141 40 7MB
German Pages 484 [494]
ISBN 978-3-0343-1535-7
Hans Aurenhammer und Daniela Bohde (Hrsg.)
Räume der Passion Raumvisionen, Erinnerungsorte und Topographien des Leidens Christi in Mittelalter und Früher Neuzeit
Peter Lang
Räume der Passion
V ES T IGIA B IB LIAE 32/33
VESTIGIA 32/33 BIBLIAE
Peter Lang www.peterlang.com
Hans Aurenhammer und Daniela Bohde (Hrsg.)
Räume der Passion Raumvisionen, Erinnerungsorte und Topographien des Leidens Christi in Mittelalter und Früher Neuzeit
Peter Lang
Räume der Passion
V ES T IGIA B IB LIAE 32/33
VESTIGIA 32/33 BIBLIAE
Peter Lang
Räume der Passion
V E S T IG I A BI BL I A E Jahrbuch d es D eut s ch en B i b el - Arc h i vs H am b u rg B eg rü nd et vo n H ei mo R ei ni t zer H eraus g egeb en vo n B runo R eud en b a ch B and 32/33
PETER LANG Bern • Berlin • Bruxelles • Frankfurt am Main • New York • Oxford • Wien
Hans Aurenhammer und Daniela Bohde (Hrsg.)
Räume der Passion Raumvisionen, Erinnerungsorte und Topographien des Leidens Christi in Mittelalter und Früher Neuzeit
PETER LANG Bern • Berlin • Bruxelles • Frankfurt am Main • New York • Oxford • Wien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
Gedruckt mit Unterstützung der "Gemeinschaft der Freunde des Deutschen Bibel-Archivs e.V." Umschlaggestaltung: Thomas Jaberg, Peter Lang AG
ISSN 0939-6233 br. ISBN 978-3-0343-1535-7 br.
ISSN 2235-7173 eBook ISBN 978-3-0351-0724-1eBook
Diese Publikation wurde begutachtet. © Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2015 Hochfeldstrasse 32, CH-3012 Bern, Schweiz [email protected], www.peterlang.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Switzerland
Inhaltsverzeichnis
Hans Aurenhammer und Daniela Bohde Die Räume der Passion – eine übersehene Dimension? ................................. 1
1. ‚Loca sancta‘ Bruno Reudenbach Golgatha – Etablierung, Transfer und Transformation. Der Kreuzigungsort im frühen Christentum und im Mittelalter ................... 13 Yamit Rachman Schrire The Rock of Golgotha in Jerusalem and Western Imagination .................... 29 Birgit Ulrike Münch Körper und Karte. Historizität, Topographie und Vermessung medialer Wissensräume der Passion in der Frühen Neuzeit bei Christiaan van Adrichem und anderen .................................................... 49
2. Re-Inszenierungen Johann Schulz Ereignisraum Jerusalem. Zur Konstituierung eines Sakralraumes vor den Mauern der Stadt Nürnberg ............................................................. 83 Christian Freigang Bildskeptische Nachbildungsmodi der Passionstopographie Christi im Spätmittelalter: der Görlitzer Kalvarienberg ............................. 117 Achim Timmermann Golgatha, Now and Then: Image and Sacrificial Topography in Late Medieval and Early Modern Europe ............................................... 151
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3. Schauspiel, Liturgie, Prozession Margreth Egidi Theatralität und Bild im spätmittelalterlichen Passionsspiel. Zum Verhältnis von Gewaltdarstellung und compassio .............................. 181 Anja Rathmann-Lutz Räume der Passion im spätmittelalterlichen Basel. Eine Lektüre des Ceremoniale Basiliensis Episcopatus ............................. 205 Heike Schlie Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum. Immersive und operative Praktiken in dem Pariser Holzschnitt der Grande Passion und in Memlings Turiner Passion............................... 233
4. Das Buch als Andachtsraum Jeffrey F. Hamburger The Passion in Paradise: Liturgical Devotions for Holy Week at Helfta and Paradies bei Soest ...................................................................... 271 Andreas Krass Räume des Mitleidens. Text-Bild-Beziehungen in einem spätmittelalterlichen Mariengebetbuch (Frankfurt, UB, Ms. germ. oct. 45) ....................................................................................... 311
5. Bildräume der Imagination Hans Aurenhammer Schräge Blicke, innere Landschaften. Räume der Kreuzigung Christi bei Jacopo Bellini, Giovanni Bellini und Antonello da Messina ................ 335 Daniela Bohde Blickräume. Der Raum des Betrachters in Passionsdarstellungen von Schongauer, Baldung und Altdorfer............................................................ 377
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6. Bilder im Raum Saskia Hennig von Lange Im Raum des Bildes. Die ‚fehlenden‘ Passionsszenen in der Karlsteiner Heilig-Kreuz-Kapelle ............................................................... 415 Jason Di Resta Violent Spaces and Spatial Violence: Pordenone’s Passion frescoes at Cremona Cathedral ................................................................... 445 Die Autorinnen und Autoren des Bandes .................................................... 479
Hans Aurenhammer und Daniela Bohde
Die Räume der Passion – eine übersehene Dimension?
Die Passion Christi zählt fraglos zu den prägenden Narrativen der europäischen Kultur. Die Steigerung des Leidens bis hin zum Kreuzestod und die anschließende Umkehrung durch Auferstehung und triumphale Himmelfahrt boten nicht nur ein nachhaltiges Modell für die Interdependenz von Leid und Erlösung, sondern genauso ein Konzept zeitlicher Entwicklung: Lebenszeit, Tod und die Überwindung von Zeitlichkeit werden in der Passionsgeschichte paradigmatisch verknüpft. Anders als diese evidente Zeitstruktur rückte die spezifisch räumliche Dimension der Passion Christi erst in den letzten Jahren in den Fokus. Die aktuelle Diskussion in den Sozial- und Kulturwissenschaften hat die vermeintliche Selbstverständlichkeit der Kategorie ‚Raum‘ auf produktive Weise in Frage gestellt. Entsprechend macht die neuere Kartographie-Forschung deutlich, dass Karten nicht einfach einen präexistenten Raum verbildlichen, sondern ‚Raum‘ überhaupt erst schaffen. Raum ist hier nicht ohne seine mediale Gestalt zu denken.1 Wie unterschiedlich Raum erfahren und gedacht werden kann, zeigt auch die interdisziplinäre Erforschung
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Vgl. Henri Lefebvre: La production de l’espace, Paris 1974; Jan A. Aertsen und Andreas Speer: Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter (= 30. Kölner Mediaevistentagung, 1996), Berlin/New York 1998; Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001; Karl Schlögel: Kartenlesen, Raumdenken: Von einer Erneuerung der Geschichtsschreibung, in: Merkur 56 (2002), 4, S. 308–318, Sigrid Weigel: Zum „topographical turn“: Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften, in: KulturPoetik 2 (2002), 2, S. 151–165; Michaela Ott: Raum, in Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 5, Weimar 2003, S. 113–149; Thomas DaCosta Kaufmann: Toward a Geography of Art, Chicago 2004; Jürg Glauser und Christian Kiening (Hg.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2007; Jörg Döring, und Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn – das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008; Stephan Günzel (Hg.): Raumwissenschaften, Frankfurt am Main 2009; Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften; Ingrid Baumgärtner, Paul-Gerhard Klumbies und Franziska Sick (Hg.): Raumkonzepte. Disziplinäre Zugänge, Göttingen 2009; Tanja Michalsky, Felicitas Schmieder und Gisela Engel (Hg.): Aufsicht – Ansicht – Einsicht: neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit, Berlin 2009; Tanja Michalsky: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei, München 2011; Jörg Dünne: Die kartographische Imagination – Erinnern, Erzählen und Fingieren in der Frühen Neuzeit, München 2011.
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Hans Aurenhammer und Daniela Bohde
von Wallfahrten, Prozessionen und anderen paraliturgischen Raumpraktiken.2 Dass Raum hier nicht nur als materieller, etwa architektonisch geformter Containerraum und als sozial wie kulturell kodierter Handlungsraum erscheint, sondern gleichermaßen als imaginärer Raum, das wird besonders drastisch an der geistigen Pilgerschaft deutlich. Ihre Pilgerreisen kommen nie im fernen Palästina an, sondern finden in der Ortskirche statt oder während der Lektüre des Pilgerreiseführers, mithin im Raum der Imagination. Diese raumhistorischen und -theoretischen Forschungen gaben für die in diesem Band diskutierte Frage nach den ‚Räumen der Passion‘ wichtige Impulse. Ein Großteil der hier versammelten Texte basiert auf einer Tagung, die vom 8.–10. Juli 2011 an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität stattfand. Unser Interesse galt damals und gilt auch in dem vorliegenden Band historischen Raumkonzepten und -semantiken, die sich im Kontext der Passionsfrömmigkeit herausbilden: Wie inszeniert man die Orte der Passion Christi im Heiligen Land, wie imaginiert man sie sich aus der Ferne, was für Räume schafft man, um der Passion zu gedenken? Die Themenfolge setzt dabei in der konstantinischen Ära ein und geht bis in die Zeit um 1600. Erfasst werden kann so die Inszenierung oder Schaffung der loca sancta seit der christlichen Spätantike, aber auch die beispiellose Intensivierung der Passionsmemoria im Spätmittelalter und ihre Neuakzentuierung im Zeitalter der Konfessionalisierung. Die Beiträge thematisieren Topographien und räumliche Inszenierungen, geistliche Spiele, sakrale Prozessionen und Hinrichtungsrituale, Architekturen und Skulpturen, Reliquien und ihre Behältnisse, Wandgemälde und Buchillustrationen, Kapellenausstattungen und Tafelbilder sowie Karten. Eine gleichmäßige Ausleuchtung des Zeitraums in allen seinen Medien war jedoch nicht unser Ziel. Auch bei der geographischen Verteilung haben sich bestimmte Schwerpunkte ergeben: Der deutsche Sprachraum überwiegt. Die meisten Beiträge behandeln die Geschichte der bildenden Kunst und der Architektur; dem interdisziplinären Zuschnitt des Projekts entsprechend treten dazu aber auch Autorinnen und Autoren aus den Literatur- und Theaterwissenschaften sowie der Geschichte. Alle Passionsschilderungen – seien sie sprachlicher oder visueller Art – entwerfen einen Raum. Die Stationen Christi in Jerusalem werden schon im 2
Bernhard Jahn: Raumkonzepte in der frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklichkeit in Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen, Frankfurt a. M. u. a. 1993; Jörg Dünne: Pilgerkörper – Pilgertexte. Zur Medialität der Raumkonstitution in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Ders., Hermann Doetsch und Roger Lüdeke (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten – Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, Würzburg 2004; Katja Gvozdeva u. Hans Rudolf Velten (Hg.):Medialität der Prozession – Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne / Médialité de la procession, Winter 2009 (= Germanisch-Romanische Monatsschrift, Beiheft 39); Laura D. Gelfand und Sarah Blick (Hg.): Push me, pull you, 2 Bde., Leiden 2011; Kathryn M. Rudy: Virtual Pilgrimages in the convent. Imagining Jerusalem in the late Middle Ages, Turnhout 2011.
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biblischen Bericht genau verzeichnet: Einzug in die Stadt, Beten am Ölberg, die Gefangennahme im Garten Gethsemane, die Verhöre und Misshandlungen in den Palästen von Hannas, Kaiphas und Pilatus sowie schließlich die Kreuzigung auf Golgatha.3 Diese Topographie der Passion, die man durch Kultstätten wie die Grabeskirche beständig veränderte, wurde zum Ziel der Jerusalem-Wallfahrten. Doch darüber hinaus wurde sie zum Vorbild für Prozessionen, Kreuzwege und Kalvarienberge an anderen Orten. Das einmalige Jerusalem multiplizierte sich. Die europäischen Landschaften bevölkerten sich aber nicht nur mit zahllosen Multiples der loca sancta, sondern es entstanden gleichzeitig hybride Räume, Räume, die einerseits ein fränkischer Straßenzug sein konnten, andererseits die Via dolorosa, einerseits eine piemontesische Hügellandschaft, andererseits die kompletten Heiligen Stätten.4 Diese hybriden Räume stehen im Zentrum unseres Interesses. Eine Voraussetzung ihrer Mehrfachkodierung ist die Imaginationsleistung der Raumnutzer. Diese müssen die ihnen aus dem Alltag ganz anders bekannten Topographien oder Architekturen mit der Passionsgeschichte verknüpfen und dann als das Haus des Pilatus oder das Heilige Grab identifizieren. Wie schon Richard Krautheimer aufgezeigt hat, ist dafür nicht unbedingt eine formale Ähnlichkeit der Bauten notwendig.5 Maßverhältnisse können eine Rolle spielen, aber auch die Bebilderung sowie die rituelle Inszenierung mit entsprechenden visuellen oder akustischen Markierungen. Wenn die Besucher dieser Orte ihr religiöses Wissen aktivieren oder sich vom Dargebotenen affizieren lassen, reagieren sie ähnlich auf sie wie auf Bilder und Skulpturen, bei denen die identifizierende und ergänzende Imagination der Betrachterinnen und Betrachter notwendig ist. Devotionale und ästhetische Herangehensweisen verschränken sich. Eine doppelte Kodierung kennzeichnet auch die in den Bildwerken dargestellten Orte und Räume: So ist beispielsweise auf der Tuchertafel von 1485 die Stadt im Hintergrund der Kreuzigung gleichzeitig als Jerusalem wie als Bamberg lesbar. Diese Überblendung der beiden Städte wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Auftraggeber selbst die terra sancta besuchte, wie seine auf dem Gemälde angebrachten Abzeichen dokumentieren. Womöglich führte die Reise ihm weniger die Differenz zwischen Jerusalem und der fränkischen Stadt vor Augen als ihre strukturelle Entsprechung. Eine solche doppelte Kodierung von 3
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Vgl. Paul Gerhard Klumbies: Das Raumverständnis in der Markuspassion, in: Baumgärtner/ Klumbies/Sick 2009 (wie Anm. 1), S. 127–144; Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, hg. und aus dem Franz. übers. von Stephan Egger (französische Originalausgabe Paris 1941), Konstanz 2003. Vgl. Elisabeth Vavra (Hg.): Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter (= Akten des 10. Symposiums des Mediävistenverbandes, Krems, 24. - 26. März 2003), Berlin 2005. Richard Krautheimer: Introduction to an ‚Iconography of Medieval Architecture‘, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5 (1942), S. 1–33.
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Orten bot den Künstlern Möglichkeiten, ein reiches Vokabular für Realitätsebenen und Bedeutungsdimensionen zu entwickeln. Die Räume der Passionsbilder wandeln sich in dem in diesem Band untersuchten Zeitraum erheblich. Aus Hintergrundsfolien werden distinkte Innen- und Außenräume, Beziehungen der Figuren werden als räumliche erkennbar. Räume können gerichtet sein, so dass die Handlung an den Betrachterinnen und Betrachtern vorbeizieht oder auf sie ausgerichtet ist.6 Die Zentralperspektive erweitert die Möglichkeiten, die Betrachter zu involvieren: Sie können in eine dramatische Nähe zur Marter Christi gerückt werden oder in weite Ferne. Ausschluss und Teilhabe am Heilsgeschehen werden so zu einer Frage des Raumes. Nicht nur die Position des Bildpersonals wird durch die Ordnung des Raumes fixiert, sondern auch der Betrachterstandpunkt: am Fuß des Kreuzes, in der Gruppe der Feinde oder Freunde Christi oder in einem eigenen abgetrennten Betrachterraum. So entstehen erneut hybride Räume, nun im Übergang zwischen Bildraum und Betrachterraum. Der Bildraum kann wie bei Pordenones Fresken in Cremona in den Betrachterraum vorstoßen oder die Betrachter können in den Bildraum gezogen werden wie bei manchen venezianischen oder altdeutschen Passionsbildern. Dies entspricht zwar der bekannten Aufforderung der Passionstraktate des 14. Jahrhunderts, sich imaginär an den Ort der Passion zu versetzen, doch in der Malerei und Graphik entwickelten sich neue spezifisch bildliche Strategien. Der Raumbezug von Passionsbildern ist eng mit ihrer Medialität und ihrer physischen Existenz verbunden. Lebensgroße Fresken und Skulpturen integrieren den Betrachter ganz anders in ihren Raum als Miniaturen in einer Handschrift, über die man sich beugt. Der Raum einer Kapelle ist physisch zu betreten, der eines Tafelbildes nur imaginär. Der vielleicht wesentlichste Raum, in dem die Passion visualisiert und aktualisiert wird, ist der ‚innere‘ Raum der Betrachterinnen und Betrachter, ihre Imagination, die wiederum durch die äußeren Bilder geprägt ist. Die Autoren der Frömmigkeitsliteratur werden nicht müde, ihre Leser aufzufordern, auf die Passion mit ihren innerlichen ‚Augen des Herzens‘ zu schauen und dem leidenden Christus einen Platz in ihrem Herz einzuräumen.7 Das Heilige Land, der Realraum der Passion, ist neben den Evangelien das wichtigste Zeugnis dafür, dass und wie die Passion stattgefunden hat. Trotz oder wegen dieses Authentizitätsanspruchs wurden die Heiligen Stätten 6
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Vgl. Wolfgang Kemp: Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996; Ursula Kundert, Barbara Schmid und Regula Schmid (Hg.): Ausmessen – Darstellen – Inszenieren. Raumkonzepte und die Wiedergabe von Räumen in Mittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2007. Zur Betrachterinvolvierung und Imagination vgl. u. a. Klaus Krüger und Alessandro Nova (Hg.): Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000.
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mehrfach überformt und für die Pilger, die sie aufsuchen, inszeniert. Bruno Reudenbach stellt in unserem Band die zentrale Frage, wieso es überhaupt zur Ausbildung der loca sancta kam, wenn der Christengott doch ursprünglich nicht an bestimmten Orten verehrt werden, sondern in den Herzen wohnen soll. Antike Vorstellungen vom locus religiosus erfüllen hier neue Funktionen, einerseits die der Identifizierung, Authentifizierung und Markierung, andererseits der Anbindung an biblische und außerbiblische Erzählungen. Der Ortskult in Jerusalem ließ sich, wie Reudenbach zeigt, durch Orts- und Kreuzreliquien an ferne Orte transferieren. Yamit Rachman-Schrire untersucht in ihrer Studie, wie der wichtigste Ort der Passion, der Fels Golgatha, von der natürlichen Landschaft getrennt und in die Architektur der Grabeskirche integriert, zum Kultort wurde. Weniger der Stein selbst als seine Einkerbungen und Löcher standen dabei im Zentrum der zunehmend körperbezogenen Riten der Pilger: also nicht das Präsente, sondern das Abwesende, das sich nur als Spur zeigt. Rachman-Schrire macht plausibel, dass hier Bernhard von Clairvaux‘ allegorische Ausdeutung der Stigmata Christi als Felsgeklüft auf den Golgatha-Fels rückübertragen wurde. Birgit Ulrike Münch thematisiert wie Reudenbach die Rekonstruktion der biblischen Topographie der Passion in Jerusalem, nun aber vor dem Hintergrund der protowissenschaftlichen historisch-archäologischen Bibelforschung ab der Mitte des 16.Jahrhunderts und im Spiegel neuer Medien wie der graphisch reproduzierten Jerusalem-Karten, die oft in Bibeldrucke eingebunden waren und als Ersatz für Wallfahrten in das Heilige Land dienen konnten. Am Beispiel u. a. der Karten des Christian van Adrichem stellt Münch die Frage, ob das neue Interesse an den ‚wahren‘ Orten der Passion auf katholischer bzw. protestantischer Seite differente Schwerpunktsetzungen unterscheiden lässt. Mit dieser Epochenproblematik der Konfessionalisierung schließt der zeitliche Rahmen der in diesem Band versammelten Beiträge. An einem konkreten und besonders komplexen Beispiel stellt Johann Schulz vor, wie eine Stadt zu Jerusalem wird. Er zeigt, dass die Evokation der Jerusalemer Passionsorte beim Nürnberger Kreuzweg, der in einer Heiliggrabkapelle endet, die Bürger mit der Verlegung des Friedhofs vor die Stadtmauern versöhnen sollte. Bezeichnenderweise setzte sich in den Darstellungen von Jerusalem, die nach den Berichten von Nürnberger Jerusalempilgern angefertigt wurden, erst um diese Zeit die bibel-historisch korrekte Topographie mit dem außerhalb der Stadt situierten Grab Christi durch. Die bis dato gültige Überblendung des biblischen mit dem zeitgenössischen Jerusalem des 15. Jahrhunderts wird aber nicht einfach korrigiert, sondern durch eine neue Überblendung abgelöst, die des Weges der Nürnberger zum Friedhof mit der via dolorosa Christi zum Kalvarienberg.
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Eine andere Form der Transferierung der loca sancta in das Abendland thematisiert Christian Freigang am Beispiel der Architektur‘kopie‘ des Görlitzer Kalvarienbergs. Er legt dar, dass die in ihrer topographischen Situation nachmessbar präzise angeordneten Nachbauten nicht unter ein einheitliches Mimesis-Konzept subsumiert werden können. Die affektivpersuasive Vergegenwärtigung in der Grablegungsskulptur unterscheidet sich von der historisch-reflexiv gebrochenen Evokation des Passionsgeschehens in der Kreuzkapelle. In ihr wird auf die Präsenz des Körpers Christi verzichtet und die Kreuzigung nur in ‚realen‘, durch die Evangelienberichte verbürgten Spuren erinnert. Eine solche vorreformatorische Bilderskepsis prägt auch die geradezu protoarchäologisch exakte Rekonstruktion der Grabädikula, die auf jede narrative Illustration verzichtet. Eine besonders krasse Überblendung von biblischem und zeitgenössischem Passionsort deckt Achim Timmermann an der rituellen Inszenierung öffentlicher Hinrichtungen im 14.-16. Jahrhundert auf. Die Vollstreckung des Todesurteils erscheint als ein grausame Wirklichkeit gewordenes Passionsspiel, der ‚Arme Sünder‘ wird zum Bild Christi, der Galgenberg vor den Mauern der spätmittelalterlichen Stadt verschmilzt mit Golgatha. Timmermanns besonderes Augenmerk gilt den unterschiedlichen Funktionsweisen der im Rahmen dieser Praktiken benützten Passionsbilder. ‚Armensünderkreuze‘ und Bildstöcke machten das Spektakel der Hinrichtung für die Zuschauer moralisierend deutbar. Die tragbaren Kruzifixe oder tavolette, die dem Verurteilten unmittelbar vor die Augen gehalten wurden, sollten ihn auf ein ‚gutes Sterben‘ vorbereiten. Die exzessiven Gewaltdarstellungen in Passionsspielen sind der Ausgangspunkt von Margreth Egidis Überlegungen. In ihnen differenziert sie zwei unterschiedliche Darstellungslogiken und Formen der Performativität. Die Inszenierungen der Misshandlungen Christi sind von der Täterperspektive geprägt, wobei sich die Handlung getrennt vom Raum des Betrachters abspielt. Bei der bildhaften Ausstellung des Leidens werden hingegen die Betrachter direkt adressiert. Im Vergleich mit Vesperbildern und ähnlichen Skulpturen spricht Egidi hier von ‚bühnenmäßigen Andachtsbildern‘, die den Spielfluss unterbrechen und die compassio anregen. Im inneren Raum der Imagination gleicht sich der Betrachter an den Leidenden an. Die direkte Adressierung führt zu einer Verschmelzung von Raum der Bühne und Raum der Zuschauer. Gestützt auf ein Ceremoniale des frühen 16. Jahrhunderts, vollzieht Anja Rathmann-Lutz am Beispiel des Baseler Münsters nach, wie durch die von Palmsonntag bis Ostern dauernden (para-)liturgischen Feiern Räume konstruiert und transformiert wurden, in einer synästhetischen Inszenierung, die mit der Wahl des Schauplatzes, der Bewegung der Akteure, mit Licht und Klang – aber auch deren Absenz – arbeitet. In Kirchenraum und
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Münstervorplatz wurden die historischen Orte der biblischen Erzählung aktualisierend imaginiert, gleichzeitig aber auch die aus Pilgerberichten bekannten zeitgenössischen Prozessionen in Jerusalem erinnert. Dieser liturgische ‚Passionsraum‘ überschnitt sich auf vielfältige Weise mit dem städtischen Raum und seinen politisch-historischen Dimensionen. Wie performative Aktualisierungen der Passion im Stadtraum auch für die bildliche Darstellungen fruchtbar wurden, verdeutlicht Heike Schlie, die sich mit den die einzelnen Erzählsequenzen simultan darstellenden Passionspanoramen des späten 15. Jahrhunderts beschäftigt. Sie zeigt auf, welch unterschiedliche bildmediale Möglichkeiten hier erprobt wurden. Durch die Anordnung in der Bildfläche wird ein vielszeniger Pariser Passionsholzschnitt entgegen der Erzähllogik in einen allegorischen Tugendberg verwandelt. Im Vorbild des Holzschnitts wiederum, Memlings berühmter Turiner Passion, wird im Parcours der Episoden der fiktive Stadtraum von Jerusalem mit dem durch die Heilig-Blut-Prozession innerhalb der realen Stadt Brügge konstituierten performativen Sakralraum überblendet. Schlies Analyse zeigt, wie der relationale, durch die Verknüpfungen von Orten konstituierte Raumbegriff der neueren Raumsoziologie für die Kunstwissenschaft fruchtbar gemacht werden kann, indem spezifisch ästhetische Dispositive berücksichtigt werden. Jeffrey Hamburger erkundet mit seinem Beitrag den inneren Raum des Herzens als den zentralen Schauplatz der Passionsandacht. Diesen verborgenen Raum beleuchtet er durch ein auf äußerst ungewöhnliche Weise illustriertes Graduale aus dem westfälischen Nonnenkloster Paradies. In seiner Analyse zeigt Hamburger die liturgische Struktur der zahllosen kleinen Illustrationen auf. Dabei hebt er auf die Durchdringung der verschiedenen Räume ab, der dargestellten wie der symbolisierten. Die Nonnen, die das Choralbuch für ihren eigenen Gebrauch herstellten, schrieben sich selbst mit kleinen Selbstdarstellungen in das Buch und damit in die Heilsgeschichte ein: Das Paradies als Zielort der Andacht und das Kloster der Nonnen überlagern sich. Am Beispiel einer um 1503 entstandenen südostdeutschen Handschrift, die fast ausschließlich deutsche Mariengebete enthält und bisher kaum beachtet wurde, fokussiert Andreas Krass die zentrale Rolle der compassio Mariens in der spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit. Kraß unterzieht die illustrierten Gebetstexte über die Schmerzen Marias und ihre Klagen angesichts des leidenden Sohnes einem auf die strukturellen Prinzipien von Bild und Text und deren buchinterne Relationen abhebenden ‚close reading‘. Er arbeitet heraus, wie die Gebete mit den kolorierten Federzeichnungen interagieren und einen imaginären, inneren Raum der Andacht eröffnen, in den die betenden Leserinnen und Leser eintreten können. Hans Aurenhammer verfolgt in seinem Beitrag, wie in der venezianischen Frührenaissance die neue Subjektivierung des Blicks durch die
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Perspektive bzw. die Entdeckung des natürlichen Umraums zu Transformationen des Bildraums der Kreuzigung Christi führten, die von der konventionellen Ikonographie abwichen. Die in Jacopo Bellinis Zeichnungen verfremdend auf das Passionsgeschehen geworfenen ungewöhnlichen ‚schrägen Blicke‘ involvieren den Betrachter, gleichzeitig wird die Kontingenz und Subjektivität seines Blickens auf Christus reflektiert und damit moralisiert. Bei Giovanni Bellini und Antonello da Messina hingegen verwandelt sich durch die Weitung der Hintergrundsszenerie und die Suspension jeglicher dramatischen Erzählung der Raum der Passion in eine ‚innere Landschaft‘ der Meditation. Daniela Bohde thematisiert das Verhältnis von Raumdarstellung, Blickbeziehungen und Betrachterinvolvierung in deutschen Graphiken aus der Zeit um 1500. Sie untersucht anhand von Kalvarienszenen, wie die Bildfiguren auf Christus schauen und wie dieser den Blicken der Betrachterinnen und Betrachter präsentiert wird. Dabei konstatiert sie eine Veränderung im Verhältnis von Bildraum und Betrachterraum: Ist Christus vor 1500 meist frontal präsentiert, so dass die Betrachter ihn sich einprägen können, ist er dagegen in Darstellungen des frühen 16. Jahrhunderts häufig den Blicken partiell entzogen, ja kehrt den Betrachtern den Rücken zu, so dass sie ihn ergänzen müssen. Der Imaginationsprozess bekommt so eine neue Richtung: Es geht nun weniger darum, sich das Bild Christi im Herzen einzuprägen, als das internalisierte Bild nach außen zu projizieren. Saskia Hennig von Lange untersucht einen Raum, der aus Edelsteinen, Gemälden und Reliquien gebildet wird, die Heilig-Kreuz-Kapelle in Karlstein. Sie schlägt vor, neu über das Verhältnis von Bild und Reliquie, Reliquiar und Rahmen, Schrein und Kapelle nachzudenken. Reliquien und Bilder stehen hier in einem merkwürdigen räumlichen Verhältnis: Passionsreliquien sind in das Kreuzigungsbild eingefügt, bei den Heiligenbildern sind die Reliquien jedoch in den Rahmen eingelassen. Auch in der Struktur der Kapelle sieht die Autorin eine Verkehrung von innen und außen: Sie versteht die Kapelle nicht, wie häufig vorgeschlagen wurde, als einen Reliquienschrein, sondern als ein den ganzen Raum umspannendes Reliquienretabel, das schließlich auch den Betrachter integriert und zu einem Bild macht. Jason Di Resta schließlich analysiert die Passionsfresken von Giovanni Antonio da Pordenone im Dom von Cremona aus den 1520er Jahren, welche die imaginäre Grenze zum Betrachterraum oft auf drastische Weise durchbrechen und so mit geradezu hysterischem Impetus die Gewaltsamkeit der bildinternen Passionsdarstellung noch potenzieren. Di Resta arbeitet heraus, wie diese Bildräume auf den ‚Realraum‘ der Kirche bezogen sind und verschiedene Zeitebenen – alttestamentliche Prophetie, die Geschichte der Passion, die Gegenwart der städtischen Gesellschaft, das antizipierte Jüngste
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Gericht – räumlich miteinander verschränken. In der bewussten Aufhebung der Trennung zwischen ästhetischer Fiktion und Realität sieht er ebenso wie in den gewaltsam entmenschlichenden Deformationen des Körpers Christi die künstlerische Darstellbarkeit der Passion prinzipiell in Frage gestellt. Die vom Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität und dem interdisziplinären Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften veranstaltete Frankfurter Tagung, aus der dieser Band hervorging, wurde durch die finanzielle Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität sowie der Benvenuto Cellini-Gesellschaft ermöglicht. All diesen Institutionen sei hier nochmals gedankt, außerdem Michaela Noll, die freundlicherweise das Lay-Out von Programm und Plakat übernahm. Unser Dank gilt besonders auch Bruno Reudenbach, der spontan anbot, die Publikation der Tagung in die von ihm herausgegebene Reihe ‚Vestigia Bibliae‘ aufzunehmen. Wir freuen uns, dass unser Projekt auf diese Weise im Rahmen der Forschungstätigkeit des Deutschen Bibel-Archivs zur biblischen Wirkungsgeschichte verankert werden konnte. Ein herzlicher Dank geht an Beatrice Kitzinger, Stanford University, die uns freundlicherweise bei der Redaktion der englischen Beiträge geholfen hat. Für die Vorbereitung der Drucklegung des Bandes danken wir schließlich dem Peter Lang Verlag und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere Friederike Meisner.
1. ‚Loca sancta‘
Bruno Reudenbach
Golgatha – Etablierung, Transfer und Transformation. Der Kreuzigungsort im frühen Christentum und im Mittelalter
Und sie führten ihn hinaus, dass sie ihn kreuzigten (et educunt illum ut crucifigerent eum). […] Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt: Schädelstätte (in Golgatha locum, quod est interpretatum Calvariae locus). (Mk 15,20)
So wortkarg bleibt der Evangelist Markus in seiner Erzählung der Passion, als er auf den Ort der Kreuzigung zu sprechen kommt. Und auch die anderen Evangelien wissen mehr nicht zu berichten. Sie nennen lediglich Golgatha, den Ort des Geschehens, der Schädelstätte (Calvariae locus) genannt wird, (Mt 27,32; Lk 23,33; Joh 19,17). Zu diesem Ort zieht man hinaus (Mt 27,32: exeuntes; Mk 15,20: educunt; Joh 19,17: exivit); die Schädelstätte liegt also vor der Stadt, prope civitatem erat locus, wie es explizit bei Joh 19,20 heißt. Auch liegt sie wohl erhöht auf einem Hügel, denn Matthäus, Markus und Lukas erwähnen später noch, dass die Frauen der Kreuzigung von Ferne zuschauen konnten, de longe aspicientes (Mt 27,55; Mk 15,40; Lk 23,49). Schon der älteste Pilgerführer, das 333/334 verfasste Itinerarium Burdigalense des anonymen Pilgers von Bordeaux, spricht daher von dem monticulus Golgatha.1 Dass die Evangelien sich diesem aus späterer Sicht so bedeutungsvollen Ort gegenüber so reserviert verhalten und nicht zu einer konkreteren und farbigeren Ausgestaltung finden, ist keine Besonderheit. Topographische Beobachtungen, die Würdigung von Orten oder gar die Hervorhebung heiliger Stätten, loca sancta, spielen in den biblischen Texten kaum eine Rolle, und sie waren auch für die Theologen in den ersten Jahrhunderten des Christentums nahezu bedeutungslos. Im Religionsverständnis des Neuen Testaments und des frühen Christentums war die Hinwendung zu Gott nicht an feste Orte gebunden und sie artikulierte sich nicht durch den Bau von Heiligtümern, als vielmehr durch geistige Erneuerung und Umkehr. Vielfach ist in den Evangelien die Leitidee formuliert, der auch die Urkirche folgte: Tempel Gottes sind die einzelnen Gläubigen und die Gemeinde (1 Kor 3,16), Gott soll im Herzen wohnen, nicht 1
Itineraria et alia geographica, hg. von Paul Geyer u. a., Turnhout 1965 (Corpus Christianorum. Series Latina; Bd. 175), S. 1–26 , hier 593.4, S. 17: A sinistra autem parte est monticulus golgotha, ubi dominus crucifixus est.
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Bruno Reudenbach
an Orten und in steinernen Gebäuden. Im Octavius, einem von Minucius Felix an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert verfassten Dialog, der zwischen dem Heiden Caecilius und dem Christen Marcus geführt wird, ist diese Position auf den Punkt gebracht, wenn Marcus gegen heidnische Kultpraktiken einwendet: Was für einen Tempel sollte ich Gott errichten, da doch das ganze Universum, das Werk seiner Hände, ihn nicht zu fassen vermag? […] Soll ich solch majestätische Macht in einem kleinen Gebäude einschließen? Sollten wir Gott da nicht besser in unserem Herzen verehren, ihm nicht in unserem Inneren ein Heiligtum weihen?2
In dieser Haltung sind dann Kritik und Ablehnung der beginnenden PalästinaWallfahrten durch die frühen Kirchenväter begründet.3 Umso mehr muss die Situation verwundern, die gut 250 Jahre nach der Abfassung der Evangelien in Jerusalem anzutreffen ist: Der locus Calvariae ist von einem weitläufigen Architekturkomplex eingefasst, der um 330 erbauten konstantinischen Anlage, die in Ost-West-Richtung verschiedene Bauten aneinander reiht (Abb.1). An ein quer gelagertes Atrium schließt westlich eine fünfschiffige Basilika an; auf diese folgt ein an drei Seiten mit einem Umgang versehener Hof, der die Basilika mit der westlich anschließenden Rotunde 2
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Minucius Felix: Octavius, 32,1f.; deutsche Übersetzung nach: Michael Fiedrowicz: Christen und Heiden. Quellentexte zu ihrer Auseinandersetzung in der Antike, Darmstadt 2004, S. 283; Robert A. Markus: How on Earth Could Places Become Holy? Origins of the Idea of Holy Places, in: Journal of Early Christian Studies 2 (1994), S. 257–271, hier S. 264. Bernhard Kötting: Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (Forschungen zur Volkskunde; 34/35), Münster 1950; Edward David Hunt: Holy Land Pilgrimage in the Later Roman Empire AD 312–460, Oxford 1982; Giles Constable: Opposition to Pilgrimage in the Middle Ages, in: Giles Constable: Religious Life and Thought (11th–12th centuries), London 1979, S. 125–146; Peter W. L. Walker: Holy City, Holy Places? Christian Attitudes to Jerusalem and the Holy Land in the Fourth Century, Oxford 1990, S. 19; Josef Engemann: Das Jerusalem der Pilger. Kreuzauffindung und Wallfahrt, in: Ernst Dassmann and Josef Engemann (Hg.): Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn 22.–28. September 1991, 2 Bde., Bd. 1, Münster 1995 (Studi di Antichità Cristiana 52,1 = Jahrbuch für Antike und Christentum; Ergänzungsbd. 20,1), S. 24–35, hier S. 24f.; Jörg Ulrich: Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa, in: Zeitschrift für antikes Christentum 3 (1999), S. 87–96; Allan Douglas Lee: Pagans and Christians in Late Antiquity. A sourcebook, London 2000, S. 283–286; Brouria Bitton-Ashkelony: Encountering the Sacred. The debate on Christian Pilgrimage in Late Antiquity, Berkeley/Los Angeles 2005 (The transformation of the classical heritage; 38); Ora Limor: ‚Holy Journey‘. Pilgrimage and Christian Sacred Landscape, in: Ora Limor und Guy G. Stroumsa (Hg.): Christians and Christianity in the Holy Land. From the Origins to the Latin Kingdoms, Turnhout 2006 (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages; 5), S. 325–333; Bruno Reudenbach: Loca sancta - Zur materiellen Übertragung der heiligen Stätten, in: Bruno Reudenbach (Hg.): Jerusalem, du Schöne. Vorstellungen und Bilder einer heiligen Stadt, Bern 2008 (Vestigia Bibliae; 28), S. 9–32, hier S. 10f.
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der Grabeskirche verbindet, in deren Zentrum ein eigenes monumentum das Grab des Herrn einfasst. Das südliche Seitenschiff der Basilika ist auf den Golgathafelsen ausgerichtet, der freistehend die Südost-Ecke des Umgangshofes einnimmt und so unmittelbar neben der rechteckigen Ummantelung der Basilika-Apsis in die Höhe ragt.4 In diesem Architekturkomplex ist eine gegenüber der eben skizzierten biblisch-urchristlichen Einstellung zu Orten grundlegend veränderte Haltung des 4. Jahrhunderts greifbar.5 Sie wurde manifest in dem oft beschriebenen, maßgeblich von Konstantin veranlassten Vorhaben, in Palästina signifikante Orte der Heilsgeschichte, wie die Stätte der Kreuzigung oder das Grab des Herrn, als loca sancta zu identifizieren und architektonisch zu markieren. Diese neue Bewertung materieller Orte, ihre Aufwertung zu heiligen Stätten, gründete auch in einer zunehmenden Romanisierung des Christentums, in der Allianz von römischer Religiosität und Christentum, die nicht zuletzt durch die Politik Konstantins des Großen befördert wurde. Anders als die alt- und neutestamentliche Überlieferung war die römische Religion stark raum- und ortsbezogen.6 Sie verfügte über differenzierte Praktiken der Raumstrukturierung, -orientierung und -zuordnung und sie operierte mit einer reichen Terminologie und vielgestaltigen Rhetorik von Orten. Das wörtliche Verständnis von religio als Bindung, nämlich Bindung an das Überirdische, konnte nicht nur für Menschen, sondern ebenso für Artefakte oder Gegenstände der Natur in Anspruch genommen werden. So kannte das römische Sakralrecht den locus religiosus, einen Ort, der an das Göttliche gebunden ist und damit sanctus wird. An einem solchen Ort waren Kraft und Macht des Göttlichen, das göttliche numen, besonders spürbar.7 Orte hatten aber nicht nur diese sakrale Dimension; neben der göttlichen Wirkmacht wurde ihnen auch eine Kraft der Erinnerung zugesprochen. Orte, so schreibt Cicero, könnten die Erinnerung an Personen wachrufen, so dass man meint, diese Personen gleichsam lebendig vor sich zu sehen. Sie haben die Kraft der Erinnerung und Vergegenwärtigung, eine vis admonitionis. Damit sind sehr knapp die ideen- und religionsgeschichtlichen Voraussetzungen skizziert, auf 4
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Jürgen Krüger: Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung, Regensburg 2000, S. 39–60 (dort auch die ältere Literatur); Joseph Patrich: Early Christian Churches in the Holy Land, in: Limor/Stroumsa (Hg.) 2006 (wie Anm. 3), S. 356–399. Dazu und zum Folgenden ausführlicher Bruno Reudenbach: Holy Places and Their Relics, in: Bianca Kühnel u. a. (Hg.): Visual Constructs of Jerusalem (im Druck [2014]). Hubert Cancik: Rome as Sacred Landscape, in: Visible Religion. Annual for Religious Iconography 4/5 (1985/86), S. 250–265. John Helgeland: Time and Space: Christian and Roman, in: Wolfgang Haase (Hg.): Religion. Vorkonstantinisches Christentum, Berlin/New York 1980 (Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, hg. von Hildegard Temporini und Wolfgang Haase, Teil 2, Bd. 23,2), S. 1285–1305, hier S. 1296f.
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die die Etablierung heiliger Stätten im 4. Jahrhundert rekurrierte. Sie waren als Orte des Wirkens Christi und der Epiphanie Orte der Erinnerung an biblische Geschichte. Mit der Markierung und architektonischen Besetzung der loca sancta wird Palästina insgesamt zum Heiligen Land und durch die Konfiguration der Erinnerungs- und Gedächtnisorte zum Mnemotop.8 Dessen Zentrum ist der Architekturkomplex in Jerusalem, in dem Kreuzigungsstätte und Grab Christi zusammengefasst sind. Im Laufe des 4. Jahrhunderts kommt neben dem Aufrufen göttlicher Wirkmacht und der Ereignis-Memoria an den heiligen Stätten ein dritter Aspekt ins Spiel: Die Orte werden zum Beweis für die Wahrheit des Evangeliums.9 Cyrill, der Bischof von Jerusalem, nimmt so mehrfach die Beweiskraft der Kreuzigungsstätte ausdrücklich in Anspruch: Man darf nie müde werden, die Lehre Christi zu hören, vor allem hier auf dem hochheiligen Golgatha. Während die anderen nur von ihm hören, sehen und berühren wir ihn […] Der Herr ist gekreuzigt worden. Dafür hast du Zeugnisse. Du siehst den Golgatha.10
Der berührbare, materielle Ort wird zum Nachweis für die Wahrheit des biblischen Geschehens. So zeigt sich an Golgatha, was für das Konzept der loca sancta generell gilt: Konstitutiv ist die Bindung des physischen Ortes, der materiellen Topographie an ein Ereignis. Die Überformung durch Geschichte, die biblische Erzählung, die legendarische Ausschmückung, die orale Überlieferung und das Gedenken mit seiner liturgischen Einkleidung machen den Ort zu einem verehrungswürdigen locus sanctus. Wie sieht dies bei Golgatha nun konkret aus? Der Ort der Kreuzigung Jesu lag wohl im Bereich des konstantinischen Architekturkomplexes und war in Jerusalemer Lokaltradition auch in konstantinischer Zeit noch bekannt, er kann aber kaum der Felsen gewesen sein, der 8
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Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1997, S. 59f.; Susanne Lehmann-Brauns: Jerusalem sehen. Reiseberichte des 12. bis 15. Jahrhunderts als empirische Anleitung zur geistigen Pilgerfahrt, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2010 (Berliner Kulturwissenschaft; Bd. 9), S. 44–52. Andreas Hartmann: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungspraktiken in antiken Gesellschaften, Berlin 2010 (Studien zur Alten Geschichte; Bd. 11), S. 599–603. Cyrill von Jerusalem: Katechesen 13.22f. – deutsche Übersetzung nach: Cyrill von Jerusalem: Katechesen, übers. und eingeleitet von Philipp Haeuser, Kempten/München 1922 (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe; Bd. 4), S. 220f.; s. auch 4.10, S. 67: “ Er ist für unsere Sünden wahrhaft gekreuzigt worden. Willst du es leugnen, so belehrt dich der Ort, den du siehst, dieser hl. Golgatha, auf dem wir jetzt um dessentwillen versammelt sind, der auf ihm gekreuzigt worden war.“ – Jan Willem Drijvers: Cyril of Jerusalem. Bishop and City, Leiden/Boston 2004 (Supplements to Vigiliae Christianae, 72), passim, bes. S. 155ff.; Walker 1990 (wie Anm. 3), S. 329; Markus 1994 (wie Anm. 2), S. 259.
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als der tatsächliche Kreuzigungsort verehrt wurde.11 Eusebius von Caesarea, der sich als einer der wichtigsten Gewährsleute ausführlich mit Konstantins Bauvorhaben befasst, verliert allerdings gerade über Golgatha, die Kreuzigung und das Kreuz kein Wort. Dennoch stand zunächst offenbar nicht das Grab, sondern Golgatha als Gedenkort der Kreuzigung und allgemeiner der Passion, standen also Kreuz und Kreuzkult im Vordergrund.12 Die Deutung der konstantinischen Basilika als einer Kreuz- und Passionskirche gewinnt an Wahrscheinlichkeit, setzt man sie in Beziehung zur historischen Einordnung der Kreuzauffindung.13 Die Entdeckung des Kreuzesholzes durch Helena ist in Schriftquellen erst seit dem Ende des 4. Jahrhunderts greifbar, erstmals in der Trauerrede des Mailänder Bischofs Ambrosius auf den im Jahre 395 verstorbenen Kaiser Theodosius, also rund 70 Jahre nach dem in der Legende behaupteten Ereignis. Nach einer kritischen Analyse der Quellen ist in der Forschung inzwischen jedoch die Tendenz gewachsen, der Kreuzauffindungslegende einen historisch wahren Kern zuzubilligen.14 Demnach ist das Kreuz um das Jahr 325/326 eher zufällig bei den Erdarbeiten zum Abriss des heidnischen Tempels am Ort des Grabes und des Kreuzigungsfelsen zum Vorschein gekommen. Stefan Heid geht so weit, in der Auffindung des Kreuzes 11
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Zur Geschichte und Archäologie Golgathas und der dem Ort angelagerten Vorstellungen: Gustav Klameth: Die neutestamentlichen Lokaltraditionen Palästinas in der Zeit vor den Kreuzzügen, Bd. 1: Die Traditionen Nazareths und Bethlehems. Golgathatraditionen, Münster 1914 (Neutestamentliche Abhandlungen; Bd. 5,1), S. 88–138; Joachim Jeremias: Golgatha, Leipzig 1926 (Angelos. Archiv für neutestamentliche Zeitgeschichte und Kulturkunde, Beiheft 1); Georg Kretschmar: Festkalender und Memorialstätten Jerusalems in altkirchlicher Zeit, in: Heribert Busse und Georg Kretschmar: Jerusalemer Heiligtumstraditionen in altkirchlicher und frühislamischer Zeit, Wiesbaden 1987 (Abhandlungen des deutschen Palästinavereins), S. 29–111; Max Küchler: Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt, Göttingen 2007 (Orte und Landschaften der Bibel; Bd. 4,2), S. 415– 424, 438ff. Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 34–37. H. A. Drake: Eusebius on the true cross, in: Journal of Ecclesiastical History 36 (1985), S. 1–22, bes. S. 9–11. Stefan Heid: Der Ursprung der Helenalegende im Pilgerbetrieb Jerusalems, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 32 (1989), S. 41–71; Stephan Borgehammar: How the holy cross was found. From event to medieval legend; with an appendix of texts, Stockholm 1991 (Bibliotheca theologiae practicae; Bd. 47); Jan Willem Drijvers: Helena Augusta: The mother of Constantine the Great and her finding of the true cross, Leiden 1992; Barbara Baert: A heritage of holy wood. The legend of the true cross in text and image, Leiden 2004 (Cultures, beliefs and traditions; Bd. 22). Dazu resümierend und mit einer neuen These zu Rolle Eusebs in der Überlieferung Stefan Heid: Die gute Absicht im Schweigen Eusebs über die Kreuzauffindung, in: Römische Quartalschrift für christliche Alterumskunde und Kirchengeschichte 96 (2001), S. 37–56. Holger A. Klein: Byzanz, der Westen und das ‚wahre‘ Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz, Reihe B; Bd. 17), Wiesbaden 2004, S. 22 datiert die Kreuzauffindung dagegen noch in die Zeit „zwischen 330 und 350“.
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den eigentlichen Anstoß für den Bau der konstantinischen Anlage zu sehen. Konstantin sei von der Entdeckung der Kreuzreliquie als eines Zeugnisses für das Leiden Jesu fasziniert gewesen und habe deshalb die Errichtung einer „Kreuzauffindungsbasilika“ veranlasst.15 Folgt man dieser Lesart, dann war das Kreuz selbst, die Kreuzreliquie, der Nukleus der konstantinischen Anlage als einer Memorialstätte der Kreuzigung. Die Stelle der Kreuzauffindung war in die Basilika einbezogen; der Bau war auf die Stätte der Kreuzigung ausgerichtet und lag post crucem. Schon um die Mitte des 4. Jahrhunderts erwähnt Cyrill von Jerusalem dann explizit auch die Verehrung des Kreuzesholzes und die Verbreitung von Kreuzreliquien.16 Der berühmte Reisebericht der Nonne Egeria, der vermutlich in die Jahre 381/384 gehört, beschreibt dann erstmals auch Einzelheiten der in Jerusalem und an den heiligen Stätten stattfindenden Liturgie. Dabei wird die Basilika regelmäßig durch ihre Lage beim Kreuzigungsort (post crucem) bezeichnet. So heißt es beispielsweise zum Stundengebet am Sonntagmorgen: „Bei Tagesanbruch geht man dann, weil Sonntag ist, in die große Kirche, die Konstantin auf Golgota hinter dem Kreuz hat erbauen lassen.“17 Und wenig später wird die Basilika erneut als „die große Kirche […], das heißt die, die auf Golgota steht – also hinter dem Kreuz“ bezeichnet.18 In der Beschreibung des Morgenlobs am Palmsonntag führt Egeria als weitere Bezeichnung der großen Kirche, also der Basilika, den Begriff martyrium ein, den sie folgendermaßen erklärt: „Sie wird deswegen Martyrium genannt, weil sie auf Golgota steht, das heißt hinter dem Kreuz, wo der Herr gelitten hat - deswegen also Martyrium.“19 15
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Heid 2001 (wie Anm. 14), S. 43–46, 54. Heid begründet das Schweigen des Eusebius über die zufällige Kreuzauffindung damit, dass Eusebius Konstantin einen umfassenden und stringenten Heilig-Land-Plan zuschreiben wollte, in dem ein Zufallsfund, der für den Bau der Basilika beim Golgathafelsen den Anstoß gab, keinen Platz haben konnte. Entsprechend stellt Heid in Frage, dass Konstantin ein theologisches Konzept heiliger Stätten gehabt habe (ebd. S. 54). Cyrill von Jerusalem: Katechesen (wie Anm. 10), 10.19, S. 158: „Zeugnis gibt das heilige Kreuzesholz, welches bis auf den heutigen Tag bei uns zu sehen ist, und dessen Partikel von Gläubigen fast über die ganze Erde verbreitet worden sind.“ - Zum frühen Kreuzkult und zur Verehrung der Reliquien des wahren Kreuzes zuletzt Klein 2004 (wie Anm. 14). Egeria: Itinerarium – Reisebericht (lat.-deutsch) übers. und eingeleitet von Georg Röwekamp, Freiburg i. Br. u. a. 1995 (Fontes Christiani; 20), 25.1, S. 234f.: Cum luce autem […] proceditur in ecclesia maiore, quam fecit Constantinus, quae ecclesia in Golgotha est post Crucem. Ebd. 25.6, S. 236f.: […] in ecclesia maiore procedatur, id est quae in Golgatha est, id est post crucem. Ebd. 30.1, S. 256f.: […] proceditur […] in ecclesia maiore, quae appellatur Martyrium. Propterea autem Martyrium appellatur, quia in Golgotha est, id est post Crucem, ubi Dominus passus est, et ideo Martyrium.
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Dem Bericht der Egeria lässt sich aber nicht nur die immer wieder durch die Lage zum Kreuz beschriebene Positionierung der Basilika entnehmen; der Text ist auch das früheste Zeugnis dafür, wie man sich die Praxis der Kreuzverehrung an diesem Ort vorzustellen hat. Der erst im frühen 5. Jahrhundert beginnenden Darstellungsgeschichte der Kreuzigung geht demnach der frühe Kreuzkult mit der Verehrung der Kreuzreliquie am authentischen Ort um mehrere Jahrzehnte voraus. Ausführlich schildert Egeria die Kreuzverehrung im Rahmen der Karfreitagsliturgie.20 Sie findet statt „auf Golgota […] hinter dem Kreuz“, also vermutlich im Westteil des südlichen Seitenschiffs, der ja an den im Hof freistehenden Felsen grenzte. Nachdem der Bischof dort auf einem eigens herbeigeschafften Sitz Platz genommen hat, wird vor ihm ein mit Leinen bedeckter Tisch aufgestellt. „Dann wird ein vergoldetes Silberkästchen gebracht, in dem sich das heilige Holz befindet; es wird geöffnet, das Kreuzesholz herausgehoben und zusammen mit der (Kreuzes-) Inschrift auf den Tisch gelegt.“21 Nun treten die Gläubigen vor, „verbeugen sich, berühren zuerst mit der Stirn, dann mit den Augen das Kreuz und die Inschrift, küssen das Kreuz und gehen weiter.“22 Zur sechsten Stunde versammelt man sich dann nicht post Crucem, sondern unter freiem Himmel vor dem Kreuz (ante Crucem), um dort zum Anlass passende Lesungen und die Passionsberichte der Evangelien zu hören. Dies dauert bis zur neunten Stunde. „Sobald aber vor dem Kreuz die Entlassung erfolgt ist, gehen alle sofort in die große Kirche, ins Martyrium, und dort vollzieht man alles, was man gewöhnlich in dieser Woche von der neunten Stunde bis zum Abend dort tut, wenn man im Martyrium zusammenkommt. Nach der Entlassung aus dem Martyrium geht man zur Anastasis, und wenn man dort angekommen ist, wird die Stelle aus dem Evangelium gelesen, wo Josef von Pilatus den Leichnam des Herrn erbittet und ihn dann in ein neues Grab legt (vgl. Joh 19,38–42). Nach dieser Lesung wird ein Gebet gesprochen, die Katechumenen werden gesegnet, und es erfolgt die Entlassung.“23 20 21
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Egeria 1995 (wie Anm. 17), 37.1–3, S. 272–275. Ebd. 37.1, S. 272f.: Et sic ponitur cathedra episcopo in Golgotha post Crucem […] ponitur ante cum mensa sublinteata […] et affertur loculus argenteus deauratus, in quo est lignum sanctum crucis, aperitur et profertur, ponitur in mensa […]. Ebd. 37.3, S. 272f.: […] Ac sic ergo omnis populus transit unus et unus toti acclinantes se, primum de fronte, sic de oculis tangentes crucem et titulum, et sic osculantes crucem pertranseunt. Ebd. 37.8, S. 276f.: At ubi autem missa facta fuerit de ante Cruce, statim omnes in ecclesia maiore ad Martyrium conveniunt et aguntur ea, quae per ipsa septimana de hora nona, qua ad Martyrium convenitur, consueverunt agi usque ad sero per ipsa septimana. Missa autem facta, de Martyrium venitur ad Anastase. Et ibi cum ventum fuerit, legitur ille locus de evangelio ubi petit corpus Domini Ioseph a Pilato, ponet illud in sepulcro novo. Hoc autem lecto fit oratio, benedicuntur cathecumini, sic fit missa.
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Der liturgische Ablauf orientierte sich demnach an den biblischen Zeitangaben, der Vorführung Jesu vor Pilatus zur sechsten Stunde (Joh 19,14) und seinem Tod zur neunten Stunde (Mt 27,46). Elemente der Liturgie waren vor allem das Lesen der Passionberichte in den Evangelien und weiterer Bibelstellen zur Passion, also die Vergegenwärtigung des Kreuzigungsgeschehens durch die biblischen Texte, außerdem die Einbeziehung der Reliquie des wahren Kreuzes und schließlich das Aufsuchen der authentischen Orte von Kreuzigung und Grablegung. Die Kreuzverehrung war offenbar eine liturgisch geformte, weitgehend memorative Praxis, die das Passionsgeschehen in der Basilika, am Golgathafelsen und in der Grabeskirche inszenierte. Dem Kreuzigungsort werden dann im Laufe der Zeit weitere Spuren, Überlieferungen und Vorstellungen zugeschrieben. Die Nachricht des Matthäusevangeliums, dass beim Tode Jesu ein Erdbeben die Felsen zerreißen ließ (Mt 27,52), bezieht man auf Golgatha. Wieder ist es Cyrill von Jerusalem, der als erster von dem Riss im Golgathafelsen spricht und diesen als Nachweis des Kreuzestodes anführt: […] dieser heilige, hochgelegene Golgatha hier, den man noch heutigen Tages sehen kann und der noch jetzt zeigt, dass seinerzeit Christus wegen die Felsen sich spalteten.24
Auch wird eine Blutspur, die das vom Kreuzesstamm herabfließende Blut Jesu hinterlassen habe, mit der Felsspalte in Verbindung gebracht.25 Bis ins 2. Jahrhundert lässt sich die Legende vom Grab Adams zurückverfolgen, deren Herkunft, Überlieferung und Verbindung mit Golgatha überaus komplex und schwer zu klären ist. Sicher aber ist, dass sich spätestens im 7. Jahrhundert nach der Verwüstung der Anlage durch die Perser und dem schnellen Wiederaufbau durch Modestos diese Legende „eine Stätte in der Grabeskirche geschaffen hat“.26 Von Westen her baute man an den Fuß des Felsens eine eigene Adamskapelle an, in der das Grab Adams verehrt wurde. Die der Kreuzigungsikonographie bekannte Figuration, bei der Adam oder sein Schädel unter dem Kreuz erscheint, ist demnach nicht allein eine Bildkomposition zur visuellen Explikation der Adam-Christus-Typologie: Mit Adam wird der Typus unten platziert, Christus als der diesen Typus übertreffende Antitypus ist darüber dargestellt. Vorgebildet ist diese Anordnung aber am konkreten Ort selbst mit dem Grab am Felsenfuß und der Felsenspitze als der Kreuzigungsstätte. 24 25 26
Cyrill von Jerusalem: Katechesen (wie Anm. 10), 13.39, S. 333. Vgl. zum Golgathafelsen den Beitrag von Yamit Rachman-Schrire in diesem Band. Zu Felsspalte und Blutspur: Klameth 1914 (wie Anm. 11), S. 114–121, 127–133; Jeremias 1926 (wie Anm. 11), S. 45–48; Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 39. Jeremias 1926 (wie Anm. 11), S. 36; zum Adamsgrab an Golgatha ebd. S. 34–40; Klameth 1914 (wie Anm. 11), S. 106–114; Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 39, 84–93.
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Nur kurz erwähnt seien die Lokaltraditionen, die den Komplex der Grabeskirche und speziell Golgatha mit dem großen jüdischen und später muslimischen Sakralbezirk im Nordosten der Altstadt von Jerusalem, mit dem Areal des Tempelberges, verbinden.27 Nicht nur die Adam-Christus-Typologie, sondern auch die Vorprägung des Todes am Kreuz durch die Opferung Isaaks wurde an der Kreuzigungsstätte konkretisiert, indem man seit dem 6. Jahrhundert (?) im Golgathafelsen auch den Ort erkannte, an dem Abraham seinen Sohn Isaak geopfert habe.28 Dieser Ort wanderte damit ebenso vom Tempelberg zur Kreuzigungsstätte wie die Vorstellung von der Weltmitte, die später im Hof zwischen Grabeskirche und Basilika und danach unter der Vierungskuppel der Kreuzfahrerkirche lokalisiert wurde.29 Auch diese vielleicht schon vorisraelitische Vorstellung hing ursprünglich am Tempelberg und wanderte dann zum Golgatha. Jerusalem und spezieller Golgatha und das Kreuz als Mittelpunkt der Welt, dieses Motiv wurde bedeutsam nicht zuletzt für die kosmologischen Implikationen, die schon die frühen Kirchenväter wie auch die mittelalterlichen Kreuzspekulationen dem Kreuz abgewannen.30 Zur Etablierung der heiligen Stätten gehörte also nicht nur deren Identifizierung und Markierung, sondern auch deren Bindung an das in den Evangelien geschilderte Geschehen, an legendarische und historische Überlieferungen und Vorstellungen. Schon Egeria weiß zu berichten, dass der Besuch der Stätten sich an der Heiligen Schrift orientierte und dass die jeweiligen biblischen Ereignisse den Pilgern von Führern (deductores) erklärt und nahegebracht wurden.31 Auch der Felsen am locus Calvariae wurde als Ort der Kreuzigung zum Schnittpunkt vielfältiger Überformungen des Passionsgeschehens mit religiösen oder kosmologischen Ideen. Dies alles gewährleistete erst die Etablierung und Aufwertung des Felsen, des materiellen Ortes, zum locus sanctus. Das bedeutet allerdings nicht, dass bei der Dominanz der kulturellen Überschreibung dessen physische Qualität eine zu negierende Größe wäre. Die Überschreibungen sind notwendig an die Topographie gebunden, bedürfen eines Kristallisationspunktes, eines materiellen Ortes, an den sie angelagert werden 27
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Sylvia Schein: Between Mount Moriah and the Holy Sepulchre. The Changing Traditions of the Temple Mount in the Central Middle Ages, in: Traditio 40 (1984), S. 175–195; Heribert Busse: Tempel, Grabeskirche und Haram aš-Šarif. Drei Heiligtümer und ihre gegenseitigen Beziehungen in Legende und Wirklichkeit, in: Busse/Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 1–27. Jeremias 1926 (wie Anm. 11), S. 48–50; Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 97–99. Klameth 1914 (wie Anm. 11), S. 88–106; Jeremias 1926 (wie Anm. 11), S. 40–45; Kretschmar 1987 (wie Anm. 11), S. 92–97; Krüger 2000 (wie Anm. 4), S. 134–136. Zur Kreuzspekulation der Kirchenväter s. Hugo Rahner: Griechische Mythen in christlicher Deutung, 3. Aufl. Freiburg i. Br. 1992, S. 55–73. Egeria 1995 (wie Anm. 17), 5.12, S. 144; ebd. 1.1, S. 118.
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können. Wenn Cyrill von Jerusalem die Kreuzigung durch die Existenz des Golgathafelsens nachgewiesen sieht und dies mit den Worten „Wir sehen und berühren ihn“ bekräftigt, dann ist damit erst recht auf die physische Qualität des Ortes, der berührbar ist, rekurriert.32 An der Materialität des Ortes hängt aber vor allem die im Kontext des Pilgerwesens sehr früh zu beobachtende Praxis, über Reliquien der hl. Orte zu verfügen.33 Dazu verband sich die Idee der loca sancta mit dem Reliquienkult. Gemeinsam war beiden, dass Materie mit der Kraft der Erinnerung und der Fähigkeit zu Vergegenwärtigung und Heilsvermittlung angereichert werden könne. Durch den Reliquienkult kam der Glaube hinzu, dass sich diese Kraft durch physische Berührung übertragen oder durch Teilung vervielfältigen ließe. Auch von Golgatha gerieten Reliquien in Umlauf. Es ist allerdings zu beobachten, dass Kreuzreliquien, Holzspäne des „wahren Kreuzes“, einen erheblich höheren Rang hatten, als Materie, die vom Ort entnommen war, in der Regel Steine, seltener Erde, darunter auch blutgetränkte Erde. Reliquien des Kreuzes selbst wurden in der Regel in eigenen Kreuzreliquiaren, in Staurotheken ebenso wie in Pektoralien geborgen.34 Demgegenüber sind Steine vom Golgathafelsen meist nicht derart exponiert präsentiert und eher Teil von Sammlungen mit Passions- und Heiligenreliquien oder mit Materie anderer loca sancta.35 Beispielsweise waren im Aachener Marienschrein neben den Hauptreliquien, den Windeln Jesu, dem Kleid Mariens und dem Enthauptungstuch des Johannes, über achtzig weitere Reliquien gesammelt, darunter auch Holzspäne von Krippe und Kreuz, ein Stück des Essigschwamms und ein Stein von Golgatha.36 32 33 34
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S. oben Anm. 10. Dazu und zum Folgenden mit Beispielen Reudenbach 2008 (wie Anm. 3); Reudenbach (wie Anm. 5). Zu Kreuzreliquien und -reliquiaren ausführlich Klein 2004 (wie Anm. 14); Gia Toussaint: Kreuz und Knochen. Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge, Berlin 2011; zur Darstellung der Kreuzigung und Kreuzverehrung auf Pilgerampullen Katharina Krause: Darstellungen der Kreuzesverehrung auf palästinensischen Pilgerampullen, in: Mitteilungen zur spätantiken Archäologie und byzantinischen Kunstgeschichte 2 (2000), S. 9–51. Eine Durchsicht zahlreicher Reliquienverzeichnisse, die im Rahmen des Forschungsprojektes „The Holy Land Elsewehre“ am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg durchgeführt wurde, stützt diese Annahme. Für die Auswertung und Zusammenstellung der Ergebnisse danke ich Fridericke Conrad und Henriette Hofmann. Hartmut Kühne: Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisung im römisch-deutschen regnum, Berlin/ New York 2000 (Arbeiten zur Kirchengeschichte; Bd. 75), S. 194; Bruno Reudenbach: Der Marienschrein und seine Reliquien – eine problematische Beziehung, in: Andreas Gormans und Alexander Markschies (Hg.): Venite et videte. Kunstgeschichtliche Dimensionen der Aachener Heiligtumsfahrt, Aachen 2012 (Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen; Bd. 27), S. 95–120, S. 103f.
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Mit der Entnahme von Materie, ihrer Trennung von den heiligen Stätten und ihrem Transfer in den neuen Kontext einer Reliquiensammlung ist aber die ursprüngliche Allianz von Ortsmaterie und legendarischen oder biblischen Narrativen nicht außer Kraft gesetzt, sie kann im Gegenteil neu hergestellt werden durch die Reliquiare. Diese versetzen die materiellen Relikte der Orte in einen neuen Kontext, der häufig die kulturelle Überformung der tatsächlichen Orte neu konstituiert, variiert oder ersetzt. Weder die Herkunft noch die ihnen innewohnende Heils- und Gedächtniskraft gibt die Reliquienmaterie zu erkennen. Neben der Authentifizierung durch Schrift sind es vor allem die Bilder an den Außen- und Innenseiten der Reliquiare, die biblische Ereignisse aufrufen, zu den Reliquien in Beziehung setzen und so die Kraft der heiligen Stätten auch im Transfer sicherstellen. Der Ort ist durch die steinernen Relikte zwar von seiner natürlichen Topographie separiert, aber dennoch materiell präsent. Bild und Schrift der Reliquiare ersetzen dann das mündliche, schriftliche und performative Erinnern des Ereignisses am originalen Ort. Exemplarisch lässt sich dieses Ineinandergreifen von Reliquie, Bild und Schrift an dem kleinen Brustkreuz aus Pliska (Abb. 2) nachvollziehen, das aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammt.37 Das Kreuz diente als Reliquiar zur Aufnahme einer Kreuzreliquie. Ein goldenes äußeres Kreuz, das man aufklappen kann, umschließt ein innen liegendes, ebenfalls goldenes Kreuz, in dem die Kreuzreliquie geborgen ist. Dieses innere Kreuz zeigt auf der einen Seite die Kreuzigung, wobei der Stamm des Kreuzes von der Kreuzreliquie ausgefüllt wird, so dass der Holzspan auch als Vergegenwärtigung des Leibes Christi angesehen werden kann. Nicht auf diese Reliquie aber weist die Schrift hin; sie identifiziert vielmehr den Ort des Geschehens. Neben dem Stamm des Kreuzes ist topos kraniou zu lesen, Schädelstätte. Unter dem Suppedaneum am Kreuzesfuß ist ein Schädel dargestellt, womit zugleich die Vorstellung von Golgatha als Ort von Adams Grab und Schädel aufgenommen ist. Die Entnahme von Steinen, Erde, Holz oder Öl von ihrem ursprünglichen Herkunftsort, der Stätte der Kreuzigung, und die Übertragung dieser in einen neuen Kontext, der durch Bild und Schrift geprägt wird – dieses Konzept kann demnach als eine Entsprechung zur Konstitution der loca sancta zwischen Materialität und deren kulturellen Überschreibungen angesehen werden. 37
Ljudmila Dontcheva-Petkova: Une croix pectorale-reliquaire en or récemment trouvée à Pliska, in: Cahiers Archéologique 25 (1976), S. 59–66; Anna D. Kartsonis: Anastasis. The Making of an Image, Princeton 1986, S. 95–110; AK The Glory of Byzantium. Art and Culture of the Middle Byzantine Era, A. D. 843–1261, hg. von Helen C. Evans und William D. Wixom, New York, Metropolitan Museum of Art, 1997, S. 331f., Nr. 225; Erik Thunø: Image and Relic. Mediating the Sacred in Early Medieval Rome, Rome 2002 (Analecta Romana Instituti Danici; Suppl. 32), S. 129f.; Klein 2004 (wie Anm. 14), S. 159, 201.
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Dabei macht die Präsentation der materiellen Relikte ohne reale topographische Einbindung sie erst recht empfänglich für neue Überschreibungen. Sind es beim Kreuz aus Pliska Bild und Schrift, die den Kreuzigungsort der Kreuzreliquie zuordnen, so werden beim Zwiefaltener Kreuzreliquiar (Abb. 3) die zentrale Kreuzreliquie und Ortsreliquien in Beziehung zueinander gesetzt. Sockel und Bekrönung des Reliquiars im heutigen Zustand sind spätere Ergänzungen. Das ursprüngliche Reliquiar aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts hatte die Form eines Kreuzes. In seinem Zentrum ist hinter einer Bergkristallplatte sichtbar das eigentliche Kreuzreliquiar eingesetzt, ein aus Jerusalem stammendes kleines Kreuz, bei dem um die zentrale Kreuzreliquie herum an den Kreuzenden Partikel von vier heiligen Stätten angebracht sind. Sorgsam ist die Überlieferung von deren Herkunft für die Nachwelt schriftlich gesichert und im klösterlichen Schatzverzeichnis von 1135 festgehalten: Im oberen und mittleren Teil des kleinen Kreuzes ist ein Teil vom Kreuz des Herrn enthalten, in der Spitze ein Stück des Felsens, von dem aus der Herr in den Himmel aufgefahren ist; im rechten Arm desselben heiligen Kreuzes ein Steinchen vom Grabe des Herrn, im linken eines vom Kalvarienberg, im unteren Teil ein Stück von der Krippe des Herrn. Dies ist in dem aus Jerusalem mitgebrachten hölzernen Kreuzchen selbst enthalten.38
Mit den Reliquien der loca sancta sind also nicht nur Stätten im Heiligen Land gegenwärtig, sondern auch Stationen des Lebens Christi aufgerufen, auf die Kreuzreliquie bezogen und zum Kreuz formiert, von der Geburt unten über Tod und Grablegung bis zur Himmelfahrt oben - die Kreuzreliquie repräsentiert Christus selbst, die Ortsreliquien vergegenwärtigen seine Vita. So lässt sich die Beschreibung im Schatzverzeichnis auch wie das Itinerar einer Pilgerfahrt lesen. Die Bindung der in das Reliquiar transferierten Orte an die Vita Christi wird durch den direkten Eintrag der Reliquien in den kreuzförmigen Leib Christi visuell vorgeführt und nicht durch Bilder, aber durch schriftliche und sicherlich auch mündliche Überlieferung gesichert. Das Reliquiar des 12. Jahrhunderts erweitert diese Überlagerung der Orte noch einmal und schafft für die christologisch verstandene Figuration aus Kreuz und loca sancta einen ekklesiologisch-kosmologischen Kontext. Der Reliquienbestand wird durch Apostelreliquien erweitert, und auf der Vorderseite des Reliquiars sind mit kleinen Email-Medaillons Kopf, Hände und Füße Christi dargestellt. Sie sind auf den Positionen der vier Himmelsrichtungen und damit in unmittelbarer Nähe zu den Ortsreliquien platziert und schließen sich so zu einer kosmologischen Syndesmos-Figur zusammen. Mit dieser aus Weltkarten und 38
Mittelalterliche Schatzverzeichnisse, I: Von der Zeit Karls des Grossen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. von Bernhard Bischoff, München 1967 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte; Bd. 4), S. 113–117, hier S. 114; Klein 2004 (wie Anm. 14), S. 199.
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Kosmosdiagrammen bekannten Ikonographie wird auch hier die Vorstellung des von Kreuz und corpus Christi erfassten Kosmos aufgerufen.39 Das Kreuz, die hl. Stätten, corpus Christi und Kosmos sind auf diese Weise im Reliquiar zu einem christologischen Heils- und Gedächtnisraum zusammengefasst. Reflektiert dieser Raum durch die materiellen Reliquien wie durch deren beglaubigte Herkunft aus Jerusalem noch den Rekurs auf die Gedächtnistopographie der loca sancta, so lässt sich andererseits auch beobachten, dass Motivfelder und Ideenkonstrukte, die dieser konkreten Topographie angelagert wurden, sich auch wieder von ihr ablösen und bei Verlust der topographischen Bindungen verselbständigen konnten. So kommt das Wort Golgatha im dem um 813/814 von dem Fuldaer Mönch Hrabanus Maurus geschaffenen Liber sanctae crucis, dem wohl bedeutendsten Zeugnis der Kreuzverehrung im Frühmittelalter, nicht einmal vor.40 In dem Zyklus von 28 Figurengedichten wird das Kreuz als Zeichen einer universalen Ordnung vorgeführt, das den Kosmos in allen seinen Erscheinungen prägt. Ob dabei die Adam-Thematik, der Weltkreis oder das Himmlische Jerusalem zur Sprache kommt – nirgends bindet Hraban diese Motive an das reale Jerusalem und Golgatha zurück. Es fehlt jeder Bezug auf die heiligen Stätten, auf Realien und Reliquien aus dem Heiligen Land, wie er anderweitig im geistlichen und kulturellen Leben des Klosters Fulda wichtig und mehrfach nachweisbar ist. Von Kreuzreliquien ist in der historiographischen Überlieferung des Klosters, in den Altartituli und Dichtungen Hrabans die Rede, und die Michaeliskirche ist möglicherweise als tumulus Christi gedacht gewesen.41 39 40
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Anna C. Esmeijer: Divina Quaternitas. A Preliminary Study in the Method and Application of Visual Exegesis, Assen 1978, S. 97–108. Hrabanus Maurus: In honorem sancti crucis, hg. von Michel Perrin, Turnhout 1997 (Corpus Christianorum. Series Latina Continuatio mediaevalis; Bd. 100). Aus der umfangreichen Literatur zu Hrabans Kreuzdichtung sei nur hingewiesen auf Michele C. Ferrari: Hrabanica. Hrabans De laudibus sanctae crucis im Spiegel der neueren Forschung, in: Gangolf Schrimpf (Hg.): Kloster Fulda in der Welt der Karolinger, Frankfurt a.M. 1996 (Fuldaer Studien; Bd. 7), S. 493–526; zuletzt auch mit Nachweis der neueren Literatur Mechthild Dreyer und Michele C. Ferrari: Vana in imagine forma? Hrabanus Maurus über Bild und Text, in: Karin Krause und Barbara Schellewald (Hg.): Bild und Text im Mittelalter, Köln u. a. 2011 (Sensus. Studien zur mittelalterlichen Kunst; Bd. 2), S. 87–97. Zu den Altartituli Hrabans Gereon Becht-Jördens: Sturmi oder Bonifatius? Ein Konflikt im Zeitalter der anianischen Reform um Identität und monastisches Selbstverständnis im Spiegel der Altartituli des Hrabanus Maurus für die Salvatorbasilika zu Fulda. Mit Anhängen zur Überlieferung und kritischen Edition der Tituli sowie zu Textquellen zur Architektur und Baugeschichte der Salvatorbasilika, in: Marc-Aeilko Aris und Susana Bullido del Barrio (Hg.): Hrabanus Maurus in Fulda. Mit einer Hrabanus Maurus-Bibliographie (1979–2009), Frankfurt a. M. 2010, S. 121–183. – Zur Michaeliskirche Otfried Ellger: Die Michaeliskirche zu Fulda als Zeugnis der Totensorge, Fulda 1989 (55. Veröffentlichung des Fuldaer Geschichtsvereins), bes. S. 20–40, 82–90.
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Demgegenüber bleibt Hraban im Liber sanctae crucis ganz auf die Entfaltung seiner theologischen Kosmologie und Kreuzspekulation konzentriert und sieht dabei von materiellen und topographischen Konkretisierungen ab. Wenn im Laufe der Zeit Orte dadurch erst zu heiligen Stätten werden, dass ihnen nicht nur ein heiligendes Ereignis, sondern auch eine mündlich, schriftlich oder bildlich überlieferte Ideenwelt zugeschrieben und angelagert wird, Golgatha damit auch zum Mittelpunkt der Welt, zum Grab Adams oder zum Abrahamsaltar wird, dann zeigt Hrabans Liber sanctae crucis exemplarisch, wie diese Ideenwelt auch unabhängig von der realen Topographie entfaltet werden kann. So kann Golgatha ein materiell existenter und ebenso fiktiver Ort sein, er kann zum Bedeutungsträger werden oder auch unter der Schicht der über ihm lagernden Bedeutungen verschwinden.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Krüger 2000 (wie Anm. 4), Abb. 43; Abb. 2: AK The Glory of Byzantium 1997 (wie Anm. 37); Abb. 3. Foto: © H. J. Bleier, Rottenburg.
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Abb. 1: Jerusalem, Grundriss der konstantinischen Anlage mit Basilika und Grabeskirche, um 335 (nach Krüger).
Abb. 2: Pektorale aus Pliska, Konstantinopel (?), 9./10. Jahrhundert, Sofia, Archäologisches Nationalmuseum.
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Abb. 3: Kreuzreliquiar, um 1130, Zwiefalten, Katholisches Münsterpfarramt.
Yamit Rachman-Schrire*
The Rock of Golgotha in Jerusalem and Western Imagination
Many events of the Gospel story, especially events of the Passion, were identified with natural stones and rocks found in Jerusalem: Christ’s Prayer of Agony was associated with a rock in Gethsemane, the Crucifixion with the Rock of Golgotha, and the Ascension with a stone on the Mount of Olives. In the course of the Middle Ages, as the story of the passion was thickened, additional events were associated with concrete stones in Jerusalem like the place where Christ fell on his way to Golgotha, or the place where he was anointed after the crucifixion. Such rocks and stones were later integrated into the Way of the Cross in Jerusalem (the Via Dolorosa). In the following discussion I briefly introduce some of the inherent problems and challenges that a research of the stones of Jerusalem poses. I then focus on the Rock of Golgotha, the traditional site of the Crucifixion, which demonstrates some of these complexities. As I will show, the iconographical transformations to which the Rock of Golgotha was subjected over the centuries echo broader changes in Western medieval devotionalism, and their manifestations in Jerusalem. The sacred stones of Jerusalem could be discussed in relation to different frames of reference: one might think of them as places which mark in situ the spots where biblical events were believed to have taken place: the rock in Gethsemane stands for the biblical place of Gethsemane where Christ prayed in Agony (Matthew 26:36, Mark 14:32, Luke 22:43) (fig. 1).1 A rock linked to Christ’s Agony was shown within (or next to) the Byzantine church of *
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I would like to thank Gerhard Wolf and Bianca Kühnel for their valuable remarks and suggestions in different stages of the work. This paper was written when I was working in Berlin as a DAAD PhD scholar. Earlier versions of this paper were discussed at the “Visual Constructs of Jerusalem” conference, Jerusalem 14–20.11.2010, with support of the European Research Council under the European Union’s Seventh Framework Programme, (FP7/2007–2013) / ERC grant agreement n° 249466, and in the conference “Räume der Passion”, Frankfurt a. M., 8–10.7.2011. I would like to thank the organizers of both these conferences and the editors of this publication as well as Beatrice Kitzinger for her careful reading. This rock occupies the heart of the modern church of All Nations in Jerusalem (planned by the Italian architect Antonio Barluzzi in the 1920’s). The church, which was built over the ruins of the Byzantine and the Crusader churches, is laid at an angle over the latter basilica.
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Gethsemane; in the crusaders Church of St Saviour in Gethsemane, there were shown three rocks “on which the Lord is said to have prayed, kneeling three times”.2 Whether attached to the ground or not, these rocks were detached from their immediate space by the architecture of the church. Pilgrims who visited the church throughout the Middle Ages recognized the traces of Christ’s knees imprinted on the surface of the rock/s as he bowed in prayer.3 Does that mean that the rock in Gethsemane was a relic which was in contact with the body of Christ and not a place? What about stones that were transferred from one location to another, like the Stone of the Unction? This stone is believed to be the object upon which Christ’s body was anointed by Joseph of Arimathea and Nicodemus, after he was taken down from the cross and prior to his burial. According to the medieval legend, after the Crucifixion, Mary Magdalene brought the stone from Jerusalem to Ephesus; in 1169 it was transferred again from Ephesus to Constantinople by Emperor Manuel Comnenus I, who set the stone in the Pharos Chapel (fig. 2).4 Like the Rock of Gethsemane, the Stone of the Unction also marked the place of an event. Yet, as it was transferred from Jerusalem it was detached from its immediate surroundings. Here again, it was believed to have touched the body of Christ and even absorbed the tears of the grieving Virgin Mary.5 Does the fact that the stone was transportable mean that its function as a place was substituted by its role as a relic? This distinction is misleading, for it does not fit other examples, such as the stones which were believed to be transferred from Mount Sinai to Mount Zion
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John of Würzburg: Descriptio Locorum Terrae Sanctae, in: R. B. C. Huygens and John H. Pryor (eds.): Peregrinationes Tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus. Turnholt 1994 (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; Vol. 139), pp. 114–115. English translation in: Denys Pringle: The Churches of the Crusader Kingdom of Jerusalem, A Corpus; Vol. III, The City of Jerusalem, Cambridge 2007, p. 359. References in: Pringle: Ibid, p. 360. After the death of the Emperor, the Stone of the Unction was relocated at the Pantokrator monastery church next to the Emperor’s tomb. For the sources which tell of the arrival of the stone from Jerusalem to Constantinople see Mary Ann Graeve: The Stone of Unction in Caravaggio’s Painting for the Chiesa Nuova, in: The Art Bulletin XL (1958), pp. 223–238, here pp. 230–231. For a discussion of the Stone of the Unction in the Pantokrator monastery church: Robert Ousterhout: Architecture, Art and Komnenian Ideology at the Pantokrator Monastery, in: Nevra Necipogğlu (ed.): Byzantine Constantinople. Monuments, Topography, and Everyday Life (Medieval Mediterranean; vol. 33), Leiden 2001, pp. 133–150, here: p. 149. Circa 1335 a stone, claimed to be the one upon which Christ’s body was anointed, emerged in the church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, where it is still shown today. Robert of Clari: The Conquest of Constantinople, transl. by Edgar Holmes McNeal, New York 1936, pp. 112–113.
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(fig. 3).6 According to the medieval tradition, these stones were transferred by angels on behalf of the Virgin Mary, so that she would not have to set out on an arduous pilgrimage to Sinai; instead, in these stones, she would venerate Mount Sinai without leaving Jerusalem. Being fragments which stand for the whole, similarly to Saints’ bones, these stones embody a sense of a relic. Yet, the small and portable Sinai stones serve as a theological allegory for the connection between the two mountains;7 moreover, the stones of Sinai could replace Mount Sinai on Mount Zion, acquiring their meaning not only from their place of origin, but also from the place to where they were transferred. Once again we see that the stones challenge both the categories of place and relic. Further complexities are raised by the group of imprinted stones found in Jerusalem, which were claimed to bear the traces of Christ’s body or his blood, like the Stone of the Ascension on the Mount of Olives, on which pilgrims saw the imprints of Christ’s feet (fig. 4). Such stones were discussed in relation to miraculous images of Christ believed to be made without human intervention.8 In such stones trace and image were merged in ways that may undermine a clear demarcation between the categories of relic and image. This blurring of categories is evident when one examines various devotional 6
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A stone which is claimed to be miraculously transferred from Mount Sinai to Mount Zion is shown today at the Cathedral of St. James in the Armenian quarter of Jerusalem (on Mount Zion); next to this stone are shown also a stone from Mount Tabor and a stone from the Jordan River. On Mount Zion King Solomon placed the Tablets of the Law that Moses received on Mount Sinai. In their new location the stone tablets embodied the spiritual essence of the giving of the Torah on Mount Sinai. This connection is intensified in the New Testament, which describes the descent of the Holy Spirit upon the Apostles on Mount Zion on the same day that the Torah was given to the Israelites on Mount Sinai, and thus, just as the New Testament replaced the Old one, Mount Zion replaced Mount Sinai. For the spiritual connection between the two mountains see Edwin Bernbaum: Sacred Mountains of the World, Berkeley 1998, pp. 96–103; Yair Zakovitch: “Who Proclaims Peace, Who brings Good Tidings”. Seven Visions of Jerusalem’s Peace, Haifa 2004, pp. 145–166 (in Hebrew). On the later transfer of the name ‘Zion’ during the 1st century from the Temple Mount to the South-Western hill see Peter W. L. Walker: Holy City, Holy Places? Christian Attitudes to Jerusalem and the Holy Land in the fourth century, Oxford 1990, pp. 282–285. Ernst Kitzinger: The Cult of Images in the Age before Iconoclasm, in: Dumbarton Oaks Papers 8 (1954) pp. 83–150, here pp. 104–105, 113; Hans Belting: In Search of Christ’s Body, in: Herbert L. Kessler, Gerhard Wolf (eds.): The Holy Face and the Paradox of Representation. Papers from a colloquium held at the Bibliotheca Hertziana, Rome and the Villa Spelman, Florence 1996, pp. 1–11, here pp. 7–8; Gerhard Wolf: Laetare filia Sion. Ecce ego venio et habitabo in medio tui. Images of Christ Transferred to Rome from Jerusalem, in: Bianca Kühnel (ed.): The Real and Ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic Art. Studies in honor of Bezalel Narkiss on the occasion of his seventieth birthday, Jerusalem 1998 (Jewish Art; vol. 23–24), pp. 418–429, here pp. 418, 425–427.
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practices that were associated with these imprinted stones: pilgrims used to measure and copy Christ’s traces of the stones, lay their own bodies into them, and pour wine and drink it from the traces in the stone. Such practices call into question the object of devotion, whether it was the substance, the stone itself, which was venerated, or whether it was the imprint, the lack of the matter, which deserved the devotee’s attention. With these complexities in mind I would like to turn now to a discussion of the Rock of Golgotha, the traditional place of the crucifixion. This great rock was never transferred from its place in Jerusalem. Yet, its dimensions and stability are only an illusion, for its alterations in situ express deep transformations in Western devotion and thought that are reflected in relation to it. In the course of the fourth to the fifteenth centuries, the Rock of Golgotha, which stood in the church of Constantine as a natural geographical element of the landscape of Jerusalem, gradually disappeared from the eyes of the believers as it was covered and integrated into the architecture of the Church. From the twelfth century the rock became only partially accessible for pilgrims, mostly through two openings which were left uncovered: the hole, believed to be the hole of the True Cross, and the rupture, believed to have been formed at the time of the Crucifixion. These openings became the focus of pilgrims’ attention and devotional practices, which were tightly connected to the formal transformations visited upon the Rock of Golgotha. These practices – as they were reported in pilgrims’ accounts – will be discussed in relation to the devotion to the humanity of Christ, his sufferings and his wounds. In other words, this paper stresses the affinities between devotional trends in the Latin West and the formation of the sacred place in Jerusalem.
The Rock of Golgotha in the eye of the believer According to the biblical story, Christ was crucified outside the city of Jerusalem in a place called Golgotha: “So they took Jesus, and he went out, bearing his own cross, to the place called the place of a skull, which is called in Hebrew Golgotha” (John, 19:17). Nowhere in the biblical story is a rock mentioned. However, as early as the fourth century, the site of Christ’s Crucifixion was identified with a natural rock located in north-western Jerusalem.9 When Emperor Constantine I erected the Church of the Holy Sepulchre (dedicated in 335) he included the rock within its inner court, on the southwest 9
For the reduction of Golgotha from a broader area into a specific rock, see Joan E. Taylor: Christians and the Holy Places. The Myth of Jewish-Christian Origins, Oxford 1993, pp. 116–122.
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corner (fig. 5).10 The anonymous pilgrim of Bordeaux (333), walking northwards along the cardo, notes: “On the left hand is the little hill of Golgotha (monticulus Golgotha) where the Lord was crucified”.11 Cyril, who later became the bishop of Jerusalem, mentions the rock in a sermon given at the court of the church (circa. 350): “Golgotha, the holy hill standing above us here, bears witness to our sight”.12 Nevertheless, despite its formal prominence in the landscape of Jerusalem, later pilgrims do not mention the Rock of Golgotha, but only the cross on top of it. Egeria, in her detailed description of the daily liturgy in Jerusalem (380–384) describes the procession that was led by the bishop in the court of the church: “Then again the bishop and all the people go Behind the Cross, and do there what they did Before the Cross; and in both places they come to kiss the bishop’s hand as they did in the Anastasis.”13 Whether Egeria refers to a replica of the cross that surmounted the Rock of Golgotha or to a relic of the cross that was kept there, for her it is not the Rock of Golgotha but the cross on top of it that constitutes a spatial point of reference.14 Similarly, Jerome, in 10
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The Church of the Holy Sepulchre was built as a complex of buildings, distinctively separated from each other: (a) an atrium connecting the complex with the main street to the east, (b) the Martyrium (over the site where Helena was believed to discover the True Cross) built as a five aisled basilica with its apse in the west, (c) a porticoed courtyard consisting of a double row of columns enclosing the Rock of Golgotha, (d) the church of the Resurrection (Anastasis) over the rock-cut Tomb, built in the form of a colonnaded round central space, (e) numerous ancillary structures. See Robert Ousterhout: Rebuilding the Temple. Constantine Monomachus and the Holy Sepulchre, in: Journal of the Society of Architectural Historians 48,1 (1989), pp. 66–78, here p. 67. Itinerarium Burdigalense, in: P. Geyer and O. Cuntz (eds.): Itineraria et Alia Geographica. Turnholt 1954 (Corpus Christianorum Series Latina; vol. 175), p. 17. See the English translation by Aubrey Stewart: Itinerary from Bordeaux to Jerusalem: The Bordeaux Pilgrim (333 A.D.), ed. by C. W. Wilson, London 1887 (Palestine Pilgrims’ Text Society; vol. 1), p. 23. As the Martyrium of the Constantinian church was dedicated two years after the account was written, it is not clear what the pilgrim saw. Following Wilkinson, it seems that what the Bordeaux pilgrim terms monticulus Golgotha is the same topographic form that was later included within the court of the Constantinian church: John Wilkinson: Jerusalem Pilgrims Before the Crusades, Warminster 1977, p. 117. Compare Taylor 1993 (as in note 9), pp. 120–121. For the path of the pilgrim within Jerusalem, see Michael Ehrlich and Doron Bar: Jerusalem according to the Description of the Bordeaux Pilgrim. Geographic and Theological Aspects, in: Cathedra 113 (2004), pp. 35–52 (in Hebrew). William Telfer: Cyril of Jerusalem and Nemesius of Emesa, Philadelphia 1955 (The Library of Christian Classics; vol. 4), p. 205. Itinerarium Egeriae, in: Geyer/Cuntz 1954 (as in note 11), pp. 68–69. See the English translation and edition by John Wilkinson: Egeria’s Travels to the Holy Land, newly transl. with supporting documents and notes, Jerusalem 1981, p. 124. According to Hunt, by the 380s the Rock of Golgotha was surmounted by a replica of the cross, and ‘ante crucem’ and ‘post crucem’ were stations in the liturgy of Jerusalem: E. D Hunt: Holy Land Pilgrimage in the Later Roman Empire, AD 312–460, Oxford 1982,
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his description of Paula’s pilgrimage to the Holy Places (written 404) never mentions the Rock of the Crucifixion, but only the cross on top of it: “She fell down and worshipped before the Cross as if she could see the Lord hanging on it”.15 The fact that the rock was not mentioned in the descriptions of Egeria and Jerome might indicate its negligible importance for the pilgrims in the sacred place. It seems that the Rock of Golgotha, which stood at the courtyard of the Church of the Holy Sepulchre, revealed under the skies, had a limited role in the pilgrims’ experience of the sacred place that was secondary to the role of the cross on top of it. The following centuries brought a tremendous change: pilgrims’ accounts testify to the dramatic formal transformations that the Rock of Golgotha underwent. The sixth century pilgrims Theodosius and Antoninus inform us of a staircase that was built beside the rock, leading pilgrims to its summit.16 The Breviarius de Hierosolyma (530) tells of silver screen (cancellae argenteae) that adorned the rock, as well as a relic of the true cross.17 Simultaneously, we witness the accumulation of new traditions associated with the rock: the place where Adam was formed, the place where Melchizedek brought out bread and wine and the place where Abraham offered God his son Isaac.18 These traditions bore typological connection to Christ’s Crucifixion, and constituted a physical translation of exegetical principles projected onto the Rock.19
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p. 12; Drijvers, however, who bases his argument on the descriptions of Cyril of Jerusalem, claims that it was not a replica of the cross, but rather a reliquary containing fragments of the true cross that surmounted the rock: Jan Willem Drijvers: Promoting Jerusalem. Cyril and the True Cross, in: Jan Willem Drijvers and J. W Watt (eds.): Portraits of Spiritual Authority. Religious Power in Early Christianity, Byzantium, and the Christian Orient, Boston 1999 (Religions in the Graeco-Roman World; vol. 137), p. 85. Hieronymus: Epistula CVIII epitaphium Sanctae Paulae, in: Isidorus Hilberg (ed.): Epistolae, Vienna 1996 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum; vol. 55.2), p. IX. English translation in Wilkinson 1977 (as in note 11), p. 49. Theodosius: De Situ Terrae Sanctae, in: Geyer/Cuntz 1954 (as in note 11), p. 118. Antoninus Placentinus, in: Geyer/Cuntz 1954 (as in note 11), p. 163. English translation in Wilkinson 1977 (as in note 11), pp. 65, 83. This staircase appears on sixth century Christian vessels from the Holy Land depicting the Cross on the Rock of Golgotha, see Bianca Kühnel: From the Earthly to the Heavenly Jerusalem. Representations of the Holy City in Christian Art of the First Millennium. Rom 1987 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft; 42), p. 100. Breviarius de hierosolyma, in: Geyer/Cuntz 1954 (as in note 11), p. 110. English translation in Wilkinson 1977 (as in note 11), p. 59. For the place where Adam was formed: Breviarius de hierosolyma, Ibid. For the altar of Abraham: Theodosii (as in note 16), pp. 117–118. English translation in Wilkinson 1977 (as in note 11), pp. 59–60, 65. Ora Limor notes that the transfer of such biblical events to the Rock of Golgotha is a spatial translation of exegetical principles which linked events from the Old Testament with
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Antoninus (570) writes: “You can see the place where he was crucified, and on the actual rock there is a bloodstain. Beside this is the altar of Abraham, which is where he intended to offer Isaac, and where Melchizedech offered sacrifice. Next to the altar is a crack, and if you put your ear to it you hear streams of water. If you throw an apple into it, or anything else that will float, and then go to Siloam, you can pick it up there”.20 For the first time a specific morphological feature of the rock is mentioned by a pilgrim to Jerusalem: the crack (creptura) that later on will be interpreted as the one formed at the time of the Crucifixion.21 Arculfus, who visited the Church of the Holy Sepulchre in the year 670, after its restoration by Patriarch Modestus,22 reveals further transformations in the setting and appearance of the rock: “a great silver cross (magna argentea crux) is infixed in the very same place where formerly the wooden cross, on which the Saviour of mankind suffered, was fixed and stood. In the same church there is a cave cut out of the rock beneath the place of the Lord’s cross, where the sacrifice is offered upon an altar for the souls of certain honoured persons”. 23 Hence, the Rock of Golgotha was divided along its height between the upper storey, where a replica of the cross stood, and the cave beneath it, containing an altar used for masses for the dead. In short, between the fourth and the seventh centuries, the rock of the Crucifixion went through remarkable transformations: it was roofed, detached from its surroundings and from the skies above, surrounded and framed within
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Christ’s Crucifixion. Ora Limor: Holy Land Travels. Christian Pilgrims in Late Antiquity, Jerusalem 1998, pp. 181–182, footnote no. 51 (in Hebrew). For the transfer of biblical traditions to the Church of the Holy Sepulchre in general, and to the Rock of Golgotha in particular, see Bianca Kühnel: Jewish Symbolism of the Temple and the Tabernacle and Christian Symbolism of the Holy Sepulchre and the Heavenly Tabernacle. A Study of their Relationship in Late Antique and Early Medieval Art and Thought, in: Jewish Art 12/13 (1986/87), pp. 147–68, here p. 150 ff.; see also Robert Ousterhout: The Temple, the Sepulchre, and the Martyrion of the Savior, in: Gesta 29,1 (1990), pp. 44–53. Antoninus Placentinus (as in note 16), p. 164. It will be noted that Antoninus does not refer to the formation of the rupture as the result of the cosmological occurrences at the time of the Crucifixion (Mathew, 27:51: “And, behold, the veil of the temple was rent in twain from the top to the bottom; and the earth did quake, and the rocks rent”). Such association was made by pilgrims only in the twelfth century as we shall see in what follows. The only reference I have found prior to the twelfth century that associates the rupture with the biblical description was made by Cyril (circa. 350) as cited in: Philip Schaff (ed.): S. Cyril of Jerusalem, New York 1894 (A Select Library of Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church; vol. 7), p. xlii. For Patriarch Modestus’ repairs of the Church of the Holy Sepulchre see Charles Coüasnon: The Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, London 1974, pp. 17–18, 50. Adamnani: De Locis Sanctis, in: Geyer/Cuntz 1954 (as in note 11), p. 190. English translation in Wilkinson 1977 (as in note 11), p. 97; Compare: Epiphanius the Monk, English translation in Wilkinson, Ibid., p. 117.
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the architecture of the church. It was fragmented into different parts, framed by altars, and divided along its height between the upper chapel of Calvary and the lower chapel of Golgotha. As a result, we witness a dramatic shift in the point of view of the believers: the rock became accessible to the pilgrims who could climb on top of it. The pilgrim’s gaze toward the cross on top of the rock was now substituted with a closer, downward gaze towards the surface of the rock. Simultaneously, the rock emerged as a more prominent and important element in the pilgrims’ experience of the sacred place. Surprisingly, while standing as a natural form in the space of Jerusalem, open to the skies and bearing the cross, the role of the rock was limited. Only after it was detached from its spatial context, covered and fragmented, did the stone become an important object of attention per se.
The Rock, the rupture and the hole: synecdochal relations When the crusaders rebuilt the church of the Holy Sepulchre (dedicated on 15 July 1149) they introduced many changes into the complex: the preexisting rotunda and the eleventh century courtyard of Monomachus with its many chapels were unified into a single building with two domes, radiating chapels, and a bell tower.24 An external staircase was fixed to the east of the main entrance (in the southern façade), leading the pilgrims up directly to the place of the Crucifixion (the chapel of the Franks) (fig. 6). As it was prior to the Crusaders’ building, the rock of the Crucifixion remained a vertical element within the church, accessible to the pilgrims from two points: from the upper chapel of Calvary, where the hole of the cross and the upper part of the rupture were presented; and from the lower chapel of Adam, where the continuation of the rupture leading to the place of the skull was shown (fig. 7). Beginning in the twelfth century, as the number of pilgrims to the City under Latin rule increased, we have numerous depictions of the Rock of Golgotha and its traditions. Saewulf, who visited the Church of the Holy Sepulchre prior to the Crusaders’ reconstructions (1101–1103), tells: “Afterwards you go up to Mount Calvary where the Patriarch Abraham made an altar […] The crag of the rock of this mountain is itself a witness of the sufferings of our Lord, for next to the hole in which the Lord’s Cross was fixed, there is 24
See Ousterhout 1989 (as in note 10); Adrian J. Boas: Crusader Archaeology: The Material Culture of the Latin East, London and New York 1999, pp. 125–129; Jaroslav Folda: Art in the Latin East. 1098–1291, in: Jonathan Riley-Smith (ed.): The Oxford History of the Crusades, Oxford 1999, p. 145.
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a great rent, for without a rent the death of its Maker could not take place as it says in the Passion ‘the rocks were rent’. Below is the place called Golgotha, where it is said that by the streaming of the Lords’ blood, running over him Adam was raised from the dead, just as it says in the Passion of the Lord, ‘And many bodies of the saints were raised’.”25 A similar picture is portrayed in a later account, the so-called “Icelandic Guide” written in the middle of the twelfth century: “In Calvarie loco […] a chapel where the blood fell down from the Lord’s cross, and one can still see the blood. […] up to the rock […] there is a hole in the rock there, and there the blood came down into the chapel. South from that it is one fathom to the fissure in the rock where the rock cracked when the Lord pushed away from himself the wooden cross on which he was afterwards crucified.”26 Such accounts attest to a growing emphasis on the openings of the rock, i.e., the hole of the cross and the rupture believed to have been made at the time of the Crucifixion. Both the hole and the rupture were understood as the visible tokens of the sufferings of Christ impressed in the rock. Numerous accounts refer to the size of both the hole of the cross at the peak of the rock, and the rupture along its height. Belard of Ascoli (1155) notes that the hole sunk in the rock where the cross was fixed is “large and round. It is as large as the head of one man, and about three half (-spans) deep or four.”27 According to an anonymous depiction dated to the end of the twelfth century, “the place of the Crucifixion is a hole two palms deep and as many wide, which will take in a man’s head.”28 Burchard of Mount Sion (1280) depicts the blood stains of Christ on the rock; he adds that the rent in the rock “is as large as my head and extends lengthways eighteen feet”.29 Thus, measuring the hole and the rupture of the rock was described using an anthropomorphic language of 25
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Saewulf, in: Huygens/Pryor 1994 (as in note 2), p. 70. English translation in: John Wilkinson: Jerusalem Pilgrimage, 1099–1185, London 1988 (Works Issued by the Hakluyt Society 2nd ser., no. 167), p. 102. Icelandic Guide: English translation in: John Wilkinson, ibid., p. 220. Belard of Ascoli: Descriptio Terrae Sanctae (1112–1120), in: Sabino de Sandoli (ed.): Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum. Tempore Regum Francorum (1100–1187) (Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum; vol. 2), p. 44. English translation in: ibid., pp. 228–9. Anonymous pilgrim IV: Iter ad Terram Sanctum (circa 1270), in: Sabino de Sandoli (ed.): Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum. Tempore Recuperationis Terrae Sanctae (1187–1244) (Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum; vol. 3), p. 26. English translation in: ibid., p. 22. Burchardus de Monte Sion, Descriptio Terrae Sanctae (1285), in: Sabino de Sandoli (ed.): Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum: Tempore Regni Latini Extremo (1245–1291) (Itinera Hierosolymitana Crucesignatorum; vol. 4), p. 186. English translation in Aubrey Stewart (ed.): Burchard of Mount Sion, A.D. 1280, London 1896 (Palestine Pilgrims’ Text Society; vol. 12.1), p. 76.
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bodily members, usually the head and the arm, to determine its size.30 While the practice of measuring the holes was common in many accounts31 some pilgrims go further, describing the concrete practices of devotion that involved the bodily organs of the believers themselves. The German pilgrim Theoderic (circa 1170) recounts: “The place where the Cross itself stood, on which the Saviour suffered death, is towards the east. It is mounted on a big step, made of excellent Parian marble on the left, and the hole (foramen) shown is deep and almost wide enough to put one’s head into. It is known that this is the hole in which the Cross was fixed, and in it the pilgrims press their head and forehead to show love and reverence for the crucified one”.32 Similarly, the Anonymous Englishman (1344–1345) notes: “The place where stood erect the cross of Jesus is visible, into which people put their heads to the shoulders”.33 In his continued description of this practice of devotion, the English pilgrim emphasizes Christ’s wounds and the blood shed on the rock: “There the wounded body of Jesus really bled blood, the stream of which descending upon the rock broke into the ground, and the onlooker can see how the rock burst in twain, receding before the blood of Christ”.34 Finally, by the late fifteenth century we find in Felix Fabri’s vivid description of his visit to the Church of the Holy Sepulchre (1483/4) a description of the same devotional practice, which does not only involve sight or touch but also the senses of smell and perhaps also of taste: When we had finished our prayer we went one after another to the holy rock, which projects above the floor, and each one as best as he could crawled to the socket-hole of 30
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For the importance of measuring rather than the actual measurements themselves see Zur Shalev: Christian Pilgrimage and Ritual Measurement in Jerusalem, in: Micrologus 19 (2011), pp. 131–150. See also: Wilhelm Tzewers: Itinerarius terre sancte (1477), trans. and ed. by Gritje Hartmann, Wiesbaden 2004 (Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins; vol. 33), p. 200; Randall Herz: Die ‚Reise ins gelobte Land‘ Hans Tuchers des Älteren (1479–1480. Untersuchungen zur Überlieferung und kritischen Edition eines spätmittelalterlichen Reiseberichts, Wiesbaden 2002 (Wissensliteratur im Mittelalter; vol. 38), p. 400. Theodericus: “Locus autem, ubi crux ipsa stetit, in qua Salvator mortem pertulit, versus orientem alto gradu elatus, Pario et nobilissimo marmore ex sinistra parte constratus, foramen profundum et adeo latum, quo caput fere posset intrude, ostenditur, in quo crux ipsa defixa fuisse dinoscitur, in quod peregrini caput et faciem ob ipsius crucifixi amorem et reverentiam solent imprimere”. Theodericus, in: Huygens/Pryor 1994 (as in note 2), p. 155. English translation: Wilkinson 1988 (as in note 25), pp. 285–286. Itinerary of a certain Englishman (1344–1345), in: Eugene Hoade (ed. and trans.): Western pilgrims. The Itineraries of Fr. Simon Fitzsimons (1322–23), a certain Englishman (1344–45), Thomas Brygg (1392), and notes on other Authors and Pilgrims, Jerusalem 1970 (Publications of the Studium Biblicum Franciscanum, vol. 18), p. 66. Ibid. See also the description of Nicolo of Poggibonsi (1346–1350) as it is cited below in note no. 46.
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the cross, kissed the place with exceeding great devotion, and placed his face, eyes, and mouth over the socket-hole, from whence in very truth there breathes forth an exceeding sweet scent, whereby men are visibly refreshed. We put our arms and our hands into the hole down to the very bottom: and by these acts we received plenary indulgences.35
Such practice of devotion reflects a process of a reduction of the rock to its openings – the rupture and the hole – these being the only parts accessible to the pilgrims’ touch and sight. The openings of the rock became a container for the limbs of the devotees whose experience of the Rock of Golgotha was shaped by the apertures. Eventually the hole and the rupture stood for the whole rock, constituting synecdocal relations with it. Such relations were accompanied by a further shift in the point of view of the pilgrim. The pilgrims’ view upwards towards the rocky hill was first exchanged for a closer gaze down to its surface to the stains of blood found there. In this final stage, literally following the apple of Antoninus, the sight of the believer was augmented by the movements of his own body, delving deeper into the rock through its hole and rupture and involving other senses as part of the pilgrim’s devotion.
The Rock of Golgotha and the clefts of the rock How can we interpret the formal transformations to which the Rock of Golgotha was subjected? Above all, how can we explain the emphasis of its openings? Stated provocatively, how can we explain the pilgrims’ growing attraction to the absence of the rock? At this stage it may be fruitful to turn our gaze from Jerusalem and the Rock of Golgotha to the Latin West and to common practices of devotion there
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Felix Fabri: Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Aegypti peregrinationem, ed. by Konrad Dietrich Hassler, Stuttgart 1843–1849; vol. II, p. 299. English translation in: The Book of Wanderings of Brother Felix Fabri, trans. by Aubrey Stewart, London 1896 (Palestine Pilgrims’ Text Society; vol. 8), p. 365. See also: “Voyage de Venise au Saint-Sépulcre” (1518), in: Jean-Luc Nardone (ed.): La représentation de Jérusalem et de la Terre Sainte dans les récits de pèlerins euorpéens au XVIe siècle, Paris 2007, p. 75; for Christ as the source of all pleasant smells, see Constance Classen: The Breath of God: Sacred Histories of Scent, in: Jim Drobnick (ed.): The Smell Culture Reader, Oxford 2006, pp. 375–390; Suzanne Evans: The Scent of a Martyr, in: Numen 49,2 (2002), pp. 193–211, here pp. 193–194, 199. For the role of gestures, motions and touch in medieval devotionalism, and the believers’ longing for a concrete access to the sacred: Donna Spivey Ellington: From sacred body to angelic soul. Understanding Mary in late medieval and early modern Europe, Washington, D.C 2001, pp. 124–126.
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that focused on the human body of Christ, his sufferings and his wounds.36 I suggest contextualizing the changes in the devotion to the Rock of Golgotha in relation to the devotion to Christ’s wounds, which involved meditations connected to the measurement of the side-wound, quantification of the total number of the wounds, and a mystical aspiration to enter them.37 Furthermore, in late medieval images and texts, the isolated side wound of Christ substituted for the whole crucified body, based on the principle of pars pro toto.38 When one relates to the practices of devotion that took place on the Rock of Golgotha in the context of the devotion to Christ’s wounds, one is immediately struck by the identification of the wounds with the biblical image of the clefts of the rock (Song of Songs, 2:14) as it appeared in Bernard of Clairvaux’s famous introduction to the Song of Songs: And really where is there safe sure rest for the weak except in the Savior’s wounds? […] They pierced his hands and feet, they gored his side with a lance, and through these fissures I can suck honey from the rock and oil from the hardest stone – that is, to ‘taste and see that the Lord is good’ […]. The secret of his heart is laid open through the clefts of his body; that mighty mystery of devotion is laid open, […] surely his heart is laid open through his wounds!39
In Bernard’s interpretation, the image of the dove in the clefts of the rock was associated with the torn and wounded body of Christ. This interpretation was 36
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Richard Kieckhefer: Major Currents in Late Medieval Devotion, in: Jill Raitt and Bernard McGinn and John Meyendorff (eds.): Christian Spirituality. High Middle Ages and Reformation, New York 1987 (World Spirituality; vol. 17), pp. 75–108. H. W. van Os et al.: Exh. cat. The Art of Devotion in the Late Middle Ages in Europe, 1300–1500, Rijksmuseum Amsterdam, Princeton 1994. For a general review of scholarly works on the devotion to Christ’s wounds, see Caroline W. Bynum: Violence Occluded. The Wound in Christ’s Side in Late Medieval Devotion, in: Belle S. Tuten, Stephen D. White, Tracey L. Billado (eds.): Feud, Violence and Practice. Essays in Medieval Studies in Honor of Stephen D. White, Burlington 2010, pp. 95–116, here pp. 95–98. For the devotional focus of the isolated side-wound, see David S. Areford: The Viewer and the Printed Image in Late Medieval Europe, Burlington 2010, Chapter 5. For the aspiration to enter the wounds of Christ see Frank Graziano: Wounds of love: The mystical marriage of Saint Rose of Lima, Oxford 2004, pp. 205–206. For a discussion of crucifixion piety and the categories of ‘outside’ and ‘inside’ the body of Christ, see Sarah Beckwith: Christ’s Body. Identity, Culture, and Society in Late Medieval Writings, London and New York 1993, pp. 55–63. See Caroline W. Bynum: Violent Imagery in Late Medieval Piety, in: Bulletin of the German Historical Institute 30 (2002); pp. 3–36, here pp. 18–23. As from 1300, Christ’s wounds, as the essence of his humanity, were addressed in the Eucharistic Mass – see Miri Rubin: Corpus Christi: The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 1991, pp. 303–305. Supra Cantica, Sermo LXI.3, LXI.4. English translation: E. Ann Matter: The Voice of My Beloved: The Song of Songs in Western Medieval Christianity, Philadelphia 1990 (Middle Ages Series), pp. 137–138.
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based on two analogies that are connected to each other: the first analogy is between the body of Christ and a rock; the second analogy is between the wounds of Christ and the clefts of the rock.40 Such interpretation continued a long exegetical tradition that offered metaphorical connections between Christ and biblical stones and rocks.41 This tradition originated already in the New Testament where Christ was referred to as the “spiritual rock” (1 Cor. 10: 4) and the stone that the builders rejected, which became the cornerstone (Matthew 21:42, Mark 12:10; Acts 4:11). Respectively, Christian exegetes interpreted various biblical stones and rocks as metaphorical expressions pointing to Christ.42 In the same manner the biblical image of the clefts of the rock was related to Christ: Origen wrote of Christ the rock, and the clefts of the rock that are places of mystical insight.43 Though he did not relate the clefts of the rock to the wounds of Christ, such a link was made later on by Bede, who claimed that the clefts of the rock – that is, the wounds of Christ – were the place for the soul (sponsa) to mediate upon the fruits of the Passion.44 Yet it was Bernard who made popular this traditional identification of the clefts of the rock with the wounds of Christ the rock.45 Furthermore, it was Bernard who related it explicitly to the scene of the Crucifixion (“They pierced his hands and feet; they gored his side with a lance”). This interpretation had an impact on Christian spiritual imagination for several centuries: it appeared in Richard Rolle’s Meditations on the Passion, where he presented an extended image of Christ as a dovecote,46 as well as in Thomas à Kempis’ Meditations on the Life of Christ, where this image appears
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Ibid., 137. Several Christian exegetes explicitly discuss the affinities between biblical stones and Christ. See for example Iulius Firmicus Maternus: De Errore Profanarum Religionum; ed. by Konrat Ziegler, Leipzig 1907, pp. 50–52; Augustine: In Iohannis Evangelium, ed. by D. Radbodus Willems, Turnholt 1954 (Corpus Christianorum Series Latina; vol. 36), pp. 175, 528. For example, Tertulian (160–225) states that Christ, who was brought to this world in humility as lapidem offensionis and petram scandali (Stone of Stumbling and Rock of Offence) would be brought again as the lapis angularis (cornerstone) of his church. Tertullian: Adversus Marcionem, ed. by Eligius Dekkers, Turnholt 1954 (Corpus Christianorum Series Latina; vol. 1), p. 516. Augustine (354–430) asserts that “lapis angularis factus est Christus” who mediates between the Jews and the Christians. Augustine-Willems 1954 (as in note 41), p. 99. Cited in James I. Wimsatt: The Canticle of Canticles, Two Latin Poems, and ‘In a Valey of Pis Restles Mynde’, in: Modern Philology 75,4 (1978), pp. 327–345, here p. 338. Cited in ibid. The link between the clefts of the rock and Christ’s wounds was made already by Gregory the Great: Super Cantica Canticorum Expositio. Cap. II, in: J-P. Migne (ed.): Sancti Gregorii Papaei Cognomento Magni, Opera Omnia. Paris 1849 (Patrologia Latina; vol. 79), p. 499. Bynum 2010 (as in note 37), p. 106; Matter 1990 (as in note 39), p. 138. Richard Rolle: English Writings of Richard Rolle, Hermit of Hampole, Oxford 1931, p. 35.
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in several instances.47 The use of the image of the soul as a dove nestling in the wounds of Christ the Rock in such works is an indication of the influence the commentary of the Song of Songs had upon other types of Christian literature.48 It is not surprising, then, to find this well established image in Margery Kempe’s text, where she depicts the intense emotional experience she endured at the place of the Crucifixion in Jerusalem: She had as true contemplation in the sight of her soul as if Christ had hung before her bodily eye in his manhood […] I was granted to this creature to behold so truly his precious tender body all rent and torn with scourges, more full of wounds than a dove-cote ever was of holes.49
In this description, Margery uses the image of the dove in the clefts of the rock to visualize the crucified body of Christ at the actual place of the Crucifixion in Jerusalem – on the Rock of Golgotha itself. As opposed to Paula who stood before the cross on the summit of the naked rock, and adored it “as if she could see the Lord hanging on it,”50 for Margery, the allegorical image of Bernard in situ was sufficient to produce the vision of the human body of Christ. Margery’s vision culminates in her actual touch of the rock upon which she stood: “then she fell down and cried with a loud voice, twisting and turning her body amazingly on every side, spreading her arms out wide as if she would have died”.51 We see that the association between the clefts of the rock and the wounds of Christ was also reconstructed in the actual place of the crucifixion – on the Rock of Golgotha. This is not surprising if one considers that in the course of the twelfth century, Christ’s wounded body was also related to another figure of a pierced rock: the stone smitten by Moses in the desert (Exodus, 17: 1–8; Numbers, 20: 1–13). Christian exegetes explained that the water gushing from the rock in the desert prefigured the blood and water gushing from Christ’s 47
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See for example in the following quotation: “Go in, go in, my soul, into the right side of the crucified Lord! Enter through that Glorious wound into the most loving Heart of Jesus, Pierced with the lance for love of thee that so in the cleft of that rock thou mayest take refuge from the tempest of the world”. Thomas à Kempis, Prayers and Meditations on the Life of Christ, W. Duthoit (ed. and trans.), London 1908, p. 182. Compare pp. 115, 278. See Matter 1990 (as in note 39), p. 138. For further texts which make use of this image, see Bynum 2010 (as in note 37), p. 106. For the late medieval form that this image took in the notion of the heart as a house, see Jeffrey F Hamburger: Nuns as Artists. The Visual Culture of a Medieval Convent, Berkeley 1997, pp. 137–175. Margery Kempe: The Book of Margery Kempe, trans. by B.A. Windeatt, Harmondsworth 1985, pp. 104–105. Paula (as in note 15). Margery Kempe (as in note 49), pp. 104–105. Naoë Kukita Yoshikawa suggested that this graphic description of Margery Kempe was inspired by Richard Rolle’s image, see Naoë Kukita Yoshikawa: Margery Kempe’s Meditations. The Context of Medieval Devotional Literature, Liturgy, and Iconography, Cardiff 2007, p. 51.
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wound during the Crucifixion.52 Once again we find the comparison between the Rock and the Body (as well as between the liquid that gushes from the rock and the liquid that flows from the body of Christ). Though this analogy appears already in the literature of the Fathers, it is only in the twelfth century that we find a visual translation of this typology.53 It is important to note that the Latin wording of the Vulgate, in foraminibus petrae, is the same wording used by Pilgrims to depict the hole of the Cross. Thus, according to the Franciscan monk Niccolò of Poggibonsi (1346–1350): “where was fixed the holy Cross of Christ there is a marble slab, four and a half feet long, and it is pierced (ed è forata), and there is the hole where was planted the holy Cross: and in the said hole one puts one’s hand and arm, that is for devotion”.54 Felix Fabri names the hole in the rock where the Cross was fixed foramen crucis.55 Hence the Latin wording makes a much closer link between the biblical image of the clefts of the rock (in foraminibus petrae) and the actual hole in the Rock of Golgotha (foramen crucis) than the English semantics imply. Taking all this into consideration I suggest that during the Middle Ages the Rock of Golgotha, the actual place of the Crucifixion in Jerusalem, was treated as an extension of the body of Christ. The pierced and rent rock, which was marked with the traces of the blood of Christ and with a sweet smell – both among the most important properties of the Flesh of Christ – was associated with the rent body of Christ through the image of the dove nestling in the clefts of the rock. In entering the rock, pilgrims followed the prototypical figures of Moses entering the clefts of the rock to see God (Exodus, 33:21–22), 52
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See for example Cyprian (3rd century): “If they (the Jews) shall thirst […] He shall lead them through the deserts, shall bring forth water for them out of the rock; the rock shall be cloven, and the water shall flow, and my people shall drink; which is fulfilled in the Gospel, when Christ, who is the Rock, is cloven by a stroke of the spear in His passion”. Cyprian: The Epistle to Caecilius, on the Sacrament of the Cup of the Lord, in: Philip Schaff (ed.): Fathers of the Third Century: Hippolytus, Cyprian, Caius, Novatian, Edinburgh 1885 (Christian Classics Ethereal Library; vol. 5), p. 873. For additional references see Margaret Jensen Robin: Understanding early Christian art, New York 2000, p. 87 and footnote 50. According to the Glossa ordinaria, the spring that gushed from the rock is the water and the blood that flowed from the side of Christ when pierced by the centurion’s lance. This typology is visualized in the 12th century window in the church of Le Mans, showing the Crucifixion in the center, with Moses striking the rock next to it, see Emile Mâle: Religious Art in France of the Thirteenth Century, Mineola 2000, p. 143. The same typology is found in the Biblia Pauperum where the scenes of the Crucifixion and Moses striking the Rock are juxtaposed. Fra Niccolo da Poggibonsi: Libro d’Oltramare, ed. by Alberto Bacchi della Lega, Bologna 1881, p. 81. English translation by T. Bellorini and E. Hoade: Niccolo da Poggibonsi: A Voyage beyond the Seas, 1346–1350, Jerusalem 1945, p. 19. Felix Fabri: Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Aegypti peregrinationem (as in note 35), vol. II, p. 299. Compare Theoderich (as in note 32), p. 155: “foramen profundum et adeo latum”.
