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts erschienen Abhandlungen zur realistischen Schreibweise des Romans und zu dessen historischer Einbettung.40 Die weibliche Hauptfigur bestimmte das Erkenntnisinteresse bei Iwema, der der Funktion der künstlerischen Idee des Inkognitos nachging.41 Van Gijsen sind wichtige Erkenntnisse zur fiktionalen Verwandtschaft Margrietes zu verdanken, u. a. zur Figur der Berte in Berte as grans piës und zwischen Lanseloets Mutter im Lanceloet-Drama und der Athener Gräfin.42 Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts fand ein geradezu explosionsartiger Zuwachs an kleineren und größeren Beiträgen zur Margriete-Tradition statt. Aufgegriffen wurde erneut die handschriftliche Überlieferung im niederländischdeutschen Sprachraum,43 oft verknüpft mit Fragestellungen zur Arbeitsweise von Kopisten.44 Im Jahre 2001 wurden zum ersten Mal alle Fragmente des Romans diplomatisch ediert und eine Übersicht aller erhaltenen Textzeugen der niederländischen Verstradition vorgelegt; hinzu kamen Worterklärungen, eine geographische Einordnung sowie ein kodikologisch-paläographischer Kommentar.45

36 Hellinga 1953; Hegman 1957; Hegman 1958; Lievens 1960. 37 Hermesdorff 1955. 38 Hegman 1965/66; Hegman 1966; van der Poel 1992; Schlusemann 1996. 39 Janssens 1976. 40 Janssens 1977a; Janssens 1977b; van Uytven 1983. 41 Iwema 1984. 42 Van Gijsen 1987; 1989; 1991a; 1991b; 1993; 1999. Siehe zu Berte auch De Wachter 1998a, S. 117–150 und 415–424. 43 Beckers 1987; Beckers 1989; de Haan 1994. 44 Deschamps 1986; Kienhorst / Mulder 1986; Schlusemann 1995. 45 De Wachter / Schlusemann u. a. 2001.

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 Einleitung

Nach der Arbeit von Janssens, der das Gesamtkonzept des Romans in der kasuistischen Behandlung des Liebesthemas gegeben sah,46 dominierten Strukturanalysen einzelner Episoden,47 oftmals in Verbindung mit Mechanismen der Intertextualität,48 das Forschungsinteresse. In ihrer als Manuskript vorliegenden Dissertation49 arbeitet De Wachter ein ganzes Konglomerat an bisherigen Desideraten auf: eine ausführliche Analyse der intertextuellen Bezüge zwischen dem Margriete-Roman und der Chanson de geste, dem Artusroman (Erec, Cligès, Amadas et Ydoine, Torec), der Tristantradition, dem Rosenroman, dem Trojeroman des Segher Diengotgaf, dem Voeux de Paon, dem Spieghel historiael des Jacob van Maerlant und dem Fürstenspiegel Secretum secretorum sowie eine Darlegung der Übernahme der Makrostruktur der Aeneis Vergils. De Wachter legt den Entstehungszeitraum des Romans überzeugend auf die ersten zwei Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts fest. Sie zeigt, dass der Margriete-Roman ein „goed uitgebalanceerde roman“ ist, bei dem alle Bestandteile gut integriert seien. Jedoch identifiziert sie eher unvermittelt die wichtigsten Themen des Romans als „(hoofse) ridderschap en (hoofse) liefde“, „de kracht van de vrouw“ und „zielenadel versus geboorteadel“.50 In meiner Arbeit wird unter Berücksichtigung der komplexen Entrelacementtechnik, die De Wachter in ihrer gründlichen Studie (noch) ausklammern musste, differenzierter ein Gesamtkonzept des Margriete-Romans herausgearbeitet, das zudem der Anlage des Romans mit den Wegen verschiedener Hauptfiguren Rechnung trägt. Bis in die Mitte der 70er Jahre wurde der Versroman Margreth von Limburg des Johann von Soest bis auf die eingehenden vergleichenden Untersuchungen von Wirth und Swennen51 hauptsächlich kurz in Literaturübersichten genannt.52

46 Janssens bezog sich auf die paradoxale Verbindung zwischen Liebe als individuellem Gefühl und höfischem, auf die Gemeinschaft bezogenem Verhalten (Janssens 1976, S. 635). 47 De Wachter 1996; De Wachter 1998b. 48 De Wachter 1998a; Zemel 1998. 49 De Wachter 1998a. 50 „(höfische) Ritterschaft und (höfische) Liebe, „die Kraft der Frau“ und „Seelenadel gegenüber Geburtsadel“ (De Wachter 1998a, S. 394). 51 Wirth 1928 systematisierte überwiegend lose beschreibend die Bearbeitungstendenzen im Roman Johanns in den Kategorien Motivierungen, Ausführlichkeiten, Kampfschilderungen etc.; Swennen 1978 konzentrierte sich auf eine ausführliche Darlegung der Handschriftentradition und erbrachte den Nachweis, dass Johanns Text und die ripuarische Handschrift B in einen engen Entstehungszusammenhang gehören. 52 Z. B. Mone 1838, S. 11, 86–87, 230; Menzel 1875, S. 389; Ehrismann 1935, S. 475–476; Buchner 1936; Rupprich 1970, S. 62–63. Bonath 1983 stellte die Belehrung als Rechtfertigung von Johanns Dichten in den Vordergund. Von Ertzdorff (1989, S. 218–223) hob hervor, der interes-

Forschungsstand 

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Beinahe zeitgleich mit der Dissertation von Janssens erschienen zwei wichtige Studien zum Roman Johanns. Der deutsche Roman wurde von Klett diplomatisch mit Worterklärungen und einer Einführung ediert (1975).53 Bonath und Brunner untersuchten die gegenüber dem Prätext ausgeprägte didaktische Tendenz der johannschen Bearbeitung in der Aragon-Episode und im Fürstenspiegel. Diese erreiche in der Darstellung der Missstände an einem Fürstenhof eine „überraschende Konkretheit“.54 Sie rufe einen jedoch nur scheinbaren Widerspruch zwischen den pragmatischen Ansprüchen der Realität und der im Roman dargestellten höfischen Idealität hervor, da zu den Aufgaben des Fürsten auch die Selbstdarstellung des adligen Standes gehöre. Bisher vorgelegte Studien zur Person und Biographie des Autors55 können die Hypothese einer möglichen Divergenz zwischen den Interessen des fürstlichen Auftraggebers und der in Johanns Roman angelegten Didaxe stützen (vgl. Kapitel 4). Die möglicherweise exemplarische Bedeutung von Johanns Werdegang vom Handwerkersohn über den Beruf des Sängermeisters zum Stadtarzt von Frankfurt, Worms und Oppenheim wäre ein lohnendes, hier nicht vertieftes Forschungsobjekt, das auch zur Beurteilung des biographischen Hintergrundes seiner Schriften beitragen könnte.56 Mit den verschiedenen Aspekten der Erzähltechnik in Johanns Roman, der als die „gelungenste und anspruchvollste“ der Bearbeitungen bzw. Übersetzungen niederländischer Versromane am Heidelberger Hof gilt,57 befasste sich Wirth, die berühmte Federzeichnung und deren künstlerisches Umfeld wurde kunsthistorisch untersuchte.58 Es fehlt an ausführlichen Studien zur Buchgestaltung und zum Erzählprogramm, das in den Prologen und den Erzählerkommentaren entworfen wird, sowie an Überlegungen zur Funktionalität des Romans. Durch die Übersichtsdarstellung zur niederländischen Prosaromantradition bis 1540 von Debaene59 und die kurz danach erschienene diplomatische Ausgabe

sante Roman bedürfe „noch eingehender Untersuchung“ (S. 223). Cramer 1990, S. 85, erwähnte nur den Titel. 53 Die Edition Kletts ist an manchen Stellen fehlerhaft, besonders in der Wiedergabe der Lombarden (z. B. „veritateque“ statt „vertitateque“ (1,11); „eyner“ statt „einer“ (1,12); „dyn“ statt „dy“ (1,17); „lehen“ statt „leben“ (4,281); „Der“ statt „Wer“ (5,1); „ir“ statt „er“ (7,1332); „Wy“ statt „Ny“ (10,1), um einige Beispiele zu nennen). Die Verse 8,620 und 8,621 sind in der Edition vertauscht worden. Die richtige Reihenfolge muss lauten: 619, 621, 620, 622. 54 Bonath / Brunner 1975, S. 152. 55 Brunner 1991; Schlusemann 1997; Schlusemann 2003b. 56 Bonath 1983, Sp. 755. Schriften zu seinem musikalischen Wirken heben die besondere Qualität seines Schaffens hervor (Pietzsch 1963; Schläder 1986; Finscher 1996). 57 Bonath / Brunner 1975, S. 134. 58 Wirth 1928; siehe auch Filedt Kok 1985; Hess 1994. 59 Debaene 1951 (Nachdruck 1977).

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des niederländischen Prosaromans Een schoone historie van Margarieten van Limborch von Schellart im Jahre 1952 schien eine gute Grundlage für die weitere Erforschung des Prosaromans geschaffen. Die seitdem vorgelegten Studien beschränkten sich jedoch nur auf einige wenige Teilfragen. Schellart leitete seine Ausgabe mit einer Kurzcharakteristik des Romans ein. Die Prosa strebe nach größerer Sachlichkeit, zeige vor allem bis Kapitel 23 eine an der Dramatik orientierte Schreibweise, sei aber auch der Chronistik verpflichtet. Sie versuche, die Geschichte in die eigene Zeit zu versetzen, indem sie Anschaulichkeit und sinnliche Wahrnehmung erhöhe und den Wortgebrauch anpasse.60 Mit einem kurzen Überblick über die Erzähltechnik des Romans61 und Hinweisen auf die im Prosaroman vorkommenden Verse62 konzentrierte sich die Forschung vor allem auf Einzelaspekte. Im Mittelpunkt standen weiterhin literarische Parallelen zur weiblichen Hauptfigur. Van Gijsen zeigte zum Teil wörtliche Übereinstimmungen mit dem Spiegel der minnen des Colijn van Rijssele und Narcissus ende Echo aus dem 16. Jahrhundert auf.63 Das Werk wurde bis auf die Bemerkungen in der Einleitung der Ausgabe von Schellart noch nie einer Interpretation im Hinblick auf ein Gesamtkonzept und vergleichend zur Verstradition unterzogen. Darüber hinaus wurden verschiedene neue Ergebnisse der Forschung zur Verbreitung des Prosaromans bisher nicht in Beziehung zu den Formen der Wiedererzählung gesetzt.

1.3 Zielsetzung Im Anschluss an Diskussionen zur Bedeutung des kulturellen Austausches für die Literaturgeschichtsschreibung, die sich vornehmlich auf Deutschland und das spätmittelalterliche Frankreich beziehen,64 sollen, exemplarisch am MargrieteRoman, die duytschen, d. h. niederländischen und deutschen, Literaturgebiete als eng zusammenhängende Literaturlandschaften betrachtet werden, die „auf vielen Gebieten aufeinander eingewirkt haben und daher nur im Zusammenhang erforscht werden können“.65

60 Schellart 1952, S. XXXIX–XLIV. 61 Schlusemann 1991. 62 Janssens 1982b; Coigneau 1982. 63 Van Gijsen 1989a. 64 Kasten / Paravicini 1998; Backes 2004. 65 Gerritsen / Schludermann 1975, S. 335. Die Margriete-Tradition soll in einer kontinentalwestgermanischen Gesamtschau betrachtet werden (vgl. Palmer 1982 zur Visio Tnugdali oder Williams-Krapp 1986 zu den deutschen und niederländischen Legendaren des Mittelalters).

Zielsetzung 

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Eine die Vers- und Prosatradition berücksichtigende Untersuchung zur diachronen Entwicklung eines in mehreren Sprachen überlieferten Minne- und Abenteuerromans liegt bisher nicht vor. Am Beispiel des Reinolt von Montelban wurde darüber hinaus demonstriert, dass die in der Literaturwissenschaft oftmals durchgeführte Grenzziehung zwischen Vers und Prosa im Besonderen im Hinblick auf die spätmittelalterliche Literatur die Untersuchungsparameter zu starr definiert.66 Kulturhistorische Perspektiven wie die Einbeziehung möglicher Produktions- und Rezeptionsinteressen bleiben bei den Untersuchungen zum literarischen Weiterwirken oftmals außer Betracht.67 Gerade späte Versbearbeitungen und einen Prätext adaptierende Prosaromane können richtungsweisende Zeichen ästhetischer und gesellschaftlicher Veränderungen sein. Die MargrieteTradition bietet durch die drei für diese Studie ausgewählten Versionen die Möglichkeit, einen Ansatz zu entwickeln, der Kontinuität und Wandel, Erhalt und Veränderung an einem spezifischen Roman durch Zeiten und Räume untersucht. Leitende Kriterien der Analyse sind die äußere Präsentation der Geschichte und die Art und Weise des Erzählens in der Margriete, im Roman Johanns und in der Prosahistorie. Untersucht wird das Weitererzählen des Margriete-Romans im deutschen Versroman des Johann von Soest und im Prosaroman, die auch Teile eines bisher fehlenden Textkommentars zu bieten beabsichtigt, was hier freilich nur ansatzweise möglich ist. Mit dieser sprachgrenzenüberschreitenden komparatistischen Analyse des mittelalterlichen Romans in diachroner Perspektive werden die wichtigsten Transformationen in den späteren Texten im Vergleich zum Prätext herausgefiltert. Anhand der niederländischen und deutschen Margriete-Tradition lässt sich besonders gut demonstrieren, wie in Wiedererzählungen des Versromans im ganzen 15. Jahrhundert sowie in den Prosaromananfängen die seit dem frühen 14. Jahrhundert tradierten Sinngebungsmuster sowohl übernommen wie abgewandelt werden und wie sich diese Konzepte in Abschriften und Bearbeitungen, aber auch über Bewegungen von Textzeugen, geographisch über verschiedene Sprachgebiete verbreiten. Die Tradition des Margriete-Romans bietet vor allem durch das Nach- und Nebeneinander von niederländischen und deutschen Handschriften der Versform und Drucken der Prosaform die Möglichkeit, für das 15. und frühe 16. Jahrhundert mittels der verschiedenen Aggregatzustände eines Erzählwerks Kontinuität und Wandel der Sinngebungsverfahren eines Romans am Hof und in der Stadt genauer zu untersuchen. Die Analyse der Veränderungen am vorgefundenen Material mit Hilfe des close reading, Bezug nehmend auf

66 Von Bloh 1996. 67 Röcke 1984; Röcke 1985; Bachorski 1993; Bachorski 1996.

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 Einleitung

Umstellungen, Auslassungen und Kürzungen, Hinzufügungen, Erweiterungen und Umdichtungen, gestattet eine größtmögliche interpretatorische Annäherung an den jeweiligen Werksinn. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung formaler Aspekte bei der Interpretation spätmittelalterlicher Literatur hebt Wackers hervor, der diese als Zeichen von Wandel in Bezug auf die moralischen und ästhetischen Eigenschaften von Texten aus dieser Zeit im Zusammenhang betrachtet.68 An der Historie van reynaert die vos, der Borchgravinne van Vergi, am Elckerlijc und an Van sMenschen Sin en Verganckelijke Schoonheit lasse sich die Verwendung formaler Techniken als integraler Bestandteil des Kommunikationsprozesses beobachten. Während Müller vor allem den „Umbesetzungen“ in Prosaerzählungen des 15. und 16. Jahrhunderts nachgeht,69 betont Wackers die Notwendigkeit, beide Pole, den der Tradition und den der Innovation, zu berücksichtigen. Die Analyse formaler und ästhetischer Merkmale von Texten sei von literar- und mentalitätshistorischer Bedeutung.70 Dazu gehört auch die Gestaltung der Textträger in der Zeit des Umbruchs von der Handschrift zum Druck. Nicht nur inhaltliche Sinngebungsverfahren, sondern auch die graphische Gestaltung und die Einbindung des jeweiligen Textzeugen in einen paratextuellen Rahmen erlauben, wie die buchgeschichtliche Forschung gezeigt hat, Rückschlüsse auf die jeweiligen Funktions- und Kommunikationszusammenhänge. Die Arbeit schließt somit an neue Diskussionen in der Niederlandistik wie in der Germanistik an, die der Valenz jeder Handschrift und den Gestaltungsmerkmalen des einzelnen Überlieferungsträgers Rechnung tragen. In der Forschung zur deutschen und niederländischen Literatur liegen Gesamtstudien zur Paratextualität von Texten vor allem in Ansätzen vor. Daher erscheint eine exemplarische diachron ausgerichtete Untersuchung, die den Textträger in seiner ihm eigenen Gestalt mit berücksichtigt und die Vermittlungswege, mithin die Chronologie und Geographie des Weges in der duytschen Literaturlandschaft, darstellt, umso dringlicher. Am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelte sich durch die gedruckten fiktionalen Texte, die nun in zahlreichen Exemplaren auf den Markt kommen, eine neue Form von literarischem Leben. Durch einen genauen Vergleich der Texte sollen sich auf Mikroniveau vollziehende Vorgänge des Wiedererzählens des Margriete-Versromans im deutschen Versroman Johanns von Soest bzw. im niederländischen Prosaroman untersucht werden. Nach diesem erstmalig durchgeführten umfassenden Vergleich der drei verschiedenen Ver-

68 Wackers 1991, S. 63. 69 Müller 1999, S. 156. 70 Wackers 1991, S. 74.

Zielsetzung 

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sionen werden die kulturhistorischen Prämissen der jeweiligen Textentstehung ausführlich hinterfragt, um sie dann in einen größeren, auch kulturellen Bezugsrahmen zu stellen. Johanns Roman ist zwar ein Versroman, inhaltlich weist er aber ähnliche thematische Schwerpunkte wie die Prosahistorie des 16. Jahrhunderts auf. Die Perspektive der Tradierung und Veränderung der literarischen Vorgaben kann unter der Frage „Wie erzählt man einen bestimmten Text zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort weiter?“ subsumiert werden. Der zweite Bestandteil der Frage nach dem literarischen Leben zielt auf die Beweggründe, ältere Literatur „wieder“ zu erzählen, und auf die gesellschaftliche Kontextualisierung von Literatur. Die vorliegende Arbeit versteht sich als exemplarische Studie zur Wiedererzählung spätmittelalterlicher Literatur und literarischer Veränderung unter kulturwissenschaftlicher Perspektivierung.71 Sie knüpft somit an neuere Fragestellungen der deutschen und niederländischen Mediävistik an und intendiert, texthermeneutische und kulturpoetische Fragestellungen mit­ einander zu verbinden. Die von Pleij als „kulturhistorische Annäherung“ und von Heinzle als „Interessenbildung“72 bezeichneten Ansätze wollen literarische Werke unter den historischen und sozialen Bedingungen ihrer Entstehung verstanden wissen. In diesem Zusammenhang sind auch für die späteren Margriete-Texte moralische Diskurse zu untersuchen. Im Spätmittelalter erfuhr die Ethisierung der Romane eine mehr geistliche Ausrichtung, was in erster Linie aus einer Interpretation der Texte selbst eruiert und erst in einem zweiten Schritt von den diesen Text umgebenden Faktoren wie dem intendierten Publikum begleitet wird. Städtische Autoren richten nicht notwendigerweise an ein städtisches Publikum, nur um bürgerliche Maximen an dieses heranzutragen, ebenso wenig wie ein ausdrücklich einem Adligen gewidmeter Text ausschließlich höfische Konzepte entwerfen muss. Konkret bedeutet diese Herangehensweise z. B. die Hinzuziehung weiterer Texte des Johann von Soest wie seiner Autobiographie, des Beichtspiegels und des Fürstenspiegels. Verschiedene Überlieferungsträger der Margriete-Tradition können wichtigen Zentren des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literaturbetriebes zugeordnet werden: dem brabantischen Hof; dem Literaturliebhaber Graf Wirich von Daun zu Oberstein; der Erzherzogin Mechthild von Rottenburg; dem Grafen Kuno von Manderscheid-Blankenheim; dem literarischen Zentrum des Heidelberger

71 Zur Verbindung von Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft siehe im Besonderen die Beiträge von Kellermann, Röcke, Schäfer und Schneider in Goetz 2000. Vgl. Böhme / Scherpe 1996, Böhme / Matussek / Müller 2000 und kritisch Haug 1999b. 72 Pleij 1989; Heinzle 1993, S. VII–XIV; Heinzle 1999b, S. 269.

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 Einleitung

Kurfürsten Philipp des Aufrichtigen; der Buchstadt Antwerpen und dem Kloster Wessobrunn. Die Erarbeitung des jeweiligen literarischen Umfelds soll weitergehende Informationen zur Funktion literarischer und kultureller Netzwerke zu Tage fördern.73 Dabei spielt die Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen auch für den literarischen Austausch eine besondere Rolle, wenn man bedenkt, dass bereits unter Philipp dem Guten Brabant und Limburg zum Burgunderreich gehörten und dass dessen Enkelin Margarete die Schwägerin Mechthilds von Rottenburg und Mutter Philipps des Aufrichtigen war (verheiratet mit Ludwig IV., Pfalzgraf bei Rhein, Vater Philipps und Bruder Mechthilds). Die Aggregatzustände von drei Fassungen des Margriete-Stoffes werden somit in dieser Studie auf drei Ebenen untersucht: 1. hinsichtlich der äußeren Erscheinung der jeweiligen Handschrift oder des Druckes, d. h. Paratexte wie Titel, Prolog, Titelblatt und Illustration einbeziehend (Kapitel 2) 2. in Bezug auf den inneren Gehalt des Geschriebenen (Kapitel 3–5) 3. auf einer Ebene außerhalb des eigentlichen Erzählwerks, die eine Verortung des jeweiligen Werkes in einem möglichen Entstehungsrahmen und in weiteren Rezeptionsgebieten berücksichtigt (Kapitel 6). In der Literaturgeschichtsschreibung lässt man häufig die Tradition des höfischen Romans mit dem Minne- und Abenteuerroman des 14. Jahrhunderts enden und mit dem Roman des 17. Jahrhunderts neu beginnen. Hier soll auch eruiert werden, ob die Margarieten-Prosahistorie möglicherweise der Beginn von etwas Neuem ist, d. h., ob und wie ein Inszenierungs- und Fiktionalisierungscharakter gestärkt wird und wenn ja, mit welchen Methoden.74 Die Studie, die sich innerhalb der exemplarischen Erforschung von Wiedererzählung, deren Formen und Kanälen bei der Transformation von Literatur verorten lässt, verknüpft in einer transnationalen Perspektive literarische, sprachliche und buchgeschichtliche, philologische und kulturgeschichtliche Fragen.

73 Die Studie soll darüber hinaus weitere Ansätze zu einer vergleichenden literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse anderer aus dem niederländischen Raum am Heidelberger Hof bzw. für Friedrich den Siegreichen oder für Philipp den Aufrichtigen geschriebener Erzählliteratur liefern. Man denke an den Lancelot, den Malagis, den Reinolt von Montelban und den Ogier von Dänemark. In einem größeren Rahmen könnte auch an die Einbeziehung der Retextualisierungen von historien in anderen Sprachgebieten gedacht werden. 74 Die generell gehaltene Aussage, die historien würden als Bearbeitungen kürzer ausfallen und verabsolutierten die Kurzfassung, da sie „einsträngig und linear“ erzählen (Braun 2004, S. 320), trifft auf die Schoone historie van Margarieten nicht zu.

Überlieferung Margriete van Limborch 

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1.4 Überlieferung des Versromans Margriete van Limborch75 1.4.1 Handschriften A Leiden, Universiteitsbibliotheek, Ltk. 195, fol. 1–120r Material und Größe: Pergament, 120 Bll., Blattgröße 278 × 208 mm Einrichtung und Schrift: Teil eines Konvoluts, das aus Margriete van Limborch (fol. 1–120r) und Roman van Walewein besteht (fol. 121r–182r). Auf fol. 120r stehen die letzten sieben Verse von Margriete van Limborch in einer anderen Hand als der Rest des Textes. Zwei Spalten zu 46 Zeilen, eine Hand, littera textualis, die gleiche Hand wie die des Codex Deschamps und MF.76 Am Anfang jedes Buches eine Initiale, meistens in rot und blau ausgeführt, nur bei Buch 12 in rot und gelb. Rote Lombarden (zwei Zeilen hoch). Datierung: um 1350 oder etwas eher Lokalisierung: Westbrabant B Brussel, Koninklijke Bibliotheek, 18.231 Material und Größe: Papier, 147 Bll., Blattgröße 265 × 190 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten von 36 bis zu 42 Zeilen, jede Spalte 75–77 mm breit. Foliierung mit Bleistift, eine Hand, gotische littera cursiva. Die Anfangsinitiale „O“ ist mit dem Wappen Manderscheid-Blankenheim gefüllt. Lombarden (nicht fol. 69v–80v). Datierung: ca. 1420–1430 Lokalisierung: nordwestripuarisch H 4977 Leiden, Universiteitsbibliotheek, Ltk. 196 (olim 7551) Material und Größe: Pergament, zwei Doppelblätter, ursprüngliche Größe ca. 260 × 195 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten zu je 42 Zeilen, zwei Hände, gotische littera textualis, Rubrizierung, rote Lombarden (zwei Zeilen hoch). Datierung: ca. 1375–1400 Lokalisierung: Seeland78

75 Die nachfolgende Beschreibung beruht bis auf wenige Ausnahmen auf Autopsie aller genannten Textzeugen. Eine ausführliche Beschreibung der Handschriften bei De Wachter / Schlusemann u. a. 2001. 76 Dafür spricht u. a. die gleiche von der Regel abweichende Schreibung des Buchstaben d. Herrn Drs. H. Mulder (Koninklijke Bibliotheek Brussel) sei für diesen wertvollen Hinweis herzlich gedankt. 77 Die H-Siglen der Handschriften nach Kienhorst 1988. 78 Die Lokalisierung der Fragmente wurde für oben genannte Edition von A. Berteloot (Münster) und E. van den Berg (Zwolle) vorgenommen, wofür ihnen ein herzlicher Dank gebührt.

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 Einleitung

H 50 Paris, Bibliothèque nationale de France, all. 118, fol. 22 Material und Größe: Pergament, ein Blatt, Blattgröße 182–188 × 126–128 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten zu je 40 Zeilen, eine Hand, kleine gotische littera textualis, Lombarden (zwei Zeilen hoch). Datierung: ca. 1325–1350 Lokalisierung: Ostflandern oder brabantische Gegend um Mechelen und Antwerpen Codex Deschamps (H 51) a) Gent, Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde, 7 bis b b) Brussel, Koninklijke Bibliotheek, IV 853,1 c) Xanten, Stifts- und Pfarrarchiv, 41 Material und Größe: Pergament, zusammen sechs Blätter (zwei Blätter [a], ein Blatt [b] und ein Doppelblatt [c]), Blattgröße des Doppelblattes: 292–295 × 192–199 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten zu 53 Zeilen, eine Hand, gotische littera textualis, derselbe Schreiber wie bei A und MF, Robrizierung, rote Lombarden (zwei Zeilen hoch), Anfangsbuchstaben der Verse sind rot durchstrichen. Datierung: um 1350 Lokalisierung: Westbrabant MF Michelstadt, Nicolaus-Matz-Bibliothek, E 1057 Material und Größe: Pergament, ein Blatt (oberer und unterer Rand einer rechten Hälfte), Blattgröße ca. 164 × 99–107 mm Einrichtung und Schrift: drei Spalten zu je 60 Zeilen, eine Hand, littera textualis, derselbe Kopist wie bei A und im Codex Deschamps, Lombarden (zwei Zeilen hoch), abwechselnd rot und blau. Datierung: ca. 1350 Lokalisierung: Westbrabant H 52 Leiden, Universiteitsbibliotheek, B. P.L. 3086 (olim Köln, Historisches Archiv der Stadt, W 4o 323*) Material und Größe: Pergament, zwei Doppelblätter, Blattgröße 210–213  × 90 (fol. 1), 94 (fol. 2), 170 mm (fol. 3 und fol. 4) Einrichtung und Schrift: zwei Spalten zu je 40–42 Zeilen, eine Hand, gotische kleine littera textualis, Kopist derselbe wie Kopist D der Lancelotcompilatie. Lombarden (zwei Zeilen hoch) geplant, aber nicht ausgeführt. Datierung: ca. 1325 Lokalisierung: Brabant

Überlieferung Margriete van Limborch 

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H 53 Brussel, Koninklijke Bibliotheek, II 5959,2 Material und Größe: Pergament, zwei Doppelblätter (fol. 1/4 und 2/3) ineinander liegend, Blattgröße mindestens 260 × 165–170 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten, [50] Zeilen pro Spalte, eine Hand, littera textualis, Rubrizierung, rote Lombarden (zwei Zeilen hoch) Datierung: ca. 1400 Lokalisierung: Südwestbrabant H 54 Antwerpen, Museum Plantijn Moretus, M 15.10 (Cat. 202, I) Material und Größe: Pergament, ein Doppelblatt, Blattgröße 254–255 × 177–180 mm Einrichtung und Schrift: zwei Spalten, 50 Verse pro Spalte, eine Hand, littera textualis, vom selben Schreiber wie Handschrift des Roman van Ferguut und andere Handschriften, auf fol. 1v eine rote Initiale (sechs Zeilen hoch). Datierung: ca. 1350 oder etwas eher Lokalisierung: Brabant H 55 zwei Abschriften einer verloren gegangenen Handschrift aus dem 19. Jahrhundert a) Leiden, Universiteitsbibliotheek, Ltk. 1792 b) Oudenaarde, Archiv (seit 1997 bekannt) Einrichtung und Schrift: wahrscheinlich 50 Zeilen pro Spalte. Material und Größe [der Handschrift]: unbekannt Datierung: unbekannt Lokalisierung: vermutlich Brabant H 56 Brussel, Koninklijke Bibliotheek, IV 209,6 Material und Größe: zwei Pergamentstreifen, von den Spalten rb und vb ist die rechte Spalte erhalten, von den Spalten ra und va ist nur ein unterer Teil mit höchstens 19 Versen erhalten. Die Streifen sind 89–90 mm lang und in der Mitte 28 und 29 mm breit. Einrichtung und Schrift: zwei Spalten, [40] Zeilen, eine Hand, littera textualis, die Anfangsbuchstaben der Verse sind rubriziert. Datierung: ca. 1350 Lokalisierung: unbekannt

1.4.2 Exzerpte VH Brussel, Koninklijke Bibliotheek, 15589–15623, fol. 136v–137r Material und Größe [der Handschrift]: 241 Blatt, 274 × 205 mm Einrichtung und Schrift: vgl. Brinkman und Schenkel 1999, S. 66–76. Datierung: zwischen 1399 und ca. 1410 Lokalisierung: Brabant, möglicherweise in der Umgebung von Brüssel

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 Einleitung

VM Den Haag, Koninklijke Bibliotheek, 75 H 57, fol. 27v–33v Material und Größe: 67 Blätter, Papier, 208 × 134 mm Einrichtung und Schrift: eine Hand, littera cursiva, rote Initialen (zwei bis drei Zeilen hoch) Datierung: ca. 1440 Lokalisierung: im Osten Hollands, an der Grenze zu Utrecht

1.5 Johann von Soest, Margreth von Limburg Heidelberg, UB, cpg 87 Material und Größe: Papier, 419 Bll., das Dedikationsbild auf Papier, das nicht mit dem des restlichen Codex übereinstimmt (siehe die Abbildung im Anhang A, Nr. 1). Einrichtung und Schrift: eine Spalte, eine Hand, bastarda, Nota-Vermerke, maniculae, Anfänge der 12 Bücher in Rot, rote Lombarden (zwei bis sechs Zeilen hoch), auf fol. 1r Initiale in Blau (ausführliche Beschreibung bei Miller 2005). Datierung: unsicher, da die Datierung der Schlussschrift (Weihnachtsabend 1470) nicht zutrifft; die Angabe zur Übergabe der Handschrift im Jahre 1480 kann stimmen (Widmungsbild). Lokalisierung: rheinfränkisch

1.6 Der Prosaroman Een schoone historie van Margarieten van Limborch – Drucke und Bearbeitungen bis zum 20. Jahrhundert Een schoone historie van Margarieten van Limborch, ende van Heyndric haren broeder die veel wonderlike auentueren ghehadt hebben. want margrieta wert een coninghinne van Armenien. Ende heyndric door sijn grote vromicheyt wert eyn keyser van Griecken. Ende noch van veel ander kerstenen heeren die sijn mede hulpers waren. Ende van haerder groter victorien die si door gods hulpe vercreghen teghen die sarracenen. Druckort, Drucker und Jahr: Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516 Ex.: Washington, Library of Congress, Lessing J. Rosenwald Collection, PT 5561.H3S3; Brussel, Koninklijke Bibliotheek Albert I, Cl 13.176 (ohne Titelblatt) Einrichtung: 2°, A 6, B–C 4, D 6, E 4, F 6, G–H 4, I 6, K 4, L 6, M 4, N 6, O 4, P 6, Q 4, R 6, S 4, T 6, V 4 Een schoone historie van Margarieten van Limborch ende van Heyndric haren broeder / die veel wonderlike auentueren ghehadt hebben. want margrieta wert een coninghinne van Armenien. Ende heyndric door zijn grote vromicheyt wert eyn keyser van Griecken. Ende noch van veel ander kerstenen heeren die sijn mede hulpers waren. Ende van haerder grooter victorien die si door gods hulpe vercreghen teghen die Sarasinen. Druckort, Drucker und Jahr: Antwerpen: Simon Cock, 1544

Prosaroman Margariete van Limborch (1516) 

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Ex.: London, British Museum, 12403.c.2(1) Einrichtung: 2°, A–Z4 Die historie van die schone Margriete van Lymborch Ende van Heyndrick haeren Broeder / die veel wonderlijcke avontueren ghehadt hebben / want Margrieta wert een Coninginne van Armenien / ende Heyndrick door zijn groote vromicheyt wert een Keyser van Griecken ende noch van ander Kerstenen Heeren die ijn mede hulpers waren. Ende van haerder grooter victorien die sy (door Gods hulpe) vercreghen teghen die Sarasijnen. Druckort, Drucker und Jahr: Hoorn: Ewoudt Cornelsz. Muller, 1590 Ex.: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, H: P 530.4º Helmst. (1) (olim: Cim. 61) Einrichtung: 4°, A–U4 De historie van Margrieta van Limburgh: en Hendrick haer broeder, die veel wonderlijcke avontueren gehadt hebben; want Mar­grieta wert Coninginne van Armenien, en Hendrick, door sijn groote vromigheyt, Keyser van Griecken; en noch van ander kersten heeren die sijn medehulpers waren: van haer groote victorie die sy (door Gods hulpe) verkregen tegen de Sarazijnen. Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: Jan J. Bouman, 1662 Ex.: Amsterdam, UB, O 83–15 Einrichtung: 4°, A–H8, I 4 Een schone historie van Margrieta van Limburgh: en Hendrik haer Broeder die veel wonderlyke Avonture gehad hebben: want Margrieta werd Coningin van Armenien; en Hendrik / door zijn grote Vromigheid Keiser van Grieken; Ende nog van andere Kersten Heeren die zijn Mede-hulpers waren. Van haar groote Victorie die zij (door Godes hulpe) verkregen tegen de Sarazijnen. Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: Gysbert de Groot Keur, 1739 Ex.: Leiden, UB, BKNOOG 111 Einrichtung: 4°, A–P4, mit Approbation: „Dese schoone historie van Margrieta van Limborch is geconsenteert te mogen drukken. Gegeven tot Brussel Anno M. D.L.IIII. Ondertekend T. Christianus.“ Een schoone historie van Margareta, des Hertogen Dogter van Limburgh en van haar broeder Hendrik, Druckort, Drucker und Jahr: ohne Ort, ohne Jahr [18. Jh., Titelblatt fehlt] Ex.: Leiden, UB, BKNOOG 114 Einrichtung: 4°, A–P4 Een schoone historie van Margrietje van Limborg welke met haer Vader op de Jagt reed om eenig Wilt te vangen en hoe dat zy van haer vader verdoolde ny ongelu en wat zeldzame Avonturen haer door toedoen van de Helsche Vyand wedervaren is: welke haer tot wanhoop wilde brengen en hoe standvastig zy bleef in deeze Perykelen en zeer mannelyk heeft gedragen. Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: Barent Koene, 1770 Ex.: Den Haag, KB, 1072 G 18 Einrichtung: 4°, A–P4

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 Einleitung

Een schoone historie van Margarieten van Limburgh en Hendrik haar broeder, die veel wonderlijke avontuure gehad hebben […] Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam, Joann. Kannewet, [ca. 1770] Ex.: Amsterdam, UB, 2444 G 5 Einrichtung: 4° Een schoone historie van Margareta van Limburgh; en Hendrik haar Broeder / die veel wonderlijke Avontuure gehad hebben: want Margareta werd koninginne van Armenien; en Hendrik door zijn groote Vromichheyd  / Keyser van Grieken; ende nog van ander Kersten Heeren die zijn Mede-helpers waaren. Als mede van de groote victorie die zy (door Godes hulpe) verkregen tegen die Sarazijnen. Druckort, Drucker und Jahr: Deventer: Jan de Lange, 1773 Ex.: Leiden, UB, 1149 C 30; Den Haag, KB, 29 D 44 Einrichtung: 4°, A–P4, mit Approbation: „Deze Schoone historie van Margrieta van Limburgh / is geconzenteert te mogen Drukken. Gegeven tot Brussel Anno M. D. C.IIII. ondertekend T. Christianus.“ [Margarieten van Limburg], Nijmegen: Isaac van Kampen, 1773 Ex.: nicht bekannt, erwähnt bei Schellart 1952, S. XX Een schoone historie van Margareta van Limburgh en Hendrick haar broeder Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam, Erven H. van der Putte und B. Boekhout, [ca. 1780] Ex.: Amsterdam, UB, Br. Cz 3; Amsterdam, UB, O 61–5864 Een schoone historie van Margareta van Limburg, en Hendrik haar broeder, die veel wonderlyke avontuuren gehad hebben: want Margareta wierd koninginne van Armenien en Hendrik  / door zyn groote Vroomigheid, Keyzer van Grieken en nog van Andere Kersten Heeren, die zyn Meede-helpers waaren. Als meede van de groote Victorie die zy (door Godes hulpe) verkreegen teegen de Sarazynen. Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: Erben der Witwe des Jacobus van Egmont, 1785 Ex.: Amsterdam, UB, UBM: 2007 A 17; Leiden, UB, BKNOOG 112 Einrichtung: 4°, A–P4, mit Approbation wie 1739, aber mit der Jahreszahl „Anno M. D. C.IIII.“ Een schoone historie, van Margareta van Limburgh, en Hendrik haer broeder, die veel wonderlyke avontuure gehad hebben want Margareta werd Koninginne van Armenien  / en Hendrik door zijn groote vroomigheid  / Keyser van Grieken  / en nog andere Kersten Heeren  / die zijn Medehelpers waren. Als mede van de groote Victorie die zy (door Godes hulpe) verkregen tegen de Sarazynen. Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: S. und W. Koene, 1798 Ex.: Amsterdam, UB, 1088 E 17; Amsterdam, UB, O 61–1866; Gent, UB; Den Haag, KB, 185 C 12; Leiden, UB, 1214 G 19; Leiden, UB, BKNOOG 113 Einrichtung: 4°, A–P4, mit der Approbation wie bei dem Druck aus dem Jahr 1739, allerdings mit der Jahreszahl „Anno M. D.IIII“79

79 Somit ergeben sich in den Margarieten-Drucken zwei verschiedene Angaben bezüglich der Approbation: 1554 (Drucke 1739, evtl. 1798) und 1604 (Drucke 1773, 1785).



Drucke von Exzerpten (aus dem Königsspiel) 

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Een schoone historie, van Margareta van Limburgh en Hendrik haer broeder, die veel wonderlyke avontuure gehad hebben want Margareta werd koninginne van Armenien, en Hendrik, door zijn groote vroomigheid, keyser van Grieken en nog andere kersten heeren, die zijn medehelpers waren: als mede van de groote victorie die zy (door Godes hulpe) verkregen tegen die Sarazynen Druckort, Drucker und Jahr: Amsterdam: S. und W. Koene, [ca. 1805] Ex.: Den Haag, KB, 26 J 62; Utrecht, UB, Moltzer 6 A 7 Einrichtung: 4° Pierre Kemp, Margreetje van Limburg, in: P. K., Limburgs sagenboek, met een inleiding van Frans van Oldenburg Ermke. Maastricht (1925) 19682, 71–76. Albert Verwey, De Roman van Heinric ende Margriete van Limborch, in hedendaags nederlands naverteld en ingeleid. Santpoort 1937. Jacques Schreurs, Het lied van den sluier (erschienen in: De Vrije bladen 17/3). Den Haag 1940. Jacques Schreurs, Het kind Margreet, in: Jacques Schreurs, Odyssee van het kind Margreet. Utrecht/Brüssel 1946 (= Schreurs 1940). Marie Koenen, De sage van Margreetje van Limburg, in: M. K., Limburgsche verhalen. Brüssel 1950, 238–256.

1.7 Drucke von Exzerpten (aus dem Königsspiel)80 Int paradijs van Venus. Dye amoreuse vraghen der liefden. Ende noch meer ander vraghen van Venus discipulen, ghemaect bi eenen eedelen ioncheere ende een edel ioncffrouwe. Druckort, Drucker und Jahr: Utrecht: Jan Berntz., ca. 1530 Textausgabe: Braekman, W. L. (Hg.), Int paradijs van Venus. Een Nederlands Volksboek, naar het uniek exemplaar van de Utrechtse druk door Jan Berntsz. van ca. 1530, met toelating van de British Library. Sint-Niklaas 1980 (Zeldzame volksboeken uit de Nederlanden 4). Dboeck der amoreusheyt. Inhoudende diuersche Minnebrieuen  / Refereynen  / Baladen  / Meyespraken / Tafelspelen / Batamenten / Gheraetselen / ende meer andere / zeer ghenoechelijck voor den swaermoedighen Minnaer. Druckort, Drucker und Jahr: Antwerpen: Guillaem van Parijs, 1580 (Königsspiel auf fol. J1v– J7v) Ex.: Leiden, UB, 1497 F 21: 1

80 Im Folgenden sind einige wenige Beispiele für spätere Zusammenstellungen verschiedener Fragen des Margarieten-Prosaromans in der reichen Tradition der Königsspiele und verwandter Rätselsammlungen aufgeführt (vgl. van der Poel 1991 und van der Poel 1992 sowie Kapitel 3.2.3). Bei den einzelnen Werken sind, wenn möglich, Informationen zu Textausgaben, die nicht eigens im Literaturverzeichnis aufgenommen wurden, angegeben.

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 Einleitung

Tprieel der Amoreusheyt, met d’epistel der minnen Druckort, Drucker und Jahr: Rotterdam 1596 Ex.: Amsterdam, Bibliothek des Nederlands Instituut voor Wetenschappelijk Onderzoek, G 324. Een niev clucht boecxken. Inhoudende vele schoone vragen ende antwoorden in maniere van geraetsels. Vergadert wt diuersche Boecken ende is seer gheneuchlijck om droefheyt ende melancholie te verdrijuen. Druckort, Drucker und Jahr: Antwerpen: Pauwels Stroobant, ca. 1600 Ex.: Antwerpen, Museum Plantin-Moretus, R 48.27 Textausgabe: Braekman, W. L. (Hg.), Een Nederlands raadselboek uit de zestiende eeuw. Brüssel 1985. Cruyt-hofken. Vol lieflijcke / Ghenuchlijcke / ende wtghelesen Bruyloft-spelen ende Tafelspelen / soo wel van 1.2.3. als meer personen. Desghelijcx een Batement ende een Coninc­ spel / al tsamen seer ghenuchlijck ende profijtelijck voor alle Liefhebbers van de lofwaerdighe Const van Rhetorica, ende voor melancholijcke menschen om haer swaermoedicheyt te verdriven. Druckort, Drucker und Jahr: Delft: Bruyn Harmanssz Schinckel, 1600 Ex.: Paris, Bibliothèque Nationale de France, Yi 2698 Einrichtung: 8°, A–F8 (Königsspiel entsprechend der Historie van Margarieten auf fol. F1r– F6r)

1.8 Auswahl der Textzeugen Um aus den Überlieferungsträgern der Tradition des Margriete-Stoffes die für die vorliegende Untersuchung relevanten Textzeugen auswählen zu können, waren verschiedene intensive Vorarbeiten wie eine gründliche Analyse der erhaltenen Fragmente notwendig. Bei den späteren Versionen war dies verhältnismäßig einfacher, da der Margreth-Roman Johanns von Soest in nur einer Version vorliegt und der früheste Margarieten-Prosaroman von 1516 als Prätext der späteren Drucke gelten kann. Komplizierter ist die Lage beim niederländischen Versroman. Handschrift A besteht in der Ausgabe Van den Bergh aus 21.845 Versen, Handschrift B in der Ausgabe bei Meesters aus 23.016 Versen.81 Die brabantische Handschrift A ist älter und repräsentiert den Sprachstand der frühesten Version offensichtlich zuverlässiger. Handschrift B, in ripuarischer Schreibsprache

81 Van den Bergh hat in seiner Ausgabe der Leidener Handschrift sehr häufig Verse eingebaut und mitgezählt, die er aus der Handschrift B übernommen hat (B I:2545–2546, 2566–2567; B  III:663–668; B IV:458, 2059–2063; B VI:2338–2339, 2345–2346; B VII:650–651; B X:805–808). Der Unterschied von 1171 Versen entspricht demzufolge nicht ganz den wirklichen Verhältnissen.



Auswahl der Textzeugen 

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verfasst, ist jünger und bietet den Roman in einer anderen Sprache als die der Herkunft der ersten Version. A und B gehören zwei unterschiedlichen Strängen der Überlieferung an.82 Die erhaltenen Fragmente sind unentbehrlich für eine Beurteilung der Frage, ob in der brabantischen oder in der ripuarischen Handschrift gegenüber dem ursprünglichen Text inhaltliche Eingriffe vorgenommen sind.83 Vergleich der Verszahl der Handschriften A und B:84                                     jeweiliges Fragment Buch  A  B  A  B I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII

37 23 15 18 16 43 40 48 23  9 18 66

 8685  16  12  1486  13  30  63  31 122 122 513 515

 –  6  –  5  2  4  – 31  2  1  7  –

  –   8   2   –   –   –   –   4 111   6 108   –

Hinsichtlich der Frage, welche Handschrift die früheste Version zuverlässiger repräsentiert, ergaben verschiedene Untersuchungen, dass B zuverlässiger ist,

82 De Haan 1994, S. 143–144. 83 Vgl. die Einführung in der Edition der Fragmente von De Wachter / Schlusemann u. a. 2001. 84 Die Tabelle zeigt in der zweiten Spalte die Anzahl der Verse, die in A und nicht in B vorkommen, in der dritten die Anzahl der Verse, die in B und nicht in A vorkommen (Beispiel: Hs. A hat in Buch I 37 Verse, die nicht in B vorhanden sind, B hat hier 86 Verse ohne eine Entsprechung in A) sowie in der vierten und fünften Spalte die Anzahl der Verse in A bzw. B, die mit denen in den Fragmenten übereinstimmen (Beispiel: in Buch II hat A 6 Verse, die mit einem Fragment übereinstimmen, und B 8). 85 Meesters hat in seiner Ausgabe des Textes vier Leerzeilen eingefügt, von denen er annimmt, dass sie in dem Ursprungstext gestanden haben (B I:869, 874, 1949, 1952). Bei diesen Versen gibt es keine Entsprechung in A, und Meesters räumt selbst ein, dass sie von einer zweiten Hand stammen (S. LXI). 86 B weist an einer Stelle einen deutlichen Fehler auf: der Textabschnitt B IV:975–982 ist wörtlich gleich mit 924–930 und 983 (8 Verse) und dementsprechend als hinzugefügte Wiederholung einzuordnen.

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 Einleitung

da in A vor allem in den letzten vier Büchern bedeutungsträchtige Kürzungen in großem Umfang vorgenommen worden sind. Die brabantische Handschrift A, der Codex Deschamps und die Michelstädter Fragmente wurden von einem Schreiber angefertigt. Dieser besaß ein großes Maß an Flexibilität, denn er kürzte den Erzähltext auf verschiedene Art und Weise, häufig sehr gekonnt, ohne dass die Auslassungen unbedingt direkt auffallen, vor allem in den letzten vier Büchern.87 So kommen in der ripuarischen Handschrift in Buch XI 513 Verse und in Buch XII 506 Verse vor, die Handschrift A nicht hat, während es im umgekehrten Fall lediglich 18 bzw. 66 Verse sind. Gekürzt werden Kampfhandlungen, der Abschluss einer Szene, Erzählerkommentare oder auch verschiedene Reimpaare. Dabei bemüht sich der Schreiber sehr darum, den Wegfall der Textstellen so geschickt wie möglich zu gestalten, so dass die Kürzung gar nicht auffällt oder nur auffällt, wenn man äußerst aufmerksam liest. Die ripuarische Handschrift gibt in dieser Hinsicht die ursprüngliche Version getreuer wieder, auch wenn sie sprachlich davon mehr als A abweicht. Daraus folgt, dass bei einer Interpretation des Margriete-Versromans vor allem die ripuarische Handschrift zu berücksichtigen ist. Sie muss erstens inhaltlich als am besten erhaltener Repräsentant des ursprünglichen Margriete-Romans gelten und bietet die Basis für eine Interpretation des Romans (Kapitel 3). Zweitens stellt sie auch eine Version dar, die die östliche Wanderung des Margriete-Romans in den ripuarischen Sprachraum bezeugt (Kapitel 6). Drittens bietet sie den Text, der der Vorlage für den Margreth-Roman des Johann von Soest und der des Prosaromans am nächsten steht (Kapitel 4 und 5).

87 Zum Folgenden ausführlich Schlusemann 2003.

2 Paratexte Schriftlich fixierte literarische Werke sind in den meisten Fällen von einem Beiwerk umgeben, das Genette unter dem Terminus „Paratext“ zusammengefasst hat. Zu diesem gehören Titel, Widmung, Vorwort, Titel der Kapitel und Illustrationen.1 Im Folgenden werden die Paratexte der ripuarischen Version des MargrieteRomans, der Heidelberger Handschrift des Romans Johanns sowie der bei Willem Vorstermann erschienenen Postinkunabel Historie van Margarieten vorgestellt.

2.1 Titel, Autor und Dedikation 2.1.1 Titel und Autor in Margriete van Limborch Der Versroman Margriete van Limborch ist wie die meisten mittelalterlichen Texte ohne expliziten Titel überliefert. In der Forschung wurde bisher die Bezeichnung Roman van Heinric ende Margriete van Limborch bevorzugt. Das Wort Roman ist jedoch eine Gattungsbezeichnung, die im Niederländischen bzw. Deutschen erst seit dem 15. bzw. 17. Jahrhundert epische Werke bezeichnet.2 Als Gattungsbezeichnung wählte der Autor des Versromans in seinen Prologen die Termini „gedicht“, „historie“ oder „jeeste.“3 Die früheste überlieferte Titelangabe für diesen Roman verwendete der bayerische Adlige Jacob Püterich von Reichertshausen (ca. 1400–ca. 1469), der das Werk in seinem „Ehrenbrief“ aus dem Jahr 1462 „Margareth von Lünburg“ nannte.4 Diesen Brief schrieb er an die spätere Erzherzogin von Österreich Mechthild von Rottenburg (1419–1482), die Schwester des Heidelberger Kurfürs­ ten Ludwig IV. (1424–1449) und seines Nachfolgers Friedrich des Siegreichen (1425–1476).5 Aufgrund der Nennung im „Ehrenbrief“, in dem Püterich den Margriete-Roman als ein ihm unbekanntes Werk bezeichnet, das sich in Mechthilds

1 Genette 1989. Weitere dem Paratext zuzurechnende Begleittexte wären z. B. das Motto oder die Anmerkungen. 2 Mit unterschiedlichen Aussagen Kluge 1999, S. 691, und DWB, s. v. „Roman“. 3 In jedem Prolog kommt mindestens eine der drei Bezeichnungen vor: B I:18, II:7, III:7, IV:3, A V:4, B VII:3, VIII:5, A IX:6, B X:22, XI:6, XII:35. 4 Der Name „Lünburg“ ist offensichtlich aus einer Verlesung entstanden (Jacob Püterich 1999, Str. 99). 5 Sie heiratete im Alter von 15 Jahren Graf Ludwig I. von Württemberg und nach seinem Tod 1451 Erzherzog Albrecht VI. von Österreich (1418–1463). Nach dessen Tod zog sie sich auf ihren Witwensitz Rottenburg am Neckar zurück (Grubmüller 1999). DOI 10.1515/9783110452518-002

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 Paratexte

Besitz befand, und inhaltlicher Schwerpunktsetzungen im Roman wird hier vorgeschlagen, den Roman fortan als Margriete van Limborch zu betiteln. Über den Autor des mittelniederländischen Romans Margriete van Limborch sind keine Lebensdaten bekannt. Hs. A nennt im Epilog einen „heinriic“ (fol. 119v), der „dit maecte  / Ende soe hi best conste geraecte.“ Das Verb „maecte“ kann sich jedoch sowohl auf die Tätigkeit eines Dichters als auch die eines Kopisten beziehen, so dass die Verse zur Bestimmung der Person des Dichters wenig Aussagekraft besitzen.6 In jedem Fall muss es sich bei dem Dichter des Margriete-Romans aufgrund seiner Belesenheit und der Verwendung verschiedener niederländischer, französischer und lateinischer Quellen aus den Bereichen der Fiktion, der Fürstenspiegelliteratur und der Naturwissenschaft um eine gelehrte Persönlichkeit gehandelt haben, die zudem in der Lage war, ihre verschiedenen Fäden zu einem strukturierten riesigen Gobelin zu weben.7

2.1.2 Titel, Autor und Dedikationsbild in Johann von Soest, Margreth von Limburg Der Roman Margreth von Limburg des Johann von Soest erhielt in der Forschung die Bezeichnung „Kinder von Limburg“, zuerst von Mone, der sich als Erster ausführlicher mit dem deutschen Roman Johanns beschäftigte.8 Offensichtlich geschah die Namengebung aufgrund der Eintragung „Roman der Kinderen van Limborg verdeeld in XII Boeken“ auf dem Vorsatzblatt der Leidener Handschrift.9

6 Ausführlich dazu Meesters 1951, S. XLI–XLII, sowie Hegman 1956 und Hegman 1958, auch zu den inzwischen veralteten Theorien, Hein van Aken, der Autor des niederländischen Roman van de roos, sei der Dichter des Werkes. Die Echtheit der Verse des Epilogs in Hs. A ist aufgrund von inhaltlichen und kodikologischen Argumenten wiederholt angezweifelt worden (Lievens 1960, De Wachter 1998a, S. 361), da sie in der Handschrift auf einem neuen Blatt von einer anderen Hand geschrieben wurden. Dennoch wurde der Autor oftmals als Hein van Aken identifiziert, ein Dichter, der aufgrund der Nennung im Lekenspieghel des Jan van Boendale vor 1330 gestorben sein muss (Kap. CXXVIII, V. 96). 7 Margriete (Ausg. Meesters 1951), S. XXVI; De Wachter 1998a, S. 353–357, zu den Quellen S. 83–351. 8 Mone 1835. 9 Die Eintragung stammt von B. Huydecoper (1695–1778), dem ersten bekannten Besitzer der Leidener Handschrift, der sie 1738 zusammen mit den Leidener Handschriften Ltk. 191 und 537 erwarb. 1779 kaufte Z. H. Alewijn (1742–1788) die Handschrift, verlieh dem Text den Titel „Roman van de kinderen van Otte van Limborch“ und wies darauf hin, dass Huydecoper den Versroman auch „Roman van Limburg“ oder auch einfach „Limburg“ oder „Limborg“ zu nennen pflegte. Vgl. Mone 1838, S. 86–87.



Titel, Autor und Dedikation 

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Der deutsche Roman leitet sich selbst mit folgendem Incipit ein: „Hy hebet an eyn buch von margrethen eyn hertzogynne von lymburg“.10 Dieser erste Hauptsatz nennt den Titel, der zweite Hauptsatz und die Nebensätze besprechen näher die materia. Daher erscheint es angemessen, den Roman Johanns von Soest dieser Namensgebung im Text entsprechend nach der Hauptfigur Margreth als Margreth von Limburg zu bezeichnen.11 Im Gegensatz zum niederländischen Versroman nennt sich der Dichter des deutschen Romans exponiert im Kolophon: 3660 3665 3670

DIs buch das hot durch gross begyrt Iohannes sust getransferyt Eyn syngermeister vsserkorn Hertzog philypsen hogeborn Pfaltzgraff vnd kurfurst myt gewalt In der tzyt als men tusent tzalt Vyrhundert dar tzu sybentzygk Gentzlich bereit durch als geschick Mit rym. Mit schryfft bys off den grät In aller mass wy ess hy stät Off wynacht abent vmb echt vr Des morghens frw myt arbeit swr Verfult durch hulffe gotz tzu eern Neest got Sym allerlybsten hern Fur obgenent In toghent vol Der syn da by gedencken sol Et sic est huius finis. sit gloria in diuinis; Patri & dei filio. & spiritui sancto; (E 11:3657–3674)

Der Autor des Romans, Johann von Soest (1448–1506),12 gehört zu den interessantesten und vielschichtigsten Persönlichkeiten des späten 15. Jahrhunderts.13

10 Die Transkription der zitierten Textstellen erfolgt wegen Ungenauigkeiten in der Edition des Werks von Klett 1975 nach einer digitalen Reproduktion der Handschrift (http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/cpg87) unter Beibehaltung der Verszählung bei Klett. Satzzeichen werden nach der Schreibweise der Handschrift übernommen, ebenso wie die Groß- und Kleinschreibung. 11 In der Heidelberger Handschrift befand sich eine inzwischen verloren gegangene Notiz, die das Werk als „Historia Margaritae Limburgensis Joan. de Suzato“ bezeichnet (Bartsch 1887, S. 22, Nr. 51; Miller 2005). Zu den unterschiedlichen Namensformen in den verschiedenen Margriete-Werken siehe das Namenregister. 12 In den verschiedenen Quellen auch von Soist, Sust, Sost, de Suzato, Hans von Sost. 13 Zum Einfluss des Humanismus Heimann 1986 und Schlusemann 2003b.

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 Paratexte

Johann von Soest lebte in Unna, Menden, Soest, Kleve, Brügge, Aardenburg, Maastricht, Köln, Kassel, Heidelberg, Worms, Oppenheim und Frankfurt am Main. Er war hauptberuflich als Sängermeister und Stadtarzt tätig, seine Schreiberei war eher eine Nebentätigkeit. Trotz seiner zahlreichen Werke aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ist er wenig bekannt. So heißt es auch im Verfasserlexikon: „Von den literarischen Werken hat bisher nur sein Erstling KvL [Margreth von Limburg, R. S.] eingehendere Würdigung erfahren.“14 Dabei wird gleichzeitig eingeräumt: „Johann könnte nicht nur wegen seines interessanten Werdegangs, sondern auch bildungsgeschichtlich, als auch als künstlerische Existenz zwischen Hof und Stadt … von exemplarischer Bedeutung sein.“15 Nach der Darstellung in seiner Autobiographie wurde er in Unna als Sohn des Steinmetzen Rotcher Grummelkut und der Werlerin Wendel Hussel geboren. Als sein Vater 1451 starb, zog seine Mutter von Unna über Menden nach Soest, wo Johann ab seinem 9. Lebensjahr als Chorschüler am St. Patroclusstift ausgebildet wurde. Johann I., Herzog von Kleve und Stadtherr von Soest, holte Johann zur Ausbildung an seine Hofkapelle, die für 1467 fünf festangestellte Sänger nennt.16 Johann von Soest begab sich dann nach Brügge, wo er an der Kirche St. Dona­tiaan, der Hofkirche der Grafen von Flandern, wahrscheinlich unter dem berühmten Succentor Cornelius Heyns (vor 1440–1485) polyphone Musik erlernte, um danach im Stift Aardenburg als capellon zu arbeiten, wie er selbst es nennt.17 Danach war er in der Kirche Onze-Lieve-Vrouwe zu Maastricht als Succentor tätig. Spätestens 1469 kam er nach Köln zu Hermann (um 1450–1508), Landgraf von Hessen, dem damaligen Probst zu St. Gereon, der 1480 Erzbischof von Köln wurde. Er schickte Johann zu seinem Bruder Ludwig II. (1438–1471),

14 Bonath 1983. 15 Bonath 1983. Vgl. auch Buchner 1936; zum Werdegang Johanns auch Stein 1921 und Pietzsch 1965, Žak 1993, Weddige 1998. 16 Brunner 1991 zum Autorentyp Johann von Soest, Schläder 1986 zum Lebensweg Johanns aus musikwissenschaftlicher Sicht. 17 Wiegand 1922, Bl. XIIIb. In der einschlägigen Literatur hat sich seit Pfaff 1887, S. 151, die falsche Ortsangabe Hardenbergh / Overijssel eingebürgert, obwohl Johann in der Autobiographie explizit Aardenburg nennt: „von bruck (= Brügge, R. S.) kam ich zu Ardenburg“ (Wiegand 1922, S. 25). – Aardenburg besitzt eine reiche Vergangenheit. Die Stadt liegt im äußersten Süden der heutigen niederländischen Provinz Seeland, drei Kilometer von der belgischen Grenze entfernt (www.aardenburg-cultuurstad.nl). Die ältesten Spuren einer Besiedelung stammen aus dem 7. Jahrtausend v. Chr. Im Frühmittelalter wurde der Ort Rodenburg genannt. Ab dem 12./13. Jahrhundert erlebte er ein großes Bevölkerungswachstum. Die große Sint Baafskerk wurde ca. 959 erbaut und gehörte zur Genter Abtei. Ob es sich um diese Kirche handelt, bei der Johann tätig war, ist nicht eindeutig geklärt, es ist jedoch wahrscheinlich, da es die einzige Kirche Aardenburgs war.



Titel, Autor und Dedikation 

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Landgraf von Niederhessen in Kassel, der am 6. November 1471 verstarb. Johann blieb hier, eigenen Angaben zufolge, zwei Jahre. Von dort aus begab sich Johann an den Heidelberger Hof, wo ihn Kurfürst Friedrich I. (1425–1476) am 22. November 1472 zum Sängermeister auf Lebenszeit ernannte.18 Der Vertrag bot für Johann weitgehende Sicherheiten, denn er garantierte eine Bezahlung von 40 Gulden jährlich, ein Hofkleid und Verpflegung sowie die Fortführung der Anstellung unter dem Nachfolger Friedrichs. Friedrich I. erließ noch 1472 eine „Ordnung der senngery“,19 die Johann zur Unterweisung und zum Unterhalt der Sängerknaben verpflichtete. Friedrich starb nach einer schweren Krankheit am 12. Dezember 1476. Etwa zwei Wochen vorher, am 30. November 1476, hatte Johann sich für das Studium der Medizin an der Universität Heidelberg immatrikuliert, blieb aber weiter als Sängermeister am Hof tätig. 1477 überließ Friedrichs Nachfolger Philipp der Aufrichtige Johann mehrere Stücke Land als Lehen, die er aber 1485 wieder zurücknahm.20 1490 gab es derartig handgreifliche Streitigkeiten zwischen Johann und dem kurfürstlichen Hofmarschall Hans von Dratt, dass Johann ins kurfürstliche Gefängnis kam und es erst wieder verlassen durfte, nachdem er schriftlich versprochen hatte, an den Sängern keine Rache zu üben.21 Vom 23. Juli 1490 ist eine Urkunde überliefert, in der er als „doctor Johan von Soist“ sowie „Sengermeister vnd doctor in der arztney“ bezeichnet wurde.22 Er hielt Vorlesungen, wiederum nach eigener Aussage, in Heidelberg und Pavia,23 und bewarb sich im Oktober 1491 erfolglos auf eine Stelle als Stadtarzt in Frankfurt am Main. Ab 1495 war Johann in Worms, ab 1499 in Oppenheim und bald darauf in Frankfurt als Stadtarzt tätig,24 wo er am 2. Mai 1506 starb. Aufgrund der Mobilität Johanns im niederdeutschen, niederländischen, mittel- und hochdeutschen Sprachgebiet und seiner Berufe kann man von einer fließenden Mehrsprachigkeit in verschiedenen deutschen und niederländischen Mundarten und im Lateinischen ausgehen. Zu seinen erhaltenen Schriften 18 „Wir Friedrich etc. bekennen etc. fur uns und den hochgebornen fursten unsen liben sone hertzog Philips etc. das wir unsern lieben getruwen Johannes von Soist sin leptag zu unserm sengermeister bestellt und offgenomen han also das er uns unsern lebtag lang und nach unserm tode dem egenanten unsern sone domit flißlich vnd getrulich gwarten sol in der capellen“ (GLAK 67/814, fol. 142v, Zitat nach Stein 1921, S. 8). Vgl. auch Žak 1993 zur Klever und Heidelberger Hofkapelle. 19 Zitiert mit falscher Jahreszahl bei Stein 1921, S. 10. Zur Sängerordnung auch Žak 1993, S. 155. 20 Pietzsch 1963, S. 680. 21 Backes 1992, S. 163; zu Dratt Andermann 1987. 22 Pietzsch 1963, S. 680; Transkription nach dem Original GLAK 67/1820, fol. 230v. 23 Stein 1921, S. 16. 24 Pietzsch 1963, S. 680–681.

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 Paratexte

gehören der Beichtspiegel Dy gemein bicht (1483),25 der lateinische Fürstenspiegel Libellus salutatis (1494),26 das Lobgedicht auf Worms Wie men wol eyn statt regyrn sol (1495),27 die Sonn- und Festtagsgedichte (um 1500)28 und eine Autobiographie (um 1505).29 Ein Gedicht zur damals hochaktuellen Diskussion um die unbefleckte Empfängnis Mariens mit dem Titel Eyn satzung wy dy mutter gotz maria on erbsond ontpffanghen ist (15. 01. 1502) kehrte 1998 an seinen alten Standort in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zurück.30 Zum Entstehungsprozess seines Romans Margreth von Limburg sagt das Ich: 5

Der hubschte furst in al tutschlant Mich seer off eyn tzijt hot ermänt Gebetten auch durch gross begyrt Daß ich dys buch ym transfyryrt Vss flemscher sprach Dy ist halp jutsch In disse sprach als ist hog tutsch Got wol das ich es treffen mog Das er dar in hab eyn genog (E 4:1–8)

Superlativisch spricht es hier den Auftraggeber in schmeichelnden Worten an, den es direkt zu Beginn seines Werkes als „pfaltzgraff“, „herzog … von Beyern

25 Eine gereimte Übersetzung des Beichtspiegels Modus confitendi von Andreas de Escobar oder André Dias. Andreas de Escobar oder Andreas Hispanus (geb. 1367 oder 1348 Lissabon – gest. nach 1440/1448) promovierte in Theologie in Wien 1393. Er wurde Abt des Klosters St. André de Rendulfe, Bischof von Ajaccio (1422), Titularerzbischof von Megara (1428). Vom Modus confitendi gibt es außer den lateinischen Textzeugen portugiesische und kastilische Übersetzungen (vgl. Martins 1937–1994, Bd. 3, Sp. 855–856). Der Beichtspiegel war bis 1500 bereits in mehr als 87 Drucken erschienen (Ausgabe des Johannschen Textes bei von Bahder 1888). Der Einfluss seiner Schrift auf deutschsprachige Beichtbüchlein wurde noch nicht untersucht. Borchling 1939, S. 29–36, nennt eine mittelniederdeutsche Übersetzung in der Privathandschrift Calbe, fol. 61r–80r. Bisher gibt es auch keine Untersuchung zur Übersetzung Johanns, die, wie seine anderen Werke, wegen der starken Veränderungen gegenüber der Vorlage, eher als Bearbeitung zu bewerten sein wird. Einige Ansätze des Vergleichs und bibliographische Angaben bei Schlusemann 2003b. 26 Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1475. Der Kurfürst Philipp gewidmete Text sollte aus drei Teilen bestehen, aber nur der erste ist erhalten: De regimine suipsius; De regimine domus siue familie; De regimine comitatus et principatus. Johann spielt auf sein Zerwürfnis mit dem Kurfürsten an und bittet, wieder in dessen Gnade aufgenommen zu werden. 27 Textausgabe in Auszügen: Heimann 1986. 28 Wiegand 1922, Schumacher 1993. 29 Ausgabe von Fichard 1811, Wiegand 1922. 30 Vgl. Horvath 1999 zur Geschichte der Handschrift.



Titel, Autor und Dedikation 

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und des romschen richs“ (E 1:57–59), „hertzog Philips“ (E 1:67, E 3:13) bekannt gemacht hat. Seine Quelle in „flemscher sprach“ habe er ins Hochdeutsche „transfyryrt“.31 Am folgenden Textauszug aus Buch XI sei die Art und Weise von Johanns Wiedererzählung, im Besonderen die Art des Umgangs mit den Versen der Vorlage, kurz erläutert, um die Arbeitsweise des Dichters Johann näher zu beschreiben. In der zweiten Fragerunde des Königsspiels muss Margriete Fragen der 16 anderen Teilnehmer beantworten: „Here, dit wil ich gerne wogen“, Margreta sprach: „das wil ich waghen.“ „Vrouwe, so wille ich dan vroegen“, Gelich in dem hub an tzu fraghen Sade Demophon mit blijden senne. Her Demophon myt frohem syn „So bidde ich uch dan, ver coningenne, Und sprach: „ich bit, fraw koninghyn, 705 Dat ir nü duet verstoen mir, 765 Thut mych versteyn eyn ding itz schon: Wat dinge dat mynne sij.“ Wass ist doch lyb?“ Dy wol geton „Tzworen, here“, sade die maget, Margretha sprach und antwort ym: „Itz tzu swoer, dat ir mich vrogt. „Dy frag, dy ich von uch vernym, Ich ben onder die vüete gevallen Dy ist furwar myr vil tzu swer, 710 Al/zü sere onder uch allen, 770 Das ich sy nit nach rechter leer Want/ich hie tzü domp tzü ben.“ Uss leghen mag, das ist das eyn. (B XI: 701–711) Das ander ist, ich byn alleyn, So syn ewer gar vil wyder mych. Solt ich dan allermennyglich 775 Bescheyden, das wer myr tzu hert, Dan ich hab sollichs nit gelert.“ (E 11:761–776)

Während Johann in den ersten vier Versen den Text noch beinahe wörtlich unter Beibehaltung der Reimwörter und auch die nächsten beiden Verse noch genau – ohne Übernahme der Reimwörter  – übersetzt, erweitert er die Beantwortung der Frage durch Margreth ab Vers 768. Auch wenn Margreth in Johanns Version ihre Antwort wie im Versroman mit einer Betonung des Schwierigkeitsgrades der Frage einleitet und die Aussage im Großen und Ganzen die Gleiche bleibt,

31 Am Ende wiederholt er das Wort (E 11:3658). Zu der Art der Arbeitsweise äußern sich die Übersetzer unterschiedlich. Während der Übersetzer des Johan ǔz dem virgiere beim Übersetzen vom „flemschen in unser dutsche slecht“ die Probleme der rechten Handhabung der Reime hervorhebt (Johann ǔz dem virgiere, V. 25–28), betont der Übersetzer des Malagis, dass er gern (Zauber) Witze benutzt habe: „Nun thün ich uch bekannt, / Als ich diß buch in flemsch fant, / Da must es mir gefallen. / Und das man davon wust zu kallen / In dieser oberlentschen grannycz, / Habe ich dorechtiger gauckel wicz / Gebrucht willenclich darinne, / Damit das auch der synne / Uns groben künczen worde wise“ (Ausgabe Malagis, V. 22994–23002).

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 Paratexte

reagiert sie danach mit einer ausführlichen Begründung, warum sie die Frage nicht gern beantworten möchte. Das Wort „transfyryrt“, mit dem Johann seine Tätigkeit beschreibt, im mhd. „transferieren“, im mnl. „transfereren“, von afr. „transférer“ und lat. „transferre“, bezeichnet das Übertragen eines Textes aus einer Sprache in eine andere.32 Für Johann bedeutet es jedoch offensichtlich nicht die wortgetreue Umsetzung seiner Vorlage ins Deutsche. Er adaptierte bzw. bearbeitete seine Vorlage, wie bereits Wirth ausführlich darlegte.33 Johann könnte dieses Wort benutzt haben, weil es für ihn die Bedeutung der freien Bearbeitung unter Beibehaltung der „materia“ trug,34 denn der Umgang Johanns mit seiner Vorlage entspricht einem Akt des Wiedererzählens. Beim Wiedererzählen dient der Stoff lediglich als Material, dem der Autor mit einer eigenen Form, sei es durch Zusätze, Auslassungen oder Änderungen, einen neuen Sinnrahmen verleiht. Johann behält die Chronologie der Fabel bei, schafft mit seiner Übertragung allerdings ein ganz neu wiedererzähltes Kunstwerk.35 Der Codex cpg 87 der Heidelberger Universitätsbibliothek mit dem Vers­ roman Margreth von Limburg wurde nach der Aussage des Dedikationsbildes im Jahre 1480 von Johann von Soest für Pfalzgraf Philipp den Aufrichtigen, Kurfürst bei Rhein, fertiggestellt.36 Die kolorierte Federzeichnung (283 × 189 mm, Anhang A, Abb. 1), die auf einem Blatt direkt vor dem Erzähltext eingeklebt ist, zeigt den knieenden Dichter, der sein Werk dem Mäzen überreicht.37 Das Spruchband mit

32 „Hier nemt ihesus kintsheit inde / Want icker nemmeer en vinde / Alsoese transfereerde Ieronimus ende keerde / Van ebreusche in latine tale / Want hi beide conste wale“, in: Jan van Boendale, Lekenspieghel (Brussel, KB, 15658, Buch II, Kap. 83, V. 29–34) und „Jhesus leven ende sijn bedriven / Dwelke leuen iacob van merlant / Transfereerde met sire hant / Vten boeke alsic versta / Datmen heet scolastica / Daer hijt set in dietsche tale / Harde scoene ende harde wale“ (ebd., Kap. 84, V. 6–12). 33 Wirth 1928. 34 Zur Interpretation des Terminus als „freie Übersetzung“ Duijvestijn 1983, S. 153; vgl. auch Beckers 1987, S. 242. 35 Worstbrock 1999, S. 139: „Der Wiedererzähler ist nach alledem im mittelalterlichen Verständnis kein Auctor, sondern ein Artifex“. 36 Vgl. die Beschreibung der Handschrift von Miller 2005, mit weiteren Literaturangaben. Der Einband war ursprünglich mit Rauten des Hauses Wittelsbach verziert, wie auch auf dem Dedikationsbild zu erkennen ist. 37 Zur kunsthistorischen Beurteilung der Zeichnung Filedt Kok 1985, S. 245. Nach Hess vermittelt die Zeichnung keine räumliche Vorstellung bis auf den dünnen Strich hinter den Figuren. Der knieende Dichter scheine in der Luft zu schweben. Die Figuren seien rein dekorativ auf die Bildfläche gelegt. Die dünnen Beine des Kurfürsten seien ohne sichtlichen Bezug zum Oberkörper am Gewandunterteil angehängt. Figuren und Gewänder hätten weder Relief noch Volumen (Hess 1994, S. 45).



Titel, Autor und Dedikation 

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der Aufschrift „Laborem hunc dux accipe; De musice Discipulo; Sed plus affectum suscipe; Johannes de suzato“ ist von der gleichen Hand geschrieben wie der Erzähltext der Handschrift.38 Da angenommen wird, dass die Handschrift ein Autograph Johanns ist, muss Johann von Soest auch der Schreiber des Spruchbandtextes gewesen sein.39 Die Zeichnung des Dedikationsblattes ist in engem Zusammenhang mit weiteren für den Heidelberger Hof entstandenen Werken zu sehen, im Besonderen mit den Abschriften von Texten antiker Autoren. Die Handschriften wurden oftmals von berühmten Meistern der Zeit illuminiert.40 Der Meister der Zeichnung in der Handschrift des Romans Margreth von Limburg wurde identifiziert als einer der Meister, die das zwischen 1470 und 1490 entstandene und 63 Pergamentblätter umfassende sogenannte Wolfegger Hausbuch der Fürsten illuminierten.41 Heute geht man davon aus, dass drei verschiedene Künstler das Hausbuch ausstatteten:42 der Meister der Genreszenen,43 die im Hausbuch jeweils zwei Seiten umfassen, der Meister der Gauklerszene44 und der Meister des Amsterdamer Kabinetts als Schöpfer der Kaltnadelstiche und der Planetenbilder.45 Das Dedikationsbild im Codex des Margreth von Limburg fertigte der Künstler, dem die auf ca. 1482–1487 datierten Genreszenen im Hausbuch zugeschrieben werden.46 Er war ab der

38 Vgl. Hess 1994, S. 147; Miller 2005. 39 Bonath / Brunner 1975. Der Schreiber verwendet häufig „v“ über „u“ und „^“ über „n“ zur genaueren Unterscheidung. 40 Im letzten Kapitel der Arbeit werde ich ausführlich die Literaturaufträge der Heidelberger Kurfürsten vor dem Hintergrund einer zu vermutenden Literaturpolitik analysieren. 41 Es bestand ursprünglich aus 96 Blättern (zwölf Lagen mit je vier Doppelbögen), von denen noch neun Lagen erhalten sind (Ausgabe: Hausbuch, mittelalterliches 1997). Das Hausbuch wurde im Jahr 2008 an einen unbekannten Käufer veräußert. 42 „Hausbuchmeister“ oder „Meister des Amsterdamer Kabinetts“ (nach den vorwiegend in Amsterdam erhaltenen 89 Kaltnadelstichen) waren in der Forschung die Bezeichnungen für diese Meister. Man ging auch davon aus, dass es sich nur um einen Meister handelt. 43 Hess 1994, S. 38–44. 44 Die Gauklerszene auf fol. 3a, datiert auf um 1466/70. 45 Verantwortlich für die Kaltnadelstiche, die Planetenbilder Mars, Luna, Sol (zum Teil); stehendes Liebespaar, um 1480 (Abb. 16 bei Hess 1994); Tafelbild mit dem sogenannten Gothaer Liebespaar (Abb. 116 bei Hess 1994). 46 Hess 1994, S. 45–57. Dieser hat ebenfalls das Planetenbild der Venus im Hausbuch vollendet, zum Beipiel die Figuren rechts unten. Übereinstimmend mit den Genreszenen sind außerdem die breiten Konturlinien und die typenmäßige Behandlung der Gesichter. Dem Meister der Genreszenen werden noch eine Reihe anderer Werke zugeschrieben: Drei Männer im Gespräch (um 1480), Schreitender Mann (um 1485), König Maximilian bei der Friedensmesse in Brügge (nach 1493), alle Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett. Nach Hess 1994, S. 24, sind bis auf zwei sämtliche Werke, die zuvor dem Meister des Amsterdamer Kabinetts

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 Paratexte

3.  Lage des Codex tätig. Eine Genreszene ist z. B. das Badehaus auf Bl. 18v/19r, das auf um 1482 datiert wird und mit der typenmäßigen Gestaltung der Gesichter sowie der Vernachlässigung der räumlichen Anordnung gleiche Merkmale wie die Federzeichnung des Dedikationsbildes aus dem Margreth-Roman aufweist (Anhang A, Abb. 2).47 Der Meister verwendete in den Genreszenen poliertes Gold und Silber, womit er kleine Details wie Gürtelschnallen und Speerspitzen ausstattete, was darauf schließen lässt, dass er eine Ausbildung als Buchmaler absolviert hatte.48 Dass er in der gleichen Werkstatt arbeitete wie der Meister, der einen Teil des Pontifikale des Mainzer Erzbischofs Adolf II. von Nassau illustrierte, ist eine bedeutsame Hypothese, auf die in Kapitel 6 eingegangen wird.49 Aufgrund der Ausstattung des Codex mit einem Titelblatt, das von einem sehr bekannten Meister gezeichnet wurde, und der Tatsache, dass andere Codici mit mittelalterlichen Romanen nicht immer so prachtvoll verziert wurden, kann man rückschließen, dass der Codex für den Heidelberger Kurfürsten ein sehr wichtiges Literaturprojekt darstellte.

2.1.3 Titelblatt Een schoone historie van Margarieten van Limborch Der niederländische Prosaroman Een schoone historie van Margarieten van Limborch erschien 1516 in Antwerpen bei Willem Vorsterman, der als Drucker, Buchhändler, Herausgeber und Buchbinder ca. 1504–1543 in der Stadt an der Schelde tätig war. 1512 wurde er Meister der Gilde Sint-Lucas und erhielt 1514 ein Patent zum Drucken. In den Jahren 1527 und 1542 war Vorsterman Dekan der Gilde. Rouzet bezeichnet ihn als einen Geschäftsmann, der „extrêmement actif“ war.50

zugeschrieben wurden, mit dem Meister der Genreszenen zu verbinden. Des Weiteren schuf er um 1475 die Entwürfe für einige Glasgemälde, die dann von einem Glasmaler ausgeführt wurden. Vgl. Hess 1994, S. 45–57, Abb. 42–52. 47 Die Räume sind in stereotyper Weise schraffiert. Der Schuh des Mannes rechts oben auf Bl.  18b entspricht genau den Schuhen des Kurfürsten auf dem Widmungsblatt im Roman ­Margreth von Limburg. Alle Abbildungen des Hausbuchs in der Facsimile-Ausgabe Hausbuch, mittelalterliches 1997; vgl. auch Hess 1994, S. 45–57, mit Abbildungen. 48 Hess 1994, S. 45. 49 Die Physiognomie vieler Figuren in den Illustrationen des Pontifikale erinnere an die Genreszenen im Hausbuch, ebenso wie die Faltengebung der Gewänder (Hess 1994, S. 45 und Abb. 32 und 38). Man vergleiche den Affen mit Bleikugel und den schlafenden Hund im Hausbuch auf fol. 18b und im Pontifikale auf fol. 115r. Vgl. Vaassen 1973, Sp. 1210. Vaassen 1973, Sp. 1209–1212, nimmt an, drei Meister seien an der Ausstattung des Pontifikale beteiligt gewesen. 50 Rouzet 1975, S. 239. Zum Verhältnis Willem Vorstermans zur Sint-Lucas-Gilde siehe van der Stock 1992.



Titel, Autor und Dedikation 

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Das Titelblatt des ohne Autorangabe überlieferten Prosaromans Een schoone historie van Margarieten van Limborch ist nur im Exemplar der Sammlung Lessing J. Rosenwald in der Library of Congress in Washington erhalten (Abb. A3). Es besteht aus einer für das frühe 16. Jahrhundert typischen Dreiteilung: Titel, Untertitel und Holzschnittillustration.51 Der in roter Tinte gedruckte Titel lautet: „Een schoone historie van margarieten van limborch“.52 Er nennt den Namen der Hauptfigur des Romans und ihre Herkunft. Der Roman wird im Titel der Gattung „historie“ zugeordnet, eine in der Frühen Neuzeit im Niederländischen, Deutschen und Englischen sehr übliche Bezeichnung für fiktionale Erzähltexte größeren Umfangs mit dem Anspruch, Wahrheit zu vermitteln.53 Zum Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts findet jedoch eine Verschiebung vom überwiegend lebenspraktisch Nützlichen zum erzählend Unterhaltenden, die Herausbildung eines Fiktionalitätsbewusstseins statt, das sich in Adjektiven wie „schoon“ auch im Titel der Schoone historie van Margarieten äußert. „Schön“ und „hübsch“ werden für alles verwendet, was gefallen soll.54 Die Schoone historie van Margarieten sei als Beispiel dafür verstanden, dass sich zwar langsam eine andere Form von literarischem Leben entwickelt, in welchem Texte auch mehr lesend rezipiert werden, aber das bedeutet nicht, dass Erzählliteratur bereits in dieser Zeit in breite Volksschichten vordringt. Nach dem Titel folgt als Untertitel eine Kurzzusammenfassung des Inhalts: ende van Heyndric haren broeder die veel wonderlike auentueren ghehadt hebben. want margrieta wert een coninghinne van Armenien. Ende heyndric door sijn grote vromicheyt wert eyn keyser van Griecken. Ende noch van veel ander kerstenen heeren die sijn mede hulpers waren. Ende van haerder groter victorien die si door gods hulpe vercreghen teghen die sarracenen.

Beide Hauptfiguren hätten viele „wonderlike auentueren“ durchgestanden. Das Adjektiv „wonderlic“ bringt die Neuheit und Außergewöhnlichkeit von Taten zum Ausdruck. Jan van Doesborch, einer der wichtigsten Drucker-Verleger Antwer-

51 Auf die handschriftliche Eintragung „Das ander Buech“ komme ich in Kapitel 6 zurück. 52 Die Nennung des Autornamens „Heyndric“ erfolgt erst in kleinerer Schrift darunter. Eine fast wörtliche Wiederholung findet sich zu Beginn des Textes. Die Abkürzungen sind bei dieser und den anderen Transkriptionen aufgelöst. 53 Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe von Texten, die „Chansons de geste“, höfische Romane, Schwankzyklen sowie genealogische und historische Texte einschließt (vgl. Knape 1984, Vermeulen 1986, Müller 1990). 54 Vermeulen 1986, S. 174.

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 Paratexte

pens, benutzt es sehr häufig, Willem Vorsterman dagegen eher selten.55 Vorsterman greift auf bewährte Stilmuster von Titelblättern zurück, wenn er im Weiteren hervorhebt, die Hauptpersonen würden zu bedeutenden Herrschern. Die beiden letzten Zeilen des Untertitels bringen mit der Erwähnung des Sieges der Christen über die Sarazenen das Thema der Überlegenheit des Christentums über den Islam zur Sprache und greifen damit auf eine der zentralen Wirkungsabsichten des Prosaromans vor. Die Titelblattillustration besteht aus einer für die Historie van Margarieten eigens angefertigten Hauptillustration in der Mitte, die einen Mann und eine Frau abbildet, sowie sieben kleinen Holzschnitten, von denen jeweils zwei den rechten und linken sowie drei den unteren Rand dekorieren. Der Mann links und die Frau rechts halten jeweils das gleiche Wappen in der Hand, das ein Löwe mit einem gespaltenen Schwanz ziert.56 Es ist, wenn auch ohne Krone, das Wappen des Herzogtums Limburg, das auch im Vers- und im Prosaroman mehrmals beschrieben wird:57 Van siluere metten leeuwe rike Van kelen metten sterte ghesplet. (A IV:466–467; siehe auch VII:284–285, B IV:459–460) Die ridder seide eenen rooden lijbaert in een silueren uelt den stert ghespleyt (P 86:100–101, P 70:104–106, P 82:233)

Sowohl Heyndrick als Bruder Margrietas als auch Etsijtes, der von Margrieta einen Schild überreicht bekommt, haben auf ihrem Schild das gleiche Wappen.58 Später ist die Tatsache, dass beide Ritter den gleichen Schild tragen, der Grund

55 Vermeulen 1986, S. 48, 51, 109. Von den 65 bei Vermeulen aufgelisteten Erstdrucken Vorstermans preisen nur 4 weitere die Geschichte als „wonderlic“ an (Nr. 9, 33, 46, 60). 56 Diese Titelblattillustration war im Laufe des 16. Jahrhunderts sehr beliebt, denn sowohl Vorsterman als auch andere Drucker setzten sie oder einen Nachschnitt vielfältig ein. Das Marga­ rieten-Titelblatt wird in (mindestens) neun Drucken für fünf verschiedene Inhalte eingesetzt. Willem Vorsterman verwendet die Illustration in den Romanen Die historie van Peeter van Provencen und für Hughe van Bourdeus (NK 3163). Ausführlich dazu Schlusemann 1995. 57 Janssens 1977a, S. 7; De Wachter 1998a, S. 373–374. 58 Die Beschreibung lautet genau: „die schonen schilt den leeu van kele int velt van silvere ghecroont gheclaeut ende ghetonct van finen goude“ (P 62:104–106, vgl. P 64:44–46). In Die excellente cronike van Brabant, Vlaenderen, Hollant, Zeelant (NK 654–656), die 1530 bei Jan van Doesborch erschien, heißt es beinahe wörtlich gleich: „Een wapenschilt van silvere daer in een leeu van goude, geclaut, ghetongt ende ghetant van keele“ (fol. 105d). Dieser Text wiederum war bereits 1512 bei van Doesborch unter dem Titel Die alder excellenste cronijke van Brabant Hollant Seelant Vlaenderen int generael erschienen (NK 652).



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dafür, dass sie gegeneinander kämpfen (P 82:223 und 232–233). Um bestimmen zu können, wen der Mann auf der Titelblattillustration abbilden soll, ist es nützlich, sich die Illustrationen anzusehen, die für die Historie van Margarieten eigens hergestellt worden sind. Auf diesen 11 Illustrationen ist Heyndrick nur einmal abgebildet, Margrieta hingegen fünfmal und Etsijtes sechsmal.59 Man kann daher annehmen, dass der Mann auf der Titelblattillustration Etsijtes darstellt. Aufgrund des Titels, der abgebildeten Figuren auf dem Titelblatt und der genannten Illustrationen betont das Erzählwerk selbst, dass es eine schoone historie von Margrieta erzählt, d. h., es inszeniert sich in erster Linie als Geschichte von Margrieta (und Etsijtes). Festzuhalten bleibt, dass die drei Margriete-Versionen dezidiert, und das gilt für die ganze Margriete-Tradition, die weibliche Hauptfigur als Kern des Geschehens in der schoone historie präsentieren.

2.2 Buch- und Kapiteleinteilung Der in den beiden in Leiden und Brüssel vollständig erhaltenen Handschriften überlieferte Versroman Margriete van Limborch ist in 12 Bücher eingeteilt. Johann von Soest gliedert seinen Margreth-Roman in 11 Bücher, der Prosaist wiederum unterteilt das Werk in 117 Kapitel.60 Im Folgenden sollen die Gliederungsprinzipien der drei Fassungen näher darauf untersucht werden, worin Übereinstimmungen und Unterschiede bestehen und nach welchen Kriterien die Unterteilungen vorgenommen worden sein könnten.

2.2.1 Die Einteilung des Romans Margriete van Limborch in zwölf Bücher Sowohl die Leidener Handschrift A als auch die Brüsseler Handschrift B weisen an den jeweils gleichen Stellen insgesamt 12 groß ausgeführte Buchstaben auf, die den Anfang eines neuen Abschnitts, hier Buch genannt, markieren. Die Anzahl der Verse pro Buch variiert zwischen 990 (Buch IX) und 2756 (Buch I) in der Leidener Handschrift und zwischen 1089 (Buch IX) und 2805 (Buch I) in

59 Heyndrick in B 23, Margarieta in B 5, 6, 12, sowie zusammen mit Etsijtes in B 25 und 36; Etsijtes außerdem in B 26, 28, 29 und B 30. 60 Die Kapitelnummer 112 wurde übersprungen, so dass die Nummerierung bis Kapitel  118 durchläuft.

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der Brüsseler Handschrift.61 Zum Vergleich: Im Roman Johanns umfasst das erste Buch 1172 Verse, das letzte Buch dagegen 3674 Verse. Jedes Buch wird in beiden Versionen von einem Prolog eingeleitet. In der Leidener Handschrift A sind elf der zwölf Initialen in rot und blau ausgeführt, nur die 12. Initiale ist rot-gelb. Bei der Eingangsinitiale ist das Blau nicht mehr sichtbar, allerdings noch etwas Fleuronnée in Rot. Die Höhe der Initialen variiert zwischen sechs und zwölf Zeilen.62 Die Brüsseler Handschrift B beginnt ab Buch II jeden neuen Prolog mit einer roten, drei Zeilen hohen Initiale. Am Eingang des Prologs zu Buch I steht eine Initiale mit dem Wappen der Grafen von Manderscheid-Blankenheim (s. Abb. V bei Meesters 1951). Sie ist in der gleichen Art wie das Wappen in der Hs. Köln, Historisches Archiv der Stadt, W* f° 30, ausgeführt.63 Der Margriete-Roman erzählt in den ersten sechs Büchern die Aventiuren von Margriete, Heinric, Echites und Evax. Buch I berichtet von Margrietes Weg, nachdem sie sich auf der Jagd verirrt hat, bis zu ihrer Ankunft in Konstantinopel.64 Die Bücher II und III widmen sich der Suche Heinrics nach seiner Schwester, bis er am Ende von Buch III in der Venusburg ankommt, wo ihm aufgetragen wird, auf Echites zu warten. Buch IV beginnt mit der Wahnsinnsphase des Echites am Athener Hof, es folgen der Besuch bei Margriete in Konstantinopel und sein Aventiureweg in Mailand und Frankreich. In Buch V eröffnet der Erzähltext nach dem Prolog mit „Evax de nü henen vert“ (B V:19), und die Perspektive wechselt somit zum Freund des Echites, der zusammen mit diesem Aragon erfolgreich verteidigt. Echites verlässt Aragon (B V:1808) und gelangt wie Heinric in die

61 Für eine Übersicht der Verse pro Buch und der Verteilung der Kapitel im Prosaroman siehe Schlusemann 1995; zur Kürzung in A in den Büchern IX–XII siehe Schlusemann 1996, zur Kürzung in Buch XI De Wachter / Schlusemann u. a. 2001, S. 8–11. 62 Rote Lombarden von zwei Zeilen Höhe dienen der weiteren Unterteilung. Die Anfangsbuchstaben der Verse stehen in einer separaten Spalte und sind gelb durchstrichen. Einige Anfangsbuchstaben im ersten Vers der jeweiligen Spalte sind groß geschrieben und gelb unterlegt. Einige Buchstaben der ersten Zeile einer Spalte sind extra lang ausgeführt oder mit kleinen Zeichnungen ausstaffiert, wie auch beim „Codex Deschamps“. Vgl. De Wachter / Schlusemann u. a. 2001. Abbildungen der Handschrift A bei Kienhorst 1988, Bd. 2, S. 67; Meesters 1951, gegenüber von fol. 41r (fol. 34r) und bei van Royen / Wolthuis 1996, S. 6 (fol. 98r). 63 Abb. bei Kasten / Paravicini 1998, nach S. 320. Den Text teilen rote Lombarden in einzelne Abschnitte ein, jedoch nicht auf fol. 69v–80v, wo sie fehlen. Die Anfangsbuchstaben der Verse sind rubriziert. Vgl. De Wachter / Schlusemann u. a. 2001, S. 31–33; Meesters 1951, S. LVIII–LX. 64 De Wachter / Schlusemann u. a. 2001. Das Ende von Buch I mit der Ankunft des Kaufmanns in Limburg ist als Überleitung zu Buch II zu verstehen. Der Kaufmann berichtet am Limburger Hof von seinen mit Margriete erlebten Aventiuren, bevor sich in Buch II Heinric auf die Suche nach seiner Schwester macht.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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Venusburg. In Buch VI wird Evax aufgrund seiner Verdienste für das Königreich letztendlich König von Aragon. Dieses geschieht erst, nachdem Evax und seine Geliebte Sibille, die noch verheiratete Königin von Aragon, nach ihrer gemeinsamen Flucht und der anschließenden Trennung unabhängig voneinander wieder den Pfad der Tugend eingeschlagen haben. Nach der Zeit der Trennung treffen die beiden sich in Venedig wieder und können anschließend in Aragon Hochzeit feiern. Wenn der Erzähler den Blick dezidiert auf eine andere Figur richtet, beginnt somit in der Regel ein neues Buch. Durch die Einteilung in Bücher grenzt der Autor die einzelnen in Entrelacementtechnik miteinander verbundenen Erzählstränge voneinander ab. Die ersten sechs Bücher sind wie eine Queste in der Artusliteratur aufgebaut.65 Inhaltlich kann man nach den ersten sechs Büchern eine Zäsur feststellen,66 da sich ab Buch VII der Mittelpunkt der Handlung vor allem auf das von den Sarazenen angegriffene Konstantinopel verlagert. Heinric und Echites helfen dem Kaiser von Konstantinopel bei der Verteidigung seines Reiches gegen den Sultan von Babylonien. Als die Nachricht eintrifft, dass Armenien angegriffen wird, schlägt Demophon, der Bruder des Sultans, einen Waffenstillstand vor, so dass die Christen unter der Begleitung Demophons abreisen können, um Armenien zu verteidigen. In Buch VIII wird der Angriff auf Armenien erfolgreich zurückgeschlagen, indem Demophon, in einem Zweikampf für die Christen kämpfend, den Riesen Polifemus besiegt. Aufgrund der Erbfolge wird Echites zum neuen König von Armenien. Die Kämpfe um Konstantinopel als Mittelpunkt des Christenreichs werden nach der Rückkehr der Kämpfenden aus Armenien wieder aufgenommen und dann auf Vorschlag Demophons mit einem Waffenstillstand unterbrochen (Buch IX). Im folgenden Buch X macht sich Jonas auf den Weg, um Evax für den Kampf um Konstantinopel zu Hilfe zu holen. Eine Spaziergangsallegorie mit Personifikationen von Lastern und Tugenden lehrt ihn in der „Avonturenburcht“ eine Herrschaftsethik. In Konstantinopel spielen während eines neuen Waffenstillstandes 16 christliche und sarazenische Männer und Frauen unter der Leitung von Margriete als „Königin des Spiels“ zusammen das so genannte Königsspiel mit Fragen und Antworten zur Liebe (Buch XI). Nach der erneuten Aufnahme der

65 Janssens 1976; De Wachter 1996; De Wachter 1998a, S. 87–88. Der Held verlässt den geschützten Raum und trifft auf eine Welt voll von Räubern und Gefahren, in der er sich erfolgreich beweist. Er erobert eine Geliebte, mit der er an den Artushof zurückkehrt. Eine Krise zerstört das Gleichgewicht, er muss das verlorene Glück erneut erobern und sein Leben in Harmonie mit den gesellschaftlichen Regeln bringen (vgl. zur Doppelwegstruktur u. a. Kuhn 1959 und Fromm 1969). 66 Janssens 1976; De Wachter 1998a; De Wachter 1998b.

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Kämpfe in Buch XII besiegen die Christen die Sarazenen endgültig. Evax tötet den Sultan, Demophon wird gefangen genommen und erreicht als Vermittler nicht nur einen Waffenstillstand, sondern bewirkt, dass verschiedene Heiden sich zum Christentum bekehren, wie auch er selbst. Es finden insgesamt sieben Hochzeiten zwischen Männern und Frauen, die zum Teil den ehemals feindlichen Lagern entstammen, statt. Heinric wird Kaiser von Konstantinopel, Margriete durch ihre Hochzeit mit Echites Königin von Armenien (Buch XII). Die Gliederung des Versromans Margriete van Limborch erinnert an Vergils Epos Aeneis.67 Die Fahrten einer Hauptfigur in der Aeneis sind im MargrieteRoman auf verschiedene Figuren verteilt. Aber hier wie dort gehören Buch I und IV sowie Buch II und III eng zusammen.68 Ab Buch VI ist Latium der Haupthandlungsort in der Aeneis, im Margriete-Roman ist es Konstantinopel, wo Heinric und Echites mit Freuden empfangen werden. Weitere Übereinstimmungen sind die Kämpfe um Latium bzw. Konstantinopel in Buch IX, der Waffenstillstand in Buch XI sowie die Hochzeit des Aeneas mit Lavinia, der Tochter des Herrschers von Latium, und die Hochzeit des Heinric mit Eusebia, der Kaisertochter in Konstantinopel. Beide werden im ersten Teil von einer Frau zu einem kurzen Liebesverhältnis verführt, das sie dann aber für ein höheres Ideal aufgeben.69 Aeneas wie Heinric werden als Herrscher des neuen Reiches eingesetzt.

67 Der Margriete-Roman weist wie Vergils Epos eine Zweiteilung des Textes auf, der im ersten Teil dem Weg der Hauptfiguren folgt und im zweiten Teil die gemeinsam getragene Verteidigung der größten Stadt zum Ziel hat. In den Büchern I–VI der Aeneis befindet sich Aeneas auf der Suche nach dem vorherbestimmten Ort, an dem sein Volk leben kann. Die Aeneis beginnt mit der Landung der trojanischen Schiffe an den Ufern Karthagos. Buch II und III erzählen in einer Art Rückblende die Flucht aus Troja und die ersten Irrfahrten auf der Suche nach einem neuen Vaterland. Buch IV spielt erneut in Karthago und greift den Handlungsfaden aus Buch I wieder auf. Aeneas und sein Begleiter Achates werden von Dido empfangen. Dido entbrennt in Liebe zu Aeneas, der jedoch Karthago verlässt, nachdem Merkur ihn an seine wahre Aufgabe erinnert hat. Siehe Meesters 1951, S. XVI; Bonath / Brunner 1975; S. 136, Janssens 1976, S. 171; Janssens 1988, S. 249–250, Anm. 511; De Wachter 1998a, S. 85–87; De Wachter 1998b. Inwieweit auch Einflüsse der Odyssee Homers vorliegen, wie Mone 1835 vermutet, wurde bisher nicht untersucht. Mone sah vor allem Parallelen zwischen Heinrics Verbleib bei Frau Venus und dem des Odysseus bei Kalypso. Ebenso vermutete er einen Einfluss der griechischen Sage vom rasenden Ajax (Sp. 171). 68 De Wachter 1998b, die weitere Parallelen zwischen der Aeneis und der Margriete nennt: In Buch V landet Aeneas an der Küste Siziliens und in Buch VI macht er zusammen mit der Sibylle eine Unterweltfahrt. In Buch V der Margriete kommen Echites und Evax nach Aragon, Buch VI konzentriert sich auf die Reise des Evax und der Sibille, der Tochter des Königs von Sizilien. 69 Ausführlich De Wachter 1998b.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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Aufgrund der vergleichbaren Makrostruktur und der Namensähnlichkeiten70 ist es sehr wahrscheinlich, dass dem Autor des Margriete-Romans Vergils Epos als Basis für die Strukturierung seines Werkes diente. Im Roman Margriete van Limborch erinnert der Autor zudem häufig an Ereignisse aus dem Trojanischen Krieg, explizit an die Belagerung Trojas: 1210

Mer doch san ich offenboer Dat sijnt man Trojen wan Nye en quam so mennich man Tzu eynen orloch als hie was (B VIII:1207–1210)

Der Krieg um Konstantinopel wird zwar mit dem um Troja verglichen, ist aber, wenn man den Ausgang betrachtet, eine utopisch zum Positiven gewendete Geschichte dieses Ereignisses. Andererseits fängt, auch wenn der Untergang Trojas eng mit dem Weg des Aeneas verbunden ist, mit der Begründung des römischen Reiches durch denselben ein neues Kapitel in der Geschichte an. Die auf der Flucht aus Troja beruhende Möglichkeit des Neuanfangs veranlasste viele europäische Völker dazu, sich als Nachkommen der aus Troja geflüchteten Helden zu betrachten.71 Als dynastischer Roman erhält der Margriete-Roman durch die intertextuelle Beziehung mit der Aeneis eine typologische Verbindung mit dem von Aeneas begründeten römischen Kaiserreich. Die Brabanter waren gerade ab dem Anfang des 14. Jahrhunderts daran interessiert, bei der Rekonstruktion ihrer reichen Vergangenheit ihre Herkunft als Nachkömmlinge der Trojaner zu beweisen.72 Die Aufteilung des Margriete-Romans in zwölf Bücher trägt in dieser Hinsicht zu einer Troja-Funktionalisierung des Werkes bei.

2.2.2 Elf Bücher bei Johann von Soest, Margreth von Limburg Johann von Soest orientiert sich bei seiner Einteilung des Romans in weiten Zügen an seinem Prätext. Der Text besteht in der Heidelberger Handschrift aus insgesamt

70 Zu einigen lateinischen Zitaten und Übersetzungen aus dem Lateinischen De Wachter 1998b, S. 193–195, auch zur Übereinstimmung in der Namensgebung, wie z. B. Polyfemus, Demophon, Hesione und Esione, Pyrrhus und Pyrus, Cybele und Cyvele. De Wachter wies z. B. hin auf „Experte credo magistroe“ (B XI:520–524), das ähnlich in der Aeneis (XI:282–284) und in Ovids Ars amatoria (III:511) vorkommt. 71 Keesman 1987. 72 Siehe Keesman 1987 und jetzt Keesman (im Druck).

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23.611 Versen und ist in elf Bücher eingeteilt.73 Damit ist diese Handschrift um 595 Verse länger als die ripuarische Handschrift B des Margriete-Versromans. Das bedeutet jedoch nicht, dass Johann im Vergleich zum Prätext nur erweitert hat. Den zahlreichen Erweiterungen stehen Kürzungen in anderen Erzählabschnitten gegenüber. An drei Stellen nahm Johann eine Neugliederung des Textes vor. Er teilte Buch I des Margriete-Versromans in zwei einzelne Bücher auf, und zweimal fügte er zwei niederländische Bücher zu einem Buch zusammen (Buch VII und VIII sowie Buch XI und XII des niederländischen Romans zu Buch 8 bzw. 11 des deutschen Romans). Das bedeutet, dass bei Johann der erste Erzählteil aus sieben, der zweite lediglich aus vier Büchern besteht. Eine Übersicht über das zahlen­ mäßige Verhältnis der Verse der einzelnen Bücher bietet folgende Tabelle:74 Margriete van Limborch, Hs. B

Margreth von Limburg, Hs. E

Unterschiede Hs. E zu Hs. B

I

2805

II III IV V VI VII VIII IX X XI XII

1939 1387 2096 2177 2789 1927 1746 1089 1497 1711 1853

 1  2  3  4  5  6  7  8

1175 1803 1795 1468 2005 2539 3036 3487

+160  +13

 9 10 11

1035 1595 3656

(1015 V.) (1790 V.)

 +81

(1796 V.) (1691 V.)

(1754 V.) (1902 V.)

+362 +247

 +98  +43  +49

–144  –91

–131  –55  –54

Die Teilung in Buch 1 nimmt der Autor in dem Moment vor, als Margreths Schicksal sich am Athener Grafenhof zum Guten gewandelt zu haben scheint. Der Erzähler allerdings dann an, dass in Buch 2 Margreth durch die Liebe des Echites „gros ongeluck“ erfahre. Neben Gründen der Symmetrie75 scheinen den Autor also auch inhaltliche Motive zu der Zweiteilung veranlasst zu haben. In Buch 1 durchlebt Margreth einige Abenteuer, die sie zwar anfänglich in Schwierigkeiten bringen, die aber nicht lebensbedrohlich sind. Die Gefahren in Buch 2 des deutschen Romans dagegen bedrohen ihre Existenz und sind durch die Intrige

73 Bonath / Brunner 1975, S. 136, mit einem Schema der Buchentsprechungen. 74 Vgl. Swennen 1978, S. 156. 75 Bonath / Brunner 1975, S. 136. Nunmehr umfassen die Abenteuer Margreths und die ihres Bruders Henrich je zwei Bücher.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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der Gräfin von Athen von anderer Qualität. Durch die Neuaufteilung des Romans entfernt sich Johanns Version prinzipiell von der zweiteiligen, jeweils aus sechs Büchern bestehenden Struktur des niederländischen Romans. Gleichermaßen ist der durch die Zweiteilung gegebene Bedeutungshorizont verloren gegangen. In der zweiten Hälfte entsteht durch die Zusammenfügung von zwei Büchern zu einem Buch zusätzlich ein großer Unterschied in der jeweiligen Länge der Bücher. Buch 8 und 11 des deutschen Romans bestehen jeweils aus mehr als 3400 Versen. Aus der obigen schematischen Übersicht wird ersichtlich, dass der Unterschied in der Anzahl der Verse zwischen der ripuarischen Handschrift und Johanns Roman in den Büchern 1, 2, 4, 5, 8, 9, 10 und 11 sehr gering ist (jeweils weniger als 100 Verse Unterschied). Die größte Reduktion tritt in Buch 3 des deutschen Romans bei den Aventiuren Henrichs auf. Hier benötigt Johann 144 Verse weniger als seine Quelle, indem er Gespräche, Beratschlagungen und Kampfdarstellungen komprimiert oder auslässt.76 In den Büchern, die die Aventiuren des Echites und des Evax schildern (Buch 6 und 7 des Margreth-Romans), weist Johanns Version 362 bzw. 247 Verse mehr auf. Johann fügt lange Erzählkommentare ein, die auf die Nutzlosigkeit eines Angriffskrieges eingehen (E  6:437– 507) oder bestimmte Verhaltensweisen moralisch beurteilen (E 6:955–1031, E 6:1997–2041, E 7:1908–1961). An anderen Stellen erweitert er die Beschreibung von Gefühlszuständen und Handlungen der Hauptfigur Evax (E 6:1271–1310, E 7:29–356 und B VI:255–286, E 7:992–1032 und B VI:956–963, E 7:1094–1170 und B VI:1029–1075), oder er weitet Beschreibungen kostbarer Gegenstände aus (E 6:1172–1229 und B V:940–946). In der Margreth von Limburg stellt ein in Prosa verfasster prologus ante rem die Oberflächenstruktur des Werkes vor und führt mit thematischen und rhematischen Informationen kurz in die narratio ein:77 Hy hebet an eyn buch von margrethen eyn hertzogynne von lymburg. Wy sy verloren wart und gevonden von yrem bruder henrich. Dem menche eventur begegnet. Als er sy suchet mit vil hubschen leren und hubscher eventur. Lustlich tzu lesen und auch zu horn und allermeist den hogeborn und edlen.

So lautet die in rot geschriebene erste Überschrift zum Werk, dessen Beginn durch eine zehnzeilige in blau ausgeführte Initiale hervorgehoben ist. Nach der Überschrift folgt in Buch 1 ein als Gebet stilisierter Prolog von 92 Versen. Auch

76 Man vergleiche z. B. E 3:1300–1316 und B II:1399–1432, E 3:1553–1598 und B II:1672–1739, E  5:964–985 und B IV:845–911, E 5:1018–1145 und B IV:946–1130, E 8:1000–1040 und B VII: 922–1007, E 8:1163–1188 und B VII:1177–1233. 77 Termini nach Genette 1987, S. 78–85; Sonnemans 1995, S. 224.

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 Paratexte

jedes weitere Buch in Johanns Roman beginnt, optisch deutlich hervorgehoben, mit einem Prolog. Dessen Ende wird ab Buch 5 jeweils zusätzlich in roter Schrift ausgewiesen, meistens zweisprachig als „Explicit iste prologus / Das spricht dyss furred dy ist uss“.78 Nach fast jedem Prolog leitet der Erzähler zum Anfang des Erzähltextes hinüber, wie hier zu Buch 3: „Hy hebet an off frischer ban / Das dryt buch hor tzu yderman / Wy henrich der geborner hog / Syn swester suchen ussen tzog“. Solche Verse sind ebenfalls in Rot geschrieben und bei manchen Büchern graphisch als Überschrift markiert.79 An diese Einführung schließt sich der eigentliche Erzähltext an, dessen Anfang jeweils mit mehrzeiligen Lombarden (zwischen 4 und 7 Zeilen) markiert ist.80 Eine weitere Überleitungsformel in roter Schrift beendet dann das jeweilige Buch und bereitet auf den Inhalt des nächsten Buches vor: „Hy hot dys erste buch eyn end. nu volgt hernach wy sy des graven son Echites lyp gewan dar durch sy in gros ongeluck kam und ist dis dy furred des andern buchs“ (Buch 1).81 Ein Buch besitzt im Roman Johanns demnach folgenden Aufbau: 1. prologus, 2. explicit prologus, in roter Schrift, 3. introductio des jeweiligen Buches, in roter Schrift, 4. narratio, 5. explicit narratio.82 Damit zeigt sich das Bemühen um eine auch optisch deutliche Strukturierung des Romans, die die jeweiligen Grenzen

78 Auch in den Prologen zu den Büchern 7, 9, 10, 11. 79 Bei Buch 3, 5, 6, 8 beginnt mit der Überschrift jeweils eine neue Seite. Bei Buch 7 ist der Prolog vom Erzähltext durch eine Linie getrennt. Die Überschriften sind im Unterschied zur Angabe in Kletts Edition von Johann von Soest, Margreth von Limburg, 1975, S. VI, durchgängig in Versform geschrieben. 80 Etwas ungewöhnlich ist an manchen Stellen die Wiedergabe dieser optisch gut unterscheidbaren Gliederungsmerkmale in der Textausgabe: So sind am Anfang von Buch 9 V. 22 (Beginn des prologus ante rem) und V. 30 (Beginn des Erzähltextes) mit fett gedruckten Buchstaben markiert, obwohl in der Handschrift nur bei V. 30 eine Lombarde verwendet wurde. Vgl. auch den Anfang von Buch 10. 81 Am Ende der anderen Bücher heißt es entsprechend: „Hy hot eyn end dys ander buch und hebt des dritten an vorspruch“ (Ende Buch 2); „Das dryt buch hy eyn ende haet und hebt das vyrd an mych verstaet de furspruch sech das erst gebort welcher yn anderst gerne hort“ (Ende Buch 3) usw. 82 In der Edition von Johann von Soest, Margreth von Limburg (von Klett) ist das Explicit von Buch 1 im Unterschied zur Handschrift nicht als Spalte gedruckt (fol. 20v). Die Prologe zu Buch 1–4 haben kein Explicit. Ab Buch 3 wird in die narratio eingeführt. Man gewinnt den Eindruck, dass der genannte Aufbau des Buches, der sich ab Buch 4 durchsetzt, sich erst im Laufe des Schreibprozesses entwickelte. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Autor und der Schreiber des Textes identisch sind. – An manchen Stellen sind in der Handschrift weitere optische Merkmale der Abgrenzung dieser fünf Teile jedes Buches eingefügt: Am Ende des Prologexplicits zu Buch 7 gibt es eine horizontale Trennungslinie, und der Prolog zu Buch 6 wird ausdrücklich als „Prologus“ bezeichnet.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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der einzelnen Abschnitte eines Buches ausdrücklich benennt und auf diese Weise didaktisch nützliche Orientierungshilfen bei der Lektüre bietet. Der Roman endet mit einem Epilog, dessen Verse unterstrichen sind, und einem lateinischen Schlusswort in roter Schrift: „Et sic est huius finis. sit gloria in divinis; / Patri et dei filio. et spiritui sancto“ (fol. 416v).

