Romantik in Böhmen: Die Grundlagen des philosophischen Denkens des Grafen Georg von Buquoy 9783515117531

Graf Georg von Buquoy (1781 1851) wurde in der Geschichtsschreibung lange nur als ein patriotischer Gönner und Erfinder

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German Pages 142 [146] Year 2017

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Abbildungsverzeichnis
Danksagung
Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung
Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz
Die Einstellungen zur Wissenschaft im Vormärz
Romantik
Profilierung der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften
Patriotismus, nationale Bewusstwerdung und das böhmische Museum
Streben nach politischer und kirchlicher Erneuerung an der Prager Universität
Liberalismus und außerhalb der Institutionen stehende Denker
Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf
Erziehung und Bildung des jungen Grafen
Das intellektuelle Leben Georg von Buquoys nach der Übernahme des Familienbesitzes
Mathematik, Dynamik
Wende zum transzendentalen Weltbild
Der eigene Weg
Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys
Inspiration für nachfolgende Generationen?
Grundannahmen des buquoyschen Philosophierens
Buquoys Kritizismus
Der esoterische Charakter der menschlichen Erkenntnis
Allgemeine Naturgesetze
Zusammenfassung
Edition
Quellenanalyse
Editorische Notiz
Kern meiner philosophischen Grundansicht
Erklärungen
Bibliographie und Quellenverzeichnis
Archivquellen
Gedruckte Quellen
Sekundärliteratur
Abstract
Register
Personenregister
Ortsregister
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Romantik in Böhmen: Die Grundlagen des philosophischen Denkens des Grafen Georg von Buquoy
 9783515117531

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Michal Morawetz

Romantik in Böhmen Die Grundlagen des philosophischen Denkens des Grafen Georg von Buquoy Geschichte Franz Steiner Verlag

86 contubernium Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte

Michal Morawetz Romantik in Böhmen

c o ntu be r n i u m Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte

Herausgegeben von Jörg Baten, Ewald Frie, Sigrid Hirbodian, Andreas Holzem, Ulrich Köpf, Anton Schindling, Jan Thiessen und Urban Wiesing Band 86

Michal Morawetz

Romantik in Böhmen Die Grundlagen des philosophischen Denkens des Grafen Georg von Buquoy

Franz Steiner Verlag

Dieses Buch wurde mit der finanziellen Unterstützung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und des Ministeriums für Schulwesen, Jugend und Leibeserziehung Tschechische Republik herausgegeben.

Umschlagabbildung: Die Krönung der Kunst. Die Abbildung des romantischen Ideals in der Gravüre von Josef Bergler. Darstellung aus Wenzel Johann Tomaschek, Gedichte von Goethe für den Gesang, Prag [1815], Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Abteilung Český Krumlov, Musiksammlung, Kart. 643, sign. 3753 (Titelseite). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11753-1 (Print) ISBN 978-3-515-11754-8 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis Abkürzungen .....................................................................................................

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Abbildungsverzeichnis......................................................................................

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Danksagung.......................................................................................................

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Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung ...........................

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz ...................... Die Einstellungen zur Wissenschaft im Vormärz ........................................ Romantik ..................................................................................................... Profilierung der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften ...................................................................................... Patriotismus, nationale Bewusstwerdung und das böhmische Museum .............................................................................. Streben nach politischer und kirchlicher Erneuerung an der Prager Universität.................................................................................. Liberalismus und außerhalb der Institutionen stehende Denker ..........................................................................................

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Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf ..................................... Erziehung und Bildung des jungen Grafen ................................................. Das intellektuelle Leben Georg von Buquoys nach der Übernahme des Familienbesitzes .................................................................................... Mathematik, Dynamik ................................................................................. Wende zum transzendentalen Weltbild........................................................ Der eigene Weg ...........................................................................................

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys ................................. Inspiration für nachfolgende Generationen? ............................................... Grundannahmen des buquoyschen Philosophierens ................................... Buquoys Kritizismus ................................................................................... Der esoterische Charakter der menschlichen Erkenntnis ............................ Allgemeine Naturgesetze.............................................................................

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Zusammenfassung.............................................................................................

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Edition ............................................................................................................... Quellenanalyse ............................................................................................ Editorische Notiz .........................................................................................

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Inhaltsverzeichnis

Kern meiner philosophischen Grundansicht .....................................................

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Erklärungen ....................................................................................................... 130 Bibliographie und Quellenverzeichnis.............................................................. Archivquellen .............................................................................................. Gedruckte Quellen....................................................................................... Sekundärliteratur .........................................................................................

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Abstract ............................................................................................................. 139 Register ............................................................................................................. 141 Personenregister .......................................................................................... 141 Ortsregister .................................................................................................. 142

Abkürzungen ČČH Český časopis historický [Tschechische historische Zeitschrift] ČMM Časopis Matice moravské [Zeitschrift der Mährische Matica] DVT Dějiny věd a techniky [Geschichte der Wissenschaften und Technik] fol. Folio JSH Jihočeský sborník historický [Südböhmische historische Zeitschrift] Kart. Karton

Abbildungsverzeichnis Titelseite des Manuskripts (Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 1) .....................................................

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Das Beispiel der Textbearbeitungen Buquoys (Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 49) ...................................................

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Danksagung Diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung einiger Menschen nicht zustande gekommen, bei denen ich mich an dieser Stelle gerne bedanken möchte. Es ist in erster Reihe doc. PhDr. et Dr. phil. Ivo Cerman, Ph. D. von der Südböhmischen Universität in České Budějovice, der mein Interesse für die intellektuelle Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts langfristig verfolgt hat und dessen Anregungen und konstruktiven Ratschläge der Qualität der Arbeit zweifellos zu Gute kamen. Mein herzlicher Dank gilt auch Prof. Dr. Anton Schindling von der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen, durch den die Veröffentlichung dieser Arbeit im Franz Steiner Verlag in Stuttgart ermöglicht wurde. Ebenso möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Staatlichen Gebietsarchivs in Třeboň bedanken, die mir sehr hilfsbereit die große Menge an Archivquellen aus dem Bestand des Familienarchivs Buquoy vorbereitet haben. Schließlich gilt mein Dank auch Frau Markéta Ederová, M. A., die die einleitende Studie dieser Arbeit ins Deutsche übersetzt hat.

Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung In den letzten Jahren wurden einige philosophische Werke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Editionen erschlossen. Während sich der Forschungsfokus anfangs vorwiegend auf die Hauptvertreter des deutschen Idealismus und der Romantik richtete, hat sich in der Gegenwart das Interesse auf Persönlichkeiten verschoben, die heute zwar weniger bekannt sind, trotzdem aber als in ihrer Zeit inspirierende Denker von überregionaler Bedeutung gelten können.1 Ein solcher war auch Graf Georg Buquoy, ein Gelehrter aus dem böhmischen Landadel, der durch seine wissenschaftlichen Interessen in die zeitgenössische intellektuelle Elite aufsteigen konnte. Graf Georg Buquoy (1781–1851) figuriert in der Geschichtsschreibung traditionell vor allem als Persönlichkeit mit vielfältigen Interessen sowie zahlreichen gesellschaftlichen und fachlichen Kontakten. In der Historiographie erscheint sein Name zum ersten Mal fünfzig Jahre nach seinem Tod – zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der umfangreiche Nachlass von Georg Buquoy weckte das wissenschaftliche Interesse Robert Teichls, des damals erst zweiundzwanzigjährigen Sohnes des Direktors der buquoyschen Herrschaften Anton Teichl, der dort seit 1888 Archivverwalter war. Robert Teichl machte gerade seinen Abschluss in Geschichte und Geographie an der Wiener Universität und verfasste einen kleinen Aufsatz über die Kontakte des Grafen Buquoy zu Johann Wolfgang Goethe. Angeregt wurde die Studie durch die Entdeckung von drei Autographen Goethes im Gratzener Archiv.2 Teichl transliterierte und veröffentlichte sie. Auf der Grundlage von Goethes Tagebüchern seiner Aufenthalte in nordböhmischen Kurorten sowie Buquoys Korrespondenz und Reisetagebüchern gelang es Teichl, die Begegnungen der beiden in den Jahren 1807–1827 zu rekonstruierten und – seinem Anspruch auf faktographische Vollständigkeit genügend – die Themen ihres Briefwechsels vorzustellen. Robert Teichl war somit 1905 der erste, aber für lange Zeit auch der letzte, der in seinem Interesse für Georg Buquoy Archivquellen nutzte. In seinem Fall blieb es al1

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Thomas Bach / Olaf Breidbach / Dietrich von Engelhardt (Hrsg.), Lorenz Oken. Gesammelte Werke 1–4, Weimar 2007; Karsten Kenklies (Hrsg.), Bernhard Heinrich Blasche. Naturbildung, Leipzig 2015 (= Quellen zur protestantischen Bildungsgeschichte 9); Irena Šnebergová (Hrsg.), Augustin Smetana. Příběh jedné exkomunikace a doprovodné texty [Augustin Smetana. Die Geschichte einer Exkommunikation und die Begleittexte], Praha 2008 (= Studie a prameny k dějinám myšlení v českých zemích 7). Neu editiert wurden auch die Erbauungsreden Bernard Bolzanos. Näheres zu diesem Projekt bei Steffen Höhne, Ein Jahrhundertwerk: Zur Edition der Erbauungsreden von Bernard Bolzano, Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder 52, 2012, S. 123–129. Robert Teichl, Goethe und Georg Graf von Buquoy, Chronik des Wiener Goethe-Vereins 19, 1905, S. 17–30.

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Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

lerdings bei einigen wenigen Einzelstudien und er widmete sich der Forschung über den „bedeutenden Angehörigen des böhmischen Adels“, wie er Buquoy nannte, nicht weiter. Das Thema von Teichls Studie wurde erst achtzig Jahre später durch die Gymnasiallehrerin und Angehörige des Grafengeschlechts Margarete Buquoy aufgegriffen, die ein Buch über die Begegnungen von Goethe, Buquoy und dem buquoyschen Komponisten Johann Wenzel Tomaschek in nordböhmischen Kurorten veröffentlichte.3 Die in ihren Gesprächen und dem Briefwechsel auftauchenden Themen werden in dem Buch in einen umfassenderen Kontext eingebettet und – was dieses Werk ganz besonders auszeichnet – die aufgefundenen Quellen transkribiert und reproduziert. Die Attraktivität der Kontakte des deutschen Dichters und Naturwissenschaftlers mit dem Grafen aus Böhmen wusste auch der Buquoysche Archivar Ernst Hirsch zu schätzen und versah seine nicht veröffentlichte Arbeit über Georg Buquoy mit dem Untertitel Ein vergessener Goetheanist.4 Buquoy sollte dadurch offenbar als Anhänger von Goethes Naturauffassung dargestellt werden und sich somit zu Persönlichkeiten wie Alexander von Humboldt, Jöns Jakob Berzelius oder Jan Evangelista Purkyně gesellen; einen überzeugenden Vergleich von Buquoy und Goethe lässt die Arbeit allerdings vermissen. Hirsch gliederte das Leben des Grafen in mehrere Perioden. Im ersten Teil der Handschrift widmete er sich der Herkunft und Kindheit sowie dem Bildungsweg des Grafen. Nach dem Studienabschluss beginnt die (in Hirschs Terminologie) mathematisch-volkswirtschaftliche Periode, die bis 1815 dauert – dem Jahr, in dem Buquoy seine Auffassungen vor der Akademie der Wissenschaften in Paris präsentiert. Dem Pariser Aufenthalt ist ein ganzes Kapitel gewidmet, es finden sich hier sogar Transkriptionen der Gespräche zwischen Buquoy und dem Mathematiker Laplace. Nach seiner Rückkehr beschäftigt sich der Graf mit der klassischen deutschen Philosophie. 1818 ist er dann wieder in Paris und stellt hier seine eigene Auffassung über den Magnetismus vor. Die letzte Periode im Leben des Grafen bezeichnet Hirsch als die philosophische.5 Hirschs Handschrift zeichnet sich in bester positivistischer Tradition durch eine faktographische Präzision aus und verfügt dank der Kenntnis von Buquoys Nachlass auch über eine 3 4

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Margarete Buquoy, Begegnungen in Böhmen: Goethe, Buquoy, Tomaschek. Wissenschaft, gesellschaftliches Leben und Musik, München 1987. Ernst Hirsch, Graf Georg Buquoy. Ein vergessener Goetheanist, Wien [1975]. Dr. Ernst Hirsch, Professor an der Akademie in Teplitz, arbeitete seit den ausgehenden 1920er Jahren mit dem Gratzener Archiv und war hier zwischen 1930 und 1941 auch angestellt. Während dieser Zeit erarbeitete er ein Ordnungssystem für die Schriften Buquoys, das mit einigen Modifizierungen bis heute Bestand hat. Seine Arbeit über Buquoy wurde nie veröffentlicht und ist lediglich als Handschrift erhalten (für unsere Zwecke nutzen wir die Handschrift aus der Universitätsbibliothek Wien). Eine Komplikation für die heutige Forschung stellt das Nichtvorhandensein eines Fußnotenapparats dar – an dessen Stelle befindet sich hinter jedem Kapitel lediglich eine Liste der verwendeten Literatur und Quellen. Die Archivquellen sind mit heute bereits ungültigen Nummern versehen, weshalb sich die Suche nach ihnen in den meisten Fällen sehr umständlich gestaltet. Die Gliederung orientiert sich offenbar an Buquoys Autobiographie, die 1825 in einer seiner Schriften veröffentlicht worden war. Vgl. Georg von Buquoy, Auswahl des leichter Aufzuffasenden, aus meinen philosophisch-wissenschaftlichen Schriften und kontemplativen Dichtungen, für gebildete Leser und Leserinnen, Prag 1825, S. 1–34.

Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

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außerordentlich leistungsfähige Heuristik. Eine grundlegende Bewertung oder tiefere Interpretation findet man hier zwar nicht, aber die chronologische Darstellung von Buquoys wissenschaftlicher Laufbahn und insbesondere das den philosophischen Ansichten des Grafen gewidmete Schlusskapitel verdienen unsere Aufmerksamkeit. Hirsch zufolge kann man die Buquoysche Philosophie in zwei Perioden gliedern. Die erste wird durch die Publikationen Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur aus dem Jahr 1817 und die zweibändige Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens von 1822 repräsentiert, in denen Buquoy das ihm vertraute Gebiet der Naturwissenschaft zum Ausgangspunkt nimmt und Einflüsse der Naturphilosophie und des Pantheismus erkennen läßt. Für die zweite Periode, die allerdings etwas abseits von Hirschs Interesse stand, sollten die kurzen Aufsätze charakteristisch sein, die im Laufe des Jahres 1841 unter dem Titel Meditation und Dichtung über meine gesammte Erscheinungswelt in der Jenaer Zeitschrift Isis erschienen. In diesem Zeitraum sei Buquoys Philosophie auf einer ganz unterschiedlichen metaphysischen Grundlage aufgebaut, der zufolge die Natur erst durch das Oszillieren zwischen zwei Gegensätzen entsteht. Hirsch bezeichnete Buquoys Philosophie als unvollendet; die Weiterführung von dessen Gedanken (allerdings ohne ausreichende Argumentation) sah er dann im Werk des österreichischen Philosophen, Begründers der Anthroposophie und ersten Herausgebers von Goethes naturwissenschaftlichen Werken Rudolf Steiner (1861–1925) realisiert. In der Abschlussphase seiner wissenschaftlichen Biographie von Buquoy konnte sich Hirsch bereits auf die Arbeit von Ernst Thomas stützen, in der sich dieser mit Buquoys Ansichten zur Volkswirtschaft auseinandersetzte. Thomas ging in seiner Studie von den bereits erschienenen Werken und der Sekundärliteratur aus. Ihm war bewusst, dass viele anregende Ansichten und Theorien zur Ökonomie nur deswegen unbekannt blieben, weil sie einem breiteren Publikum nicht zugänglich gemacht worden waren. Er wollte dieses Defizit zumindest teilweise ausgleichen, indem er die Ansichten des Grafen Buquoy in den Kontext der Volkswirtschaftslehre des beginnenden 19. Jahrhunderts einbettete.6 Seine Informationen bezieht Thomas aus der in einem Werk Buquoys abgedruckten Autobiographie sowie aus verschiedenen noch zu Lebzeiten des Grafen erschienenen Artikeln und dem Biographischen Lexikon von Wurzbachs.7 Der besondere Beitrag von Thomas´ Studie besteht in der Auswertung der buquoyschen Auffassungen über Wirtschaft: der Fokus liegt auf dem bedeutenden Werk Buquoys Die Theorie der Nationalwirtschaft von 1815, seiner mathematischen Analyse sowie den wirtschaftlichen Kategorien Wert, Preis, Kapital, Geld und Hypothek. Buquoy war sich der Verquickung von ökonomischen und politischen Staatsinteressen bewusst und riet zu ihrer Erforschung mit Hilfe mathematischer Methoden. Sein Buch wurde mehrmals rezensiert und seine Ansichten fanden in den Wintersemestern 1819 und 1820 bei den Studenten der Universität Leipzig ein aufmerksames Publikum. Thomas 6 7

Ernst Thomas, Graf Georg von Buquoy. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Nationalökonomie am Anfang des 19. Jahrhunderts, München/Leipzig 1929. G. von Buquoy, Auswahl, S. 1–34; Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. II, Wien 1857, S. 208; [Anonym], Graf Buquoy als Philosoph und Dichter, Isis, 1828, S. 602–606.