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and Thomas who refused to believe in the Resurrection unless he inserted his fingers into the wounds of Christ (John, 20). This way, the medieval spiritual aspiration to enter the wounds of Christ could be fulfilled in the rock of the Crucifixion.
Illustration credits Fig. 1, 3, 4: author; Fig. 2: Ousterhout 2001 (as in note 4), pp. 133–150, here: p. 141; Fig. 5: Ousterhout 1989 (as in note 10), pp. 66–78, here p. 68; Fig. 6: Bernhard von Breidenbach, Peregrinatio in terram sanctam, 1486; Fig. 7: Jean Zuallart, Il devotissimo viaggio di Gerusalemme, 1595, p. 203.
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Fig. 1: Jerusalem, Church of All Nations, Gethsemane: the Rock of Agony.
Fig. 2: Istanbul, Zeyrek Camii (former Pantokrator monastery): the setting for the Stone of the Unction.
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Fig. 3: Jerusalem, Cathedral of St James, Armenian quarter (Mount Zion): a window with three stones (a stone from Mount Sinai, a stone from Mount Tabor and a stone from the Jordan River).
Fig. 4: Jerusalem, Church of the Ascension, Mount of Olives: the Stone of the Ascension.
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Fig. 5: Jerusalem, Church of the Holy Sepulchre, reconstructed plan of fourth century complex.
Fig. 6: Stairs leading up to Calvary as shown in the illustration of the southern façade of the Church of the Holy Sepulchre, woodcut by Erhard Reuwich, 1483/4 (taken from Bernhard von Breidenbach ‘Peregrinatio in terram sanctam’).
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Fig. 7: The upper chapel of Calvary and the lower chapel of Adam, woodcut, 1595 (taken from Jean Zuallart, ‘Il devotissimo viaggio di Gerusalemme’).
Birgit Ulrike Münch
Körper und Karte. Historizität, Topographie und Vermessung medialer Wissensräume der Passion in der Frühen Neuzeit bei Christiaan van Adrichem und anderen
Look, I´m not saying maps had no role in human affairs prior to 1500, but that after 1500 maps began to play the role they continue to play today. The decision to draw the line here is like Ian Hacking´s drawing of the line for the birth of statistics at 1660. […] I am inclined to think that the preconditions for the emergence of our concept of probability determined the very nature of this intellectual object […].1
Die Zäsur in der Geschichte der Kartographie, die Denis Wood in Anlehnung an David Buisseret2 formulierte, reflektiert die Erkenntnis, dass die bloße Definition des Begriffs Karte nicht ausreicht, um das frühneuzeitliche Medium zu beschreiben, und dass die Kartographie gerade im 16. Jahrhundert einen nie wieder in dieser Form erlebten rasanten Wandel erlebte. Für die Beschäftigung mit heiliger Geographie im 16. Jahrhundert und der Frage, wie das Wissen um die wahren Umstände der Passion Christi in diesen Themenkomplex eingewoben wurde, ist diese Erkenntnis von großer Relevanz.3 Jerusalemkarten sind hierfür ebenso wichtige Seismographen wie Kunstwerke, die bibelarchäologisches Interesse demonstrieren, beispielsweise der zwischen 1634 und 1642 von Nicolas Poussin für Cassiano dal Pozzo, den Sekretär des Kardinals Barberini, geschaffene Zyklus Die sieben Sakramente
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Denis Wood: Rethinking the Power of Maps. Unter Mitarbeit von John Fels und John Krygier, New York 2010, S. 22f. David Buisseret: Monarchs, ministers, and maps: the emergence of cartography as a tool of government in early modern Europe, Chicago 1992, S. 109. Die Positionen stehen in scharfer Abgrenzung zu: James I. Nienhuis: Ice Age Civilitations, Houston 2006, S. 19–28. Zum Verhältnis von Kartographie und Wissenschaftsgeschichte siehe auch Peter Burke: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2001, S. 71f., sowie Nigel Thrift: Flies and Germs. A Geography of Knowledge, in: Derek Gregory und John Urry (Hg.): Social Relations and Spatial Structures, Basingstoke 1985, S. 366–403; Nigel Thrift und Driver D. Livingstone: The Geography of Truth, in: Society and Space 13 (1995), S. 1–3; C. Jacob Harris: Mapping in the Mind, in: Denis Cosgrove (Hg.): Mappings, London 1999, S. 24–49.
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(Abb. 1).4 Eine zweite, leicht veränderte Version dieser Serie gab der Kunstsammler Paul Fréart de Chantelou hiernach in Auftrag.5 Die Darstellung des Abendmahls ist in beiden Zyklen als ungewöhnlich zu bezeichnen: Neben der textgetreuen Umsetzung von 1. Korinther 11,236 ist vor allem auffällig, dass Poussin eine nach historischen Vorlagen rekonstruierte Abendmahlsdarstellung auf einem Triclinium wählte, bei der die Gesellschaft um einen niedrigen Tisch lagert. Chantelou war zunächst wenig angetan von dieser ikonographischen Spielart, die Poussin selbst als „quelque chose nouveau“ angekündigt hatte. Auf die Kritik Chantelous antwortete er: „Nos appetits n´en doivent pas juger seulement, mais la raison“.7 Bei der Beurteilung eines Bildes solle man sich nicht nur von seinen persönlichen Vorlieben (dem appetit) leiten lassen, sondern vor allem auch la raison, die historische Angemessenheit, berücksichtigen. Auch Joachim von Sandrarts Äußerung, Poussin habe die Sakramente „nach Gebrauch der römischen Kirchen“8 gemalt, zeigt sein Bewusstsein für den Wunsch nach angemessener bildlicher Umsetzung des Passionsgeschehens, die an eine historische Verifizierung ja zwangsläufig rückgekoppelt sein muss. Um diese historische Verifizierung in vormodernen Bild- und Textquellen soll es im Folgenden gehen. Bereits die ersten christlichen Pilger ab dem 4. Jahrhundert hatten im Heiligen Land primär ein Interesse, zu erfahren, wo genau sich das Pflaster von Gabbatha befand, welchen Weg sich die Via Dolorosa entlang wand und wie die Ädikula aussah, unter der die Überreste des Heiligen Grabes verborgen lagen.9 Golgatha als Kulminationspunkt der Aneignung von Wissen über die Passion Jesu ist hier selbstverständlich besonders hervorzuheben.10 4
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Allgemein zum Zyklus: AK Nicolas Poussin 1594–1665, hg. von Pierre Rosenberg und Louis-Antoine Prat, Paris (Galeries nationales du Grand Palais), Paris 1994, S. 240f.; zu Cassiano Dal Pozzo noch immer grundlegend: Ingo Herklotz: Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts, München 1999 (Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana; Bd. 28). Charles Jouanny (Hg.): Nicolas Poussin. Correspondance, Paris 1911, S. 272, 268, 440, 443; Reiner Haussherr: Convenevolezza. Historische Angemessenheit in der Darstellung von Kostüm und Schauplatz seit der Spätantike bis ins 16. Jahrhundert (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse; 1984/4), Wiesbaden 1984, S. 8–10; Herklotz 1999 (wie Anm. 4), S. 73. Der Raum wurde dieser Bibelstelle zufolge nur von einer Lampe beleuchtet. Jouanny 1911 (wie Anm. 5), S. 272. Joachim von Sandrart: Teutsche Akademie, Nürnberg 1675, II, Buch 3 (niederl. u. dt. Künstler), S. 368. Shimon Gibson: The Final Days of Jesus. The Archaeological Evidence, New York 2009, S. 12f. Die Schädelstätte steht im Zentrum des verdienstvollen interdisziplinären Sammelbandes: Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen (Hg.): Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin/New York 2010 (Arbeiten zur Kirchengeschichte; Bd. 113).
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Zu untersuchen ist, inwiefern sich im 16. Jahrhundert neben den zahlreichen und vielschichtigen (Neu-)Schöpfungen Heiliger Landschaften in Literatur und Druckgraphik11 auch ein neuer Wunsch nicht mehr nur allein nach theologischer Verifizierbarkeit, sondern auch nach der Verifizierbarkeit des historischen Geschehens der Passion greifbar machen lässt, und ob sich dieses Interesse in den unterschiedlichsten bildlichen wie textuellen Medien niederschlägt. Wie, so ist zu fragen, unterscheidet sich dieses gesteigerte Interesse von jenem des Spätmittelalters? Das neu erwachte Interesse an einer noch jungen Form der Bibelarchäologie ist nicht nur mit dem Phänomen der Verwissenschaftlichung zu erklären, sondern auch in der Glaubensspaltung begründet, die augenscheinlich einen neuen Modus der Verifizierbarkeit der Passion im Sinne ihrer historischen Rückbindung gesteigert notwendig machte.12 Jerusalem als topographisches Zentrum des Heiligen Landes und gleichzeitig als Dreh- und Angelpunkt christlicher Geschichtsdeutung ist zwangsläufig der am häufigsten behandelte Gegenstand der mittelalterlichen Pilgerliteratur.13 Die Textgattung des christlichen Pilgerberichts entwickelte sich von einfachen Frühformen zu aufwendig gestalteten Repräsentationsschriften, so etwa dem illustrierten und in zwölf Sprachen erschienenen Pilgerbericht Bernhards von Breydenbach aus den 1480er Jahren.14
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Die Verortung Golgathas innerhalb der heiligen Geographie und Kartographie des Heiligen Landes wurde in dieser Publikation jedoch ausgespart. Zum Thema Natur als Medium und Verortung des Heiligen siehe: Denis Ribouillault und Michel Veemans (Hg.): Le paysage sacré. Le paysage comme exégèse dans l´Europe de la première modernité / Sacred Landscape. Landscape as Exegesis in Early Modern Europe, Florenz 2011. Siehe zum Folgenden auch: Birgit Ulrike Münch: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Bildern und Texten der Konfessionalisierung. Von der Reformation bis zu den jesuitischen Großprojekten um 1600, Regensburg 2009, S. 217–252. Heike Schwab: Toleranz und Vorurteil. Reiseerlebnisse spätmittelalterlicher Jerusalempilger, Berlin 2002 (Spektrum Kulturwissenschaften; Bd. 4); Aryeh Grabois: Les pèlerins occidentaux en Terre sainte au Moyen Âge, in: Studi medievali 30 (1989), S. 15–48; Dietrich Huschenbett: Von landen vnd ynselen. Literarische und geistliche Meerfahrten nach Palästina im späten Mittelalter, in: Norbert Richard Wolf (Hg.): Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter. Perspektiven ihrer Erforschung, Wiesbaden 1987 (Wissensliteratur im Mittelalter Bd. 1), S. 187–207; Peter Welten: Reisen nach der Ritterschaft. Jerusalempilger in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des deutschen Palästinavereins 93 (1977), S. 283–293; Reinhold Röhricht: Bibliotheca geographica Palaestinae. Chronologisches Verzeichnis der auf die Geographie des Heiligen Landes bezüglichen Literatur von 333 bis 1878, Berlin 1890. Vgl. Frederike Timm: Der Palästina-Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach von 1486 und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandainstrument im Mantel der gelehrten Pilgerschrift, Stuttgart 2006; Bernhard Jahn: Raumkonzepte in der Frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklichkeit in
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Bemerkenswert an diesem erfolgreichen Werk ist, dass sowohl der Text als auch einige der den Text illustrierenden Holzschnitte in deutlicher Abhängigkeit zu älteren Pilgerberichten – etwa von Ludolf von Sudheim oder Jean de Mandeville – stehen und somit vorgeprägte literarische und bildkünstlerische Topoi fortschreiben. Auch die Illustrationen Reuwichs erweisen sich bei genauerer Analyse als deutlich traditionsgebunden. Keinesfalls ist die aktuelle Situation einer osmanischen Siedlung wiedergegeben, sondern dem Betrachter wird vielmehr ein Jerusalem gemäß biblisch-legendarischer Tradition vor Augen geführt, mit dem Felsendom nicht in Form einer muslimischen Moschee, sondern entgegen allem Wissen der Zeitgenossen als templum Salomonis.15 Bekanntermaßen bedeutete nun die Reformation eine Zäsur für die Pilgerschaft nach Jerusalem: Der mit dieser aufs engste verbundene Gedanke des Ablasserwerbs stand im Widerspruch zu Luthers Rechtfertigungslehre, was zunächst zu einem fast vollständigen Erliegen des Pilgerverkehrs führte.16 Erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erholte er sich langsam wieder.17 Die Frage, ob sich in einem der nachreformatorischen Pilgerführer etwa im Vergleich zu Breydenbach Unterschiede zeigen, lässt sich beispielhaft anhand der 1582 erschienenen Beschreibung der Rheyß Leonhardi Rauwolffen skizzieren.18 Gegenüber vorreformatorischen Werken fällt die wiederholte Betonung der curiositas als eigentlichem Reisegrund ins Auge. Der Autor Rauwolff ist ferner vor allem an der Vermehrung seines eigenen Wissens durch direkten Augenschein interessiert, ein Charakterzug, den er in der Vorrede als Initialzündung seiner Pilgerfahrt erklärt: […] dingt mich doch die Warheit zu bekennen / daß ich Hochgelehrter beruehmpten Leuten nach zu reysen / frembde Nationes vnd mores zu besichtigen / vnd dardurch etwas zu erlehrnen / von Jugendt auff grossen begir vnd lust gehabt.19
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Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen (Mikrokosmos; Bd. 34), Frankfurt a.M. u.a. 1993, S. 33; Heinrich Rohrbacher: Bernhard von Breydenbach und sein Werk Peregrinatio in Terram Sanctam, in: Philobiblon 33/2 (1989), S. 89–113. Siehe hierzu auch den Beitrag von Christian Freigang in diesem Band. Timm 2006 (wie Anm.14), S. 577. Reuwichs Illustration waren noch Vorbild für Matthäus Merians d. Ä. Jerusalemplan, der die Heilige Stadt mit 24 Nummern beschriftete und trotz Tempel keine biblischen, sondern einige wenige Staffagefiguren einfügte, siehe hierzu: Anemone Bekemeier (Hg.): AK Reisen nach Jerusalem. Das Heilige Land in Karten und Ansichten aus fünf Jahrhunderten. Sammlung Loewenhardt, Wiesbaden 1993, S. 112f. Vgl. Anne Simon: Sigmund Feyerabends „Das Reißbuch des heyligen Landes“. A Study in Printing and Literary History, Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des SFB 226 Würzburg / Eichstätt), S. 5. Vgl. Justin Staigl: Die Methodisierung des Reisens im 16. Jahrhundert, in: Peter J. Brenner (Hg.): Der Reisebericht, Frankfurt a.M. 1989, S. 140–177. Dieter Henze (Hg.): Leonhard Rauwolff, Aigentliche Beschreibung der Raiss inn die Morgenlaender, Klagenfurt 1971 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten; Bd. 9). Ebd., Bl. Iiijr.
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Die angesprochene große „begir vnd lust“ auf das noch Unbekannte führen in seinem Reisebericht zu einer Neuaufnahme zahlreicher Reiseziele und deren intensive Beschreibung, wodurch sein Buch den Kanon der Orte erheblich erweitert. Auch im opulenten Großprojekt der nachreformatorischen Pilgerliteratur, dem Reyßbuch des heyligen Lands des Sigmund Feyerabend, wird die curiositas als anthropologische Grundkonstante ausgewiesen. In diesem zuerst 1584 erschienenen Kompendium versammelte Feyerabend achtzehn verschiedene spätmittelalterliche peregrinationes. Jeder Mensch trage „ein natuerliche begierd / lust vnd liebe viel vnd mancherley ding zu wissen.“20 Eine genaue Kenntnis der heiligen Stätten, verifiziert durch die primäre Evidenz der Autopsie und im Anschluss daran beständig aufs Neue verifizierbar durch sekundäre Lektüre von aus dem Augenschein abgeleiteten Beschreibungen, evoziere compassio beim Leser. Diese Wirkung kann jedoch nur dann erreicht werden, wenn die zugrundegelegten Texte zwei Qualitäten aufweisen: ihre Berichte müssen, wie der Autor beschreibt, „augenscheinlich“ und „eygentlich“ sein. Dies bedeutet, dass bloße Bewährung der Richtigkeit der Darstellung und des Dargestellten durch Traditionsgebundenheit und Autoritätenbezug in der Frühen Neuzeit nicht mehr ausreichend ist.21
Geographia sacra: Kartographie und Kreuzweg Textlich wie bildkünstlerisch wurde Feyerabends Postulat in einem Werk Christiaan van Adrichems umgesetzt. Dessen zu Unrecht heute weitestgehend unbeachteten Werke waren in unterschiedlichen Formaten und hoher Auflage gedruckt worden und müssen bei der Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung zentralen Raum einnehmen. Der Autor, auch Christian Adrichomius oder Christiaan Cruys genannt, wurde 1533 in Delft geboren und starb 1585 in Köln.22 Zu seinen Lebzeiten erschien eine Reihe seiner Schriften im Druck, darunter 1578 bei Plantin in Antwerpen eine Evangelienharmonie mit dem Titel Vita Jesu Christi ex IV Evangelistis breviter contexta sowie ein Jahr vor seinem Tod, somit 1584, eine Darstellung der Stadt Jerusalem in ihrem Bezug 20 21
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Sigmund Feyerabend: Reyßbuch des heyligen Lands, Frankfurt a. M. 1584, fol. 4. Dennoch ist es anscheinend nebensächlich oder diesem Umstand nicht widersprechend, dass manche der von Feyerabend versammelten Texte die beiden genannten Qualitäten gerade nicht besitzen, sondern mehr oder minder vollständig aus älteren Quellen kompiliert sind. Zu seiner Biographie vgl. Rob Koper: Adrichem, Christiaan van, in: 2LThK 1 (1957), Sp. 158f.
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zur Passion Christi: Iervsalem, sicvt Christi tempore florvit, et suburbanorum, insigniorumque historiarum eius breuis descriptio.23 Dieses 228 Seiten umfassende Werk wurde bei Gottfried Kempen in Köln gedruckt. Es kann als eine Art Stationsbuch bezeichnet werden. Aufgelistet sind Wegstationen der Passion, die von der Nummer 1 bis zur Nummer 270 durchnummeriert sind. Sowohl die Stationen innerhalb der Stadt Jerusalem als auch jene der näheren Umgebung werden aufgeführt. Den 170 Stationen schließt sich ein Autorenkatalog an, der „Catalogus autorvm quibus in concinnanda delineatione & descriptione Hierosolymitana sum vsus“24, wo mit Angabe der Druckorte und -jahre die verwendete Primär- und Sekundärliteratur aufgelistet wird, angefangen mit der Bibel „originali textu Hebraico et Graeco“ und endend mit Flavius Josephus. Das Werk diene, so das Dedikationsschreiben Adrichems dazu, „illustrandam sacrae Scripturae ac Passionis Christi intelligentiam“.25 Das Ausschmücken der Heiligen Schrift und der Passion Christi zur Beförderung des Verstehens war somit die hauptsächliche Antriebsfeder von Adrichem. Seine ausführliche Darstellungsweise lässt sich beispielhaft am 118. Kapitel, der Schilderung des Kreuzwegs Christi, ablesen.26 Ausgehend vom Palast des Pilatus, in dessen Innenhof die Geißelung stattfand, begann der Kreuzweg und zog sich bis zum Kalvarienberg hinauf. Adrichem erwähnt alle markanten Stellen und gibt die genauen Entfernungen in Form von gressus (Schritt) und pedes (Fuß) an, wobei der Schritt mit ca. 1 m und der Fuß mit ca. 30 cm bemessen wurden. Unter Aufmerksamkeit der gesamten Stadt sei Christus 80 Schritte lang „versus Caurum seu Corum“, somit entweder Richtung Caurus oder Corus gegangen, dies sei 200 Fuß von jener Stelle entfernt, wo er das erste Mal unter dem Kreuz zusammenbrach. Die nächste markante Station, auch wiederum mit Angabe der genauen Abstände, sei jener Ort, an dem die Heilige Maria mit Johannes dem Gottessohn begegnete. Das Prinzip der Wegstationen ist bei Adrichem, wie 23
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Bearbeitete Exemplare: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Signatur: 327 Hist. (3) sowie 398 Hist. (3). Der Nachweis im Verzeichnis Deutscher Drucke des 16. Jahrhunderts lautet VD 16 A 297. Siehe hierzu Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 235f. Adrichomius, Iervsalem, S. 222. Ebd., S. 3, das gesamte Dedikationsschreiben, das der Autor an den Kölner Erzbischof Ernst von Bayern (1583–1612) gerichtet hatte, erstreckt sich von S. 3–7. Ebd., S. 124–127: „Via Crucis, quà Christus in tribunali cruci adiudicatus, accerrimis ac cruentis gressibus ad montem Caluariae iuit. Incipiens enim à Palatio Pilati per viginti sex gressus, qui faciunt sexaginta quinque pedes, ad locum processsit, vbi Crux ei imposita est. Vnde tota spectante vrbe super saucios humeros suam baiulans crucem, versus Caurum seu Corum per octaginta gressus, hoc est, ducentos pedes ad locum vbi primò cum cruce cecidisse traditur, progressus est. Inde statim per sexaginta gressus & tres pedes, id est, centum quinquaginta tres pedes, ad locum vbi B. Maria cum Ioanno filio suo occurrit.”
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sich zeigt, bis zur letzten Konsequenz konkretisiert, denn jeder bedeutungstragende Punkt des Kreuzwegs wird im Text exakt abgeschritten und dadurch für den Leser nachvollziehbar gemacht – bis hin zur einen Viertelfuß langen, genauen Maßangabe und der Angabe der „sieben Fußfälle Christi“. Dies erlaubt es den Gläubigen, die imitatio passionis so exactè wie nur möglich zu imaginieren. Der Leser hat die Wahl, dies realiter, auf dem Weg in Jerusalem selbst zu tun, in seinem Garten oder an einem völlig anderen Ort bzw. mentaliter in einem individuellen Gedankengebäude. Fünf Jahre nach seinem Tod wurde in Köln eine Erweiterung von Iervsalem, sicvt Christi tempore florvit herausgebracht, die nun mit zahlreichen großflächigen ausfaltbaren Karten versehen war, das Theatrvm Terrae Sanctae et Biblicarvm Historiarvm cum tabulis geographicis aere expressis, 1590 in Köln von Arnold Mylius in der Offizin Birckmann gedruckt.27 Das Titelblatt zeigt oben die Berufung des Mose in einer ländlichen Szene und seitlich des Titels links Mose mit der Gebotetafel „ego sum Deus tuus“ nach Ex. 20,2 (Abb. 2) sowie ihm gegenüber apollogleich mit flammender Sonne den militärischen Führer Josua, für den nach Jos. 10,12f. die Sonne im Kampf durch göttlichen Eingriff angehalten wurde. In einer weiteren Kartusche wird unten der Beginn der Landnahme mit dem Zug der Israeliten durch den Jordan illustriert. Die Karten des Bandes wurden in der Werkstatt Frans Hogenbergs gestochen und sind mit dem Familienwappen Adrichems, der aufsteigenden Schlange, gekennzeichnet.28 Da man bislang keine Vorbilder ausmachen konnte, gelten sie als Neuschöpfungen des Autors für sein Werk. Es handelt sich im Grunde um ein umfangreiches topographisches Lexikon, das nach den Siedlungsgebieten der 12 Stämme nach Josua gegliedert ist, gefolgt von dem übernommenen Jerusalem-Kapitel und einem weiteren Abschnitt zu heiligen Orten außerhalb des Landes.29 Laut Adrichems Vorwort sei die Wahrheit der Geschichte die Basis für den Glauben und das richtige Verstehen. Dies ist insofern bemerkenswert, als nicht der Glaube als die Basis angesehen wird, 27
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Christianus Adrichomius: Theatrvm Terræ Sanctæ Et Biblicarvum Historiarvm, cum tabulis geographici ære expressis, Köln 1590. Das Werk wurde im gleichen Jahr in italienischer Sprache aufgelegt. Eingesehenes Exemplar war eine Ausgabe von 1628: Wolfenbüttel, HAB, Gv 2° 15; B 130 2Helmst. Siehe hierzu Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 248f. Das entsprechende Kapitel „Vrbis Hierosolymae, qvemadmodvm ea Christi D. N. tempore florvit, et svb vrbanorvm eivs brevis descriptio“ findet sich auf den Seiten 145–181. Zuvor ist eine ausfaltbare Karte Jerusalems von 76 x 53,5 cm eingeklebt. Der Text zum Jerusalemabschnitt entspricht vollständig dem älteren Werk von 1584, die Identifikation der einzelnen Stationen der Passion auf der Karte stimmt ebenfalls genau überein. Der im Text zitierte Abschnitt zur via crucis ist auch im Theatrum unter der Nummer 118 zu finden. Siehe hierzu: AK Jerusalem 1993 (wie Anm. 15), S. 98.
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sondern die historische veritas,30 die nur über die Kenntnis der historischen Topographien zu erlangen ist. Die Ordnung der Aufzählung geht von größeren zu kleineren Einheiten vor, so dass zunächst die Zweiteilung der Stadt entsprechend der beiden Berge Zion und Moria vorgenommen wird, um schließlich die relevanten Gebäude innerhalb dieser Einheiten zu benennen. Im Gegensatz zu früheren Jerusalemdarstellungen, die auf dem Tempelberg das 586 v. Chr. zerstörte Heiligtum Salomons abbildeten, findet sich hier gemäß des Anspruchs historischer Authentizität der herodianische Tempel illustriert. Dieser Anspruch wird unter anderem auch durch die Wiedergabe der direkt über eine Brücke mit dem Tempelareal verbundenen Festung Antonia eingelöst. Der topographischen Stadtansicht ist eine Handlungsebene überblendet, und zwar jene der Passion (Abb. 3). Alle dargestellten Personen vom Einzug bis zur Himmelfahrt sind Akteure dieser Passion, bloße Staffagefiguren sind nicht zu finden. So ist in den Tempelvorhof die Vertreibung der Wechsler eingezeichnet. Der Beginn des Kreuzwegs am Palast des Pilatus wird mit gestrichelter Linie dem Leser vorgestellt (Abb. 4), sowohl der im Text genannte erste Fall unter dem Kreuz als auch Maria und Johannes am Wegrand sind illustriert (Abb. 5). Der linke untere Bildrand wird von der Golgathaszene und dem Grab Christi eingenommen. Hier löst sich die Beschriftung von der objektiven Schilderung, der Leser wird direkt angesprochen und zur Imitatio aufgefordert: „Christus se tibi. Tu te Christo“, wie es auf einem Titulus unterhalb des „mons Calvariae“ geschrieben steht. Sowohl die Kreuzannagelung und das Würfeln um das Gewand als auch die Kreuzigung mit Schächern, die Beweinung und die Auferstehung sind in diesem Bildausschnitt visualisiert. Das Grab Christi in der unteren linken Bildecke ist von einem niederen Zaun umgeben, ganz vorne ist Maria Magdalena, dem Christus als Gärtner erscheint, zu sehen, rechts des Grabes die schlafenden Wächter und auf dem Grab stehend der nimbierte Auferstandene (Abb. 6). Aufgrund der zahlreichen biblischen Akteure und der diversen unterschiedlichen Formate eignete sich die Jerusalem-Ansicht für die Nutzung als nachträglich eingeklebte Bibelkarte in Bibeln und Erbauungsbüchern.31 So wie das Phänomen der Bibelkarte allgemein zunächst ein vorrangig 30
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Adrichem 1628 (wie Anm. 27), Vorwort: „Cum historae veritas, fundamentum sit & fidei & intelligentiae spiritalis, Christiane lector, rerum autem gestarum historia absque locorum cognitione caecasit, eorum vero cognitio multum lucis, tum historae veritati tum spritiuali euus internretationi praebat, idcirco hoc in opere duo summa diligentia mihi observanda existimaui.“ So wurden Adrichems Karten nachträglich eingefügt beispielsweise in Wolfenbüttel, HAB, 317.29 Theol., oder in die Evangelienharmonie von Jacob Beringer: Das Nüw Testament, Straßburg 1526, HAB H: A 206.2 Helmst. (1); siehe hierzu Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 247.
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protestantisches ist, das sich in katholischen Bibeln erst gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts etablieren kann, so findet sich auch die Karte des katholischen Adrichem bemerkenswerterweise primär in protestantischen Bibeln32, während sie erst gegen Ende des Jahrhunderts Aufnahme in katholischen Bibeln findet.33 Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch Chassagnette, wobei hier primär die unterschiedliche Nutzung der Karten als Distinktionsmerkmal der Konfessionen angesetzt wird: Die calvinistische Tradition drängt nach Chassagnette weitaus häufiger als die katholische oder lutherische auf den didaktischen und pädagogischen Wert der Bibelkarte, während das naturwissenschaftliche Interesse an der Glaubenswahrheit primär der lutherischen Kartennutzung eigen ist.34 Neben Adrichem gibt es weitere Autoren, Kartographen und Künstler, die betonen, auf ihren Karten das Heilige Land explizit „zur Zeit Jesu Christi“ abbilden zu wollen,35 so etwa innerhalb der Bibel Benito Arias Montanos.36 Die berühmte Polyglott-Bibel des Theologen und Orientalisten Montano war von 1569 bis 1572 bei Plantin gedruckt worden37 und hatte die primär auf Peter Laicksteins basierende Karte der Heiligen Stadt korrigiert, indem er an die Stelle des Salomonischen Tempels eine durch ihn verifizierte Rekonstruktion 32
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Primär in englischen, deutschen, französischen und niederländischen Bibeln lassen sich die Karten finden, ausführlich hierzu: Catherine Delano-Smith und Elizabeth Morley Ingram: Maps in Bibles 1500–1600. An Illustrated Catalogue, Genf 1991 (Travaux d’Humanisme et Renaissance; 256), S. XVI; Wilco C. Poortman und Joost Augusteijn: Kaarten in Bijbels (16e-18e eeuw), Zoetermeer 1995, S. 141–156 und 179–182. „Bibles that contain maps are overwhelmingly Protestant editions, or, in the case of the half-dozen Latin Bibles and even fewer Paris-printed and polyglot Bibles, were published by printers known to have had reformist sympathies or to have been willing to print reformist literature”, vgl. Delano-Smith / Morley Ingram 1991 (wie Anm. 32), S. XVI. Zu den Unterschieden lateinischer und volkssprachlicher Texte im Zusammenhang mit den Karten am Beispiel von Ortelius siehe: Marcel van den Broeke: The Significance of Language: The Texts on the Verso of the maps in Abraham Ortelius ´Theatrum orbis terrarum, in: Imago Mundi 60, Teil 2 (2008), S. 202–210. „Importance de l´émotion produite par les images dans le contexte catholique, importance du raisonnement, de l´appréhension mathématique et de la perception de la Providence divine dans le contexte lutherién, importance enfin de la clarté de l´information transmise, et de sa fidélité à la lettre de l´Écriture sainte, dans le contexte calviniste“, in: Axelle Chassagnette: Geographia sacra. Usages confessionnels de la cartographie biblique au XVIe siècle, in: Kaspar von Greyerz u. a. (Hg.): Religion und Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert, Gütersloh 2010, S. 102–122, Zitat S. 118. Vgl. Delano-Smith / Morley Ingram 1991 (wie Anm. 32), S. 137, Nr. 5.1–5.5. Vgl. ebd., S. 121, Nr. 7.1. Des weiteren spätere Ausgaben: Genf 1588 (S. 122, Nr. 7.2.) sowie Haarlem (?) 1598 (S. 122, Nr. 7.3.). Benito Arias Montano: Biblia sacra, hebraice, chaldaice, graece, & latine, Philippi II. Reg. cathol. pietate, et studio ad sacrosanctae ecclesiae usum, Antwerpen, bei Christophe Plantin, 1569–1572.
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des zweiten, Herodianischen Tempels einfügte (Abb. 7).38 Zuvor, etwa im Bibelkommentar Heinrich Büntings von 1581, war der Tempel nach idealen Kriterien illustriert worden, ohne archäologische Korrektheit zu bieten. So schmückt hier beispielsweise eine goldene Tonnenwölbung das Dach, während es sich laut Bibeltext um ein Flachdach aus Zedernholz handelte.39 Auffällig ist im Gegensatz hierzu bei Montano, dass in die mit Antiquae Ierusalem vera iconographia betitelte Karte bewusst einzig eine Zutat neutestamentlicher Provenienz hinzugefügt wurde: Im linken vorderen Bildrand findet sich der Kalvarienberg mit drei im Gegensatz zu Adrichems Illustration nunmehr leeren Kreuzen. Montano gibt somit auch in der Darstellung der Heiligen Stadt zu erkennen, dass zu einer im theologischen Sinne historisch korrekten Wiedergabe einer heilsgeschichtlich so bedeutsamen Stadt die eine überzeitliche christliche Wahrheit – Christi Passion – stets mit dazugehört. Die Einfügung der Kreuzigung Christi am Rand – und eben nicht innerhalb der Karte – als bloßes illustratives Element findet sich primär im 17. und 18. Jahrhundert in diversen Bibeln, so etwa in Willem Albert Bachienes Afbeedling van t´joodschen Land von 175040 oder Romeyn de Hooghes De Reysen Christi des Heylands von 1702, wo in einer Kartusche unterhalb der Karte wichtige biblische Szenen vom Sündenfall bis zur Himmelfahrt illustriert werden.41 Auf einer Jerusalemansicht des gleichen Autors finden sich Didaskalierungen innerhalb der Stadt, am linken unteren Bildrand über der Aufschrift Calvaria aber nur ein einziges leeres Kreuz (Abb. 8).42 Auch der Kreuzweg ist hier nicht mehr ins Bild eingefügt – eine detailgenaue Rekonstruktion ist somit im Gegensatz zu Adrichem nicht mehr angestrebt. Dies vermag auch nicht die Jerusalemkarte zu bewerkstelligen, die Johann Daniel Herz d.Ä. im Jahr 1735 entwarf (Abb. 9). Die Karte, die Jerusalem „zur Zeit Jesu“ abbilden sollte, wurde zwar von einem Begleitbuch ergänzt, ist jedoch ein wahres Sammelsurium antiker Bauten, Tempel, Stadien und Paläste ohne Anspruch auf Richtigkeit. Vorne 38
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Zur „heiligen Geographie“ der Polyglotta umfassend Zur Shalev: Sacred Geography, Antiquarianism and Visual Erudition. Benito Arias Montano and the Maps in the Antwerp Polyglot Bible, in: Imago Mundi 55 (2003), S. 56–80, hier S. 62f. Eine ausführliche Arbeit unter dem Titel „Sacred Words and Worlds” steht darüber hinaus kurz vor dem Erscheinen im Leidener Verlag Brill. Heinrich Bünting: Itinerarium S. Scripturae. Das is: Een Reys-boeck over de gantsche heylighe Schrift. In dry deelen onderscheyden: Het eerste vervaet Alle de reysen der Patriarchen / […] Arnheim 1630 (mit sieben Karten); eingesehenes Exemplar: Wolfenbüttel, HAB, A 5.7 Geogr. Kaarten in Bijbels, S. 262. Ebd., S. 228. Romeyn de Hooghe: Hierusalem, 302x379 mm, Kupferstich. Geostete Karte eines imaginären Plans aus der Vogelschau, vgl. Eran Laor und Shoshana Klein: Maps of the Holy Land. Cartobibliography of Printed Maps, 1475–1900, New York, Amsterdam 1986, Kat. Nr. 1045.
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links scheint die Passion im Sinne eines volkreichen Kalvarienberges dargestellt zu sein, doch der erste Eindruck täuscht, da die meisten Figuren sich nicht für das Passionsgeschehen interessieren und ohne Bezug zur Historie über die Eingänge in die Stadt drängen.43 Zwei Werke seien genannt, die zeitlich einerseits vor, andererseits nach Adrichems Jerusalemkarte stehen und bei der Bearbeitung des Themas eine wichtige Rolle einnehmen. Im Jahr 1570 erschien die noch den spätmittelalterlichen Stationsbüchern nahestehende und bei Jobst Gutknecht in Nürnberg gedruckte Geystlich straß des Nikolaus Wanckel44, der die einzelnen Kreuzwegstationen in Anlehnung an die Nürnberger Via crucis des Adam Krafft als Holzschnitte beigefügt wurden (Abb. 10).45 Am Ende seiner Vorrede betont Wanckel, dass der Leser den Kreuzweg ein „yetzlichs solche verzeychnu[n]g thun in sein seinem hauß / oder hoff stuben / oder kam[m]ern / oder andern füglichen örtern“, um das Leiden Christi nachvollziehen zu können. Die Holzschnitte werden jeweils von erklärendem Text begleitet, der die Wegstrecken der einzelnen Abschnitte angibt. So findet sich neben der Illustrierung des Falles Christi unter dem Kreuz die Angabe, dass der Fall „auch geschehen[sei] an einem eck einer gassen ein gutten stainwurff oder bey achtzig schrifften von der begegnu[n]g Marie“.46 Erst im Jahr 1600 erschien hingegen das Diarivm hvmanitatis des Bartholomäus Scultetus;47 der zu den wichtigsten Kartographen des mitteldeutschen Raumes im 16. Jahrhundert zählte.48 Persönlicher Austausch zum Beispiel mit dem Prager Hofastronom Tycho Brahe ist nachweisbar.49 In der zweiten Vorrede werden als Gründe für die Abfassung die allgemeine Unwissenheit sowie die Expertenstreitigkeiten bezüglich der richtigen zeitlichen Verortung der Ereignisse angeführt – vor allem im Hinblick auf die Daten der Passion Christi oder der Einsetzung des Abendmahls.50 43 44 45 46 47
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Johann Daniel Herz d. Ä., Jerusalem zur Zeit Jesu, Augsburg 1735, Abb. in: AK Jerusalem 1993 (wie Anm. 15), S. 127. Notger Eckmann: Kleine Geschichte der Kreuzwegsandacht, Regensburg 1968, S. 12–17. Nikolaus Wanckel: Die Geystlich Straß, Nürnberg, bei Jobst Gutknecht, 1521; Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 235. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Christian Freigang in diesem Band. Wanckel 1521 (wie Anm. 45), S. 272; g3v (Holzschnitt) u. g4r. Bartholomäus Scultetus: Diarium humanitatis Domini nostri Jesu Christi, Frankfurt / Oder 1600, Eingesehene Exemplare: Wolfenbüttel, HAB, A 117.11 Hist.; A 491 Theol.; A 231.118 Theol.; G 140.4° Helmst.; S 126b.4° Helmst; siehe hierzu Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 237f. Ernst Kroker: Bartholomäus Scultetus und seine Karten von Sachsen (1568), in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 42 (1921), S. 270–277. Jürgen Helfricht (Hg.): Fünf Briefe Tycho Brahes an den Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus (1540–1614), in: Wolfgang R. Dick und Jürgen Hamel (Hg.): Beiträge zur Astronomiegeschichte, Frankfurt a.M. 1999 (Acta Historiae Astronomiae; Bd. 5), Bd. 2, S. 11–33. Scultetus 1600 (wie Anm. 47), S. 69f.
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Der der Passion gewidmete Abschnitt des Hauptteils51 ist der umfangreichste. Wie der Text aufführt, fiel die Passion ins Jahr 4003 seit der Erschaffung der Welt, was dem 48. Lebensjahr Mariens und dem 33. Lebensjahr Christi entspricht. Scultetus handelt sodann die Ereignisse der Karwoche in chronologischer Reihenfolge mit möglichst genauer Angabe des Datums und der Tageszeit ab: Der Einzug nach Jerusalem fand dementsprechend am Morgen des 29. März, eines Sonntags, statt,52 die Feier des Passah sowie die anschließende Einsetzung des Abendmahles durch Christus ereigneten sich in der Nacht von Donnerstag, dem 2. April.53 Am 3. April habe sich schließlich das eigentliche Passionsgeschehen in zeitlich gedrängter Abfolge ereignet. Es habe von „Mitternacht anzufahen / funfftzehen gantzer Stunden hienaus biß zum Tode am Creutz gewehret“ und Christus sei genau 32 Jahre, 14 Wochen und einen Tag sowie die Mutter Gottes 47 Jahre, 29 Wochen und fünf Tage alt gewesen54. Den „Historien Von dem Leiden vnd Sterben vnsers HErrn Jesu Christi“ ist ein eigener Unterabschnitt gewidmet, in dem zum Beispiel Christi Wegführung zu Pilatus am 3. April zwischen sieben und acht Uhr morgens stattfindet,55 Christus zur Mittagsstunde das Kreuz nach Golgatha trägt und dort kurz vor ein Uhr nachmittags gekreuzigt wird,56 um schließlich um sechs Uhr nachmittags in sein Grab gelegt zu werden.57 Die allgemeine Tendenz des Werks dürfte aus den zitierten Textpassagen deutlich werden: Zwar handelt es sich bei Scultetus’ Diarivm hvmanitatis noch um eine die Berichte der Evangelien harmonisierende Stationsschrift zur Passion. Doch im Gegensatz zu Wankels Geystlich strass oder Adrichems Werken sind es nun nicht die Weg-, sondern vielmehr die Zeitstationen der vita Christi, die mit mathematischer Genauigkeit im Verlauf der Heilsgeschichte festgemacht werden. Damit wird die Größe der messbaren, kalkulierbaren Zeit, die allgemein im 16. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnt, auch in die Darstellung der Passion integriert.
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Ebd., S. 313–501. Ebd., S. 383f. Ebd., S. 431–442 u. 455–461. Ebd., S. 453–501. Ebd., S. 470. Ebd., S. 482. Ebd., S. 495.
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Der heilige Körper und seine wissenschaftliche Konstruktion Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob sich die in der heiligen Geographie gemachten Beobachtungen auch auf andere Illustrationen bibelarchäologischen Inhalts beziehen lassen. Die Illustration opaker Textstellen zum besseren wissenschaftlichen Verständnis ist sicherlich keine Erfindung der Neuzeit, wie etwa die zwischen 1322 und 1330 entstandene Postilla litteralis super totam Bibliam des Nicolaus von Lyra zeigt.58 Seine figurae etwa zur Arche zeigen bereits einen Ansatz quellenkritischer Darstellung der biblischen Geschichte, wenn auch nur für das Alte Testament. Ähnlich verhält es sich noch bei späteren Arbeiten mit wissenschaftlichen Illustrationen: Das Neue Testament und damit auch die Passion werden komplett ausgespart, sie sind nicht Teil archäologischen Interesses.59 Um 1540 druckte Robert Estienne eine polyglotte Bibel in Paris.60 Der wissenschaftlich korrekte Anspruch lässt sich auch von der Tatsache ablesen, dass François Vatable, Lektor für hebräische Sprache am Collège de France, die Bibel zur Durchsicht übersandt worden war.61 Doch auch hier finden sich allein zwanzig Abbildungen der bekannten und bereits seit Lyra institutionalisierten loci biblici wieder, wie Schaubrottisch, siebenarmiger Leuchter, Tempel Salomons oder Arche Noah.62 Erläuternde Detailangaben zu den Bildern wie korrekte Maßangaben finden sich im Text, wobei dem Bild von Estienne eine herausragende Stellung eingeräumt wird: Die Bilder illustrieren nicht nur – wie zuvor – den Text. Vielmehr habe er, Estienne, mit Vatable einen Spezialisten gewonnen, 58 59 60
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Nicolaus de Lyra: Postilla super totam Bibliam, 4 Bde., Nachdruck der Ausgabe Straßburg 1492, Frankfurt a.M. 1971; Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 239f. Siehe zum Folgenden Münch 2009 (wie Anm. 12), S. 241–252. Biblia Hebraea, Chaldaea, Graeca et Latina nomina virorum, mulierum, populorum, idolorum, urbium, fluviorum, montium, caeteroriumque locorum quae in Bibliis leguntur, restituta, cum Latina interpretatione […] His accesserunt schemata Tabernaculi Mosaici et Templi Salomoni, quae praeeunte Francisco Vatablo Hebraicarum literarum Regio professore doctissimo, summa arte et fide expressa sunt, Paris 1540; eingesehenes Exemplar: Wolfenbüttel, HAB, Bibel-S. 2° 183. Vgl. Elisabeth Armstrong: Robert Estienne, Royal Printer. An Historical Study of the Elder Stephanus Oxford 1986 (Courtenay Studies in Reformation Theology; Bd. 6), S. 72–75. Vgl. Paul Naredi-Rainer: Between Vatable and Villalpando. Aspects of postmedieval reception of the temple in Christian art, in: Bianca Kühnel (Hg.): The real and ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic Art. Studies in Honor of Bezalel Narkiss on the Occasion of his Seventieth Birthday, Jerusalem 1998, S. 220, Abb. 3 u. 4. Zu den Abbildungen vgl. umfassend Max Engammare: Cinquante ans de révision de la traduction biblique d’Olivétan: les bibles réformées genevoises en français au XVIe siècle, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 53 (1991), S. 369–371.
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der die bibelarchäologischen Illustrationen entworfen habe, da es ohne diese überhaupt nicht möglich sei, die Konstruktion vom Salomonischen Tempel oder der Wohnung des Mose zu begreifen.63 Ein weiterer Theologe, der zwischen 1551 und 1573 fünf Ausgaben der Bibel herausgab, ist Sebastian Castellio.64 Im Gegensatz zu Vatable sind die Illustrierungen nicht im Text, sondern im Anhang zu finden. Der Holzschnitt, der die Arche zeigt, wird in der letzten Ausgabe von einer Legende begleitet, die diesen erläutert, während Didaskalien von A-C der Schemazeichnung der Arche eingegeben sind.65 Max Engammare bezeichnet diese Bilder treffend als „type d´illustration de représentation archéologique savante“ und weist sie als ein Novum aus.66 Auch die Zeitgenossen hoben diese wissenschaftlichen Bilder definitorisch von vorherigen Bildern der Kultgeräte ab, wie Sixtus da Sienas 1566 eingeführter Begriff sciographica für diese Art der Bebilderung belegt.67 Dennoch gibt es im Laufe des 16. Jahrhunderts kaum wissenschaftliche Illustrationen zum Neuen Testament, in sehr eingeschränktem Maße etwa in der bereits genannten Polyglotta Montanos.68 Band 5 handelt über das Neue Testament, enthält jedoch kein Titelblatt, Band 6 bis 8 beinhalten einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat, der Wörterbücher, Grammatiken und kirchen- wie kulturgeschichtliche Abhandlungen umfasst.69 Neben Weltkarten sowie Illustrationen einer hebräischen Münze, die des ersten Schmieds Thubal-Kain gedenkt, finden sich vor allem Illustrierungen der Stiftshütte. Dies alles erscheint für die hier aufgeworfene Frage wenig interessant. Doch findet sich in Montanos Werk eine Illustration des toten Christus und zwar innerhalb 63
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68 69
Biblia Hebraea 1540 (wie Anm. 60), Vorwort: fol. iir-v: „Quibus breviter resondeo, etiam hanc operam nostrum in bonam partem accipienda esse, quod constructionem Tabernaculi Mosaici, de qua in Exodo agitur, et fabricam illam Templi Salomonis, de qua in terio Regum libro tractatur, sine his schematibus nemo quisquam facile et cito assequi queat.“ Zu den einzelnen Ausgaben ausführlich Max Engammare: L’illustrations de la Genèse, in: ders. (Hg.): La Genèse 1555. Sébastien Castellion, Genf 2003, S. 93–105. Sébastien Châteillon: Biblia Interprete Sebastiano Castalione, Basel 1573, gedruckt bei Petrus Perna, neunte Illustration. Eingesehenes Exemplar: HAB Bibel-S. 2° 196. Engammare 2003 (wie Anm. 64), S. 99. Vgl. Sisto da Siena: Bibliotheca Sancta a F. Sixto Senensi, ordinis Prædicatorum, ex præcipuis catholicæ Ecclesiæ Auctoribus collecta, et in octo libros digesta […]. Nunc vero a Joanne Hayo Scoto, Societatis Jesu, plurimis in locis a mendis expurgata, atque scholiis illustrata, Paris, bei Rolin Thierry, 1610 (identisch mit der Ausgabe von 1566), S. 162–165, eingesehenes Exemplar: HAB A 136.6 Theol. 2°, sowie Engammare 2003 (wie Anm. 64), S. 99f. mit einer Interpretation des Textes. Vgl. Montano 1569–1572 (wie Anm. 37). Der wissenschaftliche Apparat mit geographischen, philologischen sowie wirtschaftsund sozialgeschichtlichen Erläuterungen des Kompendiums wurde weitestgehend von Andreas Masius und Guy Lefevre de la Boderie verfasst, vgl. Leon Voet: The Plantin Press. A Bibliography of the work printed and published by Christophe Plantin at Antwerp and Leiden, Amsterdam 1980, Bd. 1, S. 287–315, Nr. 644.
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einer alttestamentlichen Abbildung der Arche. Die Aufrissmaße des Schiffs werden in Bezug gesetzt werden zu den Körpermaßen eines toten liegenden Menschen.70 Diese Inbezugsetzung erscheint zunächst als rein exegetisches Traditionsgut. Hänsel weist darauf hin, dass schon Augustinus in De civitate Dei XV,26 und hiernach auch Nicolaus von Lyra die Arche als „Vorzeichen Christi interpretiert“ hatten.71 Bei genauerem Hinsehen erweist sich Montanos Auslegung jedoch als wesentlich spezifischer: In einer 1556 in Basel bei Johann Oporinus und Michael Martin Stella gedruckten lateinischen Bibel72 finden sich als Anhang zum Alten und Neuen Testament aus der Feder Castellios73 unter der Überschrift „Longitudo trecentos cubitos pateat“ folgendes ausgeführt: „Huius arcae dimensionis eadem proportio est, quae hominis supini iacentis, ut me quidam Italus docuit. Erat enim ea arca imago quaedam hominis mortui iacentis, & tamen reuicturi, ac resurrecturi.“74 Montanos Arche ist analog als lange schmale Kiste sowohl im Längsschnitt in Obersicht als auch in Seitenansicht wiedergegeben (Abb. 11). In schwacher Umrisszeichnung ist in die Arche der Leichnam Christi eingepasst. Seine von den Wundmalen gekennzeichneten Füße sind parallel angeordnet, während seine ebenso durchbohrten Hände über die Scham gelegt sind. Zusammen mit dem gescheitelten Haar des frontal wiedergegebenen Kopfes weisen diese Charakteristika eindeutig auf den Leichnam Christi nach dem corpus des Turiner Grabtuches hin. Projiziert wird somit das Bild, das sich anhand des kurz zuvor nach Turin gebrachten Grabtuches rekonstruieren lässt. Zeitgenössische Sindone-Wiedergaben finden sich etwa auf dem Titelblatt der Sacra Sindone von Alfonso Paleotti, gestochen von Francesco Brizio (Abb. 12).75 In der Polyglotta wird also der bei Augustinus lediglich vorbereitete enge Bezug zwischen Christus und der Arche bis zum äußersten konkretisiert – aus irgendeinem Bild eines toten Menschen („imago quaedam hominis mortui“) ist bei Montano das Bild des toten Menschen schlechthin, des toten Christus geworden. Gleichzeitig greift Montano bei dieser typologischen Konkretisierung auf aktuelles Wissen seiner Zeit zurück, wenn er den Leib des Menschensohnes in der zeitgenössisch als historisches Abbild verstandenen Erscheinungsform des Grabtuchs von Turin wiedergibt. 70 71 72 73 74 75
Vgl. Montano 1569–1572 (wie Anm. 37) “Haec autem hominis in terra iacentis & mortui secundum longum, latum & altum observata mensuram ratio est”, zu Gen. 6,15. Sylvaine Hänsel: Der spanische Humanist Benito Arias Montano (1527–1598) und die Kunst (Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft; II/25), Münster 1991, S. 42. Sébastian Châteillon: Biblia Interprete Sebastiano Castalione. Unà cum eiusdem Annotationibus, Basel 1556. Eingesehenes Exemplar: Wolfenbüttel, HAB, A 70.2° Helmst. Ebd., Sp. 1587–1743. Ebd., Sp. 1592. Gabriele Wimböck: Guido Reni (1575–1642). Funktion und Wirkung des religiösen Bildes, Regensburg 2002 (Studien zur christlichen Kunst; Bd. 3), S. 141.
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Montanos Vorgehensweise ist somit zugleich ein Beleg für die zunehmende Archäologisierung der Passionsillustration im Verlaufe des 16. Jahrhunderts, wenn sie auch in der Polyglotte singulär steht. Zu fragen ist, wie das wichtigste Element dieser „verwissenschaftlichten Glaubenstatsache“ – der Leib Christi – in (bibel-) archäologischen Traktaten geschildert wird. Befragt werden soll hierzu die Abhandlung De Crvce Libri Tres76 des Humanisten und Altphilologen Justus Lipsius (1547–1606).77 Innerhalb der drei Bücher zum Thema Kreuzigung bewegt sich Lipsius, der oft als einer der ersten nordalpinen Antiquare bezeichnet wird, fort von einer rein religiös-dogmatischen Schilderung der Kreuzigung hin zu einem Katalog der verschiedenen Facetten dieser antiken Todesstrafe. Diese Ausrichtung wird bereits im Untertitel des Buches in der Formulierung, das Werk sei „ad sacram profanamque historiam utiles“ geschrieben, angedeutet und zieht sich als hermeneutischer Leitfaden durch den gesamten Text, der durch 19 Kupferstiche Pieter van der Borchts unterstützt wird, die das Geschriebene illustrieren und besser nachvollziehbar machen sollen. Lipsius’ Vorgehensweise weist sein Werk deutlich als historisch-archäologisches und nicht etwa als theologisches aus. Vielmehr vollzieht er die Entwicklung der antiken Kreuzigungspraktiken bis hin zu Christus in einer Art evolutionärem Prozess nach, der ohne Unterbrechung und in gerader Linie auf Christi Kreuzigung zuläuft, also christlichen Heilsplan und Profangeschichte in eins denkt. Die Kreuzigung Christi ist so nur ein Teil einer historischen Entwicklung, die man mit den Mitteln deduktiver Geschichtsforschung erläutern kann. Nach Anthony Grafton war für Lipsius „the paganness of the pagans, their historical and cultural distance from modern Europeans […] impossible to ignore“.78 Kann Lipsius bestimmte Sachverhalte nicht anhand von Quellenmaterial belegen, so will er sich nicht zu Vermutungen hinreißen lassen, sondern lässt diese ungelösten Fragen als Probleme für spätere Forschung stehen. Als ein Beispiel sei hier die Anzahl der bei der Kreuzigung Christi verwendeten Nägel und der daraus resultierende Nageltypus genannt: Da er sich aufgrund lückenhafter Quellenlage nicht für eine bestimmte Zahl entscheiden will, betont Lipsius „si de Christo tamen quaeritur; nescio, et in dissensu Patrum non 76 77
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Justus Lipsius: De Cruce libri tres, Antwerpen 1593; eingesehene Exemplare: Wolfenbüttel, HAB, P 596.4° Helmst.; P 696.4° Helmst. Zu Werk und Biographie vgl. Anthony Grafton: Bring out Your Dead. The Past as Revelation, Cambridge 2001, S. 227–241. Zur Profanisierung der Kreuzigung bei Lipsius siehe auch Birgit Ulrike Münch: Towards a Transconfessional Dialogue on Pre-Modern Theological Texts and Images: Some Adnotationes on Nadal, Lipsius and Rubens, in: Celeste Brusati, Karl Enenkel und Walter Melion (Hg.): The Authority of the Word: Reflecting on Image and Text in Northern Europe, 1400–1700, Turnhout 2011 (Lovis Corinth Colloquia; Bd. 3), S. 505–532, sowie dies. 2009 (wie Anm. 12), S. 249–252. Grafton 2001 (wie Anm. 77), S. 242.
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est meum arbitrari“79, er wisse also keine Antwort, wenn diese Frage in Bezug auf Christus untersucht wird, und es sei nicht seine Aufgabe, die Meinungsverschiedenheit der Kirchenväter zu entscheiden. Was die Form des Kreuzes Christi betrifft, so befürwortet Lipsius die übliche lateinische Form, wie er es im zehnten Kapitel des ersten Buches beschreibt.80 Die im Zusammenhang mit Christus wichtigste Beobachtung ist jedoch, dass Lipsius gerade bei der Diskussion um die Kreuzigung des Gottessohnes auf jegliche Illustration verzichtet, sondern den Viernageltypus der Kreuzigung an anderer Stelle ohne Nennung Christi behandelt (Abb. 13). Möglicherweise ist er auch hier in relevanten Einzelpunkten unschlüssig, was eine in seinem Sinne korrekte Illustrierung im Grunde verbietet. Die Visualisierung der „historisch wahren Kreuzigung Christi“ wird somit bewusst im wissenschaftlichen Apparat und wissenschaftlichen Diskurs des 16. Jahrhunderts vermieden. Dies geschieht erst 1640 in der Arbeit des protestantischen Theologen Georg Calixt (1586–1656) unter dem Titel De vera forma crucis.81 Lipsius habe zwar, so der Text, bezüglich der Kreuzesform recht gehabt, allerdings in seiner Rekonstruktion ein wichtiges Detail übersehen: das sustentaculum, die zwischen den Beinen befestigte Stütze des am Kreuz hängenden Rumpfes.82 Diese Vorrichtung wird in einem Kupferstich in das Bild des im Viernageltypus an das Kreuz gehefteten Christus integriert, während die erste Abbildung der Abhandlung das leere Kreuz mit sustentaculum präsentiert (Abb. 14 und 15). Das Wissen um die profanhistorische Kreuzigung einerseits und die heilsgeschichtliche andererseits sind hier nun erstmals zu einer Glaubenswahrheit geworden.
Geglaubtes Wissen – wissender Glaube Im Prozess der proto-wissenschaftlichen, bibelarchäologischen Exegese der Passion fallen in der Frühen Neuzeit verschiedene Momente eines sich 79 80 81
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Lipsius 1593 (wie Anm. 76), Lib. II, Cap. IX, S. 47. Ebd. Lib. I, Cap. X, S. 22–24. Georg Calixt: De vera forma crvcis, Braunschweig, 1640; eingesehene Exemplare: Wolfenbüttel, HAB, xb 1769; Li 5042. Vgl. zu Calixt in diesem Zusammenhang Christian Thorsten Callisen: Georg Calixtus, Isaac Casauban and the Consensus of Antiquity, in: Journal of the History of Ideas 73 (2012), S 1–23. Calixt 1640 (wie Anm. 81), S. 1: “Quin recte Lipsius: Nimis accurata ea fabbrica, imò delicata. Nempe exobuiis & rudibus lignis crucis structae: & impacto in stipitem sustentaculo, quo uectari corporis moles posset, de pegmate operosè addendo, cui cruciarius commodè pedes imponeret. haut verosimile est sollicitos fuisse.”
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verändernden Verständnisses von Glauben und Wissen zusammen: Mit der Reformation entstehen nach einer Überlieferungspause neue Texte, die in beiden Konfessionen von einem deutlichen Drang zur authentischen Bewährung des Beschriebenen durch Augenschein geprägt sind und sich somit nicht mehr auf die Repetition autoritativen Wissens beschränken. Ebenso wird die quellenkritische Beleuchtung opaker Textstellen, wie es sie bereits im Bereich der alttestamentlichen Exegese gegeben hatte, nunmehr auch auf das Neue Testament angewendet. Damit wird dessen Überlieferung als im Modus des historischen Wandels darstellbar und nicht mehr nur als permanent fortdauernde, die Gegenwart einschließende Glaubenswahrheit und Glaubenszeit begriffen. Insbesondere im Medium der Bibelkarte drückt sich diese spezifische Kombination von Glaube und Wissen aus, die nun vermehrt die Lebenszeit und Lebensumstände des menschgewordenen Gottes historisiert. Diese Form frühneuzeitlicher Bibelarchäologie kulminiert in der Historisierung der einen Kreuzigung Christi in einer quellenkritischen Untersuchung zu den vielen Kreuzigungen der Antike durch Justus Lipsius, um dann von Calixt wieder an die religiöse Figur Christi rückgebunden zu werden. Abschließend sei ein weiteres interessantes Phänomen skizziert: Die Einfügung einer Kartenlegende, etwa in Form von geometrischen Figuren, findet sich ebenfalls bereits im 16. Jahrhundert, und zwar im Parergon von Abraham Ortelius aus dem Jahr 1584.83 Zuvor war zwar eine Kombination von raumstruktureller und physiognomischer Ikonizität angestrebt worden. Letzteres ist die abstrahierte Darstellung der Landschaft durch sich wiederholende graphische Einheiten mit Hilfe jeweils feststehender Zeichen – geometrische Signaturen wurden aber vermieden und kleine Stadtbilder an die Stelle bestimmter Orte eingefügt. Im Parergon, dem umfangreichen „ersten Geschichtsatlas“, findet sich nur in einer Karte eine solche Legende – und dies ist just eine Karte des Heiligen Landes, die nun die beginnende Geometrisierung sehr gut belegen kann. Die Karte wurde von Tilemann Stella geschaffen, ursprünglich bereits um 1557, und war – noch ohne Legende – bereits im Theatrum orbis terrarum des Ortelius enthalten.84 Wie Gyula Pápay betont, können die von Stella verwendeten Signaturen der Legende als Frühform der Figurenkartogramme betrachtet werden. Das Ziel sei gewesen, eine möglichst weitgehende physiognomische Ikonizität zu erreichen, was lange Zeit das Grundprinzip der kartographischen Darstellung bleiben sollte.85 Die Tatsache, dass eine Legende 83 84 85
Abraham Ortelius: Parergon Sive Veteris Geographiae Aliquot Tabulae, Antwerpen 1584, eingesehenes Exemplar: München, BSB, 2 Mapp. 139. Peter H. Meurer: Fontes Cartographici Orteliani. Das Theatrum Orbis Terrarum von Abraham Ortelius und seine Kartenquellen, Weinheim 1991, S. 244–247. Gyula Pápay: Kartenwissen–Bildwissen–Diagrammwissen–Raumwissen. Theoretische und historische Reflexionen über die Beziehung der Karte zu Diagramm und Bild, in:
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versehen war, zeigt für die hier aufgeworfenen Fragen wiederum, dass die Topographie des Heiligen Landes und insbesondere Jerusalems sowie seine Vermessung von außergewöhnlicher Relevanz waren und Innovationen der Kartographie gerade im Umgang mit diesen besonders erklärungswerten, aber auch besonders erklärungsbedürftigen Karten der geographia sacra nachweisbar sind.
Abbildungsnachweis Abb. 1-15: Archiv der Autorin.
Stephan Günzel und Lars Nowak (Hg.): KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagram, Wiesbaden 2012 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften; Bd. 5), S. 45–61, bes. S. 54–57, ebenso: Ders.: Die Anfänge der Geschichtskartographie, in: Dagmar Unverhau (Hg.): Geschichtsdeutung auf alten Karten. Archäologie und Geschichte, Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 101), S. 165–191, hier bes. S. 177f.
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Abb. 1: Nicolas Poussin, Die Eucharistie, aus dem Gemäldezyklus ‚Die sieben Sakramente‘, 1644-1648, National Gallery of Scotland, Edinburgh.
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Abb. 2: Christiaan van Adrichem: Theatrvm Terrae Sanctae et Biblicarvm Historiarvm cum tabulis geographicis aere expressis, Köln 1600, Titelblatt mit Moses und Josua.
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Abb. 3: Christiaan van Adrichem: Iervsalem et suburbia eius, sicut tempore Christi floruit, Köln 1590, Karte der Stadt Jerusalem, 515×715 mm.
Abb. 4: wie Abb. 3: Detail des Palastes von Pilatus.
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Abb. 5: wie Abb. 3: Detail: Der erste Fall Christi und die Begegnung mit Johannes und Maria.
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Abb. 6: wie Abb. 3 Detail: Grab, Kreuzigung und Auferstehung.
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Abb. 7: Pieter Huys, Jerusalem Antiqua, Kupferstich, in: Benito Arias Montano, Biblia Polyglotta, Antwerpen, 1569-1572, Karte des alttestamentlichen Jerusalem mit Golgatha und drei leeren Kreuzen.
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Abb. 8: Romeyn de Hooghe, Hierusalem, Kupferstich, um 1660. Geosteter, imaginärer Jerusalemplan mit dem Salomonischen Tempel mit zwei Legenden, 302×379 mm.
Abb. 9: Johann Daniel Herz d.Ä., Jerusalem, Kupferstich, Augsburg um 1735. Karte der Stadt Jerusalem mit Szenen der Passion Jesu, 795×1185 mm.
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Abb. 10: Nikolaus Wanckel, Die Geystlich straß, Nürnberg 1521, Kreuzannagelung, Holzschnitt, fol. g4 r.
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Abb. 11: Pieter Huys, Die Arche Noah mit den Idealmaßen des toten Christus, Kupferstich, aus: Benito Arias Montano, Biblia Polyglotta, Antwerpen, 1569-1572.
Abb. 12: Francesco Brizio, Titelblatt des Autors mit dem Grabtuch Christi, Holzschnitt, in: Alfonso Paleotti, Esplicatione del sacro lenzuolo, Bologna 1599, Detail: obere Hälfte des Titels.
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Abb. 13: Pieter van der Borcht, Gekreuzigter im Viernageltypus, Kupferstich, in: Justus Lipsius, De cruce libri tres, Antwerpen 1594, 2. Buch, S. 51.
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Abb. 14: Das leere Kreuz mit sustentaculum, Kupferstich, in: Georg Calixt, De vera forma crucis, Braunschweig 1640, S. 16.
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Abb. 15: Christus am Kreuz mit sustentaculum, Kupferstich, in: Georg Calixt, De vera forma crucis, Braunschweig 1640, S. 17.
2. Re-Inszenierungen
Johann Schulz
Ereignisraum Jerusalem. Zur Konstituierung eines Sakralraumes vor den Mauern der Stadt Nürnberg
Der Weg ist für die Kreatur leichter geworden, weil ihr Schöpfer ihn im Voranschreiten mit so großer Emsigkeit festgetreten hat. Heinrich Seuse
Einleitung Mit der zentralen Erzählung des Christentums, der Vita Christi, gewinnen auch die Stadt Jerusalem und ihr Bild eine enorme Bedeutung für die Art, wie das Passionsgeschehen in ihr dargestellt werden kann. Vielerorts sind Teile der Stadt Jerusalem als Nachbildungen aufgestellt und dienen nicht selten kultischen und gemeinschaftlichen Zwecken.1 Ob es sich dabei um Kreuzwege oder Nachbauten des Heiligen Grabes handelt, in allen Fällen ist für diese Orte konstitutiv, dass sie von sich weg und auf einen anderen Ort verweisen. Was verbirgt sich nun geistesgeschichtlich hinter dem Phänomen der Rezeption Jerusalems in der Kunst – also einem expliziten und wiederholten Bezug auf diesen anderen Ort?2 Wie lässt sich eine Frage formulieren, die das Phänomen selbst zum Mittelpunkt der Betrachtung erhebt, ohne an den äußeren Formen zu verharren und es allein als Rezeption zu betrachten? Man kann durchaus die Differenzen messen, die sich auf dem Weg der Vermittlung ergeben, den 1
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Siehe Gustaf Dalmann: Das Grab Christi in Deutschland, Leipzig 1922 (Studien über christliche Denkmäler; 14); Ernst Kramer: Kreuzweg und Kalvarienberg. Historische und baugeschichtliche Untersuchung, Kehl 1957 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte; 313); Jürgen Krüger: Die Grabeskirche in Jerusalem und ihre Nachbauten im 11. und 12. Jahrhundert, in: AK Canossa 1077 - Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Museum in der Kaiserpfalz, im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und in der Städtischen Galerie am Abdinghof Paderborn 2006, München 2006, S. 498–511; ein sehr guter Überblick über die Geschichte des Heiligen Grabes in der Kunst des „Westens“ findet sich bei Colin Morris: The Sepulchre of Christ and the Medieval West. From the Beginning to 1600, Oxford 2005. Einen ersten großen Versuch, die Bedeutung Jerusalems für die abendländische Architekturauffassung im Mittelalter greifbar zu machen, leistete Richard Krautheimer: Introduction to an “Iconography of Mediaeval Architecture”, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5 (1942), S. 1–33.
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das Wissen von Jerusalem nach Europa nahm, um Auskünfte entweder über ein damaliges Jerusalem zu erhalten oder die Qualität jener Rezeption.3 Hier soll allerdings das Phänomen der Jerusalemnachbildung in der Heimat als maßgebliche Grundlage genommen werden. Denn wie sich am Beispiel der Stadt Nürnberg zeigen lässt, erschöpfen sich Kunstwerke, die einen Bezug zu Jerusalem evozieren, nicht allein darin, auf Jerusalem zu verweisen und ihrem Vorbild ähnlich zu sein. Schon die Herstellung einer Ähnlichkeit beruht auf einer konkreten Auswahl und Reduzierung. Außerdem sind diese Kunstwerke mehr als diese bloße Verweisfunktion. Ihr volles Wesen entfalten sie aber dennoch erst auf der Grundlage eines bestimmten Jerusalembildes. Am deutlichsten tritt dieser Aspekt bei den Kreuzwegen hervor, die erst im Abschreiten erschlossen werden konnten. Der jeweilige Gesamtsinn eines solchen Weges, der sich durch das Abschreiten bestimmt, kann sich überhaupt nur auf der Basis der Imagination des Raumes als Jerusalem entfalten. Er gründet im Ereignisraum Jerusalem, der dem Werk einen Rahmen, ein Gerüst gibt und den tatsächlichen Ort gleichsam in Jerusalem verwandelt.4 In Nürnberg zeigt sich in der Zeit um 1500 ein für den gesamten deutschsprachigen Raum einmaliges Phänomen. Die Friedhöfe in der Stadt werden stillgelegt und alle Begräbnisse fortan vor die Stadtmauern verlagert.5 In der Folge dieses Veränderungswillens kommt es zu einer Neuinszenierung des dortigen Begräbniskultes, man kann sogar sagen, dass sich das Bild vom Tod in Nürnberg in gewisser Weise verändert. Zum Vorbild für den neuen Begräbnisort vor der Stadt wird das Heilige Grab Christi. Nürnberg selbst 3
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Hierzu sei exemplarisch auf die Arbeit von Martin Biddle: Das Grab Christi. Neutestamentliche Quellen – historische und archäologische Forschungen – überraschende Erkenntnisse, Gießen 1998, als Beispiel für das archäologische Interesse an den Heiligen Stätten Jerusalems verwiesen sowie auf den Beitrag von Bruno Reudenbach in diesem Band. Für das Arbeitsfeld der Rezeption besonders im europäischen Raum seien besonders zwei Forschungsprojekte in Florenz und Jerusalem hervorgehoben, sowie die in diesem Rahmen erschienenen Publikationen: Jerusalem as Narrative and Iconic Space (4th to 15th Century) in Florenz unter Leitung von Anette Hoffmann und Gerhard Wolf, sowie das Projekt SPECTRUM. Visual Translations of Jerusalem unter Leitung von Bianca Kühnel an der Hebrew University in Jerusalem. Siehe zum Begriff des Ereignisraums Johann Schulz: Ereignisräume, in: Dominic E. Delarue, Johann Schulz und Laura Sobez (Hg.): Das Bild als Ereignis. Zur Lesbarkeit spätmittelalterlicher Kunst mit Hans-Georg Gadamer. Kolloquiumsband anlässlich der gleichnamigen Tagung in Heidelberg 2011, Heidelberg 2012, S. 299–302. Siehe maßgeblich Hubert Mattausch: Das Beerdingungswesen der freien Reichsstadt Nürnberg 1219–1806, Phil. Diss. Würzburg 1970 und Reiner Zittlau: Heiliggrabkapelle und Kreuzweg. Eine Bauaufgabe in Nürnberg um 1500, Diss. Bamberg 1988, Nürnberg 1992 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg; 49) sowie mit weiterer Literatur die Magisterarbeit des Autors: Die Rochuskapelle der Familie Imhoff. Repräsentation im Schatten des Todes in Nürnberg am Vorabend der Reformation, Universität Heidelberg 2010, bes. S. 1–33.
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wird durch einen Kreuzweg, ein komplexes Bildprogramm und vor allem auch durch seine Begehung zum Ort der Passion, also zu Jerusalem und die Begehung mündet in der neu errichteten Grabstätte Christi vor der Stadt (Abb. 1).6 Initiiert wurde diese neue Heiliggrabkapelle letztendlich als eine Reaktion des Nürnberger Rates, um den Folgen und Problemen vor allem der Pestseuchen Herr zu werden. Deshalb entschied man 1517 endgültig, zunächst nur die Pesttoten, dann kurz darauf alle Toten vor den Mauern der Stadt zu begraben (Abb. 2).7 Eine solche Veränderung mit dem Umgang der Toten musste natürlich zunächst auf große Ablehnung stoßen. Denn ein Begräbnis vor der Stadt wurde als unehrlich aufgefasst, brach außerdem mit der Tradition, in der Nähe der schutzbietenden Stadtheiligen und der eigenen repräsentativen Familiengrablegen begraben zu werden. Diesen Bedenken und Ängsten musste der Nürnberger Rat entgegenwirken und den Ort vor den Mauern zu einem neuen heiligen Ort aufwerten, der so als Ruhestätte attraktiv sein konnte. Da der Nürnberger Rat schon seit den 1480er Jahren dafür eintrat, die Begräbnisse der Pesttoten vor die Stadt zu verlegen, muss auch der Neubau der Heiliggrabkapelle um 1507 in diesem Zusammenhang gesehen und kann mit Sicherheit als Versuch des Rates gedeutet werden, Ersatz für die traditionellen Grablegen und die schutzgebende Sakralität der Stadtheiligen zu schaffen. 6
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Siehe zur Heiliggrabkapelle auf dem St. Johannisfriedhof, zur Ausstattung und zum Kreuzweg Adam Krafts vor allem Zittlau 1992 (wie Anm. 5); Susanne Wegmann: Ein Abbild Jerusalems in der Heimat, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 84 (1997), S. 93–117; Corine Schleif: Rituale in Stein. Erzählungen für eine breite und diverse Öffentlichkeit, in: Frank Matthias Kammel (Hg.): Adam Kraft. Die Beiträge des Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 2002 (Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Wissenschaftliche Beibände; 20), S. 253–261; Susanne Wegmann: Der Kreuzweg des Adam Kraft im Spiegel spätmittelalterlicher Frömmigkeit, in: Frank Matthias Kammel (Hg.): Adam Kraft. Die Beiträge des Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 2002 (Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Wissenschaftliche Beibände; 20), S. 295–306. Siehe Mattausch 1970 (wie Anm. 5), S. 63f. Am 7. November 1517 entschied der Nürnberger Rat endgültig über den Willen der Pröpste von St. Lorenz und St. Sebald hinweg, dass die Begräbnisse fortan vor die Stadt verlegt werden. Die Verlegung der Friedhöfe war von Beginn an von Streitereien zwischen Rat, Kirche und Bürgern begleitet. Nachdem man zuerst den Johannisfriedhof für die neuen Begräbnisse als Friedhof bestimmt, wurde im Januar 1518 über die Neuanlage eines weiteren Friedhofes sowie die Erweiterung des St. Johannisfriedhofes entschieden. Auf dem neuen Friedhof wurde nach weiteren Streitigkeiten 1521 der kostspielige Neubau der Rochuskapelle durch Paulus Behaim fertiggestellt, den die Familie Imhoff finanziert hatte und fortan als quasi private Grablege und Grabkapelle nutzte. Entsprechend konnten seither die Toten der beiden Pfarreien von St. Lorenz und St. Sebald getrennt auf den eigenen Friedhöfen bestattet werden. Der Neubau des Kreuzweges und der Heiliggrabkapelle zu St. Johannis muss in diesem Kontext der Verlegung der Begräbnisse gesehen werden.
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Begründet im Passionsgeschehen – so die These –, entsteht also hier die Inszenierung eines Ereignisraumes, der sich gerade über die Mauern hinaus erstrecken soll und welcher über das Spiel der Passion und durch den Nachvollzug des Leidensweges Christi gleichsam Nürnberg in Jerusalem verwandelte, mit der neuen Friedhofskapelle als heiligem Endpunkt des Weges.
Der Weg zum Heiligen Grab Verlässt man die Stadt Nürnberg im Westen über das Tiergärtnertor oder das Neue Tor in Richtung des St. Johannisfriedhofes (Abb. 2), stößt man auf sieben hoch angebrachte, von Adam Kraft gefertigte Bildstöcke, die entlang des Weges aufgestellt sind (Abb. 3 und Abb. 14). Zusammen mit zwei monumentalen, freistehenden Figurengruppen, ebenfalls aus der Hand Adam Krafts, bilden sie eine Kreuzweganlage, die in besonderer Weise den Rezipienten einbezieht.8 Die ersten sechs Reliefs der Bildstöcke zeigen Darstellungen der Kreuztragung Christi, die ehemals Inschriften mit genauen Schrittzahlen und ikonographischen Angaben enthalten haben (Abb. 3). Daran direkt anschließend befand sich vor der Friedhofsmauer ein großer Kalvarienberg (Abb. 1), dem sich ein siebtes Relief mit der Beweinung Christi anschloss, welches ebenfalls noch vor der Friedhofsbegrenzung angebracht war (Abb. 14). Den eigentlichen Abschluss dieses Kreuzweges bildete allerdings die Kapelle auf dem St. Johannisfriedhof, die sog. Heiliggrabkapelle, zu lat. Capella Sancti Sepulchri sita extra muros opidi Nureberga.9 Lässt sich für die einzelnen Kreuzwegstationen und den Kalvarienberg kein genauerer Datierungshinweis als das Todesdatum Adam Krafts um 1508/1509 finden, so kann die Entstehungszeit der Kapelle etwas genauer eingegrenzt werden. Im Innern der Kapelle findet sich zweimal die Jahreszahl ‚1508‘, einmal eingemeißelt am westlichen Bogen der Grabnischeneinfassung und einmal im Wandbild der Heiliggrabnische. Die Weihen der Kapelle sind in einem Salbuch des Siechkobels St. Johannis 8
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Mittlerweile haben Kopien die originalen Bildstöcke ersetzt, die man im Germanischen Nationalmuseum untergebracht hat. Siehe Harald Siebenmorgen: Der Shakespeare der deutschen Plastik – Die Restaurierung der Kreuzwegstationen Adam Krafts durch Peter Lenz im 19. Jahrhundert, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (1983), S. 49–58. Die Heiliggrabkapelle ist auch unter dem Namen ‚Holzschuherkapelle‘ bekannt, weil sich seit 1523 Mitglieder der Nürnberger Familie Holzschuher in der Kapelle beerdigen ließen. Siehe zur Kapelle besonders Zittlau 1992 (wie Anm. 5), zum Streit zwischen der Familie Imhoff mit den Holzschuhern um die Besitzansprüche über die Kapelle sowie über den Vorgängerbau S. 10–12, 150f. und 93ff. sowie Matthias Untermann: Handbuch der mittelalterlichen Architektur, Darmstadt 2009, S. 107–109.
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bezeugt. Die Einweihung des Baus fand am 27. August 1507 statt. Außerdem wird in diesem Salbuch eine am 6. August 1506 vorangegangene Entweihung und Bergung der Altarreliquien erwähnt, weshalb man davon ausgeht, dass zu dieser Zeit die Vorgängerkapelle St. Stephan abgerissen und durch die neue Heiliggrabkapelle ersetzt wurde. Die neue Kapelle muss also zwischen dem 6. August 1506 und 1508 entstanden sein.10 Die der Heiliggrabkapelle vorausgehende Stephanuskapelle erkennt man noch auf einer Aquarellzeichnung Albrecht Dürers aus den Jahren 1489–90 (Abb. 4). Hier sieht man außerdem eine frühere Kreuzigungsgruppe, die bezeugt, dass sich schon vor 1500 eine Kreuzweganlage an diesem Ort befand. Eine heute noch erhaltene Inschriftentafel dieser älteren Kreuzigungsgruppe aus dem Jahre 1490 gibt Auskunft darüber, wie der Kreuzweg noch vor dem Neubau der Kapelle verstanden und genutzt werden sollte. Zum einen fordert die Inschrift dazu auf, die einzelnen Leidensstationen Christi zu verehren und spricht gleichzeitig die Hoffnung aus, dass die Sterbenden durch das Leiden und den Kreuzestod Christi erlöst werden können. Dies weist auch darauf hin, dass eine Kreuzigung und noch nicht ein Heiliges Grab die letzte Station des alten Kreuzweges darstellte. Erstaunlicher aber ist der obere Teil der Inschrift, in welchem die Strecke, die Christus bei der Kreuztragung zurücklegen musste, also von der Stadtmauer Jerusalems bis nach Golgata, mit der Entfernung zwischen dem Neuen Tor und eben dieser Kreuzigungsgruppe am Johannisfriedhof übereinstimmte.11 Dieser Äquivalenzbezug auf Jerusalem und die Entfernung der mit dem originalen Schauplatz übereinstimmenden Strecke, die Christus zum Kreuz zurücklegen musste, lässt die Deutung zu, wie sie auch Susanne Wegmann untermauert hat, dass es sich im Falle des Nürnberger Kreuzweges um ein Abbild Jerusalems in der Heimat handelte, und damit um ein in die eigene Region verlegtes Pilgerziel.12 Betritt man nun den Friedhof und schließlich die erst später errichtete Heiliggrabkapelle, so gelangt der Betrachter zur Station der Grablegung, die in 10
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Siehe zum Kreuzweg Zittlau 1992 (wie Anm. 5), Wegmann 1997 (wie Anm. 6), Schleif 2002 (wie Anm. 6), Wegmann 2002 (wie Anm. 6). Die Zuschreibung des Kreuzweges an Adam Kraft stützt sich weitestgehend nur auf stilistische Begründungen, die aber allgemein akzeptiert werden. Siehe dazu Wegmann 2002 (wie Anm. 6), S. 295 und Wegmann 1997 (wie Anm. 6), S. 93–96, sowie bes. Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 5f. Siehe Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 6f. und S. 159, Anhang 20 mit dem Originaltext der Inschrifttafel des früheren Kruzifix‘ von 1490, die sich heute immer noch auf dem St. Johannisfriedhof befindet: „Hie sech ein yeder crist an / Die recht war leng cristi persan / Die hoch des creutz, die weyt de‘ stat / Die her vom newen tho‘ schrit hat / So vil vnd von pilati haus / Do christ[us] mit dem kreutz ging auß / Sint an die stat caluarie / Dar vm welch christ alhie fur ge / Wiß sulch sein fuß drit so zu ern / Sein angst vn[d] als sein plut v[e]rern / Sein an naglung vn[d] den sper stich / Das er dar durch vnß gnediklich / Im dod am kreutz erschein allnsame[n] / Vnsz ewig zu befriden amen / 1490“. Siehe Wegmann 1997 (wie Anm. 6), S. 113–117 und Wegmann 2002 (wie Anm. 6), S. 299–301.
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einer eigens für diese monumentale Gruppe angelegten Nische in der Kapelle untergebracht ist (Abb. 5). Hinter dieser ebenfalls von Adam Kraft hergestellten Gruppe wird dem Betrachter noch einmal die gesamte Passionsgeschichte in Erinnerung gerufen. Denn auf dem heute nur noch sehr schlecht erhaltenen Wandbild über der Grablegungsgruppe ist ein Stadtpanorama Jerusalems zu sehen, das mit verschiedenen Stationen der Passion Christi bevölkert ist. Die Szenenfolge beginnt mit dem Gebet am Ölberg, die Grablegung hingegen bildet wie bei der tatsächlichen Heiliggrabkapelle den Endpunkt (Abb. 6). Ganz ähnlich wie im Fall der Heiliggrabkapelle zu St. Johannis wird dieser Endpunkt als schmaler Zentralbau dargestellt. Um die Parallele zur Nürnberger Heiliggrabkapelle zu vollenden, wurde ein auferstehender Christus auf die Kapelle gemalt. Das entspricht genau der Situation und dem konzeptionellen Endpunkt des Nürnberger Kreuzweges. Denn die letzte Station bildet hier der Auferstehungsaltar im Chor der Kapelle.13 Im geöffneten Zustand präsentiert er im Mittelschrein den auferstandenen Christus am Grabe. Im geschlossenen Zustand bietet der Altar ein doppeltes Andachtsbild mit dem Schmerzensmann und der Schmerzensmutter zur Ansicht. Die Funktion des Kreuzweges wird auf besondere Weise in der Darstellung des Schmerzensmannes und der Schmerzensmutter thematisiert. Denn genauso wie Maria mit Christus leidet und seine Schmerzen teilt, was durch das Schwert in ihrer Brust symbolisiert wird, so soll auch der Rezipient des Kreuzweges am Leiden Christi teilnehmen und sich durch die Betrachtung der Stationen einfühlen.14 Diese Endstation zeigt noch einmal ganz klar auf, wie der Kreuzweg von den Teilnehmern zu begehen war. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass als zweites Patrozinium der Kapelle die Compassio Mariae genannt wird, also jene mitleidende Mutter Gottes, die der Altar als Idealbild der richtigen Andacht präsentiert.15 An dieser Stelle sei außerdem noch auf eine Besonderheit des Altars hingewiesen, nämlich auf die vollplastische Auferstehungsfigur des Christus, die im geöffneten Zustand des Altars zu sehen ist.16 Diese Figur konnte aus dem Altar herausgenommen und damit aus ihrer ikonographischen Umgebung herausgelöst werden, um sie beispielsweise bei Prozessionen mitzutragen – hier wäre etwa an die Fronleichnamsprozession zu denken, die von St. Sebald 13
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Siehe Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 56–63 sowie Kurt Löcher: Der Auferstehungsaltar der Holzschuherkapelle in Nürnberg und Hans Schäufeleins Holzschnitte zum Speculum passionis, in: Monatsanzeiger des Germanischen Nationalmuseums 88 (1988), S. 702–703. Die Ikonographie der sieben Schmerzen und der sieben Fälle Christi spielt auch in der Entstehung der Kreuzwegstationen eine nicht unbedeutende Rolle. Siehe dazu Johann Schulz: The Reliefs of Adam Kraft in Nürnberg. Imitatio Christi and the Veneration of the Via Crucis, in: Jerusalem Elsewhere. The German Recensions, hrsg. von Bianca Kühnel u. a. (im Erscheinen). Siehe Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 60f. und Anm. 11. Siehe ebd., Abb. 29 und 30.
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ausging – oder aber an den Auferstehungstag, an dem sie vielleicht aus dem Altar genommen wurde, so dass das Fehlen dieser Figur die Auferstehung Christi anzeigte.17 Das Ende dieses medialen Ereignisses bildet also die Kapelle, in der die Grablegungsnische mit dem Wandbild der Passionsübersicht und der Auferstehungsaltar die wirkmächtigsten Elemente darstellen, eingebettet in die originalen Maße des Schauplatzes in Jerusalem.
Die eigene Stadt wird zum Ereignisraum Jerusalem Auf mehrere Weisen kann dieser multimedial ausgestattete Ort begangen werden. Er kann wie bereits beschrieben als Andachtsweg und Abbild des Pilgerzieles benutzt werden. Desweiteren haben wahrscheinlich ebenfalls Prozessionen an bestimmten Tagen des Jahres zum Heiligen Grab Christi geführt. Aber noch enger mit dem Leben der Nürnberger Gemeinde war der Gang zum Friedhof verknüpft. Quasi in idealer Nachfolge des Leidensweges Christi folgte man nun auch im wirklichen Tod dem Vorbild des Gottessohnes, indem man am Abbild seines Grabes bestattet wurde (Abb. 5) und konnte so seine Hoffnungen auf eine baldige Erlösung vermehren. Sehr wahrscheinlich spielte auch der Erhalt eines Ablasses an der Heiliggrabkapelle eine wichtige Rolle für das Abschreiten der Kreuzweganlage.18 Mit Sicherheit wurde hier aber eine Engführung von wirklichem Tod und dem Tod Christi intendiert, um den Ereignisraum der Passion und insbesondere des Grabes Christi mit der eigenen Welt zu verschmelzen. 17
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Ulrich Starck erwähnt in seinem Bericht über die Fronleichnamsfeier zumindest, dass eine Prozession samt heiligem Sakrament auf den Friedhof führte. Allerdings bezeugt sein Bericht nur die Feierlichkeiten von 1505. Für die folgenden Jahre bis zur Reformation können nur mutmaßliche Schlüsse gezogen werden. Siehe bes. Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 58f. und S. 147–149, Anhang 6 sowie Xaver Haimerl: Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter, Hildesheim 1973 (Münchener Studien zur historischen Theologie; 14), S. 22–30 und S. 43–54. Franz Imhoff erwarb im Auftrag des Rates 1515 einen einfachen Ablass für die Heiliggrabkapelle, der ein Jahr später vom Bamberger Bischof Georg Schenk von Limpburg bestätigt wurde. Dieser Ablass wird 1517 durch einen vollkommenen Ablass für das Neue Spital gekrönt, das unweit entfernt vom St. Johannisfriedhof gelegen war. Diesen Ablass konnte jeder Einwohner Nürnbergs in der Zeit zwischen dem 4. Fastensonntag und Ostern erlangen und die in diesem Zeitraum eingenommenen Erlöse durften vollständig in der Stadt verbleiben. „Damit hatte sich Nürnberg ein bis dahin nur in Jerusalem zugelassenes ‚Ablaßmonopol‘ verschafft, gegen das kein anderer Ablaß mehr konkurrieren konnte.“ Haimerl, ebd., S. 123, siehe auch ebd., S. 150f.
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In allen Fällen der Begehung wird der letzte Ort Christi, sein Grab, individuell oder gemeinschaftlich, memoriert und der Ort des Heiligen Grabes kommt in ebendieser Memorierungsleistung überhaupt erst zur Darstellung. Als Hilfestellung dienen die verschiedenen Kreuzwegstationen, welche der originalen Strecke folgen, sowie die gesamte Kapelle mit ihrer Ausstattung. Außerdem liefert in der Kapelle das Wandbild mit den Passionsszenen über der Grablegungsgruppe noch eine besondere Anleitung, quasi einen Weg ins Passionsgeschehen (Abb. 5). Der Betrachter des Wandgemäldes kann auf diese Weise die verschiedene Szenen der Passion auf seine Stadt übertragen, befindet er sich doch in einer Kapelle, deren äquivalentes Bild er in der Jerusalemdarstellung wiederfindet. Die eigene Stadt, also Nürnberg, wird durch diese Übertragung zum Ereignisraum Jerusalem verwandelt. Die Entsprechung der Entfernungen der Kreuzwegstationen trägt dabei entscheidend dazu bei, das Gesicht Nürnbergs mit Jerusalems zu verschmelzen. Dabei liegt eine Besonderheit des Wandbildes zudem darin, dass der Ort des Heiligen Grabes in der gemalten Ansicht vor der Stadtmauer Jerusalems liegt, was die Parallele zur Kapelle des St. Johannisfriedhofs noch stärker hervorhebt (Abb. 6). Dass diese Übertragungsstrategie letztendlich keine Ausnahme ist, macht schon die gängige Deutung der eigenen Kirchen als himmlisches Jerusalem deutlich.19 Aber im Falle Nürnbergs werden diese Übertragungsleistung und die Aktualisierung des Ereignisraumes Jerusalem in besonderem Maße betrieben. So zeugen mehrere Nürnberger Bilder von derartigen Verbindungen Jerusalems mit der eigenen Stadt. Der Flügel des Meisters des LandauerAltars beispielsweise zeigt im Hintergrund der Auferstehung eine Stadtansicht Nürnbergs (Abb. 7) und auch ein Kalvarienberg von Hans Pleydenwurff scheint vor der Stadtgrenze Nürnbergs verortet zu sein.20 In beiden Fällen ist 19
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Siehe Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 436–438; Johannes Tripps: Das handelnde Bildwerk in der Gotik. Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik, Berlin 1998, S. 33ff., sowie Gerhard Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeitalter der Gotik und Renaissance, Petersberg 2007 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 47), S. 135–141, mit kritisch-produktiven Bemerkungen zum Topos „der Kirche als himmlisches Jerusalem“. Hans Pleydenwurff, Kalvarienberg, Fichtenholz, 192 x 181 cm, München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 6218. Folgende Bildwerke enthalten ebenfalls eine Darstellung Nürnbergs im Hintergrund: Michael Wolgemut, Auferstehung, Außenflügel eines Marienaltars der Kirche der Augustiner-Eremiten, um 1490, Holz, 63 × 31 cm, Regensburg, Museum der Stadt; Michael Wolgemut und Mitarbeiter, Auferstehung, linker Innenflügel der Außenseite des Marien- und Passionsaltars des Sebald Peringsdörfer aus der Kirche der Augustiner-Eremiten in Nürnberg, um 1486, Holz, 201 × 76,5 cm, Nürnberg, Friedenskirche. Ebenfalls aufgrund der Ähnlichkeiten der Nürnberger Burg scheint auch die folgende Tafel Nürnberg zu meinen: Michael Wolgemut, Die Kreuzauffindung durch die hl. Helena und die Rückführung
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die Stadtansicht nicht einfach nur Prospekt der Szene, sondern sie ist vom Bildvordergrund über einen Weg erreichbar, was die tatsächliche Verortung vor der Stadt garantiert. Gemeinsam ist diesen und noch weiteren bildlichen Zeugnissen, dass sich das heilige Geschehen der Auferstehung, der Kreuzigung oder der Grablegung dabei vor der Stadt abspielt und Nürnberg zu Jerusalem wird, weil das Passionsgeschehen auf die eigene Stadt und ihre Stadtgrenze übertragen wird. Schließlich ereignet sich der bedeutendste Teil der Passion entsprechend den biblischen Berichten außerhalb Jerusalems.21 Über die Qualität und das Interesse an dieser Übertragungsleistung für den Nürnberger Kontext gibt außerdem die Pilgerreise Hans Tuchers d. Ä. nach Jerusalem weitere Auskunft. Hier verrät uns bereits eine Chroniknotiz über seine Pilgerreise, wie groß das öffentliche Interesse an Jerusalemreisen war. Denn die beiden Rückkehrer Hans Tucher d. Ä. und Sebald Rieter d. J. wurden von der ganzen Stadt wie „Fürsten“ empfangen.22 Ebenso bezeugt Hans Tuchers Bruder Endres Tucher das enorme Interesse an konkreten Informationen aus der Heiligen Stadt. Denn unter seiner Abschrift eines Briefes von Hans findet sich Endres‘ Bemerkung, dass jedermann den Inhalt des Briefes erfahren wollte, sodass der Brief selbst schon „gancz zurissen und beschediget wardt, das ich in doch abgeschriben und o her zu einer gedechtnuß geseczet hab“.23 Außerdem gab Hans Tucher kurze Zeit darauf sogar seinen Reisebericht in Druck, um einen weit größeren Leserkreis zu erreichen.24 Für
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des Kreuzes nach Jerusalem, rechte Innenseite der Flügel des Katharinen-Altars des Livius Memminger, um 1485/86, Holz, 284 × 84 cm, Nürnberg, St. Lorenz. Vgl. Peter Strieder: Tafelmalerei in Nürnberg 1350–1550, Königstein im Taunus 1993, Kat.-Nr. 39, Abb. 59; Kat.-Nr. 58, Abb. 327; Kat-Nr. 55, Abb. 86; Kat.-Nr. 53, Abb. 93. In ganz ähnlicher Weise findet sich auch noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einem Nürnberger Gebetbuch die Darstellung einer Grablegung vor einer Nürnberger Vedute: Augsburg, UB, Cod. I.3.8° 1, Gebetbuch, fol. 81v, Grablegung Christi, 1. Viertel 16. Jh., 10,4 × 7,7 cm, Pergament, Nürnberg. Siehe mit Abbildung AK Von der Augsburger Bibelhandschrift zu Bertolt Brecht. Zeugnisse der deutschen Literatur aus der Staats- und Stadtbibliothek und der Universitätsbibliothek Augsburg, hrsg. von Helmut Gier und Johannes Janota, Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek 4.10. – 10.11.1991, Weißenhorn 1991, S. 104–107. Siehe vor allem die Passagen der Evangelien: Mt 27,31b-32; Mk 15,20b-21; Lk 23,26; Joh 19,16b-18. Siehe Randall Herz (Hg.): Briefe Hans Tuchers d. Ä. aus dem Heiligen Land und andere Aufzeichnungen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 84 (1997), S. 61–92, hier S. 84, 6–9: „und luffen ir vil hinauß entgegen piß in den wald zu fueß und lof das volk zu als ob ein fürst ein ritt vom thor pis über den marckt her awff das idermann sie sehen wolt von solcher raiß wider zu kumen das gar seltzam hie was“. Ebd. S. 72, Zeile 15–16 und siehe auch S. 63. Siehe allgemein dazu Randall Herz: Die ‚Reise ins gelobte Land‘ Hans Tuchers des Älteren (1479–1480. Untersuchungen zur Überlieferung und kritischen Edition eines spätmittelalterlichen Reiseberichts, Wiesbaden 2002 (Wissensliteratur im Mittelalter 38).
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unseren Zusammenhang aber bedeutender sind Hans Tuchers eigene Schilderungen in demselben Brief aus Jerusalem, den sein Bruder Endres kopierte. In diesem Brief beschrieb Hans die Jerusalemer Grabeskirche und gab dazu ein „geleichnuß von Sant Sebolcz kirchen“25, indem er die verschiedenen Orte der Grabeskirche abschreitet und sie mit entsprechenden Orten in St. Sebald vergleicht.26 Diese Beschreibung diente natürlich in erster Linie dazu, den fremden Ort zu veranschaulichen, indem auf einen den Nürnberger Bürgern vertrauten Raum zurückgegriffen wird. Dadurch wird der Raum der Grabeskirche virtuell und physisch nachvollziehbar, seine Heiligkeit in gewisser Weise auch für die Nürnberger Bürgerschaft erreichbar. Denn im Abschreiten der genannten Stationen zu St. Sebald kann man sich nun den fremden Ort vergegenwärtigen und ihn „erleben“. Merkwürdig ist dabei, dass Tucher mit keinem Wort die Nachbildung des Heiligen Grabes im Heiliggeistspital zu Nürnberg erwähnt, die Georg I. Ketzel bereits 1459 im Anschluss an seine Jerusalemreise errichten ließ und die nur wenige Fußminuten von St. Sebald entfernt war, sondern stattdessen auf den einige Kilometer entfernten romanischen Nachbau des Grabes zu Eichstätt verweist.27 Bildlichen Ausdruck findet diese Übertragungsstrategie dann auf einem Epitaph der Adelheit Tucher geb. Gundlach von 1483 (Abb. 8), der ehemaligen Frau des bereits genannten Endres Tucher.28 Im Hintergrund der Beweinung ist die gesamte Stadt Jerusalem als historische Ansicht dargestellt, sie ist schon zehn Jahre vor der Stadtansicht Jerusalems in der berühmten Schedel’schen Weltchronik 25 26
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Herz 1997 (wie Anm. 22), S. 66–70 und Herz 2002 (wie Anm. 24), S. 390–405. Siehe neuerdings auch Maria Dörninger: St. Sebald Church and the Church of the Holy Sepulcher. Retracing the path of Jerusalem’s Holy Places in Nuremberg, in: Jerusalem Elsewhere. The German Recensions, hrsg. von Bianca Kühnel u.a. (im Erscheinen). Siehe hierzu Matthias Mende: Zum abgegangenen Heiligen Grab von 1459 im Nürnberger Heiliggrabspital, in: Werner Taegert (Hg.): Hortulus Floridus Bambergensis. Studien zur fränkischen Kunst- und Kulturgeschichte. Renate Baumgärtel-Fleischmann zum 4. Mai 2002, Petersberg 2004, S. 209–218. Dieser Heiliggrabnachbau wurde sogar nach Maßen entworfen, die Georg I. Ketzel unmittelbar aus Jerusalem mitgebracht hatte. Der Bau wurde wie der spätere Bau zu St. Johannis auf einem Friedhof errichtet, den man nach der Pestkatastrophe von 1437 im Spitalhof auf der Insel Schütt neu anlegen ließ. Zu Eichstätt vgl. Dalman 1922 (wie Anm. 1), S. 56–65 und Krüger 2006 (wie Anm. 1), bes. S. 506f. mit weiterführender Literatur. Siehe mit weiterer Literatur zum Epitaph Robert Suckale, Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer, 2 Bde., Petersberg 2010 (Schriftenreihe Historischer Verein Bamberg; 44), Bd. 2, Kat.-Nr. 51, S. 161–166, sowie Reiner Hausherr: Spätgotische Ansichten der Stadt Jerusalem (oder: War der Hausbuchmeister in Jerusalem), in: Jahrbuch der Berliner Museen 29/30 (1987/1988), S. 47–70, hier S. 63f. Entgegen der Ansicht, die Tafel habe in St. Jakob zu Bamberg am vermutlichen Grab der Adelheid Tucher ihren Platz gehabt, ließe sich auch St. Sebald zu Nürnberg als plausibler Ort vorstellen, wo sich auch das Epitaph der Barbara Tucher, der ersten Frau Hans Tuchers d. Ä., von 1485 ehemals befand. Siehe Weilandt 2007 (wie Anm. 4), S. 689–700.
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entstanden29 und geht – so die Annahme – in großen Teilen auf Hans Tuchers eigene Beschreibungen und eine Skizze von 1479 zurück. Diese topographische Jerusalemdarstellung des Tucher-Epitaphs ist somit unabhängig von dem häufig rezipierten Breidenbach-Prospekt und sogar früher als dasselbe entstanden.30 Bei den Aufzeichnungen Hans Tuchers aus Jerusalem handelt es sich nicht nur um eine Beschreibung der Reise und der heiligen Stätten, sondern sie umfassen auch in einer Skizze gesonderte Notizen über den Kreuzweg Christi (Abb. 9), die ebenfalls vom Bruder Endres kopiert wurden.31 Die Besonderheit dieser Skizze liegt darin, dass Hans Tucher sowohl Entfernungsangaben (in Schrittzahlen) zu den jeweiligen Stationen des Kreuzweges nennt und diese auch in der Skizze an den entsprechenden Stellen des Weges lokalisiert. Die Jerusalemdarstellung des Tucher-Epitaphs der Adelheit Tucher weist einige bemerkenswerte Parallelen zu dieser Skizze auf (Abb. 10) und beanspruchte damit wie auch Hans Tuchers Beschreibungen ein genaues Bild von Jerusalem zu vermitteln. Dementsprechend zeigt das Epitaph die Grabeskirche innerhalb der bis zu diesem Zeitpunkt ja nun schon gewachsenen Stadt. Die Grabeskirche (Abb. 11), eindeutig durch das gleißende Licht der Auferstehung zu identifizieren, liegt also nicht mehr außerhalb Jerusalems, wie es das traditionelle Bild und die Evangelien eigentlich verlangten, sondern innerhalb einer nunmehr gewachsenen Stadt. Eine Zeichnung, die vermutlich Sebald Rieter d. J. von derselben Pilgerreise mit Hans Tucher 1479– 80 mitbrachte, gehört in denselben Wissenskomplex (Abb. 12). Auch dieser Plan stellt Jerusalem von Osten her dar, betont die wichtigsten Monumente und zeigt die Grabeskirche innerhalb der damaligen Stadtgrenze.32 Allerdings lassen sich weit mehr Übereinstimmungen des Tucher-Epitaphs mit der Skizze des Hans Tucher feststellen als es augenscheinlich den Anschein hat. Das Tucher-Epitaph (Abb. 8) zeigt nicht einfach im Vordergrund eine Hauptszene, die als eine Verknüpfung von Grablegung und Beweinung beschrieben 29
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Siehe Hartmann Schedel: Weltchronik. Kolorierte Ausgabe von 1493, Augsburg 2001, fol. 63v-64r: Zerstörung der Stadt Jerusalem; Elisabeth Rücker: Die Schedelsche Weltchronik. Das größte Buchunternehmen der Dürer-Zeit. Mit einem Katalog der Städteansichten, München 1973 (Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte; 33), Kat.-Nr. 33, S. 154–157, sowie Hausherr 1987/1988 (wie Anm. 28), S. 66f. Vgl. zu Breidenbach Frederike Timm: Der Palästina-Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach von 1486 und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandainstrument im Mantel der gelehrten Pilgerschrift, Stuttgart 2006 und Isolde Mozer (Hg.): Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Eine Pilgerreise ins Heilige Land. Frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung, Berlin/ New York 2010 sowie Hausherr 1987/1988 (wie Anm. 28), S. 59–62. Siehe Herz 1997 (wie Anm. 22), S. 75–77. Siehe Marianne Reuter: Beschreibungen der Handschrift Cod.icon. 172, in: BSB-CodIcon Online. Elektronischer Katalog der Codices iconographici monacenses der Bayerischen Staatsbibliothek München (letzter Zugriff am 5.2.2012), München 2009.
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werden kann, und einen Stadtprospekt Jerusalems im Hintergrund. Vielmehr lassen sich mit Hilfe der Tucher’schen Skizze des Kreuzweges weitere narrative Szenen im Stadtprospekt identifizieren (Abb. 10),33 die im Mittel- und Hintergrund sehr kleinteilig dargestellt sind. Es sind unter anderem Szenen der Kreuztragung Christi, die ganz klar vor der Grabeskirche enden, wo Christus unter der Last des Kreuzes zusammenbricht (Abb. 11). Hans Tucher erwähnte in seinen Notizen bereits die Parallele zu einem schon vor seiner Reise existierenden Nürnberger Kreuzweg nach dem Vorbild der originalen Via dolorosa, wenn er die Strecke des originalen Leidensweges mit derjenigen vom Neuen Tor zum Friedhof von St. Johannis vergleicht.34 Folgt man nun den Aufzeichnungen etwas genauer, dann lassen sich fast alle Einzelszenen in der rechten Stadthälfte des Tucher-Epitaphs als Kreuzwegstationen identifizieren, die entlang der schon von Hans Tucher beschriebenen Strecke zu verorten sind (Abb. 9 und 10). Diese Kreuzwegstationen folgen also Angaben, die sich teilweise bis auf die Schrittangabe genau auch in den Inschriften des später errichteten Kreuzweges von Adam Kraft wiederfinden (Abb 14). Hans Tucher beschreibt zuerst das Pilatus-Haus.35 Im Tucher-Epitaph sieht man an dieser Stelle Christus, das Kreuz tragend, wie er direkt vor dem Haus des Pilatus von einem Schergen geschlagen wird (Abb. 10). An das Pilatus-Haus schließt sich dann das Haus des Herodes an, das „leit ein wenig auf einer höche und hot etlich staffeln hinauff. Von Pilatus hauß piß auff das puncktlein, so sein 200 schridt ect. Do stund Maria und sach Jhesum außfuren und wardt anmechtig ect.“36 Abermals korreliert das Epitaph mit der Skizze Hans Tuchers (Abb. 9). Denn wir sehen eine Marienfigur an einer Ecke stehen, nachdem man am Haus des Herodes mit den hohen Treppen vorbeigekommen ist. Unmittelbar neben der Mariengestalt ist dann die nächste Szene zu erkennen, der zufolge Christus unter dem Kreuz zusammenbricht und durch Simon von Kyrene unterstützt wird.37 Ein kleinerer Sprung nach rechts führt dann zur 33 34
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Siehe Hausherr 1987/1988 (wie Anm. 28), S. 64 und Suckale 2010 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 166. Siehe Herz 1997 (wie Anm. 22), S. 77, Zeile 11–15: „So weit ist hie zu Nurembergk von dem newen thor piß an den goczaker pei Sant Johanns. Das hot man abgeschritten und do auff dem goczaker eigenlichen geschriben vor etlichen jaren, und ee mein pruder, der Hans Tucher senior, uber mere fure. Und stet noch also do auff dem goczaker an dem kepelein voren geschriben ect.“. Siehe ebd. S. 78, Zeile 12–15: „Pilatus haus: Das haus Pilati ist jeczundt ein heidenische kirchen. Das thor, dor durch Jhesus gefurt wart, das ist jeczundt vermawrt und ein klein thurlein dor ein auff der seitten, dor durch die heidendt auß und eingen. Auch so sein ire heusser alle oben eben mit der dachung ect.“. Ebd. S. 78, Zeile 17–20. Siehe ebd. S. 78, Zeile 21–23: „Von dem puncktlein der 200 schridt, so sein 85 schridt piß auf das eck ect. An dem eck sanck Christus nider untter dem kreucz. Do nötten sie Simon Cireneus, das er dem Heren Jhesu must helffen das kreucz thragen.“
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nächsten Szene, in der Christus vermutlich auf die drei Frauen von Jerusalem trifft.38 Danach führt der Weg wieder zurück in die linke Richtung, wo Christus an einer Hausecke aller Wahrscheinlichkeit nach Veronika begegnet.39 Außerdem gibt es noch einige Details, die besonders auffällig sind. So beschreibt Hans Tucher zu Beginn des Kreuzweges, dass das Haus des Pilatus ein flach gedecktes Dach habe und das Haus des Herodes, dahinter ein wenig erhöht, viele Stufen aufweise.40 Noch in der Schedel’schen Weltchronik werden daher diese beiden Häuser eigens mit entsprechenden Inschriften versehen (Abb. 13), mit Informationen also, die wahrscheinlich auf die Tucher’schen Beschreibungen aus dem Heiligen Land zurückgehen. Vor allem aber die Ähnlichkeit der beiden Häuser und ihre Anordnung sprechen eindeutig dafür, dass das Tucher-Epitaph (Abb. 8) oder eine diesem zugrunde liegende Zeichnung bei der Herstellung der Schedel’schen Jerusalemansicht herangezogen wurde und die grundlegenden Informationen von der Reise Hans Tuchers und Sebald Rieters stammen könnten. Folgt man weiter den Aufzeichnungen Hans Tuchers und dem Kreuzweg des Tucher-Epitaphs, wird der Zusammenhang zwischen dem Epitaph und Tuchers Skizze unübersehbar. Denn nach der Begegnung Christi mit den drei Frauen und mit Veronika wird die Aufzeichnung Tuchers in der folgenden Passage sehr ausführlich, wenn er die architektonischen Gegebenheiten beschreibt: „So sein von Sant Veronika hauß piß auff das eck 100 und 20 schridt etc. Die gassen ist gewelbt von einem pogen zu dem andern mit gar einem hohen gewelb, dor durch oben löcher sein, dor durch der thag hinein scheindt ect.“41 Diese hier sehr markant beschriebenen Basarstraßen, die auch in der Zeichnung Sebald Rieters enthalten sind, werden ebenfalls im Tucher-Epitaph sowie der Schedel’schen Weltchronik übernommen.42 38
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Siehe ebd. S. 79, Zeile 1–3: „Von dem eck der 85 schridt, so sein 95 schridt piß auf das ander eck. Und an dem eck do kert sich Christus umb und sprach zu den frawen, die do stunden und umb in weintten: »Nicht weinet uber mich, sunder uber euch und ewre kinder«“. Siehe ebd. S. 79, Zeile 4–7: „Von dem eck der 95 schridt, son sein 100 und 20 schridt piß auff das ouncklein, do waß Sant Veronika hauß ect. Pei dem puncktlein waß Sant Veronicka haus, die do dem Heren jhesu, als er mit dem kreucz furgefurt ward, das sweiß tuch under sein heiligeß angesicht gedrucket hot ect.“. Ebd. S. 78, Zeile 15: „ heusser alle oben eben mit der dachung ect.“ und Zeile 17–18: „ein wenig auf einer höche und hot etlich staffeln hinauff.“ Auch in Sebald Rieters Zeichnung werden diese beiden Häuser mit einer Beschriftung gezeigt. Allerdings gleichen sie kaum denjenigen des Tucher-Epitaphs und der Schedel’schen Weltchronik (Abb. 8 und 12). Ebd. S. 79, Zeile 8–10 [Hervorhebungen des Autors]. Reiner Hausherr, der die Skizze Hans Tuchers nicht kannte, argumentierte noch, dass Tucher die flachen Dächer und Häuserformen sowie die überdachten Basarstraßen in seinem Reisebericht nicht beschrieben hatte und folgerichtig diese Informationen des Tucher-Epitaphs von einer anderen Quelle hätten kommen müssen. Unter Berücksichtigung
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Folgt man weiter dem Gang Christi durch diese Basarstraßen, dann gelangt dieser danach durch ein Tor (Abb. 10), das ehemals das Stadtende markierte und sinkt nach weiteren 160 Schritten vor dem „perg Kalfarie“ zusammen (Abb. 11).43 An dieser Stelle drückt Hans Tucher ausdrücklich sein Bewusstsein dafür aus, dass der Ort des Kreuztodes, und dementsprechend auch der des Grabes und der Auferstehung früher außerhalb von Jerusalem lagen. Denn der Kreuzweg führt durch das ehemalige Stadttor vor die Stadt. Im Tucher-Epitaph lässt sich dieser von Hans Tucher und rudimentär auch von Sebald Rieter beschriebene Kreuzweg in vielen Abschnitten nachvollziehen und es sind hier vor allem Stationen aufgezählt, die mit den später errichteten Kreuzwegstationen von Adam Kraft übereinzustimmen scheinen. Denn bis auf eine Szene nehmen die Kreuzwegstationen Adam Krafts dieselben Themen auf. Sie zeigen ebenfalls, die Schritte vom Pilatushaus an messend, die Begegnung mit Maria (1), mit Simon von Kyrene (2), den drei Frauen von Jerusalem (3), die Begegnung mit Veronika (4) und die Szene, wie Christus vor dem Kalvarienberg zusammenbricht (6). Allein die fünfte Station gibt ein anderes Thema, nämlich die Misshandlung Christi durch die Juden (5), die in Hans Tuchers Aufzeichnung nicht vorkommt.44 Eine ebenso ausführliche Ikonographie der Kreuzwegstationen findet sich letztendlich schon in der Vita Christi bei Ludolph von Sachsen, dessen Schilderungen sich wahrscheinlich schon aus dem Wissensschatz der Pilgerberichte seiner Zeit speisten.45 In diesen zusammenhängenden Wissenskomplex, der aus Hans Tuchers Reisebericht, seiner Skizze des Kreuzweges (Abb. 9), der Rieter’schen Zeichnung von Jerusalem (Abb. 12), dem Tucher-Epitaph (Abb. 8), der Jerusalemansicht der Schedel’schen Weltchonik (Abb. 13) und den Kreuzwegstationen des Adam Kraft besteht, reiht sich auch das Wandgemälde in der Nürnberger Heiliggrabkapelle ein (Abb. 5), zu dem die Kreuzwegstationen führen. Unter dem Wandbild befindet sich eine Gruppe der
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der Skizze Tuchers und ihrer Beschreibungen kann nun Gegenteiliges festgestellt werden. Siehe Hausherr (wie Anm. 28), S. 63f. und 65f. sowie Herz 1997 (wie Anm. 22). Siehe Herz 1997 (wie Anm. 22), S, 79, Zeile 9–18: „Von dem eck der 100 und 20 schridt, so sein 200 und 15 schridt piß auff das puncktlein zu ende des gewelbß. Pei dem selben puncktlein, do ist etwen ein thor der stadt hinaußgangen, das aber jeczundt nit ist ect. […] Von der gewelbpten gaß piß auf das eck, so sein 100 und 60 schridt ect. Do sanck Christus aber mit dem kreucz nider pei 10 schriten von dem perg Kalfarie. Von dem eck der 100 und 60 schridt, so sein piß auf untten an den pergk Kalfarie 55 schridt ect.“. Außerdem stimmen auch viele Elemente der Inschriften der Kreuzwegstationen überein mit der Aufzeichnung Hans Tuchers. Die Schrittzahlen der ersten vier Stationen sind sogar nahezu identisch. Siehe dazu auch Wegmann 2002 (wie Anm. 6), S. 303. Siehe Ludolphus de Saxonia: Vita Christi. Salzburg 2006–2007 (Analecta cartusiana; 241), Kap. LXXIII. Zur Ikonographie der Kreuzwegstationen des Adam Kraft siehe Johann Schulz: The Reliefs of Adam Kraft in Nürnberg. Imitatio Christi and the Veneration of the Via Crucis, in: Jerusalem Elsewhere. The German Recensions (im Erscheinen).
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Grablegung Christi, die ebenfalls aus der Hand Adam Krafts stammt. Das Wandbild zeigt eine Panoramaansicht von Jerusalem, die eindeutig mit dem Tucher-Epitaph (Abb. 8) und der Jerusalemansicht in der Schedel’schen Weltchronik (Abb. 13) zusammenhängt.46 Es folgt in der Darstellung dem durch Hans Tucher d. Ä. und Sebald Rieter d. J. vermittelten Jerusalembild, was sich an mehreren Details nachvollziehen lässt. Am deutlichsten lassen sich Übereinstimmungen am Areal des Templum Salomonis und der davor befindlichen Freitreppe erkennen. Da das Wandbild nicht primär für eine Nahansichtigkeit angelegt ist, kommt dem Gesamteindruck eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu, durch welche die Originaltreue dieses Jerusalemplanes evoziert wurde und so verwundert es auch nicht, dass die Region um den Templum Salomonis zusammen mit der Mauer und der zum Tempel führenden Treppe als prägnantestes „Architekturzitat“ hervorgehoben wurde, als ein markantes Formgebilde, das schon in der Schedel’schen Weltchronik im Mittelpunkt stand. Damit verbürgt auch dieses Jerusalembild in der Heiliggrabkapelle die topographische Wahrheit des Passionsgeschehens. Allerdings gibt es – außer der Umorganisation, um das gesamte Passionsgeschehen in die Jerusalemansicht zu integrieren – im Bild eine scheinbar kleine, aber interessante Veränderung. Denn wie bereits dargelegt wurde, wird die Grablegungsstätte in einen Zentralbau verändert, der viel eher der eigenen Kapelle zu Nürnberg ähnelt, als derjenigen in Jerusalem (Abb. 6 und 11) und außerdem wird diese gemäß der Bild- und Texttradition wieder vor die Stadtmauer verlegt, was auch dem historischen Geschehen der Passion entspricht. Hier wird also die wahrscheinlich zuvor von Hans Tucher d. Ä. und Sebald Rieter d. J. verbürgte topographische Wahrheit auf ihre historische Wahrheit zurückgeführt. Das Bild der Passion und insbesondere der Grablegungsstätte wird korrigiert sowie wieder mit dem traditionellen Bild der Passion in Übereinstimmung gebracht. Es verwundert daher auch kaum, dass der rechte Teil des Tucher-Epitaphs (Abb. 10) und der Schedel’schel Weltchronik (Abb. 13), in dem sich die Via dolorosa zur Grabeskirche erstreckt, im Wandbild zu St. Johannis negiert und durch andere Gebäude und Szenen ersetzt wird (Abb. 5). Denn der eigentliche Kreuzweg verließ die Stadt bereits ab dem Haus des Pilatus, wo Christus vom Volk verurteilt wurde. „Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen.“ (Mt 27,31b-32). Denn Ziel war es ja gerade, in Nürnberg einen Ereignisraum zu schaffen, der über die Stadtmauer hinaus greift. Genau durch diese Außenstation sollte eine Vergleichbarkeit mit dem Vorbild der Grabstätte Christi erzeugt und so die schutzbietende Sakralität des 46
Zuletzt hat am klarsten Suckale 2010 (wie Anm. 28), Bd. 2, S. 166 auf einen Zusammenhang des Tucher-Epitaphs mit dem Fresko der Heiliggrabkapelle zu St. Johannis hingewiesen.