2.2.3 Kapiteleinteilung und Überschriften in der Schoone historie van Margarieten van Limborch Der Erzähltext der Schoone historie van Margarieten van Limborch beginnt auf fol. A2r, das heißt, nach dem Titelblatt folgt kein Inhaltsverzeichnis.83 Der Marga­ rieten-Prosaroman ist in 117 nummerierte Kapitel eingeteilt.84 Das Einfügen von Kapitelüberschriften und einer Kapitelzählung ist eine allgemeine, sich immer weiter ausbreitende Entwicklung im Buchdruck am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts.85 Außer dem Margarieten-Prosaroman sind im niederländischen Sprachgebiet z. B. Gheraert Leeus fragmentarisch erhaltener Versdruck von Reynaerts historie (ca. 1487–1490), De historie van den vier Heemskinderen (1508, NK 3162) und Hystorie van Olyvier van Castillen (1510, NK 3170) mit einer nummerierten Kapiteleinteilung versehen. Ohne Nummerierung, aber mit Kapitelüberschriften sind z. B. erschienen: Historie van Reynaert die vos (1479, CA 976), Strijt van Roncevale (um 1520, NK 3907) und Hughe van Bourdeus (um 1540, NK 3163).86 Im Prolog zu Destructie van Iherusalem (1482, GW M086525) wird der Grund für

83 In anderen Frühdrucken ist dieses vorhanden, zum Teil mit expliziter Begründung dafür. Im Spieghel Historiael (NK 2160), 1515 bei Claes de Grave in Antwerpen gedruckt, heißt es: „Ende om datmen te bat weten mach waer af elcken boec ende elc capittel tracterende is, daer om worden hier voer elcken boec bisonderlic de titelen der capittelen gestelt in ordinantie“ (fol. A2r). Bei diesem aus mehreren Büchern bestehenden Text wird jedem Buch eine Inhaltsübersicht mit den Kapiteltiteln vorangestellt. Im Olyvier van Castillen (NK 3170) aus dem Jahre 1510 zieht der Autor Aristoteles als Autorität zur Rechtfertigung seiner Verwendung einer Inhaltsübersicht heran: „Arestoteles die grote philosophe seit dat die dingen die van malcanderen verscheiden sijn hem seluen te bat verstaen ende te onderscheideliker kennen Om welcke sake die tafel gheordineert gemaect ende geset is inden beghinsele van desen teghenwoerdigen boecke om dien te bat te verstaen“ (fol. K4v). 84 Auch beim Druck des Simon Cock, erschienen 1544, wurde Kapitel 112 überschlagen, in den späteren Drucken wurde die Zählung korrigiert. 85 Wieckenberg 1969; Palmer 1989. Im deutschen Sprachraum gibt es z. B. lateinische Prosaüberschriften in den Otfried-Handschriften und Überschriften zu den Aventiuren in den meisten Nibelungenlied-Handschriften. 86 Nähere Angaben zu den Texten und deren Überlieferung bei Debaene 1951.

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 Paratexte

die Einfügung von Überschriften erläutert: „daermen by capittulen lichtelijc in vinden mach alle die materie die int selue boec bescreuen is“ (fol. A2r). Die für den heutigen Leser überflüssig erscheinende Begründung für die Verwendung von Kapiteln und Überschriften offenbart, dass deren Funktion in der Zeit des Frühdrucks offensichtlich einer Erklärung bedarf. Der Umfang der Kapitel in der Historie van Margarieten nimmt im Laufe des Werkes beträchtlich zu. In der folgenden Tabelle sind die Kapitel des Prosatextes mit der jeweiligen Zeilenzahl angegeben (eigene Zählung nach der MargarietenEdition von Schellart). Der ganze Prosatext umfasst 13.695 Zeilen. Teilt man den Text auf der Grundlage der Anzahl der Zeilen in zwei gleiche Hälften, so entfallen auf die erste Hälfte 79 Kapitel, auf die zweite Hälfte 38 Kapitel.87 Anzahl der Zeilen pro Kapitel:88  1  2  3  4  5  6  7  8  9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

 56  43  91  43  69  93  41 146  77  42  88  23 114  67  33 115 111 270 129  85

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

 30 158  51  47 156  44  74  82  46  36  31 117  99  53  75 144  45  34 147  68

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

 34  45  28  92  26  48  60  84  79  85 138  98  42  79 141  74  61  46  38  91

61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80

 94 125 100  65  73  75 122  58 137  60  96  88 183 157 140 113 185  85 206 165

 81  82  83  84  85  86  87  88  89  90  91  92  93  94  95  96  97  98  99 100

163 298 117 125 152 214 180 155 149  80 259 120  84 228 251 173 333 183 122 274

101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118

161 164 215 180 303 345 169 184 101 138 171   – 186 122  61  99 233 248

87 In der ersten Hälfte des Textes bis Kapitel 72 kommen nur ab und zu Kapitel mit mehr als 100 Zeilen vor (z. B. Kapitel 8 und 18). Erst ab Kapitel 73 gibt es mehrere Kapitel hintereinander mit mehr als 100 Zeilen, und nach Kapitel 78 gibt es nur vier Kapitel mit weniger als 100 Zeilen (Kap. 90, 93, 115, 116). Bis Kapitel 78 findet sich nur ein Kapitel mit mehr als 200 Zeilen, während ab Kapitel 78 neun mit mehr als 200 (79, 82, 86, 91, 94, 95, 100, 103, 117, 118) und sogar drei mit mehr als 300 Zeilen auftreten (97, 105, 106). 88 Jeweils links steht fettgedruckt die Nummer des Kapitels und rechts daneben die Anzahl der Zeilen.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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Die Zunahme der Länge der Kapitel und die Abnahme der relativen Zahl der Kapitel kann man möglicherweise auf eine nachlässiger werdende Arbeitsweise des Prosaisten zurückführen. Eine Kapitelüberschrift kann als Andeutung oder Zusammenfassung des Inhalts des folgenden Kapitels definiert werden.89 Jedoch nur ein Teil der Überschriften in der Historie van Margarieten genügt dieser Definition.90 Eine große Anzahl an Überschriften, im Besonderen bis Kapitel  31, ist als Bestandteil des Erzähltextes notwendig, da ohne sie der Erzähltext unverständlich wäre. Wie bei einem Drama beginnen manche Kapitel in wörtlicher Rede: „Hoe ga ik aldus dolende“ (Kap. 5); „O Nacht ghi hebt“ (Kap. 6); „O Margrieta hoe stadi verbaest alleene int schouwen van des ionghelincx wesen“ (Kap. 9); „O troosteloos mensche“ (Kap. 12). Beinahe alle Kapitel bis Kapitel  31 beginnen als Monolog oder Dialog ohne Namensnennung des Sprechers.91 Erst wenn man jeweils die dazugehörige Überschrift liest,92 wird deutlich, dass Heyndric (Kap. 5), Mar­grieta (Kap. 6 und 9) bzw. der Kaufmann (Kap. 12) sprechen. Da eine Überschrift zu einem Bestandteil des Erzähltextes wird, der den unmittelbar folgenden Erzähltext einleitet, nicht aber das folgende Kapitel zusammenfasst, funktionieren die Überschriften bis Kapitel 31 eher wie die Ankündigung einer Figur in einem Drama. Van Gijsen vertritt sogar die Hypothese, dass ein Drama der Prätext für den ersten Teil des Margarieten-Prosaromans gewesen sein könnte.93 Auch der sehr hohe Anteil an wörtlicher Rede in diesem Teil spricht für diese Annahme. In diesem Zusammenhang sind auch zwei Holzschnitte im Prosaroman wichtig, die wahrscheinlich aus dem Rederijkersdrama Pyramus ende Thisbe stammen und direkt am Beginn des Margarieten-Prosaromans beim vierten und

89 Die Beziehung zwischen Kapitelüberschrift und Kapitel ist so zu definieren, dass die Mitteilung in der Überschrift sich auf den „anschließenden, als Kapitel kenntlich gemachten Abschnitt erstreckt und nicht über ihn hinausgreift“ (Wieckenberg 1969, S. 20). 90 Bei einigen Kapiteln verweist die Überschrift nicht auf den Inhalt des kommenden Kapitels, sondern auf den Inhalt eines anderen Kapitels, so bei den Überschriften zu den Kapiteln 40, 49, 51, 67, 70 und 78. In der Überschrift zu Kapitel 51 wird angegeben, dass der Bischof aus der Stadt verjagt wird, was im Kapitel nicht passiert. Die Überschrift zu Kapitel 40 verweist auf den Inhalt von Kapitel 42 (49 auf 50; 67 auf 69; 70 auf 71 und 78 auf 79). 91 Ebenso undeutlich sind die monologischen Eingänge der Kapitel 2–12, 14–22, 24–31. Die einzigen Kapitelanfänge, die bis Kapitel 31 nicht mit einer direkten Rede einsetzen, sind die Kapitel 1, 13, 23. Siehe zu Kapitel 2 auch Pleij 1988, S. 47. 92 „Hoe das Heyndric van Lymborch claechde. om dat verlies van sijnder suster Margarieta“ (Kap. 5), „Hoe margriete op den boom sadt en claechde …“ (Kap. 6), „Hoe Margrieta verbaaest stont …“ (Kap. 9), „Hoe die coopman claechde dat verlies van Margrieta …“ (Kap. 12). 93 Van Gijsen 1991.

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 Paratexte

fünften Kapitel abgebildet sind.94 Inhaltlich passen die Illustrationen nicht zum Margarieten-Text, da sie einen Löwen abbilden, der in diesem Roman nicht auftritt. In beiden ist ein Brunnen sichtbar: Bei einem Brunnen wird Thisbe von dem Löwen angegriffen und bei einem Brunnen lässt sie auf der Flucht den Schleier fallen. Man kann einen Schleier erkennen, ebenso wie einen Mann links mit einem Buch in der Hand (vgl. Abb. B 3), der die Funktion eines Regisseurs oder eines Souffleurs zu haben scheint.95 Die Überlieferung weiterer Bearbeitungen des Margriete-Stoffs stützt die Annahme, dass der erste Teil des Romans bis zur Befreiung Margrietes einzeln – eventuell auch als Drama – überliefert gewesen sein könnte. So gibt es das Lied Historie van Margrietje van Limborg, das mit der Befreiung Margriets vom Scheiterhaufen und der Hochzeit von Etzytes und Margriet endet.96 Jacques Schreurs schrieb Het lied van den sluier / Het kind Margreet, Marie Koenen De sage van Margreetje van Limburg und Pierre Kemp Margreetje van Limburg.97 Nicht nur die Überschriften zu den ersten 31 Kapiteln, auch die Titel zu den anderen Kapiteln beziehen sich zum großen Teil nicht auf das gesamte Kapitel. Zwar fassen ungefähr die Hälfte der Kapiteltitel im Prosaroman den Inhalt des ganzen nachfolgenden Kapitels zusammen, die meisten anderen jedoch beschränken sich auf den Kapitelanfang.98 Vor allem bei den längeren Kapiteln in der zweiten Hälfte des Romans, die verschiedene Erzählstränge beinhalten, wird so verfahren. So werden z. B. in Kapitel 101 fünf verschiedene Episoden erzählt: 1. Demophon sucht Etsijtes auf, um drei gefangene Könige freizukaufen 2. der König von Capedocien wird getauft 3. Demophon berichtet dem Sultan über die Forderung der Christen 4. Heyndric heiratet und wird zum Kaiser gekrönt 5. das 40-tägige Fest findet statt. Die Überschrift zu diesem Kapitel lautet: „Hoe demofoen vanden coninghen schiet. ende quam bi heyndric ende bi ander heeren. ende hoe hi beloofde dat ghelt ende al dander. ende leyde die coningen met hem. Dat.c.i.capittel.“ Sie

94 Anhang B, Abb. 2, fol. a3v, und B 3, a4r; Diese kommen auch vor in Peeter van Provencen (ca. 1517, NK 3171, fol. H2v). 95 Margarieten, S. XXXVII. Der Holzschnitt zum 7. Kapitel stimmt mit einem aus Marieken van Nieumeghen (NK 1089) überein. 96 Margarieten, S. 144–150, im Anhang. Das Lied erschien 1770 bei Barent Koene in Amsterdam (vgl. Kap. 1.6). 97 Schreurs 1940 und 1946; Koenen 1950; Kemp 1925 (1968). Kemps Sage endet ebenfalls mit der Hochzeit der beiden nach der Rettung vor dem Feuertod. 98 Im ersten Teil siehe die Überschriften zu den Kapiteln 2, 3, 4, 5, 11, 19, 20, 22, 23, 24 usw.



Buch- und Kapiteleinteilung 

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beschränkt sich auf eine Zusammenfassung der ersten Episode des Kapitels. Die Taufe, die Verhandlungen und die Krönung Heyndrics kommen nicht zur Sprache. In anderen Kapiteln gibt es nahezu wörtliche Übereinstimmungen zwischen der Überschrift und dem Anfang des entsprechenden Kapitels: Überschrift (Kap. 36) Hoe dat die heeren elck vertoghen int sine. Ende orlof namen aenden keyser ende aen sijn dochter eresebia Dat. XXXVI. Capittel

Kapitelanfang (Kap. 36) Doen alle dese triumphe ende costelicheit bedreven was. ende den ternoy ghehouden was begheerde elck te wesen int sine. Ende si quamen bi den keyser ende bi sijn heren ende bi sijn dochter om orlof te nemen. (P 36:1–6)

Überschrift (Kap. 91) Hoe die kerstenen heeren triumpheerden. ende hoe dat demofoen etsijtes ende heyndric badt om den campe te doen Dat. XCI. Capittel

Kapitelanfang (Kap. 91) Des sanderdaechs als die ruese daer gheweest hadde so quam her demofoen daer etsijtes ende heyndric triumpheerden. ende hi badt hem beyden als dat hi den ruese bevechten mocht ende den campe doen (P 91:1–6)

Meines Erachtens lässt sich daraus schließen, dass der Erzähltext zuerst geschrieben und erst dann die Kapiteltitel eingefügt wurden. Die Überschriften in der Margarieten-Prosa erfüllen nicht die Funktion einer Ankündigung bzw. Kurzzusammenfassung des Kapitelinhalts. Das Verhältnis zwischen Überschrift und folgendem Erzähltext ist zwar gegeben, aber nicht als vollständige Zusammenfassung des Folgenden funktional. Daraus könnte sich eine andere Erklärung für die Verwendung der Überschriften anbieten: Die Überschriften sind eigentlich Bildbeischriften.99 Die Margarieten-Postinkunabel ist mit 40 Holzschnittillustrationen ausgestattet, die jeweils am Anfang der Kapitel eingesetzt wurden. Wenn man den Inhalt der Bilder betrachtet, stellt man fest, dass in fast allen Fällen die Überschrift den Inhalt des Bildes, aber nicht umfassend den Inhalt des folgenden Kapitels beschreibt.100 Wie das Titelblatt des Margarieten-Drucks, das das Ende des Romans verrät, greifen die Überschriften zum Teil vor auf die noch zu erzählende Entwicklung der Geschichte. Unterscheidet man mit Lugowski zwei Arten von Spannung,101 die des „Ob überhaupt“ und die des „Wie“, ist der Margarieten-Prosaroman nach 99 Über die Bedeutung der Bildbeischrift für die Entwicklung von Kapitelüberschriften bereits Mackensen 1927, S. 108. 100 Wieckenberg 1969 zeigt anhand der Ersetzung deiktischer Ortsadverbien wie „Hie“ durch „Wie“ das Bestreben der Produzenten, formelle Aspekte der Bildbeischriften zu eliminieren. 101 Lugowski 1976, S. 40–44, ausführlich zu diesen Arten von Spannung in Bezug auf Boccaccios Dekameron.

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 Paratexte

dem Prinzip der „Gewissheit der Erfüllung“102 und der Spannung über die Art und Weise der Erfüllung gestaltet. Das Titelblatt und die Überschriften seien wesentliche Strukturelemente des für den frühen Prosaroman charakteristischen Erzählprinzips der Bestätigung einer intakten Weltordnung. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Mühe bereitete, passende Überschriften einzufügen. Hinsichtlich der Überschriften deutet einiges darauf hin, dass sie nachträglich und nicht vom Prosaisten selbst eingefügt wurden, denn es gibt es einen engen Zusammenhang zwischen den Holzschnittilustrationen und den Kapitel­ titeln: Die Kapiteltitel waren zunächst Bildunterschriften. Dazu passt, dass es Überschriften gibt, die nicht zum Inhalt des Kapitels passen, weil sie etwas ankündigen, das erst einige Kapitel später erzählt wird. Einem Autor würde ein solcher Fehler eher nicht passieren. Zudem funktionieren die Überschriften bis Kapitel 31 nicht auf einer Metaebene, sondern als Bestandteil des Erzähltextes bzw. als Unterschrift zur Illustration. Die Überschriften führen zum großen Teil nur in den Beginn eines Kapitels ein, ohne die anderen Episoden des jeweiligen Kapitels zu berücksichtigen, auch das wird durch ihre Funktion als Bildunterschrift erklärlich. Die Überschriften bieten somit nur eine geringe Hilfe für den Rezipienten, eine Übersicht über den Erzählverlauf zu erhalten. All diese Aspekte zusammen genommen machen es sehr wahrscheinlich, dass der Autor des Erzähltextes nicht auch die Überschriften geschrieben hat. Die Überschriften wurden offensichtlich erst in einem gesonderten Arbeitsgang, möglicherweise direkt bei der Druckvorbereitung, im Zusammenhang mit den Illustrationen in den Erzähltext eingefügt.

2.3 Vermittlung der Margriete-Romane in den Prologen und im Erzähltext Dem Autor eines literarischen Werks bietet sich die Möglichkeit, über eine Erzähl­ instanz sein Produkt an das Publikum zu vermitteln. Entspechend der Tradition antiker Autoren äußern sich die Autoren mittelalterlicher Literatur vornehmlich in Prologen über die Entstehung eines Gedichts, über dessen Vorlagen, über die Gönner und die nachfolgende materia. In der Forschung der deutschen und niederländischen Mediävistik zu diesem Themenkomplex sind grob zwei Traditionslinien zu unterscheiden. Der eine Zweig verfolgt überwiegend eine strenge heuristische Trennung von historischem Autor und Erzählerfigur.103 Die in den Prologen auftretenden „Selbstaussagen“ ordnet diese Forschungsrichtung

102 Lugowski 1976, S. 28. 103 Sayce 1972; Reuvekamp-Felber 2001.



Vermittlung der Margriete-Romane 

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eindeutig der Ebene des Erzählers zu, auch wenn sich diese Bemerkungen „in einigen Fällen“ auf die außerliterarisch-historische Wirklichkeit bezögen.104 In dem anderen Zweig der Forschung gibt es zwar auch vergleichbare Tendenzen, eine Identifizierung von Erzählinstanz und Autor gerade im Prolog wird jedoch nicht ausgeschlossen.105 Ansätzen, die die autobiographischen Dimensionen im Œuvre mittelalterlicher Autoren in Abrede stellen, hält Sonnemans einen wichtigen Aspekt entgegen: Der Abstand zwischen einem mittelalterlichen Autor und vor allem seinem primären Publikum sei viel kleiner als heute gewesen. Das Publi­kum sei bis zu einem gewissen Grad in der Lage gewesen, (auto-)biographische Passagen auf ihren außerliterarischen Wahrheitscharakter zu prüfen. Ein Autor habe sich daher vor allzu deutlichen Unwahrheiten hüten müssen, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. Durch die Wahl einer autobiographischen Perspektive habe der Autor die Rezipienten zu einer Identifikation der Erzählinstanz mit seiner eigenen Person gezwungen.106 Im Folgenden sollen beide Ansätze überprüft werden, was sich bei dem Überlieferungskomplex der Margriete-Tradition mit seinen 23 verschiedenen Prologen (12 in der Margriete van Limborch und 11 in der Margreth von Limburg) und auch den überlieferten Daten zur Person Johanns von Soest in anderen Werken und in Urkunden die Möglichkeit geradezu anbietet. In einem ersten Schritt werden die Erzählerkonzeptionen ohne einen Bezug zum historischen Autor in ihren ästhetischen Dimensionen analysiert. Gerade bei der vermittelnden narrativen Instanz107 im Werk des Johann von Soest bietet sich dann der Vergleich mit den weiteren vorliegenden Zeugnissen an, um die Aussagen zu möglichen außerliterarischen Gegebenheiten in Beziehung zu setzen. Im Prosaroman wiederum fehlt zu Beginn der Geschichte jede vermittelnde Instanz, die Geschichte scheint sich selbst zu erzählen. Anhand der detaillierten Analyse der Unterschiede in den drei Versionen der Margriete-Tradition eröffnen sich somit exemplarisch Perspektiven für eine Betrachtung verschiedener Arten von Erzählpraxis.

104 Reuvekamp-Felber 2001, S. 4. 105 Sonnemans 1995, S. 109–114. Sonnemans untersuchte in seiner Dissertation 126 Prologe niederländischer mittelalterlicher Verstexte. Nach Sonnemans seien zwei Rollen der Erzählerfigur zu unterscheiden. Einerseits repräsentiere sie den Standpunkt des Autors und trage andererseits den Text vor. In den meisten Prologen zu mittelniederländischen Verstexten würden Bemerkungen des Autors über die Erzählerrolle vermittelt. Das impliziere, dass beinahe alle Passagen, die biographische Informationen über die Erzählinstanz mitteilten, autobiographisch interpretiert werden könnten. Siehe auch Glauch 2009. 106 Sonnemans 1995, S. 131. 107 Butzer 1995.

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 Paratexte

2.3.1 Margriete van Limborch Wie Titel, Autorenangabe, Epilog und Illustrationen ist ein Prolog ein Paratext, der zwischen dem eigentlichen Erzähltext und der Wirklichkeit zu vermitteln versucht. Jedes der 12 Bücher in der Margriete beginnt mit einem Prolog, in der Handschrift A in der Länge variierend zwischen 14 und 48 Versen.108 In den Margriete-Prologen II–VIII wird ein verliebtes Erzähler-Ich eingeführt, das die Beziehung zwischen sich und seiner angebeteten Dame thematisiert.109 Nach De Wachter bringt der Erzähler in den Prologen zu den Büchern II–IX die Fähigkeit zur Vollendung seines Werkes mit dem Wunsch der Auftraggeberin, der Frau seines Herzens, in Zusammenhang. Nur das Ich im Prolog zu Buch I habe eine autobiographische Dimension.110 Tatsächlich ist jedoch zwischen dem Ich im

108 In B sind es zwischen 14 und 45 Verse. Die Anzahl der Verse stimmt zwischen A und B in vier Prologen nicht überein (IV: A 30, B 25; VII: A 26, B 25; X: A 28, B 29; XII: A 48, B 45). Aus folgenden Gründen ist der Verszahl in A der Vorzug zu geben. In drei Fällen fehlt in B ein Reimvers, der auch aus inhaltlichen Gründen in einer früheren Stufe anzunehmen ist (A IV:8, A VII:22, A XII:41). Im Prolog zu Buch XII gehören die Verse 19 und 20 in A zu einer Enummeration, in der das ErzählerIch Jesus anbetet: „U die de wech“, „U die siit waerheit“, „U die siit leven“ (A XII:17–21). Da diese Stelle direkt aus dem Johannesevangelium entnommen zu sein scheint (Joh. 14:6), kann man von einer ursprünglichen Lesart in A ausgehen. Im Prolog zu Buch IV ist weder aus formalen noch aus inhaltlichen Gründen zu entscheiden, ob es sich um einen Zusatz in A oder um eine Auslassung in B handelt. 109 De Wachter vergleicht dieses mit der Erzählerfigur im Parthonopeus van Blois und schlussfolgert – meines Erachtens zu weitgehend, da eine solche Verliebtheits-Präsentation öfter vorkommt –, der Margriete-Dichter habe die literarische Erzählstrategie des Parthonopeus imitiert (De Wachter 1998a, S. 98–115). Wie im Prolog zu Buch I komme ab dem Prolog zu Buch X die Angebetete in den Prologen nicht mehr vor, stattdessen werde Gott angerufen und die didaktische Intention hervorgehoben. Fragen nach der (auto-)biographischen Bedeutung der Aussagen in den Prologen stehen bei Jonckbloet und Van Mierlo im Mittelpunkt (vgl. Jonckbloet 1851–1855, Bd. 3.2, S. 355–363; Van Mierlo, o. J., S. 369–370). Sonnemans 1995 bezeichnet zwar die Prologe II–XII des Romans als einzigartig, ohne dieses Urteil näher zu begründen. 110 De Wachter 1998a, S. 108. De Wachter fragt sich, ob sich der Ton der Prologe ab Buch X verändere (De Wachter 1998a, S. 100). Natürlich fällt der Prolog zu Buch X in gewisser Weise aus dem Rahmen, da er als einziger auch als isoliertes Gedicht überliefert ist (Handschrift van Hulthem, Brussel, KB, 15.589–15.623, fol. 136v–137r). Meines Erachtens handelt es sich nicht um ein Exzerpt aus dem Margriete-Roman, sondern es liegt der umgekehrte Weg der Entlehnung vor. Es gab ein Gedicht, das sowohl der Margriete-Dichter als auch der Schreiber der Handschrift van Hulthem aufnahmen. Ein Grund für diese Annahme ist die existierende Einzelüberlieferung in der Handschrift van Hulthem, ein weiterer ergibt sich aus dem Aufbau. Alle Prologe des Margriete-Romans von Buch II bis Buch XI sprechen in Vers 3, 5 oder 7 über das Werk und über die Tätigkeit des Produzierens, nur nicht der Prolog zu Buch X. Dieser erwähnt diese Aspekte erst in Vers 21. Wenn man die ersten 18 Verse des Prologs zu Buch X, die mit dem Gedicht in der



Vermittlung der Margriete-Romane 

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ersten Prolog als einem Ich mit einer autobiographischen Dimension und dem Ich der anderen Prologe als einer lyrischen Erzählinstanz nicht zu trennen.111 In allen Prologen tritt ein Ich auf, das als fiktionale Erzählerfigur konstruiert ist, aber dennoch seine Tätigkeit als „volmaken“, „volenden“, „bescriuen“ und „volscriuen“ des nachfolgenden als „ghedichte“, „istorie“ oder „jeeste“ benannten Werkes bezeichnet. Nach Sonnemans112 sind sieben Rubriken zu unterscheiden, aus denen ein Autor auswählen konnte: Prologgebet, Autobiographie, Publikum, allgemeine Literaturauffassung, Inspirationsquelle, inhaltliche Einführung in die zu erzählende Geschichte und der Nutzen des Erzählten.113 Diese Rubriken kommen im Margriete–Versroman bis auf Bemerkungen zur Literaturauffassung und eine Hinführung auf das Erzählte vor, wenn auch unterschiedlich oft. Im ersten Prolog des Margriete-Romans bittet das Gott und Maria lobende Ich in einem Gebet darum, dass Gott ihm bei der Vollendung des Gedichts helfen möge. Der Prolog besteht aus vier Teilen: Lob Gottes (I:1–12), Bitte an Gott um Hilfe bei der Vollendung (I:13–21), Lob Marias (I:22–28) und Überleitungsformel (I:29–30). Im zweiten Abschnitt tritt der Sprecher als „Ich“ auf, das nur Gott direkt anspricht (I:14, 16, 21), Maria dagegen indirekt (I:23).Der Prolog zu Buch II beginnt mit einem Natureingang über den Frühling, dem der Topos der Unvollkommenheit des Dichters gegenübergestellt wird (II:1–10). Der zweite Abschnitt nennt die Dame als Grund des Weiterschreibens (II:11–19). Im dritten Abschnitt bittet das Ich Gott, ihm bei der Vollendung des Gedichts zu helfen (II:20–23). Die Prologe III–X variieren diese Struktur und Thematik.114 Die entworfene Szene-

Handschrift van Hulthem übereinstimmen, als nachträglich hinzugefügte Einleitung betrachtet, würde auch in diesem Prolog die Werkproduktion in Vers 3 genannt. 111 De Wachter 1998a, S. 100, ist der Ansicht, die Prologe seien nicht autobiographisch zu deuten. 112 Sonnemans 1995. 113 Für die Funktionsbeschreibung des Prologs wählte Sonnemans einschränkend nur eine der sieben Rubriken aus, indem er den Prolog als „inleiding op de materie die volgt in de narratio“ definierte (Sonnemans 1995, S. 17, 266). Damit könnten eigentlich alle Prologe, die diese Funktion nicht erfüllen, nicht als Prolog gelten, was außer fünf weiteren Prologen (Van der drievoudicheden, Dit is vander ghiericheit, Der goeder leiken reghel, O almoghende God Emanuel, Dietsche Catoen) auch den ersten Prolog des Romans Margriete van Limborch beträfe. 114 Der Aufbau des Prologs zu Buch III ist fast identisch mit dem des Prologs zu Buch II (Natureingang, eigene Unvollkommenheit, angebetete Dame). Im Prolog zu Buch IV steigert der Erzähler die Präsenz der Dame (eigene Unvollkommenheit [1–14], Lob der Dame [15–28], Bitte an Gott um Lohn für die Dame [29–30]). Im Prolog zu Buch V nennt er wiederum die Dame als Inspiration (1–7), lobt ihre Eigenschaften (8–14) und bittet bei Gott für sie (15–18). Der Prolog zu Buch VI wiederholt das Schema von Natureingang (1–5), Lob der Dame (6–12) und Fürbitte an Gott (13–18).

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 Paratexte

rie der eigenen Unzulänglichkeit, die des Minnedienstes und der Gnade Gottes bedarf, ist Teil eines rhetorischen Konzeptes der Legitimation des Romans. Zwischen der Erzählinstanz und der göttlichen Instanz fungiert die Minnedame als Vermittlerin, die dem Ich Kraft zur Vollendung seines Werkes verleiht und die andererseits besonderen göttlichen Schutz benötigt. Während in den Prologen zu den ersten Büchern die Minnedame als der für das Entstehen des Werkes auslösende Faktor präsentiert wird, treten im Prolog zu Buch VIII die Dame, Venus und Gott auf; im Prolog zu Buch IX werden die Dame und Gott und im Prolog zu Buch X der Minnedienst als für das Vollenden notwendiger Beistand des Ichs angerufen.115 Der Prolog zu Buch IX bietet gegenüber den vorherigen Prologen einige Neuerungen. 10

Nochtan siint mi te sware zaken Te vertrecken dit swaer orloghe, Daer clene mine macht toe doghe, En dade siit ende god te voren. Si es hovesch ende wtvercoren, Alsoe vore in den bouke staet; Hi es miin alremeeste raet. (A IX:8–14)116

Die Erzählinstanz nimmt direkt Bezug auf ein früheres Buch („alsoe vore“) und gibt zum ersten Mal in einem Prolog eine Kurzinformation zur materia des folgenden Buches, dem Krieg um Konstantinopel (V. 9). Im Prolog zu Buch XI, der in drei Abschnitte eingeteilt ist (Anrede an die „doget“ [V. 1–11)], an Gott [V. 12–21] und an die Rezipienten [V. 22–32]), äußert das Ich den Wunsch, dass die Geschichte delectatio und utilitas bieten solle (XI:7

Der Prolog zu Buch VII behandelt Inspiration durch Minne (1–6), Lob der Dame (7–23) und formuliert eine Fürbitte (24–26), der Prolog zu Buch VIII erwünscht Hilfe durch Minne und Gott und äußert ein Minnedienstversprechen (11–14). Der Prolog zu Buch IX thematisiert Höflichkeit (1–5), Hilfe von Minne und Gott (6–14) und enthält eine Fürbitte an Maria (15–16); der Prolog zu Buch X erwähnt erneut stilisiert das eigene Unvermögen (1–18), die Minne als Quelle der Kraft (19–25) und die Fürbitte an Gott (26–28). 115 Im Prolog zu Buch X wird die Dame entpersonifiziert („dienst“, „minne“ (X:19, 20)). Es ist keineswegs so, dass sich erst im Prolog zu Buch X die Aufmerksamkeit von der Angebeteten zu Gott verschiebt, da jeder Prolog zwischen II und X (bis auf III und VIII) mit einer Bitte an Gott oder Maria endet. 116 Hier wurde der Handschrift A der Vorzug gegeben, in Handschrift B findet sich an dieser Stelle in V. 14 „Sy is mijn alre meiste raet“. Da jedoch ein Gegensatz zwischen V. 12 und 14 inhaltlich sinnvoller erscheint, ist die Lesart mit dem Personalpronomen im Maskulinum vorzuziehen.



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und 16).117 Von der Funktion leitet der Dichter über zu den Rezipienten, die die Geschichte „lesen of lesen hoeren“ (XI:23), und bittet sie, sich bei Gott für sein ewiges Leben einzusetzen. Der Prolog zu Buch XII ist wiederum in drei Abschnitte zu gliedern. Zuerst bittet das Ich Jesus und dann Gott in einem Gebet um Hilfe auf dem Weg zum ewigen Reich (XII:1–22, 23–34). Im dritten Abschnitt ruft die Erzählinstanz wiederum Gott an, ihr die schwere Last des Gedichtes tragen zu helfen, damit es den Rezipienten „behagen“ möge und nicht „ghelachtert“ würde (XII:35–48). Der Aufbau und die Thematik der einzelnen Prologe und der Prologe als Ganzes sind nach einem bestimmten Prologprogramm systematisch entworfen. Betrachtet man die zwölf Prologe als zusammengehörigen Paratext, d. h. als deutlich vom Erzähltext abgesetztes Rahmenstück, dienen sie dazu, möglicher Kritik an der Dichtung mit Unfähigkeitsfloskeln und den Topoi von Dichtung als Minnedienst und als göttlicher Gnade zu begegnen. Die Erzählergestalt präsentiert sich als demütiger, sündiger Mensch, der sich in den Dienst eines anderen begeben hat.118 Das „ghedicht“ wiederum vermittelt das Ich über eine gekonnte literarische Strategie mit den Stationen Entstehungsprozess, Funktion und Rezeption. Dem jeweiligen Stadium des Schaffensprozesses entsprechend betont das Ich im ersten Prolog das Beginnen (I:29), in der Mitte den Zweifel, ob es das Werk weiterschreiben soll oder nicht (IV:5, 9–11), kurz vor dem Ende den Wunsch, dass es nicht nur vollendet, sondern gut aufgenommen werde (XI:7), und im letzten Prolog das große Gewicht des Werks (auch im eher wörtlichen Sinne aufgrund der großen Anzahl an Versen und des dafür benötigten Pergaments [XII:35–36]).

2.3.2 Prologe in Margreth von Limburg Jedem der elf Bücher seines Margreth-Romans stellt Johann von Soest einen Prolog voran. Der Beginn jedes Prologs ist mit einer mehrzeiligen Lombarde hervorgehoben, die zwischen 4 und 10 Zeilen hoch ist. Der Umfang der Prologe variiert zwischen 7 (Buch 10) und 92 Versen (Buch 1). Jeder Prolog besteht aus ein bis drei Einheiten, erstens einer expliziten Benennung als „Prologus“ (bei den Prolo-

117 Sonnemans 1995 und De Wachter 1998a brachten nur den Aspekt der utilitas zur Sprache. Das Adjektiv „bequeme“ (V. 7) wird häufig in der Bedeutung „angenehm, Vergnügen bringend“ verwendet. 118 Zu einem möglichen Verständnis des Dienstmanns als Devotionsformel des Dichters Reuvekamp-Felber 2001, S. 17, Anm. 37.

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gen zu Buch 3 und 6),119 zweitens einem prologus praeter rem und drittens einem expliziten Abschluss des Prologs (in den Prologen zu den Büchern 5–7, 9–11). Das Ende des Prologs ist ab Buch 3 optisch an der Verwendung roter Tinte für die jeweils letzten 4 bis 6 Verse erkennbar. Unter Befolgung der Augustinischen Regel vom Beginn in Gottes Namen präsentiert Johann in Vers 2 ein als Sünder stilisiertes Ich: „ich armer sonder“ (E 1:2). Das Ich bittet Gott inständig, sein Buch zu einem guten Ende bringen zu dürfen (E 1:27–28). Entsprechend der Terminologie Genettes sei es als auktoriales Vorwort bezeichnet.120 Zwar nimmt der Text keine entsprechende Zuschreibung vor, es gibt jedoch genügend Indizien, dieses Ich mit dem Autor Johann von Soest zu identifizieren.121 Im Epilog nennt sich der Autor explizit mit Namen (E 11:3657– 3658). Auf dem Spruchband des Dedikationsblattes bittet der Musiker Johann von Soest den Fürsten um eine wohlwollende Aufnahme des Buches. In anderen Texten verfährt Johann von Soest in vergleichbarer Weise. In der Gemein bicht spricht er von sich als „Iohannen mich von Söst … mich armen bloden sonder“ (V. 1165, 1177). Im Fürstenspiegel formuliert er, dem Text auf dem Spruchband im Margreth-Roman sehr ähnlich: „Accipi mi princeps palatine philippe laborem. / De cantore tuo suzato queso Johanne“ (fol. 177r). Diese Worte des Prologs werfen die Frage auf, wie sich das Text-Ich zum historischen Individuum verhält. Das Ich eines Textes ist nicht nur in verschiedenen Gattungen unterschiedlich bewertet – einem Ich eines Briefes oder einer Autobiographie wird eine größere Authentizität zugeschrieben als dem Ich eines Romans –, es können auch innerhalb einer Gattung unterschiedliche Relationen zwischen dem Text-Ich und dem textexternen Produzenten des niedergeschriebenen Ich existieren.122 Für den MargrethRoman Johanns sei daher das Verhältnis von Autor und Erzähler nicht von vornherein auf ein bestimmtes Dogma festgelegt;123 es ist im Lauf der Textanalyse näher zu ermitteln. Der Prolog zu Buch 1 der Johannschen Fassung beginnt wie der MargrieteRoman mit einer invocatio, mit der das Ich um Unterstützung bei der Abfassung

119 Der Prolog zu Buch 3 wird explizit als „PROLOGUS“ angekündigt (fol. 51v), über dem Prolog zu Buch 6 steht „Prologus Li 6ti“ (fol. 145v). 120 Genette 1989, S. 173. 121 Nach Genette ist ein Vorwort authentisch, wenn die „Zuschreibung an eine wirkliche Person durch … Indizien bekräftigt wird“ (Genette 1989, S. 173). 122 Der Versuch einer näheren Bestimmung des Ich in schriftlichen Äußerungsakten bei Wagner 1999. 123 Das bedeutet nicht, dass die erzähltheoretische Unterscheidung von Autor und Erzähler negiert werden soll.



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bittet (E 1:1–28).124 Den Anrufungscharakter unterstreichen die dieser Semantik entstammenden Wörter „roff“ (E 1:5), „prophetzy“ (E 1:6), „lutend“ (E 1:8) und „von wort zu wort“ (E 1:8). Dem Verb „invocantibus“ der aus dem Loblied Davids entnommenen Bibelstelle (Psalm 145,18) folgt eine deutsche Übersetzung, endend mit „dy yn in noten roffen an“ (E 1:15).125 Das Ich wiederholt das Verb nochmals: „roff ich dich an, das du mych storst“ (E 1:25). Der Vers hebt durch den Chiasmus den Gegensatz zwischen Anrufendem und Angerufenem hervor. Im zweiten Abschnitt des ersten Prologs des Versromans äußert sich die Erzählinstanz ausführlich zu den belehrenden Funktionen des Werkes, auch wenn es „poetrye“ sei (E 1:29–47).126 Das Buch sei geschrieben, um die christ­ lichen und weltlichen Tugenden der Anteilnahme, der Freigebigkeit und der Sittlichkeit zu erlernen. Außer einer Rechtfertigung des Dichtungsaktes als solchem antizipiert das Ich eine von ihm unbeabsichtigte Rezeption, d. h., wenn man daraus „pubery“ erlernte. Mit dem auch in der humanistischen Literatur belegten Gleichnis127 von der Biene und der Spinne, die aus der gleichen Blume Honig und Gift gewännen,128 leitet das Ich zum dritten Teil des Prologs über: Das Publikum, aber nur die „fromen“ und „dy grossen heern“, sei in der Lage, aus dem Werk in angemessener Weise zu lernen. In einem ausgiebigen Fürstenpreis lobt das Ich im Besonderen den Gönner, Kurfürst Philipp den Aufrichtigen, und dessen Frau (E 1:48–85). Scherzhaft fügt es ein, Philipp sei häufig „scharff“ hinter seiner späteren Frau Margreth hergerannt.129 In einem den Prolog abschließenden Gebet ruft das Ich die Dreifaltigkeit um Unterstützung für seine Absicht an, mit dem Werk die Menschen von der Sünde zu heilen (E 1: 86–92). Wie im ersten Prolog zum Margriete-Roman fehlt im ersten Prolog Johanns jeder Bezug zur materia. Intentio und laudatio sind in ein um Gnade ersuchendes Inspirationsgebet eingebettet. Der Prolog in seiner Gesamtheit ist ein prologus praeter rem, der programmatisch die intentio auctoris entwirft und den fürstlichen Auftraggeber preist. Die im Konzessivsatz „Wywol es poetrye heyst / Dannoch hot

124 Auch wenn die Übereinstimmung des Themas der göttlichen Hilfe mit dem I. Prolog in der Margriete offenkundig ist, geht der Prolog im Weiteren völlig eigene Wege. 125 Auch die Prologverse des Reinfried von Braunschweig (V. 52–55) gehen auf diese Bibelsentenz zurück. 126 Zur didaktischen Tendenz Bonath / Brunner 1975, S. 146. 127 J. Butzbach, erwähnt bei Wirth 1928, S. 76. 128 „Gelich eyn bloem in hogher blut / Da men uss seugt ja boss und gut / Dy byhen da uss eyn honig slyfft / Dy spyn da uss seugt boss vergyfft / Und doch uss eyner blomen komen“ (E 1:43–47). 129 Das Ich vergleicht Margreth mit Esther aus dem alten Testament, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens König Artaxerxes dazu bewegen kann, die Ausrottung der Juden durch einen Sturz Hamans zu vereiteln.

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man das allermeist / Ertracht alleyn vmb gutte ding“ (E 1:29–31) erwartete NichtKausalität zwischen Dichtung und Lehre bleibt unwirksam. Der Erzähler funk­ tionalisiert das „buch von Margrethen“ als eine Lehre von Freigebigkeit und sittlicher Tugend: „tzu leren … milticheit / Und zyttlich toghent allermeist“ (E 1:34–35). Indem Johann über diese didaktische Qualität oberhalb der Ebene der materia reflektiert, präsentiert sich der Prolog als Theorie über die Wirkungsweisen von Dichtung in der außerliterarischen Lebenswelt. Die Metapher der Blume schiebt geschickt die Verantwortung für die gelungene Rezeption zwischen den Extremen von Gut und Böse weg vom Autor zu dem zwischen den Polen Biene und Spinne agierenden Rezipienten. Das literarische Werk, dessen Rezeption sich wie das Aufsaugen des Blütensaftes vollziehe, erhält erst im Rezeptionsvorgang seine Bestimmung. Bei Buch 2 führt die Überschrift „wy sy des graven / son Echites lyp gewan, dar durch / sy in gros ongeluck kam“ (fol. 20v) in die narratio ein; der 42-zeilige Prolog ist wiederum eine theoretische Reflexion, in diesem Fall über die zerstörerische Kraft weltlicher Liebe. Im inhaltlich aus sechs Abschnitten bestehenden Prolog charakterisiert und personifiziert das Ich im ersten Teil (E 2:1–18) insgesamt nicht weniger als zwölfmal die „lyb“ anaphorisch als „onsynnig“, „onbescheyden“, sie „nyt focht das ewig fur“. Der zweite Teil setzt antithetisch die göttliche Liebe gegen die giftige erste Liebe (E 2:19–22). Je größer die göttliche Liebe in jemandem sei, desto größer werde dessen Tugend. Durch die Wiederholung des Schlüsselwortes „toghent“ aus dem Prolog zu Buch 1 greift das Ich auf die Funktionalisierung von Fiktion als Exempel für die Bewältigung weltlicher Lebenspraxis zurück. Die folgenden vier Verse (E 2:23–26) warnen vor dem Tod als letzter Folge der Unfrieden stiftenden Liebe, während der vierte Abschnitt mit dem Beispiel von Paris und Helena als Auslöser für den Untergang Trojas an die zerstörerische Kraft dieser Art von Liebe erinnert (E 2:27–36). Nach der systematisch aufgebauten Viererreihe von Definition, Antithese, Folgen und Beispiel destruktiver Liebe nimmt der Prolog Bezug auf die narratio des Buches: Margreth sei von einer derartigen Liebe schlecht belohnt worden (E 2:37–40). Eine Ermahnung an die Rezipienten, sich vor einer solchen Liebe zu hüten, führt hinüber zur text­ externen Ebene der Lebenswelt des Publikums (E 2:41–42). Der Prolog fokussiert zunehmend wie eine Art Trichter von einer breiten Sicht auf die Liebe über die exemplarische Minne des Paris und der Helena zur Geschichte Margreths, die der Rezipient nun hören werde. Der dritte Prolog im Roman Johanns (62 V.) besteht aus dem prologus praeter rem, einem Dankgebet an Gott (V. 1–44), und einem prologus ante rem, der den beabsichtigten Zweck des Buches erklärt (V. 45–58), sowie einer Überleitungsformel mit der Ermahnung zuzuhören und einer kurzen Andeutung der folgenden narratio (V. 59–62). Auch wenn man im Dankgebet manche Aussagen als reine



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Bescheidenheitstopoi auffassen könnte, bezieht sich das Ich auf die Lebensumstände des Dichters Johann, wenn es hervorhebt, dass es in der Dichtkunst kein Meister sei130 und auch seine Kinder erwähnt.131 Der Prolog zu Buch 4 umschreibt zunächst die Entstehungsbedingungen des Werkes (V. 1–6): den Auftrag und die Art der Wiedererzählung („transfyryren“, V.  4) aus „flemscher“ Sprache in eine als „halp jutsch“ bezeichnete. Im weiteren Verlauf drückt das Ich immer stärker den Wunsch nach einer wohlwollenden Aufnahme des Werkes vor allem durch den von ihm superlativisch als „hubschte furst“ bezeichneten Kurfürsten aus (V. 7–18). Falls der Fürst jedoch am Werk keinen Gefallen fände, riefe das beim Ich „tzorn“ hervor (V. 9), vor allem wegen der Mühe und der Arbeit, die es Tag und Nacht aufgewendet habe. Im zweiten Teil des Prologs (V. 19–24) ermahnt der Erzähler den Rezipienten wiederum, ihm zuzuhören. Es folgt eine Überschrift zur narratio des nun folgenden Buches 4, das erzähle, „Wy das her Henrich wol getan / eyn hertzoghynne von Meylon / beslyff und yr das lant gewan“ (V. 25–27). Der Prolog zu Buch 5 weist einen dreigliedrigen Aufbau auf. Ausführlich beschreibt das Ich den positiven Einfluss Philipps auf den Entstehungsprozess des Werkes (V. 1–20), daran schließt sich ein Gebet des Ich für sich selbst, aber kombiniert mit einer Bitte um Weisheit für Philipp, an (V. 21–30). Die Formel „Explicit prologus, dy furred die ist uss“ (V. 31–32), die in roter Tinte geschrieben wurde, schließt zwar den Prolog als solchen ab, es folgt jedoch noch eine kurze, ebenfalls in Rot geschriebene Ankündigung der Geschehnisse im nachfolgenden Buch 5 (V. 33–37). Der Prolog zu Buch 6 besteht aus zwei Teilen: 1) Ermahnung an den Kurfürsten zur „milde“ (V. 1–28), 2) Explicit-Formel (V. 31). Bereits im Prolog zu Buch 4 ist die Erwähnung von Zornesausbrüchen beim Erzähler-Ich als ungewöhnlich zu charakterisieren. Im ersten Teil des Prologs zu Buch 6 tritt diese wenig gebräuchliche Art zu schreiben immer mehr hervor. Der Prolog beginnt zwar traditionell mit einem Gönnerpreis und rühmt die „guticheit“ und „toghent“ Philipps und seiner Frau, wechselt dann jedoch zum Thema der „gutten“ Entlohnung und der noch in der 3. P. Sg. formulierten Bitte an den Auftraggeber, für die Kinder des Ich nach dessen Tod gut zu sorgen (V. 12–13): Zuerst bittet das Ich den Fürsten Philipp in der 3. P. Sg. (V. 3, 8, 11, 12) um Fürsorge für seine Kinder, es folgen einige allgemein formulierte Verse über die erwünschte Freigebigkeit eines Fürsten (V. 18–25), die mit einer Zeigehand und Rotmarkierung am Rand hervorgehoben werden. Danach jedoch spricht das Ich in ungewöhnlich direkter Weise Kurfürst

130 In der Sangeskunst dagegen bietet es, so könnte es suggerieren, Außergewöhnliches. 131 Nach seiner Autobiographie zu urteilen hatte Johann mehrere Kinder.

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Philipp an: „P, hut dich fur solchem gewyn! / das raed ich dyr uss gantzen trwen / ess wyrt dich nummerme berwen“ (V. 26–28). Auch wenn man geneigt ist, diese Aussagen als Inszenierung einer rein fiktionalen Erzählerfigur zu werten, können sie vor dem Hintergrund der Kenntnisse über das Leben Johanns von Soest auch auf die historische Person des Autors abzielen. Nicht nur seine Selbstaussagen beziehen sich auf die außerliterarische Wirklichkeit, sondern er benennt (vor allem in Buch 10) konkrete Vorgänge am Heidelberger Hof (vgl. 4.2). Dabei sind die sich auf die Lebenswelt beziehenden Aussagen in die fiktionale Geschichte eingepasst. Der Gedanke, der Rezipient könne durch die Lektüre des Buches auf „boess gedancken“ kommen, der im Prolog zu Buch 1 noch vorsichtig metaphorisch thematisiert wurde (V. 37–47), dominiert den Prolog zu Buch 7 (V. 1–33), das die Ehebruchsgeschichte zwischen Evax und Sybilla erzählt. Während man im entsprechenden Prolog zum Margriete-Roman die Erwähnung des Monats Mai als Andeutung einer Liebesgeschichte auffassen könnte, ist das Ich im Johann’schen Roman bemüht, diesen Teil der Geschichte als Antiexempel zu stilisieren und sie dem Rezipienten mit Worten wie „oneert“, „schentlich verderbest“, „verfurt“ und „argelist“ warnend vor Augen zu führen. Im Gegensatz zu Prolog 1, der den Rezipienten in der 3. P. Sg. fasst, und zu den Prologen 2–6 und 9, in denen die Rezipienten in der 2. P. Pl. angesprochen werden, wechselt das Erzähler-Ich hier nun von der Anrede in der 2. P. Pl. zu einer Anrede an jeden Einzelnen in der 2. P. Sg. (du, dich etc., V. 17–26). Ein Wechsel zum Anrededuktus in der 2. P. Sg. hebt, wie vorher bei der Anrede Philipps im Prolog zu Buch 6, die Ermahnung, Aufforderung oder Bitte besonders hervor. Den Prolog zu Buch 8 (V. 1–32) arbeitet Johann als ausführlichen Gönnerpreis aus. Er lobt Philipps Eigenschaften, denn dieser sei ein „allergutigst her“, „vernufftig“, „tzuchtig“, „gerecht“ sowie „demutig wy eyn armer knecht“ und er zeichne sich durch „miltigheit“ und „frolicheit“ aus. Der Prolog zu Buch 9 (V. 1–21) beginnt mit einem Klagetopos über die Mühe der Arbeit des Schreibens, die er nur wegen Philipp und seiner Frau Margaretha auf sich nehme, gefolgt von einem Lob des Gönners (V. 1–10). Im zweiten Teil schließt sich daran eine an den Fürsten in der 3. P. Sg. gerichtete Mahnung an, die mit einer Zeigehand auch optisch hervorgehoben ist, Barmherzigkeit gegenüber den Armen walten zu lassen und dafür zu sorgen, dass seine Dienstknechte die Armen nicht denunzieren (V. 11–20). Wie im Prolog zu Buch 6 sind die abschließenden Verse der Aufforderung (hier V. 19–20) in der 2. P. Sg. an den Kurfürsten gerichtet. Nach dem „Explicit prologus“ folgt wiederum eine Zusammenfassung des folgenden Buches 9, verbunden mit einem erneuten „ad spectatores“ (V. 22–29). Der kürzeste Prolog des gesamten Romans leitet Buch 10 ein (V. 1–9). Nach den Entlohnungs- und Mühsaltopoi (V. 1–4) richtet sich das Ich wiederum explizit



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in der 2. P. Sg. an Philipp mit der Bitte, für die Kinder des Ichs Sorge zu tragen: „begnad myn kynde sonderlinghen“ (V.6). Es folgen das „Explicit prologus“ (V. 9) und nach dem Prolog eine inhaltliche Vorausschau auf Buch 10. Der Prolog zu Buch 11 (16 Verse) ist ein Bittgebet an Gott, dem Ich zu helfen, „dyss dicht volenden“ (V. 10). Nach dem erneuten „Explicit“ (V. 17) folgt eine Vo­rausschau auf den Anfang von Buch 11, das Frage-und-Antwort-Spiel, das jeder gern lese, der das Spiel erlernen wolle. Die Prologe im Roman Margreth von Limburg weisen starke Bezüge zur außerliterarischen Realität auf, sowohl in den Äußerungen über die erwünschte erzieherische Wirkung von Dichtung als auch in Bemerkungen über reale Lebensumstände des Auftraggebers Philipp des Aufrichtigen. Aufgrund der lebensweltlichen Bezüge kann angenommen werden, dass auch andere Aussagen des Erzähler-Ichs über die eigenen Lebensumstände und die Aufforderung zu einer angemessenen Entlohnung autobiographische Züge tragen.

2.3.3 Een schoone historie van Margarieten van Limborch „Hier beghinnet“: mit der volkssprachlichen Entsprechung der Incipit-Formel setzen die meisten niederländischen Prosaromane des 15. und frühen 16. Jahrhunderts ein, so auch „Hier beghinnet Die schoone hystorie van Margarieten des hertoghen dochter van Lymborch ende van haer broeder Heyndrick.“132 Der Margarieten-Text nimmt unter den Prosaauflösungen niederländischer Versepik eine besondere Stellung ein, da er ohne Prolog direkt mit dem Erzähltext beginnt. Fünf der sieben erhaltenen niederländischen Prosaauflösungen133 enthalten einen Prolog, nur Die historie van den vier Heemskinderen, im Jahre 1508 in Leiden bei Jan Severszoen erschienen,134 und der Margarieten-Prosaroman fangen direkt mit dem Erzähltext an. In keinem der Prologe wird die genaue Quelle genannt, auch wenn ab und zu darauf verwiesen wird, dass es sich um einen rezipierten

132 Mit vergleichbaren Anfängen Reynaert 1479, Melusine 1487, Buevijn van Austoen 1504, Peeter van Provencen ca. 1517, Strijt van Roncevale ca. 1520, Floris ende Blancefleur 1576. 133 Gemeint sind Reynaert 1479, Vier Heemskinderen 1508, Margarieten 1516, Floris ende Blancefleur 1576, Strijt van Roncevale ca. 1520, Malegijs 1556 und Borchgravinne van Vergi ca. 1558–60. Zu Bucheingängen in frühen gedruckten Romanen siehe demnächst Schlusemann (Sekundärliteratur, in Vorbereitung). 134 Von der ältesten erhaltenen Ausgabe, um 1490 wahrscheinlich bei Govert van Ghemen in Gouda gedruckt, ist nur ein Blatt erhalten (CA 1011). S. Besamusca 1983, S. 91. Von der Leidener Ausgabe ist nur ein Exemplar in der Universitätsbibliothek München erhalten (digital zugänglich unter http://epub.ub.uni-muenchen.de/14276/1/Cim._77.pdf).

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Text handele.135 Dennoch bezeichnet nicht einer der Prologe den Prosatext als Prosaumsetzung eines Verstextes. Nur einmal deutet ein Autor einen solchen Umarbeitungsvorgang an. Im Prolog zum Strijt van Roncevale spricht er von sich in der dritten Person: Hoewel die dichter dees boecks de materie vercort heeft / sprekende alleen op rolants ende oliuiers wercken so salment in prosen gestelt vinden altijt achteruolghende die materie der historien.136

Der Dichter habe demnach den Stoff, der von Rolant und Olivier handelt, gekürzt, während der Rest (Ogiers Taten und die seiner Verbündeten) in Prosa geschrieben sei, genau der Vorlage, der „historie“, folgend.137 Alle niederländischen Prosaromane sind wie der Großteil der niederländischen Literatur in diesem Zeitraum anonym überliefert.138 Anonymität braucht zwar ein Autorbewusstsein nicht auszuschließen, zeugt jedoch von einem geringen Selbstbewusstsein des Autors als Kunstproduzent.139 Von den fünf Prologen niederländischer Prosaifizierungen nennen zwei (Floris und Malegijs) das Personalpronomen ‚ich‘. Dieses ist mit einer sich als Autor präsentierenden Erzählinstanz des Textes gleichzusetzen.140 In beiden Fällen bemüht sich das Ich um eine Begründung für die Abfassung der Erzählung. Das Ich im Floris-Prolog sagt, die Geschichte sei entstanden, um dem Müßiggang zu entgehen:

135 Ungenaue Quellenangaben wie „ouden cronijcken ende oudt ghescrifte“ macht die Borchgravinne, Ausgabe Resoort 1988, Z. 264, oder „out gescrifte“ und „historie“ der Malegijs, Ausgabe Kuiper 1903, 2, Z. 7–8. 136 Ausgabe van Dijk 1981, S. 416, Z. 67–70. 137 Van Dijk 1981, S. 48 und S. 101. Duinhoven 1981 nimmt in seiner Rezension zu van Dijks Dissertation zwei verloren gegangene Vorlagen für den Strijt an: Ein Rolantslied als gedruckten Verstext und eine gedruckte Prosachronik, um 1500 bei van den Dorpe erschienen. 138 Im Unterschied zur deutschsprachigen Prosaliteratur, über deren Verfasser manche Hinweise und sogar einige Namensnennungen in den Prologen existieren, gibt es für die niederländischsprachige Literatur bislang kaum Hinweise auf die Autoren. Meistens geht man von Schreibern aus, die für die Drucker tätig gewesen sind. Manchmal nimmt man an, die Drucker selbst seien die Bearbeiter der Verstexte gewesen. Im Einzelnen gilt es natürlich, zwischen den Autoren, den Druckern, den Druckorten und der Zeit der Entstehung eines Textes zu differenzieren. Je weiter die Buchdruckkunst fortgeschritten ist, desto mehr muss man von einer Arbeitsteilung ausgehen, während die frühen Buchdrucker vor allem am Anfang ihrer Selbstständigkeit weitgehend mehrere Tätigkeiten in Alleinregie durchgeführt haben. 139 Müller 1985, S. 26; Müller 1988, S. 151. 140 Vgl. Baumgartner 1987, S. 172.

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Paulus seyt dat ledicheyt is dye moeder van alder quaetheyt. Om dan die te schouwen so heb ick hier nauolghende een cleyn schoone amoruese historie gestelt … (A1v)

Der Autor des Malegijs behauptet, er habe sich mit Lesen die Zeit vertrieben, um seinen Gemütszustand durch etwas Neues zu erfrischen und zu bessern. Dadurch sei er auf eine wunderbare „historie“ gestoßen: wat nyeus verfraeyt dat herte ende verlicht den sin. Aldus was ic eens geseten op mijn studorium om te lesen, ende wat vremde materien te soecken. So schiepen mijn sinnen solaes ende glorie int hooren vanden ouden historien. Ten lesten quam bi mi die wijste van alle secreten mijn vrient out gescrifte, die voor mi bracht om wat nieus te horen, een seer vremde ende wonderlike historie van eenen vromen ridder geheeten Malegijs.141

In den drei anderen Prologen zum Reynaert-, zum Floris- und zum Vergi-Roman nennt sich die Erzählergestalt überhaupt nicht in der ersten Person. Vor allem im Reynaert gibt es im Prolog signifikante Unterschiede zwischen dem Vers- und dem Prosatext.142 Die Passagen mit dem „ic“ als Subjekt lauten im Prolog des Reynaert-Verstextes:143

Dat ic bidde (12) Dat en seg ic niet om mynen wil (27) Si bad mi dat ic woude maken (32) Al berisp ic (34) Jc wil wel (36) Nu hoert ic sel (40) Mer ic bid u (42)144

Auch wenn es sich teilweise um sehr häufig wiederkehrende Formeln handelt, zeugen sie doch deutlich von einer Darstellung des folgenden Textes als selbst geschaffenem Produkt. Der Prosa-Reynaert hat einen völlig neuen Prolog erhal-

141 Malegijs, Ausg. Kuiper 1903, S. 2. 142 Von den sieben entsprechenden Verstexten sind das Roelantslied, der Madelgijs und der Renout van Montalbaen nur bruchstückhaft überliefert (Kienhorst 1988). Die Prologe dieser Verstexte sind nicht erhalten. Ein direkter Vergleich der Prologe der Vers- und der Prosatradition ist somit für das ausgewählte Textcorpus nur beim Reynaert-, beim Floris- und beim Vergi-Stoff möglich. 143 Zitate aus Van den vos Reynaerde nach der Edition von Bouwman und Besamusca 2002, von Reynaerts historie nach der Edition von Schlusemann und Wackers 2005 sowie von der gedruckten Prosaversion Historie van reynaert die vos nach der Edition von Rijns 2007. 144 Der Prolog zu Reynaerts historie ist nahezu wörtlich gleich mit dem Prolog aus Van den vos Reynaerde (synoptische Ausgabe Hellinga 1952; siehe auch Rijns 2007).

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ten, in dem die Erzählinstanz nicht ein einziges Mal auf der Textoberfläche erscheint. Alle in dieser Hinsicht relevanten Sätze sind im Passiv formuliert:

bi parabolen bescreuen sijn (2–3) dit boec is gemaect (10) wanttet seer subtijl gheset is (21–22)

Der Bearbeiter des Prosatextes hat sich und seine Tätigkeit offensichtlich bewusst zurückgenommen. Vergleichbares ist im Laufe der Floris-Tradition anzutreffen. Das Subjekt-Ich tritt im Prolog zur Prosafassung nur einmal auf, um die Produktion der Erzählung zu rechtfertigen, im Prolog zum Floris-Versroman des Diederic van Assenede kommt ein Subjekt-Ich dagegen gleich sechsmal vor:

Nu hoert na mi, ic sal beghinnen Ene aventure tellen van minnen (1–2) Dien annics datter wese bi (9) Oec en willics niet verbieden (11) Als ic van desen tween tellen sal (42) Daer ic of segghe daventure (85) Nu hoort, hoe ic u sel beghinnen (88)

Eine Betonung fällt sehr häufig auf das Erzählen der Geschichte.145 Vergleichbar ist die Entwicklung zum Rückzug des Erzählers auch in der Vergi-Tradition mit einer dreimaligen Nennung des Erzähler-Ichs im Prolog des Verstextes (V. 38, 50, 52 in der Ausgabe Jansen-Sieben 1979), das im Prolog zum Prosatext der sich selbst erzählenden Historie als Subjekt gewichen ist.146 In einigen deutschen Prosaromanen wird dieser Akt des Rückzugs noch zielgerichteter formuliert: Der Bearbeiter des Wigoleis nennt sich bewusst „vngenannt“: „bin ich vngenannt. Durch etlich edel vnd auch ander personen / mann vnd frawen gebetten worden / wien zu lieb die hystory / … / auß rymen im vngerymbt beschriben.“147

145 Wenn dagegen von der Produktion des Versromans die Rede ist, wählt der Schreiber für sich und seine Tätigkeit die dritte Person, z. B. im Floris ende Blancefloer des Diederic van Assenede: „Hets worden herde te sure / Van Assenede Diederike. / Dien seldijs danken ghemeenlike, / Dat hi uten Walsche heeft ghedicht / Ende verstandelike in Dietsche bericht / Den ghenen, de Walsch niet en connen“ (22–27). – Meines Erachtens kann man für diesen Prolog eine deutliche Trennung zwischen der Person des Autors und der des Erzählers im Bewusstsein des Schreibers des Prologs feststellen. Interpretiert man die zitierten Verse wörtlich, wird der ganze Prolog vom Erzähler der Geschichte gesprochen, der in den Versen 19–34 von der Tätigkeit des Autors berichtet. 146 Borchgravinne, Ausg. Resoort 1988, S. 5 und 263. 147 Wigoleis, fol. A2r. Der Prolog ist nur in der Ausgabe aus dem Jahre 1519 überliefert. Es gibt eine weitere, am Anfang verstümmelte, editio princeps von 1493 (Brandstetter 1966). Das Ich



Vermittlung der Margriete-Romane 

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Der Anfang des Verstextes des Floris setzt, hinsichtlich der Bewertung der Kommunikationssituation bedeutungsträchtig, mit einem Temporaladverb ein: „Nu hoort na mi ic sal beghinnen“ (Diederic, Floris, V. 1). Die mündliche Kommunikation ereignet sich im Jetzt, das genau wie das Ich im Akt des Erzählens konkret wird. Das Deiktum präsentiert die Erzählwelt aus einer bestimmten Perspektive. Das sprechende Ich legt fest, von welchem Punkt aus die Welt (des Romans) präsentiert wird. Im Versroman Margriete van Limborch heißt es entsprechend im ersten Prolog: „Nu beghinnic in hare eren / ende in des heren alder heren“ (A I:29–30). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Rezeptionssituation mittelalterlicher Versepik, die Müller als „Kommunikationssituation unter Anwesenden“148 bezeichnet hat. Die Kommunikation finde überwiegend statt in einer individuell überschaubaren und durch persönliche Beziehungen konsti­ tuierten Alltagswelt.149 In den Prologen wie zu Beginn eines Erzähltextes weicht der Erzähler in den Prosaversionen zurück. An die Stelle der Erzählerfigur tritt die Erzählinstanz der „historie“. Die „historie“ erzählt sich scheinbar von selbst. Das temporale „nu“ des erzählenden Ich im Versroman umfasst ein lokales ‚Hier‘, denn das hic et nunc fallen bei einer Geschichte, die erzählt wird, zusammen. In den historien in Prosa ist nur noch das lokale ‚Hier‘ (oftmals kombiniert mit dem Titel der Geschichte) übriggeblieben. Die Geschichte tritt auch grammatisch als Subjekt auf: „daer dese historie af spreken sal“ (Borchgravinne), „alsoe als die historie vertelt“ (Vier Heemskinderen), „alsoe die historie hier nae volghende verclaren sal“ (Strijt) oder „hier beghinnet die historie“ (Margarieten). Das ‚Jetzt‘ des Versromans wird in den späteren Versionen ein ‚Hier‘ mit vielen möglichen Momenten der Rezeption, die der Rezipient selbst bestimmt. Der Wechsel vom Jetzt der einsetzenden Rede des persönlichen Erzählers im Versroman, das das Hier einschließt,150 zum Hier des Romanbeginns mit dem

wird in diesem Prolog hervorgehoben, nimmt sich aber sofort wieder in die Anonymität zurück (vgl. Müller 1988, S. 151). 148 Müller 1988, S. 152. An anderer Stelle spricht er von einer „face-to-face-Situation“ als Regelfall (Müller 1985, S. 54). 149 Ebd. Man darf jedoch für das 15. Jahrhundert nicht von einer Handschriftenproduktion ausgehen, die nur von einer bestimmten Auftragssituation her motiviert ist. Für den deutschsprachigen Raum hat man für die Schreibwerkstätte Diebold Laubers eine serienmäßige Produktion von Handschriften auf Vorrat nachgewiesen (vgl. Brandis 1984, S. 182  f., auch zu Ludwig Henfflin und Peter Schöffer). Andererseits sind auch Drucke nicht nur für eine anonyme Öffentlichkeit hergestellt worden. Vgl. Ott 1984, S. 32, zur individuellen Ausgestaltung von Frühdrucken. 150 Man kann eine mündliche Erzählung nicht beginnen mit: „Hier fange ich an“, weil das Hier durch das Jetzt selbstverständlich und somit überflüssig ist. Das Jetzt und das Hier fallen bei einer so beginnenden Ich-Erzählung zusammen.

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 Paratexte

Romantitel selbst als Subjekt, das das Jetzt ausschließt,151 hat sich vollzogen. Im Prosaroman bietet sich der Text mit den ersten beiden Worten „Hier beghinnet“ einem nicht näher bezeichneten lesenden Publikum an und dirigiert den Gebrauch des Textes hin zu einer eigenständigen Lektüre. Dieser Eingrenzung steht eine Ausweitung der konkreten Gebrauchsorte gegenüber, denn das mehr oder weniger eindeutige Hier und Jetzt des Verstextes wird für den Prosaroman zum Hier mit vielen möglichen Orten der Rezeption. Gerade das „Hier beghinnet“ drückt ein Übergangsstadium in der Entwicklung von einem zum Sprechen anhebenden Ich zu einer anonymen Kommunikation aus. Der Titel des jeweiligen Prosatextes in der Subjektrolle präsentiert die Erzählung, der Text präsentiert sich also selbst und ersetzt mit seiner Stimme die des Erzähler-Ichs des Verstextes.152 In einem folgenden Schritt des Sich-nicht-mehr-Präsentierens findet sich nur noch der Titel. In der niederländischen Floris-Tradition sind die einzelnen Entwicklungsschritte vom „Nu hoert, ic sal“ im Verstext über das „Hier beghint die historie van Floris ende Blancefleur“ im Druck von 1576 (A2r) zur einfachen Titelankündigung ohne deiktisches Hier im Druck von 1642 erkennbar.153

2.3.4 Notizen in der Margreth-Handschrift Neben Überschriften und Prologen erhält der Rezipient in der Heidelberger Handschrift des Romans Margreth von Limburg auch äußere Hinweise zur Sinnstiftung des Romans. Diese Hervorhebungen, seien es maniculae, nō-Zeichen oder Längsstriche neben den Versen, markieren in den ersten beiden Büchern hauptsächlich Bibelstellen oder sind an verschiedenen Stellen eingefügt, die Gottesfurcht und Frömmigkeit betonen. In Buch 3 sind überwiegend solche Textstellen markiert, die Henrichs Kampfkraft bzw. die Brutalität seiner Gegner schildern.154 Die Bücher 6 und 7 des deutschen Romans weisen mit 9 bzw. 15 Markierungen bedeutend mehr als die anderen Bücher auf. Die Zahl der maniculae erhöht sich von null in Buch 1–5 über drei in Buch 6 auf sieben in Buch 7.155 In Buch 6 hebt die

151 „‚Jetzt‘ sich vollziehende Rede“ ist für den Prosaroman ausgeschlossen. Was übrig bleibt, ist „‚hier‘ anhebender Text“ (Müller 1988, S. 153). 152 Vgl. Baumgartner 1987, S. 175. 153 Historie van Floris ende Blancefleur, Ausg. Boekenoogen 1903, S. 3. 154 E 3:349, 400, 733, 713, 1131, 1139, 1150, 1266, 1326, 1375, 1407, 1527, 1540, 1605, 1761. Die Textstelle E 3:1762–1767 mit nō-Zeichen und Längsstrich berichtet über die Rache des Herzogs von Limburg an den Bewohnern Triers für deren Verrat an seinem Sohn. 155 Danach nimmt sie wieder ab: in Buch 8 und 11 jeweils keine, in Buch 9 eine und in Buch 10 zwei.



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erste Zeigehand der Handschrift den Nutzen und Sinn der „milte“ (E 6:18) hervor. Weiterhin sind in Buch 6 Belehrungen und Lebensweisheiten, die sich an einen Fürsten richten, markiert: Ein Angriffskrieg sei verwerflich (E 6:445–502) und zu viel des Lobes sei schädlich (E 6:959–1003, 1030). Außer der Kampfkraft und dem Edelmut des Evax (E 6:84–118, 1382–1401) sind danach vor allem die kommentierenden Begleittexte markiert, die die Liebe des Evax zur Königin Sibilla verurteilen (E 6:2000–2041, E 7:1507–1514, 7:1623, 7:1785–1793) oder den Liebeswahnsinn darstellen (E 7:220, 1082–1093, 1463, 1471–1481). In den Büchern 8 bis 11 ist die Zahl der Markierungen verhältnismäßig gering. In Buch 8 werden vier,156 in Buch 9 lediglich ein Abschnitt im Prolog (auch mit manicula) sowie in Buch 10 und 11 je zwei Textabschnitte markiert.157 Diese heben Äußerungen zu wichtigen fürstlichen Eigenschaften wie Kampfkraft (E 8:860), aber auch zur Barmherzigkeit (E 9:11–20) und zur Vermeidung von Unkeuschheit (E 10:1082) hervor. In Buch 10 sind sogar auf 16 Seiten alle Verse hintereinander angestrichen, beginnend mit einer manicula links neben dem Text (E 10:693– 1193). Auf diese Weise wird die gesamte als Rede der Dame Weisheit eingekleidete Fürstenbelehrung hervorgehoben. Mit den Markierungen stellt die äußere Gestaltung der Handschrift somit bedeutende Sinndimensionen des Margreth-Romans als Verurteilung unkeuschen, nicht mit den gesellschaftlichen Normen übereinstimmenden Verhaltens sowie als Fürstenspiegel in den Vordergrund.

2.4 Illustrationen in Een schoone historie van Margarieten van Limborch In der Margarieten van Limborch von 1516 sind außer der Titelblattillustration 34 verschiedene Holzschnittillustrationen eingefügt.158 Davon werden je zwei zweimal und zwei einmal wiederholt,159 so dass es sich um insgesamt 40 Illustrationen handelt (vgl. die Abbildungen im Anhang B). Die Herkunft und die Funk-

156 E 8:545, 1860, 2585 und 3315 mit nō-Zeichen, die Verse E 8:546–550 und 3316–3320 sind jeweils links angestrichen. 157 E 10:693–1139, 1082–1085, jeweils beginnend mit einer manicula; E 11:123–135, 1399–1421. Die Angaben bei Klett stimmen nicht mit eigenen Beobachtungen bei der Autopsie der Handschrift überein. 158 Der Illustrationszyklus wird im Anhang B zum ersten Mal vollständig vorgestellt. 159 Zu den Kapiteln 30 (von Kap. 20), 63 (von Kap. 33), 85 (von Kap. 40), 97 (von Kap. 51), 109 (von Kap. 20 und 30) und 114 (von Kap. 40 und 85). Die Wiederholungen kommen hauptsächlich am Ende des Buches vor. Dies spricht dafür, dass dem Illustrator neues passendes Material fehlte.

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 Paratexte

tion der Holzschnitte sowie die Relation zwischen Text und Bild in den Drucken Vorstermans im Allgemeinen, aber auch in der Margarieten van Limborch im Besonderen sind in der Forschung bisher kaum berücksichtigt worden.160 Keine der Illustrationen in der Margarieten-Historie passt zum Satzspiegel der in zwei Spalten gedruckten Ausgabe. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Holzstöcke eigens für diese Ausgabe hergestellt wurden.161 Die Holzschnitte weichen hinsichtlich des Formats und des Stils voneinander ab. Sie stammen aus verschiedenen, zum Teil bereits vorher eingesetzten Zyklen. Vorsterman verwendete für die Illustrierung erstens teilweise neue, eigens für den Stoff des Romans hergestellte Holzstöcke. Zweitens wählte er aus seinem eigenen Vorrat bereits vorher für andere Texte benutzte Holzschnitte und gebrauchte geliehene oder gekaufte Holzstöcke anderer Drucker. Drittens schnitt er bereits bestehende Motive nach.162 Von den 40 Illustrationen des Margarieten-Drucks können 31 sicher diesen drei Gruppen zugeordnet werden, wie im Folgenden aufgezeigt wird.163 Die Illustrationen sind allesamt am Beginn eines Kapitels eingefügt worden und haben deutlich strukturierende Funktion. Am Beginn des Romans werden wesentlich mehr Holzschnitte verwendet als im Verlauf des Buches und am Ende. Ein Holzschnitt dient dazu, ein Kapitel einzuleiten. Die Anzahl der Holzschnitte nimmt ab und die Länge der Kapitel nimmt zu. Das bedeutet, dass auch der Abstand zwischen einer Illustration und der nächsten proportional zunimmt. So gibt es z. B. zwischen dem Holzschnitt zu Kapitel  97 (B 34, p4r) und dem Holzschnitt zu Kapitel 106 (B 35, s1r) insgesamt 25 Seiten ohne jede Illustration, während am Anfang die erste Lage, bestehend aus 6 Blättern oder 12 Seiten, mit 6 Illustrationen versehen ist, so dass durchschnittlich jede zweite Seite ein

160 Schlusemann 1994 wies anhand der Verwendung der gleichen Holzschnitte eine Zusammenarbeit von van Doesborch und Vorsterman zwischen 1516 und 1518 nach. Auch Holzstöcke des Druckes Van den vier heemskinderen, der 1508 bei Jan Severszoen in Leiden erschien, sind später für den Margarieten-Druck verwendet worden (Schlusemann 1997). 161 Margarieten, S. 151. 162 Schellart gab in der Einleitung zu seiner Edition des Prosaromans bereits an, dass manche der Illustrationen auch in anderen Texten vorkämen (Margarieten, S. XVII), ohne jedoch Angaben zu ihrer möglichen Herkunft zu machen. Seines Erachtens handelte es sich um die Holzschnitte zu den Kapiteln 7, 16, 33, 51, 67 und 118 (Margarieten, S. 151). 163 Die Herkunft von neun Illustrationen zu den Kapiteln  3, 4, 5, 12, 18, 45, 50, 110 und 118 konnte bisher nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Die Illustrationen zu den Kapiteln  4 und 5 stammen offensichtlich aus der Pyramus en Thisbe-Tradition. Die Holzschnitte zu den Kapiteln 18, 45, 50, 110 und 118 sind wahrscheinlich bereits vorher in Drucken Jan van Doesborchs verwendet worden, da sie in Stil und Aufmachung große Übereinstimmung zu anderen Illustrationen seiner Drucke aufweisen.



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Bild aufweist. Der Illustrator hatte offensichtlich am Ende weniger Interesse, die Geschichte zu illustrieren, oder weniger Material. Während in der ersten Lage des Drucks 6 der 40 Abbildungen vorkommen, ist in den folgenden Lagen die Anzahl stark reduziert.164 Es gibt keine andere Lage mit so vielen Abbildungen und es gibt nur 2 Lagen mit 4 Illustrationen (f, h). Dieses Phänomen ist auf die Besonderheiten des frühneuzeitlichen Buchmarkts zurückzuführen. Oftmals stand potentiellen Käufern nur die erste Lage eines Buches zur Ansicht zur Verfügung. Für Handschriften wie für frühe Drucke gilt daher, dass die Verleger-Herausgeber besonderen Wert auf die Ausstattung des Buchbeginns legten.165 Inhaltlich stellen die Abbildungen hauptsächlich Ankunfts- und Abschiedsszenen (Anhang B Nr. 1, 11, 16, 23, 26, 29, 30), Botenszenen (B 10, 13, 19, 25, 37), Bankett- und Turnierszenen (B 14, 15, 27, 35) sowie Kampfszenen (B 17, 23, 28, 39) dar. Im Allgemeinen wird eine wichtige Szene des folgenden Kapitels abgebildet. Die Illustration zu Kapitel  78 (B 30), die die Begegnung zwischen Etsijtes und dem Schäfer ankündigt, passt jedoch nicht zum Inhalt des nachfolgenden Kapitels, sondern erst zum Inhalt von Kapitel 79. Auch die Überschrift zu Kapitel 78 („Hoe dat etsijtes quam aen een schaepherder int lant van calaberen die hem seyde dat leedt vander hertoghinnen. ende hoe datse Etsijtes verantwoorde sonder campen.“) fasst den Inhalt von Kapitel 79 zusammen.166 Eine Illustration entspricht also nicht dem Inhalt eines Kapitels, sondern dem Inhalt einer Überschrift. Diese Arbeitsweise impliziert eine enorme Arbeitszeit- und somit Kostenersparnis, vor allem bei einem Text dieses Umfangs.

2.4.1 Margarieten-Zyklus Insgesamt elf Holzstöcke sind offensichtlich eigens für die Historie van Margarieten angefertigt worden, sei es für den überlieferten Druck oder für einen verloren gegangenen Druck des Romans.167 Jeweils zwei einzelne sowie zwei, vier und drei im Druck aufeinander folgende Illustrationen sind für die Margarieten-

164 Die Holzschnitte verteilen sich wie folgt: für Lage a sechs Illustrationen, Lage b zwei, c zwei, d zwei, e drei, f vier, g zwei, h vier, k eine, l zwei, m eine, o keine, p eine, q keine, r keine, s zwei, t drei und v eine. 165 Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt Goossens 1983 für den Reynke de vos. 166 Die Überschrift zu Kapitel 79 lautet: „Hoe etsijtes aen eenen schaepherder quam die hem seide vander hertoginnen. ende hoe datse etsijtes verloste vander doot.“ 167 Es handelt sich um die Holzschnitte zu den Kapiteln 8, 9, 23, 56, 57, 59, 61, 67, 73, 78 und 107. Vgl. Schellart in seiner Ausgabe der Margarieten, S. 151. Möglicherweise existierte eine bebilderte Dramenfassung. Zu dieser Theorie auch van Gijsen 1989, S. 39–40.

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Version entstanden. Sie stimmen in Format (85 × 102 mm), Stil und Komposition überein,168 sind nicht in älteren Texten verwendet worden und passen genau zum Inhalt des Margarieten-Textes. Die Komposition ist bei diesen elf Illustrationen sehr ähnlich. Im Vordergrund stehen jeweils rechts und links die Hauptfiguren der beschriebenen Handlung. Die Personen sind differenziert abgebildet. Margrieta erscheint jeweils mit der gleichen Kleidung, einem aus einem Stück gefertigten, langen herunterhängenden Kleid mit spitzem Kragen und weiten Ärmeln,169 während der Zeichner z. B. für Europa ein aus mehreren Teilen bestehendes Kleid mit rundem Kragen und engen Ärmeln bevorzugt (B 29, k1r). Venus erkennt der Betrachter an dem tief ausgeschnittenen Dekolleté (B 23, h1r). Etsijtes trägt auf der Reise immer die gleiche Kopfbedeckung und den gleichen Mantel (B 29, 30), im Kampf eine Rüstung (B 28). Die Teufel haben Hörner, lange Fingernägel und ein Furcht erregendes Äußeres (B 5, 6).170 Die Figuren sind zudem sehr lebendig gezeichnet: die Hand reichend (B 5), als Teufel durch die Luft fliegend und segnend (B 6), mit den Fingern zeigend (B 23, 24), grüßend und in die Hände klatschend (B 36), den Kopf abwendend (B 29) oder knieend (B 25). Im Hintergrund des Bildes steht jeweils ein Gebäude, das zum Teil mit Säulen oder Türmen, aber in jedem Fall mit

168 In Vorstermans Druck des Peeter van Provencen, der um 1517 einspaltig gedruckt wurde, sind sieben Holzschnitte (H2v, N4r, H1r, D4r [= O4v], A4r, E4r, P3r) aus der Historie van Margarieten verwendet worden. Sie entsprechen den Margarieten-Holzschnitten zu den Kapiteln 4, 8, 16, 57, 59, 73, 118. In Vorstermans 1531 erschienenem Werk Oorloghen van Maximiliaen tauchen z. B. die Holzstöcke B 18, 25 und B 30 aus der Margarieten wieder auf (vgl. in der Textausgabe der Oorloghen von Alberts 1957 die Nummern 45, 38 und 61). – Inhaltlich passen die Illustrationen genau zum Erzähltext der Margarieten und nicht zum Erzähltext in Peeter. Die Illustration zu Kap. 57 (Peeter, D4r) zeigt im Vordergrund einen Mann und eine Frau im Gespräch und im Hintergrund einen Mann, möglicherweise einen Schreiber am Grafenhof, der einen Brief schreibt. In der Margarieten klagt Echites’ Mutter bei ihrem Mann über die Liebe ihres Sohnes zu Margarieta und entschließt sich, ihr einen Brief zu schicken. Beide Szenen sind in der Illustration dargestellt. In Peeter van Provencen lautet der zum Bild gehörige Text: „ende hy [Peeter, R. S.] ghinck on magheloons camere daer hi niemant en vant dan magelonen ende dye voetster waeraf hi verblijt was“ (D4r–D4v). Danach erzählt die Geschichte von der Verliebtheit Peeters und Maghelones, ihre Begrüßung sowie den Abschied der Amme. Der Holzschnitt zeigt zwei Männer und eine Frau, in Peeter treten dagegen zwei Frauen und ein Mann auf. Die Situation findet nicht außerhalb des Hauses statt, und ein Brief spielt keine Rolle. Zum Blattspiegel des Peeter van Provencen passen die Holzschnitte dagegen sehr gut. Man kann daher vermuten, dass ein früherer einspaltiger Druck der Margarieten existierte. 169 Vgl. B 5, 6, 25 und 36, auf fol. a5v, a6v, h2v und s3r. 170 Jedoch nicht der als Jüngling erscheinende Teufel, den Margarieta heiraten soll (Kap. 8, links).



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einem Rundbogen versehen ist.171 Viele weitere mit Sorgfalt eingefügte Details erhöhen die Anschaulichkeit. Vom gedeckten Tisch fallen bei der Segnung Krüge und Messer herunter (B 6), Margrieta hält den ihr vom Boten überbrachten Brief in der Hand (B 25), der Riese liegt mit abgeschlagenem Kopf vor Etsijtes (B 28), Hund und Schafe begleiten den Schäfer (B 30), und der Richter sitzt in einem Richterstuhl (B 12). Manche der 11 Abbildungen illustrieren mehrere sich nacheinander ereignende Handlungen, so die Illustration zu Kapitel 59 (B 25), die beide Situationen aus der Überschrift zu dem Kapitel abbildet („Hoe die bode aen margrieten van lymborch quam. ende hoe si hem weder om sandt aen etsijtes“).172 Die Illustra­ tionen zu den Kapiteln 8 und 9 (B 5, 6) weisen einen besonders engen Zusammenhang zwischen abgebildetem Motiv und Text auf. In der ersten Illustration wird Margrieta vom Burggrafen, der sie heiraten möchte, und vom Teufel begrüßt, der sich als ihr Vater ausgibt, aber noch an den Hörnern als Teufel zu erkennen ist. Im Hintergrund mauern einige Teufel an dem Schloss, das gerade fertiggestellt wird. In der zweiten Illustration steht recht Margrieta, die sich mit den Teufeln an einen Tisch setzen will. Sie segnet mit erhobener rechter Hand den gedeckten Tisch. Die Text-Bild-Relation ist bei anderen Abbildungen zwar weniger eng, aber insgesamt gilt, dass die Illustrationen, die offensichtlich eigens für den Roman angefertigt wurden, einen direkten Bezug zum Erzähltext aufweisen, hier im Besonderen zu den jeweils in den Überschriften beschriebenen Szenen.

2.4.2 Vorstermans eigenes Material Für seine Ausgabe der Historie van Margarieten verwendete Vorsterman mit der Illustration zu Kapitel  16 eine Abbildung, die bereits in seinem Druck von Der Scaepherders Kalengier (NK 1258) (ca. 1514–1515) vorkommt und dort den Monat Mai einleitet.173 Auch das Sternzeichen Zwillinge im Kreis oben rechts verweist auf den Wonnemonat. Der Holzschnitt bildet ein Paar ab, das einander zugeneigt

171 Bis auf die Illustration des Berges der Göttin Venus zu Kap. 56, der dem Text entsprechend als Höhle erscheint: „Doen seide cupido. by mijnder moeder inden berch. ende daer moet ghi eenen tyt bliuen. Ende met deser talen sijn si ghecomen inden berch.“ 172 Auch in den Illustrationen zu Kapitel 8, 9, 56. 173 In dem Kalender Der Scaepherders Kalengier [b4v], digital auf der Webseite der Universiteitsbibliothek Gent, werden zuerst die zwölf Monate vorgestellt. Auf der linken Seite symbolisiert ein Holzschnitt, der die Hälfte des Blattes einnimmt, den jeweiligen Monat, darauf folgt ein Gedicht aus zwölf Versen. Rechts sind astronomische Daten, Tagesheilige und besondere Feste angegeben.

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ist und vor einem Baum sitzt. Er illustriert die Verse 5 und 6 des dazugehörigen Gedichts „Om die amoruesheyt menighertieren  / Met vrouwen te spacieren in bosschen aen riuieren.“ Der Mann ist im Begriff, die Frau zu umarmen. Seine linke Hand liegt auf ihrer Brust. Die Historie van Margarieten stellt das Bild an den Beginn des Kapitels „Hoe margarieta haer seluen verwandelen ginc inden wijngaert daer Etschijtes bi haer quam. Dat.xvi.capittel.“ Wenn die Abbildung auch noch in gewisser Weise zu dieser Überschrift passt, der Erzähltext weicht vielsagend ab. Zwar findet in diesem Kapitel die erste Begegnung zwischen Margrieta und Etsijtes statt, doch gerade Körperkontakt weist Margrieta streng zurück: „in liefden wil ic also noch niet terden. ick wil mi daer af wachten al dat ick can. want vlas ende vier is haest ontsteken. licht geblust“ (P 16:102–5). Die Illustration passt wiederum besser zur Überschrift als zum Text; der Illustrator hatte offenbar nur unzureichende Kenntnis des Textes.174 Im Margarieten-Roman wurden vier Holzschnitte − von denen einer zweimal wiederholt wird − zuerst für den Druck Die historie van den vier heemskinderen verwendet, der 1508 bei Jan Severszoen in Leiden erschien.175 Es handelt sich um die Illustrationen zu den Kapiteln 20 (= 30, = 109), 21, 34 und 106.176 Einige Details der Illustrationen aus den Heemskinderen kommen bei Vorsterman nicht mehr vor. Sie sind wegretuschiert worden. Bei Kapitel 34 (e2v, B 15) fehlt ein abgeschlagener Kopf, der in den Heemskinderen einen Bezug zum Text hat. Karel hat bei einem Bankett Huge van Dordoen getötet: „Ende sloech heer Hugen den eedelen man dat hi doot viel ter aerden voer coninc Karels tafel, dat de vloer vander salen seer nat was van sinen bloede.“177 Im Margarieten-Druck lautet der dazugehörige Titel: „Hoe etsijtes ten banckette quam daer hem den prijs ghegeven was. ende evac den anderen prijs. Dat.xxxiiij.capittel.“ Nicht Gewalt, sondern ein fest­liches Bankett soll veranschaulicht werden. Dafür musste die Illustration passend gemacht und der Holzstock bearbeitet werden, wie auch andere Illustrationen aus dem Heemskinderen-Druck.178

174 An der Seite b3v im Margarieten-Druck lässt sich der Ablauf der Satzarbeiten nachvollziehen: Zuerst wurde die Illustration platziert, anschließend wurden die Zeilen des vorherigen Kapitels, die Überschrift und der Erzähltext des neuen Kapitels darum herum eingefügt. 175 Das Titelblatt der Heemskinderen mit den vier Haimonskindern auf ihrem Pferd Beyaert stimmt in Format und Stil mit diesen Holzschnitten überein (Abbildung bei Schlusemann 2001, S. 313). 176 Die Holzschnitte in der Historie van Margarieten haben eine schlechtere Qualität, da sie an mehreren Stellen beschädigt sind. Für die Abbildungen der Heemskinderen siehe die Webseite der Universitätsbibliothek München, fol. g8r, e5v, a5v und a3v. 177 Heemskinderen, S. 11. Für die Abbildung siehe Schlusemann 1997, Abb. 4. 178 Schlusemann 1997.



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In der Illustration zu Kapitel 21 fehlen im Margarieten-Druck (Abb. B 11) vier knieende Personen, die in den Heemskinderen vorkommen (vgl. Abb. C 2),179 und im Holzschnitt zu Kapitel 106 fehlt in der Margarieten (Abb. B 35) bei der Kampfszene ein in den Heemskinderen in der Mitte liegender Kopf (siehe Schluse­ mann 1997, Abb. 6), nur die Kopfbedeckung ist vage neben dem linken Fuß des hinteren rechten Reiters zu erkennen. Da Vorstermann die Holzstöcke bearbeitet hat, ist davon auszugehen, dass er sie von Jan Severszoen zum dauerhaften Verbleib erwarb. Jan Severszoen war in Leiden tätig, bis er 1527 nach Antwerpen zog. Bekannt ist eine Zusammenarbeit beider Drucker für das Jahr 1528, als sie zusammen das Neue Testament druckten. Die Margarieten-Illustrationen beweisen somit eine Geschäftsbeziehung, die mindestens 10 Jahre früher begann.180 Vorsterman, der bis vor einigen Jahren als notorischer Raubdrucker galt,181 besaß offensichtlich auch Geschäftskontakte zu Jan van Doesborch.182 Acht Illustrationen im Margarieten-Druck sind nach Holzstöcken angefertigt worden, die bereits Jan van Doesborch vorher gebrauchte.183 Zum ersten Mal wurden sie in Die alder excellenste Cronyke van Brabant verwendet, 1497 bei Roland van den Dorpe in Antwerpen (CA 508, IDL 1229, GW 6667).184 Nach Conway sind sie eigens

179 Oben links in der Ecke sind die vier Kinder Ridtsaert, Adelaert, Wridtsaert und Reinout abgebildet, die in einem Kloster aufgezogen werden, weil Aymijn ihren Tod geschworen hat (Heemskinderen, Kapitel 4). 180 Siehe Schlusemann 1997. 181 Pleij 1991, S. 147. 182 Jan van Doesborch wurde 1508 als Illustrator in der Antwerpener Gilde St. Lucas aufgenommen und erhielt 1515 das Druckoctroi. Zu van Doesborch ausführlich Franssen 1990, auch mit bibliographischen Angaben zu seinen Drucken; vgl. auch Rouzet 1975. Vermutlich am Ende des Jahres 1530 oder zu Beginn des Jahres 1531 war van Doesborch von Antwerpen nach Utrecht umgezogen. 183 Es handelt sich um die Illustrationen B 17 (= 32, = 39), 18, 21 (= 34), 22, 31 zu den Kapiteln 40 (= 85, = 114), 42, 51(= 97), 53 und 80. Die Illustration Nr. 17 kommt in der Historie van Margarieten dreimal vor (bei den Kapiteln  40, 85 und 114). Auf den beiden nebeneinander gelegten Holzstöcken sind Kampfszenen vor einer Burg dargestellt, die somit in vielen Drucken einsetzbar waren (Hercules [d4r], Jason ende Hercules, nur der rechte Holzschnitt, F1v). Diese Holzschnitte kommen, wie gesagt, zuerst in der Cronyke von 1497 vor, diese als Einleitung zu Kapitel 5 von Buch 2 (D1r). Der dazugehörige Titel lautet: „… Hoe Ansises gheuangen wordt ende verdreuen vanden keyser Graciaen Ende van Braboene sinen sone.“ Auf der rechten Illustration ist in der Mitte ein Mann abgebildet, der den Namen „Brabon“ erhalten hat. Dieser Name kommt später im Text nicht mehr vor, ebenso wenig wie in van Doesborchs Drucken der Cronyke (auch nicht beim gleichen Kapitel auf D1r). Erst Vorsterman benutzte den Namen wieder in der Coronijcke van Vlaenderen, die 1531 erschien. 184 In der Cronyke von 1497: Nr. 17, 32, 39 (fol. d1r, h6v, k5v); Nr. 18 auf o1v, R2r, rrr5r, y4r; Nr. 21, 34 (fol. o4v, n2r, bb5v); Nr. 22 auf d5v, e1r, aa6v.

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 Paratexte

für diesen Druck angefertigt worden: „A set of cuts made to illustrate the Brabant Chronicle.“185 Wahrscheinlich 1502 hatte van Doesborch von der Witwe des Rolant van den Dorpe die Antwerpener Druckerei und das dazugehörige Material übernommen.186 Ein Nachdruck der Cronyke erschien 1512 bei Jan van Doesborch in Antwerpen mit dem Titel Die alder excellenste Cronijke van Brabant Hollant Seelant Vlaenderen int generael (NK 652).187 Auch diese Ausgabe enthält die fünf Illustrationen. Der Brüsseler Drucker Thomas van der Noot verweist in seinem Prolog zu Tscep vol wonders, 1514 erschienen (NK 1875), auf die „fellen dieren die benijten dat minen boghairt soe vol vremder vruchten groeyende verslont worden eersi tot eenigher rijpheyt comen mochten“.188 Robert Proctor war der Erste, der das schlechte Verhältnis zwischen Jan van Doesborch und Willem Vorsterman thematisierte:

185 Conway 1961, Teil II, Sekt. 37. Bei ihm die Nummern 27 (=  Nr. 17 Margarieten), 41 (=  18), 40 (= 21) und 29 (= 22). Den Inhalt von Nr. 27 aus der Cronyke beschreibt Conway in folgender Weise: „An attack on a castle. L. compartment – a man brandishing a huge sword, fighting several others. R. compartment – soldiers enter at a gate on the r.“ Nr. 41: „The storming of the walls. – A number of soldiers enter at the gate on the l.; others are scaling ladders. In front are two tents.“ Diese Beschreibung passt ebenso wie die für Nr. 27 auch zu der Szene in der Historie van Margarieten, da das abgebildete Motiv sehr allgemein gehalten ist. Nr. 40: „The Siege of Jerusalem. – The town is behind, one of its towers is much cracked. In front are tents and soldiers.“ Im Margarieten-Prosaroman wird die Eroberung Triers abgebildet. Nr. 29: „Carloman surrounded by his court. – He stands in the mid, in a room, surrounded by courtiers. A soldier with the banner of Brabant stands on the r.“ Die Nummern 40 und 41 sind im Troyen-Druck als Kopien früherer Holzstöcke entstanden: „A copy of the cut in the History van Troyen series“, zu Nummer 41. Conway verwies auf sein Kapitel „Sect.xi.7, no. 10“, in dem er die Illustrationen angab, die für die Vergaderinghe van Troyen (1485 bei Jacob Bellaert) verwendet wurden. Auch die Illustration Nr. 40 ist eine Kopie nach der Troyen-Serie, nämlich Nr. 14 bei Conway 1961, S. 242. 186 Vermeulen 1986, S. 100; Franssen 1990, S. 13. Van Doesborchs Adresse „aen dyseren waghe“ stimmte in den ersten Jahren seiner Tätigkeit mit der van den Dorpes überein. Franssen vermutete sogar, van Doesborch habe als Lehrling in dessen Betrieb gearbeitet. Ab Dezember 1508 benutzte er für Die reyse van Lissebone (NK 1800) ein neues Druckerzeichen. Der erste datierte Druck mit der neuen Adresse „dwellynge besyde the Camerporte“ ist Frederyke of Jennen (NK 3904). 187 Im Folgenden als Cronijke van Brabant (1512). Vgl. Oude drukken 1960, S. 68, Nr. 118. 188 Vermeulen interpretierte diesen Satz als Kopiediebstahl (Vermeulen 1986, S. 117–118). Pleij sah einen Zusammenhang zwischen van der Noots Kritik und dessen Angst, selbst nicht die richtige absatzträchtige Auswahl für den Markt treffen zu können.



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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Between Vorsterman and our printer [Jan van Doesborch, R. S.] the relations may have been less friendly; the Dutch of Virgilius printed by Vorstermann is illustrated with copies of the cuts in the English edition, so that it would seem as if the use of the original cuts had not been granted him.189

Auch Vermeulen verwies vor allem auf die Konkurrenzposition von Druckern und auf Vorstermans Methode, Erfolgspraktiken seiner Kollegen nachzuahmen: „hij aast op het werk van bijvoorbeeld Van Doesborch.“190 Raftery unterstrich in ihrer Edition der Mary of Nemmegen den Diebstahl: „Vorsterman’s relations with their owner [Jan van Doesborch, R. S.] were not friendly“ und „Vorsterman’s relations with Van Doesborch were arguably less than cordial.“191 Van Doesborch selbst äußerte sich nicht über sein Verhältnis zu anderen Druckern, so dass man nur indirekt Aufschlüsse darüber erhalten kann. In diesem Zusammenhang sind die Illustrationen Nr. 18, 21 und 22 zu den Kapiteln  42, 51 und 53 im MargarietenDruck von Bedeutung, von denen ich die ersten beiden näher betrachte. Die Illustration Nr. 18 (Typ II) in der Historie van Margarieten, auf der die Bestürmung von Stadtmauern abgebildet ist, gehört zu dem Kapitel mit der Überschrift „Hoe die loreynsche bestormden die stadt van Triere. ende hoe heyndric den coninc van beemen vinck. ende veel van des hertoghen volcke versloech. Dat. xlij.capittel.“ Zuerst kommt die Illustration in van den Dorpes Cronyke vor (vgl. Abb. C 2), und diese wiederum ist ein Nachschnitt aus Jacob Bellaerts Druck von Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historie van Troyen, Haarlem 1485 (CA  1095), fol. m5r (Typ I, Abb. C 1).192 Dieser Typus Holzschnitt, der die Einnahme Trojas illustriert,193 kommt auch in späten Drucken Vorstermans (Nr. 11 und 12, vgl. Abb.  C 3) wieder vor.194 Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht der Verwen-

189 Proctor 1894, S. 6–7. 190 Vermeulen 1986, S. 149. 191 Mary of Nemmegen, S. 24. 192 Vgl. Conway 1961, S. 316, Nr. 41. Unterschiede zur Cronyke gibt es u. a. in der Zeichnung der Zelte, der Kiste im Zelt links und im Zeltdach rechts. Jacob Bellaert kommt aus Zierikzee, hat in Leeus Betrieb in Gouda gearbeitet und sich dann in Haarlem als Drucker selbstständig gemacht. Ihm können 17 Drucke zugeschrieben werden (außer den bisher bekannten die Devote ghetiden, [8. April – 20. August 1486] [CA 1117]). Wegen der hohen Qualität der Holzschnitte wird der Illustrator als der „Bellaert-Meister“ bezeichnet (Kok 1994, S. 435). 193 Conway 1961, Abschnitt 11, Nr. 10: „Hercules taking Troy. A body of soldiers enter the gate of a town which is behind on the r., whilst two men scale the cracking walls by means of ladders.“ 194 Conway 1961, Abschnitt 11, S. 241: „A set of half-folio-cuts made to illustrate the Romance of troy“, und S. 66: „In the year 1485 three remarkable books were printed at the Haarlem press, all of them illustrated with new series of cuts. The first of these was the Historie van Jason, the second the Historie van Troyen.“

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 Paratexte

dung von Illustration A, und zwar Typ I und II dieses Motivs in Frühdrucken bis 1531: Illustration A: 195 Vergaderinghe der historien van Troyen Recueil des histoires de Troyes Die alder excellenste Cronyke van Brabant Die historie van ­Buevijne van Austoen Cronijke van Brabant Margarieten van Limborch Cronyke van Brabant Jason ende Hercules Hercules Cronike van Brabant Coronijcke van ­Vlaenderen Die oorloghen van Maximiliaen

Haarlem: Jacob Bellaert, 1485

I

Haarlem: Jacob Bellaert, 1486

k4v, m5r (Abb. C 1), o7v, q8v kk6r, B6r, D7v, G1v

Antwerpen: Rolant van den Dorpe, 1497 Antwerpen: Jan van Doesborch, 1504

O1v, R2r (Abb. C 2), rrr3, y4r e6r

II

Antwerpen: Jan van Doesborch, 1512 Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516

O1v, r2r, y4r, gg3v f3r

II II

Antwerpen: Jan van Doesborch, 1518 (NK 653) Antwerpen: Jan van Doesborch, 1521 (NK 3164, I) Antwerpen: Jan van Doesborch, 1521 Antwerpen: Jan van Doesborch, 1530

R3v, V2v, Y4r, c4v, i6r

II

l1r

II II II

Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531

c4v, f3r, i2r, e2v TT2v, AA1v, DD4, LL3v, PP4r f5v (Abb. C 3)195

Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531

O3v

I

I

II

I

Typ II ist beinahe ein Spiegelbild zu Typ I. Bei den Illustrationen sind die Striche über dem Stein im Zelt rechts unterbrochen; neben dem rechten Turm ist der fünfte vertikale Strich nicht vorhanden. In van den Dorpes Cronyke von 1497 gehört die Illustration Typ II zuerst zu dem Kapitel „Vanden tweesten hertoghe Godeuaerde. Hoe hi orloechde op Henrijcke van Lymborch. ende hoe hi sint Truyen beleyde“ (O1r). Die Illustration bildet einen Angriff Heinrics von Limburg auf St. Truiden ab. Etwas weiter hinten im selben Druck stellt die gleiche Illustration Valckenborch (Valkenburg) dar (R2r), wieder ein Stück später Brüssel (rrr5r). Typ II kommt 1512 und 1518 in Jan van Doesborchs Cronyke und 1516 in der His-

195 In der Coronijcke findet man auch den für die Vergaderinghe gemachten Holzschnitt, den Bellaert ebenfalls für seine französische Ausgabe des Textes verwendet hat. Zwischen 1486 und 1531 muss der Holzstock auf direktem oder indirektem Wege von Bellaert zu Vorsterman gekommen sein, ohne dass es einen Hinweis darauf gibt, wo der Holzstock in den 45 Jahren dazwischen gewesen sein könnte. Vermutlich stand Vorsterman der Holzstock 1516 noch nicht zur Verfügung, da er ihn sonst gut für die Bebilderung der Historie van Margarieten hätte verwenden können.



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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torie van Margarieten vor. Man muss daher davon ausgehen, dass van Doesborch den betreffenden Holzstock an Vorsterman ausgeliehen hat, der ihn kurz danach an van Doesborch zurückgab. In der Historie van Margarieten illustriert sie den Angriff der Loreynen auf Trier, bei van Doesborch im Buevijne den Kampf Buevijns gegen Doyoene in England, in den verschiedenen Ausgaben der Cronijke meistens einen Angriff auf eine Stadt, in Jason ende Hercules „Hoe coninc Eson beleyde sinen sone in die stadt van Mirmidonien“ und im Hercules den Angriff auf Theben. Eine vergleichbare Zusammenarbeit zwischen Druckern ist bei einem weiteren Holzschnitt zu erkennen (Illustration B). Die identischen Illustrationen Nr. 21 und 34 leiten die Kapitel 51 und 97 der Margarieten ein: „Hoe Triere ghewonnen was. ende hoe die bisscop veriaecht was vanden hertoghe Otto van lymborch. Dat. li.capittel“ und „Hoe dat die heydenen die stadt van constantinobele bestormden. ende hoe dat heyndrick ende die coninc evac hem veel schade deden. ende verbranden haer logijsen ende tenten. Dat.xcvij.capittel.“ Auch hier stellt die Abbildung wieder zwei verschiedene Städte, Trier und Konstantinopel, dar. Wie Nr. 18 entstand sie als Nachschnitt aus Bellaerts Vergaderinghe van Troyen (Typ I) und wurde zum ersten Mal bei van den Dorpe für seine Cronyke verwendet (Typ IV), später bei Jan van Doesborch in seiner Cronyke (1518). Typ I ist für das Kapitel „Hoe hercules versloech den coninc leomedon ende troyen destrueerde danderde reyse“ (m7v) der Vergaderinghe angefertigt worden und illustriert den Angriff des Hercules auf Troja.196 Denselben Holzstock hatte später auch Vorsterman 1531 für seine Coronijcke van Vlaenderen zur Verfügung, wo die Stadt Lesse in Brand gesteckt wird: „Hoe Robrecht dye vryse track naer Lesse ende verbrande die stadt ende verdreef Rijchildt met hueren twee kijnderen“ (c1r). Es gibt zwei weitere Typen dieses Motivs (Typ II und III), die nicht direkt für die Historie van Margarieten von Bedeutung sind, aber Aufschluss über die Arbeitsweise und die sich im Laufe der Zeit verstärkende Marktposition Vorstermans geben können. Typ II, bei dem die Stadt im Hintergrund nicht brennt und bei dem die Pferde nach rechts schauen, kommt zuerst in der 1486 wohl bei den Collaciebroeders in Gouda gedruckten De scoene historie hertoghe Godevaerts van Boloen vor und illustriert einen Angriff aus Antiochien.197 Auch diesen Holzschnitt hatte Vorsterman später in seinem Besitz, da er ihn in seinem Druck Die wonderlijcke oorloghen van Maximiliaen (um 1531) und in der Coronijcke von

196 „The Burning of Troy. An army stands in front on the r., drawn up in a semicircle before tents, waching the burning town“ (Conway 1961, S. 242, Nr. 14). 197 Siehe Schlusemann 1997, Abb. 2b.

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 Paratexte

1531198 einsetzen konnte. Typ III wiederum ist schmaler als Typ II. Hier schauen die Pferde ebenso nach rechts. Die Illustration steht in De historie of die cronicke van hollant van zeelant ende van vrieslant ende vanden stichte van wtrecht ende van veel landen diemen hier na nomen sal, dem so genannten Kattendijke-Manuskript, am Beginn des Kapitels über die „Destructie van Troyen.“199 Der vierte und in diesem Zusammenhang wichtigste Typ kommt außer in der Margarieten in van den Dorpes Cronyke dreimal, bei Jan van Doesborch neunmal und bei Willem Vorsterman viermal vor.200 Hier schauen die Pferde nach links, die Stadt brennt nicht. Bei der ersten Verwendung in der Cronyke wird Jersualem dargestellt, dann noch Beirut, Konstantinopel und Trier. In der Coronijcke van Vlaenderen aus dem Jahre 1531 gebrauchte Vorsterman drei der vier verschiedenen Typen dieses Motivs, um den Text zu illustrieren. Alle drei sind für frühere Drucke bei anderen Druckern entstanden, aber all dieses Material ist im Laufe der Jahre in den Besitz Vorstermans gelangt.201 Illustration B: 202203204 Vergaderinghe van Haarlem: Jacob Bellaert, 1485 Troyen Recueil des histoires Haarlem: Jacob Bellaert, 1486 de Troyes De historie hertoghe Gouda: Collaciebroeders (?), 1486 Godevaerts van Boloen Historie ofte die Kattendijke Manuskript, um 1495 cronike van hollant zeelant ende vrieslant Cronyke van Brabant Antwerpen: Rolant van den Dorpe, 1497 Godevaert van Antwerpen: Govart Bac, ca. 1500 Boloen

m7v, s5v (Abb. C 4) C1r, K5v

I

c5v, e4v, f2v, 202 h4r, o5v

II

fol. 23 203

III

N2r,204 O4v, bb5v

IV

b4v, d1r, e2v, f1v, g6v

I IV

I

198 Siehe Schlusemann 1997, Abb. 2d. 199 Mit herzlichem Dank an Karin Tilmans, die mir vor einigen Jahren eine Kopie der entsprechenden Seite zusandte. Vor allem aufgrund der Herkunft der Illustrationen nimmt sie an, das Exemplar sei als Vorlage für einen Druck bei dem Haarlemer Drucker Jacob Bellaert entstanden (mit ausführlicher Argumentation Tilmans 1994). Vgl. die Ausgabe der Kattendijke Kroniek 2005. 200 Jan van Doesborch hatte offensichtlich diesen Holzstock nach seiner Übernahme des Betriebs von der Witwe des Rolant van den Dorpe in seinem Besitz. 201 Auch die Herkunft und die vielfache Verwendung der Illustration Nr. 22 bei Kapitel 53 der Historie van Margarieten lässt ähnliche Schlussfolgerungen zu (ausführlich Schlusemann 1994). 202 Für eine Abbildung siehe Schlusemann 1997, Abb. 2b. 203 Die Abbildung ist abgedruckt in Janse et al. 2003. 204 Eine Abbildung dieses Holzschnitts ist abgedruckt in Schlusemann 1997, Abb. 2c.