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Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

schätzte Buquoy als anregenden Volkswirtschaftler und ließ auch die Inspiration durch den schottischen Ökonom und Philosoph Adam Smith (1723–1790) nicht unerwähnt. 2005 wurde in Deutschland ein Reprint der volkswirtschaftlichen Arbeit Buquoys, mit einer Einleitung des Wirtschaftshistorikers Christos Baloglou und des Ökonomen Bertram Schefold, herausgegeben.8 Die Herausgeber skizzieren knapp die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens vor dem Erscheinen der Theorie der Nationalwirtschaft und erkennen bei Buquoy nicht nur den kameralistischen wie physiokratischen Einfluss, sondern attestieren ihm auch Eigenständigkeit im Denken. Eine ausführlichere Darstellung finden Buquoys Wirtschaftsansichten aber erst beim Historiker der Wirtschaftsgeschichte Christian Gehrke.9 Dieser unterstrich Buquoys Wissen um den Einfluss des technologischen Fortschritts auf die staatlichen Einnahmen sowie die originelle Anwendung mathematischer Methoden in der Ökonomie. Die Arbeit von Buquoy stützte sich auf seine eigenen praktischen Erfahrungen in der Anwendung technologischer Neuigkeiten – in seinem Fall ging es insbesondere um den Einsatz von Dampfmaschinen10 und die Innovation der Arbeitsverfahren in der Glasindustrie.11 Neben Buquoys ökonomischen Ansichten wurden in der Forschung auch dessen naturwissenschaftliche Interessen wahrgenommen. Der Moskauer Wissenschaftshistoriker Gleb Michajlov veröffentlichte eine Studie über Buquoys Untersuchungen 8 9

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Georg von Buquoy (hg. von Christos Baloglou und Bertram Schefold), Theorie der Nationalwirtschaft nach einem neuen Plane und nach mehrern eigenen Ansichten dargestellt, Hildesheim 2005. Christian Gehrke, Georg von Buquoys „Tabellarische Uebersicht des Zusammenhanges der Gewerbe unter einander“, in: Gerhard Huber / Hagen Krämer / Heinz D. Kurz (Hrsg.), Einkommensverteilung, technischer Fortschritt und struktureller Wandel, Marburg 2005, S. 317–337; Ders., Ökonomie und Technik bei Georg Franz August Graf von Buquoy, in: Harald Hagemann / Elisabeth Allgoewer (Hrsg.), Ökonomie und Technik, Berlin 2010 (= Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie 23), S. 47–91. Mit den technischen Aspekten von Buquoys Dampfmaschinen beschäftigten sich Artur Günter / Hugo Fuchs, Graf Georg von Buquoy und seine hölzerne Dampfmaschine. Ein Beitrag zur Geschichte der Dampfmaschine in Böhmen, Technische Blätter. Zeitschrift des Deutschen polytechnischen Vereins in Böhmen 45, 1913, S. 116–137. Den Bemühungen des Grafen um die Verbreitung der Dampfmaschinenproduktion widmet sich in seiner kurzen Studie Antonín Ederer, Snahy Buquoyovy o propagaci parního stroje [Buquoys Bemühungen um die Propagierung der Dampfmaschine], Sborník národního technického musea 2, 1956, S. 114–122. Aus der umfangreichen Literatur zur Glasproduktion auf den buquoyschen Gütern vgl. zumindest Jitka LnĚniČková / Rudolf Hais, Novohradské sklářství a hrabě Jiří Buquoy [Die Gratzener Glasindustrie und Graf Georg Buquoy], Výběr z prací členů Historického klubu při Jihočeském muzeu v Českých Budějovicích 28, 1991, S. 116–124; S. 226–232; Radko KlofáČ, Buquoyské sklářství první poloviny 19. století [Die buquoyschen Glashütten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts], Ars vitraria 5, S. 53–65; Adolf Kalný, Mzdový boj buquoyských sklářů na Novohradsku v roce 1824 [Der Lohnkampf der buquoyschen Glasmacher in der Gratzener Region im Jahre 1824], JSH 40, 1971, S. 99–103; Helena Brožková (Hrsg.), Buquoyské sklo v Čechách – Buquoy Glass in Bohemia 1620–1851, Praha 2002 (= Ausstellungskatalog); Margarete Buquoy, Die Buquoyischen Glashütten, in: Alois Harasko (Hrsg.), Der südböhmische Heimatkreis, Kaplitz/Hohenfurth/Gratzen. Deutsche Kulturlandschaft an Moldau und Maltsch I, München 1986, S. 366–384.

Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

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zur Bewegung der Körper mit veränderlicher Masse bereits Mitte der 1980er Jahre.12 Unlängst griff er dieses Thema erneut auf: Gemeinsam mit dem Münchner Mathematikhistoriker Menso Folkerts und in Zusammenarbeit mit Margarete Buquoy gab er das Tagebuch von Buquoys Reise nach Paris im Jahre 1815 heraus.13 Neben der Edition des Tagebuchs widmen sie sich im Buch auch der Biographie des Grafen, seiner wissenschaftlichen Arbeit und der Geschichte der Forschung zur Bewegung der Körper mit veränderlicher Masse. Sie belegen, dass Georg Buquoy ihre Gesetzmäßigkeiten bereits in den Jahren 1812 und 1814 veröffentlicht und 1815 in der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgestellt hatte. Gleichwohl gerieten seine Erkenntnisse in Vergessenheit und wurden erst wieder im 20. Jahrhundert, im Zusammenhang mit der Suche nach der Möglichkeit von Weltraumflügen, formuliert. Die Autoren gehören zu den Ersten, die den Beitrag von Buquoys´ wissenschaftlicher Arbeit für die Naturwissenschaft zu schätzen wissen. An dieser Stelle muss allerdings angemerkt werden, dass tschechische Naturwissenschaftler seine Bedeutung für die Geschichte der Physik und Mathematik ebenfalls ausdrücklich erwähnen.14 Eine etwas andere Lesart der wissenschaftlichen Tätigkeit Buquoys zeigt Miloš Řezník in einem Aufsatz.15 Er bemüht sich um ein komplexeres Bild des Grafen als Forscher und zieht dabei insbesondere seine bedeutendsten veröffentlichten philosophischen Schriften heran. Řezník unterscheidet zwei Typen von Gelehrten im Böhmen des ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – einerseits die in sich gekehrten Intellektuellen, die ihre Ansichten für sich behielten, andererseits diejenigen, die sich im öffentlichen Leben engagierten und über ihre Anschauungen diskutieren wollten. Zu dieser zweiten Gruppe zählt er auch Buquoy – einen Wissenschaftler, der die Welt und ihre Ordnung verstehen will und den Weg im Kompromiss zwischen der aufklärerischen Rationalität und dem romantischen

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Gleb K. Michajlov, Георг Букуа и начала динамики систем с переменными массами [Georg Bukua i nachala dinamiki sistem s peremennymi massamy (Georg Buquoy und die Entstehung der Dynamik der Systeme mit veränderlichen Massen), in: A. T. Grigorjan, Исследования по Истории Физики и Механики [Issledovanija po Istorii Fiziki i Mechaniki] (Die Forschungen der Geschichte der Physik und Mechanik), Moskva 1986, S. 191–238. Menso Folkerts / Gleb K. Michajlov, Graf Georg von Buquoy und die Dynamik der Systeme mit veränderlichen Massen. Die Reise eines böhmischen Grundherrn und Naturforschers nach Paris (1815), Augsburg 2010 (= Algorismus. Studien zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften 74). Eine sehr wertvolle Beilage stellt neben der Edition des Reisetagebuchs auch das Verzeichnis der veröffentlichten Arbeiten von Georg Buquoy und der Rezensionen dazu dar. Vgl. die Hinweise bei Vladimír Šíma / Jiří Podolský, Buquoy’s Problem, European Journal of Physics 26, 2005, S. 1037–1045; Jiří Podolský, Hrabě Buquoy a jeho úlohy [Graf Buquoy und seine Aufgaben], in: Aleš Trojánek / Jan Novotný (Hrsg.), Matematika, fyzika a školství. Sborník z XIII. semináře o filosofických otázkách matematiky a fyziky, Velké Meziříčí 2006, S. 22–35. Miloš Řezník, Das romantische Wissenschafts- und Erkenntniskonzept des Grafen Georg von Buquoy, in: Ivo Cerman / Luboš Velek (Hrsg.), Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006 (= Studien zum Mitteleuropäischen Adel 1), S. 241–255.

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Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

Empfinden sieht, der die Verbindung zwischen der wissenschaftlichen Empirie und dem besinnlichen Meditieren sucht.16 Während insbesondere die deutschen und österreichischen Historiker Buquoy von Anfang an als Wissenschaftler wahrnahmen, war für die tschechische Geschichtsschreibung zunächst typisch, dass sie dem Grafen in erster Reihe Verdienste um die „nationale Wiedergeburt“ zuschrieb und dadurch seinen Platz in der national orientierten Historiographie legitimierte. Die ersten Informationen über Georg Buquoy bekamen die tschechischen Leser von Josef Hanuš. Der Professor der Pressburger Universität erwähnt Buquoy in seinem Buch über das Nationalmuseum und präsentiert ihn hier als einen eifrigen Mathematiker. Buquoy dient als Beispiel eines Adeligen mit tschechischen nationalen Interessen, der allerdings nicht aus dem Schatten der – von Hanuš favorisierten – Cousins Sternberg herauszutreten vermag.17 Eine eingehendere Analyse oder zumindest Bewertung der Rolle Buquoys im Prozess der nationalen Wiedergeburt blieb allerdings bis heute aus. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwog die marxistische Perspektive auf den Adel, d. h. er wurde zuallererst in wirtschaftlichen Zusammenhängen und als Obrigkeit gesehen, seine Rolle im kulturellen Leben trat in den Hintergrund. Nach 1989 erschienen einige kurze Studien über den Grafen.18 Die Autorin der bemerkenswertesten Arbeit, Helga Turková, bezeichnete den Grafen Buquoy 1990 als einen in Vergessenheit geratenen Polyhistor.19 Turková arbeitete in den 70er Jahren in der Schlossbibliothek in Gratzen, was ihr Interesse an Georg Buquoy geweckt haben dürfte. In der später entstandenen Studie fasste sie sein Leben und Werk zusammen, hob seine Verdienste um die Gründung des Nationalmuseums in Prag sowie die Beteiligung an der Revolution von 1848 hervor. Im Schlussteil führt sie Beispiele von Schriftstellern an, die sich durch seine Persönlichkeit zu einer literarischen Figur inspirieren ließen.20 Mit ihrem Artikel wollte sie die Erinnerung 16

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Zu einer ähnlichen Auffassung kommt durch das Studium eines der kürzeren Texte von Buquoy Lubomír KoneČný, Jiří František Buquoy a „La famosissima Notte“ [Georg Franz Buquoy und „La famosissima Notte“], in: Jiří Kroupa / Michaela Šeferisová Loudová / Lubomír Konečný (Hrsg.), Orbis artium. K jubileu Lubomíra Slavíčka, Brno 2009, S. 77–83. Vgl. auch die deutsche Fassung des Aufsatzes Ders., Georg Franz Buquoy und „La famosissima Notte“, RIHA Journal 0016 (8. 2. 2011), URL: http://www.riha-journal.org/articles/2011/2011-janmar/konecny-buquoy-famosissima-notte [22. 1. 2016]. Vgl. Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození. K stoletému jubileu založení musea [Das Nationalmuseum und unsere Wiedergeburt. Der 100. Jahrestag der Museumsgründung], Praha 1921, S. 263. Bspw. Rudolf Hais, Jiří František August hrabě Buquoy de Longueval (1781–1851), Výběr 31, 1994, S. 60–63; Luboš Nový, K vědeckým zahraničním stykům Jiřího Buquoye (1781–1851) [Zu den internationalen wissenschaftlichen Kontakten von Georg Buquoy], DVT 40, 2007, S. 1–11; Miroslava VlaČihová, Jiří František August Buquoy (1781–1851) – novohradský vědec a vynálezce [Georg Franz August Buquoy (1781–1851) – ein Gratzener Wissenschaftler und Erfinder], Rodopisná revue 9, 2008, Nr. 3, S. 15. Helga Turková, Zapomenutý polyhistor hrabě Jiří Buquoy [Der vergessene Polyhistor Graf Georg Buquoy], Miscellanea oddělení rukopisů a starých tisků 7, 1990, S. 131–165. Sie erkannte ihn im Romanetto von Jakub Arbes Poslední dnové lidstva [Die letzten Tage der Menschheit] (1895), im Roman von Gustav Pfleger-Moravský Z malého světa [Aus der kleinen Welt] (1864) und in der Novelle von Eduard Mörike Mozart auf der Reise nach Prag (1856).

Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

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an „die bemerkenswerte Figur des Grafen“21 lebendig halten. Neben der Aufzählung seiner wissenschaftlichen Interessen und Entdeckungen gab sie mehrmals auch nicht nachgeprüfte Geschichten aus seinem Leben weiter und übertrug so einige Interpretationen aus Romanen in die Geschichtsschreibung. Als Erste beschrieb sie – wohl unter dem Einfluss literarischer Darstellungen – den Grafen als einen nervenschwachen Sonderling mit tschechischen nationalen Interessen. Im Laufe der hundert Jahre historiographischen Interesses an Graf Buquoy kristalisierten sich in der Forschung zwei Richtungen heraus. Die erste, zunächst fast ausschließlich durch deutschsprachige Historiker repräsentiert, legte ihren Fokus auf Buquoys wissenschaftliche Tätigkeit und präsentierte ihn als einen durch die Naturphilosophie und den Pantheismus beeinflussten Philosophen, Anhänger von Goethes Ansichten, einen bedeutenden Physiker und Volkswirtschaftler. Die andere, für die tschechische Geschichtsschreibung charakteristische Richtung22 sieht in Georg Buquoy einen Unterstützer des tschechischen Nationalgedankens bzw. einen Erfinder oder Unternehmer. In den letzten Jahren kam es zur teilweisen Verschmelzung dieser beiden Forschungsstränge23, was allerdings nicht immer automatisch mit einem Wissenszuwachs einherging. Etwas zu kurz – verglichen mit dem Interesse an seiner wissenschaftlichen Tätigkeit – kommt die Persönlichkeit des Grafen.24 Mit dem umfangreichen, in Veröffentlichungen und im Nachlass erhaltenen Werk Buquoys beschäftigt sich der Autor dieses Buches im Rahmen seiner Doktorarbeit. Darin wird zum ersten Mal eine bisher unveröffentlichte philosophische Schrift Buquoys zugänglich gemacht, die im Sinne der oben erwähnten Glie21 22

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H. Turková, Zapomenutý polyhistor, S. 131. Es zeigt sich, dass sich die tschechische Geschichtsschreibung nur schweren Herzens von der national geprägten Geschichtsauffassung lossagt. Zuletzt wies darauf hin Pavel Kladiwa, Národ jako jediné hodnotící kritérium? České země v Předlitavsku a (stále) etnicistní česká historiografie [Die Nation als einziges Bewertungskriterium? Die böhmischen Länder in Cisleithanien und die (immer noch) ethnisch geprägte tschechische Historiographie], ČČH 113, 2015, S. 989–1008. Margarete Buquoy bspw. zeigte Buquoys Rolle in der Revolution von 1848 etwas überzeugender auf: Margarete Buquoy, Georg Graf von Buquoy. Ein Industriepionier, Forscher und politischer Denker des Vormärz und seine Rolle in der Revolution von 1848, in: Tatjana Tönsmeyer / Luboš Velek (Hrsg.), Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie, München 2011 (= Studien zum mitteleuropäischen Adel 3), S. 89–102. Rita Krueger macht Buquoys tschechisches Nationalempfinden bereits für die 1810er Jahre aus: Rita Krueger, Czech, German, and Noble. Status and National Identity in Habsburg Bohemia, Oxford 2009, S. 116. Luboš Nový wies auf den umfangreichen wissenschaftlichen Briefwechsel von Graf Buquoy hin: L. Nový, K vědeckým zahraničním stykům. Eine Perspektive auf die Persönlichkeit von Georg Buquoy bietet seine autobiographisch aufgefasste Krankengeschichte. Zur Edition der Quelle siehe Michal Morawetz, „Krankengeschichte“ Jiřího Buquoye. Popis nemoci jako pramen osobní povahy [Die „Krankengeschichte“ von Georg Buquoy. Die Beschreibung von Krankheit als Selbstzeugnis], České Budějovice 2012 (= Bakkalaureatsarbeit). Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf die Edition der Tagebücher von Georg Buquoys Reisen, die er nach dem Studienabschluss unternahm. Vgl. Miloslav Man, Cestovní deníky Jiřího Františka Buquoye z cest do Francie a Itálie v letech 1803 až 1805 [Die Reisetagebücher von Georg Franz Buquoys Reisen nach Frankreich und Italien in den Jahren 1803–1805], České Budějovice 2004 (= Diplomarbeit).

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Zur Einleitung: Georg Buquoy in der Geschichtsschreibung

derung von E. Hirsch die letzte, bisher kaum bekannte Periode der wissenschaftlichen Laufbahn Buquoys darstellt, in der er seine früheren Inspirationsquellen hinter sich lässt und sein eigenes philosophisches Weltbild zu formulieren versucht.

Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz Die Einstellungen zur Wissenschaft im Vormärz Die Forschungsperspektive von Historikern, die sich mit der Wissenschaft in den böhmischen Ländern des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts1 befassen, war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in beträchtlichem Maße von der nationalen Sichtweise geprägt. In der Geschichtsschreibung tauchen dann Namen von Persönlichkeiten auf, die durch ihre Tätigkeit die tschechische Nation unterstützten, allerdings mehr auf der geistigen denn der materiellen Ebene. In seinem solchen Konzept dominiert dann die Erforschung der Geisteswissenschaften, die Naturwissenschaften werden nur marginal behandelt.2 Dieser Ansatz wird beispielsweise durch das Werk des Literaturhistorikers Arne Novák repräsentiert. In seiner Kurzen Geschichte der tschechischen Literatur versucht er die Entwicklung der tschechischen Literatur von den Anfängen bis zu seiner Gegenwart zu periodisieren und in den europäischen politischen, sozialen und kulturellen Kontext einzubetten.3 Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert behandelt er in den Kapiteln über die Aufklärung (1774–1815), den Klassizismus (1815–1830) und die frühe Romantik (1830–1848) in der ganzen Bandbreite der literarischen Produktion – er berücksichtigt sowohl Prosa und Poesie als auch wissenschaftliche und publizistische Werke. Als Bildungsträger erachtet er die „Intelligenz von unten“, also die gebildeten Bauern und Bürger. Für den Adel sieht er die Rolle kultureller Mäzene und Unternehmer vor. Das von Novák gezeichnete Bild der nationalen Wiedergeburt wird durch das Werk von Josef Hanuš ergänzt, der in drei faktographisch prall gefüllten Biographien der „tschechischen Volksaufklärer und Historiker“ die Lebensgeschichten von Mikuláš Adaukt Voigt, František Martin Pelcl und František Faustin Procházka darstellte und anschließend ein zweibändiges Werk mit dem Titel Das Nationalmuseum und die Wiedergeburt unserer Nation (Národní muzeum a naše obrození) verfasste.4 In den 1920er Jahren unterstrich er den aktiven Anteil des Adels an der 1 2

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Der Zeitraum vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wird in der vorliegenden Arbeit als Vormärz bezeichnet. Es handelt sich gleichzeitig um die Übergangszeit zwischen dem aufklärerischen Rationalismus und der Romantik. Als ein erstes Beispiel für diesen Trend kann bereits die Geschichte der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften von Josef Kalousek gelten, in der die Tätigkeit der physikalisch-mathematischen Sektion zu Gunsten der literarisch-historischen in den Hintergrund rückt. Vgl. Josef Kalousek, Geschichte der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Praha 1885. Arne Novák, Stručné dějiny literatury české [Kurze Geschichte der tschechischen Literatur], Olomouc 1946. Das Werk erschien erstmals 1910 und wurde dann mit jeder Auflage erweitert. J. Hanuš, Národní museum.

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz

nationalen Bewegung, und zwar vom Ende des 17. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Bei seiner Beschäftigung mit dem Zeitraum 1790–1848 widmete Hanuš die meiste Aufmerksamkeit Joachim, Kaspar und Franz von Sternberg, aber er führte auch den Grafen Buquoy, der für uns von Interesse ist, in die Historiographie ein. Er kam zu der Überzeugung, dass die tschechische nationale Bewegung mehr aus der patriotischen Tradition des böhmischen Volkes denn aus der Aufklärung hervorging, die die Patrioten im Kampf gegen die Germanisierungsbemühungen aus Wien ermutigte. Diese nationalistische Auffassung wurde bereits von Pekař5 kritisiert, dennoch gilt Hanuš´ Arbeit bis heute als ein wertvoller Beitrag zur Literaturgeschichte. Nach der Durchsetzung der marxistischen Geschichtsauffassung nach 1945 veränderte sich auch das Fachinteresse der tschechischen Historiker. Die Produktionsverhältnisse, die sog. Basis, war in der Konzeption von Karl Marx und Friedrich Engels dem Bereich der Kultur, der Politik und des Denkens („Überbau“) übergeordnet. Die kulturelle und intellektuelle Geschichte wurden nicht als das bestimmende Moment in der historischen Entwicklung erachtet, und die Forschung legte ihren Fokus insbesondere auf die Geschichte der Naturwissenschaften und der Wirtschaft.6 Dabei behielten die Historiker die nationale Perspektive bei, interpretierten sie aber neu, indem sie in eine neue Geschichtskonzeption eingebettet wurde. Die erwähnten Tendenzen machten sich in der Synthese der Wissenschaft des Vormärz von Jan Janko und Soňa Štrbáňová bemerkbar.7 Trotz des anvisierten Ziels der Autoren, die Entwicklung der Natur- und Geisteswissenschaften parallel zu verfolgen, dominiert der erste Bereich stark den zweiten, was aber auch auf die naturwissenschaftliche Bildung der Verfasser zurückzuführen sein dürfte. Die Abhandlung konzentriert sich in erster Linie auf die tschechische Wissenschaft und die Autoren gehen davon aus, dass sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den böhmischen Ländern eine neue gesellschaftliche Rolle zu spielen beginnt – in erster Linie kann sie sich dank der fortschreitenden Industriellen Revolution durchsetzen, in zweiter ist sie einer der Dreh- und Angelpunkte sowie gleichzeitig Folgen der tschechischen nationalen Wiedergeburt. Das gesteigerte Interesse an Naturwissenschaften entspricht auch der Ausrichtung von Josef Haubelt, der im Schlussteil seiner Monographie Die tschechische Aufklärung (České osvícenství) von 1986 die Wissenschaft im Zeitraum der begin-

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Vgl. die Rezension Josef PekaŘ, Josef Hanuš. Národní museum a naše obrození. K stoletému jubileu založení musea [Josef Hanuš. Das Nationalmuseum und unsere Wiedergeburt. Zum 100. Jahrestag der Museumsgründung], Praha 1921, ČČH 28, 1922, S. 473. Zur Publikationsplattform für Aufsätze aus der Geschichte der Technik und Naturwissenschaft wurde in den Jahren 1954–1967 die Reihe Sborník pro dějiny přírodních věd a techniky, die seit 1968 unter dem Titel Dějiny věd a techniky erschien. Von den Studien zum untersuchten Zeitraum siehe bspw. Věra Eisnerová, K pojetí biologie na počátku 19. století [Zur Auffassung der Biologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts], DVT 3, 1970, S. 1–10; Dies., K úloze naturfilosofie v dějinách biologie [Zur Rolle der Naturphilosophie in der Geschichte der Biologie], DVT 5, 1972, S. 48–51. Jan Janko / Soňa ŠtrbáŇová, Věda Purkyňovy doby [Die Wissenschaft in der Zeit von J. E. Purkyně], Praha 1988.

Die Einstellungen zur Wissenschaft im Vormärz

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nenden Romantik behandelt.8 Die marxistische Konzeption ist hier nicht mehr zu übersehen. Haubelt schildert Goethe als einen Naturwissenschaftler mit romantischer Beziehung zur böhmischen Landschaft, der seine Erfahrungen im Bereich des Bergbaus mit Ignaz Born, dem tschechischen Freimaurer mit immensem Einfluss auf die inländische Wirtschaft, teilt. Die intellektuellen Qualitäten oder das Weltbild dieser Persönlichkeiten werden hier nicht reflektiert und so treten sie in Haubelts Arbeit lediglich als materialistisch ausgerichtete Naturwissenschaftler auf. Das folgende Kapitel ist dem Fortschritt im Bereich der Chemie und Technologie gewidmet, und Haubelt weist in diesem Kontext darauf hin, dass die tschechische Wissenschaft hier die internationale Forschung rezipierte. Tatsachen, die sein Geschichtsbild hätten stören können, drehte er in seiner etwas tendenziösen Interpretation so, dass sie wieder passten.9 Als nächstes will er die Bedeutung von Franz Josef Gerstner für die Gründung der Prager Polytechnik aufzeigen und im Kapitel über Bernard Bolzano beschäftigt er sich mit dem – von ihm als ein solcher wahrgenommen – Gegensatz zwischen der Aufklärung und dem (katholischen) Glauben bzw. der Aufklärung und dem romantischen Gefühlskult. Das ganze Werk findet dann seinen Höhepunkt in der Darstellung des Befreiungskampfes der tschechischen Nation gegen feudale Unterdrückung und Bevormundung durch die Kirche und in der Würdigung des Vortrags von Josef Dobrovský, den dieser im September 1791 in der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften aus Anlass des Besuchs des frisch gekrönten böhmischen Königs Leopold II. hielt. Josef Haubelt hob hervor, dass Dobrovský die als Blütezeit der tschechischen Geschichte angesehene Hussitenzeit hoch geschätzt hatte. Die erste Synthese der intellektuellen Geschichte des Vormärz in Österreich kam aus der Feder des Kirchenhistorikers Eduard Winter.10 Die Arbeit erschien 1968 als ein Teil seines umfangreichen Werks, in dem er die geistige Geschichte der Donaumonarchie von der Barockzeit bis zu der Revolution von 1848 beschreibt. Er verfolgt die neuen ideellen Strömungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Romantik und beginnenden Liberalismus – in ihrer Wechselwirkung mit dem überdauernden aufklärerischen Patriotismus sowie dem wachsenden Nationalbewusstsein. Seine Aufmerksamkeit gilt auch den staatlichen Bemühungen um den Erhalt politischer Macht und der Zunahme des Einflusses der Kirche. Wichtige Stützpunkte für die Entwicklung der Wissenschaft in der Monarchie sieht er in der Wiener Hofbibliothek, für die Geschichte im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und als Zentrum der Forschung bezeichnet er die Wiener Österreichische Akademie der Wissenschaften sowie die Universitäten. Neben den genannten Institutionen waren es 8 9

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Josef Haubelt, České osvícenství [Die tschechische Aufklärung], Praha 1986, S. 365–449. Er muss beispielsweise eine Erklärung finden für die Verbreitung des sog. Neptunismus, also der Ansicht, dass die Gesteine als Ablagerungen im Wasser aufzufassen sind. Diese auf dem Glauben in die Schöpfung basierende Anschauung konnte laut Haubelt nur deshalb Gehör finden, weil das religiöse Fundament der Theorie gründlich verborgen blieb. Zu seinen Ausführungen zum Adel passte wiederum Kaspar Sternberg nicht, was Haubelt damit erklärte, dass seine Tätigkeit eigentlich „für den Adel untypisch“ war. Ebd., S. 379–381. Eduard Winter, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz, Wien 1968.

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz

in seinen Augen auch die einzelnen Persönlichkeiten und „Kreise“ ihrer Anhänger, die einen großen Einfluss auf das geistige Leben ausübten (außerordentlich wirksam seien insbesondere Bernard Bolzano und seine Schüler gewesen). Nach 1990 war es auch für die tschechische Historiographie möglich, sich von der einzig gültigen marxistischen Geschichtsauffassung zu lösen – allerdings ohne eine brauchbare Alternative. Deshalb mündete die „Befreiung“ zum einen in die Fortsetzung des alten Konzepts, wenn auch ohne Pflichtverweise auf die Klassiker des Marxismus-Leninismus; zum anderen in der Rückkehr zur positivistischen Schilderung von Ereignissen. Im Laufe der Zeit wurden aber neue Themen entdeckt oder alte umgedeutet – und endlich ließ man sich auf der Suche nach methodologischen und methodischen Ansätzen auch von außerhalb des eigenen Landes inspirieren. Für die Wissenschaft des Vormärz mangelt es bisher an einer modern ausgerichteten Synthese,11 deshalb muss man sich auf Teilarbeiten zu den einzelnen Wissenschaftsbereichen, Institutionen oder Wissenschaftlern verlassen. Das Interesse von Jan Janko für die Naturwissenschaften mündete in den neunziger Jahren in die Monographie Die Wissenschaften vom Leben in den böhmischen Ländern.12 Die breit angelegte Publikation stellt weniger eine profunde Analyse des untersuchten Zeitraums denn eine umfangreiche Auflistung von Namen und Jahreszahlen zur Geschichte der Wissenschaften in Böhmen dar, ohne Berücksichtigung des nationalen und sprachlichen Umfelds, und bietet damit solide Einführung in die Geschichte insbesondere der Biologie und Medizin. Einen komplexeren Blick hinter die Kulissen der Wissenschaften in Böhmen im untersuchten Zeitraum werfen Ladislav Niklíček und Antonín Kostlán in ihrer im Sammelband Bohemia docta veröffentlichten Studie.13 Aber als methodisch innovativ für das gegebene Thema lässt sich erst das Buch der amerikanischen Historikerin Rita Krueger mit dem Titel Czech, German, and Noble. Status and National Identity in Habsburg Bohemia bezeichnen.14 Die Autorin legt den Fokus ihrer Arbeit auf den böhmischen Adel in der Übergangszeit zwischen Ancien Régime und Moderne. Von den theoretischen Ausführungen des deutschen Soziologen der Frankfurter Schule Jürgen Habermas über die private und die öffentliche Sphäre ausgehend, versucht sie eine Interpretation der intellektuellen Milieus um die Königliche böhmische Gesellschaft der Wissenschaften, die Gesellschaft der Kunstfreunde, die Salons und Theater. Sie bezieht sogar die Park- und Gartenanlagen oder die Gründung des Nationalmuseums in ihre 11 12 13

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Bisherwurde das Thema zumindest unter quantitativen Gesichtspunkten behandelt von Luboš Nový, Česká vědecká obec v první polovině 19. století [Die tschechische wissenschaftliche Gemeinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts], DVT 36, 2003, S. 1–18. Jan Janko, Vědy o životě v českých zemích 1750–1950 [Die Wissenschaften vom Leben in den böhmischen Ländern 1750–1950], Praha 1997 (= Práce z dějin Akademie věd, série B, svazek 12). Ladislav NiklíČek / Antonín Kostlán, Vývoj českých vědeckých institucí a spolků do 80. let 19. století a návrh akademie věd J. E. Purkyně [Die Entwicklung tschechischer wissenschaftlicher Institutionen und Vereine bis zu den 1880er Jahren und das Konzept der J. E. PurkyněAkademie der Wissenschaften], in: Alena Míšková / Martin Franc / Antonín Kostlán (Hrsg.), Bohemia docta. K historickým kořenům vědy v českých zemích, Praha 2010, S. 145–175. R. Krueger, Czech, German, and Noble.

Die Einstellungen zur Wissenschaft im Vormärz

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Analyse mit ein. Außerdem macht sie auf die Entstehung eines neuen sozialen Raumes in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufmerksam, der durch die Tätigkeit der Gelehrten ohne institutionelle Absicherung und unabhängig von ihrer jeweiligen sozialen Stellung konstruiert wird. Viel Raum wird insbesondere den Grafen von Sternberg gewidmet, aber auch die Persönlichkeit von Georg Buquoy und seine Mitgliedschaft in verschiedenen patriotischen Gesellschaften finden hier Erwähhnung. Auch wenn bei der Interpretation der Einfluss älterer, national gefärbter Studien nicht zu verkennen ist, bestätigt diese Arbeit doch die aktive Rolle des Adels im kulturellen Leben an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Angesichts der fehlenden fachlichen Synthese zum Vormärz bzw. zur Wissenschaft dieser Zeit, scheint ein möglicher Zugang zu ihrem Ideenklima in der biographischen Methode zu liegen. An Biographien über führende Vertreter der Wissenschaft im Böhmen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seien hier zumindest die Arbeiten von Jiří Kořalka und Jiří Štaif über František Palacký, von Robert Sak über Josef Jungmann oder Jiří Majer über Kaspar Sternberg erwähnt.15 Diese Autoren befassen sich mit den Bedingungen der wissenschaftlichen Tätigkeit der genannten Persönlichkeiten, mit den Themen ihrer Werke und ihren Lebenswegen. Anhand der bisherigen tschechischen Historiographie zum Vormärz kann man sich ein Bild der Entwicklung von wissenschaftlichen Institutionen in den böhmischen Ländern sowie von ihren Beziehungen zu Staat oder Kirche machen. Wir wissen, dass sich die Wissenschaft sowohl im bürgerlichen als auch im adeligen Milieu der deutschen wie tschechischen Sprache entfalten konnte. Auch sind wir über verschiedene Kontakte tschechischer Wissenschaftler mit der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft unterrichtet. Das alles sind aber nur die Umstände des wissenschaftlichen Denkens, nicht das Denken selbst. Es ist hierzulande immer noch nicht ganz üblich, Fragen nach dem gedanklichen Gehalt der Werke oder einer weltanschaulichen Inspiration bzw. der Originalität der Autoren zu stellen, also eigentlich die Grundsatzfragen der intellektuellen Geschichte. Unberücksichtigt bleibt langfristig auch die aktive Beteiligung des Adels am wissenschaftlichen und kulturellen Leben.16 Trotzdem wäre es falsch zu behaupten, dass es keine Anknüpfungspunkte gibt. In dieser Hinsicht überaus innovativ und methodisch inspirierend ist die Arbeit von Ivo Cerman Šlechtická kultura v 18. století (Die adelige Kultur im 18. Jahrhundert), die bis zu den Anfängen der Romantik reicht.17 Dank der Interpretation von unveröffentlichten und bis heute teilweise unbekannt 15

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Jiří KoŘalka, František Palacký (1798–1876). Životopis [Biographie], Praha 1998 (= Ecce homo 1), erschienen auch auf Deutsch als Ders., František Palacký (1798–1876). Der Historiker der Tschechen im österreichischen Vielvölkerstaat, Wien 2007; Jiří Štaif, František Palacký. Život, dílo, mýtus [Leben, Werk, Mythos], Praha 2009 (= Velké postavy českých dějin 12); Robert Sak, Josef Jungmann. Život obrozence [Das Leben eines Nationalaufklärers], Praha 2007 (= Velké postavy českých dějin 8); Jiří Majer, Kašpar Šternberk, Praha 1997. Der Wandel des böhmischen Landesadels und die Sichtweisen der Geschichtsschreibung auf diese Gesellschaftsschicht in einer langen Zeitperspektive zusammenfassend: Václav BŮžek / Václav Grubhoffer / Libor Jan, Wandlungen des Adels in den böhmischen Ländern, Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder 54, 2014, S. 271–318. Ivo Cerman, Šlechtická kultura v 18. století. Filozofové, mystici, politici [Die adelige Kultur im 18. Jahrhundert. Philosophen, Mystiker, Politiker], Praha 2011 (= Česká historie 27).