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Jerusalemer Grabes übertragbar werden, wie ja auch der heilige Ort des Grabes in St. Sebald erfahrbar gemacht wurde. Nürnberg wird dadurch nicht nur zu Jerusalem, sondern gleichzeitig wird es möglich, einen Ort vor den Mauern der Stadt als heilig zu erklären, weil er wie das Grab Christi zum eigentlichen Schauplatz der Passion dazu gehört. Auf diese Weise schuf der Nürnberger Rat einen neuen Begräbnisort für die Bürger der Stadt,47 der in seiner Begehung zum Ereignisraum des Heiligen Grabes samt Via dolorosa wird und mit dem Nürnberg und seine Vorstadt als Jerusalem imaginiert wurden. Dadurch erfährt der tatsächlich reale Ort eine solche Aufwertung, dass man von einer Sakralisierung des Ortes vor den Mauern der Stadt sprechen kann. Der Ereignisraum Jerusalem, wie er zu Nürnberg geschaffen wird, stellt jedoch nicht nur die Überwindung der Stadtgrenze und die Verbindung von Stadt und Grabstätte dar. Er ist auch – und das gilt bereits vor der Umgestaltung und auch danach – ein wichtiger Andachtsweg und als solcher ein „Ort der Gelâzenheit“48, an dem man sich ganz auf etwas Anderes einlassen soll. Darüber gibt uns eine wenige Jahre später in Nürnberg gedruckte Schrift eines unbekannten Autors Auskunft (Abb. 15), die den mehr als anschaulichen Namen Die geystlich Straß trägt und als Anleitung des Leidensweges Christi diente.49 Zu Beginn des Textes stellt sich diese geystlich Straß sogar selbst vor mit den Worten: „Die geystlich straß bin ich genant/Im leyden Christi wol bekannt/Mich gewandert hat der starcke helde/Den menschen suchen, vom vater erwelt“50. Die Besonderheit dieses Buches liegt darin, dass sich der Text samt Illustrationen der Kreuzwegstationen sowohl als eine Anleitung für die Errichtung eines realen Kreuzweges als auch als eine Anleitung für die Imagination desselben ausgibt. Insofern bietet dieser Druck eine Art Partitur oder vielleicht besser gesagt eine vollständige Regieanweisung für ein geistliches Schauspiel, das prinzipiell immer individuell im Geiste zur Aufführung gebracht werden muss.51 Und so hat es sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch 47 48
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Siehe Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S. 132–138. Siehe zum Begriff bes. bei Meister Eckhart: Erik Alexander Panzig: Gelâzenheit und abegescheidenheit. Eine Einführung in das theologische Denken des Meister Eckhart, Leipzig 2005. Siehe Wegmann 1997 (wie Anm. 6) bes. S. 107–111. München, Bayerische Staatsbibliothek, Res/4 Polem. Anonymus: Geistlich Strass. Nürnberg, Gutknecht, 1521, fol. 1r. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts kommt es dann zu einer ersten größeren Kanonisierung der Kreuzwegstationen und den dazu verbindlichen Informationen in den beiden Texten Jerusalem sicut Christi tempore floruit (1584) und Theatrum terrae sanctae (1590) des Priesters Adrian Cruys, gen. Adrichomius. Siehe dazu sowie zur Kreuzwegandacht Nicky Zwijnenburg-Tönnies: Die Kreuzwegandacht und die deutschen Pilgertexte des Mittelalters, in: Randall Herz, Dietrich Huschenbett und Frank Sczensy (Hg.): Fünf Palästina-Pilgerberichte aus dem 15. Jahrhundert, Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur
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mit einer Begehung des tatsächlichen Kreuzweges zu Nürnberg verhalten. Auch dieser Weg diente letztendlich dem Zweck sich das Leiden Christi vor dem inneren Auge, im Geiste zu vergegenwärtigen, indem man sich das Geschehen imaginierte und zugleich den Weg selbst nachschritt und zwar auf der Grundlage der Imagination als ob es Jerusalem wäre.52 Gleichzeitig trägt seine in Stein gesetzte und stetig präsente Erscheinung wesentlich dazu bei, den realen Raum Nürnberg dauerhaft umzugestalten nach dem Vorbild Jerusalems. Der imaginäre Raum steht hier in den realen Raum hinein und kann immer wieder neu begangen und aktiviert werden.
Neues durch Wiederholung und Illusion trotz besseren Wissens Man kann also die Installation des Heiligen Grabes samt Via dolorosa als ein städtepolitisches Überzeugungsmittel verstehen, mittels dessen die Nürnberger Bürgerschaft darauf eingestimmt werden sollte, die Begräbnisse vor der Stadt zu akzeptieren.53 Dieses Anliegen des Nürnberger Rates wurde sogar explizit von Kaiser Maximilian I. unterstützt, der etwa zur selben Zeit eine vergleichbare Kreuzweganlage samt Heiliggrabkapelle in Tirol errichten ließ.54 Allerdings lässt sich der zu Nürnberg als Ereignisraum herausgestellte Komplex nicht bloß auf diese Zweckmäßigkeit reduzieren, sondern weist weit über diesen Horizont hinaus. Denn der neue Ereignisraum stellt selbst die Überwindung und Veränderung des traditionellen Raumgefüges in Nürnberg dar, ja ist diese Überwindung. Indem man nämlich die historisch getreue Situation von Jerusalem wiederholte, also insbesondere den Fakt, dass das Grab Jesu außerhalb der Stadt lag, wird in Nürnberg etwas Neues geschaffen, nämlich eine neue Begräbnisstätte für die städtische Bevölkerung. Man
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im Mittelalter; 33), S. 225–260; Thomas Sternberg: „Und lass mich sehen Dein Bilde“. Der Kreuzweg als liturgisches und künstlerisches Thema, in: Liturgisches Jahrbuch 53 (2003), S. 166–191; Marco Talarico: Der Kreuzweg Jesu in historischer Authentizität und katholischer Frömmigkeit, Münster 2003 (Ästhetik – Theologie – Liturgie). Insofern werden hier die Andachtsformen der Compassio und der Imitatio verbunden. Siehe auch Wegmann 1997 (wie Anm. 6), S. 107f. Siehe Zittlau 1992 (wie Anm. 5), S, 132–138, bes. S. 137: „Durchaus denkbar ist, daß der Kreuzweg als Werbemittel für das sozialpolitische Ziel der Friedhofsverlegung eingesetzt war.“ Siehe ebd., Anhang 25, S. 167f. sowie Erich Egg: Der älteste Kreuzweg in Tirol, in: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift 6 (1969), S. 500–508 und Guido Bocher: Das Erbe Kaiser Maximilians I. in Toblach. Der Leidensweg zum Lerschach. Tirols ältester Kreuzweg 1519, Bozen 2009.
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kann diese Form der Wiederholung durchaus mit Kierkegaards umgekehrter Erinnerung in Verbindung bringen, die als Vorwärtsbewegung Neues produziert und nicht einfach Altes reproduziert.55 Und es ist erst diese ganz eigene Sprache aller beteiligten Kunstwerke, die den radikalen Akt, etwas aus der Stadt zu verbannen und gleichzeitig in das Stadtgefüge zurückzubinden, zur Darstellung bringt, ihm eine Form verleiht und somit überhaupt erst Sein. Es wird ein Ereignisraum konstituiert, der einen Außenraum an die Stadt anschließt. Und erst unter dem Deckmantel einer ganz alten und traditionellen Vorstellung wird so ein sehr moderner Akt vollzogen, nämlich die hygienischen Bedingungen zum Wohle der städtischen Gemeinschaft zu verbessern.56 Das ist die Schlussfolgerung über die historische Situation, die sich aus dem Kontext des Kunstwerkes selbst ergibt. Alledem liegt dabei ein tiefgreifender Prozess zugrunde, der zeigt, wie sehr das Jerusalembild – in diesem Falle der Nürnberger Gemeinschaft – von bestimmten Intentionen und Vorstellungen eines kollektiven Gedächtnisses geprägt war. Und so wächst und verändert sich das Bild von Jerusalem in Nürnberg unabhängig von dem 1486 publizierten und gedruckten Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach mit seinen kanonbildenden Holzschnitten aus der Hand Erhard Reuwichs, allen voran der großen Panoramakarte der Stadt Jerusalem und der Darstellung der Grabeskirche.57 Wie wirkmächtig Reuwichs Pilgerbericht andernorts war, zeigt beispielsweise das Epitaph der Frankfurter Familie Wigand Märkel mit der Kreuzigung Christi (Abb. 16), das einem Frankfurter Meister zugeschrieben wird.58 Das Epitaph zeigt im rechten Hintergrund eine Kreuztragung Christi und auf der linken Seite die Grablegung. Beide Szenen rahmen eine Stadtansicht, bestehend aus mehreren architektonischen Gruppen, die sich eindeutig an der Panoramakarte Erhard Reuwichs orientieren. Die Stadtteile Jerusalems werden dabei deutlich reduziert und auf ihre markanten Formen konzentriert, um den 55 56
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Siehe Slavoj Žižek: Körperlose Organe. Bausteine für eine Begegnung zwischen Deleuze und Lacan, Frankfurt a. M. 2005, S. 26. Denn die ursprüngliche Intention der Friedhofsverlegung war es ja, den Seuchen und ihren verheerenden Folgen entgegenzuwirken. Siehe vor allem Charlotte Bühl: Die Pestepidemien des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit in Nürnberg (1483/84 bis 1533/34), in: Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete, Erlangen 1990 (Erlanger Forschungen. Reihe A, Geisteswissenschaften; 46), S. 121–168. Siehe zum Stadtprospekt Timm 2006 (wie Anm. 30), S. 242–261 mit Abb. 139, und S. 178–194 mit Abb. 70–85, sowie Hausherr 1987/88 (wie Anm. 28), S. 59–61. Frankfurter Meister (Hans Caldenbach?), Kreuzigung Christi, kurz nach 1500, 146,7 × 92,9 cm, Linde, Frankfurt a. M., Städelmuseum, Inv.Nr. 714. Siehe Bodo Brinkmann und Stephan Kemperdick: Deutsche Gemälde im Städel 1500–1550, Mainz 2005, S. 114–123 sowie Michaela Schedl: Eine Gruppe von sechs Tafelbildern, entstanden in Frankfurt am Main um 1500, und die Malerfamilie, genannt Heß, in: Städel-Jahrbuch 20 (2009), S.131–164.
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relevanten Stationen des Passionsgeschehens einen Raum zu schaffen.59 Ausführlicher wird dagegen die Panoramakarte Reuwichs in einem Triptychon des Meisters des Krainburger Altars (Abb. 17) rezipiert, dessen Mitteltafel eine Beweinung Christi zeigt.60 Hier beschneidet kein Kreuz den Bildhintergrund, sodass der Ansicht von Jerusalem mehr Aufmerksamkeit und Genauigkeit beigemessen werden konnte. Neben diesen Beispielen lassen sich noch weitere aufzählen, die sich an den wirkmächtigen Vorbildern Reuwichs orientieren.61 Insgesamt haben dessen Holzschnitte einen das „äußerliche“ Aussehen Jerusalems prägenden Einfluss, während sich in Nürnberg ein Jerusalembild erhält, das auf einer eigenen Tradition gründet und ein eigenes Deutungsmuster desselben entwirft. Diese beiden Traditionslinien, sich ein Bild von Jerusalem zu machen, verdeutlichen, dass es kein statisches Bild dieser Stadt gab, sondern es ständig in Bewegung blieb, je nach den Vorstellungen und Wünschen, die man in diese Stadt projizierte. In Nürnberg um 1500 gereicht das Bild Jerusalems schließlich in seiner neu gewonnenen Form für ein Argument, die Gräber vor die Stadtmauer zu verlegen. Um die eingangs gestellte Frage nach dem Phänomen sowie der eigentlichen Form und Macht dieser umwälzenden Veränderung in Nürnberg wieder aufzunehmen, ist es nützlich, den Aspekt des Phantasmas, der Einbildung zu betonen. Denn offensichtlich wird hier erfolgreich ein Kreuzweg Jesu errichtet, um die Begräbnisse vor die Stadt zu verlegen, weil man dem Grab des Herren nahe sein will. Aber es ist doch zugleich auch klar, dass jeder weiß, dass Christus nicht tatsächlich den Nürnberger Weg gegangen war. Dennoch ist die Macht der Imagination so groß, dass das Vorhaben glückt und Nürnberg als erste Stadt nördlich der Alpen die Begräbnisse aus der Stadt heraus verlegt. Das Wissen darum, dass die eigene Stadt nicht Jerusalem selbst ist, trägt offensichtlich nicht dazu bei, die Bedeutsamkeit des neuen Ortes zu schmälern. Im Gegenteil wird eine andere, unmittelbarere und von Angst begleitete 59 60
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Im Bild werden besonders der Tempelbezirk und die Grabeskirche hervorgehoben. Siehe Schedl 2000 (wie Anm. 63), S. 138. Meister des Krainburger Altars (?), Triptychon mit der Beweinung Christi, Hl. Barbara und Katharina, außen: Verkündigung, um 1490, Pappel, 45,7 x 33 cm (Mitteltafel), Privatbesitz. Siehe AK Van Eyck bis Dürer. Altniederländische Meister und die Malerei in Mitteleuropa, hg. von Till-Holger Borchert und Paul van Calster, Brügge, Groeningemuseum 29. 10. 2010 – 30. 01. 2011, Stuttgart 2010, S. 463f. Siehe hierzu etwa Stephan Hoppe und Sebastian Fitzner: Das frühe Studium der Architektur Jerusalems. Zu zwei unbeachteten Zeichnungen im Zusammenhang mit Erhard Reuwichs Reise ins Heilige Land (1483/84), in: Hanns Hubach u. a. (Hg.): Reibungspunkte. Ordnung und Umbruch in Architektur und Kunst. Festschrift für Hubertus Günther, Petersberg 2008 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 64), S. 103–114; David R. Marshall: Carpaccio, Saint Stephen, and the Topography of Jerusalem, in: The Art Bulletin 66 (1984), S. 610–620 sowie Timm 2006 (wie Anm. 35), 242–261 und S. 178–194.
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Einbildung durch die neue suspendiert. Denn Orte außerhalb der Stadt waren nicht nur Orte der Kranken (Spitäler), der Schutzlosigkeit vor Angriffen und des unkontrollierten Wilden, sondern lagen zudem auch außerhalb der Einflusssphäre der Stadtheiligen. Damit waren sie subjektive Projektionsflächen für vielerlei Ängste. Diese Einbildung konnte erst mithilfe einer neuen, anders gearteten Einbildung aufgehoben werden. Und so wurde Nürnberg nicht im Sinne eines unmittelbaren Glaubens zu Jerusalem, sondern im Sinne eines Spieles, das einen „heiligen Ernst“ entfaltete.62 Diesen heiligen Ernst, wie Jerusalem zu sein, konnte es aber nur entfalten, weil jeder darum wusste, dass es sich nicht um den wahren Kreuzweg handelt, sondern nur um ein Abbild, ein Gleichnis. Das bessere Wissen um den Sachverhalt scheint das Phantasma des Kreuzweges nicht aufzuheben oder abzuwerten, sondern vielmehr entfaltete die Einbildung überhaupt erst durch dieses bessere Wissen ihre eigentliche Wirkung und Macht.63 Denn durch das bessere Wissen ist man nicht mehr an den Inhalt der Illusion selbst (wie etwa im Fall der eingebildeten Schrecken vor der Stadtmauer) gebunden, sondern an die Gemeinschaft, die an dieser Einbildung teilhat. Das Bild „Nürnberg–Jerusalem“ bestand in der Sicht eines vorgestellten, naiven Beobachters, wenn man die kursierenden Informationen zusammentrug. Und sich diesem Bild zu widersetzen, hieße sich dem Spiel der Gemeinschaft zu widersetzen, folglich als Spielverderber aus den Reihen der Gemeinschaft auszuscheiden. Das eigentlich virtuelle, bildgebende Moment liegt dabei in der kollektiv erworbenen Ansicht dieses eingebildeten Beobachters, wie Jerusalem vorzustellen ist, und dieses Moment ist zugleich das Korrelat, die Richtschnur für das Spiel, demgemäß jeder Nürnberger Jerusalem in einem Mindestmaß zu memorieren hatte. So drückt sich an dieser Einbildung ein von der alten Einbildung befreiender und zugleich an die Gemeinschaft bindender Charakter aus, was auch erklärt, wieso die gravierende städtische Veränderung Bestand haben konnte. Diese kollektive Illusion wurde über Jahrzehnte hinweg durch die Informationen aus dem fremden Jerusalem gemehrt und angereichert, sodass sie sich wie ein gemeinsamer Erinnerungspool über Nürnberg ausbreiten und doch von niemandem besessen werden konnten. So hat die Illusion Jerusalems in Nürnberg als eine durchschaute Fiktion bestanden, die, zu Stein geworden, in den Nürnberger Realraum hineinragt. Und zugleich beabsichtigt dieser Ereignisraum eine Engführung von 62
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Siehe Robert Pfaller: Die Illusion der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt a. M. 2002. S. 11f., sowie S. 116f.: „Alle Spiele tun so, als wären sie ernst; und alle Spieler müssen, um spielen zu können, wissen, daß es nicht so ist. Wenn die Spieler wissen (oder wenigstens zu wissen glauben), daß es nicht Ernst, sondern nur ein Spiel ist, verfallen sie in den heiligen Ernst.“ Siehe ebd., bes. S. 11f.
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eigenem Leben und Leiden Christi, dessen Weg man auf der Via dolorosa nachgehen soll.64
Abbildungsnachweis Abb. 1: nach Wegmann 1997 (wie Anm. 6), Abb. 3; Abb. 2: nach Franz Schiermeier: Stadtatlas Nürnberg. Karten und Modelle der Stadt Nürnberg von 1492 bis heute, München 2006; Abb. 3: nach Kammel 2002 (wie Anm. 6), Tafel 2; Abb. 4: nach Walter Koschatzky: Albrecht Dürer. Die Landschaftsaquarelle. Örtlichkeit. Datierung. Stilkritik, München/Wien 1971, Nr. 3; Abb. 5, 6, 14: Archiv des Autors; Abb. 7, 9, 10: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum; Abb. 8: nach Herz 1997 (wie Anm. 22), Abb. 2. – Abb. 12: (22. Juli 2012); Abb. 13: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek; Abb. 15: (22. Juli 2012); Abb. 16: Städelmuseum, Frankfurt a. M; Abb. 17: nach AK Van Eyck bis Dürer 2010 (wie Anm. 60), S. 463f.
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Siehe ebd., S. 41–46. Robert Pfaller spricht von einer Fiktion der Äquivalenz, bei der letztendlich eine Person ihren Glauben an etwas anderes delegieren kann und der Glaube so zu einem objektiven Glauben wird, dessen Delegation darüber hinaus auch noch Genuss bringt.
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Abb. 1: Johann Alexander Boener, St. Johannis-Friedhof, um 1700, Kupferstich, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg.
Abb. 2. Hans Bien, Nürnberg mit Landwehr, Ausschnitt mit St. Johannis, 1620, kolorierte Federzeichnung, 105 × 91 cm, Staatsarchiv Nürnberg, Karten und Pläne, Nr. 13.
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Abb. 3. Adam Kraft, Zweite Kreuzwegstation, Symon von Cyrene hilft Christus das Kreuz zu tragen, um 1500, Steinrelief, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, PLO 1820.
Abb. 4: Albrecht Dürer, Sant Johans Kirche, um 1494, Aquarell, 29 × 42,3 cm, ehemals Kunsthalle, Bremen, heute Ermitage, St. Petersburg.
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Johann Schulz
Abb. 5: Anonym, Nischenwandbild mit der Darstellung Jerusalems und Passionsszenen, um 1508, Heiliggrabkapelle, St. Johannis, Nürnberg.
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Abb. 6: Wie Abb. 5, Detail der Grablegung Christi.
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Johann Schulz
Abb. 7: Meister des Landauer-Altars, Auferstehung Christi, linker Innenflügel des Altars des Marcus Landauer, 1468, Tannenholz, 183 × 111 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Gm 880-883.
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Abb. 8: Meister des Hersbrucker Hochaltars oder Wolfgang Katzheimer und Werkstatt, Epitaph der Adelheid Tucher geb. Gundlach, Nürnberg, um 1483, Holz, 132 x 102,5 cm, Nürnberg, Tucherschloss, GM 1486.
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Johann Schulz
Abb. 9: Hans Tucher d. Ä., Aufzeichnung der Kreuzwegstationen zu Jerusalem, 1479, Paris, Bibliothèque Nationale, Rés O2f. 13 ad 1, f. 6r.
Ereignisraum Jerusalem
Abb. 10. Wie Abb. 8, Detail mit markiertem Weg Christi.
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Abb. 11: Wie Abb. 8, Detail mit Heiliggrabkirche.
Johann Schulz
Ereignisraum Jerusalem
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Abb. 12: Sebald Rieter, Abriß von der Statt Jerusalem, 1479, 41,5 × 58 cm, Nürnberg, um 1479, München, BSB, Cod. icon. 172.
Abb. 13: Weltchronik des Hartmann Schedel, Bl. 63r-64v, Zerstörung Jerusalems, Holzschnitt, Druck: Anton Koberger, Nürnberg 1493, Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Detail mit dem Haus des Herodes und des Pilatus.
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Johann Schulz
Abb. 14: Adam Kraft, 7. Kreuzwegstation, Beweinung Christi, Kopie des originalen Steinreliefs von ca. 1500, St. Johannisfriedhof, Nürnberg.
Abb. 15: Die Geystlich Straß, gedruckt bei Jobst Gutknecht, Nürnberg 1521, München, BSB, 4 Hom. 1430, Holzschnitt: Grablegung.
Ereignisraum Jerusalem
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Abb. 16: Frankfurter Meister (Hans Caldenbach?), Kreuzigung Christi, kurz nach 1500, Linde, 146,7 × 92,9 cm, Städelmuseum, Frankfurt a. M., Inv.Nr. 714.
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Abb. 17: Meister des Krainburger Altars (?), Triptychon mit Beweinung Christi, Hll. Barbara und Katharina, um 1490, Pappel, 45,7 × 33 cm (Mitteltafel), Privatbesitz, Detail der Beweinung.
Christian Freigang
Bildskeptische Nachbildungsmodi der Passionstopographie Christi im Spätmittelalter: der Görlitzer Kalvarienberg
Spätestens seit dem Mittelalter stellen sich die heiligen Orte der Passion Christi stark verunklärt dar: vielfach überbaut, dekorativ eingekleidet und konkurrenziert durch erklärende Bilder, Devotionalienhändler, Lärm und anderes Profanes. Eine derartige spirituelle und materielle, geographische und soziologische Entrücktheit und Fremdheit der loca sancta wie des gesamten Heiligen Landes waren konstitutiv für ihre Wahrnehmung im lateinischen Westen. Denn die Verehrung der heiligen Stätten im Rahmen ihres konkreten oder auch mentalen Besuchs sowie ihre bildnerische oder literarische Nachbildung benötigten keine „historischen“ Beweise der authentischen Stätten: Die aus der Bibel verinnerlichte heilige Topographie, die Jesus mit seinen Füßen berührt und seinem Blut benetzt hatte, wurde trotz aller Beeinträchtigungen wie selbstverständlich wiedererkannt und im Realraum verortet.1 Gleichwohl ging es um Dokumentation und Erinnerung: Vor allem schriftlich notierte Maß- und Entfernungsangaben waren dabei über lange Zeit das wichtigste Instrument, eine geographische Kartierung und räumliche Konkretisierung vorzunehmen und zu tradieren sowie eine Matrix für die Imitatio Christi abzugeben. Es galt – und gilt – insbesondere, die heiligen Stätten somatisch und haptisch zu erfassen: Durch das Schritt für Schritt zu erfolgende Nachgehen des Leidensweges Jesu, das Küssen seiner Grabbank oder etwa das Abgreifen des Kreuzpfostenloches. Der Sehsinn war demgegenüber lange Zeit nachrangig. Auf solcher Grundlage war die Topographie der Passion in verschiedenste Medien umzusetzen: in schriftliche Pilgerberichte, in die gehörte oder gelesene geistliche Pilgerfahrt, in die Osterliturgie, aber auch in dauerhafte Nachbauten der Grabeskirche oder des Grabes Christi.2 1
2
Die moderne Forschung insbesondere zur Geschichte der Grabeskirche sei hier nicht diskutiert, eine intensive rezente Diskussion bietet: Denys Pringle: The Churches of the Crusader Kindgom of Jerusalem. A Corpus, Vol. III. The City of Jerusalem, Cambridge 2007, v. a. S. 6–72; Jürgen Krüger: Die Grabeskirche zu Jerusalem. Geschichte – Gestalt – Bedeutung, Regensburg 2000; zu den religiösen Bedeutungsverschiebungen von Jerusalem im Mittelalter vgl. Sylvia Schein: Gateway to the Heavenly City. Crusader Jerusalem and the Catholic West (1099–1187), Aldershot 2005. Vgl. allgemein Colin Morris: The Sepulchre of Christ and the Medieval West. From the Beginning to 1600, Oxford 2005; Justin E. Kroesen: The Sepulchrum Domini Through the
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Christian Freigang
Mit Ausnahme der Heilig-Grab-Anlage in Eichstätt übernehmen diese im Mittelalter bekanntlich die Originaldispositionen auf sehr allgemeine Weise. Dies hat einen wichtigen konkreten Grund sicher auch darin, dass präzise Übertragungsmedien und -techniken wie Bauzeichnungen nicht existierten bzw. sich nicht verlässlich anwenden ließen. Eindeutig schriftlich zu fassende und zu tradierende Abstands- und Entfernungsmaße stellten insofern das hauptsächliche Übertragungsmedium dar. Wie verfremdet die Nachbauten auch erscheinen mochten, es galt eben nicht primär, Formen der steinernen Überreste von Christi Wirken zu übertragen: Hingegen sollten entscheidende Momente von Passion und Auferstehung Christi, insbesondere die Absenz seines Leibes, über elementare räumliche Relationen zwischen dem öffentlichen Leiden des fleischgewordenen Sohnes Gottes, seinem Tod und seiner Auferstehung beziehungsweise – im Bezug auf die Grabeskirche – zwischen der Präsenz des Grabes und der übernatürlichen österlichen Entrückung des Bestatteten nacherlebbar gemacht werden.3 Eine derartige Wahrnehmung beziehungsweise die Konzentration auf im Wesentlichen schriftbasierte Übertragungsmedien ändert sich allerdings im 15. Jahrhundert. Die bildliche Dokumentation der Heiligen Stätten spielt nun eine wichtigere Rolle. Fallweise rechnen etwa die Pilgerberichte auch mit ergänzenden Bildmedien. Dies gilt für einen mehrfach überlieferten, im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts entstandenen Pilgerbericht eines bayerischen Anonymus: Von der Gestalt des Heiligen Grabes zu Jerusalem und des Heiligen Landes darum, dem eine Illustration der Anastasisrotunde beigefügt war. Die beiden um 1460/70 beziehungsweise Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen Kopien machen aber schlagartig das Problem der zeichnerischen Überlieferung architektonischer Formen deutlich: Die gemeinsame Vorlage ist jeweils unterschiedlich und vollständig missverstanden wiedergegeben (Abb. 1, 2).4
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Ages. Its Form and Function, Löwen u. a. 2000; Arwed Arnulf: Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike bis zum 16. Jahrhundert, München/Berlin 2004, v. a. Kap. IV; Ders.: Mittelalterliche Beschreibungen der Grabeskirche in Jerusalem, Stuttgart 1998. Christoph Petersen: Ritual und Theater. Meßallegorese, Osterfeier und Osterspiel im Mittelalter, Tübingen 2004 (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters; Bd. 125), v. a. S. 87–124; Britta Dümpelmann: Non est hic, surrexit. Das Grablinnen als Medium inszenierter Abwesenheit in Osterfeier und -bild, in: Carla Dauven-van Knippenberg u. a. (Hg.): Medialität des Heils im späten Mittelalter, Zürich 2009 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen; Bd. 10), S. 131–164. München, BSB, Cgm 845, f. 51v bzw. BSB, Cgm 1276, f. 23v; Frank Sczesny: Bairischer Anonymus „Von der Gestalt des Heiligen Grabes zu Jerusalem und des Heiligen Landes darum“, in: Randall Herz u. a. (Hg.): Fünf Palästina-Pilgerberichte aus dem 15. Jahrhundert, Wiesbaden 1998 (Wissensliteraturen im Mittelalter; Bd. 33), S. 23–96; Frederike Timm: Der Palästina-Bericht des Bernhard von Breidenbach und die Holzschnitte Erhard Reuwichs. Die Peregrinatio in terram sanctam (1486) als Propagandabericht im Mantel der gelehrten Pilgerschrift, Stuttgart 2006, S. 103–104 u. Abb. 8 und 9.
Bildskeptische Nachbildungsmodi der Passionstopographie Christi im Spätmittelalter
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Zur gleichen Zeit entsteht eine andere, in diesem Fall überaus talentierte zeichnerische Abbildung der Südseite der Grabeskirche, die der Paduaner Gabriele Capodilista 1458–59 seinem Pilgerbericht nach Palästina beifügte.5 Eine präzise bildliche Schilderung der heiligen Stätten ist schließlich auch dem Pilgerbericht des Konrad Grünemberg von 1486 zu entnehmen, der seine Reisestationen in großformatigen und detailgenauen Stadt- und Architekturansichten dokumentiert, darunter auch die Südseite der Grabeskirche und die Grabädikula.6 Trotz aller Detailgenauigkeiten sind aber auch diese Darstellungen perspektivisch verzogen und die Proportionierung fehlerhaft. Offenbar um solchen mimetischen Inkonsistenzen zu begegnen, unternimmt der Mainzer Domkanoniker Bernhard Breidenbach seine Palästinafahrt im Jahre 1483 gezielt in Begleitung eines professionellen Malers, Erhard Reuwich.7 Und dieser wird in der Tat – unterstützt durch die massenhafte Vervielfältigung des Bilddrucks – ein weithin autoritatives Abbild von Grabeskirche und Grab Christi schaffen (Abb. 3).8 Diese Beispiele belegen zur Genüge das seit Ende des 15. Jahrhunderts neu eintretende Interesse an der direkten visuellen Wahrnehmung der Passionsstätten – ein Phänomen, das im weiteren Sinne in die frühe archäologische Erkundung der (antiken) Welt und auch des Heiligen Landes einzuordnen ist.9 Im Folgenden soll diese Thematik an einer ebenso bekannten wie eigenartigen Nachbildung der Passionstopographie weiter erläutert werden, der Heilig-Grab-Anlage in Görlitz, die dank der Monographie von Till Meinert und weiterer rezenter Studien sehr gut untersucht ist.10 Besonderes Interesse 5 6
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Handschriftlicher Pilgerbericht in Privatbesitz, Bl. 79v, s. Timm 2006 (wie Anm. 4), S. 104 und Abb. 11. Andrea Denke: Konrad Grünembergs Pilgerreise ins Heilige Land 1486. Untersuchung, Edition und Kommentar, Köln u. a. 2011 (Stuttgarter Historische Forschungen; Bd. 11). Die besten Illustrationen der Grabeskirche und der Grabädikula sind überliefert im Karlsruher Manuskript Bad. LB Karlsruhe, St. Peter pap. 32, 44r bzw. 45v (Abb. 13 und 15 bei Denke). Timm 2006 (wie Anm. 4), S. 101–111 und 280–285; Breydenbach, Bernhard von: Peregrinatio in terram sanctam… Mainz 1486 (, zuletzt eingesehen am 29. Aug. 2013), f. 7v. Stephan Hoppe und Sebastian Fitzner: Das frühe Studium der Architektur Jerusalems. Zu zwei unbeachteten Zeichnungen im Zusammenhang mit Erhard Reuwichs Reise ins Heilige Land (1483/84), in: Hanns Hubach u. a. (Hg.): Reibungspunkte. Ordnung und Umbruch in Architektur und Kunst. Festschrift für Hubertus Günther, Petersberg 2008, S. 103–114. Birgit Ulrike Münch: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Bildern und Texten der Konfessionalisierung. Druckgraphik von der Reformation bis zu den jesuitischen Großprojekten um 1600, Regensburg 2009, v. a. Kap. IX (S. 228–252). Marius Winzeler: “Elende Spielerei” und “wichtiges Werk” für “ein frommes Gehmüth”. Das Heilige Grab in Görlitz – ein symbolischer Garten des Mittelalters im Wandel der Zeit, in: Topiaria helvetica, Jg. 2006, S. 43–53; Ines Anders und Marius Winzeler (Hg.): Lausitzer Jerusalem. 500 Jahre Heiliges Grab zu Görlitz. AK Görlitz 2005; Till Meinert:
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erheischt die Anlage nicht allein deshalb, weil hier eine erstaunlich genaue Kopie der Grabädikula verwirklicht wurde, sondern vor allem, weil sich hier historische Authentizität mit einer Ablehnung illustrierender Passionsbilder verbindet, und zwar in erstaunlicher konzeptueller Dichte. Insoweit wird in dem Ensemble eine Bilderskepsis wirksam, die es zu einem wichtigen Beispiel vorreformatorischer Bestrebungen macht. Die Anlage wurde vom Rat der Stadt Görlitz, wohl unter starker Beteiligung des Bürgermeisters und Jerusalempilgers Georg Emmerich, seit den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts errichtet und in mehreren Phasen bis spätestens 1520 vollendet.11 Das Ensemble war der Endpunkt eines schon in der Zeit um 1500 eingerichteten, zunächst wohl bilderlosen Kreuzwegs, der von der Peterskirche in Görlitz als dem Haus des Pilatus seinen Ausgang nahm.12 Auf einem Bergrücken westlich vor der Stadt endet der Kreuzweg in einem umfriedeten Garten mit drei Kleinarchitekturen. Dieses Terrain wurde ursprünglich als Friedhof für Hingerichtete und ungetaufte Kinder genutzt; spätestens seit Mitte des 15. Jahrhunderts stand hier bereits eine Kreuzkapelle. Der Bezirk verstand sich seit der Umgestaltung als Evokation des Gartens, in dem das Grab Christi nach Joh 19, 41 angelegt wurde; drei eigens gepflanzte Linden vergegenwärtigten die drei Kreuze, der nördlich passierende Lunitzbach war seit dem 16. Jahrhundert als Kidron bekannt. Daran angrenzend entstand aus einem Obstgarten der Garten Gethsemane, mit einer Baumweide bzw. einem Ahorn als Ersatz für einen Ölbaum.13 – Vom Eingang in die Kalvarienstätte aus trifft man zunächst auf die sogenannte Kreuzkapelle mit der Vergegenwärtigung des Kreuzigungsgeschehens (Abb. 4, 5, 8, 9). Der Bau, als erster Teil der Gesamtlage bis ca. 1500 vollendet, bietet sich als eine steil aufragende, zweigeschossige spätgotische Kapelle dar, in deren Erdgeschoß das Grab Adams evoziert wird, während im Obergeschoß ein Teil des Golgathafelsens mit den Pfostenlöchern der drei Kreuze nachgebildet ist (Abb. 5). Unmittelbar nördlich der Kreuzkapelle steht als Umbildung des
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Die Heilig-Grab-Anlage in Görlitz. Architektur und Geschichte eines spätmittelalterlichen Bauensembles, Esens 2004; Ernst-Heinz Lemper: Die Kapelle zum Heiligen Kreuz beim Heiligen Grab in Görlitz, in: Elisabeth Hütter u. a. (Hg.): Kunst des Mittelalters in Sachsen. Festschrift Wolf Schubert, dargebracht zum 60. Geburtstag am 28. Januar 1963, Weimar 1967, S. 142–157; Gustav Dalman: Die Kapelle zum Heiligen Kreuz und das Heilige Grab in Görlitz und in Jerusalem. s. l. n. d. [Görlitz 1916]; Gustav Dalman: Das Heilige Grab in Görlitz und sein Verhältnis zum Original in Jerusalem, in: Neues Lausitzisches Magazin 91 (1915), S. 198–244 (hier auch eine Zusammenstellung der Quellen); allg. s. a. weiterhin Karl Alois Kneller: Geschichte der Kreuzwegandacht von den Anfängen bis zur völligen Ausbildung, in: Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter, 25. Ergänzungsband (Ergänzungsheft 98), Freiburg 1908, S. 1–216. Meinert 2004 (wie Anm. 10), passim; Winzeler 2006 (wie Anm. 10), S. 45–46. Meinert 2004 (wie Anm. 10), S. 354–357. Zuletzt Winzeler 2006 (wie Anm. 10), S. 44–45.
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Salbsteins, auf dem der Leichnam Jesu zur Grablegung vorbereitet wurde, ein Schutzbau, der eine skulpturale Beweinungsdarstellung Hans Olmützers (?) mit Maria und dem tot vor ihr liegenden Sohn birgt (später mit einem Salbgefäß erweitert und als Salbung durch Magdalena interpretiert; Abb. 6). In etwa dreißig Meter Entfernung davon erhebt sich eine wohl ab ca. 1500 errichtete, erstaunlich exakte Nachbildung der Grabädikula Christi (Abb. 7, 8). Insgesamt entspricht die Anordnung der drei Stationen maßgleich ihrem Jerusalemer Vorbild, auch gibt die Kreuzkapelle in ihrer Zweigeschossigkeit mit Adamskapelle unten und Golgathafelsen oben die Disposition der Kalvarienkapelle der Grabeskirche wieder (Abb. 11).14 Auch die klar vorgegebene Stationenabfolge Golgatha – Salbstein – Grabädikula ist gut mit dem Jerusalemer Pilgerparcours vergleichbar (Abb. 13).15 Anders aber als in anderen Nachbildungen dieser Topographie, wie etwa gleichzeitig im hessischen Weilburg oder in Nürnberg, verzichtete man in Görlitz eben auf die Nachbildung der großen Rotunde, die das eigentliche Grabmal umfängt. Es geht in Görlitz nicht um die architektonische Nachbildung der architektonischen Hülle des Passionsgeschehens; diese ist vielmehr gleichsam abgenommen, um solchermaßen die drei Hauptstationen umso prägnanter freilegen zu können. Die Evokation des Passionsgeschehens wird in den drei Baulichkeiten auf jeweils unterschiedliche Art und Weise verwirklicht. Dennoch lassen sich gewisse prinzipielle Gemeinsamkeiten feststellen. Das Salbhäuschen birgt in vertrauter Weise eine skulpturale Darstellung und repräsentiert bildlichnarrativ den verehrten Ort – eben den Salbstein, ohne dass dieser etwa eigens nachgebildet wäre. Anders verhält es sich mit der Kreuzkapelle: Im Erdgeschoß haben wir es, kenntlich am Altar, mit einem liturgisch genutzten Raum zu tun, der aufgrund seiner Lage unter dem Golgathafelsen als Grab Adams zu interpretieren ist. Darüber erreicht man über eine außen angebrachte Treppe, deren Stufenabfolge genau derjenigen in der Jerusalemer Golgathakapelle entspricht, den eindeutig nicht liturgisch genutzten Hauptraum: Im Osten erstreckt sich, bühnenartig um eine Stufe erhöht, ein Streifen rauen Mauerwerks, in dem drei Löcher für die Kreuzpfosten eingelassen sind, außerdem etwas südlich von der Mittelachse eine Rinne, die das Blut Christi zu dem Felsenspalt führt, der sich gemäß Mt 27, 51–52 auftat, während im Moment von Christi Tod der Vorhang im Tempel zerriss (Abb. 5). Außerdem ist auf dem Boden der Oberkapelle eine reliefierte Nachbildung der INRI-Tafel vor dem 14 15
Dalman 1915 und Dalman 1916 (wie Anm.10), passim. Vgl. z. B. Sczesny 1998 (wie Anm. 4), S. 54–56; Denke 2011 (wie Anm. 6); Hans-Georg Böhme: Zur Leiden-Christi-Verehrung im Spätmittelalter. Bau- und religionsgeschichtliche Untersuchungen auf Grund der Weilburger Passionskultstätte, in: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 62 (1951), S. 67–97.
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mittleren Kreuzloch zu sehen. Auch dies ist ein direkter Bezug auf die Evangelientexte (Mk 15,16 und Joh 19,19–22). In der Nordostecke erhebt sich ein steinerner Tisch mit einem vergitterten Repositorium, in dem sich drei Würfel als Assoziation an die in allen Evangelien berichtete Verteilung des Rockes Christi unter den Soldaten befinden. Diese Würfel sind eine Ergänzung des 17. Jahrhunderts, sollen aber ältere ersetzt haben.16 Zudem hat der Baumeister in das Mauerwerk der Kapellenostwand einen künstlichen, aber verblüffend realistisch gestalteten Riss eingearbeitet, der in Fortsetzung der Bodenrinne im Obergeschoß das Erdgeschoß durchzieht (Abb. 9, 10). Die göttliche Naturgewalt scheint das Kapellengebäude als fiktiven Ort des Geschehens also selbst getroffen zu haben. Auch ein weiteres Merkmal des Gebäudes kann man dahingehend interpretieren, dass dem Gebäude eine künstliche Chronologie eingeschrieben wurde: An den Außenseiten sind in eigenartiger, statisch sinnloser Weise strebepfeilerartige Gebilde in Höhe des Obergeschosses ausgekragt, die nach einigen Lagen wieder abbrechen (Abb. 10). Man kann dies aus bauarchäologischen Gründen nicht als echte Bauplanänderung deuten, wie Ernst-Heinz Lemper vorschlägt, sondern muss diese eigenartige Unregelmäßigkeit als eine künstlich inszenierte Reparatur des Gebäudes auffassen – gleichsam so, als sei der obere Bereich nach einer Zerstörung ohne Strebepfeiler wiedererrichtet worden.17 Eigenartigerweise kommt diese vielschichtige Evokation von Golgatha ohne die ansonsten so häufige bildlich-skulpturale Repräsentation des Kreuzigungsgeschehens aus, etwa in Form einer großformatigen Kreuzigungsgruppe.18 Zwar gibt es Hinweise auf eine tragbare Christusfigur, die bei Passionsspielen in und vor allen drei Baulichkeiten mitgeführt wurde, ansonsten aber keinen Hinweis auf dauerhafte Illustrationen der Passion.19 Stattdessen 16 17
18
19
Winzeler 2006 (wie Anm. 10), S. 48. Meinert 2004 (wie Anm. 10), S. 43–47; für die Deutung als echte Baunaht Lemper 1967 (wie Anm. 10); nach Dalman 1915 (wie Anm. 10), S. 201, wurde die Unregelmäßigkeit noch 1721 als Reparatur eines Blitzschlages gedeutet. Winzeler 2006 (wie Anm. 10), S. 48, interpretiert den Riss in der symbolischen Grabstätte Adams als Auflösung des Alten Bundes durch das Erlösungswerk Christi. Zu fragen wäre allerdings, wie eine solche synagogale Konnotation der Unterkapelle sich mit ihrer tatsächlichen Nutzung als christlicher Kirchenraum verbindet. Das Kruzifix, das wir heute im Obergeschoß der Görlitzer Kapelle sehen, ist eine spätere Zutat. Eine heute in der Görlitzer Dreifaltigkeitskirche befindliche plastische Darstellung von Christus im Elend kann nur hypothetisch als Teil eines alten Ausstattungsprogramms der Kapelle gedeutet werden. Dalman 1915 (wie Anm. 10), S. 239. Winzeler 2006 (wie Anm. 10), S. 48, nimmt an, dass bei Passionsspielen ein echtes Kreuz in das Loch gesteckt wurde. Allerdings spricht das relativ niedrig eingesetzte Gewölbe, unter dem man zumindest kein großes Kreuz manövrieren kann, gegen diese Annahme; auch ist schlecht vorstellbar, wie ein sperriges Kreuz über die recht schmale Treppe in die Oberkapelle bei Prozessionen gebracht werden konnte.
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konzentriert sich die Ausgestaltung auf die Nachbildung von Spuren und Realien des Geschehens bei Christi Tod – und zwar ausschließlich von solchen, die in den Evangelientexten selbst zu belegen sind.20 Requisiten, die in den biblischen Texten nicht konkret erwähnt sind, also etwa die ansonsten in Passionsdarstellungen regelmäßig abgebildeten Kreuzigungsnägel oder das Schweißtuch der Veronika, fehlen. Die „Installation“ im Übergeschoss der Kreuzkapelle präsentiert auch keinerlei Gegenstände reliquienähnlichen Charakters – mit Ausnahme der, allerdings in ihrem originalen Bestand fraglichen, Würfel als durchaus vertrautem Bestandteil der „Arma Christi“. Die Auswahl der Gegenstände ergibt sich am ehesten aus den Angaben des biblischen Berichts einerseits und der Ausstattung der zugehörigen Orte in der Grabeskirche andererseits. Die Adamsgrotte, die Felsspalte, das Pfostenloch in einer Marmorplatte sowie ein seitlicher Altartisch bilden die wesentlichen Kultorte der Golgathakapelle in Jerusalem.21 Gewissermaßen dort eingefügt sind die Würfel als Relikte aus der Mantelverteilung, die in der Achskapelle der Grabeskirche, also einige Meter entfernt von Golgatha, kommemoriert wird. Die dergestalt inszenierten Spuren und Überreste rekurrieren aber in keinster Weise auf ihre bauliche Umfassung in Form der Grabeskirche, sie sind vielmehr als topographische Inseln der historischen Passion herauspräpariert. Damit erzählen und aktualisieren sie zugleich das Vergangene: Das Erdbeben beim Tod Christi – so ergibt sich aus der inneren Logik der Gesamtanordnung – hat unabweisbar stattgefunden, hat es doch die Kapelle gespalten; die Leichname der Gekreuzigten sind abgenommen, die Kreuze entfernt, übriggeblieben sind die INRI-Tafel und die Würfel. Wir sind gleichsam zu spät am Ort, Christi Leiden hat stattgefunden, und sein Körper ist absent, doch gleichwohl attestiert die Kombination von Kreuztafel, Kreuzloch und Würfel die Authentizität der heiligen Stätte. Mehr noch: unabweisbar scheint sie erst kürzlich vom Geschehen beim Tod Christi getroffen worden ist: Denn es ist ja unverkennbar diese moderne gotische Kapelle in Görlitz – nicht eine „unechte“ Nachbildung der alten Stätte –, die von dem Erdbeben in der Todesstunde in ihren Grundmauern erschüttert wurde, wie der Riss im Mauerwerk deutlich macht. Der Riss beginnt in dem künstlichen gewachsenen, „alten“ Felsenstreifen im Obergeschoß, zieht sich von dort durch das „moderne“ Mauerwerk in der Ostwand des gotischen Baues: Beides gehört untrennbar in eine Ereignisschicht. 20
21
Das im Mittelalter als Textvorlage weit verbreitete und gerade für die Ikonographie des Passionsgeschehen wichtige sog. Nikodemusevangelium kompiliert in den das Kreuzigungs- und Grablegungsgeschehen betreffenden Passagen ebenfalls ausschließlich die Evangelientexte; vgl. H. C. Kim: The Gospels of Nicodemus. Gesta Salvatoris, Toronto 1973; Jörg Röder: Evangelium nach Nikodemus, , Aufruf am 8.1.2013. Dalman 1915 (wie Anm. 10) und Dalman 1916 (wie Anm. 10), passim.
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Angesichts dieser gezielten Präsentationen von fragmentierten Spuren der Passion bei gleichzeitigem Verzicht auf erzählende Bilder wird die Evokation des Passionsgeschehens resolut in den Bereich der – allein zum Himmlischen Jerusalem führenden!22 – seelischen Imagination verwiesen, die sich nachdrücklich absetzt von den allein übergebliebenen realen und in evidenter Weise fragmentierten, in sich unbedeutenden irdischen Spuren des Geschehens. Dieses ist einerseits als gleichsam kürzlich Vergangenes inszeniert, in dessen zeitlichem Kontinuum die Absenz des Körpers Christi markant hervortritt. Andererseits muss das Ensemble auch als etwas archäologisch und historisch Vermitteltes verstanden werden: Denn jedermann wusste natürlich, dass die so realistische Wiedergabe der Überreste an die originale historische Topographie in der Jerusalemer Grabeskirche rückgebunden war. Die Görlitzer Kreuzkapelle präsentiert keine illustrativen Bilder als Erinnerung und affektive Persuasion, sondern präpariert die Funktionsweise des Passionsgedenkens, wie es in Jerusalem zu erleben ist, heraus und modelliert sie aktualisierend um. Was dort als kruder Überrest, teilweise schwer zugänglich und/ oder überbaut, zu besichtigen war, um die Imagination zu speisen, wird in Görlitz gleichsam isolierend und konzentrierend herausgestellt und zugleich in einen kohärent funktionierenden Gesamtzusammenhang eingefügt: Der gespaltene Fels über dem Grab Adams fungiert als Stelle der Kreuzlöcher, neben denen einige Überreste gleichsam unabsichtlich vergessen worden zu sein scheinen. Diese Strategie wird am dritten Bau des Görlitzer Kalvarienberges, der Grabädikula, nochmals variiert (Abb. 7). Sie besteht außen aus einem quadratischen Vorbau, dem ein halbrunder Anbau mit einer Blendarkatur über sieben Säulchen angegliedert ist. Darüber erhebt sich eine offene Baldachinarchitektur über sechs Säulchen, abgeschlossen von einem weit auskragenden, klar orientalisierenden Kranzgesims und einer kleinen Kuppel darüber. An der Eingangsseite im Osten sind gerahmte Tafeln angebracht, von denen zwei balustradenartig an den Ecken der Traufkante aufragen und mit Reliefdarstellungen von Salbgefäßen versehen sind. Im Inneren öffnen sich zwei kleine Räume: der Vorraum mit einer barocken Engelsfigur und, über eine niedrige Tür zugänglich, die völlig dunkle Grabkammer, ursprünglich ohne Grabbank. Vor der Ädikula liegen, ein Rechteck umfassend, drei Quader als Abbildung der Schlafplätze der Grabwächter. Insgesamt stellt sich die Kapelle als im Kontext der spätgotischen Architektur unmissverständlich exotisch und altertümlich dar. 22
Ursula Ganz-Blättler: Andacht und Abenteur. Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320–1520). Tübingen 1990 (Jakobus-Studien, Bd. 4), S. 258; Wieland Carls (Hg.): Felix Fabri, Die Sionpilger, Berlin 1999 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 39), passim.
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Meinert hat überzeugend gezeigt, dass der Bau in erstaunlich präziser Weise den Baubestand der Grabädikula in der Grabeskirche in der Zeit um 1500 wiedergibt. Allerdings diente als Vorbild nicht das „Original“, sondern eine Kompilation von Maß- und Dispositionsangaben aus verschiedenen Pilgerberichten. Diese wurden offenbar gemäß dem Holzschnitt des Grabmonuments von Erhard Reuwich angeordnet, der den 1486 erstmals gedruckten Pilgerbericht des Bernhard von Breidenbach illustriert (Abb. 3).23 Reuwich hatte das Bauwerk zweifellos im Original studieren können und bildete es in seinem zeitgenössischen Zustand in weitgehender Detailtreue ab. Ob er dabei wiederum auf venezianische Vorlagen zurückgriff, wie angenommen, bleibt selbst nach der jüngst erfolgten Identifizierung der Zeichnungsvorlagen für Reuwichs Drucke spekulativ.24 Trotz aller überraschenden Ähnlichkeiten mit dem Jerusalemer Grabbau stellt also nicht dieser selbst, sondern Reuwichs Holzschnitt das Urbild für den Görlitzer Nachbau dar. Dass der Erbauer der Görlitzer Grabkopie auf den Holzschnitt rekurrierte, ist aber nicht nur einer opportunen Verpflichtung auf eine dem Illustrator gleichsam a priori zugestandene „Originaltreue“ zu verdanken. Reuwichs Illustrationen in Breidenbachs Pilgerbericht geben bekanntermaßen nicht nur die Grabädikula in erstaunlicher Präzision wieder, sondern auch die Südseite der Grabeskirche sowie zahlreiche Stadtansichten u. a. von Jerusalem (Abb. 12).25 Auch wenn Reuwich dabei auch fremde Bildvorlagen verarbeitet oder gar kopiert hatte, in ihrer detailgenauen Präzision sowie der talentierten Beherrschung von Perspektive und innerbildlichen Proportionierungen waren die Illustrationen sofort von den meist dilettantischen Reiseskizzen anderer Palästinafahrer zu unterschieden. Zudem attestierte der lateinische Text von Breidenbachs Buch, dass er den „ingeniosum et eruditum pictorem“ eigens zur Dokumentation auf die Reise mitgenommen habe, „locorum dispositiones, situs et figuras, quoad magis proprie fieri posset artificiose effigiaret.“26 23
24 25 26
Meinert 2004 (Anm. 10), S. 275–278; Timm 2006 (Anm. 4), s. hierzu die sehr kritische Rezension von Falk Eisermann, in: IASLonline [04.11.2009] URL: , Datum des Zugriffs: 07.01.2013; Breydenbach 1486 (wie Anm. 7); Bernhard von Breydenbach: “Peregrinatio in terram sanctam”, erste deutsche Ausgabe von Peter Schöffer, Mainz 1486, hg. v. Andreas Klußmann, Faksimile Saarbrücken 2008; Bernhard von Breydenbach, 1440–1497: Peregrinatio in terram sanctam : frühneuhochdeutscher Text und Übersetzung = Eine Pilgerreise ins Heilige Land, hg. von Isolde Mozer, Berlin [u. a.] 2010; zum Zustand der Grabädikula um 1500 s. Martin Biddle: Das Grab Christi. Neutestamentliche Quellen – historische und archäologische Forschungen – überraschende Erkenntnisse. Gießen/Basel 1998 (Biblische Archäologie und Zeitgeschichte, Bd. 5), S. 104–118. Timm 2006 (wie Anm. 4), S. 189–194 und 308–313. Zu den Druckvorlagen Hoppe und Fitzner 2008 (wie Anm. 8). Hierzu ausführlich Timm 2006 (wie Anm. 4), v. a. S. 178–189. Breydenbach 1486 (wie Anm. 7), f° 7v.
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Entscheidend ist, dass diese Bilder über den Buchdruck sofort nachhaltige Verbreitung fanden und damit den individuellen und oft unprofessionellen Jerusalemskizzen ein massenhaft verbreitetes glaubwürdiges Bild gegenüberstellten. Sie sollten insofern umgehend die Bilderwelt vom Orient und von den Jerusalemer Monumenten nachhaltig prägen. Für die Überzeugungskraft der Reuwichschen Bilder gibt es eine aussagekräftige Quelle: Der ausführliche, 1484–88 verfasste Pilgerbericht des Ulmer Dominikaners Felix Fabri, das Evagatorium in Terram Sanctam, macht mehrfach auf die Bedeutung der Bilder Reuwichs aufmerksam. Fabri hatte auf seiner zweiten Palästinareise die Gruppe von Breidenbach begleitet, war also über die Tätigkeiten Reuwichs genauestens informiert. Dessen Illustrationen sind vor allem deswegen ausdrücklich hervorgehoben, weil sie die Ansichten nachbilden würden, die sich dem Pilger an den Originalstätten böten. Es geht also nicht um die objektiven Gegebenheiten der loca et monumenta sancta, sondern um ihre vedutenhaften Bildeindrücke, die sie im Auge und Herzen des Pilgers erzeugen. Vom Vorhof der Grabeskirche etwa heißt es bei Fabri: „Wenn Du aber begehrst, die Form jenes Tempels zu sehen, schaue im Pilgerbuch des Bernhard von Breidenbach nach, und dort ist klar ihr gemaltes Abbild anzuschauen (depictam ejus effigiem [...] intuebitur), als ob Du im Vorhof der Kirche stündest und blicktest“ (Abb. 12).27 In ähnlicher Weise wird auch – fast gleichlautend zu Breidenbachs eigener Bemerkung – die visuelle Zeugenschaft des qualitätvollen Abbildes bei der Beschreibung der Grabesädikula hervorgehoben: Fabri stellt nämlich einführend heraus, dass es sich um den heutigen Zustand handele („prout hodie stat“), wie er auch im Pilgerführer Breidenbachs „dem Auge offenstehe (ad oculum patet)“.28 Die Blickwinkel, die Reuwichs Illustrationen offerieren, sind tatsächlich nicht aus Gründen innerbildlicher Abbildungslogik – etwa um möglichst viele Ansichten in einem Bild zu kombinieren – gewählt, sondern sie entsprechen konkreten Bildeindrücken der Pilger. Von diesen hat Reuwich den Beginn und 27
28
Fratris Felicis Fabri Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem, hg. v. Konrad Dieter Hassler, 3 Bde. Stuttgart 1843–49 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart; 2–4), Bd. I, S. 344 : „Si quis autem cupit videre formam huius templi, videat peregrinale [...] Bernardi de Braitenbach [...] et ibi depictam ejus effigiem adeo clare intuebitur ac si in atrio ecclesie staret et videret.“ Fabri, Evagatorium (wie Anm. 27), Bd. I, S. 329–330: „Ecce, illa est dominici monumenti descriptio, prout hodie stat; et haec descriptio ad oculum patet in peregrinali, quod fecti magnificus et ingenuus vir, Dominus Bernhardus de Braitenbach ... qui fuit comes meae secundae peregrinationis, in quo artificiali effigiatione fecit figuram dominici monumenti depingi, sicut et alia, ut patebit. Receperat enim secum ingeniosum et eruditum pictorem, quem pretio conduxit, qui a venetiano portu et deinceps potiorum civitatum et locorum habitudines et formas figuraret, quo det magistraliter et proprie fecit. Cui ergo placet, eandem picturam inspiciat, et praefatam descriptionem clare intelliget.“
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den Höhepunkt der Besichtigung der Grabeskirche illustriert: Den Blick des Eintretenden in den Hof auf das Portal im Südquerhaus – auch heute noch die einzige unverbaute Außenseite der Kirche – sowie die Grabädikula. In deren Fall ist der Blickwinkel derart gewählt, dass sich der Zeichner schräg vor dem Monument befunden haben muss, mithin auf dem Weg vom Golgathafelsen über den Salbstein zum Christusgrab, eben der üblichen – von Franziskanermönchen streng geführten – Hauptstrecke des Parcours (Abb. 13).29 Allerdings ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass Reuwich in Vorzeichnung und Holzschnitt einen Blickwinkel nordöstlich von der Ädikula zeigt, während der Pilgerweg südöstlich auf sie führte. Eben dies ist nun aber auch in Görlitz zu beobachten, denn vom Salbstein kommend, stellt sich die Grabädikula in eben derselben Drehung wie in der Grabeskirche dar (und wie sie – allerdings seitenverkehrt – auch bei Reuwich wiedergegeben ist). Dem geistlichen Pilger, der sich im Angesicht von Reuwichs Holzschnitt den Besuch der heiligen Stätten imaginieren kann, wird also in Görlitz eine dreidimensionale Umsetzung geboten. Der geistliche Pilger wird gleichsam zum weltlichen Wallfahrer, der den richtigen Weg in der Grabeskirche nehmen kann, die richtige Anzahl von Schritten vollführt und gar der visuell entsprechenden Kopie der Grabädikula ansichtig wird. Zuvor hatte er Handlungen imitieren können, die denjenigen der Pilger am Golgathafelsen entsprachen: die Wahrnehmung der Felsenspalte oder das Abgreifen und Ausmessen der Tiefe der Kreuzpfostenlöcher. Dabei folgte der Jerusalempilger mit diesem Parcours auch biblischen Personen, insbesondere den Heiligen Frauen als Zeuginnen von Christi Tod und Auferstehung. So soll die Mutter Jesu nach dem Tod ihres Sohnes die Orte von dessen Passion trauernd abgegangen haben. Auch im Zusammenhang der geistlichen, fiktiven Pilgerfahrten ist die Identifikation des Pilgers mit den heiligen Frauen, insbesondere Maria Magdalena, verbreitet.30 Derartige Identifikationsoptionen lassen sich auch für die Inszenierung der Görlitzer Anlage feststellen. Mit dem Erdboden der Kreuzigung, den Assoziationen auf Christi Entkleidung und seinen Mantel, seine Vorbereitung zur Grablegung und Einhüllung in das weiße Grabtuch sowie vor allem mit dem leeren Grabmonument wird markant auf den Körper Christi, seine ersehnte Präsenz und gleichermaßen heilsstiftende Absenz verwiesen und damit ein Erlebensspektrum aktiviert, das biblisch insbesondere Maria und Maria Magdalena zuteil geworden war.31 Die Pilger treten gleichsam an 29 30
31
Denke 2011(wie Anm. 6), S. 165–166. In der um 1420 entstandenen „Geistlichen Meerfahrt“ der Margarete Ursula von Masmünster etwa sollen die Pilger nach Kreuzabnahme und Grablegung “gehen und suchen das heilige Grab und da warten des fröhlichen Ostertags mit Maria Magdalena und mit allen zwölf Boten“. Carls 1999 (wie Anm. 22), S. 39. Dümpelmann 2009 (wie Anm. 3), S. 155–158.
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die Stelle der Zeugen der Auferstehung, können stellvertretend das Mysterium der Absenz Christi erleben und nicht bloß rezeptiv nachvollziehen.32 In der Görlitzer Realieninszenierung sind für diese Rollen – mit Ausnahme des Salbhäuschens - Leerstellen formuliert, in die die Besucher eintreten können. Wenn dabei die Überreste des Geschehens derart detailgenau auf die wahren loca sancta verweisen, steigert dies das identifikatorische Moment beträchtlich und macht vor allem die mystische Absenz des Körpers Christi redundant und konkret erfahrbar: als vom Kreuz abgenommener und bestatteter Leichnam Jesu wie als aus der Grabeshöhle auferstandener Christus. Dabei dient die formale Angleichung der Requisiten an die Jerusalemer Topographie sicherlich nicht einer imaginierten „historistischen“ Versetzung an den „Originalschauplatz“, sondern bezeugt die heilsstiftende Authentizität, die nunmehr nicht primär liturgisch vermittelt wurde. Wenn im liturgischen Zusammenhang Grablegung und Auferstehung durch symbolische depositiones von Kreuzen, Hostien oder Christusfiguren bzw. deren darauffolgendes Fehlen theatral „enthüllt“ wurde, so wird diese inszenatorische Sakralisierung im Fall Görlitz durch die formale Angleichung an das wahre Grab Christi in Jerusalem ersetzt. Dass hier kein biblisches Diorama errichtet wurde, macht nicht zuletzt die zeitgenössische Baustruktur der Kreuzkapelle deutlich: man betritt sie als eine Stätte, die unabweisbar vom Erdbeben zur Todesstunde Jesu getroffen worden ist – sonst hätte sie noch kein gespaltenes Mauerwerk – , ohne dass hier in irgendeiner Weise versucht wurde, den Golgathafelsen integraliter historisch zu rekonstruieren. Es handelt sich in Görlitz insgesamt um eine doppelte Strategie: Zum einen werden die Stätten des Heiligen Landes archäologisch-historisch rekonstruiert, zum anderen werden die Pilger in einen authentischen, aber fragmentierten topographischen Rahmen einbezogen, der mit einer rein imaginativen Vervollständigung der Nachfolge Christi auszufüllen ist. Gerade im Vergleich mit den üblichen literarischen und bildlichen Ausschmückungen des Kreuzigungsgeschehens wird die Besonderheit der Görlitzer Inszenierung deutlich.33 Es gibt keinerlei die Meditation und die Affekte persuasiv stimulierenden oder 32 33
Der Sachverhalt ist ebenfalls ein entscheidendes Kriterium der performativen Struktur von Passionsspielen, vgl. Petersen 2004 (wie Anm. 3). Frederick P. Pickering: Das gotische Christusbild. Zu den Quellen mittelalterlicher Passionsdarstellungen, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 3. F., 47 (1953), S. 16–37; Frederick P. Pickering: Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter, Berlin 1966 (Grundlagen der Germanistik; Bd. 4), v. a. zu Kreuzigung S. 146–192; Tobias A. Kemper: Die Kreuzigung Christi. Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passionstraktaten des Spätmittelalters, Tübingen 2006; James H. Marrow: Passion Iconography in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance. A Study of the Transformation of Sacred Metaphor into Descriptive Narrative, Kortrijk 1979 (Ars Neerlandica; Bd. 1); Münch 2009 (wie Anm. 9).
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die geistige Erbauung kommentierenden Verweise, dafür aber wählte man allein Requisiten, die durch den „originalen“ Evangelienbericht verbürgt waren, und orientierte sich in bildlich imitatorischer Detailtreue an der Topographie des Todes Christi. Insofern handelt es sich um eine radikale Reduktion der passionsgeschichtlichen Grundmotive, die in den Stationen von Kreuzkapelle und Grabädikula zwar konkret benannt sind, aber nur noch als Atteste von wahren Orten fungieren. Ihre Interpretation hat vollständig in der imaginativen Vervollständigung durch Gebete zu erfolgen. An die Stelle erläuternder Bilder oder Texte ist offenbar eine neue archäologisch-historische Treue getreten. Zur Begründung könnte man annehmen, dass die Görlitzer Kopie der Grabesädikula in ihrer visuellen Treue zu diesem Kulminationsort jeder Palästinafahrt eine erhöhte sakrale Potenz beziehungsweise Verehrungswürdigkeit beanspruchen konnte. Immerhin wurden massenhaft Stein- und Erdpartikel von den heiligen Stätten entfernt, die dann zu Reliquiaren umgebaut bzw. in diese eingefügt wurden.34 Diese wurden allerdings nicht zu den Baulichkeiten „vervollständigt“, denen sie entnommen worden waren. Auch scheinen solche Entnahmen vor allem für die Fuß- und Erdböden als den Flächen zu gelten, die Jesus betreten bzw. mit seinem Blut benetzt hatte. Berührungsreliquien wurden offenbar insbesondere von der Grabbank Christi, weniger von beliebigen Stellen der Ädikula genommen. Dies zusammengenommen, kann die Grabesädikula wohl nicht als eine Art Reliquiar zur Umhüllung der Sekundärreliquie der Grabbank gelten. Insofern hatte ihr bloßes Ansichtigwerden als bildliche oder architektonische Kopie wohl keine heilsstiftende oder sündenerlassende Wirkung, wohl aber eine die Passionsmeditation stimulierende. Die Gründe für die mimetische Treue der Heiligen Stätten in Görlitz sind eher darin zu suchen, dass das Heilige Land im Spätmittelalter zunehmend in einer historischen Perspektive aufgefasst wird, in der Authentizität nicht nur topographisch, sondern auch chronologisch erfahren werden will. Dies zeigt sich seit dem 15. Jahrhundert innerhalb des Spektrums einer zunehmend subjektiven Erfahrung des Heiligen Landes, wie es in den Reiseberichten als den wesentlichen Medien der Rezeption Palästinas zu fassen ist.35 Die vormalige 34
35
Z. B. Kreuz aus Tongern, E. 13. Jh., Halberstadt, Reliquientafel; Kistchen mit Steinen aus dem Hl. Land im Museo Sacro Cristiano, Vatikanstadt. Vgl. Henk van Os: Der Weg zum Himmel. Reliquienverehrung im Mittelalter, Regensburg 2001, S. 56–58; Christof L. Diedrichs: Terribilis est locus iste. Zum Verhältnis des Gläubigen zu Reliquie und Bild im Mittelalter, in: Kristin Marek u. a. (Hg.): Bild und Körper im Mittelalter, München 2006, 257–272; Bruno Reudenbach: Loca sancta. Zur materiellen Übertragung der heiligen Stätten, in: Ders. (Hg.): Jerusalem Du Schöne. Vorstellungen und Bilder einer heiligen Stadt, Bern u. a. 2008 (Vestigia Bibliae; Bd. 28), S. 9–32. Bis in das 14. Jahrhundert bewegte sich der Pilger „aus dem vertrauten Raum seiner irdisch-realen Heimat in den bekannten sakralen Raum der himmlischen Heimat der
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bestätigende Information über das Heilige im Lande von Jesu Wirken wird durch die Dokumentation einer individuellen Reise ersetzt. Eine Vielzahl von subjektiven Beobachtungen komplettiert das topische biblische Wissen, kann es aber auch relativieren und in den Hintergrund rücken lassen zugunsten einer Reihe anderer Erzählaspekte. Die Gebrauchsfunktionen der Pilgerliteratur können insofern beträchtlich variieren, insbesondere gewinnt der Aspekt der Unterhaltung des Lesers an Bedeutung. Derartige Varianzen zeigen sich beispielsweise anhand der teilweise gemeinsam durchgeführten Reise von Bernhard von Breidenbach und Felix Fabri nach Palästina. Während Breidenbach daraus einen tagebuchartigen Bericht formuliert, um den Funktionen eines traditionellen Reiseführers gerecht zu werden, entstehen bei Fabri vier Ausarbeitungen der Reiseerfahrungen für unterschiedliche Rezipientenkreise und Gebrauchsfunktionen: das Gereimte Pilgerbüchlein, das lateinische Evagatorium für kundige Mitbrüder seines Ulmer Dominikanerkonvents, das Pilgerbuch für Laien und die Sionpilger als geistliche Pilgerfahrt für all diejenigen, die die Reise aber nicht realiter durchführen konnten. Unter diesen literarischen Gattungen stellt das Evagatorium einen sehr umfangreichen und vielschichtigen Pilgerbericht dar, der darauf abzielt, verschiedenste gelehrte Rezeptionsschichten der Pilgerfahrt zu vermitteln: von der geistlichen Meditation über die eingehende Landeskunde und Geschichte bis hin zu den abenteuerlichen und anekdotischen Episoden der Reise. Es entsteht mithin eine lebensweltliche Kohärenz, in der das Heilige Land in seinem gegenwärtigen, gewachsenen Zustand eingebettet ist. Dazu gehört auch eine detaillierte Beschreibung der heiligen Stätten, die gerade im Fall der Grabädikula so präzise verfährt, dass man das Bauwerk fast nachbauen könnte.36 Eben in diesem Zusammenhang verweist Fabri, wie oben erwähnt, auf die ergänzende bildliche Dokumentation durch die Holzschnitte Reuwichs. Die kohärente und detaillierte Schilderung Jerusalems macht aber auch eine vielfach verdorbene Gegenwart kenntlich, die die Würde und Authentizität des Ortes überformt und denaturiert: Seitenweise sind die Unsitten der lärmenden und essenden ‚Touristen‘ in der Grabeskirche, das Unwesen der Devotionalienhändler und andere Missbräuche beschrieben.37 An dieser Stelle wird nun eine neue historische Dimension in der Erfassung insbesondere der Grabeskirche wirksam: Fabri bietet, aufbauend auf einer quellenkritischen und gleichsam bauarchäologischen Analyse, eine
36 37
Christenheit“ (Carls 1999 [Anm. 22], S. 13). Dieser prinzipiell „bekannte sakrale Raum musste als irdischer Raum messbar werden, damit seine reale Fremdheit überwunden werden konnte“ (ebd.). Dies beständig zu aktualisieren war die Aufgabe der zahlreichen Maß- und Entfernungsangaben in den Pilgerberichten sowie die Vergleiche mit heimischen geographischen oder baulichen Gegebenheiten. Arnulf 2004 (wie Anm. 2), S. 200–214. Fabri 1843–49 (wie Anm. 27), Bd. II, S. 91–97.
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ausführliche Baugeschichte, die vom ursprünglichen Grab Christi über die nachfolgende Erbauung eines Venustempels unter Hadrian, der Gründung der Kirche unter Konstantin und ihre mehrfache Zerstörung bis in die Gegenwart reicht.38 Im Ergebnis legt Fabri den historischen Kern des biblischen Geschehens frei, den man sich im Geiste ‚vorstellen‘ müsse: „Si vis ergo scire, quale fuerit, imaginare hortum extra murum et fossata civitatis [...]“ und: „Ulterius imaginare in ipso horto rupes hinc inde parvas et magnas e terra consurgentes“.39 Gerade für den Grabkomplex könne aber wegen dessen zahlreichen Umbauten und dekorierenden Verkleidungen nicht mehr gesagt werden, ob er überhaupt original sei. Doch auch diesem jetzt existierenden Simile komme dieselbe Würde und Ehrerweisung zu wie dem Original, so wie dies auch für die alttestamentarischen Gesetzestafeln gelte, die Moses nach ihrem Zerbrechen neu angefertigt und in der Bundeslade eingeschlossen habe.40 Fabris historische Rekonstruktion ist dabei eingebettet in eine latente Bildkritik: Die Mosaiken in der Grabädikula und der Anastasisrotunde seien wegen der Verschmutzung und den Abkratzungen der Pilger unlesbar geworden, der Portalsturz über dem Haupteingang stark mutiliert – gleichsam wertlos, ganz im Gegensatz zu der erinnernden Vorstellung des historischen Urzustandes.41 Gewisse auffällige Ähnlichkeiten zur Gestaltungsauffassung in Görlitz sind hierbei nicht zu übersehen: Die Hauptreferenz für das Aussehen des Heiligen Grabes ist dieselbe, nämlich jeweils die für authentisch gehaltene Abbildung bei Breidenbach/Reuwich, deren Vorbild, die Grabädikula, in ihrer Altertümlichkeit und stilistischen Fremdheit deutlich hervorgehoben ist. Diese Inszenierung der Grabädikula als historisch gewachsener Bau ist im Zusammenhang mit anderen, ebenfalls prinzipiell historisierenden Nachbildungen derartiger Anlagen zu sehen, geht aber viel weiter. Im Fall der gleichzeitigen Heilig-Grab-Nachbildungen von Nürnberg oder Weilburg wurden die vereinfachenden Kopien der Grabeskirche nämlich in romanisierenden Formen errichtet, um in allgemeiner Weise das hohe Alter der Kirche auszudrücken. In Görlitz wurde auf die bauliche Hülle der Rotunde indessen ganz verzichtet und für den Grabbau auf das einzige als getreu propagierte Bilddokument zurückgegriffen. Ähnliches gilt für die Gegenstände in der Kreuzkapelle, die analog zu Fabri als das Ergebnis einer gleichsam archäologischen Freilegung der heiligen Stätten, aufbauend auf einer philologisch-textkritischen Konzentration auf den biblischen Bericht, zu begreifen sind. Das Komplement zu Fabris insgesamt historisch relativierender, den biblischen Bericht beträchtlich überschreibender und an manchen Stellen auch 38 39 40 41
Ebd., Bd. II, insbes. S. 201–248. Ebd., Bd. I, S. 325. Ebd., Bd. I, S. 336. Ebd., Bd. I, S. 344.
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kritisierender42 Schilderung des Heiligen Landes stellt sein geistlicher Pilgerführer Die Sionpilger dar, der für die kollektive Meditation von Klosterfrauen konzipiert wurde. Die Schrift transformiert den individuellen Reisebericht des Evagatoriums zu einer imaginären Reise im Heiligen Land, deren Rhythmus in Tagesreisen sich nicht an einer konkreten Reise, sondern an der Abfolge kollektiver Gebete orientiert. Nur auf diese Weise kann man gemeinsam – was in praxi nicht möglich ist – in den heiligen Felsen eintreten, das Grab küssen, als Gegengabe einen „lieblichen sießen wider kuss“ empfangen und den höchsten Ablass erhalten. Was aber das Heilige Grab und andere Stätten für eine genaue Gestalt hätten – so referiert der Text an dieser Stelle weiter –, das beschreibe klar Frater Felix Fabri in seinem Evagatorium.43 Diese Referenz auf den präzisen Reisebericht ist bezeichnend: Die genaue Lektüre jener archäologisch fundierten Beschreibung vermag die Andachtsübungen durch die innere Anschauung des wahren, in allen Details geschilderten und vorzustellenden Grabs zu ergänzen und damit jene historische Authentizität vermitteln, die von Fabri – und implizit von der Görlitzer Inszenierung – nunmehr für eine gesteigerte heilsstiftende Wirkung gefordert werden. Aus solchen Gründen kann Fabri auch auf die bildlich autorisierte Form des Grabmonuments in dem Holzschnitt Reuwichs rekurrieren. Es handelt sich ja um die erste gedruckte präzise Darstellung der Grabädikula, die nun, massenweise verbreitet, als Urbild den unveränderbaren Druckstock hatte, der auf die mimetisch-künstlerischen Qualitäten Reuwichs zurückzuführen war. Damit war, im Gegensatz zu den individuellen, in ihrer mimetischen Qualität unzuverlässigen Zeichnungen, nunmehr eine wahre, in jedem Druck identische Abbildung der Hauptverehrungsstätte der Christenheit etabliert. Diese Authentifizierung des wahren Aussehens durch das gedruckte Bild – und nicht allein durch seine Maßüberlieferung – bildet das Komplement der historischen Freilegung bei Fabri und auch in Görlitz. In beiden Fällen ist die historische Entrückung dadurch aufgehoben, dass sich die Imagination nun gleichsam auf eine Zeitreise nach rückwärts begeben kann, um das Leben und Wirken Jesu in allen Details und befreit von der – wie Fabri das nennt – „leiplich aus schweifung“44 der weltlichen Pilgerfahrt und ihren irdischen Beeinträchtigungen nachvollziehen zu können. In Görlitz wird zudem die historische Rekonstruktion dadurch aktualisiert, dass ein Teil der Geschehensspuren – der Felsspalt – auf die moderne Kreuzkapelle zu beziehen ist. ** *
42 43 44
Eine Zusammenstellung der Widersprüche bei Carls 1999 (wie Anm. 22), S. 17, Anm. 11. Ebd., S. 117. Ebd., S. 77–78, 525–530.
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Wenn diese Beobachtungen richtig sind, dann stellt die Görlitzer Nachbildung eine für ihre Zeit konzeptuell ungewöhnliche Anlage dar, in der sich historisch-archäologische Kriterien der Auffassung des Heiligen Landes mit einer inszenatorischen Konzentration auf den Evangelienbericht überlagern. Damit verbunden ist eine implizite Skepsis gegenüber illustrierenden, nacherzählenden Bildern des Passionsgeschehens. Diese Vorbehalte sind Komplement einer rezeptionsästhetischen Strategie, die die Reflexion über das biblische Geschehen resolut in den Bereich des Mentalen verlagert. Derartiges unterscheidet sich deutlich von dem Gros der überreich und höchst komplex innerbildlich argumentierenden Passionsdarstellungen des Spätmittelalters, den zahlreichen drastischen Leidensbildern wie den subtilen Passionszyklen Albrecht Dürers.45 In der Konzentration auf den biblischen Kern des Passionsberichtes und seine historischen Topographie ist die Görlitzer Anlage Teil jener von Berndt Hamm definierten „normativen Zentrierung“ der Zeit um 1500, also dem Versuch, „Orientierungshilfen für eine christliche Lebensführung“ auf bestimmte „Zentralbereiche des Heilbringenden“ anzuwenden.46 So nimmt die Fokussierung auf die biblisch-authentische Topographie gleichsam die aus den „sola-Prinzipien“ abgeleitete Kritik Luthers an den spektakulär persuasiven Passionsbildern seiner Zeit vorweg.47 Mangels ausreichender Dokumentation kann diese Tendenz aber nicht konkreter bzw. nur unzulässig spekulativ auf eine spezifische Görlitzer Frömmigkeitsauffassung bezogen werden. Auffällig ist immerhin, dass die Heiliggrab-Anlage auch nach der Einführung der Reformation offenbar kaum Änderung erfuhr und weiterhin intensiv begangen wurde, wie zahlreiche neuzeitliche Graffiti vor allem an der Kreuzkapelle bezeugen.48 In diesem Sinn ist das in Görlitz beziehungsweise auch bei Fabri deutlich werdende Verständnis der Passionstopographie mit philologisch-kritischen Bibeltextanalysen und -emendierungen verwandt, wie sie prominent wenig später, kurz nach 1500 von Erasmus von Rotterdam betrieben wurden und in der ausführlich kommentierten griechisch-lateinischen Ausgabe des Neuen Testaments, des Novum Instrumentum, 1516 gedruckt werden sollten.49 45 46
47 48 49
Marrow 1979, passim. Berndt Hamm: Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999), S. 163–202, hier S. 179. Münch 2009 (wie Anm. 9), passim. Meinert 2004 (wie Anm. 10), S. 90–96. Die philologisch-historische Kritik findet sich in den ausführlichen Annotationes in Novum Testamentum, die, auf der Grundlage von Lorenzo Vallas sprachlich-grammatischer Bibelrevision zusammengestellt, der Basler Erstausgabe des Novum Instrumentum von 1516 als zweite Hälfte des Bandes beigefügt sind. Den Evangelientexten vorangestellt sind die programmatischen Vorworte (Praefationes). Die Editio princeps in digitalisierter Form: , zuletzt eingesehen
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Bezeichnenderweise geht auch Erasmus‘ vorreformatorisches Insistieren auf dem Wahrheitsgehalt der Evangelien mit einer deutlichen Bilderskepsis einher.50 Weitere Vergleiche zu den Visualisierungsstrategien in Görlitz sind durchaus zu benennen. Ein mit Görlitz wohl in mancher Hinsicht vergleichbares Kreuzwegensemble wurde 1516 in Romans-sur-Isère errichtet und ist auch heute noch in stark übergangenem und erneuertem Zustand vorhanden.51 Die rezeptionsästhetischen Strategien hingegen, die in Görlitz in Bezug auf die Kreuzkapelle und die Grabädikula wirksam werden, finden sich vereinzelt auch im Medium des Andachtsbuches: Ein im Kunsthandel befindliches, dem Meister der Doheny-Hours zugeschriebenes Stundenbuch zeigt in den kanonischen Eingangsminiaturen zu den einzelnen Gebetszyklen Landschaftsausschnitte, in denen lediglich einige scheinbar beiläufig „zurückgelassene“ Gegenstände eine ikonographische Identifizierung erlauben.52 Schließlich ist auf bilderskeptische, vorreformatorische Passionstraktate zu verweisen, die manche Ähnlichkeit mit der Görlitzer Strategie aufweisen. Dies gilt für die gedruckte Anleitung einer Kreuzwegsandacht, Die geystlich straß, die Nikolaus Wanckel, eventuell ein Bamberger Franziskaner, bei dem
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am 29. Aug. 2013; Desiderii Erasmi operum omnium, Bd. 6. Leiden 1706; Opera omnia Desiderii Erasmi Roterdami, Ord. VI, Bd. 2, Amsterdam u. a. 2001 (Johannesevangelium und Apostelgeschichte). Die maßgeblichen Editionen der Evangelienkommentare in: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterdami, Ord. VI, Bd. 5 u. 6, Amsterdam u. a. 2000 bzw. 2003. In unserem Zusammenhang bemerkenswert ist beispielsweise, dass Erasmus wie schon zuvor Fabri 1843–49 (wie Anm. 27), S. 326, 331, darauf insistiert, das Grab Christi („monumentum“ in der Vulgata) sei nicht als Bauwerk, sondern als gewachsener Felsen zu verstehen (zu Lk 23, 53: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterdami, Ord. VI, Bd. 5, S. 600); außerdem diskutiert Erasmus auch etwa den Ort Golgatha (ibid. S. 338–339) und den Ort des Verhörs Christi (ibid., S. 430); zu den Prinzipien der philologisch-kritischen Textarbeit des Erasmus siehe Anne Reeve (Hg.): Erasmus‘ Annotations on the New Testament. Bd. 1: The Gospels, London 1986. So kritisiert Erasmus in seinen Vorreden zu seinem Novum instrumentum die abergläubische Verehrung von Reliquien und Bildern („imaguncula“). Erasmus von Rotterdam: In novum testamentum praefationes. Vorreden zum Neuen Testament. Ratio. Theologische Methodenlehre, hg. von Gerhard B. Winkler, Darmstadt 1967 (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, Bd. 3), S. 36. Ulysse Chevalier: Notice historique sur le Mont-Calvaire de Romans, in: Bulletin d‘histoire ecclésiastique et d’archéologie religieuse des diocèses de Valence, Digne, Gap, Grenoble et Viviers ... 3 (1882), S. 173–185, 221–233, 4 (1883), S. 68–70. Sotheby’s 21–6–1988. Lot 115, f° 7v, 20v, 38v, 49v. Bodo Brinkmann: „Quelque chose d’un peu sauvage“. Ein ungewöhnliches Interieur für den Bruder eines Holbein-Kunden, in: Bodo Brinkmann und Wolfgang Schmid (Hg.): Hans Holbein und der Wandel in der Kunst des frühen 16. Jahrhunderts, Tournhout 2005, S. 253–265. Ich danke Jochen Sander für den Hinweis auf den Beitrag.
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Buchdrucker Jobst Gutknecht 1521 in Nürnberg veröffentlichte (Abb. 14).53 Der Autor kritisiert einleitend, dass die Andacht des Leidens Christi in Bildwerken deren bloßer „Besichtigung“ gewichen sei, bei der zuvorderst „kunst/ farb/wolgestalt/possierung und dergleichen“ wahrgenommen würden – wohl eine Kritik an den virtuosen Passionszyklen von Dürer und seiner Schule beziehungsweise des Nürnberger Kreuzweges von Adam Krafft.54 Stattdessen präsentiert das Büchlein einen imaginären Kreuzweg, der sich gleichwohl an konkreten Bildstationen in Form von Holzschnitten orientiert: Diese sind als Bildstöcke auf gesockelten Pfeilern wiedergegeben, die zumeist drei Passionsszenen simultan zeigen (Abb. 14). Die Distanzierung der bildlichen Evokation geschieht also über eine mehrfache Strategie: Die Kleinheit der Passionsdarstellungen lässt diese zu fast piktogrammartigen Verweisen auf das historische Geschehen werden, und in der Wiedergabe eines Bildes in einem Bild – der skulptierten Szenen an einem objekthaften Bildstock – liegt eine klare Entrückung begründet. Und schließlich fungieren die Holzschnitte weniger als Bildbericht eines Kreuzwegs denn als merkzeichenartige Kapitelvignetten. Dem Medium des gedruckten Textes kommt demgegenüber die gewichtigere Funktion zu, und auch er stellt bewusst real-konkrete Erfahrung neben geistliche Meditation und biblische Historiographie. Explizit sind die „Artikel“ (Kapitel) als „Ort“ bzw. „Gang“ bezeichnet und widmen sich einer topographisch präzise verortbaren Station, ohne diese aber detailgenau auszumalen. Systematisch dargelegt sind jeweils die kompilierende Narration des Evangelientextes zum einen, die exegetisch passenden Psalmenparaphrasen zum anderen und zudem eine lakonische, aber detaillierte Beschreibung der Örtlichkeit in ihrem zeitgenössischen Zustand als dritte Kategorie. Der Anspruch, den Leidensweg in seinen Abständen, Schrittzahlen u. ä. gleichsam somatisch nachzuvollziehen, wird ausdrücklich zurückgewiesen. Die erlebnisreiche Palästinaerkundung und das Begehen eines Kreuzweges ebenso wie dessen aufwendige Errichtung werden insofern zu bloßen Erinnerungszeichen einer vielschichtigen Meditation des Leidens Christi. Das Heilige Land existiert in seiner aktuellen profan-historischen Befindlichkeit und belegt so das vielfältige historische Wirken, Leben und Leiden Christi, dient aber nicht als Folie abenteuerlicher Reiseerzählungen und drastisch-spektakulärer Marterbilder. Der ikonoklastische, reformatorische Impetus des Büchleins liegt im Gegenteil darin, dass es die Passionsmeditation auf die exegetischen Textgrundlagen zurückführt: Statt das „passionsgeschichtliche Allgemeingut“ (Pickering) literarisch, theatralisch und bildlich in komplexe Narrationen und rhetorische 53
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Die maynung diß büchleins Die geystlich straß bin ich genant, … Nürnberg (Gutknecht) 1521 (s. a. , zuletzt eingesehen am 29. Aug. 2013). Münch 2009 (Anm. 9), S. 235. Die geystlich straß 1521 (wie Anm. 53), S. 1.
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Strategien zu transformieren, ruft die geystlich straß deren Ausgangsmaterial wieder in Erinnerung, nämlich die alttestamentarische Grundlage der figuralexegetischen Interpretation des Passionsgeschehens. Anstatt dieses in eine suggestive, aber scheinhafte lebensweltliche Kohärenz einzubinden und daraus künstlerischen Eigenwert abzuleiten, trennt sie konsequent biblischen Bericht, Exegese und die topographische Beschreibung des Heiligen Landes. In Bezug auf die Kreuzigungsszene wird die Aufmerksamkeit auf Erdbeben und Finsternis bei Christi Tod gerichtet, die jeweils mit einem Psalmenkommentar als Gebetsoption versehen sind, sowie auf das Fernbleiben der Jünger und die Öffnung der Seitenwunde.55 Diese Art Besinnung und Frömmigkeit, so könnte man sich vorstellen, sollte auch der Görlitzer Kalvarienberg hervorrufen.
Abbildungsnachweis Abb. 1, 2, 14: München, BSB; Abb. 3, 12: Hollstein’s German Engravings Etchings and Woodcuts, Bd. 33. Rosendaal 1992; Abb. 4–7, 9: Christian Freigang; Abb. 8: Ernst-Heinz Lemper: Kreuzkapelle und Heiliges Grab Görlitz, München/Zürich 1992; Abb. 10: Meinert 2004 (wie Anm. 10); Abb. 11, 13: Fra Bernardino Amico: Plans of the Sacred Edifices of the Holy Land, Jerusalem 1953 (= Publications of the Studium biblicum franciscanum; 10).
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Die geystlich straß 1521 (wie Anm. 53), S. 72–73.
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Abb. 1: „Von der Gestalt des Heiligen Grabes ...“, Handschrift, um 1460/70, München, BSB, Cgm 845, fol. 51v: Ansicht der Rotunde der Grabeskirche.
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Abb. 2: „Von der Gestalt des Heiligen Grabes ...“, Handschrift, Ende 15. Jh., München, BSB, Cgm 1276, fol. 23v: Ansicht der Rotunde der Grabeskirche.
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Abb. 3: Erhard Reuwich, Holzschnitt, aus Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam, Mainz 1486: Ansicht der Grabädikula Christi.
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Abb. 4: Görlitz, Kalavarienberg, Kreuzkapelle von Norden.
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Abb. 5: Görlitz, Kalavarienberg, Kreuzkapelle, Obergeschoß innen.
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Abb. 6: Görlitz, Kalavarienberg, Salbhäuschen.
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Abb. 7: Görlitz, Kalavarienberg, Nachbildung der Grabädikula Christi.
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Abb. 8: Görlitz, Grundrisse der Grabädikula im Vergleich mit dem Jerusalemer Vorbild sowie Grundrisse der Kreuzkapelle.
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Abb. 9: Görlitz, Kreuzkapelle, Erdgeschoss (Adamskapelle) mit künstlichem Riss in der Ostwand.
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Abb. 10: Görlitz, Kreuzkapelle, Aufriss der Ostwand.
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Abb. 11: Fra Bernardino Amico, Trattato delle Piante & Immagini de Sacri Edifizi di Terra Santa, Florenz 16202: Kupferstich mit Ansicht der Golgatha-Kapelle in der Jerusalemer Grabeskirche.
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Abb. 12: Erhard Reuwich, Holzschnitt, aus Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam, Mainz 1486: Ansicht der Südseite der Jerusalemer Grabeskirche.
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Abb. 13: Fra Bernardino Amico, Trattato delle Piante & Immagini de Sacri Edifizi di Terra Santa, Florenz 16202: Kupferstich mit Grundriss der Grabeskirche.
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Abb. 14: Die geystlich Straß, Nürnberg 1521, Holzschnitt: Bildstock mit Kreuzigung Christi.
Achim Timmermann
Golgotha, Now and Then: Image and Sacrificial Topography in Late Medieval and Early Modern Europe
At least one or two priests [should] accompany him as he is taken or dragged to [the scaffold] / [and] instill in him good thoughts / One should also, while he is taken to the scaffold and taken toward his death, constantly hold a crucifix before him (Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung, 1507).
In this essay I explore the use of pictorial devices in the stage-management of capital punishment; in particular, I focus here on the roles such images might have played in bringing about a kind of temporary oscillation between two distinct sacrificial topographies – those namely of the fifteenth- or sixteenthcentury town, with its scaffold extra muros, and of the biblical Jerusalem, with Mount Calvary looming above it. I ask furthermore whether the deployment of certain pictures encouraged both the convicted offender and the audiences about to witness his or her gory death to view and experience the execution ritual itself as a real-life Passion play. The images designed for these performances were variously mobile, portable, and miniaturized, or else stationary and monumental, and they could be self-contained but were also integrated into the surrounding landscape; to complicate matters, different types of pictures were often used in combination in one and the same judicial performance, and while some were calibrated for the sole benefit of the condemned criminal, others were also intended to address the crowd of jeering spectators and the hangman wielding his sword. Ultimately the ‘Passion’ of this article is spatially and temporally highly ambiguous, and it is enacted and perceived both in the external world and through mental recollection – it is the simultaneous passion of Christ and of the poor sinner, of two dead men walking. The following case studies discuss different kinds of visual dying aids over a period of roughly two and a half centuries and are intended to complement and expand on a body of material that I have explored and discussed in print over the past five years or so.1 My previous forays into the field of images and 1
Achim Timmermann: (1) The Poor Sinner’s Cross and the Pillory, in: Umĕní 55 (2007), pp. 362–373; (2) Paysage moralisé: The Zderad Column in Brno and the Public Monument in the Later Middle Ages, in: Zoë Opačić (ed.): Prague and Bohemia. Medieval Art, Architecture and Cultural Exchange in Central Europe, Leeds 2009, pp. 148–160; (3) A
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Achim Timmermann
capital punishment primarily centered on the architecture, imagery, and function of the stationary Armsünderkreuze or poor sinner’s crosses, and while two little-known such structures will be investigated in this contribution as well, my main emphasis here is on the use of mobile images, both in Italy and in northern Europe. To properly set the scene for a closer look at what may be termed the ‘redemptive mirroring’ of the practices and spaces of capital punishment in the images and spaces associated with the Passio Christi, and vice versa, I begin with a discussion of three of the woodcut illustrations that accompany the earliest printed criminal law code of the Holy Roman Empire, the socalled Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung or Constitutio Criminalis Bambergensis, published by Hans Pfeil in 1507. This set of images (figs. 1–3) takes us, at least for the most part, outside the walls of the late medieval city, on a last journey with the condemned criminal and the imago crucifixi. The Bambergische Halsgerichtsordnung was composed in 1507 by Johann Freiherr zu Schwarzenberg at the behest of his patron, the then-Bishop of Bamberg, Georg III Schenk von Limpurg. Drawing extensively on the teachings of Roman Law, the Bambergensis covers a wide range of legal matters, starting with various judicial oaths, the selection of witnesses and the reliability of evidence, before proceeding to more heady issues such as the investigative process (peynliche Befragung – torture, in other words), and the trial itself. This is followed by a catalog of various crimes and their punishments (almost always capital in nature), a detailed list of monetary compensations for all persons involved in the legal process, and a brief exhortative section on the mor(t)al dangers of judicial corruption. The text,2 printed on eighty folios, is accompanied by a cycle of twentytwo woodcuts, beginning with an image of the Heavenly Judge separating
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Very Real Re-Enactment of the Passion. Sacred Landscape and Capital Punishment in Sixteenth-Century Swabia, in: Michel Weemans (ed.): Paysage sacré et exégèse visuelle du XVIe au XVIIe siècle, Florence 2011, pp. 349–360; (4) Highways to Heaven (and Hell). Wayside Crosses and the Making of Late Medieval Landscape, in: Celeste Brusati et al. (eds.): The Authority of the Word. Reflecting on Image and Text in Northern Europe, 1400–1800, Turnhout 2011, pp. 385–441, passim. All four articles provide further literature on the theory and practice of criminal punishment from c. 1400 to c. 1600 and on the roles performed by poor sinner’s crosses in particular during the same period. To avoid redundancy, I refer the reader to the notes and bibliographies in these studies. For another late medieval type of punishment device that was often embellished artistically and iconographically, the pillory, see my article, Wer nicht recht hat, den fure ich vor recht. Wrocław’s Late Gothic Pillory in Contexts, in: Agnieszka Sadrei (ed.): Transactions of the 2011 BAA Conference in Kraków, Leeds 2014, forthcoming. Johann Schwerzenberg: Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung […] oder Constitutio Criminalis Bambergensis, Bamberg by Hans Pfeil 1507. For the following, I have used the online study version of the Universitätsbibliothek in Mannheim (, accessed 12th October 2011). For a
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the Blessed from the Damned (Kumpt here Ir gebenedeiten / Get hin Ir vermalledeiten),3 and ending with one of an earthly court and its members in session (Lieben herren rat vns schlechten / Wie halt wir vns gemeß dem rechten).4 The illustrated section that interests me here occurs between fols 34r and 35v, and shows in sequence an Armsünderzug or poor sinner’s procession leaving the city gate; a metonymic array of torture and execution implements; and the killing field extra muros, on which two condemned men are being attended to by hangmen and a priest (figs. 1–3). While the first and third woodcut clearly constitute a mini-sequence, the second, a repetition of the frontispiece, with its complete absence of human actors, contrasts markedly both with the main narrative of this section and with the other images of the Bamberg Law Code. On fol. 34r (fig. 1), then, the viewer is taken through a city gate with an open portcullis and invited to follow the prisoner to his final place of execution. One recognizes the court servant, carrying the judicial staff, the bound prisoner himself, behind him a soldier, the hangman and a group of burghers, and – just ahead of the prisoner – a priest holding and pointing to a crucifix. The words in a fluttering banderole above add urgency to his gesture: Wo du gedult hast in der peyn / So wirt sie dir gar nutzlich sein / Darumb gib dich willig darein.5 The condemned, in other words, was to model his comportment on that of the tortured Christ, whose imago was held inches from the poor sinner’s face and travelled with him all the way to the scaffold. The idea of this dual suffering, this one-way motion from the city to its outskirts, from life to death, is underscored by the first passage of fol. 34v (not illustrated), partially quoted in the epigraph to this essay: Item nach der verurteylung des armen zum tode / sol man jn anderweyt beychten lassen / Auch zum wenigsten einen Priester oder zwen am außfüren / oder außschleyffen bey jme sein / die jne zu gutem vermanen / Man sol jme auch in dem fürn für gericht vnd außfürn zum tode stettigs ein Crucifix vortragen.6 And indeed, the priest still points towards the crucifix on fol. 35v (fig. 3), kneeling, like the condemned awaiting the fatal blow of the
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detailed look at the history of the Bambergensis, see Josef Kohler and Willy Scheel (eds.): Die Carolina und ihre Vorgängerinnen. Text, Erläuterung, Geschichte, 4 vols, Halle a. d. S. 1900–1915 (reprint Aachen 1968), II, passim. Schwarzenberg 1507 (as in note 2), fol. 3r: “Come hither those of you who are blessed / go forth those of you who are damned”. Ibid., fol. 79r: “You dear Lords help us wretched / to make us judge [or live] according to the law”. Ibid., fol. 34r: “Patience in your sufferings / will be of much use to you / therefore willingly submit yourself”. Ibid., fol. 34v: “Also, after the condemnation to death of the poor [sinner] / one should let him confess / and at least one or two priests [should] accompany him as he is taken or dragged to [the scaffold] / [and] instill in him good thoughts / One should also, while he is taken to the scaffold and taken toward his death, constantly hold a crucifix before him.”
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executioner, on the rocky meadow of justice. While all three characters play out their allocated roles in this Christoform drama of human redemption, the treatment of a second prisoner in the background is much less ceremonious: bound to the wheel, he is being hoisted into an upright position, his nude, contorted body exposed to the effects of the elements. Between fols 34r and 35v, with their compelling representations of a very real kind of imitatio Christi, the visual catalog of torture and killing instruments on fol. 35r (fig. 2) may come as a bit of surprise. The caption that accompanies this image (at the top of fol. 35v) provides a partial rationale for this checklist of implements of judicial violence, but there is more to this image than is explained by the text or first meets the eye.7 Floating, seemingly haphazardly, in an unstructured space, these instruments call out to be arranged in some sort of narrative sequence, perhaps through the agency of an imagined human actor, either the prisoner or hangman, or both. Once thus activated, the tools fall into three groups: (1) torture instruments used during the judicial investigation (hoisting device with stone weight, also known as the trockener Zug, shackles, thumb screws); (2) utensils of minor corporeal – and psychological – punishment (stocks, brush whip, pillory, pincers – the latter for the extraction of tongues at the pillory); (3) appliances of capital punishment (sword, wheel, stake, gallows, a platform for beheadings and eviscerations known as the Rabenstein or Kopfhäusel, literally ravens’ stone or little house of heads,8 pincers – the latter heated red-hot and sometimes used to tear the flesh off the poor sinner’s body en route to the scaffold). With regards to suggesting or conjuring up a Passion space of sorts two aspects should be emphasized here. First, this woodcut is clearly modeled on earlier or contemporary representations of the arma Christi, which likewise require mental activation in order to evoke certain topographies of suffering, as is clear from a comparison with a Rhenish ivory booklet of c. 1330–1340 (Victoria and Albert Museum, London) (fig. 4).9 Second, as in the woodcuts of fols 34r and 35v, this entire tableau of judicial horrors is sanctioned by the narcoticsalvific icon of Christ on the cross, here in the form of a small, permanent image stele at the far end of the Rabenstein. It is indeed the presence of the suffering 7
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Ibid., fol. 35v: Wem trewe straff nit bringet frucht / Der kumpt dick in des meysters zucht / Des werck vnd zeug wirt hie anzeygt / Wol dem der sich zu tugent neygt (“Whoever does not fear good punishment / will be disciplined by the master [i. e. the hangman] / the work and instruments are here shown / may he who leans toward virtue be blessed.”) On the function and architectural history of late medieval and early modern Rabenstein structures such as this one, see Hans von Hentig: Der Rabenstein. Eine criminalgeographische Studie, in: Hans von Hentig: Studien zur Kriminalgeschichte, Bonn 1962, pp. 1–19. Gabriele Finaldi (ed.): The Image of Christ, exh. cat., London and New Haven 2000, pp. 156–159.
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Savior that ties all three illustrations together, a presence that bridges the gap from peyn to nutz, from the here and now to the then and there, both in the past and in the future. Over the next four or so decades, fol. 35r of the original Bambergische Halsgerichtsordnung was ceaselessly adapted for later editions of the Bambergensis and some of its spin-offs, such as the Brandenburgische Halsgerichtsordnung or Constitutio Criminalis Brandenburgensis (1516), where the harsh effect of the floating, disembodied tools was somewhat tempered by the addition of a unifying landscape. 10 It was also chosen as the model for the left side of the ‘frontispiece diptych’ (fig. 5) of the first edition of the Constitutio Criminalis Carolina, the most important civil and criminal law code of the sixteenth century and beyond, ratified by the Diet of Regensburg in 1532.11 Perhaps significantly, the right side of this composite frontispiece was likewise patterned on the Bambergensis; we recognize some of the features of fol. 34r, such as the town walls (now in the far-off distance), but in particular the Armsünderzug, with its left-right sequence of judicial servant, priest cum crucifix, bound poor sinner and foppishly dressed hangman. While parts of this diptych visually cohere, others quite clearly do not, and ambiguities abound: are the two gallows and multiple wheels mere redundancies or seen through zoom or wide-angle lenses? And are we to infer that once the place of execution has been reached the mobile crucifix is to be substituted – or else amplified – by the permanent Bildstock on the ravens’ stone? If the sequential imagery of the Bambergensis is anything to go by, then perhaps both portable and permanent cross could, at least at times, be used in tandem, producing multiple views of Christ’s agonies for the moral edification of the offender and the crowds of bystanders. As the following demonstrates, there is compelling monumental evidence from Bamberg itself that supports this kind of flexible image scenario. The manmade landmarks and natural features shown on fols 34r to 35v of the Bambergensis, such as the gallows, city gate, and meadow of execution, were probably never intended to accurately reproduce Bamberg’s late medieval topography of justice. We do know, however, that the civic gallows, documented from 1362 to 1810, stood on an open field near what is now the Theresienstraße in Bamberg’s southeastern suburb Wunderburg, not far from 10
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Brandenburgische Halsgerichtsordnung or Constitutio Criminalis Brandenburgensis (1516), edited, with a historical commentary, in: Kohler/Scheel 1900–1915 (as in note 2); vol. III. For the entire work, see Johann C. Koch, (ed.): Hals- oder peinliche Gerichtsordnung Kaiser Carls V., Goldbach 1996 (Bibliothek des deutschen Strafrechts; vol. 8). Still useful is Kohler/Scheel 1900–1915 (as in note 2), vol. IV; see also the essays in Friedrich-Christian Schroeder (ed.): Die Carolina. Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Darmstadt 1986 (Wege zur Forschung; vol. 626).
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the Nürnberger Straße, the main thoroughfare from Bamberg to Nuremberg. To exit Bamberg, travelers had to pass through a (now lost) gatehouse integrated into the outer city fortifications, and, after a few hundred meters, they would find themselves face-to-face with the city’s locus infamis. It stands to reason that apart from the gallows itself, this site also sported a series of upright wheels, and, like Bamberg’s neighboring city Nuremberg, a Rabenstein,12 possibly with the kind of stele shown on fol. 35r. We may also assume that Bamberg’s instrumentarium of penal dispensation included, aside from the double-edged sword, pincers, and thumb screws, at least one portable crucifix, or else that such a device was brought along by the priest(s) hired for the job of looking after the prisoner. Apart from local street names such as “Am Hochgericht” and “Galgenfuhr” no trace of the gallows is extant today, nor can any portable cross that may survive in the city’s art collections or in one of its many churches be tied to the kind of comforting practices and ethics laid out in the Bambergensis. Yet, there exists one monument that formerly played a vital role in marking the city’s place of execution not just as one of bodily dispatch but as a sort of waystation to eternal life. This is the socalled Beichtmarter (confessional cross) or Galgenfuhrmarter (the cross near the Galgenfuhr), a Bildstock of 3.4 meters in height, which now stands in the garden of the Trimbergschule (Am Luitpoldhain 59), not far from its original location at the gallows (fig. 6).13 Due to extensive weathering and the absence of any inscriptions the monument is difficult to date, but if the partial hip roof (Krüppelwalmdach) crowning the structure is anything to go by, we could date its origins to the two decades on either side of the year 1500. What makes Bamberg’s Beichtenmarter so fascinating is the fact that its two upper backto-back image fields contain two representations of a Crucifixion group. Both, in medium relief, are virtually identical. Why would the civic authorities have commissioned for their place of execution such an iconographically repetitive Armsünderkreuz? We can hazard a chilling guess, namely, that this cross could have served as the last rallying point for not just one, but two, condemned criminals, one kneeling on the recto, the other on the verso side. Alternatively, it is conceivable that the additional Crucifixion scene was intended to be viewed by the onlookers who had gathered to gawp at the execution, providing an edifying foil for the gruesome spectacle on the other side of the cross. 12
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Depicted prominently in the foreground of the view of that city, on pp. 99v–100r of Hartmann Schedel’s Liber chronicarum of 1493; see Timmermann 2007 (as in note 1), p. 365, fig. 3. The cross is briefly mentioned in Wilhelm Funk: Alte deutsche Rechtsmale. Sinnbilder und Zeugen deutscher Geschichte, Bremen 1940, p. 61, and Georg Schwarz: Steinerne Zeugen an den Straßen und Wegen Oberfrankens, in: Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks Oberfranken 176 (1991), pp. 30–35, here p. 32.
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Whatever the initial purpose of this doubling of images, it seems clear that Bamberg’s Beichtenmarter was designed with greater penal as well as spiritual efficiency in mind. If we now take into account the possible presence at this site of an additional Rabenstein with a stele of the Crucified, and the regular arrival of mobile images of the cross, we can easily imagine how this saturation of the gallows with Passion pictures would have invested the performance of judicial killing with a liturgical aura, and created a grand theatrum sacrum for anyone witnessing the executions. As is suggested above, much of how the Bamberg place of execution actually looked to passers-by in the sixteenth and seventeenth centuries, indeed right up to its destruction under Napoleonic rule, remains conjecture. To gain some idea of the ‘flavor’ of such a site, of the terror, disgust, and edification it might have produced in its audiences, we need to travel about 190 kilometers as the crow flies to Halle on the Saale River, a town that, as we will see, likewise preserves its original Armsünderkreuz (figs. 7–10). Mirroring the situation in Bamberg and other German towns, the Halle gallows was located on a main road,14 here the former Leipziger Heerstraße, which intersected with three other important thoroughfares – the Magdeburger Weg, the Reideburger Straße, and the Merseburger Weg – just before the so-called Galgtor or Gallows’ Gate (today’s Leipziger Tor), at what is now the Riebeckplatz, a true nightmare of post-Stalinist traffic planning. First documented in c. 1100, the gallows, for much of its existence, appears to have been a successive series of wooden scaffolds, and was only replaced by a more sturdy stone structure in 1698. Also documented for this site were a Rabenstein, erected on the orders of Luther’s nemesis, Cardinal Albrecht von Brandenburg (reg. 1518–1545), and a number of upright wheels, from which human cadavers dangled in various states of decomposition. Adding to the stench was an apparently plentiful amount of manure, which was regularly left there by pigs digging through the soil of the execution site in search of edible scraps. This judicial eye- and nose-sore remained in situ until 1809, when the gallows and other killing implements were torn down by Napoleonic troops. One structure that survived this purge was the poor sinner’s cross (known locally as the Plague Cross or Pestkreuz) on the east side of the Galgenplatz, perhaps, as a later report by Gustav Schönermark may suggest, because it was so overgrown with vegetation that nobody appeared 14
The following is based on Erik Neumann: Wo einst der Galgen stand. Zur Bau- und Häusergeschichte des Riebeckplatzes, in: Jahrbuch für hallesche Stadtgeschichte (2003), pp. 35–42; Erik Neumann: Der Riebeckplatz: Metamorphosen eines Stadtraumes, in: Werner Freitag et al. (eds.): Geschichte der Stadt Halle, 2 vols, Halle a. d. S. 2006, II, pp. 432–441; Katja Reindel: Der Riebeckplatz, in: Angela Dolgner (ed.): Historische Plätze der Stadt Halle an der Saale, Halle 2007 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte; vol. 11), pp. 222–251.
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to notice it.15 The cross was finally moved in 1928, and thereafter occupied various locations within the city; it was last re-erected on the Universitätsring in 1979, and at the time of writing (2012) was awaiting restoration within a special protective cover. Measuring about 4 meters in height, the ornate monument (fig. 7) was erected in 1455 under the aegis of the quarrelsome Archbishop Friedrich III, allegedly as a kind of ex voto after the city had been spared from a heavy outbreak of the plague.16 The structure’s very placement on the civic place of execution, as well as its poignant iconography, suggests however that the primary function of this cross was to provide spiritual solace and iconographical guidance to the countless Armsünder dispatched at this site. In contrast to Bamberg’s poor sinner’s cross, this example features a more nuanced iconographic program within its two upper picture fields, a program that could be used to ‘draw out’ various aspects of the art of dying well: (1) Walking with Christ: on the east face of the Bildstock can be seen a rather unusual representation of the Bearing of the Cross, in which the vertical cross beam trails not behind Christ, but is carried before him (fig. 8). This creates an empty space on the right side of the image, which is filled here by an angry soldier beating down on the cross and pulling Christ by his girdle. At the same time, this peculiar positioning of the cross moves the Savior closer to a group of four figures on the left side of the panel, comprising the Three Maries and John the Evangelist, from whom he takes temporary leave. Contemporary images of this moment often depict the four mourners within a city gate, a liminal opening that separates Jerusalem from its surrounding countryside; one example of many is furnished by Hans Memling’s multi-episodic Passion panel in Turin’s Galleria Sabauda, of 1470–1471 (fig. 10).17 Although no such gatehouse is shown at Halle, the viewer might easily have imagined the group of four to have just passed through such a structure, especially since the Beichtenmarter stood in immediate proximity to the Galgtor. For the condemned criminal to identify with this suffering Christ would have been almost natural, for when he made his one-way journey to the scaffold, he followed in the former’s footsteps, at least as these were imagined by late medieval preachers, 15
16
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Gustav Schönermark: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Halle und des Saalkreises, Halle a. d. S. 1886, p. 294. Brief mention of the monument is also made in Bernd Wernhöner: Kleindenkmale im Stadtkreis Halle und im Saalkreis. Eine Bestandsaufnahme, in: Archäologie in Sachsen-Anhalt 2 (2004), pp. 73–80, here p. 75. An inscription in minuscule letters found just below the Crucifixion scene on one side of the cross merely records that the cross was sculpted in honor of Jesus Christ (a d m cccc lv ad honorem ihsus xpi sculpt). See, for instance, Dirk de Vos (ed.): Hans Memling, exh. cat., Bruges and Antwerp 1994, II, fig. p. 47.
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devotional writers and artists. Just as the Savior had walked from Pilate’s praetorium through the streets of Jerusalem, and from there, through a city gate to Mons Calvariae, so would the poor sinner embark on his last journey from the civic goal in Halle’s (now demolished) Altes Rathaus on the Marktplatz, down a brief section of the road toward Leipzig, through the Galgtor, and from there, to the place of execution, to face the gallows, the wheel or the sword on the Rabenstein. The inclusion of John and the Three Maries adds a strong element of compassio to this scene, and may have been intended not just for the edification of the poor sinner, but also, and perhaps primarily, for that of the many spectators who attended the execution pageants. (2) Hanging with Christ and doing penance with the Magdalene: the Passion narrative continues on the opposite (west) side of the cross with a Crucifixion group; Christ has expired on his cruciform scaffold – consummatum est – and he is mourned by his mother, favorite disciple, and Mary Magdalene, who here touches his feet with her right hand (fig. 9). She is dressed in fifteenth-century widow’s garb, completely cocooned in fabric, save for an unruly strand of long hair that undulates across her back. Her inclusion in particular draws attention to one of the prerequisites of dying with Christ and of following him into Paradise – the necessity of penitence, contrition, and of confession. Thus, in contrast to the Beichtenmarter at Bamberg, whose repetitive iconography may have implied some sort of spiritual mass processing of prisoners, the Halle cross helped structure an altogether more sophisticated conversion, a conversion that played on the temporary metamorphosis of that city’s urban features into those of the (imagined) Jerusalem, and that furnished important pictorial footnotes on the themes of compassio and poenitentia. It should be pointed out that the experience of contemplating the imago Passionis at stationary poor sinner’s crosses like those at Bamberg and Halle differed fundamentally from that of interacting with mobile images of Christ and the saints. While the sheer height of the Armsünderkreuze – sometimes in excess of ten meters18 – must have invariably elicited an upward, diagonal glance, even if the prisoner were standing, the mobile panel (known in Italy as a tavoletta) or the carved crucifix were always held level with the eyes of the condemned. We have already looked at this practice in two woodcut illustrations to the Bambergensis, though it was in Renaissance Italy in particular where this complete “in-your-faceness” came to be considered indispensable. Indeed, as we will see, Italian artists were to devise novel types of tavolette, which made it virtually impossible for the poor sinner or afflitto to concentrate on anything but the holy image in front of him. This material and visual evidence is complemented by the instructions found in the manuals composed for 18
For examples, see Timmermann 2007 (as in note 1), passim.
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special comforting confraternities. One such text, dating to the later fifteenth century and written for Bologna’s Compagnia di S. Maria della Morte, thus admonishes the laybrother accompanying the prisoner to “always keep beside him holding the tavoletta high so that he has to see and nothing else,” and to “make sure that he [i. e. the prisoner] looks you in the eye and at the tablet, so that he does not look around.”19 Most harrowing of all – at least for modern readers – is the prescription that the tavoletta should stay before the prisoner’s face until the final delivery of the coup-de-grâce at the scaffold: “And make sure that you pull the tablet away at the same time as the blow, so that he who has to die does not notice. Because sometimes when the tablet is taken away too soon, he moves his neck, and thus suffers many more blows, which makes it very hard on him.”20 In one swiftly choreographed double move, the icon of spiritual salvation was to be substituted by the instrument of bodily destruction. “This kind of death, more than any other, lets the body die and makes the soul live,” the comforter was to explain to the criminal while both were still in the prison cell.21 The logic of early modern penal theory is set out and later performed here in a nutshell and to perfection. Why this need for creating an exclusive pictorial space just for the prisoner, a space into which he could withdraw from this world and that severed, even hours before his execution, his last ties with the living? There were of course mundane reasons – spectators who mocked or cheered him, relatives offering some last physical sustenance; but the real rationale for this almost obstinate visual diversion was the belief, reflected in the ars moriendi tradition, that the prisoner in hora mortis had entered the fiercest battle of his life, and that he could well lose it. His chief enemies were the devil, who would tempt him to despair; the world, mocking his humiliation; and his own weak flesh, fearing the coming pain. In this scenario, the tavoletta with its gory close-ups of the wounds of Christ or saintly deaths became an indispensable tool in a psychomachia, the outcome of which was far from certain. To beat the devil at his own game, the afflitto had to intensely concentrate on the tavoletta and shun everything outside its pictorial field. Only then might he leave his physical and spiritual weakness behind, see himself fortified, consoled, and ultimately transformed and readied for a spousal union with Christ and his martyrs. As Marco Ferretti has recently shown, tavolette first came in use in the opening decades of the fourteenth century, almost as soon as the first comforting brotherhoods had been founded, a particularly early case in point being a 19
20 21
Quoted from The Bologna Comforters’ Manual, transl. by Sheila Das, in: Nicholas Terpstra (ed.): The Art of Executing Well. Rituals of Execution in Renaissance Italy, Kirksville (MO) 2008 (Early Modern Studies; vol. 1), pp. 193–275, here at p. 271. Ibid., p. 275. Ibid., p. 269.
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double-sided image of c. 1336 ascribed to one “Dalmasio” or “PseudoDalmasio” (Musée des Beaux-Arts, Tours).22 While one side of this easyto-read panel depicts two bound prisoners before the Virgin, the other shows the martyrdoms of John the Baptist and Catherine of Alexandria as taking place below the suspended figure of the Crucified. Following these earliest attempts of making the visual serviceable to the art of dying well Italian artists and their advisors were to fine-tune both the imagery and the format of the tavoletta so that by the sixteenth and early seventeenth centuries they had developed the perfect ‘viewing box’, which was ready to absorb, as it were, the prisoner’s purified soul, leaving but his mortal husk for the executioner to deal with. This complete sense of immersion was achieved by affixing to the tavoletta a pair or series of obliquely set lateral and upper ‘blinkers’ – oblong wooden panels that made it impossible for the prisoner to visually ‘escape‘ from the scene depicted before him, while at the same time shielding his face from the curious glances of the bystanders.23 Telling cases in point are provided by two comforting panels from the later sixteenth century and formerly in the collection of the Confraternity of La Buona Morte in Ferrara (now Pinacoteca Comunale, Ravenna).24 Both are double-sided, showing, respectively, the martyrdoms of Sts Euphemia (fig. 11) and a male saint, perhaps Hadrian, on one face, and the Crucifixion on the other. Depending on which side was chosen for the afflitto to focus on, the blinkers, which are hinged here, could either be flipped backward or forward; when locked around the image of the Crucified they featured an additional array of painted Passion Instruments, which the condemned could wield mentally either against his own body or that of Christ. 22
23
24
Massimo Ferretti: In Your Face. Paintings for the Condemned in Renaissance Italy, in: Terpstra 2008 (as in note 19), pp. 79–97, here at pp. 87–88; for a longer version, see idem, Pitture per condannati, in: Adriano Prosperi (ed.): Misericordie. Conversioni sotto il patibolo tra Medioevo ed età moderna, Pisa 2007, pp. 85–151. Cf., for instance, Michel de Montaigne’s eyewitness account of an execution in Rome in the winter of 1581: “one of them [i.e. the laybrothers] continually holds before his face a picture on which is the portrait of Our Lord [...]; this makes it impossible to see the criminal’s face from the street. At the gallows, which is a beam between two supports, they still keep this picture against his face until he was launched” (from Montaigne’s Italian travelogue, quoted after Samuel Y. Edgerton: Pictures and Punishment. Art and Criminal Prosecution during the Florentine Renaissance, Ithaca and London 1985, p. 165). Edgerton 1985 (as in note 23), p. 185; in this chapter (5) there is also a discussion of other tavolette from the same period. On early modern comforting images in northern Italy, see furthermore Larry J. Feinberg: Imagination All Compact. Tavolette and Confraternity Rituals for the Condemned in Renaissance Italy, in: Apollo 161, no. 519 (2005), pp. 48–57; Filippo Fineschi: Cristo e Guida. Rituali di giustizia a Firenze in età moderna, Florence 1995, passim; and Vicente Paglia: La morte confortata. Riti della paura e mentalità religiosa a Roma nell’età moderna, Rome 1982, passim.
