152 70 11MB
German Pages 288 [292] Year 2000
Linguistische Arbeiten
417
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Räumliche Konzepte und sprachliche Strukturen Herausgegeben von Christopher Habel und Christiane von Stutterheim
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Räumliche Konzepte und sprachliche Strukturen / hrsg. von Christopher Habel und Christiane von Stutterheim. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Linguistische Arbeiten ; 417) ISBN 3-484-30417-0
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
VII
Christopher Habel und Christiane von Stutterheim Einleitung: Räumliche Konzepte und sprachliche Strukturen
1
Constanze Vorwerg und Gert Rickheit Repräsentation und sprachliche Enkodierung räumlicher Relationen
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Gabriele Janzen und Steffi Katz Die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung und ihr Ausdruck in der Sprache
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Heike Tappe Perspektivenwahl in Beschreibungen dynamischer und statischer Wegeskizzen
69
Mary Carroll Representing path in language production in English and German: Alternative perspectives on figure and ground
97
Isabel Compes Textfunktionen deiktischer Direktionalpartikeln im Samoanischen
119
Klaus Kessler Der Nutzen von Prozeßmodellen und Simulationen am Beispiel der Interpretation von Richtungspräpositionen
151
Rüdiger Harnisch Morphosemantik und Paradigmenstruktur von Lokaladverbien
181
Ralf Klabunde Semantik und Pragmatik dimensionaler Adverbien Annette
191
Leßmöllmann
Der Ball ist rund: Formadjektive und Objektkonzepte
217
VI
Inhaltsverzeichnis
Kai-Uwe Cars tense η Räumliche Mikroperspektivierung und die Semantik lokaler Präpositionen
237
Robin Hornig und Sylvia Wiebrock Deiktisch vor und Konsorten: Projizierte Bezugsysteme oder wegbasiertes Lokalisieren?
261
Vorwort
Der vorliegende Band geht auf die Arbeitsgruppe Räumliche Konzepte und sprachliche Strukturen, die von den Herausgebern im Rahmen der 20. Jahrestagung der Gesellschaft für Sprachwissenschaft 1998 in Halle durchgeführt wurde, zurück. Die Arbeitsgruppe verfolgte das Ziel, die Beziehungen zwischen sprachlichen Strukturen und Prozessen einerseits und räumlicher Kognition andererseits unter einer interdisziplinären Perspektive zu diskutieren. Eine derartige Integration sprachlicher und außersprachlicher Perspektiven hat für die internationale Linguistik raumbezogener Äußerungen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, wobei gerade die Linguistik in Deutschland an dieser Entwicklung maßgeblichen Anteil hat. Die Breite der linguistischen Forschung zur sprachlichen Beschreibung räumlicher Gegebenheiten spiegelt sich im Spektrum der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Arbeitsgruppe und somit im Spektrum der Beiträge des vorliegenden Buches wider. Die Zusammenhänge zwischen sprachlichen Strukturen und räumlichen Konzepten sind für Vertreterinnen und Vertreter der Theoretischen Linguistik, der Psycholinguistik und der Computerlinguistik von zentralem Interesse. Die integrative Kraft des Forschungsgebietes zeigt sich auch darin, daß die Arbeitsgruppe ein Forum für die Diskussion zwischen den DFGSchwerpunktprogrammen Raumkognition und Sprachproduktion und dem SFB 360 Situierte Künstliche Kommunikatoren (Bielefeld) bildete. Ausgehend von den Vorträgen wurden erste schriftliche Versionen erstellt, die dann in den folgenden Monaten durch die zum Sammelband beitragenden aber auch durch neu zu diesem Publikationsprojekt hinzustoßende Kolleginnen diskutiert und kommentiert wurden. Diese intensive Phase des interdisziplinären Diskurses hat dazu geführt, daß - zumindest in einigen Bereichen - eine weitere Integration verschiedener Ansätze erfolgen konnte. Zum Abschluß möchten wir den Beitragenden für ihre Mitarbeit danken, insbesondere für die Bereitschaft den Prozeß der interdisziplinären Diskussion über das Treffen in Halle hinaus weiterzuführen. Darüber hinaus geht unser besonderer Dank an Heike Tappe, die uns im Hinblick auf die wissenschaftlichen und organisatorischen Aufgaben der Herausgabe unterstützt hat sowie an Karin Colsman und Thitsady Khamphavong, die trotz großen Zeitdrucks von der ersten Bearbeitung der Texte bis zur endgültigen Erstellung der Druckvorlagen stets sorgfältig und gegenüber spezifischen Vorstellungen der Autoren geduldig ans Werk gingen.
Christopher Habel Christiane von Stutter he im
Christopher
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Räumliche Konzepte und sprachliche Strukturen - Eine Einleitung
Wenn wir über Dinge der gegenständlichen Welt sprechen, beziehen wir uns auf Entitäten, die an einem Ort lokalisiert sind, die in räumlichen Beziehungen zu anderen Entitäten stehen und die - unter gewissen Umständen - ihre Lage und die räumlichen Beziehungen zu anderen Dingen verändern können. Damit wir über räumliche Eigenschaften (wie etwa Form und Orientierung), Beziehungen (etwa relative Lage) oder Veränderung (z.B. Bewegung) sprechen können, müssen wir diese erfahren: Visuelle, auditive und taktile Reize, aber auch die Erfahrung unserer eigenen Bewegung im Raum (Propriozeption), fuhren dazu, daß wir eine räumliche Repräsentation aufbauen, die dann wiederum als Grundlage weiterer kognitiver Prozesse fungiert. Mit anderen Worten: Sprechen über die gegenständliche Welt setzt komplexe Übertragungsprozesse zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationen voraus. Der hier skizzierte Zusammenhang zwischen Raumvorstellungen und sprachlicher Struktur ist unter den verschiedensten Gesichtspunkten und von verschiedenen Disziplinen intensiv untersucht worden (Miller & Johnson-Laird 1976, Habel et al. 1989, Bloom et al. 1996, Buhl 1996, Denis 1997, Olivier & Gapp 1998). In der interdisziplinären Diskussion zu „Sprache und Raum" bildet sich gegenwärtig ein Konsens heraus, dessen linguistische Perspektive Jackendoff (1996, 1997) im Rahmen einer Konzeption repräsentationeller Modularität entwickelt hat: Konzeptuelle Strukturen, die einzelsprachunabhängig sind, bilden die Schnittstelle zwischen sprachlichen Strukturen einerseits und perzeptionsbzw. aktions-orientierten Repräsentationen andererseits. Wieviele und insbesondere welche Repräsentationsebenen bei Sprachrezeption und Sprachproduktion durchlaufen werden, welche spezifischen Prozesse zwischen den Repräsentationen vermitteln und welche Interaktionen zwischen den Prozessen bestehen, ist bisher nicht im Detail erforscht und dort, wo es erforscht ist, durchaus umstritten. Es erscheint sinnvoll, zumindest vier Hauptbereiche von Repräsentationen und Prozessen zu unterscheiden, die wir hier aus der Sicht der Sprachproduktion betrachten wollen (vgl. Levelt 1989). In einem ersten Schritt muss eine Verbindung zwischen der externen Welt und einer mentalen Repräsentation dieser Welt hergestellt werden. Dies geschieht in erster Linie durch Prozesse der visuellen Verarbeitung. Die so gebildete räumliche Repräsentation, deren Format als multimodal anzunehmen ist (Landau & Jackendoff 1993, Jackendoff 1996), bildet die repräsentationelle Grundlage, auf die bei einer entsprechenden Verbalisierungsintention zugegriffen wird. In einem zweiten Schritt, der Konzeptualisierung, wird auf der Grundlage der räumlichen Repräsentationen eine spezifische konzeptuelle Struktur gebildet, nämlich jene, die der gerade zu lösenden sprachlichen Aufgabe zugrundeliegt. Dafür verwenden wir im folgenden den Begriff konzeptuelle Repräsentation. In einem weiteren Schritt des Gesamtprozesses der Sprachproduktion wird diese konzeptuelle Struktur in eine sprachliche Struktur, den Text, überführt, die dann in einem letzten Schritt motorisch umgesetzt, d.h. artikuliert oder verschriftlicht wird. Wir betrachten den Text selbst als eine abstrakte Struktur, der von seiner medienspezifischen physikalische Realisierung zu unterscheiden ist. Der letzte Verarbeitungsschritt der Artikulation bzw. des Schreibens (in Alphabetschriften) weist vermutlich keine spezifischen Merkmale für die Verbalisierung von
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Raumkonzepten auf; er fallt damit auch aus dem Gegenstandsbereich dieses Buches heraus. Die drei vorausgehenden Verarbeitungsebenen stellen hingegen besondere Anforderungen an die Übertragung von räumlicher Information in eine sprachliche Darstellung. Dies wird im folgenden ausgeführt. Im Mittelpunkt steht dabei der zweite Schritt, die Übertragung einer multimodalen räumlichen Repräsentation, die Wissen über räumlich strukturierte Gegebenheiten enthält, in eine auf die Versprachlichung hin orientierte konzeptuelle Repräsentation. Weniger in den Bereich linguistischer als psychologischer Forschung fällt die erste Komponente des Gesamtprozesses, die den Aufbau multimodalen räumlichen Repräsentation umfaßt. Sie ist aber durchaus bei der Analyse von Sprachproduktionsprozessen mitzuberücksichtigen, da man annehmen kann - und dies wird in einigen der folgenden Beiträge empirisch erhärtet - , daß die Art, wie ein Sachverhalt wahrgenommen wird, Folgen für seine Versprachlichung hat. Das Wahrgenommene unterliegt bereits Prozessen der Selektion, der Perspektivierung und der Linearisierung. Allerdings ist noch zu wenig über die Prinzipien bekannt, nach denen kognitive Operationen auf Perzepten laufen und welche Rolle kulturunabhängigen, im menschlichen Perzeptions- und Kognitionsapparat verankerten Faktoren im Unterschied zu im weitesten Sinne kontextabhängigen Faktoren zukommt, um deren Einfluss auf die Versprachlichung beurteilen zu können. Auch die Frage, inwieweit diese Prozesse, die zunächst unabhängig von einer Verbalisierungsintention stattfinden können, bereits sprachspezifischen, möglicherweise sogar einzelsprachlichen Beschränkungen unterliegen, ist nicht annähernd als geklärt anzusehen. Für diesen Aspekt menschlicher Kognition herrscht derzeit in der Forschung eine universalistische Sicht vor, die jedoch durch neuere Untersuchungen aus der kognitiven Anthropologie durchaus in Frage gestellt wird (Pedersen et al. 1998). Das Ergebnis dieser bereits sehr komplexen perzeptuellen und kognitiven Prozesse bildet die Basisrepräsentation, auf die ein Sprecher zugreift, wenn er eine Redeintention gefasst hat. In diesem zweiten Schritt - häufig als erster Schritt des eigentlichen Sprachproduktionsprozesses aufgefaßt - muss das Wissen über räumliche Sachverhalte einer sprachbezogenen Verarbeitung unterzogen werden; es findet, in den Worten Jackendoffs (1996: 3) eine Übertragung einer spatial representation in eine conceptual structure statt. Die Anforderungen, die damit verbunden sind, sollen im folgenden in ihren wesentlichen Zügen skizziert werden. Geht man der Einfachheit halber von einer bildhaften, quasi objektiven Repräsentation einer räumlichen Konstellation im Arbeitsgedächtnis aus, so muss für die Versprachlichung über eine Vielzahl von Konzeptualisierungsoptionen entschieden werden. Wir betrachten zunächst die Anforderungen, die mit einer einzelnen Lokalisation verbunden sind und kommen dann auf weitere Bedingungen, die bei Lokalisationssequenzen erfüllt werden müssen, zu sprechen. Im Schritt der Selektion muss der Sprecher aus seiner mentalen Repräsentation ein Objekt auswählen, das er lokalisieren möchte {Thema) und ein weiteres, gewöhnlich als bekannt vorausgesetztes (Relatum), relativ zu dem die Lokalisation des Themas erfolgt. Für die Konzeptualisierung der räumlichen Relation muss eine Perspektivenwahl getroffen werden, von der im Falle räumlicher Gegebenheiten eine Reihe unterschiedlicher Komponenten abhängig sind. Hierzu zählt die Option, Sachverhalte unter statischer oder dynamischer Perspektive zu präsentieren. Je nach Aufgabentyp kann der jeweils nicht gewählte Aspekt Inferenzprozessen auf seiten des Hörers überlassen bleiben. Perspektivenabhängig
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ist des weiteren die Wahl eines Referenzrahmens. Di£ Entscheidung für eine deiktisch oder intrinsisch verankerte Lokalisation ist nicht sachverhaltsbedingt, sondern eine Option, die im Prozess der Konzeptualisierung entschieden werden muss. Auch die Zuweisung der Rollen Relatum oder Thema zu den einzelnen Objekten ist perspektivenabhängig, d.h. unterliegt Prinzipien, die sich nicht zwingend aus den Eigenschaften der primären räumlichen Repräsentation ergeben. Besteht die kommunikative Aufgabe darin, eine Lokalisationssequenz zu produzieren, wie beispielsweise im Falle einer Wegbeschreibung, so ist neben den genannten Aufgaben weiteren Anforderungen zu genügen. Der Sprecher muss die Linerarisierungsaufgabe lösen, eine für die Versprachlichung räumlichen Wissens möglicherweise sehr schwierige Aufgabe (vgl. Levelt 1989). Damit in Verbindung steht die Kontrolle über den Informationsstatus der geplanten Objektreferenzen. Der Fluss der thematischen Progression, der einen akzeptablen und verständlichen Text auszeichnet, verlangt eine prinzipiengeleitete Verkettung von Topik- und Fokuskomponenten. Was für die Einzellokalisation nicht von Bedeutung ist, stellt für Lokalisationssequenzen eine zentrale Anforderung dar: die Wahrung des Konsistenzprinzipes, mit anderen Worten, die Funktionseinbindung der im einzelnen selegierten Objekte und Raumkonzepte auf der Grundlage von den gesamten Text übergreifenden Prinzipien der Informationsorganisation. Die Fragen, die sich im Zusammenhang der genannten Phänomene ergeben, betreffen in erster Linie die steuernden Prinzipien, die den Prozessen der Selektion, Perspektivierung und Linearisierung zu Grunde liegen. Unter anderem ist zu klären, welche Rolle den spezifischen Eigenschaften der primären räumlichen Repräsentation zukommt, inwiefern systematische Zusammenhänge zwischen Konzeptualisierungsregularitäten und der jeweiligen Kommunikationssituation (Aufgabenstellung, Hörermodell etc.) festzustellen sind und welchen Stellenwert einzelsprachliche Beschränkungen in der Konzeptualisierung besitzen. Fragen dieser Art, festgemacht an Detailproblemen räumlicher Konzeptualisierung, stehen im Zentrum einiger Aufsätze des vorliegenden Bandes. Ist eine konzeptuelle Struktur aufgebaut, so folgt hierauf die Übertragung in ein sprachliches Format. Sprecher müssen das ihnen zur Verfügung stehende einzelsprachliche Repertoire morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Mittel für die Versprachlichung der jeweiligen Raumkonzepte heranziehen (Klein 1991). Interessant ist hier z.B. die Frage, inwieweit einzelsprachliche Strukturen - semantisch und syntaktisch - der Konzeptualisierung von Raumrelationen Beschränkungen auferlegen. Um dieser Frage empirisch nachgehen zu können, müssen zunächst exakte einzelsprachliche Beschreibungen vorliegen, die das Formeninventar nicht unter formalen, sondern unter begrifflichen Gesichtspunkten systematisch erfassen. Eine solche Analyse einzelsprachlicher Systeme im Hinblick auf die darin gefasste Begrifflichkeit räumlicher Kategorien und Relationen wird in einigen Beiträgen diese Bandes geleistet. Die Aufsätze des vorliegenden Bandes gliedern sich entsprechend der Zuordnung ihrer Analyseschwerpunkte zu den einzelnen Komponenten des Produktionsprozesses in drei Gruppen: (A) Arbeiten, die sich mit den kognitiven Prozessen beim Aufbau einer Raumrepräsentation aus einer visuell wahrnehmbaren Objektkonfiguration befassen (Vorwerg & Rickheit und Katz & Janzen). (B) Arbeiten, die die Übertragung einer komplexen räumlichen Repräsentation in eine komplexe sprachliche Struktur betreffen (Tappe, Carroll, Compes), bzw. am Beispiel der Simulation des Versteheiiis von Richtungspräpositionen die Beziehung zwischen einer sprachlichen Äußerung und einer internen netzartigen Repräsenta-
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tion behandeln (Kessler), und schließlich (C) Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen Sprachstruktur und Raumkonzepten unter sprachsystematischen Aspekten beleuchten (Carstensen, Harnisch, Hörnig & Wiebrock, Klabunde, Lessmöllmann).
(A) Determinanti«! kognitiver Prozesse bei der Übertragung visuellen Inputs in räumliche Repräsentationen
C. Vorwerg & G. Rickheit beschäftigen sich in ihrem Aufsatz Repräsentation und sprachliche Enkodierung räumlicher Relationen mit der Frage, welche kognitiven Prozesse der Verwendung von Richtungsausdrücken bei einer gegebenen Lokalisationsaufgabe vorausgehen müssen. Im Zentrum stehen dabei diejenigen Verarbeitungsschritte, die das kognitive Bindeglied zwischen Perzeption und Sprache darstellen. Dabei werden die folgenden Erfordernisse als die begrifflich grundlegenden identifiziert. Es müssen konzeptuelle Kategorisierungen getroffen werden, für die die Verankerung im Rahmen eines Bezugssystems konstitutiv ist. Für die Versprachüchung von Raumrelationen relevante Dimensionen - ausgezeichnet durch das gewählte Bezugssystem - sind insbesondere Distanz und Richtung. Anhand experimenteller Studien von Einzellokalisationen beschreiben die Autoren Regularitäten bei der Wahl spezifischer Raumkonzepte. Diese verweisen zum einen auf Prinzipien, die möglicherweise in der Perzeption verankert sind (z.B. die nachgeordnete Rolle der sagittalen Achse), zum anderen auf Kontextbedingungen. Letztere fuhren dazu, daß die Kategorisierungen räumlicher Relationen stark variieren. Die Autoren schließen daraus, daß es keine sprachlichen Einschränkungen für die Wahl spezifischer Kategorisierungen im Bereich der Raumrelationen gibt, vielmehr lassen sich die beobachteten Muster als Kontexteffekte, die im besonderen dem Konsistenzprinzip geschuldet sind, erklären. Geht es bei Vorwerg & Rickheit um statische Lokalisationen, so betrachten G. Janzen & S. Katz in ihrem Beitrag Die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung und ihr Ausdruck in der Sprache dynamisches Geschehen im Raum. Was veranlasst Menschen, die Wahrnehmung von Bewegungsereignissen als Eigen- oder als Fremdbewegung zu deuten, und wie kann man sich die mentale Repräsentation dieser Eindrücke vorstellen. Es zeigt sich, daß für die Unterscheidung von Fremd- und Eigenbewegung der Strukturiertheitsgrad des Hintergrundes - im Sinne einer Figur/Grund-Struktur - eines Bewegungsereignisses entscheidend ist. Die Verschiedenheit der mentalen Repräsentation dieser beiden Bewegungstypen korrespondiert zur unterschiedlichen Verarbeitung von Blickpunkten (Blickpunktkonstanz versus Blickpunktsequenz). Vor diesem Hintergrund wird dann anhand einer experimentellen Untersuchung die sprachliche Darstellung von Bewegungsereignissen analysiert. Im Vordergrund stehen zwei Aufgaben, die beim Aufbau einer konzeptuellen Struktur zu lösen sind: die Wahl einer Origo und die Entscheidung fur eine bestimmte lineare Folge. Die Autorinnen können zeigen, daß der Aufbau der konzeptuellen Struktur sowie die sprachliche Beschreibung (Bezugnahme auf einen imaginären Wanderer bei angenommener Eigenbewegung) in Abhängigkeit vom Bewegungstyp (Eigen-/Fremdbewegung) variieren.
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(B) Übertragungprozesse zwischen räumlicher Repräsentation und konzeptueller Struktur
In der Untersuchung von H. Tappe geht es um die Transformation piktorieller räumlicher Repräsentationen in natürlichsprachliche Texte. Im Zentrum der Studie Perspektivenwahl in Beschreibungen dynamischer und statischer Wegeskizzen steht die Frage der Wahl einer räumlichen Perspektive bei der Versprachlichung räumlich komplexer Situationen. Dieser Frage wird auf der Grundlage empirischen Materials nachgegangen, das unter zwei für die Wahl räumlicher Perspektiven relevanten Gesichtspunkten variiert wurde: Zum einen ist dies der Kontrast dynamisch/statisch, der durch die Versprachlichung von dynamisch präsentierten Skizzenentstehungsprozessen versus statischen Wegeskizzen induziert wurde. Zum anderen wurde das Verhältnis Perzeption-Versprachlichung variiert, indem Sprecher sowohl die Skizzenentstehungsereignisse als auch die statischen Skizzen online bzw. offline verbalisieren sollten. Die in der Wahl spezifischer sprachlicher Mittel zum Ausdruck gebrachte Perspektivierung wird für die Texte - unter Bezugnahme auf eine Studie von Taylor & Tversky (1996) - im Hinblick auf die drei Perspektiventypen betrachterrelational, landmarkenrelational und umgebungsrelational, differenziert erfasst. Die Auswertungen ergeben, daß keine Sprechergruppe eine konsistente Perspektivenwahl getroffen hat. Vielmehr zeichnen sich alle Texte durch Perspektivenwechsel aus. Allerdings zeigt sich insofern ein modalitätsspezifischer Effekt, als dynamisch präsentierte Skizzen überwiegend in der Form von Routenbeschreibungen, die sich in Form von direktionalen Raumangaben, Zeitadverbien und dem Konstrukt des imaginären Wanderers manifestieren, verbalisiert wurden. M. Carroll geht in ihrer Untersuchung Representing path in language production in English and German: Alternative perspectives on figure and ground der Frage nach, ob Sprecher unterschiedlicher Sprachen räumlich strukturierte Situationen in unterschiedlicher Weise konzeptuell verarbeiten. Anhand deutscher und englischer Texte (Filmnacherzählungen) wird untersucht, mit welchen Raumkonzepten ein und derselbe Sachverhalt in Sprache umgesetzt wird. Dabei ergeben sich unterschiedliche Präferenzen, die auf die Wahl unterschiedlicher Perspektiven zurückgeführt werden können. Sprecher des Englischen präferieren die statische Perspektive einer motion in place, während die deutschen Sprecher überwiegend eine dynamische Perspektive wählen, die als goal based bezeichnet wird. Die Autorin bringt diesen Gegensatz in der Konzeptualisierung räumlicher Gegebenheiten in einen Zusammenhang mit sprachstrukturellen Kontrasten zwischen den beiden Sprachen. Unter Bezugnahme nicht nur auf räumliche, sondern auch auf zeitreferentielle Ausdrucksmittel kommt die Autorin zu der Schlussfolgerung, daß grammatikalisierten konzeptuellen Kategorien (wie der Kontrast Position-Ziel durch das Kasussystem im Deutschen oder der Aspektkontrast im Englischen) für die Wahl einer Perspektive und damit für bestimmte Konzeptualisierungspräferenzen eine zentrale Funktion zukommt. Der Schwerpunkt der Untersuchung von I. Compes zu Textfunktionen deiktischer Direktionalpartikeln im Samoanischen liegt im Bereich der Funktionalität räumlicher Kategorien für den Aufbau narrativer Texte. Am Beispiel von lokaldeiktischen Direktionalpartikeln im Samoanischen wird aufgezeigt, daß räumliche Konzepte nicht nur der Lokalisation von Objekten im konkreten Sinne dienen können, sondern auch der Lokalisation und Perspekti-
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vierung von sprachlich erzeugten Welten im Rahmen komplexer Textstrukturen. Als Datengrundlage dienen samoanische Erzählungen. Um den Zusammenhang von räumlichen Konzepten und Textorganisation aufzeigen zu können, wird zunächst ein Überblick über das entsprechende Ausdrucksinventar des Samoanischen gegeben. Dabei werden die begrifflichen Kategorien der Direktionalität und der damit notwendigen Etablierung eines Referenzrahmens, also die Wahl einer Perspektive, besonders hervorgehoben. Exemplarisch wird dann an zwei Texten herausgearbeitet, daß die Sprecher die raumdeiktischen Ausdrucksmittel heranziehen, um makrostrukturelle Eigenschaften von Texten (Segmentierung, Kontinuität und Diskontinuität von Topikelementen) zu kennzeichnen. Im Beitrag von K. Kessler geht es - unter einer methodologischen Perspektive - darum zu prüfen, welchen Nutzen eine sprachpsychologische Sichtweise von Sprachverwendung gegenüber klassisch linguistischen Ansätzen bietet. Im Unterschied zur traditionellen Analyse sprachlicher Systeme wird hier eine Prozessperspektive gewählt, die sprachliche Formen als einen Typ von Repräsentationen betrachtet, die in den Rahmen dynamischer Manipulationen interner Repräsentationen im Verlauf von Sprachrezeption eingebunden sind. Eine optimale Umsetzung dieser generellen Überlegungen sieht der Autor in Prozessmodellen, welche aufgrund der Komplexität des Gegenstandes nur durch eine konkrete Realisierung auf dem Computer und durch anschließende Simulationen auf interne Konsistenz hin evaluiert werden können. Der Erklärungswert dieses allgemeinen Modells wird an einem rekurrenten lokalen konnektionistischen Computermodell der Interpretation von vor, hinter, links und rechts demonstriert. Die empirische Basis bilden experimentelle Befunde zur Auswirkung der sozialen Situation auf den Rezeptionsprozess von Richtungspräpositionen, Befunde zum kognitiven Aufwand bei Perspektivenprojektionen sowie neuropsychologische Ergebnisse zur Repräsentation räumlicher Gegebenheiten. Die konkrete Simulation zeigt, daß die Ergebnisse, die im Rahmen unterschiedlicher Paradigmen gewonnen wurden, in einem einheitlichen Modell synthetisiert werden können.
(C) Sprachsystematische Analysen zum Zusammenhang von Sprachstruktur und Raumkonzepten
R. Harnisch zeigt in seiner diachron angelegten Analyse von Lokaladverbien des Deutschen, wie sich die Systematik räumlicher Konzepte im Laufe der sprachhistorischen Entwicklung in sprachlichen Strukturen niederschlägt, so daß im Resultat ein systematisches lokomorphologisches Paradigma entsteht. Untersucht wird dies für direktionale und lokative Adverbien des Deutschen. Der Autor zeigt auf, daß im Althochdeutschen in diesem semantischen Feld sowohl Synonymien als auch Homonymien vorliegen. Im Mittelhochdeutschen finden sich die ersten Konsequenzen von Synonymenvermeidung und Homonymenflucht. Der Entwicklungsverlauf bis ins Neuhochdeutsche lässt erkennen, daß wortstrukturelle Positionen systematisch mit räumlich semantischen Kategorien verbunden werden. Kategorien, die in diesem Sinne morphologisch ihren Niederschlag finden, sind Sprecherperspektive, Lokativ/Direktional, Polarität entlang der Dimensionsachsen und topologische Relationen.
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R. Klabunde untersucht in seinem Beitrag Semantik und Pragmatik dimensionaler Adverbien einen Ausschnitt des raumreferentiellen Lexikons, der bisher in den semantischen Analysen eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Zwei Aspekte stehen dabei für den Autor im Vordergrund: zunächst geht es um eine semantische Beschreibung dimensionaler Adverbien in kritischer Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung. Der Autor schlägt eine semantische Repräsentation vor, bei der - im Unterschied zur Semantik von Präpositionen - das Relatumobjekt existentiell gebunden ist. Die semantische Struktur lässt sich um pragmatische Bedingungen erweitern, die empirisch im Rahmen von Textproduktionsprozessen untersucht werden. Die Grundlage für die pragmatischen Analysen bilden natürlichsprachliche Texte (Dorfbeschreibungen). Zur angemessenen Verwendung dimensionaler Adverbien ist nicht nur erforderlich, daß das Referenzobjekt für den Hörer identifizierbar ist, es muss auch einen hohen Aktivationsstatus im Rahmen des aktuellen Diskursmodells besitzen. Ausgehend von den so ermittelten semantischen und pragmatischen Bedingungen wird ein dekompositionelles Modell des lexikalischen Abrufs während der Sprachproduktion formuliert. An einem ausgewählten Fall, dem Formadjektiv rund, behandelt A. Lessmöllmann die Beziehung zwischen der Semantik von Formadjektiven und Objektkonzepten, auf die sich ein derartiger sprachlicher Ausdruck anwenden lässt. Formadjektive nehmen Bezug auf ausgezeichnete räumliche Formeigenschaften von Objekten. Wie kann man dies in einer exakten semantischen Beschreibung erfassen? Ist es - wie vielfach angenommen wird - der Fall, daß solche Adjektive nicht polysem sind und jeweils kontextabhängig gedeutet werden? Im Rahmen einer detaillierten Diskussion vorliegender Beschreibungsansätze und auf der Grundlage einer umfassenden semantischen Analyse der Kompatibilitätsbedingungen für (rund + Objekt)-Verbindungen entwickelt die Autorin eine auf einem geometrischen Algorithmus basierende, merkmalbezogene semantische Beschreibung des Adjektivs rund. Damit wird ein monosemes Konzept für rund geliefert, dessen besondere Interpretation durch die Verbindung mit unterschiedlichen Objektkonzepten zustande kommt. Die Selektionsbeschränkungen, die sich aus der Semantik des Adjektivs ergeben, lassen auch die Voraussage inakzeptabler Anwendungen des Adjektivs zu. K.-U. Carstensen entwickelt in seinem Beitrag Räumliche Mikroperspektivierung und die Semantik lokaler Präpositionen einen neuen Ansatz zur semantischen Beschreibung von Raumpräpositionen. Im ersten Teil der Arbeit werden vorliegende semantische Theorien diskutiert, die für die Charakterisierung lokaler Präpositionen rein räumliche und/oder funktionale Eigenschaften der beteiligten Objekte berücksichtigen. Diese Ansätze können nicht befriedigend erklären, warum bestimmte räumliche Relationen mit bestimmten Objekten verbunden werden. Neben methodischen Problemen der Zirkularität und ontologischen Problemen der Regionslokalisierung werden auch formale Probleme des Repräsentationsalgorithmus diskutiert. Für die Lösung dieser Probleme wird ein kognitionsbasierter Ansatz entwickelt, der neben räumlichen Kategorien Aspekte der Wahrnehmung räumlicher Situationen - insbesondere der Aufmerksamkeit - einbezieht. Entscheidend sind hierfür diejenigen Parameter, die die Auswahl für relevant erachteter Information steuern. Hierzu zählen der Aufmerksamkeitswechsel, räumliche Objekteigenschaften, Referenzrichtung, Bezug auf Referenzachsen und Referenzrahmen. Die Belegung dieser Parameter im konkreten Fall der Lokalisation wird als ein Fall der Mikroperspektivierung gefasst. Die theoretische Konzeption wird anhand einzelner Präpositionen illustriert, für die in Form frame-artiger Merkmalsbelegungen semantische Beschreibungen geliefert werden.
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R. Hörnig & S. Wiebrock betrachten in Deiktisch ,vor' und Konsorten: Projizierte Bezugssysteme oder direktionales Lokalisieren den Zusammenhang zwischen sprachlicher Form und räumlichen Konzepten aus der Sicht des Textverstehens. Im Zentrum steht dabei die Frage, w i e aus der Verwendung eines lokalsemantischen Ausdrucks hörerseitig ein mentales Modell der jeweiligen Objektanordnung aufgebaut wird. Als entscheidend wird hierfür die Wahl eines Bezugssystems angesehen. Betrachtet werden die Formen vor, hinter, rechts von, links von für deren Interpretation deiktische und intrinsische Verankerung möglich ist. Im Unterschied zur Annahme projizierter Bezugssysteme im Zusammenhang mit der Erklärung raumdeiktischer Kategorien schlagen die Autoren vor, deiktisches und intrinsisches Lokalisieren als konzeptuell unterschiedliche Prozesse zu fassen. Deiktischem Lokalisieren mit projektiven Präpositionen liegt nach dieser Sichtweise ein Wegkonzept zugrunde, während intrinsisches Lokalisieren auf Objekteigenschaften zugreift.
Literatur
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit Repräsentation und sprachliche Enkodierung räumlicher Relationen*
Um die Lage eines Objekts 1 im R a u m sprachlich ausdrücken zu k ö n n e n , ist es erforderlich, interne räumliche Repräsentationen auf lokalisierende Ausdrücke abzubilden. W ä h r e n d die Dimensionen des R a u m e s kontinuierlich variieren, stellt uns die Sprache diskrete Mittel zu ihrer Beschreibung zur V e r f ü g u n g . Die Abbildung räumlicher auf sprachliche Repräsentationen beinhaltet daher i m m e r eine Kategorisierung, d.h. eine Z u o r d n u n g zu einer Kategorie, welche mit einem A u s d r u c k der Sprache verknüpft ist (Vorwerg & Rickheit, 1999b). Bei einer solchen Kategorisierung werden unterschiedliche Entitäten (z.B. R a u m l a g e n ) in bestimmter Hinsicht als äquivalent behandelt. Kategorisierungen erfolgen auf der Grundlage mentaler Repräsentationen, welche als Konzepte bezeichnet werden. Die Lage eines O b j e k t s im R a u m betrifft einerseits seine Orientierung (Ausrichtung) im Raum (sofern es sich nicht u m Punkt, Kreis bzw. Kugel handelt), andererseits seine Position (Ort, Lokation). Die Position eines Objekts wird in Relation zu anderen Objekten w a h r g e n o m m e n wie auch sprachlich wiedergegeben u n d ist durch Richtung u n d Distanz (Entfernung) spezifiziert. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den kognitiven Prozessen, die der B e n e n n u n g von Richtungs- und Distanzrelationen zugrunde liegen. Die Orientierung wird dabei insofern berücksichtigt, als sie in W a h r n e h m u n g u n d B e n e n n u n g Parallelen zur R i c h t u n g aufweist (ebenso w i e es Parallelen zwischen der W a h r n e h m u n g wie auch B e n e n n u n g von Distanz und Länge gibt). Im folgenden wird zunächst ein Überblick über Raumrelationen ( / ) u n d sprachliche Mittel ihrer Spezifikation (2) gegeben. U m erklären zu können, wie beide aufeinander abgebildet werden, ist es erforderlich, konzeptuelle Kategorisierungsprozesse als kognitives Bindeglied zwischen Perzeption und Sprache zu untersuchen. Die Kategorisierung von Objektattributen erfordert Vergleichswerte - Bezugssysteme, in Relation zu denen die A u s p r ä g u n g einer Attributdimension beurteilt werden kann (5). In diesem Sinne lassen sich räumliche Bezugssysteme, ohne die eine Beurteilung der räumlichen Lage eines O b j e k t s unmöglich ist, als Spezialfall kategorialer Bezugssysteme auffassen (4). Variabilität in der Verwendung räumlicher Bezugssysteme beim sprachlichen Lokalisieren besteht nicht nur zwischen verschiedenen Einzelsprachen, sondern auch intrakulturell (inter- oder intraindividuell). Da es in vielen Untersuchungen u m Trends und bedingungsabhängige Mittelwert- oder Häufigkeitsunterschiede geht, wird diese Tatsache gern übersehen, o b w o h l eine Vielzahl empirischer Befunde dazu vorliegt (5). Für die Kategorisierung von Raumrelationen bei einem b e s t i m m t e n Bezugssystem konnten Faktoren identifiziert werden, deren Kenntnis es Das Projekt „Interaktion sprachlicher und visueller Informationsverarbeitung" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 360 „Situierte Künstliche Kommunikatoren". Ein Objekt muß in diesem Zusammenhang nicht unbedingt ein physikalischer Gegenstand sein. Als kognitives Objekt in diesem Sinne kann jede wahrgenommene Entität dienen, deren Lage im Raum identifiziert werden kann (so z.B. auch eine Ziffer, eine Linie, ein Kratzer, ein Knick im Papier, der Horizont, ein Gebäude, eine Baumgruppe, der eigene Körper, der Kopf etc.).
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Constanze
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Rickheit
erlaubt, die Wahrscheinlichkeit der Benennung einer Raumrelation mit einem bestimmten lokalisierenden Ausdruck zu prädizieren (6). Die Ergebnisse zur Kategorisierung von Raumrelationen und Verwendung von Bezugssystemen wie auch die gefundenen Korrespondenzen zwischen Raumwahrnehmung und Raumsprache (welche als perzeptiv-kognitive Constraints der Sprachverwendung interpretiert werden können) lassen Schlüsse auf das Verhältnis von Raumkognition und Sprache zu, welche abschließend diskutiert werden (7).
1 R ä u m l i c h e Relationen
Räumliche Objektrelationen betreffen zum einen die Distanz, in der sich ein Objekt von einem bestimmten Ort befindet, zum anderen die Richtung, in der es sich von einem bestimmten Ort befindet. Durch Distanz und Richtung ist die Position eines Objekts - physikalisch und perzeptiv - vollständig spezifiziert. Man kann sich dies in Vektordarstellung etwa so vorstellen, daß die Position sich aus Richtung und Betrag eines Ortsvektors2 zusammensetzt. Die Festlegung von Richtungen kann nur mit Hilfe eines Bezugssystems erfolgen (vgl. Abbildung 1-1).
Abbildung 1-1: Festlegung der Richtung in Abhängigkeit vom Bezugssystem. Es ergibt sich aus drei zueinander orthogonalen Achsen, welche als fest angenommen werden.
Abbildung 1-2: Richtung und Distanz: Die Position eines Punktes Ρ ist durch den Richtungswinkel α und den Betrag |a| des Ortsvektors 0P gegeben,
Die Origo (der Koordinatenursprung) eines solchen Bezugssystems ist durch das Objekt gegeben, in Relation zu dem das intendierte Zielobjekt lokalisiert wird. Dieses Objekt wird als Relatum oder Referenzobjekt bezeichnet. Bezüglich einer durch ein Relatum gegebenen Origo ist jeder (als Punkt approximierten) Position eines Objekts im Raum eindeutig ein Ortsvektor, d.h. eine Richtung und eine Distanz (als Betrag des Vektors), zugeordnet. Die Richtung kann durch die Richtungswinkel angegeben werden, die der Ortsvektor mit den 2
V o m Koordinatenursprung ausgehende Vektoren mit der physikalischen Dimension . L ä n g e ' heißen in der Vektorrechnung Ortsvektoren.
Repräsentation
und sprachliche
Enkodierung
räumlicher
Relationen
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Koordinatenachsen einschließt. (Im zweidimensionalen Bezugssystem reicht ein Richtungswinkel zur eindeutigen Richtungsbestimmung aus, im dreidimensionalen Bezugssystem zwei Richtungswinkel, da sich jeweils ein Winkel subtraktiv ergibt.) Die interne Repräsentation von Richtung und Distanz ist für eine Vielzahl kognitiver Operationen notwendig, z.B. zur Wahrnehmung und zur Steuerung von Bewegungen (von Gliedmaßen oder des Körpers), zur Beurteilung der Position oder Ortsveränderung anderer Objekte oder auch zur Navigation in größeren Räumen. All diese kognitiven Operationen zur Bestimmung von Richtung, Distanz, Orientierung, Geschwindigkeit, Beschleunigung etc. erfordern Bezugssysteme (siehe 4). Unter einem Bezugssystem verstehen wir eine Menge von Werten, zu denen ein zu beurteilender, wahrgenommener, erinnerter oder vorgestellter Wert in Beziehung gesetzt werden kann. So müssen beim Greifen nach einem gesehenen Gegenstand visuelle Lokalisation (inklusive Steuerung der Augenbewegungen) und Greifbewegung aufeinander abgestimmt werden (vgl. Arbib, 1991). Zur Steuerung der Handbewegung muß die Position der Hand egozentrisch (in Relation zum eigenen Körper) lokalisiert werden. Um auch das intendierte Objekt im egozentrischen Bezugssystem lokalisieren zu können, müssen die verschiedenen Repräsentationen des egozentrischen ,Greifraumes' und des visuellen ,Objektraumes' koordiniert werden (vgl. Paillard, 1990). Als Bezugswert für die visuelle Lokalisation kann die Blicklinie bei Fixation eines Gegenstands in Verrechnung mit Augenstellung und Kopfhaltung dienen; zur Entfernungsbestimmung können beispielsweise Erfahrungswerte der Konvergenz der Sehachsen beider Augen genutzt werden. Während die wahrgenommene Distanz in Abhängigkeit von der Strukturierung des Sehraumes und vom verwendeten Relatum (eigene Position versus anderes Objekt) Venzerrungen unterworfen ist, wird die Wahrnehmung der Richtung im allgemeinen als annähernd veridikal betrachtet (Loomis, Da Silva, Philbeck & Fukusima, 1996). Dies kann auf die Verwendung perzeptiv salienter und in der kognitiven Repräsentation hervorgehobener Werte bei der Richtungswahrnehmung zurückgeführt werden, welche bei der Distanzwahrnehmung nicht zur Verfügung stehen. Dieser Unterschied kann auch die qualitative Distinktheit unterschiedlicher Richtungen in der Wahrnehmung erklären, welche ebenfalls bei der Distanz nicht zu finden ist. Wir gehen auf diese Punkte in den Abschnitten 3 und 4 näher ein. Eine weitere Besonderheit von Richtungsrelationen besteht in ihrer Blickpunktabhängigkeit. Die Position des Betrachters (sein physikalischer Standort) bestimmt, welchen Richtungswinkel die Achse des Bezugssystems (z.B. die Blicklinie) und der relatumbezogene Ortsvektor des intendierten Objekts einschließen. Verändert sich der Blickwinkel des Betrachters, so ändert sich auch der Richtungswinkel. Die Distanz zwischen beiden Objekten ist dagegen unabhängig vom Blickpunkt des Betrachters (vgl. z.B. O'Keefe & Nadel, 1978). Die Blickpunktabhängigkeit der Richtungswahrnehmung wird von der Sprache reflektiert. Die Verbalisierung der Richtung, in der sich ein Objekt befindet, wie auch das Verstehen einer Richtungsangabe erfordern die Berücksichtigung des Blickpunktes, von dem aus über eine Raumkonfiguration gesprochen wird (vgl. Herrmann, 1990). So kann ein Gegenstand, der vom Sprecher aus gesehen vor einem Stuhl liegt, sich gleichzeitig vom Hörer aus gesehen hinter ihm befinden. Vom Stuhl aus betrachtet, könnte er links liegen, und von der Eingangstür aus z.B. rechts. Während eine Aussage wie ,Sie steht am Fen-
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
ster. ' unabhängig vom Blickpunkt des Betrachters ist, hängt es vom gewählten Blickpunkt ab, ob ,vor dem Fenster' oder ,hinter dem Fenster' zutreffend ist. Beim sprachlichen Lokalisieren eines Objektes wird der wahrgenommenen (oder erinnerten etc.) Richtungs- oder Distanzrelation einer von wenigen in der Sprache zur Verfugung stehenden lokalisierenden Ausdrücken zugeordnet. Bevor wir uns mit den dazu erforderlichen Kategorisierungsprozessen und den ihnen zugrunde liegenden Bezugssystemen beschäftigen, stellen wir im folgenden Abschnitt einige empirische Befunde zur Verwendung lokalisierender Ausdrücke beim sprachlichen Lokalisieren vor.
2 Sprachliche Mittel der Objektlokalisation
Beim sprachlichen Lokalisieren eines Objektes werden sowohl Richtungs- (z.B. vor, dahinter) als auch Distanzangaben (z.B. bei, nahe) verwendet. Auch Kombinationen von Richtungs- und Distanzangaben in einer sprachlichen Äußerung kommen vor (z.B. ,nah vor') ebenso wie Kombinationen verschiedener Richtungs- (z.B. ,rechts oberhalb ") oder Distanzangaben (z.B. ,nah bei'). Die sprachlichen Mittel der Raumreferenz sind vielfältig. In Ortsangaben wird die räumliche Relation eines intendierten Objekts zu einem Relatum (mitunter auch mehreren: z.B. zwischen) im Deutschen häufig durch Adverbien (z.B. abseits, innen, hinten, links, dort, hindurch, mittendurch), Präpositionen (z.B. bei, an, neben, fern, nah, links, auf, hinter, durch, oberhalb, außerhalb) oder Präpositionaladverbien als Proformen für Präpositionalphrasen (z.B. dahinter, daneben, dazwischen, darin, dabei, dran) ausgedrückt. Ebenso können Nomina (z.B. zu meiner Linken; in deiner Nähe, an der Seite), Adjektive (z.B. die linke Schraube, das nähere Ende, die vordere Ecke; das hintere Ende; die linke Seite, enge Doppelsterne) oder - insbesondere in dynamischen Zusammenhängen - lokative Verben (z.B. landen, stranden, schultern) und Verbzusätze/Präfixe (z.B. ab-, ein-, vor-, durch-, hinter-, um-, über-) verwendet werden. Wird das Relatum explizit genannt, so erfordert die Kennzeichnung des Bestehens einer räumlichen Relation (zumindest in statischen Kontexten) in der Regel die Verwendung einer Präposition.3 (Umgangssprachlich, etwa unter Zeitdruck, wird sie mitunter elliptisch ausgelassen. Die Nominalphrase steht dann im Nominativ.) Beispiele für nominale Richtungsangaben in räumlichen Präpositionalphrasen wären: „daneben auf der linken Seite", „rechts genau an der Seite", „rechts oberhalb des rechten Leistenendes" oder „rechts neben dem rechten Leistenende". Zu allgemeinen (d.h. unspezifischen) Ortsangaben werden vor allem an und auf verwendet (seltener bei, es sei denn mit Personbezeichnungen; zu vor allem in festen Wendungen; vgl. auch Schmitz, 1964).
3
In anderen Sprachen werden z.B. (im Ungarischen) Postpositionen und Relationssuffixe verwendet oder - in Verbindung mit Nomina oder nominalen Postpositionen, die einen Raumbereich (wie .Inneres', ,Vorderseite', ,Antlitz', ,Nähe' oder ,Linke') bezeichnen - ein generelles Lokationssuffix (in Quechua) oder ein allgemeiner Existenzausdruck (im Chinesischen; in Ewe).
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Wird das Relatum dagegen nicht erwähnt (z.B. weil es bekannt, vorerwähnt oder schwer benennbar ist), kann die Präpositionalphrase (z.B. im Haus) durch ein Präpositionaladverb (z.B. drinnen/drin/darin) oder ein anderes Adverb (z.B. innen) ersetzt werden: Beispiel 1: Es ist ein altes Haus, (a) Hinter dem Haus ist ein schöner Rasen. (b) Dahinter ist ein schöner Rasen. (c) Hinten ist ein schöner Rasen. Empirische Daten zur Verwendung von Richtungsausdrücken erhoben wir in einer experimentellen Untersuchung zum sprachlichen Lokalisieren eines Objektes im visuellen Raum (Vorwerg & Rickheit, 1999a). 35 Versuchspersonen (deutsche Muttersprachler) benannten die Position eines Würfels in Relation zu einer Leiste. Jede Versuchsperson (Vp) beschrieb 144 Objektkonfigurationen, welche hinsichtlich Position des Würfels (als intendiertem Objekt), Orientierung der Leiste (als Relatum) und Distanz zwischen beiden Objekten variierten (Abbildung 5-1). Unser Hauptinteresse galt dabei den Einflußfaktoren auf die Kategorisierung einer gegebenen Richtung, wie sie in der Verwendung von Richtungsangaben zum Ausdruck kommt. Wir gehen auf diesen Punkt in Abschnitt 6.1 näher ein. An dieser Stelle geben wir einen Überblick über die verwendeten sprachlichen Mittel (vgl. auch Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Die Daten beruhen auf insgesamt 5020 Äußerungen (nach Abzug einiger Items, zu denen aufgrund technischer Probleme bei der Bilddarstellung keine Äußerung vorhanden war). vor, hinter, neben, links von, rechts von, links (sehr selten), rechts (sehr selten), oberhalb, unterhalb, über (selten), unter (selten) Richtungs-Präpositionen (22%)
vorne, hinten, links, rechts, oben, unten - nach hinten, nach vorn, runter, ... [versetzt, verschoben] Richtungs-Adverbien (60%)
davor, dahinter, daneben, links daneben/daneben links, rechts daneben/daneben rechts, rechts davon (sehr selten), drüber, dadrüber, dadrunter Richtungs-Präpositionaladverbien (24%)
vordere, hintere, linke, rechte, obere, untere, seitlich (z.B. „daneben auf der linken Seite", „schräg links vom linken Rand der Leiste", „rechts an der Leiste an deren oberem Ende", „rechts vor der vorderen Ecke", „linke Seite der Stange dahinter", „am hinteren Ende der Leiste", „rechts genau seitlich") Richtungs-Adjektive (2%)
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Constanze
Vorwerg
und Gert
Rickheit
Insgesamt enthielten 99,5 % der Äußerungen Richtungsangaben (wie vor, hinter, links, rechts, oben, unten). Die jeweils in Klammern angegebenen Prozentzahlen sagen aus, in wie vielen der Äußerungen die betreffende Wortart (als Richtungsausdruck) vorkam. Die Werte addieren sich nicht zu 100, da in einer Äußerung mehrere Wortarten vorkommen können. Der hohe Prozentsatz von Adverbien erklärt sich aus dem stets gleichen Relatum, das daher nicht unbedingt genannt werden mußte. Adjektive wurden nur selten zur Charakterisierung der Richtung gebraucht, teilweise zur genaueren Kennzeichnung des Referenzortes. In der Regel können Adjektive dann als Richtungsausdriicke verwendet werden, wenn mehrere Objekte gleichen Typs vorhanden sind, so daß die jeweils anderen als Referenzobjekte dienen können (z.B. die hintere linke Schraube). Dies ist oft bei Objekttez'/e« der Fall; wenn Teile eines Objekts gleichartig sind, können sie am ehesten nach ihrer Lage im Raum (relativ zueinander) gekennzeichnet werden. Dynamische Adverbien (z.B. nach vorn, nach links) wurden in 5% der Äußerungen verwendet, obwohl es sich stets um statische Konfigurationen handelte. Offenbar drückt die Verwendung dynamischer Adverbien in statischen Kontexten eine Abweichung gegenüber einer mentalen Norm, einer Art Prototyp für eine bestimmte Richtungsrelation, aus. Für diese Interpretation spricht der Befund, daß dynamische Adverbien innerhalb unserer Versuchsanordnung um so häufiger verwendet werden, je näher eine Position an der sagittalen oder der lateralen Achse liegt, kaum jedoch auf den Achsen selbst (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Die Verwendung unterschiedlicher Wortarten ergibt sich in erster Linie aus interindividuellen Unterschieden; die einzelnen Vpn tendieren dazu, Verwendungsmuster über den Versuch hinweg weitgehend beizubehalten. Ein weiterer Faktor ist die Position auf einer der Achsen des Bezugssystems: hier werden Präpositionen oder Präpositionaladverbien signifikant häufiger verwendet als Adverbien. Bei sehr geringer Abweichung (d.h. angularem Abstand) zu einer Achse besteht nur noch ein geringer Unterschied in der Häufigkeit von Präpositionen und Adverbien, welcher sich schließlich mit größerem Abstand tendenziell umkehrt (vgl. Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Offenbar ist die Tendenz, eine Präposition (oder eine Proform für eine Präpositionalphrase) zu verwenden, um so größer, je stärker die Übereinstimmung einer Position mit einer prototypischen Richtung ist. Die Übereinstimmung einer Position mit einer prototypischen Richtung (einem intern repräsentierten Vergleichswert als Kategorisierungsgrundlage) kann auch sprachlich kenntlich gemacht werden. Der Grad der Anwendbarkeit einer Richtungsangabe bzw. der Zugehörigkeit zu einer Richtungskategorie kann durch die Verwendung von Heckenausdrücken (hedges, vgl. Lakoff, 1973) ausgedrückt werden. Qualifizierende Ausdrücke wie fast, genau, etwas, leicht, etc. wurden in 19% aller Äußerungen verwendet. Auf die verwendeten sprachlichen Hecken, Einflußfaktoren ihrer Verwendung und einzelne Verteilungskurven gehen whin Abschnitt 6.1 näher ein. Während Richtungsausdrücke nur unter Bezugnahme auf einen Blickpunkt interpretierbar sind (Richtungsrelationen werden daher auch als projektive Relationen bezeichnet; Moore, 1976; vgl. auch Herskovits, 1986), sind Distanzrelationen blickpunktunabhängig. Sie werden deshalb - unter Verwendung der Piagetschen Metapher - auch topologische Relationen genannt. In unserem Datenmaterial kamen Distanzangaben in aller Regel ergänzend zu Richtungsangaben vor, jedoch so gut wie nie als alleinige Ortsangabe. Die Präpositionen an und nahe wurden in einigen Fällen verwendet, um die Nähe zu einem Teil des Relatums auszudrücken (z.B. „links oben o am Leistenende"; „am linken Leistenende unten";
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„nach links versetzt am unteren Rand der Leiste"; „nahe der unteren Leistenecke"). Mit direktem Bezug zu einem Teil des Relatums wurde die Präposition an (ebenso wie die Präposition nahe) nur bei der kürzesten der drei untersuchten Distanzen verwendet. Die Präposition an kann jedoch auch allgemein (unspezifisch) zum Ausdruck einer räumlichen Relation verwendet werden. Die Präpositionalphrase an der Seite wurde von nur einer Vp gebraucht. Diese Vp verwendete bei gegenüber ihrer Blickrichtung rotierten Relata ein quasi intrinsisches Bezugssystem, wobei jeweils einer Längsseite die Qualität ,vorn' verliehen wurde. (D.h. die Leiste wurde intern in eine horizontale Lage rotiert.) Die Verwendung von an der Seite erfolgte unabhängig von der Distanz, jedoch in Abhängigkeit von der Position: auf Positionen in der Nähe der LINKS/RECHTS-Achse, also an den beiden kurzen Seiten bzw. in deren Nähe. Die präpositionale Wendung an der Seite wurde demnach rein richtungsabhängig verwendet, unabhängig von Distanz oder intrinsischen Objektmerkmalen. Die folgende Übersicht gibt die zur Charakterisierung der Distanz zwischen dem intendierten Objekt und der Leiste verwendeten sprachlichen Mittel wieder. (Die alleinige Verwendung von Distanzpräpositionen wie an oder bei kommt, außer zu genauerer Spezifikation durch Bezug auf einzelne Teile des Relatums, nicht in Betracht, da die Existenz einer räumlichen Relation zwischen beiden Objekten durch die Fragestellung bereits präsupponiert war.) [ganz, sehr, ziemlich, recht, relativ] nah(e) [bei, dabei, an .., dran, der ..] [etwas, ein bißchen, ein Stück, ein wenig, noch] näher [bei, dran, zu .., an ..] [ziemlich, recht, relativ, ganz, nicht sehr, nicht so, nicht ganz so] weit [weg, entfernt, von ··] [noch, noch etwas, etwas, ein bißchen, ein Stück, ein wenig,] weiter [weg, entfernt] [etwas] entfernt; in einiger Entfernung von ..; dicht; eng; knapp; kurz; halb [geringer, kurzer, kürzerer, mittlerer, halber, Hälfte, weiter, weiterer, großer, größerer] Abstand [geringer] Distanz-Ausdrücke (7%)
Die Distanzangabe nah(e) kann als Präposition auftreten (selten), eine Präposition (an, bei, zu) oder ein Präpositionaladverb (dran, dabei, bei) als fakultative Ergänzung modifizieren (z.B. nah dran) oder auch selbst eine Adverbialphrase regieren (z.B. ziemlich nah). Die Distanzangabe weit dagegen ist keine Präposition und kommt - zumindest in unserem Datenmaterial 4 - nur als Ergänzung bei Adverbien (z.B. weit weg, weit entfernt) oder Präpositionen (weit von, weit links von) vor. Weit wird in räumlichen Zusammenhängen auch oft zur Graduierung verwendet (zum Teil erweitert durch weitere graduierende Wörter wie ziemlich, sehr). Es gibt dann an, inwieweit eine Aussage oder eine Kategorisierung zutrifft. Dementsprechend wird zum Beispiel „ziemlich weit am Ende" mit „fairly near the end" ins Englische übersetzt. In unseren Daten wird weit in den meisten Fällen als adverbiale Ergänzung zu einer Richtungsangabe verwendet (z.B. „ganz weit dahinter"; „weit vorne"; 4
Als Kopf einer eigenständigen Adverbialphrase (d.h. als Satzglied) kann weit dagegen in anderen Zusammenhängen fungieren, etwa wenn es um die Länge einer zurückzulegenden Wegstrecke geht.
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
„weit vorne links"; „links nicht sehr weit hinten"; „daneben weit links"). Die Verteilung über die unterschiedlichen Distanzen zeigt, daß weit ebenso wie nah als Distanzangabe verwendet wurde. Modifiziert durch ziemlich wird das Wort dagegen zum Teil als Heckenausdruck für die Graduierung einer Richtungsangabe verwendet. Der Komparativ weiter (ebenso wie etwas weiter) wird offenbar hauptsächlich als Heckenausdruck verwendet und zeigt nur noch eine geringe Abhängigkeit von der Distanz, jedoch eine größere Abhängigkeit von der Position, mithin der Richtung (vgl. 6.2). Richtungs- und Distanzangaben können in einer Äußerung kombiniert werden. Sie können entweder als gleichrangige Elemente stehen (z.B. „links, etwas unten und nah", „davor nahe bei"; „links, entfernt von der Leiste"; „hinten rechts, nah bei der Leiste"; „vorne rechts, nah an der Leiste"; „links daneben, weiter weg"; „schräg rechts unten, kurzer Abstand") oder eine syntaktische Einheit bilden, indem Distanzangaben Richtungsangaben modifizieren bzw. ergänzen (z.B. „nah vor der Leiste"; „weit links daneben"; „links weit davor"; „ganz weit dahinter"; „dicht daneben links"; „knapp davor"; „dahinter knapp links"; „weit davor, weit links"). Die Wörter kurz, knapp, eng, dicht und weit kamen ausschließlich als adverbiale Ergänzung zu Distanz- (z.B. „weit entfernt") oder Richtungsangaben (z.B. „weit links") vor. Im Unterschied zu den übrigen genannten Distanzausdrücken geben sie offenbar den Abstand zum Relatum entlang einer der Richtungsdimensionen an und können mitunter in einer Äußerung zwei Richtungsadverbien getrennt modifizieren (z.B. „weit dahinter weit rechts"; „kurz davor weit links"). Sie fungieren damit zwar als Distanzangaben, drücken jedoch nicht die radiale Distanz zum Relatum, sondern die Distanz in einer bestimmten Raumdimension aus. Die Selektion von Richtungs- oder Distanzausdrücken im Sprachproduktionsprozeß setzt die Kategorisierung einer gegebenen Entität anhand eines (in der Regel implizit) zugrunde gelegten kognitiven Bezugssystems voraus.
3 Kategorisierung und Bezugssysteme
Jede Kategorisierung erfordert die Unterscheidung klassifizierungsrelevanter sowie irrelevanter Merkmale (engl, diagnostic vs. nondiagnostic features; vgl. z.B. Goldstone, 1996). Dies ist nicht spezifisch für die Raumkognition, gilt aber hier ebenso wie in anderen kognitiven Bereichen. So diskutiert beispielsweise Talmy (1983) in seinem einflußreichen Aufsatz über räumliche Kategorien in der Sprache und ihre Verortung innerhalb größerer sprachlich-kognitiver Systeme die für räumliche Relationen charakteristische Abstraktion von Form, stofflicher Beschaffenheit und Größe. Für die Charakterisierung der räumlichen Relation eines intendierten Objekts zu einem Relatum (z.B. IN, VOR) ist es irrelevant, ob das Relatum etwa würfelförmig, kugelförmig oder unregelmäßig geformt ist. Ebenso unerheblich für die Anwendbarkeit räumlicher Ausdrücke ist die absolute Größe der Objekte (vgl. Bsp. 2).
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Beispiel 2: Sie war IM Auto. Sie war IN Australien. IM Atom befinden sich gleich viele Elektronen wie Protonen. IN einem Spiralarm der Milchstraße liegt das Sonnensystem.
Landau & Jackendoff (1993) gingen so weit, die Spärlichkeit von Objektform-Constraints für die Anwendbarkeit von Raumausdrücken (wie auch die geringe Anzahl von Raumausdrücken im Vergleich zu Objektnamen) mit der what/where-Unterscheidung im kortikalen visuellen System (vgl. Ingle et al., 1967; Ungerleider & Mishkin, 1982) in Verbindung zu bringen. Es ist jedoch keineswegs überraschend, sondern vielmehr charakteristisch für Kategorisierungen, daß von irrelevanten Eigenschaften abstrahiert wird.5 Form-, Größen- und Farbmerkmale etwa können für einige Objektkategorien charakteristisch sein (von den perzeptiven Merkmalen spielt die Form eine besondere Rolle bei der Objektkategorisierung), für andere dagegen irrelevant. Bei der Kategorisierung von Attributen oder Relationen wird generell von anderen Eigenschaften abstrahiert. Um einen Ball als R U N D zu charakterisieren, sind beispielsweise Größe, Farbe und Material unerheblich. Die Kategorisierung von Objektattributen (z.B. S C H W E R , K L E I N oder L A N G ) erfordert die Abstraktion von der Verschiedenartigkeit unterschiedlicher Objektkategorien. Um Konzepte von Relationen bilden zu können, muß von der Erscheinung der einzelnen Objekte abstrahiert und die Gleichartigkeit der Relation zwischen verschiedenartigen Objekten erkannt werden. Daher erfordert die Kategorisierung von Relationen allgemein einen höheren Abstraktionsgrad als etwa die Kategorisierung von Objekten. Befunde zum Zusammenhang von raumkognitiver Entwicklung und Spracherwerb zeigen, daß es sich bei sprachlich kodierten Raumrelationen um konzeptuelle Repräsentationen handelt, mithin um das Ergebnis der Abstraktion aus verschiedenen Wahrnehmungen (vgl. Vorwerg, in Vorb.). Im Unterschied zu einer perzeptiven Form von Kategorisierung (zu der Kinder im Grunde von Geburt an befähigt sind, vgl. Anteil & Caron, 1985; Behl-Chadha & Eimas, 1995; Pineau & Streri, 1985; Quinn, 1994; Quinn, Cummins, Kase, Martin & Weissman, 1996) beinhaltet eine konzeptuelle Kategorisierung eine gleichartige Bewertung unterschiedlicher Sachverhalte und beruht damit auf der Dialektik von Gleichheit und Ungleichheit zweier Entitäten (Vorwerg, in Vorb.). D.h. die Unterschiedlichkeit zweier Konzeptinstanzen wird kogniziert, sie werden aber dennoch in gewisser Hinsicht als äquivalent behandelt bzw. explizit gleichgesetzt (vgl. Sugarman, 1982). Kategorisierung bzw. Konzeptbildung6 dienen der kognitiven Durchgliederung der Welt und erlauben damit eine starke 5
Hinsichtlich des Vergleichs zwischen dem umfangreichen und reichhaltigen Vokabular zur Enkodierung von formbasieren Objektkategorien Und dem begrenzteren Wortschatz zur Enkodierung der Position ist anzumerken, daß die Form von Objekten intrinsisch eine hohe Komplexität und Anzahl von Dimensionen besitzt, der Ort eines Objektes in einem Bezugssystem dagegen maximal dreidimensional ist (Feldman, 1993). Darüber hinaus beschreiben Objektbezeichnungen keineswegs die Form eines Objektes; um dies zu tun, muß vielmehr auf Raumausdrücke zurückgegriffen werden. Auf die Form eines Objektes kann aus einer nominalen Objektbezeichnung lediglich insoweit geschlossen werden, als diese Bezeichnung als sprachlicher Ausdruck eines perzeptiv fundierten Konzeptes bereits bekannt ist (vgl. Heidorn & Hirtle, 1993; Slobin, 1993). Konzepte sind mentale Repräsentationen der relevanten Eigenschaften einer kognitiven Kategorie bzw. Klasse und ermöglichen damit die Kategorisierung von Objekten, Attributen, Relationen etc. Die meisten Konzepte betreffen Erscheinungen der objektiven Realität; es
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
Reduktion der für die Verhaltenssteuerung notwendigen Informationsverarbeitung sowie der Unsicherheit in der Verhaltenssteuerung (Hoffmann, 1986). Sie ermöglichen u.a. Prädiktionen, Inferenzen und Kommunikation über Erscheinungen der inneren und äußeren Realität. Nicht nur wird der kognitive Verarbeitungsaufwand durch die kognitive Zusammenfassung verschiedener Erscheinungen reduziert (kognitives Ökonomieprinzip; beruht vermutlich auf einer biologischen Begrenztheit der Verarbeitungskapazität, z.B. Norman & Bobrow, 1975), vor allem können auch völlig neuartige Erscheinungen zugeordnet und damit Verhaltensentscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus können oft weitaus mehr Reize diskriminiert als identifiziert werden (Miller, 1956). Hört man beispielsweise zwei Töne unterschiedlicher Lautstärke, ist man leicht in der Lage, sie zu unterscheiden; wird aber später ein Ton präsentiert, ist es sehr schwer zu sagen, ob es einer der beiden früher gehörten Töne ist (das Beispiel ist Martindale, 1991, entnommen). Daher wäre es uns in vielen Fällen schlichtweg unmöglich, jede einzelne Erscheinung (z.B. Objekt, Relation, Attribut wie Form, Farbe oder Größe) zu identifizieren (wiederzuerkennen) und damit auch unmöglich, sie zu benennen. Als Vertreter einer Kategorie kann sie dagegen identifiziert werden, als solcher auch im Gedächtnis repräsentiert oder benannt werden. Es ist demnach notwendig, zwischen sensomotorischer und kategorialer räumlicher Repräsentation zu unterscheiden (vgl. auch Johnston, 1988; Kosslyn et al., 1989; Paillard, 1987). Wenn Landau & Jackendoff (1993: 229) annehmen, räumliche Präpositionen könnten im Prinzip räumliche Relationen in beliebiger Genauigkeit enkodieren: „What kinds of distinctions among regions are encoded by the set of spatial prepositions? In principle, they could represent regions in acute detail, for example, in terms of precise distance and direction from the reference object, using coordinate systems and the specialized domain of measurement terms."