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz

gebliebenen Werken adeliger Denker wird die Kulturgeschichte um Werke mit mystischer Thematik bereichert. Daran schloss sich eine vertiefende Studie über die spezifische Enzyklopädie des Grafen Franz Josef Thun an.18 Gerade Mystik und Esoterik, die eine wichtige Rolle in der Wissenschaft der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten, scheinen ein geeigneter Interpretationsansatz für Buquoys Philosophie zu sein. Mit diesen Spezialgebieten beschäftigen sich Wissenschaftler an Lehrstühlen der französischen Sorbonne sowie der Universität im niederländischen Amsterdam und dem britischen Exeter. Zu den bedeutendsten Theoretikern zählen der Philosoph Henry Corbin sowie der Religionswissenschaftler Antoine Faivre, die die Esoterikforschung auf eine wissenschaftliche Grundlage stellten. Faivre, heute schon emeritierter Direktor des Lehrstuhls für esoterische und mystische Bewegungen der Neuzeit an der Sorbonne, widmete sich während seiner Laufbahn vorwiegend der Esoterik und Mystik des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland. Die Ergebnisse seiner lebenslangen Forschung fasste er sehr übersichtlich 1992 in seinem Buch L’Ésotérisme zusammen, das später auch in Deutschland erschien.19 Eine weitere Arbeit, die zum Verständnis des intellektuellen Milieus im untersuchten Zeitraum Wertvolles beitragen kann, ist das Buch von Peter Hanns Reill, Professor an der University of California Vitalizing Nature in the Enlightenment.20 Reill stellt sich darin die Frage, ob sich die Denker der Aufklärung tatsächlich die Welt als ein derart mechanistisches Gebilde vorstellten, das sie nicht in ihrer Ganzheit wahrzunehmen vermochten, wie manchmal behauptet wird. Er kam zu dem Schluss, dass es bei den Aufklärern nie eine strikte Trennung zwischen dem geistesund dem naturwissenschaftichen Studium gab, denn die Natur blieb für sie stets das Fundament, das allem menschlichen Handeln zugrunde liegt. Die Natur bildete nicht nur eine Einheit, sondern wurde als ein Prozess verstanden, bei dem Altes vergeht und Neues entsteht – mit anderen Worten, sie waren überzeugt, dass die Natur eine Vergangenheit hat. Reill zufolge greift die romantische Wissenschaft auf die Lehre der Hermetik zurück und strebt nach der Verschmelzung von Natur- und Geisteswissenschaften.

Romantik Bevor ich mich dem Werk Georg von Buquoys zuwende, versuche ich die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Laufbahn zu skizzieren, die sich dem Grafen seinerzeit eröffneten. Das intellektuelle Leben in der Habsburger Monarchie war in 18 19 20

Ders., Aufklärung oder Illuminismus? Die Enzyklopädie des Grafen Franz Josef Thun, Stuttgart 2015 (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 82). Antoine Faivre, Esoterik im Überblick. Geheime Geschichte des abendländischen Denkens, Freiburg im Breisgau 2001. Peter Hanns Reill, Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley/Los Angeles/London 2005.

Romantik

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der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreichen staatlichen Eingriffen ausgesetzt. Die Aufklärung, die josephinischen Reformen und zum großen Teil auch die Revolution in Frankreich waren in den Augen von Kaiser Franz, später auch von Ferdinand sowie den Menschen aus ihrem Umkreis, gefährliche Wege, die eine Bedrohung für die Regierungsform oder gar die Existenz der Donaumonarchie selbst darstellten. Um potentielle Gefahren abzuwenden, wurde durch Einmischung in die institutionellen Organisationsstrukturen der Einfluss des Staates verstärkt, die öffentliche Meinung von der Polizei überwacht und durch Zensur reguliert, mit dem anvisierten Ziel, die Interessen des Staates und der Kirche sowie die „guten Sitten“ zu schützen. Durch das überwiegende Studium normativer Quellen kamen die Historiker später zur Überzeugung, dass die Donaumonarchie in dem halben Jahrhundert zwischen der Französischen Revolution und den Frühlingsereignissen von 1848 intellektuell stagniert hatte. Die staatlichen Restriktionen waren jedoch nicht nur präventiv, sondern auch repressiv – mit anderen Worten, es gab Einiges zu verbieten, zumindest in den Augen des Staates. Die erstrebte Wiederherstellung alter Verhältnisse und die Isolierung der Monarchie von neuen Gedanken waren allerdings nicht bis ins Letzte durchführbar, was hieß, dass es weiterhin einen (teilweise noch legalen, teilweise illegalen) Raum gab für kreative intellektuelle Aktivitäten. Das intellektuelle Leben in den böhmischen Ländern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf einen Punkt zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Im Zeitraum zwischen der Aufklärung und der Moderne entstanden zahlreiche Ideen, Entdeckungen und Erfindungen, die sich teils der Eigeninitiative von Einzelpersonen verdankten, teils auf eine gesellschaftliche Nachfrage oder staatliche Eingriffe reagierten. Zu berücksichtigen ist nicht zuletzt auch die breite Skala der sozialen Milieus, denen die Gelehrten entstammten, denn dies bestimmte in vielen Fällen die möglichen Felder ihrer späteren Betätigung.21 Eine der zentralen geistigen Strömungen, die das 19. Jahrhundert prägten, war die Romantik, deshalb mag es überraschen, dass die Historiker oft unsicher sind und den interpretativen Zugang erst suchen, um die Bedeutung der Romantik für den untersuchten Zeitraum erklären zu können. Nicht selten erschöpft sich die verflachende Darstellung darin, dass man bekannte Stichworte wie Gefühlsausbrüche im Bereich der Prosa und Lyrik oder innere Zerrissenheit und Weltschmerz der Intellektuellen liefert, vielleicht verweist man noch auf die Landschaftsszenen und Burgruinen in der bildenden Kunst. Die Romantik verdient aber zweifellos eine ausführlichere Behandlung. Bei unserem Versuch einer differenzierteren Darstellung dieser Epoche stützen wir uns auf die Interpretation des amerikanischen Philosophen Frederick Beiser, der sich der Romantik durch Analyse der „romantischen Poesie“ nähert, einem von Friedrich Schlegel in seinen Athenäums-Fragmenten ausgearbeiteten Konzept.22 Mit „Poesie“ ist hier nicht die literarische Gattung gemeint, die Romantiker berie21

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Die angedeutete Komplexität dieses Zeitraums fand ihren Niederschlag logischerweise auch in der Geschichtsschreibung. Bisher steht eine einzige Gesamtsynthese der Ideengeschichte des österreichischen Vormärz zur Verfügung – die Arbeit von E. Winter Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im österreichischen Vormärz aus dem Jahr 1968. Frederick C. Beiser, The Romantic Imperative. The Concept of Early German Romanticism, Cambridge 2003, S. 6–11.

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz

fen sich hier auf die ursprüngliche Bedeutung, die das Wort im Griechischen hatte: poiésis wäre somit eher mit „Schöpfung“ oder „Kreativität“ zu übersetzen. Als schöpferisch oder „poetisch“ könne jede Tätigkeit bezeichnet werden, die als ihr (hauptsächliches oder nebenbei gelungenes) Ziel die Schönheit erachtete. Und dieses Kriterium sollte nicht nur die Literatur, sondern auch alle Wissenschaften und Kunstgattungen, alles menschliche Handeln, Tanz, Kleidung usw. erfüllen. Die romantische Poesie war also das ästhetische Ideal der Romantiker, deren Lebenssinn darin bestand, dieses Ideal zu erreichen. Über die absolute und ursprüngliche schöpferische Kraft verfügte in den Vorstellungen der Romantik nur die Natur, die Bemühungen des Menschen sind demzufolge nur eine der Möglichkeiten, wie die schöpferische Natur ihren Ausdruck finden kann. Ihre spezifische Suche nach Antworten auf philosophische Fragen bezeichneten die Romantiker selbst als „poetisches Philosophieren“; den auf Weltdeutung ausgelegten großen philosophischen Systemen standen sie reserviert gegenüber. Der Sinn ihres Philosophierens war die nie endende Suche, die Annäherungen an die Wahrheit. Eines der zentralen philosophischen Themen im Diskurs der Zeit war die Beziehung von Mensch und Natur. Es gab selbstverständlich auch unter den romantischen Philosophen differente Auffassungen zu Teilproblemen der Erkenntnis, dennoch wagen wir eine grobe Generalisierung und skizzieren ihre philosophische Position folgendermaßen: die Natur ist identisch mit dem Absoluten und mit der gesamten schöpferischen Kraft begabt. Der Mensch ist ein unteilbarer Bestandteil der Natur und von dieser Position aus deshalb außerstande, sie als eine Ganzheit zu begreifen. Er ist lediglich in der Lage, die Natur durch sich selbst zu verstehen, d. h. durch die Erscheinungen der Natur in sich selbst und seiner Umgebung. Die Romantiker waren überzeugt, dass es eine Zeit gab, in der der Mensch mit der Natur im Einklang lebte, aber durch die gesellschaftliche Entwicklung entfernten sie sich voneinander. Die romantischen Bemühungen galten also gleichermaßen der Suche nach der verlorenen Harmonie zwischen sich selbst und der Natur. Für die Beobachtung der einzelnen Erscheinungen der Natur und die Suche nach dem Wesen (in der damaligen Terminologie: dem „Geist“) der Natur entwickelten die Romantiker mehrere Methoden. Sie wussten, dass sie etwas suchen, das über sie hinausgeht, das in seinem Wesen transzendent ist und das sie nicht in seiner Ganzheit zu begreifen vermögen. Sie glaubten aber, dass sie sich durch Anstrengung – wenn sie sich bilden, denken und sich den Erscheinungen der Natur gegenüber öffnen – der Erkenntnis nähern können. Sie ließen alles auf sich wirken, was ihre Phantasie anregte und wodurch, wie sie glaubten, der Geist der Natur zu ihnen sprach. Das konnten Symbole in Bildern, Sprache in Gedichten, harmonische Töne in der Musik, ästhetisch wirkende, die einstige Wildheit der Natur evozierende Landschaften, Geschichten über seelenverwandte Charaktere oder wissenschaftliche Abhandlungen zur Suche nach dem Geist in seinen verschiedensten Gestalten sein. Häufig wollten sie sich durch die Kombination von einzelnen geistigen Erscheinungen der absoluten Erkenntnis nähern. In wissenschaftlichen Schriften zogen sie für die Erklärung oft die Dichtkunst – ein Gedicht oder ein Lied – heran, sie verfassten Texte zu Bildern, die im Betrachter die Wirkung des Kunstwerks noch potenzieren sollten, und sehr wichtig war ihnen auch die Vertonung von Gedichten.

Profilierung der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften

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So aufgefasste kognitive Fähigkeiten korrespondieren bei den Romantikern mit der Beliebtheit von transzendentalen Wegen der Erkenntnis, die man gemeinhin Esoterik oder Mystik nennt. Dem französischen Religionswissenschaftler Antoine Faivre zufolge besteht der Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten der Erkenntnis darin, wie einem die Wahrheit offenbart wird: der Mystiker kommuniziert mit der höchsten übernatürlichen Kraft direkt, der Esoteriker nutzt in der Kommunikation Vermittler, beispielsweise Geister oder Engel.23 Vor dem Hintergrund dieses Konzepts werden manche Erscheinungsformen der Romantik verständlicher. Wenn den Romantikern zufolge alles die Schöpfung der Natur und der Ausdruck ihres Geistes war, konnte man daraus unmöglich die Geschichte der Menschheit herausnehmen und isoliert betrachten. Auf diesem Umweg kommen wir zum Präromantiker Johann Gottfried Herder, nach dessen Auffassung es möglich sein sollte, durch das Studium der Geschichte zu ihrem Wesen (oder: zu ihrem Geist) zu kommen, der im Streben nach Humanität besteht. Herder war zwar der Ansicht, dass darin gegenwärtig die Deutschen am weitesten fortgeschritten waren, kam aber durch das Studium der historischen Ereignisse, in denen sich ja das Wesen (der Geist) der Völker manifestieren sollte, zu der Überzeugung, dass die slawischen Völker eine ruhmreiche Zukunft erwarte. Der Einfluss dieses Gedankens darf allerdings nicht überschätzt werden. Im tschechischen Umfeld argumentierte damit Tomáš Garrigue Masaryk in seinem Werk Die tschechische Frage (1895), später wurde er auch durch Winter aufgegriffen.24 Es ist aber gar nicht sicher, ob die tschechischen Vertreter der „nationalen Wiedergeburt“ sich gerade bei Herder oder doch anderswo inspirierten. Auf jeden Fall suchten sie den Volksgeist oder den Volkscharakter in der Sprache, in der Volkskultur oder den ruhmreichen Taten der Vorfahren. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Sammeln von Volksliedern, das Interesse an Volkstrachten, das Herausgeben von mittelalterlichen Quellen und nicht zuletzt natürlich auch die entstehenden Fiktionen über vorzeitliche Wurzeln zu verstehen. Am Rande sei hier noch angemerkt, dass die Romantik trotz des Aufkommens eines nationalen Bewusstseins nicht fremdenfeindlich war. Davon zeugen nicht nur die orientalischen oder anderen exotischen Inspirationen in der Literatur, sondern auch die Verzierung in den Adelsresidenzen und die materielle Kultur der mittleren und höheren Schichten.

Profilierung der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften Wie bereits weiter oben angedeutet, hinterließen die beginnende nationale Differenzierung und das Weltbild der Romantik ihre Spuren auch in den wissenschaftlichen Arbeiten. Es wurden Beweise für die Bedeutsamkeit einzelner Volksgruppen 23 24

A. Faivre, Esoterik, S. 27–28. E. Winter, Romantismus, S. 37–38. Aus der deutschsprachigen Forschung zu Masaryks Ansichten beispielsweise Roland J. Hoffmann, T. G. Masaryk und die tschechische Frage, München 1988 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 58), S. 160.

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gesucht und herausgegeben, was indirekt ihre Bedeutsamkeit in der Gegenwart bekräftigen sollte. Es wurden Verzeichnisse von territorial abgesteckten Naturschätzen angelegt, seit 1821 erschien unregelmäßig die erste wissenschaftliche Zeitschrift in tschechischer Sprache, die den Namen des legendären Fürsten der Tschechen – Krok – trug. Man suchte nach Belegen für das Alter der Sprache und die weit zurückreichende tschechische Besiedlung von Böhmen. Damit die tschechischen Wissenschaftler in der internationalen Konkurrenz bestehen konnten, wurden einige Fachinstitutionen geschaffen. Eine davon war die Königliche böhmische Gesellschaft der Wissenschaften, deren Tätigkeit seit Ende des 18. Jahrhunderts in zwei Sektionen – der mathematisch-physikalischen und der heimatkundlich-historischen – konzentriert war. Die wissenschaftlichen Arbeiten ihrer Mitglieder erschienen in der Zeitschrift Abhandlungen der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften25 und zur Förderung der Forschung wurden wissenschaftliche Wettbewerbe – sog. Preisaufgaben – ausgeschrieben. Die Bemühungen, die tschechische Wissenschaft stärker ins Bewusstsein zu rücken, werden beispielsweise durch die von Graf Joachim Sternberg angeregte Frage zur Geschichte des tschechischen Schulwesens mit besonderer Berücksichtigung der Prager Universität deutlich. Sternberg fand bei seinen Auslandsreisen auffallend, dass insbesondere die französischen und englischen Gelehrten keine Ahnung vom wissenschaftlichen Leben in den böhmischen Ländern hatten, deshalb wollte er durch seine lateinisch verfasste Schrift die tschechische Wissenschaft bekannt machen. Er schrieb sogar 300 Gulden Preisgeld für die Beantwortung der prämierten Frage im Jahre 1803 aus. Er freute sich darauf, dass der ausländische Gelehrte „sich nicht wenig [wird] wundern müssen, wenn er finden wird, dass die Böhmen Classiker eher übersetzten, als man in Paris nur daran dachte; nicht wenig wird der Engländer staunen, wenn er ersehen wird, dass ein Klostergeistlicher [Prokop Diviš] eher Ableiter im Klostergarten hatte als Franklin“.26 Leider fand sich keiner, der die Frage beantwortet hätte. Ohne Reaktion blieb zunächst auch die Frage von Josef Dobrovský nach der Kritik von Quellen zur tschechischen Geschichte und der Heuristik der bedeutendsten Werke (1804). Erst nachdem die Frage 1826 erneut gestellt worden war, stellte František Palacký seine Antwort darauf vor. Auch die Aufgabe, die Geschichte des tschechischen Handels von den Anfängen bis Ende 1838 zu verfassen, stieß auf wenig Interesse – diese „Frage“ war bereits 1796 auf Anregung von Joachim Sternberg gestellt worden, aber beide Male ging keine einzige Antwort ein. Thematisch hätte die Frage nach Lösung mathematischer Gleichungen höheren Grades (1833) Georg Buquoy liegen können, aber weder er noch ein anderer Wissenschaftler reagierten darauf. Es war offensichtlich, dass die „Preisaufgaben“ keinen Widerhall fanden und so stellte man 1839 diesen Wettbewerb ein. 25

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Der Name der Zeitschrift wurde mehrmals geändert. Unter dem Namen Abhandlungen der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften erschienen in den Jahren 1804–1824 insgesamt acht Nummern im Prager Verlag von Gottlieb Haase. Zu den Umbenennungen dieser Zeitschrift s. Wilhelm Rudolph Weitenweber, Repertorium sämtlicher Schriften der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften vom Jahre 1769 bis 1868, Prag 1869, S. IV–VI. J. Kalousek, Geschichte, S. 128.