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While these experiments with the visual and its impact on human psychology were being conducted in northern Italy, artists working north of the Alps had devised their own set of execution images – permanent ones, such as the steles on the Rabenstein and the numerous Armsünderkreuze, and portable pieces in the shape of carved or painted crucifixes. Painted narrative panels comparable to the Italian tavolette appear to have been an exception in transalpine Europe. Among the first visual records of the use of comforting crucifixes in the north are a series of – invariably gruesome – miniatures that accompany the elder Diebold Schilling’s so-called Spiezer Chronik of 1485 (Stadtarchiv, Spiez).25 Fol. 506r for instance portrays in graphic detail the execution of one Ueli Wagner and two accomplices for their attempted robbery of a Spiez town writer (fig. 12). While the two collaborators are being cooked in a cauldron of boiling oil, Wagner, stretched out upon a horizontal rack, has his legs, arms and torso smashed by a giant wheel (only to be woven onto the latter during the second part of his punishment). His vacant eyes stare upward at a carved crucifix which a priest, evidently terrified by the raised wheel, holds before his face; moreover, and perhaps very significantly, Wagner assumes exactly the same cruciform position on the ground as the small Christ on the cross. Similar comforting practices, all involving the mediation of a priest appointed by the municipal authorities, are also documented in the younger Schilling’s Lucerne Chronicle of 1511–1513 (Zentralund Hochschulbibliothek, Luzern),26 and, in the context of early civic law codes, in the richly illuminated so-called Volkacher Halsgerichtsordnung or Salbuch of 1504, which predates the printed Bambergensis by three years (Stadtarchiv, Volkach).27 The latter illustration, on fol. 401r, shows the prisoner being escorted by the usual array of court servant, hangman, priest with crucifix, and a vast crowd of soldiers and spectators to the place of execution outside Volkach’s town walls. What makes this miniature especially poignant – and relevant here – is the fact that the unknown artist has inserted, above the empty triangle between wheel, scaffold, and crucifix, the term locus calvariae – a term that powerfully draws attention to the capacity of images to effect a temporary “topomorphosis”, to transform a quotidian site suffused with the vulgar reek of regular executions into the very place where Christ had died for all humankind. 25 26 27
Wolfgang Schild: Folter, Pranger, Scheiterhaufen. Rechtsprechung im Mittelalter, Munich 2010, p. 174. Diebold Schilling the Younger, Luzerner Chronik, Luzern 1511–1513, e. g. on fols 148r and 218v; cf. Schild 2010 (as in note 25), figs. pp. 165, 172. Wolfgang Schild (ed.): Die Halsgerichtsordnung der Stadt Volkach aus 1504, Rothenburg o. d. T. 1997, pp. 36–38 (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Krininalmuseums Rothenburg o. d. T.; 2).
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By the mid-sixteenth century law code and chronicle illustrations depicting the poor sinner receiving visual solace en route to, or on, the scaffold, had become commonplace. To conclude this contribution, I turn toward three works produced in the southern Netherlands in the sixth and seventh decade of the sixteenth century, works that in some ways complement or else furnish a thoughtful twist on the northern tradition of mobile comforting images. The first is Joost de Damhouder’s Praxis rerum criminalium, a vast compendium on the practice of criminal law published in Bruges in 1554 with a series of woodcuts, the second and third are two masterpieces by the elder Pieter Bruegel. The latter pair – his drawing of Iustitia (1559) and his monumental Road to Calvary (1564) – is imbued with an investigative and critical spirit that is clearly at odds with the matter-of-factness of the Swiss chronicles or the Bambergensis. Damhouder’s Praxis contains two illustrations that are of interest to us here; the first (fig. 13) takes us into the prison cell, showing the goings-on there on the eve of an execution, the second to a market square in front of a Renaissance-style town hall, where multiple killings and a pillory flogging take place (fig. 14). Both images show a variety of mobile comforting aids which are, perhaps significantly, no longer directly handled by priests, but by the condemned themselves. In the first woodcut (fol. 262v), two priests visit a pair of poor sinners in their cell; while one has brought along a carved crucifix, the other has pressed upon his charge a (presumably) two-sided tavoletta, a rarity in northern Europe. While the side of the tavoletta seen by the prisoner remains hidden from the viewer, the verso face depicts Christ carrying the cross to Golgotha, recalling the same imagery on the east face of the Halle Armsünderkreuz (and indeed, anticipating Bruegel’s Road to Calvary, considered below). What seems important here is both the act of seeing the suffering Christ and the act of touching him. The aspect of tactility is teased out even more in the second woodcut (fol. 264r), where no priests at all are present. Instead, we see two criminals, one being dragged up a gallows, the other blindfolded (!) and about to be dealt the fatal blow from the hangman’s sword, desperately holding on to miniature crosses, as if they were talismans that would offer protection against all odds. Two details in Bruegel’s multi-figured 1559 drawing of Iustitia (Bibliothèque Royale de Belgique, Brussels) suggest that the great painter was familiar with at least the second of the Damhouder woodcuts just explored (fig. 15).28 The first is the episode of the beheading, which re-occurs, 28
Thanks to Matt Kavaler for this observation. On Bruegel’s Iustitia and its engraved adaptation by Philips de Galle, see Nadine M. Orenstein (ed.): Pieter Bruegel the Elder: Drawings and Prints, exh. cat., New York and London 2001, pp. 186–187 nos. 72–73, with further literature.
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inclusive of the small tactile cross, in the right middle ground of the drawing, the second that of the public flogging at a kind of platform pillory, which Bruegel quotes almost verbatim just behind and above the decapitation scene. Bruegel’s drawing, which sweepingly takes the viewer from a busy, open courtyard in the foreground into a panoramic background landscape equally teeming with figurines, is filled almost to the brim with a multitude of crowded sub-scenes that depict virtually every judicially sanctioned act of violence imaginable, from waterboarding to the amputation of limbs, from burnings at the stake to breakings on the wheel. It is almost as if the abstract display of torture and killing implements from fol. 35r of the Bambergensis has finally been put to use and come to life. In the midst of all this, Iustitia (upon eventual discovery in the center foreground) is seen to be equipped with all her requisite attributes, but generally ignored by the pictorial protagonists, and appears to be playing a game of blind man’s bluff with herself. As in the second Damhouder woodcut, two of the prisoners hold miniature crucifixes, here the man who is to be decapitated and another, in the left foreground, who receives his verdict from a judge. But what makes Bruegel’s drawing so fascinating – and disturbing – is not so much the apparent uselessness of these comforting devices, but another, rarely noticed detail in the upper right background. As we follow a squadron of mounted soldiers toward the distant horizon, with its skyline punctuated by multiple gallows and upright wheels, and polluted by acrid, billowing smoke from a stake, we notice, upon a platform supported by a small hillock, a sculpted, life-size Crucifixion group shown from behind (of the figure of Christ we can just see part of his fluttering loincloth). Christ and the two flanking mourners, in other words, are turning their backs to us, facing instead a landscape suffused with the madness of killing. With Christ’s cross being exactly level with the gallows and wheels in the far-off distance, Bruegel created a sort of pictorial pendulum that swings back and forth between two rather different spaces of the Passion – spaces that could still merge into a salvific continuum in the Bologna Comforters’ Manual or generate the space- and time-transcending locus calvariae of the Volkach Salbuch, but that in the Flemish master’s great pictorial parody of human justice have clearly moved apart, revealing an insurmountable gap between them. This incompatibility is underscored here by the motif of the bivium: while the riders journey forth comfortably on their mounts into the broad landscape, to witness, alongside countless other spectators, the various executions, only two diminutive figures have made their way up a steep and narrow path that takes them to the suffering Christ and his compassionate mourners. These two are the lucky ones, having found the only way out of this man-made nightmare.
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A somewhat more conciliatory tone is struck in Bruegel’s Road to Calvary of 1564 (Kunsthistorisches Museum, Vienna), the last work to be examined here (fig. 16). The painting is a veritable labyrinth of the gaze, with many odd twists and turns and dead ends, which constantly frustrate the viewer’s search for clarity and meaning. What is more, numerous contradictory details create spatio-temporal fissures, through which the Holy Land seeps into the Netherlands, and vice versa. Some of these details have received considerable attention, for instance the presence of a Dutch-style Bockwindmühle just above the left of the diminutive, cross-bearing Christ in the epicenter of the picture,29 or the incorporation of mounted soldiers in red coats remarkably similar in appearance to the roode rocx, Wallonian mercenaries in the service of the southern Netherlands’ Habsburg rulers.30 The detail of relevance here is a horse-drawn cart which has become stuck in mire just in front of the Savior, and which carries to their doom the two thieves, Gestas and Dysmas. Both, with haggard, pale faces, are consoled by mumbling priests, but while Gestas, the Bad Thief, looks at a sky that remains hopelessly vacant in his sight, Dysmas, though dazed, appears to at least distractedly listen to the words of his comforter. More importantly, he clutches a miniature cross, which the former has urged upon him. The inclusion of this mobile salvation device is truly baffling, in particular because Christ’s sacrifice is as yet to happen; witness the dense ring of early gawkers around empty Mount Calvary in the upper right corner, whose circular shape is mirrored by that of a wheel in the right foreground. In this scenario, Bruegel’s small crucifix works both proleptically and analeptically, establishing two strong counter-rotating temporal movements. It identifies Dysmas as the first poor sinner capable of achieving Salvation, while simultaneously marking the repentant criminal of the painter’s own time as a worthy successor to the Good Thief. In this contribution we have brought to light the physical and intellectual traces of a judicial system that, thankfully, no longer exists – at least in those countries that deserve to be called ‘civilized’. While the basic tenet of this system – that officially sanctioned violence is essential to uphold law and order in a given polity – remained unchanged for centuries, the mise-en-scène of this violence underwent dramatic transformations. Like archaeologists, we have dug down deep below modern traffic circles, or else homed in on a body 29
30
On this, see the essayistic, but often insightful study by Michael Francis Gibson: The Mill and the Cross. Pieter Bruegel’s Way to Calvary, Lausanne 2000, passim, which also provided the inspiration for Lech Majewski’s excellent 2011 film The Mill & the Cross. For a summary of this debate, see Roger H. Marijnissen: Bruegel. Das vollständige Werk, Brussels 2003, p. 224.
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of scant pictorial and textual evidence scattered through various European collections, and in the process uncovered the template for a specific sacrificial topography; a template that operated through binaries such as ‘city’ and ‘suburbia’ or ‘countryside’; ‘center’ and ‘periphery’; ‘inclusion’ and ‘exclusion’; ‘life’ and ‘death’. Properly activated through ritual and imagery, this template could on occasion generate a second topography, removed in time even further than the first. The spaces within which such a double image could flicker into existence were manifold; they varied from the miniature viewing boxes of the Cinquecento Italian confraternities to the vast killing theaters north of the Alps, with their imposing ensembles of scaffold(s) and Armsünderkreuz(e). These physical spaces of retribution and redemption in turn created a corresponding spectrum of mental spaces that fluctuated between the private and the public, between interior space and exterior space. It took the elder Bruegel to open up such spaces – physical and mental – before the viewer, only to close them again almost immediately. An important final question is not addressed. Have we been looking at a purely theoretical scenario or at one that did indeed have practical, positive ramifications for the condemned? In other words, did the prisoner, in hora mortis sua, really care about the grand theater that was set in motion around him, and in which he was supposed to play the lead role? Chronicles and other sources recording the edifying speeches that malefactors made just before their execution suggest that there were at least some offenders who subscribed to the idea of performing in a real-life Passion play;31 however, taken as a whole and compared to the sheer number of public executions carried out in virtually every European town until the early nineteenth century these few-and-far-between textual references to Christoform or saint-like prisoners happily ascending the scaffold almost produce no echo. What remains is an overwhelming silence. Perhaps, after all, for those who were made to die there never was such a thing as the art of dying well.
Illustration credits Figs. 1–3, 5, 10: Wikimedia Commons; figs. 4, 15, 16: Visual Resources Collection, University of Michigan, Ann Arbor; figs. 6–9, 13, 14: Achim Timmermann; fig. 11: Edgerton 1985 (as in note 23), fig. 50; fig. 12: Schild 2010 (as in note 25), p. 174. 31
For a selection of such speeches from the seventeenth through early nineteenth centuries, see Richard van Dülmen: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale der frühen Neuzeit, Munich 1995, pp. 161–179; passim.
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Fig. 1: Bambergische Halsgerichtsordnung, 1507, p. 34r, woodcut: Procession to the Scaffold.
Fig. 2: Bambergische Halsgerichtsordnung, 1507, p. 35r, woodcut: Array of Torture and Execution Instruments.
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Fig. 3: Bambergische Halsgerichtsordnung, 1507, p. 35v, woodcut: Execution of Two Malefactors.
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Fig. 4: Lower Rhenish, devotional ivory booklet, c. 1330–1340, London, Victoria and Albert Museum: Instruments of the Passion.
Fig. 5: Constitutio Criminalis Carolina, 1532, frontispiece, woodcut: Array of Torture and Execution Instruments and Procession to the Scaffold.
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Fig. 6: Bamberg, Beichtenmarter, c. 1490–1510.
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Fig. 7: Halle an der Saale, Armsünderkreuz (Pestkreuz), 1455, west face.
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Fig. 8: Halle an der Saale, Armsünderkreuz (Pestkreuz), 1455, east face: Christ Carrying the Cross.
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Fig. 9: Halle an der Saale, Armsünderkreuz (Pestkreuz), 1455, west face: Crucifixion.
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Fig. 10: Hans Memling, The Passion of Christ, 1470–1471, oil on panel, Turin, Galleria Sabauda.
Fig. 11: Tuscan, tavoletta with Martyrdom of St. Euphemia, late 16th century, Ravenna, Pinacoteca Comunale.
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Fig. 12: Swiss, ‘Spiezer Chronik’ of Diebold Schilling, 1485, Bern, Burgerbibliothek, fol. 506r: Execution of Ueli Wagner.
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Fig. 13: Flemish, ‘Praxis rerum criminalium’ of Joost de Damhouder, 1554, p. 262v, woodcut: Comforters with Images in Prison Cell on the Eve of an Execution.
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Fig. 14: Flemish, ‘Praxis rerum criminalium’ of Joost de Damhouder, 1554, p. 264r, woodcut: Malefactors Clutching Crucifixes while Being Executed.
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Fig. 15: Pieter Bruegel the Elder, Iustitia, 1559, Brussels, Bibliothèque Royale de Belgique.
Fig. 16: Pieter Bruegel the Elder, Christ Carrying the Cross, 1564, Vienna, Kunsthistorisches Museum: Detail of Cart with Good Thief Holding Cross.
3. Schauspiel, Liturgie, Prozession
Margreth Egidi
Theatralität und Bild im spätmittelalterlichen Passionsspiel. Zum Verhältnis von Gewaltdarstellung und compassio
Die mittelalterlichen Passionsspiele stellen für die Forschung bis heute eine nicht geringe Irritation dar. Sie bringen bekanntlich in der städtischen Öffentlichkeit Leben und Passion Christi bis zum Osterereignis auf die Bühne. Irritierend wirken – gerade angesichts der religiösen Funktion der Spiele – die exzessiven Gewaltdarstellungen, die – vor allem in den Texten aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert – über weite Strecken von der Perspektive der Folterer bestimmt sind. Diese spezifische Perspektivierung der Gewaltdarstellungen unterscheidet die Passionsspiele sowohl von der Passionsikonographie als auch von der Traktatliteratur, mit denen sie ansonsten in engem Austausch stehen. Die spannungsvolle Vielschichtigkeit vor allem der späteren Spiele, deren zunehmender Umfang und Aufwand die steigende Bedeutung des Genres anzeigt, spiegelt sich in einer Polarisierung der Forschungsdiskussion. Dieser Vielschichtigkeit werde ich im Folgenden nachgehen; es interessiert mich dabei zweierlei: zum einen die Formen der Darstellung von Gewalt und Leiden – hier wird es auch um Berührungen mit der Passionsikonographie gehen – und zum anderen Aspekte des Theatralen und Performativen. Meine Textgrundlage bilden deutschsprachige Spiele aus der Zeit von etwa 1480 bis 1515.1 1
Ich zitiere aus folgenden Ausgaben: Alsfelder Passionsspiel, Frankfurter Dirigierrolle mit den Paralleltexten, weitere Spielzeugnisse, Alsfelder Passionsspiel mit den Paralleltexten, hg. von Johannes Janota, Tübingen 2002 (Die Hessische Passionsspielgruppe; 2) (= AP); Das Donaueschinger Passionsspiel, nach der Handschrift mit Einl. u. Komm. neu hg. von Anthonius H. Touber, Stuttgart 1985 (= DP); Frankfurter Passionsspiel, in: Das Drama des Mittelalters, hg. von Richard Froning, Stuttgart 1891/1892 (Deutsche National-Literatur; 14) (Nachdruck Darmstadt 1964), Teil 2, S. 375–532 (= FP); Heidelberger Passionsspiel, hg. von Gustav Milchsack, Tübingen 1880 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 150); Sterzinger Passionsspiel, in: Die geistlichen Spiele des Sterzinger Spielarchivs, nach der Handschrift hg. von Walther Lipphardt und Hans-Gert Roloff, Bd. 2, Bern u. a. 1988 (Mittlere deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken; 15), S. 207–331 (= StP); ferner ziehe ich den Passionsteil des Egerer Fronleichnamsspiels heran: Egerer Fronleichnamsspiel, hg. von Gustav Milchsack, Tübingen 1881 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart; 156) (= EF). – Nach den entsprechenden Artikeln im Verfasserlexikon (Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begründet von Wolfgang Stammler,
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Margreth Egidi
Meine Thesen lauten: 1. Für die Passionsspiele ist das Spannungsverhältnis zwischen zwei unterschiedlichen Darstellungsdimensionen konstitutiv: der Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion und der statisch-bildhaften Ausstellung des Leidens. 2. Den divergierenden Darstellungslogiken entsprechen unterschiedliche Modelle von Performativität und damit auch unterschiedliche Relationierungen von Akteuren und Zuschauern in einem gemeinsamen Kommunikationsraum: einerseits die Performativität der theatralen Mimesis; andererseits eine ‚innere Performativität‘ im Sinne des Mitvollzugs der Passion durch den Betrachter. fortgeführt von Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl. unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hg. von Kurt Ruh u. a., ab Bd. 9 hg. von Burghart Wachinger u. a., 13 Bde., Berlin/ New York 1978–2007) werden für die Hessische Passionsspielgruppe folgende Datierungen angesetzt: Frankfurter Passionsspiel: 1493; Alsfelder Passionsspiel: 1501; Heidelberger Passionsspiel: 1514; für das alemannische Donaueschinger Passionsspiel wird eine Datierung auf ca. 1480 erwogen, ebenso für das tschechische Egerer Fronleichnamsspiel; das Sterzinger Passionsspiel (Tirol) wurde 1496 und 1503 aufgeführt.– Von der seit den letzten 15 Jahren lebhaft geführten germanistischen Forschungsdiskussion zu den Spielen nenne ich nur: Jan-Dirk Müller: Das Gedächtnis des gemarterten Körpers im spätmittelalterlichen Passionsspiel, in: Claudia Öhlschläger und Birgit Wiens (Hg.): Körper – Gedächtnis – Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, Berlin 1997, S. 75–92; ders.: Mimesis und Ritual. Zum geistlichen Spiel im Mittelalter, in: Andreas Kablitz und Gerhard Neumann (Hg.): Mimesis und Simulation, Freiburg/Br. 1998 (Rombach Wissenschaften, Reihe Literatur 51), S. 541–571; ders: Realpräsenz und Repräsentation. Theatrale Frömmigkeit und Geistliches Spiel, in: Hans-Joachim Ziegeler (Hg.): Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen 2004, S. 113–133, sowie weitere Beiträge in diesem Band; Ingrid Kasten: Ritual und Emotionalität. Zum Geistlichen Spiel des Mittelalters, in: Matthias Meyer und HansJochen Schiewer (Hg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch und Spätmittelalters, Tübingen 2002, S. 335–360; Ursula Schulze: Formen der Repraesentatio im Geistlichen Spiel, in: Walter Haug (Hg.): Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea; 16), S. 312–356; dies.: Schmerz und Heiligkeit: Zur Performanz von Passio und Compassio in ausgewählten Passionsspieltexten, in: Horst Brunner und Werner Williams-Krapp (Hg.): Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota, Tübingen 2003, S. 211–232; Anthonius H. Touber: Passionsspiel und Ikonographie, in: Hans-Joachim Ziegeler (Hg.): Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen 2004, S. 261–272; Erika Fischer-Lichte: Theater und Fest. Anmerkungen zum Verhältnis von Theatralität und Ritualität in den geistlichen Spielen des Mittelalters, in: Ingrid Kasten und Erika Fischer-Lichte (Hg.): Transformationen des Religiösen. Performativität und Textualität im geistlichen Spiel, redaktionelle Mitarbeit: Elke Koch, Berlin/New York 2007 (Trends in Medieval Philology; 11), S. 3–17. Christian Kiening: Präsenz – Memoria – Performativität, ebd., S. 139–168, sowie weitere Beiträge in diesem Band. Vgl. ferner die Beiträge in dem Sammelband von Christel Meier (Hg.): Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation, Münster 2004 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme).
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Das wird im Einzelnen noch zu erläutern sein. Zuvor skizziere ich jedoch kurz die germanistische Fachdiskussion zu den Spielen, um dann im zweiten und dritten Teil meinen eigenen Ansatz zu entwickeln.
1. Forschungspositionen zur Gewaltdarstellung und Theatralität Gängig ist in der germanistischen Forschung zu den Passionsspielen die Deutung der Leidensdarstellung im Sinne heilsgeschichtlich-moralischer Lehrinhalte. Dies ist grundsätzlich naheliegend, bleibt aber allzu unscharf und wird der spezifischen Darstellungslogik und Medialität der Spiele nicht gerecht. Zurecht haben Bestimmungen ihrer Funktion als Heilsverkündigung, Erbauung und andächtige Betrachtung Kritik erfahren, so von Jan-Dirk Müller.2 Unbefriedigend bleibt auch die Zuschreibung einer primären Funktion der Erregung von Affekten, insbesondere von Mitleid – ich werde darauf zurückkommen.3 Fraglos haben die Spiele einen religiösen Fluchtpunkt. Er ließe sich ganz allgemein umreißen als intensivierende Wiederholung der heilsgeschichtlich relevanten Ereignisse im Sinne der rememoratio. Unerklärt bleibt dann aber die massive Inszenierung von Gewalt. Aus dem Blick geraten damit auch grundsätzlich, konzentriert man sich ausschließlich auf die religiöse Semantisierung, die spezifischen Spannungen und Inkohärenzen des geistlichen Spiels sowie seine spezifischen medialen Möglichkeiten. Gegenüber der Betonung von Erbauung und Heilslehre nahm der Romanist Rainer Warning schon früh die Darstellung kollektiver Gewalthandlungen in den Blick und vertrat zu den altfranzösischen Spielen die These, dass bestimmte Muster der geistlichen Spiele zentrale Elemente der christlichen Heilslehre in den Mythos zurückspielen.4 So suchte er an der Darstellung des Opfertods 2
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Müller 1998 (wie Anm. 1), S. 541: „Ein Großteil der Spätmittelalterfoschung hat sich mit der Formel beruhigt, das Spiel diene der religiösen Verkündigung: der memoria des Heilsgeschehens, der Belehrung über bestimmte Glaubensinhalte und der Erweckung von compassio, emotionaler Anteilnahme am Leiden Jesu.“ Die Erregung von ‚Mitleid‘ wird entweder in Anschlag gebracht für eine kathartische Dimension der Passionsspiele (Fischer-Lichte 2007 [wie Anm. 1], S. 14) oder für ein Heranrücken des Transzendenten an den Menschen (Schulze 2003 [wie Anm. 1], S. 211). Letzteres ist insofern irreführend, als es in spätmittelalterlicher Frömmigkeit grundsätzlich um die entgegengesetzte Bewegung geht: um die Selbstheiligung des Menschen und das Erreichen der Christusförmigkeit. Rainer Warning: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels, München 1974; ders.: Hermeneutische Fallen beim Umgang mit dem geistlichen Spiel, in: Wolfgang Harms und Jan-Dirk Müller (Hg.): Mediävistische Komparatistik. Festschrift
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Christi die These zu erhärten, dass hier das archaische ‚Sündenbockritual‘ verdeckt wiederkehre. Kritik an Warnings These wurde zurecht laut angesichts der in jedem Fall unübersehbaren religiösen Semantisierung der Spiele.5 Darüber hinaus scheinen die Denkfiguren des Regresses beziehungsweise der Wiederkehr von durch den christlichen Monotheismus Verdrängtem im Sinne einer präzisen kulturwissenschaftlichen und historischen Kontextualisierung sehr problematisch.6 Gleichwohl hat Warning mit seiner Provokation den Blick geöffnet für konstitutive Ambivalenzen des geistlichen Spiels. Hier knüpft Jan-Dirk Müller an, der die exzessiven Gewaltdarstellungen ebenso in den Blick nimmt wie die Artikulation von Leidensfrömmigkeit. Diese unterschiedlichen Tendenzen bringt er – anders als Warning – mit dem ambivalenten Status der Spiele zwischen Liturgie und Theater in Verbindung: Das geistliche Spiel lebe aus der Spannung zwischen religiösem Ritual und der „Freisetzung theatralischer Möglichkeiten“.7 Besonders betont er die Grenze zur Liturgie, die bei allen Berührungen doch bestehen bleibt: Die Spielaufführung ist Repräsentation des Heilsgeschehens, nicht sein wiederholender Vollzug. Die entscheidende Differenz zwischen den Positionen Warnings und Müllers bezieht sich also auf die ästhetische Dimension im weitesten Sinne, die Warning den Spielen auch noch in den späteren Studien dezidiert abspricht. Während Warning von einem „Spiel ohne Rampe“ spricht,8 geht Müller davon aus, dass hier eine eigentliche theatrale Logik vorliegt. Es ist dieses Verhältnis zwischen den ästhetisch-theatralen Darstellungsfreiräumen und der religiösen Funktion der Spiele, das mich interessiert. Ich werde zwei unterschiedliche Dimensionen der Gewalt- und Leidensdarstellung im Passionsspiel analysieren, die beide ein und denselben Spieltext prägen
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für Franz-Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag, Stuttgart/Leipzig 1997, S. 29–41; ders.: Auf der Suche nach dem Körper. Das Imaginäre des geistlichen Spiels, in: Hans-Joachim Ziegeler (Hg.): Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Tübingen 2004, S. 343–359. Vgl. insbesondere die Rezension zu Warnings Monographie von 1974 von Friedrich Ohly in: Romanische Forschungen 91 (1979), S. 111–141. Dies unter anderem aufgrund der präsupponierten anthropologischen Grundbedürfnisse, etwa der „Fortdauer eines archaischen Transgressionsbedürfnisses“, die letztlich doch als überzeitliche Universalien aufgefasst werden; Warning 2004 (wie Anm. 4), S. 358. – Die Postulierung dieser Universalie wechselt bei Warning mit der (längst obsoleten) Zwei-Kulturen-These (einer konflikthaften Gleichzeitigkeit von kirchlich-christlicher Kultur und archaisch-paganer ‚Volkskultur‘). „[…], die sich aus der Überschreitung ritueller Vollzüge ergibt“; Müller spricht von der „Freisetzung einer phantasmatischen, aus ihren theologischen Bedeutungsfesseln entbundenen Mimesis“; Müller 1998 (wie Anm. 1), S. 570. Dass diese schlussendlich wieder religiös funktionalisiert wird, heißt eben nicht, dass die so entstandenen theatralen Freiräume sich zwangsläufig wieder vollständig schlössen. Warning 1997 (wie Anm. 4), S. 39.
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können: zum einen die Täter-Opfer-Interaktion, zum anderen die aus der Interaktion heraustretende, statisch-bildhafte Ausstellung des Leidens. Ich meine, dass die erstgenannte Dimension, die Imaginationen der Gewalt, in der expliziten Thematisierung des Heils nicht vollständig aufgeht. Die andere Dimension der Spiele aber, die Ausstellung des Leidens, werde ich stärker in der Matrix spätmittelalterlicher Frömmigkeit verorten.
2. Die Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion Viele Szenen sind dominiert von der Interaktion zwischen den Folterern und Christus. Die Spiele schaffen sich vor allem im Ausbau der Verhöhnungs-, Folter- und Kreuzigungsszenen gegenüber den Evangelienberichten erhebliche Freiräume und setzen neue Akzente. Diese zielen erstens auf den Aspekt der Entmenschlichung, geben zweitens der verbalen Aggressivität der Täter viel Raum und inszenieren drittens das ‚Spiel der Folterer‘. Der Aspekt der Entmenschlichung meint die Erniedrigung und Zerstörung des Menschseins Christi, den Verlust der Menschenähnlichkeit.9 So sagt der dritte Geißler in der Dornenkrönungsszene des Alsfelder Passionsspiels zu Christus: Tertius flagellator: dar nach wirt dyner noit mere, want du nymmest dich an, du sijest got. [...] dar vmb saltu sicherlich keynem mentschen synn glich. (AP, v. 4307–4313) Der dritte Geißler: ‚Deine Qual wird noch größer werden, denn du maßt dir an, Gott zu sein. […] Darum sollst du einem Menschen nicht mehr ähnlich sein.‘10
Das entspricht zwar der christlichen Lehre, welche die Vernichtung der menschlichen Natur Christi als Heilsbedingung betrachtet. Anders als in der Passionsliteratur wird das Motiv der Entmenschlichung in den Spielen jedoch, wie ich meine, nicht vollständig von der Vorstellung des Triumphes in der 9 10
„Profanierung heißt Zerstückelung des Körpers und Degradation zur untermenschlichen Kreatürlichkeit.“ Müller 1997 (wie Anm. 1), S. 83f., zit. S. 83. Ein weiteres Beispiel: nu erkennet nymmant zu disser stund, / ab es sij eyn mentsche, szo ist er vorwont (AP, v. 6207f.; Marienklage); „Nun kann niemand mehr erkennen, ob er ein Mensch ist, so sehr ist er verwundet.“ – Alle Übersetzungen stammen von mir (M.E.).
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Erniedrigung aufgefangen, es erhält ein Eigengewicht, besonders in Verbindung mit der exzessiven Ausgestaltung der Verhöhnungen. Die Szenen verharren für eine gewisse Zeit in den Erniedrigungs- und Entmenschlichungsphantasien. Das zweite Merkmal der Gewaltdarstellung in den Passionsspielen, auf das schon vielfach hingewiesen wurde, ist die massive Entfaltung sprachlicher Aggressivität,11 z. B. in der Verhöhnung. Als Jesus vor Herodes gebracht wird, höhnt Johel: heb vff den ruggen du tolle kopff wie henkstu vnder sich den schopff du gast glich schlichen als ein dieb lüg wie hand dich din iunger so lieb Sy koment all als trostlich z dir wie ein hass z sinem brder. (DP, v. 2650–2655) Halte dich gerade, du Narr, was lässt du den Kopf so hängen? Wie ein Dieb schleichst du einher! Schau nur, wie haben dich deine Jünger so lieb, sie kommen alle, um dich zu trösten, wie ein Hase zu seinem Bruder!12
Ferner begleiten die Folterer – ein weiterer Aspekt verbaler Aggressivität – ihre Handlungen fortwährend durch Erläuterungen dessen, was sie tun. Physische Gewalt konstituiert sich geradezu im heiter-zynischen Geplapper der Akteure, häufig in mehrfacher, beharrlicher Wiederholung.13 Sehr deutlich wird 11 12
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Vgl. Müller 1997 (wie Anm. 1), S. 79 u. ö. Die Befragung Jesu durch Annas kommentiert Mosse folgendermaßen: la sechen was wil er reden dar z / ob er ouch der glich t/ als ob er förcht den bössen tod / im garten er vns vil spätzli bott (DP, v. 2211–2214). „Lass sehen, was er darauf antworten wird und ob er sich so gebärdet, als fürchte er den schlimmen Tod; im Garten hat er uns viele Späßchen geboten!“ (Gemeint ist die vorausgehende Gethsemane-Szene.) Vgl. ferner DP, v. 2630f. und 2748–2756; FP, v. 3546–3549. Ein Beispiel aus der Kreuzigungsszene des Alsfelder Passionsspiels: Annas dicit: / Den raid kan ich fynden woil, / vff das crucz man en legen sail. / [...] / mer heben vff das crucze widder / vnd loisszen en fallen do nidder. / szo ernuwen sich die wonden synn, / szo wirt gemeret auch syn pynn. [...] Hic iactant eum super crucem. Et secundus flagellator dicit: Gebet her stumper nagel dry, / hamer vnd zangen auch da by. / an hende vnd an fusz byndet em strenge / and recket en nach des cruczes lenge / bys an der locher zeychen. [...] Et secundus flagellator percutit clauem ad dexteram manum et dicit: Dissen neyl slan ich durch dyn recht hant, / pyn vnd smerczen wirt dir do von bekannt. Primus flagellator accipit sinistram manum et dicit: Geselle iß enist nirgen by dem zeichen, / dissze hant wel zu dem loch nyt reichen. Tercius flagellator dicit: [...] / lange her eyn strangk, / mer woln em den arm machen langk, / mer woln em dynszen synen lipp. / [...] / mer ziehenn em den arm glich dem hoil, / das hie wirt glich alß eyn vorleschen koil. Et sic extrahunt brachia dei. Et tunc quartus flagellator dicit: Gesellen, nu haldet suberlich, / die hant ist dem hole glich. / ir hot fromlich gezogen, / ich wel vns den nagel yn slagen. (AP, v. 5580–5623).
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hier, dass die Perspektive der Folterer die Szenen dominiert.14 Hierauf zielt auch die von Müller hervorgehobene Differenz zwischen der Sprachmacht der Täter und der weitgehenden Stummheit des Opfers.15 Zentral in den Degradationsphantasien ist schließlich – auch darauf hat Müller hingewiesen – das Motiv des Spiels, das die Juden und die Kriegsknechte mit Jesus treiben.16 Dem Spielmotiv entspricht die Beschimpfung Jesu als zouberer, göugelman oder abentürer. Ein Beispiel sind die
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„Annas sagt: ‚Ich kann euch einen Rat geben. Man soll ihn auf das Kreuz werfen. […] Dann heben wir das Kreuz hoch und lassen es wieder fallen. So platzen seine Wunden auf und wird seine Qual noch vergrößert.‘ […] Nun werfen sie ihn auf das Kreuz. Der zweite Geißler sagt: ‚Gebt mir drei stumpfe Nägel und auch Hammer und Zange. Bindet ihn fest an Händen und Füßen und streckt ihn entsprechend der Länge des Kreuzes bis zu den Markierungen für die Löcher […].‘ Der zweite Geißler schlägt den Nagel durch die rechte Hand und sagt: ‚Diesen Nagel schlage ich durch deine rechte Hand, bestimmt wird dir das schlimme Schmerzen bereiten.‘ Der erste Geißler nimmt die linke Hand und sagt: ‚Geselle, hier geht es nicht bis zu der Markierung, die Hand will nicht bis zum Loch reichen.‘ Der dritte Geißler sagt: ‚[…] Reich mir einen Strick, wir wollen ihm den Arm lang ziehen und ihm den ganzen Körper zerdehnen […]. Wie strecken ihm den Arm bis zum Loch, so dass er wie eine verlöschende Kohle wird.‘ Und so strecken sie die Arme Gottes. Darauf sagt der vierte Geißler: ‚Gesellen, nun haltet sie gut fest, die Hand reicht nun bis zum Loch. Ihr habt tüchtig gezogen, ich will den Nagel nun einschlagen.‘“ Vgl. ferner DP, v. 3345–3364b. „Das unterscheidet das theatralische Medium vom gemalten Andachtsbild und den Passionstraktaten, von denen es inhaltlich abhängig ist. Im Andachtsbild und im Passionstraktat appellieren noch die gräßlichsten Wunden unmittelbar an das fromme Mitleiden des Betrachters; sie laden ihn zur frommen Versenkung ein. Im Spiel dagegen wird er […] mit dem überwiegend sprachlich inszenierten Vorgang des Folterns“ konfrontiert; Müller 1997 (wie Anm. 1), S. 77; vgl. S. 79 u. ö. – Als Beispiel aus der Traktatliteratur sei zum Vergleich ein Textauszug aus dem Heinrich von St. Gallen zugeschriebenen Extendit manum-Traktat herangezogen; Kurt Ruh: Der Passionstraktat des Heinrich von St. Gallen, Thayngen 1940 (es handelt sich um den Typ der Historia passionis, die vor allem eine möglichst genaue Erzählung vom Leidensweg Christi bieten will). Hier geht es bei der detaillierten Schilderung der Leiden insbesondere um die Verunreinigung Christi und die Zerstörung seines Äußeren hin zur völligen Nicht-Erkennbarkeit, die Interaktion selbst steht nicht im Vordergrund: Do nomen die diner der bischove den herren […] und slugen in und spieten im in den Hals und in den munt und hatten in so gar vorspiet under den ougen, das man an im nicht kunde irkennen, wie sin antlitz was gestalt (42, 27–31.). „Da nahmen die Diener der Bischöfe den Herren […] und schlugen ihn und bespuckten ihm den Hals und den Mund und bespuckten ihm so sehr seine Augen, das sein Antlitz nicht mehr zu erkennen war.“ (Vgl. auch ebd., 57, 12–17). Vgl. Müller 1997 (wie Anm. 1). Insbesondere für das Spiel-Element gilt, dass die mimetische Darstellung und der Vollzug nicht klar voneinander zu trennen sind. Vgl. hierzu Müller 1998 (wie Anm. 1), S. 564, der die Sündenbockthese Warnings sehr überzeugend auf die Ebene des ‚Spiels im Spiel‘ bezieht: „Auf der ersten Ebene finden sich alle Merkmale eines Sündenbockrituals; es wird von den Akteuren als „spiel“ bezeichnet […] und manchmal in Form eines Spiels exekutiert, das rituelle Züge hat.“
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‚Verkleidungsspiele‘, die deutlich auf Erniedrigung zielen. Das Verkleidungsmotiv ist in den Evangelientexten vorgegeben, wird aber stark ausgebaut:17 Primus miles Herodis dicit: Herr, hie ist ein weis kleid bereit, Das zieh wir im an fur ein narn kleit; Wan wen der teifel schenden wil Und mit im haben ein fasnachtspil, Dem legt er ein langes gwant an: Also wel wir auch Jhesu than. Et sic imponunt sibi albam vestem. (EF, v. 4937–4944b) Der erste Kriegsknecht sagt zu Herodes: ‚Herr, hier ist ein weißes Gewand, das ziehen wir ihm als Narrengewand an; denn wen der Teufel schänden und mit wem er ein Fastnachtsspiel treiben will, dem legt er ein langes Gewand an: So wollen wir es auch mit Jesus machen.‘ Und so legen sie ihm das weiße Gewand an.18
Insbesondere in diesen drei auf Degradation zielenden und die Täterperspektive betonenden Aspekten also erweitern die Passionsspiele die Gewaltdarstellung gegenüber den Evangelienberichten erheblich. Müller schreibt diesen Erweiterungen die Funktion zu, dass „zunächst einmal die Aggression der Unheiligen gegen das Heilige inszeniert und erst in einem zweiten Schritt als Stimulans von compassio domestiziert“ werde.19 Mir scheint jedoch, dass diese drei Momente – der Aspekt der Entmenschlichung, die verbale Aggressivität und das Spiel im Spiel – dies nicht nahelegen, auch nicht in einem zweiten Schritt. Um dies zu erläutern, ist ein kurzer Exkurs zur compassio notwendig. 17
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Jesus wird das weiße Narrengewand angezogen, vor der Geißelung wieder ausgezogen, dann zur Dornenkrönung das Purpurgewand an und auch wieder ausgezogen und mit dem eigenen Gewand vertauscht. Weitere Beispiele: vnd den / bringt malchus ein stüly vnd spricht / z dem saluator: Bistu müd sitz da nider / da mit kumstu der amacht wider / wir wend der vntrüw spilen mit dir / Ihesus das soltu globen mir. vnd so der saluator nider wil sitzen / So zuckt im malchus das stüly daz / er falt doch richtend sy in mit / dem har wider vff vnd so er also / Sitzt so spricht mosse z iesse: Iesse du bist ein fuller man du müsst den lugner nit rwen lan (DP, v. 2258d–2264; Jesus vor Kaiphas); „Dann bringt Malchus einen Stuhl und sagt zum Heiland: ‚Wenn du müde bist, dann setz dich doch ein wenig; so kannst du dich von deiner Schwäche erholen. Wir wollen ‚untriuwe‘ mit dir spielen, das sollst du mir glauben.‘ Wenn der Heiland sich dann setzen will, reißt Malchus ihm den Stuhl schnell weg, so dass er fällt. Doch ziehen sie ihn an den Haaren wieder hoch, und wenn er sitzt, spricht Mosse zu Jesse: ‚Jesse, du bist ein pflichtvergessener Mann, du kannst doch den Betrüger nicht sich ausruhen lassen!‘“ Ferner EF, v. 4698a–4725, mit der Inszenierung des ‚Blinde Kuh-Spiels‘. Müller 1998 (wie Anm. 1), S. 563.
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Als zentrale Kategorie der Passionsfrömmigkeit, insbesondere der spätmittelalterlichen, ist die compassio Gegenstand zahlreicher volkssprachlicher Passionstraktate und Predigten.20 In der germanistischen Forschung wird der Begriff häufig synonym verwendet mit ‚Mitleid‘. Dagegen ist einzuwenden, dass Mitleid quasi eine Emotion zweiter Ordnung ist, insofern sie sich auf ein anderes Leiden bezieht. Compassio dagegen ist Leiden erster Ordnung. Sie hat nicht das Leiden des Anderen (Jesu) zum Gegenstand, sondern versucht, es partizipatorisch einzuholen und sich anzueignen; der Schmerz Jesu soll zum eigenen gemacht werden. Das ist eine Struktur der Partizipation und der Angleichung.21 Compassio erschöpft sich außerdem keineswegs in einer emotionalen Qualität – sie ist eine erlernbare und einübbare Frömmigkeitspraxis. Eigentliches Mitleid spielt hierbei zweifellos eine wichtige Rolle, ist aber funktional untergeordnet und nicht das Ziel dieser Praxis. In der volkssprachlichen Begrifflichkeit schlägt sich die Differenzierung zwischen Mitleid und compassio allerdings nicht konsequent nieder – wohl aber auf der Figurenebene der Spiele: Modellfigur für misericordia (Erbarmen, Mitleid) ist Pilatus in der Ecce homo-Szene, eine Figur, die nicht mit compassio in Verbindung gebracht werden kann; Modellfigur für compassio dagegen ist bekanntlich Maria. Die compassio ist also wesentlich eine religiöse Leistung, die zur conformatio, zur Angleichung an Christus führen soll, zur ‚Christusförmigkeit‘22 – im Sinne des Dreischritts contemplatio – compassio – conformatio. 20
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Zur Passionsfrömmigkeit und zur compassio vgl. Martin Elze: Das Verständnis der Passion Jesu im ausgehenden Mittelalter und bei Luther, in: Heinz Liebing (Hg.): Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rückert zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Berlin 1966 (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 38), S. 127–151; Fritz Oskar Schuppisser: Schauen mit den Augen des Herzens. Zur Methodik der spätmittelalterlichen Passionsmeditation, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, Tübingen 1993 (Fortuna Vitrea; 12), S. 169–209. Einen einführenden Überblick über verschiedene Konzepte der compassio gibt Katharina Mertens-Fleury: Leiden lesen. Bedeutungen von compassio um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach, Berlin/New York 2006 (Scrinium Friburgense; 21), besonders S. 10–46. Zugleich ist dies zu vermitteln mit der je unterschiedlich bearbeiteten radikalen Differenz zwischen Transzendenz und Immanenz. Aufgehoben ist diese nur im Extrem der mystischen compassio, in der die Einzelseele das Leiden Christi unmittelbar selbst erleidet und so zur Unio-Erfahrung mit Gott gelangt (unio passionalis). Der Mensch soll durch Meditation und compassio zum ‚Bild Christi‘ verwandelt werden; vgl. Thomas Lentes: Inneres Auge, äußerer Blick und heilige Schau. Ein Diskussionsbeitrag zur visuellen Praxis in Frömmigkeit und Moraldidaxe des späten Mittelalters, in: Klaus Schreiner und Marc Müntz (Hg.): Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 179–219; s. auch unten, Anm. 35.
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Compassio kann, wenn man sie so definiert, nicht das letztendliche Ziel dieser Dimension der Spiele sein – der theatralen Inszenierung von Gewalt. Und zwar aus zwei Gründen: zum einen aufgrund der Betonung der Täter-Perspektive, zum anderen und vor allem aufgrund der Kommunikationssituation. Kommunikation wird im Sinne der theatralen Situation vorgeführt und findet nicht zwischen Zuschauern und Akteuren statt; die Zuschauer nehmen hier die (distanzbestimmte) Beobachterposition ein. Die Schwelle zwischen ihnen und der Bühne ist dann vergleichsweise hoch. Der Kommunikationsraum ist durch die Betonung der Rampe zweigeteilt – es findet keine unmittelbare Interaktion zwischen Zuschauern und Akteuren statt. Das scheint mir Prozesse der Partizipation und Angleichung auszuschließen. Im religiösen Fluchtpunkt dieser Dimension der Passionsspiele liegt nicht compassio, sondern, so meine These, als eine weitere Form der Diskursivierung des Heils eine‚negative Heilsthematisierung‘, das gezielte Verschweigen des Heils, seine Thematisierung ex negativo. Konstitutiv für die Inszenierung der Gewalthandlung ist eine Auslassung, eine Lücke: Ausgelassen wird in solchen Szenen die explizite Thematisierung des Heils, der Erlösungsgedanke. Das Ausgelassene ist aber gewusst, die Auslassung als solche wahrnehmbar: denn die religiöse Matrix der Spiele gerät selbstverständlich keinen Moment lang in Vergessenheit.
3. Die Ausstellung des Leidens Die Ausstellung des Leidens tritt neben die gewaltbestimmte Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion und gerät in Spannung zu ihr: In den Spielen gibt es immer beides. Die Ausstellung des Leidens löst sich aus der Täter-OpferInteraktion heraus und ist auf die Betrachtung des Leidens und eben auf compassio hin ausgerichtet. So fordern z. B. die programmatischen Äußerungen des Proclamators oder Praecursors, der in das Spiel einführt, zu andächtigem betrahten und bedenken auf.23 23
[…] Vnd tzw bedencken das leiden Jhesu Crist, / Das durch sölichs spill, / Der es sunst petrachten wil, / Vil mer zw andacht wirt bebegt (StP, v. 1232–1235); „[…] und das Leiden Christi zu bedenken, so dass durch ein solches Spiel der, der es betrachten will, viel stärker zur Andacht bewegt wird“. – mit andacht sollet er disz schawenn / vnd in alle vwern tagenn / Ihesu syn crucze helffen tragen (AP, v. 52–54); „Mit Andacht sollt ihr es [das Spiel] anschauen und Tag für Tag Jesus helfen, sein Kreuz zu tragen.“ – dar vmb solt er alle innigk synn / vnd eben bedencken die groissze pynn, / die Ihesus al an dem crucz gelidden hot (AP, v. 93–95). „Darum sollt ihr alle andächtig werden und die große Qual bedenken, die Jesus am Kreuz erlitten hat.“ Vgl. DP, v. 56f. Im Frankfurter Passionsspiel fungiert Augustinus
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Ein zentraler Darstellungsmodus ist hier die dominant statisch-bildhafte24 Szene. Bei einzelnen Passionsspielen wurde in der Forschung die Nähe zur Passionsikonographie herausgearbeitet.25 Die strukturelle Affinität zu Skulpturen und Skulpturenensembles, die aus dem Passionsgeschehen heraus isoliert wurden, zeigt sich besonders in den Gebärden und szenischen Arrangements, die die Regieanweisungen vorgeben. Vergleicht man solche Szenen mit der Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion, dann wird deutlich, dass hier eine andere Darstellungslogik zugrunde liegt. Sie lösen durch ihre Statik und die demonstrativen Gesten die Leidensdarstellung aus dem auf der Bühne inszenierten Interaktionszusammenhang heraus, isolieren sie und lassen sie zum ‚bühnenmäßigen Andachtsbild‘26 erstarren.27 Die Dynamik des dramatischen Geschehens wird für den Moment
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als Proclamator, der ad populum das Geschehen der folgenden Szene im Präteritum zusammenfasst und damit ebenfalls aus dem dramatischen Geschehen heraustritt, teilweise lässt er dem eine Aufforderung zur Leidenskontemplation und compassio folgen. Der Begriff des ‚Bildhaften‘ ist zugegebenermaßen sehr vage; zudem finden sich auch in Szenen, die von der anderen Darstellungsdimension, der theatralen Vorführung der Täter-Opfer-Interaktion, dominiert sind, Analogien zu Bildformeln bzw. zu narrativen Bildszenen (etwa bei der Dornenkrönung). Um dennoch Differenzen zwischen den skizzierten Darstellungsdimensionen greifen zu können, koppele ich den Begriff des ‚Bildhaften‘ mit dem des ‚Statischen‘. Insbesondere in den Arbeiten von Anthonius H. Touber: Das Donaueschinger Passionsspiel und die bildende Kunst, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 52 (1978), S. 26–42; Touber 2004 (wie Anm. 1). Ursula Schulze spricht vom in den Spielen intendierten Wiedererkennen des „kultische[n] [...] Muster[s] des Christus patiens“; Schulze 2003 (wie Anm. 1), S. 225; Müller 1997 (wie Anm. 1), S. 78, weist darauf hin, dass Jesus sich im Alsfelder Passionsspiel „zum Memorialbild“ erklärt. – James H. Marrow: Passion Iconography in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance: A Study of the Transformation of Sacred Metaphor into Descriptive Narrative (Ars Neerlandica; 1), Kortrijk 1979, untersucht die Beziehungen zwischen der ‚Heimlichen Passion‘ und der Passionsikonographie. Die Frage, ob die Passionsskulpturen als Andachtsbilder bezeichnet werden können oder nicht, spielt für meine Argumentation keine Rolle. Als Germanistin darf ich mir erlauben, den Untiefen der kunsthistorischen Diskussion um den Begriff des Andachtsbildes und seine fachgeschichtlich unterschiedlichen Definitionen auszuweichen und ihn pragmatisch als Arbeitsbegriff zu verwenden, den ich nur – im übertragenen Sinne – auf die Spiele beziehe und von der Funktion her definiere; die Funktion der Andacht fasse ich damit als übergeordnetes Differenzmerkmal. – Zur Aufarbeitung der kunsthistorischen Debatte um das Andachtsbild vgl. Karl Schade: Andachtsbild. Die Geschichte eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996. „Solche lebenden Bilder haben oft den Charakter einer bühnenmäßigen Wiedergabe bekannter ikonographischer Schemata.“ Touber, in der Einleitung seiner Edition des Donaueschinger Passionsspiels (wie Anm. 1), S. 34; vgl. S. 40. – In solchen Szenen bzw. Szenenelementen sind die Henkersknechte und Folterer nicht notwendigerweise abwesend, doch liegt der Akzent nicht auf der Inszenierung der Interaktion zwischen Tätern und Opfer, sondern auf der Ausstellung des Leidens.
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aufgehoben; zum Teil verlassen die Figuren außerdem mit Wendungen an die Zuschauer die mimetisch dargestellte Situation. Ein Beispiel hierfür ist die Ecce homo-Szene. Nach der Dornenkrönung führt Pilatus Jesus vor, indem er seinen Mantel hochhebt und auf den gequälten Körper zeigt: nu gat pilatus vnd nimpt denn / saluator vnd fürt inn her für vnd / hept im den mantel vff vnd spricht zun iuden: nemend war des menschen hie lügent ir iuden alle wie er so vbel gehandlet ist […]. (DP, v. 2935a-2938) Nun geht Pilatus und führt den Heiland nach vorne, hebt seinen Mantel und sagt zu den Juden: ‚Seht diesen Menschen, schaut, ihr Juden alle, wie er so schlimm behandelt worden ist […].‘
Dieses demonstrative Verweisen auf das Leiden entspricht, wie Touber gezeigt hat, dem Zeigegestus der Ecce homo-Skulpturen.28 Besonders deutlich ist die Entsprechung bei einer um 1500 entstandenen niederschlesischen Holzplastik (Abb. 1), für die ebenfalls das Hochheben des Mantels und das Zeigen des geschundenen Körpers zentral sind. Die Figurenrede des Textbeispiels tritt in diesen Versen noch nicht aus der mimetisch dargestellten Szene heraus – die Juden werden angeredet, nicht die Zuschauer. Anders beim nächsten Beispiel: Jesus ruht auf dem Weg nach Golgatha, auf dem Kreuz sitzend, aus. Wen er mit seinen Worten, die den Evangelien entnommen sind, apostrophiert, ist mehrdeutig, denn es kann auch im tropologischen Sinne die sündhafte Menschheit gemeint sein: Salvator, sedens super crucem, [...] dicit: Sag an, mein volck, was hab ich dir gethan, Das du mir gibst so bsen lan? [...] Nun hast so paldt und so drot Mir gemacht ein creuz so gros Und zegst mich aus nackent und blos Und hast in mein haupt gedruckt ein kron. (EF, 6059a–6070)29
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Touber 1978 (wie Anm. 25); ders. in der Edition des Donaueschinger Passionsspiels (wie Anm. 1), S. 297; zur spezifischen Variante des Bildtypus vgl. Gertrud Schiller: Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 2: Die Passion Jesu Christi, Gütersloh 1968, Sp. 86b. Vgl. DP, 3242a-b (es handelt sich um eine aufgrund der Simultanhandlung notwendigerweise stumme Szene, was die Wirkung als ‚bühnenmäßiges Andachtsbild‘ unterstreicht).
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Der Heiland sitzt auf dem Kreuz und [...] spricht: ‚Sage, mein Volk, was habe ich dir getan, dass du mir solch schlimmen Lohn gibst? [...] So eifrig und rasch hast du mir ein großes Kreuz errichtet, hast mich entkleidet, dass ich nackt und bloß bin, und in mein Haupt eine Dornenkrone gedrückt.‘
Das verweist auf den Bildtypus ‚Christus im Elend‘ (‚Christus in der Rast‘):30 Jesus zeigt sich, von der Kreuztragung ausruhend, dem Betrachter sitzend in trauernder Haltung, mit Lendentuch und Dornenkrone; zentral ist der Trauergestus (Abb. 2). Mein letztes Beispiel ist das Vesperbild (Abb. 3 und 4). Es finden sich ebenfalls Entsprechungen in den Spieltexten; die Zuschauer werden hier als Repräsentanten der christlichen Gemeinschaft apostrophiert. So heißt es in der Szene der Kreuzabnahme im Heidelberger Passionsspiel: Wann Jhesus vom creücz komptt, so legenn sie jnn Maria vff denn schoys. Maria sprichtt: O jr mann vnnd fraüwenn Alle, die do iczundtt schauwenn Meines liebenn kindes doitt Vndd meines herczenn grosse noitt. (HP, v. 5907a-5911)31 Wenn Jesus vom Kreuz abgenommen wird, legen sie ihn Maria in den Schoß. Maria sagt: ‚Oh ihr Männer und Frauen alle, die ihr nun den Tod meines lieben Kindes und die große Not meines Herzens seht.‘
Auch hier ist die Analogie evident: In schmerzerfüllter Haltung präsentiert Maria den vom Leiden gezeichneten Körper. Die Rede Marias verlässt die mimetisch dargestellte Situation, indem sie sich unmittelbar an das Publikum wendet. Akteure und Zuschauer sind in der übergeordneten Einheit der christlichen Gemeinschaft aufeinander bezogen – zwischen ihnen wird Kommunikation möglich. Die Nähe zwischen statisch-bildhafter Szene und Passionsskulptur sehe ich daher nicht nur und nicht primär in bloßen Motiventsprechungen. Grundsätzlicher geht es mir um eine Stukturanalogie: Ähnlich wie bei dem Betrachten der Skulptur entsteht eine Verbindung zwischen der das Leiden verkörpernden Figur, die aus dem dramatischen Gang des Geschehens heraustritt, und dem Betrachter, den sie zur compassio bewegen soll.32 Damit verändert 30 31 32
Zum Bildtypus vgl. Schiller 1968 (wie Anm. 28), Sp. 95b-96b. Vgl. auch DP, v. 3658–3666; ferner FP, v. 4390aff.; AP, v. 6702aff.; EF, v. 7145aff. Eine weitere konventionalisierte Zeigegeste ist die des bekehrten Hauptmanns unter dem Kreuz, der Zeugnis ablegt von Christus als Gottsohn: Centurio stans ante crucem demonstrando digito dicens: Vere filius dei erit iste! […] Sehet, dieser her werlich / ist godes sone von hymelrich! / ach wie ist das unschuldig leben / so jemerlich in den dot geben! (FP, v. 4158b-4163); „Der Hauptmann, der vor dem Kreuz steht, zeigt mit dem Finger auf ihn und sagt: ‚Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn! […] Sehet, dieser ist wahrhaftig Gottes Sohn vom
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sich der Kommunikationsraum, insofern nun die Bereiche diesseits und jenseits der Rampe tendenziell zu einem Raum werden.33 Selbstverständlich ist es nicht dasselbe, ob der Einzelne im Rahmen der Frömmigkeitspraxis der contemplatio eine Skulptur oder ein Bild betrachtet oder ob einem Zuschauerkollektiv eine Spiel-Aufführung dargeboten wird. Die medialen und kommunikativen Unterschiede will ich nicht leugnen, es geht mir um eine begrenzte Analogie. Gleichwohl scheint es mir evident, dass Passionsbetrachtung bei den statisch-bildhaften Szenen eher möglich wird als bei der Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion. Mit dem Heraustreten aus dem dramatischen Geschehen und der Wendung an die Zuschauer wird die Schwelle zwischen Zuschauern und Bühne niedriger. Es entsteht eine Kommunikation zwischen Zuschauern und Akteuren, die strukturell derjenigen zwischen Betrachter und Bild ähnelt. Daher sei an dieser Stelle kurz auf konstitutive Dimensionen der Passionsbetrachtung eingegangen. Sie umfasst – bleibt man zunächst bei den eigentlichen Bildern – verkürzt gesagt sowohl das Anschauen der ‚äußeren Bilder‘ wie auch die Konstituierung innerer Bilder, die Innenschau und innere Bildwerdung, wie Thomas Lentes mit Rekurs auf die mittelalterlichen Imaginationsanleitungen erläutert.34 Dabei ist mit Klaus Krüger
33 34
Himmelreich! Ach, wie ist das unschuldige Leben so erbärmlich zu Tode gebracht!‘“ Vgl. auch EF, v. 6689a-6702, wo das Publikum apostrophiert wird; ferner DP, 3479eff. Dies verweist auf die entsprechende Geste in der Kreuzigungs-Ikonographie (bei den Beispielen handelt es sich allerdings um Tafelbilder; vgl. Schiller 1968 (wie Anm. 28), Abb. 514–517; vgl. Touber 2004 (wie Anm. 1), S. 266, Anm. 5; vgl. ferner Dorothea Freise: Geistliche Spiele in der Stadt des ausgehenden Mittelalters, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 496, Anm. 49. – Ferner betrifft die Affinität zur Passionsikonographie auch die Figuration von Modellfiguren; so können beispielsweise auf Kreuzigungstafeln die unter dem Kreuz Trauernden als Funktionsfiguren der Andacht des Betrachters, als Modelle und Standards der compassio und Versenkung in das Leiden und den Tod Christi figuriert werden (vgl. Klaus Krüger: Bild und Bühne. Dispositive des imaginären Blicks, in: Ingrid Kasten und Erika Fischer-Lichte [Hg.]: Transformationen des Religiösen. Performativität und Textualität im geistlichen Spiel, Berlin/New York 2007 [Trends in Medieval Philology 11], S. 218–248, zu italienischen Beispielen) – ganz analog zu den Klagen Marias und der anderen Frommen im Passionsspiel, die ebenfalls z. T. als Muster und Standards einer angemessenen Haltung zur Passion inszeniert werden. Die hier postulierte Variabilität des Kommunikationsraumes setzt einen relativ geringen Grad institutioneller Verfestigung der theatralen Situation voraus. Grundlegend hierzu Lentes 2002 (wie Anm. 22). Im Spätmittelalter ist in der Auseinandersetzung über den Umgang mit Bildern einerseits eine Tendenz zur Verinnerlichung zu beobachten: Die Funktion und Bedeutung von Bildern wird als lediglich unterstützend für die Konstituierung innerer Bilder durch die Imagination deutlich relativiert und eingeschränkt. Die Bilder Christi, die über die Imagination dem Gedächtnis zugeführt werden, sind unmittelbar heilswirksam, insofern der Mensch sich durch sie umbildet und schließlich in diese inneren Bilder verwandelt wird. Das ist conformatio. Die Erneuerung der imago Dei im Inneren ist durch Imagination in Gang gesetzte imitatio. Zugleich jedoch hatten die materiellen Bilder trotz der reformtheologischen Kritik an der
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von einer Wechselwirkung zwischen ‚Bildbetrachtung‘ und Innenschau auszugehen.35 In Grenzen lässt sich, denke ich, Analoges auch für die auf der Bühne erzeugten ‚Andachtsbilder‘ annehmen. Die Anschaulichkeit der Spiele muss die Entstehung innerer Bilder nicht ausschließen.36 Statisch-bildhafte Szenen des Spiels können auf eine Kommunikation des Zuschauers mit dem körperlich sichtbaren Christus-Darsteller zielen, zugleich aber auch auf eine Verinnerlichung des Geschauten.37 Möglich wird durch diese Dimension der Spiele ein Konnex von Aufführung, Innenschau und compassio. Primär ist compassio in ihren verschiedenen Spielarten ja ein Vollzug, ein Mit- und Nachvollzug der Passion, ihre Reaktualisierung am eigenen Ich, die eine Verwandlung des inneren Menschen zur Folge hat. In diesem Sinne kann man einen wesentlichen Aspekt von compassio in ihrer Performativität sehen. Im Anschluss an Christian Kiening lässt sich hier von einer ‚inneren Performativität‘ sprechen,38 eben im Sinne der inneren Wandlung qua Vollzug, des Prozesses der Gottverähnlichung. Einen Konnex von Innenschau, compassio und Performativität entwerfen auch die spätmittelalterlichen Andachtsbücher, die zur Kontemplation anleiten.39 Hier wird der Leser beispielsweise aufgefordert:
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Konzentration auf das äußere Schauen auch im Spätmittelalter durchaus große Bedeutung, insofern das Gebet vor ihnen im Sinne unmittelbarer Interaktion mit Christus oder den Heiligen vorgestellt wurde – bis hin zur Vorstellung des heilswirksamen Blickaustausches. Doch ist die Verinnerlichungstendenz häufig verschränkt mit einem gleichzeitigen Prozess der Verkörperung, so dass sich mit Kiening sprechen ließe von „verinnerlichende[n] Verkörperungen und verkörperlichende[n] Verinnerlichungen mittels Gestalthaftem, Szenischem, Anschaulichem“; Kiening 2007 (wie Anm. 1), S. 144; vgl. S. 151. Vgl. Krüger 2007 (wie Anm. 32), S. 221f. Zumal wenn man die anzunehmende Vielfalt von Nutzungsmöglichkeiten der überlieferten Texte erwägt, für die die Alternative ‚Regiebuch oder Lesetext‘ wohl zu einseitig gedacht ist. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Text wie das Donaueschinger Passionsspiel, das mit Sicherheit als ‚Regiebuch‘ genutzt wurde, auch als Lesetext genutzt wurde. Vgl. Touber 1985 (wie Anm. 1) in der Einleitung seiner Edition des Donaueschinger Passionsspiels, S. 40: „Auf der Bühne sind die lebenden Bilder oft retardierende Momente der Verinnerlicherung […].“ Kiening verwendet diese Formel allerdings etwas anders und spricht von einer ‚inneren Performativität‘, „die sich als innere Dynamik heilsgeschehentlicher Entfaltung vollzieht“ (hier allgemein zum geistlichen Spiel) und „nicht mit derjenigen der mimetischen Aufführung identisch ist“; Kiening 2007 (wie Anm. 1), S. 149 u. 161f. Kiening bezieht dies auf die Fronleichnamsspiele, die er in ihrer performativen Dimension von den Oster- und Passionsspielen abgrenzt: Sie böten weniger „Aufführung einer Handlungsfolge“ (wie letztere) als vielmehr „Durchführung einer Devotionsfolge“ (S. 161; Hervorhebungen im Original). Als eine Dimension kann man diese spezifische Performativität aber wohl auch für die Oster- und Passionsspiele geltend machen. Zur Relation zwischen Passionsspiel und Andachtsbüchern unter den Aspekten der szenischen Repräsentation bzw. der Innenschau vgl. auch Müller 1998 (wie Anm. 1), bes. S. 555–558.
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Margreth Egidi Und darumb so mst du dich sammlen in dir selbs und innerlich betrachten/ und dich mit deiner gedechtnus ggenwirtenglichen stellen, als ob du zu der selbe zeit gegenwirtig gewest seyest/da er dein schpher und behalter so bitterlich geliten hat/ und dich also vor im stellen/ mit reden/ senhen/ und mitleidong/ als ob du den herren jetzund sehest vor deinen awgen ston. (Beschlossen gart des rosenkrantz Marie, fol. 66r)40 Billich slten uns durchgraben und durchstechen seine schmach, geißlong unnd wonden unser hertzen. (Ebd., fol. 119v) Darum sollst du dich im Inneren sammeln und [das Leiden Christi] betrachten und dir in deinem Gedächtnis als gegenwärtig vorstellen, als ob du zu der Zeit anwesend gewesen seist, als dein Schöpfer und Erhalter so bitterlich gelitten hat; und du sollst dir den Herrn durch Sprechen, Leiden und Mitleiden so vorstellen, als ob du ihn jetzt vor deinen Augen stehen sähest. Zurecht sollten uns durchbohren und durchstechen seine Erniedrigung und Geißelung und unsere Herzen verwunden.
Hier konstituiert sich also eine ‚innere Bühne‘– und es liegt auf der Hand, worauf auch Jan-Dirk Müller hinweist,41 dass eine wesentliche Differenz zwischen einem solchen ‚imaginierten Passionsspiel‘ und einer tatsächlichen Spiel-Aufführung darin liegt, dass das Spiel dem Zuschauer die Imaginationsleistung – jedenfalls zum Teil – abnimmt. Das ‚Als ob‘ der Imagination steht dem ‚Als ob‘ der mimetischen Darstellung gegenüber. Ich frage mich aber, ob sich beides ausschließt. Gerade im Spätmittelalter ist, wie gesagt, die Verflechtung von Tendenzen zur Verinnerlichung und ‚Verkörperung‘ zu beobachten. Dass dies auch für die Aufführung der Spiele von Bedeutung sein muss, ist angesichts der analogen Vielschichtigkeit im spätmittelalterlichen Umgang mit Bildern, des Ineinanders und der Wechselwirkung von Bildbetrachtung und Innenschau, nicht von der Hand zu weisen. Unterstützt werden die auf der Bühne inszenierten ‚Bilder‘ durch sprachliche Bilder in Klagemonologen und Ermahnungen unter dem Kreuz. Die Figuren – Maria,42 Johannes oder ein Engel – wenden sich immer wieder aus 40
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Es handelt sich bei dem Beschlossen gart des rosenkrantz Marie um ein Handbuch der Rosenkranzbruderschaft vom Ende des 15. Jh.; zit. nach Freise 2002 (wie Anm. 32), S. 383f. u. Anm. 152. Müller 1998 (wie Anm. 1), S. 555–558. Durch ihre Klagen wird die Gottesmutter zugleich zur Modellfigur für compassio. Diese legen zwar häufig den Hauptaspekt auf den Appell zur compassio mit Marias eigenem Leid, können jedoch auch im Sinne einer Modellgebung von compassio (als Modellierung der demonstrativen Versenkung in Christi Leiden) verstanden werden. Ein zweiter Aspekt ist die Negativität der Heilsthematisierung in der Verlustklage; zu beidem vgl. Georg Satzinger und Hans-Jörg Ziegeler: Marienklagen und Pietà, in: Haug/Wachinger 1993 (wie Anm. 20),
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der Szene heraus ad populum,43 sprechen die Zuschauer als christliche Gemeinschaft an und können dabei mit Zeigegesten auf den sichtbaren Körper des Gekreuzigten verweisen. Auch die Klagen und Ermahnungen erzeugen Bilder des Leidens, auch sie stellen es vor Augen und schildern in vielen Details, die die Entstehung innerer Bilder anregen können, den Vorgang des Sterbens bzw. den toten Körper:44 Maria dicit plangendo circa crucem: [...] o aller weißheit ein anfang: wie sin dir wurden din glid so lang! dyn heupt ist mit scharpen thorn gekront! din angesicht ist dir gar verkert! [...] din nasen ist gespicet gar und din roder munt ist nu worden blafar! din augenlicht sin dir gebruchen und din sijten jemerlich durchstochen! du bist an henden und an fussen darzu mit stumpen negeln schemmlich durchslagen nu! (FP, v. 4229b-4252) Maria klagt unter dem Kreuz: ‚[…] Oh Ursprung aller Weisheit, wie sind dir die Glieder so zerdehnt worden! Dein Haupt ist mit scharfen Dornen gekrönt, dein Antlitz ganz verunstaltet! […] Deine Nase ist durchstochen und dein roter Mund bläulich! Deine Augen sind gebrochen, deine Seiten jämmerlich zerstochen, deine Hände und deine Füße mit stumpfen Nägeln schändlich durchbohrt!‘45
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S. 241–276. Ein dritter Aspekt ist die Umdeutung des eigenen Leidens (welchen Ursprungs auch immer) im Sinne der asketisch-moralischen compassio. So mehrfach im Frankfurter Passionsspiel; im Egerer Fronleichnamsspiel übernimmt der Engel diesen Part: Finitis ANGELUS dicit: O ir lieben seligen leitte, / Nempt zu herzen heitte, / Secht an, wie Cristus unser herr / Die grossen bitter martter schwer / Von den valschen Juden gelitten hat / [...]. / Secht an und mercket eben, / Wie si im durch schlagen haben sein leben, / Mit geiseln und scharpfen ruetten / Im sein fleisch durch wuetten. / Darnach gaben si im zu lone / Ein scharpfe durnenne krone, / Die druckten si im durch sein hierne, / Das im das blut ging aus der stirne, / Krefftigklich es er nider ran (EF, v. 5402–5416); „Der Engel sagt: ‚Oh ihr lieben frommen Leute, nehmt Euch heute zu Herzen und schaut an, wie Christus unser Herr die schwere, bittere Marter von den falschen Juden erlitten hat. […] Schaut an und bedenkt, wie sie ihm sein Leben zerschlagen und mit Geißeln und scharfen Ruten sein Fleisch durchwütet haben. Danach gaben sie ihm eine scharfe Dornenkrone zum Lohn, die drückten sie ihm in seinen Kopf, dass ihm die Stirn blutete und das Blut kräftig herunterfloss.‘ “ Die Klagemonologe erinnern hierin sehr an entsprechende Schilderungen in Passionstraktaten. Vgl. auch: [Maria:] owe der groisszen martel dyn! / owe, wie iemmerliche du hangest. / owe, wie du myt dem tode rangest. / ach, wie iemmerlichen bebet dir dyn lipp (AP, v. 6081–6084); owe, wie hie bebet yn der kelen. / owe, wie hie gar sere nyget. / owe, wie hie nidder sijget. / mich duncket leyder, hie sij doit. / owe der iemmerlichen noit! (AP,
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Solche sprachlich erzeugten Bilder des Leidens ergänzen die auf der Bühne in Szene gesetzten ‚Andachtsbilder‘; noch mehr als diese stimulieren sie die Imagination; beide ergänzen einander in ihren Wirkmöglichkeiten. Die statisch-bildhaften Szenen wie auch die sprachlich erzeugten Bilder zielen darauf, das Leiden Christi aus dem dramatischen Geschehen herauszulösen, der Imagination anheim zu geben und die Passionsbetrachtung im Sinne der compassio zu modellieren.
4. Fazit Konstitutiv für die Passionsspiele ist die Spannung zwischen den so gegensätzlichen Dimensionen der Gewaltdarstellung: der dramatischen Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion einerseits und der bildhaft-statischen Ausstellung des Leidens andererseits.46 Die Darstellungsdimensionen sind dabei in den einzelnen Texten nicht scharf voneinander abgrenzbar, auch Übergänge kommen in den Blick. In jedem Fall aber ist in den Spielen stets beides beobachtbar. Gerade hierin liegt ihre Eigenlogik. Den Darstellungsdimensionen entsprechen unterschiedliche Aspekte von Performativität. Auch hier ist ein spannungsvolles Nebeneinander beider Modelle zu vermuten. Der Inszenierung der Täter-Opfer-Interaktion entspricht die Performativität der theatralen Mimesis. Der Kommunikationsraum ist zweigeteilt, die räumliche Grenze zwischen Bühne und Zuschauern wird betont – eine unmittelbare Kommunikation zwischen ihnen findet nicht statt. Anders bei den eher statischen Szenen, die, unterstützt durch die verbale Erzeugung von Bildern, das Leiden isolieren und als ‚bühnenmäßiges Andachtsbild‘ präsentieren; dem entspricht eine ‚innere Performativität‘ im Sinne der compassio. Die räumliche Grenze wird relativiert, die Bereiche diesseits und jenseits der Rampe fügen sich zu einem Raum zusammen.
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v. 6210–6214). „Ach deine große Marter! Ach, wie kläglich du am Kreuz hängst, ach, wie du mit dem Tod ringst, ach, wie jämmerlich dir der Leib zittert!“ „Ach, wie ihm die Kehle bebt, ach, wie sehr er sich zu Boden neigt, ach, wie er niedersinkt! Ich glaube, er ist tot, ach der jämmerlichen Not!“ Es ist sicher zutreffend, dass das Spiel „in medialer Konkurrenz zu anderen Formen der Heilsvergewisserung“ steht; Kiening 2007 (wie Anm. 1), S. 146. Doch meine ich, dass sich mediale Differenzen gleichsam auch im Spiel selbst wiederholen können.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Sztuka na Ŝląsku. XII–XVI w. Katalog zbiorów, hg. von Bożeny GuldanKlameckiej, Wrocław 2003, S. 430; Abb. 2: Um Leinberger. Schüler und Zeitgenossen, AK Museen der Stadt Landshut, Landshut 2007, S. 140f., Abb S. 141; Abb. 3: Kunst um 1400 am Mittelrhein. Ein Teil der Wirklichkeit, hg. von Herbert Beck, Wolfgang Beeth und Horst Bredekamp, AK Liebighaus Museum alter Plastik 1975/1976, Frankfurt am Main 1975, S. 77; Abb. 4: Schöne Madonnen am Rhein, hg. von Robert Suckale, AK Bonn 2009/2010, Leipzig 2009, Abb. auf S. 76.
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Abb. 1: Ecce homo, Holzplastik, Anfang 16. Jh., Muzeum Narodowe, Wrocław.
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Abb. 2: Hans Leinberger, Christus im Elend, Holzplastik, um 1515/20, St. Nikola, Landshut.
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Abb. 3: Vesperbild, um 1430, ehem. Karmeliterkirche, Boppard.
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Abb. 4: Vesperbild, um 1420, Liebighaus, Frankfurt am Main.
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Räume der Passion im spätmittelalterlichen Basel. Eine Lektüre des Ceremoniale Basiliensis Episcopatus
I Biblische Orte sowie imaginäre und zu imaginierende Räume der Passion werden durch die Osterliturgie jeweils in einem konkreten Kontext inszeniert und wahrgenommen. Sie treffen mit dem physisch vorhandenen Realraum und seinen Orten in Kirche und Stadt sowie den damit verbundenen, ineinander geschachtelten Memorial-, sozialen und politischen Räumen aufeinander.1 In spätmittelalterlichen Städten sind allerdings nicht nur während der Osterzeit vielfältige Formen von Passionsfrömmigkeit anzutreffen2: Quer zu den Liturgien der Pfarr- und Kathedralkirchen existieren weitere, alltägliche Bereiche der Passionsfrömmigkeit, die sich als innerer bzw. innerlicher Raum „privater“ Andacht und als monastische Wiederholung der und Erinnerung an die Passion in den Gebetsstunden manifestieren.3 1
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Zur Verbindung von spätmittelalterlichen Kruzifix-Repräsentationen, Passionsspielen und obrigkeitlicher Gewalt Valentin Groebner: Abbild und Marter. Das Bild des Gekreuzigten und die städtische Strafgewalt, in: Bernhard Jussen und Craig Koslofsky (Hg.): Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 145), S. 209–238. Die liturgischen Räume der Passion sind dezentral zu denken, da für die jährliche Beichte und Kommunion zu Ostern der Pfarrzwang galt. Vgl. Miri Rubin: Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge/Mass. 1991, S. 148–155. Auch innerhalb der Pfarrkirchen kann für Ostern mit einer Dezentralität während der teilweise aus der Messliturgie ausgekoppelten Kommunionspendung gerechnet werden. Vgl. Karl-Heinrich Bieritz: Liturgik, Berlin 2004, S. 438f.; Peter Browe: Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht, Münster 2003, S. 303–350. Wegen des Pfarrzwangs kam es immer wieder zu Konflikten mit den ansässigen Orden; vgl. Beat Matthias von Scarpatetti: Die Kirche und das Augustiner-Chorherrenstift St. Leonhard in Basel (11./12. Jh.-1525). Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Basel und der späten devotio moderna, Basel 1974, S. 128; Heribert Smolinsky: Kirche und Religion in Basel um 1501, Basel 2002, S. 12f. Vgl. zu den Bemühungen, Nonnen wie Laien in der täglichen Andacht das Leiden Christi zu vermitteln, Petra Seegets: Passionstheologie und Passionsfrömmigkeit im ausgehenden Mittelalter. Der Nürnberger Franziskaner Stephan Fridolin (gest. 1498) zwischen Kloster und Stadt, Tübingen 1998 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 10), S. 44–50,
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Auf den folgenden Seiten werden am Beispiel der Basler Osterfeier die spezifischen Umstände der Überschneidungen und Übertragungen zwischen den Räumen der Passion, dem Kirchenraum des Basler Münsters und den städtischen Räumen im Mittelpunkt stehen. Grundlage der Untersuchung ist ein Text, in dem zu Beginn des 16. Jahrhunderts die liturgischen Bräuche des Basler Münsters zusammengefasst und in dem großen Wert auf materielle und akustische Details sowie die räumlichen Zusammenhänge gelegt wurde.4 Aufgerufen werden hier Orte und Räume5 in unterschiedlichen Aggregatzuständen materieller Konkretisierung, die verschiedene Zeitschichten betreffen: die biblische Geschichte und damit Jerusalem, die Geschichte des frühen Christentums und seiner Riten, insbesondere die Stationsliturgie6, sowie die Verbindungen Basels zum Papsttum und damit Rom, die eigene Gegenwart städtischer Frömmigkeit und damit Basel mit seinen komplexen sozialen und
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und passim. Zur Dominanz der Passionsthematik in der spätmittelalterlichen Privatandacht Peter Ochsenbein: Deutschsprachige Privatgebetbücher vor 1400, in: Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985, Tübingen 1988, S. 379–398, hier S. 397, sowie die ebd., S. 384–389, zusammengetragenen Beispiele; Ders.: Bild und Gebet. Spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit in den St. Galler Gebetbüchern, in: Codices Sangallenses. Festschrift für Johannes Duft zum 80. Geburtstag, hg. von Peter Ziegler und Ernst Ochsenbein, Sigmaringen 1995, S. 137–146, dort bes. 138f. zu den in Basel gedruckten volkssprachlichen Passionsmeditationen der 1510er und -20er Jahre; Angelus Albert Häussling: Die Tageszeitenliturgie als subjektive Passionsfeier. Der hochmittelalterliche Merkvers „Haec sunt septenis...“ und das Verständnis der Tageszeitenliturgie, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 41 (1999), S. 154–156; Gabriela Signori: Räume, Gesten, Andachtsformen. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europäischen Mittelalter, Ostfildern 2005; Jeanne Nuechterlein: The domesticity of sacred space in the fifteenth-century Netherlands, in: Andrew Spicer und Sarah Hamilton (Hg.): Defining the Holy: Sacred Space in Medieval and Early Modern Europe, Aldershot 2005, S. 49–79; Dorothea Freise: Sakralisierung profaner Räume im Mittelalter. Die liturgischen Elemente des Alsfelder Passionsspiels, in: Dieter R. Bauer, Klaus Herbers; Hedwig Röckelein et al. (Hg.): Heilige – Liturgie – Raum, Wiesbaden 2010 (Beiträge zur Hagiographie; 8), S. 237–246. Für einen Vergleich Andreas Odenthal: Liturgie vom Frühen Mittelalter zum Zeitalter der Konfessionalisierung. Studien zur Geschichte des Gottesdienstes, Tübingen 2011 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 61), S. 129–132, zum Bonner Cassiusstift; Walther Lipphardt: Lateinische Osterfeiern und Osterspiele, Berlin 1990, S. 144f. Vgl. Michel de Certeau: L’invention du quotidien I. Arts de faire, Paris 1990, S. 139–191 (Pratiques d’espace). Zur Aneignung von Örtern und Räumen in Prozessionen vgl. Bernhard Teuber: Processionaliter – Mittelalterliche Hymnen als liturgische Songlines, in: Katja Gvozdeva und Hans Rudolf Velten (Hg.): Medialität der Prozession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne, Heidelberg 2011 (Germanisch-Romanische Monatsschrift; Beiheft 39), S. 63–91. Vgl. Eric Palazzo: L’espace rituel et le sacré dans le christianisme. La liturgie de l’autel portatif dans l’antiquité et au moyen âge, Turnhout 2008 (culture & société médiévales; 15). Die einende Funktion der stadtrömischen Stationsliturgie scheint im Spätmittelalter allerdings weniger präsent gewesen zu sein, vgl. Odenthal 2011 (wie Anm. 4), S. 193.
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politischen Bedeutungsräumen und nicht zuletzt das himmlische Jerusalem, der zukünftige Raum des Heils. Bei dem Text handelt es sich um das Ceremoniale Basiliensis Episcopatus des Domkaplans und senior assisius7 Hieronymus Brilinger. Brilinger entstammte einer Basler Familie und war seit 1502 Kaplan am Münster.8 Nach 1513 begann er die Arbeit am Ceremoniale, das er 1517 vollendete, danach aber noch ergänzte.9 Es ist nicht zufällig als Sammlung der alten liturgischen Gewohnheiten in neuer Bearbeitung und vor allem in Schriftfassung10 Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden, als Basel sich den Ergebnissen einer ganzen Reihe von Entwicklungen gegenüber sah, die im 15. Jahrhundert und früher ihren Anfang genommen hatten: 1501 hatte sich die Stadt der Eidgenossenschaft angeschlossen, 1506 wurden zünftische Ratsmitglieder zum Kieserkollegium zugelassen, 1516 war mit Jacob Meyer zum ersten Mal ein Zunftbürger zum Bürgermeister gewählt worden, 1521 sagte sich die Stadt mit einer neuen Ordnung vom Bischof als Stadtherren los und führte 1529 – nach Unruhen, in denen der größte Teil der Kirchenausstattungen zerstört wurde – die Reformation ein; dies konnte Brilinger freilich zu Beginn seines Schreibprozesses nicht voraussehen.11 Der Text steht im Kontext spätmittelalterlicher Libri Ordinarii
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Hieronymus Brilinger: Ceremoniale Basiliensis Episcopatus, in: Konrad Wilhelm Hieronimus (Hg.): Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter (Quellen und Forschungen), Basel 1938, S. 97–320, S. 112. Zu den Assisii des Basler Domstifts vgl. die statuta bei Paul Bloesch (Hg.): Das Anniversarbuch des Basler Domstifts (Liber Vite Ecclesie Basiliensis) 1334/38–1610, Basel 1975 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte; 7/I+II), S. 528f. Zur Person vgl. Veronika Feller-Vest: Art. Brillinger, Hieronymus [26/08/2004], . Es sind zwei Handschriften des Textes überliefert, MS. H I 28 der Universitätsbibliothek Basel und Hs. 1341 des Generallandesarchivs Karlsruhe, letztere gilt als das Original. Die Edition mit Kommentar (S. 1–95) und Übersetzung wurde 1938 von Konrad W. Hieronimus unter Mitarbeit von Georg Boner auf Basis beider Handschriften besorgt. Hieronimus 1938 (wie Anm. 7). So Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 112f. in zahlreichen Formulierungen. Vgl. Claudius Sieber-Lehmann: Neue Verhältnisse. Das eidgenössische Basel zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Marco Bellabarba und Reinhard Stauber (Hg.): Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998 (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient; Beiträge 9), S. 271–299; Wolfgang Kaiser: Gesellige Rivalität: zum Umgang mit Grenzen im Basler Raum (16.–17. Jahrhundert), in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 102 (2002), S. 23–36; zur neuen Ordnung von 1521 Andreas Heusler: Verfassungsgeschichte der Stadt Basel im Mittelalter, Basel 1860, S. 428ff.; zum Bildersturm Lucas Burkart: „Das crutzsyfix, so im munster uff dem letner stund“. Bildersturm als Mediengeschichte, in: Peter Blickle (Hg.): Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002 (Historische Zeitschrift; Beihefte N. F. 33), S. 177–193.
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und zielt auf den liturgischen Ideal- bzw. Normalfall ab.12 Brilinger eröffnet den Blick auf die spezifische realräumliche Situation des Basler Münsters und die dort durch Umgänge, Positionierungen der Beteiligten sowie deren Gesang und den Gebrauch liturgischen Geräts entstandenen liturgischen Räume.13 Die Nennung der aktuellen Domherren, Amtsträger und Kapläne schuf allerdings auch eine Verknüpfung in Brilingers Gegenwart: Nicht irgendwer, sondern genau die genannten Personen agierten in den Räumen der Passion der Basler Bischofskirche und waren in den jeweiligen Situationen zu imaginieren.14 In einem close reading des Ceremoniale werden im Folgenden die zwischen Palmsonntag und Ostern liturgisch konstruierten Räume aufgezeigt und nach ihren Verbindungen zur Stadt befragt.15
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Wenn die Liturgie vom Üblichen abwich, wie z. B. während des Konzils, war das auch den sonst weniger daran interessierten Chronisten eine Erwähnung wert: Am 17. April 1435 „was der ostertag, sang der cardinal usz Cipern das fronampt; und sang man die epistel und evangelium in Kriechist und in Latin, woren vier leviten.“ Die Chroniken Heinrichs von Beinheim, 1365–1452 samt Fortsetzung 1465–1473, in: Basler Chroniken V, Leipzig 1895, S. 328–469, S. 433. Zu den gemeinsamen Räumen von Stadt und Konzil vgl. Anja Rathmann-Lutz: Liturgische Räume zwischen Stadt und Konzil, in: Matteo Nanni (Hg.): Music and Culture in the Age of the Council of Basel, Turnhout 2014 [im Druck]. Brilinger selbst ergänzte im Ceremoniale und in seinen historiographischen Notizen beispielsweise zu Fronleichnam 1525, dass man lieber im Schutz des Kreuzgangs blieb, „propter furibundam sectam Lutheranam et vulgi inertis tumultum“. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 319. Die aus dem 14. bis frühen 16. Jahrhundert erhaltenen liturgischen Handschriften bestätigen und ergänzen die Angaben Brilingers. So z. B. das Brevier Arnolds von Rotberg, Porrentruy, Bibliothèque Cantonale Jurassienne, Fonds ancien, Ms. 22 (1451/1455), fol. 260ra-281ra, und das Pontifikale des Johann von Venningen, Porrentruy, Bibliothèque Cantonale Jurassienne, Fonds ancien, Mss. 2–3 (1462/3), fol. 1–40va, fol. 46ra–81rb, 360ra-379vb. Zu den Manuskripten vgl. Romain Jurot: Die handschriftlichen Zeugen der Liturgie des alten Bistums Basel, in: AK Münsterschatz, hg. v. Brigitte Meles, The Metropolitan Museum of Art, New York: 27. Februar bis 3. Juni 2001; Historisches Museum Basel, 13. Juli bis 21. Oktober 2001; Bayerisches Nationalmuseum München, 1. Dezember 2001 bis 24. Februar 2002 anlässlich der Ausstellung «Der Basler Münsterschatz», Basel 2001, S. 310–317; Ders.: La liturgie du diocèse de Bâle au Moyen Âge: ses témoins manuscrits et imprimés (catalogue sommaire), in: Jean-Claude Rebetez (Hg.): La Donation de 999 et l’histoire médiévale de l’ancien évêché de Bâle, Porrentruy 2002, S. 325–337. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 111f. (Domherren) und passim. Um 1525 sind 13 Kanoniker und 72 Kapläne nachgewiesen. Nur die Bettelordenskonvente hatten zu diesem Zeitpunkt noch nennenswerte Mitgliederzahlen (zwischen 20 und 40). Der in Basel lebende Klerus machte in Summe ca. 4–5% der Bevölkerung aus. Hans Rudolf Guggisberg: Basel in the Sixteenth Century, St. Louis/Miss. 1982, S. 7f. Vgl. zur Palmsonntags- und Osterliturgie mit lokalen Bezügen Odenthal 2011 (wie Anm. 4), S. 112f.
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II Während der Sext des Palmsonntags16 wurden an Domherren und Schüler Palmzweige verteilt. In Form der Kerze der Zunft zu Weinleuten (eine der vier „Herrenzünfte“), die ein Ministrant hielt, war auch die Stadt präsent bzw. repräsentiert, wenn intoniert wurde „Venerunt filii Israel in Helym“. Die weitere Liturgie verwies explizit auf Jerusalem als Ort des biblischen Geschehens.17 Daraufhin wurden die Palmzweige geweiht und nach weiteren Gesängen und Gebeten besprengte man auch den Chor mit Weihwasser, bevor man sich auf die Prozession über den Münsterplatz begab. Diese Palmsonntagsprozession verwies in doppelter Weise unmittelbar auf Jerusalem. Sie repräsentierte einerseits den Einzug Christi in die Stadt nach dem biblischen Bericht und bezog sich andererseits auf die Jerusalemer Liturgie und zeitgenössische Prozessionen ebendort.18 Diese Verbindung von biblischen Orten und aktualisierendem, prozessionalem Nachvollzug der Geschichte war den Zeitgenossen – Klerikern wie Laien – nicht nur aus lateinischen Liturgien bekannt, sondern auch aus zahlreichen volkssprachlichen Pilgerberichten. So berichtete der Basler Ratsherr und spätere Bürgermeister Hans Rot von seiner Reise 1440 „so tt man einen crútzgang z allen heiligen stetten, die darin sind, mit gar herlichem gesang, und seit den ein gardian an ieclicher was doselbs geschehen ist.“19 16 17
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Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 147–152. Ich zitiere im Folgenden durchweg aus der Edition und folge weitgehend, streckenweise wörtlich, der deutschen Übersetzung. „lectio. venerunt filii Israel in Helim [ubi erant duodecim fontes aquarum et septuaginta palmae, Ex. 15, 27]. resp. Collegerunt pontifices et pharisaei concilium et dicebant quid facimus quia hic homo multa signa facit si dimittimus eum sic omnes credent in eum ne forte veniant Romani et tollant nostrum locum et gentem vers. Unus autem resp. ne forte veniant Romani et tollant nostrum locum et gentem lectio. cum appropinquasset Jesus Hierosolymis.“ Die Stationen am Palmsonntag in Jerusalem sind im Einzelnen: 1. Palmweihe im Tempel, Begegnung von Volk und Patriarch vor der Stadt und Verehrung des Kreuzes; 2. gemeinsame Rückkehr zum Stadttor, über dem Tor stehen Knaben, die das Gloria Laus singen, der Patriarch antwortet Ingrediente Domino; 3. und letzte statio im Tempel. Vgl. Johannes Tripps: Das handelnde Bildwerk in der Gotik, Berlin 2000, S. 95ff. Zu den Deutungen der Palmsonntagsprozession seit dem Hochmittelalter vgl. Pascal Collomb: Écrire la performance processionnelle dans les villes de l’Occident médiéval, in: Gvozdeva/Velten 2011 (wie Anm. 5), S. 105–125, hier S. 108ff. August Bernoulli: Hans und Peter Rot’s Pilgerreisen, 1440 und 1453, in: Beiträge zur vaterländischen Geschichte, N. F. 1 [=11] (1882), S. 331–408, hier S. 354. Ebd., S. 359ff., die mit den jeweiligen Stellen verknüpften Ablässe, die zu erlangen waren. Hans Rot wird während der Fronleichnamsprozession des Jahres 1451 als einer der Träger des Baldachins, der üblicherweise von adeligen Vasallen des Bischofs getragen werden soll, erwähnt. Des Kaplans Niklaus Gerung genannt Blauenstein Chronik der Basler Bischöfe,
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Im Vergleich mit anderen Palmsonntagsprozessionen stellte sich die Situation in Basel auf den Bereich des Münsters beschränkt dar und bezog nicht das gesamte Stadtgebiet oder Außenbezirke mit ein. Die Prozession kann jedoch durchaus als Gang durch städtische Räume gelten, da der zum bischöflichen Herrschaftsraum gehörige Münsterplatz die unterschiedlichsten sozialen und politischen Funktionen des städtischen Lebens vereinte. Zwar wurde seit dem Konzil kein Markt mehr auf dem Platz abgehalten20, doch war er der Ort, an dem die Turniere stattfanden21, das bischöfliche Gericht tagte, ein neugewählter Bischof inthronisiert wurde22 und vor allem jährlich die neugewählten Räte dem Bischof schworen.23 Längst hatten die Basler Bürger im 15. Jahrhundert z. B. als Hausbesitzer oder Mitglieder der Johannes-Bruderschaft auf Burg auf den Münsterplatz und seine Räume zugegriffen. Doch markierten wohl nach wie vor an den meisten Zugängen zum Platz bestimmte Gebäude die Grenze zwischen den Bereichen (Abb. 1).24 Die Prozession also ordnete sich hinter dem Dormentarius mit zwei Chorsängern mit Fahnen, dem Subkustos, der das nicht verhüllte Kreuz trug, und dem Subdiakon mit dem goldenen Plenar25. Es folgten Zelebrant und
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238–1475, Beilage 1, in: Basler Chroniken VII, Leipzig 1915, S. 148. Vgl. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 218–225. Hans’ Sohn Peter stiftete ein Altarbild für die Kirche der Barfüsser, das in geschlossenem Zustand die Auferstehung zeigt und damit an seinen eigenen Besuch des Heiligen Grabes erinnert. Peter-Rot-Altar, Basel, Umkreis Bartholomäus Ruthenzweig, um 1476/84, Tempera auf Tannenholz, 109,5 × 96 cm (geschlossen), Historisches Museum Basel, Inv. 1978.322. Laut Daniel A. Fechter: Topographie mit Berücksichtigung der Cultur- und Sittengeschichte. Nebst einem Plane der Stadt, in: Basler Historische Gesellschaft (Hg.): Basel im XIV. Jahrhundert. Geschichtliche Darstellungen zur fünften Säcularfeier des Erdbebens am S. Lucastage 1356, Basel 1856, S. 1–146, hier S. 21, bemühten sich die Bischöfe nach dem Konzil, den auf den Barfüsserplatz bzw. Kornmarkt verlegten Markt wieder zurückzuerhalten, doch ohne Erfolg. Vgl. z. B. Chronikalien der Rathsbücher, Basler Chroniken IV, Leipzig 1890, S. 41–43 (1428); Andrea Gatari: Diario del Concilio di Basilea di Andrea Gatari 1433–1435, hg. v. Giulio Coggiola, Basel 1904 (Concilium Basiliense; V), S. 388f., 394f., 412f. Die Aufzeichnungen des Kaplans Hieronymus Brilinger, 1474–1525, in: Basler Chroniken VII 1915 (wie Anm. 19), S. 215, sowie Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 286–290. Zu den zahlreichen kommunikativen, auch informellen Funktionen des Platzes Ferdinand Pajor: Devant et autour de la cathédrale de Bâle: 1250–1582. Le mobilier urbain permanent et temporaire, in: Art, cérémonial et liturgie au Moyen Âge. Actes du colloque de 3e Cycle Romand de Lettres, Lausanne-Fribourg, 24–25 mars, 14–15 avril, 12–13 mai 2000, Rom 2002 (Études lausannois d’histoire de l’art; 1), S. 257–274. Zur Ratswahl s. Anm. 27. Ludwig Berger-Haas: Spätrömisches Castrum und bischöflicher Immunitätsbezirk in Basel, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 65 (1965), S. 157–163; Fechter 1856 (wie Anm. 21), S. 5. Ebd., S. 4–23, zur Geschichte der einzelnen Häuser und Kapellen auf Burg. Das Evangeliar ist verloren, von den Heinrichsgaben erhalten haben sich das goldene Antependium und das Reliquienkreuz, s. u. Anm. 28.
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Diakon sowie zwei ältere Prälaten mit Rohrstöcken, mit denen später der am Boden liegende Zelebrant „Christi personam representans“ geschlagen wurde. Die Gruppe schritt über die Katharinenkapelle im Kreuzgang zum Ausgang beim Pfrundkeller und querte unter dem Responsorien-Gesang der Assisii den Münsterplatz, vorbei an den Häusern der Domherren, der Hohen Stube Zur Mücke, dem Schürhof und dem Georgsbrunnen mit der Gerichtslinde – ohne wie beispielsweise an Weihnachten und am folgenden Ostersonntag die Johanneskapelle am anderen Ende des Platzes zu betreten (Abb. 2). Vor dem Bischofsthron an der Nordseite des Münsters hielt die Prozession an. Subkustos und Subdiakon legten Kreuz und Evangelienbuch auf einem bereitliegenden Kissen nieder, die übrigen Teilnehmer gruppierten sich um den Zelebranten. Das himmlische wie das irdische Jerusalem des Einzugs Christi aufrufend, sang nun eine Gruppe Knaben, die im Nordturm bei den Glocken quasi auf dem Jerusalemer Stadttor aufgestellt war, das Gloria laus.26 Parallel präsent war die politische Bedeutung des Bischofsthrons, auf dem der Bischof am Johannistag die neugewählten Räte empfing.27 Das goldene Kreuz aus dem Münsterschatz (Abb. 3) und das goldene Plenar fungierten dabei als Bindeglied zwischen den zwei Ritualen. In beiden Objekten war zudem die enge Verbundenheit der Basler zu Kaiser Heinrich II. aufgehoben, die sich nicht zuletzt auch beim Bundesschwur 1501 auf dem Marktplatz erneut manifestiert hatte.28 Unter dem Wechselgesang von Zelebrant und Chor29 näherte sich ersterer dem Kreuz, vor dem er schließlich prosternierte. Zwei Vorsänger empfingen nun von den Prälaten die Rohrstöcke und schlugen den Zelebranten damit dreimal leicht. Dabei intonierten sie abwechselnd „Scriptum est enim percutiam pastorem…“ und der Zelebrant antwortete, sich auf die Knie aufrichtend, „postquam autem surrexero praecedam vos in Galilaeam“ (Mt 26,31f.), woraufhin der Chor mit „ibi me videbitis dicit dominus“ schloss. Dies wiederholte sich noch zweimal. 26
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S. o. Anm. 18. Gesungen wurden abwechselnd die ersten beiden Verse. Auf die Herkunft des carmen von Theodulf von Orléans wird explizit verwiesen. In Hs. A ergänzt eine Notiz zudem den historischen Hintergrund, der als zusätzliche Raum-Zeit-Dimension Angers und die Regierungszeit Ludwigs des Frommen aufruft. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 290–293; Vgl. Dietrich Poeck, Rituale der Ratswahl, Köln 2003, S. 15ff. Dieser Brauch endete 1521. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 290–293. Zu den Heinrichsgaben und ihrer Bedeutung innerhalb des Schatzensembles sowie zur politischen Bedeutung der Verehrung des Kaiserpaares vgl. Burkart 2002 (wie Anm. 11), S. 183–186, 188f.; Ders.: Das Blut der Märtyrer. Genese, Bedeutung und Funktion mittelalterlicher Schätze, Köln 2009 (Norm und Struktur; 31), S. 303–318. „O Crux ave spes unica, hoc passionis tempore // auge piis iustiam, reisque dona veniam; Te summa deus trinitas collaudet omnis spiritus // quos per crucis mysterium, salvas rege per saecula.“
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Sich der unmittelbaren Verkörperung Christi quasi entledigend, warf der Zelebrant danach, „Pueri Hebraeorum tollentes ramos olivarum…“ (Joh 12,13) singend, den ersten Zweig gegen das Kreuz. Die Priester und das Volk („populus“), das hier zum ersten Mal erwähnt wird,30 taten es ihm nach. Der Chor sang danach weitere vier Antiphonen, während der Zelebrant noch immer kniend leise betete. Unter dem Gesang des Responsoriums „Ingrediente domino in sanctam civitatem“ ordnete sich die Prozession wieder in ihre Reihenfolge und schritt unter dem thronenden Christus der Galluspforte31 hindurch zurück ins Münster, um dort sofort in den Chor zu schreiten, wie 30
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Was unter diesem „Volk“ exakt zu verstehen ist, führt Brilinger nicht aus, doch muss mit einer hohen Beteiligung der Basler Bevölkerung – insbesondere aus den angrenzenden Kirchspielen – an den Osterfeierlichkeiten gerechnet werden, s. u. Anm. 36 sowie S. 216 und 221. Mitte des 15. Jahrhunderts war im Münster eine Dompredigerstelle geschaffen worden. Zur engen Verflechtung dieser Stelle mit der neugegründeten Basler Universität vgl. Bernhard Neidiger: Prädikaturstiftungen in Süddeutschland (1369–1530). Laien – Weltklerus – Bettelorden, Stuttgart 2011 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart; 106), S. 192–194. Vgl. für das – weibliche – Personal im Umkreis des Münsters und die Stiftungen „kleiner Leute“ an das Münster Dorothee Rippmann: Frauenwerk und Männerarbeit. Gesinde, Tagelöhner und Tagelöhnerinnen in der spätmittelalterlichen Stadt, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 95 (1995), S. 5–42, bes. S. 11–25; Gabriela Signori: Unsichtbare Schätze. Das Basler Münster im Spiegel spätmittelalterlicher Seelgeräte und Jahrzeitstiftungen, in: AK Münsterschatz (wie Anm. 13), S. 337–348. Die Beteiligung von Laien an der Osterliturgie untersucht Ute Monika Schwob: Und singt frölich: „Christ ist erstanden“! Zur Rolle der Laien bei mittelalterlichen Osterfeiern und beim Osterspiel, in: Max Siller (Hg.): Osterspiele. Texte und Musik. Akten des 2. Symposiums der Sterzinger Osterspiele (12.-16. April 1992), Innsbruck 1994, S. 161–174. Nach Odenthal 2011 (wie Anm. 4), S. 180, kennt die „entscheidende Liturgie der Kartage“ nur wenig Beteiligung der Laien und wird daher durch „volksfrommes oder auch paraliturgisches Tun ersetzt“. Für die Kommunion werden außerhalb der Messe „Ersatzformen“ gefunden, ebd., S. 181. Kritisch zur „Schaufrömmigkeit“ vgl. die Arbeiten von Thomas Lentes: Soweit das Auge reicht. Sehrituale im Spätmittelalter, in: Barbara Welzel et al. (Hg.): Das „Goldene Wunder“ in der Dortmunder Petrikirche. Bildgebrauch und Bildproduktion im Mittelalter, Bielefeld 2004, S. 241–258; Ders.: Auf der Suche nach dem Ort des Gedächtnisses. Thesen zur Umwertung der symbolischen Formen in Abendmahlslehre, Bildtheorie und Bildandacht des 14.-16. Jahrhunderts, in: Klaus Krüger und Alessandro Nova (Hg.): Imagination und Wirklichkeit: zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, S. 21–45; Ders.: „Andacht“ und „Gebärde“. Das religiöse Ausdrucksverhalten, in: Jussen/Koslofsky 1999 (wie Anm. 1), S. 29–67, bes. S. 45–54. Bruno Boerner: Überlegungen zum Programm der Basler Galluspforte, in: Kunst + Architektur in der Schweiz 45/3 (1994), S. 238–246. Mit Boerner lässt sich die Ikonographie des Tympanons als „Werbeträger für weitere Stiftungen“ (S. 244) lesen. Zusammen mit den Werken der Barmherzigkeit, die in den seitlichen Nischen dargestellt sind, richtet sich das Portal demnach in besonderem Maße an die – wohlhabenden Schichten der – Stadtbürger und ist mit den Auferstehungsszenen und der Jungfrauenparabel auf den endzeitlichen Lohn der von diesen eingeforderten Stiftungen ausgerichtet.
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Brilinger – vielleicht in Anlehnung an die Evangelien mit Bezug auf den Tempel – betont. Drohte schlechtes Wetter, so war die Prozession in den Kreuzgang zu verlegen, die singenden Knaben wechselten in den Südturm. Die Räumlichkeiten vor Ort konnten also flexibel bespielt werden, die imaginierten biblischen Bezugsräume – Jerusalem und Galiläa – blieben jedoch unverändert. Am folgenden Mittwoch32 wurde der seit Aschermittwoch Chorbereich und Altarraum trennende Vorhang während der Lesung der Passion an der entsprechenden Stelle des Lukasevangeliums (23,45) fallen gelassen, von den Chorsängern aufgefangen und auf die durch eine Mauer vom Platz abgeschrankte Pfalz hinter der Kirche gebracht (Abb. 2). Die Integration der Pfalz in den liturgischen Raum verwies auf die enge Verbindung der Stadt zum Bischof einerseits und zum Papsttum andererseits und war zudem auch ein Ort für profane Feste wie die Fasnacht.33 An diesem Tag nahmen auch die scolares an Vesper und Komplet teil.34 In den Karmetten35 von Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag symbolisierten dreizehn Kerzen die von Christus abfallenden Jünger und die standhaft glaubende Maria. Um der Bevölkerung die Teilnahme zu erleichtern, waren die Feiern auf den jeweiligen Vorabend vorverlegt worden.36 Nach jedem Psalm wurde eine der Kerzen, die auf dem Hauptaltar standen, abwechselnd von außen her gelöscht.37 Die letzte und größte Kerze trug der Subkustos zum 32 33
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Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 141f. Pajor 2002 (wie Anm. 23), S. 266–269. Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts wurde an der Befestigung der Pfalz gearbeitet, vgl. die Chronik des Erhard von Appenwiler, in: Basler Chroniken IV 1890 (wie Anm. 21), S. 350. Um 1470 war eine Linde auf der Pfalz gepflanzt und 1512 mit einer Steinbank umgeben worden, auf der in einer lateinischen Inschrift Papst Julius II., Kaiser Maximilian und die Vorzüge der Stadt Basel in Verbindung gebracht wurden. Übersetzt bei Christian Wurstisen [1544–1588]: Beschreibung des Basler Münsters und seiner Umgebung, Basel 1888 (Beiträge zur Vaterländischen Geschichte; N. F. 12), S. 470. Schon am Dienstag der ersten Fastenwoche wurden an den Seiten des Chores und vor dem Lettner Hungertücher gespannt, die bereits am Dienstag nach Palmsonntag abgenommen wurden. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 141f. Vgl. Gerhard Fouquet und Volker Hirsch (Hg.): Das Haushaltsbuch des Basler Bischofs Johannes von Venningen 1458–1478, Basel 2009 (Basler Chroniken; XII), S. 172, 258f., 291f., 317f. für Ausgaben zu diesem Anlass. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 152–155. Laut Brilinger war das erst kürzlich geschehen. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 152. Vgl. Gregor M. Lechner: Die Metten- oder Triangelleuchter, genannt auch Teneber- oder Tenebraeleuchter, in: Das Münster 61/2 (2008), S. 81–83; Tripps 2000 (wie Anm. 19), S. 124f. Zur unterschiedlichen Anzahl und Symbolik der Kerzen vgl. Wilhelm Durandus: Rationale divinorum officiorum, hg. v. Timothy M. Thibodeau, VII-VIII, Turnhout 2000 (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis; 140B), cap. 101. Zum Hochaltar führten drei Stufen; er war von vier mit Engeln bekrönten Velensäulen umgeben, die während der
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Psalm „Laudate dominum de caelis laudate eum in excelsis“ noch brennend zur Sakristei und versteckte sie dort, alle anderen Lichtquellen im Kirchenraum wurden nun ebenfalls gelöscht. Solchermaßen in den Garten von Gethsemane versetzt, veranstalteten Priester und Schüler zur Antiphon nach dem Benedictus maßvollen Krach, um die Schar derer zu symbolisieren, die kam, um Christus zu holen. Daraufhin entfaltete sich zwischen Hochaltar, Lettner und Ambo der Kyrie eleison-Gesang. Vor dem Johannesaltar prosternierten sich derweil zwei Priester und sangen „Qui prophetice prompsisti ero mors tua o mors“ worauf der Chor „Domine miserere Christus dominus factus est oboediens usque ad mortem“ erwiderte. Es wiederholten sich zweimal Gesang, Lärm und Kyrie. Nun stimmte der Vorsänger „Rex Christe factor omnium“ an, jeder Vers wurde gefolgt vom Kyrie. Von unterschiedlichen Standorten aus intonierte eine Gruppe Schüler nach jeder Strophe das Lied „Nun ist die Welt alle gar wunnenklichen fro“ (Abb. 2).38 Der Chor antwortete mit Amen und nach dem Hymnus wurde die Maria symbolisierende brennende Kerze wieder hervorgeholt. Zum Schluss beteten die Priester still auf ihren Kniebänken und der Hebdomadar sang den Psalm Miserere. Die durch die Löschung der Kerzen und das „reenactment of Christ’s Passion“39 aufgerufene nächtliche Gethsemane-Szene war in diesen Momenten durch einen den Chor sowie das Umfeld des Münsters einschließenden Klangraum überformt worden, der auf das kommende, nicht historisch oder realräumlich verortbare Heil verwies. Am Gründonnerstag40 waren drei große Rituale durchzuführen: die Einholung der Büßenden, die Weihe der Öle für das kommende Jahr und die Fußwaschung. Während erstere sich aus den frühchristlichen Traditionen der öffentlichen Buße entwickelt hat, verweist letztere wiederum auf die biblische Erzählung der Passion, die von der Fußwaschung nach dem Abendmahl berichtet. Der Tag begann mit der Einholung der Büßer.41 Nach Absingen der Non trat der Bischof mit einer großen Prozession von der Sakristei her seinen Weg
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Karwoche verhüllt waren. Rudolf Friedrich Burckhardt: Der Basler Münsterschatz, Basel 1933, S. 19f. „[…] primo enim post summum altare et supra, secundo iuxta cappellam S. Catherinae in ambitu, tertio ante cellare dominorum, quarto ante curiam angularem vicarri […], quinto in palatio post chorum, ultimo in ecclesia iuxta hostium S. Galli.“ Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 152ff. Am Karsamstag wurde das Lied durch „O du armer Judas, was hastu gethon“ ersetzt. Jane Morlet Hardie: Kyries tenebrarum in sixteenth century Spain, in: Nassarre 4 (1988), S. 161–194, hier S. 163. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 155–171. Die Vorgänge sind im Folgenden stark verkürzt dargestellt. Zum Ritual der seit Aschermittwoch ausgeschlossenen öffentlich Büßenden vgl. Odenthal 2011 (wie Anm. 4), S. 88ff.
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durch das Schiff zur Paradiespforte an. Vor der Pforte ließ sich der Bischof auf dem Faltstuhl nieder und erwartete den Leutpriester mit den von der Katharinenkapelle herkommenden Büßenden. Nachdem der Bischof jeden einzeln in die Kirche geleitet hatte, warfen sich die Büßer auf beiden Seiten des Schiffs zu Boden. Nach Litanei und Kollekte wurden sie von Bischof und Dormentarius, beginnend beim Ölberg42, mit Weihwasser besprengt. Es folgte die Beräucherung und die Aufrichtung mit dem Stab. Von seinem Sitz einige Schritte vor der Bitt aus hielt der Bischof eine kleine Mahnrede an die Büßenden, die um ihn herum knieten. Auf demselben Weg, den er gekommen war, zog er sich dann mit seinem Anhang in die Sakristei zurück. Die Büßenden wurden getrennt, die Frauen in die Katharinenkapelle, die Männer in die Nikolauskapelle zurückgebracht. Indem die Sichtbarkeit der nun folgenden Zeremonien der Ölweihe stark eingeschränkt war, wurde der liturgische Raum wieder eingeengt. Den Gläubigen im Schiff bot sich lediglich der Blick auf die Bitt mit dem großen Kruzifix darüber und eventuell die Chorstufen hinauf durch den Lettner dar (Abb. 4a, b).43 Nun kamen Dormentarius, Kerzen- und Rauchfassträger, Diakone und Subdiakone in Zweiergruppen, zwölf Priester in Zweiergruppen, ein Subdiakon mit dem goldenen Evangelienbuch vor der Brust, ein Diakon gefolgt vom Bischof, einem Assisius sowie zwei Ehrenleviten, die Kelch, Patene und Kanne trugen, aus der Sakristei. Alle zusammen legten mit dem Bischof, im Kreis vor dem Altar stehend, das Sündenbekenntnis ab, dann wurde die Messe zelebriert. Bei der Elevation der Hostie wurde mit einer hölzernen Klapper geschlagen und nicht wie sonst das Glöckchen am Altar geläutet. Man konsekrierte drei Hostien gleichzeitig: eine für den Bischof in der Messe, eine für den Gottesdienst an Karfreitag sowie eine für die Verwahrung im Heiligen Grab. Direkt nach der Elevation brachten ein Diakon und zwei Subdiakone die Flasche mit dem Krankenöl zum Altar, Chrisam und Tauföl wurden später processionaliter unter einem Baldachin gebracht. Nach Beendigung der Messe hüllte man die zwei Hostien auf der Patene in das Korporale und legte sie auf die Altarmitte. Es folgte die Weihe der Öle, die dann in feierlicher Prozession in die Sakristei verbracht wurden. Über diese Öle war die Bischofskirche im Rahmen der Osterliturgien mit ihrer Diözese verbunden, da die hier geweihten Öle in die Pfarrkirchen der Diözese geholt wurden.44 42 43
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S. u. Anm. 47. Das Kruzifix wurde im Bildersturm zerstört, vgl. Burkart 2002 (wie Anm. 11), S. 179. Zu den Lettnerkapellen und den dortigen Gräbern (Domprobst Wernher von Mersperg, Bischof Johann von Venningen, Bischof Johannes Senn von Münsingen) vgl. Wurstisen 1888 (wie Anm. 33), S. 447–451. Vgl. Franz Egger: Die liturgische Verwendung der Öle, in: AK Münsterschatz (wie Anm. 13), S. 318–321.
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Wiederum mit einer Klapper wurde mittags das Zeichen zur Fußwaschung und damit zu einer neuerlichen symbolischen Transformation des Chorraums in das biblische Jerusalem gegeben. Eine kleine Prozession mit Domprobst und Dienern zog mit dem benötigten Gerät und Opfergaben über den Platz in die Kirche. Rechts über die Stufen betrat die Gruppe den Chor und die Körbe wurden auf einem vorbereiteten Tisch abgestellt. Es war die Aufgabe des voranschreitenden Dormentarius, den Weg für den Probst zwischen dem zahlreich anwesenden populus freizuhalten. Den Altar bedeckte lediglich ein kleines Tuch und es brannten zwei Kerzen. Nach weiteren Vorbereitungen schritt der Zug mit dem Dormentarius an der Spitze von der neuen Sakristei über der Katharinenkapelle zu einem mit einem Kreis auf dem Boden bezeichneten Ort im Chor.45 Zwölf Priester erwarteten auf bereitgestellten Sitzen die Prälaten, Domherren und den Prediger, die von Dormentarius herangeführt wurden. Ihnen, den Jüngern, wurden nun die Füße gewaschen. Nachdem die Geräte zurück in die Sakristei gebracht waren, reichten die jüngeren Domherren den Älteren die Gaben zur Verteilung. Zuerst kamen sie den Jüngern zu Gute, zuletzt den Vertretern der Stadt, die sich ebenfalls im Chor eingefunden hatten. Nach dem Evangelium „Amen, amen dico vobis“ (Joh 13,16), das der Vorsänger von seinem Stuhl aus las, intonierte der Hebdomadar die Komplet. Währenddessen kehrten Probst und Gefolge zur Probstei zurück. Am Karfreitag46 wurde der Faden der Passionserzählung und szenischen Aktualisierung wieder aufgenommen. Subdiakon und Hebdomadar begannen nach der Non die Lesung „In tribulatione“, ersterer laut rezitierend, letzterer am Altar und leise. Auch die zweite Lesung „Dixit dominus ad Moysen“ wurde durch den Zelebranten am Altar gedoppelt. Während der Chor „Eripe me Domine“ intonierte, stiegen drei Priester auf den Lettner und begannen die Passion Christi nach Johannes zu singen. Ein roter Chormantel zeichnete denjenigen aus, der die Worte Christi sprach. Parallel dazu las auch der Zelebrant die Leidensgeschichte und begab sich danach zu seinem Sitz im Chor. Die drei Priester verließen den Lettner und zogen sich in die Sakristei zurück. Für die nun folgenden Improperia und die Kreuzesverehrung wurde wieder von zahlreichen wechselnden Orten aus ein vieltöniger Klangraum geschaffen, der das Zwiegespräch Christi mit seinem Volk plastisch werden ließ. Mit einigen Schülern, dem Kantor und vier Sängern stieg der Dormentarius in die Krypta hinab. Zwei Priester nahmen das Kreuz beim Marienaltar in der Krypta auf und warteten dort auf die Prozession. War der Zug geordnet, begannen zwei Assisii auf der höchsten Chorstufe an der linken Seite mit dem Gesicht zum Hauptaltar gewandt die Improperia, die Klagen Christi, zu singen: Die vier Sänger in der Krypta antworteten „Hagios, o theos“. Der kniende 45 46
Vgl. Hieronimus 1938 (wie Anm. 7), Glossar, S. 503. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 171–180.
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Chor schloss „Sanctus deus“ an. Die Vorsänger traten für das „Quia eduxi te“ hinter den Altar. Nun hielt die Prozession in der Krypta an der Marienkapelle und die Sänger wiederholten „Hagios, o theos ...“, der Chor wiederum das Sanctus. Die Chorsänger begaben sich von ihrem Standort hinter dem Altar auf die oberste Stufe der Chortreppe und intonierten dort zuletzt „Quid ultra“. Die Prozession betrat nun das Kirchenschiff und schritt weiter durch die Kirche in Richtung der Türme, zwischen Allerheiligenaltar und Ölberg47 hindurch und zurück bis zur Chortreppe. Nach der Wiederholung des Wechselgesangs trat der Vorsänger zum Pult, die Schüler, der Kantor und die Sänger zum Lettner. Mit zwei Priestern, die ein verhülltes Kreuz trugen, begab sich der Dormentarius zum Altar, wo das Kreuz niedergelegt wurde. Subkustos, Glöckner und zwei Schüler holten aus der Sakristei das mit einem goldenen Tuch verhüllte goldene Kreuz und stellten es auf das Seidenkissen, das auf der mittleren Stufe zum Chor auf der linken Seite bereit lag. Dorthin zogen Dormentarius, Zelebrant und senior assisius aus der Sakristei, knieten nieder und erhoben das Kreuz, nachdem sie ein Stück freigelegt hatten, zur adoratio crucis. Zweimal sangen sie das „Ecce lignum“ mit tiefer und etwas höherer Stimme und entblößten das Kreuz weiter. Vom Pult intonierte der Vorsänger „Beati immaculati“. Nachdem das Kreuz ganz frei lag, erklang ein drittes Mal mit hoher Stimme das „Ecce lignum“. Die Vorsänger antworteten mit „Dum fabricator“ und „Crux fidelis“. Die beiden Priester traten vom Kreuz zurück und erwarteten die Verehrer des Kreuzes, die sich paarweise näherten, immer abwechselnd voranschreitend und kniend betend. Alle küssten das Kreuz und ließen eine Opfergabe dort. Nach der Verehrung des Kreuzes kehrten sie an ihre Plätze zurück, es folgten die Kapläne und schließlich die Laien. Dazu rief der Dormentarius die Ratsmitglieder aus dem Schiff in den Chor. Diese zogen paarweise ihrem Rang gemäß mit Kerzen auf der linken Chorseite herauf und verehrten das Kreuz, nachdem sie zuvor dem Glöckner die Kerzen übergeben hatten. Einige von ihnen wurden zu den Sitzen beim Leutpriester geleitet, die anderen schritten hinter dem Hochaltar vorbei hinaus. Bischof, Prälaten und Domherren stiegen zum Altar hinauf und beteten auf den Altarstufen kniend gemeinsam mit dem Zelebranten das Confiteor. Der Zelebrant bereitete den Kelch, und vom Sakramentshäuschen her brachte sodann eine Prozession aus 47
In Basel war der Ölberg nicht gleichzeitig Ort des Tabernakels und obwohl die Ölberge spätmittelalterlicher Kirchen „visually and functionally conflated with the Crucifixion and the Resurrection“ (Tanya Ann Jung: The Phenomenal Lives of Movable Christ Sculptures, Diss. University of Maryland, College Park 2006, S. 55) waren, geht Brilinger außer dem mehrmaligen Hinweis auf den Weg zwischen Allerheiligenaltar und Ölberg nicht weiter auf letzteren ein. Über das Aussehen und den exakten Standort des Basler Ölbergs sind wir nicht unterrichtet, vgl. Hieronimus 1938 (wie Anm. 7), Glossar, S. 550. Einen Anhaltspunkt kann die Ölberg-Gruppe bieten, die heute in St. Peter und Paul, Allschwil, aufbewahrt wird, [29.5.2012].