So ist dies nicht zutreffend, da unser kognitives System (ohne externe Hilfsmittel) ganz einfach nicht in der Lage ist, Distanzen oder Richtungen in beliebiger Genauigkeit zu identifizieren, geschweige denn sprachlich zu enkodieren. Auch dies ist nicht spezifisch fur die Raumkognition, sondern ein generelles Merkmal kognitiver Informationsverarbeitung, wie oben dargelegt. Wenngleich eine solche Genauigkeit auch sicherlich kognitiv repräsentiert ist, wie Landau & Jackendoff (1993: 229) richtig bemerken („This degree of precision is surely represented in the spatial cognitive system [...]")> so ist es doch nicht diese Ebene räumlicher Repräsentation, auf der unsere Sprache ansetzt. Vielmehr handelt es sich hier um sensomotorische räumliche Repräsentationen, die zur perzeptiven (z.B. visuellen) Lokalisation von Objekten und zur Steuerung von Bewegungen dienen. Dieses motorik-orientierte System ist der bewußten Wahrnehmung nicht zugänglich; bewußt wahrgenommene Position und sensomotorische Lokalisation (d.h. Bewegungsansteuerung) können sogar auseinanderfallen (vgl. Bridgeman, 1986). Kategoriale (zumindest teilweise bewußtseinsfähige) räumliche Repräsentationen bilden dagegen die Grundlage der Perzeption und damit für - stets konzeptuell vermittelte sprachliche Enkodierungen. Konzeptuelle Kategorisierungen erfolgen außerordentlich variabel und flexibel (Barsalou, 1987). Die Versprachlichung (z.B. räumlicher) Konzepte trägt zu gibt jedoch auch Konzepte von internen Zuständen oder mentalen Konstrukten wie Einhorn, Hexe oder Weihnachtsmann.
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einer gewissen intra- und interindividuellen Stabilisierung der Konzeptbildung bei (durch Fixierung im Gedächtnis, vgl. Gelman & Medin, 1993). Sowohl Stabilität als auch Flexibilität sind erforderlich, damit Konzepte ihrer verhaltensregulierende Funktion (wie oben beschrieben) erfüllen können (vgl. Vorwerg, in Vorb.). Daher sollten sprachlich fixierte kognitive Kategorisierungen weit genug sein, um möglichst flexibel weitgehend alle potentiell noch kommenden Entitäten zu umfassen und um möglichst stabil (langfristig und mit hoher interpersoneller Übereinstimmung) verwendbar zu sein. Allgemein können Wahrnehmung und Kategorisierung von Objektattributen als Skalierung in bezug auf ein Bezugssystem aufgefaßt werden (vgl. z.B. Bingham, 1987). Die Kategorisierung z.B. einer Temperaturausprägung als WARM, KALT, L A U W A R M oder HEIß erfordert ein Bezugssystem. Unter einem Bezugssystem verstehen wir eine kognitiv repräsentierte Wertemenge, auf die ein gegebener Stimulus bezogen werden kann. Anders ausgedrückt: Jede Wahrnehmung muß irgendwie verankert sein, d.h. erfolgt relativ zu anderen Werten (siehe bereits Duncker, 1929; Wertheimer, 1912b). Denn zur „absoluten" Identifizierung von Dimensionsausprägungen sind wir, wie weiter oben bereits erwähnt, nicht sehr gut in der Lage. Als Bezugssystem können beispielsweise Adaptationsniveaus (Thomas, Lusky & Morrison, 1992), Ankerwerte (Haubensak, 1985), intern repräsentierte Standards (langfristige Mittel- oder Modalwerte) oder auch ,kognitive Bezugspunkte' (Wertheimer, 1912a; Rosch, 1975) dienen. Es können jedoch auch alle zu beurteilenden Werte selbst eingehen und das Bezugssystem verändern (wir sprechen deshalb auch von dynamischen Bezugssystemen). Die Effekte von Bezugssystemen wurden in der traditionellen Bezugssystemforschung vor allem für sog. absolute Urteile untersucht (z.B. Haubensak, 1985), können aber auch in Wiedererkennungsaufgaben (mit Generalisierung) gezeigt werden (z.B. Thomas, Lusky & Morrison, 1992). Attributdimensionen (welche sich als Wertebereiche von Objektmerkmalen, d.h. Attributen, auffassen lassen) können durch ,absolute Urteile' in wenige Abschnitte unterteilt werden (z.B. groß - mittelgroß - klein; in -an - nah - fern). Ein aktuell vorhandener Wert wird kategorisiert, indem er eiinem dieser „Abschnitte" zugeordnet wird. (Es handelt sich nur scheinbar um Abschnitte im eigentlichen Sinne des Wortes, da die entlang einer Dimension unterscheidbaren Kategorien keine scharfen Grenzen oder Kontiguität aufweisen.) Obwohl eine Werteausprägung relativ zu Vergleichswerten beurteilt bzw. wahrgenommen wird, tritt ihr sprachlicher Ausdruck in der Regel in der Form von ,absoluten Urteilen' (z.B. hell, schwer, leicht, dunkel, großzügig, alt, preiswert, umfangreich) auf, welche überaus häufig gebraucht werden (Haubensak, 1985). Der Verwendung eines Bezugssystems sind wir uns nur selten bewußt; „[es] tritt [...] nur in Ausnahmefällen anschaulich in Erscheinung" (Haubensak, 1985: 27). Die Anzahl der Kategorien auf einer Dimension ist nicht fest, sondern kann je nach Situation (bzw. Anforderung) und auftretenden Werten variieren. Wenn z.B. groß und klein die Pole der Größenskala bezeichnen und Werte auftreten, die deutlich jenseits dieser Pole liegen, kann auf zusätzliche Kategorien zurückgegriffen werden, wie z.B. riesig, winzig, klitzeklein oder übergroß. Weitere Kategorien lassen sich durch Zwischenstufen wie lauwarm, gut bis sehr gut, mittel (auch durch den absoluten Komparativ, z.B. eine längere Leiste, ein älterer Herr), durch graduierende Wörter wie etwas, leicht, ziemlich oder steigernde Wörter wie sehr, außerordentlich gewinnen. Grundlegend für das Verständnis der Kategorisierung von Attributen (seine Lokation im Raum gehört zu den grundlegenden Eigenschaften eines Objekts und kann daher ebenfalls
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Rickheit
als Attribut aufgefaßt werden) ist die Unterscheidung qualitativer und quantitativer Attributdimensionen (Vorwerg & Rickheit, 1999b; zum Dimensionsbegriff vgl. Vorwerg & Rickheit, 1999a). Psychische Dimensionen wie GRÖßE, HELLIGKEIT, SCHWERE oder WÄRME variieren quantitativ, ihre Werte lassen sich nach Größe ordnen, ein Mehr oder Weniger kann angegeben werden. Psychische Dimensionen wie FARBTON, ORIENTIERUNG, WINKEL oder GESCHMACKSRICHTUNG dagegen variieren qualitativ·, ihre Werte nehmen (bei Steigerung der zugrunde liegenden physikalischen Dimension, z.B. der Wellenlänge) an einem bestimmten Punkt eine neue Qualität an, z.B. GELB-ORANGE-ROT; VERTIKALDIAGONAL-HORIZONTAL; SPITZ-RECHT-STUMPF; SÜß-SAUER-BITTER.
Sprachlich werden Attribute quantitativer Dimensionen oft durch polare Adjektive spezifiziert (antonyme Wortpaare, die die Pole bzw. Endpunkte einer Skala kennzeichnen), wobei das den negativen Pol (die Minimalausprägung) bezeichnende Wort gewöhnlich markiert ist. Attribute qualitativer Dimensionen werden dagegen sprachlich oft durch heteronyme/inkompatible Wörter mehr oder weniger geschlossener Wortreihen spezifiziert (z.B. obere - untere - vordere - hintere - linke - rechte oder die Farbwörter; siehe Linke, Nussbaumer& Portmann, 1991). Das Bezugssystem für quantitative Dimensionen ergibt sich aus situativ gegebenen Vergleichswerten (,perzeptive Bezugssysteme' nach Metzger, 1954) und aus im Gedächtnis repräsentierten Standards und Erfahrungswerten (,mnemische Bezugssysteme' nach Metzger). Wesentlich sind vor allem Rand- oder Endreize und Maße der zentralen Tendenz (Modaloder Mittelwerte), aber auch Variabilitätsmaße (Streubereiche oder Varianz) sowie Werte besonderer Relevanz (z.B. durch aktuelle Gegebenheit, Verhaltensbedeutsamkeit etc.). Charakteristisch ist, daß sich (prinzipiell) Randreize angeben lassen, von denen einer das Minimum, der andere das Maximum darstellt. (Wie schon gesagt, sind diese ,Grenzen' keineswegs fix; sie hängen von erfahrenen und erwarteten Werten ab.) Bei qualitativen Dimensionen lassen sich keine Minima oder Maxima feststellen. Vielmehr sind sie oft zirkulär konzeptualisiert, d.h. wenn man die Werte von einem beliebigen Punkt auf der Werteskala aus immer weiter steigert, gelangt man irgendwann wieder an den Ausgangspunkt. Während etwa die DISTANZ oder die LÄNGE als quantitative Dimensionen bei Steigerung, von einem Minimum ausgehend, sich immer weiter von diesem Minimum entfernen, führt die stetige Veränderung etwa der ORIENTIERUNG einer Linie von einem bestimmten Wert (z.B. der Vertikalen) aus letztendlich (nach 180°) wieder zu eben diesem Wert (z.B. der Vertikalen). Bei der Richtung (aufgefaßt als Richtungswinkel des Ortsvektors, vgl. 1) erhält man nach 360° Rotation (in der Ebene) wieder dieselbe Richtung. Ebenso verhält es sich mit der Farbwahrnehmung: aus einer Aneinanderreihung nebeneinander liegender Farbtöne entsteht ein sog. Farbkreis (obwohl die zugrunde liegende physikalische Dimension der Wellenlänge Polarität aufweist), da die beiden Enden des Spektralbandes phänomenal sehr ähnlich sind. Weitere Beispiele (die nicht aus dem Bereich der Objektattribute stammen) sind die Dimensionen der Zeit sowie der Zahlen. Beide können sowohl linear als auch zirkulär konzeptualisiert werden. Eine lineare Konzeptualisierung der Zeit (etwa als ,Zeitstrahl') erlaubt es festzustellen, daß die Dinosaurier lange vor den ersten Menschen gelebt haben. In einer zirkulären Konzeptualisierung der Zeit gibt es immer wiederkehrende Zeitpunkte (Wochentage, Monate, Stunden etc.), und es ist nicht möglich zu sagen, ob z.B. der Mittwoch ein früherer oder späterer Tag als der Sonntag ist, ob 7 Uhr früher oder später als 12 Uhr ist.
Repräsentation
und sprachliche Enkodierung
räumlicher
Relationen
21
Eine Verankerung der Wahrnehmung bzw. Kategorisierung an Rand- oder Mittelwerten ist bei zirkulär konzeptualisierten Dimensionen unmöglich, da es solche Werte ganz einfach nicht gibt. Die Vergleichswerte, die das Bezugssystem dieser Dimensionen ausmachen, bestehen aus in irgendeiner Weise ausgezeichneten, besonders hervorstechenden oder bedeutsamen Werten. Diese Werte bilden die Ausgangspunkte für eine Einteilung in Kategorien und damit für die Kategorisierung aktuell auftretender Werte (d.h. durch Zuordnung zu den jeweiligen Vergleichswerten). Diese anschaulich oder in anderer Weise ausgezeichneten Werte werden nach Rosch (1975) als kognitive Referenzpunkte bzw. kognitive Bezugspunkte bezeichnet. Die Idee kognitiver Bezugspunkte (Rosch, 1975) geht auf Wertheimer (1912a) zurück; er erläutert sie insbesondere am Beispiel „fixer", ausgezeichneter Anzahlen (,Relevanzstufen'), welche eine besondere Rolle bei der Kognition von Mengen spielen. Dazu gehören unsere „runden Zahlen" oder auch Vielfache von 5. Kognitiv ausgezeichnete Anzahlen liegen unserem Zahlensystem zugrunde, werden multiplikativ zur Bildung höherer Zahlen (z.B. vierzig) und zum Ausdrücken ihnen naher Anzahlen verwendet (z.B. zwölf < ahd. zwelif, eigentlich ,zwei übrig'; Mettke, 1989). Herausgehoben gegenüber anderen Anzahlen sind sie durch anschauliche Einheitlichkeit (begriffsanaloge Bildungen, „die nicht merkmalmäßig abstrahierend, sondern gestaltmäßig u.s.w. zusammenfassend fungieren"7; Wertheimer, 1912a, § 5) bzw. eine natürliche Basis (in vielen Sprachen wurden Bezeichnungen von Dingen, die in charakteristischer Anzahl auftreten, als Zahlwörter gewählt; z.B. 1 = ,Mond', 2 = ,Augen', 5 = ,Hand/Finger', 20 = ,Hand/Hände/Mensch', 2 auch ,der Nachbar' oder ,der andere', im Deutschen erhalten in anderthalb, eigentlich ,das zweite halb'; cf. Klix, 1985; Kluge, 1999; Mettke, 1989; Wertheimer, 1912a). Im Zwölfer-System wird auf die Anzahl der Fingergelenke Bezug genommen, im Zehner-System auf die Anzahl der Finger - ohne Daumen nur ,8', dementsprechend wird ,9' als ,neu' erklärt (Kluge, 1999; Wertheimer, 1912a). Den so herausgehobenen (kognitiv ,salienten') Zahlen kommt in der Repräsentation der Zahlen eine besondere Relevanz zu (vgl. Wertheimer, 1912a). Sie dienen zur Approximation anderer Zahlen (z.B. etwa 20 Leute; ein gutes Pfund). Sie werden multiplikativ zur Bildung höherer Zahlen benutzt (hieraus resultiert eine gewisse Zirkularität ihrer Repräsentation, indem z.B. nach der 9 sozusagen wieder die 0 kommt bzw. nach der 10 oder 100 wieder mit 1 begonnen wird). Ihnen nahe Anzahlen werden durch sie indirekt ausgedrückt (in verschiedenen Einzelsprachen z.B. 8 = ,nimm zwei weg', 17 = ,drei fehlen', 6 = ,bleibt übrig eins'; cf. Wertheimer) bzw. relativ zu ihnen mental repräsentiert (z.B. 299 als ,bei 300'; cf. Wertheimer). Kognitiv saliente Zahlen werden bevorzugt verwendet; so beobachtet Stevens (1975) eine Tendenz der Versuchspersonen, bei der Verwendung von Zahlen als Vergleichsskala zur Messung der Stärke einer Wahrnehmung in psychophysikalischen Experimenten, ,runde Zahlen' zu benutzen (1, 2, 5, 10 und ihre Vielfache; ,round number tendency'). Er beschreibt auch einige weitere Eigenarten in der Verwendung von Zahlen zur Größenschätzung, die gut mit Wertheimers Analysen übereinstimmen. So betrachten einige Vpn die 1 als Untergrenze oder die 100 als Obergrenze der Skala. Das Verhältnis von 1 zu 2 erscheint einigen offenbar kleiner als etwa das Verhältnis von 80 zu 160. Große proportionale Unterschiede zwischen kleinen Brüchen werden mitunter so behandelt, als handele 7
Es ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß selbst Kolkraben, Dohlen oder Tauben Mengen bis zu ,9' unterscheiden können (Koehler, 1956).
22
Constanze
Vorwerg und Gert
Rickheit
es sich um kleine proportionale Unterschiede zwischen ihnen. So würde etwa ein Beobachter von Größenunterschieden seine Einschätzung eher von einem Hundertstel zu einem Zehntel ändern als von 100 zu 1000. Die beschriebenen, (gegenüber anderen) kognitiv herausgehobenen (,salienten l ) Werten einer Dimension bzw. Skala stellen eine Art Prototypen bzw. Idealtypen dar und bilden damit das Bezugssystem fur die Wahrnehmung aktuell auftretender Werte der Dimension. Sie haben in diesem Sinne eine repräsentative Funktion, d.h. sie stehen für diese Kategorie. Sie sind die kognitiven Bezugspunkte (Rosch, 1975 unter Bezugnahme auf Wertheimer, 1912a) für die Kategorisierung von Werten einer bestimmten Dimension, d.h. die kognitiv repräsentierten Werte, in Relation zu denen Dimensionsausprägungen wahrgenommen und beurteilt werden. Es ist anzunehmen, daß es solche kognitiven Bezugswerte vor allem bei qualitativen Dimensionen gibt (Vorwerg & Rickheit, 1999b). Bei qualitativ variierenden Attributdimensionen werden Werte verschiedener Kategorien als qualitativ unterschiedlich (anders vs. mehr/weniger bei quantitativen Kategorien) wahrgenommen. Die qualitative Distinktheit einiger perzeptiver Dimensionen kann physiologisch begründet sein (Bornstein, 1987; Rosch, 1977). Kognitive Bezugspunkte sind in ähnlicher Weise bei der Kategorisierung qualitativer Dimensionen wirksam wie Ankerreize bei der Kategorisierung quantitativer Dimensionen. Charakteristische Merkmale kognitiver Bezugspunkte sind: 1.
2.
3.
4.
Asymmetrie in der Relation zu anderen Werten (18 = 20, aber nicht umgekehrt; 87° = rechter Winkel, aber nicht umgekehrt; ein weniger typischer Rot-Ton ist einem prototypischen Rot-Ton ähnlicher/näher als umgekehrt; Rosch, 1975; Wertheimer, 1912a), hohe inter- und intrapersonale Übereinstimmung in der Kategorisierung dieser Werte (die Grenzen einer Kategorie lassen sich dagegen nicht reliabel bestimmen; Berlin & Kay, 1969), Verarbeitungsvorteile (hinsichtlich Lernen, Gedächtnis, Klassifikation, Aufmerksamkeit, Präferenz, Enkodierung, Benennung; Rosch 1974, 1977; vgl. Bornstein, 1987, für einen Überblick), ontogenetische Stabilität und stärkere Kontextunabhängigkeit (d.h. die Kategorisierung dieser Werte wird von der gleichzeitigen Gegenwart anderer Ausprägungen der Dimension nur wenig beeinflußt).
Bezugssysteme generell sind auf verschiedenen Ebenen des kognitiven Systems wirksam (z.B. sensorisches Niveau, perzeptive Kategorisierung, soziale und moralische Urteile). Sie können ineinander verschachtelt, d.h. hierarchisch strukturiert sein (Berthoz, 1991; Haubensak, 1985). Die Beurteilung kann dann von übergeordneten Bezugssystemen unabhängig (z.B. bei vektoriell zerlegten Bewegungsrichtungen, siehe Johansson, 1977) oder von einem Kompromiß zwischen beiden Systemen bestimmt sein (Haubensak, 1985). Bei der Verwendung von Bezugssystemen wird in der Regel ein Konsistenzprinzip wirksam: das Bestreben, alle Werte anhand desselben Bezugssystems zu beurteilen. Daraus ergibt sich eine gewisse Änderungsresistenz (selbst außerhalb der bisherigen Variationsbreite liegende Werte fuhren nicht gleich zu einer Verschiebung des Systems). Der folgende Abschnitt beschäftigt sich damit, welche Bezugssysteme bei der Kategorisierung räumlicher Relationen, insbesondere Richtungs- und Distanzrelationen, zugrunde liegen.
Repräsentation und sprachliche Enkodierung räumlicher
4 Räumliche
Relationen
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Bezugssysteme
Die Richtung, in der sich ein Objekt von einem Ort befindet, (aufgefaßt als Richtungswinkel eines Ortsvektors, vgl. 1) gehört zu den zirkulären und qualitativen Dimensionen. Innerhalb der Richtungsdimension gibt es saliente, in der kognitiven Verarbeitung und in der neuronalen Repräsentation präferierte Werte, in Relation zu denen aktuell gegebene Richtungsrelationen wahrgenommen und beurteilt werden können (Vorwerg & Rickheit, 1 9 9 8 , 1999b). Diesen perzeptiv salienten kognitiven Bezugsrichtungen entsprechen saliente/präferierte Orientierungen. In der Wahrnehmung präferiert sind insbesondere die Vertikale und Horizontale (möglicherweise auch - in geringerem Ausmaß - die Diagonalen). Für die besondere Salienz und Präferenz der vertikalen und der horizontalen Orientierung gibt es eine Reihe experimenteller Belege
(höheres
Wahrnehmungsvermögen,
bessere
Diskriminierbarkeit
von
Mustern,
leichtere Ähnlichkeitsbeurteilung, größere Sensibilität fur die Wahrnehmung rechter Winkel, Einfluß a u f Symmetrie- und Formwahrnehmung, ausgezeichnete neuronale Repräsentation; vgl. Vorwerg & Rickheit, 1 9 9 8 für einen Überblick; siehe auch R o c k , 1 9 7 3 ) . Die sagittale Orientierung (Erstreckung in die Tiefe im rechten Winkel zur Horizontalen und Vertikalen) ist in ähnlicher Weise anschaulich ausgezeichnet, zum einen durch ihre Übereinstimmung mit unserer Blickrichtung (sofern in der horizontalen Ebene bzw. projiziert auf die horizontale Ebene), zum anderen werden (im visuellen Bezugssystem) sagittal orientierte Linien auf der Netzhaut analog zu vertikalen Linien abgebildet. Sofern sich die betrachtete Grundfläche unterhalb der Augenhöhe befindet, liegen weiter entfernte Punkte dieser Grundfläche höher im Blickfeld. Liegt die betrachtete Grundfläche oberhalb der Augenhöhe, liegen weiter entfernte Punkte tiefer im Blickfeld. Entsprechendes gilt fur die Abbildung a u f der Netzhaut. Das retinotopische Organisationsprinzip bleibt in der Sehbahn von der Retina über den lateralen Kniehöcker bis zur Sehrinde gewahrt (für eine genauere Darstellung vgl. z . B . Mcllwain, 1996). Die Form einer horizontal liegenden Tischplatte wird deshalb (sowie aufgrund von Konstanzmechanismen, vgl. z . B . R o c k ,
1 9 7 3 ) ebenso wie die
einer vertikal stehenden wahrgenommen. Die Wahrnehmung eines auf ein B l a t t Papier gezeichneten Kreuzes unterscheidet sich nicht danach, ob das Blatt waagerecht oder senkrecht gehalten wird und geometrisch-optische Täuschungen wie die
Horizontal-Vertikal-Täu-
schung treten in beiden Fällen auf.8 B e i orthogonaler Projektion gelten daher fur sagittale Linien die gleichen Besonderheiten wie für vertikale Linien. E s fällt uns gar nicht auf, daß eine vertikale Linie a u f einem horizontal vor uns liegenden Blatt e i g e n t l i c h ' (d.h. im dreidimensionalen extrinsisch/deiktischen Bezugssystem) sagittal, d.h. von , v o m ' nach ,hinten', verläuft. In zweidimensionalen Bezugssystemen betrachten wir die nicht-horizontale Orientierung regelhaft als vertikal; wir unterscheiden dann ein OBEN/UNTEN, nicht j e d o c h ein VORNE/HINTEN, unabhängig davon, wie das zweidimensionale System als Ganzes in unserer dreidimensionalen Räumlichkeit ausgerichtet ist. (Dies ist zugleich ein Beispiel für die Verschachtelung von Bezugssystemen ohne Beeinflussung des untergeordneten durch das übergeordnete System, vgl. 3 ) Entsprechend wird in vielen
g Die senkrechten Kanten von beispielsweise Kreuz oder Quadrat werden länger wahrgenommen als die waagerechten: + • . Dies gilt unabhängig davon, ob die Figuren vor uns liegen oder hochkant stehen.
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Constanze
Vorwerg und Gert
Rickheit
Kulturen eine Tiefenwirkung auf Bildern durch Oben-unten-Anordnung erreicht (anstelle perspektivischer Konstruktionen), so z.B. bereits auf einem 10.000 Jahre alten Felsbild kämpfender Bogenschützen bezeugt: „Die räumliche Interpretation dieses steinzeitlichen Bildes verläuft auch hier zweifelsfrei: Das Unten-Oben entspricht dem Nah-Fern." (Braun, 1993:96). Analog dazu werden in vielen Sprachen der Welt für die sagittale Orientierung (bzw. Positionen auf der sagittalen Achse) Ausdrücke der vertikalen Achse verwendet (Stolz, 1996). Wie auf den Bildern eine Position VORN (,nah l ) durch eine Abbildung unten dargestellt wird, wird in der Sprache eine Position VORN (,nah') unten genannt. Es scheint so, als würde die eigentlich dreidimensionale Szene zweidimensional konzeptualisiert (Vorwerg & Rickheit, 1999a), und dies fuhrt, wie oben beschrieben, quasi zum .Wegfall' der dritten Dimension, nämlich der Tiefendimension. Demzufolge dürfte dieses Phänomen nur dann auftreten, wenn die dritte Dimension aus irgendeinem Grund keine Rolle spielt, z.B. weil sich alle Objekte in einer Ebene befinden (und niemals übereinander gestellt oder hochgehoben werden), die dritte Dimension also konzeptuell nicht gebraucht wird. Die Objekte, deren Orientierung oder Position beschrieben wird, können ebenso auf Photos oder einem Bildschirm abgebildet wie auch real vorhanden sein (Stolz, 1996; Vorwerg & Rickheit, 1999a); das Phänomen kann damit nicht auf Fehlinterpretation von Photos oder mangelnde 3D-Wahrnehmung von stereographischen Bildern auf einem Monitor zurückgeführt werden. Der Vergleich zwischen dreidimensionaler und zweidimensionaler Konzeptualisierung von dreidimensional wahrgenommenen Szenen macht bereits deutlich, daß für die Wahrnehmung oder Beschreibung sowohl der Position als auch der Orientierung eines Objekts stets ein Bezugssystem zugrunde gelegt werden muß. Die Orientierung eines Objekts kann beispielsweise relativ zu einem anderen Objekt, relativ zur Blicklinie oder relativ zur Anziehungskraft der Erde sein(siehe Berthoz, 1991; Rock, 1973). Die Wahrnehmung bzw. Beurteilung der Richtung, in der sich ein Objekt befindet, erfordert zwei Instanzen zur Konstituierung eines Bezugssystems: Relatum und Blickpunkt (Herrmann, 1990). Die Richtung, in der sich das intendierte Objekt zu einem Relatum befindet, hängt vom gewählten Blickpunkt ab; ein Richtungsausdruck kann daher ohne Berücksichtigung des Blickpunkts nicht interpretiert werden (vgl. 1). Während die Origo (der Ursprung) des Bezugssystems durch das Relatum bestimmt wird, wird die Orientierung der Bezugsrichtungen durch den Blickpunkt festgelegt (Vorwerg & Rickheit, 1999b). Die Richtung, in der sich ein Objekt befindet, läßt sich damit als Richtungswinkel gegenüber einer nahe gelegenen Bezugsrichtung bestimmen. Die Richtung kann als Abweichung gegenüber (bzw. Übereinstimmung) mit einer Bezugsrichtung aufgefaßt werden. Sensomotorisch kann ein solcher Wert unmittelbar verarbeitet werden (vgl. 3; vgl. Vorwerg & Rickheit, 1999b für eine Übersicht zu sensomotorischen Bezugssystemen), zur sprachlichen Enkodierung der Richtung muß er kategorisiert werden. Je geringer die kognizierte Abweichung gegenüber einer Bezugsrichtung, um so eher wird eine gegebene Richtung dieser Bezugsrichtung zugeordnet. Bei einem Richtungswinkel von 0° besteht maximale bzw. optimale Übereinstimmung. Je nach Übereinstimmung mit der Bezugsrichtung kann eine aktuelle Richtungsrelation ein besserer oder schlechterer Vertreter einer Richtungskategorie bzw. typischer oder weniger typisch für eine Richtungsrelation sein. Ihre graduierte Struktur (d.h. ein Kontinuum/eine Skala an Repräsentativität bzw. Typikalität ihrer Instanzen) ist das vielleicht zentralste Charakteristikum von kognitiven Kategorien (Barsalou,
Repräsentation
und sprachliche Enkodierung räumlicher
Relationen
25
1992). Kein anderes Kategorisierungsphänomen spielt eine so wesentliche Rolle bei der Erklärung von Daten und der Prädiktion von Kategorisierungsleistungen (Barsalou, 1985, 1992). Eine Reihe empirischer Befunde belegen, daß die Produktion von Richtungsausdriicken einen Kategorisierungsprozeß voraussetzt, der einen Vergleich des aktuellen Richtungswertes mit einer kognitiven Bezugsrichtung beinhaltet. Diese kognitiven (relatum- und blickpunktabhängigen) Bezugsrichtungen bilden das kognitive Bezugssystem, welches den Rahmen für die Wahrnehmung und auch die Benennung von Richtungsrelationen bildet. Die sprachliche Lokalisierung kann aus Sicht des Sprechers oder des Hörers oder eines Dritten erfolgen (Herrmann, 1990). Sofern das Relatum selbst eine gerichtete Entität ist (intrinsisch oder situativ verliehen, vgl. Herrmann, 1990), kann auch aus dessen Sicht lokalisiert werden; d.h. Relatum und Blickpunkt stimmen überein. Die Unterscheidung von Blickpunkt und Relatum ermöglicht eine systematische Taxonomie der Varianten des Lokalisierens mit Hilfe von Richtungsausdrücken (siehe Herrmann, 1990), welche auf zwei unabhängigen Unterscheidungskriterien und deren Kombination beruht: (1) welcher Blickpunkt wird gewählt (Sprecher vs. Adressat vs. Drittes) und (2) Kongruenz vs. Separation von Blickpunkt und Relatum. Wir bezeichnen sprecherbezogene Lokalisationen mit separatem Relatum als deiktisch, sprecherbezogene Lokalisationen in Relation zur eigenen Position als egozentrisch, drittbezogene Lokalisationen mit separatem Relatum als extrinsisch, drittbezogene Lokalisationen aus Sicht des Rektums als intrinsisch (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Von welchem Blickpunkt aus die Richtung auch beurteilt wird, in der sich das intendierte Objekt von einem Relatum befindet, in jedem Bezugssystem für Richtungen gibt es kognitiv ausgezeichnete Richtungen, welche als Bezugsrichtungen zur Beurteilung aktuell gegebener Richtungen dienen. Die Zugehörigkeit zu einer Richtungskategorie ist graduiert. Gradienten in der Verwendungshäufigkeit von Richtungsausdrücken und in Akzeptanzurteilen für Richtungsbezeichnungen widerspiegeln die graduierte Struktur von Richtungskategorien (für einen Überblick zu Typikalitätseffekten bei der Kategorisierung von Richtungsrelationen vgl. Vorwerg & Rickheit, 1998). Der Grad der Zugehörigkeit bzw. die Typikalität einer Richtung für eine Richtungskategorie kann durch Heckenbildung (vgl. 2, 6.1) sprachlich kenntlich gemacht werden, empirisch gezeigt wurde dies sowohl für egozentrische (Franklin, Henkel, & Zangas, 1995) als auch für deiktische (Vorwerg & Rickheit, 1999a) Lokalisationen. Im Gegensatz zur Dimension der Richtung gibt es bei der Distanz keine kognitiv ausgezeichneten, gegenüber anderen Werten herausgehobenen Dimensionsausprägungen, welche als kognitive Bezugspunkte der Kategorisierung dienen könnten. Die Distanz gehört zu den quantitativen Dimensionen. Randwerte (Minimum und Maximum) lassen sich prinzipiell (kontextabhängig) angeben; sprachlich können sie durch polare Adjektive spezifiziert werden (z.B. nah - fern). Die Kategorisierung und Benennung der Distanz beruht auf Bezugssystemen, welche z.B. Maße der zentralen Tendenz, Ankerwerte oder auch Endbzw. Randwerte beinhalten können. In Abhängigkeit von Kontext und Anforderung (Zweck der Kategorisierung) können Randwerte z.B. durch äußere Begrenzungen, im Gedächtnis repräsentierte oder als Ankerwerte wirksame Maxima oder Minima gegeben sein (z.B. der Mond in Erdnähe vs. der Mond in Erdferne). Als Minimum könnten z.B. auch - je nach Kontext und Anforderung - das Aneinandergrenzen oder aber auch das Enthaltensein konzeptualisiert werden (vgl. auch Landau & Jackendoff, 1993). Die absoluten Ausprägungen
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
der Distanzdimension sind dabei kaum von Bedeutung, jedoch die Verortung in einem Bezugssystem (siehe Beispiel 3). Beispiel 3: „Nahe dem nördlichen Himmelspol steht ein gut mit freiem Auge sichtbarer Stern." „Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sind sehr weit entfernte Gaskugeln."
Der Kontextabhängigkeit sind jedoch Grenzen gesetzt. Absolute Urteile (vgl. 3) sind bei quantitativen Dimensionen bereichs- oder klassenspezifisch (vgl. Haubensak, 1985). So kann etwa von einem schweren Brief und einem leichten Koffer die Rede sein wie auch von einer großen Maus und einem kleinen Elefanten (Haubensak). Gleichzeitig kann aber auch die Feststellung getroffen werden, daß Mäuse klein und Elefanten groß sind (vgl. Wertheimer, 1912a). Die Tatsache, daß jede Wahrnehmung und Kategorisierung relativ ist und eines Vergleichsmaßstabes bedarf, heißt nicht, daß dieser Vergleichsmaßstab willkürlich wählbar wäre. „[...] die Entfernung zu jenem Dorf wird dem (gehenden!) Menschen nicht kleiner durch Rekurs auf den Satz, daß die Erde ein ,Sandkorn' sei gegen die Sonne u. ähnl." (Wertheimer, 1912a, § 19; siehe auch Wertheimer, 1912b). Das Bestreben, ein Bezugssystem bzw. einen Vergleichsmaßstab für quantitative Dimensionsausprägungen zu finden, zeigt sich auch in den verschiedenen „anschaulichen Approximativbestimmungen für Entfernungen" (Wertheimer): ,ein Kuhschrei' (Indien, Java)9, ,ein Hühnerschrei' (Dajak)9, ,eine Trommel' (Kamerun)9, eine Pfeife Tabak weit (süddeutsch)9, ,eine Zigarette weit' (Bosnien)9, einen Tagesmarsch, einen Steinwurf, zwei Finger breit, Fuß, Elle, daumenbreit etc. (In vergleichbarer Weise werden für Richtungsbestimmungen mitunter Grad- oder Uhrzeitangaben herangezogen, insbesondere wenn eine höhere Genauigkeit bzw. feinkörnigere Auflösung erforderlich ist.) Sowohl die Kategorisierung von Richtungen oder Orientierungen als auch von Distanzen stellt eine Skalierung relativ zu einem Bezugssystem dar. Während der Blickpunkt für die Kategorisierung einer Richtungsrelation entscheidend ist, hängt die Kategorisierung einer Distanzrelation in stärkerem Ausmaß von kontextuellen Faktoren und empirischen Verteilungswerten ab. Welche Faktoren die Wahl von Bezugssystemen beeinflussen, ist insbesondere für Richtungsrelationen in einer Reihe empirischer Untersuchungen geprüft worden (vgl. Carlson-Radvansky & Radvansky, 1996; Grabowski, Herrmann & Weiß, 1993; Grabowski & Weiß, 1996; Herrmann & Grabowski, 1994; Herrmann & Schweizer, 1998; Hill, 1982; Kessler, 2000; Miller & Johnson-Laird, 1976; Vandeloise, 1991). Vergleicht man verschiedene Bedingungen der Verwendung von Richtungsausdrücken und der Wahl von Bezugssystemen, bestehen die gefundenen Effekte in der Regel aus Häufigkeits- oder Mittelwertunterschieden; selten gibt es eine 100%ige Übereinstimmung zwischen allen Sprechern oder allen Äußerungen. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Variabilität bei der Kategorisierung räumlicher Relationen.
9
Vgl. Wertheimer, 1912a.
Repräsentation
und sprachliche
Enkodierung
räumlicher
Relationen
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5 Interindividuelle Variabilität bei der Verwendung von Bezugssystemen
Ein- und dieselbe räumliche Konfiguration kann sprachlich sehr unterschiedlich kodiert werden. In Anbetracht der Tatsache, daß unterschiedliche Benennungen unterschiedliche konzeptuelle Kategorisierungen reflektieren können, sind Unterschiede zwischen verschiedenen Einzelsprachen theoretisch interessant und auch für verschiedene Anwendungen, z.B. Formalisierungen für Sprachverstehenssysteme, Modellierung der Schnittstelle zwischen Sprache und Wahrnehmung, Übersetzungsfragen, Didaktik des Zweitspracherwerbs etc., von Relevanz. Weniger Schwergewicht wird dagegen in der Regel auf die intrasprachliche und intrakulturelle Variabilität bei der Kategorisierung von Richtungsrelationen gelegt, welche insbesondere im Hinblick auf die Diskussion der Beziehung zwischen Sprache und Kognition (z.B. Bowerman, 1996; Levinson, 1996) von Bedeutung ist. Im Folgenden werden einige Ergebnisse zur interindividuellen Variabilität bei der Kategorisierung von Raumrelationen vorgestellt.
5.1 Unterschiedliche Konzeptualisierungen des Relatums Intrinsisch gerichtete Objekte lassen sich danach unterscheiden, ob es sich um sog. Vehikelobjekte oder Gegenüberobjekte handelt (Herrmann, 1990).10 Vehikelobjekte sind „Untersätze" für Menschen (z.B. Autos, Stühle, Züge) oder werden analog zu diesen behandelt (z.B. Quellen); sie besitzen intrinsische Vorder-, Hinter-, Links-, Rechts-, Oberund Unterseiten und können damit die Orientierung der Bezugsrichtungen (vgl. 4) definieren. Gegenüberobjekte (z.B. Uhren, Schränke etc.) dagegen besitzen eine üblicherweise dem Menschen zugewandte Seite, welche als Vorderseite betrachtet wird; LINKS und RECHTS werden dagegen stets deiktisch zugeordnet (vgl. Herrmann, 1990). Eine intrinsische Gerichtetheit kann Objekten jedoch auch verliehen werden, indem die der kanonischen Position eines Betrachters/Benutzers zugewandte Seite (unabhängig von der tatsächlichen Position eines etwaigen Betrachters) als Vorderseite aufgefaßt wird. In einer experimentellen Untersuchung zum sprachlichen Lokalisieren eines Objektes im visuellen Raum (Vorwerg & Rickheit, 1999b; vgl. 2) verwendeten wir ein Relatum ohne intrinsische Ausrichtung in vier verschiedenen Orientierungen (relativ zur Blickrichtung des Betrachters.) Zwei dieser Orientierungen waren kollateral zur Blickrichtung, zwei Orientierungen waren diagonal, d.h. um 45° rotiert gegenüber der Blickrichtung (also der sagittalen Achse) oder gegenüber der lateralen (der frontparallelen) Achse.
10
Je nach Funktionalität können auch weitere Objekte intrinsische Vorder- und Hinter- oder Ober- und Unterseiten aufweisen: z.B. Schere, Stift, Löffel, Keksdose.
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Constanze
Vorwerg und Gert
Rickheit
Abbildung 5-1: Übersicht über die in der beschriebenen Untersuchung (Vorwerg & Rickheit, 1999a) verwendeten Objektkonfigurationen bei lateraler Orientierung des Relatums. Es wurden (bei jeder der vier Orientierungen des Relatums) 24 Positionen in je drei verschiedenen Distanzen verwendet.
Während Landau und Jackendoff (1993) (aufgrund einer introspektiven linguistischen Analyse) annehmen, daß sich die Struktur jedes Bezugssystems zur Benennung von Richtungen aus einer Zerlegung des Referenzobjekts in seine drei Raumachsen ergibt [im Falle der deiktischen Lokalisation kontextuell zugeordnet: „The front is the surface facing the speaker (or addressee)", 230], hat die Mehrheit der Vpn die sagittale Bezugsrichtung (VOR/HINTER) anhand der Blickrichtung definiert und die laterale (LINKS/RECHTS) orthogonal dazu in der Ebene. Vier von 17 Vpn jedoch verliehen dem Relatum eine intrinsische Ausrichtung, indem sie je einer Seite die Qualität VORN zuordneten. Zwei dieser Vpn betrachteten die nächst gelegene schmale Seite als Vorderseite, zwei Vpn behandelten dagegen die nächst gelegene breite Seite als Vorderseite. Die Lokalisation erforderte damit quasi eine mentale Rotation in die kanonische Betrachterposition (um je 45° entweder im oder entgegen dem Uhrzeigersinn). Die Referenzobjekte wurden wie Gegenüberobjekte behandelt, d.h. LINKS und RECHTS wurden deiktisch zugeordnet, (siehe Abbildung 5-2). Damit konnte ein und dieselbe Position je nach Bezugssystem als RECHTS (bei schmaler Vorderseite), als DAVOR (bei breiter Vorderseite) oder als RECHTS DAVOR (im deiktischen Bezugssystem) bezeichnet werden.
Repräsentation
und sprachliche
Enkodierung
räumlicher
Relationen
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Objektachsen je nach Bezugssystem: a) Gegenüber-Perspektive mit Rotation in die laterale Lage, b) Gegenüber-Perspektive mit Rotation in die sagittale Lage [V = ,vor', L = .links', R = ,rechts', φ = Blickrichtung]; bei deiktischer Lokalisation definiert die Blickrichtung die VOR/HINTER-Richtung, charakteristische Richtungsangaben auf den Objektachsen sind .links davor' und .rechts davor'.
5.2 Zwei- und dreidimensionale Konzeptualisierungen des Raumes Dreidimensionale Konfigurationen können vermutlich dann auch zweidimensional konzeptualisiert werden, wenn alle wesentlichen räumlichen Relationen innerhalb einer Ebene liegen, d.h. die dritte Dimension vemachlässigbar ist (Vorwerg & Rickheit, 1999a; vgl. 4). So beschreibt z.B. Christel Stolz (1996) fur das Yukatekische die Abbildung der Vertikalen auf die Sagittale als häufigste Strategie zur Beschreibung von Positionen auf der sagittalen Achse, so daß ,oben'-Ausdrücke (Präpositionen oder Adjektive) für die entfernte bzw. hintere Position, ,unten'-Ausdrücke für die nahe bzw. vordere Position verwendet werden. In der oben erwähnten Untersuchung zum sprachlichen Lokalisieren eines Objektes im visuellen Raum (Vorwerg & Rickheit, 1999b) verwendeten die Vpn in fast der Hälfte aller Fälle, die sich auf die sagittale Dimension beziehen, Richtungsangaben der O B E N - U N T E N Dimension. Dabei wurden keine Unterschiede in der Verteilung von Richtungskategorien über die untersuchten Positionen in Abhängigkeit von der Dimensionalität der Raumkonzeptualisierung (2D: O B E N - U N T E N VS. 3D: V O R N E - H I N T E N ) gefunden. Allerdings wurden die Präpositionen über/unter nur extrem selten verwendet, häufig dagegen die Präpositionen oberhalb/unterhalb. Die Präpositionaladverbien d(a)rüber/d(a)runter wurden ebenfalls selten gebraucht, sehr häufig dagegen die Adverbien oben/unten. Eine mögliche Hypothese wäre, daß oberhalb und unterhalb (möglicherweise auch oben und unten) einfach eine höhere Position im Blickfeld statt einer Richtung im eigentlichen Sinne bezeichnen, also indifferent gegenüber Abweichungen von der (durch die sagittale Objektachse gegebenen) Bezugsrichtung wären. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie nicht nur die Verteilung über die Positionen in Abhängigkeit von der Nähe zu dieser Achse zeigen, sondern insbesondere auch qualifizierende Ausdrücke, wie zum Beispiel „genau oberhalb der Leiste" bzw. „genau oben". Dies wird auch durch die Tatsache belegt, daß gerade die vier Vpn mit intrinsischer Auffassung des Relatums (siehe 5.1) OBEN-UNTEN-Ausdrücke verwendeten (drei von ihnen ausschließlich). Da die Referenzobjekte rotiert gegenüber der Blickrichtung
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
des Betrachters waren, erfolgte die Zuordnung weitgehend unabhängig von der tatsächlichen Höhe im Blickfeld oder auf dem Monitor.
5.3 Unterschiedliche Ausrichtung des Bezugssystems Während die Zuordnung der LINKS- und RECHTS-Pole zu den lateralen Richtungen sowie der OBEN- und UNTEN-Pole zu den vertikalen Richtungen in deiktischen Lokalisationen in Analogie zur Ausrichtung unseres eigenen Körpers geschieht, gibt es zwei mögliche Strategien zur Zuordnung des VOR- und des HINTER-Pols zu den beiden sagittalen Richtungen. Nach dem Gegenüber- bzw. Spiegelprinzip liegt die VOR-Richtung zwischen Betrachter und Relatum, die HINTER-Richtung dagegen jenseits des Relatums. Nach dem Tandemprinzip verhält es sich gerade umgekehrt, d.h. die eigene Ausrichtung wird auf das Bezugssystem übertragen (vgl. Hill, 1982). Die Präferenz bestimmter Bezugssysteme gegenüber anderen variiert sprach- und kulturabhängig. Einflußfaktoren sind beispielsweise das Präpositioneninventar einer Sprache (Grabowski & Weiß, 1996), Lebensbedingungen (vgl. z.B. Casad, 1988, Fußnote 5), Bildungsgrad (Pederson, 1995) und Tradierung. Während etwa bei US-amerikanischen (englisch-sprachigen) Schülern deiktische Lokalisationen nach dem Spiegelprinzip bei weitem präferiert werden, bevorzugen nigerianische (hausa-sprachige) Schüler deiktische Lokalisationen nach dem Tandemprinzip (Isma'il, 1979, zit. in Hill, 1982). Wenn dieselben Schüler auf englisch antworten, erhöht sich der Anteil von Lokalisationen nach dem Spiegelprinzip beträchtlich (von 38% auf 66%). Dies zeigt, daß die Schüler über beide Arten von Bezugssystemen verfügen und sie flexibel einsetzen können. Unabhängig davon lassen jedoch die Prozentzahlen bereits erkennen, daß innerhalb einer Bevölkerungsgruppe beide Prinzipien vorkommen können. In der amerikanischen Vergleichsgruppe kam das Tandemprinzip immerhin vor (wenn auch nur in 2,6% der Fälle; in 26 % der Fälle wurde das Tandemprinzip von amerikanischen Kindern in einer Studie von Harris & Strommen, 1972, genutzt). In einem psycholinguistischen Experiment, in dem deutschsprachige Vpn ein Objekt entsprechend einem vorgegebenen Richtungsausdruck (z.B. davor, links davor, dahinter) relativ zu einem Relatum ohne intrinsische Gerichtetheit positionierten, faßten drei von 41 Vpn (7%) die Richtungen VOR und HINTER nach dem Tandemprinzip auf (Vorwerg, in Vorb.).
5.4 Variable Zuordnung von Wort und Konzept „Daß Wörter (Wortformen) und Konzepte unterschiedliche Sachverhalte sind, ist von der Psychologie in vielfacher Weise plausibel gemacht und auch experimentell bestätigt worden" (Herrmann & Grabowski, 1994: 52). Dennoch wird aus gleichen Benennungen oft auf ein gemeinsames Konzept bzw. fehlende konzeptuelle Differenzierung geschlossen, umgekehrt aus differenzierten Benennungen auf separate Konzepte oder sogar auf unterschiedliche Wahrnehmungen: „what .counts' as an instance of a particular spatial relationship varies
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from one language to another" (Bowerman, 1996: 150)." Melissa Bowerman verglich verschiedene Sprachen, z.B. Englisch und Niederländisch, insbesondere aber Englisch und Koreanisch hinsichtlich ihrer Zuordnung gleicher oder verschiedener Wörter zu bestimmten Raumrelationen oder solche beinhaltenden Aktionen; z.B. „English says that putting 12 a hat ON is in some ways like putting a coat ON, that sitting DOWN on the floor is like climbing DOWN form a chair, and that the trajectory of a ball is the same whether it rolls INTO or is put INTO a box. Korean, however, disagrees." (165). Betrachtet man diese Beispiele als deutschsprachiger Leser, fällt sofort auf, daß auch im Deutschen etwa zwischen dem ANziehen eines Mantels und dem AUFsetzen eines Huts unterschieden wird wie auch zwischen HINsetzen und RUNTERklettern. Kann daraus aber nun geschlußfolgert werden, daß deutsche Kinder die jeweiligen Paare von Aktionen (bzw. in ihnen enthaltenen Raumrelationen) als vollkommen unähnlich beurteilen würden oder englische Kinder sie einfach gleichsetzen? Ein in vielen Arbeiten zur Verwendung von Raumpräpositionen gern gewähltes Beispiel ist die Unterscheidung zwischen an und auf im Deutschen (z.B. auf dem Tisch, an der Wand) im Unterschied zu der breiteren Verwendbarkeit von on (on the table, on the wall) im Englischen. Die Nähe beider Präpositionen auch im Deutschen wird daraus ersichtlich, daß sie in vielen Situationen austauschbar sind (am Boden/auf dem Boden, an die Wandlauf die Wand kleben, ein Pflaster an der Handlauf der Hand, ein Ring am Finger/auf dem Finger, auf dem Strand!am Strand).13 Raumausdrücke können innerhalb einer Sprache variabel mit räumlichen Konzepten assoziiert sein. Zum einen kann ein und derselbe Ausdruck für verschiedene räumliche Sachverhalte stehen. So kann die (deiktische) sagittale Orientierung im Yukatekischen mit den Orientierungsadjektiven tóoh (,gerade') und chowak (.lang', .längs') ausgedrückt werden (Stolz, 1996). Auch hier sind Parallelen zum Deutschen auffällig. Auch im Deutschen kann das Größenadjektiv lang zur Kennzeichnung der Orientierung (längs) verwendet werden. Das Orientierungsadjektiv tóoh (.gerade') kann entweder für eine vertikale oder für eine sagittale Orientierung stehen; von einigen befragten Personen wurde es (in horizontalen Kontexten) ausschließlich für die sagittale Orientierung reserviert, andere interpretierten es als SAGITTAL oder LATERAL (aber nicht SCHRÄG). Auch im Deutschen kann etwa geradeaus sowohl als Antonym zu seitlich als auch zu abbiegen aufgefaßt werden, gerade ebenso als Antonym zu schief wie auch als Antonym zu krumm. Aus der Tatsache, daß im Lateinischen temporale (,als l , .während'), kausale (.weil', ,da') und auch konzessive Relationen (,obwohl', .obgleich') durch cum (mit Konjunktiv) ausgedrückt wurden, kann kaum der Schluß gezogen werden, daß diese Relationen konzeptuell nicht unterschieden werden konnten.
" N o c h problematischer ist es, wenn eine direkte Beziehung zwischen Wahrnehmung und Sprache oder sogar zwischen Realität und Sprache postuliert wird, ohne die k o n z e p t u e l l e Vermittlung zwischen Wahrnehmung und Sprache (bzw. die perzeptive Vermittlung z w i s c h e n Realität und Kognition) überhaupt zu berücksichtigen. Gerade das Verb to put hat so viele verschiedene Bedeutungen, die so unterschiedliche Übertragungen in andere Sprachen erfordern, daß es eher erstaunlich wäre, wenn mehrere Sprachen für all diese und genau diese zugeordneten Konzepte dasselbe Wort verwenden würden. Mit dem dt. auf etymologisch verwandt ist engl, up, welches in der mit on zusammengesetzten Konstruktion upon erscheint.
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Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
Zum anderen können verschiedene räumliche Ausdrücke die gleiche räumliche Relation kennzeichnen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in jedem Falle unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen müssen. So gibt es beispielsweise regionale Unterschiede. Zieht man etwa von Berlin nach Westfalen, muß man nicht nur lernen, daß die Schultasche kein Ranzen, sondern ein Tornister („Tonne") ist und Hausschuhe Püschen, sondern auch, daß Bilder nicht AUS-, sondern ANgemalt werden, daß man nicht irgendwo HER-, sondern irgendwo WEGkommt. Die assoziierten Konzepte unterscheiden sich sicherlich nicht danach, ob ich nun AUF- oder ABwasche, da LANG- oder da HER gehe. Betrachtet man den Gebrauch lokaler Präpositionen im Frühneuhochdeutschen unter diachronischer Sicht (im Vergleich zum Mittelhochdeutschen), stellt man fest, daß sich im Verlaufe von etwa 100 Jahren die Anzahl der Präpositionen mit gleicher Funktion (damit z.T. auch ihre Gesamtzahl) erheblich reduziert und gleichzeitig ehemals vieldeutige Präpositionen eindeutiger werden (Schildt, 1970: 363). „Das Ostmitteldeutsche der Lutherzeit hat damit die Möglichkeit gewonnen, klarer und präziser als im Mittelalter lokale Verhältnisse wiederzugeben." Während beispielsweise zur sprachlichen Kennzeichnung der VORRichtung im 13. und 14. Jahrhundert die Präpositionen an, bevor, vor, zu und zuvor verwendet werden, kennt man im 16. Jahrhundert nur noch vor in dieser Funktion. In beiden Zeiträumen werden die Partikel an, uffauf, bi/bei, in und zu zur allgemeinen Angabe eines Ortes verwendet, von denen zu bevorzugt wurde. Im 20. Jahrhundert gebraucht man zu bei Ortsangaben nur noch in festen, z.T. stilisierten Wendungen (Schmitz, 1964). Die (destinative) Kennzeichnung der Ortsveränderung ist inzwischen zur eigentlichen Bedeutung (abgesehen von nicht-räumlichen Bedeutungen) von zu geworden, welches in teilweiser Konkurrenz zu nach steht, dieses jedoch (auch im Norddeutschen, wo es noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bevorzugt wurde) immer mehr verdrängte (Tamsen, 1956). So gibt Tamsen (1956) als Beispiel für die Verwendung von nach „nach dem B a h n h o f ' an, welches Schmitz (1964) bereits als schlechtes Deutsch bezeichnet (vgl. Fraenkel, 1929, zur Konkurrenz von Präpositionen und Bedeutungserweiterung auf Kosten der anderen in den indogermanischen Sprachen). Sprachen sind historisch gewachsene Kulturprodukte. Eine l:l-Beziehung zwischen Konzepten und Wörtern kann es nicht geben. Unterschiede in den Wort-Konzept-Zuordnungen selbst zwischen Sprachen einer Sprachfamilie können u.a. auf konventionalisierte Konzeptualisierungen 14 (cf. z.B. Casad, 1988) wie auch Laut- und Bedeutungswandel in der Sprache etc. zurückgeführt werden. Die intrasprachliche Variabilität in der Zuordnung von Wort und Konzept belegt, daß unterschiedlich benannte räumliche Relationen konzeptuell (und perzeptiv) dennoch ähnlich sein können, wie auch bei gleicher Benennung konzeptuell differenziert werden kann. So werden z.B. die im Französischen j e nach Vorhandensein von Kontakt zwischen intendiertem Objekt und Relatum unterschiedenen Präpositionen für ,unter' en dessous de und sous während der kindlichen Sprachentwicklung eine Zeitlang ohne Differenzierung verwendet (Piérart, 1978). Andererseits können Kinder auch dann zwei Arten von UNTER-Relationen konzeptuell unterscheiden, wenn in ihrer Sprache nur ein Wort für beide Relationstypen verwendet wird (Halpern, Corrigan & Aviezer, 1981).
14
Vgl. z.B. im Zugion the train, auf dem Foto/in the photograph, ship, im Auto!in the car.
aber: auf dem Schiffion
the
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6 Faktoren der Kategorisierung räumlicher Relationen
Zur sprachlichen Enkodierung einer aktuell gegebenen Raumrelation muß diese räumliche Relation anhand eines Bezugssystems kategorisiert werden. Einige empirische Ergebnisse zu der Frage, welche Einflußfaktoren auf die Kategorisierung einer gegebenen Richtungs-, Distanz- oder Orientierungsrelation wirksam sind, werden im Folgenden vorgestellt. Die Verortung innerhalb eines Bezugssystems beruht auf einem Vergleich des aktuellen Wertes mit den Werten des Bezugssystems (vgl. 3).
6.1 R i c h t u n g Um die Kategorisierung von Richtungen anhand eines Bezugssystems empirisch untersuchen zu können, muß das zugrunde gelegte Bezugssystem konstant gehalten werden. 15 Dies bedeutet nicht unbedingt, daß die Wahl des Bezugssystems in jedem Falle vorausgehen muß. Vielmehr ergibt sich die sprachliche Objektlokalisation vermutlich aus einer Interaktion von Bezugssystemwahl und interner Berechnung der Abweichung gegenüber nahe gelegenen Bezugsrichtungen. So könnte ein Bezugssystem auch gerade wegen einer geringen Abweichung von einer Bezugsrichtung gewählt werden (Vorwerg & Rickheit, 1998). Beispielsweise eignen sich Gegenüberobjekte als Relatum fur intrinsische Lokalisationen besser, wenn das intendierte Objekt sich auf einer Achse an der Vorder- oder der Rückseite befindet, da bei Gegenüberobjekten LINKS und RECHTS nicht intrinsisch unterschieden wird (vgl. 4). Deshalb werden in einer Konfiguration, in der z.B. ein Schrank im 90°-Winkel zur Blickrichtung des Betrachters steht (so daß er die Seite anblickt), sowohl Positionen an der Vorderseite des Schrankes als auch solche zwischen Betrachter und Schrank bevorzugt als vor bezeichnet, d.h. an der Vorderseite wird intrinsisch lokalisiert, am Seitenteil deiktisch (vgl. Herrmann, 1990; Piérart, 1977). Asymmetrien zwischen VOR und HINTER treten in egozentrischen Lokalisationen (Franklin, Henkel & Zangas, 1995), nicht jedoch in deiktischen (Vorwerg & Rickheit, 1999a) auf. Eine besondere Rolle der VOR/HINTER-Bezugsrichtung innerhalb der horizontalen Ebene konnte dagegen sowohl für egozentrische Lokalisationen (Franklin et al., 1995) als auch für deiktische Lokalisationen (Vorwerg & Rickheit) gezeigt werden. So fungieren der VOR- und der HINTER-Pol bei der Gedächtnis-Enkodierung einer Position im uns umgebenden Raum als Bezugsrichtungen, so daß bei der Reproduktion der Position ein Bias (systematischer Fehler) von den Bezugsrichtungen weg (ein Kontrasteffekt) auftritt (Franklin et al., 1995). 16 15
Im Unterschied dazu werden bei der Untersuchung der Bezugssystemwahl in A b h ä n g i g k e i t von bestimmten Bedingungen die untersuchten Positionen konstant gehalten und liegen darüber hinaus in der Regel auf besonders salienten oder prototypischen Werten (z.B. verschiedenen Bezugsrichtungen mehrerer möglicher Bezugssysteme). Eine alternative Erklärung dieses Effekts, welche von Franklin et al. ebenfalls in Erwägung gezogen wird, wäre ein Assimilations- (bzw. Attraktions)effekt hin zu den beiden seitlichen Polen. Diese Erklärung erscheint uns weniger wahrscheinlich, da im gesamten Datenmuster der Untersuchung insbesondere vor eine besondere Rolle spielt und dies auch konsistent mit den Befunden anderer Untersuchungen ist.
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Constanze
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In deiktischen Lokaiisationen im visuellen Raum ist die Verwendung sagittaler Richtungsausdrücke stärker limitiert (d.h. auf geringere Abweichungen von der Bezugsrichtung), während bei lateralen Richtungsausdrücken auch etwas größere Richtungsabweichungen toleriert werden (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Als erster Einflußfaktor beim sprachlichen Lokalisieren innerhalb eines deiktischen Systems erweist sich damit die Dimension der nächst gelegenen Bezugsrichtung: sagittal vs. lateral. Eine Kategorisierung anhand eines einzigen Bezugssystems (in Übereinstimmung mit dem Konsistenzprinzip, vgl. 3) ist dann möglich, wenn eine einzige Origo fur alle Richtungsachsen vorhanden ist; dafür kommt der (Massen-)Mittelpunkt des Relatums in Frage (vgl. auch Herskovits, 1986). Dieser Punkt trennt sowohl VOR und HINTER auf der VOR/HINTER-Dimension als auch RECHTS und LINKS auf der RECHTS/LINKS-Dimension. Die Ausrichtung der sagittalen Dimension ergibt sich aus der Blickrichtung des Betrachters (projiziert auf die horizontale Ebene), die laterale Dimension liegt orthogonal dazu. Die angulare Nähe (bzw. Richtungsabweichung) gegenüber einer nahe gelegenen Achse erwies sich im Sprachproduktionsexperiment als wesentlicher Faktor der Kategorisierung einer Richtungsrelation (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Jedoch auch die angulare Nähe (bzw. Richtungsabweichung) gegenüber der nächst gelegenen Ecke bzw. Kante des Relatums ist als Einflußfaktor bei der Kategorisierung einer Richtungsrelation wirksam. Dies konnte sowohl für den zweidimensionalen Raum (Gapp, 1997) als auch für den dreidimensionalen Raum (Vorwerg & Rickheit, 1999a) empirisch gezeigt werden. Demnach wird bei der Richtungskategorisierung auch die Ausdehnung des Relatums in den fraglichen Richtungsdimensionen in Rechnung gestellt. Die Wahrscheinlichkeit der Zuordnung einer gegebenen Richtungsrelation zu einer Richtungskategorie hängt sowohl von der Nähe des intendierten Objekts zur zugehörigen Richtungsachse als auch von der Nähe zur nächst gelegenen Kante des Relatums als auch von der Richtungsdimension sowie von den drei Interaktionen und der Tripelinteraktion der drei Einflußfaktoren ab (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Die Tripelinteraktion kann wie folgt beschrieben werden: Bei der VOR/HINTER-Dimension hat die Achsennähe nur bei großer Kantennähe einen Einfluß; bei der LINKS/RECHTS-Dimension haben sowohl Achsen- als auch Kantennähe einen Einfluß. Für beide Dimensionen gilt, daß bei Kombination großer Achsen- und Kantennähe ein über die Summation der beiden Haupteffekte hinausgehender Effekt auftritt.
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EiEÌ?n
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m
Relationen
¿χ
ν
ni
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•
ΕΙ
φ Blickrichtung •κ*
Abbildung 6-1: Untersuchte Positionengruppen bei sagittaler und bei lateraler Lage des Relatums: 0 = Position auf der Achse, 1 = Achsennähe hoch/Kanten-nähe hoch, 2 = Achsennähe niedrig/Kanten-nähe hoch, 3 = Achsennähe hoch/Kanten-nähe niedrig, 4 = Achsennähe niedrig/Kanten-nähe niedrig, 5 = Position auf der Diagonalen (vgl. Vorwerg & Rickheit, 1999a). Der Grad der Übereinstimmung/Abweichung gegenüber einer kognitiven Bezugsrichtung kann durch Heckenausdrücke (vgl. Abschnitt 2) sprachlich kenntlich gemacht werden: adjektivische oder adverbiale Wendungen, die angeben, inwieweit bestimmte Exemplare einer bestimmten Kategorie zugeordnet werden bzw. „words whose job is to make things fuzzier or less fuzzy" (Lakoff, 1973: 471). Die Hedges lassen sich (über Ratings oder Clusteranalysen) nach der Stärke der durch die Hecke ausgedrückten Abweichung von der jeweils prototypischen Richtung einteilen (Franklin, Henkel, & Zangas, 1995; Vorwerg & Rickheit, 1999a). Der (negative) Zusammenhang zwischen Abweichungsstärke und Häufigkeit singulärer Richtungsausdrücke läßt sich (beim deiktischen Lokalisieren im visuellen Raum) vollständig auf die Faktoren Achsen- und Kantennähe (und deren Interaktion) sowie die Richtungsdimension (sagittal vs. horizontal) zurückführen (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Cluster
Heckenausdrücke
1
ganz weit, genau, direkt, exakt
2
noch weiter, sehr, fast exakt, ganz leicht
3
bißchen, ziemlich, fast, ein bißchen, kaum, sehr leicht, verschoben
4
minimal, nicht ganz, aber nicht exakt, ein Stück, etwas
5
leicht, versetzt, eher, nahezu, etwas weiter
6
schräg, wenig
Tabelle 6-1: Ergebnisse einer hierarchischen Clusteranalyse nach mittlerer Positionengruppe je Heckenausdruck für die Lokalisationen bei zum Bezugssystem kollinear orientierten Relata (Vorwerg & Rickheit, 1999a).