Patriotismus, nationale Bewusstwerdung und das böhmische Museum

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Wie bereits erwähnt, gab die Königliche böhmische Gesellschaft der Wissenschaften wissenschaftliche Arbeiten in der Zeitschrift Abhandlungen heraus.27 In dem hier untersuchten Zeitraum finden sich darin besonders viele Beiträge von dem aufgeklärten Wissenschaftler, einer der Begründer der slawischen Philologie Josef Dobrovský. Er verfasste Artikel zur älteren böhmischen Geschichte und zur philologischen Kritik der relevanten Quellen. In der kleineren Schrift Beiträge zur Geschichte des Kelchs in Böhmen beschäftigte er sich beispielsweise mit den Steinplatten aus der Kirche St. Corpus Christi und druckte gleichzeitig auch eine Erörterung ab, durch die er die Entstehung eines vergleichenden Wörterbuchs der slawischen Sprachen anregen wollte. Graf Kaspar Sternberg fasste in seiner Abhandlung über die Pflanzenkunde in Böhmen die Geschichte der Botanik als einen Bestandteil der Geschichte der Bildung in Böhmen auf. Ein großes Echo fanden die Arbeiten von František Palacký Staří letopisové čeští [Die alten böhmischen Annalen] und mehr noch die Würdigung der alten böhmischen Geschichtsschreiber. Erst Mitte des Jahrhunderts wurden in den Abhandlungen die ersten philosophischen Werke oder Arbeiten zur Philosophiegeschichte veröffentlicht.28 Nicht alle standen allerdings der begeisterten Suche nach Herkunft und weit zurückreichenden Wurzeln unkritisch gegenüber. Maximilian Millauer verwies in seiner provokativen Arbeit Böhmens Denkmale der Templherren auf die nicht haltbaren Behauptungen über den angeblichen Zusammenhang vieler Denkmäler mit dem Tempelorden. Und noch eins sei an dieser Stelle angemerkt: es wird oft außer Acht gelassen, dass die Aktivitäten der Gelehrten und Initiatoren des wissenschaftlichen Lebens in Böhmen keinesfalls immer rein national motiviert waren. Der aufklärerische Patriotismus wirkte immer noch nach, der zwar mit dem nationalen Bewusstsein bestimmte Gemeinsamkeiten aufwies, aber dessen Vertreter andere Motive hatten – ihre Arbeit sollte dem Gemeinwohl und dem Vaterland dienen, nicht nur einer konkreten Nation.29

Patriotismus, nationale Bewusstwerdung und das böhmische Museum Dies machte sich unter anderem bei der Gründung des heutigen Nationalmuseums bemerkbar. In Böhmen bildeten sich zu diesem Zeitpunkt zwei unabhängige Gruppen, die beide ein Museum gründen wollten, aber divergente Vorstellungen von der Aufgabe einer solchen Institution hatten. Den Vertretern der Bewegung der „nationalen Wiedergeburt“ um Josef Jungmann, Jan Svatopluk Presl und Graf Friedrich 27 28 29

Dem Thema der in den Abhandlungen der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten widmete sich Josef Kalousek. Ebd., S. 125–132; 151–153. Es handelte sich um Arbeiten von Bernard Bolzano, Franz Exner, František Květ, Robert Zimmermann, Vilém Volkman, Josef Dastich und Vilém Kaulich. Ebd., S. 194–196. Miloš Řezník, Formování moderního národa. Evropské „dlouhé“ 19. století [Die Bildung der modernen Nation. Das „lange“ 19. Jahrhundert in Europa], Praha 2003, S. 47–50; 131–140; R. Krueger, Czech, German, and Noble, S. 89–126.

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Berchtold schwebte eine rein nationale Einrichtung vor. Das Museum sollte die Wissenschaft in tschechischer Sprache fördern und sich um die Weiterentwicklung der tschechischen Sprache, Literatur und Kunst kümmern. Die andere Gruppe bildeten die böhmischen Patrioten um Kaspar Sternberg und seine Cousins, die Grafen Franz Klebelsberger und Franz Sternberg-Manderscheid. Für sie war die nationale Ausschließlichkeit sekundär, es ging ihnen vielmehr um die Bildung einer wissenschaftlichen Arbeitsstätte, die sich den in Böhmen bisher nicht behandelten Themen widmen sollte. Sowohl die tschechische Literatur als auch die tschechische Geschichte warteten noch auf ihre Bearbeitung, es fehlten die geologische Untersuchung des Landes oder die systematische Beschreibung der Tier- und Pflanzenarten. Das Museum wurde schließlich 1818 von der Gruppe um Graf Sternberg gegründet und war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Namen Vaterländisches Museum in Böhmen tätig. Obwohl es nicht ausschließlich aus Sympathisanten Sternbergs bestand, verfügten die Gesinnungsgenossen des Grafen, insbesondere die Adeligen, im Interimskomitee und später auch in der Gesellschaft des Vaterländischen Museums über die absolute Mehrheit. 1820 wurde die Museumssatzung ausgearbeitet und zwei Jahre später vom Kaiser genehmigt. Die zweijährige Verzögerung war der lange geführten Diskussion über die Museumskonzeption geschuldet.30 Sternberg wollte eine Institution schaffen, die sich ausschließlich der Wissenschaft und Forschung widmen sollte. In Verbindung mit dem Museum sollte eine Gesellschaft gegründet werden, die sich mit Fachthemen beschäftigen und eigene wissenschaftliche Abhandlungen herausgeben sollte. Dem gegenüber stand die Konzeption des Mathematikers Franz Josef Gerstner, nach der die Tätigkeit des Museums stärker praktisch ausgerichtet sein sollte, sprich auf die Anwendung neuer Erkenntnisse in der Praxis und die Entwicklung exakter Wissenschaften zielte. Die endgültige Version der Satzung stellte einen Kompromiss zwischen beiden Positionen dar. Aus Sternbergs Anweisungen zum Ordnen und Systematisieren der Sammelbestände geht hervor, dass sie einen wissenschaftlich-bildenden Charakter haben sollten: „Der Ausstellungsplan geht von dem zentralen Grundsatz aus, dass jede Sammlung so zusammengestellt sein soll, dass sie einen klaren wissenschaftlichen Überblick geben kann, und in jeder Abteilung, wo es möglich ist, wird vor allem Tschechisches in seiner Komplexität ausgestellt.“31 Ganz konkrete Vorstellungen über die wissenschaftliche Tätigkeit des Museums hatten insbesondere Kaspar Sternberg und Josef Dobrovský. Während in Sternbergs Sicht der Schwerpunkt auf einer Präsentation der Naturwissenschaften nach anerkannten wissenschaftlichen Systemen liegen sollte, setzte sich Dobrovský vor allem für die Erhaltung der literarischen Bohemica und die Erforschung tschechischer Geschichte ein. Das Museum begann auch sehr früh, in eigenen tschechisch- wie deutschsprachigen Periodika über seine Tätigkeit zu berichten. Die Veröffentlichungen stießen aber auf weitaus geringeres Interesse, als Sternberg erwartete. Die Mittelschicht stand dem Museum sehr zurückhaltend bis ablehnend 30 31

Zu den Debatten zur Museumskonzeption mehr bei J. Majer, Kašpar, S. 82–83. „Plán vystavení spočívá na hlavní zásadě, že každá sbírka bude uspořádána tak, aby poskytovala jasný vědecký přehled, a v každém oddělení, kde to bude možné, se vystaví v úplnosti především to, co je české.“ Ebd., S. 85.

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gegenüber, sie verstand die Zielsetzung des Museums nicht, das die tschechische Forschung fördern und auf europäisches Niveau heben wollte. Sternberg erklärte sich das Desinteresse mit dem Unwissen über die Tätigkeit des Museums, tatsächlich wollten die tschechischen Patrioten eine Institution, die sich vorrangig den nationalen Interessen widmet. Das zwischen dem Museumsgründer und den tschechischen Patrioten herrschende gegenseitige Unverständnis gipfelte Mitte der zwanziger Jahre in einer Krise der Institution. Einen neuen Impuls erfuhr das Museum durch den jungen František Palacký, der 1823 mit fünfundzwanzig Jahren und der felsenfesten Überzeugung der eigenen Berufung zum Historiker nach Prag kam. Er arbeitete zunächst bei Dobrovský, dann bei Kaspar Sternberg, für den er dessen Stammbaum zusammenstellte und der ihm die Stelle des Herausgebers der Museumsperiodika anbot.32 1829 nahm Palacký das Projekt der ersten tschechischen Enzyklopädie in Angriff. Es gelang zwar weder ihm noch Josef Dobrovský, der sich ebenfalls um die Herausgabe einer Enzyklopädie bemühte, ihr Ziel zu verwirklichen, aber Palacký konnte wenigstens einen Teilerfolg verzeichnen, nämlich die Gründung der Gesellschaft Matice česká, einer Stiftung zur Veröffentlichung tschechischer wissenschaftlicher und belletristischer Literatur, die im Januar 1831 ihre Tätigkeit aufnahm.33

Streben nach politischer und kirchlicher Erneuerung an der Prager Universität Die oben skizzierten Strömungen der Romantik und des Liberalismus waren natürlich kaum mit der Abwehrhaltung der Habsburger vereinbar, die bemüht waren, die Existenz ihrer Monarchie gerade vor der Gefahr solches Ideenguts zu schützen. In diesem Kapitel habe ich die neuen Richtungen sehr exponiert, um zu zeigen, dass die traditionelle Vorstellung von der ideellen Rigidität der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen zu kurz greift und dass die Intellektuellen immer Wege fanden, um an inspirierende Ideen zu kommen und sie trotz erheblicher staatlicher Restriktionen weiterzuverbreiten. Die staatlichen Behörden hatten mehrere Methoden, wie man revolutionäre Gedanken schon im Keim ersticken konnte – beispielsweise die Zensur. Die noch lange gültig gebliebene Verordnung für Zensoren vom September 1810 schrieb vor, alle gedruckten wie handschriftlichen Materialien zu kontrollieren und darauf zu achten, dass nichts Verbreitung findet, dass im Widerspruch zur Religion und den guten Sitten steht oder das bestehende Staatssystem gefährdet.34 Die Texte wurden je nach dem Grad ihrer „Schädlichkeit“ in Kategorien unterteilt und einige durfte man erst nach einer strengen Kontrolle durch die oberste Polizeibehörde lesen. Unter deren Aufsicht standen auch Kontakte zu Per32 33 34

Josef Hanuš, František Palacký, tvůrce a redaktor časopisů muzejních [František Palacký, Gründer und Redakteur von Museumszeitschriften], ČNM 100, 1926, S. 3–30. Zu den veröffentlichten Titeln von Matice česká vgl. J. M. Černý, Museum, S. 43–46. Zur Zensur im Vormärz in der Donaumonarchie näher Julius Marx, Die österreichische Zensur im Vormärz, München 1959, insbesondere die Zensuranordnungen vom 14. 9. 1810 auf S. 73–76.

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sonen, die durch die Verbreitung liberaler Ideen dem Staatsinteresse schaden könnten; man durfte sich nicht in liberalen Vereinen organisieren und es gab Bemühungen, auch das Bildungswesen unter stärkere staatliche Kontrolle zu bekommen. Zu einer bedeutsamen Stütze des Staates sollte neben der Polizei auch die katholische Kirche avancieren, deren geschwächte politische und gesellschaftliche Position man zu diesem Zweck wieder stärken wollte. In dieser Hinsicht war Kaiser Franz mit der Richtung zufrieden, die die Kirche bereits in der josephinischen Zeit eingeschlagen hatte – sie beharrte nicht blind auf Dogmen, auf der priviliegierten Stellung des Papstes oder der kirchlichen Hierarchie, sondern legte großen Wert auf das praktizierte Christentum, das sich in erster Linie durch Beweise der Nächstenliebe und bescheidene Haltung der Gläubigen definierte. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden wieder Wallfahrten organisiert, einige Klöster erneuert, die Pfarrer mit mehr Verwaltungsaufgaben und die höheren Funktionäre der Kirche mit Aufsicht über die Schulinstitutionen betraut. Gegen diese österreichisch-katholische Restauration, wie sie vom Historiker Winter bezeichnet wurde, positionierte sich die römisch-katholische Restauration in Gestalt des päpstlichen Nuntius in Österreich. Dieser (und der Papst natürlich umso mehr) beäugten misstrauisch die Bemühungen des Kaisers, die Kirche noch stärker in seinen Einflussbereich hineinzuziehen, denn sie strebten gerade das Gegenteil an – die vom Staat weitgehend unabhängige Macht des Heiligen Stuhls wiederzugewinnen. Die Erneuerung des päpstlichen Staates nach dem Wiener Kongress und der Besuch des Kaisers und des Außenministers Metternich in Rom im Frühling 1819 trugen zur Entspannung der Beziehungen bei.35 Die Jesuiten gewannen an Einfluss, der Orden der Redemptoristen wurde genehmigt und mit Durchführung von Missionen beauftragt. Weiter unten werden einige der liberalen Einstellungen des Priesters Bernard Bolzano wie auch die für die Kirche inakzeptablen Ansichten des Kreuzherren Augustin Smetana, die der kirchlichen Restauration keineswegs dienlich sein konnten, erwähnt. Andererseits muss man auch sehen, dass sich außerhalb der klerikalen Kreise Verfechter der Erneuerung des kirchlichen Einflusses fanden. Zu den prominentesten zählten die Politiker und Publizisten Adam Müller und Friedrich von Gentz, deren eigene romantische religiöse Vorstellungen keineswegs als offizielle Position der Kirche gelten konnten. Konkrete Auswirkungen der staatlichen und kirchlichen Politik auf das intellektuelle Leben in den böhmischen Ländern lassen sich an den staatlich gesteuerten Institutionen beobachten. Ich werde hier exemplarisch die Karl-Ferdinand-Universität in Prag behandeln, an der einige Lehrer und Studenten bereits zu Jahrhundertbeginn die Ängste des Staates vor Verbreitung liberaler Ideen zu spüren bekommen hatten. An die Stelle der Selbstverwaltung der Universität traten die durch die Regierung eingesetzten Direktoren, die sich zu der sog. Hofstudienkommission zusammenschlossen.36 Die Kommission veranlasste überraschende Inspektionen in den Hörsälen oder ließ stenographische Mitschriften von Vorlesungen derjenigen Professoren anfertigen, die als potentielle Vermittler gefährlichen Gedankenguts an 35 36

E. Winter, Romantismus, S. 125–126. Jan Havránek a kol., Dějiny Univerzity Karlovy III. 1802–1918 [Geschichte der Karlsuniversität III. 1802–1918], Praha 1997, S. 19–31.