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Dormentarius, zwei Domschülern, zwei Chorsängern mit Weihrauchfässern und zwei Priestern das Korporale mit den zwei am Vortag geweihten Hostien. Es folgten noch Subkustos und Domschüler, die sich am Altar aufteilten, mit Kerzen und Rauchfässern. Der Hebdomadar nahm das Sakrament in Empfang und legte die Hostien vor den Kelch. Nach dem Paternoster fuhr der Hebdomadar fort mit „Libera nos, quesumus, ab omnibus malis...“ und an der Stelle „Da propicius pacem in diebus nostris“ küsste er die Patene und brach eine Hostie über dem Kelch in drei Teile. Der Priester empfing die am Vortag geweihte Hostie. Danach legte er die zweite Hostie auf die Patene und mit dem Korporale umhüllt in die „capsam corporalium“. In der folgenden depositio brachte er die Hostie zusammen mit dem Kelch umhüllt von einem Seidentuch zum Heiligen Grab, welches zwischen dem Grabmal der Königin Anna und dem Matthias-Altar errichtet war (Abb. 5).48 Das Grabmal blieb dabei immer im Blickfeld und erinnerte an die Verbindungen Basels zum Reich und die lange, konfliktreiche gemeinsame Geschichte mit den Habsburgern, aber auch an die erst kürzlich erfolgte Öffnung des Grabes, die Brilinger im Auftrag der Domherren veranlasst hatte. Die Krone Annas war bei dieser Gelegenheit aus dem Grab entnommen und dem Münsterschatz einverleibt worden.49 Mit Kerzen und Weihrauch schritten die Ministranten voraus und platzierten sich zu beiden Seiten des Heiligen Grabes, zu dessen Schmuck und Beleuchtung auch der Rat mit Kerzenspenden beigetragen hatte.50 Die Assisii verwiesen mit dem Responsorium „Ecce quomodo“ auf das biblische Geschehen und fungierten damit als Erzähler.51 Der Subkustos stellte das Kreuz beim Grab ab und der 48
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Vgl. Justin E. A. Kroesen: The Sepulchrum Domini Through the Ages. Its Form and Function, Leuven 2000, S. 80 und 83, für die Formen des Heiliggrabes in Südwestdeutschland und Kap. II: Use of the Holy Sepulchre, S. 139–173, zur Liturgie und den Jerusalembezügen. Der wahrscheinliche Standort des Hl. Grabes im Verhältnis zum Grabmal der Anna ist auf einer Photographie im StABs, Bildersammlung, NEG 00830, [7.6.2012] auszumachen, die das Grabmal im Blick aus dem Chorumgang zeigt. 1510 wurden dem Grab die Krone (Silber, vergoldet; Wien, 1281, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kunstgewerbemuseum, Inv.-Nr. K3874), ein Ring und eine Kette entnommen. Für das Rechnungsjahr 1483/84 sind bspw. „wachs und steckkertzen“ für das Grab im Wert von „V lb XVI ß VIII d“ abgerechnet. Bernhard Harms: Der Stadthaushalt Basels im ausgehenden Mittelalter, Bd. II, Ausgaben 1360–1490, Tübingen 1910, S. 447; ähnliche Summen zu anderen Jahren, passim und Bd. III, Ausgaben 1490–1535, Tübingen 1913, passim. Jährlich stellte der Rat außerdem Geld für Osterlämmer zur Verfügung, die den Räten (und Zunftmeistern) zukamen. Ebd., Bd. II, passim; Bd. III, passim. Dorothea Freise: Geistliche Spiele in der Stadt des ausgehenden Mittelalters: Frankfurt – Friedberg – Alsfeld, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max Planck-Instituts für Geschichte; 178), S. 504f., verweist auf die Erzähler- oder Kommentatorenfunktion des Chores in diesem Zusammenhang.
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Hebdomadar kniete nieder, um Kelch und Sakrament hinein zu stellen.52 Parallel zum Responsorium „Sepulto domino signatum est monumentum“ legte er einen Stein auf das Korporale und beräucherte und besprengte das Grab, bevor er es verschloss. Mit den Ministranten beging er sodann die Vesper am Altar, nachdem auch alle anderen ihre Plätze wieder eingenommen hatten, und zog sich in die Sakristei zurück. Nach der Vesper begannen sechs Kapläne im Wechsel am Grab den Psalter zu lesen.53 Während der Non am Karsamstag54 bereitete der Dormentarius bei den Gräbern neben der Katharinenkapelle die Feuerweihe, die den Übergang vom Dunkeln ins Licht symbolisiert, vor. Nach der Non zog eine große Prozession, an der auch zwei Domschüler mit neuen, nicht entzündeten Kerzen und der Glöckner mit dem leerem Rauchfass beteiligt waren, vom Chor aus durch die Kanonikertür zum Feuer. Es folgten die Feuerweihe, das Entzünden der Kerzen und des Weihrauchs. Der Chor intonierte daraufhin im Wechsel mit den Assisii den Hymnus „Inventor rutili“. Danach zog die Prozession wieder geordnet in den Chor zurück. Sofort machte sich ein neuer Prozessionszug für die Weihe der Osterkerze bereit, die auf dem Lettner stattfand. Danach wurde die Kerze beim Sakramentshäuschen abgestellt. Nun zogen Dormentarius, Subdiakon, Diakon und Ehrenleviten vor dem Bischof zum Altar. Ein älterer Prälat oder Kanonikus hatte aus der Genesis zu lesen, während der Bischof die Exorzisten und Akolythen weihte und der Dormentarius die Prozession zum Taufstein vorbereitete. Zum Wechselgesang des Hymnus „Rex Sanctorum“ schritt diese zur fons paschalis, einem transportablen Taufstein, der in der Osterwoche im Mittelschiff stand, wo der Hebdomadar die Weihe des Taufwassers vornahm. Während Hebdomadar und Ministranten in die Sakristei zurückkehrten, begaben sich die übrigen wieder in den Chor, wo der Bischof mit der Feier der Messe begann, die von sechs Glocken angekündigt wurde. Der weithin hörbare Klang der Glocken, aber auch die immer wiederkehrende Bewegung der Domherren ins Kirchenschiff waren ein integrierendes Signal an die Laien. Gleichzeitig erfolgte durch das Glockenläuten zudem ein Stillstellung oder doch zumindest Verlangsamung des öffentlichen Lebens – auch wer nicht anwesend war, hatte so Anteil an der Feier der 52
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Es scheint hier nicht um das silberne Kästchen (Rudolf F. Burckhardt: Der Basler Münsterschatz [= Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Kanton Basel-Stadt, Bd. 2], Basel 1933, Nr. 25. – AK Münsterschatz [wie Anm. 13], Nr. 51) zu handeln, das Holger Guster: Die Hostienmonstranzen des 13. und 14. Jahrhunderts in Europa, Heidelberg 2009, S. 78f. als möglichen Behälter für die Hostie im Grab anführt. Stiftungen für diese Lesung kamen im 15. Jahrhundert vom Bischof, aber auch von den Münsterkaplänen, u. a. Johannes Friling (zusammen mit Gta), Heinrich Kestlach, Konrad Schlewitzer, Egidius Erenschloss, Erhard Appenwiler und Nikolaus Blauenstein. Bloesch 1975 (wie Anm. 7), S. 30f., 32f. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 181–188.
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Liturgie.55 Nach der gemeinsamen confessio von Zelebrant und Weihekandidaten, Litanei und Kollekte las der Subdiakon die Epistel „Si consurrexistis cum Christo“ und eröffnete damit den Blick in den zukünftigen und ewigen Raum der Erlösung, für dessen Erlangung die Passion und ihr Nacherleben Voraussetzung war. Hinter dem Hochaltar ertönte daraufhin – das erste Mal seit Septuagesima – das Alleluia. Der Bischof weihte nun die neuen Diakone. Nach dem Laudate erklang vom Lettner das Evangelium; die Osterkerze blieb brennend auf dem Lettner stehen. Die heilsgeschichtliche Ausrichtung der Liturgie wie auch die Rituale der Einholung der Büßer, der Weihe der Öle, des Feuers, der Kerze und des Taufwassers hoben die Bezugnahme auf die konkreten biblischen Orte und imaginären Räume der Passion jeweils für einige Zeit zu Gunsten abstrakterer Zusammenhänge zwischen Passion, Exegese und institutionellen Praktiken auf.56 Doch indem nach der Priesterweihe und dem Ende der Messe die Kapläne weiterhin am Grab blieben und bis zur Auferstehung den Psalter sangen, kehrte die Liturgie und mit ihr der Text Brilingers zu diesen zurück – und insistierte auch auf ihnen: Gleich zu Beginn des Abschnitts zum Ostersonntag57 betont Brilinger die Erfahrbarkeit der Auferstehung Christi am Grab. „In choro Basiliensi“ war nun die „resurrectionis memoriam“ zu feiern. Der zu imaginierende Raum des biblisch-historischen Geschehens war somit zwar auf das Engste mit dem Raum der liturgischen Erinnerung daran verbunden, aber doch von diesem unterschieden.58 55
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So Andrew Brown: Civic Ceremony and Religion in Medieval Bruges c. 1300–1520, Cambridge 2011, S. 108, 130; vgl. auch Jesse D. Hurlbut: The sound of civic spectacle: noise in Burgundian ceremonial entries, in: Clifford Davidson (Hg.): Material Culture & Medieval Drama, Kalamazoo 1999 (Early Drama, Art, and Music Monograph Series; 25), S. 127–140. Zu den Glocken des Basler Münsters vgl. Wurstisen 1888 (wie Anm. 33), S. 419–426. In diesen Kontext gehört auch die Weihe der Speisen, die Brilinger nicht erwähnt, die aber im Zusammenhang mit der Reformation zur Sprache kommen: „Item man hat auch die jerlich gedechtnusz der begrebnusz Christi zu sanct Ulrich, zu sanct Alben, zu sanct Martin und andern kirchen nit begangen, noch die urstend. Item man hat auch in dem spital, zu sanct Ulrich und in andern kirchen die österliche speysz nit gesegnet. Und hand vil frommer Christen ir speysz uff Burg geschickt in dasz münster, und hat man die speysz gesegnet bey dem altar der heyligen dreyfaltigkhait under unser frauwen mesz. Item an dem osterabendt ist an vil enden der thauff, noch osterstock, noch das feür gesegnet worden. Aber die stiffern hand für und für billichen brauch und Ordnung gehalten.“ Anonyme Chronik, 1521–1526, in: Basler Chroniken, VII 1915 (wie Anm. 19), S. 239–306, hier S. 279. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 188–195. „[…] the Easter morning liturgy gave prominence to the historical moment when Christ’s resurrection became known to man.“ Susan Rankin: From liturgical Ceremony to public Ritual: „Quem queritis“ at St. Mark’s, Venice, in: Giulio Cattin (Hg.): Da Bisanzio a San Marco. Musica e liturgia, Bd. 2, s. l. (Venedig) 1997 (Quaderni di “Musica e Storia”), S. 137–207, hier S. 138.
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Zur Begehung der Auferstehungsliturgie weckte ein famulus von Tür zu Tür über den Münsterplatz laufend die Beteiligten, der Dormentarius holte den Bischof – so dieser anwesend und willens zur Teilnahme war.59 Nach einigen Vorbereitungen begab sich eine Prozession von der Sakristei zum Grab, leise das Responsorium „Cum rex gloriae“ singend und damit den Abstieg Christi in die Vorhölle aufrufend. Für kurze Zeit erfolgte damit ganz in der Nähe des Allerheiligsten eine „Umkehrung des heiligen Raumes“.60 Die drei Altäre hinter dem Hochaltar passierend, gelangten sie zum Grab, während der Dormentarius mit seinem Stab das anwesende Volk zurückdrängte. Auch hier war also wieder mit reger Beteiligung der Basler Bevölkerung zu rechnen.61 Während der Zelebrant und die anderen vor dem Grab niederknieten, rief der Dormentarius Bischof, Prälaten und Domherren herbei, die sich beim Hauptaltar versammelten. Ihn schmückte normalerweise ein Alabasterretabel mit einer Darstellung Christi zwischen den Aposteln, doch dieses wurde an hohen Feiertagen von der Goldenen Tafel überdeckt, die zu den Heinrichsgaben gehörte.62 Damit war auch während der Osterfeier „der Verweis auf den heiligen Kaiser Heinrich II. für alle unübersehbar“.63 Dieser Verweis war im 15. Jahrhundert längst zum Signal für das städtische Regiment und dessen Legitimität geworden.64 Neben der Tafel befand sich das heiliggrabförmige Hallwyl-Reliquiar (Abb. 6), in dem sich Kreuzpartikel und die Heiligblutreliquie befanden. Golgatha und Heiliggrab fanden sich in Basel vereint, denn durch die Wappen der Familie Hallwyl und den bei der Betrachtung präsenten Spenden für den Ankauf des Reliquiars durch die Domherren 1470 59
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Dass der Bischof die Messe zelebrierte oder überhaupt anwesend war, scheint im Spätmittelalter in Basel eher die Ausnahme denn die Regel gewesen zu sein. Vgl. Volker Hirsch: Formen der Erinnerung am Basler Bischofshof im 15. Jahrhundert, in: Carola Fey et al. (Hg.): Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, Göttingen 2007 (Formen der Erinnerung; Bd. 27), S. 43–63, hier S. 63, mit Verweis auf die Chronik Blauensteins und kritischer Einschränkung der dort genannten 100jährigen bischöflichen Absenz. Johann von Venningen befand sich beispielsweise am Ostersamstag 1459 auf der Jagd in Lietingen (Glovelier). Haushaltsbuch 2009 (wie Anm. 34), S. 101. Auch bei Brilinger wird deutlich, dass die Anwesenheit des Bischofs zu Ostern keinesfalls vorausgesetzt werden konnte: „vocat dormentarius episcopum (si sit presens)“. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 190. Peter Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Bd. 2: Hoch- und Spätmittelalter, Paderborn 2000, S. 278. Burckhardt 1933 (wie Anm. 37) verweist für die (Phantasie-)Darstellung einer Menschenmenge hinter und neben dem Hochaltar auf die Miniatur der Eröffnung der Basler Universität in den Rektoratsmatrikeln, Universitätsbibliothek Basel, Ms. AN II.3, 1460. Für das Alabasterretabel Gatari 1885 (wie Anm. 21), S. 390. Für die Festtagsaufstellung vgl. die Altaraufbau-Rekonstruktion S. 355+357 mit Abb. 263 nach Aufstellungsplänen um 1500, Staatsarchiv Basel-Stadt, Bauakten, JJ3 bei Burckhardt 1933 (wie Anm. 38). Burkart 2002 (wie Anm. 11), S. 188. Burkart 2002 (wie Anm. 11), S. 190f.; Burkart 2009 (wie Anm. 29), S. 305–325.
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spiegelte sich der politische-soziale Raum Basels im goldenen Jerusalem des Reliquiars.65 Nach Ende des „Cum rex gloriae“ entnahm der Zelebrant dem vom Subkustos aufgeschlossenen Grab das Allerheiligste und brachte es, unterstützt von den Assisii, zum Altar, wo er das Korporale entfaltete. Nach der Handwaschung erhob er kniend den Leib Christi länger als sonst üblich für die Dauer eines Vaterunser. Dazu läutete sowohl das Glöckchen am Altar als auch die nur zu solchen hohen Festtagen erklingende Papstglocke im Martinsturm66 zum Beginn der Matutin. Nach der elevatio wurde die Hostie wieder in das Korporale gehüllt und durch den Subkustos in das Sakramentshäuschen verbracht. Während es noch zur Matutin läutete, versammelten sich die Kapläne, die den Psalter gelesen hatten, am Grab und einer von ihnen stimmte ie Antiphon „Ego dormivi“ an, die anderen antworteten mit Psalmen.67 Den Abschluss bildeten wiederum „Ego dormivi“ sowie Versikel und Kollekte der Auferstehung. Es folgte die Feier der Matutin. Unmittelbar danach erfolgte die visitatio sepulchri, die erneut den historisch-biblischen Raum aufrief. Schon während des letzten Responsoriums der Matutin stellte sich eine Prozession, bestehend aus Dormentarius, den beiden Ministranten mit brennenden Kerzen, zwei blumengeschmückten Chorsängern in Engelsgewändern, ebenfalls mit Kerzen, und zwei Assisii mit Rauchfass, Leuchter und Prozessionale, auf. Von der Sakristei her zogen sie wiederum hinter dem Hauptaltar an den drei Altären vorbei zum Grab, wo die Engel, ein Vorsänger und der Subkustos abbogen und sich dort aufstellten, während der Dormentarius den restlichen Zug durch das Münster führte (Abb. 5). Im Chorraum angekommen, blieben die Assisii, nachdem auf der linken Seite das Gloria gesungen wurde, auf der obersten Chorstufe stehen, die Ministranten mit den Kerzen am Sakramentshaus. Nach der Wiederholung des Responsoriums 65
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Bereits im 13. Jahrhundert war in einem Lobgedicht Basel mit dem Kalvarienberg in Verbindung gesetzt worden. Vgl. Katharina Eder Matt und Dominik Wunderlin: Reliquienkult im mittelalterlichen Basel, in: AK Münsterschatz (wie Anm. 13), S. 322–328, hier S. 326; Sabine Häberli: Hallwyl-Reliquiar, in: AK Münsterschatz (wie Anm. 13), S. 100–105. Zu „religiösen Bildern“ mit „städtische[r] Integrationsfunktion“ vgl. Bruno Boerner: Bildwirkungen. Die kommunikative Funktion mittelalterlicher Skulpturen, Berlin 2008; Ders.: Spätmittelalterliche Skulptur in oberrheinischen Metropolen. Städtische und regionale Identitäten, in: Susanne Ehrich und Jörg Oberste (Hg.): Städtische Räume im Mittelalter, Regensburg 2009 (Forum Mittelalter Studien; 5), S. 137–159. Zur 1442 gegossenen, 1489 zersprungenen und 1493 neu gegossenen Papstglocke vgl. Wurstisen 1888 (wie Anm. 33), S. 425ff. Ein Fragment des Neugusses von 1493 hat sich erhalten, Historisches Museum Basel, Jörg von Guntheim, Bronze, H. 31,6, B. 16,3, T. 5 cm, Inv. 1873.55; [15.5.2012]. Zur Funktion des Glockenläutens im öffentlichen Raum vgl. Anm. 55. „Domine quid multiplicati“, „Domini est terra“ und „Domine probasti me“.
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sangen die Assisii, die Marien verkörpernd, zum Grab gewandt „Quis revolvet nobis lapidem“ und die Engel erwiderten „Quem queritis“.68 Darauf antworteten die Marien „Jesum Nazarenum“. Die Engel zogen nach dem Hinweis „Non est hic“ das Tuch, das den Grabeingang verdeckte, ein wenig hoch und wiesen, „Venite“ singend, darauf, woraufhin sich die Marien näherten und vor dem Grab niederknieten. Sie blickten in das Grab und beräucherten es. Zurück an den Chorstufen sangen sie mit Blick zum Chor „Surrexit enim“. Nach Beendigung der visitatio zogen Ministranten, Chorsänger und Assisii zur Sakristei zurück. Unter dem Gesang des „Te Deum“ schritten jetzt alle anderen zum Grab, knieten nieder, sahen hinein und hinterließen eine Opfergabe. Von all dem hörten die im Kirchenschiff Anwesenden mehr, als sie sahen, im Gegensatz zu anderen Städten hatten die Laien keinen Anteil an der Inszenierung des quem-quaeritisSpiels. Die Formulierungen des Ceremoniale lassen allerdings darauf schließen, dass Laien dem Spiel auch im Chorumgang hinter dem Altar folgten und damit als Zeugen der Auferstehung an dem Ritual teilhatten.69 Vor dem Hochamt zog eine große Prozession70 durch den Kreuzgang über den Münsterplatz (Abb. 2). Angeführt vom Dormentarius, folgten zwei Domschüler mit Fahnen, zwei Chorsänger, ebenfalls mit Fahnen, ein Schüler mit der großen Kerze der Zunft zu Weinleuten, ein Ministrant mit der kleinen Fahne vor dem Subkustos mit dem „pretiosori cruce“. Dieser wurde flankiert vom Subdiakon. Dahinter schritt der Diakon mit dem Zelebranten an der Seite, es folgten zwei Ehrenleviten. Daran schlossen sich die Schüler, Sänger, der Magister und der Kantor an; Kapläne, Assisii, Domherren und Prälaten folgten vor dem Bischof. In der Johanneskapelle71 wurde im Chor Station gemacht. 68
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Wenn auch der quem queritis-Dialog kein Teil der römischen Liturgie war, so war es „without doubt its very uncanonical nature and modest dimensions which allowed the dialogue to become a focus of creative energy, set at the centre of hundreds of different Visitatio Sepulchri ceremonies and plays dating from the tenth to the eighteenth centuries.“ Rankin 1997 (wie Anm. 58), S. 140. Die visitatio selbst war Teil der regulären Liturgie und zusammen mit depositio und elevatio crucis „[i]t functions as a trope to explain the liturgical meaning of the Easter celebration.“ So Clifford Flanigan: Medieval Liturgy and the Arts. Visitatio Sepulchri as Paradigm, in: Eva Louise Lillie, Clifford Flanigan, und Nils Holger Petersen (Hg.): Liturgy and the arts in the Middle Ages. Studies in honour of C. Clifford Flanigan, Kopenhagen 1996, S. 9–35. Vgl. auch das gedruckte Basler Brevier von 1515 im Vergleich mit Köln bei Lange, Die lateinischen Osterfeiern, München 1887, S. 35. Vgl. Schwob 1994 (wie Anm. 30). Für die möglichen Blickachsen s. Abb. 4a, b., s. o. Anm. 61. Zur visitatio als Ritual vgl. Flanigan (wie Anm. 67), passim. Vgl. die weihnachtliche Aufstellung, Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 121–124. Möglicherweise hat man hier auch einen Bezug zur römischen Sakraltopographie (San Giovanni in Laterano; Tauf- und Palastkapellen an den Bischofskirchen) zu sehen; vgl. z. B. zu Konstanz und Köln Andreas Odenthal und Gottfried Stracke: Die Stationsliturgie und ihre topographischen Bezüge zu Rom. Die Libri Ordinarii des Kölner Apostelnstiftes – Grundlage eines Dialoges zwischen Kunstgeschichte und Liturgiewissenschaft, in:
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Hatte man den Chor des Münsters wieder betreten, ertönte das Responsorium „Sedit angelus“, das nochmals die Grabsituation mit den Marien aufrief. Zwischen Lesepult und Chor entspann sich ein Wechselgesang, der mit dem Alleluia endete. Während der folgenden Messe holte der famulus des Glöckners die Osterkerze vom Lettner und stellte sie vor das Sakramentshaus.72
III Die in der Liturgie der Karwoche aufgerufenen Räume der Passion berühren sich im Realraum der Kirche und des Münsterplatzes konstant mit den – historischen wie gegenwärtigen, sozialen wie politischen – Räumen der Stadt.73 So auch noch während der Osteroktav, in der täglich eine Prozession zur fons paschalis zog und die Jahrzeiten der Stifter von Präbenden im Münster ebenfalls mit einer Prozession bedacht wurden.74 Zudem kamen die Prozessionen immer auch an den zahlreichen Gräbern im Kirchenraum und im Kreuzgang vorbei, die mit Wappen und den Ausstattungen für die im Laufe des 15. Jahrhunderts immer häufiger werdende visitatio an die soziale Stellung ihrer Stifter erinnerten.75 Während der Karwoche ist ein ständiges Hin und Her zwischen dem Öffnen und Schließen der liturgischen Räume zu beobachten. Die Repräsentanten der Stadt wie auch das nicht näher bezeichnete Volk wurden immer wieder in die Liturgie eingebunden. Dabei war die Chronologie der Passionsgeschichte weniger wichtig als die Wiedererkennbarkeit von an bestimmte Orte in Jerusalem und im Kirchenraum gebundenen Situationen, die wiederum eschatologische Bezugspunkte hatten. In der Bewegung der Prozessionen,
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Franz Kohlschein und Peter Wünsche (Hg.): Heiliger Raum. Architektur, Kunst und Liturgie in mittelalterlichen Kathedralen und Stiftskirchen, Münster 1998 (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen; 82), S. 134–162, hier S. 143f. Brilinger 1938 (wie Anm. 7), S. 117–121, 125–137. Für die Rolle der Zünfte und Bruderschaften bei den großen Kirchenfesten vgl. Brown 2011 (wie Anm. 55). Zu den Jahrzeitstiftungen im Basler Münster Bloesch 1975 (wie Anm. 7). Zur memoria am Bischofshof und seiner Verbindung zu Münstergeistlichkeit und städtischer Oberschicht vgl. Hirsch 2007 (wie Anm. 59). Bloesch 1975 (wie Anm. 7); Signori 2001 (wie Anm. 30). Das Ende des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich vom Subkustos angelegte Gräberbuch spiegelt in besonderem Maße die soziale und liturgische Binnentopographie des Münsters wider. Es wurde bis ca. 1526 weitergeführt. Lisa Röthinger, Gabriela Signori (Hg.): Das Gräberbuch des Basler Domstifts, Basel 2009 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte; 16), Einleitung, S. 33ff.
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durch das Ausgreifen auf Münsterplatz und Pfalz wurde zudem auf immer gleiche Weise der gesamte Herrschafts- und Bedeutungsraum des Bischofs in seiner Verbindung zur Stadt in den liturgischen Raum hereingeholt, auch wenn sich das Verhältnis zwischen Bischof, Kapitel und Stadt im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts massiv verändert hatte.76 Dadurch ergab sich eine Durchdringung der Räume der Passion mit Alltagsräumen und politisch-historischen Räumen, wenn auch die Ausdehnung vom Münster in die Stadt hinein geringer ausfiel als bei anderen Festen in Basel und auch im Vergleich mit anderen Orten. Den Beteiligten, also den etwa 23 adeligen Domherren, den zahlreichen Münsterkaplänen, die häufig aus Basler Familien stammten, der Basler Bevölkerung, allen voran Räten und Zunftmeistern, den Domschülern und – seltener – dem Bischof, bot sich also in den imaginären Andachtsräumen der compassio, den zu imaginierenden Räumen der biblischen Passion und den vergangenen wie aktuellen städtischen Räumen ein vielschichtiges Raum- und Zeitspektrum dar. Je nach Position und Perspektive der Beteiligten konnten zwischen profan und sakral, real und imaginär, vergangen, gegenwärtig und zukünftig changierende Zwischenräume wahrgenommen werden und auf das Zusammenspiel der Akteure zurückwirken.
IV Die Erinnerung und Vergegenwärtigung der Passion waren im Stadtraum jedoch nicht nur während der Osterzeit präsent. So knüpfte man seit 1416, nach dem Erdbeben dieses Jahres, jeden Freitag in Basel und Umgebung das Gedenken an das Unglück und die Hoffnung auf die vorbeugende Wirkung der Gebete mit dem Gedenken der Passion Christi.77 Daneben war es jedoch 76
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Vgl. Christoph Friedrich Weber: Schriftstücke in der symbolischen Kommunikation zwischen Bischof Johann von Venningen (1458–1478) und der Stadt Basel, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 355–383; Ders.: Vom Herrschaftsverband zum Traditionsverband? Schriftdenkmäler in öffentlichen Begegnungen von bischöflichem Stadtherrn und Rat im spätmittelalterlichen Basel, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 449–491; Hirsch 2007 (wie Anm. 58). Die Stellung des Bischofs als Stadtherr blieb durch das gesamte 15. Jahrhundert hindurch anerkannt, vgl. Valentin Groebner: Grosszügigkeit als politische Kommunikation. Geschenke in Basler Rechnungsbüchern des späten Mittelalters, in: Simona Slanicka (Hg.): Begegnungen mit dem Mittelalter in Basel. Eine Vortragsreihe zur mediävistischen Forschung, Basel 2000, S. 165–184, hier S. 171, mit Anm. 14. „Eodem tempore [1416] fuit institutum, ut perpetuis temporibus Basilee et in dyocesi semper sextis feriis hora meridiei pulsetur campana, ut quivis Christianus ter oret paternoster cum salutatione angelica, in memoriam passionis Christi, ut avertatur a plebe
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die große Fronleichnamsprozession, die in besonderer Weise den im Sakrament präsenten leidenden Körper Christi in die sakrale Topographie Basels einschrieb. Gemäß der der Prozession inhärenten Verkörperungslogik der imitatio Christi wurde in der Bewegung der Prozessionsteilnehmer der Raum der Passion immer wieder aktualisiert78 und ausgedehnt79, damit jedoch zugleich die imaginierte Konkretheit der Verortung in Jerusalem, wie sie aus der Karwoche bekannt ist, aufgehoben. Über die ausgestreuten und an den Häusern angebrachten Zweige und Blumen wurde eine visuelle Verbindung zwischen dem Corpus Christi-Fest und den Prozessionen des Domstifts an Palm- und Ostersonntag, Himmelfahrt sowie Pfingsten geschaffen. Die Organisation und Kontrolle der Umgänge – auch das Schreiben über sie – verlagerte sich jedoch zunehmend in den Einflussbereich der städtischen Obrigkeit.80 So konnten sich in Sonderfällen zwar durchaus weitere Raumschichten anlagern, wie beispielsweise beim adventus des neugewählten
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omnis plaga.“ Die Grösseren Basler Annalen, 238–1416, in: Basler Chroniken V 1895 (wie Anm. 12), S. 2–47, hier S. 44. Dazu kam ein Erlass des Bischofs von 1481. Jährlich am Passionssonntag sollte der Pfarrer die Gläubigen zum morgendlichen und abendlichen Angelus-Gebet ermahnen und zudem sollte am Freitag Mittag dreimal das Vaterunser und das Ave Maria zur Erinnerung an die Passion gebetet werden. Vgl. Gregor Jäggi: Das Bistum Basel in seiner Geschichte, Straßburg 1999, S. 20. Das gilt nicht nur für die räumliche, sondern auch für die zeitliche Dimension: „[Die Prozessionsteilnehmer] treten aus der gewöhnlichen Zeit heraus und hinein in die Traumzeit der eucharistischen Urszene.“ Teuber 2011 (wie Anm. 5), S. 91. Dazu trägt der mit der Bewegung koordinierte Gesang wesentlich bei. Umgekehrt bestimmte die Zeitlichkeit der Passion wiederum das alltägliche Zeiterfahren. Vgl. Christian Kiening: Prozessionalität der Passion, in: Gvozdeva/Velten 2011 (wie Anm. 5), S. 177–197, hier S. 179; Ders.: Mitte der Zeit. Geschichten und Paradoxien der Passion Christi, in: Ders. et al. (Hg.): Wiederkehr und Verheißung. Dynamiken der Medialität in der Zeitlichkeit, Zürich 2010, S. 121–137. Zur doppelten Zyklizität der liturgischen Performance vgl. Roger E. Reynolds: The Drama of Medieval Liturgical Processions, in: Revue de Musicologie 86/1 (2000), S. 127–142, hier S. 134. Palazzo 2008 (wie Anm. 6). „Le procession lentement se municipalise et se décléricalise.“ Noel Coulet: Processions, espace urbain, communauté civique, in: M.-H. Vicaire (Hg.): Liturgie et musique (IXe XIVe s.), Toulouse 1982 (Cahiers de Fanjeaux; Bd. 17), S. 381–397, hier S. 393 (zu Montpellier). Der Rat kümmerte sich um Regelungen für die Prozessionen z. B. um die Wege, die Anzahl und das Aussehen der Kerzen, die von den Zunftvertretern (hier der Schuhmacher und Gerber) „uf burg z allenzyten als man das gewonlich tn sol, und ouch sust z andern ziten“ (BUB 7, Nr. 7) getragen wurden, und ordnete den Schmuck der Straßen an. Vgl. Rufbuch I, Bl. 115bff., in: Basler Chroniken V 1895 (wie Anm. 12), S. 495f. Vgl. Reynolds 2000 (wie Anm. 75), S. 139; Charles Zika: Hosts, Processions and Pilgrimages: Controlling the Sacred in Fifteenth-Century Germany, in: Past and Present 118/1 (1988), S. 25–64; und für Basel Pajor 2002 (wie Anm. 23). Zur Involvierung von Stadt und Bürgern in den Heilig Blut- und Corpus Christi-Prozessionen am Beispiel von Brügge Brown 2011 (wie Anm. 55).
Räume der Passion im spätmittelalterlichen Basel
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Papstes 1440, als Basel neben Jerusalem auch für Rom stehen sollte, doch traten hier die biblischen und imaginären Räume der Passion zu Gunsten der Betonung der sozialen und politischen Räume Basels und des Konzils in den Hintergrund.81
Abbildungsnachweis Abb. 1: Fechter 1856 (wie Anm. 21), Plananhang; Abb. 2: unter Verwendung eines Ausschnitts aus dem Ryhiner-Plan (1820–1826), aus: Pajor 2002 (wie Anm. 23), 257–274, 270, und des Münstergrundrisses aus: Hieronimus (wie Anm. 7), nach S. 484; Abb. 3, 6: AK Basler Münsterschatz 2001 (wie Anm. 13), Nr. 1, S. 19–24; S. 103; Abb. 4a: Alfred R. Weber, Im Basler Münster 1650, Basel 1994; Abb. 4b: Himmelstür. Das Hauptportal des Basler Münsters, hg. v. Hans-Rudolf Meier und Dorothea Schwinn Schürmann, Basel 2011, S. 165, Abb. 113; Abb. 5: Hieronimus 1938 (wie Anm. 7), Grundriss nach S. 484.
81
Vgl. beispielsweise die exakte Wegbeschreibung und die namentliche Nennung der teilnehmenden Honoratioren beim Einzug des neuen Papstes. Anonyme Basler Chronik, in: Basler Chronik V 1895 (wie Anm. 12), S. 478ff. Dazu auch Rathmann-Lutz 2014 (wie Anm. 12).
228
Abb. 1: Der Münsterplatz und seine Begrenzungen.
Abb. 2: Prozessionswege auf dem Münsterplatz.
Anja Rathmann-Lutz
Räume der Passion im spätmittelalterlichen Basel
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Abb. 3: Reliquienkreuz („Heinrichs-Kreuz“), Deutschland, erste Hälfte 11. Jh. (im 14., 15. und 19. Jh. verändert und umfangreich ergänzt), 51,2 cm × 46,2 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kunstgewerbemuseum, lnv. Nr. 1917, 79.
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Anja Rathmann-Lutz
Abb. 4a. Johann (Hans) Sixt Ringle, Innenansicht des Basler Münsters, Basel 1650, Öl auf Leinwand, 110 × 87cm, Historisches Museum, Basel, Inv. 1906.3238 (Detail: Mittelschiff mit Blick auf den Lettner).
Räume der Passion im spätmittelalterlichen Basel
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Abb. 4b: Constantin Guise, Basler Münster, Ansicht des Westportals mit Blick in den Innenraum, Kreidelithographie einer Aquarellzeichnung über Bleistift, 1840, erschienen in der Münsterbeschreibung von 1842, Staatsarchiv Basel, SMM 1952.7 (Detail: Mittelschiff mit Blick auf den Lettner).
Abb. 5: Basler Münster, Grundriss mit Kapellen, Altären und fons paschalis.
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Anja Rathmann-Lutz
Abb. 6: Hallwyl-Reliquiar, Vorder- und Rückseite, Straßburg und Basel, vor 1470/1470 (Sockel), H. 58,3 cm, Historisches Museum Basel, Inv. Nr. 1882.83.
Heike Schlie
Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum. Immersive und operative Praktiken in dem Pariser Holzschnitt der Grande Passion und in Memlings Turiner Passion
Wenn man mit der aktuellen Raumsoziologie davon ausgeht, dass der ‘Raum’ durch eine relationale Verknüpfung von ‘Orten’ konstituiert wird und dass diese relationale Verknüpfung in Wahrnehmung, Handlung und Erinnerung besteht,1 dann sind die so genannten Passionspanoramen der ideale Untersuchungsgegenstand für den ‘Raum der Passion’. Ihnen eignet, dass sie simultan mehrere Szenen der Passion zeigen, die mit ganz unterschiedlichen Techniken auf der Bildfläche oder auch in der Fiktion des konstruierten Bildraumes positioniert werden. Oder anders gesagt: Auf der Bildfläche und im Bildraum werden Orte markiert, die eine bestimmte Anzahl von Stationen der Passion aufnehmen und deren relationale Verknüpfung den Passionsraum konstituiert. Wie wir sehen werden, sind diese Verknüpfungen unterschiedlicher Natur. Sie sind einmal durch das Bild selbst, sein Format, seine Fläche sowie seine Perspektive vorgegeben: Der markierte ‘Ort’ steht zu der Setzung der anderen Orte in Beziehung, sowohl planimetrisch als auch bildräumlich. Die relationale Verknüpfung geschieht aber sehr viel komplexer in der Rezeption. Sich an den genannten bildimmanenten Vorgaben orientierend, stellt der Betrachter in der prozessualen Bildwahrnehmung zusätzliche relationale Verknüpfungen her, die weitere reale, virtuelle und erinnerte Orte mit einbeziehen. Anhand von zwei Passionspanoramen soll im Folgenden gezeigt werden, dass sich am Ende des 15. Jahrhunderts gerade diese vermeintlich archaische, gegen die Einheit von Raum, Handlung und Zeit empfindlich verstoßende Bildgattung zu vielfältigen Explorationen innerhalb der Raumdiskurse eignete. Obwohl sich die Ikonographie in beiden Fällen ähnelt und die Werke mit dem Terminus des Passionspanoramas belegt werden können, ermöglichen die jeweiligen Bildstrategien völlig unterschiedliche Verknüpfungen und damit unterschiedliche Räume, welche für die das Bild aktivierenden Praktiken eine Funktion und Bedeutung haben. Dabei soll auch gezeigt werden, dass es zu einfach ist, die Bildpraxis und Funktion dieser Simultanräume einheitlich 1
Grundlegend ist hier die Arbeit von Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001.
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unter dem Stichwort der geistigen Pilgerschaft zu subsumieren, wie dies jüngst inflationär in vielen Publikationen geschehen ist.2 Zwar ist diese Frömmigkeitspraxis gerade bei Passionsdarstellungen eine wichtige Kategorie; sie ist aber eine so allgemeingültige Praxis, dass man einzelnen Bildfindungen mit einer Fokussierung auf diesen einen Konnex nicht wirklich gerecht werden kann. Die vorgestellten Werke zeigen darüber hinaus, dass die räumlichen Aspekte der Bildrezeption und die damit verbundenen Semantiken und Praktiken jeweils von An-Ordnungen im Bildsystem bestimmt werden, die mit dem geläufigen kunsthistorischen Instrumentarium zur Beschreibung eines illusionierten ‘Bildraums’ nur unzureichend abgedeckt sind.
I. Der Aufstieg zum christlichen Tugendberg: La Grande Passion In der Bibliothèque Nationale in Paris wird ein großformatiger kolorierter Holzschnitt von etwa 1495 verwahrt, der eine Passionsfolge mit insgesamt 13 Szenen zeigt (Abb. 1), bisher aber im Kontext der sogenannten Passionspanoramen entweder gar nicht oder nur sehr knapp diskutiert wurde.3 Der Holzschnitt ist nicht nur ob seiner ungewöhnlichen Größe bemerkenswert (50 × 35 cm), auch seine Ikonographie, seine Bildflächen- und Bildraumgestaltung lohnen eine genauere Analyse. Es ist sinnvoll, hier von einer Bildarchitektonik mit eigener Gesetzmäßigkeit und funktionaler Einheit zu sprechen, welche die Stationen der Passion in einen von ‘unten’ nach ‘oben’ konzipierten Bildaufbau einbringt. In vier 2
3
Siehe beispielsweise Barbara G. Lane: Hans Memling. Master Painter in Fifteenth Century Bruges, Turnhout 2009, S. 147–164. Differenzierter stellt dies Gerth dar, Julia Gerth: Wirklichkeit und Wahrnehmung. Hans Memlings Turiner Passion und die Bildgruppe der Passionspanoramen, Berlin 2010, hier bes. S. 82–87. Veronique Vandekerchove: De Grote Passie. Een houtsnede uit de Bibliothèque Nationale de France (ca 1490), in: Luc Knapen und Leo Kenis (Hg.): Hout in Boeken, houten boeken en de fraaye konst van houtdraayen, Löwen 2008, S. 79–83. Siehe Charles Sterling: La Peinture Médiévale à Paris 1300–1500, 2 Bde., Bd. 2, Paris 1990, S. 396–397, Abb. 360. Siehe auch Henri Bouchot: Les deux cents incunables xylographique du département des estampes, Paris 1903, S. 257, Nr. 191; Paul-André Lemoisne: Les xylographies du XIVe au XVe siècle au cabinet des estampes de la Bibliothèque Nationale, Paris und Brüssel 1930, S. 137–138. Zu dieser Publikation gehört ein Mappenwerk mit einem Faksimile des Holzschnitts, das als Druckvorlage für die Abbildung in dieser Studie dient. – In Gerth 2010 (wie Anm. 2) wird der Holzschnitt nicht erwähnt.
Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum
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Registern staffeln sich die Szenen mit leichter Perspektivierung nach oben hin. Die innerbildliche, städtische Architektur ist weniger auf ‘Raum’ hin angelegt, sondern organisiert die Register in der Fläche. Der Zyklus selbst beginnt unten auf der linken Bildseite mit dem Einzug Christi in Jerusalem. Einwohner der Stadt haben ihre Gewänder ausgebreitet, auf die der Esel Christi tritt. Dahinter wird ein Tor der Stadt sichtbar, welches durch weitere Einwohner – sowohl in seiner Öffnung als auch darüber auf der Stadtmauer – als Schwelle zwischen dem Inneren und Äußeren der Stadt markiert ist. Diese Ikonographie ist nicht ungewöhnlich, hier jedoch eröffnet der Einzug eine bildliche Entfaltung der ganzen Stadt, die gleichsam aufgeklappt in der Form einer stehenden Ellipse etwa drei Fünftel der Bildfläche einnimmt, mit bis an den rechten und linken Bildraum geführten Stadtmauern. Gegenüber auf der rechten Bildseite unten findet in der Gegenbewegung ein Auszug aus einem weiteren Stadttor statt. Der kreuztragende Christus hat das Tor bereits passiert, während das Gefolge zum Teil noch innerhalb der Stadt zu sehen ist. Aber nicht nur die Transitio zwischen innen und außen wird deutlich markiert, sondern auch der Verlauf der Stadtmauer, indem der Zug vor Christus mitsamt den Schächern dicht an der Mauer bis weit nach oben geführt wird. Der Einzug nach Jerusalem wird von der Kreuztragung durch einen kleinen Hügel getrennt, auf den später noch zurückzukommen sein wird. Beide Szenen formieren ein horizontales Register, nach oben folgen drei weitere Register mit je drei bis vier Szenen. Die mittleren beiden bilden die Stadt, während das obere Bildfünftel wiederum einen Bereich außerhalb der Stadtmauern zeigt. Die Größe der Figuren nimmt vom untersten zum obersten Register kontinuierlich ab, auch so wird deutlich, dass das Blatt nicht einfach nur alle Szenen auf der Bildfläche aufnimmt, sondern räumlich aus der Perspektive der unteren Szenen organisiert ist. Chronologisch folgt auf den Einzug in Jerusalem direkt darüber das Abendmahl Christi. Alle städtischen Szenen sind in nach vorne geöffnete Miniaturarchitekturen gesetzt, die an die mansiones der geistlichen Spiele erinnern. Zwischen und auf diese Architekturabbreviaturen sind immer wieder kleine Türme, Giebel und Kuppeln gesetzt, die den Eindruck eines zusammenhängenden architektonischen Stadtensembles unterstützen. Der Zyklus überspringt nach dem Abendmahl ein Register; die nächste Szene ist das Gebet am Ölberg ganz oben links, dem etwas weiter unten die Gefangennahme folgt. Im übersprungenen Register nun befindet sich in der Mauer wieder ein Tor, durch das die Soldaten von außen nach innen hindurchziehen, um Christus zu Hannas zu geleiten: dies ist die erste Szene des dritten Registers. Es folgen nach rechts Christus vor Pilatus und Christus vor Kaiphas. Von hier springt der Zyklus nach unten in das zweite Register und schließt rechts an das Abendmahl mit der Dornenkrönung an. Horizontal folgen wiederum Geißelung und Ecce Homo, von dort springt der Zyklus
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wieder ein Register tiefer zur bereits genannten Kreuztragung. Das um die Stadtmauer ziehende Gefolge der Kreuztragung führt die Bewegung der Darstellungen wieder nach oben, in die Mitte des oberen Registers mit der Kreuzigung. Hier schließt sich rechts endlich die Grablegung an. Die gesamte Anlage des Bildes ist von einem horror vacui geprägt; es gibt vor allem innerhalb der Stadt kaum einen Flecken, der nicht mit Figuren oder Architektur besetzt wäre. Trotz dieser großen Dichte ist der Holzschnitt sehr übersichtlich, was nicht nur mit der klaren Registeraufteilung erzielt wird. Christus selbst ist in jeder Szene als Figur klar zu erkennen, da die Weißfarbigkeit seines Gewandes beziehungsweise seines entkleideten Körpers sein Alleinstellungsmerkmal ist: Sein Körper, sein Habitus und seine Gestik strukturieren das ganze Blatt. Ein weiteres Strukturelement zur Orientierung sind die französischen Inschriften zu jeder Szene, die meist auf bildflächenparallele Partien der Architektur gesetzt sind.4 Die Inschriften selbst strukturieren das Bild gemäß seiner planimetrischen, räumlichen und zeitlichen Logik. Diese betrifft vor allem den Auf- und Abstieg in den Registern, wenn man dem Zyklus folgt. Der erste Aufstieg endet mit dem Gebet am Ölberg, in dem Christus seine Heilsaufgabe endgültig annimmt; dann folgen im Abstieg Szenen seiner Erniedrigung, bevor in einem zweiten Aufstieg der Weg von Stadttor bis zum Golgathahügel beschritten wird. In der Folge soll der Holzschnitt als devotionaler Tugendberg für den Rezipienten beschrieben werden, in dem die genannten Auf- und Abstiege den Weg einer imitatio Christi bilden; einen Weg, der mehr beinhaltet als der in chronologischer Folge abzuschreitende Kreuzweg.5 Der Weg ist darüber hinaus in 4
5
Wenn nicht anders vermerkt, befinden sich die Inschriften auf der Architektur direkt oberhalb der Szene. Einzug in Jerusalem: „l’entrée de Jherusalem“ (leicht perspektivisch über dem Stadttor) / Abendmahl: „La cène“ / Gebet am Ölberg (ohne Inschrift) / Gefangennahme: „La prinse“ (links von der betenden Christusfigur auf dem Ölberg in einer aufgehellten Partie in der Landschaft) / Christus vor Annas: „Dieu devant Anne“ (senkrechte Inschrift rechts der Szene) / Christus vor Pilatus: „Dieu devant Pilate“ (gebogene Inschrift auf dem Bogen über der Szene) / Christus vor Kaiphas: „Dieu devant Cayphe“ / Dornenkrönung: „Le couronnement d’espines“ / Geißelung: „Le batement“ (unterhalb der Szene links) / Ecce homo: „ecce homo“ (auf dem Parapetto vor Pilatus) und „tolle tolle crucifige“ (auf einer niedrigen Mauer vor der Menschenmenge) / Kreuztragung: „Dieu porte la croix“ (auf dem horizontalen Kreuzbalken) / Kreuzigung (ohne Inschrift) / Grablegung: „le sepulcre“ (über Graböffnung). Golgatha wurde als die christliche Urform des Tugendberges aufgefasst. Siehe dazu Peter Stephan: Der Griff nach den Sternen. Die gentilizische Kodierung des römischen Stadtraums durch Grabmäler unter Sixtus V. und Alexander VII., in: Carolin Behrmann u. a. (Hg.): Grab – Kult – Memoria. Studien zur gesellschaftlichen Funktion von Memoria, Köln u. a. 2007, S. 75–103, hier S. 91. Siehe dazu auch Gosbert Schüssler: Die Tugend auf dem Felsenberg. Eine Komposition Pinturricchios für das Paviment des Domes von Siena, in: Gerd Althoff (Hg.): Zeichen – Rituale – Werte, Münster 2004, S. 435–497, der
Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum
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räumlicher Hinsicht nicht nur als relationale Verbindung zwischen den Orten der einzelnen Stationen der Passion gedacht, sondern als veritabler Aufstieg zum Heil. Zu vergleichen wäre diese Technik mit anderen Ikonographien, die die aus der Mystik stammende Vorstellung der Heilsleiter mit dem Aufstieg auf einem Berg verbinden, wie Baccio Baldinis Illustration zu Antonio Bettinis Monte santo di Dio, erschienen 1477 in Florenz (Abb. 2).6 Der eine ganze Buchseite einnehmende Kupferstich zeigt eine Tugendleiter, die vor einem abgetreppten, stufenförmigen Berg von einem Mönch erklommen wird. Sowohl die Sprossen der Himmelsleiter als auch die Stufungen des Felsenberges sind inschriftlich mit den verschiedenen Tugenden bezeichnet. Über dem Ende der Leiter steht Christus in einer durch ein Kreissegment abgetrennten Himmelszone, die dicht von Engelsfiguren besetzt ist. Im Gegensatz zur Leiter ragt der Gipfel des Berges selbst in die Himmelszone hinein und dient der Christusfigur als Standort. Im Text schreibt Bettini, dass mit dem Besteigen der vierten Sprosse Christus als Gekreuzigter erscheint: „Come alla salita delquarto scalone apparue alla sposa yhesu cristo crocifisso consepte doni dello spirito sancto.“7 Vermutlich handelt es sich nicht um einen Zufall, dass die Kreuzigung auf dem französischen Holzschnitt entsprechend im vierten Register von unten erscheint. Bettini ruft den Leser darüber hinaus auf, im Zuge des Erklimmens der Leiter auf den Gekreuzigten zu sehen: „Saliamo almonte sancto raguardiamo Iesu cristo benedecto nostro idio et nostro signore. Re della Gloria, guardiamolo afflicto uilipenso et incroce conficto et dispine incoronato.“8 Auf dem Holzschnitt der Grande Passion kulminiert der erste Aufstieg über den Einzug in Jerusalem und das Abendmahl zunächst im Gebet am Ölberg. Dies ist eine Wendung in der Passionsgeschichte, in der Christus seinen Leidensweg annimmt, und mehr noch, in der Christus zu Gott betet. Für den Rezipienten des Blattes und den Prozess der stufenweisen Bildaneignung und der damit fortschreitenden imitatio Christi bedeutet dies, dass er hier ebenfalls an einem ersten Höhepunkt seiner Devotionspraxis angekommen ist. Auch er befindet sich in einer Entscheidungssituation, das Kreuz als Christ auf sich zu nehmen; und die Christusfigur im Gebet ist das ideale Exemplum einer entsprechenden Gebetspraxis. Der darauf folgende Abstieg, der sich natürlich von der Bildpraxis der Tugendberge unterscheidet, ist derjenige einer Erniedrigung Christi, den der Bildrezipient gleichsam imaginativ-somatisch
6 7
8
sowohl die antiken Grundlagen der Ikonographie des Tugendberges nachzeichnet als auch frühe Darstellungen behandelt, die mit diesem Diskurs verbunden sind. Schüssler 2004 (wie Anm. 5), S. 488–494, hat diese Darstellung mit der Ikonographie des Tugendbergs in Verbindung gebracht. Antonio Bettini: Monte Santo di Dio, Florenz 1477, fol. 76 verso, 85. Kap. (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Ink. 4 F. 38), hier zitiert nach Schüssler 2004 (wie Anm. 5), S. 493. Bettini, fol. 40 recto, Kap. 41, zitiert nach Schüssler (wie Anm. 5), S. 494.
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im Abstieg der Wahrnehmung der einzelnen Szenen nachverfolgen soll. Auch die Schrift vollzieht diesen Abstieg nach. Während das „Ecce Homo“ bereits niedriger als die anderen Schriften auf dem Parapetto vor Pilatus erscheint, nimmt das „tolle tolle crucifige“ auf einer Mauer innerhalb der Stadtmauer einen ausgegrenzten ‘Niemandsraum’ ein und befindet sich bildplanimetrisch damit bereits im untersten Register, auf der gleichen Höhe wie die Inschrift zum Einzug in Jerusalem. Am Ende der Erniedrigung angelangt, zieht die getretene, geschlagene, mit dem schweren Kreuz beladene Christusfigur aus der Stadt aus. Hier wiederum findet der Wechsel von Abstieg zu Aufstieg statt: Den eigentlichen Kreuz-Weg zum christlichen Tugendberg Golgatha vollzieht der Betrachter als Aufstieg nach. Und wieder wird der Aufstieg durch die Schrift markiert: der schräggestellte Kreuzesbalken gibt mit dem entsprechenden Schriftzug genau die anfängliche Aufstiegsrichtung des Zuges vor. Zwischen dem Christus der Kreuztragung und den Assistenzfiguren der Kreuzigung ist der Zug nur einmal kurz unterbrochen: Er verschwindet hinter der Architektur der Kaiphas-Szene, um hinter einer Erdscholle zwischen Kreuzigung und Grablegung wieder aufzutauchen. Der Hügel der Schädelstätte ist als veritabler Berg in der Bildmitte hervorgehoben; seine Konturen ergeben sich aus einer fortgedachten Linie der elliptischen Stadtmauer. Auch wenn der Chronologie nach rechts noch eine Szene folgt: Hier ist der Kulminationspunkt des zweiten Aufstiegs des Bildrezipienten, hier soll er sich imaginativ zwischen den Gruppen unter dem Kreuz einfinden. Es ist bezeichnend, dass hier auf dem Gipfel des Tugendberges nur die positiv konnotierten Assistenzfiguren dargestellt sind; zur Rechten des Kreuzes die Anhänger Christi, zu seiner Linken die Gruppe um den Guten Hauptmann. Der Berg nimmt weiterhin die Konturen des kleinen Hügels des Einzuges in Jerusalem auf: Auf letzterem steht der Baum, auf den einer der Einwohner geklettert ist, um Christus besser sehen zu können und Palmzweige zu pflücken, mit denen er begrüßt wird.9 In diesem Konnex wird der ‘kleine Hügel’ am Eingang des Bildes zum ‘kleinen Exemplum’, zur Regieanweisung dazu, wie das Blatt zu benutzen sei. Es geht darum, Christus Ehre zu erweisen, indem man auf den christlichen Tugendberg steigt, um ihn besser ‘sehen’ zu können. Der Apostel ganz links unten am Bildrand, der mit der Hand auf Christus und wohl auch die Bedeutsamkeit der Szene verweist, wird antithetisch auf dem rechten Bildrand von demjenigen Schergen gespiegelt, der sich mit grimmigem Gesichtsausdruck zu Christus umschaut und den Hammer, mit dem er die Nägel in den Körper einschlagen wird, lässig über die Schulter geworfen hat. Es ist 9
Vielleicht ist auch dies ein weiterer Zufall; bemerkenswert und eventuell weiter zu verfolgen ist die Tatsache, dass Tugendberge in der Folge oft mit Palmbäumen ausgestattet werden, was natürlich auch dadurch begründet ist, dass Tugenden mit Palmzweigen ausgestattet werden.
Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum
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die Schrift, die ganz oben links und rechts der Kreuzigung noch einmal eine Symmetrie herstellt: Das Gebet am Ölberg und die Grablegung sind beide nur mit Artikel und Substantiv bezeichnet („La Prinse“ – „Le Sepulcre“) und nicht auf Architektur, sondern vor beziehungsweise in die Landschaft gesetzt. Hier dient die symmetrische Spiegelung der Betonung einer Kulmination des Aufstieges in der mittig positionierten Kreuzigung. Auch der auffällige Bogen über der Pilatusszene, direkt unter der Kreuzigung gelegen, betont mit der Rundung und dem zusätzlich mittig gesetzten Lanzettfenster mit bekrönendem Vierpass die Form des Berges, sowohl den Aufstieg zur Kreuzigung als auch deren Zentrierung. Es dürfte deutlich geworden sein, dass der Holzschnitt sehr aufwändig und mit komplexen Bildstrategien auf eine bestimmte Funktion hin konzipiert wurde. Diese lassen sich analysieren, ohne das berühmte Vorbild zu berücksichtigen, das der französische Meister des Holzschnitts für seine eigene Inventio adaptiert hat. Bei dem Vorbild handelt es sich um die sogenannte Turiner Passion des Hans Memling von 1470, die ich bereits in einem anderen Zusammenhang bezüglich ihrer Prozessionsmedialität ausführlich untersucht habe. Diese Analyse soll hier nach einigen allgemeinen Überlegungen zur operativen Rezeption des Bildraumes kurz zusammengefasst und bezüglich der bildmedialen, relationalen Ordnung der Passionsstationen neu akzentuiert werden. Es soll hier nicht nur gezeigt werden, dass die ikonographische Gattung der Passionspanoramen ganz unterschiedlichen Praktiken dienen kann, sondern dass – schlicht gesagt – die Werke als Bildmedien selbst unter Umständen mit völlig anderen Bildstrategien operieren und entsprechend auch eine andere Wirkung ausüben. Die Unterschiede in der Komposition, den Ordnungssystemen und den Appellstrukturen zur konkreten Bildrezeption lassen sich dabei vor allem mit Kategorien des Raumes beschreiben. Passionspanoramen sind viel weniger Zeit-Bilder als vielmehr ausgesprochene Raum-Bilder. Die relationale Verknüpfung der Passionsstationen ist jedoch nicht einfach nur raumbildend ‘da’, sondern wird vom Betrachter prozessual nachvollzogen und eigentlich erst konstituiert, in Relation auch zu anderen Räumen, die virtuell mit dem dargestellten Raum und der Funktion der aktuellen Bildrezeption verbunden sind. Auch der Raum, in dem der Betrachter sich selbst befindet, kann hier eine Rolle spielen. Aufgrund dieser Raumbildung in der Bildrezeption, in der die Anordnung der Stationen der Passion nur bedingt eine chronologische ist, ist der Begriff des ‘Erzählraumes’10 eher unglücklich gewählt, weil in die Irre führend. Oder anders gesagt: Die Passion wird nicht von einem Anfang zu einem 10
Siehe beispielsweise Tim Urban: Vom Nacheinander und Aufeinander der Bilderzählung. Die Erinnerungsräume der Turiner Passion, in: Martin Schulz und Beat Wyss (Hg.): Techniken des Bildes, München 2010, S. 127–144, zum Erzählraum S. 127.
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Ende ‘erzählt’; die Anordnung der ‘Orte’ ihrer Stationen werden repräsentiert und vor allem positioniert, um einen Raum zu bilden, der zumindest nicht nur Erzählraum ist. Für den besprochenen Holzschnitt lässt sich sagen, dass das Bild selbst den ‘Raum’ in vielerlei Hinsicht negiert, dass die An-Ordnung der Szenen eher flächig als räumlich konzipiert ist, dass aber alle Bildstrategien auf einen Aufstieg in der Rezeption ausgerichtet sind, der räumlich definiert ist. Die bewusste Koppelung des Einzuges in Jerusalem mit dem ‘Auszug’ der Kreuztragung ist nicht der Erzählung der Passion geschuldet, sondern der Raumlogik des Blattes und seiner Funktion als devotionalem Handlungsraum des Betrachters, wenn man so will. Als ‘Erzählraum’ wäre der Holzschnitt völlig inkonsistent, als Bildarchitektonik des Aufstiegs zum Tugendberg Golgatha bildet er einen logischen, kohärenten Raum.
II. Raum als operatives An-Ordnungsprinzip der Orte Beschäftigt man sich mit der nach wie vor boomenden Forschung zum Raum und zu den Räumen, so fällt auf, dass sich die Vorstellung des von relationalen Ortsbeziehungen konstituierten Raums weitgehend durchgesetzt hat, und dass der sogenannte ‘Containerraum’ zu den überholten Konzepten zu gehören scheint, was in den entsprechenden Forschungsrichtungen auch nachvollziehbar ist. Dem Raumkonzept des Containerraums, in dem ein Territorium als Raum unabhängig von in ihm enthaltenen Objekten und Handlungen existiert, ist ein Konzept des relationalen Raumes entgegengesetzt, dem zufolge Raum nur aufgrund von Anordnungen von Objekten oder durch Handlungsbezüge entsteht. Für die Kunstgeschichte gilt, dass es sinnvoll sein kann, vom Containerraum zu sprechen, wenn er durch ein Artefakt intentional gebildet wird. Architektur beispielsweise verändert nicht nur an ihrem Äußeren den offenen Raum, in den sie gesetzt ist, sondern umschließt einen Innenraum, der zu allen Seiten hin durch Grenzen definiert ist. Diese Grenzen sind zum Teil durchlässig (z.B. für einen über den Containerraum hinausgehenden Handlungsraum); jedoch sind in dieser Durchlässigkeit der innere und der äußere Raum immer als solche definiert. Es gibt Containerräume nicht per se, sondern weil der Mensch sie für verschiedene Funktionen, Bedürfnisse, Handlungen, Objekte benötigt und entsprechend herstellt. In diesen Räumen gelten andere Bedingungen als in ihrem Umgebungsraum, die sowohl lebenspraktischer als auch semantischer oder symbolischer Natur sein können. Zwar sind die Containerräume und die ihnen angeschlossenen Handlungsräume nicht kongruent, sie stehen jedoch in einem nur räumlich zu definierenden Verhältnis. Architektonische Containerräume sind mitnichten
Der bildmediale Parcours durch den Passionsraum
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einfach nur Orte – sie sind object spaces,11 in denen Orte, beispielsweise die Altäre eines Kircheninterieurs, bereits in eine relationale Ordnung gesetzt sind. Selbst wenn gerade keine rituelle Handlung stattfindet, die einen performativen Raum bilden könnte, ist diese An-Ordnung als heiliger Raum wahrnehmbar. Andererseits begrenzen sakrale Containerräume den Raum der sakralen Handlung nicht: In Prozessionen und anderen paraliturgischen Handlungen erfährt der Sakralraum eine Ausdehnung, in welcher der Raum einer Kirche nur mehr einen Teil bildet.12 In den Prozessionen sind mitgeführte geweihte Objekte und heilige Substanzen diejenigen ‘Orte’, die eine Bewegungsspur durch die Stadt ziehen und in dieser dynamischen An-Ordnung den Sakralraum bilden. Für die Kunstgeschichte ist eine Orientierung an Raummodellen sinnvoll, denen zufolge Handlungen die Räume konstituieren, in denen gleichzeitig aber von bestehenden Räumen ausgegangen wird, welche die Handlungen strukturieren und begrenzen.13 Nach Löw werden Räume auf zwei Arten prozesshaft konstituiert, einmal durch das „Spacing“ (das Platzieren von Objekten und Menschen), zum Anderen durch eine „Syntheseleistung“,14 der Verknüpfung der platzierten Dinge und Menschen in der Wahrnehmung, Erinnerung und Vorstellung.15 Das Konzept von Löw bietet auch eine Möglichkeit, den ‘Raum’ und den ‘Ort’ sinnvoll voneinander zu unterscheiden, wobei der Fall der Architektur und der Bilder auch hier gesondert betrachtet werden muss. Nach Löw entstehen die Orte durch die Platzierung der sozialen Güter und der Menschen, durch ihre relationale Verknüpfung wiederum entsteht Raum. Der Ort kann auch weiter bestehen, wenn die Platzierung aufgehoben ist,16 meiner Ansicht nach muss er dann aber markiert sein (z.B. durch eine Gedenkplakette nach dem Abriss des Geburtshauses eines berühmten Menschen) oder zumindest anhand bestimmter Merkmale oder Spuren als Ort einer ehemaligen Platzierung erinnerbar sein. 11 12
13
14 15 16
Wolfgang Zierhofer: State, power and space, in: Social Geography 1 (2005), S. 29–36, hier S. 32. Vgl. Gerd Schwerhoff: Sakralitätsmanagement. Zur Analyse religiöser Räume im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Susanne Rau und Gerd Schwerhoff (Hg.): Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, München 2008, S. 44. Schwerhoff spricht in diesem Zusammenhang von „interaktiven Extensionen des religiösen Raumes“. Ein in zahlreichen Disziplinen rezipiertes Standardwerk ist Löw 2001 (wie Anm. 1). Vgl. dazu auch Zierhofer 2005 (wie Anm. 11), S. 33: „Spaces inform actions. But at the same time they are also outcomes of actions.“, S. 35: „Spaces are devices ordering interactions“, S. 30: „space“ as „ordering concept“ or „ordering tool“. Löw 2001 (wie Anm. 1), S. 160. Ebd., S. 199. „Orte entstehen durch Plazierungen, sind aber nicht mit der Plazierung identisch, da Orte über einen gewissen Zeitabschnitt hinweg auch ohne das Plazierte bzw. nur durch die symbolische Wirkung der Plazierung erhalten bleiben.“. Ebd., S. 198.
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Die Markierung gilt besonders dann, wenn in der Memoria vergangene Ereignisse an Orte platziert werden, z.B. eben Szenen der Passion Christi. Den Ort der Passion gibt es nur dann, wenn er als solcher in irgendeiner Weise markiert ist. Die Erinnerung wird dadurch an diese markierten Orte gebunden. Ob dies wirklich der authentische Ort ist, ist vielleicht theologisch relevant, nicht aber für das rituelle oder soziale Handeln, durch das in der relationalen Verknüpfung von Ort und Handlung beziehungsweise von Ort und (einem weiteren) Ort (der Passion) der Raum der Passion konstituiert wird. Dabei gibt es eine Wechselbeziehung zwischen ‘Ort’ und ‘Raum’, die auch für ‘Handlung’ und ‘Raum’ gilt: „Die Konstitution von Raum bringt damit systematisch auch Orte hervor, so wie Orte die Entstehung von Raum erst möglich machen.“17 Bilder und Architektur können Orte markieren. Darüber hinaus können sie aber schon jene Verknüpfungsleistungen hervorbringen oder kanalisieren, die den Raum erst konstituieren. Das heißt, dass sie selbst raumbildend sein können – über die Funktion der Architektur hinaus, einen inneren Raum gegenüber einem äußeren Raum zu definieren. Die Arenakapelle in Padua ist ein gutes Beispiel, wie Kunst einen Containerraum herstellen und gleichzeitig einen über ihre materiellen Grenzen hinausgehenden, ebenso ‘wirklichen’ Raum in der kulturellen Praxis produzieren kann (Abb. 3). Das Besondere ist hier, dass die Malerei Giottos weitgehend auch die ‘tektonische’ Strukturierung des Innenraumes übernimmt: gemalte Bänder übernehmen die Funktion von Pilastern, Lisenen, Bündelpfeilern, Gebälk o. ä. Abgesehen davon, dass jedes einzelne Bildfeld einen eigenen Bildraum produziert, behauptet die blaue, sternenbesetzte Zone des Gewölbes ‘hinter’ den Bändern eine Erstreckung des Raumes bis in den Himmel. Dass Giotto die komplexe Konstitution des Raumes (besser: der Räume) durch seine Malerei sehr bewusst war, zeigen die fingierten Kapellenräume an der Ostwand. Sie sind die programmatische Schlüsselstelle für die Bildaufgabe, die Giottos Malerei für die Kapelle übernimmt: innerhalb der Grenzen der eigentlichen Architektur, in denen sich die rituelle Handlung abspielt, einen oder mehrere über diese Grenzen hinausgehenden Räume zu bilden. Dies entspricht der Vorstellung, dass auch der Raum der Liturgie sich über die Grenzen der eigentlichen Handlung in den Raum der Himmlischen Liturgie ‘ausdehnt’. Der Containerraum (das heißt hier der von der Architektur begrenzte Gefäßraum) ist innerhalb dieser komplexen Konstitutionen von Raum zwar eine bestimmende Größe, aber nicht der entscheidende Raum schlechthin. Es ist diese Verbindung von dem Gefäßraum, dem bildlich hergestellten Raum und dem durch die rituelle Handlung markierten Raum, die letztendlich in der Verknüpfungsleistung des Besuchers der Kapelle den eigentlich relevanten 17
Ebd., S. 198.
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Erlebnisraum herstellt. Gerade in der Kunstgeschichte und den Bildwissenschaften ist es notwendig, zwischen dem von den Medien repräsentierten beziehungsweise eingegrenzten Raum einerseits und dem operativen Raum der Bildrezeption andererseits zu unterscheiden: Genau die Art ihres Zusammenspiels macht den bildmedialen Raum aus. Weder bildet das architektonische Gefüge einer Stadt mit ihren Sakralbauten den einen gültigen sakralen Raum einer Stadt, noch kann ihre mediale Kartierung den Raum erfassbar machen: Es gibt nicht diesen einen Raum als solchen. 18 Die sakrale Topographie einer Stadt ändert sich nicht nur im historischen Verlauf, sondern mit jeder sakral konnotierten Handlung in der Stadt. Zu der Zeit einer bestimmten Prozession wird ein Raum erzeugt, den es außerhalb dieser Handlung nicht gibt, oder höchstens in der Erinnerung und als Konzept zur Wiederaufführung im nächsten Jahr. Gerade der Löwsche Begriff der Syntheseleistung ist vorzüglich geeignet, eine Überlagerung von verschiedenen Räumen und Ortsrelationen beschreibbar zu machen, wie sie vor allem für das Spätmittelalter im Zusammenhang von rituellen, politischen und sozialen Handlungen und für den Einsatz von Medien aller Art gilt. Löws Raumkonzept ermöglicht, die Gleichzeitigkeit oder Überlagerung verschiedener Räume an einem Ort zu erfassen.19 Bei Löw meint diese Gleichzeitigkeit eine funktionale Getrenntheit, während bei der Überlagerung und der Konstitution von Räumen, von denen hier die Rede sein soll, diese Überlagerung selbst Teil eines kulturellen Funktionsprozesses sein kann. Es gibt keinen geeigneten Begriff, der die Phänomene des Ineinandergreifens von gebauten, performativen und virtuellen Räumen in Praktiken und Medien auf den Punkt bringen kann. Die Geisteswissenschaften kennen den von Michel Foucault geprägten Begriff der Heterotopie, der Räume und Orte meint, die innerhalb eines Systems von anderen, systemkonformen Räumen 18
19
Auf das Problem der Heterogenität der jeweils geltenden Raummodelle hat Tanja Michalsky in Hinsicht auf einen Abgleich der in den Medien auffindbaren Raumes mit dem sozialen Raum am Beispiel der Karte und der städtischen Topographie aufmerksam gemacht: „Ordnungen des sozialen Raums mit dem Raum abzugleichen, den wir vor allem in Karten und in Fotos, aber auch weit darüber hinaus meist unausgesprochen als den nach wie vor essentiell verstandenen Raum behandeln, jenen Raum also, der von der lokalen Topographie vorgegeben ist, durch den sich Straßen ziehen, in dem Kirchen und Paläste stehen und in dem etwa Messen gelesen oder Prozessionen abgehalten werden, ist eine große Herausforderung, der man nicht mit methodischen Generalisierungen begegnen kann. Man muss auf diese Herausforderung vielmehr mit einer hohen Sensibilisierung für die vielen ineinander verschachtelten Raummodelle reagieren, die allesamt ihre Berechtigung haben, weil sie unterschiedlichen heuristischen Zwecken dienen.“ Tanja Michalsky: Einleitung, in: Dies. und Grit Heidemann (Hg.): Ordnungen des sozialen Raumes. Die Quartieri, Sestieri und Seggi in den frühneuzeitlichen Städten Italiens, Berlin 2012, S. 7–18, hier S. 13–14. Löw 2001 (wie Anm. 1).
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und Orten nach eigenen und abweichenden Regeln funktionieren (z. B. das Gelände einer psychiatrischen Klinik). Während einer Prozession oder eines geistlichen Spiels ist der bespielte Raum, der unter anderem auch durch den gebauten Stadtraum strukturiert und durch ihn vorgegeben ist, eine Art heterotopischer Raum, der den alltäglichen, sozialen Raum der Stadt überlagert. Da beide Räume zwar einerseits distinkt sind, aber dennoch zu Zeiten der Gültigkeit des periodisch begangenen Rituals beständig interferieren, wie zu zeigen sein wird, wäre am ehesten von einer Intertopie zu sprechen. Im Ritual, das im christlichen Fall das Reenactment eines zurückliegenden Ereignisses ist, spielt weiterhin noch der Raum des vergangenen Ereignisses eine Rolle (Jerusalem und seine Umgebung), der mit dem gebauten, funktionalen Stadtraum und dem Raum der rituellen Handlung verschränkt ist. Es können aber noch mehr virtuelle Räume in solchen Überlagerungen eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Rom als wichtigstes ‘Neues Jerusalem’ oder auch das Himmlische Jerusalem. Die so entstehende Pluritopie wird noch komplexer, wenn diese Überlagerungen Eingang in andere Medien finden und von ihnen reflektiert werden. Jedes dieser Medien hat seinen eigenen Raum, was vor allem auch für das Bildmedium gilt. Es gibt den Bildraum innerhalb des Bildes und den Raum seines Aufstellungsortes, sowie den Referenzraum, der in unserem Fall (Jerusalem) in eben jener Pluritopie besteht. Es ergibt sich also die Relevanz folgender Räume (hier am Beispiel des Passionspanoramas durchgespielt): Organisation des innerbildlichen Raumes
– – – – –
Perspektive Grundriss Ausschnitt Architektur Positionierung
Räumlicher Kontext des Bildes
– gebauter Raum – Umgebungsraum des Betrachters – Handlungsraum (Ritual)
Referenzraum des Bildes
– – – – –
Ereignisraum (der Passion Christi) gebauter Raum (Jerusalem) Landschaft (Golgatha) Handlungsraum (Jerusalem als Pilgerstadt) virtueller Raum (himmlisches Jerusalem)
Eine solche oder ähnliche Systematik kann dazu dienen, bei Werken mit gleicher Ikonographie die unterschiedlichen Raumkonstitutionen zu beschreiben, die mit dem jeweiligen Kontext der Werke einhergehen.
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III. Die Turiner Passion, Jerusalem und der Raum der Brügger Heiligblutprozession Der französische Holzschnitt der Grande Passion hängt in seiner Bildanlage stark von Memlings Turiner Passion ab (Abb. 4) – von der Forschung wurde darauf hinreichend verwiesen. Dies betrifft sowohl die Platzierung von Stadt und Stadtmauer auf der Bildfläche, als auch eine deutliche Differenzierung von Bereichen inner- und außerhalb der Stadtmauer. Allerdings ist noch nicht zur Sprache gekommen, dass der Raum dennoch völlig unterschiedlich organisiert ist, die loci der Passion anders aufgefasst sind und vor allem die Kreuzigung in dem Holzschnitt stark fokussiert wird. Im Holzschnitt findet die Hauptbewegung auf der Bildfläche zwischen ‘Unten’ und ‘Oben’ und von ‘Links’ nach ‘Rechts’ statt. In der Turiner Passion geschieht der prozessuale Nachvollzug der Passion eher auf einem Parcours, der auf einem in das Bild projizierten Grundriss positioniert ist und der, wie wir sehen werden, dem ‘Parcours’ der Brügger Heiligblutprozession anverwandelt ist. 20 Auf der 56,7 × 92,2 cm großen Tafel zieht sich der Leidensweg Christi in 22 oder 23 Stationen21 vom Einzug in Jerusalem bis zur Erscheinung am See Tiberias durch und um eine Stadtansicht, die in einer Art Vogelperspektive wiedergegeben ist. Konsequent durchgehalten ist dies allerdings nicht, da wir die meisten Gebäude frontalansichtig sehen und auch der Horizont einer solchen Aufsicht nicht entspricht. Der bildliche Aufbau der Stadt und seine Beziehung zur Bildfläche sind höchst durchdacht ausgearbeitet. Die Stadtmauer, die hier noch betonter in ihrem vorderen und seitlichen Verlauf gezeigt wird als im Holzschnitt, setzt genau auf der Mitte des linken Bildrandes an und zieht sich von dort bis zur Mitte des unteren Bildrandes; dort wird sie in steilerem Winkel wieder hochgeführt, um sowohl den außerstädtischen Raum für die Szenen nach der Kreuztragung zu schaffen als auch den Raum für den an der Stadtmauer entlang wandernden Zug der Kreuztragung selbst, den wir ebenfalls bereits von dem französischen Holzschnitt kennen. Obwohl der Stadtmauerring vorne als Grenze gesetzt ist, wird genau in der Mitte des Bildes ein großer, prominent mit prächtigen Fassaden und Skulptur 20
21
Dieses Kapitel geht im Wesentlichen auf eine Studie zurück, in der die Autorin erstmals den Zusammenhang der Turiner Passion zur Heiligblutprozession analysiert hat: Heike Schlie: Mnemotop Jerusalem in der Prozession, in Brügge und im Bild. Die Turiner Passion von Hans Memling und ihre medialen Räume, in: Katja Gvozdeva und Hans Rudolf Velten (Hg.): Medialität der Prozession/Médialité de la procession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne/Performance du mouvement rituel en textes et en images à l’époque pré-moderne, Heidelberg 2011 (Beihefte zur GRM), S. 141–175. Die Anzahl ist abhängig davon, ob man die Kreuzanfertigung mitzählt oder nicht.
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ausgestatteter Platz mit vielen Passionsszenen sichtbar, wie er nahezu direkt hinter dem zweiten Mauerring, also unmittelbar am Areal des Zwingers ansetzt, was einer mittelalterlichen Stadttopologie natürlich nicht entspricht. Die Architektur selbst ist ein Konglomerat aus zeitgenössischer flämischer Architektur, die sich vor allem im Bereich der Stadtmauer ausmachen lässt, sowie einer Fantasiearchitektur, die orientalisch wirkt und Jerusalem als den Ort oder Raum der dargestellten Ereignisse aufrufen soll. Von ‘Ort’ ist dabei kaum zu sprechen, tatsächlich geht es eher um ein räumliches Dispositiv, in dem die 22 Orte der Passion in einer bestimmten Weise situiert sind und einen klaren, raumlogischen Weg durch und um die Stadt formieren. Dabei spielt die Stadtmauer als definierende Membran und Grenze zwischen innen und außen eine ganz besondere Rolle. Einerseits scheint sie undurchlässig, mit verschiedenen runden Bollwerken und der Andeutung eines Wassergrabens unter dem Kreuz der Kreuztragung, andererseits werden drei Stadttore gezeigt, die bildaktuell Stätten des Ein- beziehungsweise Auszuges sind. Dabei wird der Übergang vom ‘Innen’ zum ‘Außen’ und umgekehrt stets als Schwellensituation angezeigt: Beispielsweise sind aus dem unten links liegenden Tor die Soldaten der Gefangennahme Christi bereits ausgezogen; die Köpfe der Soldaten am Ende des Zuges befinden sich jedoch in bildplanimetrischer Hinsicht immer noch auf Höhe der Stadtmauer (Abb. 5). Im Tor selbst, auch hier genau auf der Schwelle, wird ein Nachzügler sichtbar, dessen Fackel die Torlaibung auffällig erhellt. Aus dem Tor auf der rechten Seite zieht der kreuztragende Christus aus Jerusalem aus (Abb. 6); hier findet sich die Figur der Maria direkt auf der Schwelle, und auch das horizontal auf Christi Schultern liegende Kreuz hat das Tor noch nicht passiert; der rechte Fuß drückt sich in diesem Moment von der Überbauung des kleinen Wassergrabens ab. Obwohl die einzelnen Szenen durchaus distinkt und eindeutig identifizierbar sind und gleichsam klar lokalisierbare Stationen einnehmen, gibt es räumlich definierte Verbindungen zwischen ihnen, die oft eine Gleichzeitigkeit der Ereignisse suggerieren. Dies sind einerseits Figuren, die relativ klar einer Szene anzugehören scheinen, sich jedoch zu einer Station umschauen. Eine Schlüsselfigur ist hier der rotgekleidete Mann mit Hund und Kind, welcher der Gruppe der Kreuztragung vorausgeht und im Blick nach rechts schon einmal die Auferstehung antizipiert (Abb. 6).22 Die Gruppe von Soldaten am linken Rand des Platzes scheint zum Gefolge derer zu gehören, die Christus zu Pilatus bringen, jedoch wendet sich einer von ihnen deutlich dem Verrat Petri zu, während die anderen quer über den Platz, über die Kreuzanfertigung 22
Vgl. Martin Jäkel: Zur Komposition des Hans Memling. Ein Ergänzungskapitel zu Lessings Laokoon, Diss. Leipzig 1910, S. 53: „Memling will aber damit nicht nur Füllfiguren geben, sondern er braucht sie, um uns auf den richtigen Verlauf der Weiterbewegung aufmerksam zu machen.“
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hinweg, zum Ecce Homo zu blicken scheinen (Abb. 7, Abb. 4). Die Zuschauermenge des Ecce Homo wiederum scheint sich nahtlos zum Gefolge der Kreuztragung zu entwickeln (Abb. 4). Es ließen sich viele dieser Verbindungsfiguren zwischen den einzelnen Orten beschreiben,23 die sämtlich den Effekt haben, dass nicht nur die Stationen ihren Ort im Bild haben, sondern dass zugleich ein Weg als relationale Verknüpfung zwischen ihnen fassbar wird. Es ist genau dieser Aspekt des im Bild bereits sichtlich prozessual abgeschrittenen und fassbaren Weges, der den hauptsächlichen Raumbezug konstituiert, wie zu zeigen sein wird. Der Zyklus beginnt links hinten mit dem Einzug in Jerusalem, mit der beschriebenen Betonung der Schwelle zwischen innen und außen. Rechts davon spielt sich unter zwei Bögen hinter einem kleinen Platz die Vertreibung der Händler aus dem Tempel ab (Abb. 5). Unter einem weiteren Torbogen verrät Judas Christus an die Hohepriester; links davon, oberhalb eines Bollwerks der Stadtmauer, wird durch eine aufgelassene Wand das Abendmahl sichtbar. Die nächste Szene darunter, das Gebet am Ölberg, findet wie die Gefangennahme Christi außerhalb der Stadtmauern statt. Es wird suggeriert, dass Christus nach der Verhaftung hier wieder in die Stadt einzieht, da direkt dahinter Petrus und der Hahn aus der Verleugnungsszene erscheinen. Hier öffnet sich der Platz zu den nächsten Szenen: Diese sind sämtlich unter verschieden gestalteten Bögen und Nischen in der rückwärtigen Seite des Platzes inszeniert, Christus bei Pilatus, Geißelung (Abb. 7, Abb 4), Dornenkrönung, Ecce Homo, Christus vor Herodes.24 Das Zentrum des Platzes wird durch die Anfertigung des Kreuzes besetzt (Abb. 5, Abb. 4), das somit fünfmal ins Bild gesetzt wird, nicht zufällig die Zahl der Wunden Christi über den Bildkörper verteilend. Auf der rechten Seite zieht die Kreuztragungsgruppe zwischen innerem und äußerem Mauerring aus der Stadt hinaus, auch hier zwischen den Ringen das Liminale betonend. Der Zug windet sich rechts außen an der Stadtmauer nach hinten oben, wo auf dem Golgathahügel in einer Dreieckskomposition Kreuzannagelung, Kreuzigung und Kreuzabnahme gezeigt sind (Abb. 6). Von hier aus geht die Bewegung wieder nach vorn unten mit Grablegung und Christus in der Vorhölle, um dann für die Auferstehung, Noli me tangere, Gang nach Emmaus und der Erscheinung am See Tiberias wieder den Weg nach hinten oben zu nehmen. 23 24
Weitere Beispiele finden sich bei Jäkel (ebd., beispielsweise S. 47), dem wir die wohl ausführlichste Beschreibung der Turiner Passion verdanken. Die außerhalb des inneren Mauerrings leicht zurück gesetzte Szene ist verschieden gedeutet worden, u. a. als Christus vor Herodes und als das zweite Verhör durch Pilatus. Dass es eine dieser beiden Szenen ist, zeigt das ‘weiße Kleid des Narren’, mit dem Herodes Christus zu Pilatus zurückschickt. Beide Szenen finden aber vor der Dornenkrönung und Geißelung statt. Da die thronende Figur andere Kleidung trägt als Pilatus in zwei Szenen, ist die Identifikation als Herodes plausibler.
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Der Raum der in der Malerei fingierten gebauten Stadt scheint mit den Grenzen und ‘Öffnungen’ der Architektur einerseits die Bedingungen dieser ‘Durchsetzung’ vorzugeben, andererseits bilden die Szenen einen Handlungsraum in der Stadt und um sie herum und geben ihrem Gebautsein ein bestimmtes Gepräge, eine Bedeutung als ‘Gefäß’ und umspielter ‘Kern’ des Handlungsprozesses. Dies gilt nicht nur für die offenen Bögen, sondern auch für Fenster und Bollwerke als Orte der ‘Zuschauer’. Zum anderen gibt es – ebenfalls im Gegensatz zu anderen Passionspanoramen – einen große Anzahl hinter- und übereinander gestaffelter Gebäude, die keine Schauplätze der Passion sind, in der gesamten Darstellung aber den Eindruck einer tatsächlichen, über den Aspekt des Schauplatzes hinaus gehenden wirklichen Stadt vermitteln. Am unteren Bildrand sind links und rechts die Auftraggeber Tommaso und Maria Portinari dargestellt (Abb. 8, 9), abgesetzt von der Handlung, aber doch in die Landschaft integriert. Sie sind etwa im gleichen Maßstab dargestellt wie das restliche Bildpersonal, sodass durchaus der Eindruck entsteht, sie könnten sich – innerhalb der Bildlogik – erheben und in die Menschenmengen einreihen. Memling stellt Bezüge zwischen den Stiftern und den Passionsszenen her: Der Betgestus Tommasos scheint sich auf den Christus der Verhaftungsszene zu richten (Abb. 8); derjenige der Maria an den Kreuzträger (Abb. 9). Das sind aber nicht die einzigen Referenzen der Stifterfiguren auf das Bildpersonal der Heilsgeschichte. Es ist sicher kein Zufall, dass der kniende Christus am Ölberg genau über dem knienden Tommaso dargestellt ist, gedreht um 180 Grad (Abb. 8). Dieser Figuration entspricht die Zusammenstellung der knienden Maria Portinari und der knienden Maria Magdalena, der Christus nach der Auferstehung erscheint (Abb. 6). Damit ist der Adressierung des Gebets und der Imitatio Christi beziehungsweise Imitatio Pietatis konkrete bildliche Gestalt gegeben und trotz der Komplexität der Tafel eine Integration der Stifter in das Geschehen im Sinne der Frömmigkeitspraxis erreicht. Tommaso Portinari (1428–1501) war seit 1465 der Leiter des Brügger Zweiges der Medici-Bank25 und erteilte den Auftrag zu der Tafel vermutlich anlässlich seiner Hochzeit mit Maria Baroncelli im Jahre 1470.26 Er war mit 25 26
Zu Portinari und der Medici-Bank siehe Raymond de Roover: The Rise and the Decline of the Medici Bank (1397–1494), Cambridge (Mass.) 1968. Turin, Galleria Sabauda. Zur Provenienz siehe Vida J. Hull: Spiritual Pilgrimage in the Paintings of Hans Memling, in: Sarah Blick und Rita Tekippe (Hg.): Art and Architecture of Late Medieval Pilgrimage in Northern Europe and the British Isles, 2 Bde., Leiden und Boston 2005, Bd. 1, S. 29–50, hier S. 32; Dirk de Vos: Hans Memling. The Complete Works, Antwerpen 1994, S. 109. Zu Portinari als Auftraggeber Michael Rohlmann: Auftragskunst und Sammlerbild. Altniederländische Tafelmalerei im Florenz des Quattrocento, Alfter 1994, S. 53–66.
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zahlreichen Aktivitäten mit dem religiösen Leben in Brügge verbunden und schrieb sich an prominenter Stelle in die sakrale Topographie der Stadt ein: In den 1470er Jahren richtete er die prominenteste Kapelle in St. Jakob, den ehemaligen Hauptchor, als Familienkapelle ein, für die wahrscheinlich ursprünglich das heute in den Uffizien befindliche Retabel mit der Anbetung der Hirten aus der Hand des Hugo van der Goes bestimmt war.27 Er nahm an den Zeremonien mehrerer Bruderschaften teil.28 Das wichtigste periodisch wiederholte Ereignis in der sakralen Topographie Brügges war die Heiligblutprozession; und angesichts des belegten Engagements Portinaris im religiösen Leben der Stadt ist es sehr wahrscheinlich, dass sie für ihn eine große Rolle spielte. Die Turiner Passion kann als Bild einer virtuellen, mnemotopischen Prozessionalität gedeutet werden; als ein Medium, das auf seine Art die typologische Überblendung von mittelalterlichen Städten mit dem irdischen Jerusalem der Heiligen Stätten veranschaulicht und dafür die Performanz adaptiert, die die Städte im Prozessionsritual in eben diese Heiligen Stätten verwandelt. Die Heiligblutreliquie ist nicht etwa eine im Hoch- oder Spätmittelalter entstandene Hostienreliquie, sondern gilt als Gralsreliquie, die infolge der Plünderung Konstantinopels im Jahr 1204 nach Brügge kam.29 Für den genauen Ablauf der Prozession sind nur Quellen vom Anfang des 16. Jahrhunderts überliefert. Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Prozession von Beginn an als ommeganc, als „Umgang“ (lustratio) um die Stadt konzipiert war (Abb. 10). 30 27
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Von 1482 an war das Triptychon mit der Anbetung der Hirten von Hugo van der Goes in der Familienkapelle der Portinari in S. Egidio in Florenz aufgestellt; diese galt lange Zeit als der ursprüngliche Aufstellungsort. Zum wahrscheinlich ursprünglichen Bestimmungsort in der Familienkapelle in Brügge siehe Heike Schlie: Bilder des Corpus Christi. Sakramentaler Realismus von Jan van Eyck bis Rogier van der Weyden, Berlin 2002, S. 140–142. Olivier de la Marche: Mémoires, hg. von Henri Beaune und J. D’Arbaumont, Paris 1883– 1888, Bd. 3, S. 115. Ich folge hier im Wesentlichen der Darstellung bei Thomas A. Boogart: Our Saviour’s Blood: Procession and Community in Late Medieval Bruges, in: Kathleen Ashley und Wim Hüsken (Hg.): Moving Subjects. Processional Performance in the Middle Ages and the Renaissance, Amsterdam und Atlanta 2001, S. 69–116, hier S. 74–76. Zur historischen Entwicklung und zum Ablauf der Heiligblutprozession siehe auch Andrew Brown: Civic Ritual. Bruges and the Counts of Flanders in the Later Middle Ages, in: The English Historical Review 112 (1997), S. 277–299, hier S. 281–283, sowie Jacques Toussaert: Le sentiment religieux en Flandre à la fin du Moyen Age, Paris 1963, S. 259–267. Zur Reliquie siehe Caroline Walker Bynum: Wonderful Blood. Theology in Theology and Practice in Late Medieval Northern Germany and beyond, Philadelphia 2007, S. 168–169. Das Itinerar gleicht dem der Prozessionen anderer Städte, wie beispielsweise dem der Prozession von 1407 in Montpellier. Siehe dazu Noël Coulet: Processions, espace urbain, communauté civique, in: Cahiers de Fanjeaux 17 (1982), S. 381–397, Abb. VI und S. 389–390. Der Vergleich solcher rekonstruierter Prozessionspläne macht deutlich, dass die Prozessionen in erster Linie als topographische Struktur zu lesen ist, die sich in die Stadt einschreibt und sich mit ihr topologisch verknotet.
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Im 14. Jahrhundert nimmt die Komplexität der zuvor eher episkopal-klerikal ausgerichteten Prozession zu, indem vor allem Gilden beteiligt werden. Letztere geben enorme Geldsummen für die Ausstattung der Prozession aus, unter anderem für tableaux vivants der Heilsgeschichte, insbesondere der Passion, aber auch eines der Stadt Jerusalem. Im Jahre 1440 wurde Brügge selbst explizit als die Heilige Stadt ‘aufgeführt’. Die tableaux vivants waren über die Stadt verteilt und besetzten dort vor allem Tür- und Toröffnungen, Nischen und Bögen, die sich für eine entsprechende Inszenierung eigneten. Erstes Hauptziel des Zuges war der Grote Markt, auf dem der Zug bereits von einer großen Menschenansammlung erwartet wurde und auf dem es vermutlich die meisten tableaux vivants gab. Von hier aus bewegte sich die Prozession zum Boeverie-Tor, durch das sie aus der Stadt auszog. Der Zug umrundete von hier aus die Stadtmauer bis zum Eselstor und ging dann innerhalb der Befestigung bis zum Spei-Tor, durch welches er sich wieder außerhalb der Stadt begab. Von hier aus wurde die Ostseite der Stadt umrundet, bevor man durch das Katherinen-Tor wieder einzog und ab der Höhe des Boeverie-Tors wieder durch die Stadt auf dem gleichen Weg zur Heiligblutkapelle zurückkehrte. An allen passierten Toren wurden Psalmen rezitiert, die sich auf die Passion Christi beziehen. Am Nachmittag wurde St. Basilius wieder erreicht und die Reliquie in das Tabernakel zurückgesetzt. Die Heiligblutprozession wandelt Brügge zum Heiligen Jerusalem – dies hat sie mit der Palmprozession gemeinsam31 –, und die Reliquie selbst zeigt mit der materiellen Wandlung, der Liquefaktion des Blutes, die unmittelbare Gegenwart von Christi Wirken zu dieser Zeit an, wie Boogaart treffend ausgeführt hat.32 Zeit und Raum der Heilsgeschichte verbinden sich so auf engste Weise mit der Performanz der Prozession, samt aller zeitlicher und räumlicher Erfahrungen. Entscheidend 31
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Und diese Wandlung ist nicht symbolisch, sondern sakramental zu verstehen; zur Jerusalemtypologie vgl. Michael O’Connell: The Civic Theater of Suffering. Hans Memling’s Passion and Late Medieval Drama, in: György E. Szõnyi (Hg.): European Iconography East and West, Selected Papers of the Szeged International Conference June 9–12, 1993, Leiden u. a. 1996, S. 22–34, hier S. 29, zu Passionsspielen: „and in a way that is more than symbolic, indeed phenomenally, the city becomes for that time Jerusalem and its citizens participants in the events of the passion.“ Zur Bedeutung der Prozessionen für die Sanktifizierung der ‘Heiligen Städte’ im Mittelalter siehe Alfred Haferkamp: „Heilige Städte“ im hohen Mittelalter, in: František Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, Sigmaringen 1987, S. 119–156, bes. S. 133–135. Zu den Palmprozessionen siehe auch Sabine Felbecker: Die Prozession. Historische und systematische Untersuchungen zu einer liturgischen Ausdruckshandlung, Altenberge 1995, S. 337–339. Vgl. Boogart 2001 (wie Anm. 29), S. 93 zum Vergleich zwischen eucharistischen Prozessionen und der Heiligblutprozession: „Situation of a cosmic event within profane time and civic space sanctified the urban habitat, imbuing profane experience with moral potency. In processing the Host through urban space and reciting psalms at different urban landmarks, residents identified the parallelism between cosmic history and their habitat.“
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ist hier, dass die Blutreliquie keine eucharistische Reliquie ist, sondern durch ihre Provenienz aus dem Heiligen Land eine noch engere Verbindung zu Jerusalem aufruft.33 Der Raum der Stadt wird mit dem Erinnerungsraum ‘Jerusalem’ überblendet.34 Der Parcours der Passion Christi durch und um den auf der Turiner Tafel dargestellten städtischen Raum wird in der Literatur immer wieder als Erzählweg bezeichnet,35 oder es wird von einem Erzählraum gesprochen.36 Ich möchte hier eigentlich den Begriff der Erzählung ganz vermeiden und eher von performativer Sukzession sprechen, die von der bemerkenswerten Homogenität und Einheit des städtischen Raumes37 erst ermöglicht wird. Die Sukzession der Stationen zeichnet in ihrer chronologischen Abfolge einen konkreten, topographisch fassbaren Weg, der sich innerhalb und außerhalb der Stadtmauer sehr genau auf dem Grundriss der Stadt nachvollziehen lässt (Abb. 11). Der Vergleich einer Skizzierung dieses Grundrisses und der Umrissform der gemalten Stadt mit der Rekonstruktion des Verlaufs der Heiligblutprozession auf dem Stadtplan (Abb. 10) verdeutlicht, wie sehr Memling den Passionsweg durch Jerusalem mit der Prozession in Brügge verähnlicht hat. Die Linie des durch die Stadt und um sie herum führenden Weges wurde in der Forschung bisher weniger topographisch verstanden denn als planimetrisches Mittel, so viele Szenen wie möglich auf der Bildfläche zu verteilen Ein topographisches Verständnis, das die Überblendung des medialen Raum des Bildes mit anderen medialen Räumen der Mnemotopie verbindet, ist allerdings für eine Würdigung der Bildfindung Memlings unerlässlich.38 So wie die Reliquie des Heiligen Blutes während der Prozession durch die Stadt zieht und den Heiligen Raum konstituiert, so besetzt die vielfach dargestellte Christusfigur auf der Spur des Passionsweges den Bildraum, der wiederum eine Matrix für den Devotionsraum bietet. Die in das Bildzentrum gesetzte unüberschnittene, durch komplexe Bildstrategien hervorgehobene Christusfigur der Geißelung 33
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Zu den ‘Gralsreliquien’, wie sie auch in Weingarten und Schwerin verehrt wurden, und ihrer Unterscheidung von den eucharistischen Blutreliquien beispielsweise von Wilsnack und Walldürn, siehe Bynum 2007 (wie Anm. 29), S. 5. Zur theologischen Diskussion um die Blutreliquien siehe ebd., S. 98–100. Zu Jerusalem als Erinnerungsraum siehe Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, Konstanz 2003. Hans Belting und Dagmar Eichberger: Jan van Eyck als Erzähler. Frühe Tafelbilder im Umkreis der New Yorker Doppeltafel, Worms 1983, S. 168–173. Schon Ludwig von Baldass hatte die Turiner Tafel als Exemplum für das erzählende Bild und die Erzählkunst Memlings herangezogen, Ludwig von Baldass: Hans Memling, Wien 1942, S. 23–24. Urban 2010 (wie Anm. 10), S. 127. Diese Einheit des Raumes bemerkte bereits Jäkel 1910 (wie Anm. 22), S. 56. O’Connell 1993 (wie Anm. 31), S. 24: „What we notice is that Memling has cleverly described a snaking line that proceeds up and down the plain of the painting as well as left to right in order to pack so many scenes into the space available.“
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(Abb. 12) ist eine Schlüsselfigur der Anverwandlung von Prozession und Bild: Die männlichen Aktfiguren mit dem Kieferknochen und dem Schießbogen über der Szene der Geißelung sind laut Kruse Kain und Lamech, der Brudermörder und sein Mörder.39 Sie sind Christus antithetisch zugeordnet, durch dessen Erlösungswerk die Kette aus Erbsünde, Strafe und Tod aufgehoben ist. Die Bogenstellung ist mit Weinranken zwischen zwei Schlangen dekoriert, was sich ebenfalls auf die dargestellte Szene und meiner Ansicht nach auch auf die Blutreliquie bezieht. Christus selbst ist der Wein – die Geißelung ist die erste Szene der Passion, in der sein Blut fließt. In der Prozession ist die Reliquie immer das Zentrum, im Bild ist es gewissermaßen eine Station der Passion, in der der geschundene, blutende Christuskörper als Kristallisationspunkt hervorgehoben wird. Das Bild Memlings ist bereits mehrfach mit der devotionalen Technik der geistigen Pilgerschaft in Zusammenhang gesetzt worden, 40 ohne die Bedeutung der Heiligblutprozession zu berücksichtigen.41 Auch die Prozessionen selbst wandeln sich im Lauf des Mittelalters zu Formen einer virtuell auf Jerusalem gerichteten Pilgerschaft. Im 15. Jahrhundert geraten frühere Bedeutungszuweisungen der Prozession zugunsten eines Aufrufens des Passionsweges Christi in den Hintergrund.42 „Processiones, das sint crützegange“, hatte der im 15. Jahrhundert vielgelesene Jacob Twinger von Königshofen geschrieben.43 In der Prozession verbindet sich der imaginäre Raum der erinnerten Heilsgeschichte mit der ‘natürlichen’ Erinnerungslandschaft der realen Stadt, in die sich eine zweite 39 40
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Hans Belting: Die Erfindung des Gemäldes, München 1994, S. 246. U. a. Hull 2005 (wie Anm. 26), S. 29–50; Maurits Smeyers: Analecta Memlingiana. From Hemling to Memling – From Panoramic View to Compartmented Representation, in: Hélène Verougstraete u. a. (Hg.): Memling Studies, Leuven 1997, S. 171–194; Lane 2009 (wie Anm. 2), S. 147–155, Urban 2010 (wie Anm. 10); Gerth 2010 (wie Anm. 2), S. 60–91. Es gibt eine sehr bizarre, eher unwissenschaftliche Ausnahme. Es handelt sich um eine kleine Publikation in einer Mischung von Gebetbuch und kleinem Kunstführer ohne Angabe eines Autors, der sehr gute Detailaufnahmen der Turiner Passion mit Gebetstexten verbindet (L’Heure du Saint Sang et du plus grand amour. La passion. Memling, Paris 1966). Der Passage zur Turiner Passion wird mehr oder weniger zusammenhanglos eine kurze Beschreibung der zeitgenössischen Heiligblutprozession (Jeu du Saint Sang) vorangestellt, die nach Meinung des Autors von den „vieux maîtres flamands“ inspiriert sei. Offensichtlich ist die Verwandtschaft zwischen Prozession und Bild auch heute noch rezipierbar, wenn hier auch eine umgekehrte Genealogie angenommen wird. Boogart 2001 (wie Anm. 29) S. 89: „retracing the via dolorosa“. Die Chroniken der oberrheinischen Städte: Straßburg (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert; 8). Leipzig 1870, Bd. 2, S. 602; hier zitiert nach Gabriela Signori: Ereignis und Erinnerung: Das Ritual in der städtischen Memorialkultur des ausgehenden Mittelalters (14. und 15. Jahrhundert), in: Jörg Gengnagel u. a. (Hg.): Prozessionen – Wallfahrten – Aufmärsche. Bewegung zwischen Religion und Politik in Europa und Asien seit dem Mittelalter, Köln u. a. 2008, S. 108–121, hier S. 110.
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Erinnerungslandschaft, das Mnemotop Jerusalem, einschreibt.44 Die ‘Burgundisierung’ der Szenen in Jerusalem findet im Bild auch über die Einbindung der Stifter und ihrer Kleidung statt,45 die sie auch zum Kirchgang und bei den Prozessionen tragen. Damit treten Portinari und seine Frau visuell-konkret in das ‘diskursive Terrain’ von geistiger Pilgerschaft, Prozession und heiligen Orten ein.46 Das Bild zeugt vielfältig von einer körperlichen Anverwandlung und Teilhabe der Teilnehmer, in der Menge vor dem Ecce Homo beispielsweise kreuzen zwei Figuren in der Menge die Arme und bilden so die geforderte Kreuzigung mit ihrem Körper ab.47 Die in der Prozession performierte Imitatio betrifft Stadt, Darsteller und Zuschauer gleichermaßen. Die Turiner Passion bildet einen immersiven Raum, in dem sich der Betrachter imaginativ bewegen muss, um die Bezüge zur Prozession (auch in topographischer Hinsicht) nachvollziehen zu können. Es liegt die Annahme nahe, dass Bilder dieser Art auch wieder eine Rückwirkung auf die Strukturen von Prozessions- und Pilgerwesen haben, was sich allerdings für den konkreten Einzelfall schwer nachzuweisen lässt. Es sei allerdings auf den Umstand verwiesen, dass kurze Zeit nach der Entstehung der Tafel drei „orientalisch anmutende Türmchen“ – so die Wendung in einem Brügger Stadtführer von 1900 – der Heiligblutkapelle beigefügt werden (Abb. 13).48 Man entscheidet sich also, die Kapelle zu einer Stadtdominante zu transformieren, die nun von einem größeren Stadtbezirk aus sichtbar ist und 44
45
46
47 48
In einer früheren Studie ist die Autorin ausführlich auf den Zusammenhang der sogenannten Passionspanoramen und der Gedächtniskunst eingegangen. Siehe Schlie 2010 (wie Anm. 20). Zu dem Zusammenhang zwischen den Konzepten der Verräumlichung in der Gedächtniskunst einerseits und in den von lieux de memoire geprägten Erinnerungslandschaften siehe Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 2007, S. 60. Zu der Bedeutung von „landscape“ in Prozessionen siehe Boogart 2001 (wie Anm. 29), bes. S. 94–96. Zur „mnemonic function“ der frühen Landschaftsmalerei des 16. Jahrhunderts siehe Reindert L. Falkenburg: The Devil is in the Detail. Ways of Seeing Joachim Patinir’s „World Landscapes“, in: Alejandro Vergara (Hg.): Patinir. Essays and Critical Catalogue, Madrid 2007, S. 62–80. Aby Warburg: Flandrische Kunst und florentinische Frührenaissance (1902), in: Ders.: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, hg. von Gertrud Bing, 1932 (Reprint als: Aby Warburg, Gesammelte Schriften. Erste Abteilung, Bd. 1, hg. von Horst Bredekamp und Michael Diers, Berlin 1998). Ich entleihe den Begriff des ‘diskursiven Terrains’ in diesem Zusammenhang den Ausführungen Boogarts zu eucharistischen Prozessionen und ihren religiös-sozialen Funktionen: „Recent studies of Eucharistic processions have tended to focus almost exclusively upon how different social groups exploited the „discursive terrain“ of the Host for their own end.“ Boogart 2001 (wie Anm. 29), S. 71. K. B. McFarlane: Hans Memling, Oxford 1971, S. 40, deutete diesen Befund ikonographisch. Von den drei Türmen sind nur noch zwei erhalten.
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in Stadtansichten den Ort der Blutreliquie sichtbar markiert. Die Türme erinnern, obgleich schlanker, an die Fantasiearchitektur in Memlings Bild, und sie haben natürlich die gleiche Funktion. Mit der Orientalisierung der Architektur ist aber nicht nur der Ort Jerusalem, sondern auch die Herkunft der Reliquie benannt. Das architektonische Zeichen erklärt die Stadt nun auch außerhalb der Prozessionen und Liturgien in Permanenz zum Neuen Jerusalem. Damit wird die Stadt selbst zum Bild, in das sich auch das Medium der Prozession neu und anders einfügt als zuvor. Die Bezüge werden damit in Umkehrung immer wieder neu formuliert. Die sakralen Topographien überlagern sich, und die Handlungen schreiben sich neu in diese Topographien ein, was eine Stabilisierung des ganzen räumlichen Systems zur Folge hat.
IV. Raumkunst – Mittelalterliche Bildpraktiken und zeitgenössische Computerspiele In einer oft zitierten Studie hat Jörg Jochen Berns komplexe Darstellungen der Arma Christi mit dem Medium ‘Film’ verglichen und dabei den Zeitaspekt der Bildrezeption hervorgehoben.49 Man mag solche medienhistorischen Vergleiche unter Umständen konstruiert und unangemessen finden, fruchtbar sind sie allerdings dann, wenn der Vergleich es erlaubt, den historischen Gegenstand präziser bezüglich der aktuellen Fragestellung beschreiben zu können. Es dürfte auch klar sein, dass die innovativen wissenschaftlichen Diskurse mit all ihren turns nicht zuletzt auf Fragen und Praktiken moderner Medien und Techniken beruhen. Florian Leitner hat in einer Studie zum Raum in Computerspielen hervorgehoben, dass es sich bei letzteren ganz grundsätzlich um „Raumkunst“ handelt, während der Film als „Zeitkunst“ zu bezeichnen sei.50 Liest man seine Analyse, so fällt auf, dass viele seiner theoretischen Überlegungen zur Bedeutung und zum Wesen des Raums in Computerspielen auf die hier besprochenen Werke des Spätmittelalters anwendbar sind, mit dem Unterschied, dass man in den Räumen der Computerspielen meist mithilfe eines beobachtbaren Avatars operiert und interagiert: „Bei avatarbasierten Spielen besteht diese Interaktion […] darin, dass der Spieler die Spielfigur durch den virtuellen Raum steuert. 49 50
Jörg Jochen Berns: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Marburg 2000. Florian Leitner: Computerspiele und der Raum der postorganischen Theatralität, in: Jörg Dünne u. a. (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive, Würzburg 2004, S. 303–322, hier S. 303.
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Welchen Weg er dabei einschlägt, welche Handlungen er den Avatar vollziehen lässt – danach richtet sich, welche semiotische Sequenz produziert wird.“ Am interessantesten ist jedoch, wie in dieser Frühphase der Game Studies ein narratologischer Zugriff für medientheoretische Analysen von Computerspielen abgelehnt wird. Zwar besäßen deren „Ereignisfolgen“ durchaus „narrativen Gehalt“, die Ereignisfolgen entstünden jedoch durch den „ parcours in einem espace“,51 was ein narratologischer Ansatz nicht mediengerecht erfassen könne. Leitner untersucht die Handlung des Avatars im Raum als postorganische Theatralität, als eine theatrale Performativität, an der kein organischer Körper mehr beteiligt ist, und die erst seit der Erfindung des Computerspiels medial möglich sei.52 Diese Sichtweise negiert allerdings alle historisch vorgängigen performativen Medienoperationen in virtuellen Räumen. An anderer Stelle erwähnt Leitner in Zusammenhang mit dem Raum gemalter Bilder, dass mit ihnen im Gegensatz zum Computerspiel lediglich wahrnehmendes und erkennendes Operieren möglich sei, nicht aber handelndes: „Wir können nicht mit den Bildern interagieren, nicht in sie eintreten“.53 Doch genau an dieser Stelle ist in bildwissenschaftlicher Hinsicht zu entgegnen, dass damit das immersive, operative und interaktive Potential vieler vormoderner Bilder als auch der mit ihnen verbundenen Praktiken unterschätzt wären.
51 52 53
Ebd., S. 308. Ebd., S. 303. Ebd., S. 305.
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Abb. 1: Anonymus, kolorierter Holzschnitt ‘La Grande Passion’, um 1495, Paris, Bibliothèque Nationale.
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Abb. 2: Baccio Baldini (?), Kupferstich zu Antonio Bettini da Siena, ‘Monte santo di Dio’, Florenz 1477.
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Abb. 3: Giotto di Bondone, Scrovegni-Kapelle (Fresken der Ostwand), um 1302–06, Padua.
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Abb. 4: Hans Memling, Tafel mit Passionsszenen, 1470, Öl/Eichentafel, 56,7 x 92,9 cm, Turin, Galleria Sabauda.
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Abb. 5: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 6: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 7: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 8: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 9: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 10: Rekonstruktion des Weges der Heiligblutprozession in Brügge (nach Boogaart).
Abb. 11: Projektion des Passionsweges Christi in der Turiner Passion von Hans Memling (Heike Schlie).
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Abb. 12: Detail aus Abb. 4.
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Abb. 13: Heiligblutkapelle in Brügge, Stich von 1770.
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4. Das Buch als Andachtsraum
Jeffrey F. Hamburger
The Passion in Paradise: Liturgical Devotions for Holy Week at Helfta and Paradies bei Soest
Historians of medieval art commonly encounter a frustrating paucity of sources when it comes to descriptions of what worshipers actually experienced when encountering works of art. Not that documents pertaining to works of art and architecture are scarce.1 Very often, however, what these documents, whether charters, inventories, or letters, supply are outward facts (or seeming facts) concerning chronology, patronage, and materiel. Far less often do they take us inside the hearts and minds of the medieval observer to reveal a particular point of view. In this context, the Legatus divinae pietatis of, or better, about Gertrude of Helfta (1265–ca. 1302), the late thirteenth-century Cisterician nun, provides an invaluable and still insufficiently exploited source for what might be called a history of inner, mental space, or, to use a more modern concept, a history of subjectivity.2 Not that the Legatus can be taken as a transcript of thoughts 1
2
Julius von Schlosser: Schriftquellen zur Geschichte der karolingischen Kunst, Vienna 1892; Id.: Quellenbuch zur Kunstgeschichte des abendländischen Mittelalters, Vienna 1896; Otto Lehmann-Brockhaus: Die Kunst des X. Jahrhunderts im Lichte der Schriftquellen, Strassburg 1935; Id.: Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts für Deutschland, Lothringen und Italien, Berlin 1938; Id.: Lateinische Schriftquellen zur Kunst in England, Wales und Schottland, vom Jahre 901 bis zum Jahre 1307, 5 vols. (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München; 1), Munich 1955–1960; Hans Rott: Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im XV. und XVI. Jahrhundert, 5 vols., Stuttgart 1933–1938; Victor Mortet and Paul Deschamps: Recueil de textes relatifs à l’histoire de l’architecture et à la condition des architectes en France au moyen âge, Paris 1911–1929. For preliminary remarks, see Jeffrey F. Hamburger: Speculations on Speculation. Vision and Perception in the Theory and Practice of Mystical Devotions, in: Walter Haug and Wolfram Schneider-Lastin (eds.): Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte, Tübingen 2000, pp. 353–408, and Id.: Frequentant memoriam visionis faciei meae. Vision and the Veronica in a Devotion Attributed to Gertrude of Helfta, in: Herbert L. Kessler, Gerhard Wolf, Elizabeth Cropper (eds.): The Holy Face: Proceedings of the International Colloquium, Bibliotheca Herztiana Rome and Villa Spelman, Florence, Baltimore/Bologna 1998, pp. 229–246. For the distinction between those parts of the Legatus that are by Gertude and those that were written by a nun whom Ruh identifies as Sister N, see Kurt Ruh: Gertrud von Helfta. Ein neues GertrudBild, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121 (1992), pp. 1–20.
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and feelings.3 Quite the opposite: it presents an exemplary account of what a pious nun ought to experience over the entire course of the liturgical year, feast by feast. Although the Legatus is organized on the plan of the Divine Office, its texts make frequent reference to the Mass, during which communion often serves as the trigger for visionary experience. Gertrude’s visions find few parallels in the visual arts. The illustrations to the Gradual (Düsseldorf, Landes- und Universitätsbibliothek, Ms. D 11) from Paradies bei Soest, dated ca. 1380, can, however, be read in light of Gertrude’s commentary on Holy Week.4 Combining various modes of picture making – narrative, symbolic, and devotional – the manuscript’s extensive illustrative program offers a parallel to Gertrude’s enterprise that, without one depending on the other, suggests that the patterns of piety they trace were deeply ingrained in the Passion piety of nuns in northern Germany during the later Middle Ages. To place the Passion in the context of liturgical celebration is to evoke various constructions of time as frameworks within which to consider the history of salvation. As the central section of the larger Christian narrative of salvation history, the Passion inevitably unfolds in time. The Passion, however, as pilgrims were always reminded, was bound to particular places. Liturgy sought to compensate for distance in both time and space, the former, by trying to close the gap between past and present, the latter, through elaborate reenactments that linked modern loca sancta to the places that provided their prototypes. In some cases, for example, St. Maria im Kapitol or Santo Stefano in Bologna, these places offered reconstructions of holy places, in these instances, the Church of the Nativity and the Holy Sepulcher respectively.5 The 3
4 5
Maren Ankermann: Gertrud die Grosse von Helfta. Eine Studie zum Spannungsverhältnis von religiöser Erfahrung und literarischer Gestaltung in mystischen Werken (Göppinger Arbeiten zur Germanistik; 640), Göppingen 1997. The manuscript will be at the center of a forthcoming study by Jeffrey F. Hamburger, Margot Fassler, Susan Marti and Eva Schlotheuber. Lieselotte Kötzsche: Das Heilige Grab in Jerusalem und seine Nachfolge, in: Ernst Dassmann and Josef Engemann (eds.): Akten des XII. Internationalen Kongresses für christliche Archäologie, Bonn, 22.–28. September 1991, 2 vols., Münster 1995 (Studi di antichità cristiana; 52,1 = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20,1), pp. 272–290; Colin Morris: Bringing the Holy Sepulchre to the West. S. Stefano Bologna from the Fifth to the Twentieth Century, in: Studies in Church History 33 (1997), pp. 31–59; Robert Ousterhout: Flexible Geography and Transportable Topography, in: Bianca Kühnel (ed.): The Real and Ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic Art. Studies in Honor of Bezalel Narkiss on the Occasion of his Seventieth Birthday, Jerusalem 1998 (Jewish Art; 23–24), pp. 393–404; Klaus Gereon Beuckers: Der salische Neubau von St. Maria im Kapitol, in: Margit Jüsten-Mertens (ed.): Interdisziplinäre Beiträge zu St. Maria im Kapitol zu Köln, Köln 2009 (Colonia Romanica; 24), pp. 49–70. Fundamental for many of these studies remains Richard Krauthheimer: Introduction to an Iconography of Medieval Architecture, in:
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same, however, could be said of any ritual space. Expanding outward, these spaces involved the books in which the rites and rituals of Holy Week were recorded, then, the spaces in which those rites were enacted. These spaces, in turn, extended from the area around the altar, the focal point of the ritual reenactment of Christ’s sacrifice, to that of the church, the topography of whose interior spaces was charted by altars and the images (or inscriptions) that, from no later than the early fourteenth century, were required to identify them. Ecclesiastical space was hardly self-contained, but extended further still out into the community, a space embraced – and contested – by processions and all the other forms of commemoration and propaganda that penetrated the wider urban fabric.6 The widespread pattern of recreating the imagined historical spaces in which the Passion was enacted, whether in churches whose forms, if not their actual dimensions, sought to replicate those of the Holy Sepulcher, Stations of the Cross, Passion plays, or as at Varallo in Piedmont, Sacri Monti, which provide the perfect precedent to Mel Gibson’s violent fantasy of Gospel truth, testify to the necessity of adding a spatial dimension to the repetitive, cyclical temporal dimensions of liturgical commemoration.7
Inner Space in the Legatus divinae pietatis Other contributions to this set of conference papers explore Passion piety in all of these dimensions. The space, however, that interested the anonymous nun who represents Gertrude is the space of interiority. In Gertrude’s case this space is defined, not as the head, but the heart.8 This space, in turn, is closely
6
7
8
Journal of the Courtald and Warburg Institutes 5 (1942), pp. 1–33, reprinted in: Id.: Studies in Early Christian, Medieval and Renaissance Art, New York 1969. Christian Kiening: Prozessionalität der Passon, in: Katja Gvozdeva and Hans Rudolf Velten (eds.): Medialität der Prozession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne = Médialité de la procession: performance du mouvement rituel en textes et en images à l‘époque pré-moderne (Germanisch-romanische Monatsschrift; Beiheft 39), Heidelberg 2011, pp. 177–197. Marcia Kupfer (ed.): The Passion Story: From Visual Representation to Social Drama, University Park, Pa. 2008; Sacri Monti – Varallo Sesia, Crea, Ferno 2007; William Hood: The Sacro Monte of Varallo. Renaissance Art and Popular Religion, in: Timothy Gregory Verdon with the assistance of John Dally (eds.): Monasticism and the Arts (Monasticism and the Arts; 1); Syracuse 1984, pp. 291–311. Jeffrey F. Hamburger: Nuns as Artists. The Visual Culture of a Medieval Convent, Berkeley 1997; Bernard McGinn: The Language of Inner Experience in Christian Mysticism, in: Spiritus 1 (2001), pp. 156–171; Gordon Rudy: Mystical Language of Sensation in the Later Middle Ages, New York 2002; Sarah Beckwith: Passionate Regulation. Enclosure,
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related to the ultimate object of the Christian imagination, the eschatological space of eternity, which, just as it defies conventional conceptions of time, also escapes conventional spatial parameters. In the words of the famous formulation, God is a circle whose center is nowhere and whose circumference is everywhere. Medieval authors never tired of asking: how does one interiorize the Passion? Passion piety often involved gruesome exercises that celebrated suffering and required inflicting unimaginable bodily pain. No doubt this aspect appeals to modern investigators interested in emphasizing the alterity of the Middle Ages, not to mention the aesthetics of the abject. Historians of Passion piety point to the spirituality of Heinrich Seuse (ca. 1295–1366) as an exemplar of this violent conception of the imitatio Christi. Yet, as any attentive reader of Seuse recognizes, in the end, he turns away from this outward and ultimately superficial form of Passion piety in favor of an interiorized conception of suffering and passivity in keeping with his mystical theology.9 The true space of the imitatio Christi is the inside of the heart. Early in her account of Passion week, as she describes what transpired on the evening of Palm Sunday, Gertrude adopts a spatial metaphor that constitutes a leitmotif in her spirituality, but one that acquires particular resonance in this context. Gertrude simultaneously describes several entrances, not only that of Jesus into Jerusalem, which, in a liturgical tenor, doubles as a figure of Paradise, but also of Jesus into her heart. Evening having come, in memory of that which the Lord did, it is said, at the end of that day when he went to the house of Mary and Martha in Bethany, she was enflamed by the desire to welcome the lord. She thus approached an image of the crucifixion and, kissing the most holy side wound with deep affection, she was penetrated entirely within herself with desire for the most loving heart of the son of God, and she begged him by the power
9
Ascesis and the Feminist Imaginary, in: South Atlantic Quarterly 93 (1994), pp. 803–824; Amy Hollywood: Sensible Ecstasy. Mysticism, Sexual Difference, and the Demands of History, Chicago 2002; Eric Jaeger: The Book of the Heart, Chicago 2000; Fritz Oskar Schuppisser: Schauen mit den Augen des Herzens. Zur Methodik der spätmittelalterlichen Passionsmeditation, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: Walter Haug and Burghart Wachinger (eds.): Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters (Fortuna vitrea; 12), Tübingen 1993, pp. 169–210. For further discussion, see Jeffrey F. Hamburger and Hildegard E. Keller: Bilder in der Kirche, im Herzen oder gar nirgends? Überlegungen zum Periodisieren am Beispiel des Bilderstreits in der Frühen Neuzeit, in: Klaus Ridder (ed.): Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe und europäische Identitäten (Europa im Mittelalter; 23), Berlin 2012, pp. 14–35. Jeffrey F. Hamburger: Visible, yet Secret. Images as Signs of Friendship in Seuse, in: Almut Suerbaum et al. (eds.): Amicitia – weltlich und geistlich. Festschrift for Nigel Palmer on the Occasion of his 60th Birthday, London 2007 (Oxford German Studies; 36,2), pp. 141–162.