36
Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
PosiDonengnippe
Posmonengtuppe
Abbildung 6-2: Verteilungskurven von einzelnen Heckenausdrücken über verschiedene Positionengruppen: 0 = auf der Achse; 1 = auf der verlängerten Kante bei geringem Abstand von der Achse; 2 = auf der verlängerten Kante bei großem Abstand von der Achse; 3 = 22,5° von der Kante bei geringem Abstand von der Achse; 4 = 22,5° von der Kante bei großem Abstand von der Achse; 5 = 45° von beiden Kanten (d.h. auf der geometrischen Diagonalen) (Vorwerg & Rickheit, 1999a). Ist die kognizierte Abweichung der Objektposition von beiden benachbarten Bezugsrichtungen zu groß, um sie einer dieser beiden Richtungskategorien zuzuordnen, können kombinierte Richtungsangaben produziert werden. Dies ist um so eher der Fall, je höher die kognizierte Abweichung von einer Bezugsrichtung ist. (Wir haben daher - weiter oben die Häufigkeit singulärer Richtungsangaben als Maß für die graduelle Zugehörigkeit einer Position zu einer Richtungskategorie betrachtet.) Die Reihenfolge der produzierten Richtungsangaben in Kombinationen hängt von der verwendeten Wortart, individuellen Präferenzen der Sprecher und von der Position (deren Nähe zu beiden benachbarten Bezugsrichtungen) ab (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Es ist zu unterscheiden zwischen kombinierten Richtungsangaben, welche als syntaktische Einheiten auftreten (ein Richtungsausdruck modifiziert den anderen; z.B. „links vor der Leiste"; „rechts dahinter"; „hinten links"), und solchen, bei denen das nicht der Fall ist (z.B. „vorne leicht links"; „rechts aber immer noch dahinter"; „links hinten"). Während in englischsprachigen Untersuchungen oft der erste Richtungsausdruck einer Kombination als primär aufgefaßt und daher nur der erste Richtungsausdruck ausgewertet wird (Franklin, Henkel, & Zangas, 1995; Hayward &Tarr, 1995), besteht im Deutschen die Möglichkeit syntaktischer Kombination von Richtungsausdrücken (indem ein Richtungsausdruck den anderen modifiziert bzw. fakultativ ergänzt). In einer experimentellen Untersuchung zum sprachlichen Lokalisieren im visuellen Raum (Vorwerg & Rickheit, 1999a; vgl. Abschnitt 2) waren 77% der kombinierten Richtungsangaben in deiktischen Lokalisationen .syntaktische Kombinationen' (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). In syntaktischen Kombinationen wird die Reihenfolge .horizontal - sagittal' (z.B. links vorne; rechts oben; links unterhalb; rechts hinter; links davor; rechts dahinter), generell präferiert, besonders stark jedoch bei Präpositionen und Präpositionaladverbien. Einen geringen, aber signifikanten Anstieg der Reihenfolge ,sagittal - horizontal' (z.B. vorne rechts) gibt es bei größerer Nähe zur horizontalen Achse. Dies spricht dafür, daß in syntaktischen Kombinationen eher der zweite Richtungsausdruck primär ist. Auch in .freien Kombinationen' wird die
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Reihenfolge horizontal - sagittal' (z.B. „links und etwas nach vorne") bevorzugt, vermutlich infolge der allgemein häufigeren Produktion horizontaler Richtungsausdrücke. Die Positionsabhängigkeit der Reihenfolge ist jedoch bei freien Kombinationen wesentlich stärker als bei syntaktischen Kombinationen und besteht in umgekehrter Richtung: je näher eine Position an der horizontalen Achse ist, um so häufiger tritt die Reihenfolge .horizontal sagittal' auf. Darüber hinaus gibt es bei den einzelnen Vpn unterschiedlich starke Tendenzen, eine der beiden Reihenfolgen (innerhalb syntaktischer Kombinationen) über den Versuch hinweg beizubehalten. (Die gleiche Tendenz ist hinsichtlich der Wortart zu beobachten). Keinen Einfluß auf die Richtungskategorisierung hat die (radiale) Distanz zwischen intendiertem Objekt und Relatum (Gapp, 1997; Logan & Sadler, 1996; Vorwerg & Rickheit, 1999a; Vorwerg, Socher, Fuhr, Sagerer & Rickheit, 1997). Offenbar erfolgt die Kategorisierung der beiden Raumrelationen Richtung und Distanz unabhängig voneinander.
6.2 Distanz Distanzrelationen sind blickpunktunabhängig. Die Distanz gehört zu den quantitativ variierenden Attributdimensionen. Es gibt keine kognitiv ausgezeichneten Werte, die Kategorisierung ist daher stärker von situativ wirksamen Ankerwerten abhängig. Die zur Kategorisierung herangezogenen Bezugssysteme bestehen vor allem aus kognitiv repräsentierten Mittel- und Randwerten. Ein und dieselbe geometrische Distanz kann daher kognitiv ganz unterschiedlichkategorisiert werden- je nach kognizierten Maxima, Minima etc. in einem bestimmten Zusammenhang. So kann zum Beispiel von extrem engen Doppelsternen ebenso die Rede sein wie von sehr weit auseinander stehenden Buchstaben. Dies gilt auch für ein und dasselbe Referenzobjekt. Der Versuch, allein aus der Form oder Größe des Relatums auf Distanzkategorien wie nah an und weit von zu schließen („An object like a house, for example can implicitly determine what is close and far with respect to itself, without the need of any external factors", Hernández, Clementini & Di Felice, 1995: 53; siehe auch Gapp, 1997) dürfte deshalb in vielen Fällen auf Schwierigkeiten stoßen. So kann etwa die Autobahn mit 1km Entfernung sehr nah am Haus und ein Ball mit 10m Entfernung weit entfernt vom Haus liegen. Die experimentellen Ergebnisse zum sprachlichen Lokalisieren im visuellen Raum zeigen, daß bei systematischer Variation der Distanz zwischen intendiertem Objekt und Relatum in drei (äquidistanten) Abstufungen diese drei Abstufungen als GERINGER, MITTLERER bzw. GROßER ABSTAND kategorisiert werden (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Tabelle 6-2 gibt eine Übersicht über die Modalwerte der verwendeten Distanzangaben (d.h. die Distanzen, bei denen die jeweiligen Distanzangaben am häufigsten verwendet wurden).
38
Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
DISTANZ 50 mm
100 mm
150 mm
Positive Distanzangaben Nah; ganz nah; sehr nicht sehr weit nah Dicht; eng; kurz; halb knapp; gleich mittlerer Abstand Geringer Abstand
weit; ganz weit; ganz entfernt; in einiger Entfernung großer Abstand
Kurzer Abstand
halber Abstand; Hälfte Abstand
weiter Abstand
Ziemlich* nah
etwas entfernt
ziemlich* weit; ziemlich weit entfernt/weg
Komparative Distanzangaben Etwas* näher
etwas* weiter
etwas weiter entfernt
Näher; noch näher
weiter
Nicht so weit
nicht ganz so weit
noch weiter; noch etwas* weiter weiter weg
Kürzerer Abstand
Abstand geringer; weiterer Abstand
größerer Abstand
* ,etwas' = etwas; bißchen; (ei)n bißchen; (ei)n Stück; ein wenig * .ziemlich'= ziemlich; recht; relativ Tabelle 6-2: Übersicht über die in einer experimentellen Untersuchung zum sprachlichen Lokalisieren produzierten Distanzangaben. Sie sind jeweils der Distanz zugeordnet, bei der sie am häufigsten verwendet wurden (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.). Die Annahme, daß die Distanz in Abhängigkeit von der Ausdehnung des Relatums in Richtung der Distanzmessung kategorisiert (bzw. skaliert) würde (Gapp, 1997), fand in unserer Untersuchung keine empirische Unterstützung. Die Distanzausdrücke weiter, etwas weiter, ziemlich weit wurden nur teilweise in Abhängigkeit von der Distanz (ihre Verteilungskurven sind sehr flach), aber auch teilweise in Abhängigkeit von der Position verwendet. Dies spricht dafür, daß sie sowohl als Distanzangaben als auch als sprachliche Hecken verwendet werden können. Insgesamt wurden Distanzangaben für Randwerte (innere und äußere Positionen) signifikant häufiger als für Mittelwerte (mittlere Positionen) produziert. Offenbar werden extreme Werte quantitativer Dimensionen eher als mittlere Werte benannt.
6.3 Orientierung Die einzige in der Untersuchung vorkommende Orientierungsangabe parallel wurde ausschließlich bei intrinsischen Lokalisationen (mit Auffassung des Relatums als Gegenüberobjekt, vgl. 5.1) verwendet (obwohl die Kanten von intendiertem Objekt und Relatum unter allen experimentellen Bedingungen parallel waren), und zwar nur an den beiden SEITEN des Relatums (d.h. auf lateralen Positionen). Bei mentaler Rotation in die sagittale Orien-
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tierung (Auffassung der schmalen Seite als Vorderseite) wurde parallel bei Positionen an den beiden Längsseiten verwendet, bei mentaler Rotation in die laterale Orientierung (Auffassung der breiten Seite als Vorderseite) wurde parallel bei Positionen an den beiden Schmalseiten gebraucht (Vorwerg & Rickheit, in Vorb.)· Damit wurde die Richtungsangabe nur bei gegenüber der Blickrichtung rotiertem Bezugssystem und nur bei Nähe des intendierten Objekts zur lateralen Bezugsrichtung produziert.
7 Raumkognition und Sprache
Berlin und Kay (1969: 13) kamen aufgrund ihrer Untersuchungen der Farbbenennungen in verschiedenen Sprachen zu dem Schluß, daß sich die Farbbezeichnungen nicht auf ausgedehnte Bereiche, sondern auf punktuelle Repräsentationen (besonders saliente Farben bzw. die Foci der Kategorien) beziehen. Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gelangt Talmy (1983: 280), wenn er von einer .repräsentativen [statt exhaustiven] Verteilung' spezifischer Raumreferenzen über eine ,semantische Domäne' spricht („a representative ,dotting', not a comprehensive classification"). Möglicherweise sind es solche .repräsentativen', besonders typischen oder kognitiv salienten Werte einer Attributdimension, welche die konzeptuellen Repräsentationen darstellen, mit denen die entsprechenden Wörter der Sprache assoziiert sind. Räumliche Konfigurationen können in verschiedene Dimensionen (z.B. Richtung, Distanz, Orientierung) aufgespalten und hinsichtlich dieser Dimensionen kategorisiert werden. Je nach Übereinstimmung mit bzw. Abweichung von solchen Werten, welche eine sprachlich benennbare Kategorie repräsentieren, können aktuell präsente Werte einer Kategorie mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit bzw. inter- und intraindividueller Übereinstimmung (wie auch subjektiver Sicherheit, Geschwindigkeit etc.) zugeordnet werden. Der Grad an Übereinstimmung bzw. Abweichung kann durch Heckenausdrücke sprachlich kenntlich gemacht werden (welche ihrerseits mit entsprechenden Konzepten gekoppelt sind). Dabei kann eine sprachliche Bezeichnung durchaus mit mehreren Foci der Dimension assoziiert sein und umgekehrt (vgl. z.B. Berlin & Kay, 1969) [unabhängig davon, daß ein Wort selbstverständlich auch mit ganz anderen Konzepten verbunden sein kann, ob zufällig oder etymologisch bedingt]. Die Ähnlichkeit eines aktuell gegebenen Wertes einer Dimension mit kognitiv repräsentierten Vergleichswerten des jeweiligen Bezugssystems ist wesentlich für die Kategorisierung räumlicher Relationen. Sind situativ konkurrierende Objekte vorhanden, wird die Ähnlichkeit eines Dimensionswertes auch im Vergleich zu den Ausprägungen dieser Objekte auf der entsprechenden Dimension beurteilt. (Empirische Studien zur Prüfung dieser Annahme stehen noch aus; in der Regel wird mit ,Minimalkonfigurationen' aus intendiertem Objekt und Relatum sowie ggf. Blickpunkt gearbeitet.) Ähnlichkeit begründet zahlreiche Objektkategorisierungen (Goldstone, 1994); um so mehr ist dies bei perzeptiven Attributdimensionen der Fall. Während die Vergleichswerte, die das kognitive Bezugssystem bilden, bei qualitativen Dimensionen wie der Richtung oder der Orientierung im wesentlichen aus perzeptiv salienten bzw. präferierten Werten bestehen, spielen bei quantitativen Dimensionen wie der Distanz oder der Länge vor allem kognitiv repräsentierte Randwerte
40
Constanze Vorwerg und Gert Rickheit
oder Mittelwerte eine entscheidende Rolle. So hängt die Kategorisierung von Werten in der Nähe eines Ankerwertes davon ab, ob dieser (z.B. durch die Instruktion) als Mittel- oder als Randwert aufgefaßt wird; und die Verteilung der Reaktionen auf vorgegebene Werte (z.B. Benennungen oder Tastendruck) verschiebt sich bei einer gegenüber dem ursprünglichen Ankerwert asymmetrischen Werteverteilung (vgl. Thomas, Lusky & Morrison, 1992). Perzeptiv saliente Werte innerhalb von Attributdimensionen dürften in den meisten, wenn nicht allen Fällen kulturunabhängig sein. Es gibt jedoch nichts, was eine Sprache zwingen würde, Wörter mit diesen fokalen Werten zu assoziieren. Wenn es jedoch Wörter gibt, beziehen sie sich auf einen oder mehrere dieser salienten Werte.' 7 Das Fehlen einer Bezeichnung kann uns andererseits nicht davon abhalten, zwei Formen oder räumliche Konfigurationen als ähnlich zu betrachten, als gleichartig zu kategorisieren und in gleicher Weise auf sie zu reagieren. Sprache fixiert bestimmte Konzeptualisierungen. Dies muß dem rezenten Sprach Verwender jedoch keineswegs bewußt sein und bedeutet nicht, daß die Sprecher zweier Einzelsprachen (oder zweier Entwicklungsabschnitte einer Sprache) ein und dieselbe räumliche Relation individuell unterschiedlich konzeptualisieren oder gar wahrnehmen müßten, wenn sie unterschiedliche Bezeichnungen für sie verwenden. „Linguistic relativity, so-called, takes on a new and reduced significance when we realize that the kinds of difference between languages which are routinely taken as evidence in favor of the Whorfian view commonly occur within languages" (Kay, 1996: 97). Viele der zwischen Einzelsprachen zu beobachtenden Unterschiede treten auch innerhalb von Einzelsprachen auf. Dazu gehören Alters- und Bildungsabhängigkeit ebenso wie regionale Unterschiede und intraindividuelle Variabilität. Ein und dieselbe Person kann sich hinsichtlich der Verwendung bestimmter Ausdrücke für bestimmte Konfigurationen nicht nur im Verlaufe ihres Lebens oder bei Umzug in eine andere Gegend verändern, sie hat in der Regel auch für jede Situation simultan mehrere Bezeichnungen zur Verfugung, die auf (individuell oder historisch) unterschiedlichen Konzeptualisierungen beruhen können. Die zwischen verschiedenen Sprachen gefundenen Unterschiede sind oft eine Frage von Häufigkeiten oder Mittelwerten (siehe z.B. Hill, 1982; Pederson, 1995; Grabowski & Weiß, 1996). In jedem Falle erfordert die Produktion eines Raumausdrucks die Kategorisierung einer räumlichen Konfiguration im Hinblick auf wenigsten einen Aspekt dieser Konfiguration (wie z.B. Richtungs-, Distanz- oder Orientierungsrelation). Die Kategorisierung einer räumlichen Relation beinhaltet den Vergleich eines gegebenen Wertes mit Werten eines Bezugssystems. Prinzipien und Einflußfaktoren der Kategorisierung von Raumrelationen sind einer empirischen Untersuchung zugänglich; als Einflußfaktoren auf die Richtungskategorisierung bei deiktischen Lokalisationen wurden Nähe zur Achse, Nähe zu Kanten und Richtungsdimension identifiziert (Vorwerg & Rickheit, im Druck). Da es sich um aktive Vergleichsprozesse handelt, sind die Grenzen einer Kategorie nicht fest gegeben, sondern die Zuordnung zu einer Kategorie variiert inter- und intraindividuell mit wachsender Abweichung von den jeweiligen Bezugswerten in steigendem Maße (Vorwerg & Rickheit, 1999b). Gleichzeitig besteht die Tendenz, ein Bezugssystem konsistent zugrunde zu legen und beizubehalten (Konsistenzprinzip; vgl. auch Harris & Strommen, 1972). Deshalb spielen vermutlich anfängliche Kategorisierungen eine große Rolle. Möglicherweise ist auch bei der Wahl der sprachlichen Mittel eine Art Konsistenzprinzip wirksam, welches zu einer indivi17
Hier sind die Hauptkategorien einer Dimension gemeint. Zusätzliche (ebenfalls sprachlich benennbare) Kategorien können Untergruppen oder Übergänge betreffen.
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duellen Präferenz bestimmter Wortarten oder Wortreihenfolgen in einer Kommunikationssituation führen kann. (Eine alternative Annahme wären überdauernde individuelle Präferenzen). Die Relativität sprachlich reflektierter w i e auch anderer kognitiver Kategorisierungen besteht in der In-Relation-Setzung zu Vergleichswerten, welche kognitiv in irgend einer Weise repräsentiert sein müssen (ob nun die Position der Sterne, der Sonne, der Berge, die eigene Position oder Blickrichtung, empirische Rand- oder Mittelwerte oder perzeptiv saliente Werte zur Kategorisierung herangezogen werden).
Literatur
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Gabriele Janzen und Steffi Katz Die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung und ihr Ausdruck in der Sprache1
1 Einführung
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Wahrnehmung von Bewegung sehr früh in der phylo- und ontogenetischen Entwicklung erfolgte. Gibson (1950, 1966, 1979, s. auch Johansson, 1973, 1975) und andere haben der menschlichen Fähigkeit, Veränderungen über die Zeit hinweg wahrzunehmen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der visuelle Wahrnehmungsapparat ist primär empfänglich für Bewegungsinformation. Gordon Walls (1942) sieht die Wahrnehmung von Bewegung ganz eng mit dem Überleben verknüpft, auch wenn sich die Objekte, denen Menschen und Tiere im Laufe ihrer Entwicklung ausweichen mußten, natürlich entscheidend gewandelt haben. Einige Fragen sind über die Zeit hinweg gleich geblieben: Was kommt da auf mich zu? Wie schnell ist es? Wo muß ich mich hin bewegen, um auszuweichen? - Was damals entscheidend zum Erfolg der menschlichen Art beigetragen hat, ist auch heute noch wichtig. Schon an diesem Beispiel wird deutlich, daß auch die Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung evolutionär elementar war. Schnell wahrzunehmen, ob ein Objekt sich auf einen selber zu bewegt oder ob man selbst sich dem Objekt nähert, ist eine Überlebensgrundlage gewesen. Die menschliche Fähigkeit, in solchen Situationen mit anderen zu kommunizieren, war in diesem Zusammenhang eine weitere entscheidende Erfolgsgrundlage. Das eigene Wahmehmungserlebnis sollte anderen auch schnell und verständlich mitgeteilt werden können. So ist es z.B. wichtig, einem auf der Straße spielenden Kind mitzuteilen, daß ein Auto kommt, damit das Kind rechtzeitig die Straße verlassen kann. Um Mißverständnissen vorzubeugen, ist es daher sinnvoll, die wahrgenommene Bewegungsart zu verbalisieren. Auch die Stellung im Raum (die eigene oder die des jeweiligen Objektes) muß beschrieben werden, um daraufhin erfolgreich eine Handlung planen und ausführen zu können. Das Sprechen über Bewegung dient also, wie auch Sprechen im Allgemeinen, der Modifikation von Bewußtseinsinhalten des Partners. Man spricht, um dem Partner neue Inhalte zu vermitteln oder bestehende zu ändern. Dadurch wird nicht nur das Bewußtsein des Partners sondern auch sein Handeln und Verhalten so modifiziert, daß dieser in der Lage ist, auf die neue Situation im Sinne der Sprecherintention zu reagieren (Herrmann, 1995). In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Menschen eine räumliche Anordnung beschreiben, durch die sie in einem Experiment mittels einer Filmsequenz gefuhrt werden. Hierbei werden wir nicht Wahrnehmung und Sprache unabhängig einander gegenüberstellen. Vielmehr wollen wir mit Hilfe eines Experimentes belegen, daß Unterschiede der Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegungen bei Verbalisierungen zutage treten, 1
Diese Arbeit wurde unterstützt durch die DFG (He 270/19-2). Unser besonderer Dank g i l t Theo Herrmann, Gisela Harras, Andrea Weber und Kerstin Nieradt fur hilfreiche Kommentare zum Manuskript.
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
die nicht diese Bewegung selbst, sondern die Raumkonstellation im Allgemeinen betreffen. Aus diesen Beschreibungen von Versuchspersonen werden Indikatoren fur das Erleben von Eigen- und Fremdbewegung ermittelt. (Zu Unterschieden bei englischen und deutschen Beschreibungen von Bewegungsereignissen s. Carroll, dieser Band.) Diese Indikatoren wurden mit, im Anschluß an die Beschreibungen explizit abgegebenen, Wahrnehmungsurteilen zu Eigen- und Fremdbewegung verglichen. Im folgenden wird jetzt zuerst der Wahrnehmungsaspekt von Eigen- und Fremdbewegung und die mentale Repräsentation dieser Bewegungsarten beleuchtet. Im zweiten Abschnitt wird auf das Sprechen über Bewegung im Raum eingegangen. Die Ergebnisse der anschließend dargestellten Untersuchung berichten wir in Abschnitt 4.
2 D i e W a h r n e h m u n g von E i g e n - und F r e m d b e w e g u n g
Die Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung ist bei sensumotorischer Rückkopplung vergleichsweise einfach. Wenn propriozeptive Information der Muskeln von Augen, Kopf, und Rumpf vorliegen, hat eine Eigenbewegung bzw. eine Lageveränderung des eigenen Körpers im Raum stattgefunden (s. dazu z.B. Potegal, 1982). Durch Rückmeldung der eigenen Muskeltätigkeit erhält man aber nicht nur die Information, daß Eigenbewegung stattgefunden hat, es sind auch Art und Ausmaß der Bewegung mitkodiert. Wie kompliziert jedoch die Wahrnehmung von Eigenbewegung ohne sensumotorische Rückkopplung in manchen Fällen sein kann, haben fast alle Zugfahrenden schon am eigenen Leib erlebt: Untersuchungen zu dieser Zug-Illusion zeigen, wie leicht solche Wahrnehmungstäuschungen erreicht werden können (s. z.B. Dunker, 1929). In den meisten Fällen gelingt es aber auch, ohne Muskeltätigkeit wahrzunehmen, daß man sich zum Beispiel selber in einem Fahrzeug durch die Anordnung bewegt. Welche Faktoren fur die Wahrnehmung von Eigenbewegung relevant sind, ist dabei auch für die Forschung zur Raumkognition eine wichtige Frage, zum Beispiel wenn man Eigenbewegung experimentell simulieren bzw. vermitteln will. Man kann den Vorgang der Wahrnehmung von Eigen- oder Fremdbewegung vereinfacht in einem Modell von Harris (1994) darstellen. (Dieses Modell ist von uns um einige Einflußfaktoren, die anschließend erklärt werden, und um eine weitere sprachliche Komponente ergänzt worden, auf die in Abschnitt 4 näher eingegangen wird.)
Die Wahrnehmung
von Eigen und
Fremdbewegung
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Abbildung 1 : Modell der Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung (nach Harris, 1994; vgl. Text) Visuell verfugbare Information liegt durch optischen Fluß vor. Wenn Menschen ihren Kopf bewegen, verschiebt sich die auf der Netzhaut abgebildete Umgebung. Die Verschiebung von Objekten im Vordergrund und die Veränderungen des Reizhintergrundes sind dabei unterschiedlich, wodurch die charakteristische Tiefenstaffelung des optischen Flusses entsteht. Ein wichtiger Beitrag zu diesem Phänomen stammt von J.J. Gibson, der seit den 50er Jahren die Wahrnehmungsforschung revolutioniert hat. Gibson (1950, 1966, 1979) spricht in diesem Zusammenhang von „optic flow" oder dem „Fließen des Sehfeldes" auf der Netzhaut. Auch sakkadische Augenbewegungen verschieben das Netzhautbild, sie dienen aber hauptsächlich dazu, Teile der Umwelt nacheinander in der Fovea centralis, der Stelle des schärfsten Sehens, abzubilden (vgl. dazu Bahill & Stark, 1987). Während verschiedene Formen sakkadischer Augenbewegungen immer auftreten, auch wenn eine Person sich nicht bewegt, wird hier haupsächlich auf Bewegungen des Kopfes oder ganzen Körpers eingegangen. Dreht man bei ruhender Umgebung den Kopf, wird diese Umgebung auch als ruhend wahrgenommen. Wenn jedoch im umgekehrten Fall der Kopf ruht und sich die Umgebung verschiebt, wird sie als bewegt wahrgenommen. Diese Wahrnehmungsunterschiede treten auf, obwohl die Verschiebungen des Netzhautbildes in beiden Fällen sehr ähnlich sind. Die daher naheliegende Annahme, daß die Umwelt als unbewegt wahrgenommen wird, wenn körpereigene Informationen über eine Bewegung der Muskeln vorliegen, ist aber widerlegt. Nach Wallach (1987) liegt eine solche „Wahrnehmungsblockade" nicht vor. Menschen können sogar den Eindruck haben, daß die Umwelt sich verändert, obwohl sie wissen, daß dies tatsächlich nicht der Fall ist. Informationen über Verschiebungen des Bildes auf der
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
Netzhaut werden nicht „abgeblockt", wie man früher gedacht hat, sondern kompensiert, wenn körpereigene Bewegungen vorliegen. Die visuellen Informationen werden, in einem Kompensationsprozeß, mit Informationen über Körperbewegungen verglichen. Wenn sich die Daten in einem bestimmten feststehenden Verhältnis zueinander verändern, wird die Umgebung als unbewegt wahrgenommen, im anderen Fall als bewegt. Wallach (1987) sowie Becklen, Wallach und Nitzberg (1984) haben untersucht, wie groß die Bewegungsunterschiede von Objekten und Körper sein müssen, damit eine Umgebung als bewegt wahrgenommen wird, wenn Menschen umherblicken oder gehen. Menschen nehmen ihre Umwelt dann als unbewegt wahr, wenn die Drehung eines Objektes weniger als 40% des eigenen Bewegungswinkels ausmacht. Das visuelle System ist also in der Lage, bei Eigenbewegungen den Kompensationsprozeß so zu verändern, daß der „Unbeweglichkeitsbereich" der Umgebung steigt: Die Umwelt wird trotz Eigenbewegungen als ruhend wahrgenommen. Es gibt auch optische Täuschungen oder Situationen, in denen nur schwer entschieden werden kann, ob die Umwelt oder man selbst sich bewegt. Wie oben erwähnt, kann man zum Beispiel in einem Zug sitzen und nicht wissen, ob der Zug auf dem Gleis nebenan sich bewegt oder der eigene. Der Körper meldet in beiden Fällen die gleichen Daten, und auch die Verschiebung des Bildes auf der Netzhaut ist die gleiche. Die eingehende visuelle Information wird nach einem Verrechnungsprozeß als Eigenoder Fremdbewegung kodiert. Auf diesen Prozeß können neben propriozeptiver Rückmeldungen der Muskeln noch weitere Einflußfaktoren wirksam werden. So wissen wir, daß unsere Welt dreidimensional ist. (Dieses Weltwissen wirkt sich natürlich nicht nur auf den Wahrnehmungsprozeß, sondern u.a. auch auf den Sprachproduktionsprozeß aus, s. z.B. Habel, 1988.) Wir haben vielleicht verschiedene „Voreinstellungen", z.B. durch eine Instruktion, wie „Stell dir vor, du gehst da durch." Zusätzlich können Fremd- und Eigenbewegung in verschiedenen Situationen erfahrungsgemäß unterschiedlich wahrscheinlich sein. Alle diese Faktoren müssen zusammen verarbeitet werden, um eine möglichst gute Schätzung über Eigen- und Fremdbewegung zu erreichen. Unklar ist bisher, wie bzw. ob sich die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung gegenseitig beeinflussen können. So nimmt z.B. Harris (1994) einen Suppressionsmechanismus an, mit dem er die Schwierigkeit erklären will, Fremd-, bzw. Objektbewegung wahrzunehmen. Es scheint ihm zufolge so zu sein, daß die Erkennung einer Bewegungsart die Fähigkeit beeinflußt, die andere Bewegungsart wahrzunehmen. Für eine Entscheidung über Eigen- und Fremdbewegung (ohne sensumotorische Rückkopplung) müssen also Veränderungen des optischen Flusses, die durch Eigenbewegung hervorgerufen werden, unterschieden werden von den Veränderungen des Sehfeldes, die durch die Bewegung eines Objektes erzeugt werden: Eine Entscheidung über Eigen- oder Fremdbewegung läßt sich nach Gibson (1950, 1954, 1968) dadurch treffen, daß bei einer Bewegung der betrachtenden Person eine globale Veränderung des optischen Feldes generiert wird, während bei der Bewegung eines Objektes eine lokale Transformation des optischen Feldes in einer abgegrenzten Region erzeugt wird. Gibson (1950) mißt dabei dem Hintergrund einer wahrgenommenen Umgebung eine entscheidende Rolle zu. Das Fehlen eines Hintergrundes verändert demnach die Wahrnehmung, da dieser als Referenzstruktur verwendet wird. Aufbauend auf diesen Überlegungen proklamierten Brandt, Dichgans & Koenig (1973) die Peripherie-Dominanz-Hypothese: Wenn Eigenbewegung eine globale Transformation erzeugt, ist es wahrscheinlicher, daß diese Veränderungen peripher wahrgenommen werden, während Objektbewegungen retinal zentral abgebildet werden (Unter-
Die Wahrnehmung von Eigen und
Fremdbewegung
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suchungen zur bekannten Zug-Illusion bestätigten zuerst diese Hypothese, s. auch Dichgans & Brandt, 1978). Spätere Untersuchungen zeigen aber, daß es neben dem stimulierten Gebiet der Retina noch eine Rolle spielt, ob sich die bewegte Oberfläche im Vordergrund, also vor einem stationären Hintergrund befindet (in diesem Fall wird Fremdbewegung wahrgenommen) oder ob es sich umgekehrt verhält und die bewegte Fläche sich im Hintergrund befindet (für einen Überblick siehe Warren & Kurtz, 1992). Experimente von Warren & Kurtz (1992) widersprechen ebenfalls der Peripherie-Dominanz-Hypothese. Die Autoren konnten zeigen, daß retinal zentrale Information zur Wahrnehmung von Eigenbewegung und sogar zu besseren Urteilen über die Richtung der Eigenbewegung führt als periphere Information. Ihre Befunde bestätigen damit die Annahme von Gibson (1968), daß Eigenbewegung in erster Linie aufgrund von optischer Information wahrgenommen wird und der retinale Stimulationsort nur dadurch von Bedeutung ist, daß bestimmte Regionen der Netzhaut für charakteristische Informationen unterschiedlich sensitiv sind. Diese Annahmen zur unterschiedlichen Sensitivität von zentralem und peripherem Sehen für Informationen von Eigen- und Fremdbewegung nennen Warren und Kurtz (1992) die Funktionale-Sensitivitäts-Hypothese. Die Wahrnehmung von Eigen- oder Fremdbewegung hängt also neben der Reizumgebung von spezifischen optischen Fluß-Mustern an unterschiedlichen Stellen der Netzhaut ab. Nachdem unser Wahrnehmungsapparat Eigen- von Fremdbewegung unterscheiden kann, stellt sich die Frage, wie die beiden Bewegungsarten im Gedächtnis gespeichert, bzw. repräsentiert werden.
3 Wie wird Eigen- und Fremdbewegung repräsentiert?
Ein wichtiger Bestandteil der Repräsentation von Eigen- und Fremdbewegung ist der Blickpunkt, den eine betreffende Person in der jeweiligen Wahrnehmungssituation eingenommen hat. Jede räumliche Konstellation wird zwangsläufig von einem bestimmten Blickpunkt aus betrachtet. Nach Herrmann (1995) bezeichnet der Blickpunkt die Visierrichtung (die Blickrichtung, den Betrachtungswinkel) und den Ort, von dem aus man Orte, Gegenden, Objekte oder dergleichen wahrnimmt (s. auch Herrmann, 1996; Franklin, Tversky & Coon, 1992). Die Wahrnehmung von Eigenbewegung zeichnet sich durch ständig wechselnde Blickpunkte aus, die beim Umhergehen oder Umschauen im Raum eingenommen werden. Ein Hauptbestandteil auch filmisch vermittelter Eigenbewegung ist eine aus der Perspektive der betrachtenden Person gefilmte Abfolge verschiedener Blickpunkte. Eine solche Folge verschiedener, nacheinander eingenommener Blickpunkte wird als Blickpunktsequenz bezeichnet (s. Schweizer, 1997; Schweizer & Janzen, 1996). Die Wahrnehmung von Fremdbewegung muß im Gegensatz zur Eigenbewegung nicht mit wechselnden Blickpunkten einher gehen. Ein einziger Blickpunkt kann auch über einen längeren Zeitraum beibehalten werden (s. Herrmann & Schweizer, 1998). (Anzumerken ist, daß die Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung natürlich oft miteinander verbunden ist. Um ein sich bewegendes Objekt zu verfolgen, werden häufig Augen- Kopf- und Körperdrehungen ausgeführt werden müssen.) Der in einer Wahrnehmungssituation eingenommene Blickpunkt ist oft auch in der mentalen Repräsentation einer Szene enthalten. In der Erinnerung an eine Szene und in der Spra-
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Gabriele
Janzen und Steffi Katz
che ist es aber auch möglich, einen anderen als den zuvor eingenommen Blickpunkt zu enkodieren (zur Perspektiven-Wahl s. Tversky, 1996). Zahlreiche Untersuchungen zu betrachter- und objektzentrierten Bezugssystemen bestätigen die häufigere Enkodierung eines zuvor eingenommen Blickpunktes. So fand Buhl (1996a, b), daß Versuchspersonen bei Wegbeschreibungen bevorzugt den zuvor in einem Film vermittelten Blickpunkt einnehmen. Dies selbst dann, wenn es dem Partner dadurch nicht möglich ist, zu einem beschriebenen Objekt zu gelangen. Tversky (1996) hingegen fand keine Hinweise auf eine solche Default-Perspektive. Ihre Befunde zeigen, daß eine gewählte Perspektive häufig nicht beibehalten wird, sondern, daß Versuchspersonen spontan zwischen verschiedenen Perspektiven wechseln (s. auch Tappe, dieser Band). Die Repräsentation von Blickpunktsequenzen im Gegensatz zu einem einzigen Blickpunkt reicht also schon aus, um zwischen Eigen- und Fremdbewegung unterscheiden zu können. Wie können jetzt aber die spezifischen Merkmale von Bewegungen in einer solchen Repräsentation kodiert sein? Freyd (1987) geht dabei von einer dynamischen mentalen Repräsentation aus. Ihre Befunde zum „representational momentum" zeigen, daß Menschen sensitiv für implizite dynamische Information sind, sogar dann wenn keine Veränderungen über die Zeit hinweg wahrgenommen werden können. So sind Versuchspersonen sofort in der Lage, aus einem statischen Foto, auf dem eine Bewegungs-Szene dargestellt ist, die Bewegungsrichtung wahrzunehmen. In weiteren Experimenten fand sie Hinweise, daß die Bewegung in der mentalen Repräsentation fortgesetzt wird. Versuchspersonen sollten beurteilen, ob es sich bei einem zweiten Foto um das gleiche wie das zuvor gesehene handelt. Fotos, in denen die Bewegung fortgeführt ist, wurden schneller als identisch mit dem Originalfoto beurteilt, als das Originalfoto selbst und als Fotos, die ein früheres Bewegungsstadium der Szene zeigen, (s. Freyd, 1983; Freyd & Finke, 1984). Hinweise auf die Fortführung einer Bewegung in eine bestimmte Richtung lassen sich auch in Mannheimer Experimenten zum Richtungseffekt finden. In Untersuchungen mit dem Paradigma des räumlichen Primings lernen Versuchspersonen Gegenstände einer räumlichen Anordnung sequentiell kennen. Sie können dann schneller beurteilen, ob diese Objekte in der Anordnung vorkamen oder nicht, wenn zwei dieser Gegenstände in der im Film kennengelernten Richtung aufeinander folgen, als wenn sie in der Gegenrichtung dargeboten werden. Diese Erwerbsrichtung beim Bewegen durch räumliche Anordnungen ist also in der mentalen Repräsentation der Anordnung mitkodiert. (S. Herrmann, Buhl & Schweizer, 1995; Janzen, 1998; Schweizer, Herrmann, Janzen & Katz, 1998.) Nach Freyd (1987) enthält eine dynamische Repräsentation eine analoge zeitliche Dimension. Diese zeitliche Dimension muß notwendigerweise in der dynamischen Repräsentation enthalten sein, d.h. sie kann nicht entfernt werden, ohne die gesamte Repräsentation zu zerstören. Auch Talmy (1996) mißt der Repräsentation von Bewegung aus linguistischer Sicht eine besondere Bedeutung zu. Er nimmt zwei getrennte kognitive Subsysteme an, aus denen zwei Arten von Repräsentationen desselben Objektes resultieren. Die Repräsentationen unterscheiden sich in ihrem Grad der Veridikalität, wobei er die veridikalere Repräsentation „factiv" und die weniger veridikale „fictiv" nennt. In der visuellen Wahrnehmung gehört dabei das „palpable percept", also das „greifbare" Wahrnehmungsereignis, in der Regel zur faktiven Repräsentation und das weniger „palpable percept" zur fiktiven Repräsentation. Talmy (1996) beschäftigt sich hauptsächlich mit fiktiver Bewegung in der Sprache, wie sie etwa bei der metaphorischen Verwendung des Bewegungsverbs gehen deutlich wird (vgl. dazu auch Radden, 1989). Ein Beispiel dafür ist „This road goes from Modesto to
Die Wahrnehmung von Eigen und
Fremdbewegung
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Fresno" (Talmy, 1996, S. 215). Aufgrund einer fiktiven Repräsentation wird sprachlich ein Bewegungsverb verwendet. Freyds Arbeit zum „representational momentum" (s. oben) fällt bei Talmy (1996) in den Bereich der faktiven Repräsentation. Er sieht den Bias der Versuchspersonen in dem faktiven Fortschreiten der Figuren auf den Bildern begründet. Das heißt den Figuren auf den Abbildungen wird die Möglichkeit einer veridikalen, palpablen Bewegung zugeschrieben. Die Schwierigkeit, zwischen Talmys (1996) faktiver und fiktiver Bewegungsrepräsentation zu unterscheiden, besteht darin herauszufinden, wie die betreffenden Personen das jeweilig beobachtete Ereignis wahrnehmen. Wenn Menschen also eine Fremdbewegung tatsächlich wahrnehmen, auch wenn sie wissen, daß es z.B. für diese Gegenstände gewöhnlich nicht möglich ist, sich zu bewegen, handelt es sich hier nach Talmy (1996) um eine faktive Repräsentation. Andererseits besteht aber die Möglichkeit, daß es sich bei dem sprachlich beschriebenen Ereignis um fiktive Bewegung in der Sprache handelt und auf der Wahmehmungseite keine Bewegung erlebt wurde. Am oben beschrieben Beispiel von Talmy (1996) wird deutlich, daß aller Wahrscheinlichkeit nach bei dieser Äußerung keine sich bewegende Straße wahrgenommen wurde, sondern daß aufgrund einer fiktiven Repräsentation in der Sprache das Bewegungsverb gehen verwendet wurde. Die Verwendung von Bewegungsverben bei der Beschreibung von Fremdbewegung läßt allein also keinen sicheren Schluß auf das zugrunde liegende Wahrnehmungserlebnis zu. Es ist demnach notwendig, weitere Indikatoren hinzuzuziehen. Auch das Wahrnehmungsphänomen der stroboskopischen oder Scheinbewegung (s. z.B. Wertheimer, 1912) kann nach Talmy (1996) nicht einer sprachlichen Äußerung mit fiktiver Bewegung zugrunde liegen. Shepard & Zare (1983) konnten zeigen, daß eine graue, gebogene Linie zwischen zwei kurz nacheinander aufblinkenden Punkten die Illusion eines einzigen Punktes erzeugt, der sich auf dem Weg dieser grauen Kurve zu einem anderen Ort hin und zurück bewegt. Das benötigte zeitliche Intervall der Punkte für die Evozierung einer solchen Scheinbewegung steigt dabei nicht mit der euklidischen Distanz der beiden Punkte zueinander an, sondern mit der Länge der gebogenen grauen Linie. (Eine Übersicht zu neurophysiologischen Grundlagen zur Scheinbewegung geben Goebel, Muckli und Singer, 1999.) Wenn man Talmys (1996) Konzept einer fiktiven und einer faktiven Repräsentation auf Phänomene der Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung überträgt, stellt sich die Frage, ob es fiktive Repräsentationen von Eigen- und Fremdbewegung gibt und wie diese sich gegebenenfalls in Beschreibungen niederschlagen. Die Verwendung von Bewegungsverben in Beschreibungen muß dann nicht mit einem explizit abgegeben Urteil über Bewegung übereinstimmen. Auch eine statische Szene kann dynamisch beschrieben werden (vgl. v. Stutterheim & Carroll, 1993). Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Repräsentation von Eigen- und Fremdbewegung mit einer unterschiedlichen Repräsentation von Blickpunkten einhergeht. Für Eigenbewegung muß demnach eine Blickpunktsequenz repräsentiert sein, die mit der jeweiligen Positionsveränderung im Raum eng gekoppelt ist. Bei Fremdbewegung reicht ein einziger Blickpunkt aus, der nicht mit der Repräsentation des Bewegungsverlaufs der Objekte verbunden zu sein braucht. Wenn die unterschiedliche Repräsentation von Blickpunkten die Grundlage für Eigen- und Fremdbewegung darstellt, sollte sie sich auch beim Sprechen über die verschiedenen Wahrnehmungserlebnisse zeigen. Bevor wir versuchen, diese
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
Frage zu klären, werden wir im folgenden Abschnitt einige Grundlagen des Sprechens über räumliche Anordnungen darstellen.
4 Sprachliche Indikatoren von E i g e n - und F r e m d b e w e g u n g
Sprechen dient, wie oben schon erwähnt, der Modifikation von Bewußtseinsinhalten des Partners (vgl. auch Harras, 1996). Die zu verändernden Bewußtseinsinhalte betreffen in unserem Fall räumliche Gegebenheiten, wie Standorte und damit verbundene Bewegungen, nämlich Ortswechsel. Die Bezugnahme auf räumliche Gegebenheiten beim Sprechen nennt man Raumreferenz (Wunderlich, 1982a, b). In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Probleme, mit denen jeder Mensch konfrontiert wird, wenn er über Raum spricht: das Blickpunktproblem und das Linearisierungsproblem (vgl. Herrmann & Grabowski, 1994, S. 107ff.; Herrmann & Schweizer, 1998, S. 37ff.). Beide Probleme werden im folgenden kurz erläutert. Das Blickpunktproblem Der in der Wahrnehmungssituation eingenommene Blickpunkt (s. oben) ist auch bei der Verbalisierung des Wahrgenommenen von Bedeutung. Dazu ist es zum einen wichtig zu wissen, was bzw. wer sich - wohin - bewegt. Zum anderen ist es nötig, auch die jeweiligen Raumpositionen der sich bewegenden Dinge zu kennen, um entsprechend reagieren zu können. Herrmann und Grabowski (1994) unterscheiden in diesem Zusammenhang zwei Formen der Modifikation des Partnerbewußtseins: a.
b.
Man kann über Raum sprechen (oder schreiben), um im Partner mental repräsentierte Raumkonstellationen entstehen zu lassen, über die er zuvor nicht verfugte. Als Beispiel kann folgender Ausschnitt aus einem Roman Doris Lessings (1982, S. 11) herangezogen werden: „Dieser Gang führte von der Eingangstür des Hauses an meiner Wohnungstür vorbei, dann zur Wohnungstür der Whites und weiter zu den Wohnungen im Ostflügel des Erdgeschosses ...". Man kann über Raum sprechen, um die Aufmerksamkeit des Partners auf einen bestimmten Aspekt (Orte, Wege) eines in seinem Bewußtsein bereits vorhandenen Raummodells zu lenken. Dies auch wenn sich Sprecher und Hörer nicht innerhalb oder auch nur in Sichtweite der betreffenden Raumkonstellation befinden, z.B. beim telefonieren. Beispiel: „Du weißt doch, wo auf dem Spielplatz die Schaukel steht. Links daneben haben sie jetzt ein Klettergerüst gebaut."
Der Satz ist von dem vorgestellten Standpunkt des Sprechers aus gesehen wahr (vgl. Abbildung 2).
Die Wahrnehmung von Eigen und Fremdbewegung
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Spielhäuschen
Hörer
Klettergerüst
Schaukel
t Sprecher
Stünde man dagegen beim Spielhäuschen und würde in Richtung Sandkasten schauen, so befände sich das Klettergerüst rechts von der Schaukel, und von der Position des Hörers aus läge das Klettergerüst vor der Schaukel. Die Lokalisation ist also vom jeweiligen Blickpunkt abhängig. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, was bzw. wer zum Blickpunkt werden kann. Man kann sich selbst, den Partner oder ein drittes Subjekt/Objekt zum Blickpunkt wählen. Normalerweise können nur Objekte mit intrinsischer Ausrichtung (d.h. sie haben eine eigene Vorder- und Hinterseite, bzw. diese Seiten werden von uns als solche interpretiert) zum Blickpunkt werden (Herrmann & Grabowski, 1994, S. 109f). So haben beispielsweise Häuser ihr „Vorn" dort, wo sich die Haustür befindet, Regale haben ihr „ V o r n " dort, wo wir die Bücher hineinstellen. Objekte wie Regale, Kommoden u.ä. werden als Gegenüberobjekte bezeichnet, da bei ihnen die Seite vorn ist, auf die wir beim Gebrauch sehen (Grabowski, 1999; Herrmann, 1990). Objekte können aber auch nach anderen Gesichtspunkten eine intrinsische Ausrichtung erhalten, so kann bei einem Teich die Seite vorn sein, an der ein Weg vorbei fuhrt. In jedem Fall können Lebewesen und Objekte - Sprecher, Partner und/oder dritte, intrinsisch gerichtete Objekte - zum Blickpunkt werden. Herrmann (1990) unterscheidet in diesem Zusammenhang Zweipunkt- und Dreipunktlokalisationen. Beim Sprechen über Raum ist es notwendig, daß Sprecher und Hörer die räumliche Anordnung von einem gemeinsamen Blickpunkt aus betrachten, sie müssen in dieser Hinsicht koorientiert sein, damit ein Objekt exakt lokalisiert werden kann (s. Kessler, dieser Band und 1998). Die einfachste Methode, dies zu erreichen, ist dabei für den Sprecher die sprecherbezogene, also egozentrische, Lokalisation; der Hörer muß sich dann in den Sprecher hineinversetzen. Herrmann und Grabowski (1994, S. 123ff.) weisen darauf hin, daß das egozentrische Lokalisieren der Regelfall bei der Objektlokalisation ist. Unter bestimmten Umständen versetzt sich der Sprecher jedoch in den Partner und lokalisiert partnerbezogen. Dies kann beispielsweise aus Gründen der Höflichkeit geboten sein oder aus der
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
mangelnden sprachlichen Kompetenz des Partners resultieren (etwa, wenn es sich beim Partner um eine Person handelt, die eine andere Muttersprache als der Sprecher spricht, oder auch beim Sprechen mit Kindern). Das
Linearisierungsproblem
Ein weiteres Problem beim Sprechen ist das sogenannte Linearisierungsproblem, d.h. das zu Sagende muß in eine Reihe gebracht werden. Besonders deutlich zeigt sich dies beim Sprechen über Raum: Die Komponenten, über die man reden will, haben keine immanente Reihenfolge, sondern sie befinden sich nebeneinander im Raum. Das Problem ist also: Wo fange ich an? Womit mache ich weiter? Wie fange ich es am geschicktesten an, daß der Partner genau die Vorstellung einer Raumanordnung kogniziert, die ich zu beschreiben versuche? Denis (1996) merkt dabei an, daß der Kern beim Linearisierungsproblem der ist, daß es viele mögliche Linearisierungsfolgen gibt. Was die Anzahl der tatsächlichen Möglichkeiten einschränkt ist, daß das Gesagte im Gedächtnis behalten werden muß. Um das zu erleichtern, können verschiedene Strategien eingesetzt werden. Levelt (1982, 1989) konnte bei Beschreibungen von abstrakten Anordnungen zweidimensionaler Netze drei Prinzipien identifizieren: das „Prinzip der Verbundenheit", wonach benachbarte Komponenten aufeinanderfolgend verbalisiert werden; das „Stapel-Prinzip", wonach der Ausgangspunkt einer Abzweigung immer wieder aufgesucht wird, und das „Ökonomieprinzip", wonach bei Verzweigungen zunächst der .kürzere Ast' abgearbeitet wird, um die Lage des Verzweigungspunktes nicht unnötig lange behalten zu müssen. Diese Prinzipien finden sich beispielsweise auch in der Beschreibung von Wohnungen oder einzelner Zimmer (Ehrich, 1989; Linde & Labov, 1975). Sie werden eingesetzt, um den mit der Sprechplanung verbundenen kognitiven Aufwand zu reduzieren (vgl. Roßnagel, 1995; Rummer, 1996). Bei Wegauskünften unterliegt der Sprecher gewissen Vorgaben, was Anfang, Ende sowie die Komplexität der Auskunft selbst und auch des zu beschreibenden Weges betrifft (Klein, 1979; Wunderlich & Reinelt, 1982). Bei der Beschreibung einer räumlichen Anordnung bestehen dagegen nur sehr wenige Restriktionen, der Sprecher ist sehr viel freier bei der Linearisierung (v. Stutterheim & Carroll, 1993). Im Fall von Raumbeschreibungen spielen neben Aspekten des Materials und des Sprachproduktionsprozesses auch Aspekte der eigenen Erfahrung, des eigenen Wissenserwerbs eine Rolle. Lernt man beispielsweise eine Raumkonstellation dadurch kennen, daß man sie erwandert oder durchfährt (also keine Karte des Gebietes betrachtet), dann richtet sich die Linearisierung nach der Reihenfolge, in der man die einzelnen Komponenten kennengelemt hat. Diese Linearisierungsstrategie bezeichnen wir als Geneseeffekt (Buhl, Katz, Schweizer & Herrmann, i. Dr.; Herrmann & Grabowski, 1994, S. 142ff.; Herrmann & Schweizer, 1998, S. 176ff). Im Zusammenhang mit dem Blickpunktproblem (s. oben) wurden zwei Formen der Modifikation des Partnerbewußtseins unterschieden. Eine Form bestand darin, die Aufmerksamkeit des Partners auf einen bestimmten Aspekt eines in seinem Bewußtsein bereits vorhandenen Raummodells zu lenken. Eine Möglichkeit, es sich und dem Partner dabei einfacher zu machen, besteht darin, dem Partner die Kategorie zu nennen, zu der die jeweilige Raumkonstellation gehört. So könnte man gleich zu Beginn einer Beschreibung darauf hinweisen, daß man über eine Wohnung reden wird. Herrmann und Grabowski (1994) nennen dies die „Aktivation eines partnerseitigen Was-Schemas" (Herrmann & Grabowski,
Die Wahrnehmung
von Eigen und
Fremdbewegung
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1994, S. 113). Eine bekannte Untersuchung von Linde und Labov (1975) über Wohnungsbeschreibungen hat gezeigt, daß fast alle Menschen ihre Wohnung auf die gleiche Art und Weise beschreiben. Menschen verfügen nicht nur über ein bestimmtes Schema darüber, was eine Wohnung ausmacht - ein Was-Schema, sie verfugen zudem über Wie-Schemata, das heißt sie wissen, wie man Wohnungen beschreibt. Stehen keine gängigen Was- und Wie-Schemata zur Verfugung, so kann der Sprecher sein Handlungswissen aktivieren, indem er einen generischen oder imaginären Wanderer (z.B. Carroll, 1993; Ehrich, 1989; Herrmann & Schweizer, 1998) einsetzt und diesen durch die entsprechende Raumkonstellation gehen läßt. Der Begriff „generischer Wanderer" resultiert aus dem Einsatz einer allgemeinen Person „man" (engl.: „generic" = „allgemein", „auf die Gattung bezogen"): Beispiel: Wenn man aus dem Haupteingang der Schule kommt, dann führt links eine schmale Straße vorbei. Die geht man entlang und biegt dann in die zweite Straße, die rechts abgeht ein, das fünfte Haus auf der rechten Straßenseite ist dann das Arbeitsamt.
Im Beispiel wird mit dem Einsatz eines generischen Wanderers eine dynamische Lokalisationssequenz erzeugt. Unter einer Lokalisationssequenz verstehen wir eine geordnete Folge von Einzellokalisationen wie (z.B. „Der Brunnen steht vor dem Tor."). Von den dynamischen Lokalisationssequenzen lassen sich statische Lokalisationssequenzen trennen (vgl. dazu Herrmann & Grabowski, 1994, S. 143ff.; Herrmann & Schweizer, 1998, S. 174ff.). Dynamische Lokalisationssequenzen enthalten einen Handlungsträger bzw. Agenten, wie etwa den generischen Wanderer, durch welchen die Relationen der Dinge im Raum vermittelt werden sollen. Im allgemeinen umfassen dynamische Lokalisationssequenzen Bezeichnungen für den Sprecher, den Partner oder andere Handlungsträger („man", „ich", „du", „Julia") und Bewegungs- und Wahrnehmungsverben („gehen", „kommen", „sehen", „fliegen"), die den Handlungsträgern zugeschrieben werden. Bei statischen Lokalisationssequenzen hingegen fehlt die Bezeichnung von Agenten als Handlungsträgern („Der Schrank steht rechts vom Bett."). Beide Lokalisationsarten lassen sich also durch die Bezugnahme auf einen Agenten oder Nicht-Agenten unterscheiden. Über die Bedingungen, unter denen statische oder dynamische Lokalisationssequenzen auftreten, ist nicht viel bekannt (vgl. auch Graf, Dittrich, Kilian & Herrmann, 1991). Von Stutterheim und Carroll (1993) zeigten in einer Untersuchung, daß die kommunikative Zielsetzung einen Einfluß auf die Wahl des Lokalisationstyps hat. Der Referenzbereich ihrer Untersuchung war eine kleine Holzkonstruktion, die die Probanden kennenlernten, ohne daß irgendwelche Objektbewegungen auftraten. Aus Instruktionsaufgaben resultierten eher chronologisch geordnete, gut spezifizierte Linearisierungen, während Beschreibungen sehr viel heterogener als Instruktionen ausfielen und verschiedene Linearisierungsstrategien auftraten. Herrmann und Schweizer (1998, S. 176) zufolge haben Merkmale der Kommunikationssituation sowie die kommunikative Zielsetzung keinen eindeutigen Einfluß auf die Wahl des Lokalisationstyps. Eine bewegte Umwelt fuhrt jedoch eher zur Verwendung dynamischer Lokalisationssequenzen. Experimente zum Einfluß der Wissensgenese auf die Linearisierung zeigen, daß der dynamische Lokalisationsstil besonders dann auftritt, wenn man sich selbst zuvor durch die betreffende Anordnung bewegt hatte (Herrmann & Schweizer, 1998, S. 174ff). Wir können annehmen, daß sowohl bei der Thematisierung wahrgenommener Eigen- als auch Fremdbewegung dynamische Lokalisationssequenzen auftreten. Eine Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung wird über die jeweiligen Handlungsträger in Verbindung
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
mit den Bewegungs- und Wahmehmungsprädikaten möglich. Es ist anzunehmen, daß bei wahrgenommener Eigenbewegung zur Verbalisierung des eigenen Blickpunktes (s. oben) ein imaginärer oder generischer Wanderer als Handlungsträger verwendet wird („Wenn man aus dem Bahnhof kommt, geht man nach rechts ..."). Bei wahrgenommener Fremdbewegung werden die Relationen der Dinge im Raum nicht über einen imaginären oder generischen Wanderer als Handlungsträger vermittelt. Vielmehr werden die sich bewegenden Dinge zum Handlungsträger („Der große Hund rennt zu dem Baum und der kleine zu Julia.")· Im Gegensatz zum Einsatz eines imaginären oder generischen Wanderers wird bei der Beschreibung von Fremdbewegung kein Blickpunktwechsel beschrieben, sondern es wird im großen und ganzen der gleiche Blickpunkt während der Beschreibung beibehalten. Wer oder was sich bewegt, wird also über den jeweiligen Handlungsträger vermittelt, der Verlauf der Bewegung wird über Bewegungsverben wie „kommen", „gehen", „rennen", vermittelt, da Bewegungsverben typischerweise eine inhärente Orientierung haben (vgl. Radden, 1989, S. 232). Dabei fokussieren unterschiedliche Bewegungsverben auf unterschiedliche Aspekte der Bewegung: Im Deutschen fokussiert das Verb kommen z.B. auf den Endpunkt einer Bewegung, während gehen, im Gegensatz zu kommen, auf den Ausgangspunkt einer Bewegung fokussiert (vgl. auch Rauh, 1981). Levin und Rappaport Hovav (1992) unterteilen intransitive Bewegungsverben im Englischen in drei Klassen. Danach beinhalten nur Verben der α/τ/ve-Klasse, wie kommen und gehen eine inhärente Richtung. Die roll- und die /-««-Klasse fokussieren hingegen auf die Art der Bewegung, wobei Verben der ro//-Klasse (rollen, rotieren) sich durch direkte externe Verursachung von den Verben der ru/7-Klasse (rennen, laufen) unterscheiden lassen. Mit dem Verb kommen wird jedoch nicht nur Bewegung thematisiert, es wird oft auch benutzt, um zeitliche Dynamik („Der Film kommt um 20.00 Uhr.") auszudrücken. Kommen wird häufig auch eingesetzt, um eine Folgebeziehung auszudrücken. Hier ist die Linearisierung Resultat der Projektion eines Weges, ohne daß dabei Auskunft über die Art der Bewegung gegeben wird („Nach der Eisdiele kommt ein Brunnen, dann ein paar Bäume und dann kommt der Lessingplatz.") (v. Stutterheim & Carroll, 1993). Für die Unterscheidung von Eigen- und Fremdbewegung ist es daher sinnvoll, die gesamte Lokalisationssequenz in Hinblick auf die oder den Handlungsträger in Verbindung mit den jeweiligen Bewegungsprädikaten zu betrachten.
5 Fragestellung
Der komplexe Prozeß von der Bewegungswahrnehmung über die interne Repräsentation des gesehenen Ereignisses und die Sprechplanung bis zur sprachlich unterschiedlichen Kodierung von Eigen- und Fremdbewegung ist heute noch nicht in einem hinreichend umfassenden, konsistenten psychologischen Modell darstellbar. In den bisherigen Abschnitten haben wir stattdessen versucht, Forschungsarbeiten aus den unterschiedlichen Gebieten der Wahrnehmungspsychologie, Linguistik und Sprachpsychologie auf das Thema anzuwenden, und werden im folgenden einzelne Annahmen explizieren. Ergebnisse aus der Wahmehmungsforschung zur Bewegungswahrnehmung unterstreichen die Rolle des Objekthintergrundes für das Erleben von Eigenbewegung (ohne sensumoto-
Die Wahrnehmung von Eigen und
Fremdbewegung
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rische Rückkopplung). Die Entscheidung über die Bewegung eines Objektes oder aber die Verschiebung des eigenen Blickpunktes kann nur getroffen werden, wenn sich das Objekt vor einem sichtbaren Hintergrund oder inmitten einer erkennbaren Objektumgebung befindet, die als Referenzstruktur verwendet werden kann. Wieviel sogenannter Hintergrund ist aber nötig, um eine überzeugende Eigenbewegung zu erleben? Bisherige Forschungsergebnisse können keine allgemeingültigen, also für jede beliebige räumliche Anordnung geltenden Angaben darüber machen. Es ist daher notwendig, das Bewegungserleben bei verschiedenen Anordnungen zu überprüfen. Es stellt sich hier auch die Frage, ob sich bei einem so komplexen Sachverhalt wie der Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung Regeln aufstellen lassen, die für jede beliebige Person gelten. Diese Fragen stellen sich insbesondere bei der Erstellung virtueller Anordnungen: zum einen weil noch keine umfassenden Forschungsergebnisse mit neuen virtuellen Technologien vorliegen, zum anderen, weil die Kenntnisse und Vorerfahrungen der zu untersuchenden Personen gerade auf diesem Gebiet auf einem sehr unterschiedlichen Stand sind. Der Vorteil virtueller Umgebungen besteht darin, daß sich das Erleben von Eigen- und Fremdbewegung allein durch die Variation der Objektumgebung, ohne Veränderung der Bewegungssequenz, induzieren läßt. Um Annahmen über die Repräsentation von Eigen- und Fremdbewegung abzuleiten, stellen sich zunächst einige mit dem Thema der mentalen Repräsentation verknüpfte Fragen. Wieweit können sprachliche Äußerungen von Versuchspersonen Auskunft über die zugrunde liegende Repräsentation geben? Sind Versuchspersonen also überhaupt in der Lage, über ihr eigenes Wahrnehmungserleben explizit Auskunft zu geben, oder kann man nur mit indirekten Verfahren, zum Beispiel räumlichem Priming, Aufschlüsse bekommen? Mit freien Beschreibungen räumlicher Anordnungen lassen sich mit Sicherheit keine Aussagen zu repräsentierten Relationen zwischen Objekten und der Schnelligkeit der Aktivationsausbreitung treffen, es ist aber wie oben beschrieben gut möglich, den eingenommenen Blickpunkt zu ermitteln. Da die Repräsentation von Blickpunktsequenzen, also von verschiedenen, sequentiell eingenommen Blickpunkten, ein Kennzeichen für Eigenbewegung ist, kann sich dies in den Beschreibungen der Versuchpersonen zeigen. Da bei der Wahrnehmung von Fremdbewegung ein einziger Blickpunkt beibehalten werden kann, läßt sich die Beschreibung des eigenen Blickpunktes nicht wie bei Eigenbewegung zum Verbalisieren der erlebten Bewegung verwenden. In diesem Fall müssen Thematisierungen des Bewegungsverlaufs der Objekte überwiegen, sofern dieser Bewegungs verlauf auch in der mentalen Repräsentation mitkodiert ist. Auf sprachlicher Ebene gibt es, wie oben dargestellt, zahlreiche Strategien zum Beschreiben räumlicher Anordnungen. Ein imaginärer oder generischer Wanderer eignet sich dabei für die Vermittlung von Eigenbewegung, nicht aber für die Darstellung von Fremdbewegung. Welche sprachlichen Indikatoren lassen sich also für Eigen- und Fremdbewegung explizieren? Wie beschreiben Versuchspersonen den jeweils wahrgenommenen Bewegungsverlauf? Was thematisieren sie spontan, wenn sie lediglich aufgefordert werden zu beschreiben, was sie gesehen haben? Korrespondieren die ermittelten Indikatoren auch mit explizit abgegeben Urteilen zum Bewegungseindruck? Mit dem im folgenden beschriebenen Experiment haben wir versucht, Antworten auf die hier skizzierten Fragen zu finden.
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Gabriele
Janzen
und Steffi
Katz
6 Eine Untersuchung zur Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung
Um die oben gestellten Fragen beantworten zu können, wurde die Differenziertheit des Objekthintergrundes einer räumlichen Anordnung in drei Bedingungen variiert. 45 Versuchspersonen (Vpn) sahen per Filmsequenz den Gang durch ein U-förmiges virtuelles Museum mit Bürogegenständen (erstellt mit der Computergrafik Software „Superscape V R T " ) . Abbildung 3 zeigt eine Sicht der Museumsanordnung aus der Vogelperspektive. Die Vpn hatten zu keiner Zeit die Möglichkeit, einen Gesamtüberblick über die Anordnung zu bekommen. Die Filmsequenz führte sequenziell an den einzelnen Objekten vorbei. Die Länge des Museums beträgt 49 Meter in Korrespondenz mit einem virtuellen Betrachter mit einer Augenhöhe von 1,70 Metern. Die Filmsequenz beginnt bei der Pflanze und führt den Gang entlang bis zur Flasche.
Plattenspieler Taschenrechner
Tesafilm Lampe Notizblock TJhr Flasche
Abbildung 3: Virtuelle Anordnung Um Bewegungsurteile nicht unerwünscht zu beeinflussen, haben wir Einflußfaktoren wie sensumotorische Rückmeldung ausgeschaltet (s. Abb. 1). Außerdem wurde den Vpn nur mitgeteilt, daß sie gleich eine Filmsequenz sehen, die sie sich genau anschauen sollen. 15 Vpn sahen eine Filmsequenz durch das virtuelle Museum mit Bürogegenständen. Es wurde dabei die vollständige Information über die Umgebung gegeben (Bedingung 1 : „Tag-Bedingung"). Abbildung 4 zeigt den Blick auf ein Objekt aus der Filmperspektive.
Die Wahrnehmung
von Eigen und
Fremdbewegung
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Abbildung 4: Filmperspektive in der Tag-Bedingung 15 weitere Vpn sahen dieselbe Filmsequenz durch die räumliche Anordnung mit dem Unterschied, daß keine Informationen über die Umgebung gegeben wurden. Die Vpn sahen nur die Bürogegenstände vor einem schwarzen Hintergrund (Bedingung 2: „Nacht-Bedingung"). Abbildung 5 zeigt den Blick auf ein Objekt.