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Studenten eingestuft worden waren. Für die ersten beiden Studienjahre musste man sich bei Auswahl der Lehrwerke strikt an die staatlichen Vorgaben halten. Durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 verschärften sich diese Aufsichtsmaßnahmen noch. Der Kontakt der österreichischen Studenten mit ihren ausländischen Kollegen war sehr eingeschränkt, sie durften nicht an auswärtigen Universitäten studieren, ausländische Abschlüsse wurden nicht anerkannt und die Mitgliedschaft in den Burschenschaften wurde mit Karzer bestraft. Die strenge Kontrolle rief starke Unsicherheit hervor und einige Lehrer verließen aus diesem Grund die Universität. Eine solche Atmosphäre war der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung an den Universitäten natürlich nicht besonders förderlich – allerdings wurde dies auch nicht als ihre Hauptaufgabe angesehen. Kaiser Franz brachte es sehr prägnant zum Ausdruck, als er sagte, er brauche keine Gelehrten, sondern gehorsame Beamte. Die Lehre an einigen der vier Fakultäten entsprach dieser Zielsetzung durchaus. Die philosophische Fakultät diente in den beiden ersten Studienjahren als Vorbereitung auf das Studium an anderen Fakultäten und unterschied sich nicht sonderlich von den Lyzeen und philosophischen Bildungsanstalten, die nach 1802 in kleineren Städten gegründet worden waren. Diese propädeutische Ausrichtung behielt die Fakultät bis 1849 bei.37 Nach den zwei Jahren Grundstudium, in dem die vorgeschriebenen Lehrbücher strikt die Linie vorgaben, war eine Spezialisierung und, während der Wahlvorlesungen, auch eine gewisse Konfrontation mit den Ansichten der Lehrer möglich. Die Wahlfächer blieben auch nach der Reduktion des Studiums auf zwei Jahre im Jahr 1824 erhalten. Die Rolle dieser Vorlesungen darf allerdings auch nicht überschätzt werden, denn im Lehrerkollegium der Philosophischen Fakultät fanden sich neben Beamten mit niedriger wissenschaftlicher Bildung nur sehr wenige Professoren, deren Vorlesungen und eigene wissenschaftliche Arbeit über dem Durchschnitt lagen oder überhaupt universitäres Niveau erreichten. An der Theologischen Fakultät gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gleichfalls nicht besonders viel Raum für neue Ideen. Eine eigene Interpretation der Bibel war weder bei Studenten noch bei Professoren gern gesehen und der Schwerpunkt der Lehre lag bei der praktischen Bewältigung von Pastoralproblemen. Eine vergleichbare Situation herrschte auch an der Juristischen Fakultät, mit dem Unterschied, dass sich hier einzelne Persönlichkeiten mit originellen Gedanken fanden. Der Professor für Politikwissenschaften Wenzel Kopetz beispielsweise, der die immer mehr veralteten Schriften Josef von Sonnenfels´ durch die Anlehnung an den ökonomischen Liberalismus von Adam Smith überwinden wollte. In seinen Vorlesungen vermittelte er den Studenten eigene Auffassungen der Politikwissenschaften und neben Smith berief er sich öfters auch auf das Werk von Smiths Anhänger, des Schweizer Ökonomen und Historikers Jean Charles Simond de Sismondi. Zu den markantesten Persönlichkeiten unter den Juristen zählte auch der Professor für Statistik und Strafrecht Georg Schnabel. Sein Buch Die europäische Staatenwelt (1821) erregte großes Aufsehen bei den Zensoren, die das Werk sogar als bedrohlich für die österreichische Staatsordnung einstuften.38 Von allen Fakultäten fach37 38

Ebd., S. 69–86. Michal Chvojka, Príspevok k dejinám knižnej cenzúry a jej manipulácii habsburskou štátnou políciou v predmarcovom období [Beitrag zur Geschichte der Bücherzensur und deren Manipu-

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lich am progressivsten war eindeutig die Medizin,39 was zum großen Teil der Tatsache geschuldet war, dass diese Wissenschaft in den Augen des Staates kein so großes Risiko darstellte wie Jura, Philosophie oder Theologie und sie konnte sich demzufolge auch freier entfalten. Die Bestrebungen um eine katholische Erneuerung äußerten sich unter anderem in der Erweiterung des Religionsunterrichts an der Universität. Durch die Studienordnung von 1804 wurde die Stundendotation der Religionslehre auf Kosten anderer Fächer erhöht. Mit dem Unterricht des Fachs, das bei den Studenten religiöses Empfinden stärken sollte, wurde in Prag der hochbegabte Priester Bernard Bolzano betraut.40 Er musste seine Lehre nach dem vorgeschriebenen Skript des Theologen und kaiserlichen Hofkaplans Jakob Frint ausrichten – die Meinungsdifferenzen wurden allerdings immer gravierender und auch Studenten kritisierten das Werk zunehmend. Bolzano ließ immer häufiger eigene Ansichten in den Unterricht einfließen und übte Kritik an Frints Lehrbuch, so dass er schließlich aufgefordert wurde, ein eigenes Skript zu verfassen. Er kam dieser Aufforderung nach, aber seine Schrift wurde nicht genehmigt und als es nach einiger Zeit seinen Studenten gelang, sie in Deutschland drucken zu lassen, wurde sie auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt. Zu den Pflichten eines Professors für Religionswissenschaft gehörte auch die Vorbereitung regelmäßiger Exhorten für Jugendliche. Bolzano sprach sonn- und feiertags in der Universitätskirche St. Kliment, unter anderem über die Familie, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft, Fragen der Sexualerziehung, die zwischenmenschlichen Beziehungen oder den Fortschritt.41 Sein liberales Weltbild machte ihn allerdings recht bald zur Zielscheibe der Kritik, er verlor seine Professur und musste die Universität 1820 verlassen.

Liberalismus und außerhalb der Institutionen stehende Denker Neben der Zensur und den Eingriffen in den Betrieb der Institutionen wollte der Staat auch den über persönliche Kontakte stattfindenden Gedankenaustausch kontrollieren. Als potentiell gefährliche Orte galten dabei vor allem die Kurorte. Nach

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lation durch die Habsburger Staatspolizei im Vormärz], ČMM 127, 2008, S. 335–353, hier S. 346–347. Daniela Tinková, Tělo, věda, stát. Zrození porodnice v osvícenské Evropě [Körper, Wissenschaft, Staat. Die Geburtsstunde der Entbindungsanstalt im Europa der Aufklärung], Praha 2010, S. 301–302. Eher als eine interessante Randbemerkung sei hier angeführt, dass seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zu den 1830er Jahren die Zahl der Medizinstudenten nicht besonders hoch war. Es waren zwischen sechs und sechzehn, erst 1830 haben sich einundfünfzig und ein Jahr später sogar bereits sechsundsechzig eingeschrieben. Marie Pavlíková, Bolzanovo působení na pražské univerzitě [Bolzanos Tätigkeit an der Prager Universität], Praha 1985. Bernard Bolzano (Jaromír Loužil Hrsg.), Exhorty, Praha 2006. Auf Deutsch erscheinen die Erbauungsreden in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zur Herausgabe S. Höhne, Ein Jahrhundertwerk.

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Karlsbad, Teplitz oder Marienbad kamen nämlich Persönlichkeiten des europäischen wissenschaftlichen und kulturellen Lebens, und trotz der polizeilichen Aufsicht war es den tschechischen Intellektuellen möglich, Kollegen aus dem Ausland zu treffen. Regelmäßiger Gast der nordböhmischen Bäder war beispielsweise Johann Wolfgang Goethe.42 Die Aufenthalte des deutschen Naturwissenschaftlers und Dichters sorgten in der tschechischen Kulturgemeinde für Aufsehen. Bei diesen Besuchen leisteten ihm oft Kaspar Sternberg oder Graf Georg Buquoy Gesellschaft. Mit Buquoy besprach Goethe zumeist Fragen seiner bekannten Farbenlehre, mit Sternberg und einigen anderen unternahm er naturwissenschaftliche Wanderungen in die Umgebung. Zu den bekanntesten gemeinsamen Aktivitäten von Goethe und Sternberg zählt die Untersuchung des Vulkans Kammerbühl (Komorní Hůrka) unweit von Franzensbad, bei der sie sich die Frage nach der geologischen Herkunft des Felsengebildes stellten. Bezeichnend ist, dass auch der Egerer Polizeirat Grüner an diesen Expeditionen teilnahm, aber nicht als Beamter im Dienst, sondern als Goethes Freund mit Interesse an der Sache. Nicht nur die Romantik, der aufgeklärte Patriotismus und das sich verstärkende Nationalbewusstsein prägten die intellektuelle Stimmung des Vormärz in Österreich – ein wichtiger Faktor war auch der Liberalismus. Zur Verbreitung dieser Strömung trug maßgeblich der Thronwechsel von 1835 bei.43 Der Herrschaftsantritt Ferdinands ließ die Intellektuellen auf eine Lockerung der Verhältnisse in der Monarchie hoffen. Man darf aber nicht vergessen, dass bereits die Aufklärer die Selbständigkeit der menschlichen Vernunft betonten und überzeugt waren, dass der Mensch sich durch sein eigenes Denken in der ihn umgebenden Welt zu realisieren vermag. Eine solche Geisteshaltung hieß allerdings in letzter Konsequenz, dass die sich ihres eigenen Verstandes bedienenden Menschen immer weniger die Regeln des Staates und der Kirche brauchen und anerkennen. Zu den Forderungen der Liberalen gehörten die Freiheit des Geistes, der Religion, des nationalen Empfindens und im Bereich der Politik das Streben nach einer Konstitution. Ihre Ansichten formulierten die Theoretiker oft im Nachdenken über die ideale Staatsordnung. Als große Inspirationsquelle betrachteten sie die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, wie er sie in seinen Werken Phänomenologie des Geistes (1807), Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) und Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (posthum 1837) darlegte. Hegel begreift die Weltgeschichte als die Verwirklichung des Weltgeistes.44 Dieser sei als ein immaterielles, also geistiges Prinzip zu verstehen, das durch Formung und Vervollkommnung seiner selbst Freiheit erreichen will. Freiheit und Recht existierten nach Hegel auch in der Vergangenheit nie in vollkommener Form, sie werden stets geformt und perfektioniert durch die Tätigkeit des Geistes. Die Entwicklung der Weltgeschichte zeichnet sich somit durch Historizität und Fortschritt aus. Die Geschichte der 42 43 44

Aus der großen Auswahl an Literatur vgl. zumindest M. Buquoy, Begegnungen in Böhmen; Johannes Urzidil, Goethe in Böhmen, Wien/Leipzig 1932. Das zeitgenössische Denken dokumentiert die Anthologie von Madeleine Rietra (Hrsg.), Jung Österreich. Dokumente und Materialien zur liberalen österreichischen Opposition 1835–1848, Amsterdam 1980. Frederick C. Beiser, Hegel, New York 2005, S. 224–258.

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Menschheit unterteilt er in drei bzw. vier welthistorische Reiche, die als Stadien der Selbstbewusstwerdung des Weltgeistes zu verstehen sind. Es sind dies das orientalische Reich, in dem nur ein einziger Mensch über persönliche Freiheit verfügt (der Herrscher), dann das griechische und das römische Reich, in denen bereits einige frei sind und schließlich das germanische Reich, in dem die ganze Menschheit als frei gilt. Hegel fasst die Weltgeschichte also als die Geschichte der Selbstentfaltung des Weltgeistes, des Fortschritt der Menschheit und ihrer Gesetze auf. Die Frage der Freiheit aller Bürger in der fortgeschrittensten Staatsform war auch für einige österreichische Denker inspirierend. Das Nachdenken über die Gesellschaft kann natürlich nicht als bloße Weiterführung von Hegels Thesen betrachtet werden, sondern entwickelte sich auch unter dem Einfluss von Freiheits- und Gleichheitsideen der Französischen Revolution sowie der sich im Zuge der Industriellen Revolution vollziehenden Veränderungen, aber Hegel bot seinen Nachfolgern eine weiterführende philosophische Argumentation für diesen Ansatz. Weitere Anregungen waren in Frankreich und England zu finden. Der französische Adelige Claude Henri de Saint-Simon entwirft in seinem Werk Neues Christentum ein Modell, in dem sich alle Bürger vereinen und mit Hilfe der Wissenschaft und Kunst die Welt verändern. Eine ähnliche Auffassung der Wissenschaft als Hoffnungsträger findet sich auch bei dem britischen Industriellen und politischen Denker Robert Owen. Zu den bedeutenden Utopisten des 19. Jahrhunderts gehörte auch der französische Kritiker des frühen Kapitalismus Charles Fourier, der auf der Grundlage seiner Berechnungen von Planetenbewegungen die Dauer der Menschheitsgeschichte bestimmte und sie in einzelne, zum Zeitalter der Harmonie führende Stadien einteilte. Vorstufen der Entwicklung zur Harmonie sollten kleinere Kommunen sein, sogenannte Phalangen.45 In der Vergangenheit gab es mehrere, eher bizarre Versuche, die Vorstellungen der englischen und französischen Utopisten zu verwirklichen, aber man muss bei deren Beurteilung immer bedenken, dass diese Autoren keine konkreten Lösungen für aktuelle gesellschaftliche Probleme anbieten wollten, sondern vielmehr nach einem Modell des problemlosen Zusammenlebens von Menschen außerhalb von Zeit und Raum suchten. Der Historiker Eduard Winter sieht in dem katholischen Geistlichen Bernard Bolzano den markantesten Vertreter derjenigen, die durch eine liberale Auffassung des Staates in der österreichischen Monarchie beeinflusst waren.46 Ob es sich bei dieser Einschätzung eher um eine Überschätzung handelt, sei im Augenblick dahingestellt, für uns ist vielmehr die Tatsache von Interesse, dass die liberalen Ideen auch innerhalb der katholischen Kirche Verbreitung fanden. Neben Bolzano gab es noch weitere Vertreter der Kirche, deren Weltbild sich nicht ganz mit den Bestrebungen um die Erneuerung der kirchlichen Macht deckte. Bernard Bolzano fasste seine Gedanken und Vorstellungen von einem gut organisierten Land in der auf Deutsch geschriebenen Studie Von dem besten Staate zusammen, an der er nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben arbeitete, die allerdings nie veröffent45 46

Zum frühen sozialen Denken zusammenfassend Leszek Kołakowski, Main Currents of Marxism. Its Rise, Growth, and Dissolution I, Oxford 1978, S. 182–233. E. Winter, Romantismus, S. 108–118.

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lich wurde.47 Angesichts der Rolle, die die von ihm ausgehenden Ideen zur gesellschaftlichen Ordnung später spielen sollten, gehen wir im Folgenden etwas ausführlicher auf sie ein. Im Gegensatz zu den französischen und englischen Utopisten verlegte Bolzano seine Vorstellungen von einer idealen Staatsform nicht auf eine einsame Insel, in einen unbewohnten Raum oder eine andere imaginäre Landschaft. Er wollte mit seinen Gedanken die konkreten Staaten seiner Zeit inspirieren. Bolzano zufolge könnte die Staatsordnung den Menschen zufrieden machen, wenn sie seiner Natur entspräche. Die Gesellschaft wird von Gott gelenkt, der den Menschen mit der Freiheit bedachte, seinen Verstand zu nutzen. In einem nach Bolzanos Vorstellungen geführten Staat sollten all diejenigen an der Regierung partizipieren, die über die erforderlichen intellektuellen und moralischen Fähigkeiten verfügen, einschließlich der Frauen. Entscheidungen sollten mit Rücksicht auf die Wünsche der Mehrheit getroffen werden – einen eventuellen Widerstand Einzelner lehnte er mit der vagen Behauptung ab, dass in einem wirklich freien Staat sich der Mensch nicht weigern würde, sich dem Wunsch der anderen zu fügen. Er verurteilte nicht den Besitz von Eigentum, das man im Laufe seines Lebens erworben hatte, wohl aber seine Vererbung. Bolzano beschäftigt sich in seinem Werk auch mit der Pflege von Geist und Seele des Menschen. Die Kindererziehung sollte Sache der Eltern sein und später an einer öffentlichen Schule fortgesetzt werden. Das erstrebenswerte Ziel war die körperliche und seelische Zufriedenheit der Heranwachsenden. Die Kinder (und in anderen Zusammenhängen auch die Erwachsenen) sollten sich an positiven und nachahmenswürdigen Beispielen orientieren, die ihnen Zufriedenheit mit der Gegenwart vermitteln würden. Bolzano zeigt sich darin als Verfechter der Idee des Fortschritts – in diesem Fall auf der intellektuellen und moralischen Ebene. Es ist bemerkenswert, wie ausführlich er die Erziehung und Schulbildung analysiert und wie zurückhaltend und distanziert er die Religion behandelt. Bolzano forderte die Bekenntnisfreiheit und trennte strikt zwischen der Führung eines Staates und der Führung in geistlichen Angelegenheiten, wo er sich gegen jeden Versuch einer Einflussnahme aussprach. Das Zusammenleben von Mann und Frau war nach Bolzano in der Ehe möglich. Eine ähnliche Richtung schlägt Georg Buquoys Idealstaat oder das Werk von Augustin Smetana, eines Absolventen des Theologiestudiums in Prag und seit 1835 Mitglieds des Kreuzherrenordens mit dem Roten Stern, ein. Smetana war sehr an der deutschen idealistischen Philosophie interessiert und seit den vierziger Jahren bei Professor Franz Exner an der Philosophischen Fakultät beschäftigt, zu deren Dekan er 1848 gewählt wurde. Auf seinem philosophischen Weg gelangte er zu der Überzeugung, dass ihm als katholischem Geistlichen die volle intellektuelle Entfaltung versagt bleibt, weshalb er 1850 offiziell aus der Kirche austrat.48 Zwei Jahre 47 48

Die Arbeit wurde erst 1932 veröffentlicht. Dieser Studie lag zugrunde die Übersetzung aus dem Sammelband Jan Novotný (Hrsg.), Čeští utopisté devatenáctého století [Die utopistischen Denker im Böhmen des 19. Jahrhunderts], Praha 1982. Pavel KŘivský, Augustin Smetana, Praha 1990; seine Beweggründe schilderte Augustin Smetana in seiner Autobiographie Geschichte eines Exkommunicirten, editiert wurde dieses Werk von I. Šnebergová (Hrsg.), Augustin Smetana, S. 27–149.