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of all the prayers which had ever moved this most gentle heart to deign to come down to the most unworthy little hospice of her heart.10
The passage presents a threefold reading of the event of the entry as described in the Gospels. In the spirit of the liturgy, the space invoked immediately expands to envelope an entire series of spaces, figurative as well as literal, present as well as past. At the literal level, Jesus, having ridden his donkey into the city, accepts the hospitality of Mary and Martha at Bethany as described in Mark 11:11: “And he entered into Jerusalem, into the temple: and having viewed all things round about, when now the eventide was come, he went out to Bethania with his twelve.” At the anagogical level, the savior’s entry stands for the entry of the soul into Paradise. Most important, however, to Gertrude and her readers is the tropological reading, according to which Jesus enters into her heart, which in turn becomes a paradisiacal space, as pure as that of the temple that he cleanses the next day, according to the account in Mark 11:15–17.: “And when he entered into the temple, he began to cast out them that sold and bought ... saying to them: Is it not written, My house shall be called the house of prayer to all nations?” By situating Gertrude in front of a “certain crucifix” – anyone will do – the Legatus seeks to define inner space in accord with a specific set of circumstances. The text places the reader in that most generic of devotional spaces, namely, in front of a crucifix, where he or, in this case, she is instructed to fix her gaze, as do so many late medieval crucifixes, on the side wound, which represents the entrance to Christ’s heart. The entire passage (here understood not simply as a segment of text, but as a movement from one place to another) constitutes a prompt and guide to a specific form of devotion to be enacted in a specific place in front of a specific image. As described by Gertrude, however, the space is still more labile. As she engages in dialogue with Christ, protesting that her heart is not worthy of such a guest, Christ responds that all she has to do is give him the key in the form of her will.11 With these words, the reader finds herself transported from Bethany to yet another model of devotion, situated in another space, namely, 10
11
Gertrude d’Helfta: Oeuvres spirituelles, vol. 4: Le Héraut, ed. by Jean-Marie Clément, Bernard de Vregille and the nuns of Wisques (Sources chrétiennes; 225), Paris 1978, IV.xxiii.9, lines 1–9: “Vespere autem facto, in memoriam illius qua Dominus ipso die sero dicitur ivisse ad Mariam et Martham in Bethaniam, ista desiderio hospitandi Dominum vehementer succensa, accessit ad quadam imaginem crucifixi, et intimo affectu vulnus sanctissimi lateris deosculans, intraxit sibi omne desiderium amantissimi Cordis Filii Dei, orans cum effectu omnium orationum quae unquam de iodem Corde dulcissimo profluxerunt, ut ad hospitiolum indignissimi cordis sui dignaretur declinare.” Gertrude d’Helfta 1978 (as in note 10), IV.xxiii.9, lines 20–25: “Cui Dominus: ‘Si faves mihi, inquit, hanc in te havere liberatem, da mihi clavem ad omnia, quo libere possim accipere et reponere quaecumque mihi tam ad commodum quam ad fefectionem placent.’ Ad quod illa: ‘Et quae haec clavis?’ Respondit Dominus: ‘Voluntas tua propria.’ ”
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Christ in the Garden of Gethsemane, where, according to Luke 22:42, quoted by Gertrude (“‘Non mea sed tua voluuntas fiat,’ amantissime Jesu”), Christ says: “Father, if thou wilt, remove this chalice from me: but yet not my will, but thine be done.”12 Gertrude repeats this phrase 225 times in honor of the members of Christ’s body.13 Nevertheless, despite this gesture to numerical piety, the emphasis is less on Christ’s outward suffering than on inner attitude and compliance, in this case, his subservience to the will of the Father, which, in monastic terms, translates into the primary virtue of obedience.14 In toto, Gertrude’s Legatus presents the reader with what might be described as a series of spaces akin to those of the proverbial Russian doll. Her point of departure are the spaces mapped out by the city of Jerusalem, which figures as an image of Paradise. Gertrude’s focus, however, narrows to the house of Mary and Martha, who themselves serve automatically as emblems of the vita contemplativa and vita activa. Getrude then shifts her attention (and that of her reader) to a cell, chapel or some other such space that is the site of a crucifix, whose representation of the side wound in turn serves as a portal to interior space: not only the inside of Christ’s heart, but also, paradoxically, the reader’s own. Interiority is achieved through a series of radical dislocations in time as well as space.
Passion Piety at Paradies bei Soest The Gradual D11 from Paradies is but one of a number of liturgical books from the Dominican convent that were produced over the course of the fourteenth and early fifteenth centuries.15 Whereas some of the manuscripts appear to have been commissioned, in whole or in part, from professional artists, others, the Gradual D11 among them, were written and illuminated by the nuns themselves, some of whom are identified, at least by their initials, in tiny effigies tucked into the margins and letters. The Gradual D 11, which 12 13 14
15
Ibid., IV.xxiii.9, line 10. Arnold Angenendt: Gezählte Frömmigkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), pp. 1–71. For a late medieval drawing from the Benedictine nunnery of St. Walburg in Eichstätt that exemplifies this same set of attitudes, see Hamburger 1997 (as in note 8), pp. 63–100: Christ, praying at Gethsemane, is placed in the middle of a rose, a symbol of his suffering, defined by an inscription taken from Mark 14:36: “Not what I will, but what thou wilt.” For the manuscripts from Paradies, see Jeffrey F. Hamburger (ed.): Leaves from Paradise. The Cult of John the Evangelist at the Dominican Convent of Paradies bei Soest (Houghton Library Studies; 2), Cambridge 2008.
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can be assigned a date of ca. 1380 on the basis of its inclusion of the feast for the translation of the relics of Thomas Aquinas, offers a pictorial program of a density unmatched in any other liturgical manuscript of the entire Middle Ages.16 Not only is the incipit of virtually every feast embellished with figural decoration, in many cases, every subsection of every feast (i.e., the verses, gradual, alleluia, sequence, offertory and communion) also receive extensive decoration. Moreover, many of the letters, whether full-blown painted initials or small scribal lettters, are elaborated with a vast apparatus of inscriptions that draw on scriptural, patristic, monastic and Dominican sources. The function of the manuscript’s decoration for Holy Week therefore cannot be considered without the context provided by the manuscript’s overall program of decoration, which in many sections is no less luxuriant. Throughout the book, the initials, along with the inscriptions that accompany them, provide a running commentary on the content of the mass. Their production itself constituted a form of devotion, but they would also have served to shape the performance of the nuns who used the book to perform the liturgy in the convent’s choir. Turning to the section for Holy Week in the Gradual from Paradies, one finds an elaboration of the liturgy for Palm Sunday no less complex than that found in Gertrude’s Legatus (fig. 1). The initial, which embeds small figures, many of them holding scrolls bearing inscriptions, within a dense array of filigree ornament, is typical of other extant manuscripts from Paradies. Despite the relative crudity of the figure drawing, which finds its closest analogies in embroidery from north German convents, the imagery reveals subtleties that extend well beyond the learned Latin content of the inscriptions. For example, in this image, which is fundamentally narrative in nature, the artist, who can be identified with one of the several nuns who left their images in the margins, takes great pains to lend the image a devotional focus. The gate of the city of Jerusalem, usually located to the right, is nowhere to be seen. The apocryphal motif of the boy climbing the tree so as to get a better view is placed outside the initial. Christ is shown, not in profile, but rather frontally, rather like Mary in high medieval representations of the Flight into Eygpt, so as to provide the viewer with an iconic focal point. The tree behind Christ identifies him as the “true vine” of John 15:1–11 (“I am the true vine; and my Father is the husbandman,” etc.). In keeping with this passage, which is not among those in the surrounding scrolls, the twelve apostles line up to either side of Christ as if in a Last Judgment, thereby implicitly identifying Jerusalem with the Paradise towards which Jesus points. As in the liturgy itself, historical and eschatological space are closely linked. John 15, to which the initial refers only 16
For the dangers of relying too strictly on liturgical data, however, see Constant Mews: Remembering St. Thomas in the Fourteenth Century. Between Theory and Practice, in: Przegląd Tomistyczny 15 (2009), pp. 77–91.
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by means of its imagery, spells out the reference to judgment: “If any one abid not in me [once again an image of interior space], he shall be cast forth as a branch, and shall wither, and they shall gather him up, and cast into the fire, and he burneth.” In Gertrude’s devotions, the liturgy for Palm Sunday provides the platform for an elaborate spatial as well as temporal construction that established a space in which she could conduct her personal devotions to the suffering Savior. The illumination for the feast of Palm Sunday in the Gradual from Paradies take a similar turn. In a manner highly unusual in liturgical illustration, it provides a picture, not simply for the incipit of the feast, but also, as on many of its pages, for subdivisions of the liturgical rite. Thus, the Tract for Palm Sunday is illustrated with a small, but striking image of Christ as the Man of Sorrows (fig. 2). This is but one of several instances of this iconography in the manuscripts from Paradies, another of which comes in the form of a tiny scribal initial incorporated into the liturgy for Holy Saturday, the day before Easter (fig. 3). There, at the verse, “Quoniam confirmata est,” Mary and John kneel beneath the Man of Sorrows, flanked, outside the initial, by two nuns, who hold miniscule scrolls bearing petitions for mercy taken from the psalms: “Misericordia tua magna est” (Ps. 85:13) and “fiat misericordia tua super nos” (Ps. 32:22). In the initial for Palm Sunday, the core component of the Deësis (literally, “prayer” or “supplication”) recurs. Flanked by Mary to the left (but on the dexter side) and John, identified by his eagle, on the right, the initial provides a representation of the Deësis. The trope opens with a paraphrase of psalm 21:1 (“Oh God, my God, look upon me: why hast thou forsaken me”), one of the penitential psalms appropriated by Jesus himself in the Passion and here placed in the mouth of the celebrant. The analogies between the Gertrude Legatus and the Gradual do not end here, even though, as it happens, this initial is the last figurative element in the decoration of this particular feast. The parallels do not imply that there is any direct relationship between the Legatus and the decoration of the Gradual, but rather, that both are based, as should be self-evident, on the liturgy itself, which provides a template and framework for private experience. Thus, when one comes to the communion prayer that closes the Mass for Palm Sunday, one encounter the words from Matthew 26:42 spoken by Jesus in the Garden at Gethsemane: “Pater si non potest hic calix transire,” which, it turns out, also form part of the Gospel pericope for Palm Sunday (Mt. 26–27). With this passage one finds a straightforward explanation as to why Gertrude’s text shifts so suddenly from Bethany to Gethsemane, for this is the very verse that continues “thy will be done.” In the manuscript from Paradies, the introit for the Monday of Palm Sunday (feria secunda) is not illustrated. The Introit for the Tuesday of Holy Week opens
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with a paraphrase of Paul in Galatians 6:14: “But God forbid that I should glory, save in the cross of our Lord Jesus Christ; by whom the world is crucified to me, and I to the world.” In the Gradual from Paradies, the initial opening this feast recognizes its source in Paul by including below the central space a bust of the apostle holding the quotation from Galatians on his scroll (“Gloriari me oportet in cruce”) (fig. 4). Immediately beneath him, two nuns in white vestments kneel in devotion. To the right of the initial stands John the Evangelist in his capacity as self-described eye-witness to the crucifixion, holding a scroll that reads “Positet pylatum tytulum super crucem” (Io 19:19). Within the initial, the titulus to which John points is augmented by the names of the four woods from which the Cross, beginning at the time of the Crusades, was thought to have been made. In the words of the Golden Legend: “It is said that the cross was made out of four kinds of wood, namely, palmwood, cedar, cypress, and olivewood. Hence the verse: Ligna crucis palma, cedrus, cypressus, oliua.”17 Usually, the base of the cross was identified as cypress, the upright as cedar, the cross-arm as palm, and the titulus as olive wood. In the Gradual from Paradies, the inscriptions disregard these traditional assignations, suggesting that whatever source the nuns had at hand, such as the Golden Legend, did not make them. The Legatus does not include any special section for the Tuesday of Holy Week. As we have seen, however, it conflates imagery and rituals associated with various feast days into one. The illustration of the Introit for Tuesday of Holy Week in the Gradual from Paradies sheds new light on Gertrude’s devotions in front of a crucifix for Palm Sunday in so far as it represents, not the historical crucifixion per se, but rather, a liturgical cross such as might have appeared on an altar. The association with a cross, rather than with the crucifixion, is made clear in three ways: first, by the names of the wood, which refer to relics of the True Cross brought back from the Holy Land by crusaders and pilgrims, second, by the flaring foot, which links the cross to metalwork objects, and third, by the small red dots placed along both the vertical and horizontal arms of the cross, which represent not only Christ’s blood, but also the gemstones that commonly adorned such crosses. In keeping with the adoration of the Cross that formed an essential part of the Good Friday rite, the image represents a liturgical, rather than a historical reality, although the small green hill of Golgatha at the foot of the cross goes so far as to root it in the history of cult by identifying the image with the crux gemmata that Constantine erected on 17
Jacobus de Voragine: Golden Legend. Readings on the Saints, trans. William Granger Ryan, 2 vols., Princeton 1995, vol. 1, p. 279. The same chapter probably provided the source for the illustration of the legend of the True Cross in D11, p. 591, which illustrates the sequence “Salue salutare lignum” (AH 34, 14). For the four woods of the cross, see Tobias A. Kemper: Die Kreuzigung Christi. Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passionstraktaten des Spätmittelalters, Tübingen 2006, pp. 212–236.
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the spot. In other words, the initial represents a conflation of three moments in time – the Crucifixion itself, Constantine’s commemoration, and its reiteration at mass – but also three different spaces: the summit of Golgatha, the church of the Holy Sepulcher, and the Holy Cross altar within the church at Paradies. The image effects precisely the type of translation – understood in the medieval sense as movement through space as well as time – that liturgy and relics are supposed to achieve. Whether Paradies possessed relics of the True Cross remains unknown, although the convent of Dominican friars in Paradies did have such a dedication, as did, following 1338, the Drüggelter Kapelle (Gemeinde Möhnsee, Sauerland), a small, central plan building belonging to the convent of Paradies that imitates the Holy Sepulcher in Jerusalem.18 In this context, the web of allusions woven by the image, linking various spaces of the Passion, both historical and liturgical, prove that much more topical. Wednesday of Holy Week opens with an image of Mary Magdalen washing the feet of Christ (fig. 5). Bracketed by smaller scribal initials of nuns praying, the initial for the Tract (“Domine exaudi oracionem meam; Ps. 101:2; 142:1) shows the Magdalen washing Christ’s feet, identified by quotations from John 12:3 & 6: “Maria unxit pedes ihesu” and “Fuerat ea que mittebantur asportabat [sic].” At first glance, this illustration of Christ’s visit to the house of Mary and Martha episode seems hopelessly out of place; not only John, but also Luke 7:36–50 place it long before the Passion. According to the account in John 12:8, however, Jesus justifies Mary’s action by telling the apostles: “For the poor you have always with you; but me you have not always,” the very same words he employs in Matthew 26:6–13, which recounts how, following the entry into Jerusalem, in the very house that Gertrude identifies with the interior of her heart, an unnamed woman “having an alabaster box of precious ointment [...] poured it on his head as he was at table.” This second scene involving the salving of Christ is what one finds in the second illustration to the feast in the Gradual, tucked in at the beginning of the staff two lines above the initial (fig. 5). This secondary illustration has no inscriptions attached to it, but it is further identified by the scroll held by one of the tiny figures that crowd alongside the initial in the margin, which quotes from Matthew 26:9 and speaks for all the apostles: “Potuit ungentum istud uenundari multo” (“For this might have been sold for much” [and given to the poor]). The Gradual conflates the anonymous woman with Mary Magdalen and, as a result, two different episodes in the Gospel narrative. What might at first seem like the conflation of an arbitrary, if not utterly random, selection of places in the Gospel text and spaces in the topography of Jerusalem turns out to be a carefully calibrated cento based on the foundation of liturgical ceremony. 18
Gisela Jacobi-Büsing: Die Drüggelter Kapelle. Versuch einer Deutung ihrer kultischen Bestimmung (Soester wissenschaftliche Beiträge; 25), Soest 1964, p. 18.
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It is at this point, on Maundy Thursday, that Gertrude and the Gradual from Paradies break ranks. In fact, Gertrude’s devotions for the three days prior to Easter Sunday make remarkably little reference to key moments in the Passion. Her emphasis, rather, is on her interior devotions. The only specific event to which Gertrude refers is not the crucifixion, but rather the washing of the feet (IV.xxxv.3), perhaps because of the role it played in monastic ceremony. In contrast, the Gradual from Paradies, by illustrating both introits and numerous textual subdivisions, manages to present a detailed narrative of the Passion, beginning with the initial for Maundy Thursday, which shows the Agony in the Garden, accompanied by an inscription referencing his submission of will (Mt 26:42: “Fiat uoluntas tua” as well as an injunction to watch and pray (Mt 26:41: “Uigilare et orate”) (fig. 6). The following verse shows the pelican feeding its young by pecking at its breast, an image of selfsacrifice (fig. 7).19 The initial for the Communion, in turn, shows the Washing of the Feet (fig. 8). Appended to the end of the feast, one unexpectedly finds a Vespers antiphon for the day, illustrated by an image of the Last Supper, but presumably placed here so as to coincide with the time of day at which the meal occurred. Judas, identified by his distinctive red hair, is placed outside the initial (fig. 9).20 The illustrations for Good Friday in the Gradual from Paradies have no parallel in medieval art for their density of narrative elaboration. Rather like an image of the arma Christi, the initials provide a series of loci into which the viewers can imaginatively project themselves.21 The initial that opens the liturgy for Good Friday takes the lead by showing Christ on the Cross being offered the sop of vinegar surrounded by inscriptions that correspond to his seven last words, a particular focus of devotions (fig. 10). The inscriptions within the initial are written in the same red employed to depict the blood streaming from Christ’s wounds. In effect, the initial for the following tract forms part of the same scene, in that Mary and John, both identified by inscriptions reserved in the body of the letter D, have their attention directed upwards by the centurion in the margin who speaks in words taken from Matthew 27:54: “Uere filius dei erat iste” (Mt. 27:54). The focus of the scene, however, is John’s adoption under the Cross, identified as the salient moment by a long speech scroll connecting both initials that speaks in the words of John 19 25–27: “Mulier ecce 19
20 21
See Christoph Gerhardt: Die Metamorphosen des Pelikans. Exempel und Auslegung in mittelalterlicher Literatur, mit Beispielen aus der bildenden Kunst und einem Bildanhang (Trierer Studien zur Literatur; 1), Frankfurt 1979. Ruth Mellinkoff: Judas’s Red Hair and the Jews, in: Journal of Jewish Art 9 (1982), pp. 31–46. Robert Suckale: Arma Christi. Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit mittelalterlicher Andachtsbilder, in: Städel-Jahrbuch N.F. 6 (1977), pp. 177–208.
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filius tuus; Ecce mater tua; Stabant iuxta crucem hec uidentes.” Following initials elaborate on the scene, adding such supplementary elements as the two thieves, the Holy Spirit flying up to the face of Christ, and the sun and moon (used to illustrate the verse taken from Habbakuk 3:3: “Operuit celos maiestatis eius et laudis eius”). Each motif is enclosed in a separate, small, but precise scribal letter. At this point, marked by the initial for the Tract for Good Friday, the narrative doubles back to events before the crucifixion (fig. 11). The initial’s two sections unite the Ecce Homo with Christ impressing his image on the cloth of Veronica. Four minute images introduce each of the four following lines of text: Simon of Cyrene offering to carry the cross; a fountain (labeled “fons”), whose relevance here is uncertain, but which perhaps refers to baptism rites on Holy Saturday; Christ, accompanied by two Jews, saying “Ach, ach mater,” and, finally, at the bottom of the folio, Mary, with five other women. Christ’s short exclamation offers the sole intrusion of the vernacular in the entire corpus of manuscripts from Paradies. In light of the mix of Latin and vernacular found in Easter dramas as well as Planctus texts, this is probably no accident.22 A variety of paraliturgical texts mix Latin with the vernacular, less to promote understanding, let alone provide a straightforward translation, than to enhance affective impact, especially in scenes, such as Mary’s mourning under the Cross. The “Bordesholmer Marienklage,” dated ca. 1475, offers an example: “Sancta Maria Magdalena et mater Johannis evangeliste simul cantant: O quam tristis et afflicta/ Fuit illa benedicta/ Mater unigeniti!/ Quis est homo qui non fleret,/ Matrem Christi si videret/ In tanto supplicio? Mater Johannis dicit ricmum: Ach, ach, wo sere lyde wy grote swere/ Vmme dy, o leue truten heer!”23 Subsequent scribal initials illustrating the Tract for Good Friday present Herod mocking Christ, the column of the Flagellation, a man with winged headgear shooting out his lips to mock Christ (all on a single folio) (fig. 12). On the following page come a cruet and chalice (for the water with which 22
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See Ruprecht Wimmer: Deutsch und Latein im Osterspiel. Untersuchungen zu den volkssprachlichen Entsprechungstexten der lateinischen Strophenlieder, Munich 1974, and Gabriele Kaps: Zweisprachigkeit in paraliturgischen Texten des Mittelalters (Studia Romanica et Linguistica; 31), Frankfurt a. M 2004. Wimmer 1974 (as in note 22) pp. 255–268 (Klage); Theo Meier: Die Gestalt Marias im geistlichen Schauspiel des deutschen Mittelalters, Berlin 1959, pp. 177–179; Robert Peters: Zur Sprache der Bordesholmer Marienklage, in: Nine Miedema and Rudolf Suntrup (eds.): Literatur-Geschichte-Literaturgeschichte: Beiträge zur mediävistischen Literaturwissenschaft. Festschrift für Volker Honemann zum 60. Geburtstag, Frankfurt 2003, pp. 810–824; and Andreas Kraß: Stabat mater dolorosa. Lateinische Überlieferung und volkssprachliche Übertragungen im deutschen Mittelalter, Munich 1998, 157–158. Quoted here is section VIII, verses 334–335.
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Pilate washed his hands), the Crown of Thorns combined with a hand slapping Christ and a robe, and, all crammed into one tiny initial, two bloody footprints, a whip, two scourges and three nails (figs. 13–14). These, in turn, are followed by the five wounds (including the entryway of the side wound highlighted in red), the pliers and three robes, and Christ laid out on a stone slab, watched by a seated guard (figs. 15–16). Although scribal initials incorporating masks and drolleries of various kinds become common, especially in the fifteenth century, so systematic a program illustrating subsections of the liturgy borders on being unique. It is at this point that the Gradual turns to the singing of the Improperia, a series of antiphons and responses otherwise known as the reproaches that are sung on the afternoon of Good Friday. The two heads in profile, but facing in opposite directions, placed at the opening of this section of the liturgy possibly refer to the antiphonal nature of the chant, sung back and forth from both sides of the choir (fig. 17). An amusing anecdote from the convent of Engelthal recounts how Alheit of Trochau, rather than singing only those verses assigned to her side of the choir, sang both parts, a breach of custom for which the prioress reprimanded her by telling her that she was being a “goose,” i.e., for moving from one side of the choir to the other. In her enthusiasm, Alheit responds by flapping her arms, but is reprimanded again and henceforth follows proper antiphonal custom.24 Subsequent initials, some with the same motif, show nuns in prayer, some holding small crosses, a clear reference to liturgical reenactment. Aside from additional scribal initials of this kind, the only other figural elements for Good Friday consist of a pair of initials illustrating the hymns, “Crux fidelis” and “Pange lingua,” of which the first, depicting the Deposition, identifies the cross as the arbor vitae by green offshoots extending into four corners of initial, similar to the larger initial for Palm Sunday, and the second simply shows the Holy Face, identified by its characteristic threepart beard, a reference to the ostentation of the relic on Good Friday, a ceremony of which, for example, the nuns at Helfta were very much aware, as both Gertrude and Mechthild of Hackeborn refer to it in their writings (fig. 18).25 All these images take on added resonance in that they follow the adoration of the Cross, the moment at which the images in the church that had been covered in observance of Lenten ritual would have been uncovered. 24
25
Der Nonne von Engeltal Büchlein von der Gnaden Uberlast, ed. by Karl Schröder, Stuttgart 1871, pp. 1–44, esp. 14–15: “Es kom zu eim mal daz sie die vers in baiden choren las. Da sprach die priorin zu ir: ‘Du tust sam ein gans: sing in deinem chör und laz einen chor sten.’ Da fledert sie mit der armen und wont, sie wer ein gans, biz die priorin sprach: ‘Du bist kein gans.’ Da liez sie aller erst von der ungeperde.” Jeffrey F. Hamburger: The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany, New York 1998, pp. 317–382.
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It is only with the liturgy for Holy Saturday that the illustrations in the Gradual from Paradies takes on a radically different character. Eight major initials punctuate the feast, a larger number than for another day in the liturgical calendar, even Easter itself. Among the initials are images of the Entombment, the Harrowing of Hell, the Three Maries, and Christ with two Maries at the Tomb. Standing at the center, John the Evangelist plays an especially prominent role in the Entombment (fig. 19). Other initials, however, offer a commentary on both the Passion and miracle of the Resurrection that lends it its final meaning. The salvific tenor of the series is set by the initial illustrating the Tract, which depicts Miriam leading the Israelites across the Red Sea towards the promised land. Eight figures, some wearing Jewish caps, follow Miriam, who holds a timbrel, across a ground flecked in red (fig. 20). At the upper left, the figure of John, who is omnipresent in this manuscript, identifies the scene with a paraphrase of those verses in Apocalypse 7 that describes the “great multitude” made up by members of the various tribes of Israel “which no man could number, of all nations, and tribes, and peoples, and tongues, standing before the throne, and in sight of the Lamb, clothed with white, and palms in their hands,” crying “with a loud voice, saying: Salvation to our God, who sitteth upon the throne, and to the Lamb.” With this image, the Gradual transports the reader, like the Israelites, from the bondage of Lent to the promised land of Easter. The initial of Heaven and Hell, which illustrates the Tract, “Sicut ceruus desiderat anima mea,” while not depicting an event in salvation history, illuminates the meaning of the day’s events. The context is provided by the ancient rite according to which catechumens renounced Satan, underwent rites of exorcism, and finally baptism (fig. 21).26 Although other portions of the visual and verbal apparatus amassed at Paradies betray close parallels with liturgical commentaries such as those written by Sicardus, Beleth and Durandus, the Lenten liturgy does not. A subsequent initial for Holy Saturday reinforces the eschatological theme by cramming into the ascender of the letter L depicting the Harrowing of Hell seven men and women representing, according to the inscription from Luke 1:79 (“Inluminare hiis [sic] qui in tenebris et in umbra mortis sedent”), those who shall be enlightened, although they “sit in darkness, and in the shadow of death.” (fig. 22) To drive the point home, a small devil standing by an open hell mouth occupies the space immediately below the initial. He asks incredulously, “Quis est este rex glorie,” “Who is this King of Glory” (Ps. 23:8 and 10). Although the scene of the Harrowing usually portrays Christ rescuing both Adam and Eve, here, in a gesture to the women of the monastery, Eve, her body covered in hair as a sign of penitence, remains the sole focus of Christ’s 26
Osborne Bennett Hardison Jr.: Christian Rite and Christian Drama in the Middle Ages. Essays in the Origin and Early History of Modern Drama, Baltimore 1965, pp. 143–156.
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attention. The ultimate context for this imagery of darkness transformed into light is provided by the Exultet, performed on the eve of Easter.27 The final pair of initials for Holy Saturday with eschatological content introduce the Alleluia and the “Laudate dominum omnes gentes” that opens Vespers (sometimes included for Holy Saturday, as here, even in a Gradual) (fig. 23). The two superimposed initials combine to form a single visual field. In the golden A at the top, beneath the angel in the upper compartment, we see two men, bust-length, holding sprigs of the lignum vitae to which the accompanying inscription, again taken from Apocalypse 2:7, refers “to him that overcometh, I will give to eat of the tree of life, which is in the paradise of my God.” Below, we see the crowd of gentiles, one of whom holds aloft a processional cross. The final pair of scribal initials for the day fittingly show, first, a nun adoring the Trinity, and second, John the Evangelist proclaiming “qui erat et deus est qui uenturus est,” “who was, and who is, and is to come” (Ap 4:8), the latter immediately above an initial of Christ appearing to the two Maries (fig. 24). Just as the liturgy conflates past, present and future, so too, the decoration of the Gradual conflates three different spaces: the historical Jerusalem, the eschatological city, and, lastly and, from the perspective of the nuns who made these manuscripts, perhaps most important of all, the convent that went by the name of Paradies.
Illustration credits Fig. 1–24: Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek.
27
In the Gradual from Paradies this text, pp. 676 and 695, is partly misplaced due to a binding error.
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Fig. 1: Gradual, Paradies bei Soest, last quarter of the fourteenth century (Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, MS D 11, on loan from the city of Düsseldorf), p. 200.
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Fig. 2: Gradual, MS D 11, p. 202.
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Fig. 3: Gradual, MS D 11, p. 256.
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Fig. 4: Gradual, MS D 11, p. 210.
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Fig. 5: Gradual, MS D 11, p. 215.
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Fig. 6: Gradual, MS D 11, p. 218.
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Fig. 7: Gradual, MS D 11, p. 219.
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Fig. 8: Gradual, MS D 11, p. 219.
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Fig. 9: Gradual, MS D 11, p. 221.
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Fig. 10: Gradual, MS D 11, p. 222.
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Fig. 11: Gradual, MS D 11, p. 224.
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Fig. 12: Gradual, MS D 11, p. 225.
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Fig. 13: Gradual, MS D 11, p. 226.
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Fig. 14: Gradual, MS D 11, p. 226.
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Fig. 15: Gradual, MS D 11, p. 227.
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Fig. 16: Gradual, MS D 11, p. 227.
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Fig. 17: Gradual, MS D 11, p. 230.
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Fig. 18: Gradual, MS D 11, p. 232.
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Fig. 19: Gradual, MS D 11, p. 238.
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Fig. 20: Gradual, MS D 11, p. 237.
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Fig. 21: Gradual, MS D 11, p. 239.
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Fig. 22: Gradual, MS D 11, p. 255.
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Fig. 23: Gradual, MS D 11, p. 256.
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Fig. 24: Gradual, MS D 11, p. 257.
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Räume des Mitleidens. Text-Bild-Beziehungen in einem spätmittelalterlichen Mariengebetbuch (Frankfurt, UB, Ms. germ. oct. 45)
1. Passion und Compassio Die spätmittelalterliche Passionsfrömmigkeit setzt einen Akzent nicht nur auf das Leiden Christi, sondern auch auf das Mitleiden Marias.1 Das zunehmende Interesse an der schmerzensreichen Mutter führt zur Ausdifferenzierung ihres Leidenswegs. Den Stationen der Passion Christi werden die Stationen des marianischen Mitleidens zugeordnet. Dem Kreuz Christi entspricht das Schwert Marias, das bei jedem Schmerz, den ihr göttliches Kind erduldet, ihre Seele durchdringt. Dies ist das zentrale Motiv der Mariensequenz Stabat mater dolorosa und aller Dichtungen, die der Gattung der Marienklage zugeordnet werden. Man zählt die Schwerter, die ihr ins Herz stechen, und die Klagerufe, die ihr entfahren, wie man auch die Stationen zählt, die Jesus auf seinem Kreuzweg durchläuft, und die Worte, die er am Kreuz spricht. Die gezählte Frömmigkeit2 schafft einen imaginären Andachtsraum, dem eine spezifische Weg- und Zeitstruktur eignet. Die Sequenz der Ereignisse des Mitleidens evoziert eine räumliche Vorstellung und ein zeitliches Kontinuum – einen Chronotopos der Compassio. Dieses Phänomen lässt sich an einem spätmittelalterlichen Mariengebetbuch nachvollziehen, das heute in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main verwahrt wird (Frankfurt, UB, Ms. germ. oct. 45). 3 Die kleinformatige, 1
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Zur Passionsfrömmigkeit vgl. Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, Berlin 1993 (Fortuna Vitrea; 12); zur Compassio-Frömmigkeit vgl. aus literaturgeschichtlicher Sicht Andreas Kraß: Stabat mater dolorosa. Lateinische Überlieferung und volkssprachliche Übertragungen im deutschen Mittelalter, München 1998; Katharina Mertens Fleury: Leiden lesen. Bedeutungen von ‚compassio‘ um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach, Berlin 2006 (Scrinium Friburgense; 21). Vgl. Arnold Angenendt u.a.: Gezählte Frömmigkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), S. 1–71. Birgitt Weimann: Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppe Manuscripta Germanica, Frankfurt a.M. 1980 (Kataloge der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt
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173 Blätter umfassende Papierhandschrift zeichnet sich durch eine eindrucksvolle Serie von 26 kolorierten Federzeichnungen aus. Vermutlich entstand sie im Jahr 1503, jedenfalls ist eine der Miniaturen mit dieser Jahreszahl versehen.4 Die Schreibsprache weist in den oberschwäbischen Raum. Das Gebetbuch ist, bis auf einige wenige Texte,5 noch nicht ediert, aber vollständig in digitalisierter Form einsehbar.6 Das Büchlein enthält, von einleitenden und abschließenden Gebeten zu Gott und Christus abgesehen, ausschließlich Mariengebete, darunter eine umfangreiche Abteilung mit Gebeten zum Mitleiden Marias. Diese Partie, die mit gut fünfzig Blättern ein knappes Drittel der Handschrift umfasst (fol. 73r-120r), gliedert sich in fünf Gruppen. Ihr Herzstück ist eine gereimte Übersetzung der Mariensequenz Stabat mater dolorosa. Jede Gruppe wird von einer ganzseitigen Miniatur eröffnet. Vier Bilder zeigen Maria unter dem Kreuz, eine zeigt sie mit zwei Schwertern in der Brust. Drei dieser Bilder zeichnen sich durch ein Kreuz aus, das in den rechten Bildrand geschoben ist und einen schrägen Querbalken aufweist. Die Gebete handeln von den sieben bzw. zwölf Schmerzen und den sechs bzw. zehn Klagerufen Marias im Angesicht ihres leidenden Sohns. Im Folgenden möchte ich das Zusammenspiel von Text und Bild im betreffenden Abschnitt des Mariengebetbuchs untersuchen. Meine These lautet, dass die Lektüre des Gebetbuchs einen empirischen und einen imaginären Andachtsraum eröffnet, die performativ aufeinander bezogen sind. Der empirische Raum ist derjenige, in dem der Leser oder die Leserin das Gebetbuch in Händen hält; der imaginäre Raum ist derjenige, der sich bei der Lektüre des Gebetbuchs im Inneren des Rezipienten eröffnet. Es wird sich zeigen, dass die Bilder nicht nur der Illustration der Texte dienen, sondern einer eigenen Dramaturgie gehorchen und einen eigenen ‚Text‘ produzieren. Die Wirkung des Mariengebetbuchs erschließt sich nur dem, der für die Logik der Bilder, der Texte und ihres Zusammenspiels in gleicher Weise aufmerksam ist.
4 5
6
a.M.; 5,4), S. 139–143. Vgl. den betreffenden Eintrag im Handschriftencensus (www. handschriftencensus.de), Nr. 13247. Fol. 30r, die Jahreszahl findet sich im unteren Bildrand und auf dem oberen Blattrand. Andreas Kraß: ‚Ave maris stella‘ und ‚Ave praeclara maris stella‘ in einem deutschen Mariengebetbuch (Frankfurt, UB, Ms. germ. oct. 45), in: Zeitschrift für deutsches Altertum 140 (2011), S. 190–199; Kraß 1998 (wie Anm. 1), S. 257–261. Link: .
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2. Gebet zu den Sieben Schmerzen Der erste, zwanzig Seiten umfassende Abschnitt des Compassio-Teils enthält ein Gebet zu den Sieben Schmerzen Marias, einem Sujet, das im 15. Jahrhundert in Wort und Bild weit verbreitet war.7 Der Abschnitt besteht aus drei Teilen: einer Überschrift (73r), einer Miniatur (73v) und dem eigentlichen Gebetstext (74r–84v). Das Gebet wird folglich mit theatralischer Geste eingeführt: Zunächst sieht man rechts die in roter Tinte geschriebene ganzseitige Ankündigung, dann, nach dem Weiterblättern (nachdem sich gewissermaßen der Vorhang gehoben hat), auf der Doppelseite links die farbige Miniatur und rechts das erste Schmerzensgebet. Die Gestaltung der ersten Bitte zeichnet sich durch eine rote Überschrift („Das erst gebette“) und eine vierzeilige Schmuckinitiale aus, die den Buchstaben O, mit dem die erste Bitte beginnt („O Junckfraw“), als goldumrandetes, hellblau gefülltes Medaillon mit der Inschrift IHS (der Abkürzung für Jhesus) inszeniert. Die übrigen Bitten sind jeweils nur durch zweizeilige rote Initialen markiert. Die Überschrift des Schmerzensgebets weist ausdrücklich auf das Vesperbild hin, das in der nachfolgenden Miniatur gezeigt wird. Der Text lautet (73r): Nachfolgent andechtige gebet von dem inprünstigen mitleiden der aller wirdigostenn Junckfraw marie mit der vnaussprechenlichen bittern marter Jhesu cristi. Und wer die selbigenn gebet alle wuchen ain mal vor dem vesperbild also andechtigklich spricht, der verdienet groß gnad von got vnd wirt von maria an seinen letzsten zeiten nymmer verlassen.8
Wenn die Überschrift die Gnadenwirkung des Gebets davon abhängig macht, dass es vor dem „vesperbild“ gesprochen werde, so kann damit eine Skulptur oder ein Gemälde, ein Hausaltar, eine Kapelle oder eine Kirche gemeint sein, aber durchaus auch das aufgeschlagene Gebetbuch selbst, das ja an passender Stelle ein gemaltes Vesperbild enthält. Der Andachtsraum des Gebetbuchs umfasst somit zwei Dimensionen: zum einen (intern) das Gegenüber von Gebet und Miniatur, das die imaginäre Passionsszene evoziert, zum anderen (extern) das Gegenüber von Betendem und Gebetbuch, das den performativen Raum definiert. 7
8
Vgl. Martin Schawe: Die Kreuzigung Christi von Lucas Cranach d. Ä. aus dem Jahre 1503, in: Bayerische Staatsgemäldesammlung, Jahresbericht 1995, S. 10–22; vgl. auch Kraß 1998 (wie Anm. 1), S. 55, 248. Die Schreibweise dieses und der folgenden Auszüge folgt der Handschrift. Abkürzungen habe ich aufgelöst und als Verständnishilfe sparsam eine moderne Interpunktion eingefügt.
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Die Miniatur zeigt Maria mit dem Gekreuzigten in ihrem Schoß und dem Leidensschwert in ihrer Brust (Abb. 1). Das Bild wird von einem goldenen Rahmen umfasst, das die Szene nicht nur einschließt, sondern auch das Fenster markiert, durch das der Betrachter in die Szene hineinblicken kann. Die Verlängerung des Schwerts, dessen runder Knauf an den rechten Bildrand stößt, weist auf das Medaillon auf der gegenüberliegenden Buchseite hin, das wiederum mit seiner Farbe und seiner Rundung auf das Schwert antwortet. Im Hintergrund der Figurengruppe sieht man das T-förmige Kreuz mit schrägem Querbalken. Das Kreuz gliedert die Figurengruppe: Der Kopf der Gottesmutter ist vor dem Stamm platziert, der Kopf des Lieblingsjüngers rechts, der Kopf des Gekreuzigten links vom Kreuz. Die Köpfe liegen auf einer diagonalen Linie, die unterhalb der Linie des schrägen Querbalkens positioniert ist. An die rechte Hälfte des Querbalkens ist die Leiter angelehnt, mit deren Hilfe Jesus vom Kreuz abgenommen wurde. Der Leichnam ruht bereits im Schoß der Gottesmutter, die mit ihrer linken Hand den ausgestreckten rechten Arm des Toten hält. In der linken Bildhälfte hinter der Gottesmutter steht der Lieblingsjünger Jesu, der seine rechte Hand klagend an die rechte Wange und seine linke Hand auf Marias Schulter legt, um sich gestisch mit ihrem Mitleiden zu vereinen. Der Leichnam Jesu ist, bis auf einen Lendenschurz, nackt, der Körper von Striemen und der Seitenwunde gekennzeichnet. Die Dornenkrone liegt am unteren Bildrand vor der linken Hand Jesu auf dem Boden. Das Leidensschwert dringt an jener Stelle durch das Gewand Marias, an der sich das Herz befindet. Festzuhalten ist die Kommunikation des Bildes mit den Texten: durch den Hinweis der Überschrift auf das Vesperbild, durch die thematische Zuordnung von Bild und Gebet sowie durch den ästhetischen Dialog zwischen Elementen der Bildseite und der Textseite (zum einen der Zuordnung von Schwert und Medaillon, zum andern der roten Farbe der Überschriften, der Wundmale Christi und des Gewands des Lieblingsjüngers). Das Gebet geht von der Anwesenheit der Gottesmutter während des gesamten Leidenswegs Jesu von der Gefangennahme bis zum Begräbnis aus. Somit überschreitet es den biblischen Bericht, der nur von der Gegenwart Marias unter dem Kreuz weiß (Joh 19,25). Die Aufzählung der sieben Schmerzen impliziert einen Weg, der vom Ölberg (Bitte 1) zum Palast des Pilatus (Bitte 2), zur Hinrichtungsstätte auf dem Berg Golgatha (Bitten 3 bis 6) und schließlich zum Grab (Bitte 7) führt. Die Bitten sind jeweils dreiteilig. Sie beginnen mit einer preisenden Apostrophe an die Gottesmutter, nennen sodann als Gegenstand des mitleidenden Gedenkens das jeweilige Passionsereignis und schließen mit einer Bitte um Beistand im Tod und beim Jüngsten Gericht. Die szenischen Beschreibungen werden vom ersten bis zum fünften Gebet immer umfangreicher, halten im sechsten Gebet den Umfang und verkürzen sich im siebten Gebet. So wird ein Spannungsbogen erzeugt, der von
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der Gefangennahme (1) bis zu Kreuzigung (5) und Tod (6) ansteigt und beim Begräbnis (7) wieder abfällt. Stets wird die Augen- und Ohrenzeugenschaft Marias, ihre sinnliche Anteilnahme am Leidensgeschehen betont. Von ihren Augen ist in der ersten, zweiten, vierten, sechsten und siebten Bitte die Rede, von ihren Ohren in der fünften. Im Folgenden zitierte ich nur die narrativen Passagen (ohne Apostrophe und Bitte): 1. Gefangennahme und Auslieferung (74r): […] da du deinen aller liebsten sun jhesum cristum sahest gebundenn, verlassen von seinen iungern vnd z der bittern marter gegeben. 2. Verhör vor Pilatus und Geißelung (75r): […] alls du gesehen hast deinen sun jhesum cristum grasamlichen z antwortten dem richter pylato vnd mit falschen zeügen anclagen, mit spirtzelen vermailigen9, sch(rpflich gaiselen vnd mit vil dingenn verspotten vnd belaidigen. 3. Dornenkrönung und Verurteilung (76v): […] da jhesu cristo deinem sun seine klaider ausgezogen vnd purpuri klaider z gesp=t angelegt sind worden vnd mit der d=rnin kron gekr=net vnd gel=stert. Auch nach dem geschray der juden ‚creützig in, creützig in‘ vervrtailt ward z der bittern marter des creütz vnd mit dem stam des creütz gar ser beschwert ist worden. 4. Kreuzigung (78r) […] alls du gesehen hast deinen allerliebsten sun jhesum cristum seiner klaider gewaltigklich entpl=ssen, da durch all sein hailig wunden vernewert warden, vnd mit negelen sein hailig hend vnnd fss durchl=chern, blos an dem stam des hailigen creütz auffheben, mit seinem hailigen blt gantz vberrnnen vnd mit wunden vnd schlegen gantz zerrissenn vnd versert. 5. Commendatio, Tod, Lanzenstich, Sonnenfinsternis und Erdbeben (80r-v): […] da du h=rtest deinen allerliebsten sun jhesum cristum dich sein liebste muoter johanni befelhen vnd vor grossem schmertzen mit hocher stimm schreien vnd seinen gaist in die hend seines himlischen vaters befelhen vnd mit genaigtem hapt seinen gaist auffgeben. Auch nach seinem tod sein hailig seitten z =ffnen vonn dem ritter longino. Dar vmb das erdtrich erbidmet, die sunn iren schein verloß vnd die velsen erspielten. 6. Kreuzabnahme und Beweinung (82r-v): […] kssest vnd vmmfiengest den todten leichnam deines lieben sun jhesu cristi, alls er von dem hailigen creütz genomen ward, welliches ettwan sch=ne wang vnd rosenfarben mund sachest da mit t=dtlicher farb übergangen. Auch seinen gantzen hailigen leibe daselbst sachest von ainem mal z dem andern vnd von ainer wunden z der andernn gar vnd gantz zerhawen, also das kain vnerserter fleck war an allem seinem leib. 7. Begräbnis (83v): […] da du sachest deinen lieben sn jhesum cristum deine ainige freüd begraben. 9
Mit Spucken beflecken.
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Der Beter vollzieht den Weg des marianischen Mitleidens als innere Bewegung nach. Die Abfolge imaginärer Bilder wird vom Text evoziert und vom Bild gestützt. Die zunehmende Länge und Intensität der Gebete steigert den Grad der Identifikation mit der mitleidenden Gottesmutter, bis es in der knappen Schlussbitte gewissermaßen zum Kollaps kommt. Die zentrale Metapher des Leidensschwerts ist in der vierten Bitte, also im thematischen und arithmetischen Zentrum der Gebetsreihe, platziert. Es wird doppelt aufgerufen: zum einen mit Bezug auf die Gottesmutter (78r: „durch das schwert des innerlichen schmertzen das durchgangen ist dein sele“), zum anderen mit Bezug auf den oder die Gläubige (78v–79r: „das mein hertz das schwert deines inprinstigen mitleiden durchl=cher“). Das Zusammenspiel zwischen Miniatur und Gebet ist in der vierten und sechsten Bitte am engsten: in der vierten durch das Motiv des Leidensschwerts, in der sechsten durch das Pietà-Motiv.
3. Stabat mater Als Herzstück der Gebete zum Mitleiden der Gottesmutter folgt eine deutsche Fassung der Mariensequenz Stabat mater dolorosa.10 Diese Partie umfasst wiederum drei Teile: Überschrift (84v–85r), Miniatur (85v) und Sequenz (86r–89r); letzterer sind einige Begleitgebete angefügt (89r–92r). Die dramaturgische Anordnung wiederholt sich. Auf die Überschrift, die von der Mitte der linken bis zum Ende der rechten Seite reicht, folgt nach dem Umblättern auf der linken Seite die Miniatur und auf der rechten Seite das Gebet. Die Überschrift ist, gemessen an der lateinischen Vorlage, in hohem Maße redundant. Sie wurde wohl nicht zuletzt deswegen ausgeweitet, damit sie bis ans Ende der rechten Seite reicht, sodass sich Miniatur und Gebet in der beschriebenen Weise anschließen können. Der Beginn des Gebetstexts ist zwar mit einer vierzeiligen roten Initiale markiert, nicht aber mit einem Medaillon wie der Beginn des Schmerzensgebets, das auf diese Weise als Eröffnung des gesamten Gebetbuchabschnitts zum Mitleiden Marias ausgewiesen ist. Die Überschrift, die zugleich als Gebetsanleitung zu verstehen ist, ruft eine weitere räumliche Dimension auf, nämlich die meditative Vergegenwärtigung des Mitleidens Marias in Form eines inneren Bildes (84v–85r): [Devota contemplatio beate marie virginis iuxta crucem filii sui lacrimantis et ad compassionem salvatoris singulos invitantis.]11 10 11
Zu Text und Interpretation vgl. Kraß 1998 (wie Anm. 1), S. 257–261. Zur lateinischen Version der Überschrift vgl. ebd., S. 257.
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Hie nachuolget ain andechtiges gebet oder contemplierung das ist ain gesicht oder erkantnus der sssikait g=tlicher beschawng die warhait z erkennen abgezogen leben des i‹n›nerlichen gaistes andechtiger anplick vnd erkantnüs der gesicht gottes und12 der seligenn junckfrawen marie bey dem creütz ihres sunes zehern oder trehernn des waines vnnd z laden sonderlich z dem mitleiden des herren vnsers behallters. Sprich.
Der Terminus contemplatio wird in einer syntaktisch kaum nachvollziehbaren Paraphrase siebenfach wiedergegeben als gebet, contemplierung, gesicht, erkantnus, beschawng, des i‹n›nerlichen gaistes andechtiger anplick und erkantnüs der gesicht. Die deutschen Wörter betonen die visuelle Dimension der erstrebten Andacht (gesicht, beschawng, anplick), die Erzeugung eines Seelenraums der Anschauung.13 Die Miniatur zeigt eine Szene, die in chronologischer Hinsicht hinter die Szene der ersten Miniatur zurückgeht. Das erste Bild präsentierte die Beweinung nach der Kreuzabnahme, die zweite zeigt nun Maria, den Lieblingsjünger und Maria Magdalena unter dem Kreuz, an dem Jesus noch hängt (Abb. 2). Die Räume, in denen sich die Figurengruppen befinden, sind weitgehend identisch. In der zweiten Miniatur ist das Kreuz ein wenig nach rechts und nach vorn gerückt. Der Winkel des schrägen Querbalkens, das den Bildrahmen überschneidet, ist nahezu gleich. Die Grasfläche, die das untere Bilddrittel ausfüllt, ist nun deutlicher in zwei Hügel gegliedert. Zeigte die erste Miniatur eine dreifache Figurengruppe, tritt nun eine vierte Figur hinzu, nämlich Maria Magdalena. Der Lieblingsjünger steht wieder links hinter der Gottesmutter, wendet sich ihr aber stärker zu als in der ersten Miniatur. Maria Magdalena steht in einem gelben Gewand hinter dem Kreuz, neigt sich der Gottesmutter zu und legt ihr die rechte Hand auf die Schulter. Die Miniatur ist wieder von einem Bildrahmen umgeben, der aber nicht goldfarben, sondern rot und grün ist. Die vier Seiten des Rahmens sind jeweils in eine rote und eine grüne Hälfte geteilt. Die thematische Verbindung zwischen Bild und Text ist lockerer als im ersten Fall. Von Johannes und Maria Magdalena ist im Stabat mater keine Rede, und Maria steht auch nicht, sondern sitzt oder kniet unter dem Kreuz. Das Motiv des Leidensschwertes fehlt im Bild. In ästhetischer Hinsicht wird die Verknüpfung zwischen Text und Bild durch die rote Farbe hergestellt, die den Rahmen, das Gewand des Lieblingsjüngers und die Initiale, die das Gebet eröffnet, auszeichnet. Diese Miniatur bietet eine bemerkenswerte Parallele zu Albrecht Dürers Tafel 12 13
In der Handschrift steht das Abkürzungszeichen für et cetera. Vgl. Fritz Oskar Schupisser: Schauen mit den Augen des Herzens – Zur Methodik spätmittelalterlicher Passionsmeditationen, in: Haug und Wachinger 1993 (wie Anm. 1), S. 169–210; Thomas Lentes: „Inneres Auge, äußerer Blick und heilige Schau – Ein Diskussionsbeitrag zur visuellen Praxis in Frömmigkeit und Moraldidaxe des späten Mittelalters“, in: Klaus Schreiner (Hg.): Frömmigkeit im Mittelalter – Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002.
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mit Maria vor dem Gekreuzigten aus dem Sieben-Schmerzen-Mariä-Altar aus den Jahren 1496/98 (Abb. 3).14 Wie bei Dürer (und anderen vergleichbaren Bildern des 15. Jahrhunderts) wird das Kreuz Jesu aus dem Zentrum ins rechte Bilddrittel verschoben und nicht frontal, sondern im Halbprofil gezeigt, was die perspektivische Abschrägung des Querbalkens zur Folge hat.15 Der Blick des Betrachters richtet sich nicht direkt auf den Gekreuzigten, sondern wird über die mitleidende Gottesmutter vermittelt. Bei Dürer blickt der Betrachter auf Maria und Maria Magdalena, die ihrerseits auf Christus schauen; in der betreffenden Miniatur des Mariengebetbuchs blickt er, wie alle im Bild anwesenden Figuren, auf Maria, die ihm frontal zugewandt ist. Auf die Miniatur folgt die gereimte Übersetzung der Mariensequenz Stabat mater dolorosa. Die erste Strophe etabliert das Motiv des Leidensschwerts, das aus der exegetischen Verknüpfung zweier Bibelverse resultiert: der Anwesenheit der Gottesmutter unter dem Kreuz (Joh 19,25) und der Weissagung Simeons bei der Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,35: „Et tuam ipsius animam pertransibit gladius“). Das Motiv des Kreuzes beherrscht die erste, das Motiv des Schwerts die zweite Strophenhälfte (86r): [Stabat mater dolorosa iuxta crucem lacrimosa dum pendebat filius. Eius animam gementem, constristantem et dolentem pertransivit gladius.] GEstanden ist mter mit schmertzen bey dem creütz ‹mit› z(her‹n›dem hertzen, dar an ir sun gehangen was. Wellicher seel mit seünfftzen schwer, mit trawren vnd schmertzlicher seer das schwert durchgieng on vnderlaß.
14
15
Vgl. Gisela Goldberg, Bruno Heimberg, Martin Schawe: Albrecht Dürer – Die Gemälde der Alten Pinakothek, Heidelberg 1998, S. 139–165, hier S. 150 ff. (mit umfangreichen Literaturangaben zur Ikonographie der sieben Schmerzen Marias). Für diesen und weitere Hinweise zu kunstgeschichtlichen Bezügen des Mariengebetbuchs danke ich Hans Aurenhammer und Daniela Bohde. Zum Bildmotiv des dezentrierten und schräggestellten Kreuzes vgl. Daniela Bohde: Schräge Blicke – exzentrische Kompositionen: Kreuzigungen und Passionsszenen in der altdeutschen Malerei und Graphik, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 75 (2012), S. 193–222; Sabine Heiser: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren: Wien um 1500 – Dresden um 1900, Berlin 2002, S. 93–109; Heike Schlie: Exzentrische Kreuzigungen um 1500: Zur Erfindung eines bildlichen Affektraums, in: Johann Anselm Steiger und Ulrich Heinen (Hg.): Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin/New York 2010, S. 63–91.
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Die in der ersten Strophe etablierte Szene verharrt, wie das erste Wort der lateinischen Vorlage (Stabat) und deutschen Übersetzung (GEstanden) anzeigt, im Stillstand. Äußere Bewegung findet nicht statt, wohl aber eine innere Bewegung, die metaphorisch umgesetzt wird: Das Leidensschwert geht durch die Seele der Gottesmutter hindurch: per-trans-ivit. Die Spannung zwischen Stehen und Gehen, äußerem Stillstand und innerer Bewegung, korrespondiert mit der Opposition von Kreuz und Schwert. Unter räumlichen Gesichtspunkten ist festzuhalten, dass der äußere Raum der Passion (markiert durch das Kreuz) und der innere Raum der Compassio (markiert durch das Schwert) überblendet werden. Eine solche Verschränkung von Außen- und Innenraum leistet auch die erste Miniatur, wenn sie das Schwert in die Passionsszene hineinnimmt. Die Verbindung von Kreuz und Schwert durchzieht als Leitmotiv die gesamte Abteilung des Mariengebetbuchs, die dem marianischen Mitleiden gewidmet ist: die erste und dritte Miniatur sowie die Gebete zu den Sieben und Zwölf Schmerzen. Ferner kehrt es einmal als Abbildung am unteren Rand einer Textseite wieder (109r). Auf die deutsche Fassung des Stabat mater folgen drei weitere Gebetstexte, die auch im lateinischen Überlieferungszusammenhang häufig anzutreffen sind (89r: Versikel, 89r–90r: Collecta, 90r–92r: Gebet des hl. Bernhard).
4. Gebet zu den Zwölf Schmerzen Der dritte Abschnitt der Compassio-Gebete (92r-100v) enthält ein weiteres Gebet zu den Schmerzen Marias. Wieder folgen auf eine Überschrift (92r: „Mer von den hertzlaiden vnd schmerzen vnser lieben frawen“), die bis zum Ende einer Vorderseite reicht, nach dem Umblättern links eine ganzseitige Miniatur (92v) und rechts der Anfang des Schmerzensgebets (93r-100v). Die Miniatur – die dritte in der Serie der Kreuzigungsdarstellungen – zeigt wieder das typische Kreuz mit schrägem Querbalken, nun aber nach links verschoben (Abb. 4). Der Gekreuzigte blickt nicht von rechts, sondern von links auf das Geschehen herab. Das Bild bevölkert sich; es zeigt, dem biblischen Bericht entsprechend (Joh 19,25), drei Marien. Mit jeder Miniatur tritt eine weitere Marienfigur an die Seite des Lieblingsjüngers: in der ersten die Gottesmutter Maria, in der zweiten Maria Magdalena, in der dritten Maria Kleophae. Es zeichnet sich eine eigene Dramaturgie der Bilderfolge ab, die dem Prinzip der Akkumulation folgt. Die zunehmende Anzahl der klagenden Figuren spiegelt das Kollektiv der christlichen Gemeinde und nimmt sie gewissermaßen mit in die Klageszene hinein. Die bewegte Choreographie der Figurengruppe wird durch die aufsteigende Linie der Köpfe beruhigt, die auf
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den schräg abfallenden Querbalken des Kreuzes antwortet. Auffällig ist ferner, dass der Rahmen, der die Miniatur umgibt, den Rahmen der zweiten Miniatur variiert. Wieder ist das Wechselspiel der Farben Rot und Grün charakteristisch, nun aber in der Weise, dass die obere und rechte Seite des Rahmens grün, die untere und linke Seite hingegen rot ist. Das Gebet umfasst nicht sieben, sondern zwölf Schmerzen, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen. Die erste Gruppe zählt vier Schmerzen, die der Kindheitsgeschichte Jesu zugeordnet sind: (1) Geburt Jesu, (2) Simeons Weissagung, (3) Flucht nach Ägypten, (4) Suche nach dem zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die zweite Gruppe hat doppelten Umfang, sie zählt acht Schmerzen, die sich in den Kontext der Passionsgeschichte einfügen: (5) Gefangennahme Jesu, (6) Kreuztragung, (7) Kreuzigung, (8) Qualen am Kreuz, (9) Überantwortung Marias an Johannes, (10) Kreuzabnahme, (11) Beweinung und Marienklage, (12) Begräbnis. Das Motiv des Leidensschwerts ist in den neunten Schmerz integriert (97r-v): O wer mag assprechen das herztenlich wainen, das groß ellend, da du maria z der selben zeit also verellend wardest vnd beraubt aller frewd16, aller hilff vnd dein hertz ser verwunt mit dem schwert herr Symeon vnd der (ngstlich tod dir nam dein vnschuldigs kind.
Mit der Zwölfzahl der Schmerzen wird die Geschichte des marianischen Mitleidens bis in die Kindheit Jesu zurückverlängert. Der Raum des Mitleidens erweitert sich somit in zweifacher Hinsicht: geographisch, weil er von Betlehem bis Jerusalem reicht, und biographisch, weil er den Lebensweg Jesu von der Geburt bis zum Tod umschließt.
5. Gebete zum Mitleiden und sechs Wehrufe Marias Die vierte Abteilung der Compassio-Gebete folgt in der Anordnung den vorausgehenden: zunächst die Überschrift, die bis zum Ende einer Vorderseite reicht (100v–101r), dann, nach dem Umblättern, auf der aufgeschlagenen Doppelseite links die Miniatur (101v) und rechts das beginnende Gebet (102r–114r). Der Gebetsteil ist hier besonders umfangreich, er umfasst außer dem in der Überschrift angekündigten Ablassgebet (102r–108r) zwei weitere Gebete zum Mitleiden Marias – ein kurzes (108r–109r: „Ain anders gebet z vnser frawen“) und ein langes (109r–112v: „Mer ain andechtigs gebet von vnser lieben frawen mitleiden“), dessen Anfang durch einen gemalten Fingerzeig im linken 16
In der Handschrift steht „fred“.
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Bildrand und eine gemalte Marienbüste mit zwei Leidensschwertern im unteren Bildrand besonders hervorgehoben ist (Abb. 5). Der Abschnitt kulminiert in einer Serie von Klagerufen Marias unter dem Kreuz (112v-114r), die mit einer kurzen Bitte schließt (114r: „Das Recordare“).17 Die Miniatur setzt gegenüber den ihr vorausgehenden, sich zunehmend bevölkernden Kreuzesdarstellungen einen neuen Akzent (Abb. 6). Die Landschaft leert sich. Das Kreuz und der Gekreuzigte sind entfernt, auch die Begleiter Marias sind nicht mehr anwesend. Der Fokus richtet sich allein auf die Gottesmutter und ihr Mitleiden, das, wie schon im Vesperbild (Miniatur 1), mit dem Leidensschwert markiert wird. Nun handelt es sich um zwei Schwerter, die, wiederum von rechts, in Marias Brust eindringen. Die Entfernung der übrigen Figuren und Gegenstände und die Konzentration auf die mater dolorosa schaffen einen Andachtsraum, in den der Beter selbst eintritt. Er wird Teil jenes Raums, der sich in seinem Inneren öffnet. Richteten zuvor der Lieblingsjünger und die zunehmende Anzahl der Marien ihre Klage an den Gekreuzigten, so richtet nun der Beter allein seine Klage an die mitleidende Gottesmutter. Er tritt gewissermaßen an die Position des Lieblingsjüngers, wie auch der Sprecher des Stabat mater Maria bittet, gemeinsam mit ihr „iuxta crucem“ stehen zu dürfen.18 Über dem Mund des links neben Maria knienden Beters, der als männliche Figur erkennbar ist, erhebt sich ein Spruchband, das eine Anrufung Marias enthält: O MARIA. Über dem Beter schwebt auf einer Wolke ein Engel, der seine Bitte zur Gottesmutter bringen soll. Die Überschrift zu den Klagerufen, in die der vierte Abschnitt mündet, nimmt Bezug auf die Szene des Vesperbilds und erinnert somit ebenfalls an die erste Miniatur (112v-113r): Hie nachvolgent die sechs rff, die vnser liebe frau tet z vesper zeit vnder dem creütz, da mann ir vnsern herren vff ir schos legt. wer die mter gottes der selben sechs rff ermant andechtiglichen auff seynen knyen dreissig tag mit vj Ave maria, den will sy nymmer verlassen in kainen noeten.
Die Sechszahl der Klagen impliziert, im Unterschied zur Sieben- oder Zwölfzahl der Schmerzen, keine räumliche Vorstellung. Solange Maria klagt, steht die Szene still. Die Wehrufe, die in kurzen Überschriften durchgezählt und jeweils von einem Avemaria beschlossen werden, enthalten auch keine narrativen Elemente (113r-114r): O Du aingeborens kind, tr=st dein ainige mter. O kind, tr=st dein ellende mter. O trostloser sun, tr=st dein trostlose mter. 17 18
Für alle Gebete, die auf das Ablassgebet folgen, sind Parallelüberlieferungen bekannt; vgl. Weimann 1980 (wie Anm. 3), S. 142. Str. 7,4: “iuxta crucem tecum stare”.
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Andreas Kraß O wee, liecht aller welt, wie bist so gar erloschen. O wee, wnne der engel vnd aller hailigen, wie bist du so gar erblichen. O wee, die vil seligen adern, die allzeit fliessend voller genaden vnd barmhertzigkait, wie seyt ir so gar ersigen.
Die Klagerufe leuchten das Mitleiden Marias mit Antithesen und Paradoxien aus, die aus dem Leiden des Gottessohns resultieren: Das Licht der Welt erlischt, der Gnadenfluss versiegt, das trostlose Kind soll die trostlose Mutter trösten.
6. Gebete zum Mitleiden und zehn Wehrufe Marias Den fünften und letzten Abschnitt eröffnet eine Miniatur, die erstmals nicht in ein Gebet eingebettet ist (114v). Die Szene bevölkert sich wieder, und die Requisiten des Passionsraums kehren zurück (Abb. 7). Die vierköpfige Figurengruppe gliedert sich in zwei Paare: links die kniende Gottesmutter, hinter der stützend der Lieblingsjünger steht; rechts der liegende Leichnam Jeus, der von einem Engel angehoben wird. Den Mittelpunkt bildet Maria, die Jesus anbetet; Johannes und der Engel dienen als Assistenzfiguren. Das Kreuz erscheint wieder in der rechten Hälfte des Bildes, nun aber in frontaler Ausrichtung mit horizontalem Querbalken, an dessen Armen je ein Passionswerkzeug hängt: Rute und Geißel. Die Dornenkrone liegt unterhalb des Stamms im Bildvordergrund. Die Miniatur antwortet sehr deutlich auf die erste Miniatur, das Vesperbild. In beiden Fällen liegt der Gekreuzigte auf einem ausgespreiteten Tuch und sein Oberkörper wird von Maria bzw. dem Engel angehoben. Seine Position im Bild ist fast identisch, nur die Ausrichtung des Kopfes und des (vom Betrachter aus gesehen) linken Arms wird variiert. Neben diesen kompositorischen Funktionen dürfte der horizontale Querbalken auch mit der Frömmigkeitssituation des Bildes zu tun zu haben. Christus rückt stärker in den Vordergrund, Maria nimmt die Rolle des Beters ein, der auf der vorigen Miniatur zu sehen war. Wieder identifiziert sich der Beter mit der Gottesmutter, aber mit einem etwas anderen Akzent; er ist Maria gewissermaßen schon gleich geworden im Mitleiden mit Christus. Auf die Miniatur folgen zwei Gebete zum Mitleiden Marias. Das erste (115r-116r: „Mer sch=n ermanung vnd gepet von dem grossenn hertzenlaid vnser lieben frawenn“) ist durch eine dreizeilige Initiale hervorgehoben, die farblich auf den rotgrünen Rahmen der Miniatur antwortet.19 Das zweite Gebet 19
Zur Parallelüberlieferung dieses Gebets vgl. Weimann 1980 (wie Anm. 3), S. 142.
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reiht sich an: „Aber ain ermanung“ (116r-117r). Die Reihe der zehn Klageworte Marias (117r-118v) beschließt den Abschnitt. Eine knappe Überschrift („Die klag wort die vnser fraw tett vnder dem creütz“) und eine Apostrophe an Maria („Gedenck, maria, deyner grossen clag, da du also sprachst mit senfftem hertzen“) leiten die Rufe ein, die wiederum einer Rhetorik der Antithese und Paradoxie folgen: O du fliessender prunn der ewigkait, wie bist du mir so gar versigen. O du hocher vnd weyser lerer der menschen, wie bist du mir so gar geschwigen. O du sch=ns wuniglichs ansehen, wie bist du mir so gar verplichen. O du kind meins, deine liechte agen, wie sind sy dir so trb vnd so gar t=dtlich verkert. O du edler vnd hocher reichtumb aller der welt, wie sich ich dich so in grosser armt. O du ewigs kind meines hertzen, wie bist du mir so j(merlich gemartert, vnd west ich nit für war, das du es w(rst, ich kunde dich hart erkennen. O mynniglicher glantz des ewigen liechts, wie bist du so gar erloschen. O lauter clarer spiegel der g=tlichen mayestat, wie bist du vervnraint. O vnschuldiges l(mblen, wie bist du so j(merlich gehandelt. O mein künig aller künig, tr=st mich dein arme mter, wann gantz vnd gar bin ich ellendt.
Die Pointe der Rufe besteht darin, dass sie die heilsgeschichtliche Perspektive der Passion negieren. Der Glanz des ewigen Lichts ist erloschen, die Mutter bleibt trostlos zurück. Das Gebet konzentriert sich auf die menschliche Seite des Leidens und Mitleidens. Es erzeugt einen Affekt, ohne ihn schon durch religiöse Sublimierung zu relativieren. Den Rufen folgen zwei kurze Gebete, die nicht durch Überschriften hervorgehoben sind und daher noch den Klagerufen zugeordnet werden können. Das erste setzt den Klagerufen Marias eine Reihe von Klagerufen entgegen, die der Beter an die Gottesmutter adressiert (118v-119r); das zweite ist eine Bitte um Marias Beistand, die auch als Abschluss des gesamten Compassio-Teils des Gebetbuch gelesen werden kann (119r-120r).
7. Räume des Mitleidens Der Andachtsraum der Bilder resultiert aus einer Sequenz von fünf Szenen, deren Komposition weniger von chronologischen als von meditativen Prinzipien bestimmt ist. Die Abfolge der Miniaturen erzählt keine Geschichte, sondern umkreist das Thema des Mitleidens in wechselnden Szenen, die aus einem begrenzten Repertoire an Figuren, Situationen und Requisiten abgeleitet und durch vielfache Bezüge miteinander verschränkt sind. Die Poetik der fünf Miniaturen stellt sich wie folgt dar. Genealogischer Ausgangspunkt ist die zweite Miniatur (Maria und Johannes unter dem Kreuz). Die Elemente, aus denen sich
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dieses Bild zusammensetzt, sind erstens die aus Grashügel und Himmel bestehende Landschaft, zweitens das Kreuz mit schrägem Querbalken und drittens die jeweilige Figurengruppe, die im Kern aus dem Gekreuzigten, der Gottesmutter und dem Lieblingsjünger besteht. In den Miniaturen 2 und 3 wird die Figurengruppe um je eine Marienfigur erweitert, so vergrößert sich die Schar der klagenden Frauen sukzessive (Miniatur 1: Gottesmutter Maria, Miniatur 2: plus Maria Magdalena, Miniatur 3: plus Maria Kleophae). Während die Miniaturen 2 und 3 Christus am Kreuz zeigen, schließen sich die Miniaturen 1 und 5 in der Weise zusammen, dass der Gekreuzigte im Schoß Marias bzw. eines Engels liegt; es handelt sich also um Variationen des Vesperbilds am Anfang und Ende der Sequenz. Während das Kreuz in den Miniaturen 1 bis 3 einen schrägen Querbalken aufweist, ist dieser in der letzten Miniatur horizontal ausgerichtet; auf diese Weise ist das letzte Bild als Schlusspunkt markiert. Miniatur 4 sticht aus der Sequenz heraus, da sie die schmerzensreiche Maria in den Mittelpunkt rückt und die äußere Andachtssituation spiegelt, indem der Beter selbst in die Szene eintritt. Zugleich wird diese Miniatur in die Sequenz eingebunden: durch den stilisierten landschaftlichen Hintergrund, das Motiv des Engels (vgl. Miniatur 5) und das Motiv des Schwerts (vgl. Miniatur 1). Auch die Gestaltung der gemalten Bildrahmen folgt den Kompositionsprinzipien der Variation, Kumulation, Reduktion und Symmetrie. Die Rahmen der Miniaturen 2, 3 und 5 variieren in je verschiedener Weise das Farbspiel von Rot und Grün. Die Miniaturen 1 und 4 sind in der Weise aufeinander bezogen, dass sie jeweils einen einfarbigen Rahmen aufweisen (Gold im ersten, Rot im zweiten Fall). Ferner sind die ästhetischen Korrespondenzen (Farben, Formen, Linien) festzuhalten, die oftmals Miniatur und Gebet, die jeweils auf den gegenüberliegenden Seiten des aufgeschlagenen Buchs platziert sind, miteinander verschränken. Der Andachtsraum der Gebete beruht auf dem Wechsel von Bewegung und Stillstand. Den dynamischen Effekt erzeugen die Gebete zu den sieben bzw. zwölf Schmerzen Marias, denn sie durchschreiten die Stationen der Leidensgeschichte. Den statischen Effekt erzeugen die Marienklagen, insbesondere das Stabat mater sowie die sechs bzw. zehn Klagerufe Marias, denn sie verharren bei der Szene der unter dem Kreuz stehenden Gottesmutter. Hält die äußere Bewegung der Passionshandlung inne, so tritt die innere Bewegung der Gottesmutter umso deutlicher hervor. Bei den Marienklagen ist zwischen der Gottesmutter als Subjekt und Objekt der Klage zu unterscheiden; in den Wehrufen klagt sie selbst, im Stabat mater wird sie beklagt. Während dem Stabat mater ein monologischer Charakter eignet, insofern es sich um die Rede eines Gläubigen handelt, der Maria selbst nicht zu Wort kommen lässt, eignet den Wehrufen ein dialogischer Charakter, insofern der Gläubige Maria zunächst an ihre Klagen unter dem Kreuz erinnert, um diese dann nachfolgend
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zu rezitieren, also mit Marias Worten zu sprechen. In den Gebeten zeichnen sich somit verschiedene Grade der inneren Beteiligung des Betenden am Mitleiden Marias ab: Er begleitet sie auf ihrem Weg durch das Passionsgeschehen (Schmerzensgebete), er lässt ihre Klagerufe in seiner Seele widerhallen (Wehrufe) und er stimmt selbst eine Klage über die mitleidende Gottesmutter an (Stabat mater). Wie die Bilder, so folgen auch die Gebete dem Prinzip der gezählten Frömmigkeit. Bei den Miniaturen verhält es sich so, dass zunächst immer mehr Figuren in den Bildraum eintreten, dann die Gottesmutter allein in den Fokus rückt und schließlich der Bildraum sich wieder bevölkert. Bei den Gebeten verhält es sich so, dass die Schmerzen und Klagen Marias gezählt werden: sieben bis zwölf im einen, sechs bis zehn im andern Fall. Die Bilder und Gebete erzeugen in ihrem Zusammenspiel einen imaginären Andachtsraum, den der Gläubige betritt, wie es in der vierten Miniatur dargestellt ist. Dort sieht man eine kniende Gestalt, die ihre Hände betend zur Gottesmutter erhebt. In der realen Andachtssituation hält der Beter das Mariengebetbuch in der Hand, blickt also nur durch das Medium von Text und Bild hindurch auf die mitleidende Maria. Die Miniatur hingegen schließt die empirische und die imaginäre Dimension kurz, indem sie den Beter vor Maria selbst zeigt. Ein zweiter Kurzschluss kommt hinzu, wenn das Bild die Metapher des Leidensschwerts als materiellen Gegenstand zeigt, der tatsächlich in das Herz der Gottesmutter eindringt. Die Miniatur inszeniert also den performativen Sprung vom empirischen in den imaginären Andachtsraum. Das äußere Geschehen wird in das innere geblendet und das innere in das äußere. In der Performanz des Gebets löst sich die Grenze zwischen empirischer und imaginärer Welt auf. Der Beter tritt ein in das illustrierte Buch, das er in Händen hält.
Abbildungsnachweis Abb. 1, 2, 4–7: Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek; Abb. 3: nach Fedja Anzelewsky: Albrecht Dürer. Das malerische Werk, Berlin 1971, Abb. 35.
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Abb. 1: Mariengebetbuch, 1503, Frankfurt, UB, Ms. germ. oct. 45, fol. 73v: Vesperbild mit Johannes.
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Abb. 2: Wie Abb. 1, fol. 85v: Christus am Kreuz mit Maria, Johannes und Maria Magdalena.
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Abb. 3: Albrecht Dürer, Maria vor dem Gekreuzigten aus dem Sieben-Schmerzen-MariäAltar, um 1496/98, Tafelgemälde, 63,5 x 45,5 cm, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister.
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Abb. 4: Wie Abb. 1, fol. 92v: Christus am Kreuz mit den Marien und Johannes.
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Abb. 5: Wie Abb. 1, fol. 109r: Gebet zum Mitleiden Marias.
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Abb. 6: Wie Abb. 1, fol. 101v: Mater dolorosa mit Betendem.
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Abb. 7: Wie Abb. 1, fol. 114v: Beweinung Christi.
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5. Bildräume der Imagination
Hans Aurenhammer
Schräge Blicke, innere Landschaften. Räume der Kreuzigung Christi bei Jacopo Bellini, Giovanni Bellini und Antonello da Messina
Wie man in Italien im 15. Jahrhundert gemeinhin die Kreuzigung Christi visualisierte, können zwei Zeichnungen Jacopo Bellinis aus dem in Paris aufbewahrten Band (foll. 37 und 55; Abb. 1 und 2) zeigen. Entweder dominiert der Gekreuzigte in der Mitte einer detailreich erzählten vielfigurigen Szene (in diesem Fall ohne die seitlichen Kreuze mit den beiden Schächern).1 Oder aber die Darstellung blendet eine solche ausführliche Schilderung des Passionsgeschehens aus und beschränkt sich auf den isolierten Christus am Kreuz mit Maria und Johannes.2 Die gängige Alternative war also, um die zeitgenössischen Bildtitel in dem wahrscheinlich noch aus den 1470er Jahren stammenden Inhaltsverzeichnis des Albums zu zitieren: „una istoria de pasiom [sic] senza ladri“ oder „uno ch[rist]o in croxe con do figure“.3 Von dieser ikonographischen Regel weichen jedoch einige im Zeitraum von ca. 1440–1480 in Venedig entstandene Zeichnungen und Gemälde auf singuläre Weise ab. Sie sind das Thema dieses Beitrags. Ihre Transformationen setzten bei den beiden genannten ‚normalen‘ Modi der Kreuzigung an. Einerseits wurde, vor allem durch Jacopo Bellini selbst, der Raum der Erzählung durch ungewöhnliche Formen der Perspektivierung gedreht, in die Ferne gerückt, verfremdet. Um diese ‚schrägen Blicke‘ auf den 1
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Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt, Corpus der italienischen Zeichnungen 1300– 1450, Bd. II/6: Venedig. Jacopo Bellini. Katalog, Berlin 1990, S. 357f. (gegen 1430). Jacopos Zeichnungen in Paris, Bibliothèque nationale bzw. in London, British Museum werden im Folgenden nach den in diesem Katalog verwendeten Folionummern zitiert; vgl. dort jeweils alle weiteren Angaben. – Den narrativen Modus der Kreuzigung findet man auch in Jacopos malerischem Werk, wie das 1436 datierte, nicht mehr erhaltene große Fresko in der Cappella Memmo im Dom von Verona sowie die wahrscheinlich 1459/60 für den Gattamelata-Altar im Santo von Padua gemalte Predellatafel (Venedig, Museo Correr) belegen, außerdem nicht erhaltene Leinwandbilder in der Scuola Grande di San Marco bzw. der Scuola Grande di San Giovanni Evangelista in Venedig. Vgl. dazu u. a. Colin Eisler: Jacopo Bellini. The Complete Paintings and Drawings, New York 1989, S. 517, 521–523, 525, 526. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 386 (gegen 1430). Ebd., Bd. II/6, S. 357–358 (um 1435–40); Transkription der Einträge im Index auf S. 429.
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Gekreuzigten wird es im ersten Teil gehen. Im anderen Fall blieb das kontemplative, Christus mit der klagenden Mutter und dem Lieblingsjünger isolierende Formular an sich unangetastet, wurde aber – in produktiver Auseinandersetzung mit einem modernen niederländischen Bildkonzept – in Relation gesetzt zu dem dahinter sich weitenden natürlichen Umraum. Diese ‚inneren Landschaften‘ bei Giovanni Bellini und Antonello da Messina verfolgt der zweite Teil. Vorauszuschicken ist, dass alle im folgenden untersuchten Werke ein sehr kleines, buchstäblich ‚handliches‘ Format besitzen: Jacopo Bellinis Zeichnungen messen etwa 40 × 30 cm4, auch die behandelten Bildtafeln sind meist nur etwa 40 cm hoch. Über die konkreten Formen des ursprünglichen privaten Gebrauchs dieser Werke – im Künstleratelier, bei der frommen Betrachtung – kann man nur mutmaßen. Wir müssen also von der Analyse der in den Bildern selbst manifest werdenden ästhetischen Dispositive ausgehen. Das ist an sich selbstverständlich, diese Schwierigkeit einer historischen Kontextualisierung führt aber zweifellos auch zu Fragen, die offen bleiben müssen.
Perspektivierung und Kontingenz: Zeichnungen von Jacopo Bellini Jacopo Bellinis historischer Rang ist aus dem fragmentarisch überkommenen malerischen Oeuvre nur zu erahnen und wird in erster Linie durch seine von circa 1440 bis 1460 entstandenen, in zwei Bänden in Paris (Bibliothèque Nationale) bzw. London (British Museum) gesammelten Zeichnungen bezeugt, die durch ihre inventive Freiheit und künstlerische Autonomie immer wieder aufs Neue erstaunen. Hier trifft man zwar, wie gesagt, auch auf die Normaltypen der Kreuzigung Christi. Jacopo präzisiert dabei die bekannte Bilderzählung etwa durch ungewohnte Details wie die bei Matthäus (27, 52) berichtete Auferweckung der Heiligen zur Neunten Stunde, nach Jesu Tod: „Et monumenta aperta sunt: et multa corpora sanctorum, qui dormierant, surrexerunt“. So scheut auf Blatt 38 im Pariser Band ein Pferd über einem halb geöffneten Grab, auf einem anderen Blatt (Paris, fol. 18)5 reckt sich sogar im Vordergrund ein Auferweckter empor; hier wird auch das Zerbrechen der Beine des bösen Schächers (nach Joh 19, 31) gezeigt. Aber mit solchen zusätzlichen narrativen Hinweisen allein begnügte sich Jacopo nicht. 4 5
Paris: ca. 43 × 29 cm. London: 41 × 32 cm. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 326f.
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Welche ungewohnten Blick-Räume der Passion er als Zeichner erschloss, zeigt geradezu programmatisch bereits die allererste Bildseite des Pariser Albums (fol. 7), die zwar keine Kreuzigung, aber eine Kreuzannagelung darstellt (Abb. 3).6 Mit der ihm eigenen Obsession für die neue Florentiner Perspektivkonstruktion reizt Jacopo hier deren narratives Potential aus und aktiviert die Augenzeugenschaft des Betrachters auf geradezu bestürzend radikale Weise. Der Blick wird durch die Fluchtlinien der Balken der links bereits aufgestellten Schächer-Kreuze in die Tiefe gerissen, vor allem aber durch das vom unteren Bildrand weg führende, auf den Boden gelegte Kreuz, an das die Hände und Füße Jesu gerade angenagelt werden. Der Leib des Herrn, in der drastischen Verkürzung Andrea Mantegnas berühmten Cristo in scurto (Mailand, Pinacoteca di Brera) vorwegnehmend, scheint unserem auf ihn von oben herab gerichteten Blick ähnlich hilflos ausgeliefert wie den Hammerschlägen der Henker. Über den erniedrigten Körper hinweg schauen wir auf die teilnahmslos herumstehende Menge gegenüber – teilnahmslos wie wir, also Spiegel unseres eigenen Verhaltens? Mitgefühl erkennt man nur im Raum links zwischen den schon stehenden zwei Kreuzen, nicht zufällig genau über jenem Erdhügel mit dem Cranium, über dem das Kreuz Christi bald aufgerichtet werden wird (Hacke und Schaufel liegen links vorne schon bereit7): Hier sieht man weit in der Ferne – „erant autem mulieres de longe aspicientes“, wie es bei Markus (15, 40) heißt – die Gruppe der klagenden Frauen mit Maria. Die Subjektivierung des Blicks durch die Perspektive ist bei Jacopo Bellini also nicht nur Gegenstand formalistischen Experimentierens. Sie verleiht der visuellen Vergegenwärtigung des Passionsgeschehens – bekanntlich ein zentrales Mittel der Meditationspraxis, wofür als zeitnahe Belege nur Ludovico Barbos Forma orationis et meditationis (1440/41) und der Zardino de oration fructuoso (1454) genannt seien8 – eine völlig neue Dimension: 6 7 8
Ebd., S. 302f. (um 1445–50). Vgl. auch Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 341. Bei dem quer über diese beiden Geräte gelegten Gegenstand handelt es sich wohl eher um einen zugespitzten Pflock als um eine Lanze. Vgl. dazu nur die bereits ‚klassischen‘ Anwendungen dieser Texte auf die Kunstgeschichte: Michael Baxandall: Malerei und Erfahrung im Italien der Renaissance, Berlin 1999, S. 59-61; Augusto Gentili: I giardini di contemplazione: Lorenzo Lotto, 1503–1512, Rom 1985, passim. Generell: Fritz Oskar Schupisser: Schauen mit den Augen des Herzens – Zur Methodik spätmittelalterlicher Passionsmeditationen, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hg.): Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, Tübingen 1993, S. 169-210. – Schon Victor Golubew, Die Skizzenbücher Jacopo Bellinis. 2. Das Pariser Skizzenbuch, Brüssel 1908, Nr. I, sah bezüglich der Pariser Kreuzannagelung eine Anregung durch die Erörterung in den Meditationes vitae Christi des Pseudo-Bonaventura, auf welche Weise Christus an das Kreuz genagelt worden sei; ähnlich Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 341. Vgl. Iohannis de Caulibus, Meditaciones vite Christi
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Der auf die Passion gerichtete Blick und der von diesem erschlossene Raum selbst wird reflektiert und implizit moralisiert. So zeigt Jacopo gleich auf der nächsten Seite (fol. 8) in der Geißelung (Abb. 4)9 Christus zwar traditionell in der Mitte – er kann das auch ganz anders!10 –, rückt ihn aber so weit in die Tiefe, dass die kleine Gestalt des Geschundenen erst nach längerem Hinsehen auszumachen ist. Vor allem aber suggeriert Jacopo durch im Bild selbst dargestellte Blickfiguren eine virtuelle Mehransichtigkeit der Handlung. Die in der Mitte unter dem Torbogen Christus genau gegenüber stehenden zwei kleinen Rückenfiguren vertreten sozusagen unseren eigenen zentrierten Blick, warnen aber auch vor kindlicher Unreife der Einstellung. (Guckende Kinder betrachten auch das Geschehen der Kreuzigung auf fol. 37 von einer felsigen Erhöhung aus,11 und bei der Kreuzannagelung [Abb. 3] sehen wir ebenfalls ganz rechts ein kleines Zuschauerpaar.) Der über die Brüstung des Obergeschosses ganz rechts gebeugte Gaffer wiederum sieht die Geißelung aus einer völlig anderen Perspektive. Und die uns am nächsten befindlichen Figuren vor dem Torbogen, die zwei links Herannahenden bzw. rechts der berittene Fackelträger mit Turban,12 können Christus (noch) gar nicht sehen. Solche ‘schrägen’ Blicke aber richtete Jacopo, ein im Medium der Zeichnung über Bühnenraum und Blickrichtung frei disponierender Regisseur, auch auf die Kreuzigung. Deren etabliertem Darstellungskanon folgt eine spät, wahrscheinlich erst in den 1460er Jahren entstandene Zeichnung (London, fol. 78; Abb. 5), welche die Zentrierung der Komposition durch das hypertroph in die Höhe gewachsene Kreuz Christi und das Arena-artige Halbrund der
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(Corpus Christianorum; CLIII), hg. von Mary Stalling-Taney, Turnhout 1997, Kap. LXXVIII, S. 271f. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 313–315 (um 1440). So wird die Hauptgruppe der Geißelung um 90 Grad in die Tiefe gedreht in: Paris, fol. 15 (Degenhart und Schmitt 1990 [wie Anm. 1], Bd. II/6, S. 323, um 1435–1445) sowie in London, fol. 73v-74 (ebd., S. 512). Eine vergleichende Analyse von Jacopos GeißelungZeichnungen erarbeitete Claudia Reufer: ’La mano industriosa’. Die Zeichnungsbücher des Jacopo Bellini, unpublizierte Magisterarbeit, Berlin (Freie Universität) 2010. Allerdings schauen Jacopos Kinder nur. Das unterscheidet sie von jenen verhöhnenden und Steine werfenden Kindern, die im Spätmittelalter vor allem bei der Kreuztragung (nicht bei der Kreuzigung) auftreten, als realistische Aktualisierung einer alttestamentlichen Präfiguration der Passion, der Verspottung des Elisäus durch „pueri parvi“ (4 Kg 2, 23: „ascende calve“). Vgl. James H. Marrow: Passion Iconography in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance. A Study of the Transformation of Sacred Metaphor into Descriptive Narrative (Ars Neerlandica; 1), Kortrijk 1979, S. 145–147. Wie vor ihm schon Golubew 1908 (wie Anm. 8), Nr. III, deuten Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 314, die beiden Figuren links als Petrus und Judas, „die beide Christus in derselben Nacht auf unterschiedliche Weise verrieten“, eine Identifikation, die mangels eindeutiger Attribute (v. a. bei ‚Judas‘) zwar möglich, aber nicht zwingend ist.
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Zuschauer – vorne Stehende, dahinter die Reiter – noch zusätzlich betont.13 Angesichts der Anonymität dieser in den Einzelfiguren kaum individualisierten Masse erscheint die Gruppe der um die ohnmächtige Maria im Vordergrund bemühten Frauen besonders isoliert, geradezu verloren. Ein ganz anderer Standpunkt, gleichsam am äußeren Rand des Geschehens, weitab von Christi Leiden, wird uns hingegen in einer anderen, ebenfalls aus Jacopos Spätzeit stammenden Kreuzigung (London, fol. 77) zugewiesen (Abb. 6).14 Wie Zaungäste scheinen wir uns hier noch hinter den halbkreisförmig angeordneten Reitern zu befinden, sehen seitlich von links in der Ferne die drei schräg in die Tiefe fluchtenden Kreuze. In unserer Nähe, links im Bild, würfeln die Soldaten am Boden, darüber erkennt man – ein klarer moralischer Gegensatz – weiter hinten die Frauen mit der Muttergottes. Die seltsame, bildparallel gezeigte Liegefigur vor den Würfelnden erinnert ebenso wie der Kauernde daneben – darauf hat Colin Eisler hingewiesen15 – an eine Kreuzannagelung. Wegen des schlechten Erhaltungszustands – anders als die Pariser sind die Londoner Blätter nicht mit Feder auf Pergament, sondern in Metallstift auf Papier ausgeführt und sehr verblasst – ist schwer zu entscheiden, ob es sich hier tatsächlich um den Überrest eines ersten ‚Zustandes‘ der Zeichnung handelt. Es scheint aber gut möglich, dass die anomale Schrägstellung der Kreuze zuerst noch für das weniger traditionsbelastete Thema der Kreuzannagelung entwickelt wurde, bei dem Jacopo ja schon in der Pariser Zeichnung fol. 7 (Abb. 3) die Schrägstellung von zwei Kreuzen erprobt hatte. In Jacopos Londoner Kreuzigung wird Christus zwar noch immer in der Mittelachse, gegen den Himmel silhouettiert, gezeigt. Im Gegensatz zu einer jahrhundertealten Tradition bleibt dem frommen Betrachter jedoch die frontale Ansicht des Gekreuzigten versagt, wir werden der Kontingenz unseres menschlichen Blicks gewärtig. Das Blatt mit der Kreuzigung wird zudem links auf fol. 76v durch eine Landschaftsdarstellung mit wenigen, ohne evidenten Zusammenhang mit der Passionshandlung stehenden Figuren fortgeführt und so zu einer die ganze Doppelseite übergreifenden Komposition verbunden – offen bleiben muss, ob dies von Anfang an so intendiert oder aber erst (wofür einiges spricht) das Ergebnis eines secondo pensiero war. Im Kontext dieses 13 14
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Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/5: S. 149f.; Bd. II/6, S. 327 (mittlere 1460er Jahre). Ebd., Bd. II/6, S. 514f. (mittlere 1460er Jahre). Hans Tietze und Erica Tietze-Conrat: The drawings of the Venetian painters in the 15th and 16th centuries, New York 1944, S. 105, bezweifelten wegen der Avanciertheit der Komposition die Autorschaft Jacopos und dachten an Gentile Bellini. Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 347. Victor Golubew, Die Skizzenbücher Jacopo Bellinis. Bd. 1. Das Londoner Skizzenbuch, Brüssel 1912, Nr. XCV, glaubte in den Würfelnden eine zweite „Gruppe mit der bewusstlos zusammensinkenden Maria“ zu erkennen. Degenhart und Schmitt gehen auf diese Figur nicht ein.
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Breitformats rückt die Szene der Kreuzigung, dezentriert, nun ganz an den rechten Bildrand.16 Jacopos kühne Invention antizipiert damit – bei allen Unterschieden – jene experimentellen schräg gesehenen Kreuzigungen der deutschen Malerei und Graphik im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, von Lucas Cranach d. Ä. bis zu Albrecht Altdorfer oder Wolf Huber, die Daniela Bohde in diesem Band analysiert.17 In Italien findet man analoge Lösungen erst in Pordenones Kreuzigung im Dom von Cremona (1521) bzw. in einigen wenigen Werken von Tintoretto und Veronese.18 Im italienischen Quattrocento bedeutete jedenfalls ein solcher seitlicher Blick auf das Kreuz eine absolute Ausnahme. Mir ist nur ein einziges früheres – und viel weniger spektakuläres – Beispiel eines schrägen Kreuzes in Italien bekannt. In der Kreuzigung Griggs (New York, Metropolitan Museum of Art; Abb. 7), einem in die frühen 1420er Jahre datierbaren Florentiner Gemälde, dessen Meister jetzt mit dem jungen Fra Angelico identifiziert wird19, ist das Kreuz zwar mittig positioniert, der Querbalken aber eindeutig, wenn auch etwas unbeholfen verkürzt,20 schräg gestellt. Durch diese leichte Abweichung von der Norm erscheint das herabgesenkte Haupt Christi noch stärker auf die links tief 16
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Umgekehrt erscheint die exzentrische Perspektivkonstruktion, bezogen auf die Doppelseite, gewissermaßen wiederum regularisiert, da sie nun auf einen Fluchtpunkt in der Mitte der Gesamtkomposition orientiert ist. Dass die Landschaft auf fol. 76v als eine spätere Erweiterung zu verstehen ist, nimmt Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 347 an. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 515, sind dagegen davon überzeugt, dass die querformatige Komposition von Anfang an geplant war. Vgl. v. a. auch Daniela Bohde: Schräge Blicke – exzentrische Kompositionen: Kreuzigungen und Beweinungen in der altdeutschen Malerei und Graphik, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 75 (2012), S. 193–222; sowie, speziell zu Cranachs Schleißheimer Kreuzigung: Heike Schlie: Exzentrische Kreuzigungen um 1500. Zur Erfindung eines bildlichen Affektraums, in: Johann A. Steiger und Ulrich Heinen (Hg.): Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin/New York 2010, S. 63–92. – Von den späteren deutschen Beispielen unterscheidet sich Jacopos Kreuzigung vor allem durch die Distanzierung der Szene, welche die Schaffung eines ‚Affektraums‘ mit emotionalen Identifikationsangeboten geradezu verweigert. Dies ist strukturell eher vergleichbar mit der schrägen Darstellung der Kreuzigung im Stundenbuch der Maria von Burgund (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1857, fol. 99v, um 1475), die allerdings durch die Präsentation auf einem steilen, aufsichtig gezeigten Hügel dennoch ganz anders auf die Betrachterin hin ‚geöffnet‘ ist. Vgl. Bohde, ebd., S. 200. Vgl. Bohde, ebd., S. 202. Zu Pordenone siehe Charles E. Cohen: The Art of Giovanni Antonio da Pordenone between Dialect and Language, Cambridge (Mass.) 1996, S. 198, v. a. aber den Beitrag von Jason di Resta in diesem Band. Bequest of Maitland F. Griggs, 63,8 x 48,3 cm. Vgl. AK Fra Angelico, New York (Metropolitan Museum of Art) 2005, Nr. 8, S. 52–54 (Laurence Kanter). Die überzeugende Verkürzung der beiden Kreuzarme in Schrägansicht bereitete auch Jacopo Bellini Schwierigkeiten, vgl. das linke Schächer-Kreuz in der Kreuzannagelung (Paris, fol. 7), aber auch das Kreuz im Hl. Hieronymus (Verona, Museo di Castelvecchio; dazu unten Anm. 31).
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unter ihm in ausdrucksvollem Linienfluss auf den Boden sinkende Maria (vielleicht auch auf Longinus) ausgerichtet.21 Die Lösung ist damit in nuce jenen (seltenen) schrägen Kreuzen in der transalpinen Malerei des 15. Jahrhunderts verwandt, die eine innerbildliche ‚dialogische‘ Beziehung zwischen Christus und Maria oder einem Stifter intensivieren wie z. B. in der Kreuzigung auf der Mitteltafel des Maulbronner Altars (Stuttgart, Staatsgalerie; 1432), dem Kruzifix mit Stifter aus dem Konrad Witz-Umkreis (Berlin, Gemäldegalerie; um 1440/50) oder der Kreuzigung in Dürers Sieben-Schmerzen-Mariens-Altar (Dresden, Gemäldegalerie, ca. 1495–1498).22 Jacopos schräge Kreuze fanden in Italien offenbar keine unmittelbare Nachfolge. Nur in dem merkwürdigen Werk eines unbekannten oberitalienischen Künstlers wurde seine Bilderfindung paraphrasiert, einer Grisaille in Privatbesitz (ehemals Monselice, Castello, Sammlung Conte Vittorio Cini; Abb. 8).23 Die simultane Darstellung von Geißelung und Kreuzigung wird bühnenartig durch hypertrophe spätgotische Architekturaufbauten getrennt, die an die mansiones einer mittelalterlichen Mysterienbühne erinnern.24 21
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Auch in Jacopos Kreuzigung (Paris, fol. 18) unterstreichen leichte kompositionelle Verschiebungen die Bezugnahme auf Maria unter dem Kreuz. Dieses wird zwar genau mittig gezeigt, der Fluchtpunkt ist aber leicht nach links, an die Kante des Stamms gerückt. Das Kreuz befindet sich zudem nicht vor der (durch ein Tor deutlich markierten) Mitte der bildparallelen Stadtmauer im Hintergrund, diese liegt also leicht rechts von der Mittelachse des Blattes. Zu dieser „Bildtradition der schräggestellten Kreuzigung“ siehe Sabine Heiser: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren: Wien um 1500 – Dresden um 1900, Berlin 2002, S. 99-109; Pierre Vaisse: À propos de la ‚Crucifixion‘ vue de biais, in: Jean Richter (Hg.): La gloire de Dürer. Colloque organisé par la faculté des lettres et des sciences humaines de l’Université de Nice (Actes et colloques; 13), Paris 1974, S. 117-128; Bohde 2012 (wie Anm. 17), S. 195–201. – Zur Tafel aus dem Witz-Umkreis vgl. zuletzt Stephan Kemperdicks Lektüre als ‚verlebendigende‘ Vision eines Wegkreuzes in heimatlicher Umgebung: AK Konrad Witz, Basel Kunstmuseum, Ostfildern 2011, S. 225–228. Bernard Berenson: Italian pictures of the Renaissance. A list of the principal artists and their works; with an index of places. Bd.. 1,1: Venetian school, London 1957, S. 205, Abb. 71 („between Jacopo Bellini and Antonio Vivarini”). Erwähnt auch in: Vaisse 1974 (wie Anm. 22), S. 120; Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 340. – Berenson erwähnt das Bild in der Cini-Sammlung gemeinsam mit dem monochromen Leinwandbild Anbetung der Könige, das er ebenfalls zwischen Jacopo und den Vivarini einordnet (aber, den Fotos nach zu schließen, nicht von derselben Hand zu stammen scheint). Zu der ebenfalls „rätselhaften“ Anbetung vgl. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/5, S. 349f. – In Nino Barbantini: Il Castello di Monselice, Venezia 1940, S. 85, ist in der Cini-Sammlung nur die Anbetung (Inv. 520), aber nicht das Passionsbild erwähnt. – Ungeklärt sind nicht nur die Maße, sondern auch der Bildträger des Passionsbilds, über den Berenson nicht informiert. Laut Eisler 1989 (wie Anm. 1), fig. 45, handelt es sich um „Tempera, semi-grisaille, on panel“. Das Foto lässt aber eher auf ein Leinwandbild wie die Anbetung schließen. Darauf verweist Heike Schlie: Das Mnemotop Jerusalem in der Prozession, in Brügge und im Bild: Die Turiner Passion von Hans Memling und ihre medialen Räume, in: Katja
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Gleichzeitig werden diese einzelnen Schauplätze aber durch eine asymmetrisch auf einen Fluchtpunkt ganz links orientierte Perspektive vereinheitlicht, der auch die Schrägstellung der Kreuze folgt. So sehr die ganze Darstellung dem Diktat der Perspektive unterworfen scheint, wird hier doch ähnlich wie bei Jacopo gerade die Kontingenz unseres Sehens zum Thema – man beachte nur, wie der durch Schergen hereingeführte Christus ganz links eben erst unser Blickfeld erreicht und dann weiter rechts, nahe der Bildmitte, durch eine Türöffnung gerade noch an der Geißelsäule zu erblicken ist.25 Das Bild, das mir nur in einer alten Fotografie bekannt ist, gibt in puncto Funktion, Autorschaft, Datierung, vielleicht sogar Authentizität viele Rätsel auf26. In Jacopos gesichertem malerischem Werk wird ein mit der Londoner Kreuzigung vergleichbarer ‚obliquer‘ Blick nur ein einziges Mal und dann nur auf das Artefakt eines Christus am Kreuz geworfen: Im Hl. Hieronymus (Verona, Museo del Castelvecchio) sehen wir auf geradezu schockierende Weise schräg von hinten auf die Rückseite des ganz am vordersten Bildrand aufgestellten Kruzifixes, dem die Bußübungen des meditierenden Asketen gelten.27 Eine ganz andere, aber ebenso kühn wie das Londoner Blatt die Tradition verlassende Perspektivierung des Raums der Kreuzigung wählt Jacopo in einer wohl in den 1450er Jahren entstandenen Pinselzeichnung (Paris, fol. 57;
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Gvozdeva und Hans Rudolf Velten (Hg.): Medialität der Prozession. Performanz ritueller Bewegung in Texten und Bildern der Vormoderne, Heidelberg 2011, S. 141–165, hier S. 156, Anm. 52. Christus wird links wahrscheinlich zu Pilatus gebracht, der offenbar gleich um die Ecke unter der in die Tiefe führenden Loggia sitzt (oder doch im Palast im Hintergrund der linken Raumgasse? Auf dem Foto ist das nur schwer auszumachen). Am rechten Bildrand wiederum ziehen die Reiter nach der Kreuzigung bereits wieder ab und kehren durch das Stadttor nach Jerusalem zurück (nicht in eine Kirche, wie Vaisse 1974 [wie Anm. 22], S. 121, irrtümlich identifizierte). In der Grisaille scheinen unterschiedliche Stilphasen Jacopo Bellinis rezipiert: Verweisen die schrägen Kreuze auf Vorlagen der 1460er Jahre, so zeigen die Architekturen noch keine Renaissanceformen und sind – auch in ihrem Überreichtum – am besten mit Zeichnungen vergleichbar, die Degenhart und Schmitt schon in die 1440er Jahre setzen. Zu dieser stilistisch altertümlichen Schicht passen auch der Figurenstil und die formelhaften Bäumchen, die merkwürdig zwischen Kreuzigung und Jerusalem interpoliert sind. 95 × 65 cm. Dazu zuletzt: Paola Marini, Gianni Peretti, Francesca Rossi (Hg.): Museo di Castelvecchio. Catalogo generale dei dipinti e delle miniature delle collezioni civiche veronesi. Bd. I. Dalla fine del X all’inizio del XVI secolo, Cinisello Balsamo 2010, Nr. 72, S. 115–117 (Paola Marini), Farbabb. auf S. 116. Vgl. auch Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 526; Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 328; Günter Brucher: Geschichte der venezianischen Malerei. Bd. 1. Von den Mosaiken in San Marco bis zum 15. Jahrhundert, Wien 2007, S. 316. – Durch den Kruzifixus in der vordersten Bildebene rechts und die Säule mit dem heidnischen Idol im linken Hintergrund wird auf eine für Jacopo Bellini charakteristische Weise eine semantische Opposition aufgebaut, in deren Rahmen der hl. Hieronymus gesehen werden muss.
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Abb. 9).28 Hier werden die drei Kreuze zwar wieder frontal (wenn auch nicht ganz mittig) gezeigt, der Blickwinkel ist aber so stark geweitet, dass man sie in der Ferne des Tals nur mit Mühe wahrnehmen kann: „una istoria de pasio con figure picole“, vermerkt lakonisch der Index.29 Auch diese Lösung ist im italienischen Quattrocento singulär: Unbemerkt vom Treiben der Menschen scheint das Passionsgeschehen eine bloße Episode zu bleiben. Ein ähnliches Konzept findet man erst ein Jahrhundert später wieder, in jener Gruppe flämischer Darstellungen der Kreuztragung Christi, die in Pieter Bruegels d. Ä. berühmtem Bild in Wien (Kunsthistorisches Museum) kulminiert.30
Ver-Rückungen: Carlo Crivelli und Giovanni Boccati Zwei in diesem Zusammenhang bisher kaum beachtete Werke – auch sie absolute Ausnahmen – zeigen, dass Distanzierung und exzentrische Ver-Rückung der Kreuzigung und das durch solche visuelle Strategien bewirkte Bewusstmachen unseres Blicks auf Christus um die Mitte des Quattrocento nicht nur von Jacopo Bellini gesucht wurden. So rückt Carlo Crivelli im rechten Ausblick seiner in die späten 1450er Jahre datierbaren Madonna mit Kind (Verona, Museo di Castelvecchio; Abb. 10)31 die drei Kreuze ähnlich wie in Jacopos Pariser Kreuzigung (Abb. 9) ganz klein und weit in die Ferne, allerdings befinden sie sich nicht auf einem ebenen Talboden, sondern sind auf einem ansteigenden Golgathahügel platziert, der in surreal wirkendem Maßstabssprung mit einer übergroß gezeigten Stadt Jerusalem konfrontiert wird. Crivelli rezipiert hier wohl nicht nur Jacopo Bellini, sondern auch moderne niederländische Lösungen in der Art der Kreuzigung des eyckischen New Yorker Diptychons.32 Wie 28
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Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 391f., betonen die ausschließliche Autorschaft Jacopos und nehmen eine Entstehung „um 1455“ an. Tietze und Tietze-Conrat 1944 (wie Anm. 14), S. 113, Nr. 364, dachten wegen der technischen und stilistischen Diskrepanzen zum sonstigen Pariser Band an die Autorschaft Gentiles und eine spätere Entstehung. Vgl. auch Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 347. Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 429. Zu dieser Werkgruppe u. a.: Robert Genaille: La Montée au Calvaire de Bruegel l’Ancien, in: Jaarboek. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten (1979), S. 143–196; Joseph F. Gregory: Toward the contextualization of Pieter Bruegel’s Procession to Calvary. Constructing the beholder from within the Eyckian tradition, in: Nederlands kunsthistorisch jaarboek 47 (1996), S. 206–221. 71 × 48 cm. Zuletzt (mit weiterer Lit.): Museo di Castelvecchio 2010 (wie Anm. 27), Nr. 118, S. 166, 168 (Liliana Leopardi). Zur narrativen Struktur vgl. Dagmar Eichberger: Bildkonzeption und Weltdeutung im New Yorker Diptychon des Jan van Eyck, Wiesbaden 1987, v. a. S. 67–84.
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bei Jacopo – und im Gegensatz zu Van Eyck, der im Vordergrund die Gruppe der Marien als Beispiel der compassio zeigt – ist auch bei Crivelli räumliche Entferntheit von Christus negativ semantisiert. Dies ist wohl der allgemeine Sinn der im Einzelnen schwer deutbaren und meist nicht weiter berücksichtigten Figuren vorne, die dem Geschehen im Hintergrund allesamt keine Beachtung schenken. Links sehen wir ein auf einem Pferd reitendes Kind – ein Bild der Verkehrung aller Ordnung? – und rechts unter dem hoch aufragenden abgestorbenen Baum (Gegensatz zum heilbringenden Kreuz Christi) offenbar Petrus und einen zweiten Apostel – Jünger des Herrn also, welche der Kreuzigung bekanntlich fern geblieben waren und hier im Gespräch mit einem am Boden sitzenden Soldaten33 gezeigt werden. Für diese enigmatische Szene fehlt nicht nur eine biblische Textgrundlage. Auch in Passionsmeditationen und Sacre Rappresentazioni sind zwar die dreifache Verleugnung Christi und die darauf folgende Reue Petri häufiges Thema, über das Verhalten des Apostelfürsten während der Kreuzigung selbst erfahren wir aber nichts.34 Crivellis Fernsicht der Kreuzigung erscheint, gerahmt wie ein ‚Bild im Bild‘, in einem 33
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Ronald Lightbown, Carlo Crivelli, New Haven 2004, S. 19, identifiziert diesen sogar mit dem bekehrten Hauptmann: „Two Apostles listen to the agonised confession of a Roman officer, surely the centurion confessing that Christ was truly the Son of God.” Leopardi, in: Museo di Castelvecchio 2010 (wie Anm. 27), S. 166, erwähnt nur die Buchstaben „RNE“ (oder „RNO“) auf dem Schild des Soldaten, die sie eventuell für die Initialen des Auftraggebers hält, und bezeichnet das reitende Kind als „simbolo di immaturità e inconsistenza“. – Crivellis Szene lässt an eine ähnlich rätselhafte Figur (ein Apostel?) denken, die in Jacopos Kreuzigung (Paris, fol. 37) ganz rechts Golgatha verlässt. Golubew 1908 (wie Anm. 8), Nr. XXXVI, will hier Judas erkennen, Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 348, eine „worried, apostle-like figure, probably Judas“. Zu der mit der Petrusgrotte („Gallicante“) in Jerusalem zu verbindenden Ikonographie des reuigen Petrus in der Höhle siehe: Sylvia Hahn: Die Darstellung der Verleugnung und Reue Petri. Ikonographische Studie, München 1977, S. 31–40, 107–109. Der auferstandene Christus erscheint „San Pietro nella caverna“ und verzeiht ihm dort seine Schuld in dem geistlichen Spiel La Resurrezione (Florenz, 15. Jh.). Vgl. Mario Bonfantini (Hg.): Le Sacre Rappresentazioni italiane. Raccolta di testi dal sec. XII al sec. XVI, Milano 1942, S. 377. – In dem aus Perugia stammenden Spieltext Resurrezione (Vincenzo de Bartholomaeis, Laude drammatiche e Rappresentazioni sacre, I, Firenze 1943, S. 260) klopft Petrus voll Reue nach der Auferstehung an die Türe des Hauses, in dem sich Maria und Johannes befinden, und wird von der Muttergottes aufgenommen. – Dass im 15. Jahrhundert die Reue Petri explizit mit einer auch visuellen Abwendung vom Gekreuzigten verbunden werden konnte, belegt eine Miniatur in einem Gebetbuch-Fragment der Regensburger Furtmeyr-Werkstatt (Durham, Duke University, German MS 1, fol. 15r; um 1470), die Petrus in der Höhle zeigt, dahinter die drei Kreuze in Rückenansicht. Im Bildprogramm der Handschrift findet sich diese Szene bezeichnenderweise zwischen Kreuzigung und Beweinung. Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, begonnen von Hella Frühmorgen-Voss und Norbert H. Ott, hg. von Ulrike Bodemann, Peter Schmidt und Christine Stöllinger-Löser, Bd. 5,3 (Gebetbücher, von Regina Cermann), München 2009, S. 232–238 (Nr. 43.1.54); Bohde 2012 (wie Anm. 17), S. 198, Abb. 5.
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Madonnenbild, in dem die zukünftige Passion Christi auch sonst mehrfach und überdeutlich thematisiert wird: Kleine Engel präsentieren dem Kind auf der Brüstung die Instrumente des Leidens, als letztes ganz rechts ein miniaturhaftes Kreuz, das – parallelisiert mit dem toten Baum – genau vor dem proleptischen Ausblick auf Golgatha sichtbar wird. Sehr klein (33 × 24,5 cm), aber nun wirklich ein vollständiges Bild ist hingegen eine Kreuzigung von Giovanni Boccati (Urbino, Galleria Nazionale dell’Umbria; Abb. 11),35 einem aus Camerino in den Marken gebürtigen Künstler, der mehrere solche dicht gedrängten, für den Betrachter zunächst schwer entwirrbar scheinenden Darstellungen dieses Themas schuf, allerdings immer mit traditioneller mittiger Anordnung.36 Nur hier – das Täfelchen ist nicht beschnitten! – sind die drei Kreuze zwar nicht wie bei Jacopo Bellini schräg gestellt, sie rücken aber stark nach links. Diese exzentrische räumliche Verschiebung markiert eine Verschiebung auch in der Zeit, weil so die unmittelbar auf die Kreuzigung selbst folgende Erzählsequenz veranschaulicht wird. Die trauernden Frauen und Johannes, allein geblieben, haben sich – ein ungewöhnliches Motiv – hinter das Kreuz Christi zurückgezogen. Der Vordergrund wird ganz von den prächtig geschmückten Reitern eingenommen, welche die Stätte der Hinrichtung nach rechts verlassen. Diese unter dem Unzeichen des Skorpions stehende Kavalkade biegt am Bildrand dann abrupt nach hinten um und zieht weiter zu der steil aufgetürmten Stadt Jerusalem. Es ist kein Zufall, dass der böse Schächer (auch durch die Schräge seines Kreuzbalkens) dieser Stadt visuell klar zugeordnet ist. Fast ganz in der Bildmitte platziert – also an der Stelle, wo man eigentlich Christus erwarten würde –, durch zwei Türme der Mauer und die Vorgebirge der Meeresbucht, die seine um den Querbalken geknickten Arme fortzuführen scheinen, auf bizarre Weise eingerahmt und das Gesicht dem Betrachter zugewandt, wird er für uns zu einer negativen Identifikationsfigur.37 Wir sollen entscheiden, ob wir wie er 35
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AK Il Quattrocento a Camerino. Luce e prospettiva nel cuore della Marca, hg. von Andrea De Marchi und Maria Giannatiempo López, Camerino (Convento di San Domenico), Milano 2002, Nr. 26, S. 179-181 (Mauro Minardi); AK From Filippo Lippi to Piero della Francesca. Fra Carnevale and the making of a Renaissance master, hg. von Keith Christiansen, New York (Metropolitan Museum), New Haven 2005, S. 216, Nr. 31 (Andrea de Marchi). Vgl. die Beiträge von Mauro Minardi zu Boccatis Kreuzigungen in: AK Rinascimento a Camerino. Giovanni Boccati e la prospettiva ornata, hg. von Andrea De Marchi, Fabio Marcelli u. a., Milano (Pinacoteca di Brera) 2002, Nr. 4, S. 234f., 244f. (Predella vom Altar des Oratorio della Confraternita dei Disciplinati in San Domenico; Perugia, Galleria Nazionale dell’Umbria, 1446/47); Nr. 3, S. 233f. (Venedig, Ca’ d’Oro, Galleria Giorgio Franchetti); AK Il Quattrocento a Camerino (wie Anm. 35), Nr. 24, S. 176–178 (Turin, Galleria Sabauda); Nr. 25, S. 178-179 (Esztergom, Keresztény Muzeum). Zur differenzierten Rolle des guten und des bösen Schächers für die Betrachteransprache in Kreuzigungsdarstellungen vgl.: Martin Büchsel: Das Schächerfragment des Meisters
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(oder wie die Reiter) von Christus abgewandt bleiben oder ob wir es dem reumütigen und bereits erlösten guten Schächer ganz links gleichtun wollen, zwischen dem und Christus wiederum nicht zufällig eine Kirche mit Campanile in der Waldeinöde – Antithese zur Stadt der Sünde – zu sehen ist.38
Figuren der Reflexion: Giovanni Bellinis Kreuzigung im Museo Correr Das Thema des Abzugs der Reiter vom Kalvarienberg ist bekanntlich eine auf Jan van Eyck zurückgehende (von Boccati allerdings völlig unbekümmert um die innovative Raumdarstellung paraphrasierte) Bilderfindung. Sie wird etwa in einer niederländischen Tafel (Venedig, Ca’ d’Oro, Galleria Giorgio Franchetti; Abb.12) überliefert, die sich zumindest in den 1450er Jahren, wenn nicht schon früher höchstwahrscheinlich in Padua befand.39 Vielleicht hat sie
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von Flémalle. Reue und Erkenntnis. Ein Beispiel emotionaler Selbstkontrolle, in: Tobias Frese (Hg.): Habitus. Norm und Transgression in Bild und Text. Festgabe für Lieselotte E. Saurma-Jeltsch, Berlin 2011, S. 93–118; Mitchell B. Merback: The Thief, the Cross and the Wheel – Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe, London 1999, S. 257–259 (Cranachs Schleißheimer Kreuzigung); Bohde 2012 (wie Anm. 17), S. 218f. (ebenfalls zu Cranach). Dass eine exzentrische Verschiebung des Kreuzes Christi in Italien in dieser Zeit auch auf das Dreifiguren-Formular des Kruzifixus zwischen Maria und Johannes übertragen wurde, zeigt ein Täfelchen (40 × 25 cm; nicht beschnitten) des Michele Pannonio in Privatbesitz (um 1450/55). Das Kreuz ist hier deutlich aus der Mitte nach links gerückt, näher zur klagenden Mutter, aber auch, um der rechts von ihm knienden heiligen Nonne mehr Raum zu geben. Vgl. AK Cosmè Tura e Francesco del Cossa. L’arte a Ferrara nell’età di Borso d’Este, hg. von Mauro Natale, Ferrara (Museo Civico, Galleria Civica) 2008, S. 260, Nr. 43, Farbabb. auf S. 261 (Marcello Toffanello). Diese zum expressiven Gesamtduktus des Bildes gut passende Anomalie wurde in der Literatur bisher nicht bemerkt. 46 × 31 cm. – Die Bilderfindung wird auch im Turiner Stundenbuch (Turin, Museo Civico, inv. 467/M, f. 48v) überliefert. Dass sie letztlich auf Jan van Eyck selbst zurückgeht, wird heute allgemein vertreten (eine andere Meinung hatte Otto Pächt: Van Eyck. Die Begründer der altniederländischen Malerei, München 1989 [Vorlesungen von 1965/66 und 1972], S. 207). – Zur Kreuzigung in der Ca’ d’Oro zuletzt: Maddalena Bellavitis: Le due crocifissioni posteyckiane conservate nel Veneto, in: Caterina Limentani Virdis (Hg.): Nord/sud. Presenze e ricezioni fiamminghe in Liguria, Veneto e Sardegna. Prospettive di studio e indagini tecniche, Padova 2007, S. 47-54; AK Mantegna 1431–1506, hg. von Giovanni Agosti und Dominique Thiébaut, Paris (Musée du Louvre) 2008, S. 174, Nr. 58 (Dominique Thiébaut). – Das Bild ist im 19. Jahrhundert im Besitz der Paduaner Familie Dondi dall’Orologio nachweisbar.