Abbildung 5: Filmperspektive in der Nacht-Bedingung 15 weitere Vpn sahen einen geringen Teil der Hintergrundinformation (Bedingung 3: „Halbdunkel-Bedingung"). Die Tische, auf denen die Objekte piaziert waren, waren sichtbar. Die Vpn konnten auch Tische im Hintergrund erkennen, wodurch sich eine Tiefenstaffelung ergibt. Abbildung 6 zeigt den Blick auf ein Objekt.
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Gabriele
Janzen und Steffi
Katz
%¡k
Abbildung 6: Filmperspektive in der Halbdunkel-Bedingung Eine virtuelle Anordnung eignet sich besonders gut für unsere Fragestellung, da es möglich ist, die Objektumgebung unabhängig vom Objekt zu variieren. Die Bewegungssequenz war in allen drei Bedingung identisch. Es ergibt sich folgendes in Tabelle 1 dargestelltes Experimentaldesign. Bedingung 1 Museum mit vollständiger Information über die Objektumgebung 15 Vpn
Bedingung 2 Museum ohne Umgebungsinformation
Bedingung 3 Museum mit teilweiser Umgebungsinformation
15 Vpn
15 Vpn
Tabelle 1 : Experimentelles Design Nach dem Betrachten des Filmes wurden die Vpn gebeten zu beschreiben, was sie gesehen hatten. („Beschreibe bitte, was du im Film gesehen hast.") Die Beschreibungen wurden auf Tonband aufgenommen und später transkribiert. Danach Schloß sich eine Befragung zum Bewegungseindruck an. Hier wurden die Vpn explizit gefragt, was sich im Film ihrer Ansicht nach bewegt hat. Ergebnisse Die Mehrheit der Vpn der ersten Bedingung, mit vollständiger Information über die Objektumgebung (Tag-Bedingung), gab in der Nachbefragung an, sich selbst durch die räumliche Anordnung bewegt zu haben. In der Bedingung ohne Hintergrundinformation (Nacht-Bedingung) gab die Mehrheit der Vpn an, daß sich die Objekte auf sie zubewegt haben und seitlich an ihnen vorbeigeflogen sind. Auch die 15 Vpn der dritten Bedingung, die wenig Hintergrundinformation erhalten hatten (Halbdunkel-Bedingung), sagten überwiegend, daß die Gegenstände sich auf sie zubewegten. Die Angaben der Vpn zum Bewegungseindruck aus den Nachbefragungen sind in Tabelle 2 dargestellt.
Die Wahrnehmung von Eigen und
Bewegungseindruck: Eigenbewegung Fremdbewegung Unentschieden
Fremdbewegung
TagBedingung 12 2 1
61 NachtBedingung 1 14 0
Halbdunkel-Bedingung 2 13 0
Tabelle 2: Ergebnisse der Nachbefragung Es unterscheiden sich die Antworten der Vpn in der Tag-Bedingung signifikant von denen der Nacht- (χ 2 (2, Ν = 30) = 19.3, ρ < .001) und denen der Halbdunkel-Bedingung (χ 2 (2, Ν = 30) = 16.2, ρ < .001). Die statistische Prüfung innerhalb der einzelnen Bedingungen zeigt, daß die Vpn immer eindeutig eine Bewegungsart wahrgenommen haben. Die Vpn der Tag-Bedingung nahmen überwiegend Eigenbewegung wahr (χ2(2, Ν = 15) = 14.8, ρ < .001). Vpn der Nacht-Bedingung nahmen Fremdbewegung wahr (χ 2 (2, Ν = 15) = 24.4, ρ < .001), ebenso wie die Vpn der Halbdunkel-Bedingung (χ 2 (2, Ν = 15) = 8.1, ρ < .005). Die Beschreibungen der Vpn wurden transkribiert und ausgewertet. Bei der Analyse der Transkripte wurden statische von dynamischen Lokalisationssequenzen unterschieden. Bei statischen Lokalisationen fehlt die Bezugnahme auf einen Handlungsträger wie „ich" oder „man". Auch reine Aufzählungen wurden unter der statischen Kategorie zusammengefaßt. Die dynamischen Lokalisationssequenzen wurden in Eigen- und Fremdbewegung unterteilt. Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse im Überblick. Lokalisationssequenz Eigenbewegung Fremdbewegung Statisch/Aufzählung
TagBedingung 12 1 2
NachtBedingung 1 9 5
Halbdunkel-Bedingung 1 9 5
Tabelle 3: Ergebnisse der Transkript-Analyse Die Ergebnisse der Tag-Bedingung unterscheiden sich signifikant von denen der Nacht- und der Halbdunkel-Bedingung (jeweils χ 2 (2, Ν = 30) = 16.9, ρ < .001). Die Lokalisationssequenzen der Vpn der Tag-Bedingung ließen sich überwiegend der Eigenbewegung zuordnen (χ 2 (2, Ν = 15) = 14.8, ρ < .001). Für Vpn der Nacht- und der Halbdunkelbedingung wurden die meisten Lokalisationssequenzen der Fremdbewegung zugeordnet (jeweils χ 2 (2, Ν = 15) = 6.4, ρ < .05). 12 Vpn der Tag-Bedingung und je eine Vp der Nacht- und Halbdunkel-Bedingung, die Eigenbewegung wahrgenommen hatten, benutzten zum Beschreiben des Gesehenen einen imaginären Wanderer (s. auch Abschnitt 4).
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Gabriele Janzen und Steffi Katz
Im folgenden haben wir für jede Bewegungsart ein typisches Beispieltranskript ausgewählt: Eigenbewegung: Also ich bin durch eine doppelflüglige Tür eingetreten mit der Anschrift Entrance in gelb, dann sind wir erstmal an die linke Seite gegangen, wo auf einem Podest eine Pflanze eine Topfpflanze, ähm die grün war, etwa so palmenartig, dann sind wir glaube ich hinter dieser Wand wieder vorbei, wieder auf die linke Seite da war ein Koffer ein Zahlenkoffer in schwarz, dann sind wir glaube diesmal nach rechts gegangen und da haben wir halt immer weiter sind wir durch den Flur gegangen mit verschiedenen Gegenständen. Was waren denn da dabei, da war ein Computer dabei bzw. ein Bildschirm m, da war ein Taschenrechner dabei, da war eine eine Lampe dabei eine weiße Lampe und hinter dieser weißen Lampe kam direkt wieder ein Block mit äh so einer Art so Notizblätterstapel, der hatte oben ein weißes Papier und dazwischen so verschiedenfarbig und noch ein roten Pappen [...] am Ende unserer Tour auf der linken Seite die Tür ging auf und da stand glaube ich Exit (Vp 18 aus Bedingung Tag). Fremdbewegung: Ähm also ich hab gesehen, dass Tische ausm Hintergrund aufgetaucht sind, graue Tische die jeweils einen Gegenstand auf dem Tisch hatten und zwischendurch noch graue Tisch in der Entfernung, die aber direkt wieder aus dem Bild verschwunden sind. Ähm auf den Tischen waren relativ viele Bürogegenstände, das heißt Computer Notizblock äh Taschenrechner und andere Gegenstände wie ne Flasche Wein, η Schallplattenspieler, η Koffer, ne Blume und [...] war so durcheinander alles am Anfang, drei gemischte Gegenstände, dann η paar [...] Gegenstände hintereinander, ja und dann wieder andere Gegenstände [...] ich versuch mir jetzt alles in der Reihenfolge zu merken, aber das wird ein bißchen schwieriger [...] (Vp 5 aus Bedingung Halbdunkel). Statisch: Was habe ich gesehen, ich habe gesehen eine Pflanze, ich habe gesehen einen Bildschirm, ein Koffer, dann habe ich gesehen eine Lampe, ähm eine ein Tesafilm ähm Notiz ähm Blöcke, eine Uhr ähm, habe ich ein Fotoapparat gesehen und dann noch so ein Taschen nicht Taschenrechner sondern so eine Maschine ähm und war noch Flasche und war noch, es war so ein alter Grammophon, was habe ich noch gesehen, [...] es fällt mir nichts mehr ein ich habe etwas vergessen bestimmt (Vp 12 aus Bedingung Nacht). In Tabelle 4 sind Beispiele von verwendeten Lokalisationssequenzen zusammengefaßt. Eigenbewegung •
ich bin gegangen
Statisch und Aufzählungen
Fremdbewegung •
die Körper bewegen sich
•
ich habe gesehen ... da war... da kam ...
man geht durch
•
... ist aufgetaucht
•
•
man kam zu ...
•
... kamen auf mich zu
•
•
man kommt rein
•
... kamen von hinten in • den Vordergrund
•
reine Aufzählung der Objekte
Tabelle 4: Verwendete Lokalisationssequenzen Überraschenderweise sind die Ergebnisse der Nacht und der Halbdunkel-Bedingung identisch. Jeweils 9 Vpn lokalisierten fremdbewegt, nur eine eigenbewegt und 5 Vpn produzierten statische Äußerungen.
2
Transkriptionszeichen: [...] unverständliche Sequenz
Die Wahrnehmung von Eigen und Fremdbewegung
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Die Transkript-Ergebnisse unterscheiden sich in der Nacht und der Halbdunkel-Bedingung auf dem 5%-Niveau signifikant von den Ergebnissen der Nachbefragungen. Dieser Unterschied ist durch den hohen Anteil statischer Lokalisationen bedingt, während die Vpn der Tag-Bedingung in der Nachbefragung sowie in den Transkripten eindeutig erlebte Eigenbewegung zum Ausdruck bringen. Diskussion der Ergebnisse Die Untersuchung zeigt zum einen, daß Hintergrundinformation entscheidend für das Erleben von Eigenbewegung ist. Die Vpn hatten, wie erwartet, bei vollständiger Darbietung des Hintergrundes den Eindruck, sich selbst, bzw. sich anstelle einer virtuellen Person, durch die Anordnung zu bewegen. Die Vpn hatten bei völliger Ausschaltung des Objekthintergrundes den Eindruck von Fremdbewegung, bzw. den Eindruck, daß die Gegenstände sich auf sie zubewegen. Dies, obwohl die gezeigten Filmsequenzen in beiden Fällen sonst identisch und als Sequenz einer sich durch die Anordnung bewegenden Person programmiert waren. Wenn keine weiteren Objekte oder Oberflächen erkennbar sind, ist es nicht möglich, eine gleichbleibende Relation zwischen zwei oder mehreren Objekten wahrzunehmen, die fiir eine unveränderte Position der Objekte im Raum sprechen würde. Die Positionsveränderungen des einzelnen Objektes auf der Netzhaut werden als durch Fremdbewegung verursacht kogniziert. Die Versuchspersonen hatten auch in der Halbdunkel-Bedingung den Eindruck von Fremdbewegung, obwohl durch die im Hintergrund sichtbaren Tische eine Informationsquelle, die als Referenz verwendet werden kann, gegeben war und, wie beschrieben, die Filmsequenz Eigenbewegung nahelegt. Es reicht also nicht aus, nur einige Details der Objektumgebung einer räumlichen Anordnung zu zeigen, um Eigenbewegung zu vermitteln. Die Ergebnisse stützen die Vermutung, daß es keinen graduellen Übergang in der Wahrnehmung von Eigen- und Fremdbewegung gibt. Die Angaben zur Fremdbewegung sind in der Nacht und der Halbdunkel-Bedingung gleich. Ebenfalls scheint es so zu sein, daß ein einmal wahrgenommener Bewegungseindruck für die Dauer der Filmsequenz nicht verändert wird. Keine der Vpn hat bei verschiedenen Objekten unterschiedliche Angaben gemacht. Dies scheint für den von Harris (1994, s. oben) beschriebenen Suppressionsmechanismus zu sprechen. Bei den Transkripten der Vpn zeigt sich, daß sich die Art der erlebten Bewegung in den Beschreibungen der Anordnung unterschiedlich niederschlug. In der Tag-Bedingung dominierten Äußerungen, die eine aktive Bewegung einer Person durch die Anordnung nahelegen. Diese Bewegung wurde mittels der Strategie des imaginären bzw. generischen Wanderers verbalisiert. In der Nacht- und Halbdunkel-Bedingung überwogen zwar Beschreibungen, die sich auf eine Bewegung der Objekte bezogen, aber auch der Anteil statischer Äußerungen ist gestiegen. Dies könnte auch daran liegen, daß wenig plausible Fremdbewegungen seltener thematisiert werden. So fanden Shiflrar und Freyd (1990; Shiflrar, 1994), daß die wahrgenommene Bewegungsrichtung durch die Art der Bewegung, die das sich bewegende Objekt natürlicherweise machen kann, beschränkt wird.
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Gabriele
Janzen und Steffi
Katz
7 Fazit
Die vorliegende Studie bestätigt die von uns vermutete Repräsentation von Blickpunktsequenzen bei der Wahrnehmung von Eigenbewegung. Die nacheinander eingenommenen Blickpunkte werden mit der Strategie eines generischen oder imaginären Wanderers verbalisiert. Bei Fremdbewegung wird der Blickpunkt nicht thematisiert, sondern auf die Bewegung der Objekte Bezug genommen. Die Repräsentationen von Eigen- und Fremdbewegung unterscheiden sich also hinsichtlich der Blickpunkte und der Bewegung. Bei Eigenbewegung kann die Positionsveränderung der Person durch die Thematisierung von mehreren hintereinander eingenommenen Blickpunkten ausgedrückt werden. Die Bewegung ist dann eher indirekt in der Veränderung der Position über die Zeit hinweg kodiert. Dies legt eine dynamische Repräsentation, wie sie Freyd (1987, s. oben) sieht, nahe. Die zeitliche Dimension, in diesem Fall sequentiell eingenommene verschiedene Blickpunkte, kann nicht entfernt werden, ohne die gesamte Repräsentation zu zerstören. Die Beschreibungen von Versuchspersonen zur Fremdbewegung lassen den Schluß zu, daß die Bewegung, hier der Bewegungsverlauf der Objekte, auf eine direkte Art und Weise in der Repräsentation enthalten ist. Es wird im Gegensatz zur Eigenbewegung nicht der jeweils eingenommene Blickpunkt, sondern die Objektbewegung direkt zum Thema gemacht. Die vorliegende Studie demonstriert zudem, daß sich das Erleben von Eigenbewegung auch mittels Anordnungen in einer virtuellen Realität induzieren läßt. Die Objektumgebung spielt dabei eine große Rolle für die Wahrnehmung der jeweiligen Bewegungsart. Wichtig ist auch, daß es keine graduellen Übergänge im Erleben von Eigen- zur Fremdbewegung zu geben scheint (vgl. auch Talmy, 1996). Es gibt in den Beschreibungen unserer Vpn keine Hinweise darauf, daß auf verschiedenen Ebenen der Palpabilität Eigen- und Fremdbewegung gleichzeitig abgebildet werden. Wahrscheinlicher ist hier ein Suppressionsmechanismus, der uneindeutige Wahrnehmungserlebnisse unwahrscheinlich macht.
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Die Wahrnehmung
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Tappe
Perspektivenwahl in Beschreibungen dynamischer und statischer Wegeskizzen*
Einleitung
Die Möglichkeit, sich selbst im Raum zu positionieren, stellt eine der Grundfähigkeiten und zugleich eines der Grundbedürfhisse des Menschen dar.1 Der Raum, in dem wir uns bewegen, ist allgegenwärtig, denn fast jede konkrete Handlung setzt voraus, daß Ausdehnungen und Formen von Objekten erkannt werden, daß Relationen und Distanzen zwischen statischen und dynamischen Entitäten beurteilt werden. An der Raumwahrnehmung sind alle Sinnesmodalitäten in unterschiedlichem Maß beteiligt, sie findet sowohl durch die Sinnesorgane (Exterozeption) als auch durch eigene Handlungen (Propriozeption) statt. Die haptische, die motorische und die visuelle Wahrnehmung sind sicherlich die Hauptinformationsquellen, jedoch haben auch akustische und olfaktorische Reize räumliche Qualitäten. Da Raumerfahrungen auf der Basis multimodaler Informationen erworben werden, können statische Anordnungen und dynamische Prozesse im Raum auf unterschiedliche Weisen konzeptualisiert werden. Das heißt, ein und derselbe Sachverhalt der Realwelt kann zu mehreren mentalen Vorstellungen fuhren. Die Bildung einer mentalen Vorstellung wird unter anderem durch die Wahl der Perspektive (vgl. Taylor & Tversky 1992) beeinflußt, die auf eine räumliche Konfiguration eingenommen wird. 2 Dabei ist es wichtig, festzuhalten, daß nicht notwendigerweise die ei-
2
Diese Arbeit entstand innerhalb des DFG-Projektes „Konzeptualisierungsprozesse in der Sprachproduktion" (Förderungsnummer: HA 1237/10-1), das unter der Leitung von Prof. Christopher Habel im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogrammes Sprachproduktion durchgeführt wird. Ich danke den Mitarbeiterinnen des Projektes: Bärbel Rieckmann für die Datenerhebung und die Transkription und Anni-Yasmin Turhan für die Implementierung wesentlicher Teile des Skizzenaufzeichnungs- und -darbietungsprogrammes. Beide waren zudem an der Auswertung der Sprachdaten beteiligt. Besonderer Dank gebührt Christopher Habel für wichtige Diskussionen über frühere Fassungen dieses Textes. Des weiteren haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AG „Sprache und Raum" der DGfS-Tagung 1998 sowie die Mitglieder des Schwerpunktes „Repräsentation von Raum und Zeit in kognitiven Prozessen" im Graduiertenkolleg Kognitionswissenschaft meinem Nachdenken über Referenzrahmen und räumliche Perspektivenwahl notwendige Impulse gegeben. Wichtige Kommentare habe ich auch von einem anonymen Rezensenten erhalten. Alle verbleibenden Unklarheiten und Fehler liegen in meiner Verantwortung. Man denke an die Standardfrage („Wo bin ich?") eines aus einer längeren B e w u ß t l o s i g k e i t erwachenden Menschen. Die Bedeutung der räumlichen (Re-)orientierung wird wohl in der Regel lediglich in besonderen Zusammenhängen durch eine zeitliche dominiert. Die Perspektive ergibt sich dadurch, daß Sprecherinnen und Sprecher einen Blickpunkt auf eine räumliche Konstellation einnehmen. Der Blickpunkt wird von Herrmann (1995: 202) definiert als: „[...] der Ort, von dem aus Orte, Gegenden, Objekte o. dgl. im Raum anvisiert werden. Wobei die Visierrichtung (die Blickrichtung, der Betrachtungswinkel) in der jewei-
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gene - d.h. eine sprecherzentrierte Perspektive - gewählt werden muß. Vielmehr kann ein Sachverhalt auch aus dem Perspektive des Hörers konzeptualisiert und dargestellt werden. 3 Jede Perspektive hebt andere Eigenschaften und/oder Relationen hervor. Weil die jeweils fokussierten Eigenschaften sprachlich enkodiert werden und hierfür spezifische Ausdruckssysteme zur Verfugung stehen, schlägt sich die Perspektivenwahl in der Wahl räumlicher Referenzsysteme nieder und wird somit für Hörer natürlichsprachlicher Beschreibungen nachvollziehbar (vgl. hierzu auch Hörnig et al. sowie Carroll in diesem Band). Die Korrespondenz zwischen mentalen Repräsentationen und sprachlichen Ausdrucksmitteln ermöglicht es, daß Menschen von den Erfahrungen anderer profitieren, indem sie Vorstellungsbilder anhand sprachlich vermittelter Information aufbauen (vgl. Abschnitt 1.3 zur Perspektivenwahl und deren sprachlicher Enkodierung). Der vorliegende Beitrag behandelt Prozesse der räumlichen Perspektivenwahl bei natürlichsprachlichen Beschreibungen von Wegeskizzen als eine Teilmenge derjenigen kognitiven Prozesse, die der .Transformation' piktorieller räumlicher Repräsentationen in natürlichsprachliche Texte zugrunde liegen.4 Somit haben diese Prozesse Anteil an der Lösung des sogenannten ,Linearisierungsproblems' in der Sprachproduktion (vgl. Abschnitt 1.1 sowie Janzen und Katz, dieser Band). In einem ersten Teil werden grundlegende Aspekte von Skizzenbeschreibungen diskutiert, bevor in einem zweiten Teil Ergebnisse aus zwei Verbalisierungsstudien vorgestellt werden, in denen einerseits Skizzenentstehungsprozesse (dynamische Skizzen) (vgl. Abschnitt 2.2) und andererseits diskret dargebotene Skizzen (statische Skizzen) (vgl. Abschnitt 2.3) beschrieben wurden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verbalisierungen werden diskutiert, wobei das Augenmerk darauf liegt, welchen Einfluß die Ereignishafitigkeit der Darbietung in der ersten Studie gegenüber der statischen Darbietung in der zweiten Untersuchung auf die Perspektivenwahl hat. Um mit Barbara Tversky (1996: 463) zu sprechen, geht es um die Frage: „Given the freedom to select a perspective, what determines the perspective selected?"
1 W i e w e r d e n aus Skizzen Texte über Skizzen?
In der Kognitionsforschung ist die Annahme zentral, daß Menschen über mentale Repräsentationen von Sachverhalten verfügen.5 Die kognitionswissenschaftliche Sprachverstehensund Sprachproduktionsforschung geht davon aus, daß solchen Sachverhaltsrepräsentationen ligen deskriptiven Bestimmung des Blickpunktes enthalten ist." (Hervorhebung und Abkürzungen im Original). Als einfaches Beispiel stelle man sich eine Dialogsituation vor, in der ein Objekt unter Verwendung der Ausdrücke links und rechts lokalisiert werden soll. Wenn sich die Gesprächsteilnehmer gegenüber stehen, entscheidet die Perspektivenwahl einer Sprecherin darüber, welche der Phrasen: links von Dir oder rechts von mir sie für die Lokalisierung wählt. Perspektive in dem hier gebrauchten Sinn unterscheidet sich wesentlich von dem Begriff der Mircoperspektive wie er von Carstensen (dieser Band) verwendet wird. Viel beachtete Vorschläge dahingehend wie solche Sachverhaltsrepräsentationen beschaffen sein könnten, finden sich u.a. in der Theorie Mentaler Modelle (Johnson-Laird 1983; Glenberg, Meyer & Lindem 1987) oder in Form von Situationsmodellen (Perrig & Kintsch 1 9 8 5 ; Morrow, Greenspan & Bower 1989).
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
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auch bei Sprachverarbeitungsprozessen eine zentrale Rolle zukommt. Es wird angenommen, daß sie zwischen Sachverhalten - wie sie in der externen Welt vorhanden sind - und sprachnahen Repräsentationsformaten vermitteln. Diese Vermittlungsfunktion wird dadurch unterstützt, daß den Sachverhaltsrepräsentationen, auf die bei der Sprachverarbeitung zugegriffen wird, ein aufgabenunabhängiger Charakter zugeschrieben wird. Sie sollen von derselben Art sein wie diejenigen, die bei der Wahrnehmung, bei der Erinnerung oder beim Denken verwendet werden. Für solche Sachverhaltsrepräsentationen postuliert JohnsonLaird die Eigenschaft der strukturellen Identität. Principle of structural identity: The structures o f mental models are identical to the structures of the states of affairs, whether perceived or conceived, that the models represent. (JohnsonLaird 1 9 8 3 : 4 1 9 )
Demgegenüber gehen andere Forscherinnen und Forscher von der schwächeren Annahme der Strukturähnlichkeit aus (z.B. Habel 1996, Kaup et al. 1997, Kelter et al. im Ersch.). Unabhängig davon, ob man nun strukturelle Identität oder Ähnlichkeit zugrunde legt, folgt aus beiden Annahmen das für die Sprachproduktionsforschung zentrale Linearisierungsproblem: Wie überführen Sprecher mehrdimensionale Sachverhaltsrepräsentationen des zu verbalisierenden Inhalts in lineare, propositionale Strukturen?
1.1 Das Linearisierungsproblem in Beschreibungen räumlicher Konfigurationen Levelt (1989: 138) faßt das Linearisierungsproblem generell zusammen als „... deciding what to say first, what to say next, and so on." Als grundlegendes Prinzip, dem Sprecher bei der Linearisierung folgen, nimmt er das Prinzip der natürlichen Anordnung an: „Arrange information for expression according to the natural ordering of its content" (Levelt 1989: 380). Demzufolge besteht eine zentrale Konzeptualisierungsaufgabe während der Sprachproduktion darin, in der zu beschreibenden Struktur eine natürliche Anordnung aufzudecken und diese bei der Verbalisierung heranzuziehen. Jedoch ist das Konzept der natürliche Anordnung äußerst vage, so daß ein wichtiges Ziel der Sprachproduktionsforschung darin besteht, zu ergründen, welche Anordnungen' von natürlichen Sprechern präferiert werden. Offenbar läßt sich die Frage, was diese als natürliche Anordnung auffassen, nur in Abhängigkeit von einem gegebenen Kontext beantworten. Man kann also wie Denis (1991: 147) das Linearisierungsproblem in einer spezifisch räumlichen Lesart reformulieren durch „How will people confronted with a two- or three-dimensional spatial entity .linearize' information in order to produce descriptive discourse?" (Hervorhebung im Original). Es ist davon auszugehen, daß es mehrere Antworten auf diese Frage gibt, denn es liegen unterschiedliche empirische Befunde dazu vor, welche Anordnungsprinzipien bei der Beschreibung räumlicher Konfigurationen befolgt werden. Verallgemeinernd lassen sich diese in zwei Gruppen einteilen: Solche, bei denen in Beschreibungen räumlicher Arrangements eine Perspektivenkonsistenz festgestellt wird, und andererseits solche, in denen über perspektiveninkonsistente Beschreibungen berichtet wird. Perspektivenkonsistenz findet u.a. Levelt (1982): „For extended discourse, people adopt a single frame of reference and use it consistently in a description." Diese Feststellung fügt sich gut zu der Annahme, daß Verbalisierungen das Prinzip der natürlichen Anordnung zugrunde liegt. Wenn Sprecher eine natürliche Anordnung in einer räumlichen Konfiguration
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entdecken, scheint es naheliegend, daß sie diese während ihrer Versprachlichung benutzen und dementsprechend eine konsistente Perspektive wählen, was sich sprachlich in einem einheitlichen Referenzrahmen niederschlägt. Als natürliche Anordnung für räumliche Arrangements kann eine Anordnung gelten, die auf vielfältigen und typischen Erfahrungen basiert. In diesem Sinn argumentieren z.B. Linde und Labov (1975), Ehrich und Koster (1983) sowie Levelt (1982 & 1989) dafür, daß in den meisten Fällen eine mentale Route oder eine mentale Tour durch eine räumliche Anordnung gelegt wird, der die Versprachlichung folgt. Tversky (1996) setzt sich kritisch sowohl mit der Annahme, daß die mentale Route die typischste Art sei, eine räumliche Konfiguration zu beschreiben, als auch mit dem Postulat der Perspektivenkonsistenz auseinander. Im Hinblick auf die „Typikalitätsannahme der mentalen Route" stellt sie fest, daß manche Verbalisierungen, denen die Perspektive einer mentalen Route zugeschrieben wird, in vielen Fällen kein mentales Durchlaufen der beschriebenen Umgebung beinhalten, sondern viel eher als „Blickbewegungstouren" zu charakterisieren seien. Die Sprecher nehmen Tversky zufolge einen festen Blickpunkt auf die räumliche Anordnung ein und lassen den Blick über die zu beschreibenden Entitäten wandern (ibid: 469; vgl. auch Ullmer-Ehrich 1982). Ergänzend weist sie darauf hin, daß das Durchlaufen bzw. Durchfahren einer Umgebung nicht notwendigerweise die typischste Art der Raumerfahrung ist, denn räumliches Wissen wird in vielen Fällen als Überblickswissen erworben. Menschen können hierzu eine Umgebung von einer Erhebung aus betrachten oder Karten studieren. Außerdem kann Überblickswissen durch Inferenzen aus Routenwissen aufgebaut werden (Landau 1988; Levine, Jankovic und Palij 1982) (vgl. Tversky 1996: 479). Hier findet sich also ein weiteres Argument fur die Kontextabhängigkeit der Perspektivenwahl. Bei ihrer Einschätzung beruft sich Tversky auch auf eigene Untersuchungsergebnisse. Taylor und Tversky (1996) fanden bei Versuchspersonen eine hohe Flexibilität im Hinblick auf die gewählte Perspektive: In Skizzenbeschreibungen wechseln die Verbalisierer sie mehrfach, ohne daß sie dies in besonderer Weise signalisieren. Die Forscherinnen stellen fest, daß die Perspektivenkonsistenz, so wie sie von Levelt angenommen wird, nicht notwendigerweise die Verbalisierung steuert. Describers frequently switch perspectives, indicating that although perspective is needed to locally define spatial relations, the same perspective is not needed throughout to insure coherence. (Taylor & Tversky 1996: 389)
Die Ergebnisse von Taylor und Tversky (1996) werden als Ausgangspunkt der vorliegenden Analyse verwendet, da das für die Verbalisierung herangezogene Stimulusmaterial wie in der eigenen Untersuchung aus Skizzen besteht.
1.2 Räumliche Referenzrahmen Beschreibungen räumlicher Umgebungen und Konfigurationen enthalten im Regelfall sprachliche Bezüge auf räumliche Referenzrahmen. Referenzrahmen erlauben eine Organisation der darzustellenden Entitäten und ihrer Relationen zueinander. Die sprachlich orientierte Raumkognitionsforschung differenziert im wesentlichen drei Referenzrahmen: einen deiktischen bzw. betrachterzentrierten, einen intrinsischen bzw. objektzentrierten und einen
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
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extrinsischen bzw. umgebungszentrierten (vgl. z.B. Carlson-Radvansky & Irwin 1994, Garnham 1989 und Levelt 1996). Die Art und Weise, in der diese Referenzrahmen definiert werden, variiert jedoch zum Teil erheblich. Als Reaktion auf diese Situation legt Levinson (1996) eine Charakterisierung vor, in der eine Abstraktion über vorliegenden, z.T. sehr komplexen Einzelbeschreibungen der Referenzrahmen vorgenommen wird. Das Ziel besteht darin, die prototypischen Eigenschaften eines jeden Referenzrahmens heraus zu kristallisieren und damit die ,Diagnose' der in einem konkreten Einzelfall vorliegenden Referenzrahmenwahl zu erleichtern. Levinsons Terminologie unterscheidet sich etwas von der traditionellen und sei im folgenden kurz erläutert: Sprecher, die einen kanonischen relativen Referenzrahmen verwenden, wählen entweder den Adressaten oder sich selbst als Bezugspunkt des Koordinatensystems. Entitäten werden nun in Relation zu dieser Person lokalisiert, deren Orientierung im Raum bekannt sein muss. Eine Äußerung wie: das Auto ist links neben dem Brunnen geparkt wird durch diese Bedingung eindeutig anwendbar. Das bedeutet, im prototypischen Fall ist ein relativer Referenzrahmen deiktisch im traditionellen Sinn und erfordert drei Elemente, den Bezugspunkt, das zu lokalisierende Objekt und ein Referenzobjekt. Es gibt auch Fälle, in denen ein relationaler Referenzrahmen objektzentriert ist, etwa in: vom Fahrstuhl aus gesehen, ist
mein Büro rechts neben der Rezeption. Mit einem intrisischen Referenzrahmen werden Entitäten mit Bezug auf kanonische, d.h. ausgezeichnete Vorder-, Hinter-, Ober- und Unterseiten von Objekten lokalisiert (die Jogger laufen vor dem Rathaus vorbei). Ein intrinsischer Referenzrahmen kann auch personenzentriert sein. Somit wird eine Äußerung wie der Ball liegt hinter Dir als ein weniger prototypischer Fall einer intrinsischen Referenzrahmenwahl charakterisiert (und nicht als deiktisch wie vielfach vorgeschlagen (z.B. von Levelt 1989). Intrinsische Referenzrahmen werden durch nur zwei Elemente, das zu lokalisierende Objekt und das Referenzobjekt, gebildet. Ein absoluter oder extrinsischer Referenzrahmen schließlich benötigt ebenfalls nur ein zu lokalisierendes Objekt und ein Referenzobjekt, wobei das Referenzobjekt im prototypischen Fall eine Hauptrichtung ist (nördlich, südlich, östlich, westlich, oben, unten). Das heißt, der Bezugspunkt des Koordinatensystems ist unabhängig von der aktuellen Situation oder Konfiguration. Auch hier gibt es weniger prototypische Fälle, in denen z.B. einer der genannten umgebungsrelationalen Ausdrücke personen- oder objektzentriert verwendet wird,
vgl. z.B. das Fahrrad steht nördlich von Dir, meine Wohnung ist nördlich von der Schule. Die räumliche Referenzrahmenwahl hängt - wie Taylor und Tversky (1996: 383) feststellen - eng mit der Wahl der Perspektive zusammen.
1.3 Perspektiven in Beschreibungen räumlicher Konfigurationen Taylor und Tversky (1996) führten drei verschiedene Studien durch, um die Perspektivenwahl in Skizzenbeschreibungen zu untersuchen. Studierende wurden dazu aufgefordert, je eine Skizze (vgl. die Beispielskizze in Abbildung 1) fünf Minuten lang so gründlich zu betrachten, daß sie sie im Anschluß reproduzieren können. Als Reproduktionsleistung wurde einer Hälfte jeder Gruppe eine sprachliche Beschreibung, der anderen Hälfte eine zeichnerische Reproduktion angekündigt. Tatsächlich wurden von allen Versuchspersonen beide Aufgaben gefordert (Taylor & Tversky 1996: 378), wobei die verbalen Beschreibungen in
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Heike
Tappe
schriftlicher Form erfolgten und den Versuchspersonen insgesamt 30 Minuten Zeit für die Textproduktion und die Zeichnung eingeräumt wurde. While Mountains
Ri ver H i g h w a y
VV·
Abbildung 1: Beispielskizze aus Taylor und Tversky (1996: 374) Taylor und Tversky (1996: 383) unterscheiden drei Perspektiven, die auf eine räumliche Anordnung eingenommen werden können: den Rundumblick (gaze), die Route (route) und den Überblick (survey). Die Autorinnen betonen, daß jede Perspektive eine natürliche Art widerspiegelt, sich mit einer räumlichen Umgebung vertraut zu machen. Eine Beschreibung aus der Perspektive des Rundumblicks reflektiert eine Situation, in der der Sachverhalt von einem externen Standpunkt aus wahrgenommen wird und ein Betrachter den Blick über die Konfiguration schweifen läßt. Die Perspektive der Route entspricht demgegenüber der Erkundung einer Umgebung, während sie durchlaufen oder durchfahren wird. Eine Überblicksperspektive schließlich ist dadurch charakterisiert, daß der Blickpunkt oberhalb der zu beschreibenden Szene angesiedelt ist; sie entspricht also einer .Vogelperspektive' (vgl. hierzu
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
75
Wegeskizzen
auch die Unterscheidung von Überblicks- und Streckenwissen in Buhl 1996: 16-17). Tabelle 1 faßt die prototypischen Eigenschaften aller räumlichen Perspektiven zusammen. Beschreibungsperspektive Eigenschaften
Rundumblick
Route
Überblick
Blickpunkt
festgelegt, extern
veränderlich, intern
festgelegt, extern
Verben
statisch
aktiv
statisch
Referenzobjekt
Objekt oder Person
Person
Objekt
Referenzausdrücke
links, rechts, vor,
links, rechts, vor,
nördlich,
hinter
hinter
östlich,
Referenzrahmen
relativ
intrinsisch
extrinsisch
Weltentsprechung
Betrachter sieht die Gesamtszene von außen (horizontaler Blickpunkt)
Betrachter sieht die Szene während einer Wanderung/ Fahrt durch die Umgebung
Betrachter sieht die Gesamtszene von oben (vertikaler Blickpunkt)
südlich, westlich
Tabelle 1 : Typische Eigenschaften von Beschreibungsperspektiven (vgl. Taylor & Tversky 1996: 383) In den von ihnen erhobenen Skizzenbeschreibungen finden Taylor und Tversky überwiegend Schilderungen aus der Routen- oder Überblicksperspektive, bzw. Beschreibungen, in denen die Sprecherinnen und Sprecher zwischen diesen Perspektiven wechseln. Die Autorinnen fuhren die Tatsache, daß kaum Schilderungen aus der Perspektive des Rundumblicks vorkommen, auf zwei Faktoren zurück. Erstens waren die von ihnen verwendeten Skizzen solche, die größere Umgebungen darstellten (einen Vergnügungspark, das Innere eines Konferenzzentrums und eine Stadt mit Umland). Zweitens interpretierten die Beschreiberinnen und Beschreiber die Skizzen weniger als Karten oder Lagepläne, sondern als Umgebungen. Zusammengenommen führten beide Faktoren dazu, daß die Konzeptualisierung der dargestellten Sachverhalte keinen externen, horizontal zur Szene lokalisierten Betrachterstandpunkt nahelegten, von dem aus die Gesamtkonfiguration betrachtet werden kann. Um die beiden relevanten Perspektiven zu differenzieren, stellen die Autorinnen ihre prototypischen Merkmale gegenüber (vgl. Taylor & Tversky 1996: 377). Neben den bereits erwähnten, unterscheiden sich die beiden Perspektiven durch den jeweils präferierten Referenzrahmen. In Routenbeschreibungen findet sich in der Regel eine Mischung aus einem intrisischen und einem relationalen Referenzrahmen, wohingegen Überblicksbeschreibungen bevorzugt ein absoluter Referenzrahmen zugrunde liegt. Dies schlägt sich in der Wahl der lexikalischen Mittel nieder. Das Referenzobjekt in Routenbeschreibungen ist meist einer der Betrachter (neben Dir, vor mir, etc.) oder mehrere (hinter uns); in Überblicksbeschreibun-
76
Heike Tappe
gen werden stattdessen Landmarken lokalisiert, indem auf Hauptrichtungen referiert wird {nördlich von der Brücke ist die Schule, das Rathaus ist im Süden, usw.). Darüber hinaus kommen in Überblicksbeschreibungen, in denen ein unbeweglicher, externer Blickpunkt eingenommen wird, vorwiegend statische Verben vor {sein, sich befinden), während für Routenbeschreibungen, die der Perspektive eines sich durch eine Umgebung bewegenden Betrachters entsprechen, in der Hauptsache aktive Verben gewählt werden. Schließlich wird für Überblicksbeschreibungen angenommen, daß sie intern eine hierarchische Struktur aufweisen. Das bedeutet, die Gesamtkonfiguration wird zunächst in Segmente unterteilt, die benannt und anschließend detaillierter beschrieben werden (Taylor & Tversky 1992). Routenbeschreibungen sind demgegenüber linear (vgl. Levelt 1982, Taylor & Tversky 1992). In den Abschnitten 2.2.2 und 2.3.2 werden detailliertere Ergebnisse aus der Untersuchung von Taylor und Tversky (1996) eigenen Ergebnissen gegenübergestellt.
2 Beschreibungen dynamischer und statischer Skizzen
2.1 Das Stimulusmaterial Um das Stimulusmaterial für die beiden im folgenden dargestellten Untersuchungen zu gewinnen, wurden 12 Studierende der Universität Hamburg gebeten, den Weg zwischen dem Informatikum der Universität in Hamburg-Stellingen und ihrem Hauptcampus in HamburgEimsbüttel so zu zeichnen, daß ihre Zeichnung als graphische Unterstützung fur eine verbale Wegbeschreibung benutzt werden könne. Start- und Endpunkt der gezeichneten Route sind in der Realität ca. 6 km weit voneinander entfernt, so daß die Zeichnerinnen und Zeichner in ihre Skizzen Angaben über zu benutzende Verkehrsmittel integrierten. Je nach Wahl der Verkehrsmittel konnten verschiedene Routen zwischen den beiden Endpunkten gewählt werden. Die Zeichnerinnen und Zeichner erhielten diesbezüglich keinerlei Vorgaben; daher wurden in den Zeichnungen diverse Möglichkeiten realisiert. Die Zeichnungen wurden auf einem elektronischen Graphiktablett angefertigt. Der Prozeß der Skizzenentstehung wurde mit Hilfe einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Software gespeichert (Turhan & Erichsen 1998), die unter anderem auch die Wiedergabe der dynamischen Skizzen - also der Skizzenentstehungsprozesse - erlaubt. Aus dem vorliegenden Skizzenmaterial wurden drei Skizzen als Stimulusmaterial für die anschließende Verbalisierungsstudie ausgewählt.
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
77
2.2 Beschreibungen dynamischer Skizzen In Abschnitt 1.1 wurden zwei alternative Möglichkeiten der Wahl einer räumlichen Perspektive in längeren Diskursen vorgestellt: Einerseits die der Perspektivenkonsistenz, die sich an die Hypothese anlehnt, daß Sprecher versuchen, in dem zu beschreibenden Inhalt eine natürliche Anordnung aufzudecken. Für Beschreibungen räumlicher Anordnungen entspricht diese - so eine vielfach geteilte Annahme - einer mentalen Tour. Andererseits wurde auf die von Taylor und Tversky (1996) vertretene Hypothese der Perspektiveninkonsistenz eingegangen. Deren Kernaussage ist, daß es keine singulare natürliche Perspektive auf eine räumliche Anordnung, weil es keine natürliche Anordnung in einem engeren Sinn gibt, die für alle räumlichen Konfigurationen gleichermaßen gilt. Vielmehr wählen die Sprecher die Perspektive je nach Kontext. Tatsächlich sind sie sogar in der Lage innerhalb einer Beschreibung des öfteren zwischen mehreren Perspektiven zu wechseln, ohne dies in besonderer Weise zu signalisieren.
78
Heike
Tappe
Von diesen Alternativen ausgehend, stellt sich die Frage, ob Sprecherinnen und Sprecher bei der Beschreibung dynamisch präsentierter Wegeskizzen eine konsistente räumliche Referenzperspektive wählen. Die Vorhersage einer konsistenten räumlichen Perspektivenwahl scheint in diesem Fall besonders plausibel, denn während sich in den Skizzen von Taylor und Tversky (1996) sowohl Eigenschaften einer Überblicksskizze (z.B. keine ausgezeichnete Orientierung) als auch routenhafte Elemente (wie z.B. Wege und Straßen) finden (vgl. die Skizze in Abbildung 1) stellen die von uns verwendeten Wegeskizzen ohnehin eine Route mit einem ausgezeichneten Start- und Zielpunkt dar. Außerdem haben sie weitere graphische Eigenschaften, die laut Taylor und Tversky besonders geeignet sind, um Routenbeschreibungen zu elizitieren: Die enthaltenen Skizzenobjekte haben in etwa dieselbe Größe und sind entlang der Route angeordnet (vgl. die Skizze in Abbildung 2). Darüber hinaus könnten Routenbeschreibungen dadurch begünstigt werden, daß die raum-zeitliche Aufeinanderfolge der Pixel und damit der gesamten Skizzenentstehung im wesentlichen der Richtung entspricht, mit der sich Verkehrsteilnehmer durch die dargestellte Realwelt-Umgebung bewegen, wenn sie vom Informatikum zum Hauptcampus gelangen möchten. Hieraus leitet sich die Annahme ab, daß in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen eine Routenperspektive bevorzugt wird. Des weiteren wird - wie in Abschnitt 1.1 erwähnt - vielfach angenommen, daß die Beibehaltung einer Referenzperspektive im Sinn einer natürlichen Anordnung weniger Konzeptualisierungsaufwand beinhaltet als ein oder mehrere Perspektivenwechsel. Somit könnten die Sprecherinnen und Sprecher eine konsistente Perspektive wählen, um sich während der von uns geforderten mündlichen Beschreibung von dem Verbalisierungsdruck zu entlasten. 6 In der Online-Bedingung entsteht ein gewisser Verbalisierungsdruck dadurch, daß die Sprecherinnen und Sprecher die wahrgenommenen Sachverhalte mit minimaler Zeitverzögerung konzeptualisieren müssen. Die Stärke des Verbalisierungsdrucks wurde variiert, denn die Sprecherinnen und Sprecher lieferten sowohl eine simultane (online) als auch eine nachträgliche (offline) Beschreibung derselben Skizze (vgl. Abschnitt 3.1). Somit können wir Unterschiede zwischen den beiden Bedingungen feststellen, die erkennen lassen, welchen Einfluß der höhere Verbalisierungsdruck in der Online-Bedingung auf die Beschreibungen hat. Eine weitere Frage war demnach, ob Beschreiberinnen und Beschreiber dynamischer Skizzen bemüht sind, eine konsistente Perspektive beizubehalten, um sich so von dem Verbalisierungsdruck zu entlasten. 7
2.2.1 Die Versuchsanordnung An der Verbalisierungsstudie nahmen 10 Studierende verschiedener Fachbereiche der Universität Hamburg teil. Die Muttersprache aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist Deutsch. Es gab keine Personen, die vorher an der Erstellung der Stimulusmaterials beteiligt waren. Die Teilnahme an der Datenerhebung war freiwillig. Jede Einzelsitzung dauerte
6
Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie v o n Taylor und Tversky (1996) schriftliche Skizzenbeschreibungen ablieferten. 7 In einer Nachbefragung schätzten die Untersuchungsteilnehmer allerdings die Darbietungsgeschwindigkeit der Skizzen übereinstimmend als eher langsam und die Verbalisierungsaufgabe als eher einfach ein.
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
79
ca. eine Stunde. Als Stimulusmaterial sahen die Untersuchungsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf einem zunächst leeren Computerbildschirm die sukzessive Wiedergabe je einer Skizzenentstehung (vgl. die Skizze in Abbildung 2). Die Skizze baute sich Pixel-für-Pixel und strikt sequenziell auf. Der gesamte Skizzenaufbau dauerte ca. 2,5 - 3,5 Minuten. Die Darbietungsgeschwindigkeit war durch eine Vorstudie optimiert worden und war etwas höher als die tatsächliche Zeichnungsgeschwindigkeit (das heißt die Skizzenabspielung war etwas schneller als die Geschwindigkeit, in der die Skizzen gezeichnet worden waren). Darbietungen in Zeichungsgeschwindigkeit wurden in der Pilotstudie von Sprechern mit „zu langsam" kommentiert und führten zu keiner flüssigen Textproduktion.
(Abtastpunkte/sek)
Abtastpunkte-Rate (in ms)
Zeichnung
20
50
Wiedergabe
150
6,666
Tabelle 2: Zeichnungs- und Wiedergabegeschwindigkeiten Die Verbalisierungsaufgabe bestand in einer Online-Bedingung darin, simultan zur Skizzenentstehung das Wahrgenommene so genau wie möglich zu beschreiben. Auf diese erste Aufgabe folgte nach einer kurzen Pause eine Distraktorphase, in der die Sprecherinnen und Sprecher andere Beschreibungen produzierten. Das ständige Sprechen während der Distraktorphase ließ die Verbalisiererinnen und Verbalisierer ihre eigenen Formulierungen aus der Online-Beschreibung der Skizzenentstehung vergessen. In einer abschließenden Offline-Bedingung wurde ihnen die Skizze aus der Online-Bedingung noch einmal vorgespielt. Diesmal wurden sie jedoch aufgefordert, die Skizzenentstehung zunächst schweigend zu beobachten. Die Skizze verschwand nach ihrer Vollendung vom Bildschirm und erst jetzt setzte die Beschreibung ein.
Online: Die Beschreibung erfolgt, während die Skizze auf dem zunächst leeren Bildschirm entsteht Offline: Die Beschreibung setzt ein, nachdem die Entstehung der Skizze vollständig betrachtet wurde und die fertige Skizze wieder vom Bildschirm verschwunden ist Überblick: Bedingungen fur die Beschreibung dynamischer Skizzen: Im Anschluß füllten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen anonymisierten Fragebogen aus, in dem sie einzelne Komponenten der Datenerhebung beurteilten (z.B. die Darbietungsgeschwindigkeit) und freie Kommentare über die Datenerhebung abgeben konnten. Des weiteren wurden Angaben zu Alter, Geschlecht und Händigkeit erfragt. Die Sprachdaten wurden mit einem DAT-Rekorder aufgezeichnet und transkribiert. Die Transkripte wurden von einer zweiten Person kontrolliert. Äußerungen, die unverständlich blieben, oder hinsichtlich derer Transkribendin und Kontrollhörerin nicht übereinstimmten, wurden nicht einbezogen. Die Auswertung der Daten erfolgte nach den Kriterien von Taylor
80
Heike
Tappe
nen unabhängig voneinander vorgenommen. Strittige Fälle wurden nicht berücksichtigt, es wurde aber insgesamt eine hohe Übereinstimmung erzielt.
2.2.2 Ergebnisse Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Diagnose der räumlichen Perspektive anhand der Wahl der sprachlichen Mittel.8 Die von Taylor und Tversky vorgeschlagene Vorgehensweise ist besonders attraktiv, weil sie darauf basiert, daß sich die beiden hier relevanten Perspektiven - Überblick und Route - durch die in Tabelle 1 verzeichneten Eigenschaften unterscheiden, die durch diskriminierende sprachliche Mittel enkodiert werden. Aufgrund dessen kann die Auswertung zunächst auf eine Feststellung der Vorkommenshäufigkeiten bestimmter sprachlicher Ausdrücke beschränkt werden und ist in dieser Phase weitgehend unabhängig von subjektiven Einschätzungen. Hierdurch wird die Vergleichbarkeit verschiedener Auswertungen erhöht. Relationale Ausdrücke Relationale, raumreferierende Ausdrücke sind solche, mit denen der Ort eines zu lokalisierenden Objekten mit dem des Referenzobjektes in Beziehung gesetzt wird. Aus den Ausführungen in den Abschnitten 1.2 und 1.3 ergibt sich, daß in Routenbeschreibungen vorwiegend betrachterrelationale Ausdrücke wie links, rechts, vor, hinter erwartet werden, wohingegen in Überblicksbeschreibungen in erster Linie umgebungsrelationale Ausdrücke wie nördlich, südlich, östlich und westlich auftreten sollten. Landmarkenrelationale Ausdrücke, die Objekte zueinander anordnen, ohne daß auf deren intrinsisch ausgezeichnete Seiten Bezug genommen wird (Bsp. der Wördemannsweg ist neben dem Informatikum) sind demgegenüber für eine Unterscheidung der Perspektiven nicht relevant. Für ihre Verwendung ist der Betrachterstandpunkt unerheblich, so daß sie in Überblicks- und Routenbeschreibungen eher selten Verwendung finden. Diese Annahmen werden durch die empirischen Daten von Taylor und Tversky bestätigt: Die Routenbeschreibungen enthalten eine hohe Anzahl betrachterrelationaler, die Überblicksbeschreibungen viele umgebungsrelationale Ausdrücke, wohingegen in gemischten Beschreibungen, in denen die Perspektive ein- oder mehrmals wechselte, keine deutliche Bevorzugung für eine bestimmte Art relationaler Ausdrücke gefunden wurde (vgl. Tabelle 3). Anders als in den von Taylor und Tversky erhobenen Skizzenbeschreibungen, ist in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen kein starker Trend zugunsten einer bestimmten Art relationaler Ausdrücken nachweisbar. Es zeigen sich lediglich leichte Tendenzen, wonach in den Online-Beschreibungen in etwa die Hälfte aller relationalen Ausdrücke umgebungsrelational sind, während in den Offline-Beschreibungen eine vergleichbar hohe Anzahl g Auf eine Einbeziehung aller in Taylor und Tversky (1996) enthaltenen Einzelergebnisse mußte verzichtet werden, weil einige Charakteristika in den von uns erhobenen Sprachdaten unterrepräsentiert sind, so daß sich diesbezüglich kein Vergleich anbietet. Zum Beispiel wurde für Überblicksbeschreibungen eine hierarchische Organisation vorhergesagt. Eine solche ist aufgrund der graphischen Merkmale der von uns verwendeten Skizzen jedoch nicht zu erwarten.
Perspektivenwahl in Beschreibungen dynamischer und statischer
Wegeskizzen
81
von betrachterrelationalen Ausdrücke zu verzeichnen ist. Hier gilt also fur beide Verbalisierungsbedingungen, daß sich keine eindeutige Perspektivenwahl andeutet.
Taylor & Tversky (1996: 381)
dynamische Skizzen
Überblick
gemischt
Route
online
offline
betrachterrelational {links-rechts, vor-hinter)
6%
18%
71%
25%
49%
landmarkenrelational (neben χ ist y)
12%
36%
12%
28%
16%
umgebungsrelational {nördlich, südlich, östlich, westlich, oben, unten)
82%
46%
17%
47%
35%
Tabelle 3: Häufigkeiten relationaler Ausdrücke je Äußerungsperspektive Referenzobjekte Ein weiteres quantitatives Maß, das fur die Aufdeckung der zugrundeliegenden Perspektive heran gezogen werden kann, ist Häufigkeit der bevorzugt verwendeten Referenzobjekte. In Routenbeschreibungen, in denen häufig ein relationaler Referenzrahmen gewählt wird, ist davon auszugehen, daß Objektlokationen in vielen Fällen in Relation zu einem Betrachter angegeben werden, demgegenüber ist für Überblicksbeschreibungen zu erwarten, daß Objekte im Hinblick auf die Himmelsrichtungen lokalisiert werden, die somit als Argumente der Präpositionalphrasen auftreten sollten. Für die Einstufung einer Beschreibung zu einer räumlichen Perspektive werden solche Präpositionalphrasen als neutral behandelt, in denen das Referenzobjekt eine Landmarke ist, denn diese Strategie kann sowohl in Routen- als auch in Überblicksbeschreibungen angewendet werden. In den Daten von Taylor und Tversky können diese Unterscheidungen wiederum nachgewiesen werden. Wie erwartet findet sich in Überblicksbeschreibungen in den meisten Fällen eine Hauptrichtung als Referenzobjekt, während in Routenbeschreibungen die Lokation eines Objektes im Verhältnis zu einem Betrachter beschrieben wird, so daß dieser zum Referenzobjekt wird. In den von uns erhobenen Beschreibungen ergibt sich ein völlig anderes Bild. In der herausragenden Zahl aller Fälle - und das sowohl in der Online- als auch in der Offline-Bedingung - werden Landmarken als Referenzobjekte verwendet. Das heißt, die Lokationen der durch die Skizzenentstehungsprozesse erzeugten Entitäten werden bevorzugt dadurch angegeben, daß sie zueinander in Beziehung gesetzt werden. In keinem Fall tritt ein Betrachter als Referenzobjekt auf (vgl. Tabelle 4). Wir stellen also fest, daß Beschreibungen dynamischer Skizzen im Hinblick auf dieses sprachliche Kriterium nicht als ,routenhaft' eingestuft werden können.
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Heike
Taylor & Tversky (1996: 381)
Ein Betrachter (x ist vor Dir) Eine Landmarke
Tappe
dynamische Skizzen online
offline
Überblick
gemischt
Route
3%
29%
57%
47%
51%
26%
88%
82%
50%
20%
17%
12%
18%
-
-
(x ist vor dem Haus) Eine Hauptrichtung (x ist im Süden)
Tabelle 4: Häufigkeit der Art des Referenzobjektes pro Äußerungsperspektive Aktive und statische Verben In Routenbeschreibungen wird der Adressat auf eine mentale Wanderung .mitgenommen'. Als Konsequenz dessen sollten in Routenbeschreibungen sehr wenige statische Verben auftreten. Dem sehr strengen Kriterium von Taylor und Tversky folgend wurden auch in der eigenen Auszählung lediglich Formen von sein und sich befinden als statische Verben gewertet. Durch diese starke Einschränkung verfolgen die Forscherinnen wiederum das Ziel subjektive Interpretationen bei der Auswertung möglichst gering zu halten. Es überrascht wenig, daß die Verteilung der Verben in der Tat mit der Perspektivenwahl korreliert. Für die Überblicksbeschreibungen erhalten Taylor und Tversky eine hohe Anzahl statischer Verben, für die Routenbeschreibung eine vergleichbar hohe Anzahl aktiver Verben. In den gemischten Beschreibungen, die einen oder mehrere Perspektivenwechsel enthalten sind, kommen in etwa gleich viele Verben jeder Sorte vor. In den Beschreibungen der dynamischen Skizzen finden sich fast ausschließlich aktive Verben und zwar in beiden Beschreibungsbedingungen (vgl. Tabelle 5). Hier wird die Dynamik der Darbietungsweise deutlich spürbar.
Taylor & Tversky (1996: 381)
dynamische Skizzen
Überblick
gemischt
Route
online
offline
aktive Verben
36%
55%
64%
78%
88%
statische Verben
64%
45%
36%
22%
12%
Tabelle 5: Häufigkeiten aktiver und statischer Verben pro Äußerungsperspektive
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
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2.2.3 Zusammenfassung Nach Anwendung der Kriterien von Taylor und Tversky auf unsere Daten, zeigt sich, daß die Bescheiberinnen und Beschreiber dynamischer Skizzen weder in der Online-Bedingung noch der Offline-Bedingung eine konsistente räumliche Referenzperspektive aufbauen. Dies gilt trotz der Routenhaftigkeit des dargestellten Inhaltes und der Annahme, daß die Beibehaltung einer konsistenten räumlichen Perspektive sie von dem Verbalisierungsdruck entlasten könnte. Diese mögliche Entlastungsfunktion einer konsistenten räumlichen Perspektivenwahl wurde insbesondere dadurch nahegelegt, daß der Ablauf der Skizzenentstehung an der Bewegungsrichtung der Verkehrsteilnehmer in der dargestellten Realwelt-Umgebung orientiert ist. Bleibt die Frage, ob wir einen Unterschied zwischen den Verbalisierungsbedingungen feststellen können. Was die Anzahl der Verben je Sorte und die Wahl des bevorzugten Referenzobjektes angeht, unterscheiden sich die beiden Verbalisierungsbedingungen nicht. Alle Beschreibungen enthalten vorwiegend aktive Verben (d.h. ein „Routenmerkmal") sowie vorwiegend Landmarken als Referenzobjekte (d.h. ein „nicht-diskriminierendes Merkmal"). Die Online-Beschreibungen heben sich von den Offline-Beschreibungen am deutlichsten durch den Gebrauch der jeweils verwendeten relationalen raumreferierenden Ausdrücke je Äußerungsperspektive ab. In den Online-Beschreibungen waren ungefähr die Hälfte (47%) aller raumreferierenden relationalen Lexeme umgebungsrelationale, d.h. solche, die eher auf eine Überblicksperspektive hindeuten. Dieser Effekt tritt auf, obwohl eine landmarkenrelationale Verankerung naheliegt, der zufolge die Lokalisierung einer neuen Landmarke jeweils im Verhältnis zu der unmittelbar vorhergehenden vorgenommen werden könnte. Offenbar wirken hier interagierende Faktoren gegen eine ausschließliche Anwendung diese Strategie: Die Sprecherinnen und Sprecher wissen während der Online-Verbalisierung längere Zeit nicht, welche Wegstrecke aufgebaut wird. Zugleich verspüren sie jedoch das Bedürfnis einer konkreten Positionierung, d.h. sie möchten die konzeptualisierten Inhalte in einen größeren räumlichen Kontext einordnen. Da ihnen in der Online-Bedingung hierzu der Routenendpunkt als Ankerpunkt noch nicht zur Verfügung steht, wechseln sie bei ihrer Sicht auf den Sachverhalt zwischen einer vertikalen Aufsicht, die zu umgebungsrelationalen Ausdrücken fuhrt, und einer lokalen Entwicklungsbeschreibung, in der Landmarken als Referenzobjekte verwendet werden. In den Offline-Beschreibungen sind demgegenüber fast die Hälfte aller relationalen raumreferierenden Ausdrücke betrachterrelationale. Da den Beschreiberinnen und Beschreibem nunmehr Anfangs- und Zielpunkt des Weges bekannt sind, verzichten sie eher auf umgebungsrelationale Ausdrücke. Jetzt können sie die gesamte Route zwischen den beiden Endpunkten aufspannen und sich mit ihren Adressaten auf ein mentales Durchfahren der Wegstrecke einlassen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß sich nach einer ersten Auswertung anhand einiger der von Taylor und Tversky vorgeschlagenen Kriterien in Beschreibungen dynamischer Skizzen keine klaren Hinweise auf eine Perspektivenkonsistenz finden. Unter beiden Verbalisierungsbedingungen werden als Referenzobjekte bevorzugt Skizzenobjekte eingesetzt (ein nicht-diskriminierendes Merkmal). Daneben ist lediglich eine leichte Tendenz festzustellen, nach der Offline-Beschreibungen etwas stärker ausgeprägte Eigenschaften einer Routenbeschreibung haben (mehr aktive Verben und betrachterrelationale Ausdrücke),
84
Heike Tappe
wohingegen Online-Beschreibungen sowohl Eigenschaften einer Routenbeschreibung (aktive Verben) als auch einer Überblicksbeschreibung (mehr umgebungsrelationale Ausdrücke) haben.
2.2.4 Zusätzliche Merkmale und Ausblick Wie in 2.2.2 gezeigt wurde, fördert die Auswertung des raumreferierenden Ausdrucksinventars und die Auszählung von statischen und aktiven Verben in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen keine Hinweise auf eine Perspektivenkonsistenz zu Tage. Trotzdem wirken einer intuitiven Einschätzung zufolge sowohl die Online-Beschreibungen als auch die Offline-Beschreibungen - zumindest über längere Passagen - ,routenhaft'. Man vergleiche zur Illustration die beiden folgenden Textfragmente. (1) Textfragment aus einer Online-Beschreibung genau, man muß da aussteigen/ und dann zu Fuß über die Kreuzung gehen/ und zwar zuerst.../ also man steigt auf der nordöstlichen Seite aus auf dieser Kreuzung/ auf der nordöstlichen Ecke/ und muß dann über zwei Ampeln rüber/
(2) Textfragment aus einer Offline-Beschreibung dann kommt er [= der Bus] an irgendeine recht große Kreuzung/ das ist die Siemersplatz Haltestelle/ ähm, da biegt er nach links ab/ und an der Haltestelle da mußt du dann auch raus/ und fährst mit dem 102er weiter/ Die Haltestelle vom 102er ist diagonal gegenüber/ und da mußt du über zwei Ampeln rüber/ und dann fährst du mit dem 102er in Richtung Stadt/ mit dem fährst du auch wieder ne ganze Weile/
Durch welche sprachlichen Mittel wird dieser Eindruck erzeugt? Im folgenden werde ich erste Überlegungen dazu zusammenfassen, daß in Beschreibungen dynamischer Skizzen weitere sprachliche Mitten verwendet werden, um Perspektivenwahl sprachlich zu enkodieren, es handelt sich um Direktionale, Referenz auf imaginäre Wanderer und Zeitadverbien. Direktionale An erster Stelle zu nennen sind direktionale Präpositionen und Adverbien, die auch zu den raumreferierenden Lexemen gehören. Taylor und Tversky (1996) weisen dieser besonderen Untergruppe keine besondere Rolle zu. In den von uns erhobenen Beschreibungen dynamischer Skizzen sind sie jedoch fur die hörerseitige Erzeugung eines routenhaften mentalen Modells des beschriebenen Sachverhalts von Bedeutung (vgl. die Textfragmente in (1) und (2)). Allerdings unterscheiden sich die Online- und die Offline-Beschreibungen kaum hinsichtlich der Anzahl der verwendeten Richtungsausdrücke: In den Online-Beschreibungen kommen insgesamt 58 vor, während die Sprecherinnen und Sprecher in den Offline-Beschreibungen 60 Direktionale verwenden.
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
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Imaginäre Wanderer Ein zweites wesentliches Merkmal der Beschreibungen dynamischer Skizzen ist die Erwähnung imaginärer Wanderer. Es handelt sich hierbei um ein Merkmal, das Taylor und Tversky explizit für die Routenperspektive nennen. In ihren Auswertungskriterien kommt die Perspektive einer sich innerhalb der beschriebenen Umgebung befindenden Person an zwei Stellen ins Spiel: In der Menge der betrachterrelationalen Ausdrücke und in der Anzahl der Fälle, in denen eine Landmarke in Relation zum Betrachterstandpunkt lokalisiert wird (d.h. der Betrachter wird zum Referenzobjekt). In den von uns erhobenen Daten kommt in keinem Fall ein Betrachter als Referenzobjekt vor, vielmehr werden Betrachter als imaginäre Wanderer konzeptualisiert, deren jeweilige Aufenthaltsorte zu vorhandenen Skizzenelementen9 (die somit als Referenzobjekte fungieren) in Beziehung gesetzt werden. Hierdurch wird der Eindruck von Routenhaftigkeit unterstützt, vgl. die Beispiele (3) bis (5). (3) Fragment aus einer Online-Verbalisierung jetzt fahren wir so südwärts/ ich weiß nicht ob es genau det ist/ ich sag jetzt aber einfach mal südwärts.../ auf ...äh und das ... ah, jetzt befinden wir uns gleich erst an der Universität Hamburg / am Grindelhof, in der Rentzelstraße .../ tja ... wunderbar ... jetzt langsam sind wir im untersten Bildrand rechts angekommen/
(4) Fragment aus einer Online-Verbalisierung genau, man muß da aussteigen/ und dann zu Fuß über die Kreuzung gehen/ und zwar zuerst.../ also man steigt auf der nordöstlichen Seite aus auf dieser Kreuzung / auf der nordöstlichen Ecke und muß dann über zwei Ampeln rüber/
(5) Fragment aus einer Offline-Verbalisierung du bist hier in Stellingen am Fachbereich Informatik/ und möchtest gern zum Campus/ das ist eigentlich ziemlich einfach/ also hier vom FB aus gehst du halt den Gazellenkamp runter/ zur äh Haltestelle, von ... vom 281/
In den Online-Beschreibungen wird insgesamt häufiger auf imaginäre Wanderer Bezug genommen als in den Offline-Beschreibungen (39 versus 22). Die beiden Verbalisierungsbedingungen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Wortwahl voneinander: In den OnlineBeschreibungen wird in keinem Fall der Adressat der Beschreibung direkt angesprochen (d.h. du kommt nicht vor). Stattdessen wird insgesamt 13 mal wir verwendet (vgl. Bsp. 3) und 26 mal man (vgl. Bsp. 4). In den Offline-Beschreibungen kommt du demgegenüber zwölfmal vor (vgl. Bsp. 5), man neunmal und wir nur einmal. Der Begriff „Skizzenelement" wird hier und im folgenden für in den Skizzen dargestellte Entitäten verwendet. Das können zum einen graphische Entitäten wie z.B. Quadrate, Linien, Ellipsen, etc. sein, zum anderen aber auch die durch diese graphischen Entitäten repräsentierten Realwelt-Entitäten wie z.B. Gebäude, Plätze, Straßen, usw. Zur Interaktion der verschiedenen Repräsentationsschichten in Beschreibungen von Skizzenentstehungsprozessen vgl. Tappe und Habel 1998.