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Die Bedingungen für Wissenschaft und Forschung im Vormärz

zuvor erschien anonym seine auf Deutsch geschriebene Abhandlung Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters, in der er die aktuelle politische und soziale Situation analysierte. Er war überzeugt, dass die Menschheit gerade eine bedeutsame historische Schwelle passiere, an der die Religion und das Recht als grundsätzliche moralische Kategorien den Gipfel ihrer Entwicklung erreichten und nun ihrem Niedergang entgegensteuerten. In der Natur wie in der Geschichte spiele sich ein unaufhörlicher Kampf zweier Kräfte ab, der irdischen und der göttlichen, die sich beim Menschen als die tierischen Triebe einerseits und die intellektuellen Fähigkeiten andererseits manifestierten. Katalysator der Veränderungen in der Gesellschaft solle die Wissenschaft sein, die – mit den Worten Smetanas – „die Religion und das Recht in Liebe und Kunst, d. h. das Thierisch-menschliche unseres Geschlechtes in ein Menschlich-ideales wandelt.“49 Eine solche Verwandlung mache die Menschheit gerade durch und erfülle somit ihren geschichtlichen Sinn. Die gedanklichen Konstruktionen von Augustin Smetana weisen einen starken Einfluss der Hegelschen Dialektik auf, was natürlich kein Zufall ist. Der Kreuzherr Smetana organisierte in seiner Klosterzelle regelmäßige Treffen der an Hegels Philosophie Interessierten, bei denen die damals verbotenen Bücher des deutschen Philosophen vorgelesen und diskutiert wurden.50 Die soziale Thematik im Denken der 1840er Jahre steht natürlich im zeitlichen Kontext auch in engem Zusammenhang mit den Ideen von Karl Marx, die sich zur gleichen Zeit zu formen begannen.51 Auch hier ist der Einfluss der Dialektik Hegels markant, aber das Prinzip von Marx´ Philosophie hatte kein geistiges, sondern ein materielles Fundament, wodurch auch andere Lösungen sozialer Probleme möglich wurden. Er ging von einem unablässigen Zusammenstoßen zweier gesellschaftlicher Klassen aus – der herrschenden und der unterdrückten, wobei die herrschende Klasse alle materiellen und geistigen Werte in ihrem Besitz habe. Die historische Aufgabe der unterdrückten Klasse bestehe darin, diesen Zustand zu verändern und mit Hilfe von Revolutionen die soziale Gleichheit herzustellen. Die Autoren „idealistischer“ Werke wurden von den Marxisten als utopische Sozialisten bezeichnet, weil sie keine Lösung aktueller Probleme anbieten könnten. Bei der Bewertung darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die romantisch-liberalen Vorstellungen, wie sie in Böhmen von Bolzano, Buquoy und Smetana formuliert wurden, auf einem gänzlich anderen Fundament als die Philosophie von Karl Marx gründeten und es nicht ihr deklariertes Ziel war, eine Anleitung zur Überwindung sozialer Probleme zu liefern. Sie reflektierten lediglich die sich wandelnde Welt, versuchten sich darin zurechtzufinden und ihren Nachfolgern Anregungen für eine eigene Suche zu bieten. Sie – um sich hier der marxistischen Terminologie zu bedienen – stifteten eine intellektuelle, nicht eine soziale Revolution an.

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Augustin Smetana, Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters, Prag 1848, S. 80. Die Zusammenkünfte wurden anhand der erhaltenen Quellen rekonstruiert von P. KŘivský, Augustin Smetana, S. 127–141. Die erneute Lektüre von Marx´ Werken führt bei vielen Forschern zu einer Neubewertung seiner Gedanken. Vgl. Gareth Stedman Jones, Das kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels. Einführung, Text, Kommentar, München 2012.

Liberalismus und außerhalb der Institutionen stehende Denker

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In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in den böhmischen Ländern immer noch am institutionellen Fundament der heimischen Wissenschaft gebaut und nach Themen gesucht, mit denen diese sich beschäftigen könnte. Die intellektuelle Atmosphäre stand unter dem Einfluss des aufklärerischen Patriotismus, des erstarkenden nationalen Bewusstseins und nicht zuletzt auch der Romantik und des Liberalismus. Die Befürchtungen des Staates gegenüber der Verbreitung liberaler oder gar revolutionärer Ideen behinderten die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung und gaben deren Richtung vor. Diese Restriktionen konnten allerdings in vielen Fällen erfolgreich überwunden werden, einerseits durch die Initiative einzelner Enthusiasten, andererseits dank des Kapitals, das manche ohne zu zögern in ihre Interessen investierten.

Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf Erziehung und Bildung des jungen Grafen Graf Georg Buquoy1 kam am 7. September 1781 in Brüssel, der Hauptstadt der damaligen Österreichischen Niederlande, zur Welt. Sein Vater Leopold Adalbert Buquoy (1744–1795) absolvierte sein Studium an der Philosophischen und der Juristischen Fakultät in Prag,2 wurde danach Kommandant im Kavallerieregiment St. Ignon im belgischen Nimbourg, ging aber noch vor der Geburt seines Sohnes Georg nach Wien. Wir wissen, dass er mystisch angehauchte meditative Gedichte schrieb3 und Mitglied mehrerer Freimaurerlogen war.4 Im Mai 1778 heiratete er in Genf Adélaïde de Preud’homme d’Hailly, Marquise de Nieuport (1758–1829) und hatte drei Kinder mit ihr: Pauline Juliane, Georg Franz und Ludwig Ernst.5 Das eheliche Bündnis hielt allerdings nicht lange – seit Dezember 1785 lebten die Eheleute getrennt und 1787 wurden sie offiziell geschieden. Laut Scheidungsvertrag musste Adélaïde auf die Kinder verzichten und Leopold Buquoy bekam das Sorgerecht.6 Die Verantwortung für die Erziehung übertrug er seinem Bruder Jo1

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Das Adelsgeschlecht der Buquoy hat seine Wurzeln im Grenzgebiet zwischen den heutigen Staaten Frankreich und Belgien, ließ sich aber nach 1620 in Böhmen nieder. Zur Familiengeschichte vgl. beispielsweise Margarete von Buquoy, Die Grafen von Buquoy – Aspekte ihrer Herrschaft, in: Alois Harasko (Hrsg.), Der südböhmische Heimatkreis, Kaplitz/Hohenfurth/ Gratzen. Deutsche Kulturlandschaft an Moldau und Maltsch I, München 1986, S. 45–70; Olivier Chaline, Les Buquoy, d’Artois en Bohême, Revue des études slaves 78, 2007, S. 431–450; Ders., Les églises des Buquoy en Bohême du Sud, Histoire, Économie et Société 26, 2007, S. 127–143. Zu seinem Universitätsstudium vgl. I. Cerman, Šlechtická kultura, S. 144–145. Zur mystischen Poesie von Leopold Buquoy siehe ebd., S. 365–368. Leopold Buquoy wird im ältesten Mitgliederverzeichnis der Prager Loge „Zu den drei gekrönten Sternen“ von 1765 geführt und gehörte angeblich auch zu den Freimaurern der Strikten Observanz; 1776 soll er schottischer Großmeister in Burgstall geworden und sogar Mitglied der schottischen Loge Saint-Jean d’Ecosse du Contrat social in Paris gewesen sein. Vgl. Ebd., S. 366; Margarete von Buquoy, Johann Graf von Buquoy. Ein Sozialreformer im Zeitalter der Aufklärung, Feldkirchen/Westerham 2004, S. 20; Martin Javor, Slobodomurárske hnutie v českých krajinách a v Uhorsku v 18. storočí [Die Bewegung der Freimaurer in den böhmischen Ländern und Ungarn im 18. Jahrhundert], Prešov 2009, S. 39. Die Tochter Pauline Juliane (1780–1857) trat in die Erziehungsanstalt für junge Adelige St. Gertrud im Herzogtum Brabant ein und heiratete 1801 den Grafen Vincent Karel Kaunitz vom tschechischen Zweig der Familie. Als zweites Kind kam Georg Franz zur Welt (1781–1851). Der Jüngste, Ludwig Ernst (1783–1834), machte sich einen Namen als Landschaftsmaler. Er war Schüler von Anton Pucherna und schuf zahlreiche Lithographien, kolorierte Aquatinten von Prag und Burgansichten sowie eine Kollektion von gemalten westböhmischen Trachten (Anton Pucherna / Ludwig von Buquoy, Trachten böhmischer Bauern und Bauerinnen, Wien 1814). Zur Scheidung s. I. Cerman, Šlechtická kultura, S. 231–233.

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hann Nepomuk (1741–1803), den Besitzer einer Herrschaft in Böhmen und bekannten Reformator der Armenpflege. Er und seine Frau Terezie (1746–1819) gingen die Erziehung der beiden Jungen sehr verantwortungsvoll an.7 Ihre Ehe blieb kinderlos, deshalb lag es nahe, dass eben einer der Söhne von Leopold Buquoy den Familienbesitz übernehmen würde. Im Frühjahr 1786 bat Johann Nepomuk seinen ehemaligen Lehrer, den Prager Universitätsprofessor Karl Heinrich Seibt, ihm einen Erzieher für seinen Neffen Georg zu empfehlen. Nach kleineren Peripetien nahm sich dieser Aufgabe ein gewisser Seidl an,8 der bei dem jungen Georg sehr beliebt war. 1792 bekamen Georg und sein Bruder Ludwig einen neuen Erzieher, unter dessen Aufsicht sie zwei Jahre in Wien verbrachten, wo sie auch in Französisch und Tschechisch hätten unterrichtet werden sollen.9 Vermutlich aufgrund seiner Unzufriedenheit mit dem Erzieher beschloss Johann Nepomuk nach zwei Jahren, dass die Erziehung und Bildung der beiden Jungen wieder nach Böhmen verlegt werden sollte.10 In Böhmen hielten sich die beiden Jungen nicht in den buquoyschen Residenzen auf, sondern verbrachten die folgenden beiden Jahre im Schloss Ellischau im heutigen Nalžovské Hory unweit von Klattau. Sie wohnten hier bei dem Freund der Familie Graf Franz Taaffe (1738–1803). Von diesem Aufenthalt erhielt sich der Briefwechsel der beiden Brüder mit dem Vater.11 Die jungen Grafen bringen in ihren „empfindsamen Briefen“12 ihre große Demut gegenüber dem Vater zum Ausdruck und sie loben den Grafen Taaffe als ihren „zweiten Vater“.13 7 8 9 10

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Zu diesem Paar näher M. von Buquoy, Johann Graf von Buquoy; Martin Krummholz, Buquoyské Nové Hrady. Počátky krajinných parků v Čechách [Das Gratzen der Buquoys. Die Anfänge von Landschaftsparks in Böhmen], Praha 2012, S. 33–35. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 128, Inv. Nr. 897, Sign. 249.10 (Sicherstellung der Erzieher für den Neffen Georg Buquoy), Karl Heinrich Seibt an Graf Johann Nepomuk Buquoy, Prag, 23. März 1786. M. Man, Cestovní deníky, S. 36–37. Im Briefwechsel geht es um die Situation, als die Jungen ihr Geld an den Erzieher Falkenstein abgeben mussten. Sie bekam allerdings ihr Geld nicht zurück, was Georg grob missfiel und einen empörten Brief an den Vater zur Folge hatte. Dieser Brief ist gänzlich anderen Charakters als die übrige im Geiste der Empfindsamkeit geschriebene Korrespondenz. Außerdem ist er als einziger in Deutsch verfasst, alle anderen auf Französisch. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 172, Inv. Nr. 954, Sign. 253.11 (Briefwechsel mit Familienmitgliedern und Verwandten) Georg Franz Buquoy an Leopold Buquoy, sine loco [November/ Dezember 1794?]; Ders., Franz Taaffe an Leopold Buquoy, Ellischau 3. Dezember 1794. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 172, Inv. Nr. 954, Sign. 253.11 (Briefwechsel mit Familienmitgliedern und Verwandten). Mehr dazu bei Ivo Cerman, Empfindsame Briefe. Familienkorrespondenz der Adeligen im Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Václav Bůžek / Pavel Král (Hrsg.), Společnost v zemích habsburské monarchie a její obraz v pramenech (1526–1740) [Die Gesellschaft in den Ländern der Habsburger Monarchie und ihr Bild in den Quellen], České Budějovice 2006 (= Opera historica 11), S. 283–301. Monsieur le Comte de Taaffe notre tendre second Père. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 172, Inv. Nr. 954, Sign. 253.11 (Briefwechsel mit Familienmitgliedern und Verwandten), Brief von Georg Buquoy an Leopold Buquoy, Ellischau, 11. Februar 1795. Diesen Ausdruck prägte Georg selbst bei der Übung des Briefeschreibens, wie Taaffe in seinem Schreiben an Leopold Buquoy bezeugt. Je vous donne ma parole que Je ne leur ai pas

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Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf

Aufgrund des alles durchdringenden empfindsamen Tons lassen sich den Briefen nur wenige sachliche Informationen entnehmen. Wir wissen aber, dass die beiden einen neuen Erzieher hatten, Braun, und manchmal von Taaffe selbst unterrichtet wurden. Sie waren begeistert von der Vielfalt des Unterrichts und versicherten dem Vater, dass er auf sie stolz sein könne.14 Franz Taaffe interessierte sich für Astronomie, was den jungen Georg faszinierte. Taaffe soll es auch gewesen sein, der in Georg das Interesse an Mathematik weckte.15 Nach der Zeit in Ellischau wurde der Privatunterricht in einer Stadt fortgesetzt, vermutlich in Prag, wo sie noch zwei andere Erzieher bekamen, beide französische Emigranten. Leider sind keine Lehrpläne der jungen Buquoys erhalten, deshalb kann man sich keine konkrete Vorstellung vom Inhalt ihres Studiums machen.16 Dank der erhaltenen Zeugnisse wissen wir aber, dass Georg die Abschlussprüfung (in den Grundlagen der lateinischen Grammatik und Syntax) am Gymnasium in der Prager Neustadt bestand und ein Jahr später eine Prüfung in Rhetorik in Budweis ablegte.17 Danach setzte er sein Studium an der Theresianischen Ritterakademie in Wien fort, einer Bildungsanstalt für junge Adelige.18 Die Wahl gerade dieser Institution war für die Buquoys untypisch. Leopold, Johann Nepomuk und einige weitere Familienmitglieder studierten in Prag.19 Johann Nepomuk hatte bereits 1794 erwogen, die Neffen nach Wien zu schicken und dies mit seinem Freund Taaffe sowie dem Vater der beiden Jungen, Leopold, besprochen.20 Der erhaltene Briefwechsel zeugt vom echten Interesse aller Beteiligten an der Bildung der gräflichen Söhne.

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fait la moindre insinuation du Second Père, et M[onsieur] George trouva bon d’en inserer l’expression dans son brouillon. Ebd., Brief von Franz Taaffe an Leopold Buquoy, Ellischau, 11. Februar 1795. Taaffes Briefwechsel mit Leopold weist darauf hin, dass Graf Taaffe kein Anhänger des offiziellen Schulsystems war. „Der arme Georg wurde bereits infiziert“ durch das öffentliche Bildungswesen, so Taaffe, und „Ludwig wusste so wenig, dass er einer tabula rasa glich“. Dies schien ihm allerdings ein Vorteil für die Bildung zu sein. Ebd., Brief von Franz Taaffe an Leopold Buquoy, Ellischau, 4. März 1795. G. von Buquoy, Auswahl, S. 5. Den erhaltenen Materialien lassen sich lediglich Informationen über die materielle Absicherung der Grafen entnehmen. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 128. Alle wurden sie mit der höchsten Note eminenter bewertet. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 174, Inv. Nr. 966, Sign. 257.30 (Zeugnisse aus Mittel- und Hochschulen). Das Wiener Theresianum wurde 1746 von Maria Theresia gegründet und funktionierte ohne Unterbrechung bis 1784, als es im Zuge der allgemeinen Auflösung von Ritterakademien durch Joseph II. geschlossen wurde. Es wurde 1797 von Kaiser Franz II. erneuert. Zum ersten Theresianum vgl. Ivo Cerman, Habsburgischer Adel und das Theresianum in Wien 1746–1784 (Wissensvermittlung, Sozialisation und Berufswege), in: Ivo Cerman / Luboš Velek (Hrsg.), Adelige Ausbildung. Die Herausforderung der Aufklärung und die Folgen, München 2006, S. 143–168. Zum Studium der Buquoys an der Prager Universität vgl. Ders., Šlechtická kultura, S. 138– 149. Damals erwog er vielleicht das Studium an der Theresianischen Militärakademie in der Wiener Neustadt. In einem seiner Briefe leitet Taaffe neue positive Informationen über die Academie de Vienne weiter, die er von Johann Nepomuk Buquoy erhalten hatte. Angesichts der Tatsache, dass das Theresianum erst drei Jahre später erneuert wurde, muss er die Militärakademie im

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Das Studium am Wiener Theresianum wurde durch strenge Vorschriften geregelt, dank derer die Jungen unter sorgfältiger Aufsicht standen.21 Die Statuten des erneuerten Theresianums lassen zum einen eine strenge Ordnung erkennen, zum anderen ein Interesse daran, dass die Zöglinge die traditionellen adeligen Fertigkeiten lernen. In den Unterricht waren deshalb auch Fächer wie Reiten, Fechten oder Tanz, aber auch Zeichnen oder Singen integriert. Außerdem fanden sich im Stundenplan klassische wie moderne Sprachen, Jura, Geschichte, theoretische und praktische Philosophie.22 Georg war mit dem Studium allerdings nicht sehr zufrieden. In seiner Autobiographie beschwerte er sich später, dass der Unterricht eigentlich keine überdurchschnittlichen Leistungen erlaubte und er ihn nur als Pflicht ansah.23 Etwas Positives vermochte er ihm aber doch abgewinnen: er lernte hier den ehemaligen Jesuiten und jetzigen Physikprofessor Franz Guesmann kennen.24 Sein Haus stand dem jungen Grafen immer offen und sie diskutierten über Mathematik, Physik und Religion. Zentral war die Idee der Offenbarung, die Buquoy sehr beschäftigte. Wie Georg selbst berichtet, wurde bei den öffentlichen Disputationen der berühmte Mathematiker und Physiker slowenischer Herkunft Jurij Vega (1754–1802) auf ihn aufmerksam.25 Während seines Studiums entstand mindestens eine, heute bereits in Vergessenheit geratene, Qualifikationsarbeit von Georg Buquoy über Differenzial- und Integralrechnungen.26 In den Jahren 1800–1803 legte Georg Prüfungen in Biologie, Botanik, Bürgerrecht, natürlicher Theologie, Pneumatologie und praktischer Philosophie mit ausgezeichneter Bewertung ab.27 Sein letztes Examen war am 20. April 1803, also zwei Tage nach dem Tod seines Onkels Johann Nepomuk. Der zweiundzwanzigjährige Georg wurde Erbe des familiären Vermögens, übernahm das Fideikommiss