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Boccati, der in Padua nach 1447 dokumentiert ist, sogar dort selbst gesehen.40 Damit komme ich zu meinem zweiten Abschnitt. Denn in der Auseinandersetzung mit eben dieser eyckischen Konzeption transformierten Giovanni Bellini und Antonello da Messina die traditionelle Formel der Kreuzigung mit nur drei Figuren. Dabei wurden zwar keine Kreuze mehr verschoben oder gar schräg gestellt – im Gegenteil: die frontal-mittige Position des Kreuzes blieb unangetastet –, aber auch hier ging es darum, unseren Blick auf Christus (und das heißt unsere innere Einstellung zu ihm) zu reflektieren. Welchen Erfolg die Ca’ d’Oro-Kreuzigung in Oberitalien hatte, zeigt nicht nur eine zeitgenössische, von einem oberitalienischen Maler stammende Kopie (Padua, Musei Civici)41, sondern auch die eigenständige künstlerische Umsetzung in Andrea Mantegnas mittlerem Predellabild des Altars für San Zeno in Verona (Paris, Musée du Louvre, 1457–1459).42 Mantegna interessiert sich aber primär für die erstmals von Millard Meiss analysierte Raumdisposition – ein Hochplateau vorne, von dem aus sich der Über-Blick über eine tiefer gelegene Tallandschaft eröffnet43 – und er übersteigert diese sogleich zu einem jähen Hinab und Hinauf (Jerusalem wird so erstaunlicher Weise zu einer auf einem hohen Gipfel angesiedelten Bergstadt). Indem Mantegna aber das Plateau mit einer ‚normalen‘ vielfigurigen Kreuzigung bevölkert, gibt er das zentrale Moment der eyckischen Bilderzählung wieder auf. Gerade die ‚andachtsbildhafte‘ Isolierung der drei Figuren im Vordergrund wird nämlich in dieser bekanntlich, wie Meiss, Hans Belting, Dagmar Eichberger und Wolfgang Kemp eindringlich darlegten,44 narrativ begründet. Dargestellt ist sozusagen der Epilog der eigentlichen Handlung. Nach der Hinrichtung 40
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Die Kreuzigung in Urbino wird um 1446/47 datiert. Schon Federico Zeri: Due dipinti, la filologia e un nome. Il Maestro delle Tavole Barberini, Torino 1961 (Neuausgabe: Diario marchigiano 1948–1988, Torino 2000, S. 57–61) erkannte einen Bezug zu Van Eyck, dachte aber noch an die New Yorker Kreuzigung. Auf die Relevanz der Ca’ d’Oro-Kreuzigung verwies zuerst Millard Meiss: ‚Highlands‘ in the Lowlands: Jan van Eyck, the Master of Flémalle and the Franco-Italian Tradition (1961), in: Ders.: The Painter’s Choice. Problems in the interpretation of Renaissance art, New York 1976, S. 36–59, hier S. 49 und 57, Anm. 40. Vgl. zuletzt: AK El Renacimiento mediterráneo. Viajes de artistas e itinerarios de obras entre Italia, Francia y España en el siglo XV, hg. von Mauro Natale, Madrid (Museo ThyssenBornemisza) und Valencia (Museo de Bellas Artes), Madrid 2001, Nr. 33, S. 278–280 (Federico Cavalieri). Zuletzt: AK Mantegna 2008 (wie Anm. 39), S. 164–167, Nr. 52 (Andrea de Marchi; mit früherer Literatur). Vgl. Meiss 1976 (wie Anm. 40), S. 49f. Millard Meiss: Jan van Eyck and the Italian Renaissance (1956), in: Meiss 1976 (wie Anm. 40), S. 19–35, hier S. 29f., 49f.; Hans Belting und Dagmar Eichberger: Jan van Eyck als Erzähler, Worms 1993, S. 128-134; Wolfgang Kemp: Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996, S. 176–185.
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kehrt die Menge wieder hinab nach Jerusalem zurück. Auf Golgatha sind nur die Frauen, die ganz links am Bildrand (etwas hinter Maria) zu sehen sind, sowie eben Maria und Johannes geblieben. Im Kontrast zwischen den Klagenden im Vordergrund und der abziehenden Menge, die ihrem Erlöser am Kreuz indifferent den Rücken zuwendet, werden moralisierend zwei Weisen des Sehens gegenübergestellt: die Schaulust der Gaffer einerseits, die sich an dem „spectaculum“ der Hinrichtung, von dem Lukas (23, 48) schreibt, schon satt gesehen haben, und das fromme, das Heilsmysterium des Kreuzesopfers verinnerlichende Sehen mit den Augen des Herzens andererseits.45 Der Appell an den Betrachter des Bildes, sich zwischen diesen beiden Alternativen zu entscheiden, ist natürlich unmissverständlich. Eben diese dualistische Struktur war nun, wie ich an anderem Ort bereits ausführlicher darlegte,46 der Ausgangspunkt für die Neuinterpretation der dreifigurigen Bildformel in Giovanni Bellinis früher, in den 1460er Jahren entstandener Kreuzigung (Venedig, Museo Correr; Abb. 13).47 Diese 45
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Zur Vorstellung eines äußeren körperlichen und eines inneren spirituellen Sehens vgl. u. a.: Gudrun Schleusener-Eichholz: Das Auge im Mittelalter, München 1985, Bd. II, S. 931–1075; Schuppisser 1993 (wie Anm. 8), S. 169–210; Hans Belting: Die Erfindung des Gemäldes. Ästhetik und Weltbezug des neuen Staffeleibildes, in: Hans Belting und Christiane Kruse: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994, S. 51–71; Jeffrey E. Hamburger: Seeing and Believing. The Suspicion of Sight and the Authentication of Vision in Late Medieval Art and Devotion, in: Klaus Krüger und Alessandro Nova (Hg.): Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, S. 47–70; Thomas Lentes: Inneres Auge, äußerer Blick und heilige Schau. Ein Diskussionsbeitrag zur visuellen Praxis in Frömmigkeit und Moraldidaxe des späten Mittelalters, in: Klaus Schreiner (Hg.): Visuelle und körperliche Dimensionen mittelalterlicher Frömmigkeit. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2001, S. 179–220. Hans Aurenhammer: Reflexionen des Sehens in Gemälden Giovanni Bellinis, in: David Ganz und Stefan Neuner (Hg.), Mobile Eyes. Peripatetisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne, München 2013, S. 199-242, hier 201–210. Der folgende Abschnitt folgt teilweise diesem Aufsatz; vgl. dort auch für weitere Belege. 54,5 × 30 cm. Zuletzt: Giovanni Villa (Hg.): Giovanni Bellini, Milano 2008, S. 182– 184, Nr. 15 (Mauro Lucco; hier auch die ältere Literatur). Lucco datiert die Kreuzigung jetzt sogar um 1471, andererseits wurde die ältere Frühdatierung (Beginn der 1450er Jahre) wieder aufgegriffen in: Günter Brucher: Geschichte der venezianischen Malerei, Bd. 2: Von Giovanni Bellini zu Vittore Carpaccio, Wien/Köln 2010, S. 32–35. Meines Erachtens ist eine Entstehung in den 1460er Jahren weiterhin am plausibelsten, sowohl wegen der offensichtlichen Mantegna-Reflexe als auch wegen des klaren Abstandes zu den sicheren Werken der 1470er Jahre. – Eine Beziehung zur eyckischen Kreuzigung wurde zuerst konstatiert in Rona Goffen: Giovanni Bellini, New Haven/London 1989, S. 13. Schon Aikema betonte die Vorbildlichkeit des moralisierenden “dialektischen Schemas”. Allerdings sollten, wie im Folgenden auszuführen, die Transformationen der eyckischen Bilderfindung bei Bellini, v. a. die reflexive Wendung, stärker fokussiert werden. Vgl. AK
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These mag vielleicht verwundern, denn auf den ersten Blick scheint Bellinis Darstellung bloß jenen konventionellen Typus fortzuschreiben, den etwa die schon erwähnte Zeichnung von Giovannis Vater Jacopo Bellini (Paris, fol. 55; Abb. 2)48 zeigt, in der auch die schwebenden klagenden Engelsköpfe vergleichbar sind. Dazu tritt bei Giovanni natürlich die weite Landschaft, die wie in der eyckischen Bilderfindung den ganzen Hintergrund erfüllt, überragt von der erhöhten Gestalt Christi. Im Gegensatz zu Mantegna übernimmt Bellini von dem eyckischen Bild allerdings gar nicht das Schema der Plateau-Komposition, sondern denkt nur dessen icon und narrative überblendendes Bildkonzept weiter (die kunsthistorischen Voraussetzungen von Bellinis hochmoderner Flachlandschaft sind hier nicht zu erörtern). In der von Wegen und einem Fluss durchzogenen begrünten Ebene befinden sich nämlich einige Figuren, die uns irgendwie bekannt vorkommen. Links vom Kreuz, unbekümmert um den toten Christus, sieht man drei stehende Soldaten im Gespräch. Noch weiter weg, oberhalb der Madonna, sitzen zwei andere am Wegesrand, von uns – also vom Kruzifix – abgewandt. Auf dem zum Fluss führenden Weg und am Ufer sind rechts ein weiterer Soldat und einige Reiter zu sehen. Es scheint, als ob hier ehemalige Akteure der Kreuzigung wie zufällig verstreut wären. Sie folgen keiner zielgerichteten Handlung, ziehen sich also nicht wie bei van Eyck (Abb. 12) – und in Boccatis Kreuzigung in Urbino (Abb. 11) – in die Stadt Jerusalem zurück, die bei Bellini – ganz im Gegensatz zu ihrer bildbeherrschenden Rolle im Ca’ d’OroBild – ja gar nicht dargestellt ist. In der kaum bewohnten Gegend lässt sich nur rechts hinten eine kleine Ortschaft mit wenigen Häusern und vielleicht einer Kirche erkennen. Die hinter dem Kreuz gezeigten Menschen scheinen wie durch einen geheimnisvollen Bann an ihrem Ort festgehalten zu werden. Kann man bei der niederländischen Kreuzigung von einer kausal-narrativen Begründung der andachtsbildhaften Isolierung der Dreiergruppe sprechen, so löst Bellini in der Correr-Kreuzigung die narrative Stringenz der Darstellung also wieder auf. Diese künstlerische Strategie besitzt zweifellos Voraussetzungen in Zeichnungen von Giovannis Vater. So erweitert Jacopo eine Darstellung des Gekreuzigten mit Maria, Johannes und Maria Magdalena – ohne
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Renaissance Venice and the North. Crosscurrents in the time of Bellini, Dürer and Titian, hg. von Beverly Louise Brown und Bernard Aikema, Venezia (Palazzo Grassi), Milano 1999, S. 206, Nr. 12 (Bernard Aikema); Bernard Aikema: I Crocefissi di Giovanni Bellini. Genesi e significato di un tema pittorico nel Quattrocento, fra Nord e Sud, in: Bellini e Vicenza, Cittadella 2003, S. 39f.; Ders.: Netherlandish painting and early Renaissance Italy: artistic rapports in a historiographical perspective, in: Herman Roodenburg (Hg.): Cultural exchange in early modern Europe, Bd. 4: Forging European identities, 1400–1700, Cambridge 2007, S. 122f. Siehe oben Anm. 2.
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das übliche Personal einer Kreuzigung im Gedräng – (London, fol. 2r)49 auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 1v) durch alltägliche, offensichtlich nicht zur Hauptszene gehörende Nebenhandlungen. Allerdings werden beide Seiten durch die nach rechts fluchtende Perspektive der Stadtmauern und die hinter und über dieser hoch aufragenden Türme von Jerusalem zusammengefasst – ganz im Gegensatz zu Giovannis Gemälde dominiert die Stadt hier die gesamte Darstellung. Zumindest was die Lokalisierung der Geschichte betrifft, sind Jacopos Hintergrundsfiguren, so verstreut und unbekümmert sie auch ihren genrehaften Beschäftigungen nachgehen mögen, also doch unmissverständlich an die Historie der Kreuzigung zurück gebunden, verlieren sich nicht wie in Giovannis Gemälde in der Landschaft.50 Giovanni suspendiert also die Kohärenz der Handlungslogik. Die bipolare Struktur des eyckischen Bildes mit seinen klaren Dichotomien wird auf subtile Weise aufgebrochen und transformiert. Semantische Zuordnungen besitzen keine Eindeutigkeit mehr. Wir können nicht festlegen, ob alle Soldaten im Hintergrund Christus einfach ignorieren – oder aber ob nicht manche über das Gesehene nachzusinnen beginnen.51 Auf solche Weise offen bleibt auch die Bedeutung des rechts vom Kreuz über das Brückengeländer gebeugten, zeitgenössisch gekleideten Manns. Er blickt gelangweilt auf die Oberfläche des Flusses hinab, betrachtet vielleicht die Reflexionen der Bäume – uneigentliche, scheinhafte Bilder –, vielleicht sogar sein eigenes Spiegelbild.52 Das Kreuz nimmt er nicht wahr. Eine moralisierende Lektüre des müßigen Voyeurs drängt sich natürlich auf, als Beispiel einer Weltverfallenheit, die nur ziellos die Augen des Körpers gebraucht, unfähig, mit den Augen des 49
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Ebd., Bd. II/6, S. 443f. – Auch hier muss die Frage, ob die Doppelseiten im Londoner Band von Jacopo von Anfang an als Gesamtkompositionen konzipiert war, offen bleiben. Eisler 1989 (wie Anm. 1), S. 346f., bzw. Degenhart und Schmitt vertreten wiederum die Gegenpositionen. Im Unterschied zur ‚schrägen‘ Londoner Kreuzigung (fol. 76v-77) wirkt die Bildeinheit beider Seiten zweifellos kohärenter; dennoch könnte die rechte Seite, auf das Kreuz in der Mittelachse bezogen, durchaus für sich stehen. Wie sehr die Passionshistorie mit dem ‚Porträt‘ der Stadt Jerusalem identifiziert werden konnte, zeigt die Bezeichnung von Jacopos verlorenem Leinwandbild der Kreuztragung in der Scuola Grande di San Marco als „la instoria de Ieruxalem con Ch[rist]o e i ladroni“. Vgl. Patricia Fortini Brown: Venetian narrative painting in the age of Carpaccio, New Haven 1989, S. 269f. und Dok. 5. Dagegen beschreibt Aikema 2007 (wie Anm. 47), S. 123, die Figuren im Hintergrund als “totally immersed in their daily business”. Nach Goffen 1989 (wie Anm. 47), S. 12, wirken nur die drei Männer links vom Kreuz “more closely associated with the Crucifixion than the rest, and we are probably meant to imagine that the subject of their conversation is indeed Christ’s death.” Ich würde hier die semantische Offenheit dieser Figuren stärker betonen. Dazu ausführlicher (auch bezüglich einer möglichen Narziss-Allusion): Aurenhammer 2013 (wie Anm. 46), S. 207f.
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Herzens Christus zu erkennen. In diesem negativen Verständnis wird in einer um 1440/1450 entstandenen niederländischen Miniatur im Stundenbuch für Jean Comte de Dunois (London, British Library, Yates Thompson 3, fol. 162r) Jan van Eycks berühmter über die Zinnenmauer Blickender aus der Madonna des Kanzlers Rolin (Paris, Musée du Louvre) zitiert, um als Beispiel der neben ihm eingeschlafen auf einem Esel reitenden Todsünde der Faulheit (peresse), also der Herzensträgheit zu fungieren.53 Aber die Bedeutung von Bellinis von der Brücke Schauendem sollte nicht auf diese Weise fixiert werden. Wer weiß, was in seinem Inneren vorgeht? Wie seine Nachbarn soll der Wasser-Gucker jedenfalls unser Nachdenken über das eigene Sehen – und das heißt letztlich über unser Verhältnis zum Gekreuzigten – stimulieren. Ähnlich wie Boccatis Kreuzigung (Abb. 11), aber ohne den dortigen klaren moralischen Gegensatz der beiden Schächer setzt das Bild einen Erkenntnisprozess in Gang, der uns unsere eigene Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit reumütig vor Augen führen soll. Giovannis nicht zur eigentlichen Handlung gehörende reflexive Nebenfiguren erinnern an die Vordergrundszene in Crivellis nur wenig früher entstandenem Ausblick auf die Kreuzigung in der Madonna della Passione (Abb. 10). Aber Bellinis Bild strukturiert die Rezeption auf eine ganz andere Weise. Christus erscheint hier nicht wie bei Crivelli perspektiviert, in die Ferne gerückt, sein toter Corpus am Kreuz wird dem Betrachter wie seit jeher frontal präsentiert. Unser Blick ist aber nicht fokussiert, er schweift hin und her zwischen Christus und der pathetischen Klage von Maria und Johannes im Vordergrund und den ambivalenten Figuren des Nicht-Sehens, der Unbeteiligtheit, aber auch der beginnenden Reflexion im Hintergrund. Emblematisch für diese oszillierende Bewegung ist der hinter einer Bodenwelle sichtbar werdende rot gekleidete Mann – auch er zeitgenössisch gekleidet – am rechten Bildrand, der als einzige Figur zu uns blickt (als Kontrast erscheint zwischen ihm und dem schmerzerfüllt zum Erlöser aufschauenden Johannes die Rückenfigur eines indifferenten Soldaten). Das Haupt nachdenklich in die Hand gestützt, scheint dieser Mann unsere Selbstprüfung angesichts der Kreuzigung zu spiegeln, unsere Frage, ob auch wir, verblendet, Christus nur äußerlich sehen oder ob wir ihn mit den Augen der Seele als den Heiland erkennen. Bellini eröffnet hier also in der unter den ausgebreiteten Armen des Gekreuzigten sich weitenden Landschaft einen von der Handlungslogik 53
Vgl. Felix Thürlemann: Schauen als Faulheit. Eine gemalte Kritik an der Weltsicht Jan van Eycks, in: Christiane Kruse und Felix Thürlemann (Hg.): Porträt – Landschaft – Interieur. Jan van Eycks Rolin-Madonna im ästhetischen Kontext, Tübingen 1999, S. 187-199; Karin Gludovatz: Der Name am Rahmen, der Maler im Bild. Künstlerselbstverständnis und Produktionskommentar in den Signaturen Jan van Eycks, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte LIV (2005), S. 115–175, hier S. 170f.
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freigesetzten, nicht-narrativen Raum der Meditation, durch den die unmittelbare Konfrontation mit Christus am Kreuz reflexiv gebrochen wird. Für das Thema der Kreuzigung verfolgte Bellini dieses Konzept nicht weiter. Es sei hier nur angemerkt, dass eine ähnliche Rezeptionsstruktur – ein zwischen vorne und hinten schweifender Blick, der räumlich und auch inhaltlich entgegengesetzte Zonen in Beziehung setzt – auch Bellinis spätere, gezielt verrätselte Sacra Allegoria (Florenz, Galleria degli Uffizi) bestimmen wird.54
Landschaft als Raum der Meditation: Antonello da Messina Nicht eine Doppelung und Brechung der Blicke, sondern Vereinfachung und völlige Konzentration auf den Gegenstand der Andacht bestimmt hingegen Antonello da Messinas wahrscheinlich 1475/76 in Venedig entstandene Kreuzigung (London, National Gallery; Abb. 14). Die ganze Darstellung wird hier zu einem Raum der Meditation. Die ‚Bildzeit‘ wirkt eigentümlich gedehnt. Die stille Weite der bis zur dunstigen Ferne des Horizonts sich erstreckenden Landschaft scheint die letzten Spuren einer narrativen Handlung in sich aufgesogen zu haben. Sogar Maria und Johannes klagen nicht mehr aufrecht stehend mit pathetischen Gebärden, sondern haben sich, versunken in ihre Trauer, auf den von Totenköpfen und Gebeinen übersäten Boden der ‚Schädelstätte‘ niedergelassen. Über ihnen, vom hellen Himmel hinterfangen, hängt Christus ruhig, beinahe mitleidvoll, am Kreuz. Auch Antonellos Interpretationen der Kreuzigung gehen von der in dem Bild der Ca’ d’Oro überlieferten eyckischen Bilderfindung (Abb. 12) aus. Schon in seiner früheren, in Sizilien entstandenen Kreuzigung (Sibiu, Muzeul National Brukenthal; Abb. 15) variierte er das niederländische Vorbild auf eine besonders poetische Weise.55 In der Ebene hinter der Anhöhe mit den 54 55
Vgl. Aurenhammer 2013 (wie Anm. 50), S. 223–228. 39 × 23,5 cm. Vgl. zusammenfassend (mit weiterer Literatur): Mauro Lucco: Antonello da Messina. L’opera completa, Cinisello Balsamo 2005, Nr. 8, S. 142–144; Ders.: Antonello da Messina, Milano 2011, S. 64f., 70, 282 (Nr. 3). Wegen des Fehlens sicherer Anhaltspunkte ist die Datierung von Antonellos Frühwerken schwierig. Johann Lauts: Antonello da Messina, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. VII (1933), S. 15–88, hier 17–21, 66, vertrat eine Datierung in die 1450er Jahre. Ihm folgten noch: Joanne Wright: Antonello in formazione: un riesame della Crocifissione di Bucarest, in: Arte Veneta XLV (1993), S. 21–31; AK El Renacimiento Mediterráneo 2001 (wie Anm. 41), Nr. 60, S. 397–400 (Mauro Natale und Frédéric Elsig). – Mauro Lucco setzt das Werk dagegen in die 1460er Jahre. – Die evidenten Beziehungen zu der Ca’ d’Oro-Kreuzigung,
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drei Kreuzen – auch die beiden Schächer sind dargestellt – entfernen sich die Schaulustigen entlang eines Wasserlaufs. Dessen Biegung wird in der Landzunge vor der Stadt und in den Buchten der fernen Küstenlandschaft wiederholt. Vor allem an der markanten Sichelform des Hafens zu erkennen, wird hier die topographische Situation von Messina evoziert, mit in der Ferne den Äolischen Inseln und den Bergen Kalabriens im Norden.56 Antonellos Heimatstadt ist also an die Stelle von Eycks Jerusalem getreten. (Schon Boccati hatte ja die Kreuzigung [Abb. 11] vergegenwärtigend in ein – ansonsten mit Antonello natürlich nicht vergleichbares – italienisch-maritimes Ambiente versetzt). Auf Golgotha sind Maria, Johannes und – im Unterschied zum eyckischen Vorbild nicht an den Rand gedrängt, sondern als gleichberechtigte Protagonistinnen – die drei Frauen zurückgeblieben. Die emotionelle Vereinzelung und divergierende räumliche Orientierung lassen die innere Verlorenheit dieser Trauernden besonders anschaulich werden.57 Gegenüber diesem noch durchaus erzählerisch konzipierten Frühwerk bestimmt die beiden während Antonellos venezianischem Aufenthalt (1475/76) entstandenen Kreuzigungen in Antwerpen (Koninklijk Museum voor Schone Kunsten; Abb. 16)58 und London (Abb. 14)59 eine immer konsequenter durchgeführte Reduktion. Kleinfigurige Erzählreste – in Antwerpen die rechts unter den Bäumen und weiter hinten auf einem Weg abziehenden Schaulustigen und Reiter, in London der den drei Frauen folgende Mann mit einer offenbar für die Kreuzabnahme bestimmten Leiter – sind zwar noch vorhanden, treten aber in der Wirkung ganz zurück. Unter dem Kreuz sind nur mehr Maria und Johannes dargestellt, und im Londoner Bild fehlen schließlich auch die beiden Kreuze der Schächer – und diese fehlten wohl von Anfang an. Die bei den abgeschrägten oberen Bildecken ebenso wie bei der allzu knappen
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auf die erstmals Lauts, ebd., S. 17f., hinwies, könnten als Indiz für eine oft diskutierte erste Oberitalien-Reise Antonellos gewertet werden, doch kann die Bilderfindung natürlich auch auf andere Weise vermittelt worden sein. Zur Identifikation mit Messina vgl. u. a. Lauts, ebd., S. 17; Patrik Reuterswärd: A Plea for Antonello’s London Madonna, in: Artibus et Historiae XX/40 (1999), S. 71–76, hier S. 75, Anm. 2. Die zufällig wirkende Anordnung der Figuren wird durch eine gewisse Rechtslastigkeit der Gesamtkomposition noch verstärkt, was ein wenig an die laterale Verschiebung der Kreuze in Boccatis Kreuzigung in Urbino erinnert. Zwar befindet sich das Kreuz Christi bei Antonello in der Mitte, die Kreuze der Schächer haben zu ihm aber nicht den gleichen Abstand, der böse Schächer ist weiter entfernt und ganz an den rechten Bildrand gerückt. 52,5 × 42,5 cm. Vgl. zusammenfassend (mit weiterer Literatur) Lucco 2005 (wie Anm. 55), Nr. 32, S. 216–218; Ders. 2011 (wie Anm. 55), S. 179f, 285 (Nr. 22). Auch: Kemp 1996 (wie Anm. 44), S. 181f.; Renaissance Venice and the North 1999 (wie Anm. 47), S. 208f., Nr. 13 (Bernard Aikema). 41,9 × 25,4 cm. Lucco 2005 (wie Anm. 55), Nr. 24, S. 180–182; Lucco 2011 (wie Anm. 55), S. 142f., 284 (Nr. 15).
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Rahmung von Maria und Johannes evidente spätere Beschneidung der Tafel60 dürfte nämlich die ursprüngliche Bildkomposition dennoch nicht gravierend verändert haben. Es spricht einiges dafür, dass ein im Vergleich zu Antwerpen engerer, die Darstellung noch stärker konzentrierender Bildausschnitt wohl schon immer intendiert war.61 Auch aus diesem Grund folge ich jenen Autoren, die das Londoner Bild Antonellos für etwas später halten als die 1475 datierte Antwerpener Kreuzigung.62 Die meditative Stimmung von Antonellos Kreuzigungen wird wesentlich durch die ungewöhnliche Haltung der beiden Trauernden bestimmt. In beiden Bildern sitzt Maria mit gesenktem Blick auf dem Boden. Johannes ist in Antwerpen auf das rechte Knie gesunken, in London hat er gegenüber Maria auf einem Stein Platz genommen. Antonello aktualisiert hier die in Mittelitalien, 60 61
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Auch das Kreuz ist aus der Mittelachse leicht nach rechts gerückt. Lucco 2005 (wie Anm. 55), S. 180, betont natürlich mit Recht, dass jede Überlegung zum ursprünglichen Zustand der Londoner Kreuzigung problematisch bleiben muss. Das Bild besitzt ein kleineres Format als jenes in Antwerpen, die Figuren sind aber in etwa gleich groß. Dennoch ist meines Erachtens nicht von vornherein eine größere Kreuzigung, inklusive der beiden Schächer-Kreuze, zu rekonstruieren. Gegen eine allzu starke Beschneidung der Tafel sprechen folgende Indizien: Das Kreuz Christi ist nicht so stark erhöht wie in Antwerpen (und Sibiu), die Füße des Heilands reichen bis knapp über den Horizont. Maria und Johannes befinden sich deutlich näher zum Kreuz. Ihre räumliche Stellung ist im Gegensatz zu Antwerpen, wo der Lieblingsjünger leicht schräg gegenüber der Gottesmutter kniet (ein diagonaler Bezug, der zusätzlich durch die virtuelle Linie zwischen dem Kreuz Christi und dem Holzstumpf mit der Künstlersignatur im Vordergrund ‚durchkreuzt‘ wird), zugunsten einer bildparallelen reliefhaften Reihung zurückgenommen. Die Komposition ist also kompakter gestaltet, entsprechend der Reduktion auf die drei Hauptfiguren. Wenn sich links und rechts anschließend noch die beiden Schächer befunden hätten – was mir wenig plausibel erscheint –, so müssten diese von Maria und Johannes viel weiter entfernt als in Antwerpen sein, wo Maria unmittelbar unter dem bösen Schächer sitzt. Auf dem am unteren Rand auf einem (aus dem ehemaligen Rahmen geschnittenen?) separaten Holzstück angebrachten cartellino sind nur mehr die Ziffern „147[…]“ zu lesen. – Seit Lauts 1933 (wie Anm. 55), S. 43–45, wird das Bild meist für früher als jenes in Antwerpen gehalten; Lucco 2011 (wie Anm. 55), 142 ergänzt das Datum sogar auf „1473“. – Bernard Aikema, in: Renaissance Venice and the North 1999 (wie Anm. 47), S. 208, sieht dagegen das Londoner Bild vom Antwerpener abhängig und hält es deshalb für etwas später, jedenfalls aber noch in den beiden venezianischen Jahren Antonellos entstanden. Dieser Meinung schließe ich mich an, auch wenn ich das Bild nicht wie Aikema für „schematischer“ halte, sondern für radikaler in der Konzeption. Gerade die schon von Lauts (ebd., S. 43) beschriebenen formalen Qualitäten („Festigung und Tektonisierung des Aufbaus“, „monumental geschlossene[r] Wirkung“, „regelmäßige Gesamtform“, „straffer durchorganisierte Landschaft“) scheinen mir als Weiterentwicklung des Antwerpener Bildes besser verständlich. – Die Priorität des Antwerpener Bildes behauptet auch Ellen Markgraf: Antonello da Messina und die Niederlande, Frankfurt a.M./ Bern/New York/Paris 1990, S. 21–29.
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vor allem Siena, vom späten 13. bis in das 14. Jahrhundert verbreitete Ikonographie der Kreuzigung mit den nicht stehend, sondern in umiltà, also buchstäblich ‚erniedrigt‘ dargestellten Klagenden. Im Quattrocento finden sich dafür nur mehr wenige Beispiele, etwa bei Lorenzo Monaco und Fra Angelico oder in Lorenzo Ghibertis Kreuzigungsrelief an der Nordtür des Florentiner Baptisteriums.63 In ihrer Verinnerlichung fungieren Maria und Johannes, der zudem nicht das konventionelle antikisierende Gewand, sondern das gegürtete blaue Kleid eines Zeitgenossen trägt, als Identifikationsfiguren für den andächtigen Betrachter. Im Londoner Bild sind dabei die Hände der beiden Klagenden nicht einmal mehr im Betgestus gefaltet. Maria hat ihre Hände ganz schlicht auf ihre Knie gelegt, der zum Kreuz emporblickende Johannes die Arme neben sich ausgestreckt. Wie ein Korrelat der durch die beiden vermittelten kontemplativen Haltung wirkt die ruhig und übersichtlich in Schichten hintereinander geordnete Landschaft. Wenn hier wie schon bei Bellinis Correr-Kreuzigung (Abb. 13) von „inneren Landschaften“ gesprochen wird, so umschreibt diese Metapher eine Frage, die hier offen bleiben soll: Wie ist die inhaltliche Dimension des in der Quattrocentomalerei neu erschlossenen Landschaftshintergrunds als Raum der Kreuzigung zu verstehen, wie kann man sie historisch kontextualisieren? Kunsthistoriker lesen Giovanni Bellinis und Antonellos Hintergründe gerne – in anachronistischer Projektion? – als ‚Stimmungslandschaft‘ im Sinne der Einfühlungsästhetik des 19. Jahrhunderts, die als ein ‚Resonanzraum‘ der dargestellten Trauer fungiert.64 Gerade in der Londoner Kreuzigung (Abb. 14) macht es uns Antonello auch schwer, nicht in diese hermeneutische Falle zu 63
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In den Meditationes vitae Christi werden Maria und Johannes (allerdings auch die Drei Marien) nach dem Tod Christi und dem Abzug der Menge als sitzend beschrieben. Iohannis de Caulibus 1997 (wie Anm. 8), LXXVIII, S. 275: „Remanet mestissima mater cum illis quattuor; ponunt se ad sedendum prope crucem, contemplantur dilectum suum […].“ – Zur Bildtradition ausführlich: Silvia Colucci: L’iconografia del Crocefisso con i Dolenti in umiltà: una questione aperta, in: AK Il ‘Crocifisso con i dolenti in umiltà’ di Paolo di Giovanni Fei. Un capolavoro riscoperto, hg. von Alessandro Bagnoli, Silvia Colucci und Veronica Randon, Siena (Pinacoteca Nazionale) 2005, S. 35–48. Vgl. etwa Kemp 1996 (wie Anm. 44), S. 181, der das „Potential des Stimmungsraums“ in Antonellos Antwerpener Kreuzigung analysiert, oder Rona Goffen, die von Giovanni Bellinis Kreuzigung schreibt, die Landschaft drücke in ihrer „abstrakten Sprache“ den von Maria und Johannes empfundenen Schmerz aus (in: Attilia Dorigato [Hg.]: Carpaccio, Bellini, Tura, Antonello e altri restauri quattrocenteschi della Pinacoteca del Museo Correr, Venezia 1993, S. 38). Auf die Allegorese v. a. von Landschaftsdetails beziehen sich dagegen zwei Interpretationen von Bellinis Landschaften, die allerdings mit einem gegensätzlichen Verständnis von semantischer Offenheit argumentieren: Augusto Gentili, Bellini and Landscape, in: Peter Humfrey (Hg.): The Cambridge Companion to Giovanni Bellini, Cambridge u. a. 2004, S. 167-181; Johannes Grave: Landschaften der Meditation. Giovanni Bellinis Assoziationsräume, Freiburg 2004.
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tappen, weil eindeutige Konnotationen konsequent vermieden werden. Die topographische Aktualisierung (Messina als Jerusalem) ist ebenso zurückgenommen wie die narrative Konkretisierung. Es fehlen moralische Reflexionsfiguren wie in der Staffage von Bellinis Correr-Kreuzigung oder, zumindest andeutungsweise, in Antonellos Bild in Antwerpen (Abb. 16), wo sich unmittelbar neben dem Kreuz ein Soldat mit Lanze noch einmal zurückwendet65 (auch in der Kavalkade weiter hinten blickt ein Reiter zurück). Auch greift eine antithetische Gegenüberstellung gottlose Stadt versus asketische Einöde wie in Boccatis Kreuzigung (Abb. 11) hier kaum.66 Alles erscheint aufgehoben in dem semantisch indefinit gelassenen Bild einer Welt unter dem Kreuz, die auf den Erlöser hin geordnet ist. *** Es ist schwer zu entscheiden, ob Antonellos venezianische Kreuzigungen (Abb. 14 und 16) nicht nur auf die eyckische Bilderfindung (Abb. 12), sondern auch direkt auf Bellinis Correr-Kreuzigung (Abb. 13) reagierten. Sicher ist jedoch, dass Giovanni Bellini – wie beim Thema der Pietà und im Altarbild67 – sofort den künstlerischen Wettstreit mit Antonello da Messina aufnahm. In einem wohl 1475/1480 entstandenen, leider nicht gut erhaltenen Bild (Florenz, Collezione Corsini; Abb. 17) radikalisierte er das Konzept von Antonellos Londoner Kreuzigung (Abb. 14) noch weiter.68 Auch Maria und Johannes haben Golgotha nun verlassen. Der Betrachter ist ganz allein mit Christus am Kreuz konfrontiert. In gewissem Sinn schließt sich hier ein Kreis. In dieser letzten Transformation und Reduktion der eyckischen Kreuzigung kehrt Giovanni nämlich zu einem Bildformular zurück, das sein Vater schon 65 66
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Auch unter den gleich rechts von Johannes im Schatten der Bäume wegziehenden Figuren scheinen sich einige zu der Hinrichtungsstätte zurückzuwenden. Aikema 2003 (wie Anm. 47), S. 40f., sieht im Hintergrund der Antwerpener Kreuzigung eine inhaltliche Antithese zwischen der Stadt links als Abbild des Himmlischen Jerusalem und den verfallenen Gebäuden rechts. Allerdings sind auf der rechten Seite neben der Ruine auch eine Kirche sowie ein Bergkastell zu sehen, das genauso berechtigt in bono, als Bild der Feste Zion, gelesen werden könnte. Eine allegoretische Lektüre der Tiere und Pflanzen in: Marek Rostworowski: Trois tableaux d’Antonello da Messina, in: Jaarboek. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten (1964), S. 53–86, hier 63, Anm. 6. Vgl. zuletzt, die Literatur zusammenfassend: Oskar Bätschmann: Giovanni Bellini. Meister der venezianischen Malerei, München 2008, S. 158–164. 57 × 45 cm. Dazu zuletzt: Villa 2008 (wie Anm. 47), Nr. 22, S. 212f. – In seinem späteren Bild Christus am Kreuz (Prato, Cassa di Risparmio) greift Bellini dieses Konzept wieder auf, steigert aber die nahsichtige Konfrontation mit dem Betrachter: Der Kreuzbalken ist ganz vorne in den Boden gerammt und reicht mit dem Titulus bis an den oberen Bildrand, der Körper Christi befindet sich also vor der Ebene des Bildes, überschreitet die ästhetische Grenze zum Betrachter.
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Jahrzehnte früher verwendet hatte. Die monumentale tela Jacopos in Verona (Museo di Castelvecchio) präsentiert ausschließlich den isolierten Gekreuzigten.69 „C[hrist]o in croxe solo“ erscheint auch auf einem Blatt im Pariser Zeichnungsband (fol. 74). 70 Anders als sein Vater imaginiert Giovanni Bellini den Gekreuzigten allerdings nicht vor dem dunkelblauen Grund der Leinwand bzw. auf der neutralen hellen Oberfläche des Pergaments, sondern er öffnet hinter Christus den Blick auf eine weite, sich bis zu einer Stadt am Meer erstreckende, von Bergen gerahmte Landschaft, in deren kurvigen Abhängen sich die vom Kreuzbalken herabhängenden Arme Christi deutlich spiegeln. Die ganze Welt, könnte man sagen, ist hier zum Raum einer intimen Passionsmeditation geworden. Die in diesem Beitrag besprochenen Kreuzigungen zeigen, wie in Venedig und Oberitalien nach der Mitte des Quattrocento zwei fundamentale ‚Erfindungen‘ der Renaissancemalerei – die Subjektivierung (und gleichzeitig Rationalisierung) des Betrachterblicks sowie die Öffnung der Bildwelt auf die natürliche Umgebung – für neue räumliche Inszenierungen der zentralen Passionsszene fruchtbar gemacht wurden. Geradezu auf paradigmatische Weise offenbart diese beiden ästhetischen Dispositive die kleine Tafel eines offenbar Jacopo Bellini rezipierenden Brescianer Malers, die ganz zu Beginn dieses Zeitraums entstand und hier zum Abschluss erwähnt sei. Landschaft und Perspektive erscheinen nämlich in Vincenzo Foppas Tre Crocifissi (Bergamo, Accademia Carrara; 1456 oder 1450 datiert; Abb. 18)71 nicht nur kombiniert, sondern gleichzeitig strikt voneinander geschieden. Die exakt konstruierte Perspektive der völlig leeren proszeniumsartigen Architektur im Vordergrund, die über die mittlere Schwelle zum eigentlichen Bildraum Zutritt gewährt, thematisiert gleichsam den Blick des Betrachters. Hinter der rahmenden Säulenarkade all’antica trifft dieser unvermittelt – ohne jede narrative Einbettung, auch ohne die vorbildhafte compassio von Maria und Johannes – auf Christus und die beiden durch Heiligenschein bzw. Teufel klar als moralische Alternativen charakterisierten Schächer. 69 70 71
314 × 190,5 cm. Zuletzt (mit weiterer Lit.): Museo di Castelvecchio 2010 (wie Anm. 27), Nr. 71, S. 113–115 (Paola Marini). Degenhart und Schmitt 1990 (wie Anm. 1), Bd. II/6, S. 415 (um 1440); Transkription des Index auf S. 429. 69 × 38,8 cm. Vgl.: Maria Grazia Balzarini: Vincenzo Foppa. La formazione e l’attività giovanile, Firenze 1995, 49-55; Axel Klumpp: Vincenzo Foppa (ca. 1430–1516/16), Stuttgart 2002, Bd. 1, S. 7–15, 188f., 202–208. Bd. 2, Nr. A2, S. 436–439; Giovanni Agosti, Mauro Natale, Giovanni Romano (Hg.): AK Vincenzo Foppa. Un protagonista del Rinascimento, Brescia (Museo Civico di Santa Giulia), Milano 2002, Nr. 10, S. 75; Giovanni Romano: Foppa 1450?, in: Paragone. Arte 54 (2003), S. 135–145; Alessandra Sorci: I Tre Crocifissi di Vincenzo Foppa. La prospettiva lineare in area lombarda, in: La luce del Rinascimento. Temi, concetti, dinamiche della cultura artistica rinascimentale, Torino 2011, S. 25–54; Katinka Mariève Johanning: Landschaftsdarstellungen in der Malerei der lombardischen Renaissance, Hamburg 2011, S. 32–44.
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Ihre drei Kreuze stehen – so wie drei Jahrzehnte später Giovanni Bellinis Corsini-Kruzifixus (Abb. 17) – ganz isoliert in einer hier noch altertümlich aufsichtig gestalteten Hügellandschaft, die von der untergehenden Sonne beleuchtet wird. Gleich beim Kreuz Christi beginnt der von Golgatha zur fernen Stadt Jerusalem führende Weg, dessen narratives Potenzial jene eyckische Bildidee (Abb. 12) genützt hatte, die von Boccati über Giovanni Bellini bis Antonello da Messina auf produktive Weise aufgegriffen und transformiert werden sollte (vgl. Abb. 11, 13–16). In Foppas Bild ist auch dieser Weg menschenleer. Die an der Kreuzigung Beteiligten haben ihn offensichtlich bereits verlassen, ihm folgt jetzt nur mehr der imaginierende Blick des Betrachters.
Abbildungsnachweis Abb. 1–4, 9: Jacopo Bellini. L’Album dei disegni del Louvre, hg. von Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt, Milano 1984; Abb. 5, 6; Eisler 1989 (wie Anm. 1); Abb. 7: AK Fra Angelico 2005 (wie Anm. 19); Abb. 8: Berenson 1957 (wie Anm. 23); Abb. 10: Lightbown 2004 (wie Anm. 33); Abb. 11: AK Fra Carnevale 2005 (wie Anm. 35); Abb. 12: AK Renaissance Venice and the North 1999 (wie Anm. 47); Abb. 13, 17: Villa 2008 (wie Anm. 47); Abb. 14–16: Lucco 2005 (wie Anm. 55); Abb. 18: AK Vincenzo Foppa 2003 (wie Anm. 71).
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Abb. 1: Jacopo Bellini, Kreuzigung, 1430er Jahre, Zeichnungsband, Paris, Bibliothèque Nationale, fol. 37.
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Abb. 2: Jacopo Bellini, Christus am Kreuz mit Maria und Johannes, 1430er Jahre, Zeichnungsband, Paris, Bibliothèque Nationale, fol. 55.
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Abb. 3: Jacopo Bellini, Kreuzannagelung, 1440er Jahre, Zeichnungsband, Paris, Bibliothèque Nationale, fol. 7.
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Abb. 4: Jacopo Bellini, Geißelung, 1440er Jahre, Zeichnungsband, Paris, Bibliothèque Nationale, fol. 8.
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Abb. 5: Jacopo Bellini, Kreuzigung, 1460er Jahre, Zeichnungsband, London, British Museum, fol. 78.
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Abb. 6: Jacopo Bellini, Kreuzigung, 1460er Jahre, Zeichnungsband, London, British Museum, fol. 77.
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Abb. 7: Fra Angelico (?), Kreuzigung Griggs, frühe 1420er Jahre, New York, Metropolitan Museum of Art.
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Abb. 8: Oberitalienischer Künstler, Kreuzigung, Grisaille, 3. Viertel des 15. Jahrhunderts, ehemals Sammlung Conte Vittorio Cini.
Abb. 9: Jacopo Bellini, Kreuzigung, 1450er Jahre, Zeichnungsband, Paris, Bibliothèque Nationale, fol. 57.
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Abb. 10: Carlo Crivelli, Madonna della Passione, späte 1450er Jahre, Verona, Museo di Castelvecchio, Detail: Ausblick auf die Kreuzigung.
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Abb. 11: Giovanni Boccati, Kreuzigung, um 1446/47, Urbino, Galleria Nazionale dell’Umbria.
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Abb. 12: Nach Jan van Eyck, Kreuzigung, Venedig, Ca’ d’Oro, Galleria Giorgio Franchetti.
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Abb. 13: Giovanni Bellini, Kreuzigung, 1460er Jahre, Venedig, Museo Correr.
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Abb. 14: Antonello da Messina, Kreuzigung, 1475/76, London, National Gallery.
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Abb. 15: Antonello da Messina, Kreuzigung, 1460er Jahre (?), Sibiu, Muzeul National Brukenthal.
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Abb. 16: Antonello da Messina, Kreuzigung, 1475/76, Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten.
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Abb. 17: Giovanni Bellini, Christus am Kreuz, um 1475/80, Florenz, Collezione Corsini.
Schräge Blicke, innere Landschaften
Abb. 18: Vincenzo Foppa, Christus am Kreuz und die beiden Schächer, 1450 oder 1456, Bergamo, Accademia Carrara.
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Blickräume. Der Raum des Betrachters in Passionsdarstellungen von Schongauer, Baldung und Altdorfer
Auf dem Kalvarienberg ist der Raum knapp. Den Eindruck vermitteln viele Kreuzigungsdarstellungen des 14., 15. und auch noch des 16. Jahrhunderts. In ihnen sind so viele Schergen, Trauernde, Schaulustige, Kinder, Pferde und auch Hunde um die Kreuze gezwängt, dass sich Bezeichnungen wie ‚volkreicher Kalvarienberg‘ oder ‚Kreuzigung mit Gedräng‘ herausgebildet haben.1 Ziel der Künstler war offensichtlich, jede bekannte Episode darzustellen und keine Leerstellen in der Narration zu riskieren. Eine Ausnahme unter ihnen ist Jan van Eycks hochrechteckige Kreuzigungstafel des New Yorker Diptychons von etwa 1430 (Abb. 1).2 An ihr wird augenfällig, dass die Öffnung des Bildraums häufig mit einer Thematisierung des Schauens korreliert, denn der entleerte Raum wird durch Blickbeziehungen strukturiert. Dies sind zunächst innerbildliche Blicke, doch bestimmen sie auch die Blicke der Betrachter auf das Geschehen, wie zu zeigen sein wird. Die Gestaltung des ‚Raums der Passion‘ und die Blickbeziehungen erweisen sich als eng miteinander verbunden. Das ungewöhnlich steile Format erlaubt van Eyck, einerseits hinter den Kreuzen einen weiten Ausblick in eine Landschaft zu geben und andererseits die Gruppe um Maria und Johannes ganz nah im Vordergrund zu platzieren. Das Feld dazwischen ist stark gedehnt und wird vor allem von schauenden Figuren bevölkert, die wir von hinten sehen. Auffällig unter ihnen sind die zwei Betrachter, die wie auf einer ‚Lichtung‘ in der Mitte der Menge stehen. Einen
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Abkürzungen: L. = Max Lehrs: Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländischen und französischen Kupferstichs im XV. Jahrhundert, 1908–34 (reprint, New York 1970) Schr. = Schreiber TiB = The Illustrated Bartsch, begr. v. Adam von Bartsch, hg. v. Walter Strauss Vgl. Elisabeth Roth: Der volkreiche Kalvarienberg in Literatur und Bildkunst des Spätmittelalters, Berlin 1958. Vgl. Jacques Paviot: La Crucifixion et le Jugement dernier attribués à Jan van Eyck (Diptyque de New York), in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 73 (2010), S. 145–168 mit älterer Literatur und Dagmar Eichberger: Bildkonzeption und Weltdeutung im New Yorker Diptychon des Jan van Eyck, Wiesbaden 1987.
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von ihnen, den Turbanträger, kann die Kreuzigung nicht ganz fesseln, er schaut zur Seite, obwohl gerade Longinus seine Lanze in die Seite Christi stößt. So geht die Chance zur Bekehrung an ihm vorbei. Vorbildlichere Arten, sich auf Christus zu beziehen, finden sich im Vordergrund, wo sich Maria und Johannes vom grausamen Geschehen abgewendet haben. Das ermöglicht uns, ihre verweinten Gesichter zu sehen, die keinen Zweifel daran lassen, wie sehr sie mit Christus verbunden sind, auch wenn sie ihn nicht anschauen. Blickkontakt zu Christus stellen dagegen die Rückenfiguren links und rechts von ihnen her. Links schaut eine stehende Frau, die ganz von ihrem Kopftuch verhüllt ist, zu ihrem Erlöser auf, rechts kniet Magdalena, die gefalteten Arme weit vorgestreckt. Ihr Blick durchmisst den ganzen Raum bis zum Kreuz Christi, ja man möchte sagen, dieser Raum ist vor allem ein Blickraum. Er wird von den verschiedenen Schauenden bestimmt und gibt vor allem unsere Entfernung von Christus an, die wir auf die Tafel schauen. Deutsche Darstellungen der Kreuzigung um 1500 nehmen van Eycks Thematisierung des Schauens auf und entwickeln räumliche Strategien, um die Betrachter virtuell nach Golgatha zu versetzen. Dies scheint ein imaginäres Herumschweifen im Bild zu erlauben, doch häufig werden den Betrachtern spezifische Plätze und Blickwinkel zugewiesen. Eine Besonderheit dieser Kalvarienberge ist, dass sie – im Unterschied zu dem van Eycks – oft die Ansicht auf Christus verweigern. Diese visuelle Frustration ist der Motor der ungewöhnlichen Betrachterinvolvierung. Ausgangspunkt dieser Experimente mit dem Betrachter ist nicht allein der ‚volkreiche Kalvarienberg‘, sondern auch ein gegenteiliger Typus der Kreuzesdarstellung, der sich aus dem Kanonbild entwickelt, bei dem allein Maria und Johannes unter dem Kreuz stehen. Auch hier ist der Raum knapp. Fast immer befinden sich die Figuren in einem schmalen Raumstreifen unter dem Kreuz, das frontal und nah vor dem Betrachter aufgestellt ist. Viele Graphiken des späten 15. Jahrhunderts geben nur die Standfläche der beiden Heiligen an, ein weitergehendes Interesse am Raum scheint nur selten zu bestehen. Allein das Kreuz ist meist sorgfältig im Boden verortet, von Erdaufschüttungen oder Steine betont. Dass es aber auf Golgatha steht, wird nicht angezeigt. Diese räumliche Grunddisposition ändert sich auch nicht, wenn sich im Hintergrund eine Landschaft erstreckt, weitere Klagende oder ein ganzer Trupp Soldaten unter dem Kreuz Platz finden müssen. Auch bei Schongauers Kreuzigung aus seiner einflussreichen Passionsfolge aus der Zeit um 1475 (Abb. 2) ist dies der Fall.3 Hier entsteht eine Spannung zwischen dem tiefen 3
L. 27, 16,7 × 11,9 cm. Die zwölfteilige Passionsserie muss vor 1476 entstanden sein, etwa um 1475, vgl. zur Werkchronologie zuletzt Ulrike Heinrichs: Martin Schongauer. Maler und Kupferstecher. Kunst und Wissenschaft unter dem Primat des Sehens, Berlin 2007, S. 64–80. Eine sichere Chronologie aller Kreuzigungen Schongauers ist nicht zu erstellen,
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Landschaftshintergrund und dem flachen Vordergrund mit den eng gestaffelten Figuren unter dem Kreuz. Es ist eine so vertraute Konvention, die Trauernden dicht um das Kreuz gruppiert zu sehen, dass gar nicht auffällt, wie sehr dies die narrative Logik beeinträchtigt. Eindeutig ist der Gekreuzigte das Zentrum der Komposition, die meisten Blicke sind auf ihn gerichtet. Aber sind sie das wirklich? Konkreter gefragt: wohin schauen die Figuren? Schongauer führt Johannes als einen Blickenden vor: Fast frontal steht er vor uns seitlich vom Kreuz, die Augäpfel sind in die Augenwinkel gerollt, aber kann er von dieser Position viel von Christus sehen? Auch die auf der anderen Seite versammelten Frauen schauen mehrheitlich gebannt auf Christus, doch können sie nur merkwürdige Ausschnitte von ihm erblicken. Die kniende Maria etwa sieht die Oberschenkel. Das gleiche Problem besteht bei Magdalena, Schongauer betont, wie sehr sie sich vorwärts lehnt und traurig auf Christus schaut, doch betrachtet sie streng genommen die Schienbeine Christi. Eine solche narrativ-wörtliche Lektüre von Schongauers Kupferstich ist selbstredend inadäquat. Sie ist allerdings nicht anachronistisch. Ludolf von Sachsen rügte in seiner Vita Christi die Maler, dass sie fälschlich Maria unter dem Kreuz zeigen, die Gottesmutter hätte in Wahrheit Christus angeschaut und ihm gegenübergestanden. Ludolf, der sich sonst immer auf textliche Autoritäten berief, stand hier keine zur Verfügung, denn die Angaben der Evangelien sind mehr als spärlich. Er bezog sich stattdessen auf die Realtopographie in Jerusalem. Er wusste von einer Kapelle auf dem Kalvarienberg, die den Standort Mariens markiere und anzeige, dass Maria „contra faciem Filii sui stabat“.4 Trotz dieser Argumentation mit dem Visuellen verstand der Theologe die schwierige Aufgabe der Maler nicht, den Blickwechsel darzustellen, ohne Christus oder Maria von hinten zu zeigen. Erstaunlicherweise blieb dem großen Allegoriker verschlossen, dass hier eine symbolische Nähe und ein symbolisches inneres Blicken gezeigt werden, obwohl er dies fortwährend in seinem Text anspricht.5 Denn ein solches geistiges Schauen zeigt Schongauer
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vermutlich entstanden alle in den 1470er Jahren. Vgl. die verwandten Kreuzesdarstellungen von Schongauer Christus am Kreuz mit Maria, Johannes, Hauptmann und Longinus (L. 10), Christus am Kreuz mit Angehörigen und Soldaten (L. 13). Vgl. Ludolphus de Saxonia: Vita Jesu Christi, hg. v. L. M. Rigollot, 4 Bde., Paris und Brüssel 1878, Bd. 4, S. 111: „Et nota, quod Beata Virgo non stetit sub cruce, ad Aquilonem, ut quidam fabulantur, et sicut in picturis ponitur; sed contra faciem Filii sui stabat, ad Occidentem aliquantulum, declinans tamen ad Austrum. Monstratur enim et nunc juxta montem Calvariae quidam locus, qui a fidelibus veneratur, ubi ipsa cum aliis mulieribus juxta crucem Filii sui stetit, plorans et lamentans eum; in quo loco est una capella extra ecclesiam Sancti Sepulchri, sed conjuncta muro ejusdem ecclesiae.” Die einzige Erwähnung von Maria beim Kreuz in den Evangelien findet sich in Joh. 17,25: „Stabant autem iuxta crucem Iesu mater eius et soror matris eius, Maria Cleopae, et Maria Magdalene“. Vgl. u. a. „Et nota pro regula generali, quod ubicumque in sequentibus meditationes singulares non inveneris, sufficit tibi quod rem per Dominum Jesum dictam vel gestam,
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natürlich. Genauso ist Magdalenas Wendung zu den Füßen Christi kein Versehen, sondern eine bildliche Tradition, die in Erinnerung ruft, dass sie es war, die seine Füße ölte. Die symbolische Natur von Schongauers Blick- und Raumbeziehungen wird vor allem in zwei Stichen deutlich, bei denen nur Maria und Johannes unter dem Kreuz stehen.6 Mimik und Gestik der beiden sind hier nicht situativ auf den Gekreuzigten neben ihnen bezogen, sondern haben stark repräsentativen Charakter, Johannes etwa verweist auf das Evangelium in seinen Händen. Wie wichtig stattdessen die sakramentale Dimension ist, macht Schongauers Christus am Kreuz mit Maria und Johannes und vier Engeln (Abb. 3) deutlich.7 Zwar ist hier hinter den Figuren eine weite Landschaft gezeigt, und Knochen am Boden machen bewusst, dass das Kreuz auf Golgatha steht, doch ist die Präsenz von Maria und Johannes als eine überzeitliche zu verstehen. Die vier Christi Blut auffangenden Engel verweisen überdeutlich auf die Wiederholung der Opferung Christi in der Eucharistiefeier. Bemerkenswert ist, dass Schongauer das Blut nur bei der Seitenwunde mit zwei zarten Strichen andeutet, bei den vier anderen Wunden aber nicht darstellt. Er scheint darauf zu vertrauen, dass entweder bei der späteren Kolorierung des Stiches das Blut mit roter Farbe nachgetragen wird oder aber die Betrachter selbst in ihrer Imagination das Blut ergänzen. Doch so, wie Schongauer das Blatt gestochen hat, trifft der fokussierte Blick der Engel nicht auf das in die Kelche strömende Blut, sondern auf das Weiß des Papiers.8
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ante mentis oculos ponas“, Ludolphus 1878 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 8; „Et maxime contemplare faciem ejus, si potes eam imaginari, quod supra omne videtur difficilius, sed forte reficeret jucundius“ (ebd.); „Contempleris etiam bene Dominum et Salvatorem tuum“ (Bd. 4, S. 145). In seiner Beschreibung von Maria unter dem Kreuz lässt er physisches und mentales Schauen zusammenfallen: „Stabat Maria cum ceteris juxta crucem corpore, sed in cruce tota migraverat mente. Non avertebat oculos a Filio“ (Bd. 4, S. 110). Vgl. Schongauer Christus am Kreuz mit Maria und Johannes (L. 12), Christus am Kreuz mit Maria und Johannes sowie vier Engeln (L. 14). Vgl. im Unterschied Christus am Kreuz mit Maria und Johannes (L. 11), hier sind die beiden Angehörigen mimisch und gestisch auf den Gekreuzigten bezogen. L. 14, 28,9 × 19,4 cm. Vgl. Tilmann Falk und Thomas Hirthe: AK Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk, Staatliche Graphische Sammlung München, München 1991, S. 64–67. Diese Diskrepanz von Engeln, die das Blut Christi in Kelchen auffangen, und dem nicht gestochenen Blutstrom findet sich schon beim Meister ES (L. 31), wenngleich die Engel hier nicht zu den Kelchen schauen. Israhel van Meckenem sticht in seiner Adaption (L. 43) dagegen ganz deutlich die vier Blutströme. Vgl. dagegen kolorierte Holzschnitte des 15. Jahrhunderts, bei denen das Blut, das in die Kelche rinnt, frei vom Illuminator ergänzt wurde und nicht im Druck enthalten ist, in Richard S. Field (Hg.): German single leaf woodcuts before 1500 (anonymous artists, .736–.996–2), New York 1990, TiB, Bd. 163, Nr. 16301.942, 948–2, 949, 949–3, 949–4, 949–5, 956, 957, 957–3, 958, 959, 960, 962, 962–1. Siehe die Abb. in AK Origins of European Printmaking. Fifteenth-Century Woodcuts and Their Public, hg. v. Peter Parshall und Rainer Schoch, National Gallery
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Diese symbolischen Bezüge zwischen den Figuren finden sich auch in der stärker narrativen Kreuzigung der Passionsfolge (Abb. 2). Der Raum und die Blicke bekommen hier jedoch eine andere Valenz. Schongauer verändert vor allem die Raumsituation: Steht bei Christus am Kreuz mit Maria und Johannes sowie vier Engeln (Abb. 3) das Kreuz auf einem Felsvorsprung, von dem aus der Blick gleich weiter über die weite Landschaft gleiten kann, unterstützt vom in die Ferne gestikulierenden kleinen Reiter im Mittelgrund – wie Ulrike Heinrichs bemerkt9 –, so schließt Schongauer bei der Kreuzigung der Passionsfolge (Abb. 2) den Raum hinter den Figuren mit einer dunklen Felsformation. Diese wenden sich stärker nach innen: Johannes schaut nicht zu uns, sondern zum Kreuz, auch die Ponderation seines Körpers weist nun nicht nach außen, sondern nach innen und zusätzlich hat sein Evangelienbuch an Bedeutung verloren. Wie wichtig Schongauer bei dieser Komposition Blickbeziehungen sind, zeigt sich vor allem bei den fünf frommen Frauen. Nicht nur Magdalena und Maria schauen zu Christus, auch die Frau hinter ihnen, die wir im Profil sehen. Die links Stehende starrt dagegen aus ihren verschwollenen Augen uns an, genauso wie die geheimnisvoll Verschleierte, die nur aus Augen zu bestehen scheint; etwas anderes können wir von ihr nicht sehen.10 Das ganze Blatt kann man als eine Variation frommer Blicke verstehen, die den Betrachter anhalten, genauso zu Christus zu schauen. Der Betrachter ist bemerkenswerterweise der Einzige, der Christus ganz sieht, jedes Bisschen seines ausgestreckten Körpers. Doch scheint er auch einem anderen Raum anzugehören als die Bildfiguren. Nichts in der Komposition weist uns darauf hin, dass wir den gleichen Raum teilen, dass wir auch auf Golgatha stehen. Einige Jahrzehnte später werden sich die Verhältnisse verkehren: Christus wird weniger sichtbar, aber die Betrachter gehören dem gleichen Raum an wie die Bildfiguren. Der Betrachter teilt dann die Sichtprobleme mit ihnen. Das, was man sieht, und das, was man nicht sehen kann, gewinnt nun eine inhaltliche Bedeutung. Doch dies war nicht Schongauers Konzept: Er bezog sich weniger auf die Raumillusion und die imaginäre Präsenz des Betrachters, als auf den tatsächlichen Betrachter, der den Kupferstich in der Hand hielt und von nahem betrachtete.
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of Art, Washington/Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, New Haven/London 2005, Kat. Nr. 43 (Schr. 961). Drucke ohne vom Koloristen hinzugefügtes Blut wirken unvollständig, vgl. ebd. TiB 16301.940–1, 947, 963, 963–1. Eine kolorierte Fassung von Schongauers Blatt ist nicht bekannt, freundliche Auskunft von Lothar Schmitt, Zürich. Vgl. Heinrichs 2007 (Anm. 3), S. 340f. Schongauer rezipiert hier ältere Kreuzigungstypen, vgl. die Frauen auf der Kaufmannschen Kreuzigung in der Berliner Gemäldegalerie, die einem böhmischen oder österreichischen Künstler um 1340/50 zugeschrieben wird, vgl. Stephan Kemperdick: Deutsche und böhmische Gemälde 1230–1430, kritischer Bestandskatalog Gemäldegalerie Berlin, hg. v. den Staatlichen Museen zu Berlin, Peterberg 2010, S. 68–77.
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Die Frage, wie historische Betrachter mit dem Medium Graphik umgingen, wird seit einiger Zeit intensiv erforscht.11 Schongauers Kupferstich-Passion wurde ohne begleitenden Text publiziert, aber wahrscheinlich brachten nicht wenige Besitzer die Stiche in einen neuen Kontext, indem sie sie in ein handgeschriebenes oder gedrucktes Buch einlegten oder einklebten, sie beschrifteten oder bemalten. Einige erhaltene Stiche Schongauers weisen Beschriftungen auf, die ihre Verwendung in einem religiösen Zusammenhang belegen, andere waren in Handschriften oder Bücher eingeklebt.12 Eine der wesentlichen Funktionen von Holzschnitten war, Texte – seien sie handschriftlich oder gedruckt – zu illustrieren. Hans Baldung entwarf seinen Kalvarienberg (Abb. 4) für Ulrich Pinders Erbauungsbuch Der beschlossen Gart von 1505 und verwendete ihn zwei Jahre später in Pinders Speculum Passionis wieder, das insgesamt mit 35 großformatigen Holzschnitten von Hans Schäufelein und Hans Baldung illustriert war. Pinders eher konventioneller Text basiert auf Ludolfs Vita Christi, wie Birgit Ulrike Münch gezeigt hat.13 Auch Baldungs Kalvarienberg beruht auf älteren Traditionen, doch entwickelt er eine neue Art, den Raum zu konstruieren und den Betrachter zu involvieren. Wie bei Schongauer und van Eyck ist seine Kreuzigungsdarstellung durch Blicke bestimmt. Auf diesem Kalvarienberg schaut jeder zu Christus auf, um zu sehen, wie der blinde Longinus mit der Unterstützung eines Helfers die Seite Christi durchbohrt. Die räumliche Organisation der Zuschauer ist ungewöhnlich, denn diese befinden sich hinter den Kreuzen und bilden so eine Art Halbkreis. Dadurch entsteht ein weiter Vordergrundsraum, der von den würfelnden Soldaten bevölkert wird und von Maria Magdalena, 11
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David Landau und Peter Parshall: The Renaissance Print 1470–1550, New Haven/London 1994; Peter Schmidt: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern. Zum Gebrauch von Druckgraphik im 15. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003; Ursula Weekes: Early Engravers and their Public. The Master of the Berlin Passion and Manuscripts from Convents in the Rhine-Maas Region, ca. 1450–1500, Turnhout 2004; Parshall/Schoch 2005 (wie Anm. 8); Peter Parshall (Hg.): The Woodcut in Fifteenth-Century Europe (National Gallery of Art, Washington DC: Studies in the History of Art 75, Center for Advanced Study in the Visual Arts, Symposium Papers; 52), Hew Haven/London 2009; David S. Areford: The Viewer and the Printed Image in Late Medieval Europe, Farnham 2010. Vgl. Schongauers Segnenden Jesus (L. 32) in Würzburg, dem ein Spruchband mit Segenstext zugefügt wurde, oder die Hl. Agnes (L. 67) in München, die Reste einer Beschriftung trägt. In Texte eingeklebt waren die Münchner Madonna mit dem Papagei (L. 37) sowie das Berliner Exemplar des Marientodes (L. 16) in der Bibel von Hans Plock. Vgl. Lothar Schmitt: Martin Schongauer und seine Kupferstiche. Materialien und Anregungen zur Erforschung früher Druckgraphik, Weimar 2004, S. 69–82. Vgl. Birgit Ulrike Münch: Cum figuris magistralibus – Das Speculum passionis des Ulrich Pinder (Nürnberg 1507) im Rahmen der spätmittelalterlichen Erbauungsliteratur. Ein Passionstraktat mit Holzschnitten der Dürer-Werkstatt, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 92 (2005), S. 1–91.
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die vor dem Kreuz kniet. Ein erstaunlicher Verstoß gegen die Konvention ist die Platzierung von Maria und Johannes hinter dem Kreuz Christi. Der Betrachter schaut auf all das von einer unbestimmten erhöhten Position.14 Doch kann man sich gleichzeitig auch als Teil der innerbildlichen Zuschauer verstehen, da die Rückenfigur am linken Bildrand uns mit ihnen verbindet. Wir alle schauen zu Christus – allein die Soldaten sind auf die Würfel konzentriert. Und noch eine weitere Figur blickt nicht zu Christus, sondern zu uns: der böse Schächer, der so irritierend entspannt an seinem Kreuz hängt. Warum schaut er zu uns? Was verbindet uns mit ihm? Sind wir etwa Teil der Gruppe, die sich von Christus abwendet? Je länger wir zu ihm zurückschauen, umso mehr trifft das zu. Sein Blick verortet uns auf der Schwelle zwischen Betrachterraum und Bildraum. Der Blickwechsel mit dem bösen Schächer macht bewusst, dass wir nur durch Blicke mit dem Bildgeschehen verbunden sind. Trotz der neuen Zugänglichkeit des Bildraumes können wir von unserer erhöhten Position nicht einfach in das Bild eintreten. Wie sehr die Illusion der Betretbarkeit von der Blickhöhe abhängt, zeigt ein Vergleich mit Dürers Kreuzigung (Abb. 5) aus der Kleinen Passion. Dürers kleiner Holzschnitt baut auf der Arbeit seines Mitarbeiters auf, vereinfacht und klärt die Komposition. Auch hier stehen die Zeugen der Kreuzigung in einem Halbrund um das Kreuz. Durch die Wahl des Ausschnittes und des Augenpunktes wird den Betrachtern des Blattes suggeriert, dass sie auf der gleichen Höhe wie die Bildfiguren stehen und mit ihnen einen Raum teilen. Die meisten Figuren haben sich in kleinen Gruppen zusammengetan, nur Magdalena am Fuß des Kreuzes und Johannes hinter dem Kreuz sind isoliert. Johannes ist auch der einzige, der zum Kreuz aufschaut.15 Er bietet sich damit als ein Spiegel des Betrachters an. Gewinnt man als Betrachter bei Dürer sicheren Boden, verliert man ihn bei Baldungs Christus am Kreuz (Abb. 6) von etwa 1511/12. Bei dem großformatigen Einblatt-Holzschnitt in Helldunkel-Technik ist die Position des Betrachters mehr als rätselhaft, ebenso die Verteilung aller Figuren im Raum. Maria und Johannes stehen seitlich vom schräg stehenden Kreuz, das so in Richtung des Betrachters gedreht ist, dass dieser Christus fast ganz sehen kann. Magdalena hingegen kniet nun hinter dem Kreuz. Wir sehen alle 14
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Der Blick von oben auf das Geschehen in Golgatha war in der Dürer-Werkstatt beliebt, vgl. den großen Florentiner Kalvarienberg von ca. 1504 oder die Basler Helldunkelzeichnung des Kalvarienberges aus dem Kontext des Ober St. Veiter Altares, vgl. Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, 4 Bde. Potsdam 1936–1939, Bd. 2, Nr. 317 u. 319. Vgl. auch Dürers Kupferstich-Kreuzigung von 1508, hier schauen gleich drei Figuren hoch zum Kreuz. Den flehentlichen Blick von Johannes betont Dürer noch durch dessen verzweifelt hochgereckte Arme. Dürer hat sich auf diese Weise weit von den Lösungen Schongauers entfernt.
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Figuren aus einer geringen Distanz, scheinen also nahe bei ihnen im gleichen Raum zu sein, darauf weist auch der an die Bildgrenze reichende Querbalken hin. Doch ist uns der den Raum definierende Boden unter den Füßen weggezogen. Wir sehen den Fuß des Kreuzes nicht. Dabei ist unser Blickpunkt ungewöhnlich hoch, so dass wir vor Christus zu schweben scheinen. Er blickt uns an. Und das ist unheimlich, denn er ist klar als Toter dargestellt. Er scheint uns kritisch zu beäugen, nicht unähnlich, wie der böse Schächer es tat. Wieder sind wir herausgefordert, über unsere eigene Position nachzudenken. Was ist die angemessene Reaktion? Das Bild gibt einige Hinweise. Maria sinkt in ihrer Trauer zusammen, Johannes stützt sie und schaut voll Trauer zu Christus auf, Magdalena weint. Schon wegen ihrer Position hinter dem Kreuz kann sie Christus nicht sehen. Durch das Tuch, das sie sich vor die Augen hält, betont Baldung ihr Nicht-Sehen noch. Ihre Position hinter dem Kreuz ist natürlich keine Erfindung von Baldung, bereits bei Schongauer (Abb. 2) war sie hier platziert.16 Doch wenn Schongauer sie als Sehende darstellte, wenngleich sie nur einen Teil der Unterschenkel wahrnehmen kann, inszeniert Baldung ihr Nicht-Sehen. Waren bei Schongauer die Blickbeziehungen symbolisch, sind sie nun, trotz des gleichen Bildtypus, narrativ. Selbstverständlich kann keine harte Grenze zwischen symbolischen und narrativen Kreuzigungsdarstellungen gezogen werden. Symbolik und Narration durchdringen sich beim Kreuzigungsmotiv paradigmatisch und gerade Magdalena ist häufig eine Agentin der Narration. Gleichwohl gewinnen die Blicke und Räume hier eine neue narrative Valenz. Wie ernst Baldung die Frage des Sehens ist, zeigt seine Washingtoner Beweinung (Abb. 7), eine großformatige Helldunkel-Zeichnung aus der Zeit um 1515, deren Lesbarkeit durch einen Firnis schwer beeinträchtigt ist. In der pyramidal aufgebauten Komposition wird Christus von Johannes und Maria den Betrachterinnen und Betrachtern dargeboten, während Magdalena mit klagend erhobenen Armen hinter ihm steht. Johannes stützt mit seiner rechten Hand Christus‘ Brust. Wie ein Echo darauf legt Maria ihre Hand auf ihr Herz. Aus dem tatkräftigen Stützen wird so ein nach innen gerichtetes Fühlen. Diese Tendenz zur Verinnerlichung beherrscht das ganze Blatt. Wieder löst Baldung sich vom Schongauerschen Modell. Die drei Trauernden werden nicht als Blickende gezeigt, von denen man versteht, dass sie auf Christus schauen, auch wenn sie ihn aus ihrer Position nicht sehen können. Stattdessen haben alle drei 16
Vgl. außerdem eine kölnische Darstellung von Christus am Kreuz mit Maria, Johannes und Magdalena, die dem Meister des Marienlebens zugeschrieben wird und kurz vor Schongauers Passion entstanden sein dürfte (ca. 1465–70, Eichenholz, 86,4 × 72,9 cm, aus zwei Flügeln zusammengesetzt, Köln, Wallraf- Richartz-Museum), vgl. Frank Günther Zehnder: Katalog der Altkölner Malerei (Kataloge des Wallraf-RichartzMuseums; XI), Köln 1990, Nr. 125, S. 467–471.
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ihre Augen geschlossen, Maria und Johannes wenden ihren Kopf zur Betonung sogar noch nach außen. Im Unterschied zum Betrachter schauen die drei Trauernden Christus also nicht mehr mit ihren physischen Augen an, sondern finden ihn – so scheint es – in ihrem Inneren. Magdalena ist der Konvention entsprechend die extrovertierteste Figur.17 Ebenfalls typisch ist die deutlich zeitgenössische Kleidung. Als die reumütige Sünderin per exellence stellt sie häufig eine besonders nahe Verbindung zum Betrachter her, der sich gleichfalls als Sünder verstehen muss. Eher ungewöhnlich ist, dass Magdalena nicht demütig am Boden kauert, sondern alle überragt. Dass es Möglichkeiten gibt, ihre Extrovertiertheit mit einer niedrigen Position zu kombinieren, zeigte Baldung in der Innsbrucker Beweinung von 1513, einer Altartafel, deren ursprünglicher Zusammenhang nicht geklärt ist: Hier hat sie sich auf den Bauch geworfen, um Christi Füße mit ihren Tränen zu benetzen und zu liebkosen.18 Im Vergleich wirken Dürers Magdalenen maßvoll, doch sie sind mehr als eine Anregung für den drastischeren Baldung. In der Kreuzigung und Beweinung der Kleinen Passion platziert er jeweils Magdalena ganz unten zu Füßen des Herrn. Während bei der Kreuzigung (Abb. 5) alle anderen Figuren stehen, kriecht sie fast, um die Füße des Gekreuzigten zu küssen. Sogar ihre Haare schleifen auf dem Boden. Die Magdalena in der Beweinung (Abb. 8) kniet unterhalb von Christus, eine Stufe tiefer als die übrigen Figuren. Sie scheint die Füße Christi zu salben, das Gefäß steht ja direkt neben ihr. Doch wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass sie nichts dergleichen tut. Sie hat die Hände gefaltet und starrt auf die Wundmale vor ihr oder eher in sie hinein. Vielleicht ist ihr das Stigma am Fuß ein Eingang zu Christus, so wie die Seitenwunde für viele Mystiker eine Öffnung zum Herzen Christi war.19 Auf 17
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Wegen ihrer Äußerlichkeit, dass sie Christus mit den Sinnen finden will und ihn deshalb in der Begegnung im Garten verkennt, war Magdalena Kritik ausgesetzt, vgl. Urban Küsters: Maria Magdalena und die Legitimität der Trauer – Zu den mittelhochdeutschen Magdalenenklagen, in: Claudia Brinker u. a. (Hg.): Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität, Berlin 1995, S. 175–215. Zur Innsbrucker Beweinung vgl. Gert von der Osten: Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente, Berlin 1983, S. 88–91. Vgl. den starren Blick der Magdalena auf das Fußstigma im Epitaph der Adelheid Tucher, Nürnberg, um 1483 (Abb. 8 im Beitrag von Johann Schulz in diesem Band). Die Literatur zur Seitenwunde Christi ist umfangreich, vgl. zuletzt: Caroline Walker Bynum: Violence occluded. The wound in Christ’s Side in Late Medieval Devotion, in: Belle S. Tuten und Tracey L. Billado (Hg.): Feud, Violence and Practice. Essays in Medieval Studies in Honor of Stephen D. White, Farnhem 2010, S. 95–116; Silke Tammen: Blick und Wunde – Blick und Form. Zur Deutungsproblematik der Seitenwunde Christi in der spätmittelalterlichen Buchmalerei, in: Kristin Marek u. a. (Hg.): Bild und Körper im Mittelalter, München 2006, S. 85–114; David S. Areford: The Passion Measured. A Late-Medieval Diagram of the Body of Christ, in: A. A. MacDonald u. a. (Hg.): The Broken Body. Passion Devotion in
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beiden Blättern wie auch in allen übrigen Graphiken und Gemälden arbeitete Dürer die Wundmale heraus. Damit entsprach er der zeitgenössischen Verehrung der fünf Wundmale, die in Nürnberg durch die jährliche Heiltumsweisung der Heiligen Lanze und des Nagels sowie der übrigen Reichskleinodien einen besonderen Anlass hatte. Auf der mit der Heiltumsschau verbundenen 24–tägigen Handelsmesse wurden nicht nur Speer-Bildchen mit dem durchstoßenen Herzen Jesu verkauft, auch Dürer bot seine Drucke an, wie ein Brief von ihm dokumentiert.20 Mit seiner Magdalena hatte Dürer einen wirklichen Hingucker geschaffen, vermutlich auch für zeitgenössische Künstler. Albrecht Altdorfer dürfte bei seiner Florentiner Beweinung von 1513 (Abb. 9), einer Helldunkel-Zeichnung auf braunem Grund, von Magdalenas Perspektive auf die Füße Christi angeregt worden sein.21 Seine Kenntnis von Dürers Holzschnitt ist vorauszusetzen, denn
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Late-Medieval Culture, Groningen 1998, S. 211–238; Hamburger: Nuns as Artists, 1997, S. 101–136; Flora Lewis: The wound in Christ‘s side and the instruments of Passion – gendered experience and response, in: Lesley Smith (Hg.): Women and the book. Assessing the visual evidence, London 1996, S. 204–229; Sarah Beckwith: Christ’s Body: Identity, Culture, and Society in Late Medieval Writings, London and New York 1993, S. 55–63. Karl IV. erreichte 1354 von Papst Innozenz VI. die Einrichtung eines eigenen Festes zu Ehren der Hl. Lanze und des Nagels, das hauptsächlich in Prag gefeiert wurde. Nach der Übertragung der Reichskleinodien nach Nürnberg 1423 wurde die Reichsstadt zum Zentrum des Lanzenkultes. Vgl. Julia Schnelbögl: Die Reichskleinodien in Nürnberg 1424–1523, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 51 (1962), S. 78–160; Franz Machilek: Die Heiltumsweisung, in: Nürnberger. Kaiser und Reich, Ausstellung des Staastarchivs Nürnberg, Neustadt a. d. Aisch 1986, S. 57–70; Franz Machilek u. a.: O felix lancea – Beiträge zum Fest der heiligen Lanze und der Nägel, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken 92 (1984/85), S. 43–107. Während der Heiltumsschau wurden die fünf Seitenwunden auch durch einen Ablass für den Besuch von fünf Stadtkirchen geehrt, vgl. Franz Machilek: Die Nürnberger Heiltumsweisungen, in: Klaus Arnold (Hg.): Wallfahrten in Nürnberg um 1500, Akten des interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. September im Caritas Pirckheimer-Haus in Nürnberg (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung; 17), Wiesbaden 2002, S. 9–52, hier S. 32. Zu den Speerbildern vgl. David S. Areford: The Sacred Heart on a Cloth Held by an Angel, in: Parshall/Schoch 2005 (wie Anm. 8), S. 261f. mit weiterer Literatur. Dürer ließ seine Mutter Graphik auf der Heiltumsmesse verkaufen, vermutlich war auch seine Frau involviert, vgl. den Brief an Willibald Pirckheimer vom 2. April 1506 aus Venedig, in Hans Rupprich (Hg.): Dürer. Schriftlicher Nachlass, Bd. 1 Autobiographische Schriften, Briefwechsel, Dichtungen, Beischriften, Notizen und Gutachten, Zeugnisse zum persönlichen Leben, Berlin 1956, S. 49. Vgl. Franz Winzinger: Albrecht Altdorfer – Zeichnungen, München 1952, S. 79; AK Albrecht Altdorfer. Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik, hg. v. Hans Mielke, Berlin, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz/Regensburg, Museen der Stadt Regensburg, Berlin 1988, Nr. 75, S. 159; Daniela Bohde: Schräge Blicke – exzentrische Kompositionen: Kreuzigungen und Beweinungen in der altdeutschen Malerei und Graphik, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 75,2 (2012), S. 193–222, hier
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der Regensburger Künstler war, wie wir durch sein Nachlassinventar wissen, ein Druckgraphiksammler.22 Auf eine Auseinandersetzung mit dieser Beweinung Dürers weist das Plateau hin, auf dem Christus sitzt, von dem hinter ihm stehenden Johannes gehalten. Maria sitzt neben ihrem toten Sohn auf dem Boden und fasst seinen Arm. Rechts hinter ihnen stehen zwei Figuren, möglicherweise Joseph von Arimathäa und eine unidentifizierbare Frau. Für eine Magdalena wäre sie sehr untypisch. Das hieße also, Magdalena fehlt. Oder: sie fehlt nicht, sie ist nur nicht dargestellt. Könnte es so sein, dass wir mit Magdalena auf Christus schauen? Altdorfer wäre eine solche unsichtbare, mitgedachte Magdalena zuzutrauen. Bei seinem Berliner Pyramus, einer Helldunkelzeichnung von circa 1510, hat er Ähnliches versucht, wenn man einem Gedankengang von Christopher Wood folgt. Bei der Berliner Komposition liegt allein Pyramus tot auf dem Boden, die ihn normalerweise auffindende Thisbe fehlt, so dass nun anstelle von ihr der Betrachter den toten Jüngling findet.23 Wenn sich auch eine solche narrative Integration des Betrachters nicht beweisen lässt, kann man die besondere Perspektive auf die Füße Christi, zu der einen Altdorfer in der Beweinung nötigt, getrost eine Magdalenenperspektive nennen. Eine solche Überlagerung der Perspektive Magdalenas und der des Betrachters hat Altdorfer an anderer Stelle expliziert. In der Kreuzigung des
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S. 203f. Eine alternative Genese von Altdorfers Blatt entwickelt Stavros Vlachos: Deformation und Verfremdung. Eine Stiltendenz in der deutschen Kunst um 1500, Kiel 2012, S. 184–186. Er geht davon aus, dass die verschollene Bremer Beweinung Dürers von 1512 oder 1513 (schwarze und braune Kohle, 41,4 × 39,2 cm) die Anregung für Altdorfer war. Unbestreitbar weist Vlachos auf bemerkenswerte Ähnlichkeiten hin, so die verkürzte Darstellung Christi mit dem zurückfallenden Kopf und den vorgestreckten Füßen, doch ist die Komposition im Ganzen recht unterschiedlich. Ein Problem ist vor allem, wie Dürers Werkzeichnung Altdorfer erreicht haben soll. Wie Vlachos sagt, ist auch ein umgekehrter Anregungsprozess möglich. Wahrscheinlich erscheint mir, dass beide Künstler unabhängig von einander auf der Basis von Kupferstichpassion und Kleiner Passion die frontale Position Christi entwickelten. Signifikant ist, dass Dürer nie aus seinen Zeichnungen mit verzerrten Christusdarstellungen öffentliche Werke entwickelte, vgl. Bohde, 2012 (wie Anm. 21), S. 211. Vgl. Walter Boll: Albrecht Altdorfers Nachlass, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 1938/39, S. 91–102, hier S. 94 und 98: „Item 2 truhel darInn truckte kunst“. Feder in Schwarz auf dunkelblau grundiertem Papier, weiß gehöht, 21,3 × 15,6 cm, Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett. Vgl. Christopher S. Wood: Albrecht Altdorfer and the Origins of Landscape, London 1993, S. 81 und Daniela Bohde: Drawing as an Expression of the Artist? Reflections on the Status and Function of Sixteenth-Century German Drawings, in: G. Ulrich Großmann und Petra Krutisch (Hg.), Almuth Klein (Redaktion): The challenge of the object: 33rd congress of the International Committee of the History of Art, Nuremberg, 15th - 20th July 2012 = Die Herausforderung des Objekts: 33. Internationaler Kunsthistoriker-Kongress/ CIHA 2012, Nürnberg. Germanisches Nationalmuseum (Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Bd. 32), 4 Bde., Bd. 3, S. 1041–1045. Nürnberg 2014.
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Sankt Florianer Altares (Abb. 10)24 führt der Blick des Betrachters über die Kniende auf Christus. Altdorfer hat bei dieser Kreuzigung die konventionelle frontale Stellung der drei Kreuze aufgegeben: Das Kreuz Christi steht schräg, die beiden Schächerkreuze sind zu ihm gedreht, so dass man eins von vorn und eins von hinten sieht. Vor und hinter den Kreuzen hat er Freunde und Feinde Christi in bunten Kleidern gruppiert. Die Leichname der drei Gekreuzigten sind dagegen von einem hellen weißlichen Ton, der nur von den roten Blutströmen unterbrochen wird. Magdalena, am Bildvordergrund platziert, ist unter den Figuren hervorgehoben, nur sie trägt ein goldgelbes Gewand und sie ist auch die einzige, die zu Christus aufschaut. Die vor dem Kreuz auf dem Boden sitzende Maria wendet sich zu Magdalena, so dass wir sie im Profil sehen. Johannes dagegen blickt uns an und zeigt uns die Gottesmutter. Auch eine weitere Frau aus der Gefolgschaft Christi schaut zu uns sowie ein Scherge, der am rechten Kreuz lehnt und einen großen Stock hält, mit dem er vielleicht den Schächern die Beine zerschlagen hat. Der unheimlichste Blick trifft den Betrachter wiederum von oben. Auf ihn fällt der leere Blick des toten rechten Schächers. Solcherart von Blicken in die Zange genommen, bleibt dem Betrachter nur, sich an der Rückenfigur Magdalena zu orientieren und mit ihr zu Christus aufzuschauen, wenngleich er ihn genau wie sie nur von der Seite ansehen kann und nicht wie in den herkömmlichen Kreuzigungen direkt von vorne. Radikaler verweigert Altdorfer bei der Florentiner Beweinung (Abb. 9) den Anblick des Erlösers. Altdorfer hat die Perspektive so gewählt, dass der Betrachter von unten zum sitzenden Christus aufschaut. Da das Haupt Christi in den Nacken fällt, kann man ihm nicht ins Antlitz blicken. Man sieht stark verzerrt das Kinn und schaut ihm fast ins Nasenloch. Johannes aber, der sich von hinten über Christus beugt, sieht ihn direkt und nah. Wir haben hier also eine Umkehr von dem weitverbreiteten Kompositionsschema, nach dem die Bildfiguren so platziert sind, dass sie Christus nicht wirklich sehen, aber der Betrachter den vollen Anblick hat. Damit scheint ein Richtungswechsel im Kontakt zwischen Bild und Betrachter einherzugehen. Ermöglicht der Typus des sichtbaren Christus, etwa bei Schongauer, dass man sich das Bild Christi
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Zur schwierigen Datierung des Altares vgl. Franz Winzinger: Albrecht Altdorfer. Die Gemälde: Tafelbilder, Miniaturen, Wandbilder, Bildhauerarbeiten. Werkstatt und Umkreis, München/Zürich 1975, S. 21–23. Aufgrund der Weihe der Altarmensa ist als datum post quem 1509 anzusehen, das datum ante quem 1518 ergibt sich aus der Datierung auf der Auferstehungstafel. Vgl. dazu auch Magdalena Bushart: Sehen und Erkennen. Albrecht Altdorfers religiöse Bilder, München/Berlin 2004, S. 213f. Zu Altdorfers Kreuzigungen vgl. generell ebd., S. 202–208, 246–254, 261–272 sowie Thomas Noll: Albrecht Altdorfer in seiner Zeit. Religiöse und profane Themen in der Kunst um 1500, München/Berlin 2004, S. 183–230.
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einprägt, es verinnerlicht, so ist dies beim verborgenen Christus unmöglich.25 Hier ist die umgekehrte Richtung verlangt. Der Betrachter muss aus seinem inneren Bilderschatz das Verborgene ergänzen oder das Verzerrte korrigieren. Eine weitere Möglichkeit ist, dass er sich in den Bildraum und die Bildhandlung hineindenkt und den jetzigen Verlust der Ansichtigkeit Christi narrativ auflöst. Altdorfer hat uns unterhalb von Christus platziert, wir scheinen in einer Art Grube zu stehen. Die gerade Wand lässt darauf schließen, dass dies das Grab Christi ist. Ähnlich hat man sich in der Dürer-Werkstatt das Grab Christi gedacht. Hans Schäufelein hat in einer Zeichnung im Frankfurter Städel für den Ober St. Veiter Altar (Abb. 11) – vielleicht einer Idee Dürers folgend – in das leere Grab eine auffällige Betrachterfigur gesetzt. Dieser wendet sich vom Kreuz ab und dem Betrachter zu, hat den Kopf in die Hände gestützt und betrachtet gedankenvoll einen Totenkopf, der vor ihm auf dem Boden liegt. Dass dieser kontemplierende Jüngling tatsächlich in einem ausgehobenen Grab steht und nicht in einer natürlichen Vertiefung wie die zweite Betrachterfigur direkt am Fuß des Kreuzes, wird in den späteren Gemäldefassungen deutlich.26 Eindeutig bietet er sich dem Betrachter als Reflexionsfigur an. Bei Altdorfer nun sieht man keine kontemplative Figur im Grab, sondern kann sich selbst als eine solche verstehen, und zur Kontemplation bietet sich kein Totenschädel an, sondern die riesigen Füße Christi, die – auch wenn man sich ganz in sie, beziehungsweise in Altdorfers Feder- und Pinselkringel, versenkt – keine Stigmata zeigen. Sie ragen so weit über den Rand der Grube, dass man sich vorstellen kann, wie in Kürze der ganze Körper in das Grab gelegt wird und man selbst – ganz wie Ludolf von Sachsen es vorschlägt27 – dabei hilft. Bildlich umgesetzt wird diese Möglichkeit, die Altdorfer hier eröffnet, erst 80 Jahre später in Caravaggios Grablegung für Santa Maria in 25
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Vgl. Thomas Lentes: Inneres Auge, äußerer Blick und heilige Schau – Ein Diskussionsbeitrag zur visuellen Praxis in Frömmigkeit und Moraldidaxe des späten Mittelalters, in: Klaus Schreiner (Hg.): Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 179–220, insbesondere S. 186–191. Datierung, Zuschreibung und Funktion der einzelnen Blätter im Kontext des Ober St. Veiter Altares sind kompliziert. Der Altar selbst wird Schäufelein zugeschrieben, auch die Frankfurter Zeichnung gilt als sein Werk. Schwerer zu bestimmen ist die Genese, vgl. Winkler 1936–1939 (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 44–46; Sonja Weih: Der Ober St. Veiter Altar des Hans Schäufelein im Wiener Dom- und Diözesanmuseum, in: Kunstspiegel 3 (1981), S. 298–323; Doris Kutschbach: Albrecht Dürer. Die Altäre, Stuttgart/Zürich 1995, S. 65–69; Christof Metzger: Hans Schäufelein als Maler, Berlin 2002, S. 98–103 u. 235–244; AK Wendepunkte deutscher Zeichenkunst. Spätgotik und Renaissance im Städel, hg. v. Stefanie Buck, Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, Graphische Sammlung, Frankfurt 2004, S. 126–128 u. 166–171. Vgl. Ludolphus 1878 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 3 und Bd. 4, S. 143.
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Vallicella, wo der Leichnam Christi in das unsichtbare Grab gesenkt wird, in dem sich der Betrachter vor dem Altar zu befinden scheint. Caravaggio könnte zu dieser ungewöhnlichen Komposition nicht zuletzt von der altdeutschen Passionsgraphik und ihrer Thematisierung der Betrachterposition angeregt worden sein.28 Schon im 15. Jahrhundert wurde in der deutschen Kunst mit der Ansicht Christi bei Kreuzigungsdarstellungen experimentiert: Bildfiguren oder der Betrachter sahen den Gekreuzigten in Schrägsicht. Dies wurde von Lukas Cranach 1503 mit der Schleißheimer Kreuzigung (Abb. 12) in unerhörtem Maße radikalisiert.29 Hier ist das Kreuz Christi nicht wie vorher etwas schräg gestellt, sondern um 90 Grad gedreht, so dass man den Gekreuzigten von der Seite sieht. Vor allem hat Christus seine Position im Bildzentrum verloren und ist an den Rand gerückt. Im Zentrum stehen nun Maria und Johannes, den mittleren Kreuzesplatz hat der gute Schächer eingenommen. Am linken Bildrand befindet sich das Kreuz des bösen Schächers, es ragt in unseren Raum hinein. Wir stehen also direkt unter dem Kreuz. Mitchell Merback hat in seiner Analyse gezeigt, dass dies eine Moralisierung des Betrachterstandpunkts bedeutet.30 Wir sind gezwungen, über unsere Position nachzudenken. Das Modell einer vorbildlichen compassio wird uns mit Maria und Johannes präsentiert – Heike Schlie hat diesen Aspekt betont31 –, doch können wir nicht einfach deren Perspektive übernehmen. Nichts lädt uns ein, sich zu ihnen zu gesellen, durch die verknoteten Arme sind sie ganz für sich. Der Schächer gegenüber, dem Christus das Paradies eröffnet hat, wirkt auch nicht einladend. Er steht für das harte Modell des reumütigen Sünders, der irdische Strafen und auch den eigenen Tod akzeptiert, um seine Seele zu erlösen. Wie der unbußfertige Schächer aussieht, der noch sterbend Christus verhöhnte, können wir nicht sehen, da wir zu dicht unter ihm stehen.32 28
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Michelangelo Merisi da Caravaggio: Grablegung Christi, 1602–04, Öl/Leinwand, 300 × 203 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana. Zum Eindruck, dass Christus im Altar unterhalb des Gemäldes bestattet wird vgl. Howard Hibbard: Caravaggio, New York u. a. 1983, S. 172. Zum Gemälde vgl. zuletzt Lorenzo Pericolo: Caravaggio and Pictorial Narrative. Dislocating the Istoria in Early Modern Painting, London 2011. Vgl. Pierre Vaisse: A propos de la crucifixion vue de biais, in: La gloire de Dürer (Actes et colloques; 13), Paris 1974, S. 117–128 und Sabine Heiser: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren. Wien um 1500 – Dresden um 1900, Berlin 2002, S. 93–109. Vgl. Mitchell B. Merback: The Thief, the Cross and the Wheel. Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe, London 1999, S. 257–259. Vgl. Heike Schlie: Exzentrische Kreuzigungen um 1500 – Zur Erfindung eines bildlichen Affektraums, in: Johann A. Steiger und Ulrich Heinen (Hg.): Golgatha in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin/New York 2010, S. 63–92, insbes. S. 83. Vgl. eine ausführlichere Analyse der schräggestellten Kreuzigungen in Bohde 2012 (wie Anm. 21).
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Das Bild schlägt also dem Betrachter mehrere Perspektiven und moralische Modelle vor, die er virtuell einnehmen kann. Für Cranachs Komposition und viele andere ist kennzeichnend, dass der Betrachter einen unbefriedigenden Ort zugewiesen bekommt, moralisch und ästhetisch – hier unter dem Schächerkreuz, in Altdorfers Beweinung in der Grube. Gleichzeitig werden dem Betrachter durch die anderen Bildfiguren andere Perspektiven angeboten, das lädt ihn ein, sich virtuell in dem Bildraum zu bewegen. So entsteht eine Spannung zwischen Verortung und Dynamisierung, Moralisierung und Freisetzung. Die Moralisierung der Betrachterperspektive ist ein etablierteres Verfahren, als es scheinen mag. Bereits ein Jahr vor Altdorfers Helldunkelzeichnung hat Dürer sie 1512 in der Kupferstichpassion eingesetzt. Wer in Christus in der Vorhölle33 beobachtet, wie Christus die Seelen der Vorväter befreit, ist wohl selbst ein Höllenbewohner, denn er schaut vom Inneren der Hölle auf den Erlöser, wenngleich von einem etwas besseren Platz als die armen Seelen in der Tiefe. Nicht immer muss die Position des Betrachters so eindeutig definiert sein wie bei Dürer. Bei einer Helldunkel-Zeichnung einer Kreuzigung (Abb. 13), die dem Monogrammisten GZ zugeschrieben wird, deren Komposition aber auf Baldung zurückgehen mag, sieht der Betrachter das Kreuz von hinten.34 33
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11,5 × 7,5 cm, vgl. Rainer Schoch, Matthias Mende und Anna Scherbaum: Albrecht Dürer, das druckgraphische Werk, 3 Bde., Bd. 1: Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter, München 2001, S. 148, Nr. 58. Als die Zeichnung 1880 vom British Museum gekauft wurde, galt sie als ein Werk Baldungs, doch fand Parkers Zuschreibung an den Monogrammisten GZ im Jahr 1923 Akzeptanz in der nachfolgenden Forschung. GZ war als Zeichner für den Formschnitt im Rheingebiet zwischen Basel, Straßburg und Mainz für Drucker tätig, sein druckgraphisches Oeuvre beweist seine Nähe zu Baldung. Von der Londoner Zeichnung existiert eine weitere Fassung im Kupferstichkabinett in Berlin, die ebenfalls als ein Werk Baldungs diskutiert wurde. Beide Fassungen sind sich sehr ähnlich, die Berliner ist um circa 3 cm in der Höhe und Breite größer (261 × 186 mm) als die Londoner (237 × 158 mm). Vor allem findet sich am unteren Rand die Datierung 1524. Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass das Londoner Blatt ursprünglich hier ebenfalls diesen Datumseintrag besaß und er weggeschnitten wurde. Ob GZ um 1524 noch aktiv war, ist nicht gesichert. Die Berliner Fassung gilt als die Kopie der Londoner, dies lässt sich u. a. mit der unsichereren Darstellung der Muskulatur begründen. Es ist allerdings auch möglich – und in meinen Augen wahrscheinlich –, dass sich beide erhaltenen Zeichnungen auf eine verlorene Originalzeichnung beziehen, als deren Urheber vor allem Hans Baldung infrage kommt, nicht nur aufgrund der stilistischen Nähe, sondern weil die Komposition bestens zu Baldungs Experimenten mit Passionsszenen passt. Lüdke schlägt dagegen vor, dass GZs Zeichnung auf Grünewalds Magdalenenklage beruht (Abb. 14). Doch ist die Involvierung des Betrachters durch ungewöhnliche Perspektiven nicht typisch für Grünewald, all seine übrigen Kreuzigungen zeigen Christus konventionell frontal. Vgl. Karl Theodor Parker: Eine Zeichnung von dem Monogrammisten GZ, in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde N. F. 26 (1924), S. 43–50; Dietmar Lüdke: Die Donaueschinger
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Dies könnte erneut die Perspektive von Magdalena sein, denn man sieht Christus in Untersicht. Grünewalds eng verwandte Magdalenenklage verweist darauf (Abb. 14).35 In seiner nur durch eine fragmentierte Kopie überlieferten Komposition ist ganz ähnlich wie beim Monogrammisten GZ Christus am Kreuz von hinten zu sehen. Vor ihm kniet Magdalena – wie eine Spiegelung des Betrachters. Wenn man sich bei Grünewald als eine zweite Magdalena verstehen darf, steht man beim Monogrammisten stärker in Bezug zu Maria und Johannes, mit denen man in etwa die Blickhöhe teilt. Doch auch jeder Heranschreitende dürfte Christus so gesehen haben. Blätter wie diese bieten nicht nur spezifische Perspektiven an, sie betonen auch die Beweglichkeit des Betrachterblicks. Streift der Betrachter imaginär über den Kalvarienberg, so sieht er das Kreuz nicht immer aus der kanonischen Position, sondern mal von hinten, mal von der Seite. Gerade die unbefriedigende Perspektive von hinten treibt ihn an, mehr von Christus zu sehen. Diese motivierende Frustration gestaltet GZ beim unsichtbaren Gesicht Christi besonders raffiniert: Hier lässt er die Profillinie des Gesichtes als eine Art Lockmittel in der Achselhöhle aufblitzen. Ein Betrachter, der sich imaginär auf dem Kalvarienberg bewegt, ruft natürlich die Aufforderungen in Passionsbetrachtungen von Pseudo-Bonaventura oder Ludolf von Sachsen in Erinnerung, nach der der Fromme in seinem Geiste zu den Trauernden treten und beispielsweise mit ihnen Christus zu Grabe tragen soll. Hier ist jedoch zu beachten, dass diese Texte seit dem 14. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet waren.36 Sie können also nicht als direkte Quelle dieser Dynamisierung des Betrachters gelten. Außerdem ist die mediale Differenz wichtig. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man beim Lesen die Geschehnisse visualisiert, sich also die ganze Zeit im eigenen Kopf, im eigenen Bilderkosmos bewegt, oder ob man das Werk eines fremden Schöpfers vor Augen hat. Außer der Bildgrenze spielt vor allem die Materialität des Bildwerks eine Rolle, insbesondere bei Graphik, wenn man ein Blatt Papier in den Händen hält und die gedruckten oder gezeichneten Striche von nahem sehen kann. Deshalb sind hier besondere bildliche Strategien notwendig, um den Hiatus zwischen Bild und Betrachter zu überwinden. Eine davon besteht in exzentrischen Raumkompositionen. Cranachs Dezentrierung Christi wurde vor allem in der Graphik rezipiert, am stärksten in selbständigen Zeichnungen, die auf dem Graphikmarkt
35 36
Magdalenenklage der Sammlung Würth in Schwäbisch Hall, in: AK Grünewald und seine Zeit. Große Landesausstellung Baden-Württemberg, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, München/Berlin 2007, S. 331–334, sowie ebd. die Katalogeinträge Nr. 114, S. 336 und Nr. 120, S. 345f. Vgl. Lüdke 2007 (wie Anm. 34), S. 331–336. Vgl. Bohde 2012 (wie Anm. 21), S. 201f.
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kursierten. Die besonders intime Betrachtungssituation und die Möglichkeit, verschiedene Passionsbilder und damit die Perspektiven der Künstler zu vergleichen, waren vermutlich für diese Experimente mit dem Betrachterblick maßgeblich. Der Passauer Künstler Wolf Huber hat wahrscheinlich Cranachs Gemälde an seinem unbekannten Aufbewahrungsort gesehen und mehrfach in seinen Zeichnungen verarbeitet. In einer Federzeichnung von 1517 (Abb. 15) wird die Position des Betrachters besonders gewitzt thematisiert. Huber hat Cranachs Komposition um 180° gedreht. Christus ist nun nicht rechts, sondern links zu sehen, ein leeres Kreuz steht dem Betrachter gegenüber. Auch der Vordergrund verweist auf Cranach: War bei Cranach auffällig ein Baumstumpf am Bildrand arrangiert, so findet sich bei Huber hier ein flacher Stein. Auch die Künstlerpräsenz wird jeweils in dieser Zone eingetragen: bei Cranach das Datum, bei Huber Datum und Monogramm. Statt einer Christus zugewandten Gottesmutter zeigt Huber Maria, wie sie den Rücken zu Christus kehrt. Ludolf von Sachsen hätte dies sicher nicht gefallen. Etwas anderes ist noch viel irritierender: Wo ist bei Huber das 3. Kreuz? Steht man wie bei Cranach unter dem Kreuz, das nun das des guten Schächers sein müsste, oder spricht der leicht erhöhte Blickpunkt eher dafür, dass man vom Kreuz aus auf die Szenerie schaut? Erneut wird man durch das ungewöhnliche räumliche Arrangement dazu gebracht, über die eigene Position nachzudenken.37 Sehr wahrscheinlich hat Huber schon um 1510 herum Cranachs Komposition gekannt und in einer Federzeichnung aufgegriffen (Abb. 16). Diese ist jedoch nicht im Original erhalten, sondern in sieben Zeichnungskopien. Das Berliner Blatt des Monogrammisten JS trägt die frühste Datierung, 1511.38 Huber hat in dieser Komposition Cranachs kargen Kalvarienberg in einen zeitgenössischen mit Landsknechten, Galgen und Rädern bevölkerten Hinrichtungsplatz verwandelt, aber wesentliche Kompositionselemente erhalten: Die Schrägstellung Christi und die Platzierung des Betrachters unterm Kreuz des Schächers. Eine solche Zeichnung muss Altdorfer erreicht haben, denn in der Kreuzigung des Florian-Altars (Abb. 10) rezipiert er sie eindeutig. Altdorfer übernimmt die grundlegende räumliche Struktur und etliche Details wie etwa das Rad im Hintergrund. Doch er räumt auf: Die Reihe der Kreuze scheidet säuberlich Gut und Böse. Die Guten sind vorne, die Bösen hinten. Auch wenn wir
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Zur Frage, ob die Zeichnung eine Vorzeichnung für einen Holzschnitt sein könne vgl. Bohde 2012 (wie Anm. 21), S. 220f., Anm. 72 mit weiterer Literatur. Vgl. zu den verschiedenen Kopien Franz Winzinger: Wolf Huber, das Gesamtwerk, 2 Bde., München u. a. 1979, Bd. 1, S. 137–139 und Bohde 2012 (wie Anm. 21), S. 212–216.
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nach wie vor hinter dem Kreuz des bösen Schächers stehen, haben wir nun ein klares Modell vor Augen, die Erzbüßerin Maria Magdalena. Sie weist uns den Weg zu Christus. Mit Magdalena und den Schächern bieten die Künstler den Betrachtern zwei Perspektiven auf die Kreuzigung an, die ihn einladen oder warnen. Sie strukturieren so die Vielfalt der Blicke auf Christus, die in den Passionsdarstellungen nach der Schleißheimer Kreuzigung möglich werden. Wenn der Betrachter in vielen Blättern der 1510er und 20er Jahre das Privileg der vollen Ansicht Christi verliert, so gewinnt er die Möglichkeit, virtuell auf dem Kalvarienberg herumzuschweifen. Diese imaginäre Betretbarkeit des Bildes glückt vor allem dann, wenn sich der ‚volkreiche Kalvarienberg‘ entleert und sich so neue Räume für den Betrachter öffnen oder wenn das Schema des Kanonbildes so aufgelöst wird, dass das Kreuz nicht mehr wie bei Schongauer ganz im Bildvordergrund aufgepflanzt ist und mit dem Querbalken bis kurz unter die obere Bildkante reicht. Der Bild-Raum der Passion wird aber nur dadurch zum Raum des Betrachters, dass die Betrachter in die Narration eingebunden werden. Dies wiederum ist an eine veränderte Logik der Blicke gebunden. Bei Bildfiguren in der Nähe von Christus wird nicht einfach angenommen, dass sie auch Christus sehen, sondern ob sie Christus sehen oder nicht sehen, wird ein explizites Thema der Passionsdarstellungen. Dadurch wird auch das Sehen des Betrachters selbst thematisch. Wenn also die Zeichner und Maler Christus partiell verbergen, wird dies zum Problem des Betrachters. Denn es scheint, als ob er ganz wie der böse Schächer nicht die richtige Perspektive auf Christus gewinnt oder aber, ob er mit Magdalena eine demütige Perspektive einnimmt. Der Raum der Passion öffnet sich für den Betrachter, doch nur selten wird dieser zum freien Schweifen darin eingeladen. Allzu oft bekommt er in ihm einen eng definierten Ort zugewiesen.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Hans Belting und Dagmar Eichberger: Jan van Eyck als Erzähler. Frühe Tafelbilder im Umkreis der New Yorker Doppeltafel, Worms 1983, Frontispiz; Abb. 2, 3: Falk/Hirthe 1991 (wie Anm. 7), S. 95, Nr. 27 u. 14; Abb. 4, 6,: Matthias Mende: Hans Baldung Grien. Das graphische Werk, vollständiger Bildkatalog der Einzelholzschnitte, Buchillustrationen und Kupferstiche, Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg, Unterschneidheim 1978, Abb. 89, 37; Abb. 5, 8: Schoch/Mende/Scherbaum (wie Anm. 32): Bd. 2: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München 2002, S. 325, Nr. 210, 213; Abb. 7: Courtesy National Gallery of Art, Washington; Abb. 9: AK Albrecht Altdorfer 1988 (wie Anm. 21), Nr. 75,
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S. 159; Abb. 10: Bushart 2004 (wie Anm. 24), Taf. XVIII; Abb. 11: AK Wendepunkte deutscher Zeichenkunst 2004 (wie Anm. 26), S. 127; Nr. 39; Abb. 12: Ingo Sandner (Hg.): Unsichtbare Meisterzeichnungen auf dem Malgrund – Cranach und seine Zeitgenossen, Regensburg 1998, S. 162; Abb. 13, 14: AK Grünewald und seine Zeit 2007 (wie Anm. 34), S. 345, Nr. 12, S. 335, Nr. 114; Abb. 15, 16: Winzinger 1979 (wie Anm. 38), Bd. 2, Nr. 47, 167.
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Abb. 1: Jan van Eyck, Kreuzigung, ca. 1422–26, Tempera und Öl, von Holz auf Leinwand übertragen, 56,5 × 19,7 cm, New York, Metropolitan Museum.
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Abb. 2: Martin Schongauer, Kreuzigung, ca. 1475, Kupferstich, 16,7 × 11,9 cm.
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Abb. 3: Martin Schongauer, Christus am Kreuz mit Maria und Johannes und vier Engeln, 1470er Jahre, Kupferstich, 28,9 × 19,4 cm.
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Abb. 4: Hans Baldung, Kalvarienberg, Holzschnitt, 25,1 × 16,1 cm, aus Ulrich Pinder: Der beschlossen gart des rosenkrantz mariae, Nürnberg 1505.
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Abb. 5: Albrecht Dürer, Kreuzigung (Kleine Passion), Holzschnitt, 12,8 × 9,8 cm.
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Abb. 6: Hans Baldung, Christus am Kreuz, ca. 1511/12, Helldunkelholzschnitt in Grau, 36,8 × 25,8 cm.
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Abb. 7: Hans Baldung, Beweinung, um 1515, Feder in Schwarz auf braun grundiertem Papier, weiß gehöht, 27,2 × 18,3 cm, Washington, National Gallery of Art.
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Abb. 8: Albrecht Dürer, Beweinung (Kleine Passion), Holzschnitt, 12,6 × 9,7 cm.
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Abb. 9: Albrecht Altdorfer, Beweinung, 1513, Feder in Schwarz auf braun grundiertem Papier, weiß gehöht, 20,8 × 15,5 cm, Florenz, Uffizien, Gabinetto dei disegni e delle stampe.
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Abb. 10: Albrecht Altdorfer, Kreuzigung des Sebastiansaltars, ca. 1510–1518, Tafelgemälde, 112 × 94,5 cm, St. Florian, Stiftsmuseum.
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Abb. 11: Hans Schäufelein, Kalvarienberg, um 1505, Feder in Schwarz auf Bütten, ca. 22,4 × 22,4 cm, Frankfurt, Städel, Graphische Sammlung.
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Abb. 12: Lucas Cranach d. Ä., Schleißheimer Kreuzigung, 1503, Tafelgemälde, 138 × 99 cm, München, Alte Pinakothek.
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Abb. 13: Monogrammist GZ, Christus am Kreuz, vor 1524, Feder in Schwarz auf braun grundiertem Papier, weiß gehöht, 23,7 × 15,8 cm, London, British Museum.
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Abb. 14: Christoph Krafft, Kopie nach Matthias Grünewald, Christus am Kreuz mit klagender Magdalena, 1648, Öl/Leinwand, 156 × 76 cm, Künzelsau, Sammlung Würth.
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Abb. 15: Wolf Huber, Kreuzigung, 1517, Feder in Braun auf Bütten, 20,3 × 15,2 cm, Berlin, SMPK Kupferstichkabinett.
Blickräume – Der Raum des Betrachters in Passionsdarstellungen
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Abb 16: Monogrammist JS, Kopie nach Wolf Huber, Kreuzigung, 1511, Feder in Schwarz auf Bütten, 21,9 × 15,5 cm, Berlin SMPK, Kupferstichkabinett.
6. Bilder im Raum
Saskia Hennig von Lange
Im Raum des Bildes. Die ,fehlenden‘ Passionsszenen in der Karlsteiner Heilig-Kreuz-Kapelle
„Dieser heilige Schrein – durch Passionsreliquien, durch die mit entsprechenden Reliquien versehenen Bilder der Chöre der Heiligen sowie durch Halb edelsteinwände symbolisch zur Himmelsstadt ausgestaltet – versinnbildlichte das sakrale Zentrum des Reiches“.1 Winfried Eberhard spricht hier über die Burg Karlstein als Ganzes, genauso gut könnte das Zitat jedoch auf die dortige Heilig-Kreuz-Kapelle gemünzt sein. Denn dass es sich bei Burg Karlstein und insbesondere der 1365 geweihten Heilig-Kreuz-Kapelle um so etwas wie einen „monumentalisierten Reliquienschrein“ handelt, darin ist sich die Forschung seit Jahrzehnten weitgehend einig (Abb. 1).2 Diese die Frage nach dem Raum des Bildes schon implizierende Deutung soll im Folgenden, mithilfe von Karl Möseneders bisher wenig beachteter Leseweise der Kapelle eben nicht als Schrein, sondern als „raumumspannendes Reliquienretabel“,3 erweitert und präzisiert werden, erlaubt doch diese Lesart eine differenziertere Betrachtung des Verhältnisses der einzelnen (Bild-)Elemente untereinander als auch des Betrachters zu diesen. Wie der Betrachter in das Bildgeschehen involviert und dieses in seiner Imagination aktiviert wird, will ich im Folgenden zeigen. Es geht mir also darum, das Verhältnis von Rahmen, Betrachter-Körper und Reliquie in der Heilig-Kreuz-Kapelle näher zu bestimmen. Eine besondere Rolle kommt hierbei den teils in die Bilder selbst, teils in deren Rahmen eingelassenen Passionsreliquien zu, die, so Jiří Fajt, die fehlenden Passionsszenen ersetzen.4 Wie sich dieser mediale Austausch zwischen Bild und Reliquie 1
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Winfried Eberhard: Einführung, in: Jiří Fajt und Andrea Langer (Hg.): Kunst als Herrschaftsinstrument. Böhmen und das Heilige Römische Reich unter den Luxemburgern im europäischen Kontext, München 2009, S. 248. Die Rede von der gesamten Burganalage oder auch bloß der Heilig-Kreuz-Kapelle als Schrein findet sich an verschiedener Stelle in der Literatur. Vgl. Anton Legner: Karolingische Edelsteinwände, in: Ferdinand Seibt (Hg.): Kaiser Karl. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 358; Jiří Fajt: Magister Theodoricus. Hofmaler Kaiser Karls IV., Prag 1998, S. 9 und Karl Möseneder: Lapides Vivi. Über die Kreuzkapelle der Burg Karlstein, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 34 (1981), S. 49–69, hier S. 50f. mit weiterführender Literatur. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 63. Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 29.
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jedoch in den Augen des Betrachters entfaltet und vollzieht, darüber äußert Fajt sich nicht. Hier, bei diesem Wechselspiel zwischen Betrachter, innerem und äußerem Bild, Raum und Rand, Materialität und Pikturalität, setzen meine Überlegungen an.
Karl IV. und die Reliquien Schon früh ist Karls IV. ausgeprägte Frömmigkeit bekannt: In seiner Autobiographie legt er – durch die Einleitung, seine bibelexegetischen Schriften und die Schilderung zweier visionsähnlicher Erfahrungen – den Grundstein für seine öffentliche Wahrnehmung als frommer Mann.5 Schon in seiner Jugendzeit am Pariser Hof kam Karl IV. mit Reliquien in Berührung und dort, wo der junge Karl seit 1328 vom Benediktinerabt Pierre Roger von Fécamp, dem späteren Papst Clemens IV., erzogen wurde, „kannte man Karls IV. Neigung zum Reliquienkult und zu sonstigen Gegenständen der kirchlichen Andacht und Frömmigkeit; eine Vorliebe, die ihm den Ruf eines eifrigen, fast leidenschaftlichen Reliquiensammlers eingebracht hatte“.6 Karel Otavský sieht „Karls politisch wirksame und zur Schau gestellte Reliquienverehrung“ in engem Zusammenhang mit der Reliquienverehrung am französischen Hof unter Ludwig IX.7 Hier hat sich wohl auch Karls IV. auf Christus konzentrierte Frömmigkeit ausgeprägt, die ihren endgültigen Niederschlag dann in der Heilig-KreuzKapelle auf Burg Karlstein finden sollte.8 Karls erste Sammlung von Reliquien als Regent befand sich in der Allerheiligenkapelle auf der Prager Burg. Nach dem Bau des neuen Palasts 1339 dauerte es fünf Jahre, bis er sie mit reichlich liturgischem Gerät und Reliquien 5 6
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Vita Caroli Quarti. Die Autobiographie Karls IV. Einführung, Übersetzung und Kommentar von Eugen Hillenbrand, Stuttgart 1979, S. 67–199. Heinrich Neureither: Das Bild Kaiser Karls IV. in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung, Heidelberg 1964, S. 185 bezieht sich hier auf die Vita von Innozenz VI. in den Vitae Paparum Avenionensium (1305–94), hg. v. Stephanus Baluzius, 2 Bde., Paris 1693, Bd. 1, S. 315f., wo es heißt (Zitat nach Neureither): „Ipse enim imperator multum fuit curiosus et sollicitus in reliquiis undecumque congregandis, quas demum in magna veneratione habuit, et eas magnifice adornando in ecclesiis et monasteriis civitats Pragensis honorifice collocavit.“ Karel Otavský: Reliquien im Besitz Kaiser Karls IV., ihre Verehrung und ihre Fassungen, in: Jiří Fajt (Hg.), Court Chapels of the high and late Middle Ages and their artistic Decoration, Prag 2003, S. 129–141, hier S. 129. Vgl. Karel Otavsky: Drei wichtige Reliquienschätze im Luxemburgischen Prag und die Anfänge der Prager Heiltumsweisungen, in: Fajt/Langer 2009 (wie Anm. 1), S. 300–308, hier S. 301.
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versehen hatte, von denen ein Teil der Dornenkrone als die wichtigste galt und wohl auf eine Pariser Schenkung zurückgeht.9 Doch Karl IV. wandte seine volle Aufmerksamkeit bald den Reichsreliquien zu. Nach seiner Wahl zum deutschen König 1346 verfügte er über die reliquiae imperialis, deren ‚öffentliche‘ Verehrung er allerdings erst nach 1350 – als sie nach Streit und Versöhnung Karls IV. mit den Söhnen Ludwigs von Bayern endlich in Prag ankamen – beginnen lassen konnte.10 Direkt bei ihrem Eintreffen am Palmsonntag kam es zur ersten, von Karl IV. initiierten Weisung der Reliquien auf dem heutigen Karlsplatz;11 1354 führt Papst Innozenz IV. auf Karls IV. Bitte hin das jährlich zu feiernde festum lancea et clavorum ein, also das Fest der Lanze und der Nägel.12
Die Heilig-Kreuz-Kapelle Die Grundsteinlegung von Burg Karlstein (Abb. 2) fand am 10. Juni 1348 durch Erzbischof Ernst von Pardubitz statt, 1357 war die Burg nach kurzer Bauzeit im Wesentlichen vollendet. Der kaiserliche Palas stand jedoch schon
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Vgl. Otavský 2003 (wie Anm. 7), S. 130. Die Frage, wo die Reichskleinodien bis zu ihrer endgültigen Verbringung in die HeiligKreuz-Kapelle untergebracht waren, ist bis heute in der Forschung noch nicht befriedigend beantwortet. Vermutungen reichen von der Prager Kathedrale bis hin zur Prager Burg. Vgl. Jaroslava Kroupová und Pavel Kroupa: On the question of depositing the sacramentalia of the Holy Roman Empire in Bohemia, in: Jiří Fajt (Hg.): Court Chapels of the high and late Middle Ages and their artistic Decoration, Prag 2003, S. 142–155, hier S. 147. Kroupová/Kroupa 2003 (wie Anm. 10), S. 148 vermuten ein Fortführen Karls der, allerdings kurzen, Tradition die reliquiae imperialis zu weisen: 1315 hat Friedrich der Schöne anlässlich der Krönung seiner Frau Isabella von Aragon in Basel die Heiltümer dem Volk zeigen lassen und auch unter Ludwig von Bayern gab es wohl Heiltumsweisungen. Karel Ottavský: Das Mosaik am Prager Dom und drei Reliquiare in Prag und Wien: Karls IV. Kunstaufträge aus seiner Spätzeit, in Jiří Fajt und Markus Hörsch (Hg): Künstlerische Wechselwirkungen in Mitteleuropa, Ostfildern 2005, S. 53–72, hier S. 56, hält es außerdem für möglich, dass seit dem 15. August 1368 die nur „wenige Monate zuvor geweihte Goldene Pforte als Heiltumsstuhl gedient haben könnte“. Damit hätte die über dem Eingang befindliche Sakristei dazu gedient, die Reliquien während der Weisungen aufzubewahren. Ein weiterer Hinweis sind ihm die „verlorenen Darstellungen von Passionsreliquien im Fries am oberen Bildrand […], von denen nur die Vera Ikon erhalten geblieben ist.“ Hier bezieht sich Otavský auf ein unveröffentlichtes Vortragsmanuskript von Olga Pujmanova: The Veraicon of The Last Judgement Mosaic, 2001. Es wäre natürlich interessant, die (gemalten) Reliquien am Rande des Bildes in meine Überlegungen mit einzubeziehen. Zu den ablasssichernden Heiltumsweisungen kam im selben Jahr eine Weisung des Marienschleiers in einem siebenjährigen Turnus. Ottavský 2005 (wie Anm. 12), S. 56.