86
Heike
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Obwohl in keinem Fall ein imaginärer Wanderer als Referenzobjekt eingesetzt wird, trägt die Erwähnung von Personen, die sich durch die dargestellte Umgebung bewegen, erheblich zu dem Eindruck bei, daß den Beschreibungen der dynamischen Skizzen über weite Strecken eine Routenperspektive zugrunde liegt. Zeitadverbien
Dieser Eindruck wird durch ein weiteres, letztes Merkmal noch verstärkt. In den erhobenen Verbalisierungsdaten ist eine Anzahl temporaler Ausdrücke, vor allem Adverbien, enthalten. Durch sie wird die lineare Abfolge der wahrgenommenen Entitäten enkodiert, was wiederum dazu fuhrt, eine Routenperspektive nahezulegen, vgl. hierzu die Beispiele in (6) und (7): (6)
Fragment aus einer Online-Beschreibung: und dann geht's weiter zu einer großen Kreuzung Edmund-Siemers ... Platz ja/ da ist dann ein Pfeil, der ... die kleine Linie biegt nach links ab .../ aha ... hmm, äh, w o die Linie links an die große Straßenseite trifft/ da geht jetzt eine weitere Linie nach recht/ dann über die die Straße/ also über die Kreuzung nach unten/ dann noch mal über die Kreuzung nach links auf den Bus 200 .../
(7)
Fragment einer Offline-Beschreibung
wie geht das denn weiter?/ da kommt irgendwann halt die Kreuzung/ das ist dann schon mehr in Campusnähe/ w o auch so Abaton auf der Ecke ist/ auch 2001, Pappnase und so/ also, ähm/ ja die ganze Zeit siehst du auch den Fernsehturm größer werden/ dann ist das schon die richtige Richtung/
In den Online-Beschreibungen kommen insgesamt mehr Zeitadverbien vor als in den OS1 line-Beschreibungen (126 versus 82). Dies könnte darauf beruhen, daß das zeitliche Geschehen während einer simultanen Darstellung eine größere Rolle spielt, als während einer posthoc Beschreibung. Hier steht aber eine weitergehende Auswertung noch aus; ebenso wird es nötig sein, die Wirkung der verwendeten Adverbien im Einzelnen zu analysieren. Die in diesem Abschnitt genannten Beobachtungen sind durch zukünftige Analysen zu präzisieren. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir lediglich eine Hypothese für weitere Forschung formulieren: Durch die Dynamik der Skizzenentstehungsprozesse werden fur eine sprachliche Enkodierung der Perspektivenwahl neben räumlichen Ausdrücken weitere Faktoren wichtig. Bezieht man diese in die Analyse ein, wirken die Beschreibungen der dynamischen Skizzen weitaus konsistenter als es durch die Anwendung der Kriterien von Taylor und Tversky zunächst scheint. Dennoch kann Uber alle Verbalisierungen hinweg nicht davon gesprochen werden, daß die Sprecherinnen und Sprecher generell eine konsistente Perspektive wählen.
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
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2.3 Beschreibungen statischer Skizzen In einer ersten Untersuchung konnte gezeigt werden, daß sich unter Anwendung der von Taylor und Tversky vorgeschlagenen sprachlichen Kriterien in den von uns erhobenen Beschreibungen von dynamischer Skizzen keine konsistente Beschreibungsperspektive andeutet. In einem zweiten Schritt wurden erste Beobachtungen dahingehend geschildert, welche weiteren sprachlichen Mittel dafür verantwortlich sein können, daß in den Beschreibungen zumindest über längere Passagen dennoch der Eindruck von Routenbeschreibungen entsteht. Hierauf aufbauend wurde in einer zweiten Untersuchung der Frage nachgegangen, ob eine statische Darbietung der Skizzen aus der ersten Untersuchung zu anderen Ergebnissen fuhrt. Es ging darum, festzustellen, ob in Beschreibungen der statischen Wegeskizzen eine konsistente Perspektive eingenommen wird. Sollte dies der Fall sein, können wir folgern, daß in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen eine konsistente Perspektivenwahl durch die Dynamik der Sachverhalte nicht - wie angenommen - unterstützt sondern vielmehr behindert wurde.
2.3.1 Versuchsanordnung An der Verbalisierungsstudie nahmen 10 Studierende verschiedener Fachbereiche der Universität Hamburg teil. Es gab keine Personen, die bereits bei der Erstellung des Stimulusmaterials oder in der vorherigen Verbalisierungsstudie zu dynamischen Skizzen mitgewirkt hatten. Die Teilnahme an der Datenerhebung war freiwillig. Die Muttersprache aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist Deutsch. Jede Einzelsitzung dauerte ca. eine Stunde. Als Stimulusmaterial sahen die Versuchspersonen auf dem zunächst leeren Computerbildschirm je eine Skizze aus der Studie 1. Die Skizze wurde diesmal diskret, d.h. als Stand-bild dargeboten. Die Skizzendarbietung dauerte ebenso lang wie der Skizzenaufbau der jeweiligen Skizze in der vorherigen Studie. Die Verbalisierungsaufgabe bestand in einer Online-Bedingung darin, simultan zur Skizzendarbietung das Wahrgenommene zu beschreiben. Auf diese erste Aufgabe folgte nach einer Pause eine Distratorphase, in der die Sprecherinnen und Sprecher andere Beschreibungen produzierten. In einer abschließenden Offline-Bedingung wurde ihnen die Skizze aus der Online-Bedingung noch einmal als Standbild dargeboten. Diesmal wurden sie jedoch aufgefordert, die statische Skizze zunächst lediglich zu betrachten. Nach Ablauf der Darbietungsdauer verschwand die Skizze vom Bildschirm und erst jetzt setzte die Beschreibung ein. Alle weiteren Schritte entsprachen denen in der ersten Studie.
Online: Die Beschreibung erfolgt, während die Skizze (als Standbild) auf dem zunächst leeren Bildschirm dargeboten wird Offline: Die Beschreibung erfolgt, nachdem die Darbietungsdauer der Skizze (als Standbild) beendet ist und die Skizze wieder vom Bildschirm verschwunden ist Überblick: Bedingungen für die Beschreibung statischer Skizzen:
88
Heike
Tappe
2.3.2 Ergebnisse Die Ausweitung der Ergebnisse wurde nach den selben Kriterien wie in der ersten Untersuchung durchgeführt und wird in derselben Reihenfolge dargestellt: Häufigkeit relationaler Ausdrücke, Häufigkeit der Referenzobjekte, Häufigkeit aktiver und statischer Verben.
Relationale Ausdrücke Im Hinblick auf die Verwendung relationaler räumlicher Ausdrücke unterscheiden sich die Beschreibungen statischer Skizzen von den Beschreibungen sowohl der statischen Skizzen von Taylor und Tversky als auch der dynamischen Skizzen aus unserer ersten Untersuchung. Es ist überhaupt keine Präferenz für eine der beiden als relevant eingestuften Perspektiven erkennbar, vielmehr werden landmarkenrelationale Ausdrücke bevorzugt; und zwar in den Offline-Beschreibungen noch deutlicher als in den Online-Beschreibungen. Anstelle einer erwarteten Indizien für eine eindeutige Perspektivenwahl, verschwinden bei den Beschreibungen der statischen Skizzen sogar jene leichten Tendenzen, die zuvor in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen aufgetreten waren (vgl. Tabelle 6).
Taylor & Tversky (1996: 381)
betrachterrelational
Überblick
Gemischt
Route
6%
18%
71%
12%
36%
12%
82%
46%
17%
{links-rechts, vorne-hinten) landmarkenrelational
(neben χ ist y) umgebungsrelational
{nördlich, südlich, oben, unten)
östlich,
westlich,
dynamische Skizzen
betrachterrelational
(links-rechts, vorne-hinten) landmarkenrelational
(neben χ isty) umgebungsrelational
{nördlich, südlich, oben, unten)
östlich,
westlich,
statische Skizzen
online
offline
online
offline
25%
49%
33%
21%
28%
16%
40%
61%
47%
35%
27%
18%
Tabelle 6: Häufigkeiten relationaler Ausdrücke pro Äußerungsperspektive
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
89
Referenzobjekte Auch was die Wahl der Referenzobjekte betrifft, lassen die Beschreibungen der statischen Skizzen keine Perspektivenpräferenz erkennen. In den Online-Beschreibungen werden zu 100% Landmarken als Referenzobjekte verwendet, in den Offline-Beschreibungen immerhin zu 90.5 %. Taylor & Tversky (1996: 381) Überblick
gemischt
Route
3%
29%
57%
Eine Landmarke (.χ ist vor dem Haus)
47%
51%
26%
Eine Hauptrichtung (x ist im Süden)
50%
20%
17%
Der Betrachter (x ist vor Dir)
dynamische Skizzen online Der Betrachter (x ist vor Dir)
-
offline -
Eine Landmarke (x ist vor dem Haus)
88%
82%
Eine Hauptrichtung (x ist im Süden)
12%
18%
statische Skizzen online
offline
-
100%
-
-
90.5%
9.5%
Tabelle 7: Häufigkeit der Art des Referenzobjektes pro Äußerungsperspektive Die Beobachtungen zur Verwendung relationaler Ausdrücke und zur Wahl der Referenzobjekte stehen in einem Zusammenhang. Was diese Merkmale anbelangt, ähneln die Beschreibungen der statischen Skizzen Beschreibungen aus der Perspektive des Rundumblicks. Hier wie dort werden Teile des zu beschreibenden Arrangements zueinander in Beziehung gesetzt, ohne daß auf einen sich innerhalb der Umgebung befindlichen Betrachter Bezug genommen wird. Zudem werden die dargestellten Sachverhalte lediglich in den Offline-Beschreibungen und hier eher selten in einen größeren räumlichen Zusammenhang eingeordnet. Offenbar werden die statischen Skizzen stärker als räumliche Arrangements und weniger als Umgebungen konzeptualisiert.
90
Heike Tappe
Aktive und statische Verben Was die Verbverwendung angeht, unterscheiden sich die Beschreibungen der statischen Skizzen überhaupt nicht von denen der dynamischen Skizzen. In beiden Fällen treten annähernd gleiche quantitative Verteilungen auf.
Taylor & Tversky (1996: 381) Überblick
gemischt
Route
aktive Verben
36%
55%
64%
statische Verben
64%
45%
36%
dynamische Skizzen
statische Skizzen
online
offline
online
offline
aktive Verben
78%
88%
75%
88%
statische Verben
22%
12%
25%
12%
Tabelle 8: Häufigkeiten der Verwendung aktiver und statischer Verben pro Äußerungsperspektive
2.3.3 Zusammenfassung Die zweite Untersuchung, in der Beschreibungen statischer Skizzen erhoben wurden, ergab, daß unter Anwendung der sprachlichen Kriterien von Taylor und Tversky keine der beiden als relevant eingestuften Perspektiven gewählt wurde. Obwohl die Wegeskizzen sowohl einen ausgezeichneten Start- als auch einen ausgezeichneten Zielpunkt enthalten und auch sonst alle Kriterien erfüllen, die zu einer Routenbeschreibung fuhren sollten (keine konkurrierenden Routen, in etwa gleich große Skizzenobjekte), deutet lediglich der überwiegende Gebrauch aktiver Verben daraufhin, daß hier keine rein statische ,Anordnungs-Konzeptualisierung' zugrunde liegt. Im Hinblick auf die relationalen Ausdrücke und die Wahl der Referenzobjekte wirken die Beschreibungen der statischen Skizzen eher wie Beschreibungen räumlicher Arrangements. Dies zeigt, daß die Dynamik der Skizzenentstehungsprozesse in der ersten Untersuchung nicht der Grund dafür war, daß keine konsistente Perspektive gewählt wurde und insbesondere keine Routenbeschreibungen abgegeben wurden. Um einen besseren Aufschluß über die Beschreibungen der statischen Skizzen zu bekommen, wurden die in 2.2.4 erhobenen Kriterien ebenfalls angewendet.
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
91
2.3.4 Zusätzliche Merkmale und Ausblick Im folgenden werden die Beschreibungen der statischen Skizzen unter Verwendung der in 2.2.4 dargestellten und verwendeten Merkmale untersucht, die ebenfalls diagnostisch für eine Routenperspektive sein könnten. Direktionale Tatsächlich unterscheiden sich bei den statischen Skizzen die beiden Verbalisierungsbedingungen am deutlichsten durch die Anzahl der verwendeten direktionalen Ausdrücke: In den Online-Beschreibungen der statischen Skizzen kamen mit insgesamt 42 weniger Richtungsausdrücke vor als in jeder anderen Bedingung (im Vergleich zu 58 und 60 in den Beschreibungen dynamischer Skizzen). Demgegenüber enthalten die Offline-Beschreibungen der statischen Skizzen mit insgesamt 66 mehr direktionale Ausdrücke als alle anderen. Das bedeutet, die Online-Beschreibungen der statischen Skizzen enthalten vorwiegend Anordnungsinformationen, wohingegen die Skizzenobjekte in den Offline-Beschreibungen eher entlang der durch den dargestellten Weg vorgegebenen Route aneinandergereiht werden. (8) Beispieltext aus einer Online-Beschreibung einer statischen Skizze ja, ich sehe einen Strassenplan/ ähm an den Kreuzungen sind teilweise Bushaltestellen eingetragen/ das ist der ja, mir bekannte Plan vom Siemersplatz/ und ähm ja da fahren die Linie 102 und 281/ ja das Informatikum ist auch eingezeichnet/ mit der Haltestelle des 281ers/ und dann noch die Linie 102/ die vom Siemersplatz zum Campus fuhrt/
(9)
Beispieltext aus einer Offline-Beschreibung einer statischen Skizze das war eine Beschreibung/ äh eines Busfahrplans... / einer schematischen Übersicht/ wie man vom Informatikum zum Campus kommen kann/ oder auch umgekehrt und/ äh und zwar ging das los beim Informatikum/ die Buslinie des 281ers war eingezeichnet / die von da nach Süden geht/ dann wieder rüber nach Osten / Im Süden, das war so der Knick am Gazellenkamp/ am ... Zoo lang und dann weiter auf der.../ Hauptstraße zum Siemersplatz/ vorbei an ... der äh U-Bahn Hagenbecks Tierpark/
Imaginäre Wanderer An die im vorigen Absatz beschriebenen Beobachtungen schließt sich eine weitere an. Sowohl in den Online-Beschreibungen als auch in den Offline-Beschreibungen der statischen Skizzen gibt es keine direkte Anrede des Betrachters bzw. der Betrachter; die Personalpronomina du und wir kommen in den entsprechenden Verbalisierungen nicht vor. Unter beiden Bedingungen wird insgesamt in etwa gleich häufig man (9 bzw. 11) verwendet, aller-
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Heike
Tappe
dings in beiden Fällen weniger häufig als in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen (26 bzw. 16). Dies unterstützt den Eindruck, daß die Beschreibungen der statischen Skizzen eher Beschreibungen räumlicher Arrangements sind und somit die dargestellten Sachverhalte nicht in dem selben Maß als Umgebung konzeptualisiert werden wie während der dynamischen Darbietung. Zeitadverbien In den Beschreibungen statischer Skizzen kommen deutlich weniger Zeitadverbien vor als in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen. Dies gilt besonders für die Online-Beschreibungen, in denen lediglich 11 Zeitadverbien verwendet werden. In den Offline-Beschreibungen steigt die Zahl auf insgesamt 53, wobei in 40 Fällen dann gewählt wird. Dann wird jedoch in den statischen Arrangements vorwiegend dazu verwendet, Anordnungsinformationen zu enkodieren. (10) Beispieltext aus einer Offline-Beschreibung einer statischen Skizze und zwar beginnend beim Informatikum/ äh und das eingezeichnet war/ äh und dann war der Wördemanns Weg zu sehen/ an der, an dessen Kreuzung der 281er hält/
(11) Beispieltext aus einer Online-Beschreibung einer statischen Skizze sieht man'n Stück vom U-Bahnnetz/ das über die Straße rüber geht / dann ist der Campus eingezeichnet/
3 Allgemeine Diskussion und Ausblick
Zusammenfasssend fügen sich unsere Ergebnisse zu denen von Taylor und Tversky (1996), in dem Sinn, daß auch unsere Verbalisiererinnen und Verbalisierer wählen in der Regel keine konsistente Perspektive wählen; sie neigen vielmehr zu Perspektivenwechseln. Diese Feststellung gilt für alle erhobenen Verbalisierungen, obwohl die von uns als Stimulusmaterial verwendeten Skizzen Wegeskizzen mit ausgezeichneten Start- und Zielorten sind, in denen nur eine Route entlang einer Reihe ungefähr gleich großer Skizzenobjekte eingezeichnet ist. Wir konnten in einer ersten Untersuchung aber zusätzlich feststellen, daß die Beschreibungen der dynamischen Skizzen - trotzdem sie anhand der Kriterien von Taylor und Tversky nicht als Routenbeschreibungen zu charakterisieren sind - über längere Passagen dennoch den Eindruck von Routenbeschreibungen erzeugen. Diese Einschätzung wurde an weiteren sprachlichen Merkmalen festgemacht. Es handelt sich um die häufige Verwendung von Direktionalen, die wiederholte Erwähnung imaginärer Wanderer und den Einsatz einer Anzahl von Zeitadverbien. Auch in einer zweiten Untersuchung, in der die Wegeskizzen statisch dargeboten wurden, wurden keine konsistenten Routenbeschreibungen elizitiert. Hier fand sich ein deut-
Perspektivenwahl
in Beschreibungen
dynamischer
und statischer
Wegeskizzen
93
licher Effekt der Darbietungsbedingung. Während der Online-Beschreibungen wurden die dargestellten Sachverhalte eher als räumliche Konfigurationen konzeptualisiert, denn es finden sich viele Anordnungsinformationen, die unabhängig von der Lage der dargestellten Skizzenobjekte entlang der Route sind. Als Referenzobjekte werden ausnahmslos andere Skizzenelemente gewählt und es kommen fast nur landmarkenrelationale Ausdrücke vor. Darüber hinaus werden wenig Direktionale und kaum Verweise auf imaginäre Wanderer verwendet. Die Offline-Beschreibungen der statischen Skizzen sind demgegenüber deutlich routenhafter. Obwohl auch hier fast ausschließlich zwischen Skizzenelementen bestehende Lageinformationen gegeben werden (Skizzenelemente als Referenzobjekte, landmarkenrelationale Ausdrücke), sind die Objekte dennoch entlang des dargestellten Weges angeordnet. Es erscheint eine große Anzahl direktionaler Ausdrücke, jedoch finden imaginäre Wanderer ebenso selten Erwähnung wie in den Online-Beschreibungen der statischen Skizzen. Es ist möglich, daß in der geringere Verbalisierungsdruck in den Offline-Beschreibungen dazu geführt hat, daß in den dargestellten Sachverhalte eher die Wegestrecke ausgemacht und zumindest im Ansatz als Gliederungsmittel genutzt wurde. Unter Einbeziehung aller genannter Kriterien wirken die Beschreibungen der dynamischen Skizzen also routenhafter als die der statischen Skizzen. Zwischen den beiden Verbalisierungsbedingungen - online versus offline - ist für die dynamischen Skizzen auf der Basis der bisherigen Ergebnisse keine fundierte Unterscheidung zu fällen, da dies eine noch ausstehende Gewichtung der Merkmale erfordert. Somit bleibt der Einfluß des Verbalisierungsdrucks in den Beschreibungen der dynamischen Skizzen unklar. Überhaupt sind noch eine Reihe offener Fragen zu beantworten. Zum einem wird es wichtig sein, Verbalisierungen einzelner Sprecher zu untersuchen, insbesondere im Hinblick darauf, ob und welche Re-Konzeptualisierungen zwischen den beiden Darbietungsbedingungen (online versus offline) stattgefunden haben; und das sowohl für die statischen als auch für die dynamischen Skizzen. Zweitens ist genauer zu spezifizieren, ob die angenommenen weiteren sprachlichen Mittel wirklich für die Enkodierung einer Perspektive herangezogen werden können, d.h. ob sie in größeren Korpora konsistent in der hier angenommenen Funktion verwendet werden. Daran anschließend ist Tatsache, daß sich die Verbalisierungen von Taylor und Tversky und die unseren in der dargestellten Form voneinander unterscheiden, näher zu beleuchten. Zum einen könnten sprachspezifische Unterschiede verantwortlich sein. Es ist plausibel, anzunehmen, daß Muttersprachler des Englischen zu anderen sprachlichen Ausdrucksmitteln greifen als deutsche Sprecherinnen und Sprecher (vgl. z.B. Carroll 1997 und in diesem Band zu sprachspezifischen Unterschieden der Enkodierung räumlicher Informationen). Des weiteren könnte der Verbalisierungsmodus ein wichtiger Einflußfaktor sein. Die Spachdaten lagen in der Studie von Taylor und Tversky in schriftlicher Form vor, während von unseren Verbalisiererinnen und Verbalisierer mündliche Beschreibungen gegeben wurden. Sollte sich dieser Faktor in zukünftigen Untersuchungen als besonders einflußreich erwiesen, so könnte daraus gefolgert werden, daß sprachliche Enkodierung räumlicher Informationen eine anspruchsvollere kognitive Aufgabe darstellt als vielfach vermutet. In diesem Sinn scheinen unsere Ergebnisse für die Hypothese Tverskys zu sprechen, daß der Wechsel der räumlichen Perspektive Sprecherinnen und Sprecher eher ent- als belastet.
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Heike Tappe
Literatur
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Mary Carroll
Representing path in language production in English and German: Alternative perspectives on figure and ground
1
Introduction
Languages provide speakers with the means to represent motion events and express basic aspects such as the place at which the motion event started, the path traced in reaching a specific goal, or the manner in which the entity moved. A central feature of the present analysis is the perspective adopted by speakers when representing such events for expression through language. At the focus of interest are the grammatical means which different languages provide and their role in perspective taking in language production. There is a general consensus in studies in language production that speaking entails a level of conceptual preparation in which the information the speaker wants to convey is organised for expression. Following Levelt (1989, 1996), organisation at this level involves processes which relate to formulation of the speaker's communicative intention, choice of content, specification of principles which determine how the information to be expressed can be linearised, etc. Planning processes of this kind lead to a message, which "has to be tuned to the target language" (Levelt 1996: 77). The present study addresses this issue, and examines the kind of tuning which takes place in order to make messages suitable for formulation in a specific language. It examines the grammatical means which languages provide to encode a perspective on motion events and aims to show why guidelines for their selection must be in place at the level of the conceptualiser. Perspective taking is a broad term and in spatial representations is often equated with a general frame of reference adopted in describing the relative location of entities. The core assumption is that objects of experience are never perceived as a whole but are present in part only with respect to a viewing point. "To be present in aspects with respect to a given viewpoint is the basic meaning of perspective" (Graumann 1989: 96). A particular perspective or schema directs attention to certain aspects of the state of affairs at issue, leaving others to fall into place implicitly (Talmy 1983). The specification of viewpoint constitutes a core element in spatial frames of reference and allows the participants in a communicative situation to keep track of the relative locations specified (Herrmann 1990, Carroll 1993, Levinson 1996). Compared to our knowledge of the frames of reference used in the description of static spatial relations (cf. Bloom et. al. 1996) there have been relatively few cross-linguistic studies on frames for motion events (see also Tappe this volume). There are no doubt many reasons for this, but one surely lies in the range of linguistic means involved in expressing a change in place. In languages such as English and German the analysis will have to cover verbs, verb particles, adverbs, prepositions, and case. Unlike the study of locative expressions such as in, on, above, analyses have to deal to a greater extent with compositionality, that is, with the way linguistic means work in coalition to encode a specific meaning (Wunderlich 1991, Ehrich 1995, Kaufmann 1989).
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Mary Carroll
English and German share some typological features in this domain in that they both belong to what are termed satellite-framed languages (Talmy 1985). In satellite-framed languages information on manner of motion is typically mapped into verbs (walk, run, creep) while verb particles (satellites) such as out, away, convey information on the path of motion. In verb-framed languages, information on direction is mapped into the verb (ascend, descend, enter, exit) and manner of motion has to be encoded by other means. This is typical of the mapping pattern found in Romance languages. This is one form of direction of attention which is guided by the grammatical structure of language. Speakers of Germanic languages have to say something about manner of motion in motion events involving a change in place since this information is mapped into a core element, the verb. Speakers of Romance languages need not, since manner is encoded in forms which are optional in similar contexts (cf. Slobin 1991, 1998). Even though English and German both belong to the Germanic group, there are differences between the two languages, however, in the means provided for the expression of motion events. Use of verb particles is restricted in English, compared to German, because of their grammatical structure (Olsen 1995). One of the main points of difference for the present study, however, is the fact that German has a case system and uses the accusative and dative case to encode meaning on motion and location, while English has no means of this kind. A description such as there's someone running over there, for example, is ambiguous in English. The locative description over there may code the region of space which counts as a goal or target of the motion event, or the place in the speaker's field of vision at which someone was seen running. It is a well known feature of German, compared to English and Romance languages, that this kind of ambiguity is not acceptable. Both English and German have the means to encode the distinction between motion to a place as opposed to motion within a place, but in German this opposition is explicitly coded via oppositions in the case system, so that speakers have to mark whether motion within a place or motion to a place is involved. This is not the case in English, as the example shows. The question is what does this mean for perspective taking in frames of reference when linguistic means oblige speakers to explicitly mark such distinctions, as opposed to when they do not? A further factor in perspective taking when expressing a change in place is the means languages provide to structure events. In English grammatical means (-ing form) have to be taken into account when expressing event structure (runs versus is running) since such distinctions are encoded grammatically on the verb. The progressive form allows a high resolution of event structure with a separaration into distinct phases (onset, nucleus, coda) and this in turn will have consequences for the way space is structured when representing change in place. The level of resolution or 'granularity' (Habel 1991) selected in representing a state of affairs has to be taken into account in the study of perspective on space in motion events. In short, the languages studied have different patterns of grammaticalisation and the analysis covers the range of linguistic means which represent a change in place and their relevance in setting up a frame of reference. Unlike spatial concepts relating to locations such as region or place, there is no broad consensus, however, on how the concepts of path or direction are represented in language (cf. Wunderlich & Herweg 1986, Bierwisch 1988, Kaufmann 1989, Klein 1991). It is necessary to take a closer look at the issues since they are relevant to the question of per-
Representing path in language production in English and German
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spective taking and the contrast between motion within a place as opposed to motion to a place.
2 P r e l i m i n a r y Issues
The concepts encoded in language to structure space for motion and location focus on two different aspects of the same set of phenomena. They can centre on places and the way in which they extend (inner spaces, surface spaces etc.) - this is necessary when thinking about locations - or they can focus on the boundaries which spaces provide when encountered or traversed. This latter viewpoint is useful when representing change in place, since boundaries play a central role when specifying whether places were reached or not. In spatial terms a motion event involves the set of places which an entity traverses during a specific time span. By linking place to the ordered domain of time a set of places becomes a sequence, defined with respect to the time intervals over which the entity moves. Motion from one place to another is therefore treated as a transition over a set of one or more interim states, starting with a source and ending with a final state (Bennet 1975, Miller & Johnson Laird 1976, Jackendoff 1983). One of the points at issue is whether the sequences of places which are traversed in a motion event are represented in language simply as a change in place (source: χ is at y at 11 ; goal: χ is at ζ at t„), or whether there are also grounds for viewing the change in place as a continuum, and with this a more specific representation in language as a path. In the former sense motion is viewed as a case of displacement only. The following quote from Klein (1991) illustrates this view: "Change of place expressions are just a special case of change in state expressions [...]. So-called directional expressions such as into, onto or German in + accusative, in + dative never denote a direction [...], they simply mark a place to be a target place". A similar position is expressed in Verkuyl (1978, 1992). The notion of path as forming a continuum in space is more likely to be realised when the place through which the entity in motion moves has an inherent path-like structure (they walked along the river), or when entities have powerful self-propelling properties which allow them to maintain a set course or orientation with respect to the places at the beginning and end of the motion event (they sped into the desert and disappeared over the horizon). Such considerations have dealt almost exclusively with the meaning encoded in prepositional phrases. The question of the notion of path and its representation in language has to be reconsidered however when other linguistic means, in particular verbs and their particles, are incorporated in the analysis.
2.2 Meanings encoded in German by case and verb particles Boundaries play a significant role in language in the representation of paths at their destinations, as noted earlier. Places at the destination of a path can be represented in terms of structures such as an inner space ('run in'), surface space ('jump on') or adjacent space ('get
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close to'), or less elaborately as a point or place (they ran to the bus stop). Use of the two cases in German (accusative and dative), which mark places traversed in a motion event, differs with respect to these structures. The accusative occurs with places which have been divided into sub-spaces (inner space, surface), while the dative can also be used with places which are represented simply as a place or point (sie laufen vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule; they walk from the Brandenburger Tor as far as the Siegessäule).This indicates their role in representing different levels of granularity in spatial representations.
2.2.1 Accusative Roughly speaking, the accusative marks a change in place (sie laufen in das Stadion 'they walk in the stadium' (acc)). In this sense the accusative is viewed as coding a direction (Bierwisch 1988) or target state (Klein 1991), or as marking a change to a state of being located (Kaufmann 1989), having not previously been in that state/place. But in descriptions with the accusative the entities in motion may be only on their way there and need not necessarily reach the destination in question: sie sind in die Stadt gelaufen aber dort nicht angekommen they walked in town (acc) but did not get there The question is are there explicit means which express that the target or destination was reached? An analysis of the meanings contributed by verb particles shows that when used in conjunction with the accusative case, the path of motion is seen to reach the boundary of the place at goal: sie laufen in das Stadion 'they walk in the stadium (acc)' sie laufen in das Stadion rein 'they walk in the stadium (acc) hither-in'
(heading in that direction) (destination reached)
Particles are productive for the set of topological spaces which may constitute part of a place at goal. to inner space: to surface space: to adjacent space:
sie laufen in das Stadion hinein 'they walk in the stadium (acc) thither-in' sie springen auf die Bühne herauf 'they jump on the stage (acc) hither-on' sie fahren an die Ampel heran 'they drive at the traffic lights (acc) hither-at'
So the system for encoding motion to a destination in German is built around prepositions, case markings and verb satellites (see also Harnisch this volume). In this sense one could argue that prepositions marked by the accusative case will denote the intended target state, when used without verb particles. The accusative is target oriented, and information on the course of the path with respect to the place at goal is delivered by particles.
Representing
path in language
production
in English and
German
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2.2.2 Dative case German also has prepositions which relate explicitly to the source and destination of a path. These are eminently dynamic forms von ('from') aus ('out o f ) and zu ('to'), but they take the dative case: sie laufen zum Stadion 'they walk to the stadium* Use of the dative is surprising at a first glance since this is the 'locative' case in German. It marks location at a place and not direction. A motion event is expressed by the dative case when it occurs within the boundaries of the place in question (the town). sie laufen in der Stadt (herum) 'they walk in the town (dat)' (they are walking around the town) sie laufen entlang der Straße 'they walk along the street' In this motion event it can be said that there is no change in place, since the event occurs within the boundaries of the place specified. So the dative, as the 'locative' case, clearly circumscribes the relation of the path of motion with respect to the boundaries of places described (see also Blumenthal 1987). To come back to the prepositions von and zu. If we apply the 'locative' case analysis to these terms, sie laufen von der Wohnung zum Stadion ('they walk from the apartment to the stadium'), it seems that the dative specifies the places at the beginning and end of the motion event and locates the position of the entity in motion, at some point in the event, at the places in question. Unlike the accusative, whether these places are reached or not is not at issue. The exclusive use of the dative in German with respect to the source of an event is thus motivated by the fact that this is the point in the motion event at which the entity in motion was definitely located. In keeping with the locative perspective, the dative is used to locate entities explicitly at the intermediate section between source and goal: sie sind auf dem Weg 'they are on the way (dat)' The use of the accusative in a comparable context reads as follows: sie machen sich auf den Weg 'they go on their way (acc)' As opposed to a description with the dative, the accusative conveys the quality of setting off rather than being underway.
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2.2.3 Particles as path coders As with the accusative, particles with the dative encode motion across a boundary. But the dative represents continuation of the event within spaces at the boundaries of the places involved: Accusative: motion across boundary sie laufen in das Stadion hinein 'they walk in the stadium (acc) thither-in' Dative: motion within space at boundary sie rannten zur Tür herein/hinein 'they ran to the door (dat) hither-in/thither-in' (they ran in the door) The situation described in English as they ran in the door (door open, no obstruction) is encoded with the dative in German, plus a verb particle. The dative locates a part of the motion event at the place at goal, the door, but the particle herein expresses its continuation across the boundary and encodes its extension within an inner space with -ein (to-in). Particles imply a clear transition across a boundary in going from one place to another. They therefore meet the minimal conditions of coding a path, taking this concept in its strict sense.
3 Accusative and dative: alternative patterns in coding perspective?
The different examples above indicate that the dative and accusative can be interpreted as coding different perspectives on the places traversed in a motion event.
3.1 Two options for coding motion to a goal (Zu) + dative and (preposition) + accusative present two options when encoding motion to a goal. Constraints on their use pinpoint some of the essential differences. Zu + dative is used to mark points on a trajectory. A typical context of use is a route description sie laufen zum Bahnhof und dann weiter zur Stadtmitte 'they walk to the station and then further on to the centre' The accusative is not appropriate in such contexts where a point is at issue: Isie laufen in die Siegessäule und dann weiter zum ... .The accusative is used with places at a destination which have been structured into sub-spaces: inner space, boundary space, adjacent space. This means that when the goal is reached, it is expected to involve the boundary of one of these subspaces, so that termination at a space prior to the boundary is treated as inappropriate. Sie laufen zum Haus und bleiben kurz davor stehen is acceptable, but use of the accusative in the same context is treated as less so, sie laufen ins Haus und bleiben kurz davor stehen?. The examples underline the fact that with the accusative the description is
Representing path in language production in English and German
103
target state oriented, but they also show that, compared to the dative, it does not imply the concept of the trajectory followed to the same degree. The contrast in the following case is similar: If the path continues beyond the boundary at the space at goal, this is explicitly coded by zu + dative + particle + object features (entity with an opening such as a door: sie rannten zur Tür hinein). Use of the accusative in a similar context sie rannten in die Tür hinein does not code continuation of the path across the boundary, only that the boundary was reached, and, given the type of object at goal, that the motion event finished at the boundary (with impact). Zu + dative is thus more closely associated with a level of granularity which focuses trajectories.
3.2 Two options for encoding motion along the intermediate section of a path Both dative and accusative code motion within a place sie laufen in der Stadt umher 'they walk in the town (dat) around'
(event bounded by inner space)
sie laufen ( ziellos) durch die Stadt 'they walk through the park (acc)' Similarly there is the contrast between sie laufen entlang der Straße (they walk along the street (dat)) and sie laufen die Straße (acc) entlang (they walk the street (acc) along). With the dative the perspective on the path of motion is inclusive with respect to the place mentioned. The motion event is fully located within the place or sub-space mentioned. With the accusative and the preposition durch (through) is not excluded that the boundary of the place given by the park or street will be reached and traversed at some point. This is typical of durch as a 'Wegpräposition' (cf. Kaufmann 1989) which relates to the intermediate section of a path. Summary In the present discussion of motion events and their representation in language, the places involved in a motion event have been described under two aspects. - whether they actually locate the entity in motion or not - the spatial structure assigned to the places mentioned (point on trajectory; subspace) - the role of the concept of boundary The brief analysis presented above shows that in many cases there are clear distinctions between locative descriptions marked by the accusative as opposed to the dative. The basic opposition discussed above concerns motion to a place (accusative) versus motion within a place, or an an area of space involving a set of places or points (dative). The argument advanced here is that the distinction between the role of the dative and accusative case involves a shift in perspective on the same set of phenomena. Following Talmy (1983) they involve different patterns of schematization which are typical of the way space is structured through language. Schematization is viewed as a 'process that involves the systematic selection of certain aspects of a referent scene to represent the whole' (1983: 225). The representation of spatial relations between entities through language is typically approximative or idealised in some way.
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Carroll
The patterns of representation or schematization may be described in terms of the perspectives they represent. The dative encodes what may be described as an inclusive perspective on the places traversed in the motion event in that the places specified describe the location of the mover at some point in time. The locating space may be a point on a trajectory, or a subspace. It coincides with a bird's eye view of the places traversed in that attention is focused on the set of places over which the trajectory extends, or the place which bounds the path of motion. With the accusative case places are entities which the figure in motion heads for, encounters or crosses. Places marked by this case do not serve the function of delimiting the path or trajectory, or stating the actual location of the entity in motion. Compared to the dative, this involves a target perspective on the places traversed in a motion event. Unlike the bird's eye view, the viewing point on the places traversed seems to coincide with a point on the path of motion. Before testing the relevance of these alternatives in frames of reference for motion events, however, and possible factors which may drive the use of one or the other option, we will first give a brief description of the means provided in English.
4 Spatial meanings encoded by prepositions in English
The opposition between motion to a place and motion within a place, or within a specified trajectory, is expressed by the contrast between simple and compound prepositions, since English does not have case in this domain. As mentioned earlier, verb particles play a less significant role in describing motion across the boundary of a place at goal, due to their lexical and syntactic form. The two forms which encode motion to a goal in German, in plus accusative and zu plus dative, have one counterpart in English, the preposition to. As with von and zu in German, it co-occurs with the preposition from to cover the span from source to goal. they are marching from the square to the stadium Where German uses a preposition denoting an inner space in, along with accusative case and a particle (in die Stadt + herein) to code motion across the boundary of an inner space, the form in English is a compound preposition into: they are walking into the stadium In English the distinctive means are thus simple versus compound prepositions. A contrast between simple and compound prepositions encodes the opposition motion to a place (target) versus motion within a place (inclusive) for inner and surface spaces (in, on). target reached/compound form: they jumped onto the platform motion within place/simple form: they jumped on the platform In the latter example, they jumped on the platform, the location of the entities in motion will be interpreted as being on the platform. It should be mentioned, however, that the description can also be used to encode the external or target perspective, that is, motion with
Representing path in language production in English and German
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a change in place, provided the context carries this reading (they kept on running and jumped on the platform just in time). The morphosyntactic structure of place markers in English usage indicates a tendency toward unmarked forms (see in detail O'Dowd 1998). As the examples above show, compound prepositions locate the motion event at the boundary of the place at goal. But whether the path continues or not depends on intrinsic features of the objects delimiting the place at goal (see also Wunderlich 1991: 607). In some cases, as with doors and gates, for example, the compound form implies impact and there is no possibility of the path continuing. impact/path ends:
they ran into the gate, into the door
However, if the path continues beyond the boundary, the event is located within the place given by the door or gate and the form required is then the simple preposition (motion within place). path located within place at gate: they ran in the gate. a similar meaning is encoded in: they ran in the door This underlines the basically locative function of descriptions with a simple preposition. They locate a section of the motion event within the boundaries of the place delimited. So given the contrast between simple and compound prepositions, what role do particles play in coding motion to a goal in English?
4.1 Verb particles in English As mentioned above, the use of verb particles in English is restricted, compared to German. Traugott (1972) and Olsen (1995) show how the restricted function of verb particles emerged in the historical development of word order in English from (SOV) to (SVO). Given the head first principle (SVO), the basic position of the particle in English means it follows the head: verb + particle. English (SVO): they want to bring in the table into the house German (SOV): sie wollen den Tisch ins Haus hereinbringen 'they want the table in/to house hither-in-bring' With the shift in basic word order, word formation principles changed in English and particles could no longer form part of a productive pattern involving verb prefixes, which relied on the head last principle (particle + verb), as in einbringen, inbring; ausbringen, outbring. With their shift in status from prefix to separate particle, particles came into competition with prepositions, since they can both occur at similar positions in the clause. The following examples are from Olsen (1995: 284). he pulled off (particle) the tablecloth - off (prep.) the table he pulled the tablecloth off - off the table he pulled the tablecloth off the table As in the latter example, the function of the particle can be fulfilled by the prepositional phrase in many contexts in English, thus diminishing its relevance. An analysis of the forms which apply to the source of a motion event (away, out) shows, however, that they have retained their role as particles, since they co-occur with full
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prepositional phrases: they ran away from the dog; they ran out of the house. In keeping with the pattern described above, the simple or prepositional variant of out locates the motion event within a space as in they ran out the door. It is not possible to say *they ran out the house since the place marked involves a transition across the boundary of a place. If the object has a clearly defined boundary which has to be crossed (and does not involve an opening such as with a door), the description required is they ran out of the house. (Similarly one cannot say they ran across the lawn and* in the house, the form has to be into the house.) These constraints at form level underline the role of the concept of places and their 'boundary' in the representation of space in language in the context of motion events.
4.2 Motion across boundary at goal What does this mean for the role of particles in English in expressing motion across a boundary at goal? Particles used for the set of topological spaces at goal are homonymous with the relevant set of prepositions. In order to explicitly encode motion across a boundary, mention of the place at goal must be omitted. Compare once again: Particle: Preposition:
they reached the platform and jumped on they jumped on the platform
Particle: Preposition:
they saw the container and jumped in they jumped in the container
The description in which mention of the goal is omitted explicitly encodes a transition across the boundary, while the prepositional phrase codes motion within the place in question. Other expressions which locate the motion event as included in the place mentioned (jump around ) cannot co-occur with the particle (they reached the container and *jumped around in)· Summary The homonymy of particles and prepositions at form level, the proximity of the particle and preposition with respect to sentence position, and the absence of case, lead to a conflation of the distinction motion to a place versus motion within a place in many contexts in English. Both English and German provide means to encode the opposition between motion to a place and motion within a place, but, given the case system as earner of this distinction, marking this opposition is obligatory in German only. In its marking of the opposition motion to a place as opposed to motion within it, English exhibits features which are typical of Romance languages, as mentioned earlier. These constitute language specific differences which have to be taken into account in language production when representing motion events. The question is at what level are decisions made in the production process which relate to the options described? In the present study this was examined for sets of connected events within a narrative framework. This setting allowed us to test the extent to which the alternative patterns form part of a global perspective setting processes, or not, given the task of tracking the location of protagonists and objects in a narrative context.
Representing
path in language production
in English and
German
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5 Encoding destinations in motion events in narratives: Frames of reference
As discussed in the introduction, the expression of a change in place covering a set of connected events entails the selection of a frame of reference which can show how the places traversed are located in space. Although the participants in a communicative event should be able to keep track of the locations mentioned, where this is relevant, there are still few studies which show how speakers actually proceed with frames of reference for sets of connected events (cf. Tversky 1996; Tappe, this volume). The present cross-linguistic study does not address issues concerning consistency in frames of reference established in context, but compares how speakers structure space with respect to the options motion to a place vs. motion within a place.
5.1 Data Base The narratives studied are re-tellings of a silent animation film (Quest by Thomas Stellmacher1) which involves the quest of a clay figure for water. The subjects were 12 in each language. They were told that they would see a film and would be asked to give a detailed account of what happened to the protagonist. The film consists of four episodes which the subjects first viewed without interruption from beginning to end. They then saw the film once again, giving an account of what happened episode by episode. It was emphasised that they should tell the story of the main protagonist, and not give a description of how it was made.
5.2 Perspectives on motion events Locations marked by the accusative case co-occur in the data analysed with predicates which allow the integration of different stages of the path followed. The predicates include verbs such as gehen (go) fallen in German, or fall in English. They combine with forms such out of χ or into y, which mark transitions across a boundary. 10/49 das Lehmmännchen fällt mitten in eine Steinwtiste 'the clay figure falls in the middle into a desert of rocks (acc)' äh Steine fallen vom Himmel (source of path) 'stones fall from the sky' ein Stein hat ihn auch getroffen 'a stone has him (acc) also hit'
With the alternative coding pattern for the same situation, locatives constitute a region of space in which the entity in motion moves or ends up. Transitions from one place to the next remain implicit. The predicates selected (landen; land) do not allow the speaker to express an explicit link between possible source or target places (*they land out of the sky into a new world). Information is provided on the location of entities within the place only,
1
Distribution of the video cassette: by KFW Katholisches Filmwerk GmbH, Frankfurt.
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Mary Carroll
and not on where they come from or are heading toward. In this case attention is directed to the place in which a motion event occurs. das Lehmmännchen landet in einer Landschaft 'the clay figure lands in a landscape' liegt flach auf dem Boden (information on place) 'lies flat on the ground' wird fast von einem Stein erschlagen (no mention of source) 'is almost by a stone (hit)' eine Spitze hat ihn an der Hand getroffen 'a splinter has him on the hand hit'
5.3 Perspective selected in narratives in English and German 5.3.1 Motion to a place vs. motion within a place In the narratives of the 12 speakers of German, 7/12 encode changes in place with explicit transitions from one place to the next, mainly using the accusative case (see below). 1 out of the 12 speakers represents the same set of events using a perspective in which 7 5 % of events are coded as occurring within places (dative). The 4 remaining speakers use both accusative and dative to an equal extent. The events compared in the cross-linguistic analysis cover motion to a goal since the option of representing the event as motion to a place vs. motion within a place presents a viable alternative in this case (unlike motion away from source which requires use of the dative in German).
5.3.2 German The data of all 12 speakers gives a total of 111 motion events which are goal related. These show the following distribution with respect to the option motion within versus motion to a place: total number of events
%
Motion to a place: accusative case
76/111
68.46%
Motion to a place: dative with preposition zu
10/111
9.0%
Motion to a place: dative
25/111
22.52%
Representing path in language production in English and German
109
(i) Examples: motion to a place (accusative) er fällt in eine Steinwüste he falls into a stone desert versucht an das Wasser zu kommen tries at this water to come (to reach the water) er geht wieder auf die Maschinen zu he goes toward the machines er faßt sich dann an irgendwelche Ketten an und schwingt sich dann so wie eine Affe durch den Dschungel he grips onto some chain and swings himself then like a monkey through the jungle (ii) Examples: motion to a place dative er versucht irgendwie zum Wasser zu gelangen he tries somehow to the water to reach kommt zu dieser Pßtze comes to this puddle er hangelt sich stückweise weiter vor zu seinem Ziel he moves hand over hand bit by bit forward to his goal (iii) Examples: motion within a place landet in einer Steinwüste lands in a stone desert er beginnt in dieser Landschaft nach Wasser zu suchen he begins in this landscape for water to search er hangelt sich an einer Kette entlang he moves hand over hand along on a chain The figures show that changes in place with an expected goal orientation are coded as motion to a goal in 77.46% of the cases, using the accusative case. In the examples listed under (iii) the same state of affairs which are represented as motion to a place in (i) and (ii) are viewed as motion within a place. This option is markedly less frequent, however (22.5%).
5.3.3 English The data for all speakers give 97 motion events which relate to motion to a goal. The distribution shows a similar preference (motion to a place), but the use of the option motion within a place is higher, compared to the German data:
Motion to goal Motion within place
%
total number of events 58/97
59.79%
39/97
40.20%
110
Mary
Carroll
(i) Examples: motion to goal he races across to where the machines are working he falls into a stone world
(ii) Examples: motion within place at goal he's walking around in this world looking for water you see him landing in a new world
A further difference between the English and German narratives is that English speakers mainly follow a mixed pattern (10/12 speakers). Only two are consistent in marking a change in place throughout the narrative as motion to a place (into, to, over to). The other speakers use both this option, as well as the alternative pattern of coding a change in place as motion within the separate places of a path which lead to a goal/ at the goal. The mixed pattern in the English data seemed in a preliminary analysis to depend on the inherent contours of the events at issue. If a change in place is abrupt, and can thus be viewed as completed within a specific time interval, the event is more likely to be encoded as a transition from one place to the next (e.g. runs and jumps into a hole). If the change in place extends over time, on the other hand, the event is segmented into different phases and the transition from one place to the next remains implicit (e.g. slips, disappears down a hole, lands in x). In this case each phase of the event is represented as motion within a place. Motion at the goal section of the path, for example, is thus conceptualised as motion within the place in question (lands in a new world). The following test was carried out in order to determine the validity of this observation.
5.3.4 Inherent contours of events: experimental manipulation of the flow of events In the film on which the retellings are based there are a number of situations in which transitions from one place to another are separated into individual phases. Situation (a) In three scenes the protagonist is seen slipping into a hole and slowly disappearing down a dark abyss before landing in a new world. Situation (b) While wandering through one of these worlds the protagonist starts running and jumps into a hole. The transition in this case is abrupt (he races across to where the machines are working, and jumps into a hole just before it is covered up). The flow of events was manipulated so that the onset and intermediate stage of situation (a) was clearly separated in the time line from the final stage of landing in the new world. The film was stopped at the end of each episode while the protagonist was on his way down the hole. The speaker was then asked to tell what happened from the beginning of the episode. After the retelling the speakers then viewed the next episode which started at the point where the protagonist is seen landing in the new world and ended where the protagonist makes an exit, but again, was still on his way down the hole. The speakers had to recount what happened from the beginning of that episode. This change from one world to another occurs three times in the narrative. The data base consisted of a set of 45 events for each language group (15 speakers per group, 3 events). The crucial question was whether speakers would select a perspective with a high level of resolution of event structure and begin each retelling with an inclusive perspective on the
Representing path in language production in English and German
111
phase that actually happened at the beginning of each episode (the figure landing in the new world), or would they link the places involved, thereby selecting predicates which code an explicit transition across places and their boundaries, using prepositions such as into in English, or the accusative case in German?
5.3.5
Results
Situation (a):
The preferred option in the English data is to start each episode with the final segment of the event. The predicate used is land - which is specific to this phase, and the place at the end of the motion event. 2 Transitions f r o m one place to the next remain implicit.
Example the sand caves in and he falls down and he's falling in what seems like through the earth and he just disappears Next Part of Re-Telling you see him land on a new plane (motion within place) Example and he sinks and falls through Next Part of Re-Telling okay the man arrives in a paper world The other alternative is to use a predicate which explicitly links the previous stage to the one at the beginning of the episode (falls). Example he slides down with it and eventually gets buried by the sand Next Part of Re-Telling okay now you see that the man has fallen onto another really bleak landscape English speakers select the option of coding separate phases of an event according to inherent contours of the events in 82.2% of the cases. The following table lists the extent to which the two options occur in both English and German.
2
If a link is provided to the previous stage with this level of resolution it is typically coded by a switch in tense (okay we left off as he was falling (...): well he fell through and now you see him land on a new plane):
112
Mary Carroll Separate phases / places
Places linked
N-size: Events
English
82.2%
17.7%
45
German
13.3%
86.7%
45
Table 1 : Situation (a) event manipulated to extend over time The preferred option differs with abrupt transitions as the next table shows:
English German
Separate phases / places 25.0% 16.6%
Places linked
N-size: Events
75.0% 83.3%
12 12
Table 2: Situation (b) abrupt transition from one place to next In summary, both languages have the means to code the different stages of the given situation but there is a preferred option in each case, depending on inherent features of the events. The attention accorded to the inherent structure of events may be attributed to the fact that there are grammaticised means (-ing form on verbs marking aspect) which serve to code different phases of an event with a high degree of resolution. Event structure is a crucial element in information organisation in narratives, since a temporal frame of reference is required to link events as they unfold. Predicates which draw attention to inherent temporal features of the events carry information as to how they relate to each other in sequence (now) he is falling, (now) he is landing, for example), whereby it is clear via inherent meaning that the event of falling has ended by virtue of the fact of landing somewhere. Grammaticised means in the language may increase the likelihood of speakers selecting this option when setting up a temporal frame of reference (cf. Berman & Slobin 1994). Another option is to establish a temporal frame in which events are linked irrespective of their inherent features. Sequences of events, and concurrent changes in place, can be represented as a series of intervals and places (first x, then y, then z). This pattern requires the selection of predicates (two-place) which link the places traversed (falls out of χ into y). As pointed out in Dowty (1986: 39) the temporal/aspectual properties of sentences arc not determined solely by their verbs "rather a large variety of syntactic constituents of the sentence play a role in this determination". For example, a prepositional phrase or NP expressing extent can convert an activity into an accomplishment: John walked (activity); John walked to the station (accomplishment). Spatial and temporal information are thus crucially linked in frames of reference for motion events in narratives. By specifying that an event has been completed, speakers set a reference point which serves as a defined boundary for the next time interval (cf. v. Stutterheim 1997, Klein 1994). The preference in selecting a goal-based perspective on the motion
Representing path in language production in English and German
113
events depicted in a narrative may thus be linked in German to the linguistic means available in the system to express temporal relations. In the next section we look at further evidence for the role of grammaticisation in language production, comparing the fact that the opposition between motion to a place versus motion within a place is grammaticalised in German via case, but not in English. As will be shown below the observations supply initial evidence for the relevance of the categories Figure and Ground in frames of reference for motion events.
6 Case and the role of Figure and Ground in frames of reference for motion events
The fundamental elements which constitute a motion event are a mobile entity (theme), and the space through which it moves. In motion events with a single protagonist the entity which has to be located (theme) remains constant throughout the domain of reference. Since the theme stands out continually from the place or Ground through which it moves, the categories Figure and Ground are present in constant terms. 3
6.1
German
In narratives in which a change in place is mainly represented as motion to a place (mainly accusative case), objects encountered on the path of motion are more likely to be located in German with respect to the position of the Figure moving through space. The other option of stating its location in terms of the Ground is less frequent in these narratives. Location with respect to position of Figure: die Figur sieht unter sich eine Wasserpfütze 'the figure sees below himself a pool of water' Location with respect to Ground: er sieht im Hintergrund viel Papier 'he sees in the background a lot of paper' The preferences in the German data are shown in the following table: Location in terms of Figure
63.1%
Location in terms of Ground
36.8%
Table 3: Location of entities encountered on path with Figure-based perspective
3
Figure and Ground do not always correspond to the thematic roles theme and relatum. In a description such as they are running straight ahead, the entity in motion, the Figure in the frame of reference, is both theme and relatum. The path of the theme is located via coordinates derived from its orientation while moving.
114
Mary Carroll
Significantly, however, if a location with respect to Ground is provided it is subordinated Subordination und sieht auch wieder
Förderbänder
'and sees once again conveyer belts' so ne quasi riesige
Maschine
'a kind of sort of huge maschine' die da unterirdisch noch arbeitet
'which there below ground still works' This was observed in 22 out of the 27 cases (81.5%) in which a location with respect to the Ground (Ground-based location) was specified in the narratives. Since only one speaker selected the other option of representing motion events as motion within the places involved, (and there is no change in this preference with 10 other speakers subsequently recorded) there is no evidence in the German data for patterns of subordination given this perspective.
6.2 English Although the selection of a perspective relates to individual events in the English data, depending on inherent features of the events, the preferred reference point in locating entities encountered is the Ground. Figure-based locations Ground-based locations
34.1% 65.2% Table 4: Figure vs Ground based locations
A further difference between the two languages is the low occurrence of subordination which occurs in only 2 out of 25 locations. In sum, the reference points selected in German in locating entities encountered on the way differ depending on the overall frame of reference. In narratives in which motion to the goal is marked by means of the accusative case, objects encountered in moving from one place to another are mainly located with respect to the entity in motion. Locations with respect to the Ground are subordinated in such cases. Patterns of this kind are not found in the English data, where perspective taking is not supported by case. The analysis of the linguistic means in marking motion to a place as opposed to motion within a place show that this distinction is blurred in many contexts, as discussed in the analysis above. It can be expressed if required, but not necessarily. Either way there is no separation of these distinctions through linguistic means such as subordination. These contrasting cross-linguistic patterns provide further evidence of the role of grammaticalised features in frames of reference in language production. The results indicate that in German frames of reference entail a clear distinction in the types of reference points used. The two reference points, Figure or Ground, are treated in language planning as separate dimensions, and provisions are made for subordination in specific contexts. There is no evidence for distinctions of this kind in English.
Representing
path in language
production
in English and
German
115
7 S u m m a r y of results and conclusions
The present cross-linguistic study investigates the extent to which grammaticised meanings affect the way space is structured in representing a change in place. The grammatical means under focus are those which distinguish motion to a place as opposed to motion within a place (grammaticised via case in German but not in English), and forms which encode aspectual distinctions (grammaticised on the verb in English but not in German). English has lexical means to encode the opposition between motion to a place and motion within a place (simple versus compound prepositions: in/into) but the homonymy of particles and prepositions at form level have led to a conflation of the distinction motion to a place versus motion within a place in many contexts. The semantic structure of the predicates used may help to disambiguate the state of affairs, but not in all cases. The role of these different grammatical distinctions was analysed in the framework of a narrative task where speakers are required to show how events, and the places in which they occurred, are linked successively in space and time. The results show that the option of representing a set of motion events as motion to a place as opposed to motion within a place constitutes two alternative perspectives on the same set of phenomena. These options are closely linked to the notion of 'granularity' (Habel 1991) or level of detail selected in representing a state of affairs. The results indicate that the extent to which speakers select one or the other option in locating an event in space is determined by the grammaticised means which languages provide to link events in time. Speakers of English tend to relate to the inherent temporal structure of events, and this affects the way in which associated spaces are structured. If the change in place extends over time, the event is more likely to be segmented into individual phases (source, intermediate section, goal section of path). The path traversed is represented as extending within the places at the source, intermediate section and goal (starts slipping, falls down a hole and lands in a trash compacter). Attention is directed to the places in which the event and its stages occur. The same state of affairs can be encoded alternatively as motion to a place with predicates which explicitly link the different places/sections of the path (falls out of χ into y). This latter option of coding motion to a place via a single predicate is more likely to occur in the English data if the change in place is abrupt, and can thus be viewed as completed within a specific time interval. By contrast speakers of German show a preference for this latter option, irrespective of the inherent nature of the state of affairs at issue. Predicates are selected (e.g .fall) which explicitly link the places in a motion event. Both languages have the means to differentiate the separate phases of an event, and locate them within the relevant places, but there is a preferred option in each case which may be linked to the means grammaticised. Aspectual distinctions which allow segmentation into phases are grammaticised on the verb in English but not in German. The study also provides further evidence for the role of grammaticisation in language production, looking in this case at the fact that the distinction between motion to a place as opposed to motion within a place is grammaticised via case in German (accusative/dative) but not in English. The relevance of this distinction was analysed with respect to the refer-
116
Mary Carroll
enee points or relata (Figure or Ground) used in locating objects encountered by the protagonist on the path from one place to another. In narratives in which motion to goal is marked by the accusative case, the objects encountered are mainly located in with respect to the entity in motion (location in terms of entity in motion/Figure 63.1%; location in terms of Ground 36.8%). More significant in this context, however, is the fact that locations with respect to the Ground are subordinated with this frame (subordination 81.5%). The results thus provide initial evidence of the overall relevance of the categories Figure and Ground in frames of reference for motion events. Patterns of this kind are not in evidence in the English data. The preferred reference point is the Ground (65.2%), and occurrences of subordination are too low to be evaluated (16%). These differing cross-linguistic patterns point to the role of grammaticised features in language production. In German the frames of reference evidence a clear distinction in the types of reference points used. They are treated in language planning as separate dimensions (reference point Figure or Ground), and provisions have to be made for subordination in specific contexts. Both languages provide the linguistic means to encode different perspectives on the places traversed in motion events but there are clear preferences in the options selected which correlate with meanings which are grammaticised in each language. The data also show, however, that speakers do not have to follow the preferred option. Both systems allow the choice of one or the other perspective in coding a change in place in the context of a narrative task. We assume that decisions of this kind form part of the planning processes which take place at the level of the conceptualiser, since the formulator has no means of consistently deciding between the options which the language provides. Further studies are required however which provide evidence with respect to the stage at which decisions of this kind are made in the conceptualiser. Levelt (1989, 1996) draws a distinction between macro-planning and micro-planning processes at this level. Macro-planning covers choice of content and processes of information organisation which make the communicative intention recognisable to the interlocutor. Micro-planning involves processes whereby the message is "tuned to the target language and to the momentary informational needs of the addressee" Levelt (1996: 77). This tuning includes the selection of a frame of reference from among the options which a particular language provides. When a specific perspective is applied consistently in a complex task across a set of different constellations can this be treated as an indicator for global planning principles in organising information for expression with respect to a specific language, or should we assume that perspective taking is organised anew for each event? In making a selection do speakers consult any record of the decisions made hitherto in the task? In the present study, speakers of German mark whether a relatum belongs to a specific category or not (Figure or Ground). Subordination indicates that a priority has been set between the categories at issue, thus providing evidence for the existence of a planning process at a higher level for the sets of events encoded. A specific perspective on the places traversed leads to the selection of a particular encoding pattern (subordination) for Ground-based information required locally in specifying a particular location. This points to the existence of language-specific processes with a hierarchical status when "thinking for speaking" (Slobin 1991). In this regard frames of reference will continue to provide a fruitful area of study in language production in exploring hierarchical structure in the decisons made at the level of the conceptualiser.
Representing path in language production in English and German
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Isabel Compes Textfunktionen deiktischer Direktionalpartikeln im Samoanischen1
1 Einleitung
Die deiktischen Direktionalpartikeln mai und atu des Samoanischen reihen sich in ein System sprachlicher Raumausdrücke ein. Studien zu diesem konzeptuellen Bereich beschäftigen sich zumeist mit Lokalisationen als isoliertem Phänomen. Sukzessive wurde der Gegenstandsbereich jedoch auch auf Sequenzen von raumbezogenen Äußerungen ausgedehnt. So zieht Levinson eine direkte Verbindungslinie „vom Raum zur Konzeption von Objekten und von Bewegungsbeschreibungen zu Ereignisstrukturen" (vgl. Levinson 1992: 10). Die Betrachtung von Äußerungssequenzen mündet schließlich in der Untersuchung von ganzen Texten. Als typisch für die bei Levinson genannten Ereignisstrukturen kann die Textsorte Narration, die auch die Grundlage der vorliegenden Studie bildet, angesehen werden. Während bislang in der Regel die sprachspezifische Form als Enkodierung einer räumlichen Konfiguration im Zentrum des Interesses stand, betrachtet die vorliegende Studie den Phänomenbereich Raum im zusammenhängenden Textganzen und untersucht die Funktion von Raumausdrücken für die Strukturierung von spontan gesprochenen Texten. 2 Umfangreiche Korpora zusammenhängender Daten finden in neueren Arbeiten zum Thema ,Raum und Sprache' zunehmend Beachtung. Spontansprachliches, narratives Material zählt allerdings nicht zum zentralen Untersuchungsgegenstand. In der Regel werden Texte nach spezialisierten Aufgabenstellungen aufgenommen. 3 Der Raum steht so informationell im Vordergrund und es ergeben sich direkte Konsequenzen für die Diskursstrukturierung (vgl. Levelt 1981). Die zugrundeliegende kognitive Fragestellung hebt auf die Formen und Strukturen ab, mit denen der Mensch sich den Raum zu eigen macht, ihn wahrnimmt. Ausgehend von der Annahme, daß der Raum an sich kein referentielles Objekt ist, muß er, so formuliert es Wenz, semiotischer, kognitiver Natur sein (1996: 269). Die 1
2
3
Samoanisch gehört zum polynesischen Zweig der austronesischen Sprachfamilie. Es ist die Muttersprache von etwa 330.000 Sprechern, die zu ungefähr zwei Dritteln auf den zentralpazifischen Samoa-Inseln leben; ein weiteres Drittel lebt außerhalb Samoas in Neuseeland, den U.S.A., Australien und Hawaii. Zu den Kennzeichen des als isolierend einzustufenden Samoanischen gehören eine wenig ausgeprägte Nomen-Verb-Distinktion im Lexikon, Verbinitialität und Ergativität in der syntaktischen Organisation. Die Texte sind Teil eines umfangreicheren Korpus gesprochener Sprache, der im Rahmen des von der DFG von 1995 bis 1998 geförderten Projekts „Typologie der gesprochenen Sprache auf der Basis textkonstituierender Verfahren" (Forschungsschwerpunkt „Typologie") unter der Leitung von HD Dr. Fritz Serzisko in Köln zusammengestellt wurde. Zu den Texten im einzelnen s. Pkt. 3. Vgl. Wohnraumbeschreibungen (Linde/Labov 1975, Ehrich 1979), Wegauskünfte ( K l e i n 1979), Reise- und Stadtführer (Virtanen 1992, Wenz 1997) sowie die Aufgabenstellungen der Cognitive Anthropology Research Group am Max-Planck-Institut in Nijmegen und in v. Stutterheim 1997.