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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Cronijke van Brabant Margarieten van Limborch Cronyke van Brabant Cronike van Brabant Coronijcke van ­Vlaenderen

Antwerpen: Jan van Doesborch, 1512 Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516

N2r, O4v, bb5v g1r

IV IV

Antwerpen: Jan van Doesborch, 1518 Antwerpen: Jan van Doesborch, 1530 Antwerpen: Willem Vorsterman

Oorloghen van ­Maximiliaen

Antwerpen: Willem Vorsterman, um 1531

S1r, e5v, l6r Vv2v, OO4r, QQ2r D3r (Abb. C 5), S1v, S5r, m5r, LXXXv, 205 c1r, v2r, xiijr 206 P3v

IV IV IV II I II

Die Aufzählungen verdeutlichen, dass ein Holzstock mit einem allgemeinen, oft verwendbaren Inhalt mehrmals in einem Text, in verschiedenen Texten und für verschiedene Genres eingesetzt werden konnte. Nicht nur derselbe Drucker benutzt ihn mehrmals, sondern ein Holzstock ist ein Gebrauchsobjekt für verschiedene Drucker, in verschiedenen Städten und über mehrere Jahrzehnte. Wenn ein bestimmtes Motiv vielseitig einsetzbar ist, wird es darüber hinaus, auch seitenverkehrt, nachgeschnitten und auf diese Weise noch weiter verbreitet. Ein Holzschnitt wird in jener Zeit nicht als ein nur für eine Situation oder Darstellung angefertigtes Kunstwerk betrachtet, sondern als multifunktionelles Gebrauchsobjekt, das zur Ausschmückung des jeweiligen Druckes dient, aber nicht unbedingt in nahem Zusammenhang zum Inhalt des Textes stehen muss. Aus wirtschaftlichen und pragmatischen Gründen wird im Gegensatz zum Satzspiegel die Bebilderung nicht einheitlich durchgeführt. 205206 Vorsterman gebrauchte somit 1516 für seinen Margarieten-Druck mindestens drei der 1512 und 1516 von Jan van Doesborch für seine Chroniken benutzten Illustrationen (Nr. 18, 21 und 22). Da van Doesborch die Holzstöcke kurz vor und kurz nach dem Margarieten-Druck wieder verwendete, hat Vorsterman diese offensichtlich nicht gekauft, es sei denn, er hat sie direkt wieder zurückverkauft, sondern geliehen oder gemietet. Jan van Doesborch und Willem Vorsterman müssen mindestens in den Jahren zwischen 1512 und 1518 eine gute Geschäftsbeziehung gepflegt haben, da beide dieselben Holzstöcke benutzten. Während der Drucklegung dieser Arbeit wurde die hier aufgezeigte Hypothese durch das Angebot eines bisher unbekannten Druckes im dem Brüsseler Antiquariat „The Romantic Agony“ nachdrücklich bestätigt. Unter der Nummer  1053 wurde dort für eine Versteigerung ein Werk mit dem Van Jason

205 Die Abbildung ist abgedruckt in Schlusemann 1997, Abb. 2d. 206 Siehe Schlusemann 1997, Abb. 2a, für eine Abbildung dieser Illustration.

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 Paratexte

ende Hercules (ca. 1525) angeboten.207 Bei dem neu eingebundenen Werk enthält die Titelseite mit der Angabe „Van Jason ende Hercules“ unten auf der Seite die Nachricht „Dese boecken vintmen te coop bi Willem Vorsterman“ (fol. A1r; Abb. C 6). Zwischen diesem Titelblatt, das auf der Rückseite den Prolog enthält, beginnend mit „Die Prologhe“ und dem Text „Alle eedelen heeren“, und dem Rest des überlieferten Textes klafft eine große Lücke, denn der Jason-Teil ist nicht erhalten. Vielmehr folgt dann der Hercules-Roman mit einem Titelblatt und dem sich daran anschließenden Erzähltext. Dieser Text endet mit dem Kolophon „Gheprent thanwerpen by mi Jan van Doesborch“. Damit ist zunächst kein Beweis ersichtlich, dass sowohl der Hercules-Teil als auch der Jason-Teil von van Doesborch gedruckt und bei Vorsterman zum Kauf angeboten wurden. Eine solche Vermutung legen beim ersten Betrachten des Textes die verwendeten Lettern nahe. Einen Nachweis dafür liefert die verwendete Zierinitiale „A“, die sowohl auf der Rückseite des Titelblattes des Jason-Textes als auch − zum Beispiel − im Hercules-Text am Anfang des Kapitels, als Juno Hercules nach Ägypten schickt (fol. D4r), identisch ist. Zusammen mit der Angabe des Titelblattes, dass hier beide Texte zusammen veröffentlicht werden,208 kann man somit mit hoher Sicherheit davon ausgehen, dass Jan van Doesborch die Ausgabe druckte, die dann bei Vorsterman verkauft wurde. Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Antwerpener Druckern hat sich daher noch intensiver gestaltet als bisher angenommen. Ein enger Kontakt zwischen den Drucker-Verlegern war auch praktisch kein Problem. Van Doesborch gibt als Adresse „op dye Lombaerde veste by dye camerporte“ an.209 Vorsterman wohnte „buten die Camerpoorte in den gulden eenhoren“.210 Beide Adressen befanden sich im Süden der Stadt Antwerpen

207 Der Untertitel lautet: „Die wonderlike vreemde historien. Ende hoe dae die eedel Jason gewan dat gulden vlies / ende van zijn amoreusheyt / ende van sijn ander vrome feyten. Ende ooc vanden groten feyten des alder stercsten Hercules / hoe hi die tirannen vervolchde / ende hoe hi die wonderlike monstren versloech ende dode“. Darunter befinden sich vier Holzschnitte. 208 Auch in der 1521 ebenfalls von Jan van Doesborch veröffentlichten Ausgabe der Romane (NK 3164) werden beide Texte zusammen gedruckt, ebenfalls mit einem gemeinsamen Titelblatt. Die Aufmachung, die Seiteneinteilung, die Abbildungen sind mit dem hier angezeigten Druck nahezu identisch. Es handelt sich bei dem späteren Druck jedoch nicht um einen Nachdruck, denn der Text wurde, mit einigen Änderungen in der Schreibweise und im Wortgebrauch, neu gesetzt. Die Holzschnitte auf dem Titelblatt wurden vertauscht. 209 Mit dieser Adresse in Dat regiment der ghesontheyt (1510), auch in Jason ende Hercules (1521) und in der Cronike van Brabant (1530). 210 Er nannte diese Adresse u. a. im Kolophon der Historie van Margarieten. Vgl. Rouzet 1962, S. 151–207.



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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nahe beieinander.211 Die Drucker in Antwerpen scheinen sich seit dem Beginn des Gewerbes hauptsächlich in der Umgebung der „Camerpoort“ niedergelassen zu haben.212 Van Doesborch ist später nach Utrecht umgezogen und arbeitete dort mit Jan Berntszoon zusammen,213 dieser verwendete die Illustrationen jedoch nicht. Vorsterman gebrauchte sie noch mindestens bis 1531, danach tauchen sie nicht mehr auf. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass van Doesborch die Holzstöcke vor seinem Umzug nach Utrecht Willem Vorsterman überließ bzw. sie ihm verkaufte.214 Die hier beispielhaft aufgezeichnete enge Zusammenarbeit zwischen Vorsterman und verschiedenen anderen Druckern zeigt sich besonders deutlich im Austausch von Holzstöcken, der eine erhebliche Kostenersparnis bedeutete. Allerdings führt diese gegenseitige Unterstützung dazu, dass der Zusammenhang zwischen dem Erzähltext und der Abbildung sehr vage wird. Im Umkehrschluss kann man davon ausgehen, dass für die Illustrierung eines Druckes nicht unbedingt solche Szenen ausgewählt wurden, die ein Drucker-Verleger als besonders wichtig erachtete, sondern solche, für die ihm Illustrationsmaterial zur Verfügung stand.

211 Bei der dritten Stadterweiterung im 14. Jahrhundert ersetzte die Sint-Jorispoort die „Camerpoort“ (Voet 1978, S. 51–52). Zur frühen Druckgeschichte in Antwerpen siehe auch Adam 2014 sowie weitere von ihm genannte Publiaktionen. 212 Auch z. B. Simon Cock, Govart Bac, Michiel Hillen van Hoochstraten, Jacob van Liesveldt und Claes de Grave wohnten dort (Vermeulen 1986, S. 71–76 und Rouzet 1962). 213 Franssen 1990, S. 27–32. Franssen ging von einer frühen Zusammenarbeit aus, da van Doesborch bereits 1517 Holzstöcke des Jan Berntz. benutzte. 214 Vorsterman gebrauchte 1531 in seiner Ausgabe der Coronijcke sowohl die älteren Holzschnitte als auch Kopien. Es wäre nicht notwendig gewesen, Kopien zuzuschneiden, wenn er die Holzstöcke mit dem gleichen Motiv zur Verfügung gehabt hätte. Es gibt auch keine drucktechnischen Gründe dafür, zwei Holzschnitte mit dem gleichen Motiv zu besitzen, denn die zwei verschiedenen Holzschnitte kommen nicht in einer Lage vor. Möglicherweise bekam Vorsterman die älteren Holzstöcke erst, als er die Kopien bereits hatte anfertigen lassen. Genau in diese Zeit fällt nämlich der Entschluss van Doesborchs, nach Utrecht umzuziehen. Interessant ist in dieser Hinsicht auch, dass der letzte bisher bekannte Antwerpener Druck van Doesborchs, Van Brabant die excellente cronike (NK 654–656), noch mit diesen Holzschnitten illustriert ist, aber dass es für die Auflage drei verschiedene Titelblätter gibt. Auf einem Titelblatt (NK 655) steht die Angabe „Dese boecken vint men te cope tot Michiel van Hoochstraten in den rape“, auf einem anderen (NK 656) „Dese boecken vint men te cope tot Henrijck Petersz. in den mol“. Van Doesborch arbeitete hier also eng mit zwei anderen Antwerpener Druckern zusammen, verkaufte ihnen aber nicht seinen Holzschnittvorrat oder einen Teil davon.

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 Paratexte

2.4.3 Nachschnitte Weitere fünf Illustrationen im Margarieten-Prosaroman sind Kopien bereits früher entstandener Holzschnitte, die Nummern 4, 14 (= 27), 16 und 33 zu den Kapiteln 7, 33 (= 63), 36 und 87. Zu Kapitel 7 lautet die Überschrift „Hoe margarieta bedroghen was ende wech geuoert ende dye coopman aenden atheenschen zeecant. ende hoese die vianden ontfaen als camerieren“ (fol. a5r, Abb. B 4). Margrieta wird wie Marieken in der Marieken van Nieumeghen von einem Teufel angesprochen. Vorsterman selbst druckte um 1515 den einzig erhaltenen niederländischen Druck mit dem Titel Die waerachtige ende een seer wonderlijcke historie van Marieken van Nieumeghen. Um 1518 erschien bei van Doesborch eine englische Ausgabe Story of Mary of Nemmegen, die auf einer vorherigen eigenen, aber verloren gegangenen niederländischen Ausgabe basiert.215 Die Illustrationen in den Drucken Vorstermans und van Doesborchs sind nach verschiedenen Holzstöcken entstanden. Die Illustrationen in den beiden Drucken Vorstermans, im Marieken-Druck und im Margarieten-Druck, sind von groberer Qualität als die im Druck van Doesborchs. Sie wurden offensichtlich nach den frühen van-Doesborch-Illustrationen nachgeschnitten.216 Der zweite Margarieten-Holzschnitt aus dieser Gruppe, Nr. 14 (=  27) zu den Kapiteln  33 und 63,217 ist ein Nachschnitt aus De scoene historie hertoghe Godevaerts van Boloen (CA 968),218 1486 wahrscheinlich von den Collaciebroe­ ders in Haarlem gedruckt.219 In der Historie van Godeuaert empfangen die Chris-

215 Kronenberg 1929, S. 181–185; Marieken van Nieumeghen, S. 40  ff.; Franssen 1990, S. 61, S. 71–72. 216 Kronenberg 1929, S. 182. Siehe auch Mary of Nemmegen, S. 10. 217 „Hoe dat den ternoy ghehouden was ende hoe dat etsijtes ende euac den danck ende den prijs hadden“ (Kap. 33, Abb. B 14) und beinahe wörtlich gleich „Hoe den ternoy ghehouden was. daer etsijtes ende euac den danck ende den prijs verdienden“ (Kap. 63, Abb. B 27). 218 Conway 1961, S. 141–143. Zu „A set of cuts made to illustrate the Romance of Godfrey of Boulogne“ (292) gehört auch Nr. 10: „Jousts before the walls of Antioch in honour of the embassy of the King of Babylon. – The Court looks down from the walls of the town behind at two bodies of Knights who ride against each other, lance in rest.“ Conway geht davon aus, dass die Holzschnitte zu einem großen Teil vom dritten Goudaer Holzschneider angefertigt wurden. Es könnte auch sein, dass der rechte Rand des Holzstocks im Godeuaert-Text vielleicht ein zweiter Holzstock ist, der während des Druckvorgangs daneben gelegt wurde. Dieses wird vor allem zu Beginn des Druckgewerbes mit Holzschnitten praktiziert. In Die vii sacramenten der heyligher kercken, 1484 bei Gheraert Leeu erschienen (CA 1492), bilden zwei nebeneinander gelegte Holzschnitte die letzte Ölung ab (Gheraert Leeu 1992, S. 59). 219 CA 968, die Illustration zum Kapitel 1 von Buch 4: „Hier beghint dat eerste capittel des vierden boecks ende tracteert hoe die ambassaten des admiraels ende conincs van babilonien qua-



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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ten in Antiochien die Boten des Königs von Babylonien bei ihrer Ankunft mit einem Turnier. Am rechten Rand wird der Gegensatz zwischen Christen und Heiden durch das Kreuz und die Soldaten ausgedrückt. In dem Nachschnitt für die Historie van Margarieten kommt der rechte Rand dieses Holzstocks nicht vor, denn der Gegensatz zwischen Christen und Heiden spielt in den Kapiteln 33 und 63 in der Historie van Margarieten keine Rolle. Ohne den rechten Teil der Illustration passt der Holzschnitt für die Historie van Margarieten sehr gut, da er abbildet, was ein Kapitel vorher erzählt wird: „Hoemen die vesperye dede. daer elc edel man brochte sijn wapen der iongher keyserinne. ende margrieta van lymborch lach bi haer opter tynnen. ende met veel ander maechden. Dat. xxxij.capittel.“ Auch die Abbildung zu Kapitel  36 (B 16) in der Margarieten ist eine Kopie. Erstmals tauchte das Motiv in van den Dorpes Cronyke von 1497 auf (H4v), dann noch in van Doesborchs Cronijke von 1512 (H4v) und in der Cronike von 1530 (Ll2r). Die Illustrationen in diesen Drucken sind vom selben Holzstock, während Vorsterman einen Nachschnitt verwendete.220 Die letzte Illustration dieser Gruppe, Nr. 33 in der Historie van Margarieten, führt in Kapitel 87 ein: „Hoe die coninc van armenien siec lach te bedde. ende hoe hi sterf. ende hoe die heydenen bestormden constantinobele. Dat.lxxxvij. capittel.“ Das Kapitel behandelt den Tod des Königs von Armenien. Der Holzstock blieb offenbar in Vorstermans Besitz, denn er gebrauchte ihn später wieder für Die distructie vander stat van Iherusalem (A2v). In einer früheren Ausgabe dieses Textes, die 1505 erschien und bisher Vorsterman zugeschrieben wurde,221 gibt es das gleiche Motiv (fol. A4r), aber nach einem anderen Holzstock.222 Demnach und

men totten kerstenen voer antiochien om pays te maken. ende hoe si heerliken mit steken ende met breken naden manieren van thof ontuanghen waren“ (e1v). Siehe auch Verjaring 1973, S. 447, Nr. 205. Der Druck wird zuweilen Gotfried Os zugeschrieben (Conway 1961, S. 292, 335). 220 Die Falten in der Jacke des Königs sind hier maßgeblich. Bei den Drucken von van den Dorpe und van Doesborch verlaufen sie von links oben nach rechts unten, in der Margarieten von links unten nach rechts oben. Die Ränder der frühen Drucke sind beschädigt, in dem Nachschnitt in der Margarieten nicht. Die Mütze der Figur rechts neben dem König ist bei den frühen Drucken mit Punkten verziert, in der Historie van Margarieten mit Dreiecken. – Später hat Vorsterman den Holzstock an der unteren Seite abgesägt, denn auf dem Titelblatt und auf fol. 6r seines Strijt van Roncevale sind die beiden unteren Reihen mit Fliesen weggefallen. Der Holzstock könnte für die Titelseite des Strijt zu groß gewesen sein. 221 NK 4430. Eine Kopie dieses nun im Besitz der Familie Brenninkmeijer befindlichen Druckes konnte ich am niederländischen Institut der Universiteit van Amsterdam einsehen. Der Druck wird heute in der „Draaiflessen Collection“ in Mettingen aufbewahrt. 222 Es treten Unterschiede im Gesichtsausdruck, bei der Kopfbedeckung, den Fingern des Liegenden und den Linien rechts auf der Bettdecke auf.

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da Vorsterman wohl erst 1516 begann, seine Drucke zu illustrieren, muss man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass der frühere Distructie-Druck nicht bei ihm erschienen ist.223 Vorsterman verwendete bereits bestehendes Illustrationsmaterial,224 ein in jener Zeit völlig gebräuchliches und legitimes Verfahren, um eine Rationalisierung des Bilddrucks zu erreichen.225 Durch die Untersuchung der Herkunft der Margarieten-Holzschnitte wird deutlich, dass Vorsterman unbefangen altes Material wieder verwertete, es sowohl lieh und wieder verlieh als auch kaufte und wieder verkaufte oder es nachschnitt. Ökonomische Zwänge des Büchermachens dürfen hierbei nicht außer Acht gelassen werden, ebenso wie ein völlig anderer Status des Holzstocks und des Produzenten des Holzstocks. Dieser ist weniger als Künstler denn als Handwerker anzusehen. Der Illustrator der Historie van Margarieten suchte für die Illustrierung vierzig Holzschnitte, die also zum Teil neu für den Roman geschnitten wurden, zum Teil aus einem Vorrat bereits bestehender Holzschnitte ausgewählt wurden und zum dritten nach älteren Illustrationen nachgeschnitten wurden. Bei einer vierten Gruppe von neun Holzschnitten konnte die Herkunft nicht sicher ermittelt werden.

1. Margarieten-Zyklus 2. bereits früher verwendet a) von Vorsterman selbst b) von Jan Severszoen c) von Jan van Doesborch 3. Nachschnitte 4. unsichere Herkunft: a) Pyramus en Thisbe-Druck b) von Jan van Doesborch c) keine Hinweise

Nummer des Holzschnitts

Anzahl

5, 6, 12, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 36

11

8 10, 11, 13, 15, 35, 37 17, 18, 21, 22, 31, 32, 34, 39 4, 14, 16, 27, 33

 1  6  8  5

2, 3 9, 19, 20, 38, 40 1, 7

 2  5  2

Der Gebrauch der Holzschnitte erlaubt zum einen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Willem Vorsterman und anderen Druckern seiner Zeit, zum anderen Aussagen über die Illustrationsmethodik Vorstermans

223 Oude drukken 1960, S. 76, im Kommentar zu Vorstermans Ausgabe von Der Scaepherders Kalengier (ca. 1514–1515): „De uitgave van Vorsterman is dubbel belangwekkend omdat dit het eerste geïllustreerde boek is, dat Vorsterman van de pers liet komen.“ 224 Kronenberg 1929, S. 185; Naar de letter 1968, S. 20, 40. 225 Fischel 1962, S. 11; Kunze 1975.



Illustrationen in Margariete van Limborch 

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im Besonderen und in Frühdrucken im Allgemeinen. Drittens können nähere Erkenntnisse über den Zusammenhang von Text und Bild gewonnen werden. Willem Vorsterman pflegte offensichtlich zu verschiedenen seiner Kollegen in Antwerpen eine gute Geschäftsbeziehung. Während Jan Severszoen vor 1516 einige seiner Holzschnitte an Willem Vorsterman verkaufte, scheinen zwischen Willem Vorsterman und Jan van Doesborch in den Jahren 1512 bis 1518 mindestens acht Holzstöcke für den Margarieten-Druck mehrmals hin und her gewandert zu sein. Diese wurden, soweit bisher erkennbar, nicht von Vorsterman bearbeitet, da sie ihm offensichtlich nur zur vorübergehenden Nutzung überlassen waren. Nach van Doesborchs Umzug nach Utrecht 1530 dagegen tauchen die Holzstöcke, die Vorsterman in beträchtlicher Zahl in seinem Druck Oorloghen van Maximiliaen nutzt, nur noch in Vorstermans Drucken auf. Bei genauerer Erforschung der Beziehung zwischen den beiden Druckern ist eine wesentlich höhere Zahl an Fällen von Austausch, gegenseitigem Ausleihen ohne oder gegen Gebühr, zeitweiligem Überlassen oder Verkauf von Holzstöcken zu erwarten, zumal die meisten der in diesem Kapitel genannten Texte bisher nicht in Editionen oder digital auf Webseiten vorliegen, die dem Literatur- und Kunsthistoriker wie dem Buchwissenschaftler wertvolle Erkenntnisse des frühneuzeitlichen Literaturbetriebes vermitteln könnten. Vor allem die eigens für den Margarieten-Druck geschaffenen Illustrationen greifen Details des Textes auf und schaffen einen engen Bezug zwischen Text und Bild. Doch auch vorhandene Holzstöcke wurden oftmals nachbearbeitet, um einen Gegensatz zwischen dem Inhalt des Textes und dem des Bildes möglichst zu eliminieren, so dass ein Holzstock in verschiedenen Texten verschiedene Inhalte abbilden konnte. Was zuvor ein Vortragender durch Mimik und Gebärden ausdrücken konnte, wird in den Drucken nun zum Teil durch Bilder ersetzt. Hinzu kommt der Werbeeffekt von Bildern in Texten. Ihre dekorative und erfreuende Wirkung wird auch im Prolog des Prosaromans Hystorie van Olyvier van Castillen ausgedrückt, der um 1510 bei Henrick Eckert van Homberch in Antwerpen erschien: „Soe sijn doen setten die hystorien ende figueren voer die capittelen om die voerseide historie te vruchtbaerrer te maken tot behagen ende ghenoechte van allen menschen“ (A2r–A2v). Es kommt also weniger darauf an, eine Illustration genau passend zum Inhalt einer Textpassage zu wählen. Im Vordergrund steht die Bebilderung an sich, um beim Betrachter Freude und Vergnügen hervorzurufen. Das Einfügen derselben Bilder in verschiedenen Texten ist die Verstärkung einer Tendenz, die schon in der Handschriftenproduktion zu beobachten ist. Die Verwendung von Holzschnitten im Buchdruck hatte dann zur Folge, dass Drucker ihr Material auswechseln oder verkaufen konnten. „Par là, ils [die Herausgeber, R. S.] contribuent effectivement à dissocier l’unité de l’image et du texte, si méticuleusement con­

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struite par le moyen âge: à accélerer l’évolution de l’image vers l’autonomie.“226 In der Historie van Margarieten ist diese Tendenz zum unabhängig vom Textinhalt einsetzbaren Bild deutlich vorhanden. Ein Drittel der Holzschnitte sind für die Historie gemacht und passen zum Inhalt des Textes, können aber auch für andere Texte gebraucht werden. Zwei Drittel sind bereits früher für andere Texte, auch andere Genres, entstanden. Während gedruckte Versepen im Allgemeinen nicht illustriert wurden, sind die gedruckten Wiedererzählungen von Verstexten in Prosa oftmals bebildert, in der niederländischen Literatur sechs von sieben Prosaromanen: Vier Heemskinderen, Margarieten van Limborch, Floris ende Blanchefleur, Strijt van Roncevale, Borchgravinne und Malegijs.227 Auch die meisten anderen Prosaromane, die bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erschienen, wurden illustriert: z. B. Parijs ende Vienna (Gouda: Leeu, 1487), Buevijne van Austoen (Antwerpen: van Doesborch, 1504), Olyvier van Castillen (Antwerpen: Eckert van Homberch, 1510), Peeter van Provencen (Antwerpen: Vorsterman, um 1517), Turias ende Floreta (Brüssel: [Thomas vander Noot], 1523), Sibilla (Antwerpen: Vorsterman, um 1540), Hughe van Bourdeus (Antwerpen: Vorsterman, um 1540), Merlijn (Antwerpen: Cock, um 1540), Turias ende Floreta (Antwerpen: Witwe van Liesveldt, 1554).228 Conway unterscheidet deutlich zwischen dem Drucken und dem Bebildern von Büchern: „A strong line of demarcation separates the two classes.“229 Er nennt Leeu als Beispiel, der bereits 1477 mit dem Drucken von Büchern begann, aber erst drei Jahre später sein erstes illustriertes Buch herausgab. Vorsterman startete um 1504 mit seiner Druckerei, aber illustrierte seine Drucke erst ab etwa 1514. Nicht für jeden Druck wurde eine neue Holzschnittserie hergestellt; stattdessen ist ein reger Austausch des Illustrationsmaterials zu konstatieren. Dies erlaubt zwei Schlussfolgerungen: Ein Holzstock ist zwar prinzipiell ein Unikat, aber er kann von verschiedenen Druckern für verschiedene Texte eingesetzt werden. Er wird demnach als Gebrauchsgegenstand betrachtet. Für die Text-

226 Rus 1988, S. 114. 227 In den Vier Heemskinderen kommen 24 Holzschnitte vor (10 verschiedene), im Floris 6 verschiedene, im Strijt 7 (3 verschiedene), in der Borchgravinne 4 verschiedene und im Malegijs 80 (65 verschiedene). Eine Ausnahme bildet der Prosadruck Historie van Reynaert die vos, der 1479 bei Gheraert Leeu in Gouda erschien, dagegen ist sein Druck in Versen, den er um 1487 in Antwerpen verlegte, versehen mit Prosakommentaren und illustriert. 228 Andere narrative Texte der Anfangsperiode der Buchdruckkunst sind nicht illustriert, wie Historie van Alexander (Gouda: Leeu 1477) oder Historie van Troyen (Gouda: Leeu, 1479). Dagegen illustrierte Jacob Bellaert bereits früh seine Drucke, z. B. die Vergaderinghe van Troyen (Haarlem, 1485). 229 Conway 1961, S. 15.

Zusammenfassung 

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produzenten war offensichtlich die Tatsache, dass die Texte illustriert werden, wichtiger als der enge Zusammenhang der Illustrationen mit dem Textinhalt. Die Benutzung von Kopien, älteren Holzstöcken und die Wiederholung von Illustra­ tio­nen in einem Text zeigen zudem, dass die Produzenten darauf Wert legten, dass die Texte mit einem möglichst geringen finanziellen Aufwand illustriert wurden. Die Illustrierung der Historie van Margarieten offenbart, dass der Autor des Werkes nicht in den Prozess der Bebilderung einbezogen war, ebenso wie er nicht Verfasser der Überschriften war (siehe oben). Der Drucker selbst erteilte wahrscheinlich dem Illustrator den Auftrag, so schnell und günstig wie möglich die Holzschnitte für den Text zusammenzustellen. Daher schnitt er nicht nur neue Holzstöcke, sondern griff auf bestehendes Material zurück, platzierte verschiedene Abbildungen zwei- oder dreimal und wählte die Motive anhand der vorhandenen Überschriften.

2.5 Zusammenfassung Die äußere Präsentation der Historie van Margarieten ist gekennzeichnet durch folgende Merkmale: zweispaltiger Druck des Textes, Einteilung in 117 nummerierte Kapitel und 40 (35 verschiedene) über den Text verteilte und am Beginn eines Kapitels platzierte Holzschnitte. Der Druck passt somit in die „Blütezeit der Kapitelüberschrift“.230 Text und Titel der Historie van Margarieten müssen in mehreren Arbeitsgängen entstanden sein. Das gilt in nicht geringerem Maße für die Illustrationen. Mit zunehmender Kapitellänge wächst der Abstand zwischen den Illustrationen. Die Gestalter der äußeren Form scheinen im Verlauf des Bearbeitungsprozesses ihre Arbeiten immer mehr eingeschränkt und weniger sorgfältig ausgeführt zu haben. Die Art der Produktion spiegelt den neuen Umgang mit dem Phänomen Buch am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts wider. Der Rezipient hält das Buch in dieser Zeit mehr und mehr in eigenen Händen, auch wenn die mündliche Verbreitung im geselligen Kontext weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Die äußere Gestaltung der Historie van Margarieten geht auf die neuen Bedürfnisse einer vermehrt visuellen Aufnahme des literarischen Werkes ein. Am Ende des Mittelalters besteht das Publikum der erzählenden Literatur aus Hörern und Lesern. Es ist demnach kein Zufall, dass die Prosaromane, die in dieser Zeit entstehen, kaum noch ohne eine äußere Einteilung des Textes erschei-

230 Wieckenberg 1969, S. 42. Auch z. B. in Frankreich, Deutschland und England wurden seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts Kapitelüberschriften vielfach verwendet. Siehe hierzu vor allem Doutrepont 1939 und Palmer 1989.

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 Paratexte

nen, um dem Leser eine bessere Übersicht über den Inhalt bieten zu können. Von den Prologen der gedruckten Prosaliteratur, die eine Rezeptionsform nennen, spricht die Mehrzahl den Rezipienten als Leser an oder nennt das Lesen als Rezeptionsform. Im Prolog von Floris ende Blanchefleur wird direkt an den „beminde leser“ appelliert.231 Der Prolog der Historie van Reynaert nennt sogar sechsmal das Wort „lesen“: op sat si daer in lesende sellen mogen verstaen ende begripen … ende soe wie dan volcomen verstant hier of wil hebben die moet hem pogen heir dicwijl in te lesen ende naerstelic aen te mercken dat ghene dat hi leset. wanttet seer subtijl gheset is. ghelijck als ghi al lesende vernemen sult. also datmen met een ouerlesen den rechten sin niet begripen en can. mer dicwijl ouer te lesen. soe ist wel te verstaen232

Auch im Hughe van Bourdeus wird über „ouerlesen“ gesprochen,233 im Julius Cesar und im Jason ende Hercules wird das Lesen als Rezeptionsform genannt. In einigen anderen Druckwerken, wie Olyvier van Castillen und Twispraec der creaturen, wird jedoch sowohl das Lesen als auch das Hören des Textes als Rezeptionsform erwähnt. Dass das Lesen so oft genannt wird, bedeutet meines Erachtens, dass das Selbstlesen erzählender Literatur in jener Zeit noch nicht selbstverständlich war, sondern dass der Leser dazu ermutigt werden musste.234 Die äußere Gestaltung der Historie van Margarieten zielt darauf ab, den Anforderungen einer veränderten Rezeptionssituation entgegenzukommen. Sie kann nicht unabhängig von der Veränderung im Umgang mit dem Buch und dem Gebrauch des Buches gesehen werden, einer Tendenz, die auf verschiedenen Ebenen, auch inhaltlich, wie in den folgenden Kapiteln zu zeigen sein wird, die Wiedererzählungen an die Entwicklung einer „Schriftkultur als Lesekultur“235 anpasst.

231 Der älteste vollständig erhaltene Prosaroman erschien 1576, aber es gibt zwei Blätter eines 1517 bei Jan van Doesborch in Antwerpen erschienenen Prosadrucks. Ob dieser auch die genannte Formel enthielt, ist wahrscheinlich, aber nicht beweisbar. Siehe Franssen 1990, S. 65. 232 Van den vos Reynaerde (Ausg. Hellinga 1952), Z. 12–26. 233 Huyge van Bourdeus (Ausg. Wolf 1860), S. 1. Auch im Buevijn van Austoen, A2v; in der Borchgravinne van Vergi: „soemen hier nae claerlijcken wel verstaen ende lesen mach“ (Resoort 1988, S. 261). 234 Auch Pleij 1990, S. 121, beurteilt die Hinweise im Prolog zur Historie van Reynaert (1479) in dieser Richtung. Leeu spricht hier zu jemandem, der allein eine Geschichte lesen möchte, ohne die Hilfe eines Rezitators, der sein Publikum beobachtet, der schneller spricht oder langsamer, der wiederholt oder Hinweise auf Zukünftiges gibt. Auch der Prolog in Van den drie blinde danssen, 1482 bei Leeu in Gouda erschienen, enthält eine Lektüreinstruktion. Siehe Pleij 1990, S. 121, 163–166, sowie ders. 2004, demnächst auch Schlusemann (im Druck). 235 Kuhn 1980 sprach von einer „Literarisierung der Kultur“ im 15. Jahrhundert.

3 Minne und Herrschaft Die Handlung im Minne- und Aventiureroman Margriete van Limborch wird in den ersten sechs Büchern vor allem von der äußeren Reise und der Prüfung der weiblichen und männlichen Hauptfiguren auf ihre Tauglichkeit als Königin, König oder Kaiser bestimmt. Die Erzählstruktur der Margriete-Handlung zeigt mit der Verflechtung von Legenden- und Abenteuerschema in Kombination mit dem Motiv der unschuldig verfolgten Frau einen Rückgriff auf traditionelle Muster des Erzählens. Dem Handlungsverlauf der einzelnen Bücher entsprechend kann der Margriete-Roman in zwei große Handlungsteile gegliedert werden, die den Büchern I–VI und VII–XII entsprechen.1 Der Margriete-Roman folgt trotz zahlreicher sehr heterogener Entlehnungen einem Gesamtkonzept. Es handelt sich um einen in sich konsistenten Text, für den Verwey die Metapher des bunten Teppichs geprägt hat,2 dessen Webstruktur jeden einzelnen Faden erfordere. Die bewusste Komposition trage der Komplexität des Erzählten Rechnung.3 Charakterisierungen als „Liebesroman“4 oder als Roman über Liebes-, Ritterschafts- und Frauenthemen5 scheinen jedoch die Sinnkonstituierung des Werkes nicht ausreichend zu erfassen, ebenso wenig wie eine Zuordnung zu den Heldenromanen, weil das heroische Geschehen überwiege.6 Eine Klassifizierung als „Minne- und Aventiureroman“7 kann der Anlage des Romans am ehesten gerecht werden, jedoch bleibt der den Roman bestimmende Herrschaftsdiskurs unberücksichtigt. Diesen ermittelt Achnitz stellvertretend für die Gattung für den Reinfried von Braunschweig und den Apollonius von Tyrlant mit seiner Umschreibung als „Verbindung von Brautwerbung und Minne mit Aspekten der Machtlegitimation und Herrschaftstranslation und vor dem Hintergrund christlicher Heilsgeschichte“.8 Vernachlässigt wird hier jedoch die Dimension der Minne als „Signum von Herrschaft“,9 mit anderen Worten die Diskussion um „rehte“ Minne als Symbol für „rehte“ Herrschaft. Über Fragen der 1 De Wachter 1998b. 2 Verwey 1937, S. 17. 3 Janssens 1976, de Wachter 1998b. 4 Janssens 1976, S. 642. 5 De Wachter 1998a, S. 394–398. 6 Von Ertzdorff 1989, S. 220. 7 Ridder 1998, S. 10, Anm. 41. Schulz 2000 betrachtet in seiner diachronen Analyse von vier Romanen die Kombination von Minne als thematischer und Aventiure als strukturbestimmender Kategorie des Minne- und Aventiureromans. 8 Achnitz 2002, S. 8. Der Vorschlag zur Umbenennung der Gattung in „Herrschafts- und Staatsroman“ kann nicht überzeugen, da der Aspekt der Minne dabei ausgespart würde. 9 Schnell 1999, S. 130. DOI 10.1515/9783110452518-003

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 Minne und Herrschaft

Legitimation und Repräsentation von Herrschaft wird im Roman vor der Folie der Definitionen und der Konstitution wahrer Minne kommuniziert. Der Roman realisiert diesen Diskurs über die Triade Identität (Teil I, Buch I–VI), Gemeinschaft des Christentums (Teil II, Buch VII–IX) und Herrschafts- und Minnetheorie sowie -praxis (Teil III, Buch X–XII). Margriete und Heinric begeben sich in Buch I von der Heimat in die Fremde, wobei die Aventiure des Heinric in Buch II und III, wie zu zeigen sein wird, als variierte Wiederholung zu der Margrietes in Buch I konzipiert wurde.10 Die Bewährung des Echites als höfischer Ritter in Buch IV und V ist unabdingbar für dessen große Aufgaben bei der Verteidigung Armeniens und Konstantinopels im zweiten Teil des Romans. Evax begibt sich zunächst zusammen mit Echites auf den Weg nach Limburg, Frankreich und Aragon, um dann aufgrund seiner Liebe zur Herrschergattin Sibille in Aragon zu verweilen, während Echites weiterreist. Ein erster Erzählstrang wird mit der Hochzeit von Evax und Sibille beendet, die nach der Überwindung verschiedener Hindernisse verbunden mit Trennung und Läuterung als neues Herrscherpaar das Königreich Aragon in Zukunft in idealer Weise regieren (Buch V und VI). Ab Buch VII symbolisiert die Verbündung aller christlichen Herrscher gegen die Angriffe der Sarazenen in Konstantinopel das christliche Gemeinschaftsethos in Abgrenzung gegen die sarazenischen Feinde. Eine erste Grenzüberschreitung manifestiert sich im Zweikampf des Sarazenen Demophon, den er in Armenien für die Christen gegen die Riesen auf sich nimmt. Auf der persönlichen Ebene entflammt mehrmals die Minne zwischen je einem Vertreter des christlichen und einem des sarazenischen Lagers, was vielfache Grenzüberschreitungen nach sich ziehen wird. Jonas wird im allegorischen Fürstenspiegel Herrschaftstheorie gelehrt (Buch  X). Im sich daran anschließenden Königsspiel erörtern 16 Diskutanten ausführlich Minnetheorie und praktische Fragen der Minne (Buch XI). Damit trägt dieses vorletzte Buch zur Didaktisierung des Romans erheblich bei. Ideales Minne­ verhalten als Minnedienst und Triebbändigung, als Überwindung der Grenze von Christentum und Heidentum unter Bewahrung der christlichen Überlegenheit steht, Selbstbeherrschung und Affektkontrolle voraussetzend, symptomatisch für ein ideales Herrschaftsprofil. Kapitel 4 und 5 untersuchen, wie der Roman Johanns von Soest und der Antwerpener Prosaroman in zum Teil vergleichbarer, aber auch in unterschiedlicher Art und Weise diese Sinnkonstituierung bearbeiten und kommentieren.

10 Siehe ausführlich Janssens 1976, S. 587.



Persönliche und gesellschaftliche Lebensentwürfe 

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3.1 Persönliche und gesellschaftliche Lebensentwürfe 3.1.1 Frau, Minne und Gesellschaft In Buch I verirrt sich Margriete, kommt an den Grafenhof in Athen, gerät nochmals in Lebensgefahr und findet am Hof in Konstantinopel ihre erste Phase der Ruhe. Margrietes Verirrung dient dabei auf der Strukturebene der Erzählung als Auslöser der Handlung und als Modell für Heinrics Abenteuer in Buch II.11 Hätte Margriete sich nicht verirrt, so die Erkenntnis des Erzählers in Buch XII, wer hätte jemals über solch eine Tapferkeit lesen können: 1825 1830

Ende saden sij wael zü voeren, Dat Margriete was verloren, Dat Got by mirackel dede, Want we sulde sulch vroemheide Haven yrgentz gelesen En hed sij nyet verloren gewesen? (B XII:1825–1830)

Der Kaufmann, der mit Margriete einen Teil ihres Weges am Anfang ihrer Queste durchlebt, erzählt am Ende von Buch I dem Herzog von Limburg die Abenteuer, die er zusammen mit ihr erfolgreich durchstand. Er bietet dem Rezipienten somit zugleich eine kurze Zusammenfassung des bereits geschilderten Geschehens. Buch I des Romans kann man in zwei große Handlungsabschnitte gliedern: 1. Irrfahrt und erste Ankunft I:31–1015 1.1 Abenteuer in der Wildnis I:31–687 1.1.1 Exposition I:31–112 1.1.2 Bär I:113–154 1.1.3 Begegnung mit dem Kaufmann I:155–284 1.1.4 Kapelle I:285–447 1.1.5 Wilde Jagd I:448–687 1.2 Fahrt nach Athen I:688–1015 1.2.1 Ankunft des Schiffes I:688–802 1.2.2 Ankunft in Athen I:803–1015

11 Janssens vertritt die Hypothese, dass die äußere Reise mit einer inneren Entwicklung einhergehe (Janssens 1976, S. 580). Damit meint er, dass die Reise, der Weg, den Heinrich und Margriete jeweils zurücklegen, mit der inneren Entwicklung der Persönlichkeiten der beiden Hauptfiguren korreliert.

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Gefahr und Rettung I:1016–2805 2. 2.1 Intrige in Athen I:1016–2269 2.1.1 Exposition I:1016–1344 2.1.2 Intrigeplan I:1345–1751 2.1.3 Durchführung der Intrige I:1752–2137 2.1.4 Befreiung I:2138–2269 2.2 Rettung in Konstantinopel I:2270–2530 2.2.1 Intrigeplan der Gräfin I:2270–2374 2.2.2 Margriete am Kaiserhof I:2375–2530 2.3 Kaufmannsbericht in Limburg I:2531–2805

Der Autor des Romans Margriete van Limborch hat die Abenteuer der verirrten, beschuldigten und wieder zur Ehre gelangten Jungfrau im Wesentlichen nach denen der Berte in Berte aus grands pies und der Sanderijn im Lanseloet van Denemerken modelliert, indem er die entlehnten Motive in einen neuen Erzählzusammenhang einfügte.12 Die ersten drei Abenteuer der Margriete, die entfernt von ihrer sicheren Heimat in der Fremde Gefahren ausgesetzt ist, führen ihre Entwicklung von einer ängstlich fliehenden über eine sich in kluger Weise versteckende (B I:410) zu einer aktiv handelnden jungen Frau vor. In den ersten Abenteuern agiert Margriete überwiegend passiv und intuitiv (Bär, Mörder, Teufel), aber die Gefahr wird stufenweise gesteigert: von einem Tier über zwölf Mörder zum Versuch der Verführung durch die Teufel. Auch Margrietes Rettungsarten steigern sich von der Flucht auf den Baum über das Entkommen, das „heymelich ind mit liste“ geschieht (B I:410), bis zur Anwendung überirdischer Kräfte. Als Margriete zum Hochzeitsmahl schreiten will, erfährt sie zum ersten Mal die Kraft der sie beschützenden religiösen Eingebundenheit, indem sie durch ihr Gebet zu Gott die Teufel vertreibt und auf diese Weise die Täuschung durch die Teufel aufdeckt. In fünf Gebeten hatte sie sich von Anfang an als gottesfürchtige junge Frau (B I:125–132, 157–161, 289–290, 441–447, 673–686) gezeigt.13 Im Gebet, das die ersten drei Abenteuer abschließt, bedankt Margriete sich ausführlich für die Hilfe Gottes und vergleicht sich mit ihrer Namenspatronin, der Heiligen Margareta von Antiochien, die den Teufel mit einem Kreuzzeichen vertrieb (B I:673–686).14 Im 12 Van Gijsen 1993, De Wachter 1998a, S. 117–145. 13 Neben den in direkter Rede wiedergegebenen Gebeten erwähnt der Erzähler weitere: B I:305, 425–427, 728–731. 14 Vgl. Williams-Krapp 1984. Margriete spielt auf die Version an, in der Margareta von Antiochien von einem Drachen verschluckt wird, sich aber wieder befreien kann (vgl. van den Andel 1933). Das Vertreiben durch das Kreuzzeichen bei Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale, Buch 14, Kap. 27 und 28, und: „Ende metten cruce also houde / Heitsoe verjaghet den viant. / Maer hi verkeerde hem te hant, / Ende quam vor hare in mans gedane“ (Jacob van Maerlant, Spieghel historiael, Tweede partie, XIV, Van sinte Margrieten, V. 98–101).



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Gespräch mit dem Schiffer und auch später verheimlicht sie ihre wahre Herkunft, indem sie sich als Tochter eines Kaufmanns aus „Almaengen“ ausgibt (B I:766– 770).15 Nicht nur Margriete, auch der Erzähler bedauert ihre Situation (B I:820– 824). Dieser beschreibt ausführlich ihre Kenntnisse, ihre Lernfähigkeit und ihre für eine Frau vorbildlichen höfischen Eigenschaften (B I:980–1015): „Stille, schemelich inde reyne / Sympelre en leefde egeyn, / Milder, volmachder in alre doegt“ (B I:998–1000). Der zweite Teil der Aventiure Margrietes setzt mit einem Minnedialog zwischen Echites und Margriete ein, in dem dieser ihr seine Liebe gesteht, sie ihn aber wegen ihrer (vermeintlich) niedrigen Herkunft zurückweist. Ihr Inkognito, das sie als „arm wyff“ nicht begehrenswert machen sollte, wird ihr nun zum Verhängnis. Die Athener Gräfin, Echites’ Mutter, bekräftigt ihre Ablehnung einer Verbindung, wenn ihr Sohn Margriete als Ehefrau und nicht als „amye“ begehre (B I:1250). Sobald Margriete die Gefahr einer möglichen unehelichen Beziehung erkennt, spricht sie wieder ein Gebet (B I:1314–1322). Als sie auf Geheiß der Gräfin gefangen genommen und in den Kerker geführt wird, sieht sie sich der konkreten Todesgefahr ausgesetzt. Sie spricht daraufhin ein Gebet nach dem anderen.16 Auf die Rettung durch Echites folgt die zweite Intrige der Gräfin, indem sie Margriete zum Kaiser von Konstantinopel schickt, damit dieser sie verbrenne. Durch das Wohlwollen des Kaisers eröffnet sich Margriete „in blytschap inde en love“ zum ersten Mal auf ihrem Weg in der Fremde die Chance eines dauerhaften Verbleibs an einem Ort. Das erste Buch des Romans thematisiert den Verlust des äußeren, gesellschaftlichen Status und die Gewinnung einer „neuen“ Identität durch Tugend. Für Margriete, die zu Beginn des Romans in ihren familiären und sozialen Strukturen fest eingebettet ist, erweist sich der Wald als Ort der Entgrenzung und der Isolation, der sie in einer immer schneller werdenden Spiralbewegung Gefahren durch ein Raubtier, durch Menschen und Teufel ausliefert. Auf der Ebene der Erzählstruktur bieten diese Exposition und die Rückkehr des Kaufmanns an den Herzogshof die Möglichkeit der Suche und des Wiederfindens. Der mit dem Verbleib in der Fremde verbundene Verlust gesellschaftlicher Einbindung bedeutet nicht nur Gefahr, sondern birgt die Durchführung vorbildlichen tugendhaften

15 Janssens 1976, S. 528, bezeichnet diese Phase als das bewusst angenommene Abenteuer, doch zeigt sich hier eher eine Stufe auf dem Weg von einer kindlichen Naivität zu bewusster Geschehnisbeeinflussung. Allerdings glaubt Margriete trotz der Erfahrungen aus den vorhergehenden Abenteuern den Worten der Schiffer und folgt ihnen aufs Schiff. Zu Margrietes Inkognito siehe Iwema 1984, De Wachter 1998a, S. 138–141. 16 B I:1911–1942, 1950–1959, 1963–1978, 2020–2033, 2055–2083, 2195–2199. B I:1830–1836 ist kein Gebet, wie De Wachter 1998a, S. 123, angibt, sondern gehört noch zum Gespräch mit der Gräfin.

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Verhaltens, anhand dessen in der fremden Gesellschaft die innere Stabilität und Idealität der Figur geprüft und bewiesen werden kann. Auf der Ebene der Erzählstruktur zeigt die Initialmotivik des MargrieteRomans auf der Oberfläche allgemeine Parallelen mit der des Parthonopeus van Blois bzw. des Partonopier und Meliur des Konrad von Würzburg: Verirrung während einer Jagd, Übernachtung in der Wildnis, Angst, Ufer eines Meeres, Verbleib auf einem Schiff, Mahlzeit in einem verlassenen Haus (im Parthonopeus in einem Schloss). Wie in vielen Liebes- und Abenteuerromanen markiert das Meer den Weg in eine unbekannte Fremde.17 Unentbehrlich für die weitere Entfaltung der Handlung ist Margrietes Verheimlichung ihrer wahren Herkunft. Diese begründet das Motiv der Intrige gegen die Minneverbindung zwischen der Heldin und dem Helden der ersten Bücher. Eigentlicher Ausgangspunkt der Gesamthandlung des Romans ist, wie im griechischen Roman, dem von Bachtin als „abenteuerlichen Prüfungsroman“ bezeichneten Typus, die erste Begegnung zwischen Held und Heldin und das Erwachen ihrer Liebe. Am Schluss steht die glückliche Hochzeit.18 Dazwischen steht die Abenteuerzeit mit unbekannter Herkunft, Schönheit, Keuschheit, Begegnung der Liebenden, retardierenden Hindernissen, Trennung, Suche, Finden, Trennung und Finden.19 Die mit diesem Modell verwandte Struktur im Roman des 14. Jahrhunderts greift die Formel von „Trennung und Wiederfinden“ auf und führt die Handlung in Anlehnung an das legendarische Muster zu einem positiven Ende.20 Aus der Legende von Margrietes Namenspatronin übernimmt der Autor das Motiv der Einsperrung in einem Gefängnis und das Erscheinen des Teufels, den sie mit einem Kreuzzeichen vertreibt. Bei allen Unterschieden zur Legende der Margareta von Antiochien bewährt auch Margriete sich in größter Not. Wie eine Märtyrerin demonstriert sie Gottvertrauen, Tapferkeit, Sanftheit, Milde, Güte und vergibt sogar ihren Verfolgern.21 Der Roman zeigt weniger eine psychisch labile Heldin als eine einer Heiligen angenäherte Frau, die sich trotz äußerer Anfechtungen, Isolation und Ausgeliefertsein in der Tugend bewährt.22 Margrietes unfreiwillige Reise ist fremdbestimmt: Der Kaufmann, der Schiffer, der Athener Graf und der Kaiser verfügen über ihr weiteres Leben. Die Intrige entwickelt sich aus dem Inkognito heraus, das nach De Wachter in thematischem

17 Vgl. Bachorski 1993, S. 67. 18 Bachtin 1986, S. 265. 19 Hier zeigt sich eine große Übereinstimmung mit den Sujets bei Bachtin 1986, S. 266. 20 Vgl. Haug 1991, S. 355–356. 21 An manchen Stellen beschwichtigt sie Echites, der seine Eltern und den Henker zu töten beabsichtigt (B I:2190–2194, 2237–2240). 22 Zu diesem Thema in „nachklassischer“ Zeit Haug 1991.



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Zusammenhang mit dem Motiv der wilden Jagd steht. Hier habe Margriete zum ersten Mal den falschen Schein bestimmter Vorgänge erkannt, den sie daher nun selbst nutze. Echites’ Aventiure sei der Weg zu höfischem Rittertum und zur Erkenntnis der wahren Identität seiner Angebeteten.23 Ob das Inkognito lediglich auf der Ebene der Figurendarstellung zu deuten ist, ist fraglich, dient es doch auf der Ebene der Handlung der Retardierung der Vermählung. Durch ihr Verhalten verursacht Margriete eine doppelte Suche: Ihre ungewollte Verirrung löst Heinrics Suche nach seiner verlorenen Schwester aus. Die Lüge bezüglich ihrer Herkunft bewirkt, dass Echites sich auf Aventiurereise begibt, über ihre Herkunft und gesellschaftliche Position informiert wird und Heinric zu seiner Schwester führt. Margriete als handelnde Figur erfährt in einer widersprüchlichen Welt die Komplexität von Schein und Sein und damit auch ihre eigene Widersprüchlichkeit und Komplexität.24 Margrietes Vertreibung in die Fremde korrespondiert mit ihrer fremden Existenz. Ihr Körper ist an einem fremden Ort, und ihre anderen Figuren gegenüber geäußerte soziale Identität stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Ihre persönliche Identität ist davon unberührt. Erst wenn die zwei Seinszustände der äußeren und inneren Identität wieder integriert sind, kann der Roman abgeschlossen werden, wie es dann in Buch XII auch geschieht. Margrietes freiwillige Absage an ihre ursprüngliche gesellschaftliche Position akzentuiert zugleich die Unwandelbarkeit ihres Inneren.25 Margriete tauscht ihre alte Geburtsidentität für eine zunächst in die Unsicherheit führende, eine sich auf Gesinnung gründende Identität ein. Der Roman konstruiert durch diese bewusste weltliche conversio nicht nur eine Abgrenzung vom alten Status, sondern bietet die Möglichkeit zum Beweis ihrer Tugenden Keuschheit, Edelmut und Tapferkeit. Nach Janssens symbolisiert die äußere Handlung, der Weg von Limburg nach Konstantinopel, die Entwicklung Margrietes in verschiedenen Stadien über die Verirrung im Wald zu Ruhe und neuer Anerkennung am Athener Grafenhof.26 Aber die Veränderungen sind nicht die Resultate psychologischer Entwicklung. Anstelle einer Entwicklung der Figur manifestiert sich ein Prozess der Realisierung von Handlungsmöglichkeit und Entscheidungsfreiheit innerhalb der Gesellschaft. Statt einer Grenzüberschreitung von einem niedrigeren zu einem höheren sozialen Status erprobt der Margriete-Roman zunächst die entgegengesetzte Richtung durch eine soziale Degradierung, die nur über ein Verwei-

23 De Wachter 1998a, S. 139–141. 24 Vgl. zu diesem Thema Haug 1991, S. 361. 25 Bachtin 1986, S. 287. 26 Janssens 1976, S. 320.

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len „en vremder hant en vremden lande“ (B I:1832) erreicht werden kann. Das Thema des Fremdseins dominiert das ganze erste Buch.27 Margriete durchlebt Abenteuer, aber diese verändern nicht ihre Persönlichkeit, sondern sie bestätigen ihre Beständigkeit und „statische Idealität“.28 An mehreren Stellen thematisiert der Roman, dass Margriete von anderen Figuren des Romans trotz ihrer vermeintlich niedrigen Herkunft wegen ihres Verhaltens und ihrer Eigenschaften als von höherem Rang gebürtig eingeschätzt wird.29 Margriete hofft sogar, ihre Erlebnisse noch einmal als „byspel“ erzählen zu können: „Mocht ich dit noch tzu bysspele / Vertelle, dat prijsde ich sere“ (B I:2259; siehe auch B I:2247).30 Damit laviert sie zwischen der Position als direkte Teilnehmerin und als nacherzählende Betrachterin des Geschehens. Aber Margriete kann ihre Aventiure nur bei einem glücklichen Ausgang des „doelen“ (Umher­ irren) erzählen, das heißt, wenn sie in der Lage ist, ihre reine Innerlichkeit, ihre „süverheit“ (B I:1640), zu bewahren. Damit spricht die Heldin selbst wichtige Handlungsdeterminanten des Romans an. Die Trennung von Status und Innerem bedingt das komplexe Thema des Verhältnisses von Frau, Minne und Gesellschaft, das in seinen verschiedenen Facetten den ganzen Roman prägt. Margriete drückt dieses mit den symbolisch bedeutsamen Leitwörtern „amye“, „wijff“ und „frundenne“ (B I:1150–1156, 1211–1236, 1605, 1643–1648, 1845–1850) aus. Die verschiedenen gesellschaftlichen Möglichkeiten der Verbindung zwischen Mann und Frau sprechen die weiblichen Hauptfiguren an mehreren Stellen im ersten Buch aus: Das Wortfeld der Liebschaft außerhalb der Ehe, mit den Schlüsselwörtern „amye“ (B I:1214, 1231, 1250), „vrijen“ (B I:1249) und „eyns mans wille“ tun (B I:1629–1630), drückt ein für die Frau unehrenhaftes Verhältnis aus, das sie ihrer Reinheit und somit ihres kostbarsten Gutes beraubt.31 Die Verbindung in der Ehe, bezeichnet mit Termini wie „tzu wyve nemen“ (B I:1251), „trouwe“ als Treueversprechen (B I:1275), „nehmen“ in der Bedeutung „heiraten“ (B I:1173,1177) und „truwen“ (B I:1354) präsentiert der Roman in direkter Opposi-

27 Acht Textstellen hierzu im ersten Buch, bei denen sich das Wort „vremde“ auf Margriete selbst oder auf ihren Verbleib in einem fremden Land bezieht: A I:751 (die Lesart in B I:741 „eyne harde schone jonffrouwe“ ist sicher nicht vorzuziehen), B I:823, 824, 1271, 1813, 1832 (2x), 2403. In den Büchern II–V tritt das Wort „vremde“ nur vereinzelt auf (B II:326, 1279, III:487, 536, 570, IV:677, V:327). Ab Buch VI kommt es nicht mehr vor. 28 Der Ausdruck in Schulz 2000, S. 64; Bachtin 1986, S. 289, zum griechischen Prüfungs­ roman. 29 B I:807–816, I:995–1015, I:2341–2350. 30 Das Wort kann verschiedene Bedeutungen haben, von einer „fiktionalen Geschichte oder Erzählung“ zu Fabel, Parabel, Lehre, Sprichwort und ganz allgemein als Beispiel. 31 Margriete selbst hierzu: B I:1627–1642, siehe auch MNW unter „amie“ und „vriendin“.



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tion zur außerehelichen Liebschaft. Nur die Ehe oder die Aussicht auf eine Ehe kann eine Freundschaft zwischen Mann und Frau legitimieren: 1845 1850

He dede mich beden me dan eyne Umb tzu wesen sijne frundynne, Dat mich wenich ginck ynne, Want ich sijns wyfs nyet en were. Ich en wolde ouch nyet offenboer Syn amye wesen nyet. (B I:1845–1850)

„Amye“ und „frundynne“ sind hier keineswegs Synonyme, wie Margrietes Ausführungen deutlich machen. Margriete lehnt die Bitte des Echites nach Trost strikt ab (B I:1134).32 An dieser Stelle kann sich das Ansuchen des Echites noch auf ein rein körperliches Interesse beziehen, erst nach Margrietes Abweisung erwägt er eine mögliche Heirat (B I:1173). Sie begründet ihre Ablehnung damit, nicht seine Geliebte sein zu wollen (B I:1150–1156). Andererseits sei sie durch ihren Status als „arm wyff“ (B I:1147) nicht würdig, mit ihm verheiratet zu werden (B I:1175–1177). Damit schneidet sie direkt das Thema der (vermeintlichen) Unüberbrückbarkeit von Standesunterschieden an. Diese Bedenken greift auch die Gräfin sofort auf, als sie Echites zur Rede stellt (B I:1263). Sie lehnt die Heirat mit einer Frau von unsicherer Herkunft aus einem fremden Land ab (B I:1257, 1261, 1263), nicht aber eine Liebschaft, wie ihre Nachfragen nach der Art der Beziehung verraten (B I:1248–1251).33 Diese Haltung offenbart eine adlige Moral, die nur eine öffentlich durch eine Heirat bekundete Beziehung zwischen einem Adligen und einer sozial niedrigeren Frau ablehnt, dagegen ein unverbindliches, möglicherweise heimliches, Verhältnis jedoch gutheißt. Bei der Beurteilung der Argumente der beiden Frauen ist ihre jeweilige gesellschaftliche Position zu berücksichtigen. Durch ihr „ungeval“ (B I:1150, 1317), ihr Unglück, allein in einem fremden Land zu sein, kann sich Margriete nicht auf ihren Stand als Herzogstochter, sondern allein auf ihre Tugend und körperliche Unversehrtheit berufen, um die Ehrlichkeit des Grafensohns Echites bezüglich seines Treueversprechens zu testen.34 Dass Margriete die von ihr vorgebrachte

32 Zur möglicherweise implizierten Doppeldeutigkeit des „troist“, der auch als geschlechtlicher Liebesakt zu deuten ist, siehe Rudolf von Ems, Willehalm: „daz er si da erloste / mit manlichem troste“ (105,5–6). 33 Auch ihrem Ehemann gegenüber äußert sie lediglich Bedenken gegen eine Vermählung (B I:1356–1357). 34 Minnedamen erhalten in mittelalterlichen Dichtungen häufig den Rat, die Glaubwürdigkeit der Männer zu prüfen. Vgl. Schnell 1984, S. 23. Mit ihrer Argumentation, eine Frau dürfe sich

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Auffassung nur benutzt, um Zeit zu gewinnen, verraten ihre Abschiedsworte an Echites, dem sie unter der Bedingung der Beständigkeit „guden räde“ in Aussicht stellt (B I:1667).35 Die Bedeutung von Tugendadel und von Geburtsadel für die Liebesauffassungen wird in Gesprächen einander gegenübergestellt und ausgehandelt. Für Echites zählen nur Tugend und Schönheit (B I:1281, 1293–295), während die Herkunft keine Rolle spielt. Margriete nimmt eine Zwischenposition ein, indem sie vorgibt, der „älteren“ Auffassung zuzuneigen, während sie diese nur benutzt, um die „jüngere“, auf innerer Tugend basierende Auffassung des Echites zu prüfen. Der Vater des Echites, der über seine Gattin von den Absichten des Sohnes erfährt, nimmt eine völlig passive, den Plänen seiner Frau sofort zustimmende Position ein. Das Thema der konsequenten Überschreitung von (Standes-)Grenzen wird im Roman aus verschiedenen Blickwinkeln mit unterschiedlicher Pointierung gestaltet: Man denke an Heinric, Evax und Jonas und ihre jeweiligen Angebeteten, aber auch an Demophon. In diesem ersten Buch des Margriete-Romans präsentiert der Autor mit den drei Hauptfiguren drei verschiedene Haltungen zum Umgang mit der Minne in der Gesellschaft, hier aber lediglich auf der Ebene des Wortes. Taten, die diese Auffassungen veranschaulichen könnten, finden nicht statt. Die Macht der Worte, der Nicht-Worte der Verheimlichung und der Lügen bestimmen das Geschehen bis zu dem Moment, als wenigstens die Lügen der Gräfin durch die Taten des Echites aufgedeckt und ihrer Wirkung beraubt werden. Das erste Buch des Margriete-Romans setzt die Handlung in Gang, indem der Autor die Heldin wie eine Heilige (in Abenteuern) prüft. Er kombiniert geschickt religiöses Legendenschema mit dem des weltlich-abenteuerlichen Prüfungsromans, das Margrietes Bewährung im unwandelbaren Glauben an Gott zeigt und sie lebensbedrohliche Abenteuer und Prüfungen durchstehen lässt. Der Roman lässt sich über das Inkognito Margrietes und das Verhalten der Gräfin als Diskussionsbeitrag über die nicht zwingend gegebene Kongruenz von gesellschaftlichem Status und Innenleben verstehen. Das Beispiel der divergierenden Minneauffassungen der Athener Gräfin und ihres Sohnes erörtert symbolisch die Präferenz der vermeintlichen Seinszustände des Äußeren (Geburtsadels) und des Inneren (Tugendadels). Die Kommunikationsformen der Direktheit, der Heimlichkeit und

nicht so schnell dem Willen eines Mannes hingeben, stimmt sie genau mit der Auffassung der Jungfrau im Roman Lancelot und Ginover überein, die Gurreïs kurz und bündig den Unterschied zwischen Lust und Liebe erklärt (V. 7269–7272). 35 Zudem weiß Margriete natürlich auch um ihre Herkunft, die sie allerdings fern von ihrer Heimat nicht beweisen kann. Vgl. ausführlich Iwema 1984.



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der Lüge prägen den Roman im ersten Buch als einen Diskurs über Minne und Gesellschaft. In der Entzweiung von Innerlichkeit und gesellschaftlicher Position wird ideales persönliches Wesen sichtbar. Innere Ruhe kann auf der Figurenebene erst erlangen, wer den mühsamen Weg der (erneuten) Vereinigung des persönlichen und öffentlichen Seins bewältigt hat.36 Das bedeutet zugleich aber auch, dass die jeweilige Lebenssituation der Heldinnen und Helden ebenfalls gesellschaftlichpolitische Bedeutung besitzt. Im Margriete-Roman werden bis auf den Herzog von Limburg alle wichtigen Herrscher durch einen der Helden abgelöst: der Kaiser von Konstantinopel, der König von Armenien, der König von Aragon und der König von Sizilien. Über die inszenierte Dissonanz von Persönlichkeit und gesellschaftlicher Identität öffnet der Autor den Außen- und Innenraum des Romans und macht die Erprobung und Bewährung von Identität möglich. Die Übernahme eines Schemas und dessen gleichzeitig vorgenommene Abwandlung bestimmen die Erzählwelt als Ansatz zu einer Öffnung des Innenlebens der Figuren. Dem Vorbild des in Buch I geschilderten Weges folgen die Geschichten Heinrics, Echites’, Evaxs, Sibilles, Jonas’ und Demophons. Wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, bewahren sie jeweils ihre reine Innerlichkeit. Dieser innere Status ist völlig autonom gegenüber sozialen oder religiösen Zuordnungen.37 Die im Roman gebotene Mehrsträngigkeit entspricht der komplexen Welt mit den vielfältigen Bewährungsprüfungen auf dem Lebensweg.38

3.1.2 Heinrics Aventiure und Unterricht Nachdem am Ende von Buch I in Margrietes Queste ein Ruhepunkt erreicht ist, leitet die Ankunft des Kaufmanns am Herzogshof in Limburg einen Perspektivwechsel ein, der im zweiten und dritten Buch mit den Abenteuern Heinrics vollzogen wird. Die Aventiuren der zwei mit der weiblichen Hauptfigur am engsten verbundenen männlichen Helden, die jeweils durch Margriete ausgelöst werden, sind in zwei Phasen zu unterscheiden: einer der Individualitätsbildung und einer

36 Zum Motiv der Rast vgl. B I:1814. 37 Jonas bewährt sich als idealer Herrscher, obwohl er zunächst der Helfer des Ammensohnes ist. Der Bruder des Sultans, Demophon, präsentiert sich im Kampf um Armenien als bester Verteidiger des Christentums. 38 Zu dieser Verflechtung im „nachklassischen“ Roman Haug 1991, S. 361.

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der Harmonisierung mit der Hofgesellschaft.39 Im Gegensatz zur weiblichen Hauptfigur, deren Tugenden von Anfang an mit den von der Gesellschaft geforderten Normen übereinstimmen, müssen sich Heinric und Echites ihre Tugenden auf ihrer Reise zum Teil noch „erkämpfen“, um sich der höfischen Gemeinschaft als würdig erweisen zu können. Heinrics Queste in Buch II und III kann in fünf Episoden eingeteilt werden: 1. Exposition II:23–577 1.1 Abreise Heinrics II:23–193 1.2 Bärenepisode II:194–228 1.3 Kapelle II:229–577 2. Trier II:578–1939 2.1 Gefangennahme des Herzogs von Luxemburg II:578–873 2.2 Besprechung und Kämpfe II:874–1266 2.3 Verrat an Heinric II:1267–1739 2.4 Befreiung Heinrics II:1740–1879 2.5 Rache des Herzogs von Limburg an Trier II:1180–1939 3. Mailand III:15–794 3.1 Kampf III:15–389 3.2 Liebesabenteuer III:390–794 4. Kalabrien III:795–1106 4.1 Exposition III:795–866 4.2 Zweikampfangebot III:867–975 4.3 Vertagung III:976–1106 5. Venusburg III:1107–1387 5.1 Ankunft III:1107–1218 5.2 Vorstellung der Verwandtschaft der Venus III:1219–1306 5.3 Gefährtinnen auf der Burg III:1307–1387

Auf Heinrics Weg besitzt die ritterliche Tat Priorität (Buch II), erst in Mailand (Buch III) tritt das Thema Minne hinzu. Obwohl er erst am Ende des gesamten Romans durch die Hochzeit mit der Kaisertochter Eusebia ein Herrscheramt erwirbt, wird die Thematik von Minne und Herrschaft hier in einer Vorstufe als Thematik von Rittertum und Liebesabenteuer theoretisiert und praktiziert. Heinrics Abenteuer sind im Strukturprinzip der gesteigerten Repetition nach denen der Margriete modelliert. Statt zu flüchten besiegt Heinric den Bären und

39 Janssens und De Wachter vergleichen sie mit Arthurianischen Aventiuren (Janssens 1976, S. 253–259, De Wachter 1996); zur Zweiphasenstruktur u. a. Fromm 1969, van Oostrom 1983.



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erschlägt bis auf einen, der flüchtet, alle Räuber, die in der Kapelle wohnen (B II:23–577). Wie Margriete, die erst in letzter Minute durch die Hilfe des Echites dem durch falsche Beschuldigung drohenden Tod entkommen kann, benötigt Heinric die Hilfe Arnouts, um in Trier befreit zu werden.40 Minne tritt dann in der Mailand-Episode zunächst unter dem Vorzeichen des als negativ zu bewertenden flüchtigen Liebesabenteuers auf. De Wachter hat überzeugend inhaltliche Parallelen dieser Affäre mit Handlungsmustern in der Aeneis Vergils aufgezeigt: Wie Aeneas’ Liebesabenteuer mit Dido ist Heinrics Liaison mit Europa zeitlich begrenzt. Wie Dido muss Europa einen männlichen Verwandten (hier Fromont, dort Pygmalion) in die Schranken weisen. Im zweiten Teil der Texte werden Aeneas wie Heinric die Anführer ihres Volkes im Kampf um Latium bzw. Kon­ stantinopel: Heinric heiratet die Kaisertochter Eusebia und Aeneas Lavinia. Beide werden Herrscher des größten Reiches, nachdem sie vorher ihre Widersacher (hier Armenius, dort Turnus) ausgeschaltet haben.41 Wie für Aeneas mit Dido ist das nächtliche Zusammensein mit Europa für Heinric nicht der Anfang einer längeren Beziehung, da sein Auftrag eine solche nicht erlaubt.42 Es ist anzunehmen, dass auch die mittelalterliche französische und deutschniederländische Aeneis-Rezeption des 12. Jahrhunderts für die Gestaltung des Liebesabenteuers in der Margriete eine Rolle spielt. Im Eneasroman Heinrichs von Veldeke ist gerade die Lavinia-Handlung wie auch im Margriete-Roman die Eusebia-Minne viel stärker ausgeprägt als im antiken Roman. Wie Heinrich von Veldeke Eneas nicht von der Minne zu Dido bewegt sein lässt, empfindet auch Heinric nach den Aussagen der Erzählung keine Gefühle für Europa. Man kann die Mailand-Episode des Margriete-Romans insgesamt als eine Neuerzählung des Liebesabenteuers im Eneasroman werten.43 Der Margriete-Autor zeichnet wie Heinrich von Veldeke die weibliche Minnende als eine psychologisch differenzierte Figur, die in mehreren Monologen ihren Konflikt zwischen Schande (B III:570, 578, 581, 619) und Ehre (B III:615, 626) äußert.44 Der Zwang der „rechten minne“ dient als Entschuldigung ihres Verhaltens. Europas Mutterschaft steht Didos Selbstmord gegenüber: Durch das positive Ende des Liebesabenteuers  – Europa gebärt Olivier mit dem goldenen Kreuz zwischen den Schultern, den späteren König von Spanien  – erzählt der Margriete-Autor die Dido-Geschichte

40 Wie Margriete wird auch er entkleidet (B II:1600–1601). 41 De Wachter 1998b, S. 186–187. 42 Zur Funktion des Liebesgeschehens im Eneasroman des Heinrich von Veldeke Kasten 1988. 43 Vgl. Kasten 1988, S. 241. 44 Die Schande der Schwangerschaft wird abgemildert, als Europa bekennt, wer der Vater des Kindes ist (B III:771–774).

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in einer utopischen Umformung, die Selbstzerstörung in Weiterleben und Erhalt der Dynastie umwandelt. In Kalabrien ist es nun Heinric selbst, der die Königin vor dem Feuertod rettet, aber nur unter der Bedingung, dass er sich zwei Jahre später einem Zweikampf stellt. In der Erzählwirklichkeit ist daher das Ende dieser Zwischenepisode offen. Sowohl das Mailand- als auch die Kalabrien-Abenteuer bieten jeweils eine Variation der Margriete-Handlung. Europa handelt gegensätzlich zu Margriete, indem sie sich auf ein nach gesellschaftlichen Normen zu verurteilendes Liebesabenteuer einlässt. Andererseits ist Europa in ihrer Liebesauffassung mit Echites zu vergleichen, da sie die Priorität des Gemütsadels vorlebt.45 Als Retter in letzter Not ist Heinric mit Echites vergleichbar. Mit der ständigen variierenden Wiederholung verfolgt der Erzähler eine Strategie des Wiedererkennens. Durch unterschiedliche Perspektiven entsteht eine Art dramatischer Ironie.46 Ironisch gewertet ist auch der Verbleib in der Venusburg trotz des Namens der dortigen Herrscherin. Die Erzählung motiviert seinen Aufenthalt dort mit dem Warten auf den Verehrer seiner Schwester. Vorgreifend auf die Fürstenspiegelallegorie in Buch X informiert Venus Heinric derweil über Laster und Tugenden. Sie zählt eine Auswahl der Todsünden auf, vor denen sie geflüchtet ist („discordia“, „avaritia“, „lecker“, „dieffde“, „achtersprechen“ [B III:1281–1283]),47 und stellt ihre in der Burg anwesenden Gefährtinnen vor, die (Kardinal-)Tugenden Treue, ‚Höfischheit‘, Demut, Freigebigkeit, Weisheit, Verschwiegenheit, Einfachheit und Mäßigung (B III:1316–1318, A III:1325–1327). Heinric wird zwar auch in der Minne unterwiesen, aber das vorrangige Ziel ist eine mehrschichtige Erziehung zu Tapferkeit und Mut: „Vrome ende coene altoes wert in sinen doene“ (A III:1334–1336).48 Die Aventiuren spielen in den Heinric-Episoden eine dominante Rolle auf der Handlungsebene, bewirken jedoch keinen Erkenntnisprozess, die Notwendigkeit einer Triebbändigung anzuerkennen.49 In Trier, Mailand und Thabor sowie auch 45 Erst in der gemeinsam verlebten Nacht offenbart Heinric ihr seine Herkunft. 46 Auch die Aventiuren des Echites werden (zum Teil) mit denen der Margriete und denen Heinrics in Variation parallelisiert. 47 Statt „lecker“ nennt die Brabanter Handschrift A „roem“ (Ruhmessucht), Clotos Sohn heißt in A „nidicheit“ und dessen Gemahlin „hoverde“ (A III:1289–1291, in B nicht erwähnt). 48 Das Verb „wert“ bezeichnet eine wünschenswerte zukünftige Entwicklung des Ritters. In B wird stattdessen das Verb „is“ verwendet (B III:1325–1326), so dass die Aussage einen bereits erreichten Zustand beschreibt, was allerdings nicht zum Inhalt der Rede der Venus past. De Wachter 1996, S. 133, bezieht den Lernprozess meines Erachtens zu einseitig auf die komplexe Materie der Liebe. Zur Bedeutung der Venusburg auch Janssens 1976, S. 422–423. 49 Im Gegensatz zu Ridder 1998, S. 200, der an mehreren Stellen seiner Analyse von einer „Verschränkung der Themen Minne und Aventiure“ im Werktyp spricht.



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später in Konstantinopel überwiegt der Aspekt ritterlicher Kampfkraft. Der Erfolg Heinrics steht außer Zweifel und erreicht mit dem Sieg über den Riesen Fromont in der Mailand-Episode einen Höhepunkt. Hier knüpft der Autor zum ersten Mal an das Thema der „unrehten“ „rehten“ Minne an. Auch wenn die außereheliche Affäre zwischen Europa und Heinric abzulehnen ist – dies entspricht der Sichtweise Margrietes, die mit gesellschaftlichen Konventionen übereinstimmt (vgl. oben)  –, bleibt sie für die weibliche Figur dennoch innerhalb des Geschehens ohne negative Folgen, im Gegenteil, Europa wird mit einem späteren König als Nachkommen belohnt. Heinrics unehrenhaftes Verhalten wird jedoch hervorgehoben. Er habe Europa „en pijnen ind en rouwe groet“ zurückgelassen (B III:797– 798). In Kalabrien kann sich Heinric wegen der Verschiebung des Kampfes letztendlich ebenfalls nicht bewähren.50 Er begibt sich zur Venusburg, ohne sich der Notwendigkeit einer Besserung seines Verhaltens bewusst zu sein. Die ihn beschreibenden Superlative „schoinste“ und „vroemste“ (B I:60, 61) direkt am Anfang des Romans engen seine Möglichkeiten der Entwicklung stark ein.51 In der Venusburg verbleibt Heinric zwei Jahre und lernt etwas (A III:1379),52 aber was er dort lernt, erscheint ambivalent, da Venus ihre Gespielinnen „Truwe“, „Schemlicheit“, „Hoescheit“, „Miltheit inde Wysheit“, „Wael-helen, Sympelheit ind Mäte“ vorstellt und er die Zeit mit ihnen verbringt (B III:1316–1318). Man könnte also annehmen, dass sie ihn höfische Tugenden lehren und im Besonderen in der Minne unterweisen,53 aber im Text steht auch „Ende hadden mit hoem spel ind yoie“ (B III:1366). Eine Entwicklung, die in diesen Büchern durch seine Taten zum Ausdruck kommt, ist nicht erkennbar. Er verharrt am Ende von Buch III in einer Warteposition, die, wie von Venus vorhergesagt, erst durch die Ankunft des Echites aufgehoben wird. Während der Margriete-Handlungsteil die Diskussion über „rehte“ und „unrehte“ Minne in den Mittelpunkt stellt, thematisiert die zweite große Abenteuerreihe die Suche Heinrics als Fremdsein und als Auseinandersetzung mit einer für ihn fremden Welt. Die Bewahrung und Bewährung der Tugenden des „schönsten“ und „tapfersten“ Ritters münden hier zwar nicht in eine Diskussion über ideale Herrschaft oder ideale Minne oder über die komplizierte Verflechtung dieser gesellschaftlichen und persönlichen Komponenten des Seins, jedoch dienen Margriete, Heinric und Europa als Exempel für die Vielzahl möglicher 50 Echites rundet mit seinem Sieg über den Grafen die Kalabrien-Episode ab. 51 De Wachter 1996, S. 134, dagegen bezeichnet seine Entwicklung als neu erworbenes höfisches Rittertum. 52 In Handschrift B ist es ein Jahr (B III:1369), aber der Zeitraum von zwei Jahren passt inhaltlich besser, da der Kampf in Kalabrien, den Echites dann besteht, um zwei Jahre verschoben wird. 53 Vgl. De Wachter 1996, S. 131–135, De Wachter 1998a, S. 195.

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Entscheidungen zwischen individuellem Gefühl und höfischem, auf die Gemeinschaft bezogenem Verhalten. Mit ihrem Verhalten kommentieren Heinric und Europa sozusagen Margrietes Ablehnung einer unehelichen Minne. Margrietes Kritik an unehelicher Minne – diese wird in ihren Abenteuern nicht ausgelebt − korrespondiert mit der Vorläufigkeit des Minnestatus in den Heinric-Aventiuren der Bücher II und III. Diese Bewährungsproben muss Heinric zwar bestehen, aber auch sie repräsentieren ein Vorstadium zu einer weiteren Perspektive des Romans, der Darstellung des männlichen Helden als zukünftigem Herrscher. Möglicherweise als Reaktion auf den Eneasroman, dessen Held qua Geburtsadel54 zur Ausübung von Herrschaft legitimiert ist, geht der Margriete-Autor, wenn auch nur ansatzweise, über das Prinzip des Geburtsadels hinaus. Herkunft ist, wie Echites’ Ausführungen und Europas Handeln zeigen, dem Tugendadel untergeordnet, und Letzterer kann das dynastische Prinzip außer Kraft setzen. Diesem Tugendprinzip folgt durch die Ernennungen von Mitgliedern niedrigerer Gesellschaftsschichten wie Evax, Jonas und Heinric zu Königen bzw. zum Kaiser der ganze Roman. Mit den Büchern II und III des Margriete-Romans greift der Autor das komplexe Verhältnis von Tugendadel und Geburtsadel auf. Heinrics Bewusstsein verändert sich nicht im Laufe des Geschehens, er muss auch nicht wie Eneas eine Fahrt in die Hölle durchstehen. Allerdings wählt er analog dazu an der Wegescheide den gefährlichen Pfad, doch landet er in der paradiesischen Burg der Venus (B II:1163).55 Seine Rolle, die sich im weiteren Verlauf als vollkommene Zersetzung des dynastischen Prinzips erweisen wird, wenn er als Herzogssohn Kaiser von Konstantinopel wird, ist am Anfang des zweiten und am Ende des dritten Buches in seiner Identität des für Ehre und Recht kämpfenden Ritters festgelegt.56 Heinrics Weg folgt einem eindimensionalen linearen Schema der Bewährung und kommentiert Eneas’ Reise.

54 In Weiterführung von Überlegungen von Kasten 1988, S. 233–234. Das Prinzip des Geburtsadels zeigen einen meistens defizitären Helden aus einem Rittergeschlecht, der im Laufe des Werkes Tugenden entwickelt und schließlich zum Edelmann reift. Tugendadel wird definiert als edles Verhalten ohne Rücksicht auf Abstammung und Geschlecht: Die Tugend ist in einer (oft sozial niedrigeren) Figur angelegt, diese muss sich auf der Ebene des Charakters nicht entwickeln, sondern sich in ihren guten Eigenschaften bewähren. 55 Heinric braucht im Gegensatz zu Eneas seine Absicht, wieder abzureisen, Europa gegenüber nicht zu verbergen. Sie weiß von vornherein um die Kürze des Abenteuers mit ihm (B II:721–723). 56 Seine (vorläufige) Niederlage im Kampf um Trier hat ihre Ursache in einem Verrat, sie tangiert daher nicht die ritterliche Qualität des Helden.



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3.1.3 Wahnsinn und Vernunft Am Ende von Buch III und zu Beginn von Buch IV bereitet die Erzählinstanz im Margriete-Roman einen Schauplatzwechsel zu den Erlebnissen des Echites vor: 1380

Nü lays ich van den edelen man Blijven ind wille uch soen Van Echitess doen verstoen, Des greven son van Athenen, Wie he van Constantinoble henen Schiet ind Margriete lies dar. Des bleyff hoem dat hertze swoer Ende quam mit erren mode. (B III:1377–1384)

Durch Venus’ Vorhersage ist der Rezipient bereits indirekt davon in Kenntnis gesetzt, dass die nun einsetzende Aventiure-Reihe des Echites in der Venusburg enden wird.57 Die Handlungsstruktur seiner Abenteuer ist wie folgt inszeniert: 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Aventiure des Echites IV:26–2091 Exposition: Wahnsinnsphase und Abenteuerbereitschaft IV:26–623 Erste Aventiuresequenz IV:624–1274 1.2.1 Abreise aus Athen IV:624–759 1.2.2 Versunkenheit IV:760–945 1.2.3 Morant und Brodas IV:946–1274 Erkenntnisphase im Traum IV:1275–1384 Zweite Abenteuersequenz IV:1385–1849 1.4.1 Befreiung der Jungfrau IV:1385–1527 1.4.2 Mailand IV:1528–1824 1.4.3 Frankreich IV:1825–1849 Rückschau durch Boten IV:1850–2091

2. 2.1 2.2 2.3

Echites und Evax: gemeinsame Aventiure V:19–1807 Verteidigung von Soissons V:19–455 Erkenntnis durch Aufklärung am Hof in Limburg V:456–825 Verteidigung Aragons V:826–1807

3. Venusburg V:1808–2177 3.1 Traum des Echites V:1808–1907 3.2 Kalabrien V:1908–2001 3.3 Treffen mit Heinric in der Venusburg V:2002–2177

57 Damit sind seine Handlungen zum Teil zeitlich parallel zu denen des Heinric geschaltet. Außerdem ist ein „guter“ Verlauf der Abenteuer gesichert.

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Die Exposition präsentiert den zweiten männlichen Helden zu Beginn des vierten Buches in einer Phase des Wahnsinns: Wegen der Abwesenheit seiner Geliebten erschlägt er „rosende“ (B IV:56) und „verwoet“ (B IV:67) den Kutscher. Seine Mutter sieht keinen anderen Ausweg, ihn aus dieser „misvart“ zu befreien, als Margriete zu bitten, Echites zu sich einzuladen.58 Bei Erhalt von Margrietes Brief wandelt sich Echites’ Zorn in unermessliche Freude (B IV:258). Der Gemüts­ zustand des Echites wird somit in seiner völligen Abhängigkeit von Margrietes Minne gezeichnet (B IV:774–779, 815–817). Nach seiner Wahnsinnsphase bewirkt ihr Minneversprechen mit der verschlüsselten Offenbarung ihrer edlen Herkunft und der Forderung von „prijs“ und „ere“ (B IV:383–390) den Auszug des Ritters in die Fremde. Es verwandelt auf der Ebene der dargestellten Emotionen Echites’ zügel- und orientierungslose Affekte in gemäßigteres Verhalten. Diese Mäßigung wiederum ist unabdingbar für die ihn im späteren Turnier von Konstantinopel auszeichnende „vromicheide“ (B IV:572). Obwohl sich Echites „en vremden lande“ (B IV:668) bewährt, ist sein Inneres zunächst nur auf Margriete gerichtet. Als er aus seiner gedanklichen Versunkenheit aufwacht, vermag er ohne Mühe die Kämpfe gegen die Riesen Morant und Brodas zu bestehen. In der zunächst unscheinbar wirkenden Szene der Rast unter einer wilden Rose bei einem Brunnen präsentiert der Autor zum ersten Mal einen prophetischen Traum (B IV:1275–1384). Drei Meerjungfrauen sprechen zuerst über Echites und dann mit ihm über seine Vergangenheit und Zukunft. Im Gegensatz zu den in der mittelalterlichen Literatur überwiegend negativen Konnotationen von Meerjungfrauen als Lügnerinnen, Verführerinnen und Schmeichlerinnen erweisen sie sich im Margriete-Roman als zuverlässige Weissagerinnen. Die in mittelalter­ lichen Texten sehr häufig eingesetzte apparitio bereitet den Helden, aber auch den Rezipienten auf die Entwicklung der zukünftigen Handlung vor. In der zweiten Aventiurereihe bewahrheitet sich die Vorhersage der Meerjungfrauen mit der Befreiung der jungen Frau, die von zwei Rittern geschlagen wird. Auch Buch IV bietet in vielfältiger Weise variierende Wiederholung: Echites führt Heinrics nicht abgeschlossenen Einsatz in Mailand durch den gewonnenen Zweikampf zu einem guten Ende. Er bewahrt den Sohn Heinrics wie zuvor Margriete vor dem Feuertod (B IV:1528–1824).59 Echites vollendet ebenso Heinrics Kalabrien-Einsatz gegen den an der Gräfin begangenen Verrat. Mit der Rekurrenz

58 In Buch IV handelt es sich nicht um eine Wiederaufnahme des Schicksals der Margriete, wie De Wachter 1998b suggeriert, die Episode mit ihr dient lediglich dazu (B IV:170–623), die Aventiure des Echites in Gang zu setzen. 59 De Wachter 1996, S. 127–128, betrachtet den Kuss für Olivier als eine Vorabspiegelung des späteren Kusses für Margriete.



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äquivalenter, aber gleichzeitig geänderter Handlungsstrukturen schafft der Autor des Romans eine deutliche Kohärenz des Erzählten und eine wechselnde Perspektivierung von Geschehnissen. Wiedererkennen von abgewandelten bekannten Motiven steuert die Rezeption. Das sich füllende Webgeflecht entwickelt sich auch durch die nochmalige Nacherzählung von Ereignissen (Berichte des Riesen und der Ritter in Athen und Konstantinopel) zu einem dicht geflochtenen Ganzen. Neben der Funktion der Nachrichtenübermittlung innerhalb der Geschichte erfüllen diese Berichte auch didaktische Zwecke, denn sie bieten dem Leser einen Leitfaden durch die schier unüberschaubar werdenden Ereignisse. Die Ereigniskette verdichtet sich im Folgenden durch die Einführung eines weiteren Helden noch weiter: Evax, der Sohn der Amme des Echites und dessen bester Freund, folgt dem Grafensohn nach Frankreich60 und bewährt sich in Étampes, bevor er Echites in Soissons befreit und mit ihm für den König von Frankreich Soissons aus den Händen der unrechtmäßigen Belagerer befreit. Echites’ Ankunft in Limburg spiegelt die der Margriete in Athen. Echites und Evax hören dann am Hof in Limburg vom Schicksal der Tochter des Herzogs, von Margrietes Verschwinden sieben Jahre zuvor (B V:456–825). Evax klärt den Herzog über die Identität des Echites auf, der – wie vorher Margriete – am Hof der zukünftigen Schwiegereltern im Inkognito verharrt (B V:680–704).61 Die zweite Aventiurereihe des Evax dient als Vorbereitung für dessen Herrschaftsübernahme in Aragon und erfüllt weiterhin durch seine Berichte über den Verbleib der Limborch-Kinder die Funktion einer erneuten Wiederholung bereits erzählter Ereignisse. Diese Wiederholung ist sinnvoll, denn zum ersten Mal kommen in einem Buch (Buch V) die Aventiuren mehrerer Haupthandlungsträger vor. Die zwei Freunde Echites und Evax bestehen nach ihrem Zusammentreffen gemeinsame Aventiuren. Zum ersten Mal treffen mittels handelnder Figuren, außer Margriete, die geographisch weit auseinander liegenden Welten Athens und Limburgs aufeinander, was eine entsprechend konkrete Perspektive auf ein Wiedersehen der Limburg-Eltern und -Kinder eröffnet. Nachdem das Inkognito seiner Angebeteten gelüftet ist und er von der geplanten Heirat mit dem König von Frankreich erfahren hat, gelangt Echites zu der Erkenntnis: „Sij is werdiger dan mijn wijff tzu sijn“ (B V:804). Die Ernsthaftigkeit ihres früheren Auftrags, sich ihrer Liebe zu ihm würdig zu erweisen, erfährt durch die soziale Komponente eine neue Dimension. Nach einem Kurzaufenthalt in Frankreich begeben sich die Freunde nach Aragon, das von den Sarazenen bedroht wird. Bei der Verteidigung Aragons widerfährt Echites ein

60 Auch diese Aventiuresequenz ist bereits vorher angekündigt worden (B IV:2037–2045). 61 Die Funktion des Evax als Helfer des Echites greift der Roman nach Buch I hier erneut auf.

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Los, das mit dem des Heinric vergleichbar ist. Auch Echites wird gefangen und muss von seinem Freund befreit werden, wie ja auch Margriete von Echites vor dem Feuertod gerettet wird. Nach dem erfolgreichen Kampf um Aragon wechselt der Blickwinkel des Romans noch einmal ausschließlich auf Echites, der nach einem Venustraum Aragon verlässt, um wie Heinric in der Burg der Venus anzukommen. Systematisch entwickelt der Roman so eine geographische und symbolische Annäherung zwischen Echites und Heinric. Nur Echites’ erstes Abenteuer gegen die Riesen stellt eine Neuerung gegenüber den Heinric-Aventiuren dar; in den Abenteuern in Mailand und Kalabrien nimmt er Heinrics Aufgaben würdig wahr. Nachdem er dann mit Heinric in der Venusburg zusammengetroffen ist, unterstützt Echites diesen entscheidend bei seiner Verteidigung Konstantinopels. Analog zu der großen Ähnlichkeit zwischen Heinric und Aeneas62 lassen sich auch Parallelen zwischen Echites und Achates, dem Weggefährten des Aeneas in der Aeneis, feststellen.63 Die Verhältnisse sind jedoch komplizierter. Mögliche Aufschlüsse kann die Betrachtung eines Naturbuchs bieten, das auch dem Margriete-Autor als Folie gedient haben könnte. In seiner Naturenzyklopädie Der naturen bloeme, einer Bearbeitung des Liber de natura rerum von Thomas von Cantimpré, unterscheidet Jacob van Maerlant zwischen den beiden Steinen Achates und Echites.64 In Buch XII heißt es:

62 De Wachter 1998b, S. 191–192. 63 In der Historie van Troyen des Jacob van Maerlant ist der „Achat“ ein Edelstein (V. 36597– 36601). Es handelt sich hierbei nicht um einen Übersetzungsfehler des Dichters. Vielmehr verbindet schon der Vergil-Kommentar des Servius beide Wörter (vgl. Beelen 1988, S. 254). In Jans van Ruusbroec Geesteliken tabernakel (2,160) wird der Achates mit vergleichbaren Eigenschaften wie bei Jacob van Maerlant als das achte der Lapidarien dem Apostel Bartholomäus zugeordnet. 64 Thomas von Cantimpré macht im Liber de natura rerum einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Edelsteinen Achates und Ethites, in Buch XIV zu „De lapidibus pretiosis et eorum virtutibus“ wird der Achates behandelt (XIV:3), später „De ethite“ (XIV:8). Konrad von Megenberg differenziert „Von dem Achaten“ und „Von dem Echiten“ in seinem Buch der Natur (Buch VI). Interessant ist, dass im Laufe der Zeit die Kenntnis über die unterschiedliche Schreibweise und die damit verbundene unterschiedliche Bedeutung zurückzugehen scheint, denn bei Albrecht von Scharfenberg, Jüngerer Titurel, geraten die Schreibweisen durcheinander: In den Handschriften finden sich an der Textstelle 568,2 die Formen „ekates“ (Wien, ÖNB, Cod. 2675), „echates“ (Heidelberg, UB, cod. pal. germ. 383) und „achates“ (Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 470, und London, BM, Add. 30984). In Bartholomäus Engelsmans Van den proprieteyten der dinghen, erschienen bei Jacob Bel­laert in Haarlem 1485 (siehe die Edition auf der Webseite der DBNL: http://www.dbnl.org/tekst/ enge022vand01_01/colofon.php), werden ebenfalls sowohl der „achat“ (Z. 33512), der „achetes“ (Z. 43109) als auch der „Echites“ (Z. 44649) mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften genannt.



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15080 15085 15090 15095 15100 15105

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Sachates es i dier steen swart vint men menghen een dar wit adren in gaen oec segmen ons sonder waen dat hi in euet figuren ywassen bi yrechter naturen als die ystorien doen verstaen dat coninc purus sonder waen die wilen street ieghen de romeine .j. acathes adde so reine datter in stont properlike ix jnstrumente der musike jn midden appollo metter arpen sittende so dit ne makede leec no clerc mar dit was der naturen werc dese steen verdriuet venijn den draghere doet hi starc sijn ende gheuet gheluc ter cure jn meneghe sware auonture ende maectene wert ende lief ende wert den darst segt die brief ende maect den ogen clar oudemen den viere nar riecti soete als wi lesen eneas adde desen doe van troien vloe die man die meneghe sware noot verwan (Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, V. 15080–15108)

Der Achat bringt Glück und Kraft, macht den Träger beliebt, verhindert Durst, macht die Augen klar, riecht süß, und Aeneas hatte ihn bei sich, als er aus Troja floh. An einer anderen Stelle seiner Naturenzyklopädie beschreibt Jacob van Maerlant ebenso wie ein anonym überliefertes Lapidarium Vorzüge des Echites.65 Bei Jacob van Maerlant und im Lapidarijs-Fragment hat der Adler den Echites in seinem Nest. Ein zweiter Stein sorgt dafür, dass ein Kind lebend geboren wird, und verhilft dem Träger zum Sieg. Van Maerlant betont den glückbringenden Charakter dieses Steines sowie dessen Schutzfunktion für die Jungen des Adlers:66

65 Auch dieses wird Jacob van Maerlant zugeschrieben, siehe Westgeest 2001. 66 Im Lapidarijs befindet sich der zweite Stein im Nest, in der Naturen bloeme im Adler, was ein Fehler zu sein scheint. Das Fragment bringt zusätzliche Informationen: Der Stein sei von Natur aus kalt und bunt wie die Haut eines Granatapfels.

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Echites dats.i. steen Echites dat is en twaern diemen vindet al in een 145 Een steen die ons bre[n]ghen die aern jnt nest dar de haren broodt Vten eynde van aertrike, Men vint ghene siins ghelike 15545 ende lettel hiemene die es vroet die weet wanen menne bringet te waren Die leghen die aern in sijn nest, jn hem seluen so heuet die haren Dats sinen ionghen alre best. enen andren steen dat machmen horen 150 Sine nature leert hem ditte diene lotert uor sine oren Siin eyer diin van groter hitte Ende die steen is cout van naturen 15550 goet es hi seere sonder waen vrouwen die in pinen gaen Des moghen si te bet gheduren. want hi curtet haren arebeit Hi is ghueruet wt ende yt, dat wanemen ouer wareit 155 Alse der prumegarnaten huut. dat hi leuende behout dat kint Een ander steen leghet daer in Die vrouwen diene van beghin 15555 want suuerheit hi seere int ende maket de sine zegheuri Hebben van haren arbeyde, rikeit so merset hi Hi es hem grote salichede, men seghet dat castor pollux 160 Want hi minret hare pine, hadde bi desen uele ghelux. Sulc is die nature sine. (Jacob van Maerlant, Der Wat vrouwe sone an haer heuet, naturen bloeme, Buch XII: Is dat die vrucht leuet, 15542–15559)67 So wart si leuende gheboren: 165 Dats enen doghet vtuercoren. Hi maket den mensche segheuri Ende suuerhede gheuet hi. Oec meret hi goet ende gheuet minne Den ghenen dien moghen winnen. 170 Jonghen kinderen is hi goet Ende ieghen swel groet. Wil di oec een man vergheuen […] (Lapidarijs, Fragment, Leiden, Universiteitsbibliotheek, Ltk. 1753)

67 Bei der Textstelle zum „aquila“ wiederholt Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, die gleiche Schreibweise: „den steen die echites heet / om dat hi bi naturen weet / dat hi te sinen ion­ ghen es goet“ (III:4847–4849). In der in Utrecht 1345 entstandenen Handschrift von Der naturen bloeme (Hamburg, SUB, Scrin. 19) kann man den Namen des Steines auch als „ethites“ lesen (fol. 61r, vgl. einige Verse höher die Schreibweise von „t“ und „c“ in „dat hem de bec wert lanc“). Nischik 1986, S. 118, weist darauf hin, dass Jacob van Maerlant auch Marbod, Liber de gemmis, als Quelle benutzt haben könnte, denn dass der Echites Castor und Pollux viel Glück brachte, komme nur noch bei Marbod vor.



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Im sechsten Buch des Margreth-Romans Johanns erhält Echites einen Ring mit drei Steinen als Geschenk des Königs von Frankreich. Dies ist eine Erweiterung gegenüber dem Margriete-Roman. Die Steine sind ein Diamant, ein Echites und ein Allectorius: 1205 1210 1215

furbas den dritten auch verstaet! Echites heist er wy syn her. sybenerley, ich uch gewer, hat er toghent, als ich vernym, der obgenante steyn, yn ym: tzukunfftig ubel er verhut, das gyben ym tzu gar vil lutt. dar tzu ist er so genaturt, das er myslingung der geburt deit wydersteyn on alles neyn. dy toghent von ym ist nit kleyn. dar tzu helt er in messigheit und ryecht syn hern tzu aller tzyt. dar tzu den lutten uberal macht er syn herren lybgetzal. dy wynd vertilgt er auch gewyss und offent heymlich betrugnyss. (E 6:1201–1217, Hervorhebung R. S.)

Zwei Eigenschaften, die Jacob van Maerlant und das Lapidarium nennen, kommen auch bei Johann vor, ohne dass dieser sie aus der Margriete-Tradition kennen konnte: Der Stein verhindert Fehlgeburten und er macht den Träger beliebt. In der naturkundlichen Tradition ist der Echites demnach mit positiven Eigenschaften konnotiert und verhilft seinem Träger zu gesunden Nachkommen, Beliebtheit und zum Sieg. Im Margriete-Roman begleitet Echites Heinric ab dem Zusammentreffen in der Venusburg. Heinric wie der „aquila“ haben somit einen Echites in der Nähe. Der Adler, der „coninc es teuoren / bouen alle vogle utevercoren“,68 und Heinric sind mit den gleichen Glück bringenden Attributen ausgestattet. Heinric wird am Ende des Romans Kaiser von Griechenland. Der naturkundliche Hintergrund des Romans weist somit bereits auf die spätere Krönung Heinrics voraus. Indem Echites Heinric in seinem Kampf um Konstantinopel unterstützt, gelingt Letzterem der Sieg als Vorbedingung für die Erringung von Herrschaft und Minne. Bereits im ersten Auftritt des Echites im Margriete-Roman stellt der Erzähler mit den vier Grundaffekten „minne“ (B I:1027), „leyt“ (B I:1032), „blyde“-Sein

68 Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, XII:4783–4784.

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(B I:1046) und „anxt“ (B I:1050) die Affektivität des Helden in den Mittelpunkt. Bei Gefahr für Margriete wird die Wechselwirkung zwischen Seele und Körper offenbar: „van torn docht hoem sijn hertze brechen“ (B I:1274) und er wurde „so roesende van ernessen  / dat he sijn sens woende missen“ (B I:1892–1893). Der Zustand des Zorns führt hier jedoch nicht zu Handlungsunfähigkeit, sondern befähigt Echites erst, Margriete zu befreien.69 Echites schwankt zwischen emotionaler Unbesonnenheit und höfischer Selbstaufgabe. Er beabsichtigt, seine Eltern zu töten und sich nach Margrietes Wünschen zu richten (B I:2211–2212, 2227, 2230–2231), ein Zeichen von Liebeswahnsinn. Ist diese Emotionalität zu Beginn noch ambivalent gezeichnet, vollzieht der Roman ab Buch IV eine Änderung und wertet Affekte eindeutig als verwerflich.70 Zu Anfang von Buch IV befindet sich Echites in einem Stadium des Wahnsinns und des Selbstverlustes: „rosende“ (B IV:56), „al verwoet“ (B IV:67), „quoet, undedich“, „niemen genedich“ (B IV:90–91), „der quoetste“ (B IV:95). Wie der außer sich geratene Renout (im Renout van Montelban) wirft er zornig und wild einen Koch ins Feuer (B IV:240–241), um plötzlich, nachdem er das Siegel Margrietes gesehen hat, „wael-gemoet“ und „vro van synne“ (B IV:257–258) zu werden. Nach der Zurechtweisung Margrietes, er sei der Minne nicht würdig, besinnt er sich darauf, als Ritter Ruhm und Ehre zu gewinnen. Sein „eyrste begin“ zu höfisch-ritterlichem Verhalten ist das Geschenk für Margriete.71 Je mehr Echites kämpft, umso stärker wird er. Der Erzähler vergleicht diese Entwicklung mit der Verstärkung des Torfes, den der Fluss mit sich führt und der, indem er Wasser aufsaugt, immer kompakter wird (B IV:541).72 Unterwegs im Wald gerät Echites in eine Phase des „denckens“.73 Diese Gedankenversunkenheit schränkt seine Handlungsfähigkeit ein, denn die ihn anflehenden Ritter und Damen bemerkt er nicht. Erst bei dem Satz eines Ritters „Want ir ontmoet hie sicherlich  / Den duvel selve sicherlich“ (B IV:840–841) löst er sich von der Geißel des Wahnsinns. Nun ist er in der Lage, seinen ersten Kampf und alle folgenden Prüfungen erfolgreich im „dencken umb die smale“

69 Ihm fehlt zwar in dieser Situation „mate“ als Grundvoraussetzung höfischen Verhaltens, wie Janssens 1976, S. 480, zu Recht anmerkt, aber seine Raserei ist trotz der Absicht, seine Eltern zu töten, nicht nur negativ zu bewerten. 70 Freytag 1986 grundlegend zur Darstellung der Affekte im Prosa-Lancelot. Siehe zur Ambivalenz dort auch Waltenberger 1999. 71 Janssens 1976, S. 430 und De Wachter 1996, S. 125, geben an, dass erst der Monolog mit Gesinnungsumschwung eine Umkehr bewirkt. 72 Die hier passende Symbolik kommt nur in A vor (A IV:546–547). In B wird statt des Wortes „Torf“ das Wort „torn“ verwendet, wodurch die Metaphorik verloren geht. 73 B IV:774, 792, 793, 806, 816.



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(B IV:1113) zu bestehen.74 Das Denken ist an dieser Stelle umgestaltet als intensives positives Denken, später als gründliches Nachdenken, z. B. über das, was die Meerjungfrauen sagten.75 Echites kommt zu wirklicher Einsicht. Er setzt sich für das Gute gegen das Böse ein.76 Durch das Denken an die Minne erhält er Kampfeskraft, und diese wiederum führt zu Erkenntnis, die ihm die hier zuverlässigen Sirenen vermitteln. Mit Signalwörtern wie „peinsen“ und „meerwijf“ und ihren traditionell negativen Konnotationen weckt der Roman bei den Rezipienten Erwartungen, die er selbst ins Gegenteil verkehrt, denn Denken fördert hier Wissen und Willen, die Sirenen fungieren als nützliche Ratgeber. Insgesamt gesehen ist Echites eine männliche Figur, die wie vergleichbare Charaktere in anderen Minne- und Aventiureromanen als ein „sentimentaler Liebender, Kampfmaschine, Hilfsbedürftiger, Helfer und Herrscher“ auftritt (Schulz 2000, S. 64). Auch Venus erscheint Echites in einer offenbarenden Vision (B V:1808–1861), um ihm den Kalabrien-Auftrag zu erteilen und den Weg zu ihrer Burg zu beschreiben. In der Burg trifft Heinric Echites und Venus schickt beide auf Aventiure, nicht ohne ihnen vorher die für die Minne notwendigen Eigenschaften aufzuzählen:

Sy moessen sijn hoesch, sijmpel, ind guet Wessende, kone, oitmodich, guet Schemelich, gestede, milde, gemäte, Wael-helen ind quite van baroete. (B V:2076–2079)

Das sind die aus der Ratio erwachsenden, einer höfischen Gesinnung entsprechenden Fähigkeiten, die über die affektiven Gestimmtheiten zu herrschen vermögen. Erst wenn der Liebende diese Eigenschaften verinnerlicht hat, sei er der wahren Minne („gerechte mynne“) würdig (B V:2065).77 Von der Margriete- über die Heinric- zur Echites-Aventiure entwickelt der Margriete-Roman eine stetig wachsende Komplexität der Figuren. Margriete ist einer Heiligen vergleichbar; Heinric schwankt zwischen Unbesonnenheit, Unbe-

74 Echites wird bezeichnet als der „vroemste ridder“ (B IV:1863, 2071), der „so over-vrome“, „so wael-geracht“, „gudertieren van seeden ind van manieren“ (B IV:1835–1836) sei, bzw. „der beste de leeft“ (B IV:1933, 1995). 75 In einem Dreierschritt erklären sie ihm die Identität Margrietes und den Weg, den er zurücklegen muss, um sein Ziel, die Freundschaft Margrietes, zu erwerben. 76 Ausdrücklich hebt der Erzähler hervor, Echites kämpfe nicht um Gewinn, sondern „noe prijs ind ere“ (B V:470). 77 Zur Bedeutung von „gerecht“ als „justus“ und als „echt, wahr, aufrecht“ siehe MNW. Die Überwindung von anfänglichem Affekt in politisch-rationalem Handeln wertet Rikl 1996 als das dominante Strukturprinzip im Partonopier und Meliur des Konrad von Würzburg.

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darftheit und ritterlicher Tapferkeit, während Echites eine bewusste Umkehr seines Weges von emotionsgeleitetem zu vernunftbezogenem Handeln vollzieht. Dennoch sind die Veränderungen nicht als Resultate psychologischer Entwicklung zu deuten, vielmehr zeichnet alle drei Helden von Beginn an eine Idealität aus. Margriete erhält sich diese trotz vorgetäuschter sozialer Statuserniedrigung. Heinric und Echites müssen sich auf ihrem Weg der Statusverbesserung (Heinric wird Kaiser, Echites wird König) in ihrer Identität beweisen. Wenn der Körper ruht, bringen Traum und Vision Echites Nutzen. Auch er erhält heiligenähnliche Züge, denn gerade in seinem physischen Schlaf ist er geistig besonders wach.78 Die Korrelation zwischen Unverstand, unterer Welt und Hölle erreicht in der Echites-Aventiure eine neue Dimension, indem Echites wie Iwein bei Hartmann von Aue in seiner Wahnsinnsphase zunächst in Dunkelheit verharrt, dann aber durch Aventiure und die hinzugewonnene Mäßigung Liebe und Herrschaft verdienen kann. Den charakterlichen Habitus des Echites zeichnet der Roman differenzierter als den der Margriete und des Heinric, aber ein weiteres Paar führt eine neue Entwicklungsstufe des Erwerbs von Kardinaltugenden, im Besonderen der temperantia, ein. Evax und Sibille erarbeiten sich diese Eigenschaften weniger durch Unterricht oder einen Auftrag von außen als durch eigene Einsicht und Reflexion.

3.1.4 Evax und Sibille: Minne und Herrschaft durch Umkehr Die zweite Hälfte von Buch V im Margriete-Roman ist thematisch eng verknüpft mit Buch VI. Beide erzählen die Aventiuren des Evax und der Königin Sibille von Aragon. Hier wird nicht nur zum ersten Mal im Roman ein Handlungsstrang abgeschlossen, sondern auch die Wende von der individuellen Queste der Hauptfiguren zum gemeinsamen Kampf der Christen gegen die Sarazenen eingeleitet. Die Geschichte von Evax und Sibille, die sich wie ein eigener kurzer Roman lesen lässt, kann nach Zemel als Korrektur der Liebeskonzeption im Tristan Berouls aufgefasst werden,79 indem sie die Kombination von Liebe und Rittertum als Integration von Liebe und Königtum erhöht. Damit ist eine sinntragende Gesamtstruktur der Geschichte angesprochen, die Parallelen mit mehreren Arthurischen Erzählschemata aufweist: Tristan (zweijähriger Verbleib des Liebespaars außerhalb der Hofgemeinschaft), Erec et Enide (Umkehr), Amadas et Ydoine (Liebeswahnsinn, Listen, Ring), Cligès (Motiv des Scheintods, Listen,

78 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Arten des Schlafes und des geistigen Wachseins im Prolog zu Heinrich von Veldeke, Servaes, V. 55–153. 79 Zemel 1998, S. 11.



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Rolle der Dienerin).80 Der Einfluss des spätantiken Romans auf den erbaulichen Minne- und in Herrschaft mündenden Aventiureroman zeigt sich im Aufbau der Aragon-Episode.81 Auf eine Phase der Liebe und des Zusammenseins der Liebenden folgt eine Phase der Trennung, Prüfung und Bewährung, an die sich wiederum die glückliche Vereinigung der Liebenden in Kombination mit der Übernahme einer Landesherrschaft anschließt. Die Aragon-Episode (B V:826  – VI:1–2775) kann in zwei größere Abschnitte untergliedert werden, die zunächst die Entstehung und den Vollzug des unrechtmäßigen Liebesverhältnisses, im zweiten Teil dann die Trennung, die Bewährung und die erneute, nun rechtmäßige, Vereinigung der Liebenden thematisieren: 1. Ehebrecherisches Verhältnis der Liebenden: Entstehung und Vollzug82 1.1 Verliebtsein 1.1.1 Ankunft Aragon 1.1.2 1. Kampftag 1.1.3 2. Kampftag 1.2 Dienst 1.2.1 Wahnsinn des Evax 1.2.2 Genesung des Evax 1.2.3 Kampf 1.3 Flucht in den Wald und (vorläufiges) Glück 1.3.1 Flucht Evax’ 1.3.2 Flucht Sibilles 1.3.3 Waldepisode

B V:826–VI:1810 V:826–1907 V:826–1022 V:1023–1441 V:1442–1907 VI:19–1234 VI:19–436 VI:437–760 VI:761–1234 VI:1235–1810 VI:1235–1498 VI:1499–1745 VI:1746–1810

2. Trennung, Bewährung und Vereinigung VI:1811–2785 2.1 Flucht Sibilles nach Venedig VI:1811–1913 2.2 Bewährung des Evax VI:1914–2413 2.2.1 Evax als Ritter VI:1915–2021 2.2.2 Evax als König VI:2022–2211 2.2.3 Sieg über den König von Arabien VI:2212–2413 2.3 Vereinigung VI:2414–2785 2.3.1 Sibille in Venedig VI:2414–2636 2.3.2 Hochzeit VI:2637–2775 2.3.3 Ausblick und Überleitung VI:2776–2785

80 Vgl. De Wachter 1998a, S. 200–236, mit einer Übersicht (S. 221). Zu den Romanen im Einzelnen siehe die Kurzdarstellungen in Gerritsen 1993. 81 Ein Schema zum spätantiken Roman bietet Röcke 1985, S. 147–159. 82 Der Aufbruch des Echites vom Hof in Aragon ist hier nicht berücksichtigt (B V:1908–2177).