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früher, für 1355 ist ein Aufenthalt Karls IV. belegt.13 In diese Zeit fällt wohl auch die kaiserliche Entscheidung, Karlstein zum Tresor für die Reliquien des Heiligen Römischen Reichs und des Königreichs Böhmen zu machen. Nach einigen Planänderungen wurde schließlich auch die Heilig-Kreuz-Kapelle 1365 geweiht.14 Die Heilig-Kreuz-Kapelle im großen Turm der Burg Karlstein gilt als Hort der Passionsreliquien: Die Einantwortungsurkunde Karls IV. nennt das Reichskreuz mit einem Kreuzpartikel, der Speerspitze des Longinus und einem Nagel der Kreuzigung, das St. Mauritius-Schwert, und am Beginn einer Reihe von Reliquien Karls des Großen dessen Schwert, außerdem das sogenannte Landeskreuz mit Kreuzpartikeln und Teilen von Dornenkrone und Essigschwamm, auch diese Reliquien wurden jährlich ablasswirksam gewiesen.15 Die Wände der Heilig-Kreuz-Kapelle sind in drei Ebenen gegliedert: unten ein marmi finti-Bereich, darüber eine Zone aus mit vergoldetem Stuck eingefassten Edelsteinen und schließlich ein diese beiden Bereiche trennendes, um die gesamte Kapelle laufendes, vergoldetes und goldene Spitzen tragendes Band, dem Fajt eine rein symbolische, auf die Dornenkrone und damit die Passion abzielende Bedeutung zuspricht.16 Schon hier zeigt sich, folgt man dieser Ansicht, eine die Ebene der bildlichen Darstellung verlassende Präsenz des Passions-Motivs. Auch die mehr als zweitausend Achat-, Karneol-, Amethyst- und Jaspisstücke17 der Edelsteinzone formen sich immer wieder zu regelmäßigen Kreuzen und reflektieren so im doppelten Sinne auf das Herzstück der Kapelle, die Passionsreliquien. Den Übergang beziehungsweise die Abgrenzung zu der darüber liegenden Bilderzone bildet ein wie punziert wirkendes Band aus vergoldetem Stuck. Hier hinein sind Adler, Löwen, Rosetten, Bienen, Lilien und Bänder gleichsam eingeprägt. Die Zone darüber besteht aus 12918 auf einem Lindenholzgerüst aufgebrachten Tafelbildern aus der Hand des Prager Meisters Theoderich und dessen Werkstatt und reicht bis hinauf zum zweijochigen Gewölbe, das mit vergoldeten und sternförmig gefassten Konvexgläsern verziert ist. Die Altarwand zeigt über der Nische ein Triptychon Tommasos da Modena mit der Muttergottes sowie den Heiligen Wenzel und Palmatius.19 Darüber befindet sich ein Schmerzensmann umgeben von drei Marien und 13 14 15 16 17 18 19
Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 11. Jiří Fajt: Karlstein revisited. Überlegungen zu den Patrozinien der Karlsteiner Sakralräume, in: Fajt/Langer 2009 (wie Anm. 1), S. 250–289, hier S. 269f. Aufzählung der Reliquien nach Möseneder 1981 (wie Anm. 2); an der liturgischen Gestaltung des Fests hat Karl IV. selbst mitgewirkt, vgl. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 40. Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 22f. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 43. Ursprünglich waren es 130 Bilder, eines ging verloren. 1358–1364, Tempera und Gold auf Pappelholz, 86 × 177,3 cm.
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zwei Engeln, den Abschluss dieser Vertikalen bildet eine Kreuzigung mit Maria und Johannes. Links und rechts davon befinden sich Brustbilder von Johannes dem Täufer, den Aposteln, Evangelisten und der Anna Selbdritt. Die übrigen Tafelbilder der Kapelle zeigen männliche und weibliche Heilige, Kirchenväter, Päpste und Fürsten, außerdem gibt es einen in der nordöstlichen Fensternische beginnenden Freskenzyklus, der thematisch um die Epiphania Domini kreist: Mariä Verkündigung, Heimsuchung, Anbetung der Hl. Drei Könige, außerdem die Erscheinung des apokalyptischen Gottes und die Anbetung des Lamms. Zur ‚natürlichen‘ Beleuchtung der Kapelle dienten drei Fenster, die aus Edelsteinen in vergoldeten Bleinetzen gebildet waren und daher nur für eine geringe Beleuchtung sorgen konnten. Den Rest besorgten Kerzen und Öllampen. Der Raum wird durch einen vergoldeten, wenn auch vergitterten, für Blicke jedoch durchlässigen Lettner in zwei Hälften geteilt, und zwar, folgt man dem Bildprogramm der Tafelbilder, in eine Evangelien- und eine Epistel-Seite (Abb. 3). Überspannt wird diese Chorschranke von einem ebenfalls vergoldeten gotischen Spitzbogen, in dessen Maßwerk Edelsteine gehängt sind.20 Versteht man dieses den Lettner bekrönende Maßwerk als Rahmenzone, dann sind die Edelsteine damit an einem ähnlichen Zwischenort platziert wie die Reliquien in den Rahmen der Bilder. Der Lettner greift die Form der vom Eingang aus gesehen dahinter liegenden Altarwand auf. Er ist dieser wie eine blicklenkende Folie vorgelagert, die durch diese formale Engführung mit dem hinter ihr liegenden Raum optisch verschmilzt und ihn so an die Flächigkeit eines Altarbilds zurückzubinden scheint. Wie wir uns einen solchen Rahmen im konkreten Fall vorzustellen haben, zeigt das ebenfalls auf Burg Karlstein erhaltene Diptychon Tomaso da Modenas (Abb. 4) mit der Muttergottes und dem Schmerzensmann, in dessen vergoldeten und reich mit Blattwerk und Ranken verzierten Spitzbögen sich die Brustbilder zweier Engel befinden. Wo hier die Plastizität der dargestellten Figuren mit dem üppigen Rahmen zu konkurrieren scheint, schafft der goldene Lettner auf subtile Weise eine Verbindung von Edelsteinen und Heiligenfiguren, die sich auch im Ausstattungsprogramm der Kapelle findet: Stellt man eine schummrige Beleuchtung in Rechnung, so mögen beim Schauen durch diesen fragilen Rahmen die hinter den aufgehängten Edelsteinen auftauchenden Heilgendarstellungen wie eine Projektion derselben gewirkt haben. Grundlegend wird hier natürlich auch die Durchlässigkeit des Rahmens thematisiert, der wie eine dreidimensionale, in den Raum gerückte Variante der rahmenden Edelsteinzone und des vergoldeten Stuckbandes auf den Wänden der Kapelle wirkt.
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Bild und Raum der Passion Die in der nordöstlichen Fensternische beginnenden Wandmalereien der Heilig-Kreuz-Kapelle haben die Erscheinungen Gottes zum Gegenstand: Verkündigung, Heimsuchung, Anbetung durch die Heiligen Drei Könige, schließlich die Erscheinung des apokalyptischen Gottes und die Anbetung des Lamms in der nordwestlichen Fensternische. Darauf folgen magdalenische Themen, die mit der Begegnung im Hause Simons beginnen und mit dem noli me tangere enden. Fajt bemerkt das auffällige Fehlen der Passionsszenen zwischen diesem marianisch-christologischem Zyklus auf der einen und den magdalenischen Sujets auf der anderen Seite und konstatiert, dass sie „eigentlich durch Theoderichs kanonische Kreuzigung an der Altarwand und die physische Präsenz der Passionsreliquien […] ersetzt wurden“,21 handelt es sich hierbei doch, wie oben schon erwähnt, um Kreuzpartikel, die Speerspitze des Longinus, einen Nagel der Kreuzigung, außerdem Teile von Dornenkrone und Essigschwamm. Auch Anton Legner stellt diese Verbindung her: „Reliquie, Bild und Edelstein sind die drei präsenten Realien der sakralen Wände der Kreuzkapelle.“22 Hierbei spielt die Reliquie und ihre Verortung innerhalb des Bildkomplexes eine besondere Rolle. Haben wir es doch in der Heilig-Kreuz-Kapelle mit einer besonderen Form von Reliquiaren zu tun: mit Bildrahmen, in denen Heiligenknochen oder sonstige Reliquien aufbewahrt wurden, und die damit das ursprüngliche Prinzip eines Reliquiars als Behälter, der das heilige Fragment in seinem Innersten versteckt und bewahrt, umkehren.23 Hans Belting deutet eine solche Umkehrung des Verhältnisses von Bild und Reliquie als eine mit der Aufwertung des Bildes einhergehende Abwertung der Reliquie: „Wo man Reliquien und Bilder verbindet […], scheint ihre Rangfolge geradezu umgekehrt zu sein. Wenn früher die Reliquie das Zentrum war und das Bild ihr Rahmen, so entstehen nun Tafelbilder, in deren Rahmen Reliquien sitzen.“24 Doch – hält man mit Derrida an der wesentlichen Funktion des Rahmens bei
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Ebd., S. 26. Legner 1978 (wie Anm. 2), S. 357. Zur Entwicklung der Sichtbarmachung von Reliquien vgl. Christoph L. Diedrichs: Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar, Berlin 2001. Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst 1990, S. 344. Eine ähnliche Tendenz findet sich auch in den Thesen zur Entstehung des neuzeitlichen Goldrahmens, der in diesem Sinne als Rückzugsort des mittelalterlichen Goldgrunds angesehen wird. Vgl. dazu kritisch Vera Beyer: Rahmenbestimmungen. Funktionen von Rahmen bei Goya, Velázquez, van Eyck und Degas, München 2008, S. 187–201 mit weiterführender Literatur.
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der Produktion des Bildes fest –,25 lässt sich die Wanderung der Reliquien aus dem Innern des Bildes hin zu dessen Rand auch anders verstehen: Dann ziehen die heiligen Knochen nämlich an einen Ort des Bildes, der wie kein zweiter geeignet ist, über dessen Verfasstheit und Ambivalenz nachzudenken. So sind ganz besonders Reliquiare eng an das Problem des Erscheinens und der Darstellung des Göttlichen oder wenigstens Heiligen gebunden, hier stellen sich Fragen der medialen Vermittlung und der Distanzierung gleichermaßen.26 Die Reliquie wurde oft als Legitimationsfaktor des als autonom begriffenen Bildes gedeutet, das dann in seiner Entwicklung zum Kunstwerk die Reliquie hinter sich lässt.27 Damit wurde das Bild auf die Seite einer positiv bewerteten, tendenziell vergeistigten Sichtbarkeit geschlagen, während die Reliquie an ihren Rändern, im Bereich der Unansehnlichkeit,
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Jacques Derrida, Kapitel „Parergon“ in: Ders.: Die Wahrheit in der Malerei, Wien 1990, S. 56–104 (La vérité en peinture, Paris 1972). Derrida begreift den Rahmen im Verhältnis zum Werk als aktiv, er arbeitet nicht nur an der Entstehung des von ihm umfassten Werks mit, sondern bringt es mit seiner Rahmen-Arbeit regelrecht hervor. Doch diese Arbeit und deren Ergebnis ist ein fragiles Konstrukt, nicht nur, weil der Rahmen per se zusammengesetzt ist, wie Derrida eindringlich hervorhebt, sondern auch, weil Produkt und Produzent sich weder in dem dichotomischen Verhältnis von Material und Form, noch in demjenigen eines Innen und Außen fassen lassen, sondern sich gegenseitig überborden, wie Derrida vieldeutig schreibt, und darüber hinaus noch ein drittes Element ins Spiel kommt: das Umfeld, zu dem der Rahmen sich ebenfalls in Beziehung setzt und das wiederum auf diesen einwirkt. „Der Rahmen arbeitet in der Tat. Als Arbeitsstätte Ursprung, der strukturell vom Mehrwert umrandet wird, das heißt der an seinen beiden Rändern von dem überbordet wird, was er überbordet, arbeitet er in der Tat. Wie das Holz. Er knackt, verzieht sich, fällt auseinander, noch während er an der Produktion des Produkts mitarbeitet, es überbordet und sich davon absetzt.“ Ebd., S. 97. Vgl. Bruno Reudenbach: Reliquiare als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis. Grundzüge einer problematischen Gattung, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 4 (2000), S. 3–36 und Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005. Diesen Gedanken verfolgt etwa Kurt Bauch: Imago, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild?, München 1994, S. 275–299, S. 295, der schon für die Gotik eine Vergeistigung in der Verehrung der zwar nach wie vor in den Bildwerken vorhandenen, aber bloß noch dem Volkstümlichen geschuldeten Reliquien festhält. „An die Stelle der Reliquie tritt das Bild. […] so hat die Gotik den Reliquienkult überwunden. Ihre Frömmigkeit geht mehr in die Höhe als in die Tiefe.“ Aus einer anderen, nämlich der Perspektive des von dieser Entwicklung bedrohten Reliquiars beklagt Erich Meyer: Reliquie und Reliquiar im Mittelalter, in: Ders. (Hg.): Festschrift Carl Georg Heise zum 28.06.1950, Berlin 1950, S. 55–66, hier S. 64, dass Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts eine Entwicklung sich abzeichnet, die die Reliquien an den Rand der Reliquiare dränge und zieht daraus den Analogieschluss: „Nirgends bilden sie räumlich oder dem Sinn nach die Mitte“. Und weiter: „In ihnen [den bildtragenden Reliquiaren] ist das Reliquiar formal in völlige Abhängigkeit vom Bildwerk geraten, es verzichtet auf eigene Lösungen und übernimmt bedenkenlos Typen, die für reine Bildwerke geprägt waren.“
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der körperlichen Aneignung operierte.28 Der nahe liegende Umkehrschluss aus dem Spannungsverhältnis zwischen „unscheinbaren Knochen oder Gebeinpartikel[n]“29 und einem offenbar ästhetischen Bedürfnis nach der Anschaulichkeit der in den Reliquien geborgenen himmlischen Gnadenkräfte ist es, dem Reliquiar als gestaltetem Bild die Überbrückung dieser Aporie zuzusprechen. So begreift Bruno Reudenbach „das Anliegen, die Qualitäten der Reliquien anschaulich zu vermitteln, genereller als ein[en] Grundzug mittelalterlicher Reliquiarkunst“.30 In der Heilig-Kreuz-Kapelle haben wir es mit Bildern zu tun, die die Reliquien teils in ihrem Inneren, teils an ihren Rändern unterbringen. Dennoch scheint die Funktion der Reliquien hier über die der Legitimation des Bildes weit hinauszugehen. Denn wenn Fajt davon spricht, dass die Reliquien in der Lage waren, die Bilder der Passion zu ersetzen31, dann haben wir es nicht mit einer zeichenhaften Verdopplung zu tun, in der das Bild zeigt, was der unscheinbare Partikel nicht zu veranschaulichen in der Lage ist, sondern es geht vielmehr um das Zusammenwirken der je eigenen Qualitäten von Bildern, Reliquien und nicht zuletzt Edelsteinen. In dieser Trias spielen die Reliquien nun eine besondere Rolle, sind sie doch in der Lage mittels ihrer Präsenz-erzeugenden Fähigkeiten, der virtus und praesentia, die Heiligen vor dem Betrachter erscheinen, mit ihm in eine auch körperliche Beziehung treten zu lassen.32 Gerade das Zusammenspiel dieser drei präsenten Realien evoziert im Betrachter ein inneres Bild des Kreuzigungsvorgangs, in das dieser gleichsam eingeladen ist, einzutreten. Auf einer allgemeinen Ebene hat dies schon Milada Studničková festgestellt: The relics of Christ kept there […] and the multitude of relics of patron saints set into the frames of the panel paintings […] represent an incursion of transcendence into the contemporary world, and offer some kind of possibility of experiencing the divine presence on earth.33
Denn die Reliquien spannen sowohl im Grenzbereich des Rahmens als auch innerhalb der Repräsentationsfläche des Bildes einen Raum der Präsenz auf, 28 29 30 31 32
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Vgl. hierzu Renate Kroos: Vom Umgang mit Reliquien, in: Anton Legner (Hg.): Ornamenta Ecclesia. Kunst und Künstler der Romanik, Köln 1985, Bd. 3, S. 25–49. Reudenbach 2000 (wie Anm. 27), S. 8. Ebd., S. 8. Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 29. Vgl. Christoph L. Diedrichs: Terribilis est locus iste. Zum Verhältnis des Gläubigen zu Reliquie und Bild, in: Kristin Marek u. a. (Hg.): Bild und Körper im Mittelalter, München 2006, S. 257–271, hier S. 259. Milada Studničková: Karlstein Castle as a Theological Metaphor, in: Zoë Opačić (Hg.): Prague and Bohemia. Medieval Art, Architecture and Cultural Exchange in Central Europe, Leeds 2009, S. 168–182, hier S. 173.
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dem zugleich ein bildhafter Charakter innewohnt, sind sie doch in der Lage, den inneren Bildervorrat des Betrachters zu aktivieren. Thomas Lentes beschreibt die spätmittelalterliche Bildbetrachtung so: „Das Gedächtnis des Menschen wird als innerer Bildraum verstanden, der mit den Bildern des historischen Geschehens der Heilsgeschichte angefüllt werden soll.“34 Die im Bild deponierte Reliquie kann dann als Tür zu einem derart angefüllten inneren Bildraum fungieren. So vermag etwa das auf der Höhe der Seitenwunde untergebrachte Stück des Essigschwamms im Kreuzigungsbild (Abb. 5) im Betrachter Bilder der Passion Christi zu evozieren, die die Ebene des auf dem Bild Sichtbaren überschreiten. Genauso weist der im Heiligenschein untergebrachte Dorn der Dornenkrone im doppelten Sinne über das Bild hinaus: Wie das Partikel des Essigschwamms ist er imstande, andere Bilder der Passion im Betrachter hervorzurufen. Seine Positionierung am Rande des Bildes und seine Ausrichtung nach schräg oben verleiht ihm zugleich einen Verweischarakter, der über die aktuelle Darstellung hinaus ins Jenseits des Bildes zielt. Ähnliches stellt Christoph Diedrichs in seiner Untersuchung des Halberstädter Tafelreliquiars fest, das ebenfalls Reliquien und Edelstein integriert (Abb. 6).35 Das Reliqiuar stammt von 1225 und ist damit fast 150 Jahre älter als die Heilig-Kreuz-Kapelle. Doch sein Verzicht auf bildliche Repräsentation – im Hinblick auf die Darstellung der Passion – ist nur auf den ersten Blick radikaler: Das Kreuz in der Mitte der systematisch angeordneten Reliquien trägt eine Niello-Zeichnung der Kreuzigung mit Maria und Johannes und befindet sich damit auf der gleichen darstellerischen Ebene wie die Passionsdarstellungen in der Heilig-Kreuz-Kapelle, die sich ja ebenfalls auf die Kreuzigung mit Maria und Johannes beschränken. Daher lassen sich Diedrichs Beobachtungen über das Verhältnis von Bild und Reliquien gut auf die Heilig-Kreuz-Kapelle übertragen: Die Anordnung […] der Reliquien […] kreiert also ein Bild der Kreuzigung Christi, von dem es nicht ausreicht zu sagen, dass es lediglich ein Bild im Kopf oder Herzen des Betrachters […] sei. […] Die Kreuzigung wird im Vollzug der Betrachtung des Tafelreliquiars in die unmittelbare, körperlich erfahrbare Gegenwart des Betrachters hereingeholt […] Indessen ist dies nur der erste einer Reihe von ‚Bild‘- oder ‚Erlebnisräumen‘, die das Reliquiar erschafft und durch die sich imaginativ hindurchbewegt werden kann wie durch einen virtuellen Raum.36 34
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Thomas Lentes: Inneres Auge, äußerer Blick und heilige Schau. Ein Diskussionsbeitrag zur visuellen Praxis in Frömmigkeit und Moraldidaxe des späten Mittelalters, in: Klaus Schreiner (Hg.): politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S, 179–219, hier S. 180. Auch Legner 1978 (wie Anm. 2), S. 171f. stellt eine Verwandtschaft der Ausstattung der Heilig-Kreuz-Kapelle mit der Gestaltung von Tafelreliquiaren fest und zeigt die ebenfalls Reliquien um eine Kreuzigung in der Mitte organisierende Trierer Reliquientafel von 1266. Diedrichs 2006 (wie Anm. 32), S. 262.
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Hergestellt wird dieser virtuelle Raum durch die Präsenz-schaffende Kraft der Reliquien, denn, wie Diedrichs weiter ausführt, [d]ie ‚Bilder‘ oder Imaginationen, die sie [die Halberstädter Tafel] erzeugt, gehen weit über eine symbolische oder allegorische Darstellung des Geschehens hinaus, da das im ikonographischen Programm Visualisierte vor dem Reliquiars als ‚real präsent‘ gedacht und entsprechend erlebt wurde.
Diedrichs geht es hier besonders um die körperliche „Beziehung […], die sich im Rahmen des Reliquienkults zwischen dem Gläubigen und dem verehrten Heiligen bzw. seinem Bild ergeben konnte“.37 Auf dieses Verhältnis werde ich am Ende meiner Überlegungen zurückkommen. Die Passionsreliquien wurden auf und hinter dem Altar aufbewahrt sowie in dem Kreuzigungsbild an der Altarwand (Abb. 5): im Heiligenschein das Partikel der Dornenkrone, unter Christi rechtem Arm, neben der Seitenwunde, das Stück des Essigschwamms und in der kreuzförmigen Öffnung auf seiner Brust zwei Stücke des Kreuzesholzes. Sind hier die Reliquien also mitten ins Bild gesetzt, so befinden sich die Reliquien von einer Vielzahl der dargestellten Heiligen in den Rahmen der Tafelbilder. Immer wieder werden diese Bildbegrenzungen überschritten: von den Heiligen mit ihren Heiligenscheinen und Gewändern, ihren Spruchbändern oder Attributen, von den die Engeln mit ihren Flügeln (Abb. 7). Möseneder schließt daraus, dass gerade „die zahlreichen Überschneidungen des ‚Rahmens‘ durch die mächtigen, oft weit ausladenden Gestalten […] an einer Interpretation der goldenen Leisten als Rahmen zweifeln [lassen]“38. Ich möchte jedoch mit Hans Holländer dagegen halten: „Der Rahmen ist eine Art von Grenze. Sie wird bestätigt, wenn sie überspielt und überschritten wird.“39 Dies gilt ganz besonders für die Verbindung von Reliquien und Rahmenüberschreitungen, wie es hier der Fall ist. Dann erweist sich nämlich der Rahmen als der Ort des Bilds, an dem der Status des Bildes verhandelt wird und an dem der Rahmen damit im Derridaschen Sinne40 von außen her am Inneren des Bildes mitarbeitet: Folgt man nämlich den libri carolini, dann brennen die Bilder am Tag des Jüngsten Gerichts ab, aus den Reliquien jedoch erstehen die Toten zum ewigen Leben. Auf dem Rahmen treffen sich in diesem besonderen Fall dann sowohl das Bild als auch sein Grund und seine eschatologische Zukunft, bildet die ästhetische Fassung der Reliquie doch eine Legitimation für die Existenz der Bilder an sich genauso, 37 38 39
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Diedrichs 2006 (wie Anm. 32), 259. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 39. Hans Holländer: Bild, Vision und Rahmen, in: Joerg O. Fichte (Hg.): Zusammenhänge, Einflüsse, Wirkungen. Kongressakten zum ersten Symposium des Mediävistenverbandes in Tübingen, 1986, S. 70– 94, hier S. 77. Vgl. Anm. 25.
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wie sich die Hoffnung des Gläubigen auf die Präsenz des Heiligen in der Reliquie richtet, die zugleich ein Versprechen der Teilhabe an diesem Heiligen Leib birgt. Hier begegnen sich also das ikonische Zeichen und das Bezeichnete, die Reliquie, die dann ihrerseits, neben aller virtus und praesaentia, auch über einen zeichenhaften Charakter verfügt, vereint sich in ihr doch das reale Fragment des heiligen Körpers mit dem Verweis auf dessen zukünftige Gestalt, den Glanzleib des corpus spiritale, der ja zugleich als Gebäude gedacht ist41. Der Rahmen macht das Bild also als solches kenntlich und bietet zugleich den Ort, an dem das Bild ins Jenseits und zum Kern der Sache vordringen kann. Manfred Wundram analysiert das Figur-Rahmen-Verhältnis in der HeiligKreuz-Kapelle und spricht sowohl im Hinblick auf die Überschreitungen der Rahmen durch die dargestellten Heiligenfiguren als auch der umgekehrten Überschneidung der Figuren durch die Rahmen von der Veranschaulichung der „Wucht eines allseits sich ausdehnenden Körpers“42 und bringt diesen in Zusammenhang mit einem in der böhmischen Kunst zur Zeit Karls IV. ansteigenden Bewusstsein für das Verhältnis von Körper und Raum, das er auch für alle übrigen Gattungen nachweist.43 Bevor ich diese Beobachtungen in einer abschließenden Deutung der Heilig-Kreuz-Kapelle zusammenzuführen versuche, will ich noch auf einen weiteren Aspekt eingehen: die Edelsteininkrustation der Wände.
Der Raum des Visuellen Wie bereits erwähnt, ist die untere Zone der Heilig-Kreuz-Kapelle über und über mit Edelsteinen bedeckt, wie ein Band liegen die Steine zwischen den Tafelbildern und der Sockelzone. Neben den Edelsteinen üblicherweise zugesprochenen Funktionen und Bedeutungen – ihre apotropäische Wirkung, ihre allegorische und tropologische Dimension – wurde vor allem eine Leseweise immer wieder stark gemacht: die Anlage der Kapelle als Abbild des Himmlischen Jerusalems der Johannes-Apokalypse.44 Ein weiterer Aspekt, den Legner als Vorbild für die Wanddekorationen betont, sind die „auch am Hofe Karls 41
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Zum Verhältnis von Heiligenleib, Reliquie und deren (ästhetischer wie semiotischer) Vermittlung im Reliquiar siehe Reudenbach (wie Anm. 26), S. 37f mit weiterführender Literatur. Manfred Wundram: Körper und Raum in der böhmischen Kunst zur Zeit Karls IV, in: Ferdinand Seibt: Kaiser Karl. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 371 bis 378, hier S. 376. Wundram 1978 (wie Anm. 42), S. 377. Vgl. Legner 1978 (wie Anm. 2), S. 358 und Fajt 1998 (wie Anm.2), S. 22f.
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gern gelesenen Schilderungen orientalischer Ausstattungspracht“, außerdem spricht er von einer „spezifischen Steinfrömmigkeit“ Karls.45 Was Möseneder, nach dem die gesamte Ausstattung der Kapelle den „Charakter des Forcierten und Dinghaft-Konkreten“46 aufweist, außerdem hervorhebt, ist die Rolle der Gläubigen, die – als lebendige Steine, lapides vivi – zu den Wänden des himmlischen Baus, der Ecclesia, zusammengeführt werden. Er bezieht sich dabei unter anderem auf Durandus, Hugo von St. Viktor und nicht zuletzt den 1. Petrusbrief (2, 4f), in dem es heißt: „Lasst euch selbst als lebendige Steine in den Tempel einfügen, den der Geist Gottes baut“; dieses Bild gelte nicht nur für die Kirche insgesamt, sondern auch für das himmlische Jerusalem.47 Besonders die auf den Tafelbildern und dank der dort untergebrachten Reliquien auch in den Rahmen präsenten Heiligen spielen in der communia sanctorum, zu der sich die lapides vivi letztlich fügen, eine entscheidende Rolle: Sie sind die Fürbitter der Gläubigen, sie vermitteln deren Wünsche und Hoffnungen. Neben diesen Sinnangeboten möchte ich die Lesart von Brigitte Buettner stark machen, die sich gegen eine Vereinnahmung der Präsenzeffekte von Edelsteinen durch die hermeneutische Lesart der Allegorese wendet und Edelsteinen eine die Kategorien des Sinns sprengende pulsierende Qualität zuspricht.48 Die Wirkung von mit zahlreichen Edelsteinen besetzten Reliquiaren beschreibt Buettner folgendermaßen: „what confronts us when looking at reliquaries sometimes strewn with hundreds of stones is a fertile web of associations that are neither entirely random nor completely reducible to language.“49 Diese sprachliche Inkommensurabilität des ästhetischen Effekts der Edelsteine überstrahlt die Ebene der bildlichen Repräsentation und führt ein anderes Sehangebot ein: „stones tug the visible away from the legible and open up the dimension of the visual“.50 Diese Dimension des Visuellen51 öffnet sich auch in der Heilig-Kreuz-Kapelle und eröffnet damit einen die Ebene der reinen Darstellung verlassenden Raum der Präsenz, in den der Betrachter eingeladen ist einzutreten (und in den er doch nie hinein kommt52). 45 46 47 48
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Legner 1978 (wie Anm. 2), S. 358 und 360. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 54. Ebd., S. 55. Brigitte Buettner: From bones to stones – Reflections on jeweled reliquaries, in: Bruno Reudenbach und Gia Touissaint (Hg.): Reliquiare im Mittelalter (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte; V), Berlin 2005, S. 43–59, hier S. 49. Ebd., S. 51. Ebd. Buettner bezieht sich hier auf den von Didi-Huberman entwickelten Begriff des Visuellen (le visuel). Georges Didi-Huberman: Devant l‘image. Question posée aux fins d’une histoire de l’art, Paris 1990. „Sehen heißt, zur Kenntnis nehmen, daß das Bild die Struktur eines davor-darin besitzt: unzugänglich und auf Distanz haltend, so nahe es auch sein mag – denn es ist die Distanz eines unterbrochenen Kontakts, einer unmöglichen Beziehung von Körper zu Körper.“
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Die Materialität dieses Raums, in dem Stein, Bild und Reliquie in so enge Beziehung treten, ist natürlich Gegenstand der Überlegungen zur HeiligKreuz-Kapelle: Möseneder führt diese „eindringliche Sichtbarmachung von Ideellem“53 (also einem theologischem Programm) auf Karls ausgeprägtes Bewusstsein für die Repräsentation zurück, dessen „Einschätzung des Sichtbaren“ ihn bei öffentlichen Auftritten selbst habe zum „lebendigen[n] Bild“ werden lassen.54 Daraus leitet er einen bestimmten Bildbegriff ab: „Es [das Bild] soll nicht einfach zeichenhaft verweisen, sondern in lebendiger Gestalt und ‚echter‘ Stofflichkeit das Gemeinte mitteilen.“55 Möseneder betont hierbei den Moment der Kontaktaufnahme mit dem Himmlischen; Edelsteine, Gold, Glas und Reliquien werden ihm zum „Unterpfand des Heils“.56 Legner spricht von einer „Visualisierung im Architektonischen“, die „ihren Formenvorrat gewiss aus der sakralen Schatzkunst mittelalterlicher Kleinodien“ beziehe.57 Hiermit sind wir nun bei der eingangs genannten Deutung angelangt: „Diese Kapellen mit den Edelsteinwänden sind ja auch Schreine, monumentalisierte Reliquienschreine“.58
Der Raum des Bildes Dieser recht allgemein gehaltenen These zur Heilig-Kreuz-Kapelle als monumentalisiertem, begehbarem und zudem auf wundersame Weise von außen nach innen gewendetem Reliquienschrein fügt Möseneders Leseweise der Kapelle als „raumumspannendes Reliquienretabel“,59 wie er das in seinen abschließenden Überlegungen nennt, genau jenes Quäntchen bei, dass die Kapelle einem neuen Interpretationsansatz öffnet, wie ich ihn im folgenden versuchen will. Möseneder hebt in seiner Deutung besonders die Lebendigkeit, den Verismus, die NichtZeichenhaftigkeit auch der malerischen Ausstattung der Kapelle hervor; er sieht in der materiellen Konkretisierung der ecclesia triumphans durch die lapides vivi (also Steine, Bild und Reliquien) zugleich deren Höhepunkt und Ende. Daher kann er die Idee des raumumspannenden Reliquienretabels nur
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Georges Didi-Huberman: Was wir sehen, blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes, München 1999, S. 235. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 62. Ebd. Ebd., S. 63. Ebd. Legner 1978 (wie Anm. 2), 358. Ebd. Möseneder 1981 (wie Anm. 2), S. 63.
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innerhalb einer Entwicklung der Tafelmalerei gebrauchen, innerhalb derer der Reliquienaltar nur ein Zwischenschritt darstellt. Dass jedoch insbesondere die Reliquien eine zentrale Rolle bei der Entfaltung des gesamten Bildprogramms spielen, in dem sie, wie ich oben gezeigt habe, die fehlenden Passionsszenen vor dem Betrachter und in dessen Imagination herstellen, übersieht Möseneder. Aus dem Blick geraten ihm dabei unweigerlich die medialen und rezeptionsästhetischen Konsequenzen seiner These, um die es mir im Folgenden geht. Besonders die von einem Historienzyklus begleiteten Heiligenfiguren der Kapelle mit einer Kreuzigung und Reliquien in ihrer Mitte lassen Möseneder an reliquienbergende Flügelaltäre denken. Die im Bildprogramm fehlenden Passionsszenen würden in einer solchen Leseweise tatsächlich durch die Kreuzigung als gedanklichem und räumlichem Mittelpunkt des Heilsgeschehens und die im Schrein der Altarnische und den Bildern selbst geborgenen Passionsreliquien ergänzt: Möseneder vergleicht die Kapelle mit dem Marienstätter Reliquienretabel (Abb. 8), die Bildwerke seien auf alle Wände der Kapelle ausgebreitet und in der Kreuzigung zentriert.60 Auch Fajt vergleicht die Altarwand mit einem Reliquienaltar und nennt weitere Vergleichsbeispiele: die Reliquienaltäre aus Bad Doberan und von Schloss Tirol (bei Meran) (Abb. 9).61 Fajt zeigt außerdem das Reliquiardiptychon des Despoten von Epiros (Abb. 10), zu dem er schreibt: „In diesem fast zeitgenössischen Reliquiardiptychon griechischen Ursprungs sehen wir die Verbindung einer Reliquie mit der entsprechenden Darstellung eines konkreten Heiligen, wie dies auch in der Heilig-Kreuz-Kapelle auf Karlstein der Fall ist.“62 Ich weise zudem auf die Verbindung von Heiligenbild, Reliquie und 309 Edelsteinen sowie 933 Perlen hin, die Legner auf dem Diptychon gezählt hat, das auch er mit der Heilig-Kreuz-Kapelle in Verbindung bringt.63 Bemerkenswert ist überdies die Darstellung des Stifters, der halb aus dem Edelstein-Rahmen wachsend zu Füßen der Mutter Gottes liegt und dessen Umriss vom selben Perlen-Rahmen gefasst ist, der die Gestalt der Madonna und den gegenüberliegenden Christus umgibt. In der Heilig-Kreuz-Kapelle jedoch gibt es keine Stifterdarstellung: 60 61
62 63
Ebd., 53f. Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 29, Bildunterschrift 31: „Wichtig ist jedoch der Altar aus der Kapelle der Burg Tirol, der eine Kombination von Bilderwand, beweglichen Flügeln und Reliquienschrein darstellt und künstlerisch zudem mit der Ausstrahlung des Stils Theoderichs verbunden zu werden pflegt. Ganz ähnlich ist in der Kapelle auf Karlstein die Bilderwand durch eine Reliquiennische (Schrein) ergänzt“. Bemerkenswerterweise sind die ihrem Wesen nach parergonalen Bildunterschriften der einzige Ort, an dem sich Fajt zu dieser Frage äußert. Ebd., S. 50, Bildunterschrift 51. Anton Legner: Reliquien in Kunst und Kult: zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995, S. 221.
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Anders als in den beiden Kapellen des kleinen Karlsteiner Turms, wo Karl IV. insgesamt sechsmal auftaucht ist, vermutet Fajt hier lediglich ein KryptoPorträt Karls IV. als einer der drei heiligen Könige im Fresko der nordöstlichen Fensternische.64 Ob dem Betrachter, als dessen Identifikationsfigur ein Stifterbildnis auch zu denken ist, eine andere Stelle in diesem Bildprogramm zugewiesen wird, darum soll es im Folgenden gehen. Denn der Gedanke, dass die Altarwand die Form eines Reliquienaltars habe, lässt sich noch erweitern und auf den gesamten Raum übertragen und so verstehe ich letztlich auch Möseneders Rede vom raumumspannenden Reliquienretabel. Impliziert die Formulierung doch, dass zwischen den Bildern ein Raum entsteht, der von diesen gleichsam hervorgebracht wird. Es sind die Bilder und nicht zuletzt die am Rande der Repräsentationsfläche Bild untergebrachten Reliquien, die diesen Raum schaffen. Durch ihre virtus öffnen die Reliquien die Bildgrenze in zwei Richtungen: zum Betrachter sowie zum Heiligen hin und vollziehen damit eine ähnliche Bewegung wie die ihre Rahmen überschreitenden Heiligenfiguren. Hieraus lässt sich eine Differenzierung gegenüber der üblichen Lesart der Kapelle als ebenfalls raumbergendem Reliquienschrein65 gewinnen: Schließlich ist die Deutung einer realen Architektur als Schrein letztlich bloß die Umkehrung der gängigen Forschungsmeinung, Reliquienschreine als Architekturen en miniature zu erklären,66 und damit nichts anderes als eine tautologische Antwort auf die Frage, die die Gestaltung der Heilig-Kreuz-Kapelle stellt. Außerdem gilt es zu bedenken, dass sich im Fall einer Interpretation der Heilig-KreuzKapelle als Reliquienschrein das Problem der von außen nach innen gekrempelten Schauseiten stellt,67 die überdies den Betrachter in den Kern dieses monumentalen Schatzkästchens einschließen und ihn so de facto auf eine Ebene mit den heiligen Reliquien stellen, einen Ort, an den sich der fromme 64 65
66
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Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 25. Ähnliches gilt ja auch für die Sainte-Chapelle, auch Ulrich Stevens forciert diesen Vergleich: „Stärker noch als in der Sainte-Chapelle kommt in der Kreuzkapelle der Charakter als Reliquienschrein zum Ausdruck“. Ulrich Stevens: Burgkapellen. Andacht, Repräsentation und Wehrhaftigkeit im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 180. Siehe dazu z. B. Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1997, S. 177–179, Legner 1995 (wie Anm. 637), S. 134–149. Horst Wenzel: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 103, konstatiert dieses selbstreferentielle Element im Verhältnis von Reliquienschrein und Kirchenbau: „Die ideelle und materielle Korrespondenz von Heiligenschrein und Kirchenbau unterstreicht die Tatsache, daß die Kirche selbst als architektonisches Reliquiar, als Haus Gottes gedacht und ausgeführt ist.“ Dieses Verhältnis der Differenz von und Vermittlung zwischen unansehnlichem Kern, der Reliquie, und kostbarer Hülle ist immer wieder Thema der Reliquiarsforschung und kann daher bei einer Parallelisierung von Heilig-Kreuz-Kapelle und Reliquienschrein nicht übergangen werden. Vgl. etwa allgemein Reudenbach 2000 (wie Anm. 26), bes. S. 10–12.
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Betrachter zwar sehnt, an den er aber doch niemals gelangen kann. Daher möchte ich einen anderen Vorschlag für die Situierung des Betrachters im Verhältnis zu dem von ihm geschauten Bild machen: Begreift man die Kapelle als halb geklappten Reliquienaltar, so befindet sich der Betrachter tatsächlich auf wundersame Weise mitten im Raum dieses Bildes, der allerdings, und das ist entscheidend, vom Raum der Reliquien medial getrennt ist, anders als dies bei einer Deutung der Kapelle als Schrein der Fall wäre, wo doch der Betrachter als ebenfalls in diesem Schrein enthalten und damit auf einer Ebene mit den geborgenen Reliquien gedacht ist. Dieses Problem löst die Deutung der Kapelle als Altarretabel auf eine komplexere Weise: Ist der Betrachter hier doch zugleich dem Bild – und damit auch den von ihm geborgenen Reliquien – gegenüber gestellt und, durch seine imaginäre Verstrickung, in die Lage versetzt, die mediale Grenze, die das Bild aufruft, zu überschreiten.
Der Raum des Betrachters Jetzt gilt es zu fragen, wie der Rezipient in diesen Raum des Bildes eintritt und welche Konsequenzen sein Eintritt in das Bild hat (Abb. 11). Der Lettner schließt genau auf der Höhe des Übergangs zwischen Edelsteininkrustation und Tafelbildern ab. Sowohl die Eingangstür der Südwand als auch die Durchgangstür des Lettners liegen auf einer Linie mit der die Reichsreliquien bergenden, vergitterten Nische, die dem Lettner formal gleicht. Der Benutzer/Betrachter fügt sich mit dem Betreten der Türschwelle in diese Rand-Zone ein.68 Der Körper des Betrachters, und zumindest als idealen Betrachter können wir uns Karl IV. hier vorstellen, hält damit genauso Einzug ins Bild, wie die Stifterdarstellungen von Karl IV. und seiner Ehefrau Elisabeth von Pommern sich in die mit Edelsteinen besetzte Zone an der Ostwand der Wenzelskapelle im Prager Veitsdom einschreiben (Abb 12. und 13). Legner schreibt dazu: „Das Bild des Kaisers erscheint in der eigentümlichen Sphäre der Edelsteinwände der Wenzelskapelle ikonenhaft in die kostbarste Materialfläche eingebunden“69, und Christel Meier spricht von
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69
Und ausgerechnet der Rand war ja bei Tafelbildern und Reliquiaren häufig der Ort der Stifter-Darstellung. Vgl. Elisabeth Heller: Das altniederländische Stifterbild, München 1976, bes. S. 34–37 und S. 48, sowie Annemarie Weyl Carr: Donors in The Frames of Icons. Living in the Borders of Byzantine Art, in: Gesta 45,2 (2006), S. 189–198. Legner 1978 (wie Anm. 2), S. 169.
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einem „vollkommene[n] Ineinander von Bild- und Edelsteinschmuck“.70 Dieses vollkommene Ineinander wird in der Heilig-Kreuz-Kapelle gleichermaßen aufgerufen wie differenziert.71 Karl IV., bzw. jeder andere privilegierte Betrachter, reiht sich mit dem Moment des Eintretens in die EdelsteinZone in die lapides vivi zwar ein und vervollständigt so den Kreis der Gläubigen, die sich zu den Wänden des himmlischen Baus zusammenschließen, gleichzeitig jedoch ist dieses Verhältnis fragil, rein temporär und medial klar getrennt. Karl IV. spricht in seiner Autobiographie von der Perle als „Tor des Himmelreichs“72, durch die der Gläubige einziehe. Diese Pforte hat in der Edelstein-Zone der Heilig-Kreuz-Kapelle Gestalt gewonnen, durch sie kann der Betrachter in den Bild-Raum des Heils eintreten. Der Raum organisiert damit auch ein gestaffeltes Näherkommen, das den Körper des Betrachters genau in der Mitte des Raumes ein weiteres Mal still stellt, in der ambivalenten Rahmen-Zone des Lettners, die ins Dreidimensionale verlängert ist und zugleich auf das Flächige des Bildes anspielt. Der Betrachter wird damit genauso in das Bildprogramm eingefügt, wie sich das Stifterbildnis Karls IV. in die ebenfalls auf der Höhe der Eingangstür situierte Edelsteinzone der Wenzelskapelle einfügt. Der Betrachter wird, betritt er diesen Raum, zumindest für einen Moment, selbst zum Bild. Auf dieser endlosen Schwelle des Blicks73 setzt er sich blickend dem Blick der Heiligen und vor allem Christi aus, reinigt sein Inneres von schlechten Bildern und „wird so zu jenem Bild, das er betrachtet“.74 Dieses Eingehülltsein in den Blick des Bildes, auf das die fromme Bildbetrachtung ja abzielt, die den Menschen dann zum Ebenbild Christi75 und „Vorbild für andere 70
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Christel Meier: Edelsteinallegorese, in: Anton Legner (Hg.): Die Parler und der schöne Stil 1350–1400 – Europäische Kunst unter den Luxemburgern, Köln 1978, S. 185–188, hier S. 186. Natürlich sind die Unterschiede zwischen der Wenzels- und der Heilig-Kreuz-Kapelle offensichtlich: Dort flankieren Karl und Elisabeth das Kreuz, hier steht der Betrachter dem Bildensemble (räumlich) gegenüber, dennoch sind die beiden auch in der Wenzelskapelle in einer anderen Zone untergebracht: Sie sind kleiner als Maria und Johannes und durch die sie überfangende Architektur-Abbreviatur auch von der Kreuzigungsszene räumlich getrennt, Sie sind – und können das ja auch nicht sein – keine Zeugen der Kreuzigung. Vielmehr wird hier zweierlei thematisiert bzw. visualisiert: die angestrebte Christusnachfolge Karls (Fajt, wie Anm. 2, S. 25) und die Visualisierung der Kreuzigungsszene im Moment der Andacht – wie es ja dann auch (meiner These gemäß) in der Hl-Kreuz-Kapelle passiert. Vita Caroli Quarti (wie Anm. 5), S. 153. Zum Bild als „endlose Schwelle des Blicks“ vgl. Didi Huberman 1999 (wie Anm. 51), S. 223–246 Lentes 2002 (wie Anm. 34), S. 188. Eine solche Eben- und Vorbild-Funktion hätte Karl sicher für sich in Anspruch genommen, ging es ihm doch um eine „auf der Kirchentradition beruhende, ganzheitliche Religiosität […], mit deren Hilfe sie [die hochadligen Laien] ihrer Existenz und ihrem
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Menschen“76 macht, wird in der Karlsteiner Heilig-Kreuz-Kapelle leibhaftig spürbar. Denn wenn das Halberstädter Tafelreliquiar laut Diedrichs eine Reihe von ‚Bild‘- oder ‚Erlebnisräumen‘ erschafft, durch die der Betrachter sich imaginativ wie durch einen virtuellen Raum bewegt, dann stellt die Heilig-Kreuz-Kapelle diesen Raum tatsächlich zur Verfügung: Es ist der Raum der Passion und damit des Heils. Der Weg hinein in diesen Raum führt offenbar durch seinen Rahmen.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Robert Suckale: Kunst in Deutschland. Von Karl dem Großen bis Heute, Köln 1998, S. 158, Abb. 46; Abb. 2, 7: Jirí Fajt und Jan Royt: Magister Theodoricus Hofmaler Kaiser Karls IV. Die Künstlerische Ausstattung der Sakralräume auf Burg Karlstein, Prag 1997, S. 11, S. 46; Abb. 3: Barbara Drake Boehm und Jiri Fajt (Hg.): Prague. The crown of Bohemia. 1347–1437, New York, London 2005, S. 2; Abb. 4: Jan Bonek und Thomas Bonek: Esoterisches Böhmen. Karlstein. Die mystische Gralsburg der Karolinger. Spirituelles Zentrum Europas, Prag 2007, S. 82; Abb. 5: Jiri Fajt, Jan Royt, Libor Gottfried: Geheiligte Räumlichkeiten der Burg Karlstein, Prag 1998, S. 33, Abb. 31; Abb. 6: Harald Meller, Ingo Mundt und Boje E. Schmuhl (Hg.): Der Heilige Schatz im Dom zu Halberstadt, Regensburg 2008, S. 97; Abb. 8, 9: Rainer Kahsnitz: Die großen Schnitzaltäre. Spätgotik in Süddeutschland, Österreich, Südtirol, München 2005, Abb. 7, 5; Abb. 10: Legner 1995 (wie Anm. 63), Taf. X; Abb. 11: Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 174, Abb. 118; Abb 12: Barbara Schock-Werner: Die Bauhütte des Veitsdomes in Prag, in: Liana Castelfranchi Vegas (Hg.): Die Baukunst im Mittelalter, Solothurn/ Düsseldorf 1995, Abb. 19; Abb.13: Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, Photothek/ Farbdiaarchiv.
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Tun einen tieferen Sinn zu geben suchten.“ Hier sei noch einmal auf die zentrale Stellung der Christusfrömmigkeit in Karls IV. theologischer Ausrichtung, die sich besonders am Pariser Hof ausgeprägte, hingewiesen: „Sie [die Christusfrömmigkeit] beruhte […] auf der Idee der ewigen Weltherrschaft Christi, des Königs der Könige, von dem die weltlichen Herrscher ihre Legitimation und den sakralen Charakter ihres Amtes ableiteten.“ Otavsky 2009 (wie Anm. 8), S. 301. Auch Fajt thematisiert diesen Gedanken: „Karls Kryptoporträt [als einer der hl. Drei Könige] kann als sakrale Erhöhung der königleichen Würde verstanden werden, handelt es sich doch hier um die ‚Nachfolge‘ (imitatio) Christi […].“ Fajt 1998 (wie Anm. 2), S. 25. Lentes 2002 (wie Anm 34), S. 188.
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Abb. 1: Heilig-Kreuz-Kapelle, Burg Karlstein, Baubeginn 1360, Weihe am 9. Februar 1365, Vollendung der Ausschmückung bis 1370.
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Abb. 2: Burg Karlstein, Gesamtansicht von Westen.
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Abb. 3: Heilig-Kreuz-Kapelle, Burg Karlstein, Lettner mit Edelsteinen.
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Abb. 4: Tomaso da Modena, Muttergottes und Christus als Schmerzensmann, um 1355, HeiligKreuz-Kapelle, Burg Karlstein.
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Abb. 5: Meister Theoderich, Kreuzigung, Heilig-Kreuz-Kapelle, Burg Karlstein.
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Abb. 6: Halberstädter Tafelreliquiar, 2. Viertel 13. Jhdt., Domschatz, Halberstadt.
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Abb. 7: Meister Theoderich, Hl. Heinrich, 1360–64, Heilig-Kreuz-Kapelle, Burg Karlstein.
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Abb. 8: Reliquienaltar, um 1350, Zisterzienserkirche, Marienstatt.
Abb. 9: Reliquienaltar aus Schloss Tirol, um 1370, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck.
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Abb. 10: Reliquiardiptychon des Despoten von Epiros, 1367–1384, Meteora.
Abb. 11: Heilig-Kreuz-Kapelle, Burg Karlstein, Südwand.
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Abb 12: Wenzelskapelle, Veitsdom, Prag, Ostwand, nach 1352.
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Abb. 13: Wenzelskapelle, Veitsdom, Prag, Ostwand, Detail der Sockelzone: Kreuzigungsgruppe mit Karl VI. und Elisabeth von Pommern, 1372/73.
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Violent Spaces and Spatial Violence: Pordenone’s Passion frescoes at Cremona Cathedral
The violence enacted upon Christ in Giovanni Antonio da Pordenone’s scenes at Cremona cathedral is of such ferocious intensity that it cannot be contained by the frame. In the Fall on the Way to Calvary, Christ appears to reach out beyond the represented world to grip the picture’s edge, bracing himself against the torments of his oppressors (fig. 2). In the scene of Christ Nailed to the Cross, the shaft of the cross projects out of the picture plane in an illusionistic overflowing of sacred history into the space of the church (fig. 3). Such transgressions of contained pictorial space also destabilize time: they underscore the idea of Christ’s Passion as a perpetual event; that is, Jesus not only suffered for the redemption of Man, but continues to do so in the present.1 The collapse of temporal logic that these paintings allege makes explicit an essential component of all Christian representation: in visualizing a timeless truth, images like Pordenone’s offer the potential for a pictorial dialogue in which the distinction between sacred past and devotional present is elided. But the violence the artist employs to motivate the time-bending agency of these images also affects the beholder’s perception of illusionistic space and his or her relation to it. Pordenone’s paintings are often seen solely in terms of artistic pyrotechnics, but they are also concerned with the nature of sacred representation at a time when the stakes for being a maker of sacred images could not have been higher.2 The violent force with which Pordenone’s projective forms
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I am indebted to the Center for Advanced Study in the Visual Arts, National Gallery of Art, Washington, DC and the Kunsthistorisches Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) for their generous support of my scholarship. For more on the idea of Christ’s continual suffering, see Richard Kieckhefer: Unquiet souls: Fourteenth-century Saints and their Religious Milieu, Chicago 1984, p. 111. Recent scholarship that attempts to define Pordenone’s artistic singularity at Cremona include Hanne Kolind Poulsen: Obtrusive Paintings. Pordenone and the Baroque Tendencies in Italian Art at the Beginning of the 16th Century, in: Søren Kaspersen (ed.): Images of Cult and Devotion, Copenhagen 2004, pp. 265–272; Id.: Mode and meaning: the Frescoes of Giovanni Antonio da Pordenone in the Cathedral of Cremona, in: Analecta Romana Instituti Danici 29 (2003), pp. 119–153; Carolyn Smyth: Pordenone’s ‚Passion‘ Frescoes in Cremona Cathedral: an Incitement to Piety, in: Giancarla Periti (ed.): Drawing Relationships in Northern Italian Renaissance Art. Patronage and Theories of Invention, Aldershot 2004, pp. 101–128; Andrea C. Theil: Il Pordenone. Studien zu seiner Bildsprache, Worms 2000,
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transgress the picture frames calls into question traditional assumptions regarding the relation of image and beholder. In what follows, I will consider how the artist’s intrusive illusions affect the exigencies of beholding and the concerns they raise about the potential of art to transcend distinctions between fiction and reality. Beginning in 1514 Cremona cathedral became the locus of one of the most extensive decorative campaigns in all of sixteenth-century Lombardy (fig. 6).3 Within eight years, the walls above the nave arcades, presbytery, and interior façade were transformed by a vast fresco cycle that consisted of episodes from the life of the Virgin and Christ’s Passion. Begun by Boccaccio Boccaccino and continued by Gianfrancesco Bembo, Altobello Melone, and Girolamo Romanino, the cycle courses along the left wall from the entrance to the high altar, around the presbytery, and back down the right wall to culminate with Pordenone’s clamorous scenes of Christ Before Pilate, the Fall on the Way to Calvary, Christ Nailed to the Cross, the Crucifixion and Lamentation (1520–1522) (fig. 1–5).4 To paint the suffering and shameful execution of the God-made-man is to undertake the difficult task of visualizing an image of inversion. Embracing
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pp. 14–107; Claudia Bertling Biaggini: Il Pordenone. Pictor Modernus, Hildesheim 1999, pp. 75–84; Charles Cohen: The Art of Giovanni Antonio da Pordenone. Between Dialect and Language, Cambridge 1996, vol. 1, pp. 169–221; Id.: Pordenone’s Cremona Passion Scenes and German Art, in: Arte Lombarda 42/43 (1975), pp. 74–96; Caterina Furlan: Il Pordenone, Milan 1988, pp. 23–27, 97–115. The patrons of the cycle consisted of an annually alternating sub-committee belonging to the fabbriceria of the Duomo, a group of exclusively patrician citizens known as the massari. For Pordenone’s contract of 20 August 1520 see Mario Marubbi: Regesto dei documenti cinquecenteschi per le ‚Storie del Testamento Nuovo‘, in: Alessandro Tomei (ed.): La Cattedrale di Cremona. Affreschi e sculture, Cinisello Balsamo 2001, pp. 191–206, esp. pp. 198–199. For the role of the massari in the fabbriceria see Giulio Bora: Nota su Pordenone e i Cremonesi (e alcuni nuovi disegni), in: Il Pordenone, Atti del convegno internazionale di studio, ed. by Caterina Furlan, Pordenone 1985, pp. 153–157, esp. p. 153; Valerio Guazzoni: La cattedrale nella vita religiosa e civile di Cremona, in: Franco Voltini and Valerio Guazzoni (eds.): Cremona. La cattedrale, Casalmorano 1989, pp. 69–125; Smyth 2004 (as in note 2), pp. 102–105. Twenty-seven scenes survive from the period 1514–1522. Bora has suggested that Boccaccio Boccaccino was paid on 16 June 1519 for two additional scenes of the Baptism of Christ and the Entry into Jerusalem. It is assumed that these scenes were destroyed when the apse wall was punctured by two rectangular windows in 1573. See Bora 1985 (as in note 3), p. 154. For the modifications to the presbytery and façade following the completion of Pordenone’s frescoes see Alfredo Puerari: Il Duomo di Cremona, Cinisello Balsamo 1971, p. 45; Id.: Contributi alla storia architettonica del Duomo di Cremona, in: Bollettino storico cremonese 2/25 (1970/71), pp. 17–44, esp. pp. 21–31; Franco Voltini: Le opere e i giorni della Cattedrale, in: Voltini and Guazzoni 1989 (as in note 3), pp. 9–65, esp. pp. 29–31, 36; Id.: Un itinerario, ibid., pp. 133–139.
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the seemingly incongruous link between holiness and disfigurement, northern European Passion imagery often presented a challenge to the devout beholder’s conviction in Christ’s divinity by confronting him or her with revolting images of Jesus’ suffering. Pordenone’s frescoes present the beholder with a similar test of faith, albeit within an Italian pictorial matrix, and one that intensifies the challenge to see beyond Christ’s debased appearance by compounding it with an optically-confounding assault on the beholder.5 This is to say that in Pordenone’s paintings the manipulation of the viewer’s awareness of the boundary between art and reality operates as a powerful means of soliciting reflection on Christ’s Passion and its representability. Such means are contextually specific and their effects depend, in part, on where Pordenone’s scenes are located in the nave cycle as well as how they recognize and depart from the artistic concerns of his predecessors. The particularity of early sixteenth-century Cremonese artistic culture did not result from a self-sufficient system of artistic values as it had in, say, Florence, but from a selectively inclusive process that eschewed dependence on a single center of artistic activity.6 Many of the cycle’s paintings register (to varying degrees) a desire to both identify with and differentiate from the artistic values that were becoming most characteristic of works produced in northern and central Italy as well as beyond the Alps. Bembo’s Presentation in the Temple (1515–16), for example, acknowledges works by his German and central Italian peers: his composition draws on the setting and arrangement of the figures in Albrecht Dürer’s print (1505) of the same subject as well as certain figural prototypes of the Roman maniera moderna, such as the kneeling woman in the left foreground of Raphael’s Expulsion of Heliodorus from the Temple (1511–12) (fig. 7–9). Yet, Bembo’s fresco asserts that it is not a passive aggregate of diverse influences by seeming to caricature Raphael’s kneeling woman through a deliberately coarse idiom of execution.7 This idiom is extended to all of the holy figures, whose roughly treated features create a striking contrast to the polished handling of 5
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In this regard, my essay seeks to sustain the idea proposed by Carolyn Smyth that Pordenone’s paintings were intended to function as stimuli for spiritual self-examination. Smyth 2004 (as in note 2), p. 102. For a discussion of how Italian artists at the start of the sixteenth century responded to a dynamic of centralization see Stephen J. Campbell: Artistic Geographies, in: Michael Wyatt (ed.): The Cambridge Companion to the Italian Renaissance, forthcoming 2014. For the grotesque nature of Bembo’s figures see Mina Gregori: Altobello e G. Francesco Bembo, in: Paragone 93 (1957), pp. 16–40, here p. 28; Id.: Altobello, Il Romanino e il Cinquecento Cremonese, in: Paragone 69 (1955), pp. 3–28. Bembo had visited Central Italy in 1509. For his exposure to the art of Rome see Louis A. Waldman: Two Foreign Artists in Renaissance Florence. Alonso Berruguete and Gian Francesco Bembo, in: Apollo 484 (2002), pp. 22–29; Marco Tanzi: Il crepuscolo degli eccentrici a Cremona, in: Prospettiva 134–135 (2009), pp. 25–51.
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the portraits of Bembo’s Cremonese contemporaries on the right side of the composition. It is as if Bembo wants the beholder to notice that the crude painting of the holy figures is a calculated choice. This deliberately unrefined manner of articulating bodies can be read as a response to Raphael’s disegno, if disegno is understood as the rendering of bodies as coherent volumes, as well as the theological concerns that subtend Raphael’s style of perfected humanity. A similar argument can be made for Altobello Melone’s Massacre of the Innocents (1516–17) when compared to Michelangelo’s Battle of Cascina (1504–05) or Marcantonio Raimondi’s print after Raphael’s Massacre of Innocents (1510–14), which we might think of as paradigmatic examples of bodies in frenzied motion (fig. 10–12). Where these central Italian examples preserved the dignity of the figures, Altobello employs blatantly un-idealized figure types; and where Michelangelo and Marcantonio gave each body, overlapping or not, a kind of sculptural integrity and allowed each figure to create and occupy its own space, Altobello denies the coherency of the human form and its location in space by fragmenting and confusing body parts to create an inchoate mass of colliding forms. Altobello’s and Bembo’s critical degradations of the modern manner work to underscore the conception of a debased or incomplete state of humanity before Christ’s redemptive sacrifice.8 Pordenone’s mode of representation reflects an analogous process that recognizes the soteriological implications of subverting the aesthetic imperatives of central Italian disegno.9 But in Pordenone’s scenes, the derogation of human form is animated by an excess of violence that threatens the underlying syntax of pictorial space itself.
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A few of the more explicit biblical passages for this view of humanity are: Genesis 6,5; Jeremiah 17,6; Matthew 15,19; Romans 6,6; Galatians 5,24. The general crudity of Bembo’s and Altobello’s brusque styles appear to evoke familiarity with an alternative and more traditional conception of man compared to the exaggerated restoration of humanity through Christ’s Incarnation which was promoted by theologians during the reigns of Popes Julius II and Leo X. See John W. O’Malley: The Theology behind Michelangelo’s Ceiling, in: The Sistine Chapel. The Art, the History, and the Restoration, New York 1986, pp. 92–148, here p. 138; Id.: Praise and Blame in Renaissance Rome. Rhetoric, Doctrine, and Reform in the Sacred Orators of the Papal Court c. 1450–1521, Durham 1979, esp. ch. 4; Charles Trinkaus: In Our Image and Likeness. Humanity and Divinity in Italian Humanist Thought, Chicago 1970; Salvatore Corporeale: Renaissance Humanism and the origins of Humanist Theology, in: John W. O’Malley et al. (eds.): Humanity and Divinity in Renaissance and Reformation. Essays in Honor of Charles Trinkaus, Leiden/New York 1993, pp. 101–124. Irreverence for a central Italian way of conceiving form is implied by the figure that bends over to restrain Christ in the Nailing to the Cross (fig. 13). This figure, whose leggings have slipped down to reveal his buttocks and genitals, can be read as an incongruous reference to (and debasement of) similar figures in Michelangelo’s Battle cartoon. Cf. Cohen 1975 (as in note 2), p. 78.
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Unlike his predecessors, who adorned their figural compositions with mathematically calibrated illusions of spatial recession, Pordenone eschewed any depth of field, choosing instead to cultivate a visually striking and optically divergent form of illusionism that projects figures out of the picture plane.10 The effect of this technique is most clearly demonstrated by the prophets who lean out of roundels below the narratives, the rearing horse in the scene of Christ before Pilate, the small child and the figure of Christ in the Fall on the Way to Calvary, and most emphatically by the group of murderous soldiers, the seamless garment over which they fight, and the above-mentioned shaft of the cross that transgress the frame in Christ’s Nailing. Such projections are indicative of a compositional dynamic that compresses bodies into spaces too shallow to contain them. The result is unlike anything ever accomplished before in large-scale Italian paintings of the Passion. The projective forms of Pordenone’s compositions circumvent the horizon of visual expectation by denying the authority of the frame and the recessional organization of pictorial space. Moreover, the diffusive structure of the figural compositions does not privilege a single, stationary viewpoint; instead, the riotous crowds that press against and beyond the picture plane encourage a dynamic, mobilized perception that is appropriate to a narrative series and to the processional movement towards Calvary.11 Pordenone’s liquidation of the receding perspectival space employed by the earlier artists is bound to a pursuit of narrative momentum and the kinesthetic experience of beholders who follow the motion of the Passion. This experience would have been most often a collective one: because of their enormous dimensions and location at the cathedral’s entrance (and thus within the most accessible space of the nave), Pordenone’s frescoes presuppose viewing by the entire congregation.12 10
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Projective illusionism, as it is understood here, should not be aligned with or presumed to be elucidated by Giovanni Paolo Lomazzo’s notion of prospettiva inversa (reverse perspective). Pordenone’s illusionism does not adhere to a mathematically consistent form of perspective – projective or recessive. Giovanni Paolo Lomazzo: Trattato dell’arte della pittura, scultura ed architettura (Milan 1584), ed. by Roberto Paolo Ciardi, Florence 1974 (Scritti sulle arti; vol. 2), p. 291. Andrea Theil has situated Pordenone’s frescoes within a history of „Froschperspektive“ indebted to Mantegna and considers the relief-like compositions of Pordenone’s nave scenes and the more atmospheric recessional space of the Crucifixion to thematize a shift from a pagan time (ante legem) to one following Christ’s death (sub gratiam). Theil 2000 (as in note 2), pp. 41–44. For mobilized perception see Svetlana Alpers and Michael Baxandall: Tiepolo and the Pictorial Intelligence, New Haven 1994, p. 10ff. Pordenone’s three frescoes above the arches of the nave are twice as large as those of his predecessors: each occupies a space the width of an entire bay as opposed to half: Christ before Pilate (approx. 325 × 620 cm), the Fall on the Way to Calvary (approx. 325 × 750 cm), Christ Nailed to the Cross (approx. 325 × 730 cm), the Lamentation (approx. 640 × 405 cm). Pordenone’s Crucifixion (approx. 9 × 12m) is the largest frescoed scene in the cathedral.
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Acts of worship predicated on bodily movement in and through the space of the cathedral extend well beyond official liturgical processions such as those at the offertory and communion.13 The memoria passionis – enacted in sacramental rite and private devotion – can be aroused, as Jeanne Halgren Kilde has noted, by anyone moving from west to east in a cruciform church, for in doing so one ‚ascends‘ the cross to the altar.14 The placement of Pordenone’s Passion scenes at the cathedral’s west end, and particularly the Crucifixion on the interior façade, advocates the enactment of this spiritual journey in the opposite direction, effectively reminding beholders that the path of redemption is always before them, regardless of whether one is entering or exiting the place of worship. But the message they broadcast would have resonated most powerfully on those occasions when throngs of worshippers gathered to accompany the procession of the host down the length of the nave and across the threshold that Pordenone’s Crucifixion overshadows.15 One of the most widely attended liturgical ceremonies in sixteenthcentury Cremona was the summer feast of Corpus Domini. During the celebration, services of the mass and office affirmed the transcendent nature and consequences of receiving the eucharistic substance, but it was the feast’s
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Following a papal bull of Calixtus III, the cathedral of Cremona discontinued the use of the local rito Offrediano and adopted the Roman rite (circa 1480). See Ferrante Aporti: Memorie di Storia Ecclesiastica Cremonese, Cremona 1837, vol. 2, pp. 161–162. Jeanne Halgren Kilde: Sacred Power, Sacred Space. An Introduction to Christian Architecture and Worship, Oxford 2008, p. 85. This is not to undermine the potential of these scenes for private devotion. Images such as Pordenone’s would have been subjected to a personalizing process of absorption and adaptation so that beholders might continually renew the internalized images of their desired perfection. For example, in reaction to Jesus’ suffering in the Fall on the Way to Calvary, the swooning Virgin provides viewers with the first imitation or copy of the Passion. As a visual correlative for the beholder, her slumped, unconscious form suggests that the role images played within the devotional exercises of the imitatio Christi was more complicated than an appeal for simple mimicry or passive identification with the attitudes of the painted figures. The Virgin’s comportment signals the outward manifestation of an internalized devotional process that provided devotees with a visual point of departure for their own active recuperation of the soul through conformity to Christ. See Walter Melion: Introduction in Meditative Images and the Psychology of the Soul, in: Reindert Falkenburg et al. (eds.): Image and Imagination of the Religious Self in Late Medieval and Early Modern Europe, Turnhout 2007 (Emory University, Lovis Corinth Colloquia; I), pp. 1–36. Interestingly, Pordenone’s contract specifically requested lo spasimo of the Virgin for the scene of Christ’s Fall on the Way to Calvary: „la Madonna…caschò transmortita“ (see Marubbi, 2001 [as in note 3], p. 198). For the theological and iconographic problematic of the representation of the Virgin’s swoon see Harvey E. Hamburgh: The Problem of Lo Spasimo of the Virgin in Cinquecento Paintings of the Descent from the Cross, in: Sixteenth Century Journal 12/4 (1981), pp. 45–75.
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processional and expository components that monopolized the laity’s attention.16 Beginning and ending at the cathedral, the Corpus Domini procession was administered by both civic and religious authorities to maximize attendance and enhance the magnificence surrounding this ritualized performance of communal adoration.17As the congregation witnessed the presence and orchestrated movement of the host (Christ’s real body) through the crowded space of the nave and into the streets of Cremona, Pordenone’s scenes of the Passion provided more than a visual frame for the ceremony. The projective illusions of these frescoes seek to intensify the sensation of congruity between real and fictive space and, by extension, between the viewer and his or her surroundings, a sensation further enhanced by the cramped conditions of a nave swarmed with worshippers and the flux and flow of a crowd that moves as a single continuous body. The aggregation of pictures, lay people, and eucharist along the cathedral’s central passageway exalted the ubiquity of Christ as host (real body), Christ as image (imitated body), and Christ as Church (mystical body). However, the resultant assemblage was an uneasy and disjunctive one. The form of connectedness established between Pordenone’s frescoes and the laity reinforced the visual and bodily experience of space as a violent or crushing force that imposes itself on beholders and painted figures alike.18 The impact of such force – both within and without the painting – is disconcerting, but not because it erases distinctions between fiction and reality to create, as one scholar has proposed: „a common space in which the decoration and the spectator exist together in seamless unity“.19 Rather, what is at issue here is the 16
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For the origins of the feast of Corpus Domini as well as the popularity and instrumentality of the procession see Miri Rubin: Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 1991, esp. pp. 243–271. Aporti 1837 (as in note 13), vol. 2, pp.189–190, 201, notes that the other important processions conducted in sixteenth-century Cremona were held in accordance with the Feast of the Immaculate Conception, on the Sundays preceding the Ember Days, and the Feast of Saint Agatha, but does not mention whether or not the eucharist was exhibited. Cf. Maria Luisa Corsi et al.: Vita religiosa a Cremona nel Cinquecento, mostra di documenti e arredi sacri, Cremona, Palazzo vescovile, 8.6–28.7.1985, Cremona 1985, pp. 116–117. Testimony to communal solidarity was integrated into the decorative fabric of the cathedral via inscriptions that commemorated its unwavering faith, such as that located on the wall above Pordenone’s Christ before Pilate: „GALLIS AFFLICTA ELVECIIS MULCATA / PESTE DEBILIS FAME DEFORMIS / P. P. ANNO MDXII A DIVINO / TAMEN CULTU NUMQUAM DEFLESCIT.“ For the inscription see Angelo Grandi: Descrizione dello stato fisico-politico-statistico-storico-biografico della provincia e diocesi di Cremona, Cremona 1856–58, reprint 1981, vol. 1, p. 695, note 2. My thinking here is influenced by the provocative discussion of congested relationality in Leo Bersani and Ulysse Dutoit: Caravaggio’s Secrets, Cambridge, MA 1998, pp. 15, 59–63, 71, 81. Poulsen 2003 (as in note 2), p. 126.
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tension that such force elicits between the beholders’ awareness of what is real and their willingness to imagine themselves beyond the real.20 At the same time, the ambitious artifice of the projecting cross, murderous soldiers, and swathe of drapery that transgress the picture frame in the scene of Christ’s Nailing (fig. 3) indicates an artist eager to contest the authority of local and foreign competitors and assert his own preeminence as guarantor of modern taste.21 Such virtuoso feats of illusionism purport to show things that we should not be able to see – as if the object, rather than its effects, constitute something in excess of representation – but in doing so they run the risk of exposing the fictiveness of painterly simulations by reflexively calling attention to their implausibility.22 For example, the painted frames that encapsulate the scenes of Pordenone’s predecessors function as conceptual boundaries that distinguish each fresco as an exclusive and separate object.23 As we scrutinize a picture’s contents, however, the frame disappears. It is, as many scholars have argued, a self-effacing marker of difference.24 However, where the fictive frame is violated by Christ’s cross or the brawling soldiers in Pordenone’s painting, the resultant overlap suggests the coextensivity of frame and narrative, their inseparability, and thus the impossibility of one to transcend the 20
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As Alessandro Nova has argued for the chapels of the Sacro Monte di Varallo, the „reality effect“ of the imagery was first and foremost a desired consequence of the visitor. Alessandro Nova: „Popular“ Art in Renaissance Italy. Early Responses to the Holy Mountain at Varallo, in: Claire Farago (ed.): Reframing the Renaissance. Visual Culture in Europe and Latin America 1450–1650, New Haven 1995, pp. 113–126, esp. p. 121. See also Roland Barthes: The Reality Effect, in: T. Todorov (ed.): French Literary Theory Today. A Reader, Cambridge 1982, pp. 11–17. I will not rehearse the arguments over the epithet Pordenone enjoyed while working for the cathedral (pictor modernus). Suffice it to say that whatever critical purchase might be gained from a consideration of Pordenone’s modernity in a Cremonese context, it will not be found in a superficial resemblance to central Italian formal qualities or a Roman model of epic narration. What is at stake here is not the actual generation of the hyperreal or simulation as it has been described in postmodern discourse, but the pointing to and subversion of the image’s potential to do more than represent. See Jean Baudrillard: Simulacra and Simulation, Ann Arbor 1994, pp. 1–43. See also Stephen J. Campbell’s discussion of naturalism and simulation in: Vasari’s Renaissance and its Renaissance Alternatives, in: James Elkins and Robert Williams (eds.): Renaissance Theory, New York 2008, pp. 47–67. See Paul Duro: Introduction, in: Paul Duro (ed.): The Rhetoric of the Frame: Essays on the Boundaries of the Artwork, Cambridge 1996, pp. 1–10. Jacques Derrida: Parergon, in: The Truth in Painting, Chicago 1987, pp. 15–147, esp. p. 73; Louis Marin: The Frame of Representation and some of its Figures, in: Id., On Representation, Stanford 2001, pp. 352–372; Duro 1996 (as in note 23), p. 2; Id.: Containment and Transgression in French Seventeenth-Century Ceiling Painting, in: The Rhetoric of the Frame (as in note 23), pp. 44–62, esp. pp. 45–48.
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other. As a result, the viewer is made aware of the ambiguity of these elements in space. This mechanism is not an isolated demonstration, but is variously repeated in Pordenone’s scenes25 and one that asks us to reevaluate, in the words of Michael Podro: „the transition between the actuality of the medium and the represented subject“.26 Put slightly differently, Pordenone’s projective illusions elaborate a deceit, that is, the blurring of art and reality, while simultaneously drawing beholders’ attention to that deceit. We are encouraged, in effect, to both scrutinize and „imagine away“ the distinction between art and reality.27 The intrusive effects of Pordenone’s compositions complement collective and private meditations on the Passion by encouraging the not-unproblematic sensation of proximity to the sacred space of the narrative and thus the imaginative participation of the devotee in Christ’s suffering.28 But rather than draw beholders out of their spatial and temporal conditions of viewing and into the imagined world beyond the picture frame, Pordenone’s scenes assail viewers, invading the space of beholding, or weaving themselves into its fabric. The audacity of such illusionism suggests that the images no longer serve only as aids to internal visualization, but do something more. Indeed, there is an awareness here in the images themselves of a degree of performative excess – that the beholder is not just given meditational cues, but has become the subject of a theatrical illusion.29 The recognition of such sensational artifice is encoded 25
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It also occurs where the bald, spear-wielding enforcer drives the tip of his weapon into the edge of the frame, where Christ clutches the edge of the picture in the Fall on the Way to Calvary, where the heel of the bare-legged persecutor crosses the fictive border in Christ before Pilate, where Christ’s winding cloth drapes over the edge of the fictive stage in the Lamentation, and elsewhere. Similar transgressions are often found in the works of Carlo Crivelli or in Luca Signorelli’s frescoes in the Cappella Nuova at Orvieto cathedral (1499–1504), albeit by different means and without the violently projective force of Pordenone’s scenes. For an example of the former see his Ecstasy of the Blessed Gabriele Ferretti (c. 1489) at the National Gallery, London, and the discussion by Norman Land: Carlo Crivelli, Giovanni Bellini, and the Fictional Viewer, in: Source, 18/1 (1998), pp. 18–24. Michael Podro: Depiction, New Haven/London 1998, p.16. Ibid. Prescriptive literature such the Vita Christi Domini Servatoris Nostri (ante 1378, printed 1474) by Ludolphus of Saxony or the Meditationes vitae Christi (c.1260/63) by Giovanni de’ Cauli provide a series of affective meditations that offered a form of mental reenactment predicated on the reader’s active imaginative participation in the life of Jesus. My understanding of the theatrical nature of these paintings relies on the work of Michael Fried: The Moment of Caravaggio, Princeton 2010 (A.W. Mellon lectures in the fine arts, Bollingen series XXXV; vol. 51), esp. pp. 69–96; Id.: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Berkeley 1980. See also Melissa McQuillan: The Art Criticism of Michael Fried, in: Marsyas 15 (1970–72), pp. 86–102; Mojca Oblak: Fried’s Concept of Theatricality, in: M’ars: časopis Moderne galerije Ljubljana, 8/1 (1996), pp. 70–78.
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in the pictures, alerting the beholder to the idea of the image as having already incorporated his or her role. The effect is quite distinct from that of the Sacro Monte di Varallo, where the performative role set up for visitors was governed by protocols of replicating Jerusalem and by the perception that its tableaux were the product of ‚artlessness‘.30 By contrast, Pordenone’s frescoes at Cremona cathedral require beholders to increasingly assent to the fictions of art. What is remarkable here is that the awareness of such calculated duplicity does not undermine the impact of the illusion; instead, it appears to sustain it.31 For in viewing the shaft of Christ’s cross (fig. 3) one wonders how far the illusion extends into his or her world and in doing so subscribes to the fiction of its imagined presence and that of the subject it visualizes. By doing so, Pordenone’s projective illusions solicit new and deeper levels of involvement. A conceivable danger here is that the more one adheres to illusory appearances, the more likely their ultimate significance will be obscured. This point of potential anxiety is insinuated by Pordenone’s treatment of Christ, the appearance of whom reveals a fixation on the body as devoid of redemptive truth. In the scene of Christ’s Fall on the Way to Calvary, Jesus has collapsed, but not due to the weight of the cross (fig. 2). Instead, Christ’s tormentors push him to the ground. The force of such violence not only debases Christ, but also seems to undermine his legibility as a coherent body occupying space. The four fingers of his right hand curl around the bottom edge of the picture frame to suggest an encroachment into the space of the beholder, but the rest of Christ’s body is lost in a shapeless mass of drapery that appears to dissolve rather than delineate the human form underneath.32 On hands and knees like an animal, Christ’s posture responds to the verse fragments inscribed on the banderols of the Old Testament prophets33 just below: from Jeremiah 11,19: “[Et] ego quasi agnus qui portatur ad victimam (And I was like a lamb that 30
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In recounting his experience of the Sacro Monte to his friend Lancino Curzio in a letter of 1507, the humanist Gerolamo Morone explained that „the very simplicity of this enterprise, this structure with no art, and the noble site are superior to all antiquity“ (“Ipsa fabricate simplicitas et sine arte structura ingenuusque situs omnem superant antiquitatem”). Reproduced and translated in Nova 1995 (as in note 20), p. 125 and 320 note 47. Podro 1998 (as in note 26), p. 16. See Cohen 1975 (as in note 2), p. 76: a „completely un-Italian, anti-heroic, unbeautiful figure, lost and weighted down in heavy sagging robes, which are so different from the swift rhythmic patterns that Pordenone could impose upon drapery“. Both Cohen and Smyth have noted that Christ’s position in this scene resembles that of an animal and connect it to the inscriptions recorded on the banderoles. For Cohen the Old Testament prophets function as intermediaries. For Smyth, these supertemporal witnesses supply the scenes with the authority of prophecy and confer „a cosmic, Christian sense of order to scenes that would be otherwise of an unbearable pain“. It should also be stressed that the prophets enhance the theatricality of the scenes they call attention to. Cohen 1975 (as in note 2), p. 79; Smyth 2004 (as in note 2), pp. 109–111.
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is brought to the slaughter)”, and from Isaiah 53,7: “Sicut ovis ad occisionem duci / tur et no[n] aperiet os suum (He shall be led as a sheep to the slaughter, and he shall not open his mouth)”.34 Here the analogy between Christ and the sacrificial lamb is expressed in visual terms that literally dehumanize him.35 Christ’s violent transformation – his bestial deportment and amorphous physique – is also suggestive of a previously-overlooked contractual obligation. Pordenone’s contract stipulated that in the scene of Christ’s ascent of Mount Calvary, the artist should show: commo la Madonna lo incontrò cerchandolo et vistolo così smarito et trasfigurato caschò transmortita et sancta Veronica cum lo sudario cum lo quale sugò la facia al redemptore nostro Jesu Christo“36 (how the Madonna encountered him, finding him and seeing him so bewildered and transfigured, she fell senseless and Saint Veronica with the sudarium with which she mopped the face of our Redeemer Jesus Christ).
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Both verses were of particular relevance to the services performed during Holy Week. Isaiah 53:7 and Jeremiah 11:19 were recited in the Mass epistle on Wednesday of Holy Week. The verse from Isaiah was also sung in response to the first and sixth lessons of the Office on Holy Saturday. James Marrow: Passion Iconography in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance. A Study of the Transformation of Sacred Metaphor into Descriptive Narrative, Kortrijk 1979, pp. 52, 96–97, 163, 291 nt. 404. Of all the verses that adorn the prophets’ banderoles under Pordenone’s Passion scenes, only the pairing of the prophecies of Isaiah 53:7 and Jeremiah 11:19 under the Fall on the Way to Calvary correspond to paired inscriptions in printed editions of the Biblia pauperum. The associative thinking encouraged by the typological relationship constructed between transcribed portents and pictorial fulfillment can be particularly rewarding when the inscribed passages are recollected in their entirety. For example, the prophet located in the spandrel below and to the right of Christ before Pilate delivers part of a verse from Lamentations 3,59: “Vidisti D[om]ine iniquitatem / illor[um] adversu[m] me” (Lord, you have seen the wrong done to me). What is excluded from the banderol is the concluding phrase of the verse in which Jeremiah humbly entreats the Lord: “judica judicium meum” (judge my cause). For the beholder who recalls the missing words in the face of Pordenone’s scene of Pilate’s abdication of judgment, a host of implications arise. In the scene of Christ Nailed to the Cross, a prophet grasping the verse fragment “cum manus et pedes / eius foderunt impii” (the wicked pierced my hands and my feet) (Ps. 21,17), also extends his right arm to touch the wood of Christ’s cross and indicate the pre-drilled hole that will receive the nail driven through Christ’s feet. As Jeffrey Hamburger has kindly pointed out to me, the location of the hole is such that it would necessitate an arduous stretching of Christ’s body that would distend his limbs (and expose his genitals) in order for his feet to reach the hole. In this case, the authorship of the accompanying verse from the Book of Psalms is significant, for the stretching of Christ’s body on the cross was often likened to the stretching of the strings of David’s harp. For more on the harp as a figura crucis Christi see Frederick Pickering: Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter, Berlin 1966, pp. 182–192; Marrow 1979 (as in note 34), pp. 124–125, 163–167; Tobias A. Kemper: Die Kreuzigung Christi: Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passionstraktaten des Spätmittelalters, Tübingen 2006, pp. 288–294. Archivio di Stato, Cremona, Notarile Giovan Marco Giberti, f. 797, reproduced by Marubbi 2001 (as in note 3), p. 198.
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What exactly could the patrons have intended by requesting that Jesus appear „smarito et trasfigurato“? The word smarrito connoted a vast range of meanings from the sensation of being lost or confused to the decline of an artistic technique, but none of them indicated exultant or elevated qualities.37 Its presence and proximity to the word trasfigurato suggests that we should interpret the latter term to signify an unsettling physical transformation and not the dazzling revelation of Christ’s divinity. Trasfigurato often appeared in vernacular literature, such as Boccaccio’s Decameron and Petrarch’s Canzoniere, to indicate a change in external appearance.38 And Jacopo Passavanti employed it in Lo Specchio di vera penitenza to describe the deceptions of the devil, who „transfigured himself (si trasfigurò) in the clothes and figure of a young woman“.39 Within the context of Pordenone’s fresco, Christ is trasfigurato to reveal the insubstantiality of his human veil. Strangely, the effects of extreme physical and mental anguish are not manifested in a single wound or drop of blood, but through a distortion of his human morphology. The loss of pigment cannot account for the ballooning mass of drapery, the swelling hump of his back nor the strange articulation of his right leg and foot, which oddly point
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Dante Alighieri, for example, utilized it to describe a loss of certainty: „Nel mezzo del cammin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura; / ché la diritta via era smarrita“ (La Commedia, Inferno, canto 1, lines 1–3). In the Vita di Nicola e Giovanni Pisano, Giorgio Vasari used smarrito to describe a decline of artisanal knowledge: „Fece similmente Nicola in Pisa molti altri palazzi e chiese; e fu il primo, essendosi smarrito il buon modo di fabricar[e], che mise in uso fondar gl’edifizii a Pisa in sui pilastri [...].“ Vasari also employed the term to help describe the affective power of a represented figure. In his description of Andrea Sarto’s Pitti Pietà (1523), Vasari writes that one can see „un dolore estremo nel volto et attitudine della Madonna, la quale vedendo il Cristo, che pare veramente di rilievo in carne e morto, fa per la compassione stare tutto stupefatto e smarrito San Pietro e San Paolo, che contemplano morto il Salvatore del mondo in grembo alla Madre.“ In this passage it is the Virgin Mary, rather than Christ, who is endowed with the strange potency to confound other figures through the appearance of her compassion. It is clear in this case that smarrito, as a quality paired with stupefatto, suggests a visually recognizable state of emotional perturbation. Giorgio Vasari: Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568, ed. by Rosanna Bettarini [commentary by Paola Barocchi], Florence 1966, vol. 2, p. 61; vol. 4, pp. 375–376. For the varied nuances of the term smarrito, see Salvatore Battaglia and Giorgio Barberi Squarotti (eds.): Grande dizionario della lingua italiana, Turin 1998, vol. 19, p. 153. Petrarch, Canzoniere, 23, lines 41–48; Giovanni Boccaccio: Il Decameron, Leipzig 1877 (Biblioteca d’autori italiani), vol. 1, p. 169 (giornata seconda, novella decima). For more examples see: Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florence 1738, vol. 5, p. 136. „[…] si trasfigurò in abito, e in figura d’una femmina giovane“, in Fra Jacopo Passavanti: Lo specchio di vera penitenza, ed. by M. Lenardon, Florence 1925, capitolo quinto del trattato della superbia, p. 255.
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backwards.40 This constitutes a departure from the empirical naturalism and gruesome desiccations of many German scenes of the Passion. When compared to the lacerated carcass of Matthias Grünewald’s Crucifixion (1516) from the Isenheim altarpiece, Pordenone’s Christ is far removed from the surgical accuracy with which Grünewald makes every wound painfully visible. Nor does the pathetic beauty of Christ in Dürer’s Passion prints bear a significant resemblance, as Charles Cohen has observed.41 Instead, the partial deformation of Christ’s internal structure in Pordenone’s painting suggests a disarticulation of his human substance that, in conception, follows a similar trajectory to that of Albrecht Altdorfer or Jörg Ratgeb in literalizing the vermicular inference of Psalm 21,7: “Ego autem sum vermis, et non homo; opprobrium hominum, et abjectio plebis (But I am a worm and not a man, a reproach of men and despised by the people)”.42 As such, the Son of God is lost (smarrito) to beholders and yet his painted form is pressed upon them with striking immediacy. The assertive presence of Pordenone’s disturbingly un-divine Christ is partially undermined by cleverly deployed fragmentations of and continuities between painted bodies. The scenes Pordenone painted above the arches of the nave (fig. 1–3) are littered with disembodied heads, floating hands, and jumbles of apparently self-governing weapons or tools. Such confusing fragments emphasize the picture as a plane on which things are imposed rather than as an aperture through which is seen a projecting volume of space. The effect suggests another means by which Pordenone encodes an awareness of the fiction the frescoes seek to overcome by drawing attention away from spatial effects and toward surface logic. Moreover, the odd juxtaposition and overlapping of bodies also has the potential to instigate a temporary perceptual blurring between individual forms or the extension of a particular figure’s identity. The resultant referential ambiguity makes possible the discovery of new relationships through spatial confusion. For example, in the scene of Christ before Pilate there is a strange substitution of one profiled head for another as a helmeted face seems to grow out of the figure seen from behind who drags 40
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For the restoration of the frescoes see Guido Botticelli et al. (eds.): Il Pordenone e Boccaccio Boccaccino: Primi restauri nella Cattedrale di Cremona, Poggibonsi, 1996 (a reworking and amplification of the initial reports published by Aldo Cicinelli, Guido Botticelli, and Cristiana Conti in: Il restauro della «Crocifissione» del Pordenone, ed. Ornella Casazza, in: Critica d’arte 56/7 [1991], pp. 59–66). Cohen 1975 (as in note 2), p. 77. Cohen 1975 (as in note 2), p. 76, drew attention to conceptual similarities between Pordenone’s debased image of Christ and that of Jörg Ratgeb’s in the Herrenberger altarpiece (Stuttgart, Staatsgalerie, 1518–19) and Albrecht Altdorfer’s in the Saint Florian polyptych (Stift Sankt Florian, c. 1518). Although it is unlikely that Pordenone knew these paintings, similar works by members of the Danube school circulated widely.
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Jesus away from the tribunal.43 Similarly, the two bearded heads directly above Christ seem to share a single body wrapped in green and yellow drapery. In the scene of Christ’s Fall on the Way to Calvary, it is difficult to distinguish whether Christ’s left arm is behind the cross or if it has been absorbed into the folds of Simon of Cyrene’s blue garment. And in the scene of Christ’s Nailing, the left-hand arm of the cross is dislocated from the shaft (fig. 13). This fracturing of the integrity of the cross is as confusing as it is unusual, although it parallels the adjacent rupture of Christ’s bodily integrity by the nail driven into his hand. The blurring and fragmentation of bodies and objects introduces semiotic mutability or the momentary suspension of apperception that engages the viewer by inviting him or her to reevaluate the relation of form to content.44 By describing such effects I am not making a claim for the artist’s originality: Italian paintings since at least the time of Giotto have habituated viewers to reading such fragmented bodies as synecdoche for whole bodies. Instead, I am arguing that we must understand Pordenone’s fragmentations, as well as the strange merging of bodies and faces, in terms of a rhetorical purpose. Each of Pordenone’s frescoes maintains a coherent narrative focus that is clearly legible to beholders moving through the nave, yet certain details offer a kind of formal play or game that presents an undercurrent of resistance to a passive or uncritical perception of the scene.45 The confusing fragmentation of spatial coherence and the partial loosening of referential stability complicate viewing, mitigating the instantaneousness of the depicted event by evoking a multiplicity of mutable relationships. In doing so, such elements generate a disruptive tension that mirrors the chaotic force of violence. By asking the viewer to question – if only for a moment – what a particular motif signifies and how it signifies, Pordenone’s paintings remind viewers 43
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Smyth 2004 (as in note 2), p. 108, also noted the confusion between these two figures, but as a means of distinguishing Pordenone’s style of composition from Michelangelo’s. Alternatively, my interest lies in how the fragmentation and collusion of forms instigate cognitive dissonance. For a compelling reading of how certain Assyrian relief sculptures activate perceptual perturbation and their potential psychoanalytical ramifications see Leo Bersani and Ulysse Dutoit: The Forms of Violence. Narrative in Assyrian Art and Modern Culture, New York 1985, esp. pp. 20, 33, 37, 110. The exploration of unstable forms and fragmented compositions became a popular strategy among Seicento painters eager to enhance the expressive potential of their art. See Philip Sohm: Baroque Piles and Other Decompositions, in: Paul Taylor and François Quiviger (eds.): Pictorial Composition from Medieval to Modern Art, London 2000 (Warburg Institute Colloquia 6), pp. 58–90, esp. pp. 72–73. Giovanni Battista Armenini: De’ veri precetti della pittura (Ravenna 1587), ed. Marina Gorreri, Turin 1988, p. 154, distinguished Perugino, Beccafumi, and Pontormo as practitioners of such methods, calling them „novi maestri delle confusioni, perché havend’apena ricevuto il sogetto, si danno a formarlo con l’amucchiar di molte figure senza riguardo de’ termini della compositione“.
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of their role in the process of signification. The artist’s prodigious artifice activates the emotive power of the illusions, while the fragmentation, doubling, or mirroring of bodies complicate their effect with passages of referential indeterminacy that call attention to the limits of carnal vision. In other words, each of Pordenone’s painting offers an undeniable appeal to the senses while simultaneously indicating the inadequacy of relying on them. In fact, the special force of these frescoes seems to derive from the tension activated by compounding the direct, psychological affectivity of projective illusionism with the referentially evasive motifs that frustrate straightforward communication. The tension of this dynamic, coupled with Christ’s uncomely appearance, compels viewers to ask themselves what it is that they are really looking at. In this way, the mode of spectatorship that Pordenone’s frescoes invoke complicates the challenge to see beyond material appearances to the mystery hidden in the merciless persecution of the narrative’s protagonist. This challenge is turned into an explicit command in the Crucifixion scene (fig. 4, 14). Directly above what was at the time the layman’s only exit from the cathedral, the figure of a Centurion assumes a pose that approximates the crossed legs and outstretched arms of the crucified Savior.46 In the most loaded gesture of the entire cycle, the Centurion’s extended left arm directs the viewers’ gaze upward to the dead figure of Christ.47 As is often noted, the demonstrative nature of this gesture identifies him as the Good Centurion who announced Christ’s divinity in the gospel narrative: „Truly this man was the Son of God“ (Matthew 27,54). Granted a counterintuitive perception that went against all visible evidence, the Good Centurion’s pointing gesture testifies to the truth of his miraculous insight and admonishes one to see, making the beholder acutely aware of his or her own acts of perception and the impossible task that it demands: that is, to bypass reliance on the very senses from which the possibility of spiritual apprehension is first aroused.48 The question that 46 47
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The two auxiliary doors flanking the central portal were not added to the facade until 1569. Raphael’s Coronation of Charlemagne in the Vatican Stanze (1516–1517) includes an analogous armored figure in the same location with outstretched arms to direct the viewer toward the compositional focus. However, the dynamics of illusionistic recession and projection are reversed: where Raphael’s figure is seen from behind and moving into the picture, Pordenone’s Centurion is shown from the front and leaning out into the viewer’s space. For the didactic instrumentality of such gestures in the religious works of early sixteenth-century painters in northern Europe see Joseph Leo Koerner: The Reformation of the Image, Chicago 2004, pp. 191–200, 226–238. Perhaps the best known section of the Corpus Domini liturgy is the Lauda, sion sequence of the mass. As Miri Rubin has observed, it was often chanted at Eucharistic processions and during the course of processions for the blessing of fields. The chant’s explanation of communion reiterates for listeners the test of faith posed by the sacrament of the eucharist, which, like Pordenone’s fresco, asks
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remains is how? In Pordenone’s frescoes, Christ’s body is the site of perverted mockery, emphasizing its un-divine material baseness as if to detach the power of art from any claim to portray divinity.49 Dead upon the cross, Christ, the subject of the violence just committed, has become the object of contemplation.50 For the first time in the nave cycle, some of the faces of Christ’s oppressors signal his divinity with clear expressions of fear, awe, and reverence. As Carolyn Smyth has noted, the scene’s spatial logic is undermined by a trajectory that extends upward from the sword of the Centurion into the lance of Longinus which, in turn, traces a line to the Good Thief, whose desiring gaze is riveted on the Crucified Savior.51 The diagonal that connects the three figures and the striking fervency of their reactions to Christ’s lifeless form helps to distinguish them as examples of what Smyth calls „the metaphor of revelation by ocular experience“.52 I believe this claim can be extended further by looking at how their actions suggest a means of acquiring this revelation. Sitting astride his horse, Longinus has placed his hand over his heart. As Joseph Koerner has argued, such a gesture suggests that revelation by ocular experience is also an embodied
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worshippers to transcend appearances to the hidden truth: „Quod in carnem transit panis, / Et vinum in sanguinem. / Quod non capis, quod non vides, / Animosa firmat fides, / Praeter rerum ordinem. / Sub diversis speciebus, / Signis tantum, et non rebus, / Latent res eximiae. / Caro cibus, sanguis potus: / Manet tamen Christus totus, / Sub utraque specie“ (Bread into flesh converted, / Into blood the holy wine: / Sight and intellect ascending, / Nature’s laws to marvel bending, / ’Tis confirmed by faith divine. / Under either kind remaining, / Form, not substance, still retaining, / Wondrous things our spirit sees: / Flesh and blood thy palate staining, / Yet still Christ entire remaining, / Under either species). The New Roman Missal in Latin and English, ed. by Francis Xavier Lasance and Francis Augustine Walsh, New York 1945, pp. 637–638. Rubin 1991 (as in note 16), pp. 191–193. For a discussion of how sixteenth-century Italian artists manipulated the representation of the human body to divest art of any claim to authenticity or „sublime animation“ see Stephen J. Campbell: „Fare una Cosa Morta Parer Viva“: Michelangelo, Rosso, and the (Un)Divinity of Art, in: Art Bulletin 84 (2002), pp. 596–620. Such scenes were intended to broadcast the promise of salvation to a community that shares in Christ’s experience as compassionate witnesses, strengthening their bonds of solidarity through the spectacle of his annihilation. The camaraderie of collective suffering is explicitly offered to the beholder in Pordenone’s Lamentation scene (fig. 5) where Nicodemus (?) meets the viewer’s gaze and gestures for him or her to join the first community of believers surrounding the powerfully foreshortened body of Christ, a body propitiously located at the viewer’s eye level. Mitchell Merback, in a study on the shared phenomenology of human suffering, has demonstrated how bodily anguish acquired the positive force of „redemptive instrumentality“ in late medieval religious culture and could function as an important generator of communitas. Mitchell Merback: The Thief, the Cross and the Wheel. Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe, Chicago 1999, p. 20. Smyth 2004 (as in note 2), p. 115. Ibid.
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process of interiorized co-experience and that the real image of Christ’s dual nature is not painted on the walls of the church but on the hearts of the desiring faithful.53 Looking back at the Good Centurion, one realizes that this exemplar of Christian vision does not look at the crucified Christ nor at the viewer, but up and outward, across the viewers’ space and down the nave to the image of Christ’s divine majesty painted in the apse. High above the rood screen that once divided the liturgical spaces of the cathedral, Boccaccio Boccaccino’s Pantocrator with Saints (1506–1507) presides over the presbytery (fig. 6, 15). Floating before a golden background, the frontally posed Redeemer is detached from time and space, existing some where ‚beyond‘ in the transcendental imaginary. In light of the way the Centurion responds to Boccaccino’s fresco, one might read the interaction between the figures of the two scenes as thematizing the ascendant process of Christian vision. For in practicing devotion, the faithful beholders’ emotions are aroused like Longinus’ by Christ’s sensible form. Yet, by virtue of that form’s lack of resemblance or dissimilarity to its impossible referent, beholders, spurred by their love of Christ, are encouraged to look elsewhere, beyond the physical aspect, so that they, like the Good Centurion, might come closer to the invisible divine.54 53
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Koerner 2004 (as in note 48), pp. 165, 226–32. The idea that Christ paints his image on the hearts of the devout was a standard part of medieval instructional literature on the use of images in devotion. For examples see Jeffrey Hamburger: The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany, New York/Cambridge, MA 1998, p. 398; Gerhard Wolf: Christ in His Beauty and Pain. Concepts of Body and Image in an Age of Transition (Late Middle Ages and Renaissance), in: Susan C. Scott (ed.): The Art of Interpreting, University Park 1995, pp. 164–197. Also useful in this regard: Sixten Ringbom: Icon to Narrative. The Rise of the Dramatic Close-up in Fifteenth-Century Devotional Painting, 2nd ed., Doornspijk 1984, p. 16; Peter Parshall: The Art of Memory and the Passion, in: Art Bulletin 81 (1999), pp. 456–472. A local expression of the desire for raising human intellects in contemplation of the divine may be found in the Rubrica de le oratione included in the 1496 statutes of the lay confraternity of the Disciplini di Christo flagellato at the church of Santi Gervasio e Protasio, Cremona: „O beata visione, o beata letitia, o luce eterna del Redemptore nostro benignissimo et dulcissimo, che gratia et che dono è questo che tu ne fai, di poter parlare cum lo signore nostro stando in questa terra et carcere obscura di questa nostra carne, prevenendo il nostro intellecto ad tuti quanti li cieli et le Schiere de li Sancti Angeli et archangeli, troni et dominatione, virtute, principati et potestate, Cherubini et serafini, arivando noi cum contemplante amore, cum li intellecti humani … a la luce superna dove tu stai, xpo iesu, nostro Redentore. “(Oh blessed vision, oh blessed joy, oh eternal light of our most benign and sweet Redeemer! This grace and this gift is this which you give to us: to be able to speak with our lord on this earth and in this obscure prison of our flesh, anticipating our intellect to each and all the skies and the hosts of holy angels and archangels, thrones and lordship, virtue, principalities and power, cherubim and seraphim, we arrive with contemplative love, with human intellects … to the celestial light where you are, Jesus Christ, our Redeemer.)
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In their coarse physicality, assertive illusionism, and confusing fragmentation, the artfully managed effects of spatial incoherence and referential ambiguity generated by Pordenone’s scenes of Christ’s Passion present an old problem in a new light. Through such means the artist brings a new urgency to the faithful viewer’s accountability, magnifying the demands of Christian vision to provide what Peter Parshall has called „an object lesson in spiritual blindness“.55 The lesson is made visually explicit through the crack that rends the foreground of the Crucifixion and splits the composition into two opposing camps: those who see with the eyes of the soul and those limited to corporeal vision. In noting how the division of the composition is reminiscent of scenes of the Last Judgment, Smyth has claimed that on leaving the church the laity was left with Christ’s death and the question of locating one’s „spiritual place“ (fig. 14).56 It is critically important to recognize that the question of spiritual self-examination that this image poses is uncomfortable, if not traumatic, precisely because it is impossible to answer: it is impossible to know the condition of one’s soul with any certainty.57 The rift that splits the composition widens as it reaches the bottom, suggesting its continuation and encapsulation of the door and the space of the viewers below. The painting, in effect, defines the
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Transcribed in Andrea Foglia: Istituzioni ecclesiastiche e vita religiosa dagli inizi del XV secolo al 1523, in: Giorgio Chittolini (ed.): Storia di Cremona. Il Quattrocento. Cremona nel Ducato di Milano (1395–1535), Azzano San Paolo 2003, pp. 162–201, here p. 199. Peter Parshall: Penitence and Pentimenti: Hieronymus Bosch’s Mocking of Christ in London, in: Jeffrey F. Hamburger and Anne S. Korteweg (eds.): Tributes in Honor of James H. Marrow. Studies in Painting and Manuscript Illumination of the late Middle Ages and Northern Renaissance, London 2006, pp. 373–379, here p. 376. Smyth 2004 (as in note 2), p.116. This claim develops from Smyth’s dismissal of the Lamentation (1522) and Bernardino Gatti’s Resurrection (1529) as later, separate projects. Her assumption is based on Alessandro Nova’s refutation of Giulio Bora’s claim that the patrons had intended to conclude the cycle with scenes of Christ’s Resurrection and the Assumption of the Virgin from the very beginning. Alessandro Nova: Girolamo Romanino, Turin 1994, pp. 233–234. While Pordenone’s Lamentation is not mentioned in the surviving redactions of the artist’s contract, Cohen has noted that the top of the painted frame includes a fictive tablet with the date 1521, obscured by the late seventeenth- or early eighteenth-century frame of the Crucifixion. Given the location of the date, it is hard to assume it commemorates the completion of the fresco, especially since the artist continued to receive payments until at least 30 December 1522. Cohen 1996 (as in note 2), vol. 2, pp. 580–581. I believe the Lamentation could have easily followed the Crucifixion without delay and its inclusion does not alter the doleful note upon which the cycle ended. The anxiety that attends self-examination was also reinforced by the Lauda, sion sequence of the Corpus Domini liturgy as it stresses the necessity of worthy reception for effective benefit: “Sumunt boni, sumunt mali: / Sorte tamen inaequali / Vitae, vel interitus. / Mors est malis, vita bonis: / Vide paris sumptionis / Quam sit dispar exitus” (Both to good and bad ’tis broken, / But on each a different token / Or to life, or death attends: / Life to good, to bad damnation; / Lo, of one same manducation / How dissimilar the ends). Roman Missal (as in note 48), p. 638.
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viewers’ location as the nebulous ‚non-place‘ or negative space of the crack itself. It follows then, that if the painting asks the laity to consider their spiritual place, it also reminds them of the uncertainty of the answer.
Illustration credits Fig. 1, 6: Tomei 2001 (as in note 3); Fig. 2: Smyth 2004 (as in note 2); Fig. 3, 4, 13: Cicinelli, Botticelli, Conti 1991 (as in note 40); Fig. 5, 7, 10, 14: Gianni Guadalupi et al.: Cattedrale di Cremona, Parma 2007; Fig. 8: Willi Kurth: The Complete Woodcuts of Albrecht Dürer. Introduction by Campbell Dodgson, New York 1927 (1963); Fig. 9: Cristiana Garofalo: Raffaello: catalogo completo dei dipinti, introduction by Sylvie Béguin, Santarcangelo di Romagna 2002; Fig. 11: Ludwig Goldscheider: Michelangelo: Paintings, Sculptures, Architecture. Complete Edition, London 1996; Fig. 12: Martin Clayton: Raphael and his Circle: Drawings from Windsor Castle, London, The Queen’s Gallery, 21.5–10.10.1999, London 1999; Fig. 15: Voltini and Guazzoni 1989 (as in note 3); Fig. 1–7, 10, 13–15: reproduced with the permission of the Ufficio Beni Culturali della Diocesi di Cremona.
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Fig. 1: Giovanni Antonio da Pordenone, Christ before Pontius Pilate, 1520, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 2: Giovanni Antonio da Pordenone, Fall on the Way to Calvary, 1520, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 3: Giovanni Antonio da Pordenone, Christ Nailed to the Cross, 1520, fresco, Duomo Cremona.
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Fig. 4: Giovanni Antonio da Pordenone, Crucifixion, 1520–21, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 5: Giovanni Antonio da Pordenone, Lamentation, 1521–22, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 6: View toward the presbytery, Duomo, Cremona.
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Fig. 7: Gianfrancesco Bembo, Presentation in the Temple, 1515–16, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 8: Albrecht Dürer, Presentation in the Temple, 1505, woodcut, Graphische Sammlung Albertina, Wien.
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Fig. 9: Raphael, Expulsion of Heliodorus from the Temple (detail of woman), 1511–12, fresco, Stanza d’Eliodoro, Città del Vaticano.
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Fig. 10: Altobello Melone, Massacre of the Innocents, 1516–1517, fresco, Duomo, Cremona.
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Fig. 11: Aristotile da Sangallo (copy after Michelangelo), Battle of Cascina (1504–5), 1542, oil on panel, Holkham Hall, Wells-next-the-Sea, Norfolk.
Fig. 12: Marcantonio Raimondi after Raphael, Massacre of the Innocents, 1510–14, engraving, British Museum, London.
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Fig. 13: Detail of fig. 3: Christ Nailed to the Cross.
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Fig. 14: View toward the interior façade, Duomo, Cremona.
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Fig. 15: Boccaccio Boccaccino, Pantocrator with Saints, 1506-1507, fresco, Duomo, Cremona.
Die Autorinnen und Autoren des Bandes
Hans Aurenhammer: Studium in Wien und Venedig. Nach der Promotion (1985) über Altar und Altarbild in der venezianischen Renaissance Assistent, 1996 Assistenzprofessor und 2005–2008 ao. Professor in Wien. 2005 Habilitation über Albertis Theorie der historia. Gastprofessuren in Venedig, Berlin (FU), Dresden (TU) und Paris (EPHE). Seit 2008 Professor für Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Renaissance an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2009 Mitglied, seit 2013 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Seit 2011 Mitglied des Leitungsgremiums des Forschungszentrums für Historische Geisteswissenschaften (Universität Frankfurt). Forschungsschwerpunkte: Italienische Kunst und Architektur der Renaissance, Geschichte der Kunst- und Architekturtheorie, Geschichte und Methodologie der Kunstgeschichtswissenschaft. Daniela Bohde: 1999 Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. 2001–2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Universität Frankfurt, dort 2009 Habilitation. 2010/11 Samuel H. Kress Senior Fellow am CASVA, Washington DC mit dem Projekt „Disarray on Calvary – Passion Scenes in Early Sixteenth-Century German Art“. Anschließend Vertretung des Lehrstuhls für Frühe Neuzeit an der Universität Basel, gegenwärtig Vertretungsprofessorin für nordalpine Kunstgeschichte an der Universität Marburg. Publikationen zur Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit (u. a. Haut, Fleisch und Farbe. Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians, Emsdetten/Berlin 2002) und zur Wissenschaftsgeschichte und Methodik der Kunstgeschichte (u. a. Kunstgeschichte als physiognomische Wissenschaft. Kritik einer Denkfigur der 1920er bis 1940er Jahre, Berlin 2012). Jason Di Resta is a Research Associate in the Department of Italian Renaissance Painting at the National Gallery of Art in Washington, DC. He was a Predoctoral Fellow at the Center for Advanced Study in the Visual Arts and is completing his PhD at Johns Hopkins University in Baltimore. His research focuses on itinerant painters working in Northern Italy at the start of the sixteenth century and the role that artistic migration plays in processes of identity formation, in the production of place, and in the spread of doctrinal reform. He is currently working on the publication of Miklós Boskovits’ systematic catalogue of the National Gallery’s thirteenth- and fourteenth-century Italian paintings.
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Die Autorinnen und Autoren des Bandes
Margreth Egidi ist Professorin für Deutsche Literatur und Sprache an der Universität Paderborn. Nach dem Studium in Berlin promovierte sie 1997 zum Thema Höfische Liebe. Entwürfe der Sangspruchdichtung; die 2008 in Konstanz eingereichte Habilitationsschrift befasst sich mit Tausch/Gaben. Ökonomische und Anökonomische Logik in ‚Flore und Blanscheflur‘ und ‚Apollonius von Tyrland‘. Forschungsschwerpunkte sind: die Literatur des hohen und späten Mittelalters (höfische Lyrik, höfischer Roman, Minnerede, Passionsspiel); historisch spezifische Erzähllogiken in weltlichen wie legendarischen Texten; mittelalterliche Medialität (Textualität, Performanz, Performativität); der höfische Liebesdiskurs; Diskursivierung von Heiligkeit; Gaben- und Tauschlogiken; Konfigurationen des Ich. Christian Freigang: Studium der Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie in München, Bonn und Berlin. 1987–1991 Assistent für Architekturgeschichte an der École d’Architecture in Genf. Dissertation 1990 über die nordfranzösische Rayonnantgotik im Languedoc. Seit 1991 Wiss. Assistent an der Univ. Göttingen; Habilitation 1999 über Auguste Perret und die Architekturdebatte in Frankreich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. 1999–2003 Oberassistent in Göttingen. Lehrstuhlvertretungen in Freiburg, Hannover und Frankfurt. 2003 Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der Universität Frankfurt/M. Seit 2012 Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der FU Berlin. Forschungen und Publikationen zur Architektur und ihrer Vermittlung (Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien), zur Architekturtheorie und zur spätmittelalterlichen Hofkunst. Jeffrey Hamburger is the Kuno Francke Professor of German Art & Culture at Harvard University, where he teaches the history of medieval art. Areas of special interest include manuscript illumination, iconography, devotional imagery, the art of female monasticism, image theory, diagrams and the history of attitudes towards images. Co-author of the exhibition catalogue Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern (Bonn-Essen, 2005), he has also published numerous monographs on medieval art, most recently Script as Image (Leuven, 2014). Prof. Hamburger is a Fellow of the Medieval Academy of America and a member of the American Philosophical Society and the American Academy of Arts and Sciences. A graduate of Yale University (B. A. 1979, PhD. 1987), he holds an honorary doctorate from the University of Bern (2013). Saskia Hennig von Lange ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der Justus-Liebig Universität Gießen und Schriftstellerin. Studium der Angewandten Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in Gießen. Forschungsschwerpunkte: Verhältnisse von Betrachter-Körper, Raum und Rahmen im Spätmittelalter. Wichtige Veröffentlichungen: Die
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‚Rauheit‘ der Fäden. Präsenz und Repräsentation auf dem Berner Trajan- und Herkinbaldteppich, in: Kristin Böse / Silke Tammen (Hg.): Beziehungsreiche Gewebe, Textilien im Mittelalter, Frankfurt u. a. 2013; Das Innerste ist außen. Von der Durchlässigkeit spätmittelalterlicher Rahmen, in: Uwe Wirth (Hrsg.): Rahmenbrüche, Rahmenwechsel, Berlin 2013; Alles, was draußen ist. Eine Novelle, Salzburg 2013; Zurück zum Feuer. Roman, Salzburg 2014. Andreas Krass ist seit 2012 Professor für ältere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach Promotion (1994) und Habilitation (2003) an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrte er als Professor für ältere deutsche Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main (2004–2012). Forschungsaufenthalte führten ihn an die New York University (1997, DAAD) und die University of Washington in Seattle (USA) (2000/1: Alexander von Humboldt-Stiftung; 2007: Max Kade Foundation). Er leitet das DFG-Projekt ‚Online-Repertorium der mittelalterlichen deutschen Übertragungen lateinischer Hymnen und Sequenzen (Berliner Repertorium)‘ sowie das Teilprojekt ‚Intimität im Wandel‘ im SFB 644 Transformationen der Antike. Monographien: Stabat mater dolorosa: Lateinische Überlieferung und volkssprachliche Übertragungen im deutschen Mittelalter (1998); Geschriebene Kleider: Höfische Identität als literarisches Spiel (2006); Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe (2010). Birgit Ulrike Münch ist Akademische Rätin und Assistentin am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Trier sowie beratend im Vorstand des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Politologie und Soziologie an den Universitäten Heidelberg, Paris-Sorbonne (IV) und FU Berlin. Magister Artium 2003 (FU Berlin). Promotion 2007 (Universität Trier) zum Thema: Die Passion Christi in Texten und Bildern der Konfessionalisierung (publiziert 2009). Forschungsschwerpunkte: Deutsche, französische und niederländische Malerei und Graphik zwischen 1500 und 1800, Künstlersozialgeschichte, Rezeptionsästhetik sowie Dynamik ikonographischer Stereotypen. Derzeit bearbeitet sie drittmittelgeförderte Projekte zur Visualisierung gnomischen Wissens, zum Reisen als epistemisches Konzept sowie zur Darstellbarkeit venerischer Krankheiten. Das Habilitationsprojekt beschäftigt sich mit Fragen nach Kunstöffentlichkeit(en) der Vormoderne. Yamit Rachman-Schrire is a graduate student at the Hebrew University of Jerusalem. Her dissertation focuses on the role stones and rocks played in the formation and mediation of Christian sacred places in Jerusalem between the twelfth and the fifteenth centuries. She is a member in the ERC project ‘Spectrum – Visual Translations of Jerusalem’. Her research interests include cultural exchange in the Mediterranean from visual material and spatial
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perspectives, as well as late medieval devotional culture and its manifestation in Jerusalem. Anja Rathmann-Lutz ist Historikerin und Kunsthistorikerin. Nach Studium und Promotion in Hamburg ist sie derzeit wissenschaftliche Assistentin/post-doc researcher am Department Geschichte der Universität Basel im Bereich Mittelalter und Renaissance. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kultur- und Religionsgeschichte der spätmittelalterlichen Stadt und Fragen nach Visibilität sowie Raum-Zeit-Verhältnissen im Hoch- und Spätmittelalter. Ausgewählte Publikationen: ‚Images‘ Ludwigs des Heiligen im Kontext dynastischer Konflikte des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin 2010; (Hg.): Visibilität des Unsichtbaren. Sehen und Verstehen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Zürich 2011; Historiographische Topographie und chorographische mindscapes. Raumkonstruktionen in den ‚London Chronicles‘, in: Ehrich/Oberste (Hg.): Städtische Räume im Mittelalter, Regensburg 2009, S. 49–58; Blicke in eine Landschaft – Zur Schweizer Kulturgeschichtsschreibung der Vormoderne (m. L. Burkart), in: traverse 19/1 (2012), S. 19–34. Bruno Reudenbach: Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Köln und Freiburg i.Br.; Promotion 1977 an der Universität Köln, 1978–1986 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich ‚Mittelalterforschung‘, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; seit 1986 Professor für Kunstgeschichte am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte sind spätantike und mittelalterliche Kunstgeschichte, mittelalterliche Buchmalerei und Buchkultur, Reliquienkult. Ausgewählte Publikationen: Das Taufbecken des Reiner von Huy in Lüttich, Wiesbaden 1984; Das Godescalc-Evangelistar. Ein Buch für die Reformpolitik Karls des Großen, Frankfurt a. M. 1998; Hg. (mit Gia Toussaint): Reliquiare im Mittelalter (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte, 5) Berlin 2005; Die Kunst des Mittelalters, Bd. 1: 800-1200, München 2008; (Hg.): Karolingische und ottonische Kunst (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, 1), München 2009. Heike Schlie: Studium in Trier und Bochum. Promotion 1999. 2001–2003 Mitarbeiterin der Forschungsgruppe ‚Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum‘, Münster. 2001–2008 Lehraufträge an der Universität Dortmund und der Kunstakademie Münster. 2008–2010 Mitarbeiterin im Forschungsprojekt ‚Sakramentale Repräsentation‘ am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin, seit 2012 im Forschungsprojekt ‚Zeugenschaft‘. 2013/14 Vertretungsprofessorin in Basel. Schwerpunkte: Malerei und Skulptur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bildmedialität des Wissens; Perspektive, medialer Raum. Monographien: Bilder des Corpus Christi. Sakramentaler Realismus von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch
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(2002); Sakramentale Repräsentation. Substanz, Zeichen und Präsenz in der Frühen Neuzeit (2012, mit St. Ertz und D. Weidner). Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne (2011, mit E. Koch); Orte der Imagination - Räume des Affekts. Die mediale Formierung des Sakralen (1100–1600) (im Ersch., mit W. Drews). Johann Schulz M. A. promoviert zum Thema spätmittelalterlicher Jerusalemnachbildungen an der Universität Basel. Er schloss 2010 das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg ab. Neben mehreren Lehrveranstaltungen hat er in Heidelberg die Assistenz am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kunstgeschichte vertreten. 2012–2014 war er am Kunstgeschichtlichen Institut Frankfurt a. M. Praedoc im DFG-Projekt ‚Mittelalterliche Retabel in Hessen‘. Seit 2010 ist Johann Schulz außerdem Vorstand des Vereins ‚Das Bild als Ereignis e.V.‘. Zuletzt erschienen: The Reliefs of Adam Kraft in Nuremberg. Imitatio Christi and the Veneration of the ‘Via Crucis’, in: Bianca Kühnel und Pnina Arad (Hg.): Jerusalem Elsewhere. The German Recensions, Jerusalem 2014; gem. mit Jochen Sander: ‚Wil ich noch etwaß machen das nit viel leut khönnen machen.‘ Dürer und der Heller-Altar, in: J. Sander (Hg.): Dürer. Kunst – Künstler – Kontext, AK Städel Museum 2013–2014, München u. a. 2013. Achim Timmermann received his doctorate from the University of London in 1996. He is Associate Professor of Art History and Architecture at the University of Michigan, Ann Arbor. His research interests cover late medieval and early modern art and architecture, with particular focus on microarchitecture and the visual stage-management of the body of Christ. His is author of Real Presence. Sacrament Houses and the Body of Christ, c. 1270–1600 (2009) and co-editor of the two-volume Studies in Medieval Art: Liber amicorum Paul Crossley (2011). His current book project, to be published with Brepols in 2015, is entitled Representation and Redemption. Sacred Landscape and the Public Monument in the Late Middle Ages.