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Isabel Compes
Tatsache, daß dabei der Input und damit eine Vergleichbarkeit der Daten relativ gut kontrolliert werden kann, fuhrt zu Versuchsanordnungen, in denen die Sprachproduktion als ,Segmentierungs- und Linearisierungsaufgabe' untersucht wird (vgl. Levelt 1981, Tappe i. d. Bd.). Unter ähnlichen Bedingungen werden auch Korpora narrativer Texte in Form von Nacherzählungen von Filmen (vgl. Chafe 1980) und Bildergeschichten (vgl. Berman/ Slobin 1994) erstellt. Auch Arbeiten in diesem Umfeld konzentrieren sich zumeist auf die Seite der Sprachproduktion. Die Frage des Raumes findet hier seltener Beachtung. Erst in neueren Arbeiten wird vermehrt das Augenmerk auf die Rolle räumlicher Beziehungen in den Texten gelegt (Bamberg 1994a,b, v. Stutterheim 1997, Grenoble 1998, Carroll i. d. Bd.). Der kontrollierte Input' als grundlegender Faktor fließt dabei nicht immer in gleichem Umfang in die Untersuchungen ein. Hervorzuheben ist Bamberg (1994a,b), bei dem diese Tatsache deutlich in den Hintergrund rückt. Sein Interesse gilt der besonderen Textaufgabe Narration; er beruft sich u.a. auf die Narratologie. Die Erzähltheorie beschäftigt sich traditionell mit der Rezeption von Texten. Auch an diese Forschung schließen sich umfangreiche Untersuchungen an. Sie arbeiten jedoch zumeist an schriftlichem Material (vgl. Fillmore 1981, Duchan et al. 1995, Mondada 1996). Raumphänomene werden häufig mit Bezug auf den Text als metaphorischen Raum betrachtet. Raumausdrücke dienen der Textstrukturierung; ihre so gefaßte Textfunktion ist aber an das Medium Schrift gekoppelt. Eine Ausnahme stellen die Arbeiten der interdisziplinären Forschungsgruppe Cognitive Science der State University of N.Y. at Buffalo dar (vgl. den Sammelband ,Deixis in Narrative', Duchan et al. 1995). Bei einem Korpus gesprochener Sprache aber ergeben sich anders gelagerte Probleme. Anders als bei schriftlichem Material sind Sprecher und Hörer in einen online-process eingebunden. Zudem ist bei spontansprachlichem Material keine Kontrolle über den referentiellen Gehalt gegeben. Es kann nicht in dem Sinne auf Planungsprozesse abgehoben werden, wie es mit experimentell gewonnenen Daten geschieht. Gesprochene Sprache geht vorüber und kann weder vom Sprecher noch vom Hörer festgehalten werden. Das stellt besondere Anforderungen an ihre Formulierungs- und Interpretationskunst. Jede der spontanen Reden, die ohne eine spezifische Vorgabe auf die Aufforderung „Erzähl mir mal, was/ wie..." produziert werden, ist in erster Linie eine Sprechhandlung. Die Untersuchung gesprochener Sprache muß sich daher auf interaktive Aspekte der Kommunikationssituation stützen. Dieser Tatsache trägt beispielsweise Bamberg Rechnung, wenn er Narrationen als „emergente, sprachlich konstruierte Sinneinheiten einfuhrt, die erst im Diskurs entstehen" (vgl. Bamberg 1994a: 39). Die sprachliche Komponente der Interaktion ist darin zu sehen, daß der Sprecher seine Rede möglichst klar und deutlich in Hinsicht auf den Verstehensprozeß des Hörers strukturiert: Sprecherische Signale unterstützen den Hörer bei der Interpretation. Eine der wesentlichsten Funktionen, die solchen Signalen zugeordnet werden kann, liegt in der Kennzeichnung von Einheiten, Segmentierungen, Grenzen und „Schlußpunkten" (vgl. Enkvist 1984: 63f.) Die Analyse gesprochener Sprache hat zuallererst die Aufgabe, die konstitutiven Teile eines Textes herauszukristallisieren, so wie sie sich im Prozeß der Rede ergeben. Erst die Segmentierung des kontinuierlichen Lautstroms in handhabbare Einheiten, die ich hier mit Serzisko (1992, 1995) Paragraphen nenne, ermöglicht eine weiterführende linguistische Analyse des Gesprochenen. Die Rekonstruierende' Erarbeitung solcher Segmentierungseinheiten erfordert methodisch den Nachweis von Kontinuitäten und Diskontinuitäten am sprachlichen Material. Das umfaßt alle Ebenen des sprach-
Textfunktionen
deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
121
liehen Systems: formale, thematisch-inhaltliche und schließlich auch intonatorische Signale, die jeweils miteinander zu korrelieren sind (vgl. Serzisko 1995:498). 4 Sprachliche Elemente, durch die sich Kontinuitäten und/oder Diskontinuitäten aufweisen lassen, haben eine Textfunktion. Über die unmittelbare Sprecher-Hörer-Interaktion hinaus sind sie für den analysierenden Linguisten Indizien fur die Textstruktur und deren konstitutive Einheiten. Die Diskursanalyse spricht traditionell von makrostrukturellen Einheiten und makrostrukturellen Gliederungssignalen (vgl. Gülich/Raible 1977). Sie werden in der Regel textsortenspezifisch gefaßt; das ist im vorliegenden Fall die Narration. Die Makrostruktur der Textsorte Erzählung ist bereits Gegenstand vielfacher Forschung, literaturwissenschaftlicher wie (diskurs-)linguistischer, gewesen. Als durchaus unkontrovers kann der Forschung die folgende Untersuchungshypothese entnommen werden: „Narrative discourse is built on the interaction between participant, time and place chains; these are major indicators of both individual units and the overall structure" (Georgakopoulou/Goutsos 1997: 172). Anhand des Aufbaus und der Entwicklung einer Textwelt und ihrer Komponenten Ort, Zeit und Person durch den Sprecher läßt sich die Struktur seiner Rede verfolgen (s.a. Genette 1994, Duchan et al. 1995, Klein/v. Stutterheim 1987, v. Stutterheim 1997). In der Literatur gibt es an der eminenten Bedeutung von Raum und Zeit - und natürlich Person - für die Struktur narrativer Texte keinen Zweifel, die Darstellungen beschränken sich jedoch in den meisten Fällen darauf, diese Bedeutung am Beispiel der Zeit sowie der Person aufzuzeigen. 5 Die hier gestellte Frage hat aber zum Ziel, die Strukturierung von gesprochenen Narrationen anhand der Textfunktion lokaler Elemente aufzudecken. Der Gang der Untersuchung geht der Versprachlichung der Komponente Ort in Texten nach. Den deiktischen Direktionalpartikeln kommt dabei eine herausragende Rolle zu; sie sind aus den vielschichtigen sprachlichen Mustern, die die Textstrukturierung unter der Vorgabe , Verortung' leisten, relativ gut zu isolieren. Exemplarisch soll dies an zwei Texten vorgeführt werden. Ich werde vorab kurz einige Begriffe ansprechen, die in die Beschreibung der vom Sprecher signalisierten und vom Hörer interpretierten Gliederungseinheit Paragraph einfließen. Der Textanalyse wird sodann ein Abriß der sprachlichen Mittel der Lokalisation unter besonderer Berücksichtigung der deiktischen Direktionalpartikeln vorangestellt.
2 D i e T e x t w e l t k o m p o n e n t e R a u m und die K o n s t i t u i e r u n g narrativer E i n h e i t e n
In einer Narration wird durch Raumangaben auf die verschiedensten Einheiten oder Sachverhalte referiert. Um noch einmal Levinson (1992) aufzugreifen: In einer Narration werden Figuren oder Protagonisten lokalisiert, ebenso Objekte oder Props beschrieben und schließlich Bewegungen und Ereignisse, die an einem Ort oder einer Szenerie stattfinden, ausgedrückt. Doch das ist nur ein Aspekt des Erzählprozesses. Denn wenn hier von ,Protago4
5
Bei der Textanalyse sind in erster Linie heuristisch-interpretative Verfahren anzuwenden. Sowohl formal-sprachliche als auch inhaltliche Kriterien sind für die Rekonstruktion von D i s kurseinheiten ausschlaggebend. Spontansprachliche Daten lassen kein unabhängiges K o n trollmoment zu, wie es etwa bei v. Stutterheim durch den ,quaestio-Ansatz' angestrebt wird (1997: 28f., 35, 80f.). Vgl. aber erste Ansätze und Hinweise bei Bamberg 1994b, Casad 1996, Keller 1998.
122
Isabel Compes
nisten' und .Szenerie' gesprochen wird, so bedeutet das bereits eine signifikante Annäherung an die Makroeinheit Narration. Ein Protagonist wird als Sinneinheit erst im Rahmen der sprachlichen Gestaltung einer Narration etabliert, gleiches gilt für die Szenerie oder das Ereignis (vgl. Bamberg 1994a: 39). Narrative Einheiten im Sinne Bambergs werden vom Sprecher auf sprachlicher Ebene konstruiert. Ein Protagonist oder eine räumliche Szenerie existieren nicht per se, sie sind vom Sprecher signalisierte und vom Hörer interpretierte Einheiten. Um die sprecherische Leistung „Narration" angemessen zu beschreiben, so zeigt Bamberg auf, ist der Prozeß eines Referenzaktes - hier Lokalisationen - durch eine weitere Aktivität zu ergänzen, die sich unmittelbar auf die hierarchisch gliedernde Konstruktion, die interaktiv orientierte Strukturierung des Diskurses bezieht (vgl. Bamberg 1994a: 52). In dem komplexen Prozeß Narration hat der Sprecher u.a. die folgenden beiden Aufgaben: Er erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern er muß zugleich auch den Aufbau dieser Geschichte planen. Die „referentielle Aktivität" und die „Diskursaktivität" greifen ineinander und finden im Akt des Sprechens gleichzeitig statt. Das bedeutet, daß in wesentlichen Bereichen die sprachlichen Mittel, die fur das Mitteilen von Sachverhalten verwendet werden, zugleich in die Diskursaktivität eingehen, d.h. vom Sprecher in Hinblick auf seinen Textaufbau gewählt werden. An dieser Stelle ist auf die gliedernde Wirkung - Textfunktion - von sprachlichen Elementen hinzuweisen, die mit Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Rede einhergehen. Sie werden vom Hörer interpretiert und er etabliert so entsprechend seinem Verständnis narrativen Sinn auf den verschiedensten Ebenen. Die Textanalyse folgt der Perspektive des Hörers und seiner Aufgabe des Verstehens. So lassen sich komplexe Form-FunktionsBeziehungen feststellen, die als Indikatoren von Paragraphen dienen und narrative Einheiten konstituieren. Hier wurde die konzeptuelle Domäne Raum herausgegriffen; auch sie ist an der Konstituierung narrativer Einheiten beteiligt. Kontinuitäten und Diskontinuitäten sind in der folgenden Weise auf die Textweltkomponente Raum zu beziehen. Objekte werden in der Regel als .Props', als Raumkomponenten einer zusammenhängenden Szenerie signalisiert, ebenso wie ein Partizipant als .Protagonist' in eine Szene eingeführt wird. Bewegungen und Geschehnisse nehmen Raum ein. Ebenso wie der Sprecher jedoch Props zu einer Szene zusammenfügen kann, kann er Ereignisse und Bewegungen, die an einem einzigen Ort stattfinden, mit Kontinuitäten und Bewegungen zwischen Orten durch Diskontinuitäten auszeichnen. Im folgenden bezeichne ich die Szenerie einer Narration als Narrativen Ort. Der Narrative Ort ist der Ort, an dem das szenische Geschehen lokalisiert ist und in Sequenz stattfindet. In der Literatur werden Ereignisse, die vom Sprecher zu Sequenzen zusammengefaßt werden, häufig als Episode oder Szene bezeichnet. Die Episode ist das Kernkonzept der Makrostruktur einer Erzählung, des narrativen Schemas. 6 Um das Episodenschema
6
Im Hintergrund der sprachlichen Interaktion stehen über das sprachliche Signal hinaus auch soziokulturelle Wissensschemata bereit; sie sind dem Sprecher und Hörer gleichermaßen bewußt und werden von ihnen eingesetzt. Eines dieser Schemata ist das narrative Schema, das vielfach in der Form von Textgrammatiken und Makrostrukturen erfaßt wurde. Globales Schemawissen kann auch für die Textanalyse genutzt werden und ist mit den Ergebnissen der Textsegmentierung abzugleichen (vgl. die von Gülich/Raible 1977 aufgezeigten Korrelationen
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deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
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gruppieren sich weitere makrostrukturelle Größen wie das ,frame-setting' und ,scenesetting' und entsprechend das ,scene-closing' und ,frame-closing'. Das ,scene-setting' ist mit der Etablierung eines Narrativen Ortes gleichzusetzen. Wird über eine längere Passage nicht zu einem anderen Ort gewechselt, wird also der zu Beginn etablierte Narrative Ort aufrechterhalten, so ist von Raumkonstanz zu sprechen. Sie bezieht sich auf die Stabilität eines etablierten Narrativen Orts. Wird die Stabilität aufgegeben, bereitet sich ein ,scene-closing' und ein Ortswechel vor. Alle drei Einheiten sind in der Regel in einen Narrativen Rahmen eingebunden. Im ,frame-setting' spezifiziert der Sprecher erstmals die Textweltkomponente Raum; zusammen mit einer zeitlichen Umorientierung hebt er die Erzählung von der Sprechsituation ab.7 Mit dem Übergang zur Szene, in die erste Episode hinein, erfährt der zunächst vage raumzeitliche Rahmen eine signifikante Konkretisierung. Die Konkretisierung zeigt sich in der Etablierung des Narrativen Orts; sie geht häufig mit der Einfuhrung von Diskursreferenten einher. Während die sprachliche Etablierung und der Wechsel des Narrativen Orts eine Diskontinuität darstellen, verweist Raumkonstanz in episodischen Ereignissequenzen auf die Kontinuität eines Paragraphen. 8 Über die Interpretation des sprachlichen Materials können so textuelle Sequenzen nachgewiesen werden. Narrativer Ort, Raumkonstanz und Ortswechsel sind Einheiten, die zum einen aufgrund von Kontinuitäten und Diskontinuitäten interpretiert und zum anderen durch ein narratives Schema bereitgestellt werden. Sie korrespondieren mit ausgedrückten Sachverhalten; das sprachliche Material reflektiert aber zudem die Freiheit und Flexibilität des Sprechers bei der Textstrukturierung. Bewegungen beispielsweise tendieren nach Art des Sachverhalts dazu, eine Diskontinuität zu signalisieren. Beobachtungen am sprachlichen Material zeigen aber, daß die Korrelation nicht so einfach gestaltet ist: Bewegungen, die als Kontinuität vs. Diskontinuität aufgefaßt werden sollen, werden in besonderer Weise versprachlicht. Von den fur Diskurseinheiten typischen Bündelungen sprachlicher Signale, dazu zählen nicht nur grammatische, sondern gerade auch lexikalische Musterbildungen, können im folgenden nur einige wenige vorgestellt werden.
7 8
makrostruktureller Einheiten mit „Teiltexten"). In diesem Sinne verweist Bamberg darauf, daß die Diskursaktivität u.a. am globalen Thema der Narration ausgerichtet ist (ebd.). Vgl. den Begriff des „Narrative Shift" bei Duchan et al. 1995. Raumkonstanz ist sowohl auf einer globalen, paragraphenübergreifenden Ebene als auch auf einer lokalen, paragrapheninternen Ebene nachzuweisen. Dies wird durch unterschiedliche sprachliche Mittel signalisiert, wobei weitere ,Diskursrelationen der Verortung' relevant werden: Einbettungsbeziehungen (Kontraktion, Expansion, Stagnation), Konkurrenzbeziehungen und Dichte (vgl. zu ähnlichen Relationen Zubin/Hewitt 1995, Talmy 1995, v. Stutterheim 1997).
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lsabel Compes
3 Zum Samoanischen
3.1 Die Texte Die samoanische Textsammlung umfaßt 12 spontan gesprochene Monologe 9 ; es handelt sich zum einen um mythologische, tradierte Texte (6 Texte von 2 Sprechern), zum anderen berichten die Sprechenden von persönlichen Erlebnissen (6 Texte von 3 Sprecherinnen). Die jeweilige Textlänge variiert zwischen 1'30 und 15 Minuten. In der Sprechsituation waren neben den aufnehmenden Linguistinnen auch Zuhörer aus der Familie und Dorfgemeinschaft anwesend; sie trugen zur Natürlichkeit der Aufhahmesituation bei. Zu allen Texten liegen das Tonmaterial und eine Transkription vor, die jeweils von Muttersprachlerinnen erarbeitet wurde. Hier sind einige Anmerkungen zur soziolektalen Variation im Samoanischen zu machen. In Samoa sind zwei stark divergierende Register in Gebrauch: die tautala lelei ,gute Sprache' und die tautala leaga schlechte Sprache'. 10 Die tautala leaga ist u.a. durch ein reduziertes Phoneminventar gekennzeichnet: die Phoneme /t, k, n, q/ der tautala lelei werden als [k, k, η, q] realisiert, so daß in diesem Register Homophonien auftreten. Der generelle Rahmen der aufgenommenen Vorträge war ein häuslich-privater. In diesem sozialen Umfeld herrscht die tautala leaga vor. Entsprechend wird sie in den persönlichen Erlebnisberichten fast ausschließlich benutzt. In den mythologischen Texten wechseln die Sprechenden dagegen häufiger zwischen den beiden Registern. Die Originalzeile der aus den Texten zitierten Beispiele stellt eine weite Transkription des Gesprochenen entsprechend des jeweils vom Sprechenden gewählten Registers dar. Dagegen wird im analytischen Teil in tautala lelei zitiert, wie es in den Arbeiten zum Samoanischen üblich ist. Die transkribierten Daten wurden in einem ersten Analyseschritt aufgrund des phonetisch meßbaren Kriteriums der Sprechpause in Einheiten unterteilt. Die Länge von Pausen variiert. Als Richtwert für eine wahrnehmbare Pause wurden 0,2 sec. angesetzt." Die Pausen-
9
Ich bin in besonderer Weise Even Hovdhaugen und Ulrike Mosel zu Dank verplichtet, die mir die hier untersuchten Texte zur Verfügung gestellt haben. Sie wurden während längerer Forschungsaufenthalte in Samoa aufgenommen (vgl. Mosel/Hovdhaugen 1992). Zudem s i n d die Texte von Even Hovdhaugen mit einer freien englischen Übersetzung in einer Veröffentlichung zugänglich (Hovdhaugen 1987). Die Übersetzung der nicht veröffentlichten, persönlichen Erlebnisberichte stammen von der Verfasserin. Ich möchte mich bei Ulrike M o s e l für die Geduld und Mühe bei der Kontrolle meiner Übersetzung bedanken. 10 Die Bezeichnungen beziehen sich nicht auf eine qualitative Wertung der Register. D i e Gründe für Registerwechsel sind vielfältig, sie wurden in dieser Studie nicht weiter verfolgt. Zu den Gebrauchskontexten sowie weiteren formalen Unterschieden vgl. M o s e l / H o v d h a u g e n (1992), Duranti (1981), Ochs (1988), Shore (1982). " Vgl. die ausführliche Diskussion der relevanten Literatur in Serzisko (1992). In der gesprochenen Sprache ist die Intonation eindeutig das wichtigste sprecherische Gliederungssignal. Der Intonation ist die Pause als eine Diskontinuität zugeordnet. Während die meßtechnische Abbildung von Intonationsverläufen mit Problemen behaftet bleibt, sind Pausen relativ einfach zu bestimmen. D e s w e g e n ziehe ich die Pause als Kriterium für die kleinste isolierbare Einheit der Rede - die Pauseneinheit - heran. Ihre Relevanz für die Textgliederung ist i n z w i schen unumstritten, insbesondere längere Pausen finden sich typischerweise zwischen z w e i Intonationsverläufen (Brown/Yule 1983, Ladd 1986, Chafe 1987). In Serzisko ( 1 9 9 2 ) wird
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deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
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länge ist jeweils nach der Pauseneinheit (im folgenden PE) in Klammern angegeben. Die Textsammlung umfaßt insgesamt 1973 PE. Diese grundlegenden Segmentierungseinheiten wurden mit einer interlinearen Morphemanalyse' 2 versehen und anschließend frei ins Englische übersetzt. Die so aufbereiteten Texte bilden die Grundlage der weiterfuhrenden Textanalyse.
3.2 Die Enkodierung räumlicher Konzepte im Samoanischen Bei einer Lokalisierung wird eine Relation zwischen einem im Blickpunkt stehenden Referenten (FIGURE) und einem Relatum (GROUND) hergestellt (vgl. Levinson 1992: 11 mit Bezugnahme auf Talmy 1983). Der referentielle Akt der Lokalisierung basiert auf einem „reference frame", der im default-Fall an den Sprechakt und damit situativ an die origo des Sprechers gebunden ist. Die lokale Relation dient dazu, die „search-domain" mit Bezug auf das Relatum zu spezifizieren und zu begrenzen. Eine solche Relation wird sprachlich in der Form lokaler Relatoren kodiert - etwa lokaler Präpositionen im Deutschen. Auch im Samoanischen wird ein Referent in erster Linie durch Präpositionalphrasen lokalisiert. Vier präpositionale Partikeln fungieren als lokale Relatoren: 7/j'13 ai mai ma
locative-directional ( = L D ) locative ablative 1 4 ablative
(vgl. M o s e l / H o v d h a u g e n
1992: 143)
Neben den präpositionalen Partikeln fungieren sechs inhärent spezifische, relationale Lokalnomina als Relator in komplexen Präpositionalphrasen: totonu ,interior', fafo ,outside', luma ,front', tua ,back', luga ,top', lalo ,under, below'. Die komplexen Präpositionalphrasen werden mit dem Lokativ-Direktional eingeleitet. In der Regel wird das Relatum in einer Possessivphrase angeschlossen: z.B. 7 totonu o lefale ,inside (of) the house'. Im folgenden gehe ich kurz auf Lokalisationen und Richtungsangaben ein. Hervorzuheben ist die durch den Lokativ/Direktional i/'i eingeleitete Präpositionalphrase (im weiteren ,Lokativphrase'). Wegen ihrer hohen Frequenz - die Partikel erscheint in über 500 PE - nimmt sie eine zentrale Stellung ein. Neben der Markierung von Adjunkten des Ortes, der Richtung und der Zeit kodiert sie ein Reihe weiterer semantischer Relationen: „source,
12
13
14
zudem aufgezeigt, daß auf der Basis einer statistischen Analyse eine formale, lexiko-grammatische Einheit - die Prädikation - mit Pauseneinheiten zu korrelieren ist. Folgende Abkürzungen wurden bei der Interlinearisierung verwendet: LD=locativedirectional, ABS.emph=emphatic absolutive, ERG=ergative, POSS.al=a-possessive (alienable), POSS.nal=o-possessive (non-alienable), TAM=tense-aspect-mood particle, GENR=general tense-aspect-mood, PAST=past, PERF=perfect, PROG=progressive, SUBJ= subjunctive, p/pl=plural, s=singular, du=dual, spec=specific, nspec=non-specific, exc= exclusive; i n c o n c l u s i v e , DIR=directional particle, ANAPH=anaphoric pronoun, N E G = negative particle, EMPH=emphatic (particle), pre.pro= pronominal prefix, ES=ergative suffix, NR=nominaliser. Ich folge hier Mosel/Hovdhaugen (1992: 144f.), die im Gegensatz zu anderen L i n g u i s t e n (z.B. Milner 1966) nicht zwischen einer lokalen, präpositionalen Partikel i und einer direktionalen 7 mit ,glottal stop' unterscheiden. Allomorphe dieser präpositionalen Partikel s i n d iä und i a te. Dieses Element ist mit der Direktionalpartikel mai verwandt (vgl. unten).
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lsabel
Compes
purpose, cause, instrument, natural force" (vgl. Mosel/Hovdhaugen 1992: 769f.)·15 Im ersten Beispiel wird eine Richtung oder ein Ziel angegeben. (1)
o'u l.s
alu ai loa i go ANAPH at.once ID
Kukiiila Tutuila
then I went to Tutuila (0,75) siamagi 018
Während die LD-Partikel mit unspezifischen, spezifischen und inhärent-spezifischen Relata stehen kann, fuhrt die Partikel ai just in' ausschließlich inhärent-spezifische Relata (Ortsnamen und deiktische Lokalnomina) in lokalen Appositionen ein. In der folgenden Beispielsequenz wird der Ort der Handlung Fai'a'ai in einer eigenen, appositiv gesetzten PE genannt. (2)
na su'e ai lä'ei o Näfanua PAST lift.up in.it clothes POSS.nal Näfanua
ai Fäi'a'ai just.in Fai'a'ai
the clothing of Näfanua were lifted up (0,4)
just in Fai'a'ai (0,5) näfanua 181-182
Ein weiteres Beispiel zeigt die Verwendung des anaphorischen Pronomens ai. Zunächst führt eine Lokativphrase 'i Apia ,to Apia' einen Ort ein. Das Pronomen ai im zweiten Teil der PE ist koreferentiell mit der Lokativphrase und stellt ein kohäsives Mittel dar, das die beiden Teilprädikationen dieser PE verbindet. (3)
sä 'ou sau loa 'i Apia 'ou te tû'ua ai PAST l.s cane at.once ID Apia l.s GHMR make.a.break ANAPH then I came to Apia,
I spent holidays there (2,8) faletoi 023
Das anaphorische Pronomen ai ist eine allgemeine Anapher; es kodiert nicht nur die lokale Relation, sondern alle semantischen Relationen, die auch für eine Lokativphrase angeführt wurden: Zeit, Quelle, Ziel, Ursprung, Instrument, Grund etc. Gegenüber einem Relatum, das in Form eines Ortsnamens oder einer referentiellen Phrase spezifiziert wird, besteht eine andere Möglichkeit darin, daß dieses Relatum mit Bezug auf ein deiktisches Zentrum beigesteuert wird. Das deiktische Zentrum manifestiert sich sprachlich in Form deiktischer Ausdrücke, die an Parameter der Sprechsituation gebunden und nur mit Bezug auf die Sprechsituation zu interpretieren sind. Parameter stellen beispielsweise Proximitätsstufen mit Bezug auf die Gesprächsteilnehmer dar (nah vs. fern vom Sprecher oder aber nah beim Sprecher vs. Hörer etc.). Im sprachlichen System ist deiktische Information überaus vielfältig vertreten. Im folgenden greife ich drei Gruppen von Elementen heraus, in denen insbesondere lokaldeiktische Information kodiert wird: deiktische
15
Levinson (1992: 29) weist daraufhin, daß im Sprachsystem häufig zwischen „core adpositions" und solchen, die „less central to the linguistic system" sind, unterschieden wird. Schon die hier angegebenen Statistiken weisen dem Lokativ-Direktional 'i/i eine solche zentrale Stellung zu. Dies korrespondiert mit der Tatsache, daß der Lokativ-Direktional auch Argumente markiert, etwa bei den sogenannten „labile verbs" (vgl. Mosel/Hovdhaugen 1992: 108).
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Lokalnomina 16 , deiktische Verben der (Fort-)Bewegung und deiktische Direktionalpartikeln. Im Samoanischen sind zwei Gruppen Deiktischer Lokalnomina zu verzeichnen. Die Elemente der einen Gruppe werden aus deiktischen Morphemen und einem gebundenen Element 7 gebildet: 'i-nei ,here, near speaker', 'i-nä 'there, near addressee', Ί-/ä17 ,over there'. Die Deiktika der anderen Gruppe differenzieren nur zwei Proximitätsstufen und enthalten die deiktischen Morpheme nicht: 7 ,here', 'ö ,there'. Schließlich ist eine weitere Form belegt: 'ole'8 ,there'. Die Lokalnomina treten in der Regel in Lokativphrasen auf. Folgendes Beispiel mit dem distalen Deiktikon 'ö stammt aus einer der beiden unten zu besprechenden Texte. (4)
'ou k e ' i
ä
i
'ö
ua
kamo'e
l . s happen.suddenly j u s t ID there PERF run
I was quite surprised there
she came running (1,35) pululóle
007
Bislang wurden lokale Mittel aus dem Bereich referentieller Phrasen vorgestellt. Räumliche Information findet sich jedoch auch in prädikativen Phrasen. Aus dem lexikalischen Inventar sind hier Lexeme der (Fort-)Bewegung anzuführen, die fast ausschließlich in prädikativen Phrasen erscheinen. Bei einem „motion-event" sind weitere Bestimmungsgrößen der räumlichen Konstellation zu berücksichtigen. So wird ein Referent mit Bezug auf zwei Referenzpunkte - SOURCE und GOAL - sowie die dritte Größe - PATH - als Relata lokalisiert (vgl. Talmy 1983). Diese Bestimmungsgrößen werden nicht notwendigerweise alle versprachlicht. Insbesondere im Fall der deiktischen Fortbewegungsverben liegt ein Fokus des Sachverhalts auf dem Ausgangs- oder Endpunkt der Bewegung, der dabei jeweils mit dem deiktischen Zentrum der Sprechsituation identisch ist. Im Zusammenhang mit den Textfunktionen der deiktischen Direktionalpartikeln im Samoanischen spielt u.a. das Lexem alu ,go' und seine pluralische Variante δ ,go.pl' eine Rolle, zudem sau ,come' bzw. dessen pluralische Variante δ-mai ,go.pl-DIR'. Diese Lexeme können mit Einschränkungen als Übersetzungsäquivalente der deiktischen Verben des Englischen go und come gelten, die in der Literatur bereits häufiger in ihrem Verhältnis zur Diskursstruktur behandelt wurden (vgl. Fillmore 1981, 1997). Während dem Lexem sau ,come' eine deiktisch-direktionale Bedeutungskomponente inhärent ist, die sich in der pluralischen Suppletivform ö-mai an der Direktionalpartikel mai ,towards the speaker' zeigt, ist alu/δ ,go/go.pl' zunächst als neutral zu betrachten. Erst durch die Modifikation mit den Direktionalpartikeln, auf die ich im Anschluß ausführlich eingehe, erhält es eine deiktisch-direktionale Bedeutungskomponente. Folgendes Paradigma ergibt sich somit:
16
17 18
Ich gehe hier nur auf die deiktischen Lokalnomina mit den englischen Ü b e r s e t z u n g s ä q u i v a lenten here und there beispielhaft ein. Deiktische Demonstrativa und/oder Determinierer müßten sicherlich ebenso berücksichtigt werden, insofern sie in attributiver Funktion l o k a l e Bestimmungsgrößen zu Nominalphrasen beisteuern. D a s Element 'ilä erscheint im Korpus nicht. Mosel/Hovdhaugen (1992: 133) stufen die Form als obsolet ein. Im Korpus erscheint sie nur in einem Text, der insgesamt umgangssprachlicher gestaltet ist. N o c h zu klären ist die Frage, ob sich bei der Verwendung im Diskurs ein Unterschied zwischen den beiden Sets s o w i e dem letzten Element abzeichnet.
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lsabel
Singular
Plural
alu
δ
zum Sprecher; her
sau
δ-mai
vom Sprecher weg; hin
alu-atu
δ-atu
deiktische Orientierung Ungerichtet Gerichtet
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Tabelle 1 : Paradigma der Lexeme der (Fort-)Bewegung alu ,go' vs. sau ,come'
3.3 Zu den deiktischen Direktionalpartikeln Die insgesamt sechs Direktionalpartikeln des Samoanischen sind in zwei Gruppen einzuteilen: die primär deiktischen, die in der anschließenden Textanalyse untersucht werden, und die sekundär deiktischen. Die Gruppe der primär deiktischen Partikeln hebt sich aufgrund ihrer Häufigkeit im Korpus (325 Belege) ab. Es sind dies die folgenden drei Elemente: atu mai ane
away from the speaker or the person or object being the focus of the narrative, towards the person spoken to towards the speaker or the person or object being the focus of the narrative „along", passing by the speaker or the person or object being the focus of the narrative" (Mosel/Hovdhaugen 1 9 9 2 : 1 5 0 , 3 7 6 )
Die sekundär deiktischen oder raumdimensionalen Partikeln werden ungleich seltener im Korpus verwendet (21 Belege). A'e ,upwards', 'ese ,away' und ifo ,down' geben Richtungen an, die nicht an die Sprechsituation gebunden sind, sondern an Parameter der räumlichen Konstellation des beschriebenen Sachverhalts.20 Sie werden im folgenden außer Acht gelassen, während ich die primär deiktische Gruppe in ihrer Syntax und Semantik näher betrachten möchte. Die Partikeln modifizieren typischerweise prädikative Phrasen und treten unmittelbar hinter deren Nukleus (s. Beispiel 5). Sie sind so Teil des prädikativen Komplexes, der in der Regel durch eine TAM-Partikel eingeleitet wird. (5)
O lea sä aluatu loa Sina iä Pili „Sau na fau le pä." PRES that ERST go-away.from immediately Sina LD Pili care CONJ fix spec.s hook then Sina went straight to (0,8)
Pili „come and fix the hook" (0,7) 'alo'alolelä 248-249
Diese enge Fügung kann nicht durch andere Partikeln unterbrochen werden (vgl. etwa loa immediately' in Beispiel 5). Lediglich derivative Elemente - beispielsweise das soge19
20
ane ,along' erscheint in vorliegenden Korpus nicht. Die beiden anderen Partikeln treten zahlenmäßig in etwa gleich häufig auf: 164 Belege mai (darunter 25 Belege des lexikalisierten Transferverbs 'aumai 'bring, give'), zu 161 Belegen alu. Vgl. aber Broschart (1995), der auch die tonganische Partikel hake (=sam. a'e) in seine Studie einbezieht und aufzeigt, wie diese Partikel in den Bereich einer primär deiktischen, sprechaktbezogenen Bestimmung übergeht.
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deiktischer
Direktionalpartikeln
im
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Samoanischen
nannte Ergativ-Suffix (vgl. Mosel/Hovdhaugen 1992: 150, 377), aber auch das Nominalisierungssuffix -ga - können, müssen aber nicht vor die Partikel treten. Folgende Beipiele zeigen prädikative Komplexe, in denen das Ergativ-Suffix (ES) vor (s. Beispiel 6) bzw. nach die Direktionalpartikel (s. Beispiel 7) tritt. (6)
na and
'ua l à PERF 3.du
fuafuainamai 'Upolu survery-ES-towards ' Upolu
and they surveyed 'Upolu (0,65) pulotu 114 (7)
'ou l.s
ke f a ' a l o g o akuga GENR l i s t e n away.frcm-ES
i LD
'ole over.there
I listened to them over there (0,65) palagi 051
Die Verwendung der Partikeln im Diskurs muß zunächst unabhängig von der Kookkurrenz einer Lokativphrase gesehen werden. Wie die folgenden Beipiele zeigen, finden sich im Korpus neben Belegen, in denen keine weitere Lokalangabe erscheint (s. Beipiele 8 und 9), auch solche, in denen der Sprecher zusätzlich ein lokales Adjunkt innerhalb derselben Pauseneinheit bzw. Prädikation verwendet (s. Beipiele 10 und 11).
®
o'cmai visit-towards
"Lu'agia Lu'agia
'ua 'ou PERF l . s
"Lu'agia (0,7)
I have come (here) (0,6)
o le fa'aliga PRES spec.s CAUS-be.visible-NR
a le Tuiuea POSS.al s p e c . s king.of.Uvea
on the instructions of the Tuiuea (0,6) 'alo'alolelâ 173-175 (?)
Sä öatu le u l u g à l i ' i 'ua taetae ma PAST gD.pl-away.frcm spec.s couple PERF g a t h e r . φ and
fa'aputuputu collect
the couple went and picked up and collected (the fruits) (0,2) ti'iti'itiatalaga 033
(10) 'ua tatau
ona rn-tou nonofo loa i PERF be.right CCNJ l . p . e x c s t a y . p l immediately LD
e 'aua rrâtou toe cmai 'i GENR NEG l . p . e x c again go.pl-towards ID
Savai'i Savai'i
Apia Apia
it is right that we should live immediatey on Savai'i that we should not go back again to Apia (1,1) faletoi 109
(11) sä
'ou PAST l . s
faimalaga aku i make-travel away.fron ID
Gu'uSila i la'u New.Zealand ID spec.s-POSS.al-1.s
fägau. chi 1 tiren
I made a journey there to New Zealand to my children (0,70) fefiloinz 022
Diese Beispiele zeigen, daß es sich nicht in einfacher Weise um Rektionsverhältnisse handelt, die entweder durch eine Lokativphrase oder eine Direktionalpartikel gesättigt werden. Obwohl es Typen von Prädikationen gibt, in denen eine Lokativphrase nur dann ausfallen
130
Isabel
Compes
kann, wenn eine Direktionalpartikel gesetzt wurde,21 weisen Mosel/Hovdhaugen in ihrer Referenzgrammatik explizit daraufhin, daß die Direktionalpartikeln keine Proformen darstellen (vgl. 1992:431). Im folgenden werde ich eine semantische Klassifikation der typischen Kollokationen aus Lexem und Partikel innerhalb des prädikativen Komplexes vorstellen. Ich möchte dabei eine Studie von Platt (1980, 1983) zum Samoanischen aufgreifen. Ihre Analyse der deiktischen Partikeln mai Howards' und atu ,away from' beschäftigt sich in erster Linie mit kulturell-sozialen Restriktionen, die sich bei deren Verwendung durch Kinder abzeichnen. Platt geht aber darüber hinaus, indem sie zweitens nachweist, „how a syntactic unit common to Polynesian languages, Samoan in particular, explicitly grammaticizes certain semantic relationships that might not be as overtly realized in other languages." Die syntaktische Einheit betrifft die Kollokation aus Lexem und modifizierender Partikel; entsprechend den jeweils modifizierten Lexemen erfahren die semantischen Relationen TOWARDS und AWAY.FORM eine metaphorische Ausweitung. Grundlegend ist die Verwendung der Partikeln im lokalen Bereich zum Ausdruck der räumlichen Orientierung oder der Richtung einer Bewegung, wie sie auch in den obigen Beispielen aufgezeigt wurde. Sie sind bezogen auf einen bestimmten Referenzpunkt (das deiktische Zentrum nach Fillmore 1982, 1997), der sich im Sprecher, Hörer, einer dritten Person oder einem Objekt manifestiert. D.h., daß sie sich bei näherer Bestimmung einer Bewegung (literal movement) auf Handlungen beziehen, die mit einem Ortswechsel des Agens, Actor oder Objekts verbunden sind. Sie können aber im Falle einer übertragenen Bewegung (figurative movement) auch eine Handlung ohne Ortswechsel oder sogar einen Zustand spezifizieren, wobei in diesen Funktionen ,,-mai und -atu do not occur independently, but rather in conjunction with other lexical elements" (Piatt 1983: 117). Im einzelnen werden von Platt vier lexikalische Klassen unterschieden, die mit den betreffenden Direktionalpartikeln eine syntaktische Einheit bilden können. I. II. III. IV.
Aktionen, die mit einem Ortswechel verbunden sind (literal Sprechakte {figurative movement) Perzeption, Kognition und Emotion (figurative movement) Attribute (figurative movement)
movement)
(vgl. ebd.: 120)
Platt stellt fest, daß im Kinderspracherwerb zunächst die Verwendungsweisen im Rahmen eines literal movement beherrscht werden. Erst nach und nach erfassen und verwenden Kinder die übertragenen Bedeutungen. Alle vier Klassen konnten in den hier untersuchten Texten identifiziert werden; sie sind jedoch mit unterschiedlicher Frequenz belegt. Die Verwendungsweisen, die von Kinder früh erworben werden (literal movement), sind wesentlicher häufiger belegt, als die übertragenen Bedeutungen. Platts Ergebnisse zum Kinderspracherwerb korrespondieren demnach mit den Frequenzunterschieden, die im vorliegenden Korpus von Sprachdaten erwachsener Sprecher festgestellt wurden. Die Semantik und unterschiedlichen Frequenzen der einzelnen Klassen werden im folgenden näher erörtert.
21
Hierzu gehört insbesondere das labile Lexem va'ai 'see, look at, visit 1 , das in einem seiner beiden Kasusrahmen einen „partially affected undergoer" mit dem LD markiert (vgl. Mosel/Hovdhaugen 1992: 430f.).
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zu I. Aktionen, die mit einem Ortswechel verbunden sind (literal movement) Unter Berücksichtigung der Komponenten G O A L - S O U R C E - P A T H spezifiziert mai eine Bewegung entlang eines P A T H ZU einem G O A L , atu dagegen eine Bewegung entlang eines P A T H weg von einer S O U R C E . Beide Partikeln orientieren sowohl intransitive (vgl. etwa Beispiele 8-11) als auch kanonisch transitive Lexeme: fa'atau .barter' => -/w«
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Grafik I - Paragraphenstruktur anhand der lokalen Mittel: The girl and the lolly
140
Isabel
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In Grafik I auf der umliegenden Seite sind alle Faktoren noch einmal zusammengefaßt, die in dieser Anekdote Diskontinuitäten, aber vor allem Kontinuitäten als textstrukturierende Faktoren ausmachen. Auf der linken Seite ist der Sprecher und damit implizit ein Sprecherort dargestellt. Der Sprecher macht sich auf den Weg zum Einkaufen. Dem steht auf der rechten Seite ein zweiter Partizipant gegenüber, der zu einem anderen Zielort - nämlich dem Kindergarten i le ä'oga fa'ata'ita'i - auf dem Weg ist. Die beiden treffen - wie im umkreisten Feld in der Mitte angedeutet - zusammen. Das Treffen etabliert den Narrativen Ort 7 'ö,there', der später als der Ort des Händlers /' le fa'atau'oloa expliziert wird. In der Regel wird ein Narrativen Ort verankert, wenn die Figuren am Narrativen Ort angekommen sind, dort also, wo sich das eigentliche Geschehen in der Narrativen Szene abspielt. Innerhalb der Szene macht die konstante Verwendung der Direktionalpartikeln die Kontinuität des Paragraphen aus. Die Direktionalpartikeln kennzeichnen als raumdeiktische Elemente den Erhalt einer Perspektive. Sie modifizieren allerdings das Lexem der (Fort-Bewegung) ala/o ,go'. Hierin ist ein implizite Raumreferenz gegeben. Signifikant ist dabei, daß die Hauptpartizipantin in der Narrativen Szene unter referentiellem Aspekt nicht mehr „geht", sie ist bereits angekommen und verbleibt am Ort. Es zeigt sich, daß der Sprecher hier durchaus nicht auf einen zugrundeliegenden Sachverhalt der Bewegung im Raum referiert, sondern lokale Mittel insbesondere zur Strukturierung seiner Rede einsetzt. Dazu gehören die Direktionalpartiklen mit dem Erhalt einer Perspektive ebenso wie die repetitive Referenz auf (Fort-)Bewegugen mit dem Erhalt einer Raumreferenz. 28 Der Narrative Ort ist somit durch sprachliche Mittel in seiner Raumkonstanz ausgezeichnet. Der Sprecher signalisiert die Geschlossenheit des szenischen Paragraphen in Abgrenzung vom Narrativen Rahmen. Die Verwendung sprachlicher Mittel der Lokalisierung korreliert so mit makrostrukturellen Kategorien, wie ,frame-/scene-setting' und ,scene'. Als textuelles Signal der Diskontinuität ist in der vorliegenden Geschichte zum einen das distale Lokaldeiktikon 'ö aufzufassen, zum anderen fungiert der Wechsel von ungerichteten zu deiktisch orientierten Lexemen der (Fort-)Bewegung auf textueller Ebene. Eine Textfunktion ist den Direktionalpartikeln mai und atu auch innerhalb der Szene zuzuweisen; sie stiften die Kontinuität des Paragraphen. Die nachgewiesenen Kontinuitäten und Diskontinuitäten sind diskursstrukturierende Mittel des Sprechers, die er im Rahmen der Textweltkomponente Raum einsetzt.
4.2 Raumkonstanz und Sprechaktorientierung Die aufgewiesene Paragraphenstruktur zeigt den Sprecher bei einer seiner Aufgaben, der Strukturierung des Diskurses, die er in Hinblick auf den Verstehensprozeß beim Hörer gestaltet. Wenn hier die Textweltkomponente Ort herangezogen wird, um die makrostrukturelle Gliederung einer Erzählung aufzuzeigen, so steht bislang unausgesprochen im Hintergrund, daß der Sprecher mit seinen Raumausdrücken auch auf Orte referiert. In Abschnitt 2 wurden diese beiden Aspekte des Textaufbaus mit Bamberg als Diskursaktivität einerseits und referentielle Aktivität andererseits bezeichnet. Ich habe sie analytisch voneinander ge28
Weitere Untersuchungen am Korpus haben gezeigt, daß im Samoanischen gerade das lexikalische Material in prädikativen Phrasen für die Raumkonstanz und Textstrukturierung signifikant ist.
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trennt, obwohl sie im Sprechen ineinandergreifen. Im folgenden werde ich daher kurz die soeben besprochene Anekdote in Hinblick auf die referentielle Funktion der Partikeln betrachten. In Abschnitt 3 wurden die Partikeln als primär deiktisch klassifiziert. Wie in den dargestellten Arbeiten von Tchekhoff und Broschart bereits anklingt, ist zwischen Sprechaktdeixis und dem Bezug auf Protagonisten einer Narration zu unterscheiden. In einen zweiten Text, den ich anschließend vorstelle, wird diese Unterscheidung relevant. 29 Auf der analytischen Ebene der referentiellen Aktivität ist zu fragen, wie sich in der Anekdote die Verwendung der einen oder anderen Direktionalpartikel erklären läßt. Ihre Wahl ist abhängig von deren deiktisch-referentieller Komponente. Die Partikeln sind und bleiben trotz des etablierten Narrativen Orts auch innerhalb des szenischen Paragraphen an die mit Beginn des Textes vorhandene Sprechaktdeixis gekoppelt. Ihre Verwendung kann nur mit Bezug auf die Sprecherorigo gedeutet werden. Atu wird vom Sprecher immer gesetzt als .dorthin, weg von hier, wo wir aktuell sitzen'; mai bewegt die Protagonisten dagegen wieder her zum deiktischen Zentrum, weg vom Narrativen Ort (vgl. die Pfeile in Grafik I). Interessant ist also unter dem referentiellen Gesichtspunkt, daß atu und mai nicht auf die Narrativen Szene, d.h. den Narrativen Ort in der Textwelt, umorientiert werden; sie kennzeichnen den Narrativen Ort, aber aus der Warte der Sprecherorigo. 30 Die Geschichte bleibt somit von Anfang bis Ende deiktisch an die Sprechsituation gebunden. In der Alltagserzählung, in der der Sprecher als Protagonist an den Ereignissen teilnimmt, ist primär die Sprechaktdeixis relevant. In der mythologischen Narration, die ich nun bespreche, ist dagegen nicht von Sprechaktdeixis, sondern vom Bezug auf Protagonisten auszugehen, da sich der Sprecher in diesem Fall aus der Erzählung zurückzieht.
4.3 Raumkonstanz und Partizipantenorientierung Zu den frequentesten Lexemen innerhalb des prädikativen Komplexes, in dem die Direktionalpartikeln modifizierend verwendet werden, gehören Sprechakte, insbesondere das Lexem fai ,say'. Entgegen einer lokalen Direktionalität drücken die Partikeln hier die Relation zwischen den beiden Kommunikationsteilnehmern aus. Im ,default'-Fall figuriert der Sprecher als deiktischer Bezugspunkt der jeweiligen Partikel: mai ,zum ihm her' oder atu ,νοη ihm weg, zum Hörer' geht die Rede. Bei situationsgebundenen Verwendungen fällt also der Sprecher als deiktischer Bezugspunkt der Partikeln mit dem Agens des Sprechakts zusammen.
29
30
Ich spreche auch hier von deiktisch. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist die sprachliche Form und ihre textuelle Verwendung. Eine Unterscheidung der referentiellen Funktion der Elemente nach primärer und sekundärer oder anaphorischer Deixis (vgl. Ehrich 1992) ist möglich, aber andererseits „irreführend" (vgl. Bamberg 1994a: 215). Ich möchte mich Bamberg anschließen: „It is more important to address the question of what narrator does - in terms of creating spatial scenarios within which actors become alive - when using such forms" (ebd.). Das raumzeitliche Gefuge der Textwelt, das im Narrativen Rahmen aufgebaut wird, bleibt hier also an die Sprecherorigo gekoppelt. Das stellt in Frage, ob es in der Alltagserzählung zu einem „Deictic (Narrative) Shift" kommt, der explizit als deiktische Umorientierung definiert ist (vgl. Duchan et al. 1995). Die Diskurstrukturierung des Sprechers, wie sie oben dargelegt wurde, zeigt deutlich den Aufbau einer Textwelt. Im Samoanischen wird aber nicht notwendigerweise die deiktische Origo aufgegeben.
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Wenn in situationsentbundenen Texten über Sprechakte berichtet wird, stellen ebenfalls die zwei Kommunikationsteilnehmer die referentiellen Bezugspunkte der direktionalen Relation dar: Sprecher = SOURCE vs. Hörer = GOAL des Sprechaktes. Im Samoanischen gilt jedoch keiner der beiden Teilnehmer ,per default' als deiktisches Zentrum und perspektivischer Fokus der Relation, so wie sie die deiktischen Direktionalpartikeln ausdrücken. Bei situationsentbundenen Texten werden die Rollen der Kommunikationspartner (SOURCE und GOAL des Sprechaktes) unabhängig vom Bezugspunkt der Direktionalpartikeln kodiert. Der Bezugspunkt läßt sich aber textsortenspezifisch über die Person des topikalen Partizipanten identifizieren. In Hinsicht auf das vorliegende narrative Genre bezeichne ich als ,Topik' denjenigen zentralen Partizipanten, der zunächst als Referent der Komponente Person vom Sprecher in die Textwelt eingeführt wird und im Anschluß über eine Folge von Prädikationen aktiv ist. Es ist dies - neben anderen möglichen Partizipanten - der Partizipant, „über den Aussagen gemacht werden" (Serzisko 1992: 122). Topikalen Status erhält ein Diskurspartizipant demnach nicht per se\ relevant ist vielmehr, daß er vom Sprecher kontinuierlich als Bezugspunkt gewählt wird: It is widely recognized that human protagonists tend to be the central participants in most narrative discourse, and tend to be maintained as theme (roughly, topic) in successive clauses. (DuBois 1987: 829) Die Kontinuität seiner Involviertheit läßt sich sprachlich anhand der Formen nachvollziehen, die die Präsentation eines Diskurspartizipanten und das nachfolgende Reference tracking' leisten. Dabei kann die Topiksetzung mit einer makrostrukturellen Diskontinuität gleichgesetzt werden, die Aufrechterhaltung des Topiks geht dagegen mit Kontinuität einher (vgl. Givón 1983). Auch unter Berücksichtigung der referentiellen Domäne Person lassen sich Texte somit in Paragraphen segmentieren. So konstatiert etwa Serzisko: ,.reference tracking is one o f the most important cues for text segmentation" (1995: 504). Im Samoanischen markiert die präpositionale Partikel 'o ,Presentativ' einen Protagonisten als Topik der nachfolgenden Sequenz (vgl. Compes 1997: 44). Formen der Aufiechterhaltung eines topikalen Partizipanten innerhalb eines Paragraphen oder Diskurses sind bislang nicht untersucht. Pronominalisierungen beispielsweise finden statt, sind jedoch äußerst selten zu verzeichnen. Insgesamt ist die gesprochene Sprache durch eine Tendenz zur Ellipse gekennzeichnet (vgl. Ochs 1988: 108ff., die diese Tendenz sogar unabhängig vom sprachlichen Register feststellt). In diesen Bereich spielen aber die hier untersuchten Direktionalpartikeln hinein. Dieser Aspekt einer räumlichen Kontinuität in Interaktion mit Topikkontinuität soll an einem weiteren Text vorgestellt werden. Es handelt sich um eine der mythologischen Narrationen, deren Makrostruktur mit zwei ineinandergeschachtelten Rahmenhandlungen und vier Episoden recht komplex gestaltet ist. Grafik II vermittelt diese Struktur und deren Markierung durch das Gliederungssignal der omz-/ea-Konstruktion (vgl. Compes 1997). Die Narration erzählt von dem Helden Elo, der von seinem Herrscher Pulotu aufgefordert wird, Papatea zu zerstören.
Textfunktionen deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
Vorspann
I. Rahmen Dialog: Pulotu - Elo 2 ona-loa-lea
I. Rahmen Dialog: Pulotu - Elo 3 ona-toe-lea II. Rahmen Jagd der Paare 2 4. Episode a) Schwimmreise ona-ai-lea . I lEinschub: Wasser ! ona-ai-lea b) Faga + Tele: Steine ona-0-lea ona-loa-lea
Abspann Grafik II - Paragraphenstruktur und Gliederungssignale: Pulotu u n d Papatea
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Die Rahmenhandlung I thematisiert den Dialog zwischen Elo und Pulotu. Rahmenhandlung II erzählt von Elos Jagd auf die Papateaner, in die sich vier Episoden einfügen, die von dem Verlauf und den Folgen der jeweiligen Jagd berichten: Die Verfolgten werden in Sterne, Berge, Inseln und zuletzt auch in Steine verwandelt. Auf einer der Textebenen - der Rahmenhandlung I (Dialog) - stellen nun die meisten Handlungen Sprechakte dar, in denen das verbum dicendi fai ,say' jeweils durch die Direktionalpartikeln mai und atu modifiziert wird. Während der Agens der Sprechakte immer der Befehlshaber Pulotu bleibt, richtet sich die Verteilung der Partikeln nach dem für den betreffenden Paragraphen gesetzten Topik. Die folgenden vier Textausschnitte greifen jeweils die Rahmenhandlung I mit den entsprechenden Sprechakten heraus. Text (2) Pulotu und Papatea Vorspann [019] I I ona fai atu lea Ό Pulotu: CCNJ say-away.fran that H Œ S Pulotu then Pulotu
said:
Rahmenhandlung 1.1 [033]
I
I
ona fai atu loa lea o Pulotu iä CCNJ say-away.fram directly that ERES Pulotu LD then Pulotu told Elo (Pulotu sprach
Elo Elo
zu Elo)
Rahmenhandlung 1.2 [083] ona fo'i loa lea Ό Elo CCNJ return directly that H Œ S Elo then Elo
returned
[084] i LD to
[085]
Pulotu underworld.Pulotu Pulotu
I
•ua faimai la Pulotu: „ia Elo..." PERF say^towards ABS.ençh Pulotu „well Elo.. Pulotu said (er wurde von Pulotu angesprochen):
"well, Elo... "
Textfunktionen
deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
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Rahmenhandlung 1.3 [106] ona toe fo ' i lea o Elo CCNJ again return that ERES Elo then Elo returned again [107]
I 'ae f aimai ia Pulotu "la and say^ towards ABS.ençh Pulotu „well
and Pulotu said (er wurde von Pulotu angesprochen):
"well
Das jeweilige Topik des Paragraphen ist durch den Präsentativ markiert. Es wechselt vom Herrscher Pulotu in den ersten beiden Ausschnitten (Vorspann, Rahmenhandlung 1.1) zu Elo in den beiden weiteren Ausschnitten (Rahmenhandlungen 1.2 und 1.3). Die Wahl der Direktionalpartikel verweist auf dieses Topik und setzt so das ,centre of interest' mal bei der SOURCE und mal beim GOAL des Sprechakts an. Bei Identität des Topik mit dem Agens wählt der Sprecher (fai)atu ,away, weg vom Topik (sprechen)'. Das Topik kann aber auch mit dem angesprochenen Partizipanten (Experiencer) identisch sein, dann verwendet der Erzähler die Partikel (fai)mai .towards, her zum Topik (sprechen)'. 3 1 Durch dieses Verfahren markiert der Erzähler sein Topik und dessen Kontinuität. Die Direktionapartikeln leisten im Sinne des .reference tracking' die Aufrechterhaltung des topikalen Partizipanten. 32 Insofern aber der Narrative Ort am Ort des topikalen Partizipanten anzusetzen ist, signalisieren die Partikeln gleichzeitig Raumkonstanz innerhalb des jeweiligen Paragraphen. Auf textueller Ebene bedeutet das, daß sich der vom Sprecher intendierte Paragraph aus der Kontinuität der beiden Komponenten Person und Ort konstituiert. Es ist also in situationsentbundenen, narrativen Texten eine Interaktion zwischen der Komponente Ort und der Komponente Person festzuhalten, die sich insbesondere darin zeigt, daß beide Komponenten in Hinblick auf die Kontinuität makrostruktureller Einheiten zusammenwirken.
5 Zusammenfassung
Die hier vorgestellten Beobachtungen und Analysen zur Makrostruktur narrativer Texte sehen sich als Detailstudien mit einer qualitativ-interpretativen Ausrichtung, die der „Thesen und Hypothesenge/7erz'erw«g" dienen (vgl. v. Stutterheim 1997: 80f.). Ihre Überprüfung an umfangreicherem Material steht noch aus. Ausgangspunkt war die Annahme, daß sprach-
31
32
Die deutsche Übersetzung kann dies am ehesten mit einer Passiv-Konstruktion nachbilden: ,er wurde angesprochen' vs. ,er sprach an/zu'. Die Frage, ob das Samoanische - unabhängig von dem hier besprochenen Phänomen - eine eigentliche Passiv-Konstruktion kennt, wird in den meisten Arbeiten, bis auf wenige Ausnahmen, verneint. Zu beachten ist beispielsweise auch, daß in den Textausschnitten 1.2 und 1.3 keine Anapher, etwa in pronominaler Form, das Diskurstopik Elo aufrechterhält.
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liehe Mittel der Lokalisierung als Enkodierung der Domäne Raum zur Diskursstrukturierung beitragen. Diese Annahme, so hoffe ich, im Laufe der Textanalysen gezeigt zu haben, hat sich bestätigt. Aufgezeigt werden konnte im speziellen, daß sich bei der Segmentierung von Texten in größere Einheiten auch auf raumbezogene, textuelle Einheiten wie Etablierung des Narrativen Ortes, Ortswechsel und Raumkonstanz zu stützen ist. Im Blickpunkt stand dabei die Raumkonstanz: Paragraphen als vom Sprecher intendierte Einheiten werden nicht nur aufgrund von Diskontinuitäten voneinander abgegrenzt, sondern auch aufgrund von Kontinuitäten konstituiert. Die Identifizierung von ,larger-than-sentence units' als Diskurseinheiten über (textstrukturierende) Prozesse, die innerhalb dieser Einheiten Geltung haben, hebt auch Hohepa für das Maori (polynesisch) hervor: What is being posited here is that there are processes in Maori which are contained within larger-than-sentence units which 1 identify here as discourse or paragraph units. (1981: 38) Einer dieser Prozesse betrifft die mit den samoanischen Partikeln verwandten Elemente mai und atu des Maori. Hohepa zeigt auf, wie diese Partikeln innerhalb von Paragraphen den „Sinn aufrechterhalten und Ambiguität minimieren, indem sie die notwendige Verbindung zu Referenten herstellen" (vgl. ebd.: 42). Dies ist eine der Funktionen, die auch fur die deiktischen Direktionalpartikeln des Samoanischen als Übergangsphänomen von Verortung zum Reference tracking' beobachtet wurde. Auch Tchekhoff (1990) betont in ihrer Studie abschließend, daß die Direktionalpartikeln zur Spezifität von Partizipanten einer Verbalhandlung beitragen - ein Beitrag, der aber nicht unabhängig von deren Verortung zu sehen ist: Moreover, and at the same time, the use of these directional adverbs also directly concerns the speaker's utterance itself: they give the picture a specific location in space and in the community's experience, (ebd.: 110) Die Narrative Szene ist innerhalb einer narrativen Struktur der Ort, der so spezifisch wie möglich gestaltet wird, um dem Zuhörer ein lebendiges Bild der Geschehnisse zu vermitteln. Der Sprecher trägt u.a. durch die Direktionalpartikeln zu der räumlichen Spezifik bei; diese sind damit ein Charakteristikum der Narrativen Szene und des Narrativen Orts als makrostrukturellen Einheiten. Hohepa geht in seinem Artikel über die ,Maori Narrative Structure' in Bezug auf die Funktion der postnuklearen Partikeln so weit, sie auch als Indikatoren der „attitude" des Erzählers zu bezeichnen: [...] they are also indicators of the position, movement and attitude of the storyteller or narrator. [...] There are many examples where similar use of particles would be inexplicable, where they would be seemlingly superfluous, unless the active participation of the person telling the story is understood or included, that is why the postposed particles are so important. (1981: 44f.) Hier wurde zwar nicht die Einstellung des Erzählers betrachtet, so doch sein Einfluß auf der Ebene einer diskursiven Tätigkeit, um in diesem Sinne die Relevanz lokaler Mittel für die Diskursstrukturierung zu verdeutlichen.
Textfunktionen
deiktischer
Direktionalpartikeln
im
Samoanischen
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Der Nutzen von Prozeßmodellen und Simulationen am Beispiel der Interpretation von Richtungspräpositionen
1 Einleitung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Nutzen von Prozeßmodellen und ihrer Evaluation durch Simulationen allgemein fiir eine psychologische Herangehensweise an die Erforschung natürlicher Sprache wissenschaftstheoretisch zu begründen und am Beispiel eines Modells der Interpretation von Richtungspräpositionen zu demonstrieren. Dabei werden alltägliche Lokalisationsäußerungen wie beispielsweise „Der Schlüssel liegt vor dem Auto" berücksichtigt (vgl. Abb. 1). Um eine solche Äußerung verstehen zu können, muß der Hörer die physikalischen Gegebenheiten der räumlichen Konstellation (siehe Abb. 1) intern rekonstruieren, da er wissen muß, wo sich das Auto und der Sprecher in bezug auf seine Position befinden, so daß er ausgehend vom Auto eine Richtung identifizieren kann, mit welcher z.B. links gemeint sein könnte. Bei der Interpretation einer solchen Lokalisationsäußerung muß sich der Hörer des weiteren entscheiden, ob er die Äußerung aus seiner eigenen Sicht, aus der Sicht des Sprechers oder aus der Sicht, welche er normalerweise in einem Auto einnimmt, verstehen möchte. Er hat somit die Wahl zwischen verschiedenen Perspektiven oder Bezugssystemen, aus denen heraus er den Raum entlang der ersten Horizontalen (mit den Polen vor und hinter) sowie der zweiten Horizontalen (mit den Polen links und rechts) dimensionieren kann (Grabowski 1999). Diese Perspektiven sind nicht in jeder sozialen Situation gleich attraktiv. So kann es bei einem Kind als Kommunikationspartner für den Hörer notwendig erscheinen, sich in dessen Perspektive hineinzuversetzen, während dies bei einem gleichgestellten Erwachsenen nicht der Fall ist. Es folgt, daß der Hörer neben der Repräsentation der sprachlichen und visuellen Information auch die soziale Situation berücksichtigen muß. Des weiteren sind Perspektivenprojektionen je nach Orientierung von egozentrischer und Fremdperspektive zueinander mit unterschiedlichem Aufwand verbunden (vgl. Abb. 1). „Der Schlüssel liegt vor dem A u t o ! "
Hörer
Abb. 1: Eine räumliche Konstellation bestehend aus einem Sprecher, einem Hörer und einem Auto, in bezug auf welches mit folgender Äußerung lokalisiert wird: „Der Schlüssel liegt vor dem Auto". Der Hörer hat dabei die Wahl, die Äußerung aus seiner eigenen egozentrischen Perspektive zu verstehen (,νοη mir aus gesehen vor dem Auto'), aus der partnerbezogenen Perspektive des Sprechers (,vom Sprecher aus gesehen vor dem Auto') oder aus der intrinsischen Perspektive des Autos (, vor der Vorderseite des Autos').
Die Gliederung des Beitrags ergibt sich aus diesen Überlegungen wie folgt. Als erstes wird eine sprachpsychologische Sichtweise auf Sprachverwendung, Bedeutung und Referenz als alternative Herangehensweise zu klassischen linguistischen Ansätzen angeführt. Für die
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Kessler
sprachpsychologische Herangehensweise ist eine Prozeßperspektive auf die Verwendung von Sprache durch natürliche Sprachbenutzer unter dem Aspekt der Manipulation interner Repräsentationen charakteristisch. Diese Sichtweise kann durch die Erstellung von Prozeßmodellen optimal umgesetzt werden, welche aufgrund der Komplexität des Gegenstandes nur durch eine konkrete Realisierung auf dem Computer und durch anschließende Simulationen auf unvorhergesehene Implikationen und interne Konsistenz hin evaluiert werden können (vgl. Schade 1999). Diese Überlegungen werden durch wissenschaftstheoretische Argumente basierend auf der Methodologie von Forschungsprogrammen nach Lakatos (1974) und basierend auf Prinzipien von Problemlöseprozessen nach Dörner (1987) untermauert. Die Fruchtbarkeit dieser abstrakten Ausführungen wird anschließend an einem lokalen rekurrenten konnektionistischen Computermodell der Interpretation von vor, hinter, links und rechts demonstriert. Als empirische Basis des Modells werden experimentelle Befunde zur Auswirkung der sozialen Situation auf den Rezeptionsprozeß von Richtungspräpositionen, Befunde zum kognitiven Aufwand bei Perspektivenprojektionen sowie neuropsychologische Ergebnisse zur Repräsentation räumlicher Information berichtet. An konkreten Simulationen des Modells kann demonstriert werden, daß die Befunde aus den beiden experimentellen Paradigmen einheitlich erklärt werden können und zu neuen empirischen Hypothesen führen, welche im nächsten Zyklus des Forschungsprogramms, in welches das Modell eingebunden ist, experimentell geprüft werden müssen. Durch die Demonstration des empirischen Gehalts des Modells ist die Progressivität des Forschungsprogramms und somit der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt gewährleistet. Durch dieses Beispiel kann wiederum allgemein die Fruchtbarkeit von Prozeßmodellen und ihrer Simulation bei der psychologischen Untersuchung natürlicher Sprache aufgezeigt werden.