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Der erste Teil entwickelt eine Darstellung der komplizierten Verflechtung von Aventiure und Minne, indem der Autor deren im Erzählmodell des Artusromans gegebene Konzeption auflöst und sie in verschiedene Komponenten zerlegt.83 Der zweite Handlungsteil, einsetzend mit dem Bekehrungserlebnis der Sibille und ihrem Abschied von ihrem Geliebten Evax, führt letztendlich zu einer Harmonisierung von Liebe und Herrschaft. Die charakteristische Bauform des Minne- und Aventiureromans mit dem Wechsel von Trennung, Suche und Wiedervereinigung ist in dem Aragon-Handlungsteil um eine zweite Trennung und Wiedervereinigung erweitert. Die Novelle, wie Verwey sie nannte, ist somit ihrerseits ein kurzer Minne- und Aventiureroman.84 Der Hilferuf des alten Königs von Aragon an den König von Frankreich setzt die Handlung in Gang. Echites und Evax, die am Hof des Königs von Frankreich verweilen, erklären sich bereit, das Königreich Aragon gegen die Forderung der Araber nach einer Auslieferung der Königin Sibille zu verteidigen. Bereits am Anfang der Aragon-Episode führt Sibille Regie. Sie bestimmt die Geschicke des Königreiches, da ihr alter Ehemann keine Waffen mehr tragen kann und auch sonst offensichtlich nicht mehr zur Beurteilung von Situationen und zu richtigen Entscheidungen fähig ist. Sibille setzt sogar seine Beschlüsse außer Kraft, indem sie Echites und Evax als Söldner einstellt, nachdem ihr Mann die beiden abgewiesen hat (B V:1001). Sibilles Verhalten spornt Evax zum Kampf an, macht ihn wahnsinnig, heilt ihn und lässt ihn erneut für Aragon kämpfen. Und sie ist es, die durch List ihre gemeinsame Zukunft außerhalb des Hofes gestaltet. Die weibliche Hauptfigur als Marionettenspielerin auch ihres Mannes gibt vor, allein als Pilgerin nach St. Jakob in Galizien reisen zu müssen. Ihr Kleiderwechsel auf der Reise signalisiert ihren sozialen Abstieg von der Königin zur Bettlerin im Wald.85 Sibilles Entschluss, Evax zu verlassen, stoppt dann die fortwährende soziale Abwärtsbewegung der beiden Hauptfiguren und leitet die Wende ein. Durch ihr geschicktes Ausfragen der Kaufleute aus Aragon erhält sie die Gewissheit, dass Evax zum König von Aragon gewählt wurde. Indem sie letztendlich ihre gemeinsame Geschichte auf das für Evax bestimmte Tuch stickt, kommuniziert sie in einer nur für sie beide verständlichen geheimen Bildersprache mit ihm, verrät ihm ihren Aufenthaltsort und lässt ihn erkennen, dass sie lebt und auf ihn wartet. Alle entscheidenden und die Handlung vorwärts treibenden Entwicklungen gehen von Sibille aus: Sie dirigiert das Geschehen vom Anfang bis zum Ende.

83 Vgl. zum Reinfried van Braunschweig Ridder 1998, S. 57. 84 Verwey 1937, S. 15, Zemel 1998, S. 1. 85 Zum Wald als Ort der Gesellschafstferne ­Schmid-Cadalbert 1989.



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Sibille, zu Anfang der Aragon-Handlung noch ein Kind (B V:844), ist in der Lage, eine Situation sicher zu analysieren und daraus Konsequenzen für ihr eigenes Handeln zu ziehen. In zahlreichen Gedankenwiedergaben und Monologen eröffnet sich dem Rezipienten in Ansätzen das Innenleben der weiblichen Hauptfigur. Sie erkennt, dass Evax jemanden liebt (B V:1209–1212), und während der sich anbahnenden Katastrophe für Aragon, das von den Sarazenen besiegt zu werden scheint, stellt sie gezielte Überlegungen an, wie sie Evax einerseits „trösten“ und zum Einsatz für Aragon bewegen, andererseits aber ihre Ehre schützen kann (B VI:716–721). Sie vergleicht sich mit einem Baum, der nicht beim ersten Schlag fällt: „Nu sal dese ridder guet / Pynen umb unss lant tzü me / Dan he gedoin hadde eir“ (B VI:753–755). Auch später reflektiert sie ihre eigenen Worte in Gesprächen mit Evax, die sie gezielt wählt, damit Evax umso „willigher“ ist (A VI:1025).86 Gleichzeitig möchte sie verhindern, in die gleiche Situation zu geraten wie Isolde, die zwei Männern dient.87 Dennoch muss sie sich eingestehen, dass ihr Gelöbnis Evax gegenüber und die Ehre und Treue zu ihrem Mann in einem unauflöslichen Gegensatz zueinander stehen. Wie Fenice in Chrétiens Cligès ihr Herz und ihren Körper nur einem Mann geben kann, bleibt für Sibille nur der Ausweg der listenreichen Flucht, um anders als Isolde einer Entdeckung des Verhältnisses zu entkommen und ihr Versprechen einzuhalten. Die AragonEpisode demonstriert wie Amadas et Ydoine die Unmöglichkeit, zwei Herren zu dienen, und illustriert selbst verursachten Ausschluss aus der Gesellschaft durch eine „gefährliche“ Liebesbeziehung.88 Ausschlaggebend für Sibilles Entscheidung, ihren Mann zu verlassen, ist die Minne: Die „minne riede nochtan hoer / Dat si omber tzen ridder gäe“ (B VI:1521– 1522). Nachdem sie sich Evax im Wald hingegeben hat, kann Sibille über den weiteren Verlauf der Beziehung selbst entscheiden. Indem sie ihre Wünsche ­diszipliniert, ihre Emotionalität kontrolliert und damit auch Evax zwingt, in einer Art Fernliebe Distanz zu üben, stellt sie Verhaltensregeln für die richtige Art von Minne auf. Spätere Herrschaft wird somit wie die Minne über Selbstbeherrschung legitimiert,89 aber auch die entstehende Minne erhält gesellschaftlich-politische Herrschaftsschutzfunktion. Mit den mehrmaligen Kämpfen gegen die Araber geht eine schrittweise schicksalhafte Minneentwicklung zwischen Evax und Sibille einher. Nach den ersten erfolgreich abgeschlossenen Kämpfen (B V:1907) reagiert Evax mit einer

86 In B VI:1024–1025 an dieser Stelle das falsche Personalpronomen „ich“. 87 Ausführlich hierzu De Wachter 1998a, Zemel 1998. 88 Zu diesem Thema Schnell 1984, S. 144. 89 Schnell 1999, S. 118  ff.

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Phase des Wahnsinns, als sie nicht zur erwarteten Belohnung durch Sibille führen. Die erneute Bedrohung Aragons zwingt Sibille über die Vermittlung ihrer Dienerin Coleta zum Handeln, so dass sie durch die Schenkung eines Ringes Evax Trost spendet und die Zusicherung seiner Hilfe erreicht. Aber als Gegenleistung muss sie ihm ein Minneversprechen in Aussicht stellen, das sie nach seinem erfolgreichen Zweikampf in ein wirkliches Minneversprechen umzuwandeln hat (B VI:1226). Indem Evax auf die Erfüllung des Trostes pocht, führt der dritte Handlungsteil über die doppelten Überlistungsstrategien zum Treffen in Sankt Jakob (Santiago de Compostela). Das private Glück der Liebenden, befreit von allen gesellschaftlichen Bindungen, währt jedoch nur zwei Jahre (B VI:1810). Isolation, Verlust des gesellschaftlichen Status und Veränderung des Aufenthalts­ortes führen zu einem inneren Wandel. Unabhängig voneinander reflektieren Evax und Sibille über ihre Existenz, während der jeweils andere schläft.90 Sie denken jeweils im Besonderen über die eigene Schuld am gesellschaftlichen Niedergang des anderen nach. Sibille wählt den Weg der Trennung von Evax. Sie verlässt ihn und arbeitet als Stickerin in Venedig, was zugleich einen Akt der Demut und der Prüfung darstellt. Evax’ Bewährung zeigt sich in seinen Aventiuren während seiner Suche nach Sibille und seiner vorbildlichen Übernahme von Verantwortung für das Königreich Aragon nach dem endgültigen Sieg über die Sarazenen. Der zweite Handlungsteil zielt ab auf die erneute Vereinigung der Protagonisten, die einen geläuterten Status in Minne und Herrschaft erworben haben. Unverkennbar ist eine Analogie zwischen der politischen Entwicklung Aragons und der Entwicklung und Annäherung der beiden Hauptfiguren.91 Je größer die Bedrohung für Aragon ist, desto mehr sieht sich Sibille dazu verpflichtet, dem Wunsch des Evax nach einer Liebesbeziehung nachzugeben. Ihr Dilemma besteht darin, dass nur ein Befriedigen seines Verlangens eine mögliche Rettung des Reiches bewirken kann. Die politische Dimension des ehebrecherischen Verhältnisses wird in diesem Roman umgekehrt. Während Romane mit diesem Motiv überwiegend eine potentiell politisch konfliktträchtige Beziehung zwischen einem ehrgeizigen Vasallen und seinem Herrn zu einem sexuell reizvollen Verhältnis zwischen dem Vasallen und der Frau des Herrn umwandeln,92 kann im Margriete-Roman nur eine ehebrecherische Beziehung oder das Versprechen einer solchen das Reich Aragon gegen die Angriffe der Araber verteidigen 90 In Hartmann von Aue, Erec, klagt Enite, als sie denkt, dass Erec schläft (V. 3029–3032). 91 De Wachter 1998a betont die strukturierende Funktion des dreimaligen Angriffs, doch die Liebesgeschichte besitzt Priorität, denn sie bildet den Endpunkt der Episode am Ende von Buch VI. Aragons Existenz als Königreich ist bereits vorher sichergestellt und wird abgerundet mit einem Lob auf Evax (B VI:2382–2413). 92 McCracken 1998.



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helfen. Im Margriete-Roman bewirkt die von Sibille in Aussicht gestellte Liaison dialektisch Verrat an ihrem Ehemann, dem König, und den Erhalt des Königreiches. Indem der Autor die Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der arabischen Angriffe situiert, betont er die wechselseitige Bedingung von Herrschaft und Minne: Sibille setzt das Minneverlangen ein für politische Zwecke, den Erhalt Aragons, während Evax seine Kampfkraft ausschließlich gegen Erfüllung seines Minneverlangens zur Verfügung stellt. Das den höfischen Roman charakterisierende Verhältnis von Minne und Aventiure, d. h. die Unterordnung der Minne unter den Zweck der Erreichung ritterlicher Vollkommenheit,93 hebt sich hier auf. In neuer Weise wird die komplizierte Wechselbeziehung zwischen im Prinzip „unrehter“ Minne und Aventiure offenkundig. Der Aragon-Teil des Versromans bietet somit gleichsam einen Diskurs zur spezifischen Kombination von Minne und Aventiure im Artus- und Tristanroman94 und entwickelt neuartige Verschränkungsmöglichkeiten. Während im Tristanroman die durch den Trank hervorgerufene unrechtmäßige, nur persönlichen Wünschen nachgehende ehebrecherische Minne in den Gegensatz zur Gesellschaft und somit ins Verderben führt, wird im Artustypus letztendlich die individuelle Identität in einem Doppelweg mit den Forderungen der höfischen Welt harmonisiert.95 Wie das Tristanschema entwirft die Aragon-Episode zum Artusroman ein Gegenmodell, das ebenfalls auf ein tragisches Ende zu zielen scheint. Wie im Tristan werden im Margriete-Roman die Rolle des Herrschers und die Rolle des Geliebten auf zwei männliche Personen verteilt, die Rolle der Herrscherin und der Geliebten dagegen in einer weiblichen Hauptfigur vereinigt.96 In einer zweiten Gegenbewegung, nun zum Tristanroman, kommt es gerade nicht zum Konflikt, da die Protagonistin in der Margriete-Erzählwelt nie an einem Ort gleichzeitig Herrscherin und Geliebte ist. Herrschaftsausübung und Liebesvereinigung finden räumlich und zeitlich weit voneinander getrennt statt: Sibille gibt ihre Position als Königin ein Jahr nach dem inszenierten Tod des Evax auf. In Santiago de Compostela treffen sie sich. Als Anti-Analogon zum Tristanroman führt die Aragon-Episode des Versromans eine utopisch anmutende Versöhnung von zuvor getrenntem Herrschafts- und Liebesbereich vor. Um diese Zielsetzung gestalten zu können, rekurriert der Autor auf ein weiteres literarisches Modell. Er wählt es nun aus dem Bereich der religiösen Dichtung und überträgt es kreativ

93 Vgl. Röcke 1984, S. 398. 94 Folgende Gedanken setzen Überlegungen Ridders 1998, S. 4–5, fort. 95 Vgl. u. a. van Oostrom 1983, S. 10, Haug 1991, Ridder 1998, Haug 1999a, S. 393–396. 96 Vgl. Reil 1996, S. 84.

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auf das weltliche Geschehen: das legendarische Schema von Sünde, Fall, Buße und Rückkehr zum Heil.97 Es verläuft analog zum Typus des Eustachius-Schemas mit Umkehr, Buße, Prüfung und erneutem Glück, das Röcke im Besonderen auf das Muster der Trennung und Bewährung von Ehegatten zugespitzt hat.98 Im Margriete-Roman aber wird das Schema, das den Einzelnen zur Einkehr bringt, nicht auf ein Ehepaar, sondern im Unterschied zu anderen Romanen des Erzähltyps auf ein unrechtmäßig agierendes ehebrecherisches Liebespaar übertragen. Der dreiteilige Aufbau von Liebe und Glück, Flucht und Trennung, Prüfung, Bewährung und erneutem glücklichem Zusammensein ist jedoch evident.99 Indem Evax und Sibille über ihr eigenes Tun reflektieren und Sibilles Gedanken auf der persönlichen Ebene eine bewusste Handlung weg vom persönlichen Glück zu Demut und Bewährung in Gang setzen, demonstriert die Aragon-Handlung eine Überwindung des Artus- wie des Tristanschemas. Sibilles problematische Situation zwischen Treue ihrem Ehemann gegenüber und Verlust des Reiches auf der einen Seite oder ehelicher Untreue und Erhalt des Reiches auf der anderen Seite kann nicht über eine Zweiphasenstruktur gelöst werden, aber im Gegensatz zu Parzival und Tristan gelingt es ihr, aus eigener Einsicht und eigenem Vermögen als handelndes Subjekt tätig zu werden. Ihre Standfestigkeit beweist sie in Venedig gegenüber den Angriffen des Kaufmanns, so dass Held und Heldin am Ende der Aragon-Episode in der Herrschaftsehe zusammenfinden. Sibille, Königin von Aragon, erniedrigt sich durch ihre Flucht, wie auch Evax, bester Vasall des Königs. Ihr Zusammensein im Wald „bloet van guede“ (ohne Besitz) führt nach zwei Jahren in Armut und Bettelei noch tiefer in den Abgrund. Sibille besinnt sich, geht fort ins unbekannte Venedig, aber ihre Arbeit als Seidenstickerin verhilft ihr zu großer Anerkennung (B VI:1911). Evax, wach geworden im physischen wie im psychischen Sinn, erinnert sich an seine Kampfkraft und befreit eine Frau aus der Gewalt eines Ritters. Nach seiner erneuten Ankunft in Aragon – er hat vom Tod des alten Königs Terus erfahren – setzt nun sein steiler Aufstieg zum König von Aragon ein, der sein Land zu Ansehen und dauerhafter Anerkennung durch die zuvor feindlich gesinnten Nachbarn führt. Sibille, als „wercwijff“ in Venedig von einem jungen Mann bedroht, weiß durch ihre Durchsetzungskraft ihre Treue zu Evax zu bewahren. Als Evax ihren Aufenthaltsort erfährt, begibt er sich nach Venedig, befreit Sibille, heiratet sie und

97 Vgl. zu diesem Typus auch Haug 1991, S. 355. 98 Röcke 1985, S. 147. 99 Haug hat auf die enge Verbindung dieses Musters zum Erzähltyp „Trennen und Wiederfinden“ hingewiesen, die auch hier greift und erreicht, dass die Handlung anti-tristanisch positiv gewendet wenden kann (Haug 1991, S. 356).



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nimmt sie mit zurück nach Aragon. Damit hat Sibille ihre alte Position als Königin wieder erreicht, und ein junger starker König hat den alten König abgelöst. Der Roman im Roman erzählt von Identität, die auf allen Ebenen verloren wird und nach erfolgter Reflexion durch aktives Handeln wieder erreicht werden kann. Damit eröffnet der Roman Perspektiven auf die innere Verfassung einer Figur, die sich nicht nur in Gedankenwiedergaben der Protagonisten äußert. In der bisherigen Forschung sind Strukturparallelen zwischen dem mittelalterlichen Liebes- und Abenteuerroman und dem spätantiken Roman hervorgehoben worden.100 Im Margriete-Roman erinnert auch die Zweiteilung in je sechs Bücher und die Namensgleichheit der Sibylle, die mit Aeneas eine Fahrt in die Unterwelt durchführt, und Sibille, der Tochter des Königs von Sizilien, an die Aeneis. Sibille führt, wie die Sibylle Vergils, die männliche Figur auf den Weg der Erkenntnis, indem sie die Initiative ergreift und Evax im Wald verlässt.101 Indem sie auf die Minne außerhalb der Gesellschaft verzichtet, wird letztendlich in der Aragon-Episode die Disziplinierung erotischer Wünsche gelebt. Es wird ein auf Freiwilligkeit basierendes Bewältigungsmuster entworfen, das der männliche Held nach seiner Rückkehr zu ritterlichem Tatendrang ebenfalls praktiziert.102 Erst wenn er diese von der Frau gesetzten Normen lebt, ist er dazu befähigt, Herrschaftsfunktionen zu übernehmen.103 „Selbstbeherrschung“ und „Triebbändigung“104 sind unabdingbare Voraussetzungen mittelalterlichen Herrschens. Der Lernprozess im wilden Wald symbolisiert die Entwicklung vom ungezähmten gefühlsbetonten Innenleben zu Zucht und Tugend, zu einer Ehe in einer Herrschaftsposition.105 Aus einem Gegensatz zu Anfang der Aragon-Handlung erwächst die Verbindung von absoluter Minne und Repräsentation von Herrschaft, nachdem die Protagonisten Trennungen, Gefahren und Versuchungen verschiedenster Art bewältigen mussten. Durch die Einsicht Sibilles offenbart sich das zentrale Anliegen des Autors: Individuelle Minne und gesellschaftliche Verpflichtung schließen sich auch nach einer Hingabe an unrechtmäßige sexuelle Wünsche nicht aus. Im Gegenteil: Wenn die Handlungsträger den Ehebruch heimlich durchführen und in der Krise ihren Fehler und ihre Schwäche erkennen, bedingt die Minne andersherum ideales Herrschen. Evax’

100 Röcke 1985, Haug 1991, Ridder 1998. 101 De Wachter 1998b, S. 182–185. 102 Zur Triebbewältigung vgl. Schnell 1999, dessen Überlegungen auch auf die Romane des 14. Jahrhunderts zutreffen. 103 Schnell 1999, S. 118. 104 Heinzle 1999b, S. 290. Sibille avanciere so zum Vorbild für Magelone, die ebenfalls das Hintanstellen eigener Wünsche erlernen müsse. 105 Röcke 1985, S. 159.

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Königtum ist zwar vollkommen, aber das Königshaus ist ohne passende Königin unvollkommen. Das „verligen“, die Krisensituation im Schema des Artusromans, führt im Margriete-Roman zu einer fundamentalen äußeren und inneren Krise. Im Erec Hartmanns möchte Erec wissen, warum Enite weint (3026–3044), im Margriete-Roman klagt zunächst Evax und weckt durch seine Tränen Sibille. Ihre Beurteilung der Situation führt zum Wendepunkt der Aragon-Handlung. Diese wiederum bildet auch den Wendepunkt des ganzen Romans. Über die bereits in Buch V erfolgte Minneschelte, die Frau Venus die Schuld an der ganzen Situation zuweist, entschuldigt der Erzähler im Vorhinein das noch zu erzählende Verhalten der Figuren.106 Auch sei Sibille sehr ungnädig, wenn sie Evax hassen würde, weil er sie liebe (B V:1630–1633). Schließlich wird die Ausgangsmotivation ihrer Handlungen, wie gezeigt, eindeutig als politische gezeichnet. Die Aragon-Episode thematisiert weniger die unmögliche Liebe eines Ritters zu einer verheirateten Königin,107 sondern transformiert vielmehr den kleinen Roman über das Elend der Liebe108 in einen Diskurs über Legitimation von Herrschaft. Der alte König, der keine Waffen mehr tragen kann, hat offensichtlich auch das Recht zur Herrschaft verloren, das Evax nach seiner Rückkehr zu Rittertum und der Befürwortung von Enthaltsamkeit dauerhaft erwirbt. Das Vergehen gegen das Sakrament der Ehe wird in dieser Episode nicht auf Dauer bestraft. Es bietet stattdessen die Möglichkeit der Besinnung, der Umkehr und der endgültigen Herrschaftssicherung, idealisiert durch den Ehebund. Als Roman im Roman ist die Aragon-Episode der erste vollständig abgeschlossene Handlungsteil des Margriete-Romans, auch wenn die Erinnerung an den Fortgang der Echites-Handlung am Ende von Buch V wachgehalten wird. Nicht die Ehebruchsthematik, sondern, als Reaktion auf das Artus- und Tristanschema, die Diskussion um Repräsentativität von Herrschaft, um Recht und Nicht-Recht auf Herrschaft, um Macht und Machtlegitimation tritt in den Vordergrund. Evax ist die erste männliche Hauptfigur, die durch Kampfkraft und die durch den Verlust Sibilles erzwungene Triebbändigung den sozialen Aufstieg erreicht, in seinem Fall vom armen Sohn der Amme zum König von Aragon. Wie Aeneas in Buch VI der Aeneis nach seinem Besuch in der Unterwelt erwachsen wird, macht Evax eine Entwicklung vom emotionsgeleiteten Wahnsinnigen zum besonnenen Herrscher durch. Das Ende von Buch VI präsentiert zum ersten Mal im Roman zwei Protagonisten, die ihren Weg gefunden haben und nicht mehr auf der Suche sind.109

106 Schnell 1984, S. 437–439. 107 So Zemel 1998, S. 1. 108 Van Mierlo [1949], Bd. 1, S. 360. 109 Evax greift erst wieder aktiv in die Handlung ein, nachdem er um Hilfe gebeten worden ist.



„büssen ind bennen“ 

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Im Verlauf der ersten sechs Bücher präsentiert der Margriete-Roman mittels der verschiedenen Figuren unterschiedliche Modelle der Problembewältigung und des Umgangs mit Mängeln. Margriete besitzt bereits die wichtigsten Tugenden der Mäßigung und Triebbeherrschung und nutzt die Möglichkeit zur Verstellung als Mittel, ihre Unschuld zu bewahren. Heinrics Unbesonnenheit, Unbeherrschtheit und oftmals wenig ehrenhaftes Verhalten werden in der Gefangenschaft der Venusburg außer Kraft gesetzt und dauerhaft gemäßigt. Echites’ Affektausbrüche werden durch Margrietes Auftrag zur Bewährung in Kämpfen kanalisiert und führen schließlich zu wahrem ritterlichen Verhalten. Sibille gerät wie Evax zunächst auf einen Weg der Verirrung, doch über ihre Einsicht und Umkehr, die mit Demut und Verzicht einhergeht, zwingt sie auch Evax auf den richtigen Weg der Tapferkeit, Klugheit und wahren Minne. Während diese Modelle der Bewältigung innerhalb der christlichen Welt angelegt sind, erweitert der Autor ab Buch VII die Welt des Romans um den christlich-sarazenischen Konflikt.

3.2 „büssen ind bennen“ Der zweite Teil des Margriete-Romans, bestehend aus den Büchern VII–XII, wurde als ein „Troje-achtig belegeringsavontuur dat vooral in Constantinopel plaatsvindt“ charakterisiert.110 Es handele sich um die Synthese eines artusähn­ lichen Schemas in den ersten sechs Büchern und eines kollektiven Kampfes in der zweiten Hälfte des Romans.111 Der Kampf um Konstantinopel zwischen Christen und Sarazenen dominiert tatsächlich thematisch den ganzen zweiten Handlungsteil. Topologisch wird der Roman auf die Ereignise innerhalb und außerhalb der Stadt Konstantinopel aufgeteilt („büessen … van bynnen“, B IX:911). Dem entspricht ein semantischer Gegensatz von Gut und Böse. Der Sieg der christlichen Herrscher in Konstantinopel zeigt das Interesse an der Durchsetzung kollektiver politischer Macht gegen die Gegner von außen. Auf struktureller Ebene sind vier Erzählblöcke zu unterscheiden: Die Bücher VII–IX können als Queste des Sultansbruders Demophon gelesen werden. Buch X ist ein Fürstenspiegel, Buch XI ein Königsspiel, und in Buch XII enden in einer Apotheose alle vorhergehenden Handlungsstränge mit der für die Christen erfolgreichen Verteidigung Konstantinopels. Dabei werden Buch X und XI als Exkurse zu betrachten sein, die kaum die Haupthandlung vorantreiben. Jedoch bieten sie eine stringente Interpretations-

110 De Wachter 1998a, S. 87. An anderer Stelle spricht sie jedoch davon, dass sich Buch VIII, X, XI ganz oder zum Teil dem Trojaschema entziehen (S. 390). 111 Janssens 1976, S. 253.

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folie zum Roman, deren engen Zusammenhang mit dem Plot der Margriete-Autor sehr sorgfältig ausgearbeitet hat. Die Bücher VII–IX bilden eine Einheit, indem sie die Entwicklung der Kämpfe um Konstantinopel bis zum zweiten Waffenstillstand mit der dazwischenliegenden Armenien-Episode beschreiben.112 In Buch X wird Jonas als Hauptfigur des Buches im Schloss der Aventiure ein Fürstenspiegel in Form einer Allegorie gelehrt. Im Anschluss daran bekommt er als Belohnung für seinen erfolgreichen Kampf gegen einen Drachen das Königreich Sevilla (Civele). Im Königsspiel in Buch XI mit Fragen und Antworten zur Minne spielen Margriete als Königin und Demophon als derjenige, der von ihr in der zweiten Spielrunde das „Reich“ erhält und somit zum Spielführer wird, eine herausragende Rolle. Buch XII beschließt den Krieg in Konstantinopel mit einem Sieg der Christen und der Anerkennung der Niederlage durch Demophon, dem nach dem Tod seines Bruders neuen Herrscher von Babylonien. Der Roman endet mit insgesamt sieben Hochzeiten (B XII:1747–1748), u. a. zwischen Heinric und Eusebia, Echites und Margriete sowie Demophon und Esioene. Indem der Krieg um Konstantinopel mit der Minne verknüpft wird, fungiert diese auch im zweiten Teil als thematische Dominante. Aber auch wenn die Minnethematik eine wichtige Rolle spielt, erfasst eine Charakterisierung als „hoofse liefdesroman“113 nur eine Teildimension des Werkes. In Buch VII tritt die feindliche Welt des Islam hinzu. Man könnte den zweiten Teil als literar-ästhetischen Diskurs über den Krieg zwischen dem Morgenland und dem Abendland interpretieren, der die unbezweifelbare Überlegenheit des Christentums über das unterlegene Heidentum demonstrieren soll. Eine weitere Sinndimension eröffnet sich jedoch, wenn man den Roman als utopisch-fiktionalen Entwurf einer friedlichen Seinsordnung der Menschheit liest, in der die Parteien von „innen“ und die von „außen“ harmonisch auf der Basis der Tugendhaftigkeit miteinander leben.

112 Demophons Rolle als grenzüberschreitende Figur, die in Armenien für die Christen kämpft, wird im Folgenden mit Hilfe der Analysekategorien Lotmans zum ersten Mal ausgearbeitet. 113 Janssens 1976, S. 641.



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3.2.1 Grenzüberschreitung durch Demophon In Buch VII–IX spielt der Bruder des Sultans von Babylonien, Demophon von Soloferne,114 eine überragende Rolle. Zu den fünf bzw. sieben Königreichen,115 die er besitzt, gehört Aratuse (A VIII:1449).116 Nach dem Prolog in Buch VII kündigt der Erzähler zunächst kurz an, dass er über die Angriffe des Sultans Karodos auf Konstantinopel berichten wird. Ausführlich wird dann Demophon als Bruder des Sultans in sehr lobender Weise eingeführt: 40 45

Mer der soudoen had eynen broder, De wessender was ind vroeder Dan stercker dan yman int lant. Sijns gelich man nye en vant En Asia noch en Affrijche. Id was schade sicherlich, Dat he ye was Sarasijn, Demophon was der name sijn. Dis hielt by sijnre vroemheit Die stat en sulger arbeyt, Dat nyman en konst ussgevaren Van alle die dar bynnen woren. (B VII:36–47)

Er verfüge über mehr Kenntnis und sei klüger und tapferer als jeder im Land, und so sei zu bedauern, dass er ein Sarazene sei. Damit ist sogleich das Erzählprogramm der Bücher VII–IX vorgestellt, die Demophon als vorbildlichen Heiden darstellen. Die Bücher VII–IX können wie folgt gegliedert werden:

114 In den Hss. A und B wird er unterschiedlich „Demophon von Soloferne“ (A VII:1798) bzw. „Demophon von Louferne“ (B VII:1821) genannt. In der griechischen Mythologie werden Demophon und auch sein Bruder als Söhne der Phädra betrachtet, die mit Elephenor in den Trojanischen Krieg zogen. Zu den Verbindungen zwischen Konstantinopel und Troja siehe De Wachter 1998a, im Besonderen S. 87–90, 382–383 und 431–433; vgl. Janssens 1976, S. 256–259. 115 Er besitzt fünf (B VII:1741, A VII:1716) oder sieben (B VIII:1436–1437, A VIII:1449–1450) Königreiche, darunter das Königreich Aratuse (A VIII:1449) bzw. Artüse (B VIII:1436), Artusien (B VIII:512,520,555), Atusien (A VIII:510), Atusen (A VIII:518), Anetuse (A VIII:554). Die Zahlenangaben variieren (vgl. B VII:1741 und 1716, B VIII:1436–1437, A VIII:1449–1450). 116 In seiner Etymologiae nennt Isidorus fünf Königreiche: „Aracusia, Parthia, Assyria, Media, Persida“ (Buch XIV, Nr. 8). Jacob van Maerlant erwähnt in seiner Historie van Troyen „Aracusia“ als Land zwischen Indien und dem Tigris (V. 28526).

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Demophons Eingreifen (Buch VII) Prolog 1. Kämpfe um Konstantinopel 2. Demophon bei den Christen

1–26 27–1473 1474–1927

Befreiung Armeniens (Buch VIII) Prolog 1. Demophons Kampf für die Christen Exkurs: Verbündete beider Lager in Konstantinopel 2. Zweikampf in Armenien 3. Sehnsucht Demophons

1–22 23–789 790–1212 1213–1573 1574–1746

Minne, Kampf und Waffenstillstand in Konstantinopel (Buch IX) Prolog 1. Minnegespräch Demophons und Esioenes 2. Waffenstillstandsgespräch 3. Kämpfe und Waffenstillstand

1–16 17–248 249–525 526–1089

Buch VII beginnt mit der Vorstellung des Heiden Demophon, der sich am Ende des Buches in die Christin Esioene, die Tochter des Königs von Salenten, verliebt. In Buch VIII folgt eine Phase der Bewährung, in der Demophon für die Christen in Armenien gegen den Feind kämpft. Nachdem Demophon sich in Buch IX nach erbitterten Kämpfen der Gegner vehement für einen Waffenstillstand eingesetzt hat, folgt für ihn wie für Margriete (Hof in Konstantinopel), Heinric (Venusburg) und Echites (Venusburg) eine vorläufige Ruhephase. Es wird ein Waffenstillstand von vier Monaten (IX:966) vereinbart, wobei Heinric kurz vor Ende des Buches nochmals die Freundschaft zu Demophon hervorhebt (B IX:1005–1010). Im Einzelnen kann man die Episoden der drei Bücher wie folgt einteilen: Demophons Eingreifen (Buch VII) Prolog 1. Kämpfe um Konstantinopel 1.1 Vorspiel zu den Kampfhandlungen 1.1.1 Echites und Heinric nach Konstantinopel 1.1.2 Erste Kämpfe 1.1.3 Echites und Heinric am Kaiserhof 1.1.4 Tod des Kaisers 1.1.5 Beratung Eusebia 1.1.6 Beratung Heinrics mit dem Rat 1.2 Erster Kampftag 1.2.1 Allgemeines 1.2.2 Demophon und Echites 1.2.3 Heinric und Demophon 1.2.4 Echites 1.2.5 Christen

1–26 27–1473 27–605 54–81 82–241 242–325 326–388 389–566 567–605 606–1007 606–654 655–712 713–850 851–888 889–921



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1.2.6 Besprechung der Heiden 1.3 Zweiter Kampftag 1.3.1 Besprechung Heinric 1.3.2 Kämpfe 1.3.3 Echites’ Vater, Echites und Demophon 1.3.4 Heinric 1.3.5 Besprechung der Heiden 2.

Demophon bei den Christen 2.1 Demophons Bitte um Waffenstillstand 2.2 Bote aus Armenien 2.3 Einladung an Demophon 2.4 Minne 1682–1782 2.5 Aufbruch nach Armenien

Befreiung Armeniens (Buch VIII) Prolog 1. Armenien 1.1 Entwicklung der Kampfstrategie 1.2 Versuche, Demophon zu verraten 1.3 Kampfhandlungen 1.3.1 Demophon und Polifemus 1.3.2 Heinric und Polifemus 1.3.3 Ende des 1. Kampftags 1.3.4 Einen Monat Kämpfe um Konstantinopel 2. Konstantinopel 2.1 Verbündete des Sultans 2.2 Verbündete der Kaiserin 3. Armenien 3.1 Zweikampf 3.1.1 Vorschlag eines Zweikampfs 3.1.2 Diskussion über den Kämpfer in Armenien 3.1.3 Zweikampf 3.2 Demophons Liebe 3.2.1 Traum 3.2.2 Gedanken und Selbstgespräch in der Nacht 3.2.3 (Bitte um) Abreise nach Konstantinopel Minne, Kampf und Waffenstillstand in Konstantinopel (Buch IX) Prolog 1. Demophon und Esioene 1.1 Begrüßungen 1.2 Minnegespräche Demophons und Esioenes 2. Beratschlagungen in Konstantinopel mit Demophon 2.1 Gespräch Demophons und des Sultans 2.2 Verlängerung des Waffenstillstands 2.3 Beratungen Christen und Sarazenen

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922–1007 1008–1473 1008–1056 1057–1252 1253–1341 1342–1412 1413–1473 1474–1927 1474–1532 1533–1637 1638–1681 1783–1927

1–22 23–789 23–350 351–485 486–789 486–619 620–701 702–763 764–789 790–1212 790–1035 1036–1212 1213–1746 1213–1573 1213–1305 1306–1469 1470–1573 1574–1746 1574–1609 1610–1653 1654–1746

1–16 17–248 17–116 117–248 249–525 249–388 389–441 442–525

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3. Kämpfe 3.1 Kampftag 3.2 Reaktionen im Lager des Sultans 3.3 Waffenstillstand und Beratschlagungen im Christenlager

526–1089 526–839 840–929 930–1089

In den beinahe 2000 Versen von Buch VII spielt sich folgendes Geschehen ab: Heinric und Echites kommen in Konstantinopel an, um dem Kaiser in seinem Kampf gegen die Sarazenen beizustehen. Nach diesen Kämpfen kommen sie an den Hof, wo Margriete ihren Bruder wiedererkennt und Echites sie freundlich begrüßt. Der Kaiser stirbt, woraufhin dessen Tochter Eusebia nach dem Rat ihrer Edlen Heinric zum Vogt ernennt. Bei den Massenkämpfen in den darauf folgenden Tagen fallen verschiedene Krieger des heidnischen Heeres. Demophon begibt sich zu den Christen (B VII:1485–1927), um einen Waffenstillstand zu erwirken. In dem Moment kommt ein Bote, der von der Bedrohung Armeniens durch den „Barberiin“ Polifemus berichtet. Da Demophon eingeladen wird, in der Stadt zu verbleiben, verbringt er die Abendmahlzeit zusammen mit den Christen, zwischen Eusebia und Esioene, der Tochter des Königs von Salenten, sitzend. Venus treibt ihr Spiel mit ihm und Esioene und macht ihn „dole“ (B VII:1726). In einem Minne­ gespräch bittet er sie um Auskunft darüber, ob sie ihn heiraten würde, wenn er sich zum Christentum bekehren würde. Um die Absprache des Waffenstillstands abzusichern, bietet Demophon nicht nur von sich aus ein halbes Jahr Waffenstillstand an, sondern sich selbst als Pfand, indem er die Christen nach Armenien begleitet. Ausdrücklich hebt der Erzähler hervor, dass Demophon wegen der Liebe zu Esioene den Christen dienen will (B VII:1838–1839). Nachdem er seinen Bruder von dem „vrede“ und seiner beabsichtigten Reise nach Armenien unterrichtet hat, endet das Buch mit dem gemeinsamen Aufbruch nach Armenien. Bereits in diesem Buch wird Demophon somit als Friedensvermittler eingeführt, der Grenzen überschreitet. Sowohl die Erzählerfigur als auch die anderen Charaktere betrachten ihn als „edlen Heiden“, der „loeffsam“ (B VII:655), „gudertieren“ (B VII:1713), in den Augen Esioenes „schone, rijch“ und „vrome“ (B VII:1772–1773) ist und über ein großes Maß an Tugend verfügt (B VII:1484). Mit diesen Eigenschaften ist er der einzige Heide, der positive Attribute erhält. In dieser Hinsicht ist er vergleichbar mit Feirefiz, dem Sohn Gahmurets und Belakanes in Wolframs von Eschenbach Parzival.117 Aufgrund seiner Religionszuge-

117 In verschiedenen Werken der mittelalterlichen Literatur ist eine Toleranz gegenüber NichtChristen angelegt, wie z. B. auch im Graf Rudolf, in Floris ende Blancefloer bzw. Floris und Blanscheflur (zur Toleranz gegenüber „Anderen“ in mittelalterlicher Literatur vgl. Sabel 2003, Schnell 1993). Als Nicht-Christ unterliegt Demophon dem Primat des Christentums, dennoch wird er menschlich geachtet und ruft Bewunderung hervor. Zum Bild des „edlen“ Heiden vgl.



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hörigkeit ist Demophon ein Gegner der Christen, seine inneren Tugenden weisen ihn jedoch als vorbildlichen Ritter aus: „Hed he gemocht he hed gesoent / Synen broder und die von bynnen“ (B VIII:831–832). Da Demophon Untergebener des Sultans agiert, ist eine friedliche Lösung zwar unmöglich, dennoch will er den Christen um seiner Minne willen dienen. In Buch VIII verstärkt sich der Einsatz Demophons für die Christen. Als er des Verrats bezichtigt wird, trauen die Christen den Verleumdungen über den angeblichen Verräter Demophon nicht (B VII:370–468). Der „Barbariin“ Polifemus kann kaum glauben, dass Demophon als Sarazene zusammen mit den Christen gegen ihn kämpft (B VII:515).118 Dadurch wird die Außergewöhnlichkeit des Handelns von Demophon betont. Er wird als sarazenische Idealgestalt in Szene gesetzt, die im ersten Kampf in Armenien explizit (B VII:545–582) in ihre Gegenwelt eintritt und die politische und verwandtschaftliche Grenze der Zugehörigkeit, wenn zunächst auch nur vorübergehend, überwindet. Nach diesen ersten Massenkämpfen in Armenien wechselt der Erzähler zunächst wieder zum Schauplatz Konstantinopel. Dort treffen die Heiden und die Sarazenen weitere Kriegsvorbereitungen, indem sie ihre Truppen versammeln. Die Truppenaufzählung im Buch VIII ist weitestgehend übernommen aus der Weltbeschreibung des Jacob von Maerlant in seinem Spieghel historiael (1284–1288).119 Der Margriete-Autor benutzte den Spieghel eklektisch als eine Art Lexikon. Er wählte für seine Aufzählung einen anderen Kontext aus und veränderte die Reihenfolge, um den ursprünglichen Inhalt an seine Truppenaufzählungen anzupassen. Als sarazenischer Held demonstriert Demophon Vorbildlichkeit in der Fremde, die in dem Zweikampf gegen Polifemus seinen Höhepunkt erreicht (B VII:1470–1545). In einem längeren Gespräch, in dem Demophon wegen seiner „trouwe“ darum bittet, gegen den Riesen kämpfen zu dürfen, gewähren Heinric und Echites ihm die „ere“ (B VIII:1306–1424). In diesem Zweikampf kämpft er nicht nur für die Christen, sondern verteidigt erfolgreich als Einziger das Königreich Armenien gegen die Sarazenen. Dass er sich selbst als treuen Freund der Christen bezeichnet (B VIII:1397), bringt seine Funktion für den Text zum Ausdruck. Seine Figur zeigt Optionen auf,

u. a. Naumann 1925, Bertau 1983, Daniel 1984, Müller 1996; zur Darstellung des Heiden in den Chansons de geste vgl. Meredith-Jones 1942, Comfort 1940, Bancourt 1982, Daniel 1984, Lens 1992, Lens 2004. 118 Eine ähnliche Reaktion des Boten B VIII:1446–1452. 119 Zur Texttradition von Jacobs van Maerlant Spieghel historiael, I. Partie, I. Buch, Kap. 18–35, vgl. vor allem De Wachter 1998a, S. 244–249. Der Margriete-Roman zählt u. a. heidnische Truppen aus Asien und Afrika auf (u. a. Indien, Assyrien).

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sich vom Dualismus Christentum  – Heidentum zu befreien. Freundschaft setzt im Margriete-Roman politische und religiöse Gegensätze außer Kraft. Demophon wird besonders in seinem Zweikampf über die Grenze des semantischen Feldes vom Heiden- zum Christenreich versetzt. Dieses Ereignis überwindet ein zuvor eindeutig zwischen „Guten“ und „Bösen“ trennendes Weltbild. Da diese Handlungsweise Demophons sehr wenig wahrscheinlich ist, wie die Reaktion des Polifemus zeigt, ist sein Verhalten auf der „Skala der Sujethaftigkeit“ sehr hoch anzusiedeln.120 Wie vor allem Echites und Sibille im ersten Teil des Romans gehört im zweiten Teil Demophon zu den „beweglichen“ Figuren.121 Nachdem er seine ritterlichen Qualitäten unter Beweis gestellt hat, nimmt die Entwicklung seiner Minnewürdigkeit ihren Anfang, die der des Echites (B VI:1808–1861) und der des Evax (B VI:58–87) vergleichbar ist. Im Traum schießt Venus auf ihn und erteilt ihm den Auftrag, sich so gut er vermag für den Frieden in Konstantinopel einzusetzen (B VIII:1574–1609). Buch VIII schließt ab mit dem Freundschaftsversprechen Demophons: „So wie id kompt, west dat wale  / Ich blyve uch luden frünt“ (B VIII:1740–1741). Buch IX setzt ein mit der Ankunft Demophons in Konstantinopel, die zu einem Wiedersehen mit Esioene führt. Heinric, der Vogt des Landes, berichtet seiner Herrin Eusebia von den Taten Demophons und verspricht ihm öffentlich innige Freundschaft (B IX:83–85). Den Gegensatz zwischen Demophons religiöser Zugehörigkeit und seiner emotionalen Bindung zur Christin Esioene hebt der Autor an mehreren Stellen hervor („onsede“ [B IX:208], „dar-mit argerde syne sachen“, „tzu müde wee“ [B IX:236]). Durch seine Minne zu ihr, so versichert Demophon ihr in einem Minnegespräch, wünsche er sehnlichst Frieden (B IX:152–155, 178– 179).122 Die Minnegespräche zwischen Demophon und Esioene sind in Buch VII und IX die einzigen höfischen Dialoge.123 Dem verwunderten Sultan gegenüber setzt sich Demophon vehement für eine friedliche Lösung ein. Der Sultan gebietet ihm schließlich zu schweigen (B IX:360), woraufhin Demophon verspricht, an seiner Seite zu kämpfen (B IX:384–388). In diesen beiden aufeinander folgenden Gesprächen wird das Dilemma des edlen Sarazenen zwischen privater Neigung

120 Lotman 1986, S. 336. Unter „Sujet“ versteht Lotman die Ereignisse eines Erzählwerks „in ihrer Darlegung, in jener Reihenfolge, in der sie im Werk mitgeteilt werden, und in jener Verknüpfung, in der die Mitteilungen über sie im Werk gegeben sind“ (S. 330, siehe auch S. 341–343). 121 Zur Beweglichkeit einer Figur vgl. Lotman 1986, S. 338–339. 122 Das Argument der Minne verwendet er im Übrigen in seinen Friedensgesprächen mit seinem Bruder nicht. Hier verweist er regelmäßig auf die große Macht der Christen, die kaum zu besiegen sei (B IX:286–318, 349–359, 861–873). 123 Eine Übersicht der Minnedialoge und deren Anteile pro Buch bei Janssens 1976, Bijlage, S. 122–126.



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und politischer Zugehörigkeit offenbar. Am Ende des Gesprächs mit dem Sultan zeigt sich, dass die utopischen Elemente der Grenzüberschreitung (Buch VIII) dann wieder zurückgenommen werden, wenn die Vorherrschaft in Byzanz auf dem Spiel steht. Demophons menschliche Gleichwertigkeit und Freundschaft mit den Christen unterliegt im Moment des Versprechens der politischen Funktion. Die Entwicklung Demophons ist nach De Wachter mit der der anderen männlichen Helden zu vergleichen. Ihre Stadien würden jedoch weniger detailliert beschrieben, und als Beweis seiner Ritterlichkeit kämpfe er für die Christen in Armenien und überschreite auf diese Weise eine Grenze. Nach den Kämpfen entwickle er seine „amoureuse kwaliteiten“, um Liebe und Rittertum in sein Leben zu integrieren.124 In erster Linie inszenieren die Bücher VII–IX jedoch die Grenzüberschreitung Demophons. Jede Figur des Romans im zweiten Teil gehört zum christlichen oder zum sarazenischen Lager, zum inneren oder zum äußeren Raum. Die „Mauern“ von Konstantinopel (B I:525) teilen den Raum in zwei Räume, deren Grenze nicht überschritten werden kann.125 Der Text selbst hebt diese Trennung von „innen“ und „außen“ an vielen Stellen hervor.126 Lotman hat herausgestellt, dass manche Helden auch mit verschiedenen Typen der Raumaufteilung verknüpft sein können. Ein- und dieselbe Welt kann für einen bestimmten Helden in verschiedener Weise aufgeteilt sein. Lotman nennt dies eine Polyphonie der Räume, in der mit verschiedenen Arten der Aufteilung gespielt wird.127 Die im ersten Teil des Romans agierenden Hauptfiguren sind im zweiten Teil dem „inneren“ christlichen Raum in der Stadt Konstantinopel zugeordnet. Der Sultan Karodos und sein Bruder Demophon sowie deren Verbündete gehören zum „äußeren“ heidnischen Lager außerhalb der Mauern Konstantinopels, doch mit dem Bedauern des Erzählers darüber, dass Demophon ein Sarazene sei, hatte jener die Möglichkeit der Grenzüberschreitung eröffnet. Damit erweist sich die „Methode“ Demophons, der sich freiwillig vom äußeren zum inneren Kreis, vom sarazenischen zum christlichen Lager begibt, durch die politische Bedeutung seines Handelns als eine komplexere Grenzüberschreitung als der Weg der Figuren im ersten Teil des Romans, auch wenn er auf persönlicher Ebene, wie die Eingangsworte des Erzählers bezeugen, bereits vollkommen ist. In den folgenden Kämpfen zwischen Christen und Sarazenen entrinnt Demophon mehrmals knapp dem Tod,128 aber Heinric betont, dass einige aus dem 124 Vgl. zu diesem Abschnitt De Wachter 1998a, S. 390–391. 125 Lotman 1986, S. 327. 126 Vgl. B VIII:438, 448, 525, 529, 563, 868, 954; IX:38, 164, 352, 392, 907, 911, 914, 978. 127 Lotman 1986, S. 329. 128 Er fällt in Ohnmacht, doch sein Pferd rettet ihn in ähnlicher Art und Weise wie Beyaert in Fassungen des Renout van Montelban (B IX:789–794).

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christlichen Heer wegen ihrer Freundschaft zu Demophon ihn schonen bzw. nicht gegen ihn kämpfen wollen (B IX:1005–1010). In diesem Sinn hat die Grenzüberschreitung Demophons in Buch VIII bewirkt, dass Feindbilder der Christen abgeschwächt werden und das Kriegsgeschehen unterwandert wird. Der von den Christen (am Ende von Buch IX) beschlossene Ausweg besteht darin, einen bis dahin am Geschehen in Konstantinopel Unbeteiligten, König Evax aus Aragon, nach Konstantinopel zu holen.129 Diesen Auftrag erhält dessen früherer Diener Jonas. Zuvor ist ein Waffenstillstand vereinbart worden, der beiden Lagern die Gelegenheit bietet, die Toten gebührend zu bestatten und die Kriegsvorbereitungen weiterzuführen. Die Phase des Waffenstillstands bedeutet für die Helden, in diesem Fall im Besonderen für Demophon, eine Phase der vorübergehenden Ruhe, analog zu der des Heinric zu Ende des Buches IV bzw. der des Echites in Buch V. Das beinhaltet gleichzeitig, dass diese drei männlichen Helden ihren Weg als bewegliche Figuren noch nicht abgeschlossen haben. In ihrem Streben nach „ere“ haben sie zwar ihr Ziel als tapfere Ritter erreicht, der Kampf um die „minne“ ist jedoch noch nicht erfolgreich bestanden.

3.2.2 Fürstenspiegel – Herrschaftsdiskurs (Buch X) Auch in Buch X des Margriete-Romans spielt die Symbolik von „außen“ und „innen“ auf verschiedenen Ebenen eine strukturdominierende Rolle. Der junge Jonas, der sich am Ende von Buch IX als würdiger Ritter erwiesen hat und ehemals Diener des Ammensohnes Evax war, erklärt sich bereit, seinen früheren Herrn zu suchen. Auf seiner Reise lockt ein Licht sein Pferd auf den Weg in die „burcht van aventiure“.130 Hiermit verlässt er die Grenze der vorherigen Erzählwelt und kehrt, wie sich herausstellt, in die übernatürliche Welt der Dame „Aventiure“ ein, die ihn in ihrem Schloss freundlich empfängt. Jonas wird in einem schönen mit Marmor verzierten Saal untergebracht, in dem man nachts sehen kann, als ob es Tag wäre (B X:157–159). Als Jonas eingeschlafen ist, spielen ihm Personifikationen der Laster und Tugenden ein allegorisches Schauspiel vor, bei dem außerdem zwei junge Männer mitwirken. Der erste junge Mann, der sich verschiedenen Lastern zuwendet, wird getötet. Der zweite junge Mann, der sich für Dienst, Gerechtigkeit, Hoffnung, Treue und Demut entscheidet, wird von Dame Weisheit zum König gekrönt und von ihr in Herrschertugenden unterwiesen.

129 Vorbereitung auf das Geschehen in Buch X. 130 „Vrou aventüre“ tritt in der mhd. Dichtung u. a. im Parzival Wolframs als Dialogpartnerin des Dichters auf, im Willehalm des Rudolf von Ems und im Rennewart Ulrichs von Türheim.



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Nachdem Dame „Aventiure“ (B X:1050) ihn verabschiedet hat, bewegt sich Jonas wieder in die Welt der Erzählung hinein. Durch seinen erfolgreichen Kampf gegen einen Drachen überwindet er seine Standesgrenze und tritt als König von Sevilla aufgrund seiner Tugend von der Welt des Niedriggeborenen in die Welt des Königtums ein. Anschließend zieht er mit Evax nach Konstantinopel.131 Fürstenspiegel (Buch X) Prolog 1. Jonas unterwegs 2. Jonas in der Burg 2.1 Ankunft in der Burg 2.2 Allegorie 2.2.1 Vorstellung der allegorischen Figuren 2.2.2 erster junger Mann 2.2.3 zweiter junger Mann und Krönung 2.3 Dame „Wijsheit“ 2.4 Abschied von Dame „Aventiure“ 3. Jonas wird König 3.1 Drachenkampf in Sevilla 3.2 Evax und Jonas 3.3 Jonas wird König und Rückkehr nach Konstantinopel

1–29 30–80 81–1062 81–151 152–806 152–281 282–542 543–806 807–1016 1017–1062 1063–1497 1063–1335 1336–1408 1409–1497

131 Als Quellen für Buch X benutzte der Margriete-Dichter vermutlich den Torec des Jacob van Maerlant, dabei besonders die Episode, in der Torec sich in einem „scep von aventuren“ einschifft (V. 2286), wo er in einer „camere vom wijsheiden“ einer Diskussion weiser Männer über ritterliche Tugenden und Rechte und Pflichten adliger Herren beiwohnt. Danach setzt er seine Abenteuerreise fort, erobert ein magisches Diadem und wird König. Zum genaueren Zusammenhang mit dem Torec siehe De Wachter 1998a, S. 258–264. Auch benutzte der Margriete-Dichter eine Version des pseudo-aristotelischen Secretum Secretorum. Hierbei handelt es sich um eine lateinische und dann auch in viele Volkssprachen übertragene Version des ursprünglich arabischen Fürstenspiegels Kitab Sirr al-asrar. Um 1250/60 gab es zwei lateinische „Mantelübersetzungen“, die Epistula ad Alexandrum des Johannes Hispanus (1135–1142) und die des Philippus Tripolitanus, die zwischen 1220 und 1235 entstand. Von dieser Letzteren sind mehr als 300 Hss. bekannt (vgl. Keil 1992). Zu Fürstenspiegeln im Allgemeinen Berges 1938, Singer 1978, Brinkhus 1978. Die zuweilen Jacob van Maerlant zugeschriebene Übersetzung des Secretum in die Volkssprache erhielt den Titel Heimelijkheid der heimelijkheden. Diese diente jedoch nicht dem MargrieteDichter als Quelle. Da die weit verzweigte Überlieferung des Secretum Secretorum noch nicht erschlossen ist, konnte die genaue Quelle bisher nicht ermittelt werden (De Wachter 1998a, S. 264–277). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Autor ein Florilegium mit einer Fürstenlehre aus dem Secretum Secretorum benutzte.  – Interesse an Fürstenspiegeln bei den Grafen von Manderscheid bezeugt eine in mittelfränkischer Mundart abgefasste Version des Secretum Secretorum. Das Exemplar Berlin, SBPK, mgf 548, entstand 1482 für Dietrich III., Graf von Manderscheid (vgl. Kapitel 6).

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Die Komposition von Buch X lässt sich als stufenweises Eintreten in die Welt der Allegorie und anschließende Rückkehr in die „normale“ Erzählwelt begreifen.

Weg des Jonas

Allegorie Saal Dame „Wijsheit“ Schloss im besten Schloss Erzählwelt der Säle Erzählwelt 81–151 152–281 282–806 807–1016 1017–1062 1063–1497 30–80

Der Erzähler berichtet zunächst über Jonas’ Suche nach Evax. Dabei kommt er in einem Schloss an, das höher gelegen ist, sowohl im wörtlichen Sinn (B X:89 „borch dar boven“) als auch in übertragener Bedeutung als höherer Sinnebene. Auf dieser Ebene begegnet ihm „jonffrowe aventüre“, deren Diener sie in einen prächtigen Saal führen (B X:154). Dieser Saal erscheint wie eine Bühne, auf der die späteren „Schauspieler“, die Allegorien der Tugenden und Laster, bereits Platz genommen haben (B X:172–281). Jonas nimmt die Darstellung aus einer Außenperspektive wahr. Systematisch und detailliert werden auf der rechten Seite des Saales Demut mit ihrem Sohn Besonnenheit und ihren Töchtern Mäßigung und Gottesfurcht vorgestellt (B X:172–201). Auf der linken Seite ist Hochmut mit ihren drei Töchtern Trägheit, Wollust und Völlerei angeordnet (B X:202–236), es folgt unten Gerechtigkeit mit den beiden Töchtern Treue und Hoffnung (B X:237–264) und zuletzt oben Habgier mit den vielen Kindern Meineid, Bösartigkeit, Diebstahl und Raub (B X:265–281).132 Situierung der Figuren im Saal „onder eyn dach“ (B X:265) Habgier Meineid, Bösartigkeit, Diebstahl, Raub „tzü rechter-hant“ (B X:172) „ain die ander sijde“ (B X:202) Hochmut Demut Trägheit, Wollust, Völlerei Besonnenheit, Mäßigung, Gottesfurcht „beneden“ (B X:237) Gerechtigkeit Treue, Hoffnung



      

132 Bei dieser Einführung werden diese Tugenden und Laster nicht explizit benannt, sondern lediglich ausführlich beschrieben. Durch eine Rückkopplung mit der späteren direkten Benennung der Stationen kann man entschlüsseln, um welche Eigenschaften es sich auch bei der Vorstellung der Laster und Tugenden handelt.



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Diese Anordnung verrät außer dem Interesse des Margriete-Dichters für die Symbolkraft von Richtungsandeutungen auch die Bedeutung, die er den Todsünden und Kardinaltugenden beimisst.133 In einem allegorischen Schauspiel sieht Jonas, wie ein junger Mann sich diesen „abstracta agentia“ nähert und sich jeweils gegen die Tugenden und für die Laster Hochmut, Trägheit, Wollust und Völlerei entscheidet (B X:282–410). Dieser junge Mann verfällt danach in Armut und bittet Habgier um Hilfe, die ihn jedoch abweist.134 Unter ihren Kindern findet er nur bei Diebstahl und Raub Gehör und wird letztendlich am Galgen aufgehängt (B X:420–543). Das zweite allegorische Schauspiel zeigt einen „jongen ind eyne vromen“ Mann, der jedoch schlecht gekleidet ist. Dieser weist Habgier, Raub und Diebstahl zurück und entscheidet sich für Treue und Hoffnung sowie Demut, Ehrfurcht, Mäßigung und Besonnenheit (B X:543–761). Die Dame Weisheit krönt ihn daraufhin zum König (B X:762–806). Eine solche allegorische Vorstellung ist vor allem aus dem Roman de la Rose bekannt, in dem sich die guten und schlechten Kräfte des Menschen miteinander messen.135 Durch die anschließende Krönung Jonas’ zum König funktionalisiert der Margriete-Dichter die Allegorie als Herrschaftsethik, die einem guten König die von ihm erwarteten Eigenschaften präsentiert. Im nächsten Abschnitt erläutert Dame Weisheit in der Art eines Fürstenspiegels die Charakteristika eines guten Herrschers (B X:807–1016).136 Aus dem Secretum ist hier vornehmlich das übernommen, was der fürstlichen Vorbildlichkeit im Sinn einer christlichen Ethik entspricht.137 Als erste Eigenschaft nennt Dame Weisheit mit Gottesfurcht die wichtigste der Kardinaltugenden. Danach unterscheidet sie vier Arten von

133 Zu den Kardinallastern, die genannt werden, gehören superbia (Hochmut), avaritia (Habsucht) und luxuria (Wollust), zu den Kardinaltugenden Besonnenheit, Mäßigung und Hoffnung. 134 Bei „gerechticheit“ (B X:455) handelt es sich um eine falsche Schreibung für „girecheit“, wie die nachfolgende Aufzählung der Kinder zeigt (letztere Lesart auch in A X:453). 135 Jean de Meun und Guillaume de Lorris schrieben den Roman de la Rose ca. 1235 bzw. 1270/1280 in Frankreich. Der Rahmen des Gedichts ist eine Traumvision einer Ich-Figur, die einen Minnegarten besucht. Bereits um 1290 gab es – als Autor wird Hein van Aken angenommen – in Flandern eine erste niederländische Bearbeitung, ca. 1325 eine weitere in Brabant, bekannt unter dem Titel Die Rose. 136 Dieser Teil geht auf eine Version des Secretum Secretorum des Philippus Tripolitanus zurück. Vgl. De Wachter 1998a, S. 264–277. 137 Man vergleiche B X:825–839 mit SecrS: 42:31–35 und 43:1–4, B X:840–845 mit SecrS 43:4–6, B X:856–861 mit SecrS 43:16–21, B X:862–867 mit SecrS 43:21–23, B X:889–905 mit SecrS 46:10–18, B X:915–922 mit SecrS 47:31–32 und 48:1–3, B X:923–926 mit SecrS 48:6–10, B X:927–932 mit SecrS 48:12–13.

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Königen,138 um anschließend genauer auf das Maß der Freigebigkeit einzugehen sowie auf die vom Neid herrührenden Untugenden Lüge, Verrat, Zorn und Kampf (B X:888–894), auf die Bedeutung eines guten Namens und schließlich auf die Wahrheit, die Gerechtigkeit, Treue, Freigebigkeit, Dienstbarkeit, Freundschaft, Hilfe und Rat mit sich bringe (B X:894–905). Damit rekurriert der Margriete-Dichter auch auf das Wertgefüge des ritterlichen Tugendsystems mit dessen Leitbegriffen der „milte“ und Treue. Dame Weisheit belehrt Jonas des Weiteren darin, weise Leute zu ehren, besonnen zu sein, schöne Kleider zu tragen (SecrS, Kap. 10), im Sprechen zurückhaltend zu sein (SecrS, Kap. 11) und sich nicht zu viel mit „unwerdigen nyderen luden“ abzugeben (B X:907–958). Abschließend erzählt sie ausführlich über den klugen König von Indien. „Jonffrouwe Aventüre“ stellt sich beim Abschied als diejenige vor, die „dat suysse ind dat süre“ gibt (B X:1050–51); der Erzähler erklärt zuvor, dass sie über einen Galgen, ein Schwert und ein Rad verfügt. Die Allegorie, die am Beispiel des schlechten und des guten jungen Mannes den Einfluss und die Verantwortung eines jeden für sein eigenes Schicksal versinnbildlicht, entwirft ein Gegenbild zur traditionellen Fortunavorstellung. Der Margriete-Dichter propagiert somit zugleich eine Überwindung der Fortuna durch die Virtus,139 der auch Jonas auf seinem weiteren Weg nachstreben soll. In der Allegorie erhält er Auskunft über die Gesetze der Dame „Aventüre“ und lernt, dass er sich durch Tugenden gegen ihre Willkür durchsetzen kann. Der Fürstenspiegel bietet eine theoretische Unterweisung in Pflichten und Eigenschaften eines würdigen Herrschers auch für die Rezipienten des Romans. Mit der sich auf Tugend begründenden „auctoritas“ des Fürsten als Herrschaftsinstrument entwirft der Erzähler ein Programm, das sich innertextlich auch auf die Aventiuren des Echites, des Evax, Heinrics und Demophons beziehen lässt.140 Gerade über Jonas, den früheren Knecht (B IV:2043), kann die Wirkungsmacht der Tugend in besonderem Maße demonstriert werden, wenn er nach der Herrscherlehre zum König von Sevilla gekrönt wird. Die Legitimation von Herrschaft, so das Lehrprogramm des Romans, gründet allein auf Leistung. Ein Herrschaftsanspruch leitet sich nicht automatisch dynas-

138 Im Einzelnen: a) solche, die zu sich selbst und ihren Untertanen gut und freigebig sind, b) solche, die zu sich selbst und ihren Untertanen böse sind, c) solche, die zu sich selbst gut und zu ihren Untertanen böse und d) solche, die zu sich selbst böse und zu ihren Untertanen gut sind. 139 Damit bringt er sein Werk in die Diskussion um die Vorrangstellung von Fortuna oder Virtus in der italienischen frühen Renaissance ein (Heitmann 1958). 140 Die Burg der Venus in Buch III und V fungiert als Analogie zum Schloss der „Aventiure“ in Buch X.



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tisch ab, sondern es lassen sich Ansätze erkennen, die eine neue Auffassung von Herrschaft zur Disposition stellen. Indem Jonas – wie vorher bereits Evax – aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften zum König gekrönt wird, demonstriert der Margriete-Roman die Verwirklichung des auf Tugend gegründeten Herrschaftsideals. Ein neuer Landesherr ist weniger durch seinen dynastischen Hintergrund legitimiert, sondern muss sich vielmehr durch Tapferkeit und tugendreiche Integrität auszeichnen. Ein den Roman prägendes Merkmal ist der soziale und politische Aufstieg verschiedener Hauptfiguren. Heinric erreicht aus einem herzoglichen Status heraus die Kaiserposition; Margriete als Herzogstochter wird Königin von Armenien, als der Grafensohn Echites zum König von Armenien gekrönt wird. Evax, der Sohn der Amme des Echites, erreicht durch seine Kampfkraft die Wahl zum König von Aragon, und Jonas, dessen Knappe, wird König von Sevilla.

3.2.3 „gerechte minne“ im Königsspiel (Buch XI) In Buch XI des Margriete-Romans kündigt der Erzähler einen Ortswechsel nach Konstantinopel an, wo sich während des immer noch fortdauernden Waffenstillstandes Christen und Sarazenen treffen, um sich mit „vreüde ind feyste“ (B XI:43) die Zeit zu vertreiben. Margriete schlägt vor, ein Spiel zu spielen. Sie macht die potentiellen Teilnehmer neugierig, denn, so Margriete, mit Hilfe des Spiels könne jede und jeder das Herz des von ihr bzw. ihm Geliebten kennen lernen (B XI:126– 134).141 Das Spiel ist ein so genanntes Königsspiel, das dem Genre der literarischen „Liebesgesellschaftsspiele“ zuzurechnen ist.142 Die zur Minnekasuistik gehörenden Frage-und-Antwort-Spiele sind wegen ihrer vielfältigen Überlieferungsformen schwierig zu kategorisieren. Umfangreiche Sammlungen von Fragen und Antworten zu Liebesthemen bilden zum Teil die Basis für die in Königsspielen

141 Die Quelle für das Königsspiel im Margriete-Roman scheint auf eine der mittelniederländischen Übersetzungen des Voeux du Paon oder auf eine mittelniederländische Übersetzung des Roman van Cassamus zurückzugehen (De Wachter 1998a, S. 297–311; vgl. Kienhorst 1988, S. 29–32). 142 Die von Klein als „demandes d’amour“ betitelten Texte präsentieren Fragen und Antworten zum Thema Liebe und sind, ausgehend von der französischen Literatur, u. a. in mittelniederländischen, mittelhochdeutschen, mittelniederdeutschen und englischen Sammlungen überliefert (Klein 1911). Ihre Bezeichnung als „cour d’amour“ verleitete die Forschung lange dazu, sie als Zeugnisse für im Mittelalter real existierende, rechtskräftige Urteile fällende Gerichtshöfe zu verstehen. Es handelt sich jedoch um eine literarische Tradition.

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verwendeten Fragen und Antworten. Solch ein literarisches Gesellschaftsspiel ist als „jeu du roi qui ne ment“ bekannt. Dabei wählt eine Gruppe adliger Damen und Herren einen König (eine Königin), der (die) den Mitspielern spitzfindige Fragen über Liebesangelegenheiten stellt, die diese möglichst geschickt und originell beantworten sollen.143 An dem Spiel nehmen im Margriete-Roman acht Männer und acht Frauen teil, denen die als Königin erkorene Margriete in der ersten Spielrunde jeweils eine Frage stellt. In der zweiten Runde stellen die Teilnehmer wiederum Margriete je eine Frage. Abwechselnd kommen Männer und Frauen an die Reihe. Dabei bilden die in der Tabelle nebeneinander aufgeführten Teilnehmer jeweils ein Paar. Für die betreffenden Partner ist jedoch die Liebesbereitschaft des jeweils anderen noch nicht deutlich, so dass das Spiel dem Vorschlag Margrietes entsprechend Aufschluss darüber bringen könnte. 1. Demophon von Soloferne 2. Esioene von Saloniki144 (A IX:593) (A VIII:1116) 3. König Prasiis von Prasia145 4. Palladia von Mazedonien (A VIII:838) (A XI:670) 5. König Colosus von Ganges 6. Elyane von Elydanus (Hellas) (A XII:890) (B VIII:1150) 7. König Maurus von Moriane146 8. Meliandre von Achaia (A VIII:939) (A VIII:1171) 9. König Karel von Frankreich 10. Celidone von Dalmatien (A XI:349) (A XII:995) 11. Kaiser Hildric von Rom 12. Salamina von Thrakien (A XI:891) (A VIII:1135) 13. König Ryoen von Spanien 14. Elyonette von Amasonia147 (A XI:931) (A XI:58) 15. Pasca van Paura148 16. König von Böhmen (A XI:545–546) (A XI:547)

143 In der mittelniederländischen Literatur ist eine große Zahl von Texten dieser Spiele überliefert. Die Verbreitung in der mittelalterlichen deutschen Literatur nimmt sich vergleichsweise gering aus. Königsspiele sind zwar als Einzeltext überliefert, doch in der mittelniederländischen Literatur sind außer im Margriete-Roman bis 1516 drei weitere Königsspiele als Teil eines Romans erhalten: im Roman van Cassamus (ca. 1312–1325), in Gillis de Wevel, Leven van St. Amand (Januar 1366) und in der Schoone historie van Margarieten van Limborch (1516). Siehe van der Poel 1991 und 1992. 144 In der Handschrift A „Salenten“. Vermutlich handelt es sich hierbei um Thessaloniki (vgl. REMLT, auch für die folgenden Namenerklärungen). 145 Vermutlich das Volk der Bihar in Nordbengalen. 146 Gemeint ist Mauretania. 147 Zu beziehen auf Scythia in der Nähe des Kaukasus. 148 Hier kann Pandya gemeint sein, eine Tamil-Dynastie in Südindien.



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Die meisten dieser Figuren stellte der Erzähler bereits bei der Truppenaufzählung in Buch VIII des Romans vor. Jeweils vier sarazenische Männer und vier christliche Frauen bilden die ersten vier Paare, es folgen drei christliche Paare. Das letzte Paar ist aus einer sarazenischen Frau und einem christlichen Mann zusammengestellt. Mit der Einteilung des Königsspiels in zweimal 16 Fragen ist gleichzeitig eine inhaltliche Strukturierung vorgegeben. In der ersten Fragerunde stehen überwiegend Fragen zur Minne der einzelnen Teilnehmer im Mittelpunkt. Die zweite Runde präsentiert Fragen zum Wesen der Minne. Um nähere Auskünfte über die Minnesituation des Befragten zu erhalten, wählt Margriete die Sprache der Symbolik, die vor allem zwei Bereichen entstammt:149 der Kampfmetaphorik (vier Fragen) und der Naturmetaphorik (sechs Fragen); zwei Fragen stammen aus anderen Bereichen. Weitere vier Fragen beziehen sich auf die Kraft der Minne. Auf den Bereich des Kampfes beziehen sich vier Fragen an die Damen Esioene, Palladia, Elyane und Meliandre (1.2, 1.4, 1.6, 1.8). Margriete verbildlicht die Tätigkeit der Minne als Verletzung durch eine Waffe, im Einzelnen ein Schwert, eine Lanze, ein Kampfbeil und ein Messer. Die Damen antworten jeweils, dass sie angegriffen worden seien, danach schildern sie die auf sie verübten Angriffe und schließen dann jeweils mit einer Äußerung über die erwartete zukünftige Entwicklung.150 Ein zweiter Bereich der Metaphorik entstammt der Natur. Mit ihren Fragen erkundigt sich Margriete nach einem Brunnen (Demophon, 1.1), dem höchsten Baum (Prasiis, 1.3), einem Edelstein in der Krone einer Dame (Colosus, 1.5), einer Blume des Gartens (Maurus, 1.7), einer bestimmten Windrichtung (Celidone, 1.10) und einem begehrten Kraut (Elyonette, 1.14). In ihrer vorletzten Frage bittet Margriete die Heidin Pasca um Antwort darauf, ob ein Fremder ein Nachbar werden könne (1.15), und spielt damit auf deren Beziehung zum christlichen König von Böhmen an. Zuletzt bittet Margriete den König von Böhmen um die Wahl der besten Antwort (1.16). In ihren Antworten sprechen manche Männer vor allem über ihre Zweifel, die Geliebte jemals gewinnen zu können,151 während die Damen ihre

149 Die im Folgenden verwendeten Zahlenkombinationen beziehen sich auf die Fragerunde (1 oder 2) und die Frage innerhalb dieser Fragerunde (2.4 bedeutet: Frage 4 in Runde 2). 150 Esioene sagt, dass ihr Herz von den Schlägen eines Schwertes, aber noch nicht von den viel gefährlicheren Stichen, bereits einen Riss davongetragen habe (B XI:211–222). Palladia berichtet von einer auf sie gerichteten Lanze, die gefährlich werden könnte (B XI:270–281). Elyane gibt zu, sie könne sich kaum noch wehren, weil sie ihr Schild nicht mehr halten könne (B XI:332–353). Meliandre legt dar, dass ihre Haut noch unverletzt sei, da bisher nur eine stumpfe Seite des Messers sie getroffen habe (B XI:382–397). 151 Demophon (B XI:196–198), Prasiis (B XI:255–257), Colosus (B XI:317–319), Maurus (B XI:374– 375).

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Befürchtungen über die Folgen neuer Angriffe äußern.152 Alle Beteiligten geben zu, von „Venus sträille“ (B XI:549) getroffen worden zu sein. Bei den Herren überwiegt die Metaphorik eines von ihnen ausgehenden aktiven Handelns,153 bei den Damen die Passivität des Aushaltens oder der Verteidigung.154 Die übrigen vier Fragen der ersten Runde befassen sich mit der Kraft der Minne, die stärker sei als Natur, als Wissen (1.9), als der König oder Wein (1.11), die unermesslich stark sei (1.12) und für den größten Genuss sorgen könne (1.13). Die erste Fragerunde kann somit als Minneallegorie bezeichnet werden, die zum Wesen der Minne und zur Verfassung der Liebenden Auskunft gibt. In der zweiten Fragerunde stellen die verschiedenen Teilnehmer nun Margriete jeweils eine Frage, die darauf abzielt, das Wesen der Minne zu ergründen. Die ersten acht Fragen und Antworten ergeben eine Minnetheorie, die eine Definition der Minne bietet (2.1), auf deren Bestandteile eingeht (2.2), die Definition erläutert (2.3) und die Faktoren benennt, die eine Zerstörung der Minne bewirken (2.4). Die folgenden vier Fragen problematisieren die Entstehung von Minne (2.5), die mit dem Stand der Planeten bei der Geburt in Verbindung gebracht wird.155 Damit stellt der Margriete-Dichter die Minne als ein naturgesetzliches Geschehen dar, das unabhängig von sinnlicher Wahrnehmung entsteht (B XI:989–1004).156 Schönheit als Ursache der Minne wird dementsprechend eindeutig abgelehnt

152 Elyane bestätigt zunächst die Angriffe auf sie, beschreibt diese dann detallierter, um schließlich ihrer Angst vor weiteren möglicherweise lebensbedrohlichen Angriffen Ausdruck zu verleihen (B XI:332–334, 335–349, 350–353). 153 Margriete fragt, ob Demophon sich bereits genähert habe (B XI:172–174). Prasiis hat bereits versucht, die Pinie zu erreichen (B XI:246–248), König Colosus erwähnt, er habe versucht, den Diamanten zu spalten (B XI:305–308), und Maurus wird gefragt, ob er bereits eine Blume gepflückt habe (B XI:364). 154 Esioene sei geschlagen worden (B XI:217), Palladia angegriffen (B XI:271), Elyane habe sich mit einem Schild verteidigt (B XI:332–349), Meliandre sei mit einem Strahl, der einem Messer gleiche, angegriffen worden (B XI:384) und Celidone sei dem Westwind ausgesetzt (B XI:455– 456). Lediglich im Bericht der Elyonette von Amasonia wird deutlich, dass sie selbst aktiv aufgetreten ist (B XI:615–617). 155 Colosus fragt danach, warum Minne oftmals nicht gleichzeitig entstehe (B XI:821–825). In ihrer Antwort argumentiert Margriete mit der Wirkungskraft der unterschiedlichen Planeten (B XI:826–936). Für die Antwort auf die Frage Elyanes, warum man den einen mehr als den anderen liebe, greift Margriete wiederum auf den Lauf der Planeten während der Geburtsstunde zurück (B XI:937–1004). Die Natur des Planeten bestimme „nature ind sijn leven“ (B XI:953). Die zur gleichen Zeit Geborenen seien „van eynre natüren“ (B XI:964) und somit füreinander bestimmt. 156 Zur „Natur“ als verantwortlicher Instanz für die Entstehung der Minne siehe u. a. Schnell 1984, S. 241–324.



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(2.7).157 Die Schicksalhaftigkeit der Minne wird damit begründet, dass man sich ihr nicht entziehen könne (2.8). Der zweite Fragenkomplex behandelt psychische und physische Zeichen der treuen Minne. Gebärden der Angebeteten seien oftmals nicht als Zeichen der Treue zu deuten, da der Verstand durch die Minne vernebelt sei (2.9). Warum bewirke die vermeintlich gute und edle Minne dennoch, dass jemand außer sich gerate (2.10), möchte Celidone in Erfahrung bringen. Margriete erinnert in ihrer längsten Antwort des ganzen Königsspiels an die Beispiele von Amadas158 und Pygmalion. Mit beiden Exempeln hebt Margriete die Bedeutung von Geduld und Beständigkeit in Minneangelegenheiten hervor.159 Nach der Erörterung der inneren und kaum sichtbaren Zeichen der Minne bieten die Antworten auf die Fragen 2.11–2.16 praktische und konkrete Handlungsanweisungen, die Minne zu fördern oder zu erkennen. Körperliche Merkmale wie Erblassen und das Niederschlagen der Augen werden in direkten Zusammenhang mit der Einheit zweier Herzen als wichtigstem Merkmal der „gerechten minne“ gebracht (2.11). Mit dem Exempel des Narcissus als Beispiel für Verblendung durch Eitelkeit beantwortet Margriete die Frage nach der Strafe für denjenigen, der Frauen außer sich geraten lasse.160 Die u. a. aus Ovids Ars amatoria bekannten psychischen Symptome wahrer Minne betonen vor allem die Ausschaltung der Fähigkeit rationalen Handelns. Diesem stetig drohenden Verlust sei mit Geduld und Beständigkeit zu begegnen. Indem die Antworten Margrietes nega-

157 Statt der Schönheit nennt Margriete die ethische Kategorie der Gutheit, die die vergängliche Schönheit bei weitem übertreffe (B XI:1015–1034). Meliandres Frage, ob es möglich sei, die Minne eines anderen zu verringern, beantwortet Margriete mit der Metapher, dass man auch das Feuer nicht kalt machen könne (B XI:1035–1060). 158 Amadas et Ydoine (ca. 1190–1220) ist ein anonymer Abenteuerroman, der das Dreiecksverhältnis zwischen einer verheirateten Frau, ihrem Ehemann und ihrem Liebhaber schildert. Der Text scheint in den Niederlanden sehr beliebt gewesen zu sein, da mehrere Werke den Namen der männlichen Hauptfigur erwähnen, u. a. Sidrac (V. 5), Van der feesten een proper dinc (V. 185– 204) und Jacob van Maerlant in seinem Werk Alexanders geesten (VIII:112–113). – Zum Einfluss des Romans auf den Margriete-Roman siehe De Wachter 1998a, S. 206–216. Das Exempel des Pygmalion könnte aus Ovids Metamorphosen entlehnt sein, andererseits gehörte es zum tradi­tio­ nellen Lesestoff im Schulunterricht des 13. Jahrhunderts (van Gijsen 1989). 159 Die im Roman gewählten Termini sind „gestedelich“ (B XI:1188) und „gestedicheit van mynnen“ (B XI:1238). 160 Bei Ovid wird Narcissus von der Göttin Nemesis bestraft, da er die schöne Echo zurückwies. Er stirbt nicht, wie im Margriete-Roman, sondern die Göttin verwandelt ihn in eine Blume. Dieses Exempel kommt auch in Hein van Aken, Die Rose, vor, einer Bearbeitung des französischen Roman de la Rose (vgl. van Gijsen 1989 und De Wachter 1998a, S. 339–342).

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tive Emotionalität und deren Folgen hervorheben, sind sie gleichermaßen eine Warnung an den Rezipienten, diesem Verhalten nicht zu verfallen. In den letzten vier Antworten gibt Margriete den männlichen Fragenden Ratschläge, wie man das Verlangen der Angebeteten vergrößern könne (2.13), sie bejaht die Frage nach der Beständigkeit der Minne bei körperlicher Abwesenheit (2.14) und erörtert den Fall der von drei Rittern verehrten Jungfrau, die jedem ein Zeichen gibt, eines mit dem Fuß, eines mit der Hand und eines mit den Augen (2.15).161 Die letzte Frage beschäftigt sich mit der Festigkeit der Minne nach der körperlichen Vereinigung, was Margriete nicht eindeutig beantwortet.162 Die Beantwortung der Fragen in der zweiten Runde erfolgt wie in der ersten Runde des Königsspiels nach bestimmten Prinzipien. Die eigentliche Frage wird jeweils zu Beginn von Margriete kurz beantwortet. Daran schließt sich eine genauere Erläuterung (2.1–2.4, 2.11, 2.13, 2.15), ein Exempel (2.10, 2.12, 2.14) oder eine Metapher an (2.7–2.9). Bei zwei weiteren Antworten dient die Astrologie als Erklärung für den Schmerz (2.5) oder die Wahl eines bestimmten Menschen (2.6). In der zweiten Fragerunde präsentiert der Margriete-Dichter eine komplexe Minnetheorie, die abstrakt und konkret auf das Wesen der Minne und die damit verbundenen Handlungsweisen eingeht. Der erste Teil der zweiten Runde konzentriert sich auf eine nähere Bestimmung der inhärenten Merkmale der Minne und die zunehmende Zuspitzung auf diese: Demut, Wohlerzogenheit, Sanftmut. Ruhmessucht, Hochmut, Dummheit und Trägheit werden ebenso kategorisch abgelehnt wie Lüsternheit und Unbeständigkeit. Durch den Rückgriff – zumindest teilweise – auf den Kanon der Kardinallaster funktionalisiert der MargrieteDichter das Königsspiel als didaktisch ausgerichtetes Minneprogramm, das zunächst der Erziehung der direkt am Spiel Beteiligten dient. Ab Frage  9 des zweiten Teils erschließt das Königsspiel systematisch die psychische und physische Symptomatik der Minne. Indem der Margriete-Autor auch körperliche Ausdrucksformen höfischer Minne zu erfassen und zu ordnen versucht, formuliert er programmatisch eine umfassende Minnelehre.163 Die von Margriete gegebenen Antworten weisen ein rein durch Emotionen geprägtes Minneverhalten entschieden zurück und ergreifen Partei für eine ratio­ nale Beherrschung physischer Ausdrucksformen. Damit bietet das Königsspiel einen über die Minne reflektierenden Verhaltenscodex. Es liefert nicht nur eine Reflexion und Diskussion über Handlungen mit symbolischem Wert, sondern entwirft mit dem deutlichen Plädoyer für Selbstbeherrschung und Disziplin

161 Zur Überlieferungstradition dieses Rätsels van der Poel 1992, vgl. Schlusemann 2002. 162 Zu diesem Rätsel in der französischen Literatur Klein 1911, A I:14; vgl. Hegman 1966, S. 191. 163 Zum Zusammenhang von höfischer Kultur und höfischem Körper siehe u. a. Bumke 1999.



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Zuschauer / Rezipient

ein gesellschaftliches Minnemodell, wobei der semantische Gehalt des Wortes „Minne“ nicht direkt über die Aussagen der Erzählerfigur, sondern durch Figurenrede vermittelt wird. Die Figuren des Romans spielen ein Spiel, das heißt, sie treten aus ihrer eigentlichen Rolle im Roman heraus und kommentieren damit gleichzeitig ihr eigenes Verhalten. Es spielen sowohl diejenigen mit, die „in die port“, d. h. in Konstantinopel, geblieben waren, als auch einige, die „van büeten en die stat“ gekommen sind und somit eine erste Grenze überschritten haben. Nach der Mahlzeit gehen sie zusammen in ein „pryiel“. Die Figuren begeben sich hier gleichsam auf eine andere Ebene, die des Spiels in der Fiktion. Das bietet für die Rezipienten die Möglichkeit, das Verhalten der Figuren im Roman zweifach „verfremdet“ zu betrachten. Im Allgemeinen wird das Königsspiel als besonders funktioneller Höhepunkt des Romans betrachtet.164 Die Minnedidaktik kann als indirekte Handlungs­

164 Janssens 1976, S. 171, 379, De Wachter 1998a, S. 350.

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anweisung für die acht am Spiel beteiligten Paare verstanden werden. Sie verkehren auf der Fiktionalitätsebene in der Situation des Begehrens, ohne dass die Damen und Herren sich bis Buch XI gegenseitig ihre Minne offenbart hätten. Zu Beginn von Buch XI hebt der Erzähler hervor, dass jeder die junge Dame bei der Hand nehme, die „sijns hertzen begert“ sei, und dass diese so gebildeten Paare sich jeweils nebeneinander setzen (B XI:119–121). Mit dieser Paarbildung greift der Roman eine bereits in Buch IX erfolgte Vorankündigung auf (B IX:399–435). Um die Bedeutung der Bildung dieser Paare erfassen zu können, ist es notwendig, die Einführung der sechzehn Figuren im Roman genauer zu betrachten. Demophon wird bereits zu Anfang von Buch VII mit Betonung seiner Klugheit und Tapferkeit vorgestellt. Seine Angebetete Esioene wird als Erste der weiblichen Königsspielteilnehmerinnen ebenfalls in Buch VII eingeführt (B VII:1689– 1695).165 Während des ersten halbjährigen Waffenstillstands wird Demophon auf die als übernatürlich schön beschriebene Esioene aufmerksam, so dass die „Menne hielten gevoen“ (B VII:1728). Im Gespräch mit ihm äußert sie ihr Bedauern über seine Religionszugehörigkeit, die ein unüberwindbares Hindernis für eine Öffnung ihres Herzens darstelle, trotz seiner edlen Gesinnung und Tapferkeit. Als in Buch VIII Eusebia Esioene und andere Damen zu sich bittet, damit sie einen positiven Einfluss auf die kämpfenden Ritter ausüben, wird Esioene als Erste genannt. Der Erzähler lobt ausführlich ihre guten Eigenschaften, wenngleich sie ein wenig lispele (B VIII:1115–1134). Der Erzähler relativiert seine Aussage über Esioene durch den Hinweis auf die Liebe des Nichtchristen Demophon zu ihr. Beim nächsten wichtigen Treffen mit ihr nach seiner Reise nach Armenien gesteht Demophon Esioene seine Liebe, sie jedoch reagiert ausweichend (B IX:119–240). Auf Margrietes Frage im Königsspiel, ob er bereits eine Quelle entdeckt habe, antwortet Demophon, dass die Mauer sehr fest sei. Damit entspricht die metaphorische Ausdrucksweise im Königsspiel der Entwicklung seiner Beziehung zu Esioene im Roman. Bei den nächsten drei Paaren  – König Prasiis van Prasia und Palladia van Macidonien, König Colosus van Ganges und Elyane van Elydanus, König Maurus van Moriane und Meliandre van Achatie, verfährt der Erzähler entsprechend. Mit der ironisch-kritischen Bemerkung zu Esioene hatte der Erzähler den Ton für die Beschreibung weiterer Damen vorgegeben, die später am Königsspiel

165 Diese frühzeitige Nennung steht auch im Zusammenhang mit der aktiven Rolle ihres Vaters, des Königs von Salenten, im Kampf gegen die Sarazenen (B VII:584–590, 683–686, 704–707, 725– 726, 1045–1046, 1116–1170, 1232–1233, 1800–1805). Nach Heinric und Etsijtes nimmt der König in diesem Buch die dritte Position im Kampf gegen den Feind ein. Während der Abwesenheit Heinrics und Etsijtes’ wird ihm die Befehlsgewalt über Konstantinopel übertragen (B VII:1906–1909).



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teilnehmen: alle werden gepriesen, aber Elyane ist kleinwüchsig und Meliandre einfältig (A VIII:1135–1184).166 Zwischen Meliandre und Maurus findet am Ende keine Hochzeit statt.167 Die Frage des Maurus bezieht sich auf die Bedeutung der äußeren Schönheit, die Margriete als Zeichen der wirklichen Minne zurückweist. In der Hs. A heißt es, dass Maurus Meliandre dem Vater mit Gewalt weggenommen habe (A XII:1379–1381). Sein Verhalten wird, der Antwort Margrietes entsprechend, als moralisches Fehlverhalten interpretiert. Die nächsten drei Paare des Königsspiels bilden sich aus sechs Verbündeten der Kaiserin Eusebia: Karel von Frankreich und Celidone von Dalmatien, Hildric von Rom und Salamina von Thrakien sowie Ryoen von Spanien und Elyonette von Amasonia.168 Passend dazu, dass sie ihre Minne nicht heimlich über Symbolik zum Ausdruck bringen müssen, erhalten die drei Männer nicht Fragen hinsichtlich ihrer Minnesituation, sondern Fragen in der Form eines Rätsels. Entsprechend ihrer auf religiöser Ebene unproblematischen Beziehung zu den Verehrern geben Celidone und Salamina im Königsspiel unumwunden zu, in ihrem Herzen bereits tief getroffen worden zu sein (B XI:454–464, 540–552). Auch wenn das Königsspiel zunächst wie eine selbstständige Erzähleinheit wirkt, die vom Handlungsverlauf des Romans losgelöst zu sein scheint, wird durch das Beispielpaar Demophon und Esioene deutlich, dass die Teilnehmer am Königsspiel nicht zufällig so gewählt wurden. Demophons Partnerin ist die Tochter des drittwichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Sarazenen. Die Aussagen im Königsspiel über die Minnesituation der Befragten spiegeln das jeweilige Stadium in der Entwicklung der Paarbildung wider. Das Königsspiel erhält durch den Rückgriff auf die Minnelage der Verliebten (von Buch IX) eine Memoriafunktion für den Rezipienten, es enthält aber auch Hinweise, die das Ende des Romans antizipieren. Minne zwischen Repräsentanten der beiden Lager ist nur bei einer Bekehrung des jeweiligen Sarazenen zum Christentum möglich. Für den Rezipienten bietet das Königsspiel nach den Kämpfen in Buch 166 Prasiis, Colosus und Maurus treten im Roman als Verbündete des Sultans auf (B VIII:836– 841, 830–835, 935–937). Sie sind in die drei Damen Palladia, Elyane und Meliandre verliebt. Für die Minne der drei Herren zu den Damen macht der Erzähler den Einfluss der Venus geltend (B IX:399–441). Auch die Väter dieser Damen hatten sich frühzeitig, allerdings in geringerer Posi­ tion, am Kampfgeschehen beteiligt (B VIII:1054–1060). 167 In Hs. B heiraten nur Colosus und Prasiis (B XII:1736–1739), obwohl auch Maurus sich ebenso wie Colosus und Prasiis zum Christentum bekehrt hatte (B XII:1208–1215). In A werden in Versen, die in B nicht vorkommen, die Hochzeiten von Rioen und Elionette, dem König von Böhmen und Pasca sowie Maurus, der Meliandre „ghecreech“, eigens erwähnt (A XII:1374–1381). 168 Auch Celidone hat einen Makel, denn sie hinkt (B VIII:1132–1140). Bei Elyonette wird hingegen hervorgehoben, dass sie mit 200 Jungfrauen in voller Waffenausrüstung anreise. In Buch XII wird sie es sein, die den Sarazenen großen Schaden zuzufügen vermag.

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IX und dem Fürstenspiegel in Buch X darüber hinaus eine erneute Aufnahme des Themas der Überwindung religiöser und politischer Gegensätze durch persön­ liche Zuneigung. Durch die Andeutung einer Zukunftserwartung im Zusammenhang mit den bereits geäußerten Wünschen und Plänen einer Minneverbindung zwischen Demophon und Esione wie auch zwischen anderen Beteiligten beider Lager fungiert das Königsspiel inhaltlich als Brücke zwischen den Büchern VII– IX und Buch XII des Romans. Thematisch dominieren die Minneerörterungen das Königsspiel, wobei es Margriete obliegt, Minne sprachlich zu definieren und ihre Wesensmerkmale aus verschiedenen Perspektiven zu erschließen. Die erste Fragerunde unter Beibehaltung des Verschwiegenheitsgebots dient der subtilen Selbstenthüllung in Bezug auf das Stadium, in dem sich die Minne des oder der Angesprochenen befindet. Indem der Dichter die Minnekommunikation während des Waffenstillstandes als Frage-und-Antwort-Diskurs mit Beteiligten des Romangeschehens stattfinden lässt, schafft er eine metakommunikative Ebene der indirekten Romankommentierung. Da die Figuren historisch zurechenbare Eigennamen tragen, referieren sie über das Romangeschehen hinaus und sprechen den jeweiligen Rezipienten auch textextern an. Als narrative Strategie des Dichters kann eine Korrelation zwischen dem textinternen Kommunikationsprogramm mit der textexternen Welt des Rezipienten angestrebt worden sein. Auch der Rezipient soll angeregt werden, eine den literarischen Figuren vergleichbare kommunikative Reflexionshaltung einzunehmen.169

3.2.4 Vereinigung von Minne und Herrschaft in Frieden In Buch XII des Margriete-Romans finden die entscheidenden Beratschlagungen und Kämpfe in und um Konstantinopel überwiegend nach den Konventionen des Kampfes um Troja mit Gesprächen, Zweikämpfen, „Waffenstillstandsvereinbarungen“  – wie in Vergils Aeneis170  – statt. Der Erzähler erinnert explizit an die Geschehnisse um Troja und präsentiert den Krieg um Konstantinopel als Nachfolgekrieg des Trojanischen Krieges:

Mer doch sain ich offenboer, Dat sijnt dat man Troyen wan, Nye en qum so mennich man

169 Zu den Grenzen und Möglichkeiten der Minnekommunikation Lieb / Strohschneider 1998. 170 In der Aeneis kämpfen in den letzten sechs Büchern die Trojaner unter der Führung des Aeneas gegen die Latiner unter Turnus, vgl. ausführlich De Wachter 1998a, S. 86–90.



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Tzu eynen orloch alz hie was, Sade dat Welsche, dar icht in las, Van büyssen ind van bennen mede. (B VIII:1207–1212)

Nachdem alle Paare vereint sind und sich alle wichtigen Charaktere einschließlich des Herzogs von Limburg und seiner Frau in Konstantinopel eingefunden haben, berichtet der Erzähler über den glücklichen Ausgang und bietet einen Ausblick auf das weitere Leben verschiedener Hauptfiguren. Nach dem Prolog lässt sich Buch XII in zwei große Abschnitte gliedern, den Sieg der Christen im Kampf um Konstantinopel und den Sieg der Minne. Prolog

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1. Kampf um Konstantinopel 46–1232 1.1 Beratschlagungen der Heiden und Christen 46–184 1.1.1 Heiden 46–100 1.1.2 Christen 101–184 1.2 Kämpfe am ersten Tag 185–600 1.2.1 Heinric an der „overste porte“ 185–278 1.2.2 Demophon etc. an der „nydderste porte“ 279–326 1.2.3 Colesus etc. an der „porte tzer see“ 327–400 1.2.4 An der „overste porte“ 401–456 1.2.5 An der „nydderste porte“ 457–600 1.3 Beratschlagungen 601–837 1.3.1 Heiden 601–767 1.3.2 Christen 768–837 1.4 Kämpfe an der „overste porte“ 838–1065 1.4.1 Echites 838–852 1.4.2 Demophon 853–908 1.4.3 Allgemeines 909–947 1.4.4 Evax 948–996 1.4.5 Demophon 997–1049 1.4.6 Elyonette 1050–1065 1.5 Sieg der Christen 1066–1232 2. Sieg der Minne 1233–1833 2.1 Demophon und Esioene 1233–1375 2.2 Andere Hochzeiten 1376–1400 2.3 Echites und Margriete 1401–1591 2.4 Heinric und Eusebia 1592–1733 2.5 Hochzeiten 1734–1761 2.6 Herzog von Limburg 1762–1833 3. Ausklang 1834–1853

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Buch XII umfasst in der ripuarischen Handschrift B 1853 Verse, in der brabantischen Handschrift A 1404 Verse. Trotz der vielen Kürzungen des Brabanter Kopisten171 kommen am Ende 41 Verse (V. 1364–1404) vor, die Hs. B nicht aufweist, darunter in den letzten 18 Versen (ab V. 1387) ein Epilog.172 In den Versen 1364–1372 bittet der Dichter-Erzähler in einem Gebet um Vergebung aller Sünden, um anschließend den Roman mit der Aufzählung weiterer Hochzeiten zwischen Ryoen und Elyonette, dem König von Böhmen und Pasca sowie Maurus und Meliandre abzurunden. Der Dichter hat Buch XII wie die anderen Bücher systematisch aufgebaut, indem er die einzelnen Erzähleinheiten inhaltlich deutlich voneinander abgrenzt. Dafür benutzt er Signalwörter wie „bennen“ (B XII:102)173 oder, für die Kampfdarstellungen am ersten Kampftag an den drei Kriegsschauplätzen, „overste porte“ (B XII:165, 404, 823), „nydderste porte“ (B XII:163, 282) bzw. „porte tzer see“ (B XII:61, 333). Vorher wurde sowohl für das heidnische als auch für das christliche Lager festgelegt, wer an den jeweiligen Toren kämpft.174 Auf der Handlungsebene sind die Tötung des Armenius (B XII:592, Thronfolger des Sultans Karodos) durch Elyonette, die Tötung des Sultans selbst (B XII:985) sowie die Gefangennahme Demophons (B XII:1030) und sein damit verbundenes Eingeständnis der Niederlage kampfentscheidend. Der Margriete-Dichter bleibt dem Prinzip treu, dass sich die Freunde nicht gegenseitig verwunden, und lässt Evax Demophon lediglich ohnmächtig schlagen (B XII:1017–1022). Die Bedeutung der Freundschaft zwischen Echites und Demophon, die in Buch VII und VIII entwickelt wurde, bleibt hier erhalten. Jonas bekräftigt diese: 1015

Itz her Demophon, des soudoens bruder Der vroemste ridder, des sijt vroeder, De onder alle die heiden is, Ende ouch vrunt des conincs Echites (B XII:1012–1015)

Die in den früheren Büchern erworbene Freundschaft zu dem „edlen Heiden“ bildet die Basis für einen guten Frieden (B XII:1108), der anhand der vermitteln-

171 Zu den Techniken der Kürzung in A Schlusemann 2003. 172 Der Epilog ist wahrscheinlich nicht ursprünglich, sondern wurde erst geschrieben, als der Brabanter Margriete-Text mit dem Walewein zu einem Codex zusammengebunden wurde (Lievens 1960, De Wachter 1998a, S. 358–362). 173 Zum Beispiel, um den Schauplatzwechsel zu den Beratschlagungen der Christen in Kon­ stantinopel anzugeben. 174 Wenn man die an den Kämpfen Beteiligten in Buch XII mit den Truppenaufzählungen in B VIII vergleicht, fällt auf, dass der Dichter eine große Kongruenz und Stimmigkeit erreicht.



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den Funktion der Figur Demophon zustande kommt, um dessen Leben und Überleben Echites ausdrücklich bittet (B XII:1028–1030, siehe auch die Reflexion Heinrics dazu in B XII:1108–1114). Echites’ einziges Schonungserbitten kann darüber hinaus die Absicht verfolgen, dem Heiden den Weg zum christlichen Glauben zu ermöglichen.175 Die gleichzeitig mit dem Friedensvertrag erfolgte Taufe der vier Heiden Colosus, Prasiis, Maurus und Demophon erwähnt der Erzähler eher beiläufig (B XII:1215). Bekehrung und Mission spielen im Margriete-Roman eine untergeordnete Rolle.176 Durch die Taufe ist dennoch nach dem kurzen Verbleib des ungetauften Demophon (Buch VII und VIII) in der christlich-höfischen Gesellschaft eine dauerhafte Integration des tugendhaften Helden möglich. Demophon, dem in Buch XII wiederum eine hervorragende Rolle zugemessen wird, tritt nach langem Kampf gegen die Christen durch die Taufe gänzlich zu den Christen über. Die Überlegenheit der Christen ist in traditioneller Weise poetisch umgesetzt, dennoch gerät eher Demophons Kampf um „minne“ in den Blick, auch dadurch, dass das auslösende Moment des Krieges auf persönlicher Ebene motiviert wird, indem Sultan Karodos seinen Neffen Armenius mit Eusebia vermählen möchte. Damit wird der Gegenstand eher ins Weltlich-Laikale verlagert. Demophons Kampf um Minne wird nun von Echites und Heinric unterstützt. Demophon, der „so sere is bevoen  / Mit mijnnen“ (B XII:1278–1279), gibt um der Minne willen seine Religion auf (B XII:1257–1259, siehe auch XII:1282–1286). Der Dichter perspektiviert das Thema der Grenzüberschreitung zunächst durch Evax und Jonas auf sozialer Ebene und nun von der religiösen Differenz her. Dabei zielt er nicht auf eine völlige Entmachtung der Gegner der Christen ab, denn auch nach seiner Konversion bleibt Demophon Sultan (B XII:1240) und ist zudem „der mechtigste man de leeft“ (B XII:1287). Sein politischer Machtraum bleibt auch nach der Niederlage erhalten. Der Margriete-Dichter führt in Buch XII nicht nur die verschiedenen Erzählstränge und alle wichtigen Figuren wieder zusammen, sondern knüpft auch thematisch an die vorhergehenden Bücher an. Das Prinzip des Tugendadels, bereits verwirklicht durch den Aufstieg des Evax und des Jonas, wird mit Demophon („vol alre doegt“, B XII:1332) und dessen Hochzeit mit Esioene gesteigert, indem einem Sarazenen zugebilligt wird, zeitweise Grenzen, auch der Feindschaft, bereits vor der Bekehrung zu überschreiten. Er kämpft anstelle eines Christen für das 175 Vgl. dazu Gyburgs so genannte Toleranzrede in Wolframs Willehalm (V. 306,4–310,29), die christliche Nächstenliebe und damit die Schonung des Gegners einfordert, da alle Menschen verwandt seien. Vgl. zu der Rede Kiening 1991 und Schnell 1993 sowie Müller, U., 1996, Sabel 2003. 176 Die Perspektive der Überlegenheit des Christentums wird dabei jedoch nicht aufgegeben (B XII:1173).

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Christenreich gegen die Feinde der Christen in Armenien. Mit den verschiedenen Vermählungen zwischen christlichen und sarazenischen Männern und Frauen produziert der Margriete-Dichter eine umfassende friedliche Seinsordnung, die utopisch Konstantinopel in der Funktion des Zentrums der Christenheit und letztendlich als Gegenbild zu Troja ausweist.

3.3 Zusammenfassung Mit der Präsentation von mehr als zwei Figuren (Heinric, Margriete, Echites, Evax) im ersten Teil des Romans hebt sich der Margriete-Roman deutlich von der typischen Figurenkonstellation des Minne- und Herrschaftsromans ab, in dem ein Held und eine Heldin im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Der Roman bietet auf diese Weise verschiedene Wege der Konfliktlösung und Daseinsbewältigung. Er zeigt verschiedene Modelle, wie eine das gesellschaftliche Gleichgewicht gefährdende Minne in eine gesellschaftssichernde und in die Zukunft weisende Herrschaftsehe überführt werden kann. Um diese Umkehr erreichen zu können, ist es innerhalb des Romangeschehens offenbar zunächst notwendig, Hindernisse aufzubauen, die eine Minnebindung gesellschaftlich nicht erlauben: bei Margriete der soziale Status durch Verstellung, bei Echites seine Unbesonnenheit, bei Heinric seine Triebe und bei Evax und Sibille ihr vermeintlich ehebrecherisches Ausleben der Minne in der von der Gesellschaft getrennten Abgeschiedenheit. Standesdifferenz zwischen den Liebenden, sexuelles Abenteuer und Ehebruch führen dazu, dass eine Änderung erfolgen muss. Die unterschiedliche gesellschaftliche Identität der Protagonisten ruft jeweils gesellschaftliche Nichtanerkennung der Beziehungen hervor. Margriete gibt ihre soziale Identität als Herzogstochter auf. Trotz der größten Widerstände bewährt sie sich wie ihre Namenspatronin, die heilige Margareta, in beständiger Idealität dem Glauben an Gott verhaftet. Über den Verlust der sozia­ len Identität und der kaiserlichen Anerkennung ihrer Tugend am Hof in Kon­ stantinopel entwickelt der Roman eine zunächst stringente Argumentation für die Vorherrschaft des Tugendadels über den Geburtsadel. Diese Beweisführung hält der Roman durch die Auflösung des Inkognitos nicht konsequent bis zum Ende durch. Einer Hochzeit stimmen die Eltern des Echites erst zu, nachdem sie über die wahre Herkunft der zukünftigen Schwiegertochter informiert wurden, alle positiv bewerteten Charaktere des Romans jedoch befürworten das Prinzip des Tugendadels. Man kann den Margriete-Roman auch als einen weiblichen Gegenentwurf zum traditionellen Erzählprogramm des Gattungstyps Minne- und Aventiure­ roman lesen. So ist es im Margriete-Roman nicht der Held, sondern die Heldin,

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die außengesteuert in das Land eines Ritters gelangt, dessen einziger Erbe er ist.177 Der Margriete-Roman begründet durch das Inkognito Margrietes die Standesdifferenz, die den Konflikt, den Widerstand der Eltern gegen die Verbindung, auslöst. Die Heldin gewinnt die Minne eines hochadligen Ritters und erreicht eine höhere Herrschaftsposition. Sie bewegt sich von einem Heimatraum in einen fremden Raum und verbleibt dort. Heinrics Identität, die nicht anachronistisch mit Individualität gleichzusetzen ist,178 zeigt eine Ambivalenz zwischen überragendem und ungestümem, unverantwortlichem Handeln. Innerhalb des Romangeschehens mindert dies jedoch nicht seine stete Idealität, sogar die Affäre mit Europa wird als nur vermeintlich mit Mängeln behaftet entschlüsselt. Diese Episode funktionalisiert der Margriete-Roman als direkten literarischen Kommentar zu Margrietes Abweisung des Echites und textübergreifend als positiv gewendete literarische Antwort auf das tragische Ende Didos im Eneasroman. Der Margriete-Roman gesteht Margriete und Europa in vergleichbaren Situationen  – soll die unverheiratete Frau sich einem Ritter hingeben oder nicht – unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten zu.179 Die Vielzahl der Helden symbolisiert die Mehrsträngigkeit und Komplexität der Welt, die unterschiedliche Sichtweisen zulässt. Während der Margriete-Roman als biographischer Entwurf Margrietes und Heinrics Lebensgeschichte vom Kindesalter an erzählt, setzt die des Echites erst in Abhängigkeit von der weiblichen Hauptfigur ein und degradiert den Helden in dieser Hinsicht, intensiviert jedoch über ihn den Zwiespalt handlungsbestimmender Faktoren wie Affekt und Ratio sowie persönliche Identität und gesellschaftliche Eingebundenheit. Die Aragon-Aventiure spitzt mit der Flucht des Liebespaares Evax und Sibille in den Wald die konsequente Loslösung von der Gesellschaft ins Eremitendasein auf eine einseitige persönliche Idylle zu. Die Defizienz dieses Daseins offenbart der Konfliktmonolog Sibilles mit anschließendem Handlungsimpetus.

177 Andere Erzählelemente im Margriete-Roman, die im Minne- und Aventiureroman im Allgemeinen der männliche Held erlebt, sind die „Ankunft im Zielbereich“, „die räumliche Vermittlung“, „Begegnung mit dem Ritter“ statt „Begegnung mit der Dame“, „Übertretung eines Verbots“, „Entfernung der Heldin“ statt „Entfernung des Helden“, „Minnekommunikation“, „Komplikation seitens der Elterninstanzen“, „Rückkehr“, um nur einige wichtige zu nennen (vgl. Schulz 2000, S. 54–63). 178 Klinger 2001 zur Problematik von Subjekt, Identität und Individualität in der Vormoderne. 179 Der zu dem jeweiligen Zeitpunkt der Entscheidung unterschiedliche gesellschaftliche Status der beiden Frauen spielt für die Argumentation eine untergeordnete Rolle, wird doch eine uneheliche Verbindung für eine Frau, eine Position als „amie“, von verschiedenen Handlungsträgern kategorisch abgelehnt.

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Das Anwachsen der Anzahl der Protagonisten in den ersten sechs Büchern entspricht dem Zuwachs an Differenziertheit, anhand derer der Margriete-Roman das komplexe Verhältnis von persönlicher und gesellschaftlicher Identität entfaltet. In allen Fällen jedoch löst der Roman entstehende Konflikte zwischen Äußerem und Innerem auf: Echites bringt die wahre Identität Margrietes in Erfahrung, Europas Schwangerschaft wird unter Beibehaltung ihres Herrschaftsstatus befürwortet; Sibilles Entscheidung, Evax zu verlassen, mündet in ihre Hochzeit mit dem zum König gekrönten Ritter. Die ersten sechs Bücher des Romans bieten als Erprobung und Bewährung der Hauptfiguren von verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Ausgangspositionen in der Fremde unterschiedliche Modelle der Bewältigung von Seinsfragen. Im Hintergrund steht bei aller Konfliktthematik die christliche Religion als allen gemeinsames Fundament ihres Daseins, das im zweiten Teil des Romans in gewisser Hinsicht jedoch porös wird. In den Büchern VII–IX macht der Roman Margriete van Limborch über die Figur des „edlen Heiden“ Demophon die Leitdifferenz zwischen guten Christen und schlechten Nicht-Christen löchrig. Wie Feirefiz in Wolframs Parzival wird der Sarazene Demophon als äußerst edler Ritter dargestellt, der den Christen menschlich gleichwertig und ihnen an Besitz und Reichtum ebenbürtig ist.180 Die Idealität Demophons begründet sich mit seiner Tugendhaftigkeit, unabhängig von seiner religiösen Zugehörigkeit. Die Spaltung der Welt in Gut und Böse wird brüchig. Der Dichter fokussiert eine positive heidnische Einzelfigur als Vermittler zwischen den „gezähmten Christen“ und den „wilden Heiden“. In der ambivalenten Verschränkung von Verwandtschaft zu seinem Bruder, dem Sultan, und Freundschaft zu den edelsten Rittern der christlichen Welt avanciert Demophon zum Handlungsträger, der als einzige Figur des Romans in das gegnerische Feld eintritt. Indem er zeitweise auf die andere Seite übertritt, erzwingt dies einen Perspektivwechsel des Rezipienten. Demophon überwindet zwar die Grenze, wird aber in der christlichen Welt nicht eins mit der Umgebung. Er kehrt zu seinem Bruder in seine „frühere“ Welt zurück, ohne noch vollständig in seiner alten Seinsweise aufgehen zu können.181 In der Figur Demophon zeigt sich das Dilemma zwischen Emotionalität auf persönlicher Ebene und politischverwandtschaftlicher Rationalität. Sein Kampf für die Christen in Armenien ist nur durch eine von starkem Vertrauen geprägte Beziehung zwischen ihm und den anderen Christen unabhängig von gesellschaftlichem, in diesem Fall reli-

180 Als literarische Figur fungiert er als Spiegelbild zu Graf Rudolf, der sich ebenso bedenkenlos wie Demophon in den Dienst der gegnerischen (in diesem Fall muslimischen) Fürsten stellt. 181 Demophon erklärt sich zwar noch bereit, für die Sarazenen zu kämpfen, aber erst nach dem Schweigegebot seines Bruders. Zur Grenzüberschreitung Lotman 1986, S. 342–343.

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giös-politischem Sein möglich. Auch wenn letztendlich die Minne aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verflechtung auf rein persönlicher Ebene nicht funktionieren kann, eröffnet ein solches in der Fiktion gebotenes Durchleben Möglichkeiten von Freundschaft, unterstützt durch die Lösungsmöglichkeiten im ersten Teil des Romans und die Entrelacement-Struktur des Romans als Ganzem, mehrdimensionale Perspektiven.

4 Distanzierung und Vermittlung in Johanns von Soest Margreth-Roman Der Margreth-Roman Johanns von Soest ist in der Forschung sehr unterschiedlich beurteilt worden: „Wanneer men naar deze stalen het geheel beoordelen mag, dan is het niet anders dan eene zeer flaauwe, mislukte vertaling, die den stijl van het origineel geheel bederft“.1 Dagegen lobt Wirth das Bemühen Johanns, bestimmte Handlungen der Figuren besser als die Vorlage zu motivieren, und Swennen hebt Johanns Fähigkeit hervor, Andeutungen der Vorlage so darzustellen, dass der Rezipient sie sich bildlich vorstellen kann. Swennen bemängelt allerdings, dass die oftmals belehrenden Erweiterungen „der Erzählung völlig wesensfremde Akzente“ verliehen hätten.2 Eine Eigenständigkeit des Johann’schen Romans voraussetzend, sollen durch einen philologisch möglichst genauen Vergleich mit dem Roman Margriete van Limborch die von Johann durchgeführten Änderungen herausgearbeitet werden. Das dem deutschen Roman eigene Bedeutungspotential soll vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Gesellschaft und veränderter Leserbedürfnisse hinterfragt werden. Die Retextualisierung inhaltlicher Vorgaben des Prätextes lassen auf eine schöpferische Leistung des Heidelberger Wiedererzählers schließen, die Wahrheit und Geltung nach anderen als Kriterien der Originalität und auch der Übersetzung beansprucht. Im Folgenden sollen Regelmäßigkeiten und Widersprüche in der Adaptation der Vorlage wie auch Muster der Literarisierung gewandelter sozialer Normen sichtbar gemacht werden. Merkmale des MargrethRomans Johanns weisen ihn, so soll gezeigt werden, als Übergangsform zwischen den Traditionen des höfischen Romans vom Ende des 14. Jahrhunderts und den Neuanfängen des Romans im 16. und 17. Jahrhundert aus. Johann hat den Text seiner Vorlage zielgerichtet aus dem Kontext seiner Entstehung in einen neuen Kontext des späten 15. Jahrhunderts und einen neuen Rezipientenkreis überführt. Im Vergleich zu Buch I des Margriete-Romans übernimmt Johann nicht die Buchkomposition seines Prätextes (siehe Kapitel 2). Er prägt somit seine Wiedererzählung von vornherein durch eine klare Trennung von vorgegebenem Stoff und einer durch ihn an den Stoff angelegten Form. Johann behält jedoch den Fortgang der Geschehnisse auch in den einzelnen Erzählabschnitten bei, bis auf zwei Ausnahmen: Der Tod des Königs von Armenien wird vorgezogen (E 7:1715), während das Angebot Demophons, den Waffenstillstand zu verlängern und mit

1 Margriete (Ausg. Van den Bergh 1846/1847), S. XLI. 2 Wirth 1928, S. 93, Swennen 1978, S. 187. DOI 10.1515/9783110452518-004

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Echites nach Armenien zu reisen, später als im Margriete-Roman erzählt wird (E 8:1713–1721).3 In den Büchern 1–5 des deutschen Romans stimmt die Zahl der Verse weitgehend mit der des Prätextes überein. Kürzungen von Versen oder Versblöcken treten zu Anfang nur vereinzelt auf und betreffen hauptsächlich die wörtliche Rede.4 Auch Erweiterungen fügt Johann in den ersten Büchern gegenüber der Vorlage kaum ein. Interessant ist der Zusatz im Prolog zu Buch 2, der an die übermäßige Liebe als Ursache für die Zerstörung Trojas erinnert und Johanns Inte­ resse am Trojanischen Krieg und an antikem Erzählgut verrät.5 In Buch 1 und 2 benötigt er für die Abenteuer der weiblichen Hauptfigur insgesamt 173 Verse mehr als der Margriete-Roman. In Buch 3, das hauptsächlich Diskussionen und Kämpfe beschreibt, kürzt Johann (E 144 Verse weniger als B), in Buch 4 mit der Episode um Europa ist das Verhältnis eher umgekehrt (E 81 Verse mehr als B). In Buch 5, das die Abenteuer des Echites beschreibt, kürzt Johann wiederum (E 89 Verse weniger als B), vor allem durch eine knappere Darstellung des Zweikampfes zwischen Morant und Echites (B IV:976–1130, E 5:1018–1145). Im Aragon-Handlungsteil treten zwischen dem Roman Margriete van Limborch und dem Roman Johanns größere Unterschiede als in den ersten vier Büchern auf, denn vor allem hier erweitert Johann im Vergleich zum MargrieteRoman: 3971 Versen in der ripuarischen Handschrift entsprechen 4249 Verse in der deutschen Handschrift (B V:826–1907 und VI:2789 und E 6:1032–2244, 7:3036). Insgesamt haben die Bücher 6 und 7 des deutschen Romans 362 bzw. 247 Verse mehr als die ripuarische Handschrift. In Buch 8, das zwei Büchern des Margriete-Romans entspricht, kommen insgesamt Kürzungen von 186 Versen vor. In den Büchern 9–11 unterscheidet sich die Anzahl der Verse kaum vom ripuarischen Versroman (Buch 9 hat 54 Verse weniger als der Margriete-Roman; Buch 10 enthält 98, Buch 11 insgesamt 110 Verse mehr als der Margriete-Roman). Man könnte daher auf den ersten Blick annehmen, dass Johann hier seinen Prätext nur wenig verändert hat. Die Zahl der

3 Durch Demophons „frühes“ Angebot im Margriete-Roman (B VII:1596–1610, entspräche E 8:1500  ff.) erhält Echites bereits frühzeitig und vor dem Bankett am Abend vom Sarazenen eine Garantie für die Einhaltung des Waffenstillstands. Bei Johann bietet Demofoen sich erst nach dem Gespräch mit Esioene als Verbündeter der Christen an, sodass die Situation zunächst noch unsicher und gefährlich bleibt. 4 Margrietes Klage im Kerker kürzt Johann auf vier Verse (B I:1960–1983, E 2:965–968). Weitere Beispiele bei Wirth 1928, S. 87 und 89. 5 An anderer Stelle vergleicht er Heinrich mit Hektor (E 11:1969–1972). Durch Heinrich hätten die Trierer die gleiche Angst wie die Griechen im Kampf um Troja (E 3:1138–1140). Evax kämpfe wie Jason (E 6:1424).



Frömmigkeit und Tugendregeln 

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Verse allein ermöglicht jedoch nicht in jedem Fall eine adäquate Einschätzung der Bearbeitung, denn Johann hat vor allem in Buch 10 tiefgreifende inhaltliche Änderungen vorgenommen, ohne dass diese sich im Umfang niederschlagen (siehe Abschnitt 4.2.2). Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Text Johanns und dem Margriete-Roman werden in folgende inhaltliche Kategorien unterteilt: Frömmigkeit und Tugendregeln, Distanzierung der Erzählwelt und Anbindung an den Heidelberger Hof sowie Verständnissicherung.

4.1 Frömmigkeit und Tugendregeln Bei der Analyse von Johanns Roman hob die Forschung bisher vor allem dessen frommen und moralisch-didaktischen Charakter hervor.6 Für eine angemessene Rekonstruktion der Gebrauchssituation von Johanns Roman sind jedoch sowohl die Begleittexte als auch die kommunikative Funktion der Strukturen und Inhalte des Textes im Vergleich zum Prätext in den Blickpunkt zu rücken. Die Bedeutung von Frömmigkeit und Gottesfurcht wird in neu hinzugefügten Beichten, Gebeten und Bibelstellen manifest, aber auch in kleineren Änderungen zur Charakterisierung von Figuren.7 Im Margriete-Roman lobt Echites die Schönheit Margrietes (B I:1295), in Johanns Roman ihre Frömmigkeit (E 2:306). In gleicher Weise werden die Frömmigkeit des Kaufmanns (E 1:842), des Echites (E  2:1121) und die des Henrich (E 3:1328) hervorgehoben, ebenso die jeweilige Demut bei Gebeten oder anderen Handlungen (E 2:1178, E 3:190). Verschiedene Figuren bitten in Gebeten um Hilfe oder sprechen Dankgebete aus. In Johanns Version richtet Margreth Gebete direkt an Gott, während solche in der ripuarischen Version nur kurz erwähnt werden (E 1:218, 589–610). Der Kaufmann bittet Gott um Erlösung (E 1:260–263). Im Margriete-Roman lobt Margriete Gott und bittet, eingesperrt im Kerker, um Erlösung (B I:1911–1942), in Johanns Version dominiert ihre Bereitschaft, wie Christus den Leidensweg zu gehen (E 2:916– 950). Margreth bittet um Gottes Hilfe (E 1:182–188). Der Schultheiß rät Margreth dringend zu einer Beichte bei einem Priester, bevor sie hingerichtet werden soll

6 Wirth 1928, S. 74–84, nennt mehr als 200 Textstellen für lehrhafte Betrachtungen (siehe auch Bonath / Brunner 1975, Swennen 1978, Schnell 1984, S. 437–439, Schlusemann 1997). Schnell und Schlusemann thematisieren besonders die Unterschiedlichkeit der Bewertung der Liebe zwischen Evax und Sibille im ripuarischen und deutschen Versroman. 7 Siehe z. B. E 1:589–610; E 2:982–992; E 3:190–191; E 7:1140–1143, 1271–1277. Weitere Stellen bei Wirth 1928, S. 84. Wirth wertet die der Vorlage gegenüber gesteigerte Frömmigkeit qualitativ, die Swennen 1978, S. 156, als lediglich quantitative Änderung betrachtet.

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(E  2:982–992), Henrich geht vor seinem Kampf zur Messe (E 4:206–207), Evax spricht vor seinem Kampf mit Pyrus andächtig sein Gebet (E 7:146–150, 1141–1143 und E 7:1271–1277). Auf der anderen Seite wird bei Johann die Gegenwelt des Höllischen und des Teuflischen (E 1:875, 893) evoziert.8 Europa bittet Gott in einem Gebet, sie gegen Fromont, ihren Onkel mit „bosem syn“ (E 4:139), bei der Durchsetzung ihres Rechts zu unterstützen (E 4:171–182). Während der Margriete-Roman an nur wenigen Stellen (zu Beginn von Buch VII und XI) auf die Bibel Bezug nimmt, fügt Johann in seiner Retextualisierung oftmals Zitate aus der Bibel oder Hinweise auf Bibelstellen ein. Für Frömmigkeit als Bedingung für den Sieg verweist das Ich auf Worte des Makkabäers Judas (E 3:168–170, 2 Makkabäer 8,18), und in Bezug auf Treue nennt es biblische Worte (E 10:1040–1050, 1 Makkabäer 2,57). An verschiedenen Stellen bezieht es sich auf Samson (E 8:273, 953, E 10:1316 und Richter 13–16). Margreths Taten werden mit denen der Jüdin Esther verglichen, die die Juden vor der Verfolgung und Ausrottung durch König Artaxerxes auf Betreiben seines Ministers Haman gerettet hat (E 1:71–74 und Kapitel 3, Buch Esther im AT). Johanns Text nennt, ebenfalls in Erweiterung der Vorlage, verschiedene Heilige. Der Kaufmann bittet Gott und Sankt Katharina um Hilfe (E 2:1775), der Herzog von Lothringen ruft Sankt Bryx (E 3:964)9 und Sankt Johannes10 an (E 3:964), Evax schwört bei Sankt Sophia (E 6:205), die Kampfkraft des Evax wird mit der des Sankt Georg (E 6:235, E 7:1160) oder der des Sankt Mauritius (E 6:236) verglichen, und Sankt Paulus wird genannt (E 8:2671).11 Häufiger als im Margriete-Roman wendet sich Johanns Erzählerfigur mit Kommentaren oder Bitten an Gott. Manche, so sagt sie etwa, würden sich nicht für ihr Gottvertrauen schämen: „der gutten daet er sich nit schampt, / als etzlich, dy dan itzund leben, dy mee der welt dan got nachstreben“ (E 3:192–194) im Gebet des Henrich. Die Erzählerfigur bittet Gott um Unterstützung für Evax vor dessen Kampf gegen Pyrus (E 7:2410–2415). Damit bezieht der Erzähler, der eigentlich außerhalb der Erzählwirklichkeit steht, auch Stellung zu dem Geschehen inner-

8 Wirth 1928, S. 84–85, hebt die Frömmigkeit der Heidelberger Version hervor, bezieht sie dann aber sogleich auf die fromme Gesinnung des Autors. Bearbeitungstendenz und persönliche Haltung des Autors können zwar, müssen jedoch nicht kongruent sein. 9 Mit Sankt Bryx ist der Heilige Sankt Briccius bzw. Brictio gemeint (vgl. Margreth, Ausg. Klett 1975, S. 249). 10 Es ist nicht eindeutig, ob mit Sankt Johannes der Apostel oder Johannes der Täufer gemeint ist. 11 Nachdem Johann König Allorn von Trasen erwähnt hat, betont er, dass der Apostel Paulus in Tarsus (Kilikien) geboren wurde. Sankt Katharina, Sankt Sophia, Sankt Georg und Sankt Mauritius setzten sich als Märtyrer für den christlichen Glauben in besonderer Weise ein.



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halb der Erzählung. Zugleich verleiht er der Erzählfiktion einen außerfiktionalen Wirklichkeitsanspruch. Kurz nach dem Monolog Europas ermahnt der Erzähler in einem neuen Monolog die Rezipienten direkt zu Beichte und Gottesfurcht (E 4:207–240).12 Niemand, der gesündigt habe und diese Sünden beichte, brauche Angst zu haben. Diese Worte entstammen einem lateinischen Zitat (und dessen Übersetzung), das der Erzähler Seneca zuschreibt (E 4:226–232).13 225 230 235

Dan welcher nit gotvochtig ist Der ist vertzagt tzu aller frist. Das wurt gar clerlichen bewert Durch Seneken, der ons das leert, Also sprechend in eyner sum: Nil aliud dat timidum, Nisi sit conscientia Reprehensibilis sua Das ir dan solt also verston: Keyn mensch der wurt myt focht ombfon, Es sy dan sach in warem won, Das er hab sond und ubels don. Dar umb, wanne das eyn gebicht, So wurt er von der sond erlicht Und so ontbunden off den tag Und dester kecker strytten mag. (E 4:221–236)

Dieser belehrende Kommentar des Erzählers ist mit mehreren nota- bzw. nota-bene-Zeichen hervorgehoben und auf der recto-Seite rechts neben dem Text mit einem Längsstrich markiert (vgl. Kapitel 2). Durch die genannten Änderungen bindet Johann stärker als seine Vorlage die Erzählwelt des Romans in einen biblisch-christlichen Bezugsrahmen ein. Indem Gott und Heilige angerufen werden, lässt er seine Figuren als Vorbilder für die Rezipienten agieren und ermahnt diese indirekt, in schwierigen Situationen ebenfalls Gott nicht zu vergessen, sondern ihn in Gebeten oder Messen um Hilfe zu bitten. Er untermauert diese Absicht mit Versen zur Gottesfurcht auf der Metaebene des Kommentars. Frömmigkeit und Gottesfurcht der Figuren in der Erzählwelt stehen beispielhaft für eine Frömmigkeit und Gottesfurcht, wie sie sich der Erzähler für die Rezipienten wünscht.

12 Weitere Bitten an Gott durch den Erzähler: E 8:640, E 8:1249. 13 Die Zuschreibung an Seneca ist falsch.

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Auch in profaner Hinsicht ist es das Bemühen des Autors, die Rezipienten zu erziehen. Neben Warnungen und Ermahnungen sind oftmals allgemeine Sentenzen und Lehren eingeflochten.14 Zu Beginn des Romans manifestiert sich eine doppelte Zielsetzung, wenn in der ersten Überschrift auf die vielen „hubschen leren“ und zugleich die „hubsche […] eventur“ hingewiesen wird. Der deutsche Autor formuliert explizite Lehren und Deutungsansätze in nahezu allen Prologen (siehe Kapitel 2.3.2). Das ganze Buch sei „lustlich tzu lesen und auch zu horn“ (E 1: S. 3). Damit rekurriert Johann auf Termini, die im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in zunehmendem Maße, vor allem auch in frühen Drucken, die jeweiligen Werke anzupreisen versuchen. Mit der Nennung von Tugenden wie „barmhertzigheit“, „milticheit“ und „zyttlich togent“, die in dem Buch zu erlernen seien, entwirft der Prolog zu Buch 1 das didaktische Programm des ganzen Romans (E 1:33–35). Ritterliche Tugenden des Margriete-Romans weichen überwiegend christlich-ethischen Kategorien: In der Exposition am Anfang von Buch I lobt der Margriete-Roman Ottos Mut, seine Tugend, Demut, Beredsamkeit und Geschicklichkeit (B I:41–42). Diese Charakteristika ersetzt Johann durch Zucht, Ehre, Glauben, Wahrhaftigkeit und Männlichkeit (E 1:98–99).15 An anderen Stellen fügt Johann Erzählerkommentare oder abwertende Bemerkungen einzelner Figuren zu moralisch verwerflichem Handeln wie Verrat ein: 1325

Sy fragten nit, ob es myt eern Gescheg, alleyn ner das sy wern Mit rw, got geb, wy es gescheg. Sus machten sy kurtzlich eyn weg, Dy boswicht, durch verretery, Das sy den fromen ritter vry Omb morgen frw yn lybern wollten. (E 3:1323–1329, vgl. E 3:1461–1480, E 4:49)

Allgemeine Kommentare zu gutem Benehmen und konkrete Ratschläge an die Rezipienten zur Vermeidung schlechten Verhaltens integriert der Erzähler ab Buch 6 immer häufiger. Die Gefährlichkeit des Lobes wird besonders betont (E 6:981–1000). Nur maßvolles Lob sei gut, empfiehlt er dem klugen Mann, über14 E 7:2343–2344, E 7:947–2962. Eine Übersicht bietet Margreth, Ausg. Klett 1975, S. 256–257. 15 Auch an anderen Stellen wird die Bedeutung von Zucht, Ehre und guten Sitten immer wieder hervorgehoben: E 1:451, 683–686, 768, 1072; 2:70, 683, 1160, 1270; 4:38, 782, 1117; 5:1757; 6:33 („Evax blom der eer und tzucht“), 2344–2345, 2518; 7:394; 8:383, 1219 (der alte Graf von Athen „eyn alter her von hoghen zytten“); 10:138 („eerbarlich tzuchtig gekleit“), 173, 175, 214, 235, 452 („togensam“), 566–567, 575; E 11:1146, 1170.



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mäßiges Lob sei zu verachten: „doch wyser man, nym das in acht, / wan men dich lobt, das selb veracht!“(E 6:1030–1031).16 Auf der anderen Seite würde manchem nicht gedankt, der sich für eine Sache besonders eingesetzt habe (E 6:1970–1981). Auch zur Bestechung bei Abstimmungen äußert sich die Erzählerfigur. Oftmals werde gesagt: „Ge, nym x gulden vor dyn stym!“, und dann fährt sie fort: 2365

Wy duck weent ir wol, ess geschee Ontzwifel hy in eyner nehe? Wan men sy sycht, men fond yr vil, Dy sich betraghen durch das spil. Wolt got, das ess eyn furst mocht wyssen, Wy sy so ser des syn geflyssen. Von dyssen auch worn in dem rat. (E 7:2360–2367)

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Bemerkungen sich direkt auf das Leben am Heidelberger Hof beziehen, wie auch Äußerungen zur Berufsgruppe der Sänger autobiographische Züge tragen, denn in vielen neu hinzugefügten Versen wird vor allem deren Gottverbundenheit betont (siehe auch Abschnitt 4.2.2). Verschiedene Einschübe thematisieren überwiegend Lebensregeln der sittlichen Reinheit, im Besonderen auch die Bedeutung der Bewahrung der weib­ lichen Ehre:

Ich warn uch, juncfrawn al gemeyn, Wolt yr syn ombefleckt und reyn, Das yr nit geit, da dan tzu don, Dy man haben, so blybt yr schon. (E 4:697–700)17

Den Autor Johann scheinen vor allem solche Episoden zu Kommentaren zu veranlassen, die gesellschaftlich problematische Liebesverhältnisse erzählen. Dazu gehören die Beziehung zwischen Echites und Margreth zu Anfang des Romans ebenso wie die Affäre zwischen Henrich und Europa in Buch 4 sowie die Ehebruchsgeschichte zwischen Evax und der Königin von Aragon in Buch 6 und 7. Die Beurteilung dieser Handlungsweisen ist unzweideutig und bezieht anders als

16 Siehe zur Bedeutung der „wisheit“ auch den Prolog in Sebastian Brant, Das Narren schyff, zum Beispiel im Druck Basel 1494. 17 An anderen Stellen wendet sich die Erzählerfigur direkt an die Leser mit der Ermahnung, die eigene Ehre unter allen Umständen zu schützen (z. B. E 7:1507–1514). Die Ergänzungen warnen zudem vor den sexuellen Lüsten der Bauern (z. B. E 7:2620–2628).

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im Margriete-Roman eine klare Position. Als Margreth gefangen genommen wird, lässt Johann die Erzählerfigur die Unschuld Margreths kommentieren: Sie, die blühende Rose, habe durch die ihr zugefügte Gewalt alle Farbe verloren (E 2:811– 818).18 Zu dieser Tendenz passt auch, dass moralisch verwerfliche Handlungsweisen wie die der Gräfin und ihres Ehemanns stärker als in der ripuarischen Version akzentuiert werden: Bevor Echites nach Armenien abreist, schwört seine Mutter durch Handauflegung, und sein Vater verspricht, Margreth nichts zuleide zu tun (E 2:525–533, 566–568). Indem beide Elternteile ihre Versprechen brechen, vergrößert sich ihre Schuld. Sie sind noch unzuverlässiger und unglaubwürdiger als im Margriete-Roman.19 In Johanns Roman wird der Stolz der Gräfin als negative Eigenschaft mehrmals hervorgehoben (E 2:1075, 1077). Während sie im MargrieteRoman noch ihre Haltung bewahren kann und über Margriete als „jonffrouwe“ spricht (B I:209), ist Margreth bei Johann für sie eine „boswychtyn“ (E 2:1078). Statt einer Entschuldigung bietet die Gräfin Margreth hier Silber und Gold als Wiedergutmachung an (B I:2440–2447, E 2:1431). Die Eigenschaften der Gräfin bilden einen Gegensatz zu Margreths Güte, ihrer Demut und Frömmigkeit, mit gegenüber der Vorlage gesteigerter Vorbildlichkeit.20 Die Orientierung der Lebenspraxis an christlicher Moral und Weisheit scheint gültig vorgegeben zu sein und beeinflusst das Wiedererzählen in Johanns von Soest Version, wie ausführlicher anhand von drei Erzählabschnitten gezeigt werden soll, der Aragon-Episode, der Episode zwischen Henrich und Europa und dem Königsspiel in Buch 11. Im Prolog zur Aragon-Episode werden die weiblichen Rezipienten ermahnt, sich nicht Königin Sibille zum Vorbild zu nehmen, sondern die ganze Geschichte als warnendes Exempel zu verstehen: 20

Du solt off mercken hy alleyn Wy du eynem sol wider steyn Der dich also tzum boeln begert Das du nit werdes so oneert Als Sybilla dy koninghyn

18 Auch an späterer Stelle ergreift der Erzähler explizit Partei für Margreth, indem er auf einen guten Ausgang des Geschehens für sie hofft (E 2:1265–1266). 19 Die Annahme Wirths 1928, S. 11, in Johanns Roman versuche die Gräfin nicht, Margreth von ihrer Zauberei abzubringen, und sie sei daher schlauer, hinterlistiger und skrupelloser als im Margriete-Roman, ist nicht überzeugend. In beiden Romanen beteuert die Gräfin ihre Unschuld und wird zur Feuerstelle geführt. 20 Der Satz „die maget sade“ (B I:2190) wird zu „sy sprach uss demutigher bed“ (E 2:1177). In der Aufzählung ihrer Eigenschaften unterscheiden sich alle drei überlieferten Versionen. Übereinstimmend nennen A, B und E, dass sie „stille“ (A I:1006, B I:998, E 1:1167) und „schamhaft“ (A I:1005, B I:998, E 1:1167) sei. A nennt gegenüber B zusätzlich „hovessch“ (A I:1007).



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Geonert wart durch venus myn. Das selbig sy dyr eyn exempel, Nit lass tzerstoren dynen tempel Off das du nit an lyb und seel Schentlich verderbest gantz geheel. Tzu dissem ist dy beste konst, Das men tzu myden hab eyn gonst, Dan war bywesen stetigs ist, So wyrt verfurt durch argelist Eyn iglich, sy sy, wer sy wol. Da omb eyn juncfraw myden sol. (E 7:17–32)

Außer einigen Änderungen bei der Darstellung von Evax’ Seelenzustand werden auch in dieser Episode Werte wie „tzucht“ (E 7:338, 394, 439, 454), „erbarheit“ (E 7:394) oder adjektivisch „wyrdiglich“ (E 7:444), „syttiglich“ (E 7:432) oder „reyn“ (E 7:338) betont. Während Sibille zu Anfang noch als „das aller schonste, hubste wyb“ (E 7:45) beschrieben wird, die vorher „von so gutter art“ gewesen sei (E 7:1506), äußert der Erzähler nach ihrem Versprechen, Evax nach Santiago zu folgen, sein Entsetzen darüber, dass sie zu einer „armen huren“ wurde (E 7:1505). Direkt daran schließt er einen neuen Kommentar mit der Bitte an die Rezipienten an, ihre Ehre zu bewahren und vor denjenigen zu fliehen, die nach der Ehre trachten: 1510

Ich bit uch al, wolt syn bewart, Wanne das ir solichs erfart Welcher der staet nach ewer eer, Von dem so solt yr flyhen ver Und nichtz tzu saghen keynerley So mogt yr fur ym blyben vry. Thut yr des nit, gedenckt an mich, Ir kompt tzu schaden sicherlich. (E 7:1507–1514)

Die Aragon-Episode im Margriete-Roman als bewusst gesetzte positive Umkehrung des Tristanschemas kann diese Funktion erst dann erfüllen, wenn der Liebhaber oder der Ehemann nicht mehr da sind. Im Margriete-Roman löst sich die Spannung, nachdem der alte König von Aragon gestorben ist. Auf der Ebene der Erzählung sind zwei Perspektiven zu unterscheiden. Die Gesellschaft in Aragon weiß durch die List und die Geheimhaltung des Jonas und der Coleta nichts vom Ehebruchsverhältnis. Die Geliebten sind jedoch durch den Ehebruch und den damit verbundenen Tabubruch in ihrer Position außerhalb der Gesellschaft gefangen. Die Grenze, die zwischen dem Paar und der Gesellschaft entstand, ist unüberwindbar. Dies führt zur Erkenntnis der Unrechtmäßigkeit und dazu,

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dass sie ihr Liebesverhältnis aufgeben und es erst nach dem Tod des Königs und der Ernennung Evax’ zum neuen König wieder aufnehmen. Die Aragon-Episode des Margriete-Romans gewinnt durch die lange Spannung, ob das Verhältnis zwischen Evax und Sibille innerhalb der Gesellschaft wieder hergestellt werden kann, ihre Faszination. In Johanns Roman wird diese Situation übernommen, jedoch mit dem bedeutsamen Unterschied, dass der König von Aragon in dem Moment stirbt, als er vom vermeintlichen Tod seiner Frau erfährt (E 7:1715), noch bevor Evax und Sibille sich in Santiago getroffen haben.21 Auch wenn das Liebespaar es nicht weiß, ist unter Beibehaltung der Grundkonstellation die Verbindung zwischen Sibille und Evax für den Rezipienten kein Ehebruch mehr. Indem Johann den Ehebruch als zwar außereheliches, aber nicht mehr ehebrecherisches Beisammensein auflöst, reduziert er die moralische Spannung − auch wenn die Beziehung innerhalb der Erzählwelt für die beiden Liebenden ehebrecherisch bleibt. Johann eröffnet über diesen Eingriff also viel früher die Möglichkeit der Auflösung des Konflikts, die Kombination von Liebe und Herrschaft. Die Tristan-Beziehung mit den Implikationen des Konflikts zwischen Paar und Gesellschaft wird für den Rezipienten bereits an dieser Stelle in die Möglichkeit eines Artusschemas umgewandelt, das demonstriert, wie die Legitimation von Herrschaft verdient werden kann. Heinric, der sich auf der Suche nach seiner Schwester befindet, trifft unterwegs auf Europa, die unglückliche Gräfin von Mailand, die von ihrem Onkel Fromont um ihr Erbe gebracht werden soll. Heinric gewinnt den Zweikampf gegen Fromont, wodurch Europas bereits vorher zu ihm entbrannte Liebe immer stärker wird. Als Heinric ein Heirats- und Herrschaftsangebot der Mailänder abweist, begibt sich die Gräfin nach längeren Überlegungen nachts in sein Schlafgemach. Die unterschiedlichen Versionen des sich dort ereignenden Geschehens in den drei Margriete-Fassungen zeigt die folgende Übersicht:22 Margriete van Limborch 1. He (Fromont, R. S.) woende wale                                                         sicherlich Tzu voerentz haven al gewonnen Mer wildes Got der maget gonnen

Margreth von Limburg 1. Dy magt betrubt sich mancherley Und sprach: ‚ach got, itz stee myr by! Du weyst doch, her, das ich recht hon, Also ein iglicher sol don.

Historie van Margarieten 1. –

21 Im Margriete-Roman hört Evax erst auf dem Rückweg nach Aragon vom Tod des Königs, also nachdem er bereits mindestens drei Jahre vom Hof entfernt gelebt hat. 22 In der Tabelle bedeutet das Zeichen „–“, dass sich in der betreffenden Version keine Entsprechung findet, das Zeichen „=“, dass in der betreffenden Version etwas Vergleichbares, jedoch nicht unbedingt wörtlich Gleiches im Vergleich zu den anderen Versionen vorhanden ist.



Die up hoere recht striden sal So en haet he nyet gewonnen al. (B III:154–158)

2. Vorbereitungen zum Kampf 3. –

4. Heinric gewinnt den Kampf 5. Heiratsangebot der Mailänder 6. er lehnt Heiratsangebot ab 7. Klage Europas 8. –

9. Mahlzeit am Abend 10. nachts neue Klage Europas 11. „Helpe wat wyest mich die minne Ich ben eyn dat armste wijff Dat ye untfinc tzer werelt lijff“ (B III:566–568) 12. Europa geht zu Heinric und wieder zurück zu ihrem Zimmer

Frömmigkeit und Tugendregeln 

Ist das nit swer? der myr gewant Ist, nympt das myn onrecht erkant Und mych gern von dem lande schecht. Das dan ist wyder got und recht Ich bit dich got, myn schepffer hye, Dan du das recht verlyssest nye, Lass myr geschehen nach mynem                                                                        woen Nit wytter doch, dan ich recht hon! (E 4:171–182) 2. = 3. Dan welcher nit gotfochtig ist, Der ist vertzagt tzu aller frist. Das wurd gar clerlichen bewert Durch Seneken, der ons das lert, Also sprechend in einer sum: ‚Nid aliud dat timidum Nisi sit conscientia Reprehensibilis sua.‘ (E 4:221–228, am Rand nota bene und mit Tinte ange­ strichen) 4. = 5. = 6. = 7. = 8. Was das nit toricht von der magt Das sy ir hertz durch den so gnagt, Der sy yn keynen weg begert? Er solt myr syn noch mee onwert Dan ich ym weer, wan myrs gescheeg. Dar tzu, ye flucser er eyn weeg Von myr keem, ye myr lyber weer. (E 4:533–539, mit nota-Zeichen, 534–536 angestrichen) 9. = 10. = 11. –

12. =

2. = 3. –

4. = 5. = 6. = 7. – 8. –

9. = 10. – 11. –

12. –

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

13. „Hulpe wat mich mynne wijt Dat ich zu bedde suecken gäe Eynen ridder, de wenich nae Wacht off penst off wacht Ende nyet nä mich en acht Ditz laster groesse ind unere Itz besser vele dat ich kere.“ (B III:610–616) 14. Europa geht zu Heinric

15. Mit dese toech he sij zu hoem wart Ende der ridder onverveirt Aneverde die maget soene Dat hadde he van hoer tzu loene. (B III:655–658)

16. Abschied

13. Ich ween, das ich myn syn                                                                    misbruch, Das ich eyn man tzu bette such Pfey mich, ich don des nummerme! (E 4:649–651)

13. –

14. Owe, wy onkrefftig und leer … Syn solche wort, wan es so staet! Ich sag dyr, wyltu blyben from, So hut dich starck und gantz! nit kom, Da dan eyn man hot syn gemach! … Ich warn uch, juncfrawn al gemeyn Wolt yr syn ombefleckt und reyn, Das yr nit geit, da dan tzu don, Dy man haben, so blybt yr schon. … Eer ist das allerkostbarst gut Off ertrich, sprich ich uber lut. (E 4:683–724) 15. Her Henrich nam dy magt myt macht Tzu ym und sy beslyff dy nacht Und macht sy swangher off dy tzyt (E 4:725–727)

14. –

16. =

15. Heyndric die was ghelogiert in der maecht camere. ende dese maecht europa van melanen die was in liefden op heyndric ontsteken. ende si stont des nachtes op van haren bedde ende si ghinck bi heyndric onder in sijn bedde. Ende doen heyndric wten slaepe ontspranc verwonderde hi hem. hoe die maecht bi hem onder was comen. mer natuere die wrocht also. dat heyndric haer be­vruchte. ende wan aen haer enen sone. (P 50:69–79) 16. =



17. Nu vert der ridder sijnre strässen De die jonffrouwe hait geläyssen Mit kinde bevoen (B III:767–769)

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17. Sus reyt her Henrich fur sich bass Dy juncfraw von ym swanger wass (E 4:831–833)

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17. Daer was een alten gro­ten drucke ­tusschen hem beyden eer heyn­ drick van haer schiet. ende aldus reet hy sijn­ der veerden ende lietse alleene (P 54:26–29)

Im Margriete-Roman zeigt das erste Zitat in der linken Spalte die Selbstsicherheit des Fromont, die dem Recht Europas gegenübersteht, wie der Erzähler betont. Hier vertraut der Erzähler auf die Gerechtigkeit Gottes. Im deutschen Verstext wird die Bitte um Gerechtigkeit direkt an den Schöpfergott gerichtet und in ein Gebet Europas eingebettet. Nach den Vorbereitungen zum Kampf folgt hier noch ein kennzeichnender Zusatz des deutschen Bearbeiters Johann von Soest, der zur Gottesfurcht ermahnt und seine Aufforderung mit einem lateinischen Zitat unterstützt. Die Bedeutung dieser Passage unterstreichen das vom Autor oder einem Rezipienten eingefügte nota-bene-Zeichen sowie die Markierung neben dem Vers­ text.23 Nach der Ablehnung des Heiratsangebotes durch Heinric reflektiert Europa nachts über ihre Liebe und das sich darauf gründende Dilemma zwischen ihren Emotionen, die sie dazu drängen, zu Heinric zu gehen, und der ihr diesen Weg untersagenden gesellschaftlichen Norm. Im Margriete-Roman sieht Europa die Kraft der Minne als Ursache für ihr gegen die gesellschaftlichen Regeln verstoßendes Verhalten (B III:566–568, 610–616), das auch hier, wie an anderen Stellen des Romans, nicht vom Erzähler kritisiert wird. Heinric zeugt mit Europa ein Kind und wird am Ende von Buch III für zwei Jahre in der Venusburg in Liebeslektionen unterwiesen, aber weder Heinric noch Europa werden für ihr Verhalten bestraft. Das Kind, Olivier, wird als Ritter mit dem goldenen Kreuz zwischen den Schultern geboren und später König von Spanien. Der Margriete-Roman zeichnet sich durch diese Spannung zwischen Theorie und Praxis aus. Man kann ihn als einen Diskurs über die Widersprüchlichkeit der Minne lesen, wie auch z. B. die Episoden vom Ehebruch Sibilles (Buch VI) und die Diskussion über die Minne im Königsspiel in Buch XI den möglichen Konflikt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, aber auch das Wesen der Minne an sich thematisieren. Offensichtlich erfreute sich diese Thematik großer Beliebtheit beim höfischen Publikum des 14. 23 Siehe das Original auf der Webseite der UB Heidelberg (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/cpg87, fol. 87r). Im Prosaroman spielen an dieser Stelle die Elemente des Rechts und der Gerechtigkeit Gottes keine Rolle.

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und 15. Jahrhunderts im brabantischen, flämischen und ripuarischen Sprachraum, das, wie die reiche Textüberlieferung vermuten lässt (vgl. Kapitel 1.4), an diesen Fragen im Besonderen interessiert war. Betrachtet man nun den deutschen Versroman, werden zwar alle Aspekte der Szenen beibehalten, aber, wie bereits bei den Kampfvorbereitungen, ausführlich kommentiert. Der Erzähler hebt das törichte Verhalten Europas hervor und richtet sich schließlich mit der eindringlichen Warnung vor solch einem Verhalten direkt an die weiblichen Rezipienten des Romans (E 4:533–539, 683–724). Ehre, Keuschheit, Unbeflecktheit seien die höchsten Güter, die eine Frau unter allen Umständen bewahren müsse. Johann von Soest dirigiert somit seine Übertragung in eine Richtung christlicher Moralisierung. Er nimmt gegenüber seiner Quelle kaum Änderungen am Handlungsverlauf vor, verurteilt jedoch das gegen gesellschaftliche Regeln verstoßende Verhalten der Figuren nachdrücklich in seinen Kommentaren. Damit versucht er von Anfang an die Rezeptionsrichtung zu steuern, während im Margriete-Roman gerade das Fehlverhalten der Haupt­figuren dieser Episode und dessen Korrektur durch die Figuren selbst den Kern der Erzählung bilden. Diesen Weg der Läuterung verdeckt Johann in gewisser Weise durch die Eindimensionalität der hinzugefügten Kommentare. Im niederländischen Prosaroman wird das Problem des die gesellschaft­ lichen Normen verletzenden Verhaltens in der Mailand-Episode auf eine andere Weise gelöst. Mehrere offensichtlich pikante Textstellen wurden gestrichen, so der Monolog Europas, der ihren inneren Konflikt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit thematisiert, aber auch der Passus über die Allmacht der Minne. Vielmehr geht der Autor der schwierigen Entscheidung Europas, ob sie sich in Heyndrics Zimmer begeben soll, dadurch aus dem Weg, dass er sie beide in einem Zimmer übernachten lässt (P 50:69–79). Und darüber, wie die Jungfrau in sein Bett gekommen ist, kann sich Heyndric nur wundern. Die Natur bewirkt, dass die Herzogin „bevrucht“ ist. In der Allegorie der Venusburg übernimmt Johann weitgehend die Aufzählung der Laster, allerdings ändert er die Todsünde der gula durch „boswicht, schelck“. Darin manifestiert sich die generelle Tendenz seiner Retextualisierung des Prätextes zu einer moralisierenden Ethik, wie auch in der Beschreibung der Venus mit dem Zusatz „tzuchtig schon mit hubschen sytten“ (E 4:1270). Johann ist sehr bemüht, unehrenhafte Liebe als „gyfftigs boses krut“ (E 2:7) zu präsentieren, und verändert in auffälliger Weise gerade die Aragon-Episode. Statt eines alleinigen Vorwurfs an Frau Venus wie im Margriete-Roman (B VI:1468–1485),24

24 Johann verfährt in einer Kombination von Schuldzuweisung an Frau Venus und an die Hauptfiguren Sibille und Evax (z. B. E 7:1785–1793, 1503–1506, 1684–1691).



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der gleichzeitig von der Schuld des Liebespaares ablenkt, ist der Heidelberger Roman mit Vorwürfen an Evax und Sibille gleichsam übersät. In direkten Kommentaren bezeichnet der Erzähler die Liebe des Evax als böses Gift (E 7:2013), in der Handschrift hervorgehoben mit nō-Zeichen und rot angestrichen. Evax sei wie Agamemnon, der deswegen sogar gestorben sei.25 Evax’ Verhalten sei zu verurteilen, da er nach der königlichen Ehre trachte. Sibille sei eine Hure in einer erbärmlichen Lage (E 7:1503–1506, 1684–1691, 1785–1793).26 Der Erzähler lässt sich zu exklamatorischen und den Rezipienten in die Bewertung der Situation einbeziehenden Ausrufen hinreißen wie: „ach arm, wy wart dy fraw verfurt“ (E 7:1623, mit nō-Zeichen). Ihre Lage sei „ellendiglich und erbermelich“.27 In manchen Fällen ergänzen direkte Ermahnungen an die Rezipienten, im Besonderen an die Frauen, nicht so wie Sibille zu handeln, sondern ihre Ehre und Reinheit zu bewahren, die Erzählerkommentare (E 7:1507–1514, 2029–2041, 2945–2966): 1630 1635 1640

Ich bit uch, fursten al gemeyn Und furstynnen, wolt yr syn reyn, Das uch nit uber gee das leyt. Alleyn thut uch von denen wyt, Dy so felschlich myt uch omb geyn, Uch tzu betrighen ondersteyn. Dan wan yr nit syt from bewert, So syt yr nit eyns hellers werd. Nympt eyn exempel myr tzu willen An disser koninghyn Sibillen! Nit laest uch so in keynen weg Verfuren durch enygs beheg! Ir syt dar tzu tzo hog geborn, Das spil wurd suss gentzlich verlorn. (E 7:1627–1640)

Die Liebe des Evax zu Sibille definiert das Ich als „boess venyn“. Dieses Verdikt ist mit einem nō-Zeichen hervorgehoben, ebenso wie der Kommentar zur unsäglichen Liebe zwischen Evax und Sibille (E 6:1997–2041).28 Als ob der Autor Angst habe,

25 Dies geschieht in einem Zusatz von mehr als 50 Versen (E 7:1997–2041). Hier zeigt sich Johanns Kenntnis der griechischen Mythologie. 26 Die Textstelle E 7:1503–1506 wird mit Zeigehand und roter Markierung hervorgehoben. 27 E 7:1716–1717 (ebenfalls links und mit nō-Zeichen markiert) und die oben genannten Textstellen. 28 Sibilles Gedanken zur Minne kürzt Johann und verlegt sie in einen späteren Abschnitt (E 6:1987–1996 und B V:1611–1640).

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

die ganze Episode könnte missverstanden werden, gibt er im Prolog zu Buch  6 Anweisungen für die Rezeption. Der Text demonstriere als Exempel, wie eine Frau einem Mann, der sie „tzum boeln“ begehre, widerstehen könne (E 7:12–32). Es stellt sich die Frage, ob mit einer solchen Sinnkonstituierung der Didaxe die Funktion des Johann’schen Romans in genügendem Maße bestimmt ist. Gerade durch die Hinwendung zu moralisch-didaktischen Erörterungen drängt sich die Frage auf, inwieweit sich die explizite Moralisierung mit dem narrativen Deutungsangebot deckt. Auch Johann scheint sich der Gefahr der Darstellung von moralisch-ethischen „Grenzsituationen“ bewusst zu sein. Als sich der Kaufmann in Venedig Sibille gewalttätig nähert, wehrt sie sich wie eine Löwin (E  7:2929) und behält auf diese Weise ihre Ehre und Reinheit (E 7:2939–2944). Direkt im Anschluss an diese Szene beteuert Johann, es sei keine Schande, solches zu dichten, denn es solle den Rezipienten dazu anleiten, sich auch selbst zur Wehr zu setzen und das Böse zu überwinden. 2945

Auch ist keyn schand, sollichs zu dichten. Men sol dy schelck also uss richten Und habt von myr dis leer gemeyn So vil als ewer moghen syn. (E 7:2945–2949, siehe auch die folgenden Verse)

Johann begründet seine Dichtung mit dem Anspruch, genau an die Erfahrungswirklichkeit der Leser anzuknüpfen. Er schildere das, was dem einzelnen Leser auch zustoßen könne. Der Text biete dann eine Instruktion für eine adäquate Reaktion. Johanns Erzählen ist somit nicht nur ohne einen „im weitesten Sinne praktischen Orientierungsanspruch“29 nicht denkbar, sondern gerade von einem deutlich auf die Lebenspraxis gerichteten Anspruch geprägt. Im Margriete-Roman zeigt sich in vielfältiger Weise die Kraft der Minne. Als Diskurs über das Wesen der Minne und deren komplexe Verschränkung mit Herrschaft bietet die Erzählwelt dieses Romans wie die in Johanns Roman Widersprüchlichkeiten, die sich oftmals einer eindeutigen Perspektivierung verschließen, wie z. B. Heinrics Aventiure mit Europa. Die positiven Figuren zeigen zeitweise bedenkliche Verhaltensweisen, um diese dann zu überwinden und einen höherwertigen Status der Läuterung und Affektbeherrschung zu erlangen. Indem er in seinen Begleittexten das Ich die Minne als zerstörerische Macht bezeichnen lässt, verfolgt Johann ein bestimmtes Ziel. Auf diese Weise soll die Gefahr minimiert werden, dass die im Roman dargestellten verderblichen Handlungsweisen eine Faszination ausüben. Aber gleichzeitig engt er den Bedeutungsrahmen

29 Müller 1985, S. 78.



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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seines Textes in beträchtlichem Maße ein. An der überwiegend indirekten und unkommentierten Minnedarstellung seiner Vorlage in den Heinric- und Evax-Episoden nimmt er Anstoß. Man kann bereits im Margreth-Roman wie in den späteren Prosaromanen eine Tendenz zum Erklären und Erhellen feststellen: „Tout dire tout expliquer … la prose tend à l’élucidation“.30 Die Rezipienten werden vor der Anziehungskraft und den Gefahren einer solchen Minne gewarnt und dazu aufgefordert, den bösen Gedanken zu widerstehen (E 7:18). Begleittexte bieten, vermittelt durch die Erzählinstanz, Anweisungen für eine vom Autor intendierte, angemessene Aufnahme des Textes. Indem der Erzähler als moralische Instanz auftritt, offenbart er indirekt die vom Autor vermuteten Gefahren der Freisetzung von Fantasien und Reizen. Als ob der Autor befüchte, sein „grob dichte“ könne ihm vorgeworfen werden, bittet er im Vorhinein darum, es ihm nicht zu verübeln, dass er es geschrieben habe (E 7:2959–2960). Die Frage stellt sich, ob eine derartig moralische Zuweisung den Rezipienten wirklich zu erreichen vermag, vor allem weil, wie gezeigt, auch die positiven Helden – zumindestens zeitweise – bedenkliche Verhaltensweisen zeigen.

4.2 Distanzierte Erzählwelt und ihre Anbindung an den Heidelberger Hof 4.2.1 Distanzierung der Erzählwelt Aufgrund der Entscheidung, den Margriete-Roman zu retextualisieren, kann Johann, wie gezeigt, mit einer explizit formulierten Didaxe verschiedene Formen der in der zeitgenössischen Gesellschaft nicht akzeptierten Liebe verurteilen. Darüber hinaus weist Johanns Roman im Vergleich zum Margriete-Versroman Merkmale auf, die den Text für ein Publikum am Ende des 15. Jahrhunderts leichter zugänglich machen. Während die Prosaromane des 15. und 16. Jahrhunderts Identifikationen überwiegend außerhalb ethisch-höfischer und ständisch-aristokratischer Normen bieten, nimmt Johanns Roman zwischen dem späthöfischen Roman und dem frühen gedruckten Prosaroman eine Zwischenposition ein. Johann präsentiert zwar eine höfische Erzählwelt, aber durch Mittel wie ­Distanzierung „verfremdet“ er die Erzählwelt des Textes zugleich an vielen Stellen.

30 Poirion 1978, S. 74–81.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Im Margreth-Roman werden Sachverhalte und Handlungen kürzer und zugleich wertend geschildert. Dadurch erhöht sich die Distanz zwischen der Erzählwelt und dem Rezipienten. Vor allem Reden, Beratschlagungen und Gespräche werden gekürzt, indem sie oftmals zusammengefasst werden. Der König von Böhmen begibt sich im Margriete-Roman zum Zelt des Herzogs von Lothringen und berichtet ausführlich in direkter Rede von der Bereitschaft der Stadt Trier, Heinric auszuliefern (B II:1364–1398). Im Margreth-Roman teilt der Erzähler kurz das Ergebnis der Beratungen mit (E 3:1290–1299).31 Bei der Darstellung von Beratungen und Gesprächen folgt der Rezipient des Margriete-Verstextes der Entwicklung und der Entscheidungsfindung direkt. Er nimmt die Position eines Zuschauers ein, der das Geschehen beobachtet. Im Margreth-Roman wird das Ergebnis einer Beratung wie eine Art „Nachrichtensendung“ über etwas bereits Geschehenes zusammengefasst. Johann kürzt Streitdialoge oder entscheidungsfindende Gespräche. So wird z. B. das lange Gespräch zwischen Jonas und Evax über Evax’ Plan zu verschwinden (B VI:1376–1476) ergebnisorientiert als Nachricht über den Entschluss dargeboten: „Und ted furbass nach yrem syn,  / Wy sy ym dan befollen hat“ (E  7:1484–1485).32 Das kürzere und prägnantere Erzählen erleichtert dem Rezipienten das Verständnis. Die Tendenz der Distanzierung wird durch den Wechsel von direkter zu indirekter Rede unterstützt (z. B. E 8:2034–2049 und B VIII:295–350). Kürzungen treten häufig auch bei der Darstellung von Kampfhandlungen auf. Zum einen werden die Kampfhandlungen als solche komprimiert erzählt, indem z. B. der Vergleich von Echites’ Vater mit Roland und Olyvier ausgespart wird (E 8:1217–1277 und B VII:1253–1341)33 oder Nebenhandlungen oder Natur­ beschreibungen gekürzt oder ausgelassen werden. Die Bearbeitung zeigt zudem die Tendenz, längere Schilderungen berichtstilartig zu fassen.34

31 Man vergleiche auch E 3:1300–1316 und B II:1399–1432, E 8:1000–1040 und B VII:922–1007, E 8:2476–2487 und B VIII:724–763. 32 Weitere Beispiele bei Wirth 1928, S. 86–90. 33 Man vergleiche E 6:1834–1889 und B V:1476–1533, E 8:1910–1920 und B VIII:90–273, E 8:1163– 1188 und B VII:1177–1233, E 9:568–572 und B IX:596–612. Auch werden Reden in den Kämpfen gekürzt: E 3:1417–1428 und B II:1521–1555, E 5:1079–1082 und B IV:1013–1041. 34 Der ausführlich beschriebene Kampf zwischen Evax und dem König von Damaskus (B V:1476– 1533) wird in Johanns Version in sechs Versen zusammengefasst (E 6:1834–1839). Johann kürzt (E  3:701–786 statt B II:656–765) und spart die Wiederholung des Kampfplans aus (E 3:787–832 statt B II:766–845). Eine Diskussion erscheint bei Johann als kurzer Bericht (E 3:1290–1316 statt B II:1364–1432), Wortgefechte werden zurückgenommen (E 3:1417–1428 statt B II:1521–1551) und die Verhandlungen um Henrichs Hinrichtung werden knapper erzählt (E 3:1553–1598 statt B II:1672–1739).



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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Johann richtet sich in seiner Bearbeitung sehr häufig direkt an die Rezipienten, wobei es verschiedene Arten der Rezipientenanrede zu unterscheiden gilt. Er fordert den Rezipienten in Wendungen wie „Nu hort tzu, wass ym dar geschag“ (E 3:1399) zum Zuhören auf.35 Die Ermahnung an den Rezipienten, sich etwas Wichtiges zu merken, wird an weiteren Stellen verwendet.36 Floskeln wie „Als ir dan itzund habt gehort“ (E 6:1630),37 die auf etwas bereits Erzähltes oder noch zu Erzählendes verweisen, dienen oftmals auch der Füllung eines Reimes. Die Bemerkungen, dass etwas Einmaliges oder Unbeschreibliches in der Geschichte erzählt wird, kommen auch in Versromanen des 13. und 14. Jahrhunderts regelmäßig vor.38 Dagegen ist das Stilmittel der direkt an die Rezipienten gerichteten rhetorischen Frage für mittelalterliche Versromane ungewöhnlich. Oftmals stellt die Erzählerfigur Fragen wie „Was das nit gross von solchem man?“ (E 3:1084) oder „Was das nit schon fur rytter und knechten?“ (E 4:356). Sie stellt auch Fragen, um sie danach selbst zu beantworten: „Wass das nyt fyn den herren tzweyn? / Ja es, furwar, es wass yn eer, / Das sy da taden solche weer / Und so beschirmten durch yr hut / So rytterlich das kristen blut.“ (E 6:1965–1969), oder aber sie äußert mit der Frage zugleich Verwunderung: „Wass das nit gar eyn selsam spil?“ (E  3:1384).39 Die Erzählerfigur erhöht darüber hinaus die Aufmerksamkeit der Rezipienten mit Fragen wie:40 535

Was das nit toricht von der magt Das sy ir hertz durch den so gnagt, Der sy yn keynen weg begert? Er solt myr syn noch mee onweert Dan ich ym wer, wan myrs gescheeg. (E 4:532–536)

Mit seinem als Frage formulierten Kommentar belächelt der Erzähler das Verhalten Europas. Indem er Geschehen als befremdlich oder töricht klassifiziert, stellt er sich, wie so häufig in Johanns Roman, in Bezug auf die Erzählwelt auf eine

35 Vgl. E 3:78, 1399, 1604, 1760; 4:339, 1054; 5:344; 6:1041, 1522, 2089, 2449, 2537; 7:1173, 1542, 2161, 2255, 3032, 3036; 8:97, 520, 844, 892, 1608, 2014, 2353, 2862, 3336. 36 Z. B. „Nu hort myr tzu und merckt mich wol“ (E 8:1882). Vgl. E 1:1042; 3:546; 7:2438, 2824; 8:1000, 2777. 37 E 4:30; 5:884, 1743, 1949; 6:1630, 1986, 2046; 7:1652, 1939, 2217; 8:854, 1468, 2606. 38 E 3:1390; 5:778–779; 6:1873–1874; 8:2461–2462. 39 E 3:1401; 4:356, 532–536; 5:95, 1117; 6:154, 1027, 1943–1945, 1965, 2070–2071; 7:423, 440, 469, 1211, 1684, 1785–1786, 2620–2621. 40 Siehe auch E 4:356; 6:154, 1027, 1807; 7:423, 440, 469; 8:1943–1945, 1965, 2070–2071.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Metaebene und ironisiert die Ereignisse. Es scheint, als ob er sagen wolle, dass er – und auch die Rezipienten – nicht so dumm seien, selbst so wie Europa zu handeln. Somit strebt er eine Vergrößerung der Distanz zwischen der Erzählwelt und der realen Welt des Rezipienten an. Nachdem Europa kurz zuvor Henrich im nächtlichen Lager besucht hat, nennt die Erzählerfigur sie dann aber auch „die reyn von art“ (E 4:770) oder „das freulyn tzart“ (E 4:788), Henrich küsse Europa „tzuchtlich“ (E 4:782). Er heiratet sie jedoch nicht, sondern verlässt sie nach ihrem nächtlichen Beisammensein wieder. Die Figuren konterkarieren so die moralisierenden Ausführungen des Erzählers zu Zucht und Reinheit. In Prologen und Kommentaren vermittelt die Erzählerfigur Moral, während die Figuren der Erzählwelt das Gegenteil ausleben, wie Europa und Henrich oder Evax und Sibille. Durch die oftmalige Verwendung eines ad spectatores präsentiert sich der Erzähler als unbeteiligter Beobachter des sich in der Erzählwelt Ereignenden. Diese Distanz hält die Erzählerfigur jedoch nicht stringent durch, denn als Henrich bei der Ankunft in der Burg Frau Venus, die „madon“ mit einer goldenen Krone erblickt, wähnt sich auch der Erzähler in der Welt der Narration: 1240 1245 1250

Sy wass so schon wyss wy eyn symel. Ich want, das ich weer in dem hymel, Don ich an schawet dy person. Al irdisch fursten nit yr kron Mochten betzaln durch kostelheit. Mit dymanten wass sy ombleyt, Ja wol so gross als huner eyer. Wan das von myr verneem eyn Beyer, So weente er, es wer geloghen. Das gold dar omb fry was geboghen Mit gwess, usbundig nach der konst, Das tzu gar vil gesteynes sunst, Ussbundig gross von farben rich, Des ny keyn mensch gesag gelich. (E 4:1239–1252)

In diesen gegenüber dem Margriete-Roman neu hinzugefügten Versen41 „an schawet“ auch der Erzähler Venus und begibt sich als direkt anwesender Zuschauer in die Erzählwelt. Die Bemerkung über die Bayern lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Ich ein mindestens zwiespältiges Verhältnis zu den Bayern

41 Siehe eine weitere Beschreibung der Juwelen (E 4:1253–1268).



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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hat. Es verweist damit gleichzeitig auch auf sich selbst als eine reale Person. Die Erzählerfigur gibt auf diese Weise vor, nicht etwas Fiktionales zu schildern, sondern über ein real stattfindendes oder bereits geschehenes Ereignis zu berichten, wie auch in den folgenden Versen: 1585 1590 1595 1600

Da men dan off dynt fleisch und fisch Mit hogem stat und jubylyren Und sus myt hofflichem brangyren, Mit malvysey und lutterdranck. Ess wass al suess, wass men yn schanck. Dy essen warn so kostelich, Das es myr ist ommogelich Tzu saghen, des gelaubent myr. Golt, perlyn, dymant und saphyr, Robyn, jachant, smaragd dy tzyt, Da worn dy essen myt bereit Und noch gar vil me, dan ich sag. Solt ich das leghen in den tag, Men wurd bald sprechen onvertzoghen Off mych, wy ess wer gantz geloghen, Als es dan in der warheit ist. Da omb swig ich tzu disser frist. (E 8:1585–1601)

Die Erzählerfigur vermischt spielerisch verschiedene Ebenen, indem sie sich als realer Beobachter eines realen Geschehens präsentiert, der sich davor fürchtet, dass ihm Lügenhaftigkeit vorgeworfen werden könnte, obwohl der Roman an sich fiktional ist. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass bestimmte Passagen des Margreth-Romans wie hier die Beschreibung eines Festmahls mit der Erwähnung regional bekannter Getränke auf eigene Erlebnisse des Sängermeisters Johann am Heidelberger Hof rekurrieren.

4.2.2 Anbindung an den Heidelberger Hof Aufgrund der optischen Wirksamkeit durch das Dedikationsbild und den Prolog zum ersten Buch mit der Nennung des Auftraggebers und seiner Frau vermittelt die Margreth-Handschrift sinnfällig, dass die Abfassung des Romans im Auftrag des Heidelberger Kurfürsten geschah. Johann von Soest fokussiert seinen Roman auch an anderen Stellen explizit auf den Heidelberger kurfürs­tlichen Hof. Er spricht den Kurfürsten vor allem in den Prologen und im Erzähltext direkt als Rezipienten an und fügt Wörter, Sätze und ganze Abschnitte hinzu, die sich auf den Hof beziehen. Vorherrschende Themen in den direkt an den

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Kurfürsten gerichteten Versen sind der Krieg42 und die Ausübung des Herrscheramtes.43 Kurfürst Philipp der Aufrichtige wird in nahezu allen Prologen meistens in der 3. P. Sg. erwähnt, oftmals zusammen mit seiner Frau. Lediglich die Prologe zu Buch 2 und Buch 11 nennen ihn nicht namentlich. Die Äußerungen in den Prologen über den Kurfürsten erwecken den Eindruck einer großen Vertrautheit, da das Ich über die Werbung des Kurfürsten um seine Frau sowie auch über die „complexie“ des Kurfürsten sehr gut informiert zu sein scheint: „Hertzog Philips wurt er genent. / Der menigmol hot scharff gerent / Om eyner wyl, M, ist yr nam. / Tzu grossem gluck sy tzu ons kam“ (E 1:67–70) und 25

Dan er [Philipp d.A., R. S.] ist eyn sanguineuss, Dy best complexie genant, Warlichen yn ym wyrt erkant. Dan er ist, merck yn wol myt myt fleiss, In syner natur fucht und heyss. Das auch bewyest syn miltigheit Da er gar vest ist myt becleit. (E 8:22–28)

Der Prolog zu Buch 8 nennt zunächst gebräuchliche Topoi für Gönner wie Vernunft, Zucht und Gerechtigkeit und überrascht danach mit der sehr ungewöhnlichen Darstellung des Temperaments des Kurfürsten, auch wenn diese wenig zu dessen Geburtsdatum (14. 7.) passt.44 Das Zitat aus dem ersten Prolog lässt durch die Verwendung des Personalpronomens „ons“ in der 1. P. Pl. vermuten, dass das sich artikulierende Ich zum Kreis des Heidelberger Hofes gehört. Die Wendung „sy tzu ons kam“ deutet darüber hinaus darauf hin, dass das Ich bereits vor der Hochzeit Philipps mit Margarethe im Jahr 1474 am Heidelberger Hof weilte, an

42 Neu hinzugefügt sind an die Fürsten gerichtete Verse zur Sinnlosigkeit eines Angriffskrieges (E 6:437–507). Johann lässt den Erzähler diese Nutzlosigkeit ausführlich kommentieren. Nur ein Verteidigungskrieg sei den Armen zuzumuten. Diese Verse sind in der Handschrift auf fol. 153r mit einem Längsstrich versehen und daher besonders hervorgehoben. Ob es sich hier um eine indirekte Kritik an den kriegerischen Auseinandersetzungen des Heidelberger Kurfürsten Friedrich handelt, müssten genauere Untersuchungen ausweisen. Allerdings ist die Bezeichnung „furst“ in diesem Abschnitt auffällig, die sich an anderen Textstellen beinahe ausschließlich auf den Heidelberger Kurfürsten (Philipp) bezieht, wie z. B. im Prolog zu Buch 6 (E 6:18). 43 Zu weiteren Ausführlichkeiten bei Beschreibungen und Mahlzeiten siehe Wirth 1928, S. 94– 95. 44 Nach der Temperamentenlehre würde die Angabe „Sanguiniker“ eher zu den Tierkreiszeichen Zwillinge, Waage und Wassermann passen.



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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dem Johann von Soest selbst seit 1472 tätig war. Der Roman wird also gleich zu Beginn in einem engen Bezug zu eben diesem Hof präsentiert. In Buch 6 verändert Johann von Soest die Form der Anrede des Rezipienten: Im ersten Teil des Prologs spricht er über Philipp und Margarethe in der 3. Person (E 6:1–17). In diesen Versen erinnert er den Kurfürsten daran, nach dem Tod des Autors vor allem für dessen Kinder zu sorgen, gefolgt von Versen zur Notwendigkeit der Freigebigkeit eines Fürsten (E 6:18–25). In den letzten drei durch Dreierreim betonten Versen ermahnt das Erzähler-Ich Philipp dann in der 2. Person, nicht nach materiellem Gewinn zu streben: „P, hut dich vor solchem gewyn, / Das raed ich dyr uss gantzen trwen. / Ess wyrt dich nummermee berwen“ (E 6:26–28). Neben V. 18 wurde in der Handschrift vermutlich vom Autor selbst die erste Zeige­ hand links neben dem Text eingefügt, und die Verse 19–28 sind zusätzlich rot markiert. Johann hebt somit die Ermahnung an den Kurfürsten, für die Nachkommen Sorge zu tragen, nachdrücklich hervor. Der Roman richtet sich jedoch nicht ausschließlich und durchgängig an den Heidelberger Kurfürsten. Nach der Episode zwischen Henrich und Europa wird ein junges weibliches Publikum angesprochen: „Ich warn uch, juncfrawn al gemeyn“ (E 4:697–724). Kurz zuvor hatte sich das Ich in die Position einer Frau versetzt und sich vorgestellt, wie es reagieren würde, wenn es sich in der gleichen Lage wie Europa befände: „Er solt myr syn noch mee onwert / Dan ich ym weer, wan myrs gescheeg. / Dar tzu, ye flucser er eyn weeg / Von myr keem, ye myr lyber weer“ (E 4:534–540). Im Prolog zu Buch 7, der am Anfang Margarethe, die Frau Philipps des Aufrichtigen, nennt, kann ab V. 17 Margarethe selbst oder auch jede einzelne Frau angesprochen sein: „Wy du eynem solt wyder steyn / Der dich also tzum boeln begert …“ (E 7:18–26). Mit „eyn yderman“ (E 3:58) wird der Rezipientenkreis an anderer Stelle auch bewusst breiter angelegt. Als Anredeform wählt das Ich oftmals das allgemeine „yr“ oder auch den Akkusativ „uch“ (E 4:19; 6:1423, 1807, 2530: 9:23), wie am Anfang des Prologs zu Buch 7 („Ich bit aber uch al gemeyn / Dy in dyssem buch lesend syn“, E 7:10) oder später bei der Warnung vor unkeuscher Liebe (E 7:1507– 1514). Kurz darauf ermahnt das Ich die Fürsten und Fürstinnen (E 7:1627–1640) und dann wiederum die Ritter im Allgemeinen (E 7:1946–1957). In Buch 11 werden die Fürsten und Herren dazu ermuntert, die guten Dinge des Werkes zu „lesen und wol lern“ (E 11:653–664). Die „fromen  … hog von eern“ sollen die Seele „durch ware bicht“ schützen (E 11:1350–1364).45 Bei diesen Textstellen kann der Umkreis eines Hofes im Allgemeinen oder der des Heidelberger Hofes im Beson-

45 In der Edition des Margreth-Romans bei Klett 1975 gehören diese Verse noch zur wörtlichen Rede Margreths. Ihre Antwort endet jedoch bereits bei E 11:1367.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

deren gemeint sein. Die zum Hofstaat des Heidelberger Hofes Gehörigen und der Kurfürst selbst wie auch seine Ehefrau sind nicht ausgeschlossen. Zu einer Verstärkung des Bezugs zur direkten außerliterarischen Wirklichkeit am Heidelberger Hof tragen die ausführlichen Änderungen in Buch 10, dem Fürstenspiegel, bei. Johann folgt in seinen Darstellungen der Aventiure des Jonas bei der Ankunft in der Burg, der Saalbeschreibung und dem dort aufgeführten Schauspiel weitgehend dem Prätext. Als die Dame Weisheit dem guten jungen Mann die Krone aufsetzt und zu ihm über Freigebigkeit spricht, fügt Johann jedoch die erste längere Erweiterung ein. Die Dame Weisheit, die im Margriete-Versroman in eher neutraler Weise dazu aufruft, nicht allzu vielen Leuten, sondern den „werdige menschen“ etwas zu schenken (B X:856–871), äußert sich in Johanns Version genauer. Sie warnt ausdrücklich davor, faulen und arbeitsunwilligen Menschen etwas zu geben (E 10:748–757). In beiden Texten führt sie danach in vergleichbarer Weise die Bedeutung eines guten Namens aus (B X:885–905, E 10:782–798). Der Margriete-Roman erläutert, wie man einem guten Namen Ehre macht: 910

Lieve vrunt, geeft mildelich Guden luden nä uren staden. Vergeft, die uch bidden genäde. Eyrt, die werdich sijn der eren, Dat betempt allen heren. (B X:906–910)

Johann erweitert die Lehren der Dame Weisheit in Bezug auf den Umgang des Fürsten mit Bediensteten um beinahe 300 Verse (E 10:799–1055), beginnend mit „Behalt dyss ler, dy furdert dich, / Das du wurst sehen sichtiglich, / Behelstu sy nit sicherlich / Dyn rych nympt ab von tag tzu tag. / Gedenck an mych, wass ich itz sag.“ Nach der Ermahnung, ihre Worte nicht zu vergessen, betont sie die Wichtigkeit des rechten Umgangs mit den armen Leuten (E 10:804–817). Die beiden folgenden Verhaltensregeln betreffen den Umgang mit den Amtleuten und den Schreibern der Kanzlei. Erstere solle der Fürst im Auge behalten, die zweite Gruppe sei leicht geneigt, in die Kasse zu greifen, und sie sei oftmals bestechlich.46 Daher solle er sie angemessen entlohnen. Johann baut diese biographisch anmutenden Aufforderungen, die im Zusammenhang mit den direkt an Philipp den Aufrichtigen gerichteten Prologen zu sehen sind, in Buch 10 in die Rede der Dame Weisheit an den jungen Ritter ein.

46 Ebenfalls eher an Fürsten gerichtet ist ein weiterer Kommentar zur Bestechung in Buch 7 (E 7:2354–2367).



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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Außer zwei Versen zum Umgang mit Priestern (E 10:868–869) erteilt die Dame Weisheit zudem Anweisungen zum richtigen Verhalten gegenüber den Kammerknechten (E 10:964–1004), dem Hofgesinde (E 10:1005–1019) und dem Adel (E 10:1020–1033). Mit den Kammerknechten solle er nicht zu freundschaftlich umgehen, da sie ihn achten sollten. Die treuen Knechte solle er gut entlohnen, damit sie keine Armut erlitten. Dem Hofgesinde solle er Fluchen untersagen und es strafen, wenn es notwendig sei. Seine „edlen“ solle er im Zaum halten, damit die Armen nicht beraubt würden und die jungen Frauen ihre Ehre behielten. Der Fürst selbst solle nicht zu viel feiern und seine Kosten einschränken, aber auch barmherzig sein (E 10:1034–1056). Am ausführlichsten beschäftigt sich die Belehrung des Fürsten mit den „synghern“: 870 875 880 885 890 895 900

Auch syngher, dy yn steyn tzu stur, Dy lass nit lauffen wyder und fur, Wan men das ampt volbringen sol! Dan wan sy nit syn da tzu mol, So kam men nit so wol gesinghen, Als men sus ted. du solt sy tzwinghen, Das sy ir ding wol ubersehen, Anders confusy mocht geschehen Fur fremden fursten und sus hern. Das wer eyn schand und eyn beswern. Dan du gybest yn gutten lon Und habent anderst nit tzu don, Dan das sy da off warten sollen. Wan aber sy, von dyr befollen, Den gottis dynst loblich volbrenghen, So soltu, furste, nit verhenghen, Das ym wer leydes tzu gefuegt, Dan yr gebet tzum hymel flugt Und byttet got stedigs fur dich. Das soltu mercken gnediglich Und solt sy al in eeren hon, Dan got gybt dyr da umb eyn lon. Nit lass dich yrren, so men sagt, Das syngher folk uns nit behagt, Dan grosse kosten gaet off sy, On nutz gentzlich holt men sy hy, Men sol sy alsam lassen geyn. Ich sag dyr, furst, will mych versteyn, Das erlichst, das du host by dyr, Das syn sy syngher, glaub des myr! Das ich bewer in kurtzer frist, Dan dyr nit eerlichers hy ist, Dan got tzu loben nach dem besten.

Das kyrchen syngher ob genent Heilig werden klerlich erkent. 920 Ist das also, als es dan ist, So volgt darnach on argelist, Das du sy eeren solt gar schyr, Me dan sus keyn amptman by dyr. Auch nutzung halp des pflichtig bist, 925 Der von yn kompt tzu aller frist. Dan al amptlut, dy syn by dyr, Dy wurcken nutzung, glaub des myr, Der lyplich nutzung wurt genant. Dyn syngher aber syn erkant, 930 Geistlichen nutz hefftig tzu schaffen, Dan sy myt wurcken myt den pfaffen, Dar tzu lyplichen nutz da by, Mit yrer sussen melody, Dy dan dem lyp gesontheit bringt, 935 Nach dem dy schrifft das klerlich                                                                                       syngt. Im ersten buch der koninghe David durch semytonye Saul erquickt und yn tzu stont Durch melody yn macht gesont. 940 So hastu klerlichen bewert, Das dyn heil wurt durch sy gemert, Me dan von keynem andern knecht, So ver sy sich sus halten recht Mit erbarheit nach allem schyn. 945 Des halb sy billich wyrdig syn, Und ist dy warheit gentzlich tzwor, Das du sy habest, furst, bevor. Wan aber sy sich boess regyrn, So soltu sy strofflich tractyrn,

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Sy syn dy eersten und dy lesten, Dy solche eer altzyt volbringhen Mit yrem meisterlichen synghen, Das du dan host instituyrt. Deshalp das eerlichst wurt probyrt. Sy syn wyrdigher durch yr ampt, Ich meyn dyn syngher alle sampt, Dan keyn amptman, den du dan haest, Und off das du das recht verstaest, Dy heilig schrifft sy heilig nent, Das in der bibeln wurt erkent In Esdre an dem dritten buch. Am sybenden, da steit der spruch, Dar tzu in dem achten capittel Da vynd men auch den selben tyttel,

950 Dan syngher lob dunckt got nyt fyn, Der wort und wercke unkuysch syn, Nach dem Gregorius das leert, Das got durch sw wurt me geert Dan von synghern, dy unkuysch syn 955 Und boess syn myt em gutten schyn, Als men dan leyder itz vil vynt. Dy keern den mantel, war der wynt Uss welchem land kompt her                                                                     gefloghen. Hut dich fur den, sy syn betroghen! 960 Doch syn sy des itz nit alleyn. Ess ist itz leyder so gemeyn, Das nymantz wissen mag fur vol, Fur wem er sich itz huten sol. (E 10:870–963)

Ein Fürst solle die Sänger zwar zur guten Amtsführung anhalten, aber vor allem solle er diese Berufsgruppe schützen und sie in Ehren halten, denn die Sänger seien „das erlichst“ und „wyrdigher“ als alle anderen Amtleute, wie bereits die Bibel in Kapitel 3 des Buches Esther anerkannt habe (E 10:912–919).47 Die Sänger brächten „geistlichen nutz“ und „lyplichen nutz“: „Dyn heil wurt durch sy gemeert“ (E 10:941), so lautet die auf das Seelenheil rekurrierende Botschaft an den Gönner. Bei unangemessen unkeuschem und bösem Verhalten solle er sie, wie Gregorius es lehre, „strofflich tractyrn“ (E 10:948–959). Das Ich vertritt die Auffassung, die Sänger seien in ihrer geistlichen Bedeutung mit der von Priestern vergleichbar (V. 930–931), und das Gebet der Sänger fliege zum Himmel (V. 887). Diese Stellen zeigen auf einer weltlichen Ebene Johanns Werbung um die Anerkennung seines Berufsstandes und auf einer geistlichen das Bemühen um die Höherbewertung seines Berufsstandes durch die Betonung der Nähe und direkten Verbindung der Sänger zu Gott und dem Himmel.48 Diese Tendenz kommt auch an verschiedenen Stellen im Erzähltext zum Ausdruck. Bei einem Festmahl zu Ehren Demophons nach seinem Sieg über den Riesen in Armenien werden die Flötenspieler in Johanns Margreth-Roman besonders entlohnt:

47 Im Buch Esther findet sich keine Stelle zu Musikern und Sängern, siehe jedoch 1 Chroniken Kap. 15: 16–24 und Kap. 16, 4–36; Nehemia Kap. 12: 31, 38, 40. 48 Vgl. ausführlich Schlusemann 2003.



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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Das essen wart den pfyffern geben, Das yrem nutz gentzlich kam eben, Dan yglichem da von wol wart Nun tusent gulden off der vart, Und worn der pfyfer vyrtzig wol, Dy dan rich worden altzumol (E 8:3322–3327)

An einer Stelle wünscht sich das Ich ein – auch ironisch als Paradies beschriebenes – Leben wie die Männer in Paura: Ich wolt, ich auch da selbest swebt, Da men mych hylt in solchen eern 2595 Und lyss myr gentzlich keyn besweern Gantz uberal tzu handen geyn. Wy mocht ich besser doch besteyn, Dan so by hubschen frawen leben? Keyn wesen besser wer myr eben. 2600 Furwar, das ist eyn globtes lant. Sus syn sy frawen so gemant, Das sy den sturm auch tretten an Und strytten keecklich fur yr man. Von dissen frawen obgenent 2605 Kamen dem soldon tzu present So vyl, als ir dan habt gehort. Furwar, den frawen wol gebort Tzu saghen eer nach allem schyn, Dan sy yr menner meister syn. (E 8:2593–2609)

Diese Tendenzen zur Autobiographisierung bzw. zur Vermittlung persön­licher Interessen zeigen auch andere Werke Johanns: sein Beichtspiegel Die gemeyn bicht nach dem Modus confitendi des Andreas de Escobar und seine Autobiographie,49 die sowohl Stationen seines Lebensweges beschreibt als auch Passagen zur charakterlichen Entwicklung bietet. Darin erwähnt er seine Schreibtätigkeit und die Abfassung des Margreth-Romans gar nicht, hingegen stellt er seinen musikalischen Werdegang ausführlich dar. Die gegenüber dem Prätext in seinem Beichtspiegel hinzugefügten Verse zu den Spielsünden und zu übermäßigem Zorn (V. 285–400 und 563–646) können direkt mit Johanns Biographie in Zusammenhang gebracht werden und sind als „Selbstbekenntnis“ zu deuten.50 Im Abschnitt 49 Siehe die Textausgaben der Gemein bicht (1888) sowie der Autobiographie (von Fichard 1811), vgl. auch Wiegand 1922. 50 Johann von Soest, Dy gemein bicht, S. 154; siehe Schlusemann 2003.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

über die Todsünde bezichtigt sich das Ich des übermäßigen Zorns, der sich in Rufen, Schreien und Fluchen äußere. In Urkunden bestätigt sich das auch in der Autobiographie zutage tretende Bild eines jähzornigen und zu Gewalttätigkeit neigenden Sängermeisters.51 Das Ich verweist, wenn Johann sich unter Nennung seines Namens wie im Beichtspiegel („Johannes mich von Söst“, V. 1165, oder „mich armen sonder blode swach“, V. 1177) oder auch in den Sonn- und Festtagsgedichten52 als historische Person einbringt, hinüber in den außerliterarischen Kontext. Auch die Selbstdefinition des Ichs im zweiten Vers des Margreth-Romans als „ich armer sonder“ (E 1:2) ist somit nicht nur topisch zu werten. Sowohl in diesen Texten als auch im Margreth-Roman kann das textinterne Subjekt mit der textexternen Person Johann von Soest identifiziert werden. Wenn das Ich im Erzähltext den Akt des Dichtens explizit artikuliert, kann es mit dem Urheber des Geschriebenen gleichgesetzt werden. Das Ich spricht auf einer Metaebene über den Akt des Erzählens bzw. Dichtens. 2945 2950 2955 2960 2965

Auch ist keyn schand, sollichs tzu dichten. Men sol dy schelk also uss richten, Und habt von myr dis leer gemeyn, So vil als ewer moghen syn. Ob uch auch solichs wurd begeghen, So solt yr ewer hende reghen Kecklich nach syner menlicheit Und ym das drucken hert dy tzyt, Und ist keyn schand, das yr das thut, das yr durch sollichs wert behut. Dan wan eynem da we geschicht, So ist syn bosheit uss gericht, Dan nergens bass myt werd yr quyt. Das merckt von myr tzu disser tzyt, Und wolt myrs nit fur ubel hon, Das ich so grob dichte da von. Ich sags alleyn uch tzu vertrag, Wer weyss, wass eym begeghen mag. Welche dan wust dy besten weer, Dy blyeb das lengst by yrer eer. Auch ist nit sund, das boes tzu wyssen, Boes ist, so men sund ist geflyssen. (E 7:2945–2966)

51 Pfaff 1887; zum eskalierenden Streit mit seinem Schwiegervater vgl. Wiegand 1922, fol. XXIIIb–XXVa. Siehe auch z. B. die Urkunde vom 23. Juli 1490 (GLAK 67/1820, fol. 230v–231r). 52 Vgl. Schumacher 1993, S. 451.



Erzählwelt und Heidelberger Hof 

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Nach einführenden Bemerkungen, dass es keine Schande sei, das zuvor Geschilderte zu erzählen, denn es schreibe um der Lehre willen, bittet das Schreiber-Ich den Rezipienten ausdrücklich, es ihm nicht zu verübeln, dass es solch Grobes dichte (vgl. oben).53 Von diesen Äußerungen sind die Bemerkungen, die den Akt des Erzählens benennen, prinzipiell nicht zu trennen, da im Margreth-Roman zwischen einem Schreiber-Ich und einem Erzähler-Ich nicht differenziert wird. Besonders augenfällig wird diese Identität in folgenden Sätzen: „Das myr dan wer tzevil subtyl / Solt ich das schriben itz myt yl“ (E 6:2504–2505) und „Da von euch nit tzu saghen wer“ (E 6:2530), oder „Das ich das vyrd auch in den tag / Bryng durch myn schryben und auch sag …“ (E 4:21–22): „schryben“ und „sagen“ bezeichnen im Mar­ greth-Roman die gleiche Tätigkeit, die Abfassung der Geschichte durch den Dichter.54 Das dazugehörige Subjekt verweist auf den Dichter selbst. Das Gleiche gilt für das Ich in Sätzen wie z. B. „Her Echites und syn geselle, / von dem ich auch itz dann ertzelle“ (E 6:950–951). Hier ist das Verb „ertzelle“ in der Bedeutung des Verfassens der Abenteuer des Echites gewählt worden. Das Ich „verurteilt“ sich selbst zum Schweigen mit den Worten „ich swig“ (E 7:1938) oder „Doch swig ich da von disse tzyt / off das ich nyt ab gee tzu wyt“ (E 7:1958–1959). Die Annahme einer Identität von Schreib- und Erzählinstanz im MargrethRoman unterstützen weitere Merkmale des Erzähltextes. Das Ich zählt sich nicht zur Gruppe der Bauern und distanziert von seinem fürstlichen Auftraggeber. Bauern werden als Gruppe aus einer Außenposition betrachtet: „Als dan dy baurn gemeynlich thun“ (E 6:980).Wendungen wie „Als man eym fursten dan sol don“ (E 5:339) markieren eine Position, die eine Distanz zum Fürsten als Auftraggeber schafft und das Schreiber-Ich hervorhebt (vgl auch E 2:1375). Diejenigen, die aus seinem Werk „vil gutter stuck“ (E 1:4–9) erlernen sollen, sind in erster Linie „dy fromen“ und „dy grossen herrn“ (E 1:48 und 50), an manchen Stellen die Ritter, die ebenfalls aus einer Außenperspektive angesprochen werden, wenn es heißt: „Bedenckt den eyt, von uch geton“ (E 7:1948). In Kombination mit den vielfältigen Namensnennungen des Auftraggebers und dessen Frau in den Prologen entsteht somit eine direkte Bezugnahme auf den Heidelberger Kurfürstenhof, die als „überraschende Konkretheit“ bezeichnet wurde.55 Die Fürstenlehren des Mittelalters dagegen halten sich in ihrer Po­si­tio­

53 Vgl. auch E 7:502–503 und E 9:33–36. 54 Vgl. ähnlich E 3:1599; 5:1262–1263, 1950–1951, 2002–2003; 6:698, 1040–1041, 1423, 1980, 2000, 2040–2041, 2530; 7:42–43, 47, 51, 502, 2109–2110, 2577–2580. Diese Sätze unterscheiden sich weder im Wortgebrauch noch im Stil und in der Syntax von denen der Schreibinstanz. 55 Bonath / Brunner 1972, S. 152.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

nie­rung zu bestimmten Höfen zurück, indem sie fast schematisch wünschenswerte Standards der Ethik, der Ökonomie und der Politik formulieren.56 Als Sängermeister des Heidelberger Hofes, der für die Ausbildung der Sängerknaben und die Ausgestaltung der Messe zuständig ist, lässt Johann die Dame Weisheit sich und seinen Berufsstand in besonderer Weise berücksichtigen. Er benutzt den Roman für die Profilierung der Sänger und seiner eigenen Position bei seinem Herrn und Arbeitgeber.57

4.3 Verständnissicherung 4.3.1 Emotionalisierung Johann ist zudem bemüht, die erzählten Begebenheiten und emotionalen Gemütszustände der Figuren für einen Rezipienten des späten 15. Jahrhunderts in verständlicher Weise darzustellen. An zahlreichen Textstellen im MargrethRoman werden höfische Rituale der Vorlage durch Schilderungen des Gefühlszustandes einer Figur ersetzt: als Echites nach Konstantinopel reist, um dort Margriete zu besuchen, findet im Margriete-Roman die Begrüßung nach höfischen Umgangsformen statt (B IV:278–329, 1335–1336). Johann dagegen schildert auch Echites’ Gemütszustand (E 5:344). Das höfische Zeremoniell der Begrüßung des neuen Ritters Jonas (B VI:489–511) kommt im deutschen Roman gar nicht vor. Verliebtheitsgefühle sind intensiver dargestellt. Als Echites und Margreth sich im Garten treffen, beschreibt der Erzähler ihre Gefühlszustände ausführlicher und extremer: Echites’ Herz klopft und pocht, er stößt tiefe Seufzer aus, und es zeigen sich Flammen der Liebe (E 2:78–79, 82, 123, 145–146).58 Während im MargrieteRoman Echites’ Bewunderung für die höfischen Qualitäten seiner Angebeteten im Mittelpunkt steht (B I:1023–1025), konzentriert Johann sich vorwiegend auf den inneren Zustand des Verliebten, der „uss hitzighen furighen myn“ handele (E 2:50–56). Echites’ Verhalten aufgrund von übermäßiger feuriger Liebe ist somit dem Kommentar im Prolog entsprechend ein Beispiel ex negativo. Margriete denkt darüber nach, dass Echites sie als seine Freundin gerettet habe (B IV:358  ff.). Im deutschen Roman ermahnt sie ihn, nicht so jämmerlich zu trauern (E 5:432). Per56 Siehe Gehr 1926, Berges 1938, Brinkhus 1972, Singer 1981. 57 An verschiedenen Stellen im Roman lässt sich diese Hervorhebung der Musik und der Musiker beobachten: E 2:1327–1330; 4:114; 5:771; 6:297–298, 675; 7:1120; 8:2961–2965. 58 Andere Textstellen, bei denen Gefühle ausführlicher und intensiver beschrieben werden, sind z. B. E 1:1095–1097 (B I:940), E 2:801–802 (Angstschweiß des Schultheißen), E 2:876–878, 894–901. Weitere Beispiele bei Wirth 1928, S. 103–106.

Verständnissicherung 

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sönliche Liebesgeständnisse wie „ir solt syn der lybste myn“ (E 5:709) treten an die Stelle von indirekten Formen der Liebeskommunikation (B IV:577–585, 599–604). Margriete ist wegen des ungewissen Ausgangs der Beziehung zu Echites ungeduldig (B IV:1960–1962), bei Johann heißt es bereits an dieser Stelle, die zukünftige Entwicklung vorwegnehmend: „Da von sy erst in lybe vyl“ (E 5:1853). Johanns Bearbeitung charakterisiert Gemütsbewegungen des „hertzleid“ (E 1:193) stärker: Ob der Nachricht des bevorstehenden Todes seiner Angebeteten tobt und rast Echites (E 2:896–901).59 Johann ändert somit seinen Prätext in der Darstellung und Beschreibung von Emotionen, indem er Affektäußerungen intensiver darstellt und der Gefühlslage der Figuren größere Aufmerksamkeit schenkt. Er stilisiert Beschreibungen von Gefühlen einer Figur und bietet auf diese Weise einen vergleichbaren Umgang mit der Freude und dem Leid der Begierde wie in vielen Prosaromanen. Die Darstellung verwerflicher Liebe wird vom Erzähler-Ich antagonistisch in der Propagierung moralischer Normen aufgelöst, bevor sie in der Erzählwelt durch die Ehe ihre Legitimierung erfährt. Die ausführliche Schilderung des Innenlebens einer Figur wird oftmals mit einer Darstellung von Gewalt kombiniert. Den Kampf zwischen den Schülern und den Räubern malt Johann plastisch aus (B I:379–385, E 1:509–527), ebenso wie die Angst des dritten Räubers (E 1:528–529), Margreths Angst im Wald („tzu tod erschreckt“, E 1:341), ihre Angst und Furcht bei der Ankunft in Athen (E 1:1067), die Angst vor der Apokalypse (E 1:424), dem grimmigen Bären (E 1:340, 343, 355), die heraushängenden Gedärme des Pferdes (E 1:356) und die schrecklichen Mörder (E 1:497). Die innere Verfassung veräußerlicht der deutsche Autor anhand physischer Reaktionen: Europas Glieder zittern ob der großen Liebe, die sie für Henrich empfindet (E 4:674–675). Für den Rezipienten werden die Gefühls­ zustände nicht nur nachvollziehbar, sondern durch eindeutige Erklärung und die konkrete und realistische Darstellung auch besser erfassbar. Als Sibille nach dem Kleidertausch weitergeht, denkt sie im Margriete-Roman nur über den hoffentlich richtigen Weg nach (B VI:1747–1748). Im MargrethRoman geht sie „betrubt“ davon und bedauert ihr „ongeluck“, ihre „smertzen … durch bitterheit“ und ihre Dummheit, die dazu geführt habe, dass ihr nun keine Ehre mehr erwiesen werde (E 7:1794–1808). Sibilles Herz stirbt beinahe, als sie so untreu von Evax weggeht (E 7:1606–1628). Im Roman Johanns stehen den eigenen

59 Bereits vorher droht er voller Zorn an, denjenigen in kleine Scheiben zu zerhacken, der Margreth etwas zuleide täte (E 2:310–311). Auch die Emotionen des Grafen von Limburg beschreibt Johann direkter als der Prätext: „Der graff wart durch barmhertzigheit / Bewegt so seer, das ym was leyt / Yr smertz ja gentzlichen von hertzen. / Er trog schyr myt yr halben smertzen“ (E 1:1095– 1098).

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

Gedanken über ihre erbärmliche Situation ausführlichere Schilderungen der inneren Freude und des Glücks gegenüber (E 7:1817–1821). Als Sibille und Evax sich treffen, erkennen sich die beiden zunächst nicht, dann fallen sie beide in Ohnmacht (E 7:1850–1861). Erst dann begrüßt Evax sie wie im Margriete-Roman, verspricht ihr aber auch sofort ewige Treue (E 7:1862–1876). Auch Evax’ Gemütslage erfährt eine stärkere Berücksichtigung als im Margriete-Roman, wenn seine Klage über den Verlust von Ehre, Freunden und Verwandten, Tapferkeit und Mut (B VI:38–51) zu einer Schilderung seiner inneren Seelensituation umgestaltet wird: Seine große Qual, sein Leid, sein Schmerz und seine Trauer seien unermesslich (E 7:64–89). Vor lauter Liebesqualen wird Evax so bleich wie der Tod (E 6:1523–1524), während er im Margriete-Roman „nur“ „ontdoin“ ist (B V:1206).60 In einer Klagerede des Evax, nachdem er den Herrscher von Arabien besiegt, aber noch keinen Lohn von Sibille erhalten hat, heißt es: 1250 1255 1260 1265

Margriete van Limborch „Helpe, wat wijest mich die menne! Ende yr, Venus, coningenne, Wat hait yr mijnen doet gesworen? Müis ich bliven sus verloren Omb eyne vrouwe, die nyet En rüeckt wat mijns geschiet? Sij en had mijns egeyne noet. Ay, Arabie, ure here is doet. Ure here, dat is mich leit. Ay, dat Hantecleir so wael sneit, Datz mich sicherlichen swoer, Mich geloeffde he offenboir, Der coninc, eyn schone gebot, Dat icht lies du was ich sot. Dat lant ind die coningenne, Dar ich nyet me aff gewenne En[de]-geynen troest, nä mijnen wone. Nochtan sal ich[t] hoere legen ain, Tworen ind Got, als ich sij sie[e] Ende aventüren, wat mijns geschie.“ (B VI:1246–1265)

1325 1330 1335 1340 1345

Margreth von Limburg „Ach Venus, mutter hogeborn, Ich ween myn tod habt yr gesworn, Dan dy ich lyeb, dy gert nit myn. Wa myt, fraw, hon ich das verdynt, Das ich so hefftig werd gepynt? Ir wertz mich toten kurtzelich, So ver ir myr nit snelliglich Tzu stur kompt durch ewer hitz, Blutighen sweis, teglichen switz. Keyn armer ist in disser welt. Wass hilfft uch, das er mych so quelt? Vil lyber wer myr, ich wer tot, So keem ich doch von disser not. Ich byn so ser genomen aeb, Al solt men mich auch in eyn grab Leghen, das ist von uch der danck. Ich weis, das ich werd wyder kranck Und onsynnyg, als ich fur wass. So wyrt myr dan dy welt gehass Und blyb also vertorben gantz. So werd ich myt schorpions swantz Gestochen und wirt gantz verlorn. Myn dynst, den ich uch, hogeborn, Geton hon durch myn sterck und kraft, Wy hon ichs dan so wol geschafft?“ (E 7:1322–1346)

60 Siehe auch E 7:268–279 (Evax rennt mit dem Kopf gegen eine Mauer) oder E 7:315–356 (zu viert können sie Evax nicht halten).

Verständnissicherung 

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Evax, der in beiden Fassungen Venus direkt anspricht, äußert im Margriete-Roman sein Bedauern darüber, dass er das Angebot seines Gegners ausschlug. Gleichzeitig spricht er sich Mut zu, Sibille an ihr Versprechen zu erinnern. Johanns Fassung lässt, als Vorwurf an Venus, Evax seinen Schmerz, seine Befürchtung und sein gleichzeitiges Herbeisehnen des Todes und die Angst vor einer neuen Wahnsinnsphase reflektieren. Die im Margriete-Roman eher indirekt angelegte Individualitätsentwicklung, die der Rezipient über die Ereignisse im Roman selbst erkennen muss, weicht einem Wortfeld der explizierten Innerlichkeit. Körperlich wahrnehmbare Zeichen des Wahnsinns durch die Minne, dem Evax wie Yvain verfällt, sind bei Evax das Schlagen Unschuldiger und das nackte Umherlaufen (B VI:233–240, 247). Im Margreth-Roman Johanns kommen weitere äußere Kennzeichen wie Schreien, Wechseln der Gesichtsfarbe oder das Schlagen des Kopfes gegen die Wand hinzu: „Im docht, syn hertz wolt ym tzo brechen“ (E 7:268–290). Die noch heute vielfach verwendete Herzmetapher verbildlicht die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele,61 die Johann stärker als seine Vorlage in den Mittelpunkt stellt. Mit der Steigerung der Darstellung von Evax’ Gefühlen korreliert die Bitte der Erzählerinstanz an Gott, Evax Weisheit und Verstand zu geben, damit seine Seele erhalten bleibe (E 7:2409–2415). Aus dieser Perspektive zeigt sich indirekt die Einsicht des Erzählers in die Ambivalenz des cholerischen Evax: zwischen Produktivität und Erfolg im Kampf und völliger Erlahmung im (Liebes-) Wahnsinn. Diese Sicht bestätigt auch einer der Araber: „Ess ist gar eyn tufelscher man, / Starck, mutig, keck, recht wy eyn ber. / Er slecht, ob er onsynnyg wer“ (E 7:2474–2476). Evax’ Verhalten lässt sich in der Kombination von Körperlichkeit und Affekten begreifen. Psychisches wird über Physisches erfahrbar. Wie im Lancelot Lyonel, Bohort und Lancelot aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nahrung verweigern,62 isst und trinkt auch Evax nicht, nachdem Sibille ihn verlassen hat (E 7:2188–2193). Das Aufrufen dieser Ebene des Äußeren korreliert mit einer Öffnung der Innerlichkeit der Figuren, oder anders gesagt, die Tiefenstruktur der inneren Gefühlslage der Haupthelden wird durch Bilder an der Oberfläche des Körperlichen ausgedrückt. Während die Aragon-Episode im Margriete-Roman als erster abgeschlossener Diskurs zur Komplexität von Liebe und Herrschaft betrachtet werden kann, versucht Johann ansatzweise, Handeln und innere Regungen des Individuums sichtbar zu machen. Wenn Individualität und Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen

61 Kluge I,54.14  f.; I,84.2  f.; I,466.25  ff. Zur Bedeutung der Herzmetapher im Prosa-Lancelot siehe Waltenberger 1999. Im Gegensatz zu diesem Text enthält sich der Autor des MargrieteRomans ausführlicher Körperbeschreibungen. 62 Zum Motiv des Wahnsinns im Prosa-Lancelot Matejovski 1996, S. 156–184.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

in der Erzählwirklichkeit des Heidelberger Romans mehr als in der Quelle an der Oberfläche Träger von Handeln wird, ist eine stark verankerte Moralisierung und Didaktisierung geradezu erforderlich. Wenn gesellschaftliche Werte wie Ehre und Ruhm nicht mehr aus einer inneren Anlage heraus das Wirken und Tun der Charaktere bestimmen, müssen Werte wie Selbstbeherrschung und Affektbändigung von außen an den Erzähltext, konkret an Evax und Sibille, aber auch an die Rezipienten herangetragen werden: „ich wil syn stet / Mit aller tzucht und erbarheit“ (E 7:393–394), oder „Er wass gar eyn fromer her / Tzuchtig, recht wy eyn juncfraw reyn“ (E 7:337–338). Die stärkere Ausgestaltung von Gefühlen im deutschen Roman betont Glück oder Unglück auf einer persönlichen Ebene. In Johanns Roman manifestiert sich eine im weitesten Sinne „private“ Sphäre gegenüber öffentlich-politischem Handeln. Damit wird im Vergleich zum Margriete-Roman die allgemeine Dimension menschlichen Handelns betont, dies jedoch nicht systematisch und nicht konsequent. Vielmehr sind Brüche und Widersprüche in der Aneignung der historisch fernen Welt und der Sinnkonstituierung der eigenen literarischen Welt zu beobachten. Die Hinzufügungen, Auslassungen und Änderungen auf der Ebene der Erzählung ebenso wie die kommentierenden Passagen besetzen den Text signi­fikant um. Ein Prozess der „Neubegründung des Erzählens“ ausgehend von der affektiven Innerlichkeit wird jedoch deutlich sichtbar.63

4.3.2 Veralltäglichung Wenngleich sich Johann mit seinem Text einerseits ausdrücklich an ein fürstliches Publikum wendet, ist er andererseits darum bemüht, das dargestellte Geschehen in einen alltäglicheren, d. h. abgeschwächt ritterlich-höfischen, Bezugsrahmen zu stellen. Das versucht er durch verschiedene literarische und inhaltliche Eingriffe zu erreichen. Johann vermindert den Anteil übernatürlicher Kräfte in der Erzählwirklichkeit und verleiht ihr so einen realistischeren Charakter. Als Echites sich ausruht, erscheinen ihm im Margriete-Roman im Traum drei Meerjungfrauen (B IV:1298–1377), im deutschen Roman sind es drei in der Erzählung real auftauchende „varende frawen“ (E 5:1278–1349).64 Als Heinric in der Burg der Venus

63 Zur „Neubegründung des Erzählens von der Subjektivität der Figuren her“ im nachklassischen Erzählen vgl. Haug 1991, S. 362  ff. 64 Ein anderes Beispiel: Die Figur der Venus bleibt zwar erhalten, aber hier nicht als Liebesgöttin, die sich selbst und ihre höfischen Tugenden erklärt, sondern profanisiert als Königin, die lediglich die beiden Ritter zusammenführt.

Verständnissicherung 

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ankommt, trifft er auf ihre Mägde Treue, Scham, Höflichkeit, Freigebigkeit, Weisheit, Güte, Einfachheit und Mäßigung (B III:1307–1327). Mit der Streichung dieser Tugendfiguren bis auf Scham entallegorisiert Johann seinen Text (E 4:1389–1398). Auch die folgenden Bücher zeigen eine stärkere Einbettung des Erzählten in real nachvollziehbares Geschehen. Zur „Veralltäglichung“ des Geschehens gehört die Benennung materieller Werte. Darunter seien alle Veränderungen Johanns gefasst, die den materiellen Wert einer Sache oder eines Sachverhalts ausdrücken, sowohl bezogen auf Gegenstände als auch auf Lebewesen. Statt einer Entschuldigung wie im Margriete-Roman bietet die Gräfin von Athen nach ihren Versuchen, Margreth zu töten, dieser Silber und Gold an (E 2:1431). Schönheit von Schlössern und Sälen sowie Geschenke malt der Sängermeister ausschweifend aus (E 6:646–668, 1162– 1229). Die Pracht von Ausrüstungen, Kleidern und anderen Gegenständen wird oftmals durch eine Hervorhebung des Geld- und / oder Goldwertes ausgedrückt: „Dar tzu tzehen tusent marck an golt, / Das solt er haben fur syn zolt“ (E 3:89– 90).65 Wenn der Wert in Geld oder Gold ausgedrückt wird, ist er offensichtlich besser nachvollziehbar, sogar wenn die Bedeutung Margreths für Echites veranschaulicht werden soll:

‚Juncfraw‘, sprach er, ‚on alles neyn, In solchem syn beharrend blyb! Durch ewern wyln ir syt myr lyb Fur al dis welt, und wer sy schon Von lutterm gold gentzlich ombdon.‘ (E 5:711–715).66

Auch wird etwa die Pracht bestimmter Pferde hervorgehoben: „Er hat das allerbeste pfert,  / Es was funff hondert kronen wert“ (E 3:749–750).67 Mahlzeiten werden ausführlich beschrieben, um die Exklusivität der Festmahle aus einer Außenperspektive zu demonstrieren.68 Bevor Echites und Evax im Margriete-Roman den Hof des Königs von Frankreich verlassen, um nach Aragon zu ziehen, erhalten sie außer Ratschlägen auch Geschenke des Königs (B V:940–946): Evax das Schwert „Hantecleir“ (B VI:1060–

65 Siehe auch E 3:77, 249; 4:1238–1268, 1319–1322; 5:533–549, 831, 1481–1482. 66 Auch die Aufzählung der Reichtümer, die Henrich in der Räuberhöhle findet, steigert die Anschaulichkeit (E 3:439–445, 596–600). Siehe auch die Beschreibungen der Pracht des Limburger Schlosses (E 5:933 sowie E 6:646–675), der Kleidung der Herzogin von Limburg (E 6:687–689) sowie des Saales im Limburger Schloss (E 6:693–701). Vgl. E 6:1162–1229; 7:305–306, 2607–2610. 67 Siehe auch E 5:933; 7:711–712, 1126–1139; 8:3195–3208. 68 Siehe E 5:397–409; 8:1585–1592, 3310–3332.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

1062)69 und ein Pferd. Johann ersetzt diesen Namen, der den vor allem ideellen Wert des Schwertes ausdrückt, durch eine Angabe in Geldwert: Es sei 1000 Kronen wert (E 6:1165). An den im Margriete-Roman nur beiläufig erwähnten Geschenken für Echites (B V:941) findet Johann offensichtlich Gefallen, denn er erläutert nun, dass Echites einen Ring mit drei wertvollen Steinen bekommt: Ein Diamant, ein Achat und ein Allectorius zieren den Ring (E 6:1175–1178). Bei Johann heißt es, dass der Diamant Gift abwehre und die Feinde in die Flucht schlage, der Allectorius lösche den Durst und schütze die Ehre, das gute Sprechen und die Standfestigkeit seines Besitzers. Der Achat, der so wie sein Besitzer heiße, besitze sieben Tugenden: Verhütung zukünftigen Übels, Verhinderung einer Fehlgeburt, Mäßigung, Recht und Anerkennung, Besänftigen von Stürmen, Offenlegung von Betrug. Johann zeigt sich an dieser Stelle als naturkundlich Gebildeter. Auf der Ebene der erzählten Geschichte erläutert die Beschreibung die Kraft des mit den drei Edelsteinen verzierten Ringes, auch für die Rezipienten, die die Symbolik des Namens nicht mehr erkennen. Echites tritt auf diese Weise die Nachfolge des Aeneas an.70 Weitere Metaphern aus dem Margriete-Roman, die der höfisch-ritterlichen Welt entstammen, werden materialisiert: Evax, im Margriete-Roman als „blome der werelt“ bezeichnet (B VI:282), wird bei Johann 1000 Pfund roten Goldes wert (E 7:305–306).71 Er kleidet sich in den besten Gewändern „kostelich von golde“ (E 7:712). Sein heidnischer Gegner stattet sich mit einer äußerst wertvollen Rüstung aus, die weder „Tutsche“ noch „Walen“ hätten bezahlen können (E 7:1128–1130). Die Kostbarkeit dieser Rüstung bewertet Evax als Chance, bei einem Sieg einen noch größeren Gewinn einfahren zu können (E 7:1137–1139). Im Margriete-Roman nennt der Autor an dieser Stelle nur die Bewaffnung des Evax, das oben erwähnte Schwert „Hantecleir“. Manche Ritter kämpfen bei Johann nicht mehr ausschließlich um der Ehre willen, sondern ausdrücklich, um Gold zu verdienen, wie Herr

69 So auch der Name von Oliviers Schwert in der Chanson de Roland („Halteclere“) bzw. im mnl. Rolantslied („Antecleer“), s. a. im Rolandslied des Pfaffen Konrad („Alteclere“) als Name für das Schwert, dessen außergewöhnliche Eigenschaften in der niederländischen Chanson expliziert sind als: „Sij [‚anteclere‘ und ‚durendale‘, R. S.] waren ghetempert van finen stale / Niemant en mochtse wederstaen“ (van Dijk 1981, V. 876–876). Unwahrscheinlich ist, dass mit dem Ritter, der Evax das Schwert später stiehlt, Olivier gemeint sein kann, denn dieser wird im Allgemeinen als ein weiser edler Ritter präsentiert – der allerdings bei Roncevale umkommt. Es ist eher davon auszugehen, dass der König von Frankreich das Schwert geerbt hat. 70 Siehe zum Achat die Ausführungen auf S. 110–111. Zur Übernahme der Gesamtstruktur der ­Aeneis des Vergil siehe De Wachter 1998b. De Wachter erwägt nicht einen möglichen Rückgriff auf Jacobs van Maerlant Historie van Troyen. 71 Siehe auch E 7:499; Geld als Entlohnung (E 6:1160).

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Arnold in Trier (E 3:667–680).72 Während im Margriete-Roman das Verhalten der Ritter etwa durch Evax’ Charakterisierung als Blume der Welt zum Sinnbild für das Verlangen nach Ehre wird, legen im deutschen Roman materielle Beweggründe die weitgehende Absage an gesellschaftlich-höfisch Motivationen offen.73 Eine weitere Methode, die Geschichte in einen sozial breiter angelegten Bezugsrahmen als den im Margriete-Roman zu stellen, ist Johanns Erweiterung der an der Erzählwirklichkeit beteiligten gesellschaftlichen Gruppen. Außer Rittern, adligen Damen und Kaufleuten treten in Johanns Margreth-Roman bereits im ersten Buch zwei „studenten“ bzw. „scholer“ auf (E 1:511–542), die im Margriete-Versroman „clercke“ sind. Als ungehobelte oder ungebildete Frauen und Männer erscheinen an verschiedenen Textstellen Bäuerinnen und Bauern.74 Die Bauern, Exponenten der größten Unhöfischkeit – so will ein starker Bauer Henrichs Pferd an sich reißen (E 3:712–716) –, dienen als negative Spiegelbilder einer sich als gut erzogen präsentierenden Elite. Auch die Gruppe der Bürger findet Berücksichtigung:75 Der Kaufmann, der Sibille in Venedig belästigt, ist ein „jonc­ here“ im Margriete-Roman (B VI:2504) und bei Johann ein „burgher“ (E 7:2669).76 Johann reduziert ritterlich-höfische Umgangsformen bei der Darstellung von Ritterschlag, Treue- und Dienstversprechen und auch in den Anreden. Bevor Heinric sich im Margriete-Roman auf die Suche nach Margriete begibt, entspinnt sich eine Diskussion zwischen ihm und seinem Vater um den Ritterschlag Heinrics, den sein Vater zunächst nicht zu genehmigen beabsichtigt (B II:44–58). Johann tilgt dieses Gesprächsthema, lässt dann aber Henrich ganz unvermittelt die Möglichkeit eines Ritterschlags in Brabant in Erwägung ziehen (B II:59–69, E 3:110–118). Gegenseitige Treue- und Dienstversprechen lässt Johann beiseite, stattdessen wünscht z. B. Arnolt Henrich Gottes Heil und Glück (B II:535–539, 1831–1832). Bei der Wahl der Anrede vermeidet Johann den Adelstitel.77 Er neigt in seiner Bearbeitung darüber hinaus dazu, im Vergleich zur Vorlage eine Sprache zu wählen, die in ihrer kommunikativen Funktion dazu dient, das Verständnis

72 Siehe auch E 3:1747, 1756; 4:793, 802–815. In der Versversion wird Arnout mit „schoenheiden“ belohnt (B II:1907), in Johanns Text erhält er 1000 Goldkronen (E 3:1756). Siehe auch die Beschreibung der Ausrüstung Henrichs mit 500 Saphiren (E 3:249) und die der Venus (E 4:1238–1270). 73 Bei Hugo von Trimberg ist Besitz ohne Ehre das Merkmal eines Toren (Der Renner, 21247– 21248). 74 Siehe auch E 2:181, 1130; 3:1320–1329; 5:91, 130, 951; 6:976; 7:1771–1776. 75 Siehe auch E 3:845, 945, 1123, 1216, 1253, 1344, 1363, 1370, 1780; 6:1804, 1806. 76 Siehe auch E 8:2037, 2040, 2046. 77 Die Bezeichnung „hertzoge her“ (B II:939) wird zu „genedgher her“ (E 3:921), „den ridder kone“ (B II:1166) wird „der vil fromer her“ (E 3:1124), „van der werelt blüme / van ridderen“ (B III:557–558) wird „so schonen, fynen man“ (E 4:589).

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

zu erleichtern und zu unterhalten. Die von höfischer Etikette geprägten Redeformen im Margriete-Roman ersetzt der Autor durch direktere und derbere Ausdrücke (E 5:431–432). Die Art und Weise der Umformung sei an der Episode, die das Zusammentreffen zwischen Echites und Margreth in Konstantinopel schildert, verdeutlicht. Der Graf und die Gräfin von Athen sind sehr erfreut über Echites’ Einladung nach Konstantinopel und statten ihn mit dem für die Fahrt Notwendigen aus:

Margriete van Limborch Nychea, die [was] harde blijde, Sade tzu den selven tzijde 280 Hoeren guden man, den greve, De dar harde blyde was ave Ende deden harde wale bereiden, Ende mit gesijnde wael geleiden. Mit schoenre meynügen bestont he die vart 285 Tzu Constantinoble wart, Ende reyt so lange dat he quam. Dat eyrste dat yn der keysser vernam, Dede he yn untfoin harde wale Ende sijn gesinde altzu-moel. 290 Doch ginck he en die kamer bynnen Tzu der/junger keyserennen Die he liefflich untfinc. Due ginc vort der jongelinc Dar he die maget van Lymborch vant, 295 Die he nam mit der hant Ende gruet sij harde vründelich, Ende vroegde hoere, wie sij en dat rijch Wonen mocht ind wie sij dede. Die maget was harde gestede. 300 „By Gode, jonchere, harde wale. Ende wat doent sij zu uch wart al-tzu-moele, Mijn vrouwe, ure moder, ind ure vader, Sij sent gesont alle gader?“ „Jae sij, jonffrouwe, Got sij is geloeft, 305 Ende dien yr sus wael hoeft Jonffrouwe, datz wale by mijnen wille. Wat ist, lijt noch ur hertz stille Ende ist an nyman geneist?“ „Jonchere, hie-ain ist dat swigen beest, 310 Bijs wers haven besseren stade. Tzu-woren so vele guder däde En[de] hain ich van uch nyet horen gewagen, Noch uren frunden, noch uren mogen, Dat ir jonffrouwen soken soudt

320 325 330 335 340 345 350 355

Margreth von Limburg Der gravyn hertz mit me was swer, Des graven auch drum disse mer, Dan er da von so frolich wart, Das er an ym keyn kosten spart. Er gab ym knechte vil gemeit, Funfhondert wol in eynem cleit, Dy yn geleitten al tzu pfert Bis tzu Constantinoplen wert. Sus reit Echites hoffelich Tzu synem lybe snellichlich, Wol uss bereit in eynem cleit. Keyn froher mensch ni pfert beschreit, Dan Echites tzu der tziit wass. Keyn menschen wass er mer gehass. Das macht alleyn das briffellyn Von Margrethen, der lybsten syn. Er reit, bis das er da hyn kam. Der keyser, als er yn vernam, Er lyss yn herlichen ontpfon, Als men eym fursten dan sol don. Nach dem er so ontfanghen wass, Sucht er, dy ym nit wass gehass, Bald tzu der keyserynnen gyng, Dy yn dan erlichen ontfyng. Nu hort, wy er in lybe brant! Dy keyseryn, als sy ir hant Im bot, don sag er wyt omb sich, Ob er icht seeg dy suberlich. Dar off syn hertz dan rwe nam. Alleyn mocht sy yn machen tzam. Hofflich er ab trat nach der gruss Von des keysers dochter myt muss. Er gyng, da er Margrethen sag. In dem jar wass ny froher tag. Mit eerlicher gruss grust er sy Und sprach tzu yr: „wy mogt ir hy?“ Sy sprach: „wol, her, wass thun dy ewr?

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315 320 325

Off myn van hon haven wolt. Mer noch mocht wale geschien Des nyet en hait gesien, Mer man sait, dat vort ich al, Id kroempt vroech dat tzu hoeke sal. Ende pijne ist mengerhande Alde honde doin goen en bande. Des vort ich mich harde sere. Morgen sulle wir bass, jonchere, Tzu gader sprechen mit guden staden. Ir sult mich sagen, ich sal uch vrogen, Des ich vroder ben dan yr, Ende ir sult widder räden mir, So-dat wir gude gevrunde blyven, Ich wille uch al nyet verdriven.“ (B IV:278–329)

360 365 370 375 380 385

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Habent sy al gesontheit hwr?“ „Ja, sy, juncfraw, gelobt sy got! Nu sagt myr, juncfraw, doch on spot, Habt ir noch nymantz usserwelt, Dem ir durch lyb syt tzu geselt? Ich weyss, das ich byn sted gebleben, Syder ich von uch wart vertreben.“ Sy sprach: „juncher, swigt itz mit dem, Dan da von ist itz ombequem Tzu reden. morn wurt es bass tzyt, So wird ir dan, das myr an ligt, Villicht erfarn nach mynem willen. Wyr wollen das itz heymlich stillen. Auch tzwor so vil gutz hor ich nit Von uch saghen, das uch da myt Solt wol syn, das ir juncfrawn lybt. Eyn ander wort men uch tzu gybt, Das ich uch morn wol saghen sol. Doch wass nit ist, villicht wort wol. Wy wol doch spricht eyn altz gekoess: Alt hond dy syn tzu machen boess Bendig. auch holtz krumpt sich jung fyn, Das dan eyn gutter haeck sol syn. Des selben forcht ich mich gar seer. Morn wol wyr davon bass, myn her, Reden mit gutter muss tzu samen. Wyr mossen itzund hy ons schamen Fur dissen lutten vil tzu reden. Dar omb von myr syt itz gebeden, Antzusteyn byss morn eyn ur. So wol wyr reden suss und sur Und onser tzyt da myt vertryben Und wollen doch gut fronde blyben.“ (E 5:320–389)

Im Margriete-Roman finden die Begrüßungen und die Kommunikation jeweils entsprechend der höfischen Umgangsregel statt, wie Echites’ Frage nach dem Zustand ihres Herzens. Im Margreth-Roman bittet Echites Margreth direkt, ihm ganz ernsthaft zu sagen, ob sie ihre Liebe jemandem zugewandt habe. Besonders die Erzählerfigur beurteilt mit Worten wie „in Liebe entbrannt“ das Verhalten des Echites, das zum Ausdruck kommt, als er wegschaut, als die Kaiserin ihm die Hand reicht. Die kurze Bemerkung im Margriete-Roman, dass Echites „hoesch­ lich“ dient, wird in Johanns Version ausführlich geschildert, als er für sie die Rebhühner zerlegt. Die Bitte um Trost wird im Margreth-Roman umformuliert zu einer Bitte an den größten Schatz, es sich zu Herzen zu nehmen, dass er mit

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

ihr rede. In gegenüber dem Prätext hinzugefügten Versen lässt Johann Margreth Echites ermahnen, sich besser zu verhalten und nicht so jämmerlich zu trauern.78 Johann übernimmt in seiner Bearbeitung das Thema von Frau, Minne und Gesellschaft und lässt Margreth und die Gräfin die Problematik der Standesunterschiede bei einer Hochzeit aussprechen, allerdings zum großen Teil nicht über die programmatischen Schlüsselwörter „wijf“, „amie“ und „vriendinne“, sondern in beinahe umgangssprachlicher Form mit pointierten Umschreibungen wie „solt ich dan on ee by uch syn“ (E 2:183) oder „So sprech men balt: / Er hot eyn buryn tzu der ee“ (E 2:180–181). Während im Margriete-Roman Minnekommunikation nach Regeln der Verschwiegenheit und der Verborgenheit stattfindet,79 die mit dem Erwerb von Minne nach Regeln der Ritterlichkeit, der Ehre und der Tapferkeit einhergeht, behält Johann die inhaltlichen Aspekte des Minneerwerbs bei, ändert jedoch den Stil der Kommunikation in eine direktere und mehr die Gefühle berücksichtigende Sprechweise. Eine leichter verständliche, zum Teil mit Derbheit gespickte Darstellungsweise, die der Komik und Ironie nicht entbehrt, benutzt Johann auch bei der Schilderung von Gewalt. „Gruselich“ ist ein oftmals gewähltes Wort, das die ausschweifend erzählten und gegenüber der Vorlage erweiterten Szenen der Gewalt begleitet (E 3:1145; 5:1015, 1156; 6:1923; 8:1079, 1101, 2423). Johann fügt neue Schreckenstaten des Riesen Polofemus hinzu: Er ersticht kleine Kinder (E 8:1839)80. Die Kämpfe werden mit gröberer Gewalt ausgetragen. Der Bär reißt das Pferd in Stücke (E 1:354–357) oder Henrich schlägt Fromont so auf den Schenkel, „Das ym das blut ran off den enckel“ (E 4:365–366). Fromont brüllt wie ein wilder Ochse (E 4:368–369).81 Henrich kämpft mit einem Bauern, dessen abgeschlagener Kopf wie ein Topf „om tzyrbelt“ (E 3:716), oder er ergreift den Herzog von Luxemburg an seinen Kleidern und legt ihn auf die Ohren seines Pferdes (E 3:722–724). Johann steigert die Gräueltaten des Echites um ein beträchtliches Maß. In seiner Phase des Liebeswahnsinns verbrennt Echites den Koch, schneidet Schwangeren den Bauch auf, brät Kinder am Spieß und lässt Bauern erhängen (E 5:90–132). Vereinfachung im Sprachgebrauch und auch in den Zweikämpfen begleiten die Vergröberung, die parodistische Züge annimmt, wenn der Riese Morant über

78 Man beachte auch die neu hinzugefügten Sprichwörter und Redensarten. Siehe auch Klett in seiner Ausgabe des Margreth-Romans, S. 256–257. 79 Lieb / Strohschneider 1998. 80 Sein furchterregendes Äußeres wird noch ausführlicher geschildert (E 8:1857–1909 und B VIII:51–89). 81 Henrich stößt im Kampf mit dem Kopf (E 3:1381–1390), der Schweiß trieft aus dem Bart (E 3:1414); Henrich schlägt dem Gegner „dy hyrnschal myt il, / Das ym das hyrn da uss ontfyl“ (E 3:1702–1703).

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einen Haufen stürzt (E 5:1099), wenn er Echites nicht mit dem Schwert in die Enge treibt, sondern ihn drückt oder ihn in die Luft wirft. Ein Ritter, der gegen Echites kämpft, „vyel off das mul“ (E 5:1403) und Echites „slog und trat yn myt dem ross“ (E 5:1408). Im Kampf um das Kind in Mailand kämpfen Echites und der Ritter so, „Das sy mit yren pferden beyd / Rucklinghen laghen in dem dreck“ (E 5:1671–1672). Man vergleiche dagegen das sehr sorgfältig nach dem ritterlichen Codex beschriebene Kampfgeschehen im Margriete-Versroman (B V:62–146). Dieses transformiert Johann in eine aus derben Taten und Worten bestehende Schlacht (E 6:79–165): „vromelich“, „dapperlich“, „her ridder“, „rechte“ wird zu „slag tod“, „tzu ryssen“, „in den hauffen“, „das es kracht“; ähnlich im Kampf mit dem Ritter, der eine Jungfrau gefangen hält: „traff off den ars“ (E 5:1385), „vyel off das mul, / Das ym dy tzeen im halse laghen“ (E 5:1403–1404). Im Kampf zwischen Evax und Pyrus möchte Evax nach den Worten des deutschen Erzählers „rytterlich“ und „meisterlich“ mit seinem Gegner kämpfen (E 7:1195,1196). Im Laufe des Kampfes liegen dann beide aufeinander „Wy dan tzweyn affen geylen sich“ (E 7:1234). Nachdem Evax seinen Gegner getötet hat, merkt der Erzähler ironisch an: „Er was da hyn, der gut gesel. / Syn sel so frisch fur in die hel, / Des al dy tufel frolich worn“ (E 7:1265–1267). Die Kampfdarstellung löst sich hier gänzlich von der Vorlage und erscheint als Parodie ritterlichen Zweikampfes.82 Die genannten Kampfmethoden veranlassen die Erzählerfigur wiederholt, der Verwunderung in rhetorischen Fragen Ausdruck zu geben: „Wass das nit gar eyn selsam spil“ (E 5:117 oder auch E 3:384) oder „Was das nit schon fur rytter und knechten“ (E 4:356), als Kommentar zum Kampf zwischen Henrich und dem Riesen Fromont.83 Diese Bemerkungen fördern, wie oben gesagt, ebenfalls die Distanzierung des Rezipienten von der Erzählwelt. Parodie und die zunehmenden Kommentare der Erzählerfigur in der Form von Redensarten, Sprichwörtern und Kommentaren vergrößern den Abstand zwischen dem Erzählten und dem Rezipienten, der das Geschehen aus einer Außenperspektive heraus geboten bekommt.84

82 Auch die Kampfmethoden des Polofemus gegen Henrich in Armenien distanzieren das Geschehen durch Ironie. Der Hunne nimmt sein Pferd bei den Hinterfüßen und wirft es auf Henrich, mit einem zweiten Pferd schlägt er um sich. Er erwischt das Pferd Henrichs am Schwanz und reißt diesen ab, so dass Henrich dann darum kämpft, ihn wieder zu bekommen (E 8:2346–2389). 83 Der Kampf in Mailand parodiert im Margreth-Roman ritterliche Kampfregeln. Echites kämpft wie „eyn onsynnig kw / Dy yr kelblyn beschirmen wyl“ (E 5:1651–1652); siehe auch E 5:95; 6:1884– 1885, 1943–1945. 84 Müller 1985, S. 60, bezeichnet gerade diese Merkmale als Eigenarten einer Schreibweise, die bemüht ist, das Erzählte in einen allgemein verständlichen verbindlichen Deutungsrahmen einzubinden.

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4.4 Zusammenfassung Johann retextualisiert auf der Ebene der erzählten Geschichte Symbole, Vorstellungen und Ideen des Prätextes zu allgemein gültigen Kategorien und reduziert höfische Verhaltensregeln des (späten) Mittelalters. Er konkretisiert an vielen Stellen die Erzählweise des Romans und führt für den zeitgenössischen Leser größere Verständigungsmöglichkeiten herbei. Das im Margreth-Roman eher aus persönlichen Emotionen heraus motivierte Handeln in den Grundaffekten der Liebe, des Zorns, des Hasses und der Trauer bietet einen ständeübergreifenden, den zeitgenössischen Maßstäben entsprechenden Verständigungsrahmen. Dazu gehören auch die soziale und gesellschaftliche Breite des Figurenrepertoires, d. h. die Erweiterung der im Text genannten sozialen Gruppen wie u. a. Bauern, Huren, Kaufmann, Ritter, Könige, Kaiser. Während der Margriete-Roman durch den Diskurs über die komplexe Verknüpfung von politisch-gesellschaftlicher Eingebundenheit und privatem Sein dominiert wird, präsentiert sich der Margreth-Roman in Prologen und Erzählerkommentaren nahezu als christliches Lehrbuch, als Moralvermittler der Tugend, Zucht, Ehre und Sittsamkeit. Zwischen diesen Intentionen und der Narration besteht eine Kluft, da das Romangeschehen in weiten Teilen diesen Anspruch konterkariert. Johann fügt persönliche Gemütsbewegungen sowie ein grobes, nicht standesgemäßes Verhalten in Wort und Tat ein und bettet so Geschehen in einen alltäglicheren Rahmen ein. Die im Margreth-Roman eingesetzten Techniken wie stereotype Empfehlungen in Begleittexten, starke Kontrastierung, Sentenzen, Kommentare, Sprichwörter sowie Leserinstruktionen sind auch die in Prosaromanen anzutreffenden Merkmale, die einer möglichst breiten Verständigung dienlich sind.85 Johann instrumentalisiert somit die Aventiure der Hauptfiguren in Richtung einer auf das alltägliche Geschehen anwendbaren Lebenslehre,86 in der dem Übernatürlichen und Allegorischen wenig Raum gelassen wird. Die Stilmittel der Übertreibung, Ironie, Komik und Parodie, die Überschreitung der Regeln ständischen Verhaltens und von Tabugrenzen im Kampf und im Sprachgebrauch machen die Diskrepanz zwischen dem Geschehen in der dargestellten höfischen Welt und einer anzustrebenden Idealwelt offenkundig. Durch die genannten sprachlichen Mittel

85 Müller 1985, S. 59–61. 86 Die neu hinzugefügten Kommentare zu Lob, Krieg und Liebe hebt die Handschrift optisch mit nō-Zeichen, Zeigehändchen und Markierungen hervor (E 6:18, 89, 445–472, 959–1032, 1175–1202, 2000–2012). Vgl. Kapitel 2.

Zusammenfassung 

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ist der Margreth-Roman auch für breitere Publikumsschichten als der des Adels am Heidelberger Hof verständlich und unterhaltend. Die unterschiedlichen Erzählverfahren der Distanzierung und der Anbindung an den Heidelberger Hof machen das Ausmaß des bewusst formenden Wiedererzählens durch Johann von Soest erkennbar, das zugleich einen Prozess der Kontinuität und der Ablösung von der höfischen Sinnstiftung bestimmt.87 Die höfische Welt des Romans wird „nicht als gegenwärtige imaginiert,  … sondern erscheint in einer Außenperspektive, die Teilhabe an jener Welt nicht ausschließt, aber auch nicht voraussetzt“.88 Diese Worte Müllers zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Prosaroman treffen auf die Margreth-Versbearbeitung Johanns ebenso zu. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit Johann seine „Übersetzung“ mit dem Charakter einer bearbeitenden Wiedererzählung dem Auftrag Philipps entsprechend verfasste. Die herausgearbeiteten ungewöhn­lichen Merkmale der Bearbeitung lassen darauf schließen, dass Johann als Laien­autor den Roman nach eigenen Kriterien und zur Profilierung seiner eigenen Interessen und denen seines Berufsstandes schuf. Diese Annahme unterstützen Nachweise vorhandener Handschriften des Romans im (süd-)westdeutschen Raum, die Literaturpolitik Philipps und verschiedene Aspekte des Johann’schen beruf­ lichen Weges und seiner Persönlichkeit. Philipp erteilte den Übersetzungsauftrag nach einer Handschrift, deren Erzähltext mit dem der erhaltenen ripuarischen Handschrift weitgehend übereinstimmte.89 Die ripuarische Handschrift und die Heidelberger Handschrift sind nach derselben Vorlage entstanden.90 Erzherzogin Mechthild von Rottenburg, Tante Philipps des Aufrichtigen, besaß nach der Aussage Püterichs von Reichertshausen in dem 1462 geschriebenen sogenannten Ehrenbrief 23 ihm unbekannte Werke, darunter einen von ihm als Mar­greth von Limpurg bezeichneten Roman.91 Bei dieser Handschrift könnte es sich um eine spätere Abschrift der Vorlage der ripuarischen Handschrift gehandelt haben, oder aber es war sogar die Handschrift, die als Vorlage für die ripuarische Handschrift und für die Übersetzung Johanns diente. Da Johanns Version erst nach dem Ehrenbrief Püterichs entstand, besaß Mechthild von Rottenburg wahrscheinlich eine Handschrift des Romans in der „alten“ Version nach der Margriete van Limborch. Ihre Kenntnis des Romans und auch die anderer Adliger ent-

87 Müller 1999, S. 155. 88 Müller 1985, S. 56, zu Merkmalen des deutschen Prosaromans. 89 Zum Folgenden ausführlich Schlusemann 1997, Schlusemann 2003. 90 Beckers 1987, S. 243, und de Haan 1994. 91 Jakob Püterich 1899 und 1999.

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 Distanzierung und Vermittlung in Margreth von Limburg

sprach bis zur wiedererzählenden Übersetzung Johanns dem Gesamtkonzept des Margriete-Romans und nicht dem des Margreth-Romans. Mit anderen Worten: Im 15. Jahrhundert zeigten verschiedene Adelshöfe und andere Rezi­pientenkreise in „duytschen“ Landen – man denke an den ripuarischen Raum, an den Hof Mechthilds, aber auch an die seeländischen und südwestbrabantischen Handschriften des Romans, die auf ca. 1400 datiert werden (vgl. Kapitel 1.4) – ein besonderes Interesse für den vielschichtigen und unterhaltenden Diskurscharakter des Margriete-Romans. Es ist daher anzunehmen, dass auch Philipp der Aufrichtige als Neffe Margreths weniger eine didaktisierte und den Bedürfnissen des Sängermeisters entgegenkommende Wiedererzählung in Auftrag gab, sondern eine „einfache“ Umschreibung einer ihm bekannten Version ins Rheinfränkische (vgl. auch Kapitel 6).

5 Deutungs- und Verständigungsstrategien in der Schoone historie van Margarieten van Limborch 5.1 Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung Die Bearbeitungstechnik des Prosaisten in der Schoone historie van Margarieten van Limborch unterscheidet sich grundsätzlich von der Johanns darin, dass jener von Anfang an die Quelle völlig neu wiedererzählt. Der Prosaist behält zwar den Kern der Handlung bei, streicht, kürzt, erweitert und ergänzt aber Erzählstränge. Diese Umgestaltungen tasten zwar den thematischen, stofflichen und motivischen Kern der Vorlage nicht grundsätzlich an, doch schon die äußere Form mit Titelblatt und 40 Holzschnitten wie auch der zweispaltige Druck und die Kapiteleinteilung lassen zwischen der Historie van Margarieten und dem MargrieteVersroman eine größere Distanz als zwischen dem Margreth- und dem MargrieteRoman erkennen. Die Änderungen betreffen vor allem die Ebene der einzelnen Episoden. Den Inhalt von Buch I aus dem Versroman umfassen 38 Kapitel im Margarieten-Roman. Bis auf wenige Ausnahmen entsprechen die Szenen des Prosaromans denen des Versromans relativ genau. Während jedoch der Versroman Johanns die Geschichte mit eigenen Akzenten neu erzählt, bietet die Historie van Margarieten überwiegend im Chronikstil eine weiter durchgeführte Transformation der Geschichte an sich. Bereits der Eingang „Doemen screef duysent drie hondert ende thiene. in des Keysers Kaerle des caluus tijde“ (P 1:1–4) verortet die Handlung des Prosaromans durch die Angabe der Jahreszahl 1310 historisch und schafft dezidiert eine Distanz zur etwa 200 Jahre später stattfindenden ersten Rezeption. Von Beginn an wird manifest, dass die Rezipienten eine andere Perspektive als die Figuren haben, wie gleich zu Anfang die Szene mit den Teufeln zeigt (Kap. 8), die der Erzähler bereits am Ende von Kapitel  6 ausdrücklich als Inszenierung durch die die Menschen verführenden Teufel angekündigt hat (P  6:87–93). Die Prosa lässt die Teufel ihre Rollen genau vorbereiten (P 8:1–23). Der Rezipient ist über den Betrug der Teufel informiert, während Margrieta das ihr Vorgespielte als wahr annimmt. Der Prosaist gestaltet somit zwischen Rezipient und Figuren­ ebene eine grundsätzliche Differenz in der Wahrnehmung der erzählten Welt.1

1 Die Anstrengungen, Margarieta wiederzufinden, werden im Prosaroman aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Die Schilderung der Bemühungen des Herzogs, mit dem Bildnis Margrietas und mit Hilfe der ausgesetzten Belohnung seine verlorene Tochter wiederzufinden (P 10), ist neu im Vergleich zum Versroman. Die Ritter des Herzogs, u. a. Everaert und Coenraet, DOI 10.1515/9783110452518-005

202 

 Deutung und Verständigung in Margarieten van Limborch

Auffällig sind in den ersten 31 Kapiteln, die vor allem in Monolog- und Dialogform gestaltet wurden,2 die dramenhafte Struktur, einhergehend mit einem sehr hohen Anteil an direkter Rede, sowie die eingreifende und systematische Änderung der Reihenfolge von Ereignissen im Vergleich zum Verstext.3 Die Prosa zeigt Spuren von Reimen, die zwar nicht im Versroman vorkommen, die aber in der Rederijkerssprache anderer Dramentexte wie De spiegel der minnen und Van Narcissus ende Echo existieren.4 Auch wenn eine Dramenbearbeitung als Zwischenstufe existiert haben mag, kann sie im Folgenden nicht berücksichtigt werden, da sie nicht erhalten ist. Um die Transformationen von der MargrieteVerstradition zur Prosafassung herausarbeiten zu können, muss man wegen der in der Brabanter Handschrift durchgeführten Kürzungen wie beim Vergleich des Margreth-Romans mit der älteren Verstradition auf die ripuarische Handschrift zurückgreifen. Wörter und Sätze der Verstradition sind an einigen wenigen Stellen des Prosatextes noch gut erkennbar: Margriete van Limborch, Buch IX 267 Der soudaen, de nü vernomen Haet siins broder komen Hiesch en wille-komen wesen. Umb dat orloch vrogde hi mit-desen Van Ermenien, wie id were ergoen. Demophon antwerde den soudoen: 273 „Here, wale, siet sicher dat. … 278 Den Barberiin sluich doet, 279 En eynen kamp mit mijnen handen.“ (B IX:267–279)

Historie van Margarieten, Kap. 95 Als hi int heer quam ende hem die soudaen sach hiet hi hem feesteliken willecome. ende vraechde hoe dattet met hem gegaen hadde. Hi antwoorde sinen broeder den soudaen ende seide „broeder met allen wel. ic hebbe polijphenus den ruese verslaghen ende dat in campe“ (P 95:199–207, Hervorhebungen R. S.)

kommen nach einer sechsmonatigen Suche in ganz Europa zum herzoglichen Hof zurück (P 13). Ausdrücklich zählen sie außer Brabant, Holland und Seeland Westfalen, Geldern, Jülich und Berg auf. – In diesem Zusammenhang ist vor allem die Nennung von Jülich und Berg, Orte, die möglicherweise mit der Entstehung der ripuarischen Version in Verbindung stehen, interessant. 2 Van Gijsen 1989 führt wichtige Argumente für die Existenz einer verloren gegangenen Dramenbearbeitung der ersten 31 Kapitel des Romans an, die die Vorlage für diesen Teil des Romans gewesen sei. 3 Debaene 1977, S. 108–109, 348. 4 Van Gijsen 1989, S. 243–244, mit Beispielen.



Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung 

 203

In dieser Szene, als Demofoen und sein Bruder miteinander sprechen, werden die insgesamt 122 Verse des Verstextes (B IX:267–388) in der Prosa auf 54 Zeilen (P 95:193–247) gekürzt. Nur die Kernelemente bleiben erhalten. Reduziert werden der ausführliche Bericht Demofoens über die Kämpfe, das Lob der Christen, die Reaktion des Sultans auf den Friedensvorschlag Demofoens und die Fortführung des Gesprächs zwischen beiden. Alles für den Fortgang der Geschichte Unwesentliche wird gestrichen. In beiden Texten wird in unterschiedlicher Weise auf das Resultat des Gesprächs, den tatkräftigen Entschluss des Sultans, trotz der Warnungen Demofoens weiterzukämpfen, hingearbeitet.5 Im Großen und Ganzen wählt der Prosaist einen ganz neuen Erzählduktus, bei dem sogar kaum ein Wort mit dem Versroman übereinstimmt. Der Versroman bietet im folgenden Beispiel in einer gehobenen Sprache die der höfischen Lebenssphäre entstammenden Termini und Sätze „trouwe“, „Got müys sij en alre doegt gesterken“, „dat beste gerachste wyff“, „van eren, van lyve inde van gude“ und führt im Zwiegespräch zwischen Echites und seiner Mutter mit vielen Worten aus, dass diese beiden sich uneins sind. Dabei betont Echites in seiner – gegenüber der der Mutter wesentlich längeren – Rede die Vorzüge seiner Angebeteten, ohne dass er seiner Mutter ihre ablehnende Haltung vorwirft. Die Unerbittlichkeit der Mutter führt dazu, dass er ohnmächtig zu Boden sinkt (V. 1305). Margriete van Limborch Echites lies die moeder sprecken. Van torn docht hoem sijn hertze brecken. 1275 He sade: „Yr hait unrechte, vrouwe. Hedde die maget gewolt mijn trouwe, By Goede, ich hedde sij hoere lange gegeven. By hoere schult ist al bleven, Mer by der mijnre nyet. 1280 Hedde sij gewout, id were geschiet. Mer sij en wilt uch nyet verwirken. Got müys sij en alre doegt gesterken, Sy is die beste die ich kenne. Vrouwe, by den Here dar wy ynne 1285 Gelouven, were yman, de hoere Misdede, siet sicher dat he were Jhegen mich also misdedich, Dat ich hoem sulde sijn afredich

Historie van Margarieten Als Etsijtes dit hoorde wert hy gram om dat sijn moeder so blameerde die over schoone mar­grieta. ende hi seide „ontbeyt moeder raesdy ofte suft ghy ende sidi buten sins, dat ghy een die u noyt dan duecht en dede dus schandeleren wilt, het is mi leet om horen. stilt u selven ende laet dese blamelike woorden ende gaet in u ruste, neemt uwen spinrock ende gaet doch henen spinnen, dat waer u veel beter eer ghi yemant veroordelt.“ Die moeder seide. „o sone ic segget wt duechden ende ooc mede kint om dat ghi ons ende alle ons geslachte soudt te cleyn doen. iae noemdy alsulcken slechten meysken“ (P 19:46–60)

5 Im Prosatext bereiten sich die Verbündeten des Sultans auf den Angriff vor (P 95:245–247), während im Verstext erwähnt wird, dass nach dem Gespräch der Waffenstillstand noch einen Monat andauert.

204 

 Deutung und Verständigung in Margarieten van Limborch

Van eren, van lyve inde van gude 1290 Dit sain ich uch in guden müde Al weirt irt selve, muder vrouwe. Wat hait uch misdoin dese jonffrouwe? Sy is dat beste gerachste wyff, Die ye untfinc der werelt lijf 1295 Ende die schoenste eyne dar-tzü. By onsen Here, wolde sij, Ich ginck uten lande mit hoer. Mer neyn sij, id haet hoere unmere. Dat sal mich, vorte ich, kosten dat leven. 1300 Moder, [id] were besser bleven Dan yr sij mich untwildert haet. Mich dunckt dar nä dat hie staet Dat over mich müys gain.“ Hie-mit so wart he so intdoin, 1305 Dat he en onmacht nydderseych. Die vrouwe nyet en sweych. „Yr jonffrouwe, compt her. Ich wene mich vele besser were, Dat wir diese quode touverse vrouwe 1310 Verdrencken deden en die Dunauwe, Dan wir verliesen unse kint.“ (B I:1273–1311)

Die Prosahistorie benennt nicht nur direkt am Anfang explizit in einem Kausalsatz den Grund für den Zorn des Etsijtes, sondern lässt ihn seine Mutter in harschen Worten mit der Frage, ob sie von Sinnen sei, angreifen, ohne dass er seine Minne für Margrieta an dieser Stelle noch einmal darstellt. Er fordert die Mutter auf, doch besser spinnen zu gehen, und zeigt somit seine herablassende Haltung ihr gegenüber. Die höfische Sprache der Indirektheit des Versromans wird durch Beleidigungen und Angriffe ersetzt. Der Prosaist ist bestrebt, die Essenz einer Situation oder in diesem Fall eines Gesprächs in kürzeren Worten und prägnanter zum Ausdruck zu bringen. Insgesamt führt der Prosaist auf der Ebene der Buch- und Kapiteleinteilung weitreichende Verschiebungen durch (vgl. Übersicht):



Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung 

 205

 erhältnis des Umfangs der Bücher des Romans Margriete van Limborch und V der Kapitel der Historie van Margarieten Margriete van Limborch Handschrift A Handschrift B

Historie van Margarieten

Buch

Verse

%

Verse

%

Zeilen

%

Kapitel

I II III IV V

 2756  1946  1390  2102  2180

12,61  8,90  6,36  9,62  9,98

 2805  1939  1387  2096  2177

12,18  8,42  6,03  9,11  9,46

 3150   856   458  1189  1822

22,82  6,93  3,32  8,62 13,20

VI VII

 2806  1904

12,84  8,72

 2789  1927

12,12  8,37

    –  1005

 –  7,28

VIII

 1763

 8,07

 1746

 7,59

  547

 3,96

IX

  990

 4,53

 1089

 4,73

  462

 3,35

X XI XII

 1388  1216  1404

 6,35  5,57  6,42

 1497  1711  1853

 6,50  7,43  8,05

    –   399  3813

 –  2,89 27,63

1–36, 38 37, 39–48, 51–53 49, 50, 54–56 57–69, 72, 73:1–16 70, 71, 73:16–83, 74–79, 81–84:1–35 – 80, 84:35–125, 85–88, 89:1–49 89:49–149, 90–92:1–94, 102:68–82 92:94–120, 93, 95:68– 247, 96 – 94, 95:1–68, 102:82–164 97–101, 102:1–68, 103–118

Ges.

21845

100

23016

100

13801

100

Im Vergleich zum Margriete-Roman wurde der Mittelteil in der Prosahistorie stark reduziert, denn die Bücher VI und X des Verstextes, die zusammen immerhin ca. 19 % des Erzähltextes ausmachen, sind im Prosaroman nahezu vollständig gestrichen worden. Es handelt sich in Buch VI um die Abenteuer des Evax mit seiner Geliebten Sibilla, der Königin von Aragon: Der Prosaist teilt lediglich in einem Satz die Vermählung zwischen Evac und Sibilla sowie dessen Krönung zum König von Aragon mit. Buch X mit den Abenteuern von Evax’ Knecht Jonas entfällt ganz. Diese Streichung zeigt, dass der Prosaist zum Zweck der Straffung bei Bedarf auch eine Hauptfigur und deren Aventiure weglässt, insgesamt wird das Figurengeflecht dadurch jedoch kaum vereinfacht. Gänzlich neu eingefügt ist im Prosaroman im Vergleich Buch XII des Verstextes der Erzählstrang mit der wiederholten Bedrohung Konstantinopels durch den Kalifen von Baldac, der sich für die vorher erlittene Niederlage des Sultans von Babylonien rächen will und sich nach Griechenland begibt (P 108–116). Die Christen bleiben wiederum siegreich. Offensichtlich entspringt diese Ergänzung einem Bedürfnis des Prosaisten, einen weiteren Sieg der Christen schildern zu können.

206 

 Deutung und Verständigung in Margarieten van Limborch

Die Zahl der Kürzungen und Streichungen von Sequenzen im Prosaroman gegenüber dem Verstext ist so groß, dass sie hier nur beispielhaft angedeutet werden können.6 Die meisten Auslassungen sind drei Kategorien zuzuordnen: Auslassung oder Kürzung von Kampfschilderungen,7 Reduktion von Nebenhandlungen und Nebenfiguren8 sowie die Tilgung bzw. Reduktion von Übernatür­ lichem.9 Im Vergleich zum Versroman, der in 300 Versen Kämpfe in Armenien gegen die angreifenden Sarazenen schildert (Buch VIII), wird der Ablauf im Prosatext in drei Zeilen zusammengefasst: Sy [die Christen, R. S.] sloeghen haer trompetten ende reden in den hoop. ende si doodent al dat si ghecrijghen consten. die ierst wech liep dat was die beste. (P 89:81–84)10

Ganz ausgelassen oder gekürzt sind im Margarieten-Prosatext weiterhin z. B. die Kämpfe vor Konstantinopel (B VII:606–921, 1007–1412,11 B XII:185–1032). Ein Beispiel für eine Kürzung ist die Darstellung des Traumes von Echites (B V:1808–1861), dem eine Königin (Venus) erscheint, die ihn über seine zukünftigen Aufgaben informiert und ihm eine Wegbeschreibung liefert, damit er sie und

6 Ausführlicher werde ich in den einzelnen Abschnitten nach inhaltlichen Kriterien auf Kürzungen, Erweiterungen und Umstellungen eingehen. 7 Kampfschilderungen wurden beträchtlich reduziert, vergleichbar mit der Tendenz in Kurzfassungen von Versromanen (Henkel 1993, S. 50), z. B. der Kampf des Echites gegen den Riesen Morant, der mit beinahe 200 Versen im Versroman gegenüber 37 Zeilen im Prosaroman geschildert wird (B IV:946–1130 und P 67:11–47). Dabei wurde der Anteil wörtlicher Rede während des Kampfes im Prosaroman stark erhöht. Vgl. zu Wortgewalt auch Abschnitt 5.4.2. 8 Echites befreit eine Frau aus den Händen zweier Ritter (B IV:1385–1527), Kampfvorbereitung (B IV:1689–1746 bzw. A IV:1691–1750). Die Verse A IV:1691–1692, die nicht in B vorkommen, sind für das Verständnis des Textes unentbehrlich und dürften in der Erstfassung vorhanden gewesen sein. Das Demonstrativpronomen „dat“ am Ende von Vers B IV:1689 hat keinen Bezug zum vorhergehenden Vers. 9 Z. B. Echites’ Begegnung mit den drei Meerjungfrauen (B IV:1275–1377). Die Informationen der drei Meerjungfrauen erhält Etsijtes nun von Europa (P 71:8–10). Die Allegorie der Laster und Tugenden in der Burg der Venus entfällt. Venus deutet in einer Ansprache die höhere Signifikanz des Weges der Kontrolle von Affektivität. Etsijtes und Heyndrick erhalten eine Medizin gegen die bei ihrem Zweikampf erlittenen Verletzungen. Zu den verschiedenen Arten der Transformation allegorischer Strukturen im Prosaroman Müller 1992. 10 Für weitere Kürzungen von Kampfdarstellungen vgl. zum Beispiel B II:1032–1077 und P 40:41– 42, B II:1113–1137 und P 42:20–27, B IV:1747–1815 und P 59:61–104, B V:1442–1613 und P 76:15–49, B VII:194–245 und P 86:56–74. 11 In Buch VII des Versromans beträgt der Anteil der Kampfschilderungen 39,12 %, in den entsprechenden Abschnitten des Prosaromans 16,92 %.



Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung 

 207

den auf ihn wartenden Ritter (Heinric) später findet. Der Prosabearbeiter begnügt sich mit folgender knapper Zusammenfassung: want mi is te nacht in mijnen dromen vercondicht vanden god cupido. dat mi wat vreemdes ende wonderlicx voor oghen ende in handen comen soude (P 77:165–168)12

Aber auch die umgekehrte Technik wird angewandt, die Erweiterung bzw. Ergänzung von Erzählsträngen.13 Das Buch I des Verstextes erweitert der Prosaist beträchtlich.14 Die Erweiterungen bestehen hauptsächlich darin, dass ein Vers zu einer ganzen Episode ausgeweitet wird, wie im folgenden Beispiel: Margriete van Limborch Die noch dreven groesen seir, Umb hon doeter so lang so me. (B I:2583–2584)

Historie van Margarieten Die hertoge vast volgende bedaechde dat hi niemant en vant van sinen heren. noch sijn sone noch sijn dochter seggende „O vaderlic god vol alder ghenaden waer ben ic. ende wat is mijns. al mocht mi baten alle die werelt root van goude. wt deser bosschagien en can ic niet geraken. ic en hoere roepen noch blasen achter noch voren o heyndric sone waer sidi ghevaren. o mijn weerde dochtere hoe ist met u ghi en weet niet waer ic ben. noch ick en weet niet waer dat ghi ghevaren moecht sijn. ic vreese voor u ioncheyt oft u die dieren onver­ siens mochten hinderen oft deren. Mijn vaderlic aenschijn moet met tranen bedout sijn. O iacht vermalendide iacht ick mach u wel haten. ic en weet hier noort. oost suyden. oft west gaen. tis hier te woeste. die weghen sijn mi onbekent. den nacht comt aen. ic slae desen pat in dolende om thuys te sijn. om weten oft mijn dochter ende mijn sone weder om ghekeert […].“ (P 3:69–91)

12 Beispiele für Kürzungen – aus den zahlreichen Möglichkeiten – sind der Abschied des Echites in Aragon (B V:1862–1907 und P 77:171), die Beschreibung Ottos (B I:31–49 und P 1:4–5) und die Einführung von Margriete und Heinric (B I:50–78 und P 1:7–9). Ausgelassen werden – ich greife nun als Beispiel Buch IV des Verstextes heraus – die Wahrnehmung von Männern und Frauen durch Echites (B IV:781–817), seine Begegnungen mit den drei Meerjungfrauen (B IV:1275–1377) und mit dem Knecht, der ihm von Europa erzählt (B IV:1528–1567), die Reise des Riesen Brodas (B IV:1850–1954), die Berichte des Ritters und der Frau, die Echites befreit hat, in Athen und in Konstantinopel (B IV:1985–2030, 2046–2096) sowie verschiedene Zweikämpfe (B V:1051–1184 und P 75:61–82, B V:1442–1610 und P 76:15–49). 13 Unter Erweiterung verstehe ich die Ausweitung bestehender Erzählstränge, unter Ergänzung die Hinzufügung neuer. 14 Den ungefähr 12 % des Anteils am Verstext stehen beinahe 23 % im Prosatext gegenüber. Ergänzungen gibt es z. B. im Gespräch Heyndricks mit den Jägern (P 2) und in der Klage Heyndricks (P 5).

208 

 Deutung und Verständigung in Margarieten van Limborch

Im Prosaroman wird die Trauer des Herzogs, der sich, in einem Monolog klagend, im Wald aufhält, ausführlich geschildert, während diese Trauer im MargrieteVersroman  – als Bestandteil einer allgemeinen Aussage über die Trauer der Eltern – in nur zwei Versen umschrieben wird. Des Weiteren erwähnt der Verstext nur kurz, dass Echites sich töten will (B I:1163), im Prosatext wird seiner Verzweiflung und dem anschließenden Gespräch mit Evac ein ganzes Kapitel gewidmet (P 17). Das in Konstantinopel stattfindende Fest mit Turnier deutet der Verstext in wenigen Versen an (B I:2332–2339), der Prosaroman schildert die Begebenheiten in mehreren Kapiteln (P 31:95–139, P 32–34). Hier hat der Prosaist Andeutungen des Verstextes zu größeren Komplexen ausgearbeitet.15 Erweitert und ergänzt werden auf der Ebene der Erzählstränge im Prosatext hauptsächlich die Darstellungen von Festen und Turnieren.16 Als dritte Art des Eingriffs treten Umstellungen auf. Der Versroman ist ein nach dem Prinzip des Entrelacement aufgebauter Text mit vielen Verschachtelungen. Diese Mehrsträngigkeit ist im Gegensatz zu den meisten Prosaauflösungen im Margarieten-Prosaroman beibehalten worden. Im Verstext schildern die ersten sechs der zwölf Bücher die Abenteuer jeweils einer Hauptfigur, während ab Buch VII die Erzählstränge mehr miteinander verwoben und schließlich zusammengeführt werden, was Schauplatzwechsel innerhalb eines Buches zur Folge hat. Diese Schauplatzwechsel sind im Prosaroman bereits viel früher und häufiger durchgeführt worden. So wird in der Prosa z. B. bereits von der Bedrohung Konstantinopels erzählt (P 80), als die Kalabrien-Episode noch gar nicht beendet ist (P 81–84). In vielen Fällen wird eine bestimmte Episode, die im Verstext erst nach dem Abschluss eines Erzählstrangs an die Reihe kommt, im Prosatext nach vorne gezogen. Sie unterbricht auf diese Weise den Erzählstrang mit einer anderen Hauptfigur. Buch IV handelt im Verstext von Echites, dem Sohn des Grafen von Athen, der sich auf die Reise begeben hat, um Abenteuer zu bestehen. Er will sich so als Ritter bewähren und der Liebe Margrietes würdig erweisen. Nachdem seine Abenteuer erzählt wurden, begibt sich Evax auf die Suche nach seinem Freund; Buch V ist seinen Abenteuern gewidmet. Im Prosaroman macht sich Evac direkt nach der Entdeckung der Abreise des Etsijtes auf den Weg, um den Grafensohn zu suchen. Im Verstext wird Evax während der Zeit der Abenteuer des Echites über15 Weitere Beispiele für Erweiterungen dieser Art: P 48:1–62 und B II:1890–1895; P 52:1–98, P  53:1–42 und B II:1910–1939; P 60:59–73 und B IV:257; P 77:1–33 und B V:1705; P 87:1–80 und B VII:1539. 16 Ergänzungen in diesem Bereich sind der Besuch Evacs bei einem Wirt in Mailand, der ihm von den Vorfällen erzählt, und die Darstellung der Zeremonien bei einer Krönung und bei einem Begräbnis. So wird z. B. das Fest bei der Herzogin von Mailand hinzugefügt (P 71:54–91).



Allgemeine Tendenzen der Bearbeitung 

 209

haupt nicht erwähnt. Im Prosatext hingegen wird die Darstellung der Abenteuer des Etsijtes noch ein zweites Mal unterbrochen. Nachdem Etsijtes den Kampf gegen den Grafen in Mailand bestanden und Europa ihm vom Heyndrick erzählt hat (P 59), wechselt die Darstellung zu Evac. Dieser kehrt bei einem Wirt ein, der ihm von dem gerade stattgefundenen Kampf erzählt. Evac trifft am nächsten Tag in Mailand auf Etsijtes, der noch am Hofe der Herzogin verweilt (P 71). Etwas später nehmen sie zusammen von der Herzogin Abschied. Die Erzählstränge von Etsijtes und Evac, im Verstext sehr deutlich voneinander getrennt, werden im Prosaroman viel früher wieder zusammengeführt. Auf der Ebene der Handlungsdarstellung führt das zweimalige Vorziehen von Taten Evacs zu einer Unterbrechung der Abenteuer des Etsijtes. Als erzähltechnischer Eingriff fördert die Zwischenschaltung von Episoden mit anderen Hauptfiguren das Bewusstsein von der Vielsträngigkeit und Komplexität des Romans sowie der Simultaneität von Handlungen an verschiedenen Orten. Gerade aufgrund der vorgenommenen Umstellungen von Erzählsträngen unterscheidet sich der Prosaroman Historie van Margarieten von den meisten anderen Prosaauflösungen, auch von den vollständig erhaltenen niederländischen. Die Historie van Reynaert, der Floris-Prosaroman und der Vergi-Prosaroman übernehmen den Plot und die Reihenfolge der Episoden genau von den jeweiligen Verstexten. Es verhält sich sogar so, dass darüber hinaus die aufgelösten Verse oft noch sehr gut zu erkennen sind: 1718 Reynaerts historie Das serpent was des bereet Ende swoer hem eenen dueren eet Niet te scadighen in eniger saken Doe loste hijt wtten ongemake (V. 4878–4881)

Historie van Reynaert die vos Die serpent was des bereyt ende swoer hem enen dueren eet dattet hem nv noch nym mermeer scaden en soude Doe ontlosten hijt wter stricken (Pg 3699–3702)17

Floris Des coninx sone van Troien Parijs Helenam voerde ende gewan Ende hem na volgede haer man (V. 632–634)

Floris-Prosaroman hoe Paris des conincx soon van Troyen ontschaecte Helenam ende hoe haer man … volchde (A6v)18

17 Zitate aus: Van den vos Reynaerde, Ausg. Hellinga 1952, eigene Setzung der Zeilen des Prosa­ romans. 18 Zitate des Floris-Versromans nach der Ausg. Mak 1980, der Prosatext von 1576 nach eigener Transkription (nun auch Kuiper 2014).

210 

 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

Borchgravinne van Vergi Ende of ic u gave mine minne, Beide met herten ende met sinne Want ghijs mi wel dunct wert Segget mi wes ghi beghert Want ic ander u herde wel. (V. 169–173)

Vergi-Prosaroman oft ick u mijn minne gave metter herten ende met alle sinnen, want ic hebse u langhe tijt wel ghejont, want ick laet my oock duncken dat ghijse wel weert sijt daer omme segt wat ghy van my beghert (270, 618–621)19

Mit Blick auf den Entstehungsprozess können diese stark an der Versvorlage orien­tierten Prosaisierungen sogar auch direkt von einem Setzer bei der Vorbereitung des Druckes vorgenommen worden sein. Aufgrund der Vielseitigkeit und Komplexität der Änderungen, vor allem durch die Umstellungen, muss man beim Margarieten-Prosaroman von einer vor dem Setzen erfolgten handschriftlichen Umschreibung des mehrsträngig geführten Romans in Prosa ausgehen. Der Prosaist hat die Mehrsträngigkeit des verschachtelt geführten Romans beibehalten und an vielen Stellen intensiviert. Unter den Prosaromanen, die oft gerade durch einen Verzicht auf Mehrsträngigkeit gekennzeichnet sind,20 nimmt er damit eine außergewöhnliche Stellung ein.

5.2 Moralisierung und Faszination des Christentums 5.2.1 Moralisierung und Verrat Im Prosaroman sind auf verschiedene Arten Änderungen durchgeführt worden, die das Erzählte moralisch beurteilen und zugleich für den Rezipienten vereindeutigen. Eigenschaften von Figuren treten nicht nur durch eine Selbstaussage aufgrund von Handlungen oder Äußerungen zutage, sondern werden explizit benannt wie: „vromeliken“ (P 91:88), „stoutelic ende vrymoedich“ (P 97:56–57), „ghetrouwelic“ (P 117:98). Die Symbole der Eigenschaften eines guten Herrschers, das Schild für Treue, das Schwert für Scharfsinn, der Helm für festen Glauben, die Sporen für Weisheit und das Zepter für gerechte Rechtsprechung werden im Prosaroman erklärt.21

19 Zitate aus dem Vergi-Versroman nach Jansen 1979, der Prosatext nach der Ausg. Resoort 1988. 20 Müller 1985, S. 51. 21 Die Bedeutung der Symbole wird im Roman auch bei Heyndricks Kaiserkrönung (P 101:75– 112) dargestellt. Das Schwert, das Schild und die Sporen werden durch die Krone und den Mantel ergänzt.



Moralisierung und Faszination des Christentums 

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Eine Vereindeutigung des Erzählten wird durch die zahlreichen Figuren und Situationen benennenden Adjektive unterstützt. Im Vergleich zum Verstext werden Emotionen der Figuren oft direkt bezeichnet wie „seer blide“.22 Als Adjektive der Trauer werden vorwiegend „bedruct“ (P 54:12), „druckich“ (P 65:58), „droeve“ (P 75:71) oder „bedroeft“ (P 84:18) gewählt. Um Emotionen der Wut und Empörung auszudrücken, greift der Prosaist auf „vergramt“ (P 91:54–55), „verstoort“ (P 97:239), „gram“ (P 68:49), „toornich“ (P 100:19) und das Verb „ver­woe­ den“ (P 78:27) zurück. Statt einer plastischen Darstellung der Reaktionen von Personen wie im Verstext wird einer direkten Benennung von Gefühlszuständen der Vorzug gegeben.23 Eine parallel dazu verlaufende Abminderung allgemein verbindlicher höfischer Werte wird bereits in den ersten Zeilen bei der Charakterisierung des Herzogs von Limburg ersichtlich. Tapferkeit und Mut als den Herzog auszeichnende Eigenschaften im Versroman weichen in der Historie van Margarieten der Beschreibung „beladen mit groter fantesijen“ (P 1:10–11). Die Historie vermittelt immer wieder Einblicke in das Innenleben der Figuren, so z. B. im Klagemonolog des weinenden Herzogs im Wald (P 3:72–91). Margrieta klagt: „dies is mijn maechdelic herte seer bedroeft“ (vgl. P 4–6). Heyndrick fürchtet eine große Qual seines Herzens durch den Tod seiner Schwester (P 5:9–12). Margrieta äußert sich: „alle mijn sinnen sijn beroert inwendich“, als sie den teuflischen Jüngling erblickt hat (P 9:15–16), und auch Etsijtes ist „beladen met groter fantesijen“ (P 15:30–31).24 Offenbar lag dem Prosaisten an einer vereindeutigenden Moralisierung des Erzählten, sei es durch direktes Lob nachahmenswerter oder Verurteilung negativer Handlungsweisen, was zu einer schärferen Kontrastierung von Gut und Böse führt. Etsijtes’ Mutter wird, bevor sie überhaupt in der Erzählung aktiv ist, von der Erzählerfigur als „quade teve van eenen wive“ (P 17:109–110) eingeführt. Später heißt es in der Überschrift zu Kapitel 22, dass sie die unschuldige Margrieta ohne Rechtsgrundlage zu töten beabsichtigt. Immer wieder betitelt der Erzähler sie als „quade vrouwe“ (P 22:32) oder „over quade vrouwe“ (P 22:50). Der Richter wird, nachdem die Gräfin ihm gedroht hat, ihn seines Amtes zu entheben, wenn er

22 Vgl. P 61, 84, P 63, P 76:80, P 67, P 105. Die Wortgruppen mit „blijde“ sind allerdings so oft verwendet worden, dass sie, stereotyp eingesetzt, kaum noch eine Aussagekraft besitzen. Roloff hat bereits auf die „enge Ausdrucksskala“ in der Melusine hingewiesen (1970, S. 117). 23 Brandstetter hat für den deutschen Prosaroman auf die Auslassung und Ersetzung negativer und indirekter Aussagen der Versepen aufmerksam gemacht (1971, S. 154), vgl. in der FlorisTradition z. B. V. 482 und 6:40–7:43; V. 3300–3301 und 39:17–18. 24 Eine weitere Erzähleinheit, die über den inneren Zustand einer Person Auskunft gibt, ist der Monolog des Kaufmanns (P 12:1–20).

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Margrieta nicht zum Tod verurteile, mit Pilatus verglichen (P 22:109, 143–148), „valsche rechter“ genannt (P 22:149, 23:45–51, 24:44–47) und am Ende selbst verbrannt (P 24:88–90). An manchen Stellen wird ein Geschehen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, was jedoch nicht bedeutet, dass verschiedene Auffassungen unkommentiert stehen bleiben, sei es, dass der Erzähler Verhaltensweisen oder Auffassungen ablehnt oder dass er sie lobt. Die Handlungsweise der Gräfin und des Richters verurteilt er (P 35:91–93). Mit seinem Kommentar unterstützt der Erzähler die Sichtweise Evacs zur Keuschheit und Sittlichkeit von Frauen (P 27:80–87, P 31:155–160)25 und zur Bedeutung des silbernen Apfels und des goldenen Stockes als Zeichen der Reinheit, Hilfsbereitschaft und Tugend (P 18:238–260).26 Die Episode mit dem Richter schließt ab mit einer Sentenz zur Strafe von Sündern: „Soe varen si ten laesten wt eynde die den duechdeliken menschen verongeliken want si crighen al selven tquade loon int wteynde“ (P 25:91–94). Durch diese Erzähltechnik wird die Spannung reduziert, da die Ereignisse bewertet werden und das Ende einer Episode vorhergesagt wird. Der Prosaroman erhält aufgrund dieser und anderer in den Text eingefügter Weisheiten den Charakter eines Erziehungsbuchs. Moralisierende Erzählerkommentare behandeln außerdem verschiedene Themen wie die Strafe für Verunglimpfung von Mitmenschen (P 25:91–94), Verhaltensregeln für Jungfrauen (P 31:155–160) und, wiederholt, die Verurteilung von Verrat. Dem Prosaisten ist an dieser Verurteilung offenbar sehr gelegen. Den im Heyndrick-Handlungsteil des Prosaromans überwiegend durchgeführten Kürzungen stehen größere das Thema des Verrats betreffende Änderungen und Erweiterungen gegenüber, wie die Änderungen in der Episode mit Heyndrick in Trier, die im Verstext ohne Kommentar, aber sehr detailliert, geschildert wird (B II:1267–1739). Den nunmehr als Kaufmann reisenden Heyndrick ermahnt sein Vater ausdrücklich – dies kommt im Versroman nicht vor –, sich vor Verrätern zu hüten: „wacht u altoos voor die verraders. achtervolghet reynicheyt. … betaelt wel waer ghi vaert oft keert. so salmen eer van u spreken. wreect altoos lachtere

25 Es zieme sich für Frauen nicht, auf das erstbeste Angebot eines Mannes einzugehen (P 17:80– 83). 26 Man vergleiche auch Evacs Beurteilung von Margrietas Handeln: „Een maecht die haer selven over gheeft ten iersten versoecke, men seyt gemeenlic dat sijs meer heeft geploghen dan eens“ (P 17:80–83) oder den Erzählerkommentar zum Benehmen junger Frauen: „Daer bi seyt men. gheen dinck en betaemt den maechden batt. dan eerbaer te sijn ende seegbarich van manieren. vriendelic van ghesichte. lieflic van spraken. hatende alle vileynnicheden. also margrieta dede“ (P 31:155–160).



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op donghelovighe“ (P 37:16–25). Im Prosatext zögert der Bischof zunächst, ob er „den ridder verraden soude“ (P 44:25), doch er stimmt den Plänen dann zu. Von diesem Unterfangen hört Arnout von Ardennen: Ende dese schandelike verradenisse ende boose opsette hoorde arnout van ardennen. ende seyde tegens hem selven. noyt valscher werc ende opsette. salmen den ghetrouwen heyndric alsdus deerliken verraden. ende overleveren in die handen van sinen vianden. dat is groot iammer. ende ic soude hem gaerne waerschuwen. (P 44:74–81)

Der Prosaist verwendet dezidiert eine Technik der Gegenüberstellung: auf der einen Seite der treue Heyndrick und der über den Verrat an diesem empörte Gefährte Arnout, auf der anderen Seite der schändliche Verrat und die böse Absicht, so die Worte des Erzählers, der – an dieser Stelle indirekt über Arnout – deutlich seine Meinung kundtut. Ein Beispiel für die Kontrastierung von Gut und Böse im Prosaroman ist die Episode in Kalabrien, die mit einer Kurzdarstellung des Erzählers einsetzt. Nachdem Heyndrick sich in Mailand von Europa verabschiedet hat, kommt er in Kalabrien an: Heyndric rijdende lancx den weghe quam also verre tot dat hi quam int landt van calaberen. Daer die grave van prijsant een verrader was die die hertoginne van calaberen beteghen hadde. als dat si haer mesdraghen hadde met haren camerlinck. Ende dat was wt haet ende wt nijt. om dat hi sinen wille van haer niet en conste vercrijghen. ende also versierde hi dese scandelike looghene op haer. ende haer camerlinck die wert daerom verbrant. ende dat tot sinen onrechte. Ende die hertoghe van calaberen die woude die hertoginne ooc doen verbranden tonrechte in die stadt thaboor in calaberen (P 54:32–44, Hervorhebung R. S.)

Nach diesem Einschub des Erzählers geht es mit der eigentlichen Erzählung weiter, das heißt, Heyndrick kommt in Tabor an und trifft auf einen klagenden Ritter, der nochmals von dem Verrat an der Herzogin berichtet. Auffällig ist hier also die Wertung des Geschehens, bevor es überhaupt stattgefunden hat, mit Ausdrücken wie „verrader“, „scandelike looghene“ oder „tonrechte“. Außerdem liefert der Erzähler eine Begründung für das Verhalten des Grafen mit: Dieser habe aus Hass und Neid gelogen, da er von der Herzogin abgewiesen worden sei. Somit ist der Leser, bevor bestimmte Ereignisse erzählt werden, nicht nur bereits über die Zusammenhänge informiert, sondern hat eine moralisierende Kommentierung mit einer Charakterisierung des Grafen als Verräter präsentiert bekommen. Im darauf folgenden Kapitel wird die Negativzeichnung des Grafen noch verschärft durch die Auswahl wertender Termini im Titel zum 55. Kapitel wie „valsche verraderie“, „verradere“, „valschelijck“ und indirekt über die eigenen Äußerungen des Grafen zur Herzogin als „quade wijf“ (P 55:6), „schandelose

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poppe“ (P 55:10), „arghe teve“ (P 55:48) oder „quade teve“ (P 55:61).27 Die am Ende des Kapitels erfolgende zusammenfassende Verurteilung des Grafen durch den Erzähler, wiederum unter Benutzung von Schimpfwörtern, stellt ihn als ein Beispiel vieler anderer Verräter auf der Welt dar: Mer hi was een valschaert. ende een cockijn, ende een bose verrader. ghelijc datmen daer noch vele vindende is in alle plaetsen ende hoecken van allen landen (P 55:137–141)

In diesem Kapitel sind die Positionen Heyndricks und des Erzählers bezüglich des Grafen identisch. Beide verwenden für ihn die gleichen Termini,28 das heißt, die Meinungen der guten Charaktere wie vorher die des Evac fungieren als „Erzählerersatzpositionen“ für eine Beurteilung von Verhaltensweisen. Im Verstext überrascht der Verrat Heinric während des Kampfes (B II:1503– 1504), in der Prosa hört Arnout bereits frühzeitig vom geplanten Verrat (P 44:74– 92),29 begibt sich als Söldner ins feindliche Heer und verschafft sich so die Möglichkeit, Heyndrick zu befreien. Arnouts Tätigkeit als heimlicher Kundschafter bewirkt wiederum den Spannungsabbau hinsichtlich der Frage, ob Heyndrick befreit wird. Die Konzentration verlagert sich auf die Art und Weise der Befreiung. Hinzugefügt in der Prosa ist ebenfalls Arnouts ausführliche Erzählung am Limburger Herzogshof über den Verrat an Heyndrick (P 48:1–62), während der Bericht im Versroman nur kurz erwähnt wird (B II:1890–1895). Zudem erfährt der Rachefeldzug des Herzogs Otto von Limburg nach Trier eine breite Gestaltung. Der Verstext schließt die Heinric-Abenteuer mit der knappen Mitteilung über die Eroberung der Stadt und die Gefangennahme des Bischofs ab (B II:1910–1939). Die Historie van Margarieten dagegen schildert in drei Kapiteln mit fast 300 Zeilen die Auseinandersetzung ausführlichst: 1. Kämpfe (P 51:1–45), 2. Waffenstillstandsverhandlungen (P 51:46–138) und 3. Friedensverhandlungen (P 52; 53). Der Verrat wird nicht mit kriegerischen Mitteln bestraft, sondern die Trierer können in der Prosa ihr Vergehen materiell entschädigen. Heyndricks

27 Heyndrick bezeichnet den Grafen als „quaet cockijn“ (P 55:63–64), die Gräfin von Athen nennt Margrieta ein „sleterken margrieten“ (P 19:3,46), der Graf Fromont Heyndrick „venus iancker“ (P 49:73), der Riese Morant Etsijtes „biese boutken“ (P 67:12) und „guytken“ (P 76:24), sein Bruder bezeichnet ihn als „sprinc haenken“ (P 67:76), der Graf von Viertuyt den Grafen Etsijtes als „eenen boeve ende eenen landt loper“ (P 69:80) und sagt zu Europa, sie habe ein Verhältnis zu mehreren „puytieren“ (P 68:50), auch Heyndrick sei einer (P 69:81–82). Die Sarazenen werden von den Christen sehr häufig als „hont“ oder „heydensche hont“ abqualifiziert (z. B. P 74:50, 55, 59; P 85:67, 100). 28 Vgl. P 55:2–3 und 69 durch den Erzähler, P 55:38, 52, 64 und 83 durch Heyndrick. 29 Für den Rezipienten hatte der Erzähler schon einige Kapitel vorher die Befreiung Heyndricks aus der Not angekündigt (P 42:65–66).



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Vater erhält vom Bischof das Körpergewicht seines Sohnes in Gold und von der Stadt Trier noch einmal 10.000 Kronen.30 Interessant ist bei der Gestaltung der Figur des Bischofs im Prosaroman der Versuch, seine Schuld zu relativieren (P 44:18–57). Im Gegensatz zum Bischof im Margriete-Versroman wägt er zuerst ab und vergleicht sich mit Judas, wenn er so handle wie vorgeschlagen.31 Er zögert somit und hat ein schlechtes Gewissen, wodurch er weniger negativ dargestellt wird. Die Dominanz der Verratsthematik zeigt sich darin, dass im Prosaroman die guten Charaktere und der Erzähler Wörter wie „verrader“, „verradenisse“, „valschelic“ und „valschen raet“ geradezu inflationär verwenden, vor allem zwischen Kapitel  44 und 55 zur Bezeichnung der schlechten Personen und Handlungen. Andere Beispiele sind: „schandelike verradenisse“; „boose opsette“; „valscher werc“; „seer quaet ende valsch“; „verraetscap“ oder „scandeliken verraden“.32 Der Kommentar des Erzählers mit Bezug auf die außerliterarische Realität zeigt das Bemühen um den Transport der alten Wahrheiten in den neuen Prosaroman. Der Tempuswechsel im Zitat auf S. 214 lässt zudem erkennen, dass die anthropologische Konstante des Verrats die Historizität des Geschehens übersteigt. Wie schon beim Verrat in Trier macht sich auch in der Etsijtes-Aventiure das besondere Interesse des Prosaisten für die Verratsthematik bemerkbar,33 das heißt, gegen Recht verstoßendes Verhalten erfährt größere, aber ausdrücklich als Negativexempel charakterisierte Aufmerksamkeit.34 Vor allem Etsijtes, aber auch Evac avancieren zu vorbildlichen Kämpfern für das Gemeinwohl. Auch wenn Etsijtes wie im Versroman den Auftrag erhält, auf Abenteuerreise zu gehen, ist der eigentliche Anlass seines Einsatzes, Recht walten zu lassen: „iusticie te doen“ (P 69:65). Die moralisierende Vereindeutigung verräterischen Handelns aktuali-

30 Der ritterliche Kampf verliert seine Bedeutung und wird durch eine unblutige materielle Lösung ersetzt. Neben der Abdrängung ins unverbindliche Turnier zeigt der Prosaist somit eine weitere Technik der Reduzierung von Gewalt. Zu den verschiedenen Graden der Unverbindlichkeit im Allgemeinen Müller 1980. 31 Im Versroman geht der Bischof ohne Zögern auf das Angebot des Königs von Böhmen ein. Auch Johann bemüht sich um eine in die gleiche Richtung gehende Änderung. Wegen der Vorgabe der Erzählung im Prätext ist jedoch eine Episode ohne Verrat nicht möglich, da Heyndrick dann seiner Überlegenheit beraubt würde. 32 Die genannten Wörter kommen allein in der Heyndrick-Aventiure des Prosaromans 45-mal vor. 33 Vgl. den Verrat in Mailand (P 68) und den in Kalabrien (P 78:13–85, P 79:65–206). Wiederum verurteilt das erzählende Ich den Verräter, hier als „desen valschen verrader prijsant“ (P 78:14). Eine hämische Freude scheint durchzuschimmern, als der Erzähler die bevorstehende Strafe für den Verräter ankündigt (P 78:83–85). Im Unterschied zum Verstext wird dieser getötet (P 79:203). 34 Z. B. bei den Riesen (P 66:50–51, 54–55).

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siert die individuelle Bewährung des Ritters hin zu einer moralisierenden Verurteilung von Vergehen, die in allen gesellschaftlichen Schichten vorkommen. Der Versroman diskutiert rechtes Leben in einer ritterlich-höfischen Welt. Die Prosaversion sucht weniger eine Reflexion über die gesellschaftliche Ordnung, sondern vermittelt erzieherisch Idealwerte in direkter Benennung. Stand in Buch I des Margriete-Versromans der Diskurs um rechte Minne im Vordergrund sowie in Buch II und III die exemplarische Bewährung in idealem Rittertum, verfolgt die Prosa didaktisch vereindeutigend die Denunzierung von Verrat und Verrätern. Diese Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei, die sich auch in anderen Prosaromanen zeigt, bestätigt sich auch im Umgang mit dem Thema der gesellschaftlich nicht akzeptierten Formen der Liebe.35

5.2.2 Darstellung nicht-gesellschaftsfähiger Liebe Die in Kapitel  5.1 diskutierte Umgestaltung der Mailand-Handlung macht eine Tendenz zur Zensur delikater Liebesangelegenheiten im Prosaroman deutlich. Heyndrick wundert sich im Prosaroman, wie die junge Frau unter ihn gekommen sei, aber die Natur habe bewirkt, dass er bei ihr einen Sohn gezeugt habe (P 50:75–79). Den im Versroman auch über den Konfliktmonolog der Europa geführten Diskurs zu gesellschaftlich nicht akzeptierten Liebesverhältnissen spart der Prosaist vollständig aus. Weder Europas Ehre noch eventuelle negative Konsequenzen ihrer Affäre mit Heyndrick werden in der Historie van Margarieten erwähnt.36 Im Margriete-Versroman umfasst die Aragon-Episode ca. 4000 Verse, denen nur vier Kapitel mit ca. 595 Zeilen (P 74–77) im Prosaroman entsprechen. Ausgelassen bzw. stark gekürzt werden vor allem Abschnitte, die das ehebrecherische Verhältnis zwischen Evac und Sibille schildern.37 Beinahe vollständig werden 35 Vgl. zur Borchgravinne Resoort 1988 und zum deutschen Prosaroman u. a. Müller 1985. 36 Der Versroman hebt das Einverständnis der Fürsten im Reich hervor, als sie erfahren, wer der Vater des Kindes ist (B III:773–774). 37 Entgegen der Vermutung, es würde hier nur gekürzt, kann man in diesem Handlungsteil an einigen Stellen sogar beträchtliche Erweiterungen feststellen: Die Forderung des Königs von Arabien an den König von Aragon wird erzählerisch ausgebaut (P 74:1–133), Evac befreit Etsijtes (P 77:1–89), und Gefangene werden gegen Lösegeld frei gekauft (P 77:102–139). Entsprechend gibt es noch mehr Kürzungen im Vergleich zum Versroman, so dass eigentlich nur folgendes Erzählgerüst zwischen Vers- und Prosaroman übereinstimmt: Der König von Arabien bedroht das Reich Aragon, da er die Frau des Königs von Aragon begehrt. Etsijtes und Evac kommen zu Hilfe und besiegen die Araber. Etsijtes verlässt den Hof Aragons. Evac wird König von Aragon und heiratet Sibille.



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folgende Abschnitte aus Buch V und Buch VI des Versromans ausgelassen: die Verliebtheit des Evac (B V:996–1014, 1206–1247, 1305–1395, 1412–1441, 1611–1639) und die außereheliche Beziehung zwischen Evac und Sibille (B VI:1–2775). Der den Ehebruch schildernde Handlungsteil mit der doppelten List der Flucht, das Zusammensein im Wald, die Bekehrung Sibilles und das Wiederfinden in Venedig kommen in der Historie van Margarieten nicht vor. Der Prosaist behält lediglich das idyllische Ende der Episode mit Krönung und Hochzeit bei: ende die coninghinne wert ooc also seer ontsteken in liefden op evac den ridder dat si nae die doot van haren man evac troude. ende hi werdt doe coninc van arragoen. (P 77:174–178)

Wie im Roman Johanns entsteht eine Beziehung zwischen Evac und Sibille erst nach dem Tod des Königs von Aragon. Alles Weitere, das die historie in walsche ausführlich erzähle, so der Prosaist, würde zu lang dauern (P 77:178–182). Somit findet wie im Roman Johanns kein Ehebruch statt. Im Unterschied zu Johann verlegt der Prosaautor hingegen den Tod des Königs nicht auf einen früheren Zeitpunkt, sondern lässt die ganze Ehebruchsgeschichte aus. Gedanken zur Minne formuliert der Erzähler im Margriete-Roman aus der Sicht der Hauptfiguren Evax und Sibille vor allem in Monologen und Dialogen. Während Evax die Kraft der Minne und seine eigene Situation diskutiert, erörtert Sibille eher die Folgen einer gesellschaftlich nicht akzeptierten Liebesbeziehung. Der Versroman lässt die Liebenden ausprobieren, erkennen, umkehren und dann emporsteigen. Sie müssen erst den Trieben entsagen, bevor sie eine auch für die Gesellschaft akzeptable Beziehung eingehen dürfen. Das gegen die Gesellschaftsregeln verstoßende, aber innerhalb der Erzählung geheim gehaltene Liebesverhältnis38 spielt der Versroman bis in alle damit verbundenen Konsequenzen der Isolierung und des gesellschaftlichen Abstiegs durch. Der Prosaroman thematisiert nur an drei Stellen sehr vage ein gegenseitiges Interesse der beiden, das aber ausdrücklich als möglicher zukünftiger Ehebruch und nicht als tatsächlich geschehener präsentiert wird.39 Damit geht das im Margriete-Versroman angelegte komplexe Verhältnis von (zunächst mit den gesellschaftlichen Normen nicht konformer) Minne und (inkompetenter) Herrschaft verloren. Aber wie der deutsche Roman enthält die Historie van Marga­ rieten explizite Moralisierungen, die ehebrecherisches Verhalten eindimensional vor dem Spiegel des siebten Gebots deuten: „dat nochtans dwaesheyt was van

38 Bis auf Jonas und Coleta erfährt niemand etwas davon. 39 Als Evac Sibille einen gefangenen Ritter als Geschenk anbietet, denkt sie zum ersten Mal an ihn „in reynicheden“ (P 57:80). Eine zweite Stelle beschreibt den Einfluss der Venus auf die gegenseitige entstehende Liebe (P 57:97–101).

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hem. dat hi liefde droech op een gehoude vrouwe“ (P 76:9–11), oder aus der Sicht des Etsijtes: ghi en doet niet wijslick dat ghy wilt doen breken den houweliken bant het is teghen tghebot gods dat mi een ghehouwede vrouwe blameren oft schoffieren wilt. ende teghens trecht der heyligher kercken. bedwinckt dyn sinnen ende trecser af. laet varen die liefde ende kiest een ander. want dese is blamelic (P 76:144–151)

Allerdings erfahren diese beiden Kritiken des Ehebruchs eine Einschränkung. Im ersten Fall sieht sich die Erzählinstanz zu einem Exkurs zur Theorie über die Liebe veranlasst, die weder auf soziale Stellung, edlen Charakter, Weisheit oder Ehre Rücksicht nehme. Analog zum Versroman wird die Natur zum alleinigen Faktor für die Entstehung der Liebe erklärt.40 Etsijtes fordert seinen Freund zwar auf, seine Triebe zu bezwingen, doch er selbst muss auf die Nachfrage Evacs eingestehen, dass auch er seine Liebe zu Margrieta nicht bändigen könne (P 76:152–162). Ganz vorsichtig und offensichtlich entgegen der Gesellschaftsnorm kündigt sich hier eine Diskussion über das Verhältnis von Anspruch und Realität, von Bibelgebot und Natur an, die aber durch die eigene Zensur der Ehebruchsgeschichte sofort wieder auf eine gesellschaftskonforme, tugendhafte Liebe verengt wird. Die späteren Autoren, Johann von Soest und der Prosaist, verurteilen Vergehen gegen gesellschaftliche Regeln expliziter als der Margriete-Versroman. Was dort indirekt als Didaxe durch das Handlungsgeschehen mit der Trias von Vergehen, Umkehr und Erlösung angelegt ist, kann am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts offensichtlich nicht unkommentiert übernommen werden oder wird nicht als Didaxe erkannt. Gemein ist den drei Texten eine weitgehende Entschuldigung des Interesses der Königin für Evax / Evac aufgrund ihrer Ehe mit einem alten Mann,41 aber dennoch ist eine Gradation in der Ausformulierung der Konsequenzen dieses Verhaltens in den drei Fassungen evident. Im MargrieteRoman findet ein ehebrecherisches Durchleben auch der sexuellen Befriedigung in einer von der Gesellschaft getrennten Heimlichkeit statt. Ein aus der Sicht der Rezipienten nicht ehebrecherisches Zusammensein im Margreth-Roman Johanns verletzt auf der Ebene der Protagonisten dennoch die Gesellschaftsordnung. Der

40 Vgl. P 56:11–15 und B V:1310–1311; hier besser A V:1310–1311. Zur Problematik der (In)Kongruenz literarischer und geistesgeschichtlicher Veränderung hinsichtlich der causa amoris Schnell 1984, S. 286–321. Bereits seit dem 12. Jahrhundert wird in wissenschaftlicher Literatur die Natur als Entstehungsfaktor der Liebe genannt, in der deutschen Dichtung erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts. Auch der Reinfried von Braunschweig, etwa zeitgleich mit dem niederländischen Roman entstanden, enthält Äußerungen zu diesem Thema (RvB, 8762–8771 sowie 8795–8801). 41 Schnell 1998, S. 222, führt einige Beispiele für diese Art von Ehediskurs auf.



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Prosaroman erlaubt das Verhältnis erst nach dem (allseits bekannten) Tod des alten Herrschers. Der Wiedererzähler in der Historie van Margarieten gestaltet den AragonHandlungsteil aus dem Margriete-Versroman im Gegensatz zu Johann von Soest völlig um. Er behält nur das Handlungsgerüst mit dem gleichen Anfang und dem gleichen Ende. In der Mitte aber tilgt er, fügt hinzu und ersetzt. Trotz dieser Differenzen auf der Erzählebene sind in den Adaptationen Johanns und des Prosaisten im Vergleich zur Vorlage ähnliche Umformungen auf der Ebene der Ethisierung feststellbar. Damit reiht sich der Roman in eine Gruppe von Werken des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts ein, in denen die Sünde des Ehebruchs vor dem Hintergrund des Dekalogs verurteilt wird. In der Borchgravinne van Vergi (ältester erhaltener Druck 1558–1560) findet wie in der Margriete-Tradition eine Verschiebung des Blickwinkels statt. Die Propagierung der absoluten Notwendigkeit im Versroman, eine ehebrecherische Beziehung geheim zu halten, weicht in der Prosaversion einer Predigt zur unbedingten Vermeidung solchen Verhaltens.42

5.2.3 Faszination des Christentums Eine weitere wichtige Form der Retextualisierung im Prosaroman besteht darin, dass der Prosaist eine Anerkennung und Faszination der Stärke der christlichen Religion propagiert. Er verschiebt die Priorität der Darstellung im Verlauf seiner Bearbeitung zunehmend von einer Bewährung im ritterlichen Kampf zu einer Verstärkung des Gegensatzes zwischen Christentum und Islam und schildert letztendlich die Überlegenheit des Christentums über den Islam. Die Prosaversion erhöht Heyndricks und Arnouts Leistung in Trier gegen die Übermacht. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners gelingt ihnen der Sieg, denn, so in Heyndricks Worten, „die victorie leit  … die hant gods“ (P 40:20–21). Das Wissen um die „gracie gods“ (P 40:28) lässt Heyndrick in Ruhe die Angriffe der Gegner abwarten. Wegen der göttlichen Fürsorge kann Heyndrick denn auch nur durch einen teuflischen Verrat in Schwierigkeiten geraten. Der Konflikt zwischen den Christen und den Sarazenen, der im Prosaroman wie auch im Versroman aus der Forderung des Königs von Arabien an den König von Aragon entsteht, wird im Prosaroman durch den Erzähler von Anfang an eindeutig beurteilt. Der Gegensatz zwischen beiden Lagern setzt mit einer völlig neu geschaffenen Exposition ein (P 74:1–132). Außer einer drastischen Verschärfung und gleichzeitigen Trivialisierung im Wortgebrauch – indem der König von

42 Resoort 1988, S. 101–151 zur Borchgravinne.

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Arabien den König von Aragon derb beleidigt, löst er den Krieg aus (P 74:118– 120) – wird die Gegenüberstellung der Aragonesen und der Araber als jeweilige Vertreter des Christentums und des Islam kontrastreich gestaltet.43 Ein Beispiel für die Akzentuierung der christlichen Überlegenheit ist eine Hinzufügung in der Aragon-Episode, in der König Alant von Arabien in einem Brief an den König von Aragon dessen Frau für sich einfordert (P 74:40–51).44 Die Reaktion der Frau ist eindeutig: Sie wäre lieber tot als von einem Sarazenen berührt zu werden. In Worten, die die Sarazenen gleichzeitig entmenschlichen, bietet der König von Aragon „dem heißen Hund“ stattdessen „een souch [= Sau, R. S.] ende daer mach hy sijn begheerte mede bedriven“ (P 74:67–68). Wie in vielen anderen mittelalterlichen Texten werden Sarazenen oft mit Schimpfwörtern bezeichnet, die drastische Schärfe im Margarieten-Prosaroman ist jedoch außergewöhnlich.45 Die Verwendung dieser derogativen Namen intensiviert den Antagonismus zwischen den beiden Religionen und deren Vertretern. Möglicherweise kann der Prosaist beim avisierten Rezipienten eine Akzeptanz dieser Rede- und Sichtweisen voraussetzen. Die Aragon-Episode, im Versroman eine wichtige Aventiure des Echites und des Evax auf dem Weg zu Rittertum und Ehre, funktionalisiert die Prosa zu einem Exempel für die Stärkung des Christentums und die Überwindung des Islam um. Diese Zielsetzung markieren eindrucksvoll die Worte der Venus in den beiden Versionen. Im Versroman begründet sie den Auftrag an Echites und Heinric, nach Konstantinopel zu reisen, damit, dass sie den Kaiser beim Erhalt seines Reiches unterstützen sollen: „Mer nü wille ich, dat sij nü varen / Want itz haventz wael zu doin tzworen  / Der Keisser van Griecken in die sijne“ (B V:2094–2096). In der Prosa sagt sie: „Aldus ghi ridderlike gherden gaet ende verstercket christus wet. ende vernielt ende helpt crencken die sarasinen. want het is in u macht“ (P 84:30–33). Die Auseinandersetzung um politische Vorherrschaft in Griechen-

43 Der Prosaist fügt eine zweite Konferenz der sarazenischen Anführer neu ein (P 75:93–140), bei der sich die Sarazenen ihre gegenseitige Unterstützung zusichern, so dass ihr Angriff als noch größer und gefährlicher als im Versroman inszeniert wird. Die letztendliche Überwindung des Gegners lässt die Christen dementsprechend in einem noch besseren Licht erscheinen. 44 Auch der Kampf in Aragon mit dem Sieg über die Sarazenen (P 77:1–89, 101–139 und B V:1685– 1740) wird ausführlicher erzählt. Die Sarazenen müssen außerdem schwören, dass sie nie mehr gegen die Christenheit kämpfen werden (P 77:133–136). Zur Bedeutung der Superiorität des Christentums im Prosaroman Schlusemann 1995. 45 Comfort 1940, S. 629. Der Versroman bevorzugt die etwas neutraleren Bezeichnungen Heide und Sarazene. Auch in der stark vom Krieg gegen die „Ungläubigen“ geprägten Historie van den vier heemskinderen, ca. 1490 zum ersten Mal erschienen, werden überwiegend die Termini Sarazene, Türke und Heide gewählt.



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land im Versroman weicht in der Prosa einem Religionskrieg, der die Überlegenheit der Christen propagiert. Getreu dem Motto „hoe meer vianden hoe meer eren“ (P 103:26) stellt der Prosabearbeiter trotz einer beträchtlichen Reduktion ritterlicher Zweikämpfe in den Kämpfen zwischen Sarazenen und Christen die Gegensätze intensivierend dar. Zum einen wird die in vielerlei Hinsicht erkennbare Stärke und Klugheit der Christen betont. Sie handeln mit „voorsichtigher wysheit“ (P 80:108) und gewinnen, indem sie besonnen agieren und ihre Stärken nicht preisgeben.46 Diesen lobenswerten Eigenschaften stellt der Prosaist die Bösartigkeit und Hinterhältigkeit der Sarazenen gegenüber, indem er ihre gewalttätigen Absichten oder ihre Gräueltaten, auch gegen armes Volk, ausführlich erzählt.47 Darüber hinaus lässt der Prosabearbeiter die Sarazenen den Gott der Christen als „brootsack die om broot ghinck“ (P 97:219–220) beschimpfen, der Sultan verflucht seine Götter (P 100:5–7) und ist ein „mensche sonder moet“ (P 96:67). In der Wortwahl ergreift der Prosabearbeiter verstärkt Partei. Der Kaiser begründet seine Entscheidung, seine Tochter nicht dem Sultan für dessen Neffen zu überlassen, zunächst eher sachlich ausführlich mit dessen fehlendem Glauben an Gott, aber dann beleidigt auch er die Gegenseite damit, dass er seine Tochter lieber töten als einem „snoden rabaut“ („schlimmen Hurengänger“, P 80:76–94) geben würde. Selbst wenn die Christen nur die Hälfte an Kämpfern haben, siegen sie, denn Gott ist mit ihnen, da „si sijn ghelove sterckten“ (P 103:84).48 Nach dem ersten großen Kampfabschnitt schlussfolgert der Prosaist denn auch: „heydenesse en hadde noyt meerderen schade dant daer en hadde“ (P 103: 212–213).49 Auch in anderen Episoden wird eine Tendenz zur Umdichtung des Prosaromans zur Christentumspropaganda evident: Die christlichen Ritter kämpfen zur Stärkung des christlichen Glaubens „voort heylighe kersten ghelove gode ter eeren“ (P 117:232–233).50 Etsijtes’ erstes Abenteuer mit dem Sieg über die Riesen vermittelt einen Hinweis auf diese veränderte Funktionalisierung. Etsijtes’ Kampf erzählt die Prosa neu, indem sie ihn von einer Bewährungsprobe zwischen zwei

46 Einem in der Stadt ankommenden sarazenischen Boten werden die Augen verbunden, damit er sich nicht über die Vorgänge in der Stadt informieren kann (P 82:42–49, 154–159). Vgl. auch P 82:1–205; 85:1–91; 86:56–76, 124–130; 87:107–151; 103:79–85. 47 Vgl. P 66:61–67; 80:150–185; 81:145–165. 48 Bei einem ersten Kampf in der Nähe von Konstantinopel besiegen 60.000 Christen 80.000 Sarazenen (P 81:1–127, vgl. auch P 85:20–26; 103:85–113). 49 Auch der im Prosaroman neu hinzugefügte Erzählstrang mit der wiederholten Bedrohung Konstantinopels durch den Kalifen von Baldac betont nachdrücklich den großen von Gott gesandten Sieg der Christen (P 108–116:76). 50 Vgl. auch P 85:38–39, 45; 103:181–212; 104:164–165; 105:181–182; 117:221–223.

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christlichen Rittern51 zu einem Zweikampf zwischen einem Christen und einem sarazenischen Riesen, der die Christen täglich foltert, umdichtet (P 66:52–53). Der Riese Morant schwört in der Prosa auf die heidnischen Götter „Makomet“, „Apolijn“ und „Ternogant“ (P 67:5–7).52 Im Zweikampf mit dem Riesen Brodas, dem Bruder Morants, gewährt Etsijtes diesem nur freien Abzug, wenn er bereit sei, sich zum Christentum zu bekehren und ein Taufversprechen abzugeben, und in Konstantinopel bittet Brodas darum, getauft zu werden (P 67:101–102).53 Der Kaiser wird sein Pate, Brodas’ neuer Name ist Christoffel (nach dem heiligen Christophorus) (P 72:80). Sogar sein ganzes Volk lässt der neue Christ taufen (P 72:87–88). Im Versroman symbolisiert der Sieg über die starken Ritter die Unerschrockenheit und Tapferkeit des Echites auf seinem Weg zu wahrem Rittertum. Die Prosa funktionalisiert den Kampf zwischen Etsijtes und den Riesen neu als Sieg des Christentums über den Islam, die in der Bekehrung des Riesen Brodas und seines Volkes einen ersten Höhepunkt erreicht. Die Episode versinnbildlicht die Intention des Prosaisten, die begeisternde Ausstrahlung des Christentums darzustellen. Dies wird in der zweiten Hälfte des Romans noch stärker akzentuiert und mittels der Figur des Bruders des Sultans, Demofoen, differenzierter ausgestaltet.54 Demofoen wird im Prosaroman der „ambassaet“ (P 88:39), der Friedensbotschafter. Als Vermittler zwischen den gegnerischen Welten wird seine besondere Position in der Erzählfiktion schnell deutlich. Die Erzählerfigur betont den Edelmut Demofoens und lobt seine außergewöhnliche Ausstrahlung sowie seine Eigenschaften: „grote beleeftheit“, „grote schoonheyt“, „al was hi heyden hi was een schoon vroom man“ (P 88:134–137). Auch nachdem er schon für die Christen gekämpft hat, gibt Demofoen ihnen die Pläne seines Bruders nicht preis, und der Erzähler kommentiert: „ten hadde gheen edel daet van hem gheweest hadde hijt

51 Der Versroman führt die Riesen als schreckliche, aber christliche Ritter ein. Morant bittet den heiligen Geist um Hilfe (B IV:959), er ruft „by gode“ (B IV:1010) und zweimal „en des duvels name“ (B IV:1089,1102). Durch diesen letzteren Ausruf wird er sogleich als schlechter Christ charakterisiert. Vgl. B IV:946–1274, 1850–1962 und P 67, 69:1–15, 72. – In der Historie taucht bereits hier, viel früher als im Versroman, die in der Literatur allgemein übliche, aber falsche Darstellung des Islam als polytheistische Religion auf. Zur Rolle der Sarazenen in mittelalterlicher Literatur vgl. z. B. Naumann 1925, Comfort 1940, Meredith-Jones 1942, Trotter 1988, Lens 1992, Lens 2004. 52 Vgl. P 67:58–59. 53 Auch Evac kämpft im Prosaroman nicht mehr wegen einer Frau, sondern für den Glauben (P 76:107–110). Diese Änderung könnte auch im Zusammenhang mit der Zensur der Liebesaffäre im Prosaroman entstanden sein. 54 Vgl. als weiteres Beispiel für diese Umschreibung den Kampf um Armenien (P 90).



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hem lieden ontboden“ (P 96:87–89).55 Die Christen stecken alle Zelte in Brand, bis auf Demofoens Zelt, auf das sie schreiben: „dat si om sijn edelheyt wille lieten die hi hem gedaen ende ghetoocht hadde“ (P 97:81–83). Als Friedensvermittler versucht Demofoen seinen Bruder davon zu überzeugen, den nutzlosen Krieg aufzugeben.56 Wie im Versroman ist die Minne als Handlungsantrieb für ihn ausschlaggebend.57 Demofoen kämpft wegen der Minne ohne Rücksicht auf seinen Glauben an der Seite der Christen und erkennt die Stärke und Klugheit der Christen bereits frühzeitig: Sie seien „subtijl“, „voorsienich ende wijs“, „vroom“, „seer cloeck“, und es ist deutlich, dass er sich zur christlichen Religion bekehren wird, aber den Zeitpunkt bestimmt er selbst.58 Er wird als Figur in das Romangeschehen eingebunden, die eine eigentlich unvereinbare Verbundenheit mit dem Sultan einerseits und mit den Christen andererseits zu kombinieren weiß.59 Seine Fähigkeit der Grenzüberschreitung zeigt sich am überzeugendsten, als er auf beide Religionen schwört: „demofoen swoer daer op sinen god ende der kerstenen god“ (P 101:16–17).60 Letztendlich tritt auch er wegen der „edelheyt“, die die Christen ihm erwiesen haben, und wegen seiner Liebe zu Ysonia zum christlichen Glauben über.61 Die Unterweisung im christlichen Glauben – auch der anderen sich Bekehrenden – und die Feierlichkeiten verschiedener Taufzeremonien schildert der Prosaist malerisch ausschmückend über mehrere Kapitel (P 98:164–188; 99:1–122; 100:147–195).62 Damit wird im Prosaroman der religiöse Gegensatz als Kampf um die Vorherrschaft zwischen dem

55 Aufgrund seiner edlen Gesinnung lässt er einen christlichen Spion leben, als dieser das Heer der Sarazenen auskundschaften will (P 96:92–160). 56 Vgl. z. B. P 92:112–117; 95:220–224. 57 Der Erzähler kündigt das Minnegespräch zwischen Demofoen und Ysonia (Kap. 104) bereits früher an (P 100:131–134). Vgl. Abschnitt 5.4.3. 58 Vgl. P 90:2–6; 92:288–289; 96:59–60, 64–65, 84–85; 97:288–290. Als Etsijtes ihn auffordert, Christ zu werden, antwortet Demofoen, die Zeit dafür sei noch nicht gekommen (P 102:13–14). 59 Vgl. die Bemerkungen zur Verbundenheit mit den Christen: P 91:15–23; 101:16–17. 60 Vgl. „demofoen … beloofde daer bi sinen got ende bi sijnder wet daer in te doene iae inden campe als oft hi ware een gedoopt kersten“ (P 91:15–18). 61 Vgl. P 104:98–110. Einen möglichen Wechsel zum Christentum stellt Demofoen bereits frühzeitig Ysonia in Aussicht, nachdem er ihr seine Liebe gestanden hat (P 88:147–149). Vorher hatten drei Sarazenen, der König von Libyen, der König von Kapedozien und der König von Lybra, die christliche Überlegenheit ausdrücklich anerkannt, nachdem sie ihre Zweikämpfe gegen Heyndrick, Etsijtes und König Lodewijc verloren hatten: „want ic sie ende mercke dat haren god stercker ende crachtiger is dan onse mamet oft alle onse goden“ (P 98:44–46). Sie bitten darum, getauft zu werden. 62 Bei den Taufzeremonien steht vor allem der Übergang eines Sarazenen zum Christentum im Vordergrund. Zum Christentum bekehren sich außerdem der Emir des Königs von Lybra (P 99:109–110) und Amynijus, der Neffe des Sultans (P 104:151–164), auch wenn die Bekehrung

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Christentum und dem Heidentum nicht nur in der kriegerischen Auseinandersetzung ausgefochten, sondern die Propaganda für den Einsatz der Christen wird als Kampf für die christliche Seligkeit in der Taufe äußerlich sichtbar in Szene gesetzt und als Zeichen der Aufnahme in das Gottesreich feierlich zelebriert.

5.3 Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 5.3.1 Verständlichkeit Der Prosaist zielt mit Hilfe verschiedener Erzähltechniken auf eine Verständlichkeit fördernde und klare Darstellung der Erzählwelt ab. Durch häufige Wiederholung und oftmals langsames Voranschreitenlassen bestimmter Handlungs­abläufe ermöglicht er auch einem im selbstständigen Lesen ungeübteren Leser oder anderen Rezipienten des frühen 16. Jahrhunderts ein leichteres Zurechtfinden in der Erzählfiktion.63 Nachdem er bereits vorher eingeführt worden war (P 92), wird Demofoen im Prosatext immer wieder mit dem Zusatz, er sei der Bruder des Sultans, genannt: „Demofoen des soudaens broeder“ (P 95:195). Ebenso werden z. B. „polijphenus den ruese“ (P 95:205) und „etsijtes des graven sone van athenen“ (P 95:207) wiederholt ausführlich vorgestellt, wenngleich sie dem Rezipienten längst bekannt sind. Die Ankunft des Herzogs von Limburg in Konstantinopel z. B. beschreibt der Prosaist detailliert (P 105:10–78), indem er die einzelnen Stationen der Anreise der Schiffe  – Sichten von Schiffen, Margrietes Frage, ob es ihre Eltern sind, das Heranrudern an die Schiffe durch Boten, Frage nach der Herkunft, Berichterstattung, Ankunft – ausführlich Schritt für Schritt schildert.64 Zur Verdeutlichung gehört die explizite Ankündigung bei einem Sprechereinsatz, wie z. B. in der Episode, als Heyndrick im Land Mailand ankommt:

doe seyde dese schone maecht (P 49:5) Heyndrick … vraechde (P 49:7–8) doen seide heindric (P 49:11) die maecht … seide (P 49:14–15) Heyndrick van lymborch seyde (P 49:33–34) die maecht europa … seide (P 49:37–39) seide heyndrick (P 49:42)

des Letzteren nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird, sowie 600 der Untertanen Demofoens (P 109:72–75). 63 Zu möglichen Rezeptienten(gruppen) vgl. Kapitel 6.4. 64 Abwechselnd richtet der Erzähler den Blick auf die heranfahrenden Schiffe (Z. 13, 27, 31, 49, 58), die Nennung der Eltern (Z. 17, 54, 63, 67, 74) und die Galeoten (Z. 21, 26, 30, 40).



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

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Als charakteristisch für die spätmittelalterliche Erzählliteratur in Prosa kann die Hinzufügung von Appositionen zu Eigennamen betrachtet werden, die, oft stereotyp eingesetzt, die familiären und sozialen Beziehungen der Figuren angeben und auf diese Weise das Verständnis des Textes erleichtern:65 „die gravinne Etsijtes moeder“ (P 38:29); „Heyndrick van lymborch“ (P 54:1), „Margrieten sijn suster“ (P 54:4–5).66 Die Figuren werden auf diese Weise in ein festes Bezugssystem gesetzt.67 Familienzusammenhänge und soziale Verbindungen werden immer wieder angegeben, so dass der Rezipient fortwährend den Überblick behält. So wird dreimal kurz hintereinander betont, dass Fromont der Onkel Europas (P 49:19, 54, 63–64) oder dass Ysonia die Tochter des Königs von Salenten sei (P 91:21–22; P 92:29–30; P 94:109–110). Der Prosaist liefert darüber hinaus durch kurze abschließende Situations­ beschreibungen oder (wiederholende) Zusammenfassungen von bereits Geschehenem Metainformationen, die der Kommunikation mit den Rezipienten dienen.68 Am Schluss vieler Kapitel fungiert eine Überleitung als Einführung zum nächsten Kapitel: „ende wil verhalen van heyndricx vader die hertoge van lymborch, die mit sijnder gheheelder machte van sinen volcke voor Triere lach. om wrake te doen van sinen sone heyndric“ (P 50:81–85).69 Sehr häufig nimmt der Prosaist zukünftige Entwicklungen der Erzählwelt vorweg, wie bereits am Ende von Kapitel  13 die Minne des Etsijtes für Margrieta: „ende etyijtes des graven soen die leide sijn sinnen aen margrieten somen horen sal eert eynde neemt“ (P 13:112–114).70 Zuweilen wird eine zusammenfassende Rückschau mit einer vorausblickenden Ankündigung kombiniert.71

65 Vgl. Straub 1974, S. 118, für den Wilhelm von Österreich. 66 Dieses Verfahren der mehrmaligen Wiederholung von Verwandtschaftsbeziehungen wird auch bereits in früheren Prosatexten angewendet, wie im Boec van den houte (Tideman 1844, Z. 83, 98, 100–101) oder in der Historie van Alexander: „philips olimphias man“ (A1r), „olimphias philips vrouwe“ (A1v); „philips haren man“ (A1v). 67 Vgl. Roloff 1970, S. 74, Straub 1974, S. 118. 68 „Aldus bleven si daer sitten onder hem beyden niet wetende waer dat si waren“ (P 7:39–41), nachdem Margrieta und der Kaufmann sich verirrt haben, oder am Ende von Kapitel  5: „Dus stont etchytes teghen hem selven ende claechde. beladen myt groter fantesijen. hoe dat hijt maken mochte dat hy troost vercrege van haer die hem die sinnen ghestolen hadde“ (P 5:29– 38), nachdem das ganze Kapitel als ein Klagemonolog über Etsijtes’ Liebe zu Margrieta stilisiert worden ist. 69 Vgl. auch P 53:39–42; 56:70–74; 71:91–96; 73:21–24 usw. 70 Vergleichbar: P 5:67–69; 17:109–111; 23:45–51; 31:161–168; 34:48–53; 40:1–4, 64–69; 41:1–9; 42:42–45; 49:2–4; 53:32–44; 79:83–85; 87:160–161; 93:82–84; 103:82–85. 71 Vgl. P 41:1–9.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

Ein weiteres die Deutlichkeit förderndes Element ist das der Verstärkung. Im Gespräch zwischen Demofoen und seinem Bruder, dem Sultan, kommt dieses Merkmal dreimal vor, einmal in der Ergänzung des Wortes „feesteliken“ bei der Begrüßung Demofoens, in der Anrede Demofoens an seinen Bruder („aldus lieve broeder“) und in der Akzentuierung des Mutes der christlichen Ritter mit einem Vergleich: „moet als leeuwen“ (Kap. 95, vgl. Abschnitt  5.1). Der Prosaist bindet seine Historie auf diese Weise didaktisch in ein Erzählkonzept der Verständlichkeit ein, das durch einen erhöhten Grad an Direktheit verstärkt wird. Im Verstext spricht der Sultan vom „scaden“ und der „onneren“ (B IX:322), von „scade ende schande“ (B IX:331), falls er sich zurückziehen würde, im Prosatext reagiert er emotionsgeladen: „Als dat die soudaen hoorde van sinen broeder woude hy verwoeden. hy swoer bi alle sijn goden. hy soude des keysers dochter hebben eer hy van der stadt soude trecken. of selve daer voor bliven“ (P 95:226–228). Im Prosatext wird die Absicht, den Kampf fortzuführen, direkt benannt, im Verstext nur indirekt, indem davon gesprochen wird, dass der Waffenstillstand einen Monat andauert (B IX:391).

5.3.2 Verdichtung Kohärenzstiftende Umgestaltungen wie eine Komprimierung des im Versroman Erzählten seien als Tendenz zur Verdichtung bezeichnet, die durch verschiedene Erzähltechniken wie die kausale oder konsekutive Verknüpfung von Sätzen, Nacherzählungen von bereits stattgefundenen Ereignissen und die Intensivierung des Entrelacement erreicht wird. Für die Prosaauflösungen von Versepen wurde in vielen Untersuchungen eine Reduktion auf die res factae festgestellt.72 Oftmals bleibe alles beiseite, was nicht zum faktisch Wichtigen zähle und was das Fortschreiten der Handlung gefährden könne.73 Für den frühneuhochdeutschen Roman hat Roloff diese Tendenz als das „Streben nach Knappheit und skelettartiger Sachlichkeit“74 bezeichnet. Im Margarieten-Roman belegt das Kapellenabenteuer exemplarisch diese Erzählweise. Es umfasst im Versroman mehr als 130 Verse und in der Prosaversion lediglich 30  Zeilen.75 Die plastische Zeichnung der gefährlichen und zugleich makabren 72 Roloff 1970, Brandstetter 1971, Melzer 1972. 73 Roloff 1970, S. 45, bezeichnet diese Form der Retextualisierung als „Klarheit ohne Umschweife“. 74 Roloff 1970, S. 58, vgl. Straub 1974, S. 68 und Müller 1985. 75 Es fehlen die Beschreibung der Landschaft und der Kapelle, die zwei Leichen auf der Bahre, das Gespräch zwischen Margrieta und dem Kaufmann darüber, ob sie trotz der widrigen Um-



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

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Situation im Versroman, als Margrieta und der Kaufmann in der Räuberkapelle neben den aufgebahrten Toten eine Mahlzeit zu sich nehmen, übernimmt der Prosaist nicht. Er ersetzt es durch: „Margrieta die sloech er eens cruys over. ende si aten van der spijsen“ (P 6:67–68). Ebenso nüchtern lässt er die beiden sich unter Laub verstecken, während der Prätext die listenreiche heimliche Flucht betont. Durch die Einengung des Handlungsspielraums und die der Historiographie entlehnte Darstellungsform entweicht die Prosa dem sinnstiftenden Erzählrahmen der der Erzählwelt inhärenten Normen und ihrer gesellschaftlichen Eingebundenheit.76 Vorher war bereits das Bärenabenteuer im Wald ausgelassen worden,77 wodurch zum ersten Mal wie auch später beim Heinric-Abenteuer die Wildheit der Aventiure-Welt abgemildert wird.78 Der Bearbeiter der Historie van Margarieten ist wie viele andere Prosaisten der Zeit geneigt, Zusammenhänge äußerlich durch die Einfügung von Konjunktionen sichtbar zu machen. Sehr häufig werden Sätze, seien es Hauptsätze oder Nebensätze, durch Konjunktionen wie „ende“, „alsoe“, „want“, „omdat“ oder „opdat“ eingeleitet oder miteinander verbunden.79 Diese Technik der Aneinanderreihung und Verschachtelung ist ebenfalls in anderen Prosatexten des späten 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts zu beobachten. Im Prosadruck der Historie van Alexander80 kommen bereits auf fol. A1r folgende Konjunktionen mehrmals vor: „doe“, „want“, „ende“. Das Prinzip der Verknüpfung von Sätzen ist weiter im ganzen Text durchgeführt worden.81 Für den Floris-Roman möge folgender Satz die Tendenz zur Verkettung veranschaulichen: stände in der Kapelle essen sollen der nicht, die Erzählung der Vorgeschichte über die Todesumstände der zwei Toten sowie die Flucht in den Wald und die Fortsetzung ihres Weges. 76 Dazu passt auch die Streichung der Aufzählung von Margrietes höfischen Eigenschaften (B I:996–1000). Zu den Typen der Transformation in der Prosa des 15. und 16. Jahrhunderts siehe Müller 1999, S. 156–159. 77 Das Argument, einige kleinere Eingriffe wie das Weglassen des Bären und des Pferdes sowie der zwei Leichen in der Kapelle seien aus dramaturgischen Gründen durchgeführt, kann nicht ganz überzeugen (van Gijsen 1989, S. 202, Anm. 6). 78 Zur vergleichbaren Reduktion des Löwenabenteuers in Fuetrers Iban siehe Müller 1980, S. 24. 79 Vgl. P 83:228, 240; 84:5, 33; 105:118, für den frühneuhochdeutschen Prosaroman vgl. Brand­ stetter 1971, S. 151. 80 Gedruckt von Gheraert Leeu in Gouda, 1477. Der Prosatext ist eine Druckfassung der Prosageschichte über Alexander, wie sie in der Historienbijbel van 1360 vorkommt. Diese wiederum kann als Prosabearbeitung des vierten Buches der ersten „partie“ von Jacob van Maerlants Spieghel historiael, Kap. 1–62, und der Historia Scolastica des Petrus Comestor gelten (vgl. Gerritsen 1978). 81 Auch in einer Prosafassung des Boec van den houte ist diese Technik verwendet worden (vgl. die Ausgabe des Prosatextes bei Tideman 1844 unter „Bijlage A“, S. 46–58). Verwendung finden u. a. Konjunktionen wie „die“, „want“ und „ende“ (z. B. Zeile 50, 55, 58, 61, 62, 86, 87, 89, 99).

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

Maer ten quam niet na des conincx meyninghe / want als hi na Montorien reysen soude / so vraechde Floris oft Blacefluer [sic] met hem reysen soude / waer op hem die coninc antwoorde dat Blancefluers moeder siec was ende dat si bi haer moeder bliuen moeste want die moeder moeste haer siec gelaten door des conincx gebot end [sic] haer dochterken bi haer laten / op dat Floris alleen reysen soude. (Floris ende Blancefluer 1576, A4r)

Die enge Zusammengehörigkeit wird durch hauptsatz- und nebensatzverbindende Konjunktionen wie „want“, „waer op“, „op dat“, „ende“, „aldus“ oder „doe“ („doen“) gekennzeichnet. Für den Floris-Prosaroman ist besonders die Verwendung temporaler Nebensätze charakteristisch,82 sei es, dass Hauptsätze des Verstextes in Nebensätze umgewandelt werden, wie z. B. „Doe warts gheware die camerlinc“ (V:546) in „Als dat sijnen camerlinck sach“ (P 9:100), oder dass neue Nebensätze eingefügt werden, wie „Als Floris nv sijn clachte gedaen hadde“ (P 17:130–131) oder „Als Floris nv alle de waerheyt ghehoort hadde“ (P 20:1). Kausale Konjunktionen wie „want“83, „omdat“ (P 6:30; P 23:76; P 33:4), finale wie „opdat“ (P 6:21) oder konsekutive wie „alsoo dat“ (P 8:93) sind auch im Margarieten-Roman in großer Fülle eingesetzt worden und entsprechen dem Hang dieses und der meisten zeitgenössischen Prosaisten zur äußerlichen Verkettung von Ursache und Wirkung. Zusätzlich trifft man häufig auf begründende Einschübe wie „dat was om dies wille“ (P 8:100; P 11:116–118), „ende dat omme tverlies“ (P 6:48–49), „om hem te vermaken“ (P 58:3), „dat om sijnder quetsuren wille“ (P 85:124–125), „dat was een teken datmense“ (P 100:57–58). Dieses Verfahren enthebt den Leser der Notwendigkeit, die Zusammenhänge selbst herstellen zu müssen. Anders als im Verstext wird dadurch im Prosatext eine geringere Verständnisleistung des Rezipienten gefordert. Ebenso haben die wiederholenden Darstellungen, aber auch die die Ereignisse zusammenfassenden (Kurz-)Berichte durch Figuren der Erzählwelt eine Funktion: Arnout, einer der Ritter des Herzogs von Limburg, der zusammen mit dessen Sohn Heyndrick in Trier gekämpft hat, erzählt ausführlich die Begebenheiten von Trier (P 48:1–62). Der Wirt berichtet Evac von dem Verrat an Europa, der Herzogin von Mailand (P 70:31–52), und vergegenwärtigt so dem Leser nochmals diese Erzählsequenz des Romans.84 Die bereits erwähnten zahlreichen Vorausdeutungen dienen der Bewusstmachung der Geschichte als einer zusam-

82 Vgl. De historie van Floris ende Blancefleur 1642: 4:39, 44–46; 7:43–44; 17:130–131; 20:1; 34:17; 38:151–152; 44:1–2. Für Beispiele kausaler Nebensätze siehe 6:30, 37; 8:91; 23:102; 26:36. 83 Vgl. P 5:29; 6:34; 8:91; 19:205; 22:65; 23:77, 102; 24:114; 26:36; 27:54, 56, 63, 67, 68; 30:164; 35:51; 37:99, 121, 122; 39:2; 43:112. 84 Andere Beispiele sind die Zusammenfassung der Ereignisse in Kalabrien (P 78:1–12) durch den Erzähler oder Etsijtes’ Bericht über seine Erlebnisse in Aragon (P 79:1–7).



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

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menhängenden organischen Einheit, deren Ablauf konstruiert ist. Durch die Zusammenfassung von bereits Geschehenem und die Ankündigung von künftigem Geschehen wird die gerade erzählte Episode in das größere Erzählgefüge explizit eingeflochten. Im Margarieten-Roman ist weiterhin die rigorose Streichung und Kürzung von Kampfdarstellungen sehr auffällig, die von einer Tendenz zum sachlichen Nachrichtenstil zeugen (vgl. auch 5.1). Dadurch wird das Geschehen gestrafft und auf das Erzählen des Faktischen reduziert. Hierin zeigt sich eine vergleichbare Tendenz wie im Margreth-Versroman Johanns von Soest. Einige Beispiele aus Buch II des Verstextes im Vergleich zum Prosaroman können die Arbeitsweise des Prosaisten verdeutlichen. In 44 Versen wird im Verstext detailliert der Kampf zwischen Heinric und dem Herzog von Österreich mit einem Wortgefecht am Anfang, dem der Zweikampf folgt, ausgeführt (B II:1032–1084). Es kommen die Aktionen ausmalende Wendungen vor wie „quam gereden crachtelike“ (B II:1070), „stac dar-up mit den sperre“ (B II:1071), „hueff dat swert“ (B II:1073) und „sluech“ (B II:1074). Die ganze Szene wird im Prosatext zusammengefasst mit „hi sloech … daernae den hertoge van oostenrijcke sinen arm af“ (P 40:41–42). Hier geht es dem Bearbeiter offensichtlich nicht um die Darstellung des Kampfgeschehens, sondern nur um das Ergebnis des Kampfes. Noch deutlicher wird der Unterschied zu Beginn von Buch II, wo Heinrics meisterhaften Auseinandersetzungen mit den Räubern etwa 200 Verse gewidmet sind (B II:204–401), während im Prosatext nur wenige Zeilen über das Geschehen berichten: Met dien so quam heyndrick aenghereden. ende hoorde dat geruchte ende sach dat si desen riddere dese fortse deden. doen trac heyndric sijn swert wt ende sloech dapperlic inden hoop. also dat hijer een ofte twee velde. eer dat si hem ter weer consten stellen. Ende hi seyde vrient neemt een mes ende slaet mede inden hoop. ende sloech doe so fellic mede datter een deel rovers doot bleven. ende die ander liepen blijdeliken wech om dat si tlijf ontdraghen mochten. (P 39:19–31)

Die Kürzungen von Episoden aus dem Heinric-Handlungsteil wurden überwiegend vor dem Trierer Abenteuer durchgeführt. Ausgelassen wurden, wie bei Margrietas Abenteuer (B II:195–229), die Bärenepisode und das Kapellenabenteuer (B II:306–416), der Überfall in der Nacht (B II:490–523) und die Episode mit dem Grafen von Luxemburg (B II:599–1028).85 Den ersten 1028 Versen von Buch II in der ripuarischen Handschrift entsprechen in der Prosa 192 Zeilen (P 37:1–45; P  39:1–147), gefolgt von weiteren Kürzungen der Zweikampfbeschreibungen

85 Die Figur des Grafen von Luxemburg, der als Verbündeter des Herzogs von Lothringen auftritt, kommt in der Prosa nicht vor.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

(B  II:1029–1266 entsprechen P 40:1–69; 42:1–45).86 In Trier schlägt der gefangen genommene König von Böhmen dem Bischof von Trier vor, sich mit seinem Heer zurückzuziehen, wenn der Bischof Heinric ausliefere (B II:1283–1334 und P 44:1–39). Die Vorbereitung des Verrats und die Besprechung bei den Belagerern (B  II:1219–1282, 1401–1452) sowie die Durchführung des Plans (B II:1454–1597) finden im Prosaroman keine Entsprechung. Die im Verstext durch die Hinauszögerung der Kernhandlungen erzeugte Spannung hat der Prosaist durch eine Moralisierung der Verratsepisode ersetzt (vgl. Abschnitt  5.1). Die ausschmückende Schilderung der verschiedenen Taten im Verstext ist einer zusammenfassenden, sich auf das Faktische beschränkenden Erzählweise gewichen. Heinrics Kampfkraft und Entschlossenheit in diesen Episoden scheinen dem Prosaisten nicht wichtig zu sein, denn er zieht ein möglichst schnelles Vordringen zum Kern der Heyndrick-Aventiure vor: der „schandelike verradenisse ende boose opsette“ (P 44:74–75). Im Prosadruck geht es vor allem um das Ergebnis, den Sieg Heyndricks. Es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele für die in diesem Bereich eher nüchterne Erzählweise mit einer weitgehenden Beschränkung auf das Faktische nennen.87 Nicht nur Kampfschilderungen, sondern auch andere Szenen werden im Prosatext auf die Mitteilung des Ergebnisses reduziert. So wird der Abschied des Echites vom König von Aragon, der im Verstext mit dem Aufstehen am Morgen, der Messe, dem Dank an den König für die Ehre sowie den Pferden als Geschenk eingekleidet wird, im Prosatext in folgenden Worten nur kurz angedeutet: „Ende met dien so nam hi orlof“ (P 77: 171). In der Venusburgepisode (B III:1107–1387, P 56:1– 74) tilgt der Prosabearbeiter vollständig die Allegorie der Laster und Tugenden. In der Prosa leisten die „camerieren“ der Venus Heyndrick Gesellschaft (P 23:68).88

86 Den Tod des Herzogs von Bayern, einem der wichtigsten Verbündeten des Bischofs, erwähnt die Prosa gegenüber der ausführlichen Schilderung im Versroman (B II:1187–1221) nur als Nachtrag (P 42:39). 87 Man vergleiche B II:1113–1137 und P 42:20–27, B II:1176–1218 und P 40:39, B II:1364–1398 und P 42:26–27, B II:1840–1864 und P 47:39–42, B III:15–25 und P 49:2–4, B III:404–461 und P  50:63–65, B III:462–492 und P 50:65–66, B IV:1528–1651 und P 69:16–60, B V:1051–1189 und P 75:61–82, B V:1442–1610, 1631–1670 und P 76:37–51, B VII:567–1394 und P 87:107–51, B VIII:487– 789 und P 79:77–97. – Vor allem der Vergleich von Buch VII des Verstextes, das zu beinahe 40 % aus Kampfschilderungen besteht (B VII:154–241, 606–888, 1008–1412), mit den entsprechenden 274 Zeilen des Prosatextes zeigt das Streben des Prosaisten, die Ausführlichkeit des Verstextes zu reduzieren. Auf die inhaltlichen Veränderungen der Kampfschilderungen werde ich später eingehen. 88 Zur Streichung allegorischer Strukturen im Prosaroman vgl. Müller 1992. Weitere kleinere Kürzungen sind der Bericht des Königs von Böhmen über Verhandlungen (B II:1840–1860), Vorbereitungen zum Kampf in Mailand und der Kampf selbst (B III:169–250, 338–351, 359–374).