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Sinn gehabt haben. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 172, Brief von Franz Taaffe an Leopold Buquoy, Gratzen, 3. Oktober 1794. Nach Wien ging auch Georgs jüngerer Bruder Ludwig, der sein Studium 1801 nach zwei Jahren beendete, d. h. zwei Jahre früher als Georg. Max von Gemmell-Flischbach, Album des kaiserl. königl. Theresianums (1746–1880), Wien 1880, S. 89. Zum dortigen Regime vgl. [Anonym], Statuten der k. k. Theresianischen Ritterakademie, Wien 1802. Ebd., S. [72]–112. G. von Buquoy, Auswahl, S. 4. Abbé Franz Guesmann (1741–1806) war ehemaliger Jesuit und in den Jahren 1797–1801 Lehrer an der Wiener Theresianischen Akademie. Vgl. M. von Gemmell-Flischbach, Album, S. 75. G. von Buquoy, Auswahl, S. 6. Georg von Buquoy, Differenzial- und Integralrechnung, welche an der k. k. Theresianischen Ritterakademie den 31. July 1801 öfentlich entwickeln werden. Herr Georg Graf von Buquoy von Grätz in Böhmen, [Wien] 1801. Das am 1. August 1801 ausgestellte Diplom bezeugt, dass die Verteidigung erfolgreich war: Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 174, Inv. Nr. 966, Sign. 257.30 (Zeugnisse von Mittel- und Hochschulen). Vgl. auch Ludwig Igálffy-Igály, Gedruckte Dissertationen, Prüfungsfragen, Wissenschaftliche Abhandlungen von Absolventen der k. k. Theresianischen Ritterakademie aus der Zeit von 1752 bis 1864, Wien 1972 (= maschinengeschriebener Katalog im Archiv der Universität Wien B3199). Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 174, Inv. Nr. 966, Sign. 257.30 (Zeugnisse von Mittel- und Hochschulen).

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Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf

jedoch nicht sofort. Er wollte nach seiner Rückkehr zunächst reisen, was ihm von der Tante Terezie sogar empfohlen wurde, denn sein Gesundheitszustand erschien ihr nicht gut. Sie erkannte, dass er während seiner Studienzeit am Theresianum allen Grund zur Unzufriedenheit gehabt hatte. Aus Wien kehrte er körperlich und seelisch angeschlagen zurück, empfand Widerwillen gegen das Leben auf dem Land und die Wirtschaftsführung, war außerstande, sich über irgendetwas zu freuen und wünschte sich nichts anderes als zu reisen.28 Das war tatsächlich kein günstiger Gemütszustand für den gerade eingesetzten Erben des Familienbesitzes. Der Graf selbst schrieb, dass sein Gemüt ständig zwischen Begeisterung und Leere oszilliere.29 Die Kavaliers- und Studienreisen wurden seit dem 16. Jahrhundert als Abschluss der Erziehung und Bildung heranwachsender Adeliger betrachtet, als ein Übergangsritual zwischen Jugend und Erwachsenenalter. Der Reisezweck wandelte sich jedoch mit der Zeit. Im 18. Jahrhundert war es vor allem die Möglichkeit, an den freieren protestantischen Universitäten juristische Fächer zu studieren, die in der österreichischen Monarchie nicht vertreten waren.30 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts reiste man bereits um des Reisens selbst willen, um sich ästhetisch zu bilden und um neue wissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben.31 Der junge Adelige sammelte auf seinen Reisen neue Kontakte und Erfahrungen, nicht minder wichtig waren aber auch neue Anregungen und Abenteuer, die er

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E. Hirsch, Graf, S. 4. G. von Buquoy, Auswahl, S. 8. Im 19. Jahrhundert verlor dieser Grund an Relevanz. Vgl. I. Cerman, Šlechtická kultura, S. 94–108; allgemeiner zum Reisen in der Frühen Neuzeit vgl. Václav BŮžek a kolektiv, Společnost českých zemí v raném novověku. Struktury, identity, konflikty [Die Gesellschaft der böhmischen Länder in der Frühen Neuzeit, Strukturen, Identitäten, Konflikte], Praha 2010 (= Česká historie 22), S. 683; Ivo Cerman, Bildungsziele – Reiseziele. Die Kavaliertour im 18. Jahrhundert, in: Martin Scheutz / Wolfgang Schmale / Dana Štefanová (Hrsg.), Orte des Wissens. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 18/19, Bochum 2004, S. 49–78.; Ders., Habsburgischer Adel und Aufklärung. Bildungsverhalten des Wiener Hofadels im 18. Jahrhundert, Stuttgart 2010 (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 72), S. 243–251; Milena Lenderová, Cestovatel [Der Reisende], in: Václav Bůžek / Pavel Král (Hrsg.), Člověk českého raného novověku [Der Mensch der Frühen Neuzeit in Böhmen], Praha 2007 (= Každodenní život 28), S. 239–254; Petr MaŤa, Svět české aristokracie (1500–1700) [Die Welt der böhmischen Aristokratie], Praha 2004, S. 324–327. Die Reisen können im Kontext der Berufsausübung gesehen werden, sie wurden auch aus gesundheitlichen Gründen unternommen (Kuraufenthalte), darüber hinaus reiste man, um sich in der Natur zu erholen oder um die antiken und mittelalterlichen Denkmäler zu sehen, um Erfahrungen zu sammeln, man wollte sich weiterbilden oder Inspiration suchen (bspw. in der Kunst oder Architektur). Zum Reisen zu Beginn des 19. Jahrhunderts vgl. Jana Englová, Proměny cestování na počátku 19. stol. ve světle zpráv cestovatelů ze Saska do Čech [Der Wandel des Reisens zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Licht der Berichte von Reisenden aus Sachsen nach Böhmen], in: Lenka Bobková / Michaela Neudertová (Hrsg.), Cesty a cestování v životě společnosti. Sborník příspěvků z konference konané 6.–8. září 1994 v Ústí nad Labem [Das Reisen im Leben der Gesellschaft. Sammelband zur Konferenz in Ústí nad Labem, 6.–8. September 1994], Ústí nad Labem 1997, S. 359–364.

Das intellektuelle Leben Georg von Buquoys nach der Übernahme des Familienbesitzes

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unterwegs erlebte.32 Buquoy unternahm eine solche Reise in den Jahren 1803–1805 in Begleitung seines letzten Hofmeisters Quidor Duperey und des Arztes Dudressier. Er fuhr vermutlich in Wien los und folgte den Postwegen nach Bayern, Schwaben, in die Schweiz und nach Frankreich. Dann kehrte er nach Wien zurück und machte sich von dort aus auf den Weg nach Italien.33 Er war ein aufmerksamer Beobachter: unterwegs registrierte er die Qualität des Verkehrs, der Unterkunft und des Essens, notierte seine Eindrücke vom Aussehen und Charakter der Menschen, die ihm begegneten, interessierte sich auch für die unterschiedlichen Dialekte, Landschaften, klimatischen Bedingungen und war auch amourösen Abenteuern nicht abgeneigt. Seine Vorliebe für Technik wird durch die zahlreichen Zeichnungen in seinem Tagebuch dokumentiert.34 Seine Reisen beendete er am 2. Juli 1805, als er nach Gratzen zurückkehrte.

Das intellektuelle Leben Georg von Buquoys nach der Übernahme des Familienbesitzes Nach der Rückkehr von seinen Reisen übernahm Graf Buquoy den bis dahin von seiner Tante Terezie verwalteten Familienbesitz.35 Aber es erwarteten ihn auch noch andere Veränderungen in seinem Leben. Bereits im Verlauf des Winters 1805– 1806 war er des Öfteren bei der Familie des Staats- und Konferenzministers Heinrich Franz Rottenhan (1737–1809)36 zu Besuch, der mit dem verstorbenen Johann 32

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Zum Reisen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe beispielsweise Milena Lenderová, Paříž, rok 1808. Deník Eleonory ze Schwarzenbergu [Paris, 1808. Das Tagebuch Eleonoras von Schwarzenberg], Minulostí Západočeského kraje 33, 1998, S. 161–197; Milada Sekyrková / Tomáš Sekyrka, Bratři Šternberkové na cestách [Die Brüder Sternberg auf Reisen], in: Lenka Bobková / Michaela Neudertová (Hrsg.), Cesty a cestování v životě společnosti. Sborník příspěvků z konference konané 6.–8. září 1994 v Ústí nad Labem, Ústí nad Labem 1997, S. 415– 420; Jindřich Vybíral / Milada Sekyrková, Britská cesta Jana Adolfa ze Schwarzenbergu 1825 [Die britische Reise Johann Adolfs von Schwarzenberg], Umění 66, 1998, S. 129–145. M. Man, Cestovní deníky, S. 46–61. Einen interessanten Abstecher, für den er ohne zu zögern eine beträchtliche Geldsumme ausgab, unternahm er am 26. Mai 1805 nach Mailand zum Anlass von Napoleons Krönung zum italienischen König. Die Beschreibung der Krönungszeremonie hat sich in seinem Tagebuch der Italienreise erhalten und wurde von Miloslav Man transkribiert. Ebd., S. 242–243. Ebd., S. 62–96. Es handelte sich insbesondere um die Herrschaften Gratzen in Südböhmen (und das zugehörige Gut Sonnberg) und Rosenberg, einige Häuser in Prag und die Allodialgüter Sitzkreis bei Schweinitz, Mostky und Cetrlov. Durch die Heirat erwarb er 1806 die Herrschaft Rothenhaus im Saazer Umland. Seine Ehefrau kaufte 1837 die Herrschaft Hauenstein und zwei Jahre später Preßnitz. 1841 erwarb Georg die Anwesen Vršovice und Nusle und von 1848 an verwaltete der Sohn Georg Johann die Fideikommiss- und Allodialgüter. Zur Entwicklung des Familienbesitzes in Böhmen vgl. Pavel Koblasa, Buquoyové. Stručné dějiny rodu [Die Buquoys. Skizze der Familiengeschichte], České Budějovice 2002, S. 46–61. Zur Rottenhans öffentlicher Tätigkeit vgl. Hubert Weitensfelder, Studium und Staat. Heinrich Graf Rottenhan und Johann Melchior von Birkenstock als Repräsentanten der österreichischen Bildungspolitik um 1800, Wien 1996 (= Schriftenreihe des Universitätsarchiv 9), S. 69–122.

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Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf

Nepomuk eng befreundet gewesen war. Im Juli heiratete er dann dessen zweiundzwanzigjährige Tochter, Gräfin Gabrielle von Rottenhan (1784–1863). An dieser Wahl einer geeigneten Lebenspartnerin war höchstwahrscheinlich Tante Terezie beteiligt, die bereits in ihrem Brief an Georg vom Mai 1803 sehr konkrete Vorstellungen von der künftigen Braut darlegte.37 Es ist also gut möglich, dass zum Zeitpunkt der Heirat die Ehe bereits lange vorverhandelt war – sie blieb aber nicht unerfüllt, es sind fünf Kinder aus ihr hervorgegangen.38 Georg Buquoy und seinen Schwiegervater verband das Interesse an der Technik und Wirtschaft, das sie nun zusammen auf Rottenhans Herrschaft Rothenhaus/ Červený Hrádek entfalten konnten. Gerade im hiesigen Schloss konstruierte Buquoy nach eigenem Entwurf Holzdampfmaschinen zum Pumpen von Wasser für den Betrieb der Glashütte.39 Das Schloss nahm unter den buquoyschen Residenzen eine bedeutsame Rolle ein – dank seiner günstigen Lage an der tschechisch-sächsischen Grenze war es der Ausgangspunkt für Reisen des Grafen in die nordböhmischen Kurorte sowie die sächsischen Städte und fungierte als wissenschaftlicher Stützpunkt für den Grafen und seine Freunde.40 Buquoys Schwiegervater Heinrich Rottenhan konnte von seiner hohen Stellung profitieren und verschiedene Entwürfe und neue Technologien durchsetzen. Politisch einflussreich war auch die Familie Chotek, in die Rottenhans zweite Tochter einheiratete.41 Wirtschaft, Bildung und 37

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„[J]e veux absolument que vous vous mariez a 24 ans ou plus tard c´est un age convenable […] et je vous aiderai a choisir, il ne vous faut une femme qui ait de la fortune, laissez cet avantage a ceux qui en ont besoin. mais un beau nom des alentours agréables, la probabilité d´une éducation soignée du caractère, de la raison et de la bonté. assez d´esprit pour se bien conduire dans toutes les occasions de la vie et une figure qui n´ait rien de rebulant.“ Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 174, Inv. Nr. 967, Sign. 257.31, Terezie Buquoy an Georg Franz, Prag 6. Mai 1803. Zitiert nach Markéta KrejČí, Přetvoření divočiny v nádherný luh, aneb Terezie hraběnka Buquoyová a její Vallon chéri [Die Umgestaltung der Wildnis ins wunderschönen Aue, oder Terezie Gräfin von Buquoy und ihre Vallon chéri], České Budějovice 2002 (= Diplomarbeit), S. 58. Die älteste war Terezie (1807–1869), nach ihr kamen Gabrielle (1809–1841), Karolina (1811– 1898) und schließlich die vierte Tochter Isabela (1812–1893). Erst als fünftes Kind kam der Sohn und Erbe des Familienbesitzes Georg Johann (1814–1882) zur Welt. Siehe Miroslava Kurucová / Vladimír Hokr / Miloslav Man, Jiří František August Buquoy. Vědec, vynálezce a podnikatel [Georg Franz August Buquoy. Wissenschaftler, Erfinder und Unternehmer], Nové Hrady 2008, S. 20. Hierzu siehe seine Publikation: Georg von Buquoy, Eine Dampfmaschine, welche sich leicht, allenthalben, mit wenigen Unkosten, ganz aus Holz erbauten lässt, und wobei alle vorkommende Reparaturen ohne grosse Schwierigkeiten verrichtet werden können, welche ferner zur Aufsicht keines eigenen Maschinenmeisters, sondern nur eines aufmerksamen Menschen bedarf, Leipzig 1811. Michal Morawetz, Korespondenční kontakty hraběte Jiřího Buquoye s evropskými vědci [Die Korrespondenzkontakte des Grafen Georg Buquoy mit europäischen Wissenschaftlern], Opera historica. Časopis pro dějiny raného novověku 16, 2015, S. 37–53. Marie Isabela von Rottenhan heiratete 1799 Johann Nepomuk Chotek. Sie machte sich einen Namen als Künstlerin, berühmt wurden ihre Stiche mit Motiven der Karlsbader Region. Johann Nepomuk Chotek widmete sich der Landwirtschaft und bemühte sich auch um die Beamtenlaufbahn. Vgl. Ivo Cerman, Chotkové. Příběh úřednické šlechty [Die Choteks. Die Geschichte des Beamtenadels], Praha 2008 (= Šlechtické rody Čech, Moravy a Slezska 7), S. 426–427.

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Politik im Böhmen des ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen somit unter Einfluss der verwandten Grafenfamilien Buquoy, Rottenhan und Chotek.42 Der Einführung neuer Technologien in der Glasindustrie widmete sich Graf Buquoy auch auf der Gratzener Herrschaft.43 Es gelang ihm, die hiesige Glasindustrie aus der Krise zu retten und sie auf dem europäischen Markt wieder zu etablieren. Von seinen wirtschaftlichen Fähigkeiten auf der theoretischen Ebene zeugt die Arbeit Die Theorie der Nationalwirtschaft,44 bei der von den Rezensenten vor allem ihre komplexe Auffassung der Nationalwirtschaft hoch geschätzt wurde.45 Buquoys Ausführungen zufolge kann der nationale Reichtum eines Volkes nicht lediglich auf die materiellen Güter des jeweiligen Landes reduziert werden, sondern man muss auch die geistige Wesensart der Bevölkerung berücksichtigen. Seine Ansichten (ansonsten stark inspiriert von Adam Smith) sind insbesondere wegen ihrer Anerkennung der Bedeutung neuer Technologien für die Ökonomie sowie wegen der Anwendung mathematischer Analysen bemerkenswert.46

Mathematik, Dynamik Der wissenschaftliche Radius von Graf Buquoy reichte aber noch viel weiter. 1811 publizierte er eine Studie zur theoretischen Astronomie Theodor Schuberts (1758– 1825)47 und ein Jahr später erschien ein Buch, dessen Schlussfolgerungen von Naturwissenschaftlern bis heute geschätzt werden.48 Es gelang ihm als Erstem, das Problem der Bewegung von Körpern mit veränderlicher Masse zu formulieren und zu lösen. Zuvor