2 Linguistik und Sprachpsychologie
Plakativ formuliert, beschäftigt sich die Sprachpsychologie mit der alltäglichen Verwendung von Sprache als Forschungsgegenstand. Von Interesse ist vor allem, unter welchen Umständen Sprachbenutzer eine bestimmte Art von Äußerungen produzieren bzw. auf welche Art sie diese Äußerungen verstehen. Theorien und Modelle in der Sprachpsychologie beschäftigen sich folglich mit dem Thema, wie von Sprecher/Hörersystemen interne Repräsentationen der aktuellen Situation, des Partners und der kommunikativen Ziele aufgebaut und verändert werden, so daß Sprachrezeption und -produktion situationsspezifisch ermöglicht werden (Herrmann/Grabowski 1994). Linguistik ist hingegen eine Disziplin, welche sich primär mit Sprache „an sich" beschäftigt. Das Forschungsinteresse gilt dem Aufbau von Einzelsprachen und dem Sprachenvergleich, um universelle Prinzipien menschlicher Sprachstruktur aufzudecken, unabhängig davon, wie konkrete Sprachbenutzer in konkreten Situationen mit Sprache umgehen (vgl. z.B. Vater 1991). Pointiert ausgedrückt, gilt das primäre Interesse der Linguistik der Sprachkompetenz eines idealen Sprecher/Hörers, während die Sprachpsychologie die empirisch beobachtbare Sprachperformanz untersucht (vgl. Herrmann 1997), eine Unterscheidung, die sich bereits bei De Saussure (1969) in der Trennung von „la langue" und „la parole" wiederfindet.
Der Nutzen von Prozeßmodellen
und
Simulationen
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Diese gegensätzlichen Positionen sind in der beschriebenen Reinform selten vorhanden. Es sind Disziplinen wie Pragmatik, Psycholinguistik und Kognitive Linguistik entstanden, die sich von linguistischer Seite dem tatsächlichen Sprachverhalten nähern. Sobald man sich jedoch der Sprachperformanz widmet, muß der Kontext einer Sprachäußerung berücksichtigt werden, so daß auch in der Linguistik nicht völlig von der Situation, wie sie der Sprachbenutzer wahrnimmt, abstrahiert werden kann. Auf der anderen Seite muß auch bei der Erklärung von situationsspezifischer Bedeutungsvariabilität von einem Bedeutungskern ausgegangen werden, wenn man nicht reines Einzelfallstudium betreiben will. Doch als wichtiges Unterscheidungskriterium der beiden Positionen kann die primär interessierende Struktur festgehalten werden: Entweder gilt das primäre Interesse der Struktur der Sprache oder der Struktur des Sprachbenutzers. Entweder geht der Kontext als abstrahierte situations· und individuenübergreifende Bedingungskonstellation in die unmittelbare Formalisierung von Bedeutung ein oder der Kontexteinfluß auf sprachliche Bedeutung wird als Prozeß innerhalb der formalisierten Struktur eines individuellen Systems aufgefaßt, wobei Bedeutungskerne Teil dieser individuellen Struktur in Form von Langzeitgedächtnisinhalten sind. Die Implikationen dieser beiden Positionen sind sehr verschieden. Im ersten Fall kann man problemlos von irgendwelchen Beschränkungen eines konkreten Sprachbenutzers abstrahieren. Worauf es ankommt, ist die formal konsistente Zuordnung zwischen Bedeutung und Bedingungen. Im zweiten Fall ist das Augenmerk auf den Anwender mit allen Schwächen und Fehlern gerichtet. Gerade die Berücksichtigung der Fehler ist es, welche die beiden Positionen am besten unterscheidet. Im ersten Fall werden sie aufgrund der Annahme eines idealisierten Sprachbenutzers mit maximaler Kompetenz ignoriert oder als Ausnahmen behandelt und bedürfen gesonderter Regeln. Sie können daher nicht erklärt sondern nur beschrieben werden. Im zweiten Fall geben sie Aufschluß über wichtige Systemeigenschaften, wie Kapazitätsbeschränkungen oder Interferenzmöglichkeiten, welche essentiell fìir die theoretische Rekonstruktion einer geeigneten Sprachbenutzerstruktur sind und stellen folglich eigentlich gar keine Fehler dar, sondern sind Teil der Systemeigenschaften. Bei einer angemessenen theoretischen Rekonstruktion können die Eigenschaften des realen Systems und damit auch die sogenannten Fehler erklärt werden. Dieser Gegensatz kann dadurch aufgelöst werden, daß bei der Betrachtung von situationsübergreifender Bedeutung verstärkt kognitive Erkenntnisse der allgemeinen Psychologie berücksichtigt werden, so daß die angesprochenen Systemeigenschaften des Menschen in Bedeutungsdefinitionen einfließen (z.B. Klein 1990; Landau/Jackendoff 1993). Eine solche Bestrebung ist auch bei Carstensen (in diesem Band) zu beobachten, der die Semantik lokaler Präpositionen auf eine sogenannte „räumliche aufmerksamkeitsbasierte Mikroperspektivierung" zurückführt. Der Begriff der Mikroperspektivierung wird in dem Beitrag von Carstensen hinreichend expliziert und soll hier nicht weiter verfolgt werden. An dieser Stelle ist von Bedeutung, daß die Semantik von lokalen Präpositionen durch kognitive und perzeptuelle Prozesse der Aufmerksamkeitssteuerung begründet wird, was der Forderung nach Berücksichtigung der menschlichen Systemeigenschaften bei der Betrachtung von Bedeutung nachkommt. Im Beitrag von Janzen/Katz (in diesem Band) stehen Wahrnehmungsprozesse im Fordergrund, um die sprachliche Differenzierung von Eigen- und Fremdbewegungen zu erklären. Des weiteren weist Vorwerg (in diesem Band) auf Eigenschaften des kognitiven Systems in Form von prototypischen Richtungen bei der Kategorisierung räumlicher Relation in einem beliebigen Bezugssystem hin. Im vorliegenden Beitrag wird von sprachpsychologischer Seite aus ein Vorschlag gemacht, wie die Interpreta-
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tion von Richtungspräpositionen der Ebene innerhalb eines konnektionistischen Modells basierend auf Erkenntnissen über menschliche Systemeigenschaften situationsübergreifend erklärt werden kann. Die Bedeutung dieser Präpositionen wird dadurch in einem dynamischen, kontextsensitiven und kognitiv adäquaten Rahmen festgelegt. Innerhalb der Linguistik setzt sich die Semantik mit der Bedeutung von Wörtern auseinander. Nach Vater (1991) ist eine Trennung von Wortbedeutung in „Referenz" und „Sinn" zu beobachten, welche bereits auf Frege (1892) zurückgeht und von anderen (z.B. Russell 1905; Strawson 1950) weiter entwickelt und von Lyons (1977) um den Begriff der „Denotation" erweitert wurde. Sinn ist dabei die situationsunabhängige Bedeutung des Wortes als Lexikoneinheit (Vater 1991). Referenz ist der Bezug eines Wortes in einer konkreten Situation auf ein Ereignis oder ein Objekt der physikalischen Welt. Nach Lyons (1977) ist der Bereich physikalischer Gegebenheiten, auf den mit einem Wort referiert werden kann, eingeschränkt. Durch einen sogenannten Denotationsbereich (Lyons 1977) wird die Menge physikalischer Ereignisse für ein Wort und somit sein „Referenzpotential" definiert. Dies bedeutet, daß die Entscheidung, wie Sprache zu gebrauchen ist, letztendlich durch die Sprache selbst getroffen wird, nicht durch den Sprachbenutzer. Es kann ein Beispiel anhand der Verwendung von Richtungspräpositionen gegeben werden. Retz-Schmidt (1988) merkt an, daß bestimmte Kombinationen zwischen intendiertem Objekt (zu lokalisierendes Objekt) und Relatum (Objekt in bezug auf welches sprachlich lokalisiert wird) nicht möglich seien. Beispielsweise würde niemand sagen, daß die Kathedrale hinter dem roten Fahrrad stehe. Dies ist jedoch eine Einschränkung die nicht aufrecht zu erhalten ist, wie ein Gegenbeispiel von Grabowski (1999) demonstriert: „Doch stelle man sich die Karikatur eines typischen Pärchens vor, das Paris besucht: Sie hat nur Augen für die kleinen ästhetischen Dinge des Lebens, er wandelt als Proponent der Kulturgeschichte umher; an jeder Straßenecke wird über die angemessene Zuteilung von Aufmerksamkeit gestritten. Sie, auf dem Platz vor Nôtre-Dame, entzückt: , Schau mal, da steht ein knallrotes Fahrrad!' - Er, vorwurfsvoll-indigniert: ,Und hinter dem roten Fahrrad steht die Kathedrale!' [...] Die Sprache ist es nicht, die bestimmte Objektrelationen ermöglicht oder ausschließt." (Grabowski
1999: 31) Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wird hier von einer Sichtweise von Raumreferenz ausgegangen, welche die zugrundeliegenden Repräsentationen sprachlicher Lokalisationsäußerungen als Repräsentationen potentieller Handlungen in verschiedenen räumlichen Bezugssystemen auffaßt, wobei ein egozentrisches, ein intrinsisches sowie ein partnerbezogenes Bezugssystem berücksichtigt werden. Die Betonung des handlungsrelevanten Aspekts sprachlicher Äußerungen ist im Sinne eines unmittelbaren Zugriffs von Äußerungen auf räumliche Repräsentationen des visuellen Systems innerhalb eines Sprecher/Hörers zur gemeinsamen Repräsentation potentieller Handlungen im Raum (beispielsweise Greif-, Such- oder Zeigebewegungen aber auch Sprechhandlungen; Kessler, 1998; vgl. auch Paillard, 1991 zur Handlungsbezogenheit räumlicher Repräsentationen) zu verstehen. Präpositionen wie vor, hinter, links und rechts sind dabei mit bestimmten perzeptuellen Gegebenheiten in einem dynamischen Sinne verbunden, d.h. die Instanziierung der Bedeutung einer Präposition ist unmittelbar von der internen Repräsentation der situativ vorhandenen räumlichen und sozialen Konstellationen im Sprecher/Hörer abhängig und als dynamischer Prozeß aufzufassen. Bevor diese Sichtweise von Raumreferenz durch experimentelle Befunde untermauert und in einem konnektionistischen Computermodell umge-
Der Nutzen von Prozeßmodellen und Simulationen
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setzt und simulativ evaluiert wird, bedarf es der wissenschaftstheoretischen Fundierung der Integration solcher Simulationsmodelle in den sprachpsychologischen Methodenkanon.
3 Der Nutzen von Simulationsmodellen im psychologischen Forschungskanon
Mit Lakatos (1974) u.a. (z.B. Albert 1975) können alle Versuche, die Wahrheit wissenschaftlicher Erkenntnis zu beweisen, als widerlegt angesehen werden. Prototypische Vertreter solcher Bestrebungen waren die sogenannten „Empiristen" (Lakatos 1974), welche versuchten, alle theoretischen Aussagen auf eine empirische Basis zu beziehen, die als objektiv gesichert angenommen wurde. Abgesehen von der Schwierigkeit, die absolute Objektivität einer Beobachtung zu gewährleisten, da jede wissenschaftliche Beobachtung von mindestens einer Meßtheorie abhängt (Lakatos 1974), scheitert diese Position allein schon aus logischen Gründen. Albert (1975) konnte das Scheitern jeglichen Versuches, die Wahrheit einer Aussage endgültig zu begründen, durch das sogenannte Münchhausen-Trilemma allgemein deutlich machen. Es besagt, daß einem Vertreter der Letztbegründung nur drei Wege offen stehen, welche gleich ungangbar sind. Der erste ist der unendliche Regreß, da eine Aussage immer durch eine weitere Aussage begründet werden muß, welche wiederum einer erneuten Begründung bedarf usw. ad infinitum. Der Abbruch dieses Prozesses an einer beliebigen Stelle endet im Dogmatismus, da eine nicht-begründete Aussage willkürlich als wahr angenommen wird. Die dritte Möglichkeit, eine Aussage unanfechtbar zu machen, ist die Zirkulariät der Begründung. Wenn man eine Aussage durch sich selbst begründet, vermeidet man zwar Dogmatismus und unendlichen Regreß, die Nachteile liegen jedoch auf der Hand: Jede Aussage kann unanfechtbar gemacht werden, ohne daß auch nur der geringste Erkenntnisfortschritt erzielt worden wäre. Die einzig tragbare Alternative zu den Bestrebungen der Letztbegründung ist nach Albert (1975) u.v.a. (z.B. Chalmers 1989; Lakatos 1974; Popper 1935) darin zu sehen, den hypothetischen Charakter jeglicher Erkenntnis zu akzeptieren. Diese Position ist als Fallibilismus bekannt (vgl. Lakatos 1974). Es stellt sich nun die Frage nach einem alternativen Kriterium, welches wissenschaftliche Erkenntnis definiert und anhand dessen wissenschaftlicher Fortschritt beurteilt werden kann. Wenn die Wahrheit einer Aussage nicht bewiesen werden kann, so kann evtl. ihre Falschheit bewiesen werden. Dies ist ebenfalls nicht zutreffend, da auch Falsifikatoren Aussagen darstellen und somit ihre Wahrheit nicht bewiesen werden kann. Bei Lakatos (1974) findet sich eine eingehende Darstellung der wichtigsten falsifikationistischen Ansätze (vgl. auch Chalmers 1989). Der dogmatische Falsifikationismus nimmt empirische Fakten als wahr und somit als unmittelbar falsifizierend an. Beim naiven methodologischen Falsifikationismus sind die potentiellen Falsifikatoren fallibilistisch konzipiert, da sie Basissätze darstellen, welche durch den Konsens der Wissenschaftsgemeinde aufgestellt werden. Erst der raffinierte methodologische Falsifikationismus stellt sich jedoch der Schwierigkeit, ein Kriterium für eine Falsifikation aufzustellen, indem konkurrierende Theorien miteinander verglichen werden. Der wesentliche neue Aspekt der letzten Version des Falsifikationismus liegt darin, daß sich der wissenschaftstheoretische Betrachtungsgegenstand von einer einzelnen Theorie hin zu einer Theorienreihe verlagert hat. Ist man an diesem Punkt der Überlegung angelangt, so stellt sich die Frage nach einer
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Methodologie von Forschungsprogrammen, also einer methodologischen Regelung von Theorienfolgen. Genau an dieser Stelle setzt die Konzeption von Lakatos (1974) an. Sie bietet einen Leitfaden, wie sowohl durch das Änderungsverbot bestimmter Kernannahmen (negative Heuristik) als auch durch die Regelung der Änderung von Annahmen in einem Schutzgürtel (positive Heuristik) eine progressive Theorienfolge erzielt werden kann. Ein entscheidender Aspekt der positiven Heuristik ist, daß eine Veränderung des Schutzgürtels durch ad-hoc-Annahmen unterbunden wird, dabei handelt es sich um Annahmen, welche nicht zu unabhängig (von den bisherigen Vorhersagen) prüfbaren empirischen Prognosen führen. Im Gegensatz zu den falsifikationistischen Ansätzen bietet der Ansatz von Lakatos einen sinnvollen Umgang mit widersprechenden empirischen Beobachtungen. Durch die Unantastbarkeit des harten Kerns innerhalb eines Programms und die Verlagerung der Modifikationen in den Schutzgürtel wird eine Kontinuität wissenschaftlicher Arbeit gewährleistet, welche bei den radikalen Umwälzungen eines reinen Falsifikationismus nicht möglich wäre (Chalmers 1989). An diesem Punkt stellt sich nun die Frage, wie sich die angeführten wissenschaftstheoretischen Überlegungen auf die Psychologie als spezielle Disziplin anwenden lassen. Der Nutzen liegt in erster Linie darin, daß bestimmte wissenschaftstheoretische Irrwege aufgezeigt werden konnten, welche der psychologische Forscher umgehen sollte (vgl. Herrmann 1977). Doch kann selbst die Konzeption von Lakatos nicht unmittelbar übernommen werden, da sie für psychologische Belange zu wenig spezifiziert ist. Es stellt sich dabei die Frage, inwieweit der Forschungsprozeß auch durch kognitive und wahrnehmungspsychologische Faktoren mitbestimmt wird und somit wiederum Forschungsgegenstand einer Wissenschaftspsychologie bzw. -sozialpsychologie sein sollte (Herrmann 1977). Popper (1934) wendet sich entschieden gegen einen „Psychologismus" der Wissenschaft, da sein Bestreben dem Auffinden einer „Logik" der Forschung gilt. Er verlagert die psychologischen Momente des Forschungsprozesses (deren Existenz er nicht leugnet) in den Prozeß der Theorien- und Hypothesen- Entwicklung, um dann diesen Teil des Forschungsprozesses als Gegenstand einer Erkenntnislogik kategorisch abzulehnen (Popper 1934). Andere Theoretiker wie Kuhn (1974) und Feyerabend (1974) betonen die psychologischen, wenn nicht gar irrationalen, Momente der Forschertätigkeit als ausschlaggebend für jede wissenschaftliche Entwicklung. Für die Betrachtung des praktischen psychologischen Forschungsprozesses sind beide Aspekte von Bedeutung. Erstens ist es ein wichtiges Bestreben, Prinzipien der Wissenschaftsentwicklung zu finden, welche möglichst unabhängig von momentanen psychologischen und sozialen Faktoren sind, so daß sie auch in hohem Maße normativen Charakter besitzen und somit wiederum die Forschungstätigkeit entgegen den psychologischen und sozialen Randbedingungen in Richtung Objektivität beeinflussen können. Zweitens ist es gerade aus psychologischer Sicht mindestens ebenso wichtig, das allgemeinpsychologische kognitive Instrumentarium des Menschen dabei zu berücksichtigen, wenn es um die Explikation der Essenz menschlicher Problemlöseaktivität geht: wissenschaftlicher Problemlösung (vgl. Herrmann 1987; zur Betrachtung wissenschaftlicher Tätigkeit als Lösen von Problemen Albert 1972, aber auch Popper 1960). Diese Betrachtungsweise hat eher explikativen Charakter und bietet die Möglichkeit allgemeinpsychologisches Wissen über Problemlöseprozesse auf die konkrete Forschungstätigkeit zu beziehen. Es kann mit Herrmann (1987) allgemein festgestellt werden, daß sich Probleme ähnlicher Komplexität wie wissenschaftliche Fragestellungen dadurch auszeichnen, daß sowohl der Zielzustand als auch der Weg, ihn zu erreichen, nicht klar definiert sind, so daß eine
Der Nutzen von Prozeßmodellen
und Simulationen
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dialektische Barriere bei solchen Problemen vorliegt. Die Lösung kann nur durch einen dialektischen Spiralprozeß erreicht werden, wobei abwechselnd ein Zielzustand entworfen wird, auf Widersprüche mit den realen Gegebenheiten geprüft und entsprechend verändert wird (Dörner 1987). Wissenschaftliche Probleme bestehen im allgemeinen darin, eine angemessene theoretische Rekonstruktion des interessierenden realen Systems zu finden (Schmidt 1985). Die Rekonstruktion des realen Systems wird dadurch erschwert, daß erstens reale Systeme offen sind, d.h. schwer abgrenzbar gegen ihre Umwelt, mit der sie in Interaktion stehen, und daß zweitens reale Systeme unbestimmt sind, was sich durch die Komplexität, die Vemetztheit, die Eigendynamik und die Intransparenz der realen Systemkomponenten ergibt (Dörner 1987). Diese Schwierigkeiten gelten um so mehr für den psychologischen Forschungsgegenstand, da der Mensch eines der komplexesten Systeme überhaupt darstellt (vgl. Gadenne 1984). Wenn innerhalb des psychologischen Forschungsprozesses der Unbestimmtheit des realen Systems nicht in Form komplexer Prozeßmodelle Rechnung getragen wird, sondern ausschließlich auf experimentelle und statistische Methoden zurückgegriffen wird, so kann die Forschungstätigkeit in einer Sackgasse verlaufen, wie Dörner eindrucksvoll in seinem Artikel „Die kleinen Grünen Schildkröten und die Methoden der Experimentellen Psychologie" (1989) demonstriert. Als wichtiges Hilfsmittel beim Teilprozeß der hypothetischen Rekonstruktion im psychologischen Forschungsprozeß wird daher von vielen Autoren explizit die Generierung von Computermodellen gefordert, welche innerhalb des dialektischen Spiralprozesses auf empirischen Befunden aufbauen, diese konsistent erklären und durch Simulationen zu neuen empirischen Hypothesen führen, welche im folgenden Zyklus des Spiralprozesses einer experimentellen Prüfung unterzogen werden, um wiederum zu Modelländerungen entsprechend den Ergebnissen zu führen (vgl. Dörner 1987; Gadenne 1984; Kessler 1998; Rickheit/Strohner 1993; Schade 1999; Thagard 1988 u.v.a.). Modelle stellen wie alle hypothetischen Rekonstruktionen eines realen Systems, eine Rückführung auf wesentliche Grundprinzipien und keine 1:1 Abbildung dar (z.B. Gadenne 1984). Daher sind nach Gadenne (1984) Vereinfachungen nicht als Schwäche, sondern als notwendige Eigenschaft zu sehen. Sie sind notwendig, um wesentliche Komponenten eines realen Systems zueinander in Beziehung zu setzen, um so zu einem handhabbaren Modell des zu rekonstruierenden Systems zu gelangen (vgl. Gadenne 1984; Schmidt 1985). Obwohl alle hypothetischen Rekonstruktionen - also auch Theorien - Abstraktionen darstellen, werden Modelle als Vorstufen bzw. als Instanzen von Theorien betrachtet (Dörner 1987), da bestimmte Annahmen bewußt zugunsten der Einfachheit unzureichend festgelegt werden, während Theorien einen allgemeingültigen Erklärungsanspruch vertreten (vgl. Gadenne 1984; Lakatos 1974; Schade 1999 und Schmidt 1985). Der Vorschlag der beschriebenen experimentell-simulativen Methode (Rickheit und Strohner 1993) kann durch die Methodologie von Forschungsprogrammen nach Lakatos (1974) auf eine wissenschaftstheoretische Basis gestellt werden. Wenn nun die Simulationsmodelle als geeignete Hilfsmittel, um mit der Intransparenz und Unbestimmtheit von Realitätsbereichen umgehen zu können, dennoch auf vereinfachenden Annahmen beruhen, welche dadurch, überspitzt formuliert, bereits vor jeglicher empirischen Prüfung erwiesenermaßen falsch sind, so würde beispielsweise ein dogmatischer Falsifikationist eine solche Herangehensweise niemals als wissenschaftlich bezeichnen (Chalmers 1989: 86; Lakatos 1974). Auch ein raffinierter methodologischer Falsifikationist hätte seine Schwierigkeiten, da sich der Vergleich zweier, von vorne herein falscher Modelle innerhalb seiner Metho-
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dologie als problematisch erweisen würde (Lakatos 1974). Erst das ordnende Prinzip der Methodologie von Forschungsprogrammen mit einem harten, unanzweifelbaren Kern (negative Heuristik) und mit einem modifizierbaren Schutzgürtel (positive Heuristik) bietet die Möglichkeit dafür, die sinnvoll erscheinende Herangehensweise in der Psychologie, nämlich die Annäherung an das reale System durch sukzessive, empiriegeleitete Modifikationen ,an sich falscher' Modelle, auf eine wissenschaftstheoretische Basis zu stellen. Dabei wird zusätzlich die Forderung nach theoretischem Pluralismus integriert, da der Forschungsprozeß erstens durch Modellkonkurrenz zwischen Programmen und zweitens durch Konkurrenz von Modellierungsalternativen innerhalb eines Programms maßgeblich beschleunigt werden kann (Kessler 1998). Durch die Offenheit, Intransparenz und Komplexität von realen Systemen und insbesondere des Menschen wurde die Notwendigkeit von Simulationsmodellen begründet. Die Aspekte des Nutzens lassen sich mit Thagard (1988) folgendermaßen spezifizieren: "There are at least three major gains that computer programs offer to cognitive psychology and computational philosophy of science: (1) computer science provides a systematic vocabulary for describing structures and mechanisms; (2) the implementation of ideas in a running program is a test of internal coherence; and (3) running the program can provide tests of foreseen and unforeseen consequences of hypotheses." (Thagard 1988: 4ff.)
Der letzte Punkt ist dabei von besonderem Interesse, da er den empirischen Gehalt eines Modells betrifft. Durch die Komplexität des zu untersuchenden Gegenstandes ist auch die hypothetische Rekonstruktion in Form von Computermodellen zu komplex, um allein durch deduktive Verfahren den gesamten empirischen Gehalt ermessen zu können (Schade 1999; Schmidt 1985). Daher bedarf es konkreter Simulationen, um das Modellverhalten unter Randbedingungen zu testen, so daß unvorhergesehene Konsequenzen der Modellannahmen offenbar werden, welche dann als gehaltvolle experimentelle Hypothesen formuliert werden können (Schade 1999).
4 Ein F o r s c h u n g s p r o g r a m m f ü r die Interpretation von Richtungspräpositionen
Der Gehalt der abstrakten Ausführungen in den vergangenen Abschnitten wird in diesem Beitrag an einem Zyklus der experimentell-simulativen Methode innerhalb eines Forschungsprogramms für die Interpretation von Richtungspräpositionen demonstriert. Die Kernannahmen des Programms, welche durch die negative Heuristik geschützt sind, umfassen erstens eine sprachpsychologische Grundhaltung (s.o. Abschnitt 2) zweitens eine dynamische Prozeßsichtweise (s.o. Abschnitt 2), drittens einen konnektionistischen Modellierungsansatz und viertens einen Richtungsansatz für die hypothetische Rekonstruktion der Rezeption von Richtungspräpositionen. Die sprachpsychologische Sichtweise von Bedeutung und Referenz wurde gegen eine linguistische Auffassung kontrastiert und hinsichtlich einer dynamischen Auffassung von Raumreferenz spezifiziert. Die dritte Annahme hängt wiederum mit der zweiten zusammen, da ein Prozeßmodell gemäß der Forderung nach Beschreibungsadäquatheit (Jacobs/Grainger 1994) die dynamischen Komponenten der Prozesse ebenfalls durch dynamisches Verhalten abbilden und erklären muß. Dadurch kommt
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und
Simulationen
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ein Modellierungsansatz mit statischen Strukturen nicht in Frage. Somit wird für das Forschungsprogramm das konnektionistische Paradigma ausgewählt, da durch rekurrente konnektionistische Netze wesentliche Aspekte der Dynamik, Komplexität und Vernetztheit kognitiver Phänomene modelliert werden können (z.B. Schade 1999; Van Gelder/Port 1995). Die vierte und letzte unangreifbare Annahme geht davon aus, daß man als Grundformat für die Interpretation von Richtungspräpositionen Richtungen verwenden sollte. Die Begründung dieser Wahl erfolgt im nächsten Abschnitt, wo neuropsychologische Evidenz für einen solchen Ansatz angeführt wird. In diesem Beitrag wird das umrissene Forschungsprogramm konkret umgesetzt, indem ein Simulationsmodell vorgestellt wird, welches auf besagten Kernannahmen sowie empirisch fundierten Grundannahmen beruht und durch Simulationen neue unerwartete Hypothesen liefert. Im nächsten Zyklus der geforderten experimentell-simulativen Methode, welcher jedoch nicht Teil dieses Beitrages ist, müssen die resultierenden Hypothesen empirischer Überprüfung ausgesetzt werden. Die Grundannahmen sind einerseits durch experimentelle Befunde motiviert, andererseits aus der Notwendigkeit erwachsen, eine konsistente Grundlage für das Modell zu schaffen. Sie werden in den beiden nächsten Abschnitten berichtet. Die Darstellung wichtiger Simulationen, mit denen das Modellverhalten evaluiert wurde, sowie der resultierenden Hypothesen ist Gegenstand des darauffolgenden Abschnitts.
5 Die empirische Basis des Modells
Wenn man wieder die Lokalisationsäußerung „Der Schlüssel liegt vor dem Auto" aus der Einleitung betrachtet (vgl. Abb. 1), so muß sich der Hörer im Verlaufe des Rezeptionsprozesses für ein Bezugssystem bzw. eine Perspektive entscheiden, unter welcher er den Raum dimensioniert (s.o. Abschnitt 1). In diesem Beispiel kommen für eine Interpretation die Hörerperspektive, die Sprecherperspektive oder die intrinsische Perspektive des Autos in Frage. Ob eine intrinsische Perspektive in bezug auf das Relatum eingenommen werden kann, hängt generell davon ab, ob das Objekt gerichtet ist. Es kann unterschiedliche Ursachen haben, weshalb einem Objekt eine Gerichtetheit zugesprochen wird. Beispielsweise kann ein Objekt anthropomorphe Merkmale aufweisen, so daß in Analogie zum Menschen eine Vorder- und eine Rückseite zugeschrieben werden kann (ein Beispiel dafür ist eine Puppe). Einer der wesentlichsten Faktoren für die Attribution einer Gerichtetheit ist jedoch der kanonische Umgang mit dem Objekt (Herrmann 1990). Dadurch, daß man in einem Auto eine bestimmte Position einnimmt und sich in einer bestimmten Art und Weise fortbewegt, werden dem Auto eine situationsüberdauernde Vorder- und Rückseite zugeschrieben. Der Aspekt konkurrierender Bezugssysteme wird in mehreren Beiträgen dieses Bandes von verschiedenen Standpunkten aus ebenfalls diskutiert (z.B. Carstensen; Hörnig et al.; Janzen/Katz; Vorwerg). Im Beitrag von Tappe spielt beispielsweise die Perspektivenwahl bei der Produktion von Wegbeschreibungen eine wesentliche Rolle. Bei solchen sprachlichen Äußerungssequenzen, welche im Gegensatz zum hier anvisierten Phänomenbereich als eher makroräumlich zu bezeichnen sind (vgl. Kessler 1998), spielt neben einem intrinsi-
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sehen und einem betrachterzentrierten (Hörer und Sprecher werden dabei nicht unterschieden) Bezugsrahmen auch eine allozentrische Perspektive eine Rolle, welche Objekte durch situationsunabhängige Relationen zueinander in Beziehung setzt (die Kirche ist südlich vom Rathaus). Die kanonische Gerichtetheit eines Relatums kann bei der Interpretation einer Lokalisationsäußerung zur Raumdimensionierung genutzt werden, was in den Experimenten von Grabowski (1999) eingesetzt wurde, um konkurrierende Perspektiven in zwei verschiedenen sozialen Kontexten zu untersuchen. Das experimentelle Setting stellte dabei eine Verkehrssituation dar. Es wurde ausschließlich die Rezeption von vor und hinter untersucht. Als Relatum wurde entweder ein Auto als kanonisch gerichtetes Objekt oder ein Baum als ungerichtetes Objekt verwendet. Der soziale Kontext wurde durch zwei verschiedene Instruktionen induziert. Die eine Hälfte der Versuchspersonen (Vpn) sollte sich die Verkehrssituation als Nachhauseweg mit einem Bekannten und die andere Hälfte als Fahrprüfung vorstellen. Diese Variation sollte eine formelle, institutionalisierte Situation mit einer informellen, privaten vergleichen. Im Falle eines gerichteten Relatums konkurrierten die intrinsische Perspektive des Relatums und eine gemeinsame Hörer/Sprecher-Perspektive miteinander, da Hörer und Sprecher koorientiert waren. Die wichtigsten Ergebnisse waren erstens, daß in einem informellen sozialen Kontext in bezug auf ein ungerichtetes Relatum aus einer Hörer/Sprecher-Perspektive heraus der Raum dimensioniert wurde, während in bezug auf ein gerichtetes Relatum keine eindeutige Entscheidung für eine der beiden konkurrierenden Perspektiven zu beobachten war. Zweitens wurde in einem formellen Kontext in bezug auf ein gerichtetes Relatum eine intrinsische Perspektive bevorzugt. Die Befunde, welche im Modell berücksichtigt werden mußten, waren folglich die Gerichtetheit des Relatums, welche tatsächlich eine kanonische Perspektive nahelegte und der soziale Kontext, welcher die Perspektivenauswahl beeinflußte.
Rotationswinkel
Abb. 2: Zusammenhang zwischen Reaktionszeit und Rotationswinkel bei mentaler Selbstrotation (nach Herrmann et al. 1991). In den Studien wurde ausschließlich der Aufwand einer Perspektivenprojektion für die Produktion von links und rechts untersucht. Dieser Aufwand bleibt konstant für Rotationswinkel unterhalb von 90° und steigt kontinuierlich an. In einigen Experimenten wurde ein quadratischer Anstieg oberhalb von 90° verzeichnet, in anderen wiederum ein linearer oder kubischer (Graf 1994).
Beispielhaft flir das zweite experimentelle Paradigma, dessen Befunde für das Rezeptionsmodell wesentlich sind, wird auf die Untersuchung von Herrmann et al. (1991) zum kognitiven Aufwand bei Perspektivenrotationen hingewiesen (s. Abb. 2). Im Gegensatz zu mentalen Objektrotationen nach Shepard/Cooper (1982), bei denen die Ansicht eines Objekts mental rotiert wird, ist es zur Bestimmung räumlicher Relationen zwischen Objekten aus einer rotierten Perspektive heraus effektiver, die eigene Perspektive in Form einer Selbstrotation der Fremdperspektive anzugleichen, um die egozentrische Raumdimensionierung auf die Fremdperspektive zu übertragen (Herrmann et al. 1991; Graf 1994). Der Unterschied zwischen einer Selbstrotation und einer Objektrotation findet sich im Verhältnis zwischen mentalem Aufwand und Rotationswinkel wieder. Während bei einer Objekt-
Der Nutzen von Prozeßmodellen und Simulationen
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rotation der Aufwand kontinuierlich mit dem Winkel ansteigt (Shepard/Cooper 1982), ist bei einer Selbstrotation erst bei 90° ein signifikanter Anstieg zu beobachten, welcher dann mit dem Rotationswinkel weiter zunimmt (s. Abb. 2). Als letzter Block empirischer Befunde, die es hier zu berücksichtigen gilt, werden neuropsychologische Ergebnisse zur Raumrepräsentation angeführt. Ein wichtiger Aspekt der Spezialisierung von Hirnarealen ist die strukturell getrennte Verarbeitung von Intra- und Interobjektinformation (Humphreys/Riddoch 1994), besser bekannt unter der Trennung in What- und Where- Pfade (vgl. z.B. Posner/Raichle 1994). Dies impliziert, daß Informationen, welche in verschiedenen Teilsystemen verarbeitet werden, gleichzeitig verarbeitet werden können, während Informationen, die das gleiche Subsystem benötigen, nacheinander verarbeitet werden. Für das Modell bedeutet dies, daß die Informationen aus den drei Bezugssystemen (Hörer-, Sprecher-, Relatumsystem) teilweise parallel verarbeitet werden, da eine kanonische Gerichtetheit Teil der Objekteigenschaften und im Intraobjektsystem zur Generierung einer Interpretation genutzt wird, während die räumliche Relation zwischen Sprecher und Relatum im Interobjektsystem verarbeitet werden kann. Für die Raumdimensionierung durch vor, hinter, links und rechts ist es essentiell festzustellen, wie Raumrelationen in neuronalen Systemen zur Handlungsplanung repräsentiert werden, weil davon ausgegangen wird, daß die Rezeption von Lokalisationsausdrücken unmittelbar auf räumliche Präpositionen zugreift und als Repräsentation potentieller Handlungen in verschiedenen Bezugssystemen (BS) zu verstehen ist (s.o. Abschnitt 2). Für diese Annahme besitzt das Prinzip der Populationsvektoren in Neuronenpopulationen des primären motorischen Kortex für Armbewegungen und im LIP-Areal zur Saccadensteuerung große Bedeutung, da der Populationskode die Richtung, der intendierten Handlung kodiert (Andersen 1996; Georgopoulos 1996). Folglich erscheint die Repräsentation von Lokalisationsausdrücken in Form von Richtungen plausibel. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, daß eine mentale Richtungsänderung durch die Rotation des Populationsvektors, also der repräsentierten Richtung, über alle dazwischen liegenden Instanzen realisiert wird und in unmittelbarem Zusammenhang mit mentaler Rotation steht (Georgopoulos 1996). Über kombinierte Repräsentationen in verschiedenen Neuronenpopulationen wird des weiteren die Verortung der systemeigenen Blickrichtung in bezug auf die Umgebung vorgenommen (z.B. Andersen 1996; Karnath et al. 1993). Dabei handelt sich um Neuronen, welche für zwei verschiedene Informationskanäle jeweils einen Tuningbereich haben, auf den sie maximal reagieren (Pouget/Sejnowski 1995). Dies können Kombinationen von Retinaposition mit Augenposition und -bewegung sowie mit Kopfposition und -bewegung sein. Die Blickrichtung des Systems wiederum stellt den Anker für die räumliche Verortung wahrgenommener Stimuli dar (z.B. Marr 1982).
6 Festlegungen für das Modell
Es kann festgestellt werden, daß Bedarf an einem Prozeßmodell besteht, welches die Prozesse der aktuellen Generierung einer Interpretation für eine rezipierte Richtungspräposition unter Berücksichtigung der perzeptuellen Gegebenheiten, der möglichen Perspektiven, der räumlichen Eigenschaften des Relatums, des sozialen Kontextes und des Rotationsauf-
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wandes implementiert und einheitlich zueinander in Beziehung setzt, da bisher kein Modell geschweige denn ein Forschungsprogramm mit einer derartigen Zielsetzung existiert (vgl. Kessler 1998). Der Beitrag von Vorwerg (in diesem Band) beschäftigt sich ebenfalls mit der Raumdimensionierung als Prozeß, wobei sich die beiden Ansätze ergänzen. Während hier die Dynamik der Konkurrenz verschiedener Bezugssysteme betrachtet wird, schlägt Vorwerg ein feiner aufgelöstes Modell für die Raumdimensionierung bei einem bereits feststehenden Bezugssystem vor. Im weiteren werden die Grundannahmen des Modells, welche aus den empirischen Befunden und benötigten Zusatzannahmen resultieren, kurz umrissen. Hierbei handelt es sich erstens um die Annahme, daß die Verarbeitung von räumlicher Information von der aktuellen Blickrichtung des verarbeitenden Systems abhängig ist. Zweitens wird bereits von der Kategorisierung des Rektums ausgegangen, d.h. Vorderund Rückseite sind aufgrund kategorialer Zugehörigkeit identifiziert worden. Drittens kann die primäre Extraktion von Richtungsrelationen aus der räumlichen Konstellation in drei Teilsystemen parallel stattfinden, d.h. bei einer Konstellation aus einem Sprecher, einem Hörer und einem Relatum, können die Richtungsrelationen parallel in einem egozentrischen einem Intra- und einem Interobjektsystem extrahiert werden. Viertens bedeuten Richtungsrelationen dabei die Richtungen, in welche die Achse eines gerichteten Relatums zeigt bzw. in welcher Richtung ausgehend vom Relatum der Sprecher positioniert ist (Abb. 3). Diese Richtungen werden dabei in Bezug zur Blickrichtung des Hörers verankert (s.o.). Die Raumdimensionierung anhand einer bestimmten Perspektive basiert im Weiteren auf diesen primären Richtungsrelationen, welche Ankerrichtungen genannt werden. Fünftens werden vor und hinter merkmalsbasiert durch die Asymmetrien der jeweiligen Perspektive hinsichtlich der ersten Horizontalen bestimmt. Die Pole der ersten Horizontalen gehen unmittelbar aus der jeweiligen Ankerrichtung hervor. Sprecher
GerichtetheU des Relatums Blickrichtung des Hörers
Abb. 3: Ankerrichtungen für Relatum-, Sprecher- und egozentrisches System. Da der Hörer das kognizierende System ist, werden die Ankerrichtungen für Relatum- und Sprechersystem zwar ausgehend vom Relatum, jedoch relativ zur Blickrichtung des Hörers bestimmt. Geographisch formuliert, kann man sagen, daß die Blickrichtung nach Norden weist, während die Achse des Relatums nach Südosten und die Relatum-Sprecher-Richtung nach Nordosten zeigt.
Sechstens wird angenommen, daß nur die Interpretation von Lokalisationen anhand von rechts und links eine Selbstrotation benötigt und zwar ausschließlich bei Winkelgraden ab 90°, wie es der Reaktionszeitsprung zwischen 60° und 90° nahelegt. Der Verlauf oberhalb von 90° gilt in seiner mathematischen Beschreibung als nicht gesichert und wird somit als streng monotoner Anstieg in seiner Grundform implementiert. Siebtens wird die Dimensionierung der zweiten Horizontalen unterhalb von 90° als Abweichung durch Überlappung zwischen Hörer- und Fremdperspektive bestimmt (s. Abb. 4).
Der Nutzen von Prozeßmodellen
*
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••·•· ν ν
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Psychologie' implizit vorliegt): Die postulierten Relationen sind zwar durch ihre Bezeichnungen direkt interpretierbar, es bleibt jedoch unklar, welche Eigenschaften sie aufweisen (bzw. durch welche Eigenschaften sie voneinander abgrenzbar sind) und, daraus folgend, welche Relationen zusätzlich als universal angenommen werden müssen bzw. welche nicht universal sein können (vgl. englisch on, deutsch bei, russisch na). Ein diesen Zirkel schließender, scheinbar naheliegender Schritt der unmittelbaren Assoziierung universeller räumlicher Prädikate mit sprachlichen Bezeichnungen ist daher gefährlich, wird aber explizit von Stiehl vollzogen: „Thus in the context of computational vision, spatial properties of objects and their spatiotemporal configurations lead to spatial relations [...] which may be labelled with attributes inhering geometrical and/or topological meaning. Evidently such a labelling implies attributes which fit easily and unambiguously into linguistic (!) categories such as ,left-of, ,adjacent', ,enclosed-by', etcetera."(Stiehl 1990: 93f) Die Problematik dieses von zirkulären Argumentationen durchzogenen multidisziplinären Forschungsgebiets, die vor allem aus übereinzelsprachlicher Perspektive unmittelbar auf der Hand liegt, wird gegenwärtig sogar von einigen Autoren eingeräumt: „while spatial relations are a basic (and essential) element of several theories of object representation, they have been characterized mainly in terms of their linguistic counterparts and without direct evidence about their organization" (Hayward/Tarr 1995: 40) Dieser Zirkel läßt sich nur durch eine transdisziplinäre kognitionswissenschaftliche Vorgehensweise durchbrechen, in der für die Untersuchung der Beziehung von Sprache und
Kai-Uwe Carstensen
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R a u m mehrere Disziplinen, bzw. deren relevante Erkenntnisse, gleichzeitig miteinander in Beziehung gesetzt und deren (Un-) Verträglichkeiten bei der Theoriebildung berücksichtigt w e r d e n (s. z . B . L a n d a u / J a c k e n d o f f 1993). A u f d i e s e W e i s e k ö n n e n k o n z e p t i o n e l l e Schwachstellen identifiziert und plausible Alternativen entwickelt werden. Die folgenden Ausführungen sind in diesem Sinn zu verstehen.
3 Die Semantik lokaler Präpositionen
Notationelle Varianten ungeachtet stellt (1) die gegenwärtig verbreitetste, weitgehend akzeptierte schematische Charakterisierung der Semantik lokaler Präpositionen dar. 3 (1)
Xy λχ [ LOK(x, PRAEP*(y)) & C(x, y)]
Sie besteht z u m einen aus einem rein-räumlichen Teil ( „ L O K ( x , P R A E P * ( y ) ) " ) , der die L o k a l i s i e r u n g d e s t h e m a t i s c h e n O b j e k t s χ in einer p r ä p o s i t i o n s s p e z i f i s c h e n R e g i o n bzgl. des Relatums y repräsentiert (im folgenden: „Regionslokalisierung"). Dieses Prädikat ist genau dann wahr, w e n n der Ort von χ in der betreffenden Region räumlich enthalten ist. 4 Z u m anderen weist (1) einen Bedingungsteil auf (,C(x, y ) ' ) , der durch f u n k t i o n a l e oder konzeptuelle Relationen w i e z.B. ,in_Kontakt_mit(x, y ) ' oder ,wird_unterstützt_durch(x, y ) ' instantiiert werden kann. Hierdurch läßt sich ausdrücken, d a ß die B e d e u t u n g lokaler Präpositionen auch von anderen als rein räumlichen Faktoren b e s t i m m t ist. D a ß dies notwendig ist, zeigt Abb. 1.
3
Ich beschäftige mich hier nur mit lokalen Präpositionen, durch die die räumliche Beziehung zweier Objekte zueinander als statische Gegebenheit ausgedrückt wird. Dynamische Präpositionen (wie z.B. ¡«[+AKK] und aw/I+AKK.]), die Aspekte von Pfaden charakterisieren (s. Kaufmann 1989, Wunderlich/Kaufmann 1990) sowie räumliche Adverbien, die syntaktisch nur ein Argument aufweisen (s. Wunderlich/ Herweg 1990, Klabunde, in diesem Band), werden nicht behandelt, ohne daß dies für die vorliegende Diskussion relevant ist. Formal wird räumliches Enthaltensein üblicherweise durch eine Inklusionsrelation von Raumpunktmengen modelliert. Zu einem zur Regionslokalisierung alternativen Ansatz, der auf einer Vektor-basierten Modellierung relativer Lage von Objekten basiert und der hier vertretenen Sichtweise am nächsten steht, s. Zwarts (1997).
Räumliche Mikroperspektivierung
und die Semantik lokaler
Präpositionen
241
Hier ist der Gebrauch von in als sprachlichem Ausdruck für die Beziehung der Fliege zum Glas rein räumlich lizensiert, da sich das thematische Objekt in einer per Hüllenbildung konstruierten Innenregion (gestrichelte Linien) befindet. Trotzdem ist „Die Fliege ist im Glas" in diesem Fall eine nicht-akzeptable Äußerung, so daß viele Autoren (vgl. Herskovits 1986, Aurnague/Vieu 1993, Coventry et al. 1994) einen funktionalen Aspekt des ,Enthaltenseins' als zusätzlichen wesentlichen Teil der Präpositionenbedeutung annehmen. Entsprechende Argumentationen finden sich für den Gebrauch anderer Präpositionen. Einige Beispiele fur mögliche semantische Einträge lokaler Präpositionen sind in (2) aufgeführt. (2)
an bei auf in
Xy λχ Xy λχ Xy λχ λy λχ
[ LOK(x, AN*(y)) [ LOK(x, BEI*(y)) [ LOK(x, AUF*(y)) [ LOK(x, IN*(y))
& in_Kontakt_mit(x, y)] & in_der_Nähe_von(x, y)] & wird_unterstützt_durch(x, y)] & ist_enthalten_in(x, y)]
Obwohl (1) also ein adäquates Schema der Semantik lokaler Präpositionen zu sein scheint, werde ich im folgenden versuchen zu zeigen, daß beide Bestandteile weder notwendig noch hinreichend sind. Hierzu werde ich demonstrieren, daß die räumlichen und funktionalen Aspekte, sowohl allein als auch in Kombination, problembehaftet sind.
3.1 Region und Regionslokalisierung In Carstensen (1994) habe ich bereits näher ausgeführt, daß es sich bei der Verwendung des Konzepts der Regionslokalisierung als Konstrukt zur Modellierung des rein räumlichen Bedeutungsanteils um eine Problemverschiebung handelt und daß es nur eine nicht-explanative Formalisierung einer linguistischen Metaaussage darstellt (z.B.: „an bedeutet: das Thema ist räumlich in einer Umgebung bzgl. des Relatums enthalten, die für die Präposition an charakteristisch ist"). Würde man das Konzept .Region' nämlich als ein explanatives Konstrukt auffassen, so ergäbe sich als erstes die Frage nach seinem ontologischen Status: Welche Regionen existieren, so daß sprachlich auf sie Bezug genommen werden kann? Beispiele wie (3), in denen das Explanans (die Knoten-relevante Innenregion des Schnürsenkels) zum Explanandum mutiert, zeigen, daß man mit dieser Frage letztendlich auf ein, m. A. nach unlösbares, Problem stößt. (3)
Knoten im Schnürsenkel
Neben dem ontologischen Problem wirft die Regionslokalisierung auch eines fur die Semantik auf: Gegeben eine Menge grundlegender Regionen, wie ist die Abbildung von räumlichen Präpositionen auf sie beschaffen? Insbesondere die Schwierigkeiten bei der Diskrimination von AN*- und BEI*-Regionen (Herweg 1991, Pribbenow 1993) zeigen, daß rein räumliche Aspekte ein zu schwaches Unterscheidungskriterium darstellen. An Ausdrücken wie (4) wird außerdem ein konzeptuelles Problem der Regionslokalisierung deutlich: Wird ausschließlich eine räumliche Domäne als Interpretationsbereich für räumliche Verwendungen der Präpositionen angenommen, so bleibt unklar, wie von ihrer Struktur abstrahiert werden kann, um übertragene Verwendungen zu erklären. (4)
Fehler im Algorithmus
Kai-Uwe Carstensen
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Zusätzlich zu inhaltlichen Problemen weist eine auf Regionslokalisierung basierende Analyse auch strukturelle Schwierigkeiten auf. Betrachtet m a n die K o m b i n i e r b a r k e i t von Distanzangaben mit räumlichen Präpositionalphrasen (s. Carstensen 1992), so treten auf der sprachlichen Ebene Kompatibilitätseffekte auf (s. (5)), die sich formal nicht erfassen lassen, da der Distanzmodifikator „blind" bzgl. des präpositionalen M o d i f i k a n d u m s ist. Die Lokalisierungsrelation in der Präpositionensemantik bewirkt hier eine Einkapselung diskriminativer Information, so daß als formale Darstellung der Modifikation nur die Unifikation der externen Variablen bleibt (s. (6)). In Carstensen (1992) habe ich j e d o c h u.a. anhand von Beispielen wie (5) gezeigt, daß ein Distanzmodifikator sensitiv bzgl. der modifizierten lokalen Relation sein muß. (5)
* 10 cm weit an/bei der Wand
(6)
MODIFIKATION: λχ [Modifikator(x)] MODIFIZIERT Xy [Modifikand(y)] Xy [Modifikator(y) & Modifikand(y)]
Zur Rechtfertigung von Regionslokalisierung in der Semantik lokaler Präpositionen lassen sich unterschiedliche A r g u m e n t e vorbringen, von denen einige im folgenden skizziert und kurz kommentiert werden: Regionen sind wesentliche konzeptuelle Kategorien („[...] there is nothing in the image (that w e can think of, anyway) that would correspond to the spatial notion of region (or, in fact, to the principal axis of a nonrotating sphere). But each of these - whether or not it is m a p p a b l e f r o m the image - must be encoded in spatial representation.", Landau/ Jackendoff 1993: 257). Dies m a g zwar stimmen, trotzdem sind Regionen deswegen nicht notwendigerweise essentielle Bestandteile lokaler Relationen. „Regionslokalisierung ist psychologisch motiviert" (s. obiges Zitat von Miller/JohnsonLaird). Tatsächlich basiert das Konzept auf der Betrachtung sich überlappender perzeptueller Regionen. Die Frage ist, gilt diese Betrachtung f ü r alle räumlichen Relationen? Miller/ Johnson-Laird selbst definieren nur eine T e i l m e n g e lokaler Präpositionen über Regionsinklusion. „Jeder Gegenstand hat charakteristische Umgebungen (die ihm teils inhärent zugehören, die wir teils durch unsere Perspektive auf den Gegenstand erzeugen). [...] Im Deutschen sind es bestimmte Präpositionen, mit deren Hilfe wir die Lokalisierung in einer dieser U m gebungen ausdrücken" (Wunderlich 1990: 45). Hier stellt sich die Frage, ob der Begriff der U m g e b u n g ( R e g i o n ) n o t w e n d i g ist b z w . ob die Lokalisierung eines L O bzgl. eines bestimmten A s p e k t s (z.B. „Seite") nicht ausreichend ist f ü r eine E r k l ä r u n g (zu einem V o r schlag hierfür s. u.).
,,[T]he role of locative prepositions is to define a subdomain of search relative to the landmark that defines the point of origin" (Miller/Johnson-Laird 1976: 405). Die hier enthaltene Sichtweise von Regionen als Suchgebieten ist vor allem im Bereich der Modellierung von Sprachverstehen ü b e r n o m m e n worden (vgl. z.B. P r i b b e n o w 1993). Präpositionen w e r d e n allerdings auch produziert. Dabei stellt sich einem sprachgenerierenden Subjekt eher ein A u s w a h l p r o b l e m zwischen v e r f ü g b a r e n R e f e r e n z o b j e k t e n als ein S u c h p r o b l e m bzgl. des T h e m a s . D i e S e m a n t i k als Schnittstelle des sprachlichen und k o n z e p t u e l l e n Systems sollte j e d o c h unspezifisch bzgl. der Verstehens-/ Produktionsperspektive sein, wo-
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Präpositionen
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durch sich Regionslokalisierung als unangemessen erweist. Entsprechend fragwürdig ist die LOK-Relation als Bestandteil der semantischen Form lokaler Präpositionen. 5
In der Semantik müssen Objekten thematische Rollen zugewiesen werden. Die Lokalisierungsrelation definiert zu lokalisierendes Objekt (LO) und Referenzobjekt (RO). Dies ist nicht korrekt. Die Rollenverteilung geschieht bereits durch die Hierarchie in der Argumentstruktur semantischer räumlicher Relationen im Z u s a m m e n h a n g mit der konzeptuellen Kennzeichnung des thematischen Elements: Danach ist das externe A r g u m e n t stets das Thema der Relation (LO), das interne entsprechend das Relatum (RO). Die Lokalisierungsrelation als rollendefinierendes Konstrukt ist somit überflüssig. Ich werde noch weitere Argumente gegen die Verwendung des Konzepts der Regionslokalisierung in der Semantik lokaler Präpositionen vorbringen. Zunächst will ich aber auf die Aspekte funktionaler Relationen in der Präpositionenbedeutung eingehen.
2.1 Funktionale Relationen Beispiele wie das in Abb. 1 dargestellte zeigen offenbar, daß funktionale Relationen eine wesentliche Rolle bei der Repräsentation sprachlich räumlicher Relationen spielen und daß rein räumliche Beziehungen nicht hinreichend sind, um sprachliche Raumkonzepte zu beschreiben. Untersuchungen zur Verwendung lokaler Präpositionen ergaben außerdem, daß räumliche Bezüge anscheinend auch nicht immer notwendig sind: Probanden verwendeten z.B. die Präposition in auch in bezug auf Konstellationen, in denen die räumliche Inklusionsbeziehung nicht galt (vgl. Coventry et al. 1994: 295). Inwieweit sind aber funktionale Relationen wirklich notwendig für die Präpositionensemantik? In bezug auf die Präposition in wird diese Frage von Coventry et al. (1994: 291) eindeutig beantwortet: Ihrer Ansicht nach ist funktionales Enthaltensein eine bzw. die essentielle Bedingung ((7)). (7)
in: functional containment—in is appropriate if the ground is conceived of as fulfilling its containment function
Wie bei dem Begriff .Region' stellt sich jedoch auch hier die Frage nach der Bedeutung des Explanans (hier: .Containment') und der Allgemeinheit seiner Anwendbarkeit. Ebenso wie die thematischen Objekte in (3) oder in (8a) kaum räumlich in einer Region „piaziert" sind, so kann man kaum davon sprechen, daß sie in ihren Referenzobjekten „enthalten" sind bzw. daß diese Objekte ein „Behältnis" darstellen. Ebenso verwundert es, daß funktionale Teil-Ganzes-Beziehungen (-abstraktes Enthaltensein?) teils durch in ausgedrückt werden (können) (8b), teils nicht (8c). (8) a. b. c.
5
Falte im Papier Sauerstoff in der Luft Ohren *in / am Kopf
Ein weiterer kritischer Aspekt dieser Sichtweise ist ihre Referenzobjektzentriertheit (RO als Ausgangspunkt der Regionenbildung). Ich werde unten eine allgemeinere Konzeption von Lokalisierung vorstellen, in der dieser Aspekt nur einen Spezialfall darstellt.
Kai-Uwe
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Carstensen
.Kontakt' ist eine gern verwendete funktionale Relation in der Semantik von an. Sie läßt sich insbesondere für den Ausschluß der Präposition bei in Fällen wie (10) sowie bei Kontaktverben (haften, kleben, befestigen usw.) heranziehen. Wie Herweg (1991) zeigt, wird durch an aber nicht ein räumlicher Kontakt (fehlende Lücke zwischen LO und RO) impliziert. Die funktionale Relation ist somit abstrakter: „ I M K O N T A K T M I T heißt dabei, daß kein relevanter Ort dazwischen ist, beispielsweise kein möglicher Ort eines Themas gleicher Art" (Klein 1991: 87; Hervorhebung von mir). Diese Charakterisierung weicht jedoch das an sich klar definierte Konzept auf und wirft eine neue Frage nach der Ausdehnung der Kontaktregion auf. Es lassen sich außerdem Situationen konstruieren (vgl. dazu auch Herweg 1991), in denen sich zwei kleine Objekte (z.B. zwei Haselnüsse) nur wenige Zentimeter voneinander entfernt befinden (ohne intervenierende weitere Objekte); trotzdem würde man diese Situationen nicht durch ein „aneinander", sondern eher durch ein „beieinander" oder „nebeneinander" ausdrücken. Warum, wenn doch das Kriterium für an perfekt erfüllt wird? 6 .Unterstützung' oder .Support' wird generell als semantischer Bestandteil von auf angesehen (z.B. Buschbeck-Wolf 1995: 113). Das LO von auf muß sich danach nicht nur in der ÜBER*-Region des RO befinden, sondern auch durch das RO unterstützt werden. Was aber bedeutet „Unterstützung", wenn das LO am RO befestigt (9a) oder ein Teil des RO (9b) ist? (9)
a. Etikett auf der Flasche b. Falten auf der Stirn
Funktionale Relationen werden schließlich auch zur Erklärung von Umdeutungen räumlicher Grundbedeutungen wie in (10a) verwendet („Im Falle von .unter' ist die Funktion so etwas wie .Verdecktsein, Schutz' [...] Die visuelle Deutung [...] ergibt sich aus der Blickrichtung. Wenn das Relatum in Blickrichtung liegt, dann sind jene Themata AUF dem Relatum, die man sehen kann, und jene Themata UNTER dem Relatum, die man nicht sehen kann, weil sie vom Relatum verdeckt werden", Klein 1991: 101). (10) a. Hemd unter der Jacke b. Jacke über dem Hemd Bei solchen Umdeutungen stellt sich die Frage nach der Motivation für die Verwendung einer spezifischen Präposition (warum wird über/unter verwendet, wenn bereits mit vor/ hinter ein sprachliches Inventar zur Verbalisierung der (visuellen) Verdeckungsrelation gegeben ist?) bzw. nach der Restriktion der Verwendbarkeit (warum ist bei frei im Raum schwebenden, sich verdeckenden (oder in Blickrichtung liegenden) Objekten über/ unter nicht anwendbar?). Viel konsequenter und auch plausibler wäre es dagegen, von konkreten Aspekten (im Fall von über/unter von der Vertikalen des Primären Orientierungsraums) zu abstrahieren als sie umzudeuten oder durch funktionale Aspekte zu ersetzen.
6
Meine Antwort auf diese oder ähnliche Fragen ist die, daß Aspekte der über die Wahrnehmung (aber auch über die Vorstellung) stattfindenden mentalen Präsentation einer räumlichen Konstellation eine wesentliche Rolle spielen, und zwar sowohl fur die Repräsentation räumlicher Relationen als auch für die Semantik räumlicher Ausdrücke.
Räumliche Mikroperspektivierung und die Semantik lokaler Präpositionen
245
3.3 Regionslokalisierung und funktionale Relationen Am Beispiel von an und bei läßt sich demonstrieren, daß die spezifische Zuordnung räumlicher und funktionaler Aspekte zur semantischen Form einzelnen Präpositionen überaus uneindeutig sein kann. Es lassen sich zunächst drei wesentliche, in (11) aufgeführte Ansätze identifizieren. (11) a. an: bei: b. an: bei: c. an: bei:
Kontakt(LO, RO) neg(Kontakt(LO, RO)) & LOK(LO, PROX(RO)) Kontakt(LO, RO) Nähe(LO, RO) LOK(LO, PROX(RO)) LOK(LO, PROX(RO)) & neg(Kontakt(LO, RO))
Die Ansätze stimmen grundsätzlich in der Auffassung darüber überein, daß für den Gebrauch von an aktualer Kontakt möglich, aber nicht notwendig ist. Entsprechend gehen Klein ( I I a ) und Pribbenow ( I I b ) jeweils von einer für an charakteristischen funktionalen Kontakt-Relation aus. Sie unterscheiden sich in der Charakterisierung von bei, für die Pribbenow ein spezifisches Nähe-Konzept ansetzt, während Klein den räumlichen Bereich dieser Präposition auf die Proximalregion des RO beschränkt und durch nicht vorliegenden Kontakt näher qualifiziert. Die implizite Annahme beider Ansätze, daß bei an eine geringere Distanz zwischen LO und RO vorliegt, wird von Herweg nicht geteilt: „[...] some may claim that the use of bei [...] suggests a somewhat greater distance [between LO and RO] than the use of an [...], but I would rather consider this as irrelevant to the semantic difference between these prepositions" (Herweg 1991: 3). Die beiden Präpositionen bilden in dieser Hinsicht ein skalares Paar , in dem der Gebrauch des schwächeren Elements (an) das NichtVorliegen der spezifischen Eigenschaften des anderen Elements konversationell impliziert. Die Intuition, daß den Präpositionen verschieden große räumliche Distanzbereiche zugeordnet sind, ist danach auf ein pragmatisches Phänomen zurückzuführen: bei wird verwendet, wenn nicht-vorhandener Kontakt betont werden soll. Dies geschieht vorwiegend dann, wenn LO und RO eine größere Distanz aufweisen. Entsprechend wird durch an als DefaultRelation eine geringere Distanz ausgedrückt. Es wird deutlich, daß sich zu den Unklarheiten in bezug auf die einzelnen Bedeutungsbestandteile lokaler Präpositionen die über ihre Kombination gesellen. Zudem bleiben selbst in der Summe dieser Ansätze einige empirische Fragen offen. Wie erklärt sich zum Beispiel die Inakzeptabilität der Sätze in (12)? (12) a. Norderstedt ist bei/§an Hamburg b. Maria liegt bei/§an Peter Obwohl in beiden Sätzen unmittelbare Nähe von LO und RO vorliegt und sogar Kontakt nicht auszuschließen ist (in jedem Fall nicht negiert werden soll), muß, entgegen dem Defaultstatus von an, bei verwendet werden. Umgekehrt ist es in Sätzen wie (13) auch mit kontrastiver Intonation offenbar nicht möglich, den Defaultstatus von an zu überschreiben (um sich z.B. als Iniandbewohner von Küstenbewohnern abzugrenzen). (13) ?Ich lebe nicht AM Meer, ich lebe BEIM Meer
Kai-Uwe
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Carstensen
Ausdrücke wie in (14) haben bislang kaum eine eingehende Berücksichtigung in der Diskussion um die Semantik von an und bei gefunden (vgl. aber Li 1994). Sie zeigen, daß eine auffallige Korrelation des Gebrauchs von an mit räumlichen Nomina als ROs besteht, die einen Teil eines Objekts bezeichnen, der als Begrenzung des Objekts kategorisierbar ist. (14) a. b. c. d. e.
am/?beim Ende der Straße am/?beim Rand der Straße/des Flusses/des Sees/des Tisches an/?bei der Straßenecke an/?bei der Spitze des Zuges an/?bei der Küste/Wand
Dies deutet darauf hin, daß jenseits rein räumlicher und/oder funktionaler Aspekte weitere bzw. andere Kriterien eine wesentliche Rolle in der Semantik lokaler Präpositionen spielen. Bzgl. an und bei werde ich weiter unten vorschlagen, daß dies Unterschiede in der Wahrnehmung bzw. Konzeptualisierung von Objekten sind (Ganzobjekt- vs. Teilobjektkonzeptualisierung), die zum Teil vom Typ des RO, zum Teil von der LO-RO-Konstellation determiniert werden. Die hier durchgeführten Erörterungen zur Rolle von Regionslokalisierung und funktionalen Relationen in der Präpositionensemantik haben gezeigt, daß beide postulierten Bedeutungsbestandteile, sowohl einzeln als auch in Kombination, defizitär sind, da sie zum Teil vorhandene Probleme nur verschieben, zum Teil sogar neue Probleme aufwerfen, und dabei nicht einmal alle der im zu erklärenden Kernbereich liegenden sprachlichen Phänomene behandeln. In bezug auf den räumlichen Aspekt läßt sich dies meiner Ansicht nach darauf zurückführen, daß der Begriff der .Lokalisierung' ausschließlich in der Domäne räumlicher Regionen interpretiert wird und daß durchweg eine interpretative Sicht räumlicher Semantik eingenommen wird. Dies wirft zum einen die Frage auf, ob die fur die Raumsemantik relevanten Aspekte räumlicher Repräsentationen tatsächlich auf die Ebene der Raumregionen reduziert werden dürfen, und zum anderen, welche Aspekte sich aus Generierungssicht als relevant erweisen. In bezug auf den ersten Punkt werde ich zeigen, daß sprachlich vermittelte .Lokalisierung' als mentale Präsentation verstanden werden muß, die sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Aspekte räumlicher Repräsentationen ergibt, und in bezug auf den zweiten, daß zwischen „impliziten" und aufmerksamkeitsbasierten „expliziten" räumlichen Relationen unterschieden werden muß.