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

 231

Mit der Streichung verschiedener Bewährungsproben im Vergleich zum Verstext verringert der Prosaist quantitativ und qualitativ die Darstellung von Heyndricks Tugenden. Im Vordergrund steht vielmehr der moralisch-ethische Sieg des Guten (Heyndrick und Arnout, Herzogin von Mailand, Herzogin von Kalabrien) über das Böse (Bischof von Trier, Fromont, Graf von Prijsant). Dem Prosabearbeiter liegt somit offensichtlich an einer der Chronik ähnelnden Erzählweise. In vielen Fällen behält er nur das Kernelement mit den wichtigsten Informationen bei.89 Auch in anderen frühen gedruckten Romanen werden Elemente der Chronik verwendet. Ganz konkret zeigt sich die Anlehnung an den Chronikstil im Strijt van Roncevale. Hier wurden nahezu wörtlich Passagen aus der Cronyke van Brabant, die 1497 bei Rolant van den Dorpe in Antwerpen erschien, übernommen.90 91 Cronyke van Brabant Doe viel Kaerle op hem ende bestont met droeuer stemmen ende ontsprekeliken suchten te screyen. sijn handen slaende seggende met luder stemmen. O rechten arm mijns lichaems eere van Vrancrijc swaert der rechtuuerdicheyt glauie onbuyghelijc pancyer onbrelancie onbuygelijc pancierkelijc. hellem der salicheyt; bi iudas Machabeus ghelijken ende bi den sterken Sampson. Saul / ende Ionathas in Fortunen ghelijc. (Cronyke 1497, fol. K1v)

Strijt van Roncevale Doen viel kaerle op hem ende began ­droeflic te suchten ende te screyen slaende sijn handen seggende met luder stemmen O rechten arm mijns lichaems eere van vrancrijc sweert der rechtuerdicheyt onbrekelic helm der salicheit bi iudas machabeus te geliken ende bi den stercken sampson saul ende ionathas in fortunen gelijc. (Strijt, um 1520, 1048–1054)91

Die Textausschnitte zeigen die zum großen Teil wörtliche Übereinstimmung in frappanter Weise. Die Welt des Prosaromans wird auf diese Weise mit Begebenheiten aus der Chronistik angereichert. Im Margarieten-Roman wird nicht nur vorausgedeutet, sondern Ereignisse werden vorgezogen. Als Beispiel diene die Szene, in der der Kaiser von Griechenland stirbt. Nach seinem Tod berät sich seine Tochter Eusebia mit ihren Ratsleu-

89 Auch im Floris-Prosaroman wird dieses Verfahren häufig verwendet. Die Liebe zwischen Floris und Blancefloer, in 30 Versen ausgemalt, resümiert der Prosaist kühl mit „Aldus sijn dese twee in grooter liefden te samen opghewassen“ (6:16–17). Vgl. 828–850 und 12:20–22, 886–918 und 13:2–5, 1484–1552 und 21:32–33, 1577–1598 und 22:43–48, 1612–1647 und 22:53–55, 1766–1818 und 23:82–83, 1819–1869 und 23:83–87, 1870–1897 und 23:87–99, 2016–2047 und 25:135–147, 3163– 3196 und 37:120–122, 3288–3297 und 39:164–166, 3443–3460 und 41:45–46. 90 Vgl. van Dijk 1981, S. 96–99. 91 Ausg. van Dijk 1981.

232 

 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

ten über die Regelung der Staatsgeschäfte (B VII:350–566). Im Prosatext ernennt der Kaiser schon vor seinem Tod Heyndrick zum Oberbefehlshaber über das Heer. Damit entfällt die Notwendigkeit, die Diskussion über die Besetzung dieses Amtes in den Prosaroman aufzunehmen. Die im Verstext erst nach und nach zum Tragen kommende Nachfolgefrage wird im Prosatext gleich zu Anfang der Szene geregelt: „so maecte hi heyndrick van Lymborch bewaerder vant landt van griecken“ (P 87:154–156). Kurz darauf verweist der Erzähler bereits auf die sich noch zu entwickelnde Liebesbeziehung zwischen Heyndrick und Eresebia, von der der Leser noch hören werde (P 87:161). Ein weiteres Merkmal des Chronikstils ist die Veränderung der direkten zur indirekten Rede, die auch im Margarieten-Roman (vgl. B III:816–821 und P 54: 46–51), aber noch konsequenter in Floris ende Blancefleur Anwendung findet.92 Hinzu kommt im Margarieten-Roman der Wegfall von Diskussionen, Beratschlagungen oder Besprechungen vor Entscheidungen,93 von Zweifeln oder Gedanken,94 von Vorbereitungen für Kämpfe (B III:201–250), von Reise­ beschreibungen (B III:15–25 und P 49: 2–4; B III:795–811 und P 54: 30–32) oder von Aufzählungen von Verbündeten.95 Mit anderen Worten, der Autor des Margarieten-Romans ist bestrebt, das für den Fortgang der Handlung nicht direkt Notwendige in seine Prosabearbeitung nicht aufzunehmen. So strafft er die Erzählung und erreicht gleichzeitig eine größere Übersicht und Klarheit. Auf der anderen Seite hat dieser Schreibstil über weite Strecken eine gewisse Einförmigkeit und Schmucklosigkeit zur Folge.96 Festzuhalten bleibt, dass der Margarieten-Prosaist vor allem zu Anfang seiner Arbeit alles beiseite lässt, was das rasche Fortschreiten der Handlung beeinträchtigen könnte. Die häufig vorkommende Beschränkung auf den unmittelba-

92 Vgl. V. 299–301 und 5:2–3, V. 384–400 und 7:19, V. 1060–1061 und 13:27, V. 1117–1119 und 16, 119–120, V. 1649 und 22:56, V. 1868–1869 und 23:87–99, V. 3222–3223 und 37:135, V. 3288–3297 und 39:164–166, V. 3329 und 39:10. 93 Man vergleiche: B III:404–461 und P 50:63–65, B V:1252–1304, 1741–1807 und P 76:162–165. Vgl. auch B VII:384–566 und P 87:154–157, B VII:1416–1473 und P 88:1–31, B VII:1840–1927 und P 89:1–39, B IX:442–560, 840–877 und P 103:85–113, B XII:46–100 und P 97:1–25, B XII:1401–1449 und P 110:4–21. 94 Vgl. B III:549–630 und P 50:71–72, B IV:165–225 und P 59:1–9; auch die Gedanken Sibillas über ihre Minne zu Evax (B V:1611–1630) sowie die Entscheidungsfindung dahingehend, dass Demophon in Armenien für die Christen kämpft (B VIII:1425–1469), sind ausgelassen worden. 95 Die Aufzählung der sarazenischen Verbündeten und deren Gespräche (B VII:127–282), die Gespräche der christlichen Verbündeten (B XII:101–184) und die Beratschlagung am Kaiserhof, wie man Heinric für seine Dienste belohnen kann (B XII: 1592–1731), sind gestrichen worden. Vgl. auch B VII:1045–1221. 96 Wie auch z. B. bei der Melusine, vgl. Roloff 1970, S. 47.



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

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ren Handlungsverlauf geht, wie auch in anderen Prosaromanen der Zeit, einher mit einer Konzentration auf das Ergebnis einer Überlegung, eines Kampfes oder eines Streites, wie bei einer Chronik.97 Die Schreiber reagieren damit möglicherweise direkt auf die Bedürfnisse des Publikums zu Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Offensichtlich muss ein Erzähltext kurz und prägnant sein. Die Abbildung zeitgenössischer empirischer Wirklichkeit steht nicht im Vordergrund. Vielmehr wird durch die erzähltechnischen Eingriffe die Erzählfiktion als vergangene Welt geschildert.

5.3.3 Distanzierung Mit verschiedenen Techniken hebt der Prosait hervor, dass die in der Erzählung dargestellte Welt sich von der Welt des Erzählers unterscheidet. Der Erzähler erzählt das Geschehene aus einer Außenperspektive und schafft auf diese Weise eine Distanzierung zur dargestellten Welt bzw. trägt diesem Abstand Rechnung.98 Dabei kann es sich um eine historische Distanzierung oder um eine soziale Distanzierung handeln, das heißt das Geschehen wird als ein vergangenes dargestellt oder als zu einer anderen sozialen Gruppe gehörig präsentiert. An vielen Textstellen der Historie van Margarieten betrachtet die Erzählerfigur die Geschehnisse der Erzählwelt explizit aus einer Außenperspektive: also een edelman is sculdich te groeten een eerbaer suver maecht (P 16:29–30) als men tot sulcken hove van eeren ghewoenlic is (P 71:67–68) also men costumelic pleecht in alsulcken heren hoven van eeren (P 91:258–259) also sulcke heeren gecostumeert sijn (P 106:144–145) met alle manieren van spijse ende van drancke alsomen schuldich is sulcken coninghen ende princen te dienen elc nae sijnder weerden ende nae sijn edelheyt (P 107:50–54) also men wel peynsen mach dat in sulcken heeren hove dient daermen eere te doen heeft (P 118:87–89)99

In den ersten Kapiteln fügt der Prosabearbeiter verschiedene Gespräche neu in das Erzählgeschehen ein, in welchen problematisiert wird, dass eine Jagd nicht

97 Vgl. Behr 1991, S. 138, sowie Doutrepont 1939, S. 600: „Les proses qui veulent être des chroniques“. 98 Unter Distanzierung sei im Folgenden diese Benennung eines Abstandes zwischen der Erzählerfigur und der dargestellten Welt des Romans verstanden. 99 Vgl. P 28:26; 31:114–115; 33:70; 34:6–7; 71:75–76; 73:181–183; 74:154–155; 84:116; 86:159, 196; 87:172–173; 95:39–40; 96:123–125; 99:60–61; 104:171–172; 105:63; 106:31–32, 344–345; 107:168–169; 117:19; 118:26,74.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

ein selbstverändliches gesellschaftliches Ereignis darstellt. Das wird aus einer Außenperspektive heraus problematisiert.100 Die Schilderung von Festen und Turnieren, die einen breiteren Raum einnimmt, ist von superlativischen Ausdrücken geprägt, ebenso wie die Darstellung von Sitten und Gebräuchen bei solchen Ereignissen am Kaiserhof.101 Den im Versroman kurz erwähnten Hoftag zu Pfingsten am Kaiserhof (B I:2330–2340) baut der Prosabearbeiter in sechs Kapiteln um zu einem vierzig Tage dauernden Fest mit Ankündigung, Vorbereitung, Ankunft der Teilnehmer, Waffenschau, Turnierkämpfen, Fest, Tanz, Gesang und Überreichung der Preise (Kap. 26, 28 und 31–34). Der Anlass des Turniers mit der Bedrohung des Kaiserreiches durch die Türken ist politisch motiviert, aber die „grote costelicheit“ (P 31:135; 32:97), der „seer grote triumphe“ beim abendlichen Bankett (P 31:128) und „plasance“ (P 31:134) dominieren das Bild. Eine vergleichbare Distanzierung prägt auch die Johann’sche Fassung des Margreth-Romans (siehe vor allem Kapitel 4.2.1). Auch in der Historie van Margarieten erhalten die Hervorhebung der normierten Sitzordnung bei Tisch,102 die ausgeschmückte Schilderung von Festen103 und die teilweise sehr genaue Beschreibung der Kleider, zunächst vor allem zu verstehen als Ausmalung der Pracht bei Hofe, eine zusätzliche informative Dimension für einen nicht direkt am höfischen Leben teilhabenden Rezipienten: dattet was die grave van athenen die quam voor aen ghereden. met cccc. paerden van eenre cleedinghe. Daer nae etsijtes sijn sone met ccc. paerden. alle die edelen ghecleet met gouden lakenen. Ende evac sijn neve met.cij. paerden. die edelen ghecleet met fluweele ende sernijt. Doe quam des graven wijf etsijtes moeder mit hondert camerieren. al op witte genetten. elck cameriere ghecleet met roden fluweele. die mouwen doorstict met peerlen ende costeliken steenten. Margrieta quam achter die gravinne op een witte hackeneye. ende si sadt al int gouden laken. haer pareersel behanghen met costeliken ghesteenten. het een scheen gheen mensche meer mer een goddinne. Si hadde.xij. camerieren ghecleet met brunen fluweele. sittende elck op eenen tellenaer. ende elc hadde een lackaye bi haer lopende. die seere colstelic waren int habijt van al van eender cleedinghe (P 31:44–65)104

100 Diskussion des Athener Grafen mit seinen Kindern über deren Teilnahme an der Jagd (P 1:18–56), Heyndricks Gespräch mit den Jägern (P 2), Diskussion des Athener Grafen mit seiner Frau über die Beteiligung der Kinder an der Jagd (P 3:1–33). 101 Vgl. P 61:32–82; 63:1–32; 71:54–91. 102 Vgl. P 34:7; 106:10, 46–47, 53–54, 57–58, 111–114; 107:53–54; 110:86; 114:114–115; 117:16–17; 118:29–31; 118:54–56, 75–76, 80–81. 103 Vgl. u. a. P 87:194–203; 105:214–287; 107:40–54. 104 Vgl. auch P 32:77–96; 101:135–40.



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

 235

Diese Schilderung des Einzugs des Grafen von Athen und seines Gefolges beim ersten Turnier in Konstantinopel wurde neu in den Prosatext eingefügt.105 In die Festbeschreibung eingebunden ist darüber hinaus sehr häufig die Nennung von Mahlzeiten, die meistens Fröhlichkeit und Frohsinn mit sich bringen: „wi willen gaen eten ende drincken ende vrolijc sijn“ (P 39:140–141, vgl. Abschnitt 5.1).106 An der ausführlichen Aufzählung der gereichten Speisen („daer was bedreven een grote costelicheyt. Daer was alle maniere van venesoene. alle manieren van ghebacke. sukereye / gelye / formechteye / ende al dat tot sulcken heren hoven dient“ [P 31:135–139]) scheint der Erzähler besonderen Gefallen zu finden.107 In diesem Beispiel werden das Vergnügen, das sie hervorrufen, und die Vorzüglichkeit der Speisen wiederum mit einem gewissen Abstand betrachtet. Ein zweites Beispiel betrifft die Feierlichkeit bei der Krönung Etsijtes’ zum König von Armenien, die folgendermaßen eingeleitet wird: „daer men horen sal wattet tcronement van eenen coninc in heeft“ (P 91:119–121).108 Auch hier handelt es sich also wahrscheinlich wieder um einen Hinweis für ein nicht-höfisches Publi­kum. Das Begräbnis eines Königs oder Kaisers wird ebenso detailreich geschildert. Das Sterben des Königs von Armenien, die Vorbereitungen für die Ölung und der Sterbesakramente, die letzten Worte des Königs, die Einbalsamierung und das Begräbnis (P 87:1–80) sowie danach der Tod des Kaisers von Griechenland im gleichen Kapitel werden ausführlich dargestellt, abgeschlossen mit der wiederum Distanz ausdrückenden Bemerkung: „daer was hi eerlic ghetommet alsoot sulcken princen wel behoorlic is“ (P 87:171–172). Im Verstext findet man an der entsprechenden Stelle dazu lediglich:

105 In den Kapiteln 32 bis 34 wird die Abfolge der Ereignisse bei einem Turnier detailliert vorgeführt. Nach der Ankunft der Teilnehmer gibt es am Abend ein reichhaltiges Bankett, am nächsten Tag werden den Jungfrauen die Waffen ausgehändigt, verbunden mit einer achtstündigen „vesperije“, an die sich wiederum ein Bankett mit Musik und Tanz anschließt. Der nächste Tag (P 33) wird mit einer Messe begonnen, wonach direkt die Kämpfe einsetzen. Der Abend schließt wiederum mit einem Bankett ab, in das die Preisverteilung eingebettet ist (P 34). Andere Turniere in Konstantinopel sind das am 3. Juli (P 63) und das anlässlich der Ankunft des Grafen und der Gräfin von Limburg (P 105). 106 Vgl. P 43:25–28; 50:67–68; 56:65–70; 59:34–38; 63:9–10 (Frühstück), 81–82; 71:61–70; 75:90– 93; 91:251–253; 104:166–172. 107 Vgl. P 32:56–61, 71; 84:109–116; 105:225–233, 249–252. 108 Als später auch die Krönung Heyndricks zum Kaiser von Griechenland ausgeführt wird (P 102:75–157), braucht die Zeremonie einer Krönung nicht mehr ausführlich geschildert zu werden, da dieser Hinweis für den Rezipienten offensichtlich nicht mehr notwendig ist.

236 

 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

350

Der keysser selve van den rijch Untfinck sij blijdelich, Dat hoem sijn hertz brach intzwey, Ende wart yr hoem aff so we, Dat he dar-aff starf up die stat. (B VII:347–350)

Der Prosaist nutzt eine weitere Technik, das Geschehen als etwas bereits Geschehenes und Vergangenes vorzustellen, das zugleich als ein komplexes Gewebe erzählt wird. Zu diesem Zweck dient auch die Verstärkung des Entrelacements (vgl. auch Abschnitt 5.1), auf das der Bearbeiter der Historie van Margarieten sehr viel Mühe verwendete. Indem der Prosaist Szenen nach vorn verschiebt, zeigt er, dass alles bereits geschehen und weniger oder gar nicht beeinflussbar ist, und verstärkt beim Rezipienten eine von Distanz geprägte Haltung zum erzählten Geschehen. Im Vergleich zum ersten Buch des Versromans sind im Prosaroman drei Szenen nach vorn geschoben worden: Der Kaufmann trifft bereits am Hof in Limburg ein (P 12), bevor Margrietas Ankunft in Athen erzählt wird. Auch berichtet er dem Elternpaar von seinen Erlebnissen mit Margrieta (P 18), bevor die Athener Gräfin ihre Intrigenpläne schmiedet. Drittens begibt sich Heinric auf die Suche nach seiner Schwester, bevor die Athener in Konstantinopel Abschied genommen haben (P 37). Ein Stück nach vorn gerückt ist auch Margrietas Bekenntnis ihrer Minne zu Etsijtes. Während Margriete im Versroman eine mögliche Neigung lediglich in Aussicht stellt, gibt Margrieta in der Prosa bereits in diesem Handlungs­abschnitt ihre Liebe zu Etsijtes zu erkennen, indem sie ihm ein Kleinod schenkt (P 29:36–40; 38:15–22). Auch tauschen sie hier bereits „vele amoreuse woorden“ aus (P 29:13– 14). Der positive Ausgang der Minneverbindung wird also auf verschiedenen Niveaus frühzeitig angedeutet. Es ist nicht mehr interessant, „ob“ Margrieta und Etsijtes sich finden, der Prosabearbeiter verlagert die Spannung darauf, „wie“ das Minneabenteuer positiv endet. Das Maß der Umformung vom Margriete- zum Margarieten-Roman erhöht sich beträchtlich in der Heyndrick-Aventiure. Die Reihenfolge der Episoden wird stark verändert, und Episoden aus verschiedenen Handlungssequenzen wechseln sich häufig ab. Die Technik des Entrelacement intensiviert der Pro­saist, indem er die enge Verbindung zwischen Hauptfigur und Bucheinteilung im Verstext auflöst und Abschnitte mit anderen Figuren, z. B. mit Margrieta, dazwischenschiebt. Heyndricks Abenteuer beginnen hier (P 37), als die Margrietas noch keinen ersten Abschluss erreicht haben (P 38, 41, 43). In folgender Übersicht sind die Handlungssequenzen des Versromans den entsprechenden Kapiteln und Zeilen im Prosaroman zugeordnet.



Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

Margriete van Limborch 1. Exposition 1.1 Abreise Heinrics 1.2 Bärenepisode 1.3 Kapelle 2. Trier 2.1 Gefangennahme des Herzogs von Luxemburg 2.2 Besprechung und Kämpfe 2.3 Verrat an Heinric 2.4 Befreiung Heinrics 2.5 Rache des Herzogs von Limburg an Trier 3. Mailand 3.1 Kampf 3.2 Liebesabenteuer 4. Kalabrien 4.1 Exposition 4.2 Zweikampfangebot 4.3 Vertagung 5. Venusburg 5.1 Ankunft 5.2 Vorstellung der Verwandtschaft der Venus 5.3 Gefährtinnen auf der Burg

II:23–193 II:194–228 II:229–577 II:578–873 II:874–1266 II:1267–1739 II:1740–1879 II:1880–1939

 237

Historie van Margarieten 37 – 39:1–93 – 39:93–147, 40, 42 44, 46 47 48, 51, 52, 53

III:15–389 III:390–794

49, 50:1–69 50:70–79, 54:1–29

III:795–866 III:867–975 III:976–1106

54:30–79, 55:1–62 55:62–89 55:89–141

III:1107–1218 III:1219–1306 III:1307–1387

56 – –

Beinahe systematisch schwenkt der Erzähler in den Kapiteln zwischen den Haupthandlungsträgern hin und her: Margrieta und Etsijtes (P 36, 38, 41, 43, 45, 59), Heyndrick (P 37, 39, 40, 42, 44, 46, 47, 49, 50, 54, 55, 56), Herzog von Limburg (P 48, 51, 52, 53) und wieder Etsijtes (P 57, 58, 60, 61). Vom Rezipienten erfordert diese eher unübersichtliche Erzählweise eine größere Flexibilität, sich fast bei jedem neuen Kapitel wieder auf einen anderen Erzählzusammenhang einzustellen. Zugleich bietet der Erzählmodus den Vorteil, dass die Erzählstränge im Gedächtnis bleiben. Im Versroman liegt der Abschied des Etsijtes in Konstantinopel schon weit zurück (B I:2508), als Heinric in Trier verraten wird (B II:1499  ff.). Im Prosaroman dagegen beantwortet Margrieta einen Liebesbrief an Etsijtes (P 43), und gleich darauf wird der Verrat der Trierer an Heyndrick erzählt (P 44). Während einige Episoden ausgelassen werden, übernimmt der Prosaist die handlungsstrukturierenden Episoden (siehe die folgende Übersicht109): Brief der Gräfin von Athen, Abreise des Echites nach Konstantinopel, Treffen mit Mar­

109 Die Pfeile markieren die Episoden, die der Prosaist an einer anderen Stelle als der Versroman erzählt. Wenn eine Episode in der jeweils anderen Fassung nicht vorkommt, ist sie mit einem Sternchen versehen. Auch hier sind wegen der großen Anzahl der Änderungen nur die wichtigsten berücksichtigt.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

grieta, Abreise des Etsijtes nach Athen, Abenteuerreise, Kampf gegen die Riesen, Abenteuer in Mailand, in Aragon, in Kalabrien und die Ankunft in der Venusburg. Die Prosa intensiviert auch hier die Technik des Entrelacement gegenüber dem Prätext und lässt Handlungseinheiten aus, kürzt sie, fügt neue hinzu oder erweitert bestehende. Margriete van Limborch, Buch V und VI Historie van Margarieten, Kap. 57–82 * Echites außer sich Gespräch Graf und Gräfin Gespräch Graf und Gräfin * Etsijtes und Evac Gespräch im Garten Brief der Mutter an Margriete Brief der Mutter an Margrieta Antwortschreiben der Margriete Antwortschreiben der Margrieta Echites nach Konstantinopel Etsijtes nach Konstantinopel * Planung eines Turniers Gespräch Echites und Margriete Gespräch Etsijtes und Margrieta Echites nach Athen Etsijtes nach Athen Evac begibt sich auf die Suche Echites Richtung Frankreich Etsijtes Richtung Frankreich * Echites in Gedanken Echites und Knecht Etsijtes und Ritter Echites tötet Morant Etsijtes tötet Morant Brodas bittet um Gnade Brodas bittet um Gnade * Verrat in Mailand Echites schickt Brodas nach Athen und Etsijtes schickt Brodas nach Athen und Konst. Konst. * Traum von den drei Meerjungfrauen * Echites und zwei Ritter mit Frau Echites nach Mailand Etsijtes nach Mailand Echites Gespräch mit Europa Etsijtes Gespräch mit Europa Echites sieht das Kind Etsijtes tötet den Grafen Echites tötet den Grafen Etsijtes sieht das Kind Etsijtes und Evac treffen sich (in Mailand) * Feste in Mailand Echites Abschied in Mailand * Brodas in Athen Brodas in Konst. Brodas in Konst. Evax begibt sich auf die Suche Etsijtes und Evac Abschied in Mailand * Ritter in Athen und Konst. * Evax besteht einige Abenteuer Echites und Evax treffen sich (in Frankreich) * Evax und Echites Kämpfe in Frankreich Echites und Evax nach Limburg Etsijtes und Evac nach Limburg * Bote des Königs von Arabien in Aragon Echites und Evax nach Frankreich Etsijtes und Evac nach Frankreich * Turnier findet nicht statt König von Aragon bittet um Hilfe König von Aragon bittet um Hilfe Echites und Evax nach Aragon Etsijtes und Evac nach Aragon







Verständlichkeit, Verdichtung und Distanzierung 

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* Beratschlagung der Sarazenen * Evax verliebt in Sibille Kampf gegen die Sarazenen Kampf gegen die Sarazenen * Gespräch Evax und Sibille neue Kämpfe und Sieg über Sarazenen neue Kämpfe und Sieg Abreise Echites Abreise des Etsijtes Evac und Sibille Hochzeit * Prijsants Verrat und Vorschlag Echites in Kalabrien Etsijtes in Kalabrien Lügengeständnis des Grafen Lügengeständnis des Grafen Bedrohung Konstantinopels Echites’ Abschied in Kalabrien Etsijtes’ Abschied in Kalabrien * Etsijtes trifft auf Heyndrick im Wald Echites und Heinric in der Venusburg Etsijtes und Heyndrick in der Venusburg * Venus über Rittertugenden Venus über Konstantinopel Venus über Konstantinopel Abschied des Echites und Heinrics Abschied des Etsijtes und Heyndricks von der Venusburg von der Venusburg Evax und Sibille Hochzeit (Buch VI) Bedrohung Konstantinopels (Buch VII)

In vier größeren Umstellungen zieht der Prosabearbeiter bestimmte Handlungselemente nach vorn. Evac begibt sich viel früher auf die Suche nach Etsijtes und nicht erst nach der Abreise des Etsijtes aus Mailand wie im Versroman (P 65:54– 73).110 Durch diese Änderung weiß der Rezipient bereits viel früher, dass Etsijtes in seinen Unternehmungen Unterstützung finden wird. Zweitens kämpft Etsijtes in der Prosa aufgrund des an der Gräfin begangenen Unrechts. Im Versroman beflügelt ihn der Anblick des Kindes, das Margriete sehr ähnlich sieht, zu noch größerem Einsatz (B IV:1652–1688), im Prosaroman sieht Etsijtes das Kind erst nach dem Kampf (P 69:104–120). Ohne die persönliche Motivation erhält der Kampf in der Prosa den Charakter eines selbstlosen Einsatzes gegen Verrat. Eine dritte Umstellung betrifft das früher gestaltete Zusammentreffen von Etsijtes und Evac. Im Versroman wird zuerst die Mailand-Handlung zu Ende geführt, in der Historie van Margarieten begegnen sie sich bereits in Mailand, ohne dass Evac auf dem Weg zu Etsijtes Abenteuer durchzustehen hat. Dem Prosaisten ist offensichtlich daran gelegen, die Abenteuerreise des Etsijtes weniger als eine Reise ritterlicher Bewährung denn als Kampf gegen Unrecht zu inszenieren. Eine weitere wichtige Umstellung ist die Hochzeit von Evac und Sibille, die

110 Im Verstext hat Echites bereits die Abenteuer mit den Riesen und in Mailand durchgestanden.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

der Prosaroman direkt nach der Abreise des Etsijtes von Aragon, aber noch vor dessen Kalabrien-Einsatz und Verbleib in der Venusburg erzählt. Wie bei den vorherigen Handlungssequenzen lässt der Prosaist die Aben­ teuer­reihe einer Figur nicht enden, ohne dass ein neuer Handlungsstrang begonnen hat, hier die Bedrohung Konstantinopels, die im Versroman erst ab Buch VII zum Tragen kommt. Die Vorwegnahme der Hochzeit zwischen Evac und Sibille, in nur wenigen Sätzen thematisiert, bindet die ganze Affäre ein als eine wenig bedeutsame Episode innerhalb der dominierenden Geschehnisse in Mailand, Kalabrien und Konstantinopel. Diese instrumentalisieren die Handlungen des Etsijtes als Kampf gegen eine die gesellschaftliche Ordnung gefährdende Macht. Das Finden höfisch-ritterlicher Identität im Versroman wandelt sich in einen Einsatz für das Recht in der Prosa. Der Wechsel von Handlungsabschnitten aus verschiedenen Erzählsträngen macht die Simultanität von Ereignissen bewusster, und der Rezipient wird in die Lage versetzt, die Handlungsabschnitte besser einordnen zu können. Somit kann er die beschränkten Figurenperspektiven überschreiten und sie miteinander in Beziehung setzen. Durch die Umstellung bewirkt der Prosaist einen Spannungsabbau, denn der Hof in Limburg weiß dadurch viel früher, dass Margrieta noch lebt. Den Rezipienten lassen die Umstellungen eher einen guten Verlauf des Geschehens erahnen.111 Gleichwohl ist der Erhalt der Mehrsträngigkeit, die sicherlich reduzierbar gewesen wäre, und die noch komplizierter gestaltete Abfolge der Episoden als Zeichen des Bemühens um Komplexität zu werten.112 Der Prosaist hebt dadurch die enge Verwobenheit allen Geschehens stärker hervor, als dies im Verstext geschieht. Wenn der vornehmlich „hörende“ Rezi­ pient des Margriete-Versromans an den Punkt gelangen könnte, sich in die lange währenden Abenteuer einer Figur einzuleben, wird er im Prosatext durch den fortwährenden Wechsel der Schauplätze eher in eine von Distanz geprägte Metaposition gedrängt.

111 Durch den häufigen Perspektivenwechsel entsteht zwar eine größere Spannung auf der Ebene der einzelnen kleinen nicht abgeschlossenen Szenen, wie Debaene 1951, S. 108, meint. Insgesamt nimmt die Spannung auf der Ebene der Handlungseinheit mit der Suggestion des posi­ tiven Ausgangs jedoch eindeutig ab. Nach Waltenberger wird Spannung in den Strukturen des Entrelacement als Verzögerung des Abschlusses ritterlicher Aktionen durch ihre Multiplikation erfahrbar (Waltenberger 1999, S. 85). Zum Entrelacement auch Steinhoff 1971 und Kennedy 1986. – Als Tendenz zur Spannungsabnahme ist die Wartestellung des Echites zu deuten, der im Versroman zu einem Kloster reist, um von dort aus den Umgang seiner Mutter mit M ­ argrieta zu beobachten (beobachten zu lassen). Im Prosaroman wartet er mit Evac direkt in der Nähe des Galgens und kann dementsprechend sofort eingreifen (P 24). 112 Nur der Erzählstrang mit Jonas (Buch X) fällt ganz weg.



Retextualisierung des Vergangenen 

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Der Prosaist benutzt Sätze wie „nu sal ic u scriven“ (P 40:1), „dat laet ic noch bliven ende sal u scriven“ (P 40:67–68) immer wieder als bald erkennbare Formeln für einen Schauplatzwechsel und als Hinweise auf die Entwicklung zukünftigen Geschehens (P 40:64–65). Durch die sichere Beherrschung des Entrelacement ersetzt die Spannung des Wie weitgehend eine Spannung des Ob.113 Der Autor dirigiert die Geschichte als eine sich außerhalb seiner Welt abspielende Handlung wie ein souveräner Regisseur zwischen den Handlungsorten. Er bezieht den Rezipienten in diese Metaposition mit ein. Die jeweilige Hervorhebung der Außenperspektive schafft eine Distanzierung zur dargestellten Welt bzw. trägt diesem Abstand Rechnung. Die Ferne des Geschehens von der Alltagsrealität des Rezipienten betont der Erzähler in Zusätzen, die die Abenteuerwelt als historische Vergangenheit ausweisen. Der Erzähler „verhaelt“ eine Geschichte (P 34:48– 53 und 41:3),114 die sich nach expliziter Auskunft der Eingangszeilen 206 Jahre vor dem Erscheinen des Textes ereignet habe.

5.4 Retextualisierung des Vergangenen Außer den bisher herausgearbeiteten Tendenzen der Verdichtung und Distanzierung verfügt der Prosabearbeiter über Mittel der Retextualisierung des Versromans, die der Veränderung sozialer Normen und Umgangsformen vom frühen 14. zum 16. Jahrhundert Rechnung tragen. Dazu gehören die Durchdringung des erzählerischen Handelns mit materiellen Bezügen und Formen einer im weitesten Sinn als „Privatisierung“ zu kennzeichnenden Änderung von Handlungen der Figuren, die die Bedeutsamkeit der öffentlichen Funktion der Handlungen zurückdrängen.

5.4.1 Materialisierung Im Prosaroman benennen im Vergleich zum Versroman Geld- und Goldbeträge den Wert bestimmter Gebäude, Festlichkeiten oder Handlungen. Dazu gehört die Bezahlung bestimmter Dienstleistungen wie von Botengängen oder anderen Nachrichtenübermittlungen, die Angabe der Notwendigkeit finanzieller Mittel für

113 Heyndrick hört bereits in der Venusburg, dass er Kaiser von Griechenland werden wird (P 56:60–61). 114 Seit Ende des 15. Jahrhunderts nimmt das Wort die Bedeutung von Erzählen im heutigen Sinn an (vgl. MNW unter „verhalen“, Nr. 5), während damit vorher auch die Wiedergabe historischer Ereignisse gemeint sein kann.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

die Kriegsführung oder den Freikauf von Gefangenen.115 Der Herzog von Limburg bezahlt seine Jäger (P 2:26–27) und bietet dem Kaufmann für seine gute Nachricht über Margrieta jährlich 100 Kronen an (P 18:217–218). Der Kaiser entlohnt seinen Herold mit Geld (P 26:31–32). Die drei sarazenischen Gefangenen werden nur gegen eine Bezahlung von „XV. mylionen gouts“ freigelassen (P 77:116). Auch die Bestechlichkeit spielt eine Rolle: Die Gräfin von Athen gibt dem Richter Geld für die Ausführung des Urteils (P 22:129–130).116 Damit dominieren materielle Werte gegenüber ethischen Werten wie höfischer Ehre und Ritterlichkeit. In direktem Zusammenhang hiermit steht die Tendenz, innere Werte wie Edelmut und Auserwähltheit durch äußere Pracht sichtbar werden zu lassen (vgl. Abschnitt 5.3.3).117 Dies schlägt sich auch in den Retextualisierungen nieder, die als Zurückdrängung der Bedeutung von Aventiure als Mittel zur Erlangung von Ansehen und Ehre und als Voraussetzung für Minne und Herrschaft sowie als Ansätze von Fiktionalisierung bezeichnet werden können.

5.4.2 Aventiure und Minne Im Prosaroman löst sich die über die Aventiure definierte Identität des idealisierten Ritters, die durch die Erringung von Selbstbeherrschung als Signum für Minne und Herrschaft bestimmt wird, auf.118 Zwangsläufig muss daher das Interesse des Versromans an Echites’ Aggression und seiner Brutalität am Anfang von Buch IV in der Historie van Margarieten umgeformt werden. Die im Versroman ausführlich geschilderte Wahnsinnsphase des Echites wird in der Prosa nur kurz als „fel ende quaet“ und „mit quaden zeeden“ angedeutet (P 57:38, 49–50), ohne dass seine Missetaten erwähnt würden. Die Entwicklung des defizitären Rebellen zu einem höfisch-kultivierten Ritter im Versroman findet in der Prosahistorie nicht statt. Seine Bereitschaft zu Gewalttätigkeit wird reduziert, Traurigkeit ersetzt Bösartig-

115 Der König von Frankreich will den König von Aragon mit Geld unterstützen, und Etsijtes und Evac können erst von Frankreich aus nach Aragon abreisen, wenn sie mit genügend Geld und Volk versorgt sind (P 75:27–37). Über den Betrag, der Margrieta wert ist, wird lange verhandelt (P 13:23–74). – Der König von Aragon teilt einen erhaltenen Betrag zwischen Etsijtes, Evac und sich selbst (P 76:127–130). Weitere Beispiele für Entlohnung oder Nennung kostbarer Gegenstände: P 10:17–18; 43:11–12; 59:9–11; 65:65, 67–68; 79:39–40; 85:108; 102:35–37, 119–124, 154. 116 Der Richter gedenkt erst nach einer Entlassungsdrohung und der Bestechung den Auftrag der Athener Gräfin auszuführen (P 22:37–94). Etsijtes wirft dem Richter eben diese Bestechlichkeit vor (P 25:73–76). 117 Zum Beispiel die „costelicheit“ bei Festmahlen, bei Krönungen, Taufzeremonien usw. 118 Zur Verflechtung von Herrschaft, Minne und Selbstkontrolle Schnell 1999, S. 128–130.



Retextualisierung des Vergangenen 

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keit (P 58:4–5, 22),119 und seine Abenteuerreise wird als Strafe Margrietas bezeichnet: „Hoe dat etsijtes ghestraft was van margrieten“ (P 62, Titel). Der Charakter des ritterlichen Zweikampfes fehlt weitgehend bei der Darstellung des Tjosts im Turnier, die Kämpfe enden in einem allgemeinen Tumult, der von den Herolden aufgelöst werden muss. Das Aventiure simulierende Turnier versperrt dem Helden den Weg des ritterlichen Sieges über die Gegner. Der Verlust der gesellschaftlichen Implikationen reduziert das ritterliche Abenteuer auf die individuelle Bestätigung der Romanfigur. Damit einhergehend ersetzt die Kraft der Worte gewalttätige Handlungen.120 Im Kampf zwischen Morant und Etsijtes beträgt im Versroman das Verhältnis zwischen Taten und Worten, d. h. zwischen Kampfhandlungen und Wortgefecht, 125  :  24, also etwa 5  :  1, im Prosaroman dagegen 16 : 22, d. h. 1 : 1,3. Das Wortgefecht ist der Wirksamkeit des physischen Kampfes ebenbürtig geworden. Zudem werden Konflikte häufig durch materielle Entschädigung beigelegt, etwa im Kampf um Trier: „heere neemt die.x. duysent cronen. ende oec mede die presentacie vanden bisscop tsal u profiteliker sijn dan langhe te orloghen“ (P 53:22–24). Eine politisch friedliche Lösung, auch wenn sie großen finanziellen Verlust mit sich bringt, wird als beste Option propagiert.121 Höfische Gesellschaft konstituiert sich im Versroman über das Leitbild der Affektkontrolle.122 Das Minneansuchen des Echites im Verstext wandelt sich in der Prosahistorie zu einem Gespräch zwischen zwei Freunden, wie es im Prosaroman explizit heißt (P 62:19–32), verbunden mit Ratschlägen der Frau zur besseren Lebensführung. Die Verbindung zwischen Etsijtes und Margrieta wird schnell zu einem Liebesverhältnis von „twee ghelieuen“ (P 61:30) mit gegenseitiger Zuneigung und mit Berührungen. Dass Etsijtes der Minne noch nicht würdig sein könnte, spielt keine Rolle. Vielmehr verändert sich die Motivation der Aben-

119 Die Lieblichkeit, geradezu Fröhlichkeit der Naturbeschreibung steht im starken Gegensatz zum Befinden des Etsijtes (P 58). Über innere Gemütszustände klärt die Prosa oft im Zusammenhang mit Gründen für eine bestimmte Gefühlslage auf (P 69:27, 45–49, 52, 56; 54:36). 120 Wortgewalt in Form von Beschimpfungen und Ironie ersetzt körperliche Tatkraft: „ghi guytken comt ghi hier om met mi te ghecken. loopt wisselinck ende eedt een teele vol pappen … ghy en sijt doch mi maer eenen in bijt … [Etsijtes] wilt u weren teghen dit pap eterken“ (P 67:24–31). Schimpfwörter und Verleumdungen prägen ebenfalls die Begegnung zwischen Etsijtes und dem Grafen von Mailand (B IV:1747–1809 und P 69:61–104). Auch die Bezeichnung „ridder“ kommt oftmals nicht mehr vor und macht Platz für die Nennung des Namens oder Bezeichnungen wie „ionghelinc“ (P 66). Morant wird Riese und nicht mehr Ritter genannt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Anonymisierung von Kämpfen, die zum großen Teil als Massenschlachten geschildert werden, zu werten (P 87:07–151). 121 Vgl. auch das am Ende des Romans zunehmend durchgeführte Freikaufen von Gefangenen durch „Lösegeld“ (P 77:101–136; 82:117–120; 100:99–116, 195–273; 101:34–70; 102:23–38). 122 Schnell 1999, S. 131, zur poetischen Projektion dieses Leitbildes in der Minnelyrik.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

teuerreise von der Bewährung für Minne zu persönlicher Vervollkommnung. In einer Rede vergleicht Margrieta ihren Geliebten mit einem Falken, der sich in eine Schlange verwandelt habe (P 62:32–47). Das schlechte Verhalten des Etsijtes123 müsse sich wandeln zu „edelheit“ und „duecht“ (P 62:50, 56, 68, 82, 89, 93, 96), die sich in Taten erweisen würden (P 62:83).124 Das Thema des Wesens der Minne, das neben Etsijtes auch der Athener Graf mit der Gräfin in einem Streitgespräch erörtert hatte (P 19:1–65; 35:51–61), berührt eines der Kernanliegen des Prosaromans: die prozessuale Verwirklichung einer sozial, politisch oder religiös ungleichen, aber auf persönlicher Ebene vollkommenen Minne. Schon frühzeitig beurteilt der Erzähler die unterschiedlichen Sichtweisen durch die Bezeichnung der Gräfin als „over quade vrouwe“ (P 22:32, 50; 34:51). Ihrer veralteten Auffassung des Geburtsadels (P 19:43–44) widersprechen alle Hauptfiguren dieses Handlungsabschnitts (Etsijtes, der Graf und der Kaiser).125 Etsijtes und der Graf argumentieren: „u argument is contrarie der natueren. niet voordat twee complexien eens sijn. ende daer vol maecte liefde is“ (P 19:109–112) und „natuere gaet altoos voor leeringhe. Liefde en aensiet gheen hoocheyt, noch daer toe die rijcheyt, noch daer toe dedelheyt. mer si volcht der natueren verlossinghe“ (P 27:54–61).126 Das Ergebnis der in Buch XI des Versromans geführten Diskussion um die Bedeutung von „nature“ und „leringhe“127 übernimmt der Prosaist bereits zu Anfang seines Romans. Die Natur, d. h. im engeren Sinn die Stellung der Planeten bei der Geburt oder der vorherrschende Körpersaft, bestimme die gegenseitige Neigung.128 Der Prosabearbeiter benutzt den Vorrang der „nature“ als Vorausset-

123 Konkret werden „quaethede“, „wreethede“, „euelen moet“ oder auch „felheyt“ benannt (P 62:55, 67, 69, 70, 80, 81, 83, 86). 124 Damit ergänzt und bewertet diese Diskussion nachträglich die der Gräfin und ihres Mannes um die Höherwertigkeit des Tugendadels vor dem Geburtsadel. Nach der Meinung der Gräfin sei Edelheit angeboren, der Graf dagegen liefert einige Kapitel vor der Ermahnung Margrietas die das Erzählgeschehen bestimmende Definition: „also comt edelheit ierst wt duechden“ (P 57:22–23). 125 Der Kaiser gibt sogar zu, jemanden von niedriger Geburt geliebt zu haben, und niemand hätte ihn daran hindern können (P 35:51–61). 126 Weitere Textstellen: P 19:90–96; 27:55–61; 57:12–23; 60:59–60; 76:11–15. 127 Vgl. B XI:405–443 und 826–1004. Das Wort „nature“ kommt im Versroman in Buch I nur im Zusammenhang mit der Schönheit Margrietes vor. 128 In der Natuurkunde van het geheelal heißt es explizit: „Ende die sonne ende oec die mane / Hoe dat si pleghen te gane, / Ende die ander planeten mede, / Daer elc mensche of heeft sijn sede,  / Sine conplexie, sine nature. Want dat seghet ons die scrifture,  / Dat elke creatuer die leeft / Haer nature van bouen heeft / Al vanden vij. planten“ (V. 9–17). Komplementär zu dieser Vorstellung wird die „complexie“ sehr häufig mit den vier Körpersäften in Verbindung gebracht (vgl. MNW unter „complexie“).



Retextualisierung des Vergangenen 

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zung für sein Anliegen. Ihn interessiert die Art der Durchsetzung der vollkommenen Liebe zwischen Etsijtes und Margrieta. Nach seiner Befreiungstat umarmt Etsijtes Margrieta (P 25:94–95), Margrieta nennt ihn hier bereits „Etsijtes lief“ (P 25:138) und Etsijtes inszeniert Margrietas Reise nach Konstantinopel (P 28:30). Bereits vor dieser Reise ist sie in ihn verliebt (P 29:38–42). Sie beschenken sich gegenseitig als Zeichen der Liebe (P 38), sie schreiben sich wiederholt Liebesbriefe, so dass sogar die Kaisertochter über den erfahrenen „troost van liefden“ informiert ist (P 43:20–21). Nimmt man den Topos der quinque lineae amoris als Maßstab, haben Margrieta und Etsijtes in dieser Phase in der Prosa duch das Berühren bereits die dritte und damit eine um einen Schritt höhere Minnestufe als im Verstext erreicht.129 Mit dem gegenseitigen Liebesversprechen entfällt in der Prosahistorie die Buch IV des Versromans tragende programmatische Bestimmung des ritterlichen Abenteuers. Im Versroman schickt Margriete Echites in den Kampf, damit dieser sich als Ritter bewährt und sich somit als der Liebe würdig erweist. Wegen des Kriteriums der gleichen Natur der Charaktere als Voraussetzung für Liebe wird in der Prosa der ritterliche Dienst für die Werbung um eine Dame weniger bedeutsam. Wenn Margrieta Etsijtes  – wie im Versroman  – auf Reisen schickt, dann fordert sie ihn auf, sich wie ein Ritter zu verhalten und sich zu bessern: „op die voorwaerde. dat ghi u beteren sult. ende u stellen als een ridder so ghelove ic u reyne noyale minne“ (P 62:99–101). Die Anstrengungen des Prosaisten, die Vorgaben der tradierten Epenwelt trotz Beibehaltung der Handlungssequenzen in seine eigene Welt zu transformieren, werden hier offenkundig. In der Prosa ist das wichtigste Ziel im Turnier der Erwerb des Preises, wie die ausführlichen hinzugefügten Turnierkapitel beweisen, der ritterliche Zweikampf dient nicht wie früher dem gesellschaftlichen Aufstieg. Dem Verfasser der Prosahistorie gelingt eine neue Legitimation von Handlung.130 Die sichtbare Verschiebung von der Aventiure in den Freiraum des Turniers führt der MargarietenProsaist konsequent über in die gesellschaftlich unverbindliche(re) Erringung eines Preises („ternoyen … om den prijs“, P 32:7). Etsijtes erhält „den oppersten prijs“ (P 34:23), der ihm von der Kaisertochter ausgehändigt wird. Das Turnier, das keine Bedingung für das Erwerben der Minne bildet, besitzt also außer einem Wettstreit- vor allem Prestige- und Spielcharakter. 129 Schnell 1984, S. 241–324, zu den natürlichen Ursachen der Liebe. 130 Ein weiteres Beispiel: Die Überredungskunst der Gräfin, Margrieta zum Kaiserhof zu schicken, macht Platz für die ausdrückliche Bitte des Etsijtes an seinen Vater, Margrieta mit zum Turnier reisen zu lassen (P 30). Damit wird diese Reise neutralisiert und die Gräfin weitestgehend aus ihrer Schuld entlassen. Der in allen Facetten geschilderte Spielcharakter des Turniers ersetzt die drohende Lebensgefahr.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

5.4.3 Inszenierung durch Spiel und „schonen dichte“ Turniere werden im Prosaroman zusammen mit großen Festen gefeiert. Der Prosaist beschreibt immer wieder aufs Neue die „triumphe ende costelicheit“ (P 36:1), allerlei „genoechten“ mit Musik (P 36:25), eine „werelt vol genoechten“ (P 101:156), Spielleute, Harfen, Lauten, Flöten, Tanz sowie „couten en coossen van amoureusheden“ (P 105). Man kann von einer wahren Inflation an Ausdrücken der Festlichkeit und der Freude sprechen, doch zunächst sei auf das Königsspiel und dessen offenkundigen Spielcharakter eingegangen. Das Königsspiel ist im Versroman direkt mit der Erzählwelt außerhalb des Königsspiels verbunden, da die sechzehn Teilnehmer, acht Männer und acht Frauen, acht Paare bilden, die nach dem Ende des Spiels heiraten (bis auf Maurus und Moriaene, vgl. Abschnitt 3.2.3). In Kapitel 94 beginnt die Historie van Margarieten das Spiel wie folgt:131

Hoe margrieta van lymborch het coninckspeel ordineerde. daer sy vele schoone raetselen wt gaf.



DAT. XCIIIJ. CAPITTEL.

Etsijtes seyt. O Herte verhuecht baert nu ioyhuesheyt Want die soete roose amoruesheyt margrieta met ionstigen douwe behangen Suldy nu hier schouwen

und etwas später: Margrieta. Etsijtes coninc van daden reene Comt en verhuecht u bi ons gemeene 25 In dit prijeel vol iubilacien Wy sullen tot eender recreacien Van duechden om een volmaect acoort Hier wat ghenoechlicx bringhen voort (P 94:1–4, 23–28, Hervorhebung R. S.)

131 Hier eigene Transkription, da in der Ausgabe Schellarts ausgelassen wurde, wer zuerst spricht, im Original steht jedoch „Etsijtes seyt“ (fol. O3v). Auch im Druck von Simon Cock (1544, vgl. nähere Angaben dazu in Kap. 1.6) wird Etsijtes als erster Sprecher genannt (fol. R2r).



Retextualisierung des Vergangenen 

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Hier kommen zum ersten Mal in der Prosahistorie Verse vor. Das Spiel, das das ganze Kapitel 94 umfasst, besteht aus 228 reimenden Versen. Der Charakter des Spiels hat sich im Druck gegenüber dem Versroman völlig verändert. Statt siebzehn sind nur noch fünf Figuren an dem Spiel beteiligt. Margrieta stellt den vier männlichen Teilnehmern Lodewijc, Demofoen, Heyndrick und Etsijtes Fragen. Es gibt nur noch eine Spielrunde mit Margrietas Fragen, die zudem mit den jeweiligen Entwicklungsstadien der Minnepaare nicht im Zusammenhang stehen.132 Lodewijc und Demofoen können die ihnen gestellte Frage nicht beantworten und werden bestraft. Die Strafe für Lodewijc besteht darin, dass er erst wieder sprechen darf, wenn seine Geliebte Siliadone es ihm aufträgt. Weil Lodewijc bei der späteren Mahlzeit nicht spricht, haben die anderen, die den Grund seines Schweigens kennen, großen Spaß: Die coninc lodewijc sadt bi den coninc van aragoen ende by heyndric Etsijtes sadt bi ­margrieta. elc adt ende dranc sonder die coninck lodewijc die sach daer op. Si vraechden allen her coninc waer om en eet ghi niet. maer zelyadone sijn lief en hadts hem noch niet gheheeten. Die heeren en vrouwen loeghen vaste. ende dat om den coninc lodewijc. ten eynde seyde zelyadone haer lief. her coninc ghi en maect gheen chiere. ghi en eet noch en drinct. hebdi eenighe siecte die u quelt dat ghi aldus sidt Die heeren diet wisten loeghen om die woorden van zelyadone. Ten laetsten verdroot margrieta van lymborch dat die coninc niet en adt so seide sijt zelyadone. Doen sijt wiste loech sijer ooc om ende seyde. wat her coninc eet ic heete u eten Doen dat die coninc hoorde was hi wel te passe. aldus maecten die heren ende die vrouwen seere goede chiere. (P 95, Hervorhebung R. S.)

Danach wird der Spielcharakter während der Feste und der „triumphe van genoechten“ betont: DAT. XCV. CAPITTEL. ALS margrieta van lymborch aldus dit conincspeel voort gestelt hadde dat den heren maechden ende vrouwen seer nieu was hantierdent si daghelicx ghelijckerwijs datmen noch doet. in alle feesten ende in alle triumphen van genoechten. (P 95, Hervorhebung R. S.)

132 Die erste Frage (an Lodewijc) behandelt die bekannte Diskussion um das „scoonste teken van minne“ (P 94:82): Sind die Hand, der Fuß oder das Auge bessere Zeichen der Liebe (vgl. die gleiche Frage im Königsspiel des Versromans, hierzu Abschnitt 3.2.3). In der zweiten Frage (an Etsijtes) möchte Margrieta wissen, welche „de meeste vruecht [sei, R. S.] / die den minnare meest verhuecht“. Bei der dritten Frage soll Demofoen beantworten, wie er eine Geliebte, die in einem abgeschlossenen Glasturm sitzt, mit Wasser versorgen könne. Bei der vierten Frage soll Heyndrick eine Antwort darauf finden, wie er aus tausend Rosen am nächsten Tag diejenige wiedererkennen würde, die nachts in seinem Zimmer ohne Wasser gestanden habe.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

Sowohl die reimenden Formen als auch die nahezu vollständig durchgeführte Loslösung von der Romanhandlung heben den Spielcharakter dieses Handlungsteils hervor, dies geschieht auch hier aus einer Beobachterperspektive. Die oben hervorgehobenen Wörter „ioyhuesheyt“, „amoruesheyt“, „iubilacien“, „recreacien“ und „ghenoechlicx“ sowie „solaesheyt … verwecken“ (P 94:38) bestimmen den Ton der Durchführung und das Ziel des Spiels, zu Vergnügen beizutragen. Diese Freude wird durch die Gedichtform („in schonen dichte“, P 100:134) in diesem Kapitel und drei weiteren Kapiteln erhöht.133 Die Historie van Margarieten van Limborch ist nicht der einzige Prosaroman mit Versen. Etwa die Hälfte der gedruckten niederländischen Prosaromane bis 1540 weisen Verse auf, wie z. B. Destructie van Troyen (ca. 1500); Buevijn van Austoen (1504); Helias (ca. 1515–1520); Floris ende Blancefleur (ca. 1517), Peeter van Provencen (ca. 1517) und Frederick van Jenuen (1531). Jedoch kommen in nur sechs Prosaromanen Dialoge in Versen vor.134 Diese Kombination von Prosa und Vers gehört zu den Besonderheiten der niederländischen Literatur in der frühen Neuzeit. Möglicherweise wurde dieses Verfahren nach Drucken französischer Literatur am burgundischen Hof übernommen135  – so tauchen die Verse in der englischen Übersetzung Fredericke of Jennen nicht mehr auf oder wurden kurz in Prosa zusammenfasst.136

133 Bereits Debaene 1949, S. 3, hebt hervor, dass die Verse eingefügt wurden, um zu „verfraaien“ (verschönern). 134 Außer in der Margarieten-Historie in Buevijn van Austoen, Alexander van Mets, Frederick van Jenuen, Broeder Ruussche und Peeter van Provencen. Vgl. Debaene 1977 zu den einzelnen Werken. 135 Diese Kombination von Prosa und Vers wird in der von Pierre Michault, dem Sekretär Karls des Kühnen, geschriebenen allegorischen Fiktion Doctrinal du temps présent verwendet. Die frühesten Drucke erschienen um 1479–1485 in Brügge bei Colard Mansion (GW M23348) sowie in Lyon beim Drucker des Abusé en court (GW M23350) und bei M. Havard (GW M23351). Ein weiterer französischer Prosadruck mit Versen ist Michaults La dance aux aveugles, der in zahlreichen Drucken erschien, wahrscheinlich ebenfalls bei Colard Mansion in Brügge (um 1479–1484, GW M2333820), um 1480 in Genf (GW M23339), um 1485 in Bréhant-Loudéac (GW M23338) und um 1485/86 in Lyon (GW M23344). Auf Niederländisch ist das bei dem Druck Vanden drie blinde danssen der Fall (vgl. Hummelen 1971, S. 3). Hummelen befasste sich in seiner Antrittsvorlesung ausführlicher mit den Versdialogen in Destructie van Troyen und Buevijne van Austoen. Er stellt im Besonderen die Verwandtschaft dieser Dialoge mit dem Drama heraus. 136 Vgl. Franssen 1990, S. 68, 106–107. Die meisten Forscher, die sich mit Dramentexten beschäftigen, lassen die Prosaromane außen vor, ebenso wie diejenigen, die Rederijkersverse analysieren. An verschiedenen Stellen gibt es kurze Bemerkungen dazu (Boekenoogen 1905, Debaene 1949, Debaene 1951, Coigneau 1982). Siehe nun De Bruijn (im Druck), die die Verwendung von Versen in Prosatexten als niederländisches Phänomen bezeichnet (siehe jedoch Michaults zuerst 1466 erschienene allegorische Fiktion Doctrinal du temps présent und dessen Dance aux aveugles mit Versen), das eher formbedingt als inhaltsbedingt zu werten sei.



Retextualisierung des Vergangenen 

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Im Einzelnen handelt es sich in der Schoone historie van Margarieten in den vier verschiedenen Kapiteln am Ende des Romans um folgende Verspartien: 1. Fünf Personen, die am Königsspiel beteiligt sind: jeweils als Dialog zwischen Margrieta und einer der vier anderen Figuren (Kapitel 94, 225 Verse). Das Königsspiel bietet ein kompliziertes Reimschema, das dem der Rederij­ kerliteratur des frühen 16. Jahrhunderts im niederländischen Sprachraum entspricht.137 Im Anschluss an das Königsspiel bezieht der Prosaist die Ergebnisse des Spiels, d. h. hier die Strafen für Lodewijc und Demofoen, die die ihnen gestellten Fragen nicht beantworten können, mit in das Romangeschehen ein. Der Autor sorgt auf diese Weise für einen gleitenden Übergang zwischen diesen beiden Bestandteilen des Werkes, auch wenn der innere Zusammenhang weniger komplex ist als im Versroman. 2. Nach dem Königsspiel treffen sich die Spieler und andere Personen bei einer Mahlzeit und ziehen sich dann paarweise zurück. Eine neue Verspassage wird wie folgt angekündigt: „daer ghi wonder af horen sult, hoe heyndrick claechde. ende dat van liefden“. Heyndrick tritt in einem Monolog auf, der in Form eines Rondeaus (hier 13 Verse) geschrieben ist, und bittet Venus um Hilfe: „Alsdat twee heren in een substance vereenighen moghen“.138 Es folgt ein Dialog zwischen Heyndrick und Eresebia, in dem sie sich gegenseitig Treue schwören (Kapitel 95, 124 Verse).139 Eresebia Heyndric van Limborch wilt vruecht ghenieten Teenen onderpande geef ic u mijn trouwe Wilt droefheit wter herten gieten Tis eenen rinc van fijnen goude Heyndric Danc hebt reen amoruese kersouwe Tsal hoopic den lande noch profijteren Dus willen wi met vruechden triumpheren Aldus gaf Eresebia heyndric van limborch haer trouwe ende hi hare weder. dat bestant vanden iare ginc seer nae wt. ende die soudaen macte grote ghereetschape om die kerstenprincen te beschaden (P 95, S. 102)

137 Das Reimschema besteht zu weiten Teilen aus Paarreimen, die manchmal von einem Dreier­ reim unterbrochen werden, aber es beginnt mit den Reimen aaba/aabc/ccde/ccde. Am Ende wechseln sich Paarreim und Dreierreim ab: vvv/ww/xxx/yyy/zz/aaa. 138 Bei dem Wort „heren“ handelt es sich um einen Druckfehler für „herten“. 139 Auch hier wechselt das Reimschema mehrmals, am Anfang aaab/aaab/bbbc/bbbc, dann zwischendurch vvw/vvw/wwm/wwm.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten



Der Schwur gehört zum Erzählgeschehen des Romans, denn die Prosa nimmt Bezug auf das Ergebnis. 3. Die folgende Verspartie (P 104:1–80) beginnt ebenfalls monologisch, indem Ysonia zu dem ohnmächtigen Demofoen spricht und ihn dann, wie sie selbst sagt, auf den Mund küsst, so dass er erwacht. Demofoen verspricht Ysonia, ihr zu Ehren zur christlichen Religion überzutreten. Sie geben sich gegenseitig ein Treueversprechen. Dieser Dialog schließt mit einem Rondeau (9 Verse) ab, bei dem zwei Verse wiederholt werden, die indirekt und direkt die Freude über diese wichtige Entscheidung ausdrücken: „Iolijt profijt moet dies ghebueren  / Schoon lief mijn grief is al ghedaen“ (P 104:71–72). Wie beim vorherigen Versdialog funktionieren die Verse innerhalb der Erzählwelt, denn der darauf folgende Prosatext nimmt auch hier Bezug: „Aldus ghinghen dese twee ghelieven ter salen waert ter maeltijt. daer groote blijschap was ende grote vruecht“ (P 104:81–85). Mit dem bereits in Kapitel 100 geäußerten Satz „Als demofoen die woorden hoorde si doorsneden sijn herte. ende hi ­ontstack in lancx so meer in liefden so men wel horen sal in schonen dichte“ (P 100:131–134) wird einerseits diese sich zwischen Demofoen und Ysonia entzündende Liebe schon einige Kapitel zuvor angekündigt. Aber darüber hinaus bezeichnet „in schonen dichte“ auch die Besonderheit der gewählten Form als Gedicht. 4. Im Gespräch zwischen dem Kalifen von Bagdad, dem König Caspus von Lybra, dem Riesen Cleopatrijs140 und dem Sohn des Königs von Kapadozien entscheiden sich die Verbündeten, erneut gegen die Christen zu kämpfen, um die ihnen entstandene Schmach zu rächen (Kapitel 108, 92 Verse):141                  Die calijffe van baldac Nu pooghen wy ons te schepe te spoene Ent tbeste te doene. strijt als lyoene By baten croene. pijnt mi te bevroene Connen wi dlant van griecken winnen Ic sal u eeuwelic daer omme beminnen Dus gawy ons bereeden ongespaert En reysen wy te griecken waert Aldus reyden si nae tlant van griecken toe ende meenden dat wel te winnen. mer si en wisten niet dat alle die edelen daer in noch vergadert waren ende wel op haer hoede al en wisten si vander comsten niet. want si waren in groter vruecht ende in groter blijschap (P 108, S. 130).

140 Im Versroman aus Lybien, Cleopatrijn ist Landvogt des Gebiets um das Rote Meer. 141 Bis auf die ersten Verse mit den Reimen aabaabbcbbcccddd sind in dieser Verspartie alle Verse in Paarreim geschrieben worden.



Retextualisierung des Vergangenen 

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Die Verspassagen im Margarieten-Roman sind somit nicht nur passend in das Romangeschehen eingeflochten worden, sondern erweisen sich für die weitere Entwicklung der Erzählung als unbedingt notwendig. Aufgrund dieser engen Verbundenheit kann man davon ausgehen, dass sie nicht aus bestehenden Sammlungen kopiert wurden,142 sondern eigens für den Margarieten-Roman entstanden. Die Verspassagen beenden jeweils eine Episode des Romans, wie das Ende des Königsspiels, oder bieten in den anderen Fällen eine für das weitere Romangeschehen unentbehrliche Entscheidung. Diese Entscheidung wird in der anschließenden Prosa noch einmal sehr kurz zusammengefasst und bezeichnenderweise eingeleitet mit einem „aldus“. In den Versdialogen werden physische Handlungen angedeutet oder explizit ausgesprochen, wie das Abzählen im Königsspiel (dem heutigen Vers „ene, mene miste, es rappelt in der Kiste“ entsprechend), wenn Eresebia Heyndrick als Zeichen ihrer Treue einen Ring überreicht oder als Ysonia Demofoen aus seiner Ohnmacht wachküsst und er erschreckt aufspringt: „Ysonia: … ‚Moet ic u cussen aen uwen mont / god make u bedwelmende sinnen gesont‘, Demofoen: ‚Ay my wats mijns hoe come ic hier‘“ (P 104:20–22). Diese Schlüsselszenen des Romans können durch ihre Darstellungsform und Lebendigkeit als „deel van een zichtbaar, op het toneel opvoerbaar gebeuren“ betrachtet werden und erinnern nicht nur an Dramen,143 sondern sind Dramenversatzstücke.144 Am Anfang der jeweiligen Szene treten die Figuren auf, am Ende treten sie ab, was sie selbst, wie in einem zeitgenössischen Drama üblich, ankündigen: „Dus laet ons met vruechden ter maeltijt gaen“ (P 104:80) oder „Dus gawy ons bereeden ongespaert / En roepen wy te griecken waert“ (P 108:91–92). In diesem Zusammenhang sind Zeugnisse zu Aufführungen von Werken interessant, die heute „lediglich“ als Prosaromane (mit Versen) überliefert sind, wie das Stück „van Florijsse ende van Blanchefloere“ (1483) und „van den wijghe van Roncevale“ in Deinze (1444).145 Auch die in den vier Kapiteln vorkommenden Verse im Margarieten-Roman tragen dramatische Züge, denn sie wurden in direkter Rede geschrieben und geben Gespräche zwischen zwei oder mehreren Figuren wieder. Nicht auszuschließen ist, dass auch Episoden der Historie van Margarieten aufgeführt wurden oder dass eine Dramenaufführung mit dem Vorlesen der vorherigen und weiteren Handlung kombiniert wurde, Spiel und Erzählung abwech-

142 Eine Verspartie im Floris ende Blancefleur stimmt mit dem Refrein Nr. 72 im Refreinenbundel des Jan van Doesborch weitestgehend überein (vgl. Kruyskamp 1940, Bd. 2, S. 132–133, Refrein Nr. LXXII, Franssen 1990, S. 65). 143 Hummelen 1971, S. 17–18. 144 „De verzen zijn geschreven als voor het toneel“, so lautete das Urteil Debaenes (Debaene 1977, S. 350). 145 Pleij 1975/1976, te Winkel 1922, Bd. 2, S. 393.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

selnd. Durch die Künstlichkeit der Versdialoge im Prosaroman, verbunden mit der ausdrücklichen Zusammenfassung in dem jeweils folgenden Prosaabschnitt, schafft der Autor eine zusätzliche Ebene der Verfremdung. Die Versdialoge als Drama in der Welt der Erzählung machen den Dramencharakter der Prosafiktion als Ganzes bewusst. Mit anderen Worten: Der Rezipient bekommt auf diese Weise eine Gebrauchsanweisung für die bei der Lektüre der Prosainszenierung einzunehmende Haltung. Die sich selbst erzählende „schoone historie“ präsentiert sich ausdrücklich und über das Königsspiel und die Versdialoge auch im fiktionalen Wesen ihrer „schonen dichte“ selbst.146 Die Haltung beim Lesen des Königsspiels von Margrieta und bei der Freude an der Historie van Margarieten steht stellvertretend für eine Haltung, die man als Leser der Prosahistorie einnehmen soll, um „genoechte“ und „recreacien“ zu erleben. Das Lesen des Romans soll, genauso wie die vielen im Roman beschriebenen Spiele und Turniere, zu „alderhande manieren van ghenoechten“ beitragen.

5.5 Zusammenfassung Wie in Kapitel 2.3.3 gezeigt wurde, geht mit der Entwicklung von Vers zu Prosa ein Rückzug der Erzählerfigur einher, die sich nur noch selten oder gar nicht mehr als Subjekt-Ich präsentiert. Die Prosaromane tendieren im Laufe dieser Entwicklung dazu vorzugeben, sie würden sich ohne Vermittlung eines Sprechers von selbst erzählen. Der Erzähler lässt sein eigenes Ich außen vor und erhält so eher den Status eines Chronisten, der (scheinbar) objektiv das Geschehen vermittelt. Das steht jedoch zu den dargelegten deutlichen Moralisierungen im Widerspruch, denn der Erzähler ist als wertende Instanz sehr prägnant anwesend. Diese Erscheinungen hängen auch mit einer veränderten Kommunikationssituation zusammen, in der Erzähler und Rezipient mehr und mehr anonymisiert sind.147 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Erzählerfigur im Prosaroman das Dargestellte kommentarlos präsentiert. Vielmehr bindet sie das Geschehen, sei es durch eigene Beurteilungen in der Art von Sentenzen oder Weisheiten oder indem sie Figuren als Sprachrohre einsetzt, in einen moralisch eindeutigen Rahmen ein, der das angemessene Verhalten von Frauen ebenso beurteilen hilft wie Unkeuschheit und Verrat. Die Historie van Margarieten lässt sich als Erziehungsbuch für den zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Leser unerfahrenen Rezipienten charakterisieren, das im Bewusstsein der historischen Entfernung anhand der Erzählung aus

146 Diese Selbstinszenierung wird durch das Titelblatt und die Holzschnitte unterstützt. 147 Vgl. Müller 1988, S. 152, 167.

Zusammenfassung 

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der Vergangenheit deutlich zu Fragen der Moral und zur erwünschten Haltung in Bezug auf das Christentum Stellung bezieht. Das Buch ruft dazu auf, nach dem Vorbild der Figuren einen vergleichbar bedingungslosen Einsatz gegen Unrecht und für das Christentum zu leisten. Direktheit, Deutlichkeit, Darstellung von Familienzusammenhängen, Zusammenfassungen und Ankündigungen, aber auch die Benennung von Gemütszuständen und Einfügung wertender Adjektive stellen Grundbestandteile des Erzählduktus im Prosaroman dar. Indem der Prosabearbeiter wesentlich häufiger als im Versroman Episoden oder Erzählsequenzen verschiedener Hauptfiguren abwechselt, verleiht er der Erzählung vor allem zu Beginn eine gewisse Unübersichtlichkeit, fördert aber beim Rezipienten das Bewusstsein von der örtlichen Divergenz zeitgleich stattfindender Handlungen verschiedener Akteure, die in einem komplexen Verhältnis miteinander verbunden sind. Zweitens zeigt das Verfahren der Verdeutlichung und Verdichtung das Bemühen des Prosaisten, die einzelnen Erzählteile in eine enge Beziehung zueinander zu setzen und zu einem eher organischen Ganzen zu verschmelzen. Das Geschehen wird dichter und intensiver, da die einzelnen Vorgänge, Aktionen und Begebenheiten näher aneinander rücken und einander in rascherer Reihenfolge ablösen.148 Die zeitliche Dichte verschafft dem Rezipienten eine synoptische und multiple Perspektive auf die Erzählfiktion und fördert gleichzeitig eine von Distanz geprägte Rezeptionshaltung. Die Einheit von Person und Struktur (Buch) im Versroman weicht einem doppelten Prinzip des fortwährenden Blickwechsels und der Zusammengehörigkeit: „double principe de multiplicité et de cohésion“.149 Während der Rezipient des Verstextes sich für eine längere Zeit ganz dem Schicksal einer Figur zuwenden kann, wird der Leser des Prosaromans durch den häufigen Perspektivenwechsel dazu angehalten, die Ereignisse von einer Metaebene aus zu betrachten. Der Prosaist transformiert ritterlich-höfische Tugenden um in Aspekte des Innenlebens wie die emotionale Verfassung oder die Nöte und Sorgen einer Figur. Neue Monologe der Hauptpersonen150 tragen zu einer stär-

148 Diesem Zweck dienen auch Überleitungsformeln und Vorausblicke, die auch in anderen Prosaromanen wie den Vier Heemskinderen, Hughe van Bourdeus oder Droefliken strijt van Roncevale zahlreich vorhanden sind. 149 Baumgartner 1987, S. 177, zur Technik im französischen Prosaroman. Vgl. auch Brandsma 1992 zum Entrelacement in der mittelniederländischen Übersetzung des Lancelot en prose in der Lancelotcompilatie und Waltenberger 1999, S. 85–87, zum Entrelacement im Lancelot propre. 150 So Heyndricks Klagemonolog im Wald, seine ausführlich beschriebene Ankunft in Limburg und die Anfertigung und Aufstellung eines Bildnisses der Margrieta (P 5); Etsijtes über seine Minne zu Margrieta (P 15); Margrieta über ihre missliche Lage (P 16:1–18) oder Etsijtes über die Erfolglosigkeit seiner Liebe (P 17). Vgl. auch Abschnitt 5.2.1.

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 Deutung und Verständigung in der Historie van Margarieten

keren Durchdringung des Innenlebens der Figuren bei. In einem weiteren neu hinzugefügten Gespräch tauschen der Athener Graf und seine Frau Argumente über das Wesen der Liebe aus (P 27). Bis Kapitel 31 überwiegen als Gestaltungsmittel des Prosaromans Monologe und Dialoge, die Gefühle und Selbstmitleid ausdrücken (P 3:69–91; 5:1–21; 10; 15; 16; 17:1–18) und somit zu einer stärkeren Seelenkunde der Figuren beitragen.151 Die Jagd wird als Medizin gegen Melancholie verteidigt (P 1:11–13), und Evac bietet einen Erklärungsansatz für den „pruesschen moede“ Margrietas, indem er angibt, dass eine Frau sich nicht beim ersten Ansuchen eines Mannes hingeben soll (P 17:76–96).152 Handlungen werden verstärkt aus persönlichen Motiven heraus unternommen und sind weniger rein gesellschaftlich bedingt. Handlungsweisen, die in der städtischen Gesellschaft des frühen 16. Jahrhunderts keinen allgemein gültigen Wert haben, erfordern geradezu eine neuartige Rechtfertigung und Motivierung.153 Andere Tätigkeiten erhalten in der Prosa den Charakter zu entlohnender Dienstleistungen. In der Auseinandersetzung mit den im Versroman gültigen Verhaltenskonventionen strebt der Prosaroman nach einer neuen Perspektivierung des Erzählens von der Subjektivität der Figuren her. Die Historie van Margarieten zeigt, außer Tendenzen der Verdeutlichung und Verdichtung, ein Bewusstsein von der historischen Distanz zur dargestellten Welt. Diese geht mit einer Inszenierung der Historie als Fiktion als einher. Die in der Fiktion geschilderten Ereignisse werden einer vergangenen Welt – genannt wird zu Anfang die Jahreszahl 1310 – zugeordnet, aber auch auf die zeitgenössische Situation bezogen: Das Königsspiel, das Margrieta vorschlägt, sei damals täglich gespielt worden, wie man es noch immer tue (P 95:4–6). Diese Worte des Erzählers lassen symptomatisch eine die Differenz zu und Vergleichbarkeit mit der eigenen Welt gleichermaßen berücksichtigende Aneignung und Transformation des Erzählstoffes erkennen. Die Prosahistorie agiert in dieser Hinsicht als Vermittlerin zwischen dem Versroman und dem Leser des frühen 16. Jahrhunderts. Vergangenes wird durch den Akt literarischer Kontinuierung und Adaptierung in seiner historischen Veränderlichkeit präsentiert. Dieser Akt bekundet wie in anderen Prosahistorien ein den humanistischen Interessen vergleichbares Interesse an älterer Literatur. Die ‚Wahrheiten‘ der älteren Literatur werden in Erzählerkommentaren und Sentenzen, die den zeitgenössischen Maßstäben entsprechen, mit einer neuen ‚Wahrheit‘ versehen, so dass zwischen den Hand-

151 Schellart 1952, S. XXXV, Janssens 1976. 152 Vgl. auch Dirc Potter, Der minnen loep, V. 121–130. Der Grund für Trauer wird angegeben (P 6:48–49). 153 Vgl. auch die Diskussion um die Beteiligung der Kinder an der Jagd (P 1 und 3).

Zusammenfassung 

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lungen und der Lehre oftmals eine Diskrepanz entsteht. Zugleich präferiert die Prosa neue Muster des Erzählens, die die Komplexität der dargestellten Welt versinnbildlichen und der Veränderung sozialer Normen und Umgangsformen Rechnung tragen. Dazu gehört die Durchdringung des Handelns mit materiellen Werten, die Ersetzung physischer Gewalt durch Worte und die Privatisierung von Affektäußerungen. Der auf verschiedenen Ebenen geführte Identitätsdiskurs des Versromans kann in Johanns Roman und im Prosaroman ca. 160–200 Jahre später offensichtlich nicht ohne Änderungen übernommen werden. Johanns Roman versieht die Fiktion überwiegend mit moralisierenden Kommentaren, die problematisches Verhalten und Geschehen didaktisch vereindeutigen. Praktischer Orientierungsanspruch wird in allgemein formulierten Lebensregeln manifest: Verrat, übermäßiges Lob, unehrenhafte Minne und Krieg lehnt die Erzählinstanz ab, sie befürwortet Zucht, Ehre, Reinheit und Keuschheit. Aus dieser Erzählhaltung spricht das Bedürfnis, die Rezeption des Erzählten in eine bestimmte Richtung zu dirigieren und eine mögliche Faszination des Bösen auszuschließen. Die Thematik von Liebe und Herrschaft der frühen Verstradition weicht in der Prosabearbeitung einer Christentumspropaganda. Der Minne- und Herrschaftsdiskurs mit der utopischen Vereinigung aller christlichen Herrscher im Margriete-Roman erfährt eine Transformation zu einer Minne- und Herrschaftsethik im Margreth-Roman und zu einer Inszenierung der Überlegenheit des Christentums in der Welt des Spiels und des Turniers der Historie van Margarieten.

6 Margriete-Werke im brabantischen, ­ripuarischen, rheinfränkischen und ­bayerischen Raum 6.1 Brabant Den brabantischen Margriete-Versroman schrieb ein unbekannter Dichter zwischen 1312 und 1325 für einen ebenso wenig bekannten Auftraggeber. Aufgrund der im Werk auftretenden Figuren und der erzählten Ereignisse kann man die Entstehung des Margriete-Romans mit dem herzoglichen Hof in Brabant in Zusammenhang bringen und die Zahl der möglichen Auftraggeber auf diejenigen eingrenzen, die zu dieser Zeit in Brabant, möglicherweise am Herzogshof oder in dessen Umkreis, lebten. Am Ende des Romans verkauft der Herzog von Limburg seinen Besitz an den Herzog von Brabant: „Ende unse lant versetten tzu hantz / An den hertoge, unsen neve, van Brabant“ (B XI:1688–1689). Dieses kann man als Reminiszenz an die Geschehnisse bei der Schlacht von Worringen (1288) betrachten,1 in der der Limburger Erbfolgestreit zugunsten des Herzogs Johann I. von Brabant (1252/53–1294) entschieden wurde: Die Grafschaft Limburg wurde dem brabantischen Herzogtum einverleibt.2 Am herzoglichen Hof in Brabant war auch im 13. Jahrhundert das Französische die Sprache, die vorwiegend für den alltäglichen Umgang, Gesetzestexte und literarische Texte verwendet wurde. Johann II. von Brabant (1276–1312), der durch den frühen Tod seines Vaters Johann I. im Jahre 1294 mit 18 Jahren neuer Herzog wurde, suchte jedoch aufgrund der Schuldenlast, die ihm sein Vater hinterlassen hatte, immer mehr Annäherung zu Patriziern in den brabantischen Städten und benutzte immer mehr die dortige niederländische Volkssprache.3 Der Herzog ließ Urkunden auf Niederländisch ausstellen. Der 1299 entstandene Vierde Martijn lässt vermuten, dass das Niederländische auch in Hofkreisen eine immer stärker werdende Position einnahm,4 was sich unter Herzog Johann III. 1 Janssens 1976, S. 91. 2 Herzog Johann von Brabant hatte mit seinen Verbündeten, u. a. den Grafen von Berg, Jülich und Mark, seine Gegner, die Grafen von Geldern und Luxemburg, besiegt. 3 Zum Folgenden ausführlich Sleiderink 2003, S. 105–122. 4 In dem 893 Verse langen Text besprechen die beiden Dialogpartner Jacob und Merten die Zustände in der Welt am Ende des 13. Jahrhunderts. Dabei äußert Merten die Hoffnung, dass ­Johann II. die Machtübernahme Brabants durch Hugo Capet (10. Jahrhundert) vergelten möge. Er hofft, dass „der fiere hertoge Jan“ den Platz einnehmen könne, den Hugo Capet unrechtmäßig erobert hatte, und kritisiert die „quader sonden“ der Herren am Hof (Vierde Martijn, V. 881–883). DOI 10.1515/9783110452518-006

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

(1300–1355) fortsetzte.5 So ist eine Handschrift der Brabantsche Yeesten des Jan van Boendale ausdrücklich Herzog Johann III. gewidmet: „Hertoge Jan van Brabant / Die derde van den name int lant / … / Ontfaet dit boexken“.6 Jedoch kommen für den Margriete-Versroman nicht nur der Herzog oder einer der am Hof Ansässigen als möglicher Auftraggeber in Betracht. Offensichtlich wurden auch am Hof des deutschen Kaisers Heinrich VII. außer lateinischen, französischen oder deutschen Werken auch niederländische Texte rezipiert. Das ist nachvollziehbar, denn Heinrich VII. heiratete 1292 Margarete von Brabant (1275/76–1311), Tochter Johanns I. von Brabant und Schwester Johanns II. von Brabant. Godevaert metten baerde, ein Roman über die Abenteuer des jungen Gottfried mit dem Bart, entstand möglicherweise „bi des keysers ghebode“,7 und der Roman van Cassamus, der Roman der Lorreinen, in dem eine der Hauptfiguren ein Wappen trägt, das an das Luxemburger Wappen erinnert, sowie der Margriete-Roman müssen in engem Zusammenhang mit dem kaiserlichen Hof rezipiert worden sein. Die Limburger Herzogskinder erringen im Margriete-Roman trotz des Verlustes des Herrschaftsgebiets hohe Positionen. Der Herzogssohn Heinric wird durch seine Hochzeit mit der Kaisertochter Eusebia Kaiser des byzantinischen Reiches, seine Schwester Margriete durch ihre Hochzeit mit Echites Königin von Armenien. Diese Entwicklungen können als Parallele zur politischen Karriere Heinrichs VII. von Luxemburg (1278/79–1313) betrachtet werden. Er wurde König des deutschen Reiches (Wahl 1308, Krönung 1309), König von Italien (1311) und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (1312). Zwischen dem luxemburgischen und brabantischen Haus gab es spätestens seit der Hochzeit zwischen ihm und Margarete von Brabant enge politische Beziehungen. Die Beschreibung des Luxemburger Wappens als eines von vier im Margriete-Roman dargestellten Wappen ist auffällig:

Ende up ygelich eyne banyere Van lasure, dar düre varen Wijs veschen, oft strijpen weren, Mit eynen lewe van kele roet? (B II:649–652)

Möglicherweise hat der Dichter einstmals in den Kreisen um Herzog Johann II. verkehrt, verlor jedoch mit dessen Machtübernahme im Jahre 1294 seine Position (V. 875–884). 5 Beim Tod Johanns II. war sein Sohn Johann erst 12 Jahre alt, so dass das Herzogtum Brabant von zwei Vögten, Gerhard V. von Jülich und Floris Berthout, Herr zu Mechelen, regiert wurde, bis Johann III. 1320 selbst die Herrschaft übernahm. 6 Antwerpen, Stadsbibliotheek, B 15828 (Zitat nach Sleiderink 2003, S. 108). 7 Zitat nach Sleiderink 2003, S. 110; vgl. Claassens 1998, S. 351, Anm. 37.

Ripuarische Margriete-Rezeption und Umfeld 

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Somit werden in diesem Roman sowohl brabantische als auch luxemburgische Interessen berücksichtigt. Es ist also auch möglich, dass der Sohn Heinrichs und Margaretes, Johann von Luxemburg (1296–1346), bei der Entstehung des Margriete-Romans nicht unbeteiligt war.8 Johann wurde 1308 mit der Grafschaft Luxemburg belehnt und 1310 mit Böhmen. Im Februar 1311 wurde er König von Böhmen. Seine Mutter kam aus Brabant, daher kann man annehmen, dass er Brabantisch verstand und dass am luxemburgisch-böhmischen Hof auch andere niederländische Werke in Auftrag gegeben wurden. Außer den bereits genannten Werken ging man für den niederländischen Prätext des Romans Der Herzog von Braunschweig von einem Auftrag Johanns des Blinden aus.9 Der Auftraggeber des Margriete-Romans ist somit nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Im Allgemeinen kann man von einer vielschichtigen Mehrsprachigkeit an verschiedenen Höfen des 14. Jahrhunderts ausgehen, die nicht zuletzt auf die weitreichenden familiären Beziehungen zurückzuführen ist. Dieses erklärt die breite Rezeption von Texten in unterschiedlichen Sprachen an einem Hof. Darüber hinaus wurden Werke, die in einer Hofbibliothek offenbar nicht fehlen durften, in die Sprache des jeweiligen Sprachgebiets übertragen, wie die ripuarische Umschrift und die rheinfränkische Fassung des Margriete-Romans zeigen.

6.2 Ripuarische Margriete-Rezeption und Umfeld Die ripuarische Margriete-Handschrift entstand um 1420–1430 im ripuarisch-südniederfränkischen Sprachraum nicht südlicher als die Linie Aachen-Düsseldorf, so dass auch hier verschiedene Höfe, darunter Geldern, Loon und Jülich, als Auftraggeber der Umschrift in Frage kommen. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts besaßen die Herzöge von Geldern einen großen Einflussbereich, der im Süden die Gebiete um Roermond, Nieuwstadt, Echt, Montfort, Erkelenz oder auch Wickrath einschloss.10 Der geldrische Herzog Rainald IV. (* um 1365; † 25. Juni 1423) starb kinderlos, so dass dessen Neffe Adolf IX. (* 1408; † 14. Juli 1437) ab 1423 Herzog von Jülich und Berg und ab 1425 auch Herzog von Geldern wurde. Johann III.

8 De Wachter 1998a, S. 371. Johann, der 1337 erblindete, war seit 1310 mit Elisabeth von Böhmen, der Erbin des Landes, verheiratet. 9 Klein 1997, S. 79–81. Im Text heißt es explizit, dass der Dichter „Augustijnken“ das Werk „ouer­ mytz des konings bede“ gedichtet habe. Es gibt im 13. und 14. Jahrhundert nur drei Könige, die niederländischsprachig waren bzw. genügend Niederländisch verstanden: Willem von Holland (1247–1256), Johann von Luxemburg (1296–1346) und dessen Sohn Wenzel, der spätere König Karl IV. (1316–1378), der 1355 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. 10 Vgl. Abbildung 57 bei Tervooren 2006, S. 409.

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

(1395–1441), Herr von Heinsberg, wurde durch eine Regelung Rainalds IV. Herr von Jülich. Johann wiederum war ein Neffe Wilhelms I. (1399–1438) von Loon, der durch seine Heirat mit Elisabeth von Blankenheim, Kastelberg und Gerolstein Herr zu Blankenheim wurde. So kommen Rainald IV., Johann III., Wilhelm I. und Adolf IX. und deren Umkreis aufgrund des zeitlichen und sprachlichen Befundes allesamt als Auftraggeber für die ripuarische Handschrift des Margriete-Romans in Betracht. Auf die späteren Besitzer der Handschrift gibt es sicherere Hinweise. Der Eifeler Graf Wirich VI. von Daun zu Oberstein und zu Falkenstein (1415/20–1501) war ein früher Besitzer der Handschrift, denn Einträge wie „dh / que remede / wirich item“ auf fol. 147r der Margriete-Handschrift ließ er häufiger in den Handschriften anbringen, die er besaß.11 Aufgrund der sprachlichen Merkmale und wegen des ermittelten Entstehungszeitraums ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Wirich VI. die Handschrift in Auftrag gab.12 Als weiterer Besitzer der ripuarischen Margriete-Handschrift wurde Graf Kuno von Manderscheid-Blankenheim (1444–1489), der älteste der drei Söhne Dietrichs III. von Manderscheid (um 1422–1488), ermittelt.13 Auf fol. 147v ist in der Margriete-Handschrift eingetragen: „Coin jonggraue zu manderscheit graue zu Blankenheim“. Über dem Eintrag befindet sich die Jahreszahl 1474 und wiederum darüber ein Schriftband mit der Buchstabenfolge „g.m.s.v.y:d.wf.z.a.f.“. Graf Kuno besaß 1474 außer Manderscheid die Herrschaften Schleiden (seit 1450), Jünckerath (seit 1452), die Grafschaften Blankenheim und Gerolstein (seit 1469) und die Herrschaften Kail und Altendaun (seit 1469). Die ersten drei Buchstaben des Schriftbands können als Abkürzungen für Gerolstein, Manderscheid, Schleiden und Virneburg intendiert sein, da man auf fol. 58v einer weiteren Handschrift aus Manderscheider Besitz (Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548) den in etwa vergleichbaren Eintrag „GSV C mandscheit blanckenh.“ liest, dessen erste Buchsta-

11 Beispiel bei Beckers 1987. 12 De Haan 1994, S. 151. Wirich VI. von Daun gelang es, durch Kauf und Heiratsverbindungen sein angestammtes Herrschaftsgebiet in der Eifel bis ins rheinfränkische Gebiet auszudehnen. Sein Sohn Melchior (1451–1517) heiratete 1465 Margarete (1453–1521), eine Tochter des Grafen Wilhelm von Virneburg (um 1435–1476) aus dem bedeutenden Geschlecht Virneburg. Mechthild († nach 1506), eine weitere Tochter Wilhelms, vermählte sich 1476 mit Kuno von ManderscheidBlankenheim. 13 Im Jahre 1467 war das Manderscheider Geschlecht in den Reichsgrafenstand erhoben worden. Kail und Altendaun kamen durch die Hochzeit Dietrichs II. von Manderscheid mit der Erbin von Altendaun, Irmgard, an das Manderscheider Grafenhaus. Irmgard war die Erbtochter Dietrichs, Herr zu Daun und Bruch. Durch ihren Tod am 14.  4. 1456 und den ihres Ehemanns am 10. 11. 1469 ging das Erbe an seinen Sohn Dietrich III.

Ripuarische Margriete-Rezeption und Umfeld 

 261

ben ebenfalls als Abkürzung der Besitztümer betrachtet werden können.14 Die anderen Buchstaben in der Margriete-Handschrift könnten somit ebenfalls auf Manderscheider Besitzungen im Jahre 1474 schließen lassen: „y“ für die Herrschaft Jünckerath, „d“ für Daun oder Dollendorf, „w“ für Wartenstein und „f“ für Falkenstein.15 Die Adelsbibliothek der Grafen von Manderscheid-Blankenheim gilt für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinsichtlich ihres Bestandes an mittelalter­ lichen deutschen Dichtungen als herausragendes kulturelles Zentrum im deutschen Sprachgebiet. In der Blankenheimer Bibliothek befanden sich außer dem Margriete-Roman bereits im 15. Jahrhundert weitere Versepen, didaktische Schriften, aber auch Fürstenspiegel und Chroniken in einer vergleichsweise beträchtlichen Anzahl, u. a. eine Handschrift von Gottfrieds Tristan, Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens, Loher und Maller, die Sächsische Weltchronik, Albrechts von Eyb Ehebüchlein sowie auf Französisch Estoire de Saint Gral, Merlin, Lancelot du lac, Queste del St. Gral, Mort Artu.16 Zwischen dem Hause Manderscheid-Blankenheim und dem Heidelberger Hof gab es vielfältige Beziehungen, auch literarischer Art. Zwischen diesen Adelshäusern wiederum und Wirich VI. von Daun zu Oberstein sowie der Erzherzogin Mechthild von Rottenburg am Neckar existierte ein reger Austausch  – unter Einschluss der Vermittlung niederländischer Vers­ epik an die Höfe zu Manderscheid-Blankenheim und Heidelberg –, wie folgende Übersichten zeigen:17

14 Eine weitere Handschrift aus Manderscheider Besitz (Berlin, SBB-PK, Ms. germ. qu. 1340, jetzt Kraków, Biblioteka Jagiellońska) trägt auf fol. 209v die Buchstabenfolge: g.m.s.z.a.f.d.w.f.v.n (vgl. Beckers 1990, Nr. 5). 15 Neu 1972, S. 64. Zu dieser Zeit war der Herzog von Jülich Lehnherr der Manderscheider Grafen. – Die Manderscheider traten häufig auch im Dienst des Herzogs von Burgund auf, der 1470/71 in ihrem Streit mit den Brüdern Heimbach mehrmals vermittelnd eingriff, als die Manderscheider sich von ihrem Lehnherrn nicht gerecht behandelt fühlten (vgl. Neu 1972, S. 65  f.). Dietrich III. von Manderscheid erhielt nach einer Urkunde aus dem Jahre 1451 im Auftrag des Herzogs von Burgund Renten aus der Gegend von Limburg, Maastricht und Rolduc. 16 Vgl. die Aufstellungen bei Deighton 1986, Beckers 1987, Beckers 1990. 17 Übersicht nach Schlusemann 2000a, S. 108–110 (mit ausführlicherer Argumentation).

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Handschriftenbesitz und -bewegungen I. Graf Wirich VI. von Daun zu Oberstein (ca. 1420–1501) zu (Graf Kuno von) Manderscheid-Blankenheim (1444–1489) 1.

Margriete van Limborch Brussel, Koninklijke Bibliotheek, Ms. 18231 Exemplar: um 1420–1430 Datierung: Lokalisierung: nordwestripuarisch Besitzer: Wirich VI. von Daun zu Oberstein; Graf Kuno van ManderscheidBlankenheim Besitzhinweise: „dh que remede wirich etc.“ (fol. 147r) und auf einem Schriftband: „g.m.s.v.y.d.wf.z.a.f.“, darunter die Jahreszahl 1474 und „Coin Jonggraue zu manderscheit graue zu Blanckenheim“ (fol. 147v).

2.

Lancelot en prose Bonn, Universitätsbibliothek, S 526 Exemplar: Datierung: 1286 Lokalisierung: Amiens, französisch Arnulfus de Kajo Schreiber: Wirich VI. von Daun zu Oberstein; Manderscheid-Blankenheim Besitzer: Besitzhinweise: „olim Blankenhemensem“ (fol. 1r), „geschriben zum obersteyn jm xiiijten und xvc jar“ (fol. 170r).

3.

Wolfram von Eschenbach, Willehalm Köln, Historisches Archiv der Stadt, W 357 Exemplar: Datierung: 1437 Lokalisierung: Oberstein an der Nahe, moselfränkisch und rheinfränkisch Godeman von Hoffde; Peter von Freisen, Pastor zu Steynwenden Schreiber: Besitzer: Wirich VI. von Daun zu Oberstein; Manderscheid-Blankenheim Besitzhinweise: „Diß buch hat jungherre Wierich von Dune zum Oberstein lassen schriben. Que remede W.“ (fol. 94v); „Bibliotheca Blanckenh  …“ (fol. 1r), im Hinterdeckel Wappen Manderscheid-Blankenheim.

4.

Gesta Treverorum; Stricker, Daniel vom blühenden Tal Exemplar: Kraków, Biblioteka Jagiellońska (olim Berlin, Preußische Staatsbi­ bliothek, Ms. germ. qu. 1340) um 1410–1430 Datierung: Lokalisierung: rheinfränkisch Besitzer: Wirich VI. von Daun zu Oberstein; Graf Kuno von ManderscheidBlankenheim Besitzhinweise: großes Manderscheider Wappen, Jahreszahl 1474, daneben Buchstaben Q (?) W, darunter Schriftband: „gmszaf.dwf.vn“ (fol. 209v), verteilt kleinere Manderscheider Wappen (fol. 91v, 100v, 154v, 167v, 200v, 204v).

Ripuarische Margriete-Rezeption und Umfeld 

 263

II. Friedrich I. der Siegreiche (1425–1476) oder Philipp der Aufrichtige (1445– 1508), Kurfürsten bei Rhein, zu (Graf Kuno von) Manderscheid-Blankenheim (1444–1489) 1.

Pontus und Sidonia Exemplar: Köln, Historisches Archiv der Stadt, W* 30 Datierung: um 1474–1480 Lokalisierung: Heidelberger Umkreis, rheinfränkisch Besitzhinweise:  Allianzwappen Manderscheid-Blankenheim und von der MarckArenberg (fol. 1r). Es kann angenommen werden, dass der Codex eventuell als Hochzeitsgeschenk für Johann, Graf zu Blankenheim, Gerolstein, Jünckerath und Bettingen, zu seiner Heirat mit Margarete von der Marck-Arenberg 1474 bestimmt war.18

2. Pleier, Tandareis und Flordibel; Pontus und Sidonia; Karrensuite Exemplar: Köln, Historisches Archiv der Stadt, W* 46 Datierung: 1476 Lokalisierung: Heidelberger Umkreis, rheinfränkisch Besitzhinweise: „Bibliotheca Blanckh …“ (fol. 1r). Albrecht von Eyb, Ehebüchlein (Hs. e) Exemplar: Evanston, Illinois (USA), Northwestern University Library, Western Ms. 13 Datierung: 1482 Lokalisierung:  Heidelberger Umkreis, mittelfränkisch (Deighton 1987, S. 136); rheinfränkisch (Beckers 1990, S. 170) Besitzhinweise: Allianzwappen Manderscheid-Blankenheim-Virneburg (fol. 1r); GSV 1482 (fol. 35r). Hinweis: war mit Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548, zu einem Codex zusammengebunden (Nr. 4) 3.

4.

Wiewol all menschen (Fürstenspiegel); Dindimus-Buch; Hans Folz, Vor die pestilentzie; Eyne kurze ordenonge Exemplar: Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548 Datierung: um 1480 Lokalisierung: Heidelberger Umkreis; cpg 172 als Vorlage für diese Handschrift Besitzhinweise: „GSV C mandscheit blankenh. 1482 d 16 ianuarij“ (fol. 58v).19

18 Die Seite mit dem Wappen abgebildet bei Kasten / Paravicini u. a. 1998, zwischen S. 320 und 321. 19 Abb. bei Deighton 1982, S. 263.

264 

 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

III. Wirich VI. von Daun zu Oberstein zu Mechthild von Rottenburg (1419/20–1482) 1. 2.

Margriete van Limborch (niederländisch oder deutsch) vor 1462, erwähnt im Ehrenbrief Püterichs Lancelot-Prosaroman vor 1462, erwähnt im Ehrenbrief Püterichs

IV. Mechthild von Rottenburg zum Heidelberger Hof 1. Karrensuite Vorlage für Karrensuite Köln, Historisches Archiv der Stadt, W. f* 46 vor 1462, erwähnt im Ehrenbrief Püterichs 2. niederländische Lancelot-Handschrift ohne Karrensuite Vorlage für Teil I des cpg 147 vor 1462, erwähnt im Ehrenbrief Püterichs 3. niederländische oder deutsche Lancelot-Handschrift ohne Karrensuite Vorlage für Teil II und / oder III des cpg 147 vor 1462, erwähnt im Ehrenbrief Püterichs 4. niederländische oder deutsche Margriete-Handschrift Vorlage für die Übertragung des Johann von Soest

Die Vorlage für den Margreth-Roman Johanns, die auch die Vorlage des ripuarischen Margriete-Romans war,20 kann auf verschiedene Art und Weise an den Heidelberger Hof gelangt sein. Für die Vermittlung könnte Mechthild von Rottenburg eine wichtige Rolle gespielt haben, da sie vor 1462 eine Margriete-Handschrift besaß.21 Mechthild hatte als Tante des Kurfürsten Philipp des Aufrichtigen enge Beziehungen zum Heidelberger Hof. Aber auch eine Vermittlung über den kölnisch-kleverländischen Raum an den Heidelberger Hof ist nicht ausgeschlossen. Der fragmentarisch erhaltene in Brabant entstandene Codex Deschamps des Margriete-Versromans wurde wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Wesel oder in der Umgebung von Wesel zu Zwecken des Einbindens zerschnitten.22 In der Gegend um Xanten / Wesel befand sich die Handschrift spätes-

20 De Haan 1994 mit ausführlicher Argumentation. 21 Diese Handschrift könnte die Vorlage für Johanns Übertragung im Auftrag Philipps gewesen sein (van den Bergh 1846/1847 und Goette 1899). Wie nun ihrerseits Mechthild ein ­Exemplar eines (niederländischen) Margriete-Romans erwarb oder aber eine weitere nicht überlieferte Übertragung in Auftrag gab, konnte bisher nicht ermittelt werden. – Wirich von Daun war für Mechthild kein Unbekannter. Im Ehrenbrief Püterichs wird Wirich in den Strophen 76 und 79 als einer der Hofpoeten Mechthilds aufgeführt. Wirich könnte demnach für Mechthild der Vermittler eines Margriete-Textes gewesen sein. 22 Neue Namengebung bei De Wachter / Schlusemann etc. 2001, S. 38–44 (bei Kienhorst 1988 H 51). Vom Codex sind Fragmente in Gent, Brüssel und Xanten erhalten (vgl. Kap. 1.4).

Ripuarische Margriete-Rezeption und Umfeld 

 265

tens seit dem 15. Jahrhundert; sie wurde frühestens 1436 und spätestens ca. 1500 als Bindmaterial gebraucht.23 Folglich spricht neben der Brüsseler Handschrift auch dieser Codex für das frühe Interesse am Margriete-Roman im rheinischmaasländischen Raum. Festzuhalten bleibt, dass der Parallelbestand an Handschriften am Hof Mechthilds von Rottenburg und am Heidelberger Hof sehr auffällig ist. Außer dem Margriete-Roman gilt das für Pontus und Sidonia, Malagis, Reinolt und Ogier von Dänemark, von denen angenommen wird, dass sie als deutsche Übersetzungen niederländischer Texte für den Heidelberger Hof oder dessen Umkreis entstanden, aber auch – den Bemerkungen in Püterichs Ehrenbrief zufolge – zum Besitz Mechthilds gehörten.24 Mechthilds Exemplare könnten wie der MargrieteText sehr gut als Vorlage für die in den 70er und 80er Jahren des 15. Jahrhunderts am Heidelberger Hof entstandenen Handschriften gedient haben. Mechthild hätte dann eine reiche Sammlung ursprünglich niederländischer Versepik besessen, und damit wäre auch ein Ansatzpunkt dafür geboten, warum Püterich diese Texte unbekannt waren. Auf welchem Weg die niederländischen Texte letztendlich konkret bewegt und wiedererzählt bzw. umgeschrieben wurden, muss weiter offen bleiben. Die Rezeption niederländischer Werke am Rottenburger und vor allem am Heidelberger Hof soll im Folgenden nicht nur aus dem Blickwinkel der Literaturwanderung vom (niederländischen) Westen in den Südosten betrachtet werden, sondern vor dem Hintergrund einer möglichen Literaturpolitik Philipps des Aufrichtigen.

23 Die Genter Fragmente wurden als Deck- und Schutzblatt für ein lateinisches Martyrologium verwendet, das sich jetzt in Brüssel befindet (Brussel, KB, II 4292; vgl. Kalff 1898, S. 297; Kienhorst 1988, S. 107). Auf fol. 1ra befindet sich die Notiz „Liber domus fratrum S. Martini in Wesalia“. Das Martyrologium befand sich demnach im Besitz des Weseler Fraterhauses Sankt Martini, das 1436 gegründet wurde; eventuell wurde die Handschrift dort sogar hergestellt. Kock weist für das Weseler Fraterhaus sowohl den Vertrieb als auch die Produktion „pro pretio“ und die Fertigung von Randleisten und Miniaturen nach (Kock 1999, S. 55–60, 100  ff.; vgl. auch Deschamps/ Mulder 2002, S. 27–28). Die Brüsseler Fragmente wurden als Umschlag für ein Register verwendet, das folgende Notiz enthält: „Reditus SS Crucis ex Fundat[ione] RD Berendonck Canonici“ (fol. 1v). Hiermit könnte Gerhard Berendonck (1510–15. 7. 1553) gemeint sein, der Kanoniker der Xantener Stiftskirche, der zwischen 1525 und 1536 die fünf Stationsbilder zur Passion und Auferstehung Christi zwischen dem Michaelstor und dem Südportal errichten ließ (Grote / Heidbüchel 1997, S. 13; Classen 1938, S. 142; Deschamps / Mulder 2002, S. 62–63). Die Xantener Fragmente wurden als Umschlag für Rechnungen aus dem alten Stiftsarchiv in Xanten verwendet (Wilkes 1937, S. xl). 24 Die Ausgabe des Malagis (2000) bietet wie jene des Ogier (2002) zahlreiche Möglichkeiten der weiteren Erforschung sprachlicher Umschreibungen vom Niederländischen ins Deutsche.

266 

 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

6.3 Der Heidelberger Hof In der Geschichte des deutschen Humanismus nimmt der deutschsprachige Raum im Südwesten mit dem mittleren und oberen Rheintal, dem Elsass, Basel, dem Bodensee und dem Neckartal eine Schlüsselstellung ein. Als einer der ersten deutschen Fürsten stand der Heidelberger Kurfürst Friedrich der Siegreiche der humanistischen Bewegung aufgeschlossen gegenüber. Mit der Berufung Peter Luders, des ersten deutschen Humanisten, zum Lektor für lateinische Literatur und Dichtung an die 1386 gegründete Heidelberger Universität schuf er im Jahre 1456 die Grundlage für die Lesung, Herausgabe, Übersetzung und Interpretation lateinischer Dichter, wie sie sich in Heidelberg besonders in den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts vor allem unter dem Wormser Bischof und Heidelberger Kanzler Johann von Dalberg ausgeprägt manifestierte. Dennoch entstanden seit der Ernennung Luders nicht nur humanistisch ausgerichtete Schriften am Hof, sondern auch einige Abschriften, Übersetzungen und Bearbeitungen mittelalterlicher Lyrik, Didaxe und Epik, wie die Bearbeitung des Margriete-Romans, die sich mit der humanistischen Strömung in einem Spannungsverhältnis zu befinden scheinen. Literarische Werke wie Lieder und epische Texte wurden bei Hochzeiten, Taufen, Siegesfeiern und Empfängen vorgetragen oder vorgelesen. Philipp könnte den Margriete-Roman bei einem der gesellschaftlichen Anlässe in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts kennengelernt haben, so bei seiner eigenen Hochzeit mit Prinzessin Margarethe von Bayern-Landshut im Februar 1474 in Amberg. An dieser Hochzeit nahmen außer Mechthild von Rottenburg auch zwei Söhne Wirichs VI. von Daun zu Oberstein, Melchior und Wirich, teil.25 Bei der Vermählung von Mechthilds Sohn Eberhard, der am 3. Juli 1474 Markgräfin Barbara von Mantua in Urach heiratete, gestaltete die Kapelle des pfalzgräflichen Hofes unter der Leitung Johanns von Soest (siehe unten) die Hochzeitsmesse.26 Bei den gerade genannten Ereignissen kann der Roman Philipp aber nur nach einer niederländischen oder nach der ripuarischen Umschrift bekannt geworden sein (vgl. Kap. 1.4 und Kapitel 4). Anzunehmen wäre ein Auftrag an Johann für die Zeit um etwa 1475, weil Johann sonst kaum genügend Zeit für die Übertragung des sehr langen Romans zur Verfügung gestanden hätte. Außerdem übersetzte er

25 Buchner 1908, S. 424. 26 Pietzsch 1963, S. 650.



Der Heidelberger Hof 

 267

den Roman neben seiner Funktion als Sängermeister und ab Ende 1476 darüber hinaus neben seinem Studium der Medizin.27 Weitere am Heidelberger Hof rezipierte mittelalterliche Romane sind bekanntlich der Prosa-Lancelot (cpg 147), die bedeutendste Sammlung mittelalterlicher Minnereden (cpg 313), Übersetzungen aus dem Bereich der Karlsepik (Malagis, Reinolt, Ogier) und einige Abschriften der Artusepik (Iwein, Crone, Karren­suite). In ihrer Bestandsaufnahme zum literarischen Leben am kurpfälzischen Hof warf Martina Backes die Frage auf, ob Kurfürst Philipp der Aufrichtige, ab 1476 Nachfolger Friedrichs des Siegreichen, und seine Zeitgenossen überhaupt einen „prinzipiellen Unterschied zwischen humanistischer und nicht-humanistischer, alter und neuer Literatur empfanden“.28 Dieser Frage soll im Folgenden mit einer Übersicht über die Förderung von Hofkünsten (Musik und Literatur) am Heidelberger Hof in den letzten drei Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts nachgegangen werden. Dabei werden das musikalische und literarische „Programm“ der beiden Kurfürsten in dieser Zeit sowie mögliche Zusammenhänge verschiedener Künste in dem umschriebenen spezifischen historischen Kontext untersucht. Nach einigen kaum dokumentierten Anfängen unter Ruprecht I. (1309–1390) – er gilt als der Gründer der ersten Hofkapelle in deutschen Landen; Hermann Poll (1370–1401), der Leibarzt Ruprechts, war der Erfinder des Cembalos – beginnt die erste bedeutende Epoche der Heidelberger Musikgeschichte unter Friedrich I. mit der Gründung einer leistungsfähigen Hofkantorei. Friedrich berief am 22. November 1472 den als Sänger berühmten – und zum großen Teil in den in der Musik­ entwicklung bedeutenden niederländischen Gebieten wie Brabant (Brügge) ausgebildeten  – Johann von Soest zum „sengermeister“ auf Lebenszeit. Der Fürst betont in der Bestallungsurkunde, dass Johann die Chorknaben im Besonderen in den Regeln des Komponierens und im Singen mehrstimmiger Musik „sunderlich mit contrapuncten“ zu unterweisen habe.29 In der Schlosskapelle wurde eine Orgel installiert und ein Organist eingestellt, dessen Name nicht überliefert ist.30

27 Die Klagen Johanns über die Mühseligkeit der Arbeit in den Prologen zu seinem Roman könnten daher auch autobiographische Elemente enthalten (z. B. die Prologe 3, 4, 5, 9 und 10). 28 Backes 1992, S. 171. 29 Johann von Soest hatte eigenen Aussagen in seiner Biographie zufolge seine Ausbildung am Hof in Kleve und in Brügge erhalten. Die drei Fächer, die er nennt, sind: „solsysyrn“ (Solmisation, Gesangschulung), „contrapunckt“ und „componyrn“ (Wiegand 1922, S. 18). Brügge galt in seiner musikalischen Blütezeit zwischen 1450 und 1550 als Zentrum der polyphonen Musikpflege in Europa (Schläder 1986, S. 33). 30 Der Organist begleitete z. B. zusammen mit den Sängern der Hofkapelle das Hochamt anlässlich der Vermählung des württembergischen Grafen Eberhard im Bart (Sohn der Pfalzgräfin Mechthild und somit Neffe Friedrichs) im Juli 1474 in Urach.

268 

 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Rudolf Agricola berichtete in einem Brief vom 26. Mai 1484, dass Johann von Soest „novem et duodecim etiam vocibus canendos modulos“ komponiert habe.31 Ob es sich bei dieser Angabe um für die Epoche höchst außergewöhnliche neunund zwölfstimmige Sätze oder um die Zahl der Mitwirkenden gehandelt hat, kann wegen des Verlusts der Komposition nicht bestimmt werden. Ein Musiktraktat Johanns von Soest mit dem Titel De musica subalterna, das ebenfalls verloren ist,32 behandelte offensichtlich die Instrumentalmusik. Johann von Soest, der als „ungewöhnlich reich begabter Theoretiker, Komponist und Kapellmeister“ bezeichnet wird,33 muss am Aufschwung der Heidelberger Hofmusik entscheidend beteiligt gewesen sein. Friedrich der Siegreiche sorgte für eine Hofkantorei mit „mer dann zwölff cantores“.34 Heidelberg besaß darüber hinaus eine der bedeutendsten europäischen Hofkapellen. Daher sind auch die Bemerkungen in Michel Beheims Reimchronik, Friedrich habe „nur die besten kunster in pfleg / trumeter, pfiffer, busaumer / lutenschlaher, örgler, singer“35, nicht nur als reine Propaganda zu verstehen.36 Außer musikalischen Darbietungen hörte Friedrich gern „poeten und tichter / singen sagen allziite / von sturmen und stryte“.37 In diesem kulturellen Umfeld wuchs Philipp nach dem frühen Tod seines Vaters Ludwig – dieser starb, als Philipp 13 Monate alt war – unter der Obhut seines Onkels Friedrich, einem Liebhaber der verschiedenen Künste,38 auf. Im Folgenden sind in zwei Tabellen die zwischen 1470 und 1508 (Ende der Regierungszeit Philipps des Aufrichtigen) am Heidelberger Hof entstandenen volkssprachlichen und lateinischen Handschriften aufgeführt.39 Es werden nur die in dieser Zeit fertiggestellten,

31 Vgl. Pietzsch 1963, S. 651 (B 23). 32 Johann erwähnt das Traktat in seinem Lehrgedicht über das gute Stadtregiment Wie men wol eyn statt regyrn sol, und auch Sebastian Virdung nennt es 1511 in seiner Musica getutscht, dem ersten Tabulatordruck für Orgel, Laute und Flöte (Schläder 1986, S. 41; Heimann 1986). 33 Finscher 1996. 34 Zitat nach Žak 1993, S. 154. 35 Zitat bei Pietzsch 1963, S. 620 (Strophe 123). 36 Unter Philipp dem Aufrichtigen wurde Heidelberg im Orgelspiel und der Orgelkomposition zum Zentrum der europäischen Orgelmusik. Der Organist Arnold Schlick (ca. 1460–1521) verfasste das erste umfassende Traktat über Orgelbau, Orgelstimmung, Orgelspiel und Orgelkomposition und trug zur führenden Rolle Heidelbergs in der Orgelmusik entscheidend bei. 37 Aus Michel Beheims Reimchronik, Zitat nach Pietzsch 1963, S. 620 (Strophe 122). 38 Beheim umschreibt Friedrichs Neigung zu den Künsten als „gross lieb“ (ebd., Strophe 96). 39 Die Handschriften umfassen ein breites Spektrum von Astrologie, Geschichtsschreibung, Ritterromanen, Minnelehre, Didaxe, Kriegsbüchern und Fürstenspiegeln, aber auch Übersetzungen lateinischer Literatur und Panegyrik. Widmungen, Besitzvermerke, inhaltliche Bezüge eines Textes zu Friedrich d. S. oder Philipp d. A., sprachliche Merkmale, Buchschmuck, Vermerke über



Der Heidelberger Hof 

 269

nicht die sich bereits im Besitz der Kurfürsten befindlichen Texte berücksichtigt.40 A: Volkssprachliche Texte am Heidelberger Hof von ca. 1470 bis 1508 Entstehung

Text

Überlieferung

Zuschreibung durch

ca. 1460–80

Prosa-Lancelot

1474

Malagis

Illuminierung der Hs., Riesenbibel-Werkstatt rheinfränkisch

1474 ca. 1475–80

Reinolt von Montelban Pontus und Sidonia B (Hs. K1)

1476

Pleier, Tandareis und ­Flordibel Karrensuite Pontus und Sidonia B (Hs. K2) Hartmann von Aue, Iwein

Heidelberg, UB, cpg 147 Heidelberg, UB, cpg 340 ebd. Köln, Hist. Archiv der Stadt, W* 30 Köln, Hist. Archiv der Stadt, W* 46 ebd. ebd. Heidelberg, UB, cpg 316 Darmstadt, ULB, Cod.  27

1476 1476 1477 1477

1478 1479

Hugo Ripelin von Straßburg, Compendium theologicae veritatis Minnereden

1480

Heinrich von dem Türlin, Der aventiure crone Johann von Soest, Margreth von Limburg Malagis

1480

Reinolt von Montelban

ca. 1480

Ogier von Dänemark

1480

Heidelberg, UB, cpg 313 Heidelberg, UB, cpg 374 Heidelberg, UB, cpg 87 Heidelberg, UB, cpg 315 Heidelberg, UB, cpg 399 Heidelberg, UB, cpg 363

rheinfränkisch rheinfränkisch rheinfränkisch Prosa-Lancelot Amberg, Schreiber: Ludwig Flugel rheinfränkisch, Illuminierung der Hs. Wappen, rotes Expektanz­schild rheinfränkisch Widmungsblatt rheinfränkisch rheinfränkisch rheinfränkisch

Schenkungen an Friedrich oder Philipp oder deren Söhne sowie die Arbeiten von Backes 1992, Beckers 1986, Mittler 1986, Beckers 1987, Berg / Bodemann 1990 und Müller 1994 wurden ausgewertet. 40 Damit scheidet zum Beispiel das Legat Friedrichs des Siegreichen – das 118 Texte nennt – an seinen Sohn Ludwig von Bayern aus dem Jahre 1476 aus. 66 Handschriften und Drucke der 118 Werke zeigen die Vorliebe für das römische Altertum (Cicero, Plinius, Vergil, Horaz, Ovid, Terenz).

270  ca. 1480 ca. 1480

1481

1482 1482 1482 1482

1482

1482

1491 1495/96 1496

 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Thomasin von Zerclaere, Der welsche gast Albrecht von Eyb, ­Ehebüchlein

Hermann von Bruninghusen, Stammbaum des Pfalzgrafen und seiner Frau Margarethe Wiewol all menschen Dindimus-Buch (Auszug aus Hartlieb, Alexanderbuch) Hans Folz, Vor die ­pestilentzie Eyne kurcz ordenonge in gemeyne allen den die regyren … Hans Lecküchner, Kunst des Messerfechtens (Textfassung) Hans Lecküchner, Kunst des Messerfechtens (illustr. Bearb.) Heidelberger Schicksalsbuch Konrad Schelling, In pustulas … Philipp Mönch, Kriegsbuch

1500

Ludwig von Eyb d. J., Kriegsbuch

1502

Johann von Soest, Eyn satzung wy dy mutter gotz Maria on erbsund ontphangen ist

Heidelberg, UB, cpg 320 Evanston, Illinois (USA), Northwestern University Library, Western Ms. 3 Wien, ÖNB, Hs Nr. 2899 (Hist. prof. 529) Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548 Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548 Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548 Berlin, SBB-PK, Ms. germ. fol. 548

evtl. Margarethe von Bayern-Landshut rheinfränkisch

Inhalt

moselfränkisch moselfränkisch moselfränkisch moselfränkisch

Heidelberg, UB, cpg 430

Widmung

München, BSB, cgm 582

Widmung

Heidelberg, UB, cpg 832 Heidelberg: Friedrich Misch Heidelberg, UB, cpg 126 Erlangen, UB, cod. B 26

pfälzisches und ­bayerisches Wappen Hofarzt Philipps

Hamburg, SUB, cod. germ. 2

Autor ist pfälz. Büchsen­meister Vizedom der Oberpfalz in Amberg (seit 1499) Tätigkeit des Autors



Der Heidelberger Hof 

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B: Lateinische Texte (oder Übersetzungen lateinischer Texte) am Heidelberger Hof ca. 1470 bis 1508 Entstehung

Text

Überlieferung

Zuschreibung durch

1473/74

Vergil, Bucolica, Georgica, Aeneis

Jahreszahl, Wappen

1476

Glückwunsch Jakob Wimpfelings zum Regierungsantritt Philipps des Aufrichtigen

1478

Wimpfeling, Epigramm auf die Geburt des Kurprinzen Ludwig R. Agricola oder J. Reuchlin, Oratio continens historiam Capnionis Konrad Celtis, Panegyris ad duces Bavariae et Philippum palatinum Rheni Carmen heroicum Johann Virdung, Vorhersage für 1492

Cittá del vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1632 München, BSB, cgm 1642, fol. 108v–110r (in der Chronik d. Matthias von Kemnat) Berlin, SBB-PK, Ms. lat. fol. 49 Existenz nicht gesichert, von ­Melanchthon erwähnt Augsburg: Erhard Ratdolt, nach 31. 8. 1492 Cittá del vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1879 Basel: J. Bergmann

Widmung

vor 1484

1492

ca. 1491

1494 1494

1497 1498 1499 1499 1501

1502

1502/1503

Wimpfeling, De nuntio angelico Johann von Soest, Libellus salutis

Wimpfeling, Begräbnisrede zum Tod Friedrichs d. S. Jakob Wimpfeling, Philippica, Lobpreis auf Philipp d. A. Jakob Wimpfeling, ­Agatharchia Jakob Wimpfeling, Gedenkschrift für Marsilius von Inghen Johannes Reuchlin, Übers. von Cicero, Tusculanae Disputationes (1. Buch) Johann wacker doctor, Übers. von Philipp Beroaldus, Opus de felicitate Adam Werner von Themar, Übers. von Xenophon, HieronDialog

Cittá del vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1475, fol. 137v–181r Straßburg

Titel, Inhalt

Inhalt

Titel

Widmung für Philipp d. A. Widmung für Philipp d. A.

Inhalt

Straßburg: Martin Schott Straßburg: Martin Schott Mainz

Inhalt

Heidelberg, UB, cpg 482

Widmung

Mainz, SB, MS II 387

Widmung

Heidelberg, UB, cpg 298

Widmung

für Ludwig V. (ältester Sohn Philipps d. A.) Inhalt

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Auffällig ist in der ersten Übersicht die starke Präsenz der Ritterromane mit den Gattungen Chanson de geste, Minne- und Aventiureroman sowie Artusroman, vor allem in der zweiten Hälfte der 70er Jahre bis 1480. Mit der Produktion der Artusromane könnte sogar ein bestimmtes Literaturprogramm verfolgt worden sein, denn da der Parzival bereits unter Kurfürst Ludwig IV. (1424–1449, seit 1436 Kurfürst) in die Heidelberger Bibliothek gelangte, liegen die wichtigen Vertreter der Gattung in Heidelberg vor. Friedrich der Siegreiche und Philipp der Aufrichtige stellten ausgewiesene Künstler des Rheingebiets für ihre Werke an, sowohl für die Ausstattung humanistischer als auch nicht-humanistischer Literatur. Der Meister des MargrethWidmungsblattes ist in diese Reihe herausragender mittelrheinischer Künstler einzuordnen. Nicht nur der Meister der Genreszenen war für den Heidelberger Hof tätig, wie das Dedikationsblatt bezeugt. Auch Meister der sogenannten Mainzer Riesenbibel werden mit dem Heidelberger Hof in Verbindung gebracht.41 Die Mainzer Riesenbibel wurde zwischen 1466 und 1478 für den Mainzer Domscholaster Volpert von Ders geschrieben (Würzburg, UB, m.p.th.f.m.11).42 Sie wurde von vier Meistern in einer namentlich nicht bekannten, aber sehr bedeutenden Buchmalerwerkstatt illuminiert, von der man annimmt, dass sie sich in Mainz, Würzburg oder Heidelberg befand.43 Für den ersten Meister der Riesenbibel, der 25 Seiten des Werkes illuminierte, ist charakteristisch, dass er Rankenstiele und -blätter mit zwei Farbtönen gestaltet und den Rankenschmuck von einer Initiale ausgehend nach innen einrollen ließ.44 Diese Hand ist mit dem sogenannten ersten Meister des Heidelberger Vergil-Codex cpl 1632 identisch.45 Dieser besonders auf den ersten Seiten reichhaltig illuminierte Codex (Cittá del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1632) enthält die drei Hauptwerke Vergils: die Hirtendichtung Bucolica (fol. 3–19r), das lehrhafte Epos Georgica (fol. 19v–62v) und die Aeneis (fol. 63r ff.).46

41 Hess 1994, S. 113. 42 Vaassen 1973, Sp. 1403. 43 Vaassen 1973, Sp. 1283–1286, Sp. 1411–1426. 44 Vaassen 1973, Sp. 1416–1419, mit einer genauen Darstellung der Eigenarten des Meisters. Vgl. Abb. 1 und 2 bei Vaassen 1973. 45 Zur Illustration dieser Handschrift Vaassen 1973, Sp. 1400–1406; zur Identifikation dieser Hand mit der ersten Hand der Riesenbibel Sp. 1403 (vgl. den Vogel rechts auf fol. 3r der Bucolica und den der Riesenbibel auf fol. 258v). Nach Vaassen ist „der gesamte Formenapparat von Hand 1 der Würzburger Bibel wiederholt“. 46 Auf fol. 1v ist der bekannte Falke mit dem Spruchband „uff liebes ast nym ich rast“ abgebildet; ebenso befindet sich dort die Jahreszahl 1474; auf fol. 2v sind das pfälzische und das bayerische Wappen, der Löwe und die blauen und roten Rauten dargestellt (Mittler 1986, S. 188, und E 1.6; Vaassen 1973, Sp. 1400–1406).



Der Heidelberger Hof 

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Er entstand 1473 oder 147447 als Hochzeitsgeschenk anlässlich der Vermählung Philipps des Aufrichtigen mit Margaretha von Bayern-Landshut am 21. Februar 1474. Der Codex wurde von zwei Meistern illuminiert, die den Beginn der einzelnen Bücher und Gesänge mit Initialminiaturen und auf sehr vielen Seiten mit typischen Ranken verzierten. Der Anfang der Bucolica zeigt einige typische Merkmale von Hand 1. Die Ranken wachsen aus der linken unteren Ecke hervor, teilen sich, laufen nebeneinander her, dann schneiden sich beide Äste in einem spitzen Winkel. Gestrahlte Goldpunkte sowie Vögel aller Art sind in die Ranken eingezeichnet.48 Der vierte Meister der Mainzer Riesenbibel bevorzugte kürzere Rankenstücke (z. B. auf fol. 450r). Die Ranken selbst sind häufig wie eine einfache oder doppelte Klammer bzw. der Zahl Acht vergleichbar geschwungen. Die Ranken haben oft ihren Ausgang in Goldpunkten, und in ihnen liegen oder bewegen sich Figuren, wie die nackte Frau auf fol. 450r. Dieser Meister hat offenbar auch an der LancelotHandschrift cpg 147 mitgewirkt. Der als kostbarste aller Lancelot-Handschriften bezeichnete Codex entstand zwischen 1460 und 1480.49 Die Vorlage zur Vervollständigung der Handschrift wurde über Wirich VI. von Daun zu Oberstein an den Heidelberger Hof vermittelt, und diesen Wirich hält Püterich von Reichertshausen in seinem Brief an Pfalzgräfin Mechthild für den Autor eines Lancelot-Textes: „der püecher haubet … die von der tafelrunde wunder sagen“.50 Die Heidelberger Prachthandschrift ist mit 320 Knospen- und Blütengebilden verziert, die ebenso wie eine Anzahl anderer Handschriften Heidelberger Provinienz in der Werkstatt der Mainzer Riesenbibel hinzugefügt wurden. Auf fol. 248r des LancelotCodex sind in den Ranken zwei kämpfende Männer mit Schwert eingezeichnet (Anhang  A, Abb. 4).51 Zwischen dieser Zeichnung und einer Zeichnung in der

47 Fol. 1v mit der Datierung 1474, dagegen fol. 108v und 174r mit der Jahreszahl 1473. 48 Siehe: Vergil, Bucolica, Georgica, Aeneis, Ex.: Cittá del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, cpl 1632, fol. 3r; online: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1632. Vgl. Vaassen 1973, Sp. 1403–1405: Hand 1 auf den Seiten fol. 2v, 3r, 4v, 6r, 8r, 9v, 11r, 13r, 14r, 16v, 17v, 19r, 29v, 40r, 40v, 63v, 64r; Hand 2 auf fol. 1v, 51v, 63r, 78v und allen folgenden (weitere 17 Illuminationen). In derselben Werkstatt wurden die Codices cpl 770, 1099, 1120, 1132, 1140, 1246, 1327 und 1794 illuminiert. 49 Die inhaltlich aus drei Teilen bestehende Handschrift gibt den Text nicht vollständig wieder, die Lücke wird zum Teil durch die Karrensuite-Handschrift (Köln, Hist. Archiv der Stadt, W* 46, s. o.) gefüllt. 50 Jakob Püterich 1999, Strophe 76. Püterich erwähnt ebenfalls, dass Mechthild im Besitz von fünf Lancelot-Texten sei (Strophe 98). 51 Auch die Darmstädter Handschrift des Compendium theologicae veritatis des Hugo von Ripelin von Straßburg (Darmstadt, ULB, cod. 727, fol. 1–128v) zeigt große Ähnlichkeiten mit den Arbeiten der Riesenbibelwerkstatt (Steer 1981, S. 279, Tafel 4, 7–9).

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Mainzer Riesenbibel, diesmal mit zwei kämpfenden Männern und einer Stange zwischen ihnen (Anhang A, Abb. 5, fol. 409r), besteht so große Ähnlichkeit, dass man auch hier von derselben Hand ausgeht.52 Diese Szene erinnert darüber hinaus an die Gauklerszene aus dem Hausbuch von Schloss Wolfegg (fol. 3a).53 Dem Meister der Gauklerszene, die auf 1466/70 datiert wird, ist nicht nur das Planetenbild des Sol aus dem Hausbuch, sondern wiederum auch der Hauptteil der Illustrationen aus dem Pontifikale Adolfs II. von Nassau zuzuschreiben.54 Es gab somit vielfältige Verbindungen zwischen der Buchmalerei-Werkstatt, die die Mainzer Riesenbibel ausstattete, der Werkstatt des Pontifikale, dem Meister der Gauklerszene, dem Meister der Genreszenen und dem Heidelberger Hof. Offensichtlich war nach 1480 das Interesse des Kurfürsten für Ritterromane erschöpft. Lässt man das sogenannte Gebrauchsschrifttum außer Acht, hört die Produktion von volkssprachlichen Handschriften mittelalterlicher Romane und Gedichte um das Jahr 1480 in Heidelberg plötzlich auf. Das legt die Annahme nahe, dass die Retextualisierungen für ein bestimmtes Ereignis entstanden, das Anfang der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts in Heidelberg organisiert wurde. Literarische Rezeption findet auch am Ende des 15. Jahrhunderts vorwiegend als

52 Der gleiche Meister hat vier weitere Codices, die 1467/68 am Heidelberger Hof entstanden, ausgestattet: Heidelberg, UB, cpl 770 (Justinian, Institutiones, 1465–1470), cpl 1120 (Avicenna, Canon medicinae, 1467), cpl 1246 (Sammelhandschrift mit u. a. Pestilenztraktat, 1468), cpl 1794 (Sammelhandschrift, beginnend mit Poggio, Contra avaritiam, datiert 1468, 1469 und 1471). Hand 3 hat einen Großteil der Illuminationen für das Pontifikale Adolfs II. von Nassau (1461– 1475, Mainzer Erzbischof) (Aschaffenburg, Hofbibliothek, Ms. 12, um 1470/75) geschaffen (fol. 15r–124v, bei einigen Seiten stammen die Ranken von einer anderen Hand [fol. 84v, 108v und 124v]). Als besondere Merkmale werden die birnenförmigen Köpfe sowie die typisierten Figuren angegeben. Diese Hand zeigt in den Randverzierungen große Ähnlichkeit mit Hand 4 der Riesenbibel und cpg 147 sowie mit dem Compendium Hugos, z. B. bei den Ranken (Vaassen 1973, Abb. 14 mit fol. 15r des Pontifikale). Der Maler bevorzugte auch hier kurze Rankenstücke (häufig wie einfache oder doppelte Klammern bzw. einer Acht vergleichbar geschwungen), oftmals mit Goldpunkten, sowie goldene Knospen oder bunte Blüten. Hand 3 hat außerdem vier Initialen geschaffen, die als farbige Blattwerkbuchstaben auf Goldgrund gezeichnet sind. Das Blattwerk besteht aus breiten, sich spiralförmig einrollenden Blättern. Links der Initialen und Miniaturen befindet sich feines, mit der Feder gezeichnetes Filigranwerk. 53 Der Zyklus ist abgebildet in Hausbuch, mittelalterliches 1997, die Gauklerszene auf S. 18, Abb. 9. 54 Abbildung des Planetenbildes des Sol in Hausbuch, mittelalterliches 1997, S. 35, Abb. 18. Vgl. Vaassen 1973; Hess 1994, S. 22–23; Abb. 13 (Hess 1994) zeigt fol. 84v des Pontifikale. Die Kapelle unten links einschließlich der Einfassungsmauer wurde im Pontifikale Adolfs II. von Nassau beinahe identisch übernommen. Die Illustrationen auf fol. 15r–124r des Pontifikale stammen von diesem Meister.



Der Heidelberger Hof 

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„Kommunikation unter körperlich Anwesenden“ statt.55 Ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis war ein 1481 von der Gesellschaft mit dem Esel in Heidelberg ausgerichtetes Turnier. Möglicherweise wurden verschiedene Texte während der Turniertage vorgelesen oder vorgetragen. Schließlich heißt es in einem Heidelberger Codex aus dem 15. Jahrhundert (cpg 376): „fechten, stahel trennen, / thurnyren, stechen, rennen, / dantzen, sagen, singen, / nach pryß und ern zu ringen“. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass auch im mittelalterlichen Hausbuch zwei Turniere abgebildet werden.56 Die zweite Übersicht zeigt die im genannten Zeitraum ausdrücklich für Friedrich oder Philipp oder deren Söhne geschriebenen lateinischen oder auf lateinische Vorlagen zurückgehenden deutschen Texte am Heidelberger Hof.57 Mehr noch als die Darstellung zur volkssprachlichen Literatur zeigt diese Liste nur einen kleinen Ausschnitt der am Heidelberger Hof und in der näheren Umgebung des Kurfürsten entstandenen Texte, denn freilich war es nicht Pfalzgraf Philipp, der als der wichtigste Vertreter des Heidelberger Humanismus gilt. Diese Position nahm der kurpfälzische Kanzler und – seit 1482 – Wormser Bischof Johann von Dalberg (1455–1503) ein.58 Er förderte nachhaltig humanistische Bestrebungen und Vertreter der humanistischen Bewegung in Heidelberg. Erwähnt seien Heidelberger Einladungen an Rudolf Agricola und die Unterstützung der literarischen Sozietät des Konrad Celtis, genannt „Sodalitas litteraria rhenanae“, die im November 1495 gegründet wurde, sowie die Förderung der Ernennung Dietrichs von Plieningen zum kurpfälzischen Rat im Jahre 1482.59 Celtis’ Haus, der

55 Müller 1996, S. XI. 56 Vgl. Hausbuch, mittelalterliches 1997, S. 53–54, Abb. 29, und S. 58–59, Abb. 32. Sie zeigen das sogenannte Krönleinstechen und das Scharfrennen. Ebenso gut könnte es sich bei diesen Bildern um Illustrationen der Turniere beschreibenden Kapitel des Margarieten-Prosaromans handeln. 57 Um die literarischen Interessen der Kurfürsten besser herausfiltern zu können, werden die Schriften, die nicht an einen der Kurfürsten gerichtet waren, nicht berücksichtigt. Das schließt z. B. Johann Gottfrieds Übertragungen von Cicero, Isokrates, Livius, Seneca und Sallust aus: Sie waren an Friedrich von Dalberg, den jüngeren Bruder Johanns, adressiert. 58 Student in Erfurt, Pavia und Padua, Doktor beider Rechte (Zivil- und Kirchenrecht). Er wurde 1480 zum Dompropst in Worms und 1482 zum Bischof von Worms gewählt. Von 1481 bis 1497 war er Kanzler der Kurpfalz. 59 Die Anwesenheit Dietrichs und Johanns von Dalberg hat offensichtlich entscheidend dazu beigetragen, dass Rudolf Agricola sich, trotz eines verlockenden Angebots aus Antwerpen, im Mai 1484 in Heidelberg niederließ. Zwischen Agricola, Dietrich und Johann, vor allem den beiden erstgenannten, bestand eine lange Freundschaft, die sich im regelmäßigen, innigen Briefwechsel seit 1475 widerspiegelt. Sie kannten sich seit der Studienzeit Dietrichs und seines Bruders Johann in Pavia (1473), wo Agricola die Brüder offensichtlich nachhaltig beeinflusst hat. Siehe dazu Sottili 1978.

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Münzhof, diente als Treffpunkt und Wohnstätte für bekannte Humanisten wie z. B. Rudolf Agricola. Es entstanden vor allem Abschriften und Übersetzungen antiker Autoren (Cicero, Vergil, Horaz), pädagogische Schriften und Gelegenheitsgedichte. Letztere betrafen aktuelle Ereignisse am Hof, wie z. B. Wimpfelings Begräbnisrede anlässlich des Todes Friedrichs des Siegreichen (1476) oder das Epigramm auf die Geburt des Kurprinzen Ludwig (1478). Zu den pädagogischen und moralistischen Schriften zählt Jakob Wimpfelings Philippica (1498), dem zweiten Sohn Philipps mit gleichem Namen gewidmet, mit der Wimpfeling sich für die Berufung auf die lectio humanitatis der kurz zuvor eingerichteten Juristenburse bedankte.60 Der kurz danach entstandene Fürstenspiegel Agatharchia ist Ludwig, dem ältesten Sohn Philipps, gewidmet.61 Die Übersicht zeigt auch, dass erst in den späten 90er Jahren des 15. Jahrhunderts humanistisches Schrifttum entsteht, das ausdrücklich Philipp gewidmet ist.62 Andere vor und um 1500 für den Heidelberger Hof tätige Künstler bezeugen das ausgeprägte Interesse des Kurfürsten Philipp für eine künstlerisch hoch stehende Kultur. Zu nennen wären der Glasmaler Hans Kamberger und der Bildhauer Lorenz Lechler. 1494 bat Philipp den Nürnberger Rat, ihm zwei Künstler zu schicken. Der Rat entsandte darauf Peter Vischer d. Ä., Bildhauer und Bronzegießer in Nürnberg, und Simon Lainberger, Bildschnitzer in Nürnberg, nach Heidelberg.63 Die prächtige Ausstattung neu produzierter Handschriften mittelalterlicher Vorlagen durch bekannte zeitgenössische Meister sowie die exklusive Ausschmückung z. B. des Vergil-Codex legen Zeugnis ab von der Wertschätzung, Pflege und Bewahrung von Altem und Neuem, von Texten des Mittelalters und der Antike. Durch die Wiederbelebung und Neutradierung ritterlicher Tradition entsprin-

60 In sechs Dialogen wird die Bedeutung umfassender Bildung für eine gerechte und glückliche Regentschaft behandelt; das Werk schließt mit einem Lobpreis auf Philipp den Aufrichtigen. 61 Als eine umfassende Lehre der Herrscherpflichten lehnt sie sich in Aufbau und System eng an die scholastische Tradition an. Der Fürst wird als princeps bonus dargestellt, als mittelalterlich-christlicher Herr, der als Gottes Amtmann seine Standespflichten erfüllt. 62 Auch Schriften ohne explizite Widmung können in seinem Auftrag entstanden sein. 63 Mit dem Meister des Speyerer Altars und dem Meister des Amsterdamer Kabinetts können nicht direkt Philipp d. A., sondern sein Kanzler Johann von Dalberg und sein Rat Dietrich von Plieningen in Verbindung gebracht werden. Es gibt möglicherweise Beziehungen zwischen der Werkstatt des sogenannten Speyerer Altars, die auch die Stifterscheiben Philipps von Dalberg und seines Bruders Johann (um 1480) gefertigt hat, und Heidelberg. Auch können zwischen der Heidelberger Glasmalerei-Werkstatt des Hans Kamberger, die die Stifterscheibe Dietrichs von Plieningen und seiner Frau (um 1500) schuf, und dem Meister des Amsterdamer Kabinetts, der das Gothaer Liebespaar schuf (beide zeigen ein für die Zeit außergewöhnliches Doppelbild als Brustbildnis), Verbindungen bestanden haben (vgl. Hess 1994).

Der Margarieten-Roman in Antwerpen und Süddeutschland 

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gender Werke und die aktive Förderung humanistischer Gelehrter und Schriften ist der Heidelberger Hof in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein für das deutschsprachige Gebiet typisches Zentrum der Überschneidung der Epochen, mit dem Anzeichen eines Wendepunkts zu Anfang der 80er Jahre. Hinsichtlich der Förderung literarischer Produktionen fällt die große Vielfalt der geschriebenen Texte ins Auge, so dass man Philipp d. A. als einen Literaturförderer bezeichnen kann, der wie ein Verleger sowohl antike als auch mittelalterliche Stoffe wie den Margreth-Roman Johanns für sein „Verlagsprogramm“ am Heidelberger Hof wiederentdeckte.

6.4 Der Margarieten-Roman in Antwerpen und Süddeutschland Antwerpen entwickelte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zu dem herausragenden Zentrum der Buchproduktion im niederländischen Raum, nachdem es in der Inkunabelzeit hinter Deventer den zweiten Platz eingenommen hatte.64 Während sich in der Inkunabelzeit vor allem kleinere Städte wie Aalst, Brugge, Leuven, Gouda, Delft und Deventer profilierten, weist der Umzug Gheraert Leeus nach Antwerpen im Jahre 1484 symptomatisch auf eine Verlagerung der Buchproduktion in den Süden. Mit der Fertigstellung des Boexken van der Officien ofte dienst der Missen des Simon van Venlo wurde im Jahre 1481 der Buchdruck von Mathias van der Goes in der Stadt an der Schelde eingeführt. Die Zahl der in Antwerpen tätigen Drucker wuchs in den ersten vier Jahrzehnten des Antwerpener Buchdrucks stetig von 3 (1481–1490) über 9 (1491–1500) und 14 (1501–1510) auf 18 (1511–1520). Dagegen stieg die Zahl der Druckwerke zunächst nicht entsprechend. Bis 1490 erschienen 210 Drucke, zwischen 1491 und 1500 insgesamt 222 sowie zwischen 1501 und 1510 insgesamt 244. Erst im vierten Jahrzehnt des Antwerpener Buchdrucks ist gegenüber dem Jahrzehnt davor eine Steigerung um mehr als 50 % festzustellen (auf 373 Drucke insgesamt).65 Der Verleger, Drucker, Buchhändler und Buchbinder Willem Vorsterman ließ sich ca. 1504 in Antwerpen nieder. Schnell gehörte er zu den produktivsten Verlegern seines Gewerbes.66 Nach Henrick Eckert van Homberch (72 Drucke), Govaert 64 In Antwerpen entstanden ca. 400 Drucke, in Deventer ca. 600 (zum Buchdruck in Antwerpen vgl. van der Stock 1993, Schepper 1995). 65 Ausführliche Angaben, auch zur Verteilung zwischen lateinischen und niederländischen Drucken, bei Schlusemann 1997, S. 49. Angaben zu den Drucken bei NK. 66 Willem Vorsterman wurde 1512 Meister der Gilde Sint-Lucas und erhielt 1514 ein Patent zum Drucken.

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 Margriete-Werke in Brabant, Ripuarien, Rheinfranken und Bayern

Bac (53), Adriaen van Berghen (33) und Dirk Martens (30) nahm Vorsterman mit 22 Drucken zwischen 1500 und 1510 den fünften Platz bei der Produktion von Drucken (den dritten bei niederländischsprachigen Drucken) ein und behauptete sich vor den anderen Antwerpener Neulingen Jan van Doesborch und Michiel Hillen van Hoochstraten mit je dreizehn Drucken in diesem Zeitraum. Schnell zeigte sich, dass er seinen Schwerpunkt im Verlegen niederländischer Texte sah, denn in diesen ersten Jahren erschienen bei ihm vierzehn niederländische und lediglich sechs lateinische Drucke. Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts erreichte Vorsterman hinsichtlich der Produktivität mit 70 Drucken hinter Hillen van Hoochstraten mit 115 Drucken den zweiten Rang. Während sich Hillen van Hoochstraten auf das Drucken lateinischer Texte konzentrierte (ca. 80 %), sind Willem Vorsterman und Henrick Eckert van Homberch sowohl hinsichtlich der Anzahl der Drucke (70 bzw. 68) als auch im Hinblick auf die Verteilung von volkssprachlichen und lateinischen Drucken vergleichbar.67 Eckert van Homberch druckte verschiedene Werke aus dem Bereich Fachliteratur und einige bekannte „schoone historien“, wie die Historie van Melusine (1510, NK 0622), die Historie van ridder Parijs ende Vienna (1510, NK 1090) und die Historie van Olyvier van Castillen (ca. 1510, NK 3170).68 Vorsterman wählte in den Anfangsjahren seiner Tätigkeit vor allem Texte aus dem Bereich Sachliteratur aus, wie Rechenbücher, Schulbücher oder den Sachsenspiegel, die, wie andere Drucke Vorstermans auch, zum Teil bereits vorher bei Kollegen erschienen waren.69 Zwischen 1510 und 1520 verschob sich Vorstermans Schwerpunkt auf die Herausgabe geistig-erbaulicher Literatur, die zwei Drittel seiner Produktion ausmachte.70 Auch diese Texte erschienen zum Teil bereits mehrmals bei anderen Druckern, wie z. B. G. Leeu, H. Eckert van Homberch, A. van Berghen und H. Jansz. van Woerden.71

67 Bei Vorsterman erschienen 47 niederländische, 21 lateinische und 2 in anderen Sprachen (70 insgesamt), bei H. Eckert van Homberch 52 niederländische, 15 lateinische und 1 anderssprachiger (68 insgesamt). Diese und andere Angaben sind wegen der oftmals nicht sicheren Zuordnung Näherungswerte. 68 Vgl. ausführlich Schlusemann 1997. Auch die Historie van Melusine war bereits vorher erschienen (1489 bei G. Leeu, CA 975; GW 12665). Die Historie van Parijs war bereits zweimal vorher in Antwerpen (bei G. Leeu und bei G. Bac) erschienen. Im Prolog zur Historie van Olyvier wird davon berichtet, dass gegenüber einem vorherigen Druck verschiedene Verbesserungen vorgenommen worden seien (vgl. den Abdruck des Prologs bei Debaene 1977, S. 131–132). 69 So war das Schulbuch Spiegel der ionghers von Lambert Goetman bei Eckert erschienen. 70 Zu nennen sind zwei Werke von Suster Bertken (NK 2407 und 2409) sowie die Epistelen ende evangelien metten sermoenen (NK 903) und das Boeckxken vander missen (NK 3076). 71 Auffällig ist, dass Vorsterman (mindestens) sieben Werke druckte, die vorher bei H. Eckert van Homberch erschienen waren: Lambert Goetman, Spieghel der ionghers (1501, 1510); Epistelen ende evangelien metten sermoenen (ca. 1502, 1518); Gerrit van der Goude, Boeckxken vander mis-

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Durch den Absatz von Bestseller-Werken wie De vier uterste (1511, NK 2089), einer niederländischen Übersetzung des Cordiale quattuor novissima des Gerard von Vliederhoven, hatte Vorsterman offensichtlich eine so gute Marktposition erreicht, dass er im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts auch mehr schoone historien als die meisten anderen Kollegen druckte, insgesamt vier: Margarieten, Peeter van Provencen (ca. 1517, NK 3171), Marieken van Nieumeghen (ca. 1517, NK 1089) und Strijt van Roncevale ca. 1520, NK 3907).72 Jan van Doesborch publizierte bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich historien73, zum Teil in verschiedenen Sprachen (Niederländisch und Englisch). Dazu gehören Ulenspiegel (1511–1516) und die englische Version *Howleglass (1511–1518), *Merlijn (1511–1515), Historie van den ridder metter swane (1512–1513), *Historie van Marieken van Nieumeghen (vor 1515), *Broeder Russche (ca. 1516), *Friar Rush (ca. 1516), *Alexander van Mets (ca. 1516), *Historie van Floris ende Blanchefleur (o. D., ca. 1517, NK 3160), Frederick van Jenuen (ca. 1518), Frederyke of Jennen (1518, NK 3904), *Virgilius (niederländisch, ca. 1518) und Virgilius (englisch, 1518, NK 4052).74 Die Betriebe des Jan van Doesborch und Willem Vorstermans befanden sich jahrelang nur wenige Meter voneinander entfernt in der Nähe der „Camerpoort“ in Antwerpen. Zwischen Jan van Doesborch, der 1508 zum Mitglied der Gilde Sint Lucas ernannt wurde, und Willem Vorsterman bestand hinsichtlich des Austausches von Holzstöcken zwischen 1512 und 1518 und möglicherweise auch noch länger eine intensive Zusammenarbeit.75 Willem Vorsterman und Jan van Doesborch arbeiteten nicht nur im Austausch von Material zusammen, sondern weisen im Hinblick auf ihren Fonds eine vergleichbare Tendenz zur Herausgabe von historien auf. Möglicherweise haben sich beide  – aber auch hier war Jan van Doesborch der Vorreiter  – von frühen Drucken zu Anfang des 16. Jahrhunderts inspirieren lassen, ihre Prosaromane mit Versen anzureichern. Auf ca. 1500 wird ein wohl bei Rolant van den Dorpe erschienener – verloren gegangener – Druck des Strijt van Roncevale datiert, von

sen (1508, 1519); Een devote meditacie (ca. 1510, 1518); Sinte Franciscus drien ordenen (1518, nach 1518); Fasciculus mirre (1518, 1519). 72 Eckert van Homberch druckte drei verschiedene Texte aus diesem Bereich, von denen zwei stark geistlich geprägt sind: Seghelijn van Jherusalem (1511, 1520), Tondalus vysioen (1515) und Lanseloet van Denemarken (1503–1520). Vgl. Debaene 1977, Besamusca 2003, S. 270. 73 Er brachte auch mehrmals die im engeren Sinn als Geschichtswerke zu bezeichnenden Drucke heraus: die Cronike van Brabant, Hollant, Seelant, Vlaenderen (1512, NK 652; 1518, NK 653). 74 Nach Franssen 1990, der eine Übersicht des Fonds von Jan van Doesborch vorlegte und zahlreiche Drucke ermittelte, die bei van Doesborch erschienen sein müssen, von denen jedoch kein Exemplar erhalten geblieben ist (hier angegeben mit *). 75 Vgl. Kapitel 2.4.

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dem angenommen wird, dass er Prosa und Vers kombinierte, wie die um 1520 bei Vorsterman erschienene jüngere Version.76 Ein weiterer früher Druck, bei dem Vers und Prosa kombiniert werden, ist die bei van den Dorpe erschienene historie über die Destructie van Troyen (ca. 1500), die van Doesborch um 1507 nachdruckte (vgl. Kapitel 5.4.3). Bei van Doesborch erschienen in den Jahren 1504 bis 1518 weitere zehn zum Teil von Franssen rekonstruierte historien, in denen auch refreinen vorkommen.77 Vorsterman scheint diesen Trend nachgeahmt zu haben, denn der MargarietenRoman ist der älteste sicher datierte von ihm erhaltene Druck mit Versen, dicht gefolgt von Peeter van Provencen.78 Diese historien-Drucke scheinen für verschiedene Publikumsschichten interessant und deshalb auch für sie intendiert gewesen zu sein. In der Einleitung zu seiner Ausgabe der Historie van Margarieten schlägt Schellart vor, der Roman könne im Auftrag der niederländischen Regentin Margaretha von Österreich entstanden oder in deren Bibliothek vorhanden gewesen sein, allerdings finden sich für beide Annahmen keine Anhaltspunkte.79 Das bedeutet nicht, dass das burgundische Fürstenhaus, dessen Mitglieder oder andere Adlige als mögliche Rezipienten ausgeschlossen werden, denn es gibt indirekt Anhaltspunkte dafür, dass auch Adlige Prosaromane lasen. Der Spanier Juan Luis Vives, der ab seinem 26. Lebensjahr in Brügge wohnte, schrieb 1523 auf Lateinisch ein Traktat über Mädchenerziehung, das er der englischen Prinzessin Mary überreichte. In dem Traktat mit dem Titel De institutione feminae Christianae zählt er verschiedene für junge Damen gefährliche Bücher auf, darunter „Melusina“, „Paris et Vienna“, „Petrus províncialis et Magalone“ (= Peeter van Provencen) und „Píramus et Thisbe“.80 Der Antwerpener Drucker Jan Roelants veröffentlichte 1554 eine niederländische Version mit dem Titel Die institutie ende leeringhe van een christelijcke vrouwe, in der vor allem betont wird, dass eine reine Frau besser niemals lesen gelernt hätte als solche Dinge zu lesen und zu hören. Damit sind Bücher gemeint, die von „amoreusheyt“ oder „oorloghen“ handeln. Auch wenn nach Pleij Prosaromane im niederländischen Sprachgebiet vor allem von reichen Bürgern, Patriziern, Humanisten und höheren Geistlichen

76 Vgl. die Einleitung van Dijks in seiner Ausgabe des Roelantslied (van Dijk 1981). 77 Z. B. Buevijne van Austoen, *Frederick van Jenuen. Vgl. die Auflistung bei Franssen 1990, S. 105. 78 Möglicherweise ging ein Vorsterman-Druck der Mariken van Nieumeghen, der auf ca. 1515 datiert wird, dem Margarieten-Roman voraus, aber Kuiper 1994 nimmt an, dass der dritte Holzschnitt im Mariken-Druck eigentlich einem früheren Margarieten-Druck entnommen ist. 79 Eine Durchsicht des rekonstruierten Inventars der Bibliothek nach einer Aufstellung aus dem Jahr 1523/24 bestätigt, dass sich in der Bibliothek keine niederländischen Werke befanden (vgl. Debae 1995). 80 Siehe Ausgaben Fantazzi/Matheeussen 1996, Buch I, Kap. 31; vgl. zu Vives Ebbersmeyer 2003.

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gelesen wurden,81 deuten die Äußerungen Vives’ auf die Publikumsschicht des Adels hin. Und es kommen weitere Gruppen von möglichen Rezipienten hinzu. Das Exemplar der Schoone historie van Margarieten van Limborch in der Library of Congress in Washington mit der bereits genannten Eintragung „dat ander Buech“ sowie der Zahl „2“ wurde 1839 vom Herzog von Arenberg in London erworben.82 Zuvor gehörte das Exemplar zum Bestand der bayerischen Hofbibliothek, die es ihrerseits nach der Säkularisierung des Klosters Wessobrunn erhalten hatte. Auch andere niederländische Drucke gehörten im 16. Jahrhundert zum Bestand des Klosters Wessobrunn.83 Der Olyvier von Castillen (Angaben siehe unten) erschien um 1510 in Antwerpen. Im Exemplar der Library of Congress in Washington ist notiert worden: „Wessofontani proba sum possessio  …“ sowie „das.2. Buech“. Aufgrund der zweiten Eintragung war der Druck sehr wahrscheinlich auch Teil eines Konvoluts.84 Möglicherweise war die Hístorie hertoge Godevaerts van Buloen (Angaben siehe unten) mit dem Eintrag „das erst buech“ der erste Teil des Konvoluts. Insgesamt tragen fünfzehn niederländische Frühdrucke vergleichbare ‚Buchangaben‘. Im Folgenden werden sie nach dem Format und den vorkommenden Eintragungen in vier Gruppen eingeteilt (Gruppe A und B als Folio-, Gruppe C und D als Quartformat)85: A.2 Margarieten van Limborch (Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516, Ex.: Washington, Library of Congress, PT 5561.H3S3), Notiz: „dat ander Buech“ und die Zahl „2“ A.3 Parÿs ende Vienne (Antwerpen: H. E. van Homberch, 1510, Ex.: London, BL, C.20.d.27, 1510), Notiz: „das drit Buech“ B.1 Historie hertoge Godevaerts van Buloen (Antwerpen: Govaert Bac, ca. 1505, Ex.: Washington, Library of Congress, Rosenwald 556), Notiz: „das erst buech“ B.2 Een seer schone ende suverlike hystorie van Olyvier von Castillen (Antwerpen: H. Eckert van Homberch, ca. 1510, Ex.: Washington, Library of Congress, Rosenwald 1121), Notiz: „Wessofontani proba sum possessio, claustri Heus! Domino me redde meo: sic jura reposcunt, exlibris“,86 „das.2. Buech“

81 Nach Pleij 1974 seien die Texte beim Adel weniger populär. 82 Zum Folgenden vgl. Resoort 1976/1977, S. 323; vgl. die Eintragung im Exemplar der Library of Congress in Washington (Anhang A, Abb. 3). 83 Der Bestand wurde nach der Säkularisierung im 19. Jahrhundert zum Teil auf Auktionen veräußert, wobei die Hofbibliothek in München die erste Wahl hatte. Dubletten wurden in Augsburg und Paris verkauft, gelangten in den Besitz von u. a. C. P. Serrure und des Herzogs von Arenberg und kamen von dort nach Washington (verkürzte und vereinfachte Darstellung nach Resoort 1976/1977). 84 Vgl. Lievens 1960, S. 12; Resoort 1976/1977; Lievens 2004. 85 Vgl. für eine knappe Aufstellung der Gruppen B und C Lievens 2004, S. 376. 86 Zitat nach Resoort 1976/1977, S. 321.

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C.2 Strijt van Roncevale (Antwerpen: Willem Vorsterman, ca. 1520, Ex.: München, UB, W 4° p. germ. 165), Notiz: „der ander tractat“87 C.3 Historie van den vier Heemskinderen (Leiden: Jan Seversz., ca. 1508, Ex.: München, UB, cim 77, 4° p germ. 164), Notiz: „der 3 tractat“88 C.4 Robrecht de duuele (Antwerpen: Michiel Hillen van Hoochstraten, 1516, Ex.: Wroclaw, UB, 462044), Notiz: der „4 tractat“89 D.1 Een notabel Boecxken van Cokeryen (Brussel: Thomas van der Noot, ca. 1514, Ex.: München, BSB, Rar. 752), Notiz: „der erst tractat“90 D.2 Dit boecxken leert hoemen mach voghelen vanghen (Antwerpen: H. Eckert van Homberch, 1509, Ex.: München, BSB, 4° Oecon. 37n), Notiz: „der 2. tractat“ D.3 Een schoon amoruese historie van Sandrijn ende Lantsloot (Antwerpen: H. Eckert van Homberch, ca. 1520, Ex: München, BSB, Rar. 990), Notiz: „Der.3. tractat“ D.4 Mariken van Nieumeghen (Antwerpen: Willem Vorsterman, ca. 1515, Ex.: München, BSB, Rar. 518), Notiz: „der 4 tractat“ D.5 Jan van den Dale, De vre vander doot (Brussel, Thomas vander Noot, ca. 1516, Ex.: München, BSB, 4° Inc. s.  a. 1906), Notiz: „Der drit tractat“, und am Rand die Ziffer „5“91 D.6 Die evangelien vanden spinrocke (Antwerpen: Michiel Hillen van Hoochstraten, ca. 1520, Ex.: München, BSB, Rar. 177, olim 4° Inc. s.  a. 745m), Notiz: „der.6. tractat“, die Zahl „4“ ist durchgestrichen D.7 Mellibeus (Antwerpen: Govaert Bac, 1496–1499, Ex.: München, BSB, A-124, 4° Inc. s.  a. 1269), Notiz: „Der [7.] tractat“92 D.9 Tghevecht van minnen (Antwerpen: Jan van Doesborch, 1516, Ex.: München, BSB, Rar. 1601), Notiz: „der 9 tractat“, die Zahl „7“ ist überschrieben

Die acht Drucke unter D können sogar zu einem Konvolut zusammengeführt werden, denn sie haben nicht nur das gleiche Format und zueinander passende Eintragungen aus dem 16. Jahrhundert,93 sondern die Nummern D.1, D.4, D.5 und D.6 weisen an den gleichen Stellen Spuren von Wasserschäden auf.94 Auffällig ist darüber hinaus, dass bei D.5, D.6 und D.9 die Nummerierung um zwei erhöht

87 Abbildung bei Schlusemann 2006. 88 Ebd. 89 Eine Textausgabe, die auch auf der Webseite www.dbnl.nl zugänglich ist, mit Kommentar und einer ausführlichen Einleitung versehen, besorgte Resoort (1980). Das Titelblatt ist mit der genannten Notiz bei Resoort auf S. 31 abgebildet (auf der Webseite ohne die Notiz). 90 Für das Zusenden der verschiedenen Titelblätter sei der Bayerischen Staatsbibliothek herzlich gedankt. Vgl. auch Resoort 1976/1977 für Abbildungen der Titelblätter von Gruppe D. 91 Vgl. unten zu den Gründen, warum dieses Exemplar an fünfter Stelle erscheint. 92 Abbildung bei Lievens 2004, S. 359. 93 Auf jeden Fall bei den Drucken C.3, D.3, D.4, D.7, D.9. Vgl. die Textausgabe von Tghevecht van minnen von Lievens 1964, S. 12; Lievens 2004, S. 376. 94 Vgl. Resoort 1976/1977, S. 320. Die folgenden Überlegungen greifen die Erkenntnisse Resoorts auf und erweitern sie.

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wurde. Aufgrund dessen kann man davon ausgehen, dass diese Werke zunächst Bestandteile eines anders zusammengesetzten Konvoluts waren. Da D.4 und D.5 den Wasserschaden aufweisen, D.2 und D.3 aber nicht, wurden D.2 und D.3 vermutlich erst hinzugefügt, als der Wasserschaden bereits aufgetreten war.95 Über den Katalog der BSB bekommt man Auskunft über zwei weitere Foliodrucke aus dem Bestand, die jedoch im Zweiten Weltkrieg verbrannten: ein Exemplar des Romans Parijs ende Vienna (Druck wie oben) sowie ein weiteres Exemplar der Schoone historie van Margarieten.96 Niederländische Drucke des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts sind somit im süddeutschen Raum in großer Zahl verbreitet gewesen. Dass sie auch gelesen wurden, beweisen die zahlreichen deutschsprachigen Bemerkungen, vor allem auch in den Exemplaren der Gruppe D. Das Kloster Wessobrunn mit seinem weit verzweigten Besitz scheint hierbei eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Im 15. Jahrhundert wurde eine neue „liberery“ gebaut, 1502 gab es in Wessobrunn die erste bayerische Klosterdruckerei (der Augsburger Drucker Lukas Zeyssenmair wurde nach Wessobrunn geholt) und am Ende der Regierungszeit des Abtes Kaspar Götz (1525), der für seine Bücherliebe bekannt war, besaß die Bibliothek die stattliche Zahl von 851 Büchern.97 Die niederländischen Frühdrucke scheinen im Süden des deutschsprachigen Gebiets beliebt gewesen zu sein. Sie wurden, wie die deutschsprachigen Anmerkungen (vgl. Einleitung) in verschiedenen Drucken bezeugen, von Deutschsprachigen gelesen und verstanden. Zu den Rezipienten gehören Geistliche wie Mitglieder des Klosters, aber möglicherweise auch andere Gruppen. Die bereits erwähnte Abhandlung des Juan Luis Vives erschien 1544 bei Heinrich Steiner in Augsburg in einer deutschen Übersetzung von Christoph Bruno mit dem Titel Von vnderweijsung ayner Christlichen Frawen.98 In der an die Erzherzogin Jacoba († 1580), Pfalzgräfin bei Rhein, gerichteten Einleitung betont Bruno, dass das Buch als Ratgeber, vor allem für die Erziehung von Jacobas Tochter Mechthild, intendiert sei (fol. A2v). Das erste Buch des in drei Bücher unterteilten Werkes beschäftigt sich im 5. Kapitel mit dem Thema „Woelche Scribenten zūlesen / vnd

95 Zunächst hätte das Konvolut dann möglicherweise (mindestens) aus D.1, D.4, D. 5, D.6 und D.9 bestanden. Weiter soll hier nicht spekuliert werden. 96 Die Signaturen in BSB München lauten: 2.Med.g. 150m/2 sowie 2.Med.g. 150m/1. Es ist nicht sicher, ob auch diese beiden letztgenannten Drucke ursprünglich im Kloster Wessobrunn waren. 97 Vgl. von Andrian-Werburg 2001, S. 65: „Am Ende seiner Regierungszeit besaß die Bibliothek wieder 851 Bücher (BSB, Clm 1925, Bl. 130v)“. 98 Ein Faksimile des Werkes ist über die Webseite der Universität Mannheim einzusehen (www.uni-mannheim.de).

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woelche nit zūlesen seind“. Danach werden die „verderfeliken“ (schädlichen) Bücher aufgezählt: Darzu auch von wegen der verderblichen Buecher / woelcher art inn Hyspanien seyndt / Amadisus / Splandian / Florisand / Tirant / Tristandt / woelches narrenwercks kayn end ist / es kompt taeglich newes herfür / Der Celestinisch mantel ain mutter der schalckheyt / der kerker der lieb. Inn Franckreych Lancilotus von See / Paris vnnd Vienna / Punthus vnnd Sydonia / Petrus aus der Provintz vnnd Margalona / Melusina die vnerbittlich Fraw / allhie in Niderlandt. Der Floro / die Weysbluem / Leonella vnnd Camorus / Curias [sic, R. S.] vnnd Floreta / Pyramus vnnd Thisbe. (fol. B4v)99

Auch wenn hier der Margarieten-Roman nicht explizit genannt wird, würde er sehr gut in die Reihe der „schädlichen“ Bücher um Abenteuer und Liebe wie Turias und Floreta oder Píramus und Thisbe passen.100 Aufgrund der Beibehaltung der Aufzählung aus der lateinischen Version in der deutschen Übersetzung ist anzunehmen, dass der direkt angesprochenen Heidelberger Rezipientin und auch anderen Lesern, z. B. in München, wo der Übersetzer als Lehrer arbeitete, oder im Druckort Augsburg die genannten Werke nicht unbekannt waren. Während man hier nur über die Nennung anderer Prosaromane Rückschlüsse auf die Verbreitung des Margarieten-Romans ziehen kann, wird er in einer anderen Schrift ausdrücklich erwähnt. Der Leuvener Arzt Gerardus Gosemius betitelt in seinem Cieraet der vrouwen, einem Ratgeber für Frauen, der 1566 in Antwerpen erschien, die letzten beiden Kapitel als „wat historien die jonghe dochters behooren te lesen“ und „welcke historien die sy niet en behooren te lesen“. Letztere wirkten wie das „fenijn der serpenten“ (fol. E3r). Dazu gehören in der Rubrik „Int Amoreus in duytsch“ die Romane „Flores en Blancefleur“ und „Margriete van Limborch“ (fol. E3v).101 Junge Töchter, so bezeugt das Zitat, lasen spätestens um die Mitte des 16. Jahrhunderts „schoone historien“. Doch auch für die ersten Jahrzehnte jenes Jahrhunderts gibt es einige Hinweise, dass die Jugend

99 Es ist in der deutschen Übersetzung nicht ganz deutlich, welche Bücher genau dem Sprachraum „in Niderlandt“ zuzurechnen sind. In der lateinischen Version heißt es (Zitat nach fantazzi/Matheeussen 1996, S. 46, Anm. 55): „In Gallia Lancilotus a lacu, Paris et Vienna, Ponthus et Sídonia, Petrus provincialis, et Magalone, Melusina, domina inexorabilis. In hac Belgica Florius et Albus Flos, Leonella et Canamorus, Turias et Floreta, Píramus et Thisbe.“ Die Bücher sind hier Regionen zugeordnet. In der niederländischen Version, die 1554 bei Jan Roelants in Antwerpen erschien, bleiben von der Aufzählung dieser Bücher, die auf die Menschen einen schlechten Einfluss ausüben, nur die „Historie van Lanceloot, Parijs ende Vienna, Peeter van Provincien ende Magalone“ übrig. 100 Vgl. die Abbildungen im Margarieten-Roman und im Píramus und Thisbe (Kapitel 2). 101 Gerardus Gosemius, Het cieraet der vrouwen, Antwerpen: Willem Silvius, 1566, fol. E3v.

Der Margarieten-Roman in Antwerpen und Süddeutschland 

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diese Texte rezipierte. In dem Werk Tghevecht van minnen, das 1516 bei Jan van Doesborch erschien, warnen allegorische Figuren wie „wijsheyt“, „gestadichede“ und „minne“ im Besonderen die jungen Leute vor den Gefahren der Liebe.102 Im Prolog zu Floris ende Blancefleur werden die jungen Männer und Frauen direkt angesprochen: „ghi jonghers, tsi mannen oft vrouwen“.103 Zusammenfassend kann zur Verbreitung und Rezeption der niederländischen Schoone historie van Margarieten und auch im Allgemeinen zu niederländischen Historien des späten 15. und des 16. Jahrhunderts geschlussfolgert werden, dass diese Werke nicht nur für eine bestimmte Publikumsschicht und nicht nur für den niederländischen Sprachraum reserviert waren. Ausgehend von den Notizen in verschiedenen Exemplaren niederländischer Frühdrucke und deren Provenienzen sowie durch die Aussagen in verschiedenen „Ratgebern“ kann man zweifellos annehmen, dass die Schönen Historien in einem großen geographischen Raum und sprachlichen Kontinuum zwischen der Nordsee und den Alpen junge Frauen und Männer in Städten und an den Höfen, adlige Damen und deren Töchter sowie Geistliche in Klöstern erfreuten. Handschriftliche Eintragungen in verschiedenen Exemplaren niederländischer Prosaromane sind nicht nur wegen des anzunehmenden Publikums, sondern auch wegen der daraus abzuleitenden Hypothesen über die Lesefähigkeit verschiedener Sprachformen des „duytsch“ in der Frühen Neuzeit von großer Bedeutung.

102 Abbildung bei Resoort 1976/1977, S. 319. 103 Der älteste erhaltene Druck (ca. 1517 bei Jan van Doesborch) ist fragmentarisch ohne Prolog überliefert. Zwei spätere Drucke (1576 und 1642, vgl. Franssen 1990, S. 65) bieten den Prolog: Sie stimmen im Prolog wörtlich miteinander und im Erzähltext bis auf wenige Änderungen mit dem ältesten Druck überein, so dass man davon ausgehen kann, dass der Prolog des frühen Druckes dem der späteren Drucke entsprach.

Anhang

Anhang A

A 1: Johann von Soest, Margreth von Limburg; Ex.: Heidelberg, UB, cpg 87, fol. 6*v

DOI 10.1515/9783110452518-007

290 

 Anhang A

A 2: Badehaus, Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, fol. 18b und 19a (nach Hess 1994, Abb. 32)



Anhang A 

 291

A 3: Een schoone historie van Margarieten van Limborch, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516; Ex.: Washington, Library of Congress, PT 5561.H3S3, fol. a1r

292 

 Anhang A

A 4: Lancelot-Roman; Ex.: Heidelberg, UB, cpg 147, fol. 248r



A 5: Mainzer Riesenbibel; Ex.: Würzburg, UB, m.p.th.f.m. 11, fol. 409r

Anhang A 

 293

Anhang B Abbildungen Een schoone historie van Margarieten van Limborch, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516 (Brussel, Koninklijke Bibliotheek Albert I, Cl 13.176) Der Druck des Exemplars in der Library of Congress ist auf der Webseite der Library of Congress, Lessing J. Rosenwald Collection, digitalisiert und als pdf downloadbar. Im Folgenden wird eine Liste der von mir durchnummerierten Abbildungen mit einer Folioangabe und der Nummer des Kapitels, zu welchem die Abbildung gehört, versehen. Die Internetadresse lautet: http:// memory.loc.gov/service/rbc/rbc0001/2005/2005rosen1134/2005rosen1134.pdf (Abruf am 10. Oktober 2015). B 1 B 2 B 3 B 4 B 5 B 6 B 7 B 8 B 9 B 10 B 11 B 12 B 13 B 14 B 15 B 16 B 17 B 18 B 19 B 20 B 21 B 22 B 23 B 24 B 25 B 26 B 27 B 28 B 29 B 30 B 31 B 32 B 33 B 34

fol. a2v fol. a3v fol. a4r fol. a5r fol. a5v fol. a6v fol. b2r fol. b3v fol. c1r fol. c4r fol. c4v fol. d2r fol. d5v fol. e1v fol. e2v fol. e3v fol. f2r fol. f3r fol. f4v fol. f6v fol. g1r fol. g3r fol. h1r fol. h1v fol. h2v fol. h3v fol. i1r fol. i3v fol. k1r fol. l2v fol. l4v fol. m4r fol. n2v fol. p4r

Kap. 2 Kap. 4 Kap. 5 Kap. 7 Kap. 8 Kap. 9 Kap. 12 Kap. 16 Kap. 18 Kap. 20 (= B 13, B 37) Kap. 21 Kap. 23 Kap. 30 (= B 10, B 37) Kap. 33 (= B 27) Kap. 34 Kap. 36 Kap. 40 (= B 32, B 39) Kap. 42 Kap. 45 Kap. 50 Kap. 51 (= B 34) Kap. 53 Kap. 56 Kap. 57 Kap. 59 Kap. 61 Kap. 63 (= B 14) Kap. 67 Kap. 73 Kap. 78 Kap. 80 Kap. 85 (= B 17, B 39) Kap. 87 Kap. 97 (= B 21)

DOI 10.1515/9783110452518-008

 B 35 B 36 B 37 B 38 B 39 B 40

Anhang B  fol. s1r fol. s3r fol. t1v fol. t2r fol. t5v fol. v3r

Kap. 106 Kap. 107 Kap. 109 (= B 10, B 13) Kap. 110 Kap. 114 (= B 17, B 32) Kap. 118

 295

Anhang C

C 1: Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historien van Troyen, Haarlem: [Jacob Bellaert], 1485; Ex.: Washington, Library of Congress, Incun. 1485. L 43, fol. m5r

DOI 10.1515/9783110452518-009



Anhang C 

 297

C 2: Die Cronyke van Brabant, Antwerpen: Rolant van den Dorpe, 1497; Ex.: Den Haag, KB, 171 E 42, fol. R2r

298 

 Anhang C

C 3: Die Coronijcke van Vlaenderen, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531; Ex.: Den Haag, KB, 228 A 11, fol. f5v



Anhang C 

 299

C 4: Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historien van Troyen, Haarlem: [Jacob Bellaert], 1485; Ex.: Washington, Library of Congress, Incun. 1485. L 43, fol. m7v

300 

 Anhang C

C 5: Die Coronijcke van Vlaenderen, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531; Ex.: Den Haag, KB, 228 A 11, fol. D3r



Anhang C 

 301

C 6: Van Jason ende Hercules, Antwerpen: Jan van Doesborch, ca. 1525, fol. A1r; Ex.: Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience

Verzeichnisse

Abkürzungsverzeichnis C. Borchling, B. Claussen, Niederdeutsche Bibliographie. Gesamt­verzeichnis der niederdeutschen Drucke bis zum Jahre 1800. Bd. 1. Neumünster 1931–1936. BL British Library BM British Museum Bayerische Staatsbibliothek BSB CA M.-F.-A.-G. Campbell, Annales de la typographie Néerlandaise au XVe Siècle. La Haye 1874. CD-ROM MNL CD-ROM Middelnederlands, hg. v. Instituut voor Nederlandse lexikologie Leiden. Den Haag, Antwerpen 1998. Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300), hg. v. M. GysCorpus MNL seling. ’s-Gravenhage 1980 (Literaire handschriften 2, Bd. 1). Digitale bibliotheek voor de Nederlandse Letteren (online: www.dbnl.org) DBNL Deutsches Rechtswörterbuch (www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/ DRW frameset.htm) Deutsche Texte des Mittelalters DTM Deutsches Wörterbuch, begründet v. J. und W. Grimm. 16 Bde. Leipzig DWB ­1854–1960. (www.woerterbuchnetz.de/dwb/) Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleiEM chenden Erzählforschung, begr. v. Kurt Ranke, hg. v. K. Ranke, R. Wilhelm Brednich und H. Bausinger. 15 Bde. Berlin, New York 1977–2015. Generallandesarchiv Karlsruhe GLAK Gesamtkatalog der Wiegendrucke, hrsg. von der Staatsbibliothek Berlin. GW 11 Bde. A–H (bisher). Stuttgart 1925  ff. (gesamtkatalog der wiegendrucke.de) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v.  H. Bächtold-Stäubli unter HWA besonderer Mitwirkung v. E. Hoffmann-Krayer u. Mitarb. zahlr. Fachgenossen, 10 Bde. Berlin, Leipzig 1927–1942 (Handwörterbücher zur deutschen Volkskunde, Abt. 1). Illustrated Incunabula Short Title Catalogue. The illustrated incunabula IISTC short-title catalogue on CD-ROM, in assoc. with The British Library, Reading 1998. Incunabula Short Title Catalogue (www.bl.uk/catalogues/istc/index.html) ISTC KB Koninklijke Bibliotheek M. Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Nachdruck der Ausgabe Leipzig Lexer 1872–1878 mit einer Einleitung v. K. Gärtner. 3 Bde. Stuttgart 1992. (gaer27. uni-trier.de/MWV-online/MWV-online.html) LMA Lexikon des Mittelalters. Hrsg. und Berater N. Angermann, R. Auty und R.-H. Bautier. 9 Bde. München, Zürich 1980–1998. Lexikon für Theologie und Kirche, 2., völlig neu bearb. Auflage […], begründet v. LThK2 M. Buchberger, hg. v. J. Höfer und K. Rahner. 10 Bde. Freiburg i. Br. 1957–1965. LThK3 Lexikon für Theologie und Kirche, begr. v. M. Buchberger, 3., völlig neu bearb. Auflage, hg. v. W. Kasper mit K. Baumgartner u. a. 11 Bde. Freiburg i. Br., Basel, Rom, Wien 1993–2001. Margarieten van Limborch niederländische Postinkunabel, erschienen 1516 in Antwerpen bei Willem Vorsterman; im Allgemeinen zitiert nach der Ausgabe Schellart 1952. BC

DOI 10.1515/9783110452518-010

306 

 Abkürzungsverzeichnis

Margreth-Roman, Margreth von Limburg Johann von Soest, Margreth von Limburg; siehe vor allem Kapitel 1.5; 2.1.2; 2.2.2; 2.3.2; 4; 6.3 Margriete-Roman, Margriete van Limborch siehe vor allem Kapitel 1.4; 2.1.1; 2.2.1; 2.3.1; 3; im Allgemeinen zitiert nach der Ausgabe Meesters 1951, auch Van den Bergh 1846/47 Middelnederlandsch woordenboek, hg. v. E. Verwijs und J. Verdam. 11 Bde. MNW ’s-Gravenhage 1885–1952 (auch CD-ROM MNL) Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters MTU NK W. Nijhoff, M. E. Kronenberg, Nederlandsche Bibliografie 1500–1540. 3 Bde. ’s-Gravenhage 1923–1971. Österreichische Nationalbibliothek ÖNB Repertorium van Eigennamen in Middelnederlandse Literatire Teksten, o.red. REMLT van W. Kuiper, H. Hendriks und S. Koetsier. Amsterdam 1993–2005. (cf.hum. uva.nl/dsp/scriptamanent/remtl/remtlindex.htm) SB Stadtbibliothek Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK Secretum Secretorum, siehe Ausgaben SecrS Staats- und Universitätsbibliothek SUB Theologische Realenzyklopädie, in Gemeinschaft mit H. R. Balz u. a. TRE hg. v. G. Krause und G. Müller (ab Bd. 13 nur G. Müller). 36 Bde. Berlin, New York 1977–2004. UB Universitätsbibliothek Universitäts- und Landesbibliothek ULB Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. v. W. Stammler, VL fortgef. v. K. Langosch, u. Mitarb. zahlr. Fachgelehrter, hg. v. B. Wachinger (teilw. v. K. Ruh) zus. mit G. Keil u. a., Redaktion C. Stöllinger-Löser, 2., völlig neubearb. Aufl. 11 Bde. Berlin, New York, 1978–2004 (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften). Woordenboek der Nederlandsche taal, bearbeitet v. M. de Vries, L. A. te Winkel WNT u. a. 29 Bde. ’s-Gravenhage 1882–1998.

Verzeichnis der Bibliotheken Amsterdam, UB Berlin, SBB-PK Brussel, KB Darmstadt, ULB Erlangen, UB Den Haag, KB Hamburg, SUB Heidelberg, UB Leiden, UB London, BL London, BM Mainz, SB München, BSB München, UB Utrecht, UB Wien, ÖNB Würzburg, UB

Amsterdam, Universiteitsbibliotheek Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Brussel, Koninklijke Bibliotheek Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek Erlangen-Nürnberg, Universitätsbibliothek Den Haag, Koninklijke Bibliotheek Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Heidelberg, Universitätsbibliothek Leiden, Universiteitsbibliotheek London, British Library London, British Museum Mainz, Stadtbibliothek München, Bayerische Staatsbibliothek München, Universitätsbibliothek Utrecht, Universiteitsbibliotheek Wien, Österreichische Nationalbibliothek Würzburg, Universitätsbibliothek

DOI 10.1515/9783110452518-011

Verzeichnis literarischer Figuren in den Margriete-Romanen Margriete van Limborch Carodos Celidone Colosus Demophon Echites Elyane Elyonette Esioene Eusebia Evax Heinric Hildric Karel Lodewijc Maurus Palladia Pasca Ryoen Salamina Sibille

Margreth von Limburg Karodos Celidon Colosus Demophon Echites Eliane Elionette Esyon Eusebia Evax Henric – Karl Loudwig Maurus Pallidia Pascha Ryon Salmyne Sybille

DOI 10.1515/9783110452518-012

Margarieta van Limborch Carados – – Demofoen Etsijtes – Elyonette Ysonia Eresebia Evac Heyndrick – Karel Lodewijcx – Palladia – – – Sibilla

Herkunftsgebiet Babylonien Dalmatien Ganges Soloferne Athen Elydanus (Hellas) Amazonien Saloniki Konstantinopel (wird) König v. Aragon Limburg Rom Frankreich Frankreich Moriane Mazedonien Paura Spanien Thrakien Aragon

Bibliographie Die Primärwerke sind nach dem Namen des Autors alphabetisiert bzw. wenn kein Autor bekannt ist, nach dem ersten Substantiv (historie und andere Bezeichnungen wie Chronik ausgenommen). Angegeben werden auch die Nummern nach CA (Campbell), dem GW (Gesamtkatalog der Wiegendrucke) oder NK (Nijhoff-Kronenberg), um schnell eine ausführlichere Beschreibung des jeweiligen Werkes zurückfinden zu können.

1 Texte Die historie, dat leven ende dat regiment des coninc Alexanders. Gouda: Gheraert Leeu, 1477 (CA 957; GW 00891). Bartholomeus Engelsman, Van de eygenscappen der dingen, Haarlem: Jacob Bellaert, 1485 (CA 258; GW 03423). Die alder excellenste Cronyke van Brabant, Antwerpen: Rolant van den Dorpe, 1497 (CA 508, GW 06667). Die alder excellenste cronijke van Brabant Hollant Seelant Vlaenderen int generael, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1512 (NK 652). Die alder excellenste Cronyke van Brabant, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1518 (NK 653). Die excellente cronike van Brabant, Vlaenderen, Hollant, Zeelant, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1530 (NK 654–656). Die historie van Buevijne van Austoen, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1504 (NK 1085). Die distructie vander stat van Iherusalem, [Antwerpen: Willem Vorsterman, ca. 1505] (NK 4430). Die distructie vander stat van Iherusalem, Antwerpen: Willem Vorsterman, ca. 1525 (NK 705). Story of Lorde Frederyke of Jennen, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1518 (NK 3904). Floris ende Blancefleur, Antwerpen: Guillaem van Parijs, 1576 (Kopie an der Universiteit Amsterdam). Devote ghetiden, [Haarlem: Jacob Bellaert, 8. April–20. August 1486] (CA 1117; GW M18037). De scoene historie hertoghe Godeuaerts van Boloen, [Haarlem: Collaciebroeders], 1486 (CA 968; GW 12573). Historie van den edelen hertoghe Govaert van Bulioen, Antwerpen: Govaert Bac, 1502–1505/06 (CA 969; NK 4439). Die historie van den vier Heemskinderen, [Gouda: Govert van Ghemen], ca. 1490 (CA 1011; GW 12486). De historie van den vier Heemskinderen, Leiden: Jan Seversz., 1508 (NK 3162). Jason ende Hercules, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1521 (NK 3164). Jason ende Hercules, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1525; Ex.: Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience. Johann von Soest, Eyn satzung wy dy mutter gotz maria on erbsond ontpffanghen ist (15. 01. 1502) (Ex.: Hamburg, SUB, cod. germ. 2). Dit is die jeeste van Julius Cesar, [Gouda: Govert van Ghemen, nicht vor 1486] (CA 393; GW 05879). Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historien van Troyen, Haarlem: [Jacob Bellaert], 1485 (CA 1095; GW M17453). Raoul Lefèvre, Recueil des histoires de Troyes, Haarlem: Jacob Bellaert, 1486 (CA 1094; GW M17434). DOI 10.1515/9783110452518-013

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 Bibliographie

Die waerachtige ende een seer wonderlijcke historie van Marieken van Nieumeghen, Antwerpen: Willem Vorsterman, [ca. 1518] (NK 1089). Story of Mary of Nemmegen, Antwerpen: Jan van Doesborch, ca. 1518 (NK 3905). Olyvier van Castillen, Antwerpen: Henrick Eckert van Homberch, 1510 (NK 3170). Parijs ende Vienna, Antwerpen: Gheraert Leeu, 1487 (CA 942; GW 12700). Dat regiment der ghesontheyt, [Brussel, o.D.] 1514 (NK 1453). Historie van Reynaert die vos, Gouda: Gheraert Leeu, 1479 (CA 976; GW 12725). Die reyse van Lissebone, Antwerpen: Jan van Doesborch, 1508 (NK 1800). Rüxner, G., Anfang ursprung und herkommen des Thurniers inn Teutscher nation. Simmern 1530. Die vii sacramenten der heyligher kercken, Antwerpen: Gheraert Leeu, 1484 (CA 1492; GW M06119). Der Scaepherders Kalengier, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1516 (NK 1258). Tscep vol wonders, o. O., o.D., 1514 (NK 1875). Spieghel historiael, Antwerpen: Claes de Grave, 1515 (NK 2160). Turias ende Floreta, [Brüssel: Thomas vander Noot], 1523 (NK 3174). Twispraec der creaturen, Gouda: Gheraert Leeu, 1481 (CA 565; GW M22277). Die Coronijcke van Vlaenderen, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531 (NK 659).

2 Ausgaben Adenet le Roi, Berte aus grands pies. Ed. with introd., variants and glossary by U. T. Holmes, jr. Chapel Hill 1946 (Studies in the Romance languages and literatures 6). Albrecht von Scharfenberg, Jüngerer Titurel. Nach den ältesten und besten Handschriften kritisch hg. v. W. Wolf. Berlin 1955 (DTM 45). Amadas et Ydoine, hg. v. J. R. Reinhard, Paris 1974 (Les classiques français du Moyen Age 51). Van den Bergh 1846/47: siehe Margriete van Limborch. De Borchgravinne van Vergi, hg. v. R. Jansen-Sieben. Naar het Handschrift – Van Hulthem en het Gentse fragment uitgegeven en toegelicht. Utrecht 1979. Chrétien de Troyes, Cligés, hg. v. St. Gregory. Woodbridge [u. a.] 1993 (Arthurian studies 28). Chrétien de Troyes, Erec et Enide, übers. und hg. v. A. Gier. Stuttgart 1987. Van den drie blinde danssen, hg. v. W. J. Schuijt, naar de Nederlandse bewerking van 1482. Amsterdam [u. a.] 1955. Die destructie vander stat van Jherusalem. Een Vlaams volksboek, naar het unieke exemplaar van de Antwerpse druk van Willem Vorsterman (ca. 1525), met toelating van de British Library, hg. v. W. L. Braekman. Brugge o.  J. Diederic van Assenede, Floris ende Blancefloer. Uitgegeven met inleiding en aantekeningen, hg. v. J. J. Mak. Culemborg 1970 (Klassieken uit de Nederlandse Letterkunde). Van der feesten een proper dinc, hg. v. Werkgroep van Groningse Neerlandici. Groningen 1972. Konrad Fleck, Flore und Blanscheflur, hg. v. E. Sommer. Quedlinburg 1846. Konrad Fleck, Flore und Blanscheflur. Text und Untersuchungen, hg. v. Chr. Putzo. Berlin u. a. 2015. Van Floris ende Blancefleur. Antwerpen: Guillaem van Parijs, 1576, hg. v. W. Kuiper [2014] (http://cf.hum.uva.nl/dsp/scriptamanent/bml/Floris_ende_Blancefloer/Guillaem_van_ Parijs_1576.pdf, Abruf am 15. Oktober 2015).

Ausgaben 

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De historie van Floris ende Blancefleur. Naar den Amsterdamschen druk van Ot Barentsz. Smient uit het jaar 1642, hg. v. G. J. Boekenoogen. Leiden 1903. Ulrich Füetrer, Wigoleis, hg. v.  H. A. Hilgers. Tübingen 1975 (Altdeutsche Textbibliothek 79). Tghevecht der minnen, hg. v. R. Lievens. Leuven 1964. Gillis de Wevel, Leven van St. Amand (Januar 1366), hg. v. Ph. Blommaert. Gent 1842–1843 (Maetschappy der Vlaemsche Bibliophilen 1,4). Goette 1899: siehe Jakob Püterich. Gerardus Gosemius, Het cieraet der vrouwen, hg. v. K. Bostoen, zus. mit G. Kettenis. Deventer 1983. Hartmann von Aue, Erec, hg. v. M. G. Scholz, übers. v. S. Held. Frankfurt am Main 2004 (Bibliothek des Mittelalters 5). Hartmann von Aue, Gregorius, hg. v.  H. Paul, neu bearb. v. B. Wachinger. Tübingen 2004 (Altdeutsche Textbibliothek 2). [Hausbuch, mittelalterliches]: Venus und Mars. Das mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, hg. v. C. Graf zu Waldburg Wolfegg. München 1997. De historie van den vier heemskinderen. Uitgegeven naar den druk van 1508, hg.  v. G. S. Overdiep. Groningen, Den Haag 1931. De historie vanden vier heemskinderen, hg. und mit einem Nachwort von I. Spijker. Amsterdam 2005. Hein van Aken, Vierde Martijn, hg. v. W. E. Hegman 1958 (Zwolse drukken en herdrukken 31). Hein van Aken, Die Rose: Die Rose van Heinric van Aken, met de fragmenten der tweede vertaling, van wege de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden, hg. v. E. Verwijs. ’s-Gravenhage 1868. Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland, Gottes Zukunft und Visio Philiberti, hg. S. Singer, Berlin 1906 (DTM 7), S. 329–464. Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Mittelhochdeutsch, neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdt. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von D. Kartschoke. Stuttgart 2004. Heinrich von Veldeke, Servaeslegende: Sint Servaes legende. Naar het Leidse handschrift uitgegeven, m.m.v. dr. G. Lieftinck en A. F. Mirande, hg. v. G. A. Van Es., Antwerpen u. a. 1950. Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland. Nach der Gothaer Handschrift. Gottes Zukunft und Visio Philiberti, nach der Heidelberger Handschrift, hg. v. S. Singer. Dublin 1967 (DTM 7). [Boec van den houte]: Dboec van den houte, door Jacob van Maerlant, hg. v. J. Tideman. Leiden 1844. [Kattendijke Kroniek]: Die historie of die cronicke van Hollant, van Zeeland ende van Vrieslant ende van den Stichte van Utrecht, hg. v. A. Janse, unter Mitarbeit von I. Biesheuvel und einer Einführung von Wim van Anrooij … [u. a.]. ’s-Gravenhage 2005. Huyge van Bourdeus. Ein niederländisches Volksbuch, hg. v. F. Wolf. Stuttgart 1860 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. Heft LV). Jacob van Maerlant, Alexanders geesten: Alexanders geesten, van Jacob van Maerlant, hg. v. J. Franck. Groningen 1882. Jacob van Maerlant, Heimelijkheid der Heimelijkheden: De Heimelijkheid der Heimelijkheden. Dichtwerk, toegekend aan Jacob van Maerlant, met eene inleiding en aanteekeningen van wege de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde, hg. v. J. Clarisse. Dordrecht 1838. (CD-ROM MNL, Abschrift von W. Kuiper).

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 Bibliographie

Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme, hg. v. M. Gysseling, Reeks II. Bd. 2. ’s-Gravenhage 1981. Jacob van Maerlant, Historie van Troyen. Dit is die istory van Troyen van Jacob van Maerlant, naar het vijftiendeëeuwsche handschrift van Wessel van de Loe met al de Middelnederlandsche fragmenten, hg. v. N. De Pauw en E. Gaillard, 4 Bde. Gent 1889–1892. Jacob van Maerlant, Spieghel historiael: Jacob van Maerlant’s Spiegel historiael, met de fragmenten der later toegevoegde gedeelten, bewerkt door Philip Utenbroeke en Lodewijc van Velthem, hg. v. M. de Vries en E. Verwijs, 3 Bde. Leiden 1863. Jacob van Maerlant, Torec. Opnieuw naar het handschrift uitgegeven en van eene inleiding en woordenlijst voorzien, hg. v. J. te Winkel. Leiden 1875. Jakob Püterich von Reichertshausen, Ehrenbrief: Der Ehrenbrief des Jakob Püterich von Reichertshausen an die Erzherzogin Mechthild, hg. v. A. Goette. Straßburg 1899. Jakob Püterich von Reichertshausen, Der Ehrenbrief. Cgm 9220, hg. v. der Kulturstiftung der Länder und der bayerischen Staatsbibliothek München. Stuttgart 1999 (Patrimonia 154). Jan van Boendale, Der leken spieghel, leerdicht van den jare 1330, door Jan Boendale, gezegd Jan de Clerc, schepenklerk te Antwerpen, hg. v. M. de Vries. 3 Bde. Leiden, 1844–1848 (Werken uitgegeven door de Vereeniging ter bevordering der oude Nederlandsche letterkunde). Jan van Ruusbroec, Vanden gheesteliken tabernakel, in: Jan van Ruusbroec, Werken. Naar het standaardhandschrift van Groenendaal uitgegeven door het Ruusbroec-Genootschap te Antwerpen, hg. v. D. A. Stracke. 4 Bde., Bd. 2, VI. Tielt, 1944–1948. Johann von Soest, Dy gemein bicht: siehe Sekundärliteratur von Bahder 1988. Johann von Soest, Gedichte: siehe Sekundärliteratur von Fichard 1811. Johann von Soest, Margreth von Limburg: Johannes von Soest, Die Kinder von Limburg, hg. v. M. Klett. Wien 1975 (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 4). Johann von Soest, Sonn- und Festtagsgedichte: siehe Sekundärliteratur Schumacher 1993. Johann von Soest, Wie men wol eyn statt regyrn sol: siehe Sekundärliteratur Heimann 1986. Johan uz dem virgiere. Eine spätmittelalterliche Ritterdichtung nach flämischer Quelle nebst dem Faksimileabdruck des flämischen Volksbuches „Joncker Jan wt den vergiere“, hg. und eingel. v. R. Priebsch. Heidelberg 1931. Der Karrenritter. Episode des mittelhochdeutschen Prosa-Lancelot, hg. v. R. Kluge. München 1972 (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters 10). Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur, hg. v. R. Luff. Tübingen 2003 (Texte und Textgeschichte 54). Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, hg. v. K. Bartsch. Berlin 1970. Lanseloet van Denemarken, in: Middelnederlandsche dramatische poëzie, hg. v. P. Leendertz jr., Leiden 1897 (Bibliotheek van Middelnederlandsche Letterkunde), S. 78–114. Lancelot. Nach der Heidelberger Pergamenthandschrift Pal. germ. 147, I–III, hg. v. R. Kluge. Berlin 1948–1974 (DTM 42, 47, 63). Lancelot und Ginover. Prosalancelot I und II. Nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 147, ergänzt durch die Handschrift Ms. allem. 8017–8020 der Bibliothèque de l’Arsenal Paris, hg. v.  H.-H. Steinhoff. Frankfurt am Main 1995 (Bibliothek des Mittelalters 14, 15). Lapidarijs: Fragmenten van de verloren gewaande Lapidarijs van Jacob van Maerlant, hg. v. W. L. Braekman, in: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse taal- en letterkunde 1970, S. 499–525 (509–517).

Ausgaben 

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Die schöne Magelone. Ein fast lustige vnd kurtzweylige Histori von der schönen Magelona, mit einem Nachwort von R. Noll-Wiemann. Hildesheim u. a. 1975 (Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken A, 6). Der deutsche Malagis. Nach den Heidelberger Handschriften cpg 340 und cpg 315 unter Benutzung der Vorarbeiten von G. Schieb und S. Seelbach hg. v. A. Haase, B. W.Th. Duijvestijn, G. A.R. de Smet und R. Bentzinger. Berlin 2000 (DTM 82). Die schoone hystorie van Malegijs. Naar den Antwerpschen druk van Jan van Ghelen uit het jaar 1556, hg. v. E. T. Kuiper. Leiden 1903. Historie van Margarieten van Limborch: Volksboek van Margarieta van Lymborch (1516), hg. v. F. J. Schellart. Amsterdam u. a. 1952. Die mittelniederdeutsche Margaretenlegende, hg. v. K. O. Seidel in Zusammenarbeit mit G. Drexel. Berlin 1994. Margriete van Limborch: Roman van Heinric ende Margriete van Limborch, gedicht door Heinric, hg. v. L.Ph.C. van den Bergh. Leiden 1846/47 (Nieuwe Reeks van Werken van de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden, dl. 2 en 3). Margriete van Limborch: Roman van Heinric en Margriete van Limborch. Uitgegeven volgens het Brusselse handschrift, hg. v. T. H.A. Meesters. Amsterdam 1951. Margriete van Limborch: Deschamps, J. (Hg.), Zes fragmenten van de „Roman van Limborch“, in: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse taal- en letterkunde 1986, S. 451–452. Margriete van Limborch: J. Heinzle und K. H. Staub (Hg.), Michelstädter Fragmente des mittelniederländischen Romans „Heinric en Margriete van Limborch“, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 119 (1990), S. 175–184. Margriete van Limborch: Fragmenten van de Roman van Heinric ende Margriete van Limborch, hg. v. L. De Wachter, R. Schlusemann u. a. Antwerpen 2001 (Antwerpse studies over Nederlandse literatuurgeschiedenis 6). Mariken van Nieumeghen. Tentoonstelling (1 mei – 1 juli 1968). Utrecht 1968 (Naar de letter 1). Mary of Nemmegen, hg. mit einer Einleitung und Kommentar v. M. M. Raftery. Leiden 1991. [Maximiliaen]: Dit sijn die wonderlijcke oorloghen van den doorluchtighen hoochgheboren prince, keyser Maximiliaen. Ende hoe hij eerst int landt quam. Ende hoe hij vrou Marien troude, hg. v. W. J. Alberts. Groningen, Djakarta 1957. Mittelhochdeutsche Minnereden I. Die Heidelberger Handschriften 344, 358, 376 und 393, hg. v. K. Matthaei. Berlin 1913 (DTM 24). Middelnederlandsche gedichten en fragmenten. 2 Bde., hg. v. N. de Pauw, Gent 1893–97 (Koninklijke Vlaamsche Academie voor Taal- en Letterkunde III/8). De natuurkunde van het geheelal. Een dertiende-eeuws leerdicht, hg. v. R. Jansen-Sieben. Brüssel 1968. Ogier von Dänemark. Nach der Heidelberger Handschrift cpg 363 herausgegeben von H. Weddige, in Verbindung mit T. J.A. Broers und H. van Dijk. Berlin 2002 (DTM 83). Ovid, Ars amatoria, hg. und übers. v. N. Holzberg. Düsseldorf 2000. Ovid, Metamorphosen, übers. und hg. v. M. von Albrecht. Stuttgart 1997. Int Paradijs van Venus. Dye amoreuse vraghen der liefden. Ende noch meer ander vraghen van Venus discipulen, ghemaect bi eenen eedelen ioncheere ende een edel jonffrouwe. Een Nederlands Volksboek, naar het uniek exemplaar van de Utrechtse druk door Jan Bernntsz. van ca. 1530, hg. v. W. L. Braekman. Sint-Niklaas 1981 (Zeldzame Volksboeken uit de Nederlanden 4).

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 Bibliographie

Parthonopeus van Bloys: Ouddietsche fragmenten van den Parthonopeus van Bloys. Grootendeels bijeenverzameld door wijlen professor Ferdinandus Deycks en verder in orde geschikt en kritisch uitgegeven op last van de Koninklijke Akademie van België, hg. v. J. H. Bormans. Brüssel 1871, S. 83–86. Die historie van Peeter van Provencen, Antwerpen, Willem Vorsterman [ca. 1517], hg. v. W. L. Braekman. Sint-Niklaas 1982. Petrarca, Francesco, Brief an die Nachwelt. Gespräche über die Weltverachtung. Von seiner und vieler Leute Unwissenheit, übers. und eingel. v.  H. Hefele. Jena 1925 (Das Zeitalter der Renaissance. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der italienischen Kultur 2). Priebsch, R., Aus deutschen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Brüssel, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 38 (1906), S. 301–333. Een Nederlandsch raadselboek uit de zestiende eeuw, hg. v. W. L. Braekman. Brüssel 1985 (Scripta, Mediaeval and Renaissance Texts and Studies 15). Reinfried von Braunschweig. Faksimileausgabe der Handschrift Memb. II 42 der Forschungs­ bibliothek Gotha, hg. v. W. Achnitz. Göppingen 2002. Reinolt von Montelban oder die Heimonskinder, hg. v. F. Pfaff. Tübingen 1885 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 174). Renout van Montelban. De Middelnederlandsche fragmenten en het Middelnederduitsche fragment, hg. v. P. J.J. Diermanse. Leiden 1939. Van den vos Reynaerde, I. Teksten. Diplomatisch uitgegeven naar de bronnen vóór 1500, hg. v. W.Gs. Hellinga. Zwolle 1952. Die hystorie van Reynaert die vos, naar den druk van 1479, vergeleken met William Caxton’s Engelsche vertaling, hg. v.  H. Logeman und J. W. Muller. Zwolle 1892. De gedrukte Nederlandse Reynaert-traditie. Een diplomatische en synoptische uitgave naar de bronnen vanaf 1479 tot 1700, hg. v.  H. Rijns. Hilversum 2007. Reynaert in tweevoud. Bd. 1: Van den vos Reynaerde, hg. v. A. Bouwman und B. Besamusca. Amsterdam 2002. Reynaert in tweevoud. Bd. 2: Reynaerts historie, hg. v. P. Wackers. Amsterdam 2002. Reynaerts historie – Reynke de vos. Gegenüberstellung einer Auswahl aus den niederländischen Fassungen und des niederdeutschen Textes von 1498, mit Kommentar hg. v. J. Goossens. Darmstadt 1983 (Texte zur Forschung 42). Reynaerts historie, hg. und übers. v. R. Schlusemann und P. Wackers. Münster 2005 (Bimili I). Robrecht de duivel, uitgegeven en van commentaar voorzien v. R. Resoort, Muiderberg 1980 (Populaire literatuur 2). Roelantslied: siehe Sekundärliteratur Van Dijk 1981. Romane des 15. und 16. Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten, hg. v. J.-D. Müller. Frankfurt am Main 1990. Graf Rudolf, hg. v. P. Ganz. Berlin 1964 (Philologische Studien und Quellen 19). Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens, hg. v. V. Junk. Berlin 1905 (DTM 5). von Scherling, E., Een verloren gewaand fragment van „Heinric ende Margriete van Limborch“, in: Tijdschrift voor Nederlandse taal en letterkunde 48 (1929), S. 143–144. Schlusemann, R. (Hg.), Der Briefwechsel der Brüder Grimm mit niederländischen und belgischen Gelehrten. Hildesheim 2016. Secretum Secretorum cum glossis et notulis. Tractatus brevis et utilis ad declarandum quedam obscure dicta Fratris Rogeri, hg. v. R. Steele. Oxford 1920. Sibilla (Antwerpen, Vorsterman, rond 1540), hg. v. B. Besamusca. Muiderberg 1988 (populaire literatuur 5).

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Abbildungsverzeichnis S. 289 Abb. A 1: Johann von Soest, Margreth von Limburg, fol. 6*v (Ex.: Heidelberg, UB, cpg 87) S. 290 Abb. A 2: Badehaus, Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, fol. 18b und 19a (nach Hess 1994, Abb. 32) S. 291 Abb. A 3: Een schoone historie van Margarieta van Limborch, Antwerpen: Willem Vor­ sterman, 1516, fol. a1r (Ex.: Washington, Library of Congress, PT 5561.H3S3) S. 292 Abb. A 4: Lancelot-Roman, fol. 248r (Ex.: Heidelberg, UB, cpg 147) S. 293 Abb. A 5: Mainzer Riesenbibel, fol. 409r (Ex.: Würzburg, UB, m.p.th.f.m. 11) S. 294 Verweise auf Abb. B 1–40: Een schoone historie van Margarieta van Limborch, Antwer­ pen: Willem Vorsterman, 1516 (Ex.: Brussel, KB, Cl 13.176; Washington, Library of Con­ gress, PT 5561.H3S3) S. 296 Abb. C 1: Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historien van Troyen, Haarlem: Jacob Bellaert, 1485, fol. m5r (Ex.: Washington, Library of Congress) S. 297 Abb. C 2: Cronyke van Brabant, Antwerpen: Rolant van den Dorpe, 1497, fol. R2r (Ex.: Den Haag, KB), S. 298 Abb. C 3: Die Coronijcke van Vlaenderen, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531, fol. f5v (Ex.: Den Haag, KB), S. 299 Abb. C 4: Raoul Lefèvre, Vergaderinghe der Historie van Troyen, Haarlem: Jacob ­Bellaert, 1485, fol. m7v (Ex.: Washington, Library of Congress), S. 300 Abb. C 5: Die Coronijcke van Vlaenderen, Antwerpen: Willem Vorsterman, 1531, fol. D3r (Ex.: Den Haag, KB), S. 301 Abb. C 6: Van Jason ende Hercules, Antwerpen: Jan van Doesborch, [ca. 1525], fol. A1r (Ex.: Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience)

DOI 10.1515/9783110452518-014

Personen- und Werkregister Die Reihenfolge mittelalterlicher Autoren erfolgt nach dem Vornamen und der Herkunftsbezeichnung, die Reihenfolge der Drucker nach der Herkunftsbezeichnung bzw. dem Nachnamen. Die Reihenfolge der Einträge von anonymen Werken wird nach dem ersten Substantiv im jeweiligen Titel vorgenommen, wobei Bezeichnungen wie zum Beispiel „Cronike“, „Historie“, „Vergaderinghe“ nicht berücksichtigt werden. Wenn ein Titel wie Tscep vol wonders eingebürgert ist, bei dem der Anfangsbuchstabe den bestimmten Artikel abkürzt, wird das Werk unter „T“ eingeordnet. Zur Entlastung des Registers werden zahlreiche Werke in Kurztitelform genannt. Adam Werner von Themar 271 Adolf II. von Nassau 36, 274 Adolf IX. 259−260 Albrecht VI. von Österreich 27 Albrecht von Eyb, Ehebüchlein 261, 263, 270 Albrecht von Scharffenberg, Jüngerer Titurel  110 Alewijn, Zacharias Henrick 28 Alexander, Historie van 88, 225, 227 Alexander van Mets 248, 279 Alexandri magni, Historia 2 Amadas et Ydoine 10, 116, 119, 143 Amoreusheyt, Dboeck der 23 Amoreusheyt, Tprieel der 24 Amsterdamer Kabinetts, Meister des 35, 276 Andreas de Escobar, Modus confitendi 32, 183 Antony Tyrol 3 Apollonius von Tyrlant: siehe Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland Aristoteles 47 Arnulfus de Kajo 262 Augustijnken 259 Avicenna, Canon medicinae 274 Bac, Govaert 80, 83, 278, 281–282 Barbara von Mantua 266 Bartholomeus Engelsman, Vanden proprieteyten der dingen 110 Beheim, Michel, Reimchronik 268 Bellaert, Jacob 76−80, 88, 110, 299 Bellaert-Meister 77 Berendonck, Gerhard 265 Berghen, Adriaen van 278 Bergmann, Johann 271 Berte as grans piës 9, 94

Berntszoon, Jan 23, 83 Beroaldus, Philipp, Opus de felicitate 271 Beroul, Tristan 116 Boekhout, Bastiaan 22 Borchgravinne van Vergi, Vers 210 Borchgravinne van Vergi, Prosa 63−67, 88, 209−210, 219 Bouman, Jan 21 Brabant, Cronyke van, 1497 75−76, 78−80, 85, 231, 297 Brabant, Cronijke van, 1512 38, 76, 78−79, 81, 85, 279 Brabant, Cronyke van, 1518 79, 81 Brabant, Cronike van, 1530 78, 81−83, 85 Brant, Sebastian, Das Narrenschyff 163 Broeder Russche 248, 279 Bruno, Christoph 283 Buevijn van Austoen 63, 78−79, 90, 248, 280 Cartusiense, Missale 3 Cassamus 139−140, 258 Catoen, Dietsche 55 Celtis, Konrad 275 – Panegyris ad duces Bavariae et Philippum palatinum … 271 Chrétien de Troyes, Cligès 10, 116, 119 – Érec et Énide 10, 116 Christianus, T. 21 Cicero 269, 275–276 – Tusculanae Disputationes 271 Clucht boecxken, Een nieuw 24 Cock, Simon 20, 47, 83, 244 Cokeryen, Een notabel boecxken van 3, 282 Colijn van Rijssele, Spiegel der minnen 12, 202 Collaciebroeders 80, 84 Cruyt-hofken 24

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 Personen- und Werkregister

Van den drie blinde danssen 90, 248 Destructie van Iherusalem, 1482 47 Destructie van Troyen 248, 279 Diederic van Assenende, Floris ende Blancefleur 66−68, 130, 209 Dietrich II. von Manderscheid 260 Dietrich III. von Manderscheid 135, 260−261 Dietrich von Plieningen 275−276 Dindimus-Buch 263, 270 Distructie van Iherusalem, ca. 1505 85−86 Distructie van Iherusalem, ca. 1525 85 Doesborch, Jan van 37−38, 70, 75−88, 90, 251, 278−280, 282, 285, 301 Dorpe, Rolant van den 75, 77, 79−80, 85, 279, 297 Dorpe, Rolant van den, Witwe 76, 80 Van der drievoudicheden 55 Eberhard I. von Württemberg 266−267 Eckert van Homberch, Henrick 2, 3, 87−88, 277−278, 281−282 Egmont, Jacobus van 22 Elckerlijc 14 Elisabeth von Blankenheim, Kastelberg und Gerolstein 260 Fasciculus mirre 279 Vander feesten een proper dinc 143 Ferguut 19 Van Florijsse ende van Blanchefloere 251 Floris ende Blancefleur 4, 63−68, 88, 90, 206, 227−228, 231–232, 248, 251 Fleck, Konrad, Flore und Blanscheflur 130 Floris Berthout 258 Flugel, Ludwig 269 Folz, Hans, Vor die pestilentzie 263, 270 Sinte Franciscus drien ordenen 279 Frederick van Jenuen, 1531 4, 248, 279–280 Fredericke of Jennen 76, 248, 279 Friar Rush 279 Friedrich I. der Siegreiche 16, 27, 31, 178, 263, 266−267, 269, 275 Friedrich von Schwaben 7−8 Gauklerszene, Meister der 35 Genreszenen, Meister der 35−36

Gerhard V. von Jülich 258 Gerard van Vliederhoven, Cordiale quattuor novissima 3, 279 Gerrit van der Goude, Boeckxken van der missen 278 Gesta Treverorum: siehe Treverorum, Gesta Dit is vander ghiericheit 55 Gillis van Wevel, Leven van St. Amand 140 O almoghende God Emanuel 55 Godeman von Hoffde 262 Godevaert metten baerde 258 Godevaert van Boloen, ca. 1486 und ca. 1500 79−80, 84−85, 281 Goes, Mathias van der 277 Goetman, L., Spieghel der ionghers 278 Götz, Kaspar 283 Gosemius, Gerardus, Cieraet der vrouwen 284 Gottfried von Straßburg, Tristan 261 Graf Rudolf 130 Gral, Estoire de Saint 261 Gral, Queste de Saint 261 Grave, Claes de 47, 83 Gregorius 182 Groot Keur, Gysbert de 21 Guillaem van Parijs 23 Hans von Dratt 31 Hartmann von Aue, Erec 120, 124 – Iwein 116 Hausbuch [von Schloss Wolfegg] 35−36, 274−275, 290 Hausbuchmeister: siehe [Meister des] Amsterdamer Kabinetts Havard, M. 248 Van den vier Heemskinderen 4, 47, 63, 67, 70, 74−75, 88, 220, 253 Heidelberger Schicksalsbuch 270 Hein van Aken 28 – Roman van de roos 137, 143 Heinrich VII., Kaiser 258−259 Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland 7−8, 92 Heinrich von dem Türlin, Der aventiure crone 267, 269 Heinrich von Veldeke, Eneasroman 103, 106, 116, 153



Helias, Historie van den ridder metter swane 1, 248, 279 Henfflin, Ludwig 67 Hercules, 1521 75, 78−79 Hercules, ca. 1525 82 Hermann von Bruninghusen 270 Hermann von Hessen 30 Hermann Poll 267 Herzog von Braunschweig 259 Heyns, Cornelius 30 Hillen van Hoochstraten, Michiel 83, 278, 282 Historiebijbel van 1360 227 [hollant] De historie of die cronicke van hollant … 80 Horaz 269, 276 Houte, Boec van den 3, 227 Howleglass 279 Hughe van Bourdeus 38, 47, 88, 90, 253 Hugo Capet 257 Hugo Jansz. van Woerden 278 Hugo Ripelin von Straßburg, Compendium theologicae veritatis 269, 273−274 Huydecoper, Balthasar 28 Die institutie ende leeringhe van een christelijcke vrouwe 280 Irmgard von Daun zu Bruch 260 Isidorus von Sevilla, Etymologiae 127 Isokrates 275 Jacob van Maerlant, Alexanders geesten 3, 143 –, Historie van den Grale 3 –, Heimelijkheid der heimelijckheden 135 –, Merlijns boec 3 –, Der naturen bloeme 110−113 –, Spieghel historiael 10, 94, 131, 227 –, Torec 10, 135 –, Historie van Troyen 3, 6, 110, 192 Jacoba, Pfalzgräfin bei Rhein 283 Jakob Püterich von Reichertshausen 23, 27, 199 Jan van Boendale, Brabantsche Yeesten 258 – Lekenspieghel 34 Jan van den Dale, De vre vander doot 282 Jan van Ruusbroec 3 – Geesteliken tabernakel 110

Personen- und Werkregister 

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Jason 77 Jason ende Hercules, 1521 75, 78−79, 82, 90 Jason ende Hercules, ca. 1525 81−82, 301 Jean de Meun und Guillaume de Lorris, Roman de la Rose 137, 143 Johan ǔz dem virgiere 33 Johann, Graf zu Blankenheim, Gerolstein, Jünckerath und Bettingen 263 Johann I. von Brabant 257−258 Johann II. von Brabant 257−258 Johann III. von Brabant 257−258 Johann von Dalberg 266, 275−276 Johann Gottfried 275 Johann III. von Heinsberg 259−260 Johann I. von Kleve 30 Johann von Luxemburg 259 Johann von Plieningen 275 Johann von Soest – Autobiographie 32, 183−184 – Dy gemein bicht 32, 58, 183−184 – Libellus salutis 32, 58, 271 – Margreth von Limburg 1, 10−11, 13−14, 20, 24, 26−36, 39−40, 43−47, 53, 57−63, 68−69, 92, 113, 157−201, 217−219, 229, 234, 255, 264, 266, 269, 277 – Eyn satzung wy dy mutter gotz maria on erbsond ontpffanghen ist 32, 270 – Sonn- und Festtagsgedichte 32, 184 – Wie men wol eyn statt regyrn sol 32, 268 Johann wacker doctor 271 Johannes Hartlieb, Alexander 270 Johannes Hispanus, Epistola ad Alexandrium 135 Julius Cesar 90 Justinian, Institutiones 274 Kamberger, Hans 276 Kampen, Isaac van 22 Kannewet, Joannes 2 Karl der Kahle 201 Karl der Kühne 248 Karrensuite 263−264, 267, 269, 273 Kattendijke Manuscript: siehe [hollant] De historie of die cronicke van hollant … Kemp, Pierre, Margreetje van Limburg 23, 50 Ketelaer, Nicolaus 2 Kitab Sirr al-asrar 135

344 

 Personen- und Werkregister

Koene, Barent 21 Koene, S. 22 Koene, W. 22 Koenen, Marie, De sage van Margreetje van Limburg 23, 50 Konrad von Megenberg, Buch der Natur 110 Konrad, Pfaffe, Rolantslied 192 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur 96, 115 Kuno von Manderscheid-Blankenheim 15, 260–262 Lainberger, Simon 276 Lancelot-compilatie 18, 253 Lancelot du lac 261 Lancelot en prose 253, 262 Lancelot, dt. Prosa 16, 70, 189, 267, 269, 273, 292 Lange, Jan de 22 Lanseloet van Denemerken 9, 94, 279 Lapidarijs 111−113 Lauber, Diebold 67 Lechler, Lorenz 276 Lecküchner, Hans, Kunst des Messerfechtens 270 Leempt, Gerard de 2 Leeu, Gheraert 47, 77, 84, 88, 90, 227, 278 Der goeder leiken reghel 55 Liesveldt, Witwe van 83, 88 Livius 275 Loher und Maller 261 Lorreinen, Roman der 258 Luder, Peter 266 Ludwig I. von Württemberg 27 Ludwig II., Landgraf von Niederhessen 30 Ludwig IV., Pfalzgraf bei Rhein 14, 16, 27, 268, 272 Ludwig V., Pfalzgraf bei Rhein 271, 275−276 Ludwig von Arenberg 281 Ludwig von Bayern 269 Ludwig von Eyb d. J., Kriegsbuch 270 Madelgijs 65 Maechden, Spiegel der 3 Mainzer Riesenbibel 269, 272−274, 293 Malagis 16, 33, 265, 267, 269 Malegijs 4, 63−65, 88

Mansion, Colard 248 Marbod von Rennes, Liber de gemmis 112 Margareta von Antiochien 96 Margarete von Brabant 258−259 Margarete von der Marck-Arenberg 263 Margarete von Savoyen 16 Margarete von Virneburg 260 Margaretha von Österreich 280 Margarethe von Bayern-Landshut 59−61, 178−179, 180, 185, 266, 270, 273 Margarieten van Limborch, 1516 5−6, 13−14, 20−23, 26, 36−44, 47−52, 63−67, 69−90, 201−255, 262, 279, 281, 291 Margarieten van Limborch, 1544 47, 246 Margriete van Limborch, Vers 5−7, 9−10, 13−14, 17−20, 24−28, 39−43, 53−57, 91−155, 157−170, 172−174, 176, 180, 186−205, 207−208, 216−219, 222, 236−240, 257−262 Margrietje van Limborch, Lied 50 Maria I. Tudor 280 Mariken van Nieumeghen 3, 84, 279−280 Marsilius von Inghen 271 Martens, Dirk 278 Martijn, Vierde 257 Mary of Nemmegen 77, 83 Matthias von Kemnat 271 Maximiliaen, Die wonderlijcke oorloghen van 72, 78−79, 81, 87 Maximilian, Kaiser 3 Mechthild von Rottenburg, Erzherzogin  15−16, 27, 199, 261, 264, 266−267, 273 Mechthild von Virneburg 260 Een devote meditacie 279 Meister des Amsterdamer Kabinetts: siehe Amsterdamer Kabinetts, Meister des Meister der Gauklerszene: siehe Gauklerszene, Meister der Meister der Genreszenen: siehe Genreszenen, Meister der Melanchthon, Philipp 271 Melchior von Daun zu Oberstein 260, 266 Mellibeus 282 Melusine, nl. 63, 278 Melusine, dt. 211, 232 Van sMenschen Sin en Verganckelijke Schoonheit 14



[Wiewol all] menschen 263, 270 Merlijn, nl. 88, 279 Merlin, fr. 261 Michault, Pièrre, Danse des aveugles 248 [Michault, Pièrre], Doctrinal du temps 248 Misch, Friedrich 270 Minnereden 267, 269 Mönch, Philipp, Kriegsbuch 270 Mort Artu 261 Muller, Ewoudt C. 21 Van Narcissus ende Echo 12, 202 Natuurkunde van het geheelal 244 Noot, Thomas van der 76, 88, 282 Ogier von Dänemark 16, 265, 267, 269 Ogier van Denemarken 3 Olyvier von Castillen 3, 47, 87−88, 90, 278, 281 Eyne kurcz ordenonge ... 85, 263, 270 Os, Gotfrid 85 Ovid 269 – Ars amatoria 143 – Metamorphosen 143 Int paradijs van Venus 23 Parijs ende Vienna 3, 88, 278, 281, 283 Parthonopeus van Blois 6, 96 Peeter van Provencen 4, 63, 72, 88, 248, 279−280 Percevael 3 Peter von Freisen 262 Peterszoon, Henrijck 83 Petrus Comestor, Historia scholastica 227 Philipp der Aufrichtige, Pfalzgraf bei Rhein  6, 16, 31−34, 58−59, 61−63, 177−180, 185−186, 199, 263−267, 271–277 Philipp, Sohn Philipps des Aufrichtigen  276 Philipp von Dalberg 276 Philipp der Gute 16 Philippus Tripolitanus, Epistula 135 – Secretum Secretorum 10, 137 Pleier, Tandareis und Flordibel 263, 269 Plinius 269 Poggio Bracciolini, De avaritia 274 Pontus und Sidonia 263, 265, 267

Personen- und Werkregister 

 345

Potter, Dirk, Der minnen loep 254 Putte, Hendrik van der 22 Pyramus und Thisbe 49, 70, 86, 280, 284 Rainald IV. 259−260 Raoul Lefèvre 77, 296, 299 Ratdolt, Erhard 271 Dat regiment der ghesontheyt 82 Reinfried von Braunschweig 7, 8, 59, 92, 118, 218 Reinolt von Montelban 13, 16, 265, 267, 269 Renout van Montelban 3−4, 114, 133 Reuchlin, Johannes, Oratio 271 Reynaerde, Van den vos 65 Reynaert die vos, 1479 14, 47, 63, 65, 88, 209 Reynaerts historie, Versroman 209 Reynaerts historie, ca. 1487−1490 47, 65, 88 Reynke de vos 71 Die reyse van Lissebone 76 Ridder metter swane: siehe Helias, Historie van den ridder metter swane Robrecht de duuele 282 Roelants, Jan 280 Rotcher Grummelkut 30 Rudolf Agricola 268, 271 Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens 99, 134, 261 Ruprecht I. 267 Sachsenspiegel 278 Sächsische Weltchronik 261 Sacramenten, Die vii 84 Sallust 275 Sandrijn ende Lantsloot 282 Der Scaepherders Kalengier 73, 86 Schelling, Konrad, In pustulas ... 282 Schinckel, Bruyn H. 24 Schlick, Arnold 268 Schöffer, Peter 67 Schott, Martin 271 Schreurs, Jacques, Het lied van den sluier  23, 50 – Het kind Margreet 23, 50 Seghelijn van Jerusalem 6, 9, 279 Segher Dientgotgaf, Tprieel van Troyen 9−10

346 

 Personen- und Werkregister

Seneca 161, 275 Severszoen, Jan 3, 63, 70, 74−75, 86−87, 282 Sibilla 88 Sidrac 143 Simon van Venlo, Boexken van der Officien ofte dienst der Missen 277 Speyerer Altars, Meister des 276 Spieghel historiael, 1515 47 Spieghel der Sonden 3 Spinrocke, Die evangelien vanden 282 Steiner, Heinrich 283 Stricker, Daniël von dem blühenden Tal 262 Strijt van Roncevale 3, 47, 63−64, 67, 85, 87, 231, 253, 279, 282 Stroobant, Paulus 24 Suster Bertken 278 Terenz 269 Tghevecht van minnen 282 Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum 110 Thomasin von Zerclaere, Der welsche gast 270 Tondalus vysioen 279 Treverorum, Gesta 262 Tristan, Tradition 116, 121−122, 124, 165−166 Troyen, Historie van 88 Troyen, Vergaderinghe 76−80, 88, 296, 299 Troyes, Recueil 78, 80 Tscep vol wonders 76 Turias ende Floreta, 1523 und 1554 88, 284 Twispraec der creaturen 90 Ulenspiegel 279 Ulrich von Etzenbach, Wilhelm von Wenden 7 Ulrich Fuetrer, Iban 227 Ulrich von Türheim, Rennewart 134 Von vnderweijsung ayner Christlichen Frawen 283 Vergil 269, 276 – Aeneis 10, 42−43, 103, 110, 123−124, 148, 192, 271−273, 276 – Bucolica 271−273, 276 – Georgica 271−273, 276

Verwey, Albert, Roman van Heinric en Margriete van Limborch 5−6, 118 Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale 94 Virdung, Sebastian, Musica getutscht 268 – Vorhersage für 1492 271 Virgilius, engl. 279 Virgilius, nl. 1, 77, 279 Vischer, Peter d. Ä. 276 Visio Tnugdali 12 Vives, Juan Louis 280−281, 283 – De institutione feminae christianae 280 Vlaenderen, Die Coronijcke van 75, 78−81, 83, 298, 300 Voeux du Paon 10, 139 voghelen vanghen, Dit boecxken leert hoemen mach 282 Volpert von Ders 272 Vorsterman, Willem 5−6, 20, 27, 36, 38, 69−88, 277−282, 291, 294, 298, 300 Walewein 9, 17, 150 Wendel Hussel 30 Wigoleis 66 Van den wijghe van Roncevale 251 Wilhelm I. von Loon 260 Wilhelm von Österreich 7−8, 225 Wilhelm von Virneburg 260 Willem van Holland 259 Wimpfeling, Jakob 271 – Agatharchia 271, 276 – Begräbnisrede Friedrich der Siegreiche 271, 276 – Gedenkschrift Marsilius 271 – De nuntio angelico 271 – Philippica 271, 276 Wirich VI. von Daun zu Oberstein 15, 260−262, 264, 273 Wirich, Sohn Wirichs VI. von Daun zu Oberstein 266 Wolfram von Eschenbach, Parzival 134, 154 – Willehalm 151, 262 Xenophon, Hieron-Dialog 271 Zeyssenmair, Lukas 283