4 Grundlagen einer kognitiven Semantik lokaler Präpositionen
4.1 Lokalisierung als mentale Präsentation: Eine Alternative zur Regionslokalisierung Ist es wirklich notwendig, die sprachliche Vermittlung von Lageinformation mit Hilfe von Regionslokalisierung zu modellieren? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß eine solche Auffassung wesentlich auf der Annahme einer uniformen, „absolut" gegebenen räumlichen Domäne (mit einem impliziten absoluten Maßstab) basiert, in der die Position des LO
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Präpositionen
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relativ zu einem Referenzobjekt durch Regionsinklusion bestimmt werden muß, und weiterhin auf der Annahme, daß genau diese Information sprachlich vermittelt werden muß. Prinzipiell läßt sich jedoch eine Alternative zu dieser Auffassung konzipieren, die nicht einen impliziten „god's eye's view" enthält, sondern die auf dem spezifischen Zusammenspiel der Komponenten des kognitiven Systems (Langzeitgedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit) beruht. Diese Alternative beruht auf der Annahme, daß die Präsentation einer Objektkonstellation im Arbeitsgedächtnis („working memory", spezifischer: im „visuo-spatial scratchpad", s. Baddeley 1992) unter bestimmten Voraussetzungen die Grundlage für sprachliche Lokalisierung darstellt. Hierbei ist entscheidend, daß Menschen - wie Kosslyn (1978) gezeigt hat - Wissen über typische Objektgrößen (und dem entsprechenden Maßstab in mentalen Bildern) haben und dieses Wissen z.B. für distanzabhängige Skalierungen flexibel einsetzen können (s. auch Cave/Kosslyn 1989). Die Vermittlung von Lageinformation ist nach dieser alternativen Konzeption - ich nenne sie im folgenden die .Lokalisierung als mentale Präsentation' (LamP)-Konzeption - durch die Übertragung qualitativer Aspekte einer Wahrnehmungssituation charakterisiert, die z.B. durch die Beschränktheit der Präsentation im Arbeitsgedächtnis, die „direkte" Beziehung von LO und RO sowie durch die spezifische Auswahl des RO bestimmt werden. Für die Darstellung einer zunächst provisorischen Version von LamP lassen sich die folgenden zwei Prinzipien formulieren: Ein Konzeptualisierungsprinzip (15), das die Instantiierung einer Relation im Arbeitsgedächtnis regelt und so die Voraussetzung für die Konstruktion eines adäquaten (nicht-beliebigen) Modells beim Hörer schafft und ein Lokalisierungsprinzip ((16), s. Li 1994: 117), das die Auswahl eines geeigneten Relatums und somit einer angemessenen Relation regelt. (15) Konzeptualisierungsprinzip Beide Argumente einer im räumlichen Medium instantiierten Relation müssen gleichzeitig in dieses Medium passen und entsprechend „sichtbar" (d.h., als Instanzen ihres Typs kategorisierbar) sein. Hierfür ist gegebenenfalls das Medium angemessen zu skalieren. Die Positionierung der Objekte in dem Medium wird durch Wissen über die Objektgröße sowie typische Beziehungen zu anderen Objekten beeinflußt. (16) Lokalisierungsprinzip Das LO ist nur in Relation zu dem am nächsten befindlichen prominenten (d.h. im jeweiligen Kontext relevanten) Objekt zu lokalisieren. Die Wirkungsweise dieser Prinzipien läßt sich am Beispiel einer einfachen, hypothetischen sprachlichen Relation (nennen wir sie simplok) verdeutlichen. Gehen wir davon aus, daß simplok die in (17) charakterisierte Relation ausdrückt, durch die das Hinzufügen eines Objekts y zu einem Objekt χ im Arbeitsgedächtnis - wobei y vollständig sichtbar sein soll - charakterisiert ist. Mithilfe dieser sprachlichen Relation läßt sich jetzt die Frage in (18a) auf einfache Weise z.B. durch die Antworten (18b-d) beantworten. (17) simplok:
(18) a. b. c. d.
Wo Die Die Die
XyXx[
als_Ganzes_sichtbar(x) & zum_Arbeitsspeicher_hinzugefügt(y) & als_Ganzes_sichtbar(y)]
ist die Lupe? Lupe ist simplok des Notebooks. Lupe ist simplok des Bleistifts Lupe ist simplok der Tanne
Kai-Uwe
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a.
lo
b.
Carstensen
c.
Abb. 2: Einfluß des Referenzobjekts auf die Skalierung der mentalen Vorstellung Wie Abb. 2 zeigt, führt die Auswahl unterschiedlicher Referenzobjekte gemäß dem Lokalisierungsprinzip mit Hilfe des Konzeptualisierungsprinzips zur Vermittlung von (jeweils variierender) Lageinformation, ohne auf Regionslokalisierung rekurrieren zu müssen. Die Charakterisierung räumlicher Lage erfolgt größtenteils indirekt durch das Zusammenspiel qualitativ repräsentierter Aspekte (s. 17) und einem begrenzten räumlichen Medium - im Gegensatz zu direkter und rein räumlicher Charakterisierung anhand von Regionsinklusion. Mithilfe der beiden Prinzipien wird es einem Hörer gelingen, die Lage des LO zu rekonstruieren. Ich behaupte und werde weiter unten versuchen zu zeigen, daß diese einfache Konzeption verallgemeinert werden kann, und daß die Semantik räumlicher Ausdrücke auf der Grundlage einer verallgemeinerten LamP-Konzeption unter Berücksichtigung einer Unterscheidung expliziter und impliziter räumlicher Relationen zu modellieren ist.
4.2 Die Unterscheidung expliziter und impliziter räumlicher Relationen Auf der Grundlage ihrer Untersuchungen zu räumlicher Kognition im Bereich des Sprachelernens und der Sprachentwicklung schlagen Olson/Bialystok (1983) vor, zwischen „expliziten" und „impliziten" (räumlichen) Relationen zu unterscheiden. Das Beispiel, an dem sie die Notwendigkeit dieser Unterscheidung verdeutlichen, ist das folgende. Kinder sind offenbar schon frühzeitig in der Lage, bestimmte Objekte als „lollipop" zu kategorisieren. Dies erfordert unter anderem die Identifikation einer spezifischen Relation zwischen einem .RUNDEN DING' und einem .LÄNGLICHEN DING'. Während die Kinder also für die Kategorisierung auf eine solche implizite Relation zugreifen können, steht ihnen diese Relation aber nicht notwendigerweise explizit für Operationen des Denkens und Sprechens zur Verfügung. Diese Unterscheidung findet sich in neueren Arbeiten zur visuell-räumlichen Wahrnehmung wieder. Hier läßt sie sich am besten anhand einer aktuell diskutierten Frage motivieren: Wie kommt es, daß aufgrund psychophysiologischer Untersuchungen zwar offenbar zwischen sogenannten „what"- und „where"-Aspekten in der Wahrnehmung unterschieden
Räumliche Mikroperspektivierung und die Semantik lokaler Präpositionen
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werden muß (Ungerleider/Mishkin 1982) 7 , daß aber Objekte (wie z.B. Gesichter) gerade auch durch räumliche Aspekte definiert sind (z.B. die Lage der Augen relativ zu Mund und Nase)? Eine Antwort hierauf wird durch die Berücksichtigung der explizit/implizit-Dichotomie möglich und findet sich am klarsten bei Kosslyn formuliert: „Although the [what] system cannot represent explicit spatial relations, it must be able to represent implicit spatial relations; such relations are inherent in any pattern" (Kosslyn 1994: 421). Was aber sind explizite räumliche Relationen und wie werden sie gebildet? Schon Olson/Bialystok wiesen dem Konstrukt Aufmerksamkeit eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang zu, wenn auch in anderer Weise als heute üblich. 8 Die hier vertretene Auffassung zu dieser Thematik, die mehr an die jüngeren Erkenntnisse der Aufmerksamkeitspsychologie angelehnt ist, läßt sich anhand der Abb. 3 veranschaulichen.
O
a.
b.
c.
Abb. 3: Implizite und explizite Relationen Offensichtlich besteht zwischen den beiden in Abb. 3a abgebildeten Objekten eine (implizite) räumliche Relation. Dieselben Objekte sowie ihre Relation finden sich auch in Abb. 3b. Wie aber unmittelbar deutlich wird, bedingt die Gegebenheit der impliziten Relation hier nicht deren unmittelbare Verfügbarkeit für den Betrachter. Tatsächlich ist es also notwendig, diese Relation erst zu konstruieren. Die Aufmerksamkeitsforschung zeigt (Theeuwes 1993), daß zwischen einer Ebene paralleler Vorverarbeitung verschiedener Aspekte des visuellen Feldes einerseits und einer Stufe serieller attentionaler Selektion andererseits unterschieden werden muß. Objekte in einem visuell-räumlichen Medium (dem „visual buffer" Kosslyns) werden also eines nach dem anderen für die weitere/höhere kognitive Verarbeitung (z.B. die Objekterkennung) ausgewählt (Abb. 3c). Auf was genau zu einem bestimmten Zeitpunkt die Aufmerksamkeit gerichtet wird, hängt sowohl von den Eigenschaften der vorliegenden (vorverarbeiteten) Entitäten ( - » „bottom up"-Aspekt) als auch von gespeicherten Mustern der Aufmerksamkeitszuwendung (sog. „attentional templates", —> „top down"-Aspekt) ab. Die bottom-upVerarbeitung wird dabei von zwei Prinzipien geleitet: Erstens, Diskontinuitäten in dem Medium ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und bestimmen so saliente Entitäten (dies können begrenzte Merkmalsregionen („blobs") oder Begrenzungen solcher Regionen sein);
7
8
Hiermit ist die nachweislich unterschiedliche Lokalisierung der Repräsentation und Verarbeitung von Objektinformation (what) und der Repräsentation und Verarbeitung von Rauminformation (where) gemeint (s. hierzu Ungerleider/Mishkin 1982). Insbesondere gingen sie davon aus, daß die gesamte Relation (als propositionale Struktur) implizit vorliegt und durch Aufmerksamkeit nur in den Status der Explizitheit „gehoben" wird.
250
Kai-Uwe
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zweitens, die unmittelbare Rückkehr zu gerade attendierten Objekten/Orten wird durch einen Inhibitionsmechanismus (sog. „inhibition of return") verhindert. Räumliche Aufmerksamkeitswechsel sind eine notwendige Bedingung für die Etablierung expliziter räumlicher Relationen („Computing relations requires directing attention", Logan 1995: 163). Dies wird durch ein Experiment bestätigt, in dem Versuchspersonen bzgl. eines Displays mit zwei Kurven und zwei „X" entscheiden müssen, ob die zwei „X" auf einer Kurve liegen. Das Resultat des entsprechenden von Jolicoeur und Kollegen durchgeführten Experiments beschreibt Ullman wie folgt: „the time to detect that the two X's lay on the same curve increased monotonically, and roughly linearly, with the separation along the curve. This result suggests the use of a tracing operation, at an average speed of about 24 msec per degree of visual angle. The short presentation time (250 msec) precluded the tracing of the curve using eye movements, hence the tracing must be performed internally" (Ullman 1984: 569). Ullman betont, daß die Aufgabe subjektiv ohne Aufwand zu bewältigen war. Als die Versuchspersonen befragt wurden, wie sie die Aufgabe durchgeführt hatten, wurde vorwiegend geantwortet, daß sie „einfach sahen", ob zwei „X" auf einer oder auf verschiedenen Kurven lagen. Keine der Personen berichtete von einem „scanning" entlang einer Kurve, um zur Entscheidung zu gelangen. Neben dieser Art raumbasierter Aufmerksamkeit existiert außerdem die sogenannte objektbasierte Aufmerksamkeit, mit der die Aufmerksamkeitszuwendung auf Objekte gemeint ist, unabhängig von deren Position im Raum (Kahneman/Treisman 1992, Behrmann/Tipper 1994). Daß Aufmerksamkeitswechsel essentiell fur die Etablierung expliziter Relationen sind, wird insbesondere durch pathologische Fälle wie objektbasierten Neglekt bestätigt. Patienten mit dieser Störung können in bezug auf ein Display wie Abb. 3a nur jeweils ein Objekt erkennen. Sie verfugen zwar über ein intaktes visuelles Feld, sind jedoch nicht in der Lage, andere Objekte als das gerade attendierte zu sehen, d.h. einen Aufmerksamkeitswechsel in irgendeine Richtung (bzw. zu einem anderen Objekt) durchzufuhren. Allport erwähnt den Fall eines Patienten, der beim Anzünden einer Zigarette sogar die wenige Zentimeter entfernte angebotene Flamme nicht wahrnehmen konnte, da seine Augen auf die Zigarette fixiert waren (Allport 1993: 199).
4.3 Aufmerksamkeit und die Semantik räumlicher Ausdrücke Für die Raumsemantik bedeutet dies zunächst, daß ein wesentlicher Aspekt räumlicher Relationen bislang nicht berücksichtigt wurde. Sprachliche räumliche Relationen setzen notwendigerweise explizite, auf den Wechseln selektiver Aufmerksamkeit basierende Relationen voraus. Regionslokalisierung basiert hingegen auf einer Beziehung zwischen Entitäten einer räumlichen Domäne, die nicht auf dem Konstrukt der Aufmerksamkeit beruht und die somit als implizite Relation gekennzeichnet ist. Ein weiteres Merkmal expliziter Relationen wird durch Abb. 3c verdeutlicht. Eine implizite räumliche Relation zwischen zwei Objekten kann auf zwei verschiedene Weisen expliziert werden, je nachdem, welches Objekt den Ursprung bzw. das Ziel des Wechsels darstellt. Mit anderen Worten, höheren kognitiven Prozessen können prinzipiell zwei verschiedene Sichtweisen oder Perspektiven einer bestimmten räumlichen Konstellation zur Verfu-
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gung gestellt werden. Ich werde aus diesem Grund die Etablierung von expliziten Relationen als räumliche Mikroperspektivierung und die jeweiligen expliziten Relationen auch als räumliche Mikroperspektiven bezeichnen. Mit dem Präfix „Mikro" wird einerseits eine Abgrenzung von dem im räumlichen Bereich dominanten Begriff der Perspektivierung (im Sinne der Betrachterperspektive) geleistet (vgl. hierzu Tversky 1996). Andererseits kennzeichnet sie die Etablierung expliziter räumlicher Relationen aus Sicht der Sprachproduktion als zur Phase der „Mikroplanung" (Levelt 1989, s.a. Carroll, in diesem Band) gehörig (genauer handelt es sich bei der Mikroperspektivierung um Mikro-Mikroplanung, bei der Aufmerksamkeit als perspektivierende Linearisierungsoperation wirkt).
4.4 Repräsentation räumlicher Mikroperspektiven Für die Unterscheidung räumlicher Mikroperspektiven sind eine Reihe von Parametern relevant, die hier kurz beschrieben werden sollen. Aspekte des Aufmerksamkeitswechsels. Aufmerksamkeitswechsel als zweistellige Relationen weisen grundsätzlich eine inhärente Asymmetrie auf: Ein Argument des Wechsels fungiert als Ursprung, das andere als Ziel. Anders als in bisherigen Ansätzen lassen sich einer impliziten räumlichen Relationen daher prinzipiell zwei Mikroperspektiven zuordnen, je nachdem welches Argument welche Rolle einnimmt. Einem Wechsel zwischen konzeptuellen Objekten können dabei auf der räumlichen Ebene unterschiedliche Operationen zugeordnet sein: Einerseits eine Verschiebung des räumlichen Fokus der Aufmerksamkeit (shift); andererseits eine Veränderung der Auflösung im Bereich des Aufmerksamkeitsfokus (zoomin, zoomout). Außerdem ist es möglich, daß ein konzeptueller, aber kein räumlicher Wechsel vorliegt (ich werde hierauf zurückkommen). Räumliche Objekteigenschaften. Räumliche Aufmerksamkeit richtet sich auf saliente Diskontinuitäten im (visuell-)räumlichen Medium. Die attendierten räumlichen Entitäten können dabei von unterschiedlichem Typ sein: Entitäten, die als Ganzes attendiert werden (blob), ebenso wie Gruppen solcher räumlichen Objekte (blobs), und Begrenzungen räumlicher Objekte (boundaries) (wenn die Entitäten nicht als Ganzes im Aufmerksamkeitsfokus liegen). Diese Typen repräsentieren qualitative Aspekte der Objektwahrnehmung. Aus der umgekehrten Verarbeitungsrichtung (Generierung von Vorstellungen, Imagination) betrachtet stellen sie unterschiedliche qualitative Möglichkeiten der Konzeptualisierung räumlicher Objekte dar. Referenzrichtung bzw. Referenzpolarität. Mikroperspektiven weisen auf der konzeptuellen Ebene eine zusätzliche Asymmetrie auf: Eines der beiden Argumente der expliziten Relation ist (durch die zugrunde liegende Quaestio, s. Klein/v. Stutterheim 1987) als thematisch gekennzeichnet, das andere fungiert als Referenzobjekt. Somit ergeben sich prinzipiell zwei Möglichkeiten der Zuordnung. Zum einen kann das Ziel thematisch sein. Dieser Fall, der in der Literatur üblicherweise als einzige Möglichkeit und somit als Standard angesehen wird (vgl. Logan 1995), soll als positiv referenzpolar (+RefPol-Eigenschaft der Mikroperspektive) bezeichnet werden. Der andere, bislang weitgehend unberücksichtigte Fall, in dem das Ursprungsobjekt das Thema darstellt, soll entsprechend als negativ referenzpolar (-RefPol-Eigenschaft der Mikroperspektive) bezeichnet werden. Bezug zu Referenzsystem-Achsen. Implizite räumliche Relationen sind grundsätzlich in irgendeinem kognitiven Referenzsystem verankert (und möglicherweise gleichzeitig in
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mehreren, s. Carlson-Radvansky/Irwin 1994). Explizite Relationen sind jedoch qualitativ repräsentiert, so daß die Verankerung auf einen qualitativen Aspekt reduziert ist. Dies kann sich darin ausdrücken, daß Mikroperspektiven als bzgl. einer bestimmten Achse eines solchen Systems (Vertikale, Betrachterachse, Horizontale, Nord-/Süd-Achse usw.) verlaufend kategorisiert werden. Dabei ergibt sich mit der Kongruenz der Mikroperspektivenrichtung und der Richtung gerichteter Achsen (der Vertikalen und der Betrachterachse) ein weiteres binäres Unterscheidungsmerkmal von Mikroperspektiven. Referenzrahmen. Nach Levinson (1996) lassen sich kognitive Referenzsysteme und linguistische Referenzrahmen aufeinander abbilden. Er schlägt drei Typen von Referenzrahmen vor: Intrinsische Referenzrahmen (die objektzentrierten allozentrischen Referenzsystemen mit intrinsischer Perspektive entsprechen), relative Referenzrahmen (die betrachterzentrierten egozentrischen Referenzsystemen mit deiktischer Perspektive entsprechen) und absolute Referenzrahmen (die umgebungszentrierten allozentrischen Referenzsystemen ohne eine spezifische Perspektive entsprechen). Für die Repräsentation räumlicher Mikroperspektiven verwende ich im folgenden eine Frame-artige Darstellung, um hervorzuheben, daß es sich um nicht-sprachliche Repräsentationen handelt (19). Mikroperspektiven weisen sowohl räumliche als auch konzeptuelle Eigenschaften auf. Konzeptuell handelt es sich dabei um die Referenzpolarität, 9 den objektbasierten Wechsel zwischen räumlichen (vs. abstrakten o.ä.) Objekten sowie um den jeweiligen Referenzrahmen. Zu den räumlichen Eigenschaften gehören die Charakteristika des raumbasierten Wechsels und der räumlichen Referenten sowie der kategorisierte Verlauf der Mikroperspektive entlang einer bestimmten Achse eines Referenzsystems. Es ist davon auszugehen, daß die durch die Aufmerksamkeitszuwendung und nachfolgende Selektion hergestellte Beziehung zwischen einer räumlichen Entität und ihrem konzeptuell zugehörigen Objekt bzw. zwischen einem konzeptuellen Objekt und seinem räumlichen Referenten durch eine entsprechende Relation gegeben ist (diese Beziehung ist in 19 nicht expliziert).
9
Genau genommen ist Referenzpolarität eine implizite Eigenschaft (die spezifische Thematizität eines der beiden Objekte der Mikroperspektive), die durch die Zuordnung dieser Objekte zu den Argumenten der semantischen Relation im Lexikon expliziert wird. Ich habe sie der Anschaulichkeit halber trotzdem in dem Frame aufgeführt.
Räumliche Mikroperspektivierung
und die Semantik lokaler
Präpositionen
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MIKROPERSPEKTIVE KONZEPTUELLE _ EIGENSCHAFTEN
referenzpolaritaet
: {+, -}
typ_des_wechsels_k ursprung_k ziel_k :
:
: shift
RAEUMLICHES_OBJEKT
RAEUMLICHES_OBJEKT
referenzrahmen : {intrinsisch,
relativ,absoluta
RÄUMLICHE _ EIGENSCHAFTEN
typ _ des _ wechseis _ r : {shift, zoo min, zoomout} ursprung_r ziel_r :
:
{blob,blobs,boundary}
{blob,blobs,boundary)
referenzsystem : {objektzentriert, betrachterzentriert, referenzachse :
umgebungszentriert}
{vert,obs,quer...}
richtungskongruenz : {+,-}
5 Mikroperspektivenbasierte Semantik lokaler Präpositionen
5.1 Dimensionale Präpositionen Anhand der vorliegenden Repräsentation von Mikroperspektiven lassen sich nun Vorschläge für eine aufmerksamkeitsbasierte Semantik räumlicher Ausdrücke ausbuchstabieren. Ich beginne mit den dimensionalen Präpositionen {über, unter, vor, hinter, rechts, links). Sie werden üblicherweise (z.B. Wunderlich/Herweg 1990) dadurch charakterisiert, daß sie - im Gegensatz zu topologischen Präpositionen wie in, an, auf, bei - über einen Richtungsparameter verfugen, wodurch Maßangaben ermöglicht werden. Dies ist aber irreführend, da auch topologische Präpositionen mit Distanzangaben (vgl. nahe an/bei) kookurrieren können. Aus diesem Grunde führe ich die Distinktion dieser Präpositionsklassen auf einen anderen repräsentationeilen Unterschied zurück: den der Referenzpolarität von Mikroperspektiven. Die Semantik dimensionaler Präpositionen basiert danach auf positivreferenzpolaren Mikroperspektiven, d.h. solchen, bei denen das Ursprungsobjekt das Referenzobjekt darstellt (und so als Spezialfall der Referenzobjektbezogenheit der Regionensichtweise entspricht). Dies paßt zu der Beobachtung, daß diese Präpositionen „ursprungsbezogen" sind (vgl. „(weit) rechts von, links von, weg von"), während an und bei „zielbezogen" sind (vgl. „nahe zu, nahe an/bei"). 10 (20) zeigt das entsprechende abstrakte semantische Schema für dimensionale Präpositionen, das eine Instanz mp des konzeptuellen 10
Man sieht hier außerdem (vgl. tief im Wald), daß die Klasse der topologischen Präpositionen heterogen ist. Ich ordne in daher nicht dieser Klasse zu und werde diese Präposition weiter unten gesondert diskutieren.
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Frames als positiv-referenzpolar kennzeichnet und die kompositionell einzubindenden Argumente der semantischen Relation mit den entsprechenden konzeptuellen Rollen identifiziert. (20) Semantischer Kern dimensionaler Präpositionen λy λχ λπιρ [ [mp inst MIKROPERSPEKTIVE] & referenzpolarität(mp)=+ & ursprungjc(mp) = y & ziel_k(m^=x & typ_des_wechsels_r(mp)=shift ] Die Relation in (20) ist unspezifisch bzgl. räumlicher Verankerung und entspricht so in etwa der Präposition wegfvon). Die übrigen dimensionalen Präpositionen zeichnen sich hingegen vor allem durch ihre größere Spezifik im Hinblick auf den Bezug zu Raumachsen aus. Auf der Hand liegende Spezifikationen für die Semantik räumlicher Präpositionen finden sich in (21). Die Auslassung („...") steht für den bereits in (20) angegebenen Anteil der semantischen Form. Was die Unterscheidung von links und rechts anbetrifft (die bekanntlich notorisch schwierig ist), so vermute ich, daß von sprachlicher Seite (der Konversität) her zwar ein klarer Unterschied in der Richtungskongruenz verlangt wird, daß aber die räumliche Verankerung/Zuordnung dadurch erschwert ist, daß die laterale Achse in erster Linie ungerichtet ist und ihr erst durch Heuristiken eine Richtungsasymmetrie auferlegt werden muß. (21) a. über:
Xy λχ λπιρ [...
b. unter:
λy λχ ληιρ [...
c. rechts (von):
λy λχ ληιρ [...
d. links (von):
λy λχ ληιρ [...
e. neben:
λy λχ λπιρ [...
& & & & & & & & &
referenzachse(mp)=vert richtungskongruenz(mp)=+ referenzachse(mp)=vert richtungskongruenz(mp)— referenzachse(mp)=quer richtungskongruenz(mp)=+ referenzachse(mp)=quer richtungskongruenz(mp)— referenzachse(mp)=quer ]
] ] ] ]
Während die Präpositionen in (21) semantisch unterspezifiziert sind bzgl. des Referenzrahmenbezugs, ist es fur die Charakterisierung von vor und hinter notwendig, die einzelnen Parameterbelegungen zu explizieren. (22) und (23) geben diese Belegungen, jeweils für verschiedene Interpretationen dieser Präpositionen, an. (22) a. vor (intr.):
Xy λχ ληιρ [...
b. vor (rei.):
λy λχ λπιρ [...
c. vor (Hausa):
λy λχ ληιρ [...
& referenzachse(mp)=obs & richtungskongruenz(mp)=+ & referenzrahmen=intrinsisch ] & referenzachse(mp)=obs & richtungskongruenz(mp)— & referenzrahmen=relativ ] & referenzachse(mp)=obs & richtungskongruenz(mp)=+ & referenzrahmen=relativ ]
„mp" ist das referentielle Argument der semantischen Relation. Ich habe an anderer Stelle (Carstensen 1998) gezeigt, daß ein solches Argument für eine adäquate Modellierung der Interaktion von Lokalisierungsausdrücken und Distanzangaben angenommen werden muß.
Räumliche Mikroperspektivierung
(23) a. hinter (intr.):
und die Semantik lokaler
Xy λχ λπιρ [ . . .
b. hinter (rei.):
λy λχ λπιρ [ . . .
c. hinter (Hausa):
Xy λχ λmp [ . . .
& & & & & & & & &
Präpositionen
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referenzachse(mp)=obs richtungskongruenz(mp)= referenzrahmen=intrinsisch ] referenzachse(mp)=obs richtungskongruenz(mp)= + referenzrahmen=relativ ] referenzachse(mp)=obs richtungskongruenz(mp)= referenzrahmen=relativ ]
Die jeweiligen Lesarten der Präpositionen korrespondieren zu den Bezeichnungen „basic order" (a), „mirror order" (b) und „tandem order" (c) (Herskovits 1986), wobei das Hausa (Hill 1982) fur seine Verwendung der „tandem order" bekannt geworden ist. Diese Bezeichnungen entspringen der Vorstellung, daß bei relativem Gebrauch Aspekte von Koordinatensystemen gespiegelt, rotiert oder versetzt werden müssen. Man beachte, daß die hier vertretene Sichtweise eine deklarative Spezifikation der Semantik dimensionaler Präpositionen erlaubt, die ohne Rückgriffe auf (Metaphern) räumliche(r) mentale(r) Operationen dieser Art auskommt. Sie stellt außerdem eine modulare, primär achsenbezogene Charakterisierung dar, die nicht notwendigerweise bzw. erst sekundär auf holistischen Referenzrahmen basiert. Die Relevanz dieses Aspekts deutet Levinson an, wenn auch in prozeduralen Begriffen: „It may be that left and right are centered on V [dem Betrachter], while front and back are indeed rotated and have their origin on G [dem Referenzobjekt]" (Levinson 1996: 162, Fußnote 42). In jedem Fall zeigen (22) und (23), daß es sowohl einzelsprachlich als auch übereinzelsprachlich gesehen notwendig ist, auf der semantischen Ebene bestimmte Parameterbelegungen zu spezifizieren, um eine adäquate Charakterisierung der Lesarten zu erreichen.
5.2 Topologische Präpositionen Topologische Präpositionen sind gemäß der hier vertretenen Auffassung in erster Linie durch ihre negative Referenzpolarität charakterisiert. Ihr semantischer Kern läßt sich daher als (24) auffuhren. (24) Semantischer Kern topologischer Präpositionen Xy λχ λπιρ [ [mp inst MIKROPERSPEKTIVE] & referenzpolarität(mp)= & ursprung_k(mp) = χ & ziel_k(mp)=y & typ_des_wechsels_r(mp)=shift ] Hiermit weiche ich von allen bisher gängigen Analysen ab, nach denen topologische Präpositionen über das Fehlen eines relevanten Vektors (Wunderlich/Herweg 1990) oder die Längenbeschränktheit eines solchen Vektors (Zwarts 1997) semantisch definiert werden. Dabei ist der entscheidende Punkt des Mikroperspektiven-basierten Ansatzes der, daß das Referenzobjekt der räumlichen Relationen nicht notwendigerweise deren Ankerpunkt und somit den Ursprung eines Koordinatensystems, den Ansatzpunkt der Regionenbildung o.ä. darstellt. Oberflächlich ist dies bereits durch die Option der Themazuordnung an die Objekte der Mikroperspektive sowie durch das diagnostische Kriterium der Anwendbarkeit der antonymen Distanzadjektive plausibilisiert. Tiefergehend läßt sich dieser Punkt aber
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Kai-Uwe
Carstensen
insbesondere anhand der Aspekte kognitiver Lokalisierung im Rahmen eines verfeinerten LamP-Ansatzes begründen. Betrachtet man das Phänomen der Lokalisierung aus Sicht kognitiver Repräsentation und Verarbeitung, so lassen sich grundsätzlich drei Aspekte notieren: Erstens, ein einheitlicher Maßstab (god's eye's view) ist nicht gegeben; zweitens, das mentale Repräsentationsmedium (working memory) ist begrenzt; drittens, der Maßstab des Mediums wird durch das fokussierte Objekt bestimmt. Letzteres ist bei einem Auskunftgebenden zuerst notwendigerweise das zu lokalisierende thematische Objekt. Das oben angeführte Lokalisierungsprinzip charakterisiert dann die Wahl eines geeigneten Referenzobjekts (realisiert durch einen Input-gesteuerten Aufmerksamkeitswechsel bzw. als negativ-referenzpolare Mikroperspektive). Wie oben anhand des einfachen LamP-Beispiels gezeigt wurde, reicht die Vermittlung dieser Information für eine einfache Lokalisierung. Allerdings läßt sich diese LamP-Konzeption verfeinern: Zum einen kann das Referenzobjekt als Ganzes in das Medium „passen" oder es kann nur dessen Begrenzung „sichtbar" sein. Zum anderen kann der Aufmerksamkeitswechsel als bzgl. einer salienten Achse verlaufend kategorisiert werden. Diese Möglichkeiten charakterisieren die Spezifika der Präpositionen bei, an und auf. Das Referenzobjekt von bei ist offensichtlich überwiegend ein Ganzobjekt (vgl. Ibeim Rand, Ibei der Seite/Ecke/Wand, Ich wohne bei Hamburg etc.), das von an eine Begrenzung (vgl. am Rand, an der Seite/Ecke/Wand, lieh wohne an Hamburg). Auf ist eine „vertikale" Präposition, die durch eine entgegen der Vertikalen verlaufende Mikroperspektive gekennzeichnet ist (ohne die räumlichen Objekteigenschaften des Referenzobjekts näher zu spezifizieren). Die entsprechenden semantischen Relationen sind in (25) aufgeführt. (25) a. bei: b. an: c. auf:
λy λχ ληιρ [... & ziel_r(mp)=blob ] Xy λχ Xmp [... & ziel_r(mp)=boundary ] Xy λχ ληιρ [... & referenzachse(mp)=vert & richtungskongruenz= - ]
Diese Modellierung der Differentia specifica von bei und an innerhalb des LamP-Ansatzes erlaubt jetzt eine Reformulierung der empirisch beobachtbaren Unterschiede beider Präpositionen. Bei und an verhalten sich insofern prinzipiell gleich, als die Verwendung keiner der beiden eine Aussage über den Kontakt beider Objekte involviert. Bei vorliegendem Kontakt und erheblichem Größenunterschied ist jedoch zu erwarten, daß die Aufmerksamkeit auf die Begrenzung des Referenzobjekts gerichtet wird, was zur Kategorisierung von an führt. Sind beide Objekte gleich groß, wird auch das Referenzobjekt räumlich als blob kategorisiert und führt, wie weiter oben diskutiert, zur Versprachlichung durch bei. Das Kriterium ,ziel_r(mp)= boundary' bei an liefert im übrigen eine Erklärung für die preferente Verwendung dieser Präposition im Zusammenhang mit Ecke, Rand etc.: Diese Nomina enthalten dieses Merkmal bereits als inhärente Eigenschaft und matchen so direkt die von der Präposition geforderte Spezifikation. 12
12
Umgekehrt läßt sich unter diesen Vorgaben die Verwendung von an und bei als diagnostisches Kriterium verwenden, um herauszufinden, wie wir bestimmte Objekte typischerweise konzeptualisieren. Danach werden Meere oder Flüsse eher als ausgedehnte Entitäten erfahren, so daß bei einer Lokalisierung auf eine ihrer Begrenzungen fokussiert wird (s. 13). Städte hingegen werden eher als Ganzobjekt konzeptualisiert (s. 12a), wobei ein Randbezug explizit sprachlich markiert werden muß („Norderstedt liegt am Rand von Hamburg").
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und die Semantik lokaler
Präpositionen
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6 Weitere Aspekte einer aufmerksamkeitsbasierten Semantik
Die Präposition in wird, wie schon erwähnt, nicht zur Klasse der topologischen Präpositionen gezählt, da sie zumindest kompatibel mit positiv-referenzpolaren Distanzangaben ist (vgl. tief im Wald, Der Ball landet weit im Aus). Ich fasse sie daher als auf eine positivreferenzpolare Mikroperspektive bezogen auf, wobei der räumliche Aufmerksamkeitswechsel aus einer Zoomin-Operation besteht (26). (26) in: λγ λχ λπιρ [
[mp inst MIKROPERSPEKTIVE] & referenzpolarität(mp)=+ & ursprung_k(mp) = y & ziel_k(mp)=x & typ_des_wechsels_r(mp)=zoomin ]
Es stellt sich jetzt die Frage, in welchem räumlichen Referenzsystem die Mikroperspektiven einzelner Präpositionen verankert sind. Die Ausdrücke in (27) deuten darauf hin, daß dies für in eher ein betrachterzentriertes (retinales) Koordinatensystem ist, im Gegensatz zu einem räumlichen System bei innerhalb. (27) a. b. c. d.
Nase im Gesicht/ ?innerhalb des Gesichts Löcher im Käse/ ?innerhalb des Käses Salz in/ ?innerhalb der Suppe Knoten in/ * innerhalb des Schnürsenkels
Dies wird durch kontrastive Beispiele der Präpositionen über und oberhalb in (28) bestätigt, die einen entsprechenden unterschiedlichen Bezug zeigen. Sie verdeutlichen, daß über nicht notwendigerweise auf die Umgebungsvertikale bezogen sein muß, während oberhalb stets als ein „höher als" bzgl. der aktualen oder aber der auf das Referenzobjekt übertragenen (objektinhärenten) Umgebungsvertikalen zu interpretieren ist. Beispiele wie (28c) lassen sich somit anhand der flexiblen Anwendung eines betrachtungsbezogenen Referenzsystems erklären, 13 ohne auf funktionale Umdeutungen zurückgreifen zu müssen. (28) a. Sonne über/?oberhalb des Horizonts b. Amputation ?über/ oberhalb des Knies c. Jacke über dem Hemd/ "oberhalb des Hemdes Ähnliches trifft auch für die topologischen Präpositionen zu. Fehlende 3d-Information eines räumlichen Referenzsystems könnte die Ursache dafür sein, daß aktuale Distanz bei diesen Präpositionen oft keine Rolle spielt (vgl. Flecken auf dem Hemd, Falten auf der Stirn, Ich habe den Schlüssel bei mir, am Ende der Straße etc.), so daß die entsprechenden Mikroperspektiven im wesentlichen objektbasiert sind. Genaue Untersuchungen, wann und warum Distanzangaben möglich bzw. nicht möglich sind (vgl. *nahe auf) stehen allerdings noch aus.
13
...wobei die vertikale Orientierung durch Orthogonalität zu einer flächigen Entität induziert wird.
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7 Schluß
Die Semantik räumlicher Ausdrücke ist viel weniger durch die Gegebenheiten der räumlichen Welt und durch die Eigenschaften konzeptueller/funktionaler Relationen bestimmt als bislang angenommen. Stattdessen lassen sich eine Reihe von Phänomenen anhand einer aufmerksamkeitsbasierten Ebene räumlicher Mikroperspektivierung erklären, die eine flexible Schnittstelle zwischen impliziten Relationen in kognitiven Referenzsystemen (als Analoga der räumlichen Beziehungen in der Welt) und räumlich- sprachlichen Ausdrücken darstellt. In diesem Sinne ist der vorliegende Beitrag als eine inhaltlich spezifische Version einer konzeptualistischen Position zu verstehen, wie sie von Jackendoff vertreten wird (Jackendoff 1998). Lokalisierung als Grundlage der Semantik lokaler Präpositionen kann über die mentale Präsentation einer räumlichen Beziehung zwischen Objekten aufgefaßt und erklärt werden, deren Verhalten durch bestimmte (insbesondere auch aufmerksamkeitsbasierte) Prinzipien determiniert wird. Hierdurch ist es möglich, auf die problematischen Konzepte der Regionslokalisierung und verschiedener funktionaler Relationen zu verzichten, die überwiegend zu einer Problemverschiebung geführt haben. Schließlich lassen sich durch eine transdisziplinäre kognitionswissenschaftliche Herangehensweise an die komplexe Beziehung von Sprache und Raum, wie sie in diesem Beitrag durchgeführt wurde, interdisziplinäre Zirkel der Untersuchung dieser Beziehung vermeiden.
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Robin Hörnig und Sylvia Wiebrock Deiktisch vor und Konsorten: Projizierte Bezugsysteme oder wegbasiertes Lokalisieren?1
Unser Ziel ist die Rekonstruktionmentaler Modelle beim Verstehen von Texten, die räumliche Objektanordnungen beschreiben. Mit einem mentalen Modell repräsentieren Menschen den in einem Text beschriebenen Sachverhalt (Johnson-Laird 1983,1989). Den Schwerpunkt unserer experimentellen Untersuchungen hierzu bilden die projektiven Präpositionen vor, rechts von, hinter und links von. Diese können intrinsisch wie auch deiktisch verwendet werden (Miller/Johnson-Lairdl976). Zunächstwerden wir den von uns verfolgten Modellierungsansatz fur die intrinsische Verwendung skizzieren, um daraufhin die Frage nach dem deiktischen Gebrauch zu spezifizieren. Der Modellierungsansatzfindet sich ausführlich dargestellt in Claus et al. (1998), sowie in Wysotzki/Schmid/Heymann (1997). Ein räumliches mentales Modell wird durch einen Graphen repräsentiert, dessen Knoten die im Text genannten Objekte denotieren. Jedem Objekt ist ein zunächst abstraktes dreidimensionales Koordinatensystem bzw. Bezugsystem zugeordnet. Für Objekte mit intrinsischen Seiten können aus diesen die x-, y- und z-Achse des Bezugsystems als Links-RechtsAchse, Hinten-Vorn-Achse und Unten-Oben-Achse abgeleitet werden. Auch eine nur teilweise intrinsische Interpretation ist möglich (z.B. Bleistift mit nur einer Hinten-Vorn-Achse). Für eine intrinsisch verwendete Präposition - z.B. in Y ist vor¡ X - wird im Graphen eine gerichtete Kante zwischen den Knoten für das RelatumX und den Referenten Y eingetragen. Diese wird durch eine Matrix annotiert, die Constraints darüber angibt, wie das Koordinatensystem des Relatums in dasjenige des Referenten Y per Translation und Rotation transformiert werden kann. Der intrinsisch verwendete Relationsausdruck wird so übersetzt in eine Lokalisierung des Referenten Y bezüglich eines Bereichs möglicher Orte (und Orientierungen) relativ zum intrinsisch interpretierten Bezugsystem des Relatums X. Für das angeführte Beispiel von wird der Referent im positiven Bereich der Hinten-Vorn-Achse des Relatums, also relativ zu dessen Vorderseite lokalisiert. Zusammenfassend kennzeichnet das intrinsische Lokalisieren in der Horizontalen, daß anhand eines intrinsisch interpretierten Bezugsystems des Relatums vier Regionen in dessen Umraum identifizierbar sind, auf die der Ort des Referenten sprachlich eingeschränkt wird. Es stellt sich nun die Frage, wie die deiktische Präpositionenverwendung zu charakterisieren und entsprechend zu modellieren ist.
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Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Projekt Modellierung von Inferenzen in mentalen Modellen (WY20/2-1) im Schwerpunkt Raumkognition finanziell unterstützt.
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Robin Hörnig und Sylvia Wiebrock
1 D e i k t i s c h versus intrinsisch: D i e V o r n - H i n t e n - U m k e h r u n g
Eschenbach/Kulik (1997) spezifizieren die Bedeutung projektiver Präpositionen, indem sie sowohl bei intrinsischer als auch bei deiktischer Lesart in der horizontalen Ebene nur eine gerichtete Hinten-Vorn-Achse zugrundelegen, welche diese in einen linken und rechten Halbraum teilt. Inzidenz-Axiome (ebd.: 211) legen fest,daß es für jedes Paar von Punkten / V u n d Ρ y mindestens eine Gerade o gibt, auf der beide Punkte liegen. Ordnungs-Axiome definieren eine Präzedenz-Relation -< zwischen den Punkten Ρχ und Ργ auf der gerichteten Geraden o. Die Bedeutung des intrinsisch gelesenenvor, in Y ist vor, X spezifizierendie Autoren wie folgt: Sei Px der Ort des Relatums X und οχ die intrinsische Hinten-Vorn-Achse von X. Dann befindet sich Y vor¡ Χ, gdw. der Ort des Referenten Ργ bezüglich der gerichteten Geraden ox Px vorgeordnet ist. Für die hierzu konverse Relation Y ist hinter/ X gilt umgekehrt, daß Px bezüglich der Referenzrichtung οχPY vorgeordnet ist (ebd.: 212): fronti (Υ,Χ) behindi (Y, Χ)
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-') zielt diese Formulierung aufeine, wenngleichgerichtete, Zwischen-Relationab, indem sie das Ego als auf die Konstellation hin ausgerichtet voraussetzt. Auch Hermanns (1989: 18) Erläuterung des deiktischen linksd von in Die Vase steht links jvom Stuhl entspricht Miller/Johnson-Lairds Regel (24) für rechtsj von insofern, daß als gerichtete Instanz einzig das deiktische Bezugsystem zugrundegelegt wird: „Auf dem O r d i n a t e n a b s c h n i t t , der sozusagen mit der Nasenspitze von S beginnt (= .Vorfeld'), nehmen die Vase und der Stuhl etwa den gleichen (Ordinaten-) Wert ein. Die Vase hat aber einen - absolut - geringeren Abszissenwert als der Stuhl." Herrmanns Ansatz hat gegenüber der von Talmy postulierten heterogenen deiktischen Verwendungsweise auf der sagittalen und der lateralen Dimension den Vorteil, daß der deiktische Präpositionengebrauch durchweg unmittelbar im deiktischen Bezugsystem analysiert werden kann, ohne daß hierfür ein auf das Relatum projiziertes Bezugsystem postuliert zu werden braucht. Demgegenüberunterläßt es Herrmann, das von den bisher angeführten Autoren aufgeworfene Problem einer entgegengesetztgerichteten Hinten-Vorn-Achseoder Links-RechtsAchse bei intrinsischer und deiktischer Verwendung zu klären, da dieses in der scharfen Trennung von Zwei- und Dreipunktlokalisation aufgeht und nicht problematisiert wird. Wir kommen auf das Ausgangsproblem der Vorn-Hinten-Umkehrung zurück, mit dem wir uns bei einem Verzicht auf projizierte Bezugsysteme erneut konfrontiert sehen. Ein erster Hinweis auf das zugrundeliegende Phänomen findet sich in Herrmanns Definition der Dreipunktlokalisation, die uns als der deiktische Fall gilt: „Wir sprechen von einer Dreipunktlokalisation, wenn zur Beschreibung der sprachlichen Lokalisierung von O, drei Instanzen benötigt werden: (1) ein Koordinatenursprung(Origo), der mit einer gerichteten Größe besetzt ist, (2) das intendierte Objekt O, und (3) ein weiteres Objekt: das Relatum." Bedenkt man bei dieser Formulierung, daß es sich beim sprachlichen Lokalisieren um das Lokalisieren eines Punktes (des Ortes des Referenten) handelt, dann setzt das Lokalisieren dieses Punktes also bereits zwei lokalisierte Punkte voraus. Bezüglich dieser zwei Punkte läßt sich dann die Zwischen-Relation definieren. Darüberhinaus läßt sich mit Eschenbach/Kulik (1997) durch diese beiden Punkte eine gerichtete Gerade o legen. Mit diesen beiden Punkten und dem gerichteten Abschnitt der Geraden zwischen den beiden Punkten erhalten wir ein Wegkonzept mit Ausgangs- und Endpunkt, welches wir als bezeichnend für die deiktische Dreipunktlokalisation erachten. Wunderlich/Herweg (1991: 759) definieren einen Weg „als
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Robin Hörnig und Sylvia
Wiebrock
stetige (jedenfalls monotone)Abbildung aus derZeit in den Raum." Genau genommenhandelt es sich um ein verallgemeinertes Wegkonzept, da einem solchen zwar eine Orientierung, nicht aber eine Durchlaufgeschwindigkeit zukommt (ebd.). Im Gegensatz zur deiktischen Dreipunktlokalisation basiert die intrinsische Zweipunktlokalisation auf nur einem Punkt, der für die Interpretation projektiver Präpositionen aber nicht ausreicht. Es bedarf zusätzlich einer Referenzrichtung, welche sich nicht einem weiteren Punkt verdankt, sondern der intrinsischen Gerichtetheit des Relatums. Bei intrinsischer Zweipunktlokalisation verfügen wir nicht über das der deiktischen Dreipunktlokalisation zugrundeliegende Wegkonzept mit Anfangs- und Endpunkt. Dieser gravierende Unterschied beider Verwendungsweisen läßt eine übereinstimmende Analyse fragwürdig erscheinen. Ausgestattet mit dem Wegkonzept, betrachten wir ein von Herrmann(1989: 16) diskutiertes „etwas diffiziles Beispiel für eine drittbezogeneLokalisation: In der Äußerung,Ladenburg liegt rechts vom Neckar.' manifestiert sich eine drittbezogene (Dreipunkt-) Lokalisation. Der Sprachproduzent gehorcht einer besonderen Sprachverwendungsregeldes Deutschen, derzufolge die Origo-Instanz in diesem Falle die Quelle des Flusses ist, die derart als räumlich gerichtet gesehen wird; der Fluß ist ,vor' der Quelle. [...] wobei man bei gekrümmtem Flußlauf die Origo sozusagen flußabwärts nachführt [...]." Die hier angesprochene Lokalisierung ist in der Tat diffizil, zumal uns deren Einordnung bezüglich Zwei- und Dreipunktlokalisation weniger zwingend erscheint als Herrmann. Das Relatum vom Typ Fluß ist als gerichtete Instanz zu begreifen, dem eine Referenzrichtung entsprechend der Fließrichtung eigen ist. Damit kommt dem Fluß eine Hinten-Vorne-Achse gewissermaßen intrinsisch zu, da sie aus Merkmalen des Objekts ableitbar ist. Weil es sich bei dem Relatum seinerseits um einen Weg handelt, betrachten wir die Fließrichtung als deiktische Referenzrichtung OD und identifizieren entsprechend einen rechten Teilraum, der die sprachliche Lokalisierungzu erklären erlaubt. Um hier von einer Zwei-Pw/ifo-Lokalisation sprechen zu können, müßte der Ort des Relatums Neckar wie im intrinsischen Fall auf einen Punkt abstrahiert werden, d.h., der Ursprung des dem Fluß zugeordneten Koordinatensystems müßte an einem Punkt lokalisiert werden. Das seltsam anmutende Problem, den Ort des Relatums Neckar als Punkt bestimmen zu müssen, läßt sich dadurch vermeiden, daß wir die Lokalisierung wie Herrmann als Dreipunktlokalisation auffassen. Für das Relatum, als Weg aufgefaßt, spezifizieren Quelle und Mündung Weganfangs- und Endpunkt. Dies funktioniert befriedigend für die Laterale, aber nicht auf der Sagittalen. Ist Y liegt vor der Mündung des Flusses noch mithilfe der ZwischenRelation erklärbar - Y liegt zwischen der sprachlich nicht markierten Origo Quelle und dem Relatum Mündung - so ist dies weder Y liegt hinter der Quelle noch Y liegt vor dem Fluß. Im ersteren Fall fehlt uns die von der Quelle verschiedene Origo; im letzteren Fall sind weder Weganfangs- noch Endpunkt sprachlich markiert, und die Zwischen-Relation auf Quelle und Mündung anzuwenden, führt zu einem falschen Ergebnis. Weder Zwei- noch Dreipunktlokalisation bieten eine angemessene Erklärung für vor und hinter. Wir legen stattdessen entlang des Flußverlaufs eine entsprechend der Fließrichtung gerichtete Gerade o, auf welcher Quelle und Mündung des Flusses einen Abschnitt markieren. 6 Wählen wir den Fluß als Ganzes als Relatum, so ist die linke und rechte Teilregion auf den Abschnitt zu beschränken, die der Fluß durchfließt. Ein Punkt Y, der sprachlich vor dem Fluß lokalisiert wird, ist dem Weganfangspunkt (Quelle) vorgeordnet, wird Y hinter dem Fluß
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Eschenbach/Habel/Kulik (1999) verallgemeinern die Präzedenzrelation von Geraden aufKurven.
Deiktisch „vor" und Konsorten
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lokalisiert, so ist er dem Wegendpunkt (Mündung) nachgeordnet. Um Lokalisierungen von Quelle und Mündung relativ zum Fluß zu ermöglichen, ist der Abschnitt der Geraden o als offenes Intervall JQuelle, Mündungf festzulegen.Nach dieser Konzeption ist der Fluß und nicht die Quelle eine gerichtete Instanz, und die Quelle befindet sich vor dem Fluß. Zwar stimmen wir zu, daß sich der Fluß vor einem an der Quelle lokalisierten, dem Flußverlauf zugewandten Ego erstreckt. Doch trifft dies ebenso auf ein an der Mündung dem Fluß zugewandtes Ego zu. Es ist nicht der Fluß vor der Quelle zu lokalisieren, sondern umgekehrt die Quelle vor dem Fluß, weil diese den Beginn des Flußverlaufs markiert. Nun fällt auf, daß die Gerichtetheit des Flusses bezüglich der Quelle, die sich vor ihm befindet, von dieser abgewendet ist. Entspräche die Gerichtetheit des Flusses einer intrinsischen, so müßte sich die Quelle demnach doch hinter dem Fluß befinden, insofern ein Referent intrinsisch dann hintereinem Relatum lokalisiert ist, wenn dieses von ihm abgewendet ist. Dies trifft unseres Erachtens aber nicht zu, weshalb wir auch hier einen Konflikt für vor und hinter mit der intrinsischen Präpositionenverwendung zu erkennen meinen, wo wie bei der intrinsischen Zweipunktlokalisationdie gerichtete Instanz als das Relatum zu identifizieren ist, dieses aber nicht als Punkt darstellbar ist, sondern, entsprechend einer deiktischen Dreipunktlokalisation, als Weg mit Anfangs- und Endpunkt.
5 Deiktisch vor: Sprachliches Zeigen von der Origo gen R e l a t u m
Karl Bühler (1934: 107) hat die Raumdeixis allgemein als das Zeigen von Positionen beschrieben, das in der Origo seinen Ausgangspunkt nimmt: „Von der Origo des anschaulichen Hier aus werden sprachlich alle anderen Positionen gezeigt [...]." Auch Sennholz (1985: 3) behauptet eine „für alle Bereiche der Deixis gleichermaßen gültige Charakterisierung der deiktischen Grundrelation als einer gerichteten Relation zwischen einem Ausgangs- und einem Zielpunkt". Damit läßt sich beispielsweise auch eine deiktische Zweipunktlokalisation als Ganze (z.B. Dort ist Y mit begleitender Zeigegeste) als ein Positionszeigakt mit Ausgangspunkt (Origo) und Zielpunkt (Ort des Referenten), und demnach mithilfe des Wegkonstruktes charakterisieren. Da jedoch der Ort des Referenten als zu lokalisierendes Objekt für das sprachliche Lokalisieren nicht vorausgesetzt werden kann, wird bei einer deiktischen Zweipunktlokalisation ein Wegendpunkt erst durch das Lokalisieren verfügbar. Demgegenüber zeichnet sich die Dreipunktlokalisation dadurch aus, daß die Lokalisierung des Referenten ihrerseits bereits eine Bezugnahme auf ein Wegkonzept voraussetzt, mit dem Relatum als dem Wegendpunkt. Bezüglich der von Wunderlich/Herweg (1991:759) getroffenen grundlegenden Unterscheidung zwischen Lokalen und Direktionalen handelt es sich bei deiktisch verwendeten dimensionalen Präpositionen unstreitig um Lokale, „die zur Lokalisierung von Objekten oder Ereignissen dienen. Die Variable Zeit findet dabei nur insoweit Eingang, als sie im Tempus des Verbs oder im Zeitadverbial kodiert ist, wodurch die Lokalisierungssituation zeitlich eingeordnet wird. Als Direktionale sollen Ausdrücke bezeichnet werden, die die Veränderung der Lokalisierung eines Objektes (also einen Ortswechsel) ausdrücken." Unsere Charakterisierung deiktischer Dreipunktlokalisationen aber ist direktional, wie beispielsweise dort zum Ausdruck kommt, wo Wunderlich/Herweg(1991: 764f)den von Bühler verwendeten Ausdruck von charakterisieren,daß nämlich ,/rom und ίο (ebenso wie im Deutschen von, nach
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Robin Hömig und Sylvia
Wiebrock
und zu) völlig unspezifischeOrtswechsel-Präpostionen sind, die lediglich die Funktion haben, eine Region als Ursprungs- oder Zielregioneines Ortswechselszu kennzeichnen,darüber hinaus aber keinerlei semantischen Gehalt besitzen." Mithilfe des Direktionais von läßt sich darüber hinaus beim deiktischen Dreipunktlokalisieren die Origo durch ein ergänzendes von hier/mir/dir aus (gesehen) sprachlich markieren. Als auf den Wegendpunkt bezogenen Ausdruck fuhren Wunderlich/Herweg (1991: 780) das Direktionalge« an, mit einer sprachlichunmarkiertenOrigo in(110a)/ÍM«a wandert gen Köln: „Eine Dimension ist durch zwei Punkte definierbar: als offener Endrandpunkt dient das Objekt der Präposition [hier: Köln], als Anfangspunkt eine kontextuelle origo o. Lokalisiert wird innerhalb des betreffenden Intervalls." Der Zusammenhang zum deiktischen vorj wird umso augenfälliger, als die Autoren dieses Lokalisations-Schema ebenso durch zwischen wiedergeben, wie beispielsweise Miller/Johnson-Laird dasjenige fur vorj. Interessanterscheint uns weiter, daß Wunderlich/Herweg für das im selben Zusammenhang angeführte Beispiel (110b) Das Haus liegt gen Köln eine Lesart aufzeigen, gemäß derer (110b) als Aussage über die Gerichtetheit des Hauses aufzufassen ist, daß nämlich die Frontseite des Hauses gen Köln weist. Diese Lesart erhält man, wenn der Äußerungsort,die Origo, dort ist, wo das Haus steht. Hierbei handelt es sich also gar nicht um eine sprachliche Lokalisierung, sondern wir erhalten die komplementäre Interpretationzu einer intrinsischen Zweipunktlokalisation, die besagt, daß Köln vor dem Haus liegt, was aus anderen Gründen eine nicht unbedingt akzeptable Äußerung darstellt (siehe Landau/Jackendoff 1993:224fï). Deiktisch verwendete projektive Präpositionen sind nun deshalb unstreitig keine Direktionale im Sinne von Wunderlich/Herweg, weil diese Direktionale an einen Ortswechsel gebunden sehen (s.o.). Beim deiktischen Lokalisieren ist aber kein faktischer Ortswechsel angesprochen. Ausgehend von einer deiktischen Lokalisierung in einer Wahrnehmungssituation, und eingedenk der Kennzeichnung der Raumdeixis als sprachliches Zeigen von Orten, postulieren wir einen Wechsel der Blickrichtung (rechtsj von/linksj von) bzw. einen Fokuswechsel (vorj/hinterj). Allgemein machen wir einen Wechsel des Ortes der Aufmeiksamkeit geltend. Damit charakterisierenwir deiktisch verwendeteprojektive Präpositionen zwar von der Sache her als Lokale. Doch lokalisieren diese unter Bezugnahme auf einen Weg, weshalb wir die deiktische Dreipunktlokalisationals wegbasiertes Lokalisieren mïïassen.Dies findet seinen Ausdruck nur in Dreipunktlokalisationen,wo der Referent bezüglich eines Weges mit Anfangs- und Endpunkt lokalisiert wird: Zunächst wird sprachlich von der Origo gen Relatum gezeigt. Abhängig hiervon wird der Referent lokalisiert. Dies trifft auf die intrinsische Zweipunktlokalisationnicht zu, wo die gerichtete Instanz mit dem Relatum zusammenfälltund kein Wegendpunkt aufweisbar ist. Mit dem Wegkonzeptfur diedeiktischeDreipunktlokalisationerhaltenwirmit Wunderlich/ Herweg (1991:759: „Die Variable ,Zeit' findet direkt Eingang in der Kodierung des Ortswechsels."; siehe auch Eschenbach/Habel/Kulikl999) eine Abbildung von der Zeit in den Raum und behaupten für das lokal-deiktische vord eine Interpretation entsprechend dem temporal-deiktischen vor, in Das Eröffnungsspiel war vor, der Abschlußprüfung. Für eine temporal-deiktische Interpretation von vor, ist uns nicht bekannt, daß je eine dem Relatum (hier: Abschlußprüfung) aufprojizierte Vorderseite vorgeschlagen wurde. Bei einem einfachen Tempus wie dem Präteritum in Das Eröffnungsspielwar vor, der Abschlußprüfung betrachten wir die temporale Lokalisierung des Referenten (Eröffnungsspiel) als Dreipunktlokalisation bezüglich des Relatums (.Abschlußprüfung) mit dem jetzt (Sprechzeitpunkt) als Origo. Weiter setzen wir voraus, daß die Zeitdimension von der Vergangenheit gen Zukunft gerichtet ist
Deiktisch „vor" und Konsorten
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(Bäuerle 1979).7 Bezüglich eines Weges liegt ein Ort Λ vorj einem anderen Ort B, wenn wir von hier aus - der Origo als Weganfangspunkt - A vor t Β begegnen, bzw. wenn wir A begegnen, bevor wir Β begegnen. Ebenso wie wir, metaphorisch gesprochen, dem Eröffnungsspiel vor, der Abschlußprüfung begegneten. Wir gehen davon aus, daß die lokal-deiktische Dreipunktlokalisation auf dem Wegkonzept basiert und die Interpretation von vo/v der temporal-deiktischen Interpretation entspricht. Ebenso entsprichtdas hinterj dem temporal-deiktischenwac/! wie in Die Abschlußprüfung war nach dem Eröffnungsspiel. Damit behaupten wir ferner, daß die deiktisch verwendeten Ausdrücke vord und hinterj nicht übereinstimmend mit ihrem intrinsischen Gebrauch zu analysieren sind. Für die von Eschenbach/Kulik (1997) aufgezeigten Alternativen der Axiomatisierung der deiktischen Präpositionenverwendung machen wir geltend, daß die der intrinsischen Verwendung analoge Formalisierung ohne Origo und ausschließlich unter Rückgriff auf eine Referenzrichtung den aus unserer Sicht wichtigen Umstand verschleiert, daß der bei deiktischer Verwendung vorauszusetzende Weg den Endpunkt ebenso wie den Ausgangspunkt erfordert,also auch die Origo. Eine Formalisierungunter Verzichtauf die Origo erlaubt es gerade nicht, die Unterscheidung zwischen Zweipunkt- und Dreipunktlokalisation aufzuzeigen. Beide Verwendungsweisen projektiver Präpositionen erscheinen als Zweipunktlokalisationen. Auch die beispielsweise von Miller/Johnson-Laird angeführte Zwischen-Relation als Regel für das deiktische vorj ist so nicht darstellbar. Während die Formalisierung ohne Origo, ebenso wie das Postulat projizierter Bezugsysteme, das deiktische Lokalisieren auf eine Zweipunktlokalisationzu reduzieren trachtet, um eine übereinstimmende Erklärung für intrinsische und deiktische Verwendung projektiver Präpositionen zu erreichen, klingt in den Ausführungen Eschenbach/Kuliks (1997: 214) das Gegenteil an, wo diese das oben auch von uns bemühte Konzept der Begegnung ansprechen: „Following ο, Ργ is encountered before Ρχ is." Diese Formulierung, ergänzt um die Erwähnung des Ausgangspunktes des sprachlichen Zeigens {following o from here), ist offensichtlich ihrerseits dem Wegkonzept geschuldet und legt eine temporal-deiktische Entsprechung nahe, wie auch an anderer Stelle (ebd.: 210) deutlich wird: „the front/behind distinction is applicable with reference to paths, i.e., linear structures that are induced by (the possibility of) movement". Eschenbach/Kulik schreiben weiter: „Thus, the orientation on the front-back axis employed in the intrinsic case must also be understood in the same way: Following A^s front-back axis,Jf s front is encountered before its back is. The table is in front of John (intrinsically) if, following John's front-back axis, the table is encountered before John is." Anders als die Proponenten projizierter Bezugsysteme, die zum Ausgangspunkt einer übereinstimmenden Analyse die intrinsische Verwendung wählten, bestimmen Eschenbach/Kulik die der intrinsischen Verwendung zugrundeliegende Referenzrichtunganalog der deiktischen. Das Begegnungskonstrukt auf den intrinsischen Gebrauch zu übertragen, erscheint uns jedoch fragwürdig. Betrachten wir den Fall, in dem John als Origo-Instanz fungiert und die sprecherbezogene Zweipunktlokalisation äußert: Der Tisch ist von mir. Origo und Relatum sind identisch
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Beim Präteritum fallen Referenzpunkt und Ereigniszeitpunkt zusammen (vgl. Kamp/Rohrer 1983: 255), weshalb Bäuerle (1979: 49) den Referenzpunkt bei einfachen Tempora als redundant erachtet. Die hier gemachten Voraussetzungen zum temporalen vor, haben wir durch eine Befragung zu bekräftigen versucht, die in einem Nachtrag am Ende des vorliegenden Aufsatzes dargestellt ist.
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Robin Hörnig
und Sylvia
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(John). Postulieren wir einen Weg, auf dem uns der Tisch begegnet, be vor uns John begegnet, so markiert die Origo jedenfalls nicht den Wegausgangspunkt. Wir meinen, daß es hier keinen von der Origo verschiedenen Anfangspunkt gibt, weshalb die Formulierung von Eschenbach/Kulik für den intrinsischen Fall trügt. Setzt man voraus, daß die Präzedenz-Relation bei intrinsischer und deiktischer Verwendung in gleicher Weise auf die jeweils involvierte Referenzrichtung anzuwenden ist, so müßte die intrinsische Referenzrichtung in der Tat von Johns Vorderseite zur Rückseite weisen. Wir halten diese Voraussetzung für nicht gegeben. Die intrinsische Referenzrichtung weist von Johns Rückseite zur Vorderseite, erkennbar daran, daß John gen Tisch ausgerichtet ist. Nur bei deiktischer Verwendung ist die Präzedenz-Relation zu interpretieren als: Folge ich von hier aus der Referenzrichtung o, so begegne ich Ργ vor, Ρ χ. Der Referent ist dem Relatum bezüglich der Referenzrichtung vorgeordnet. Wir setzen voraus, daß die Referenzrichtung bei intrinsischer und deiktischer Verwendung übereinstimmend von der Rückseite zur Vorderseite weist, weshalb die PräzedenzRelation für das deiktische Wegkonstrukt und die intrinsische Hinten-Vorn-Achse in umgekehrter Weise auf die Ausdrücke vor und hinter anzuwenden ist. Beim intrinsischen vor¡ ist der Referent dem Relatum bezüglich der Referenzrichtung nachgeordnet, was bedeutet, daß das Relatum auf den Referenten hin ausgerichtet ist. Entsprechend ist der Referent beim intrinsischen hinten, bei dem sich der Referent im Rücken des Relatums befindet, diesem vorgeordnet. Im Gegensatz zu Eschenbach/Kulik kommen wir so zu dem Schluß, daß fur die intrinsische Verwendung gilt: vor; (F, X)
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^(οχ,Ρχ,Ργ)
hinten (Κ, Al
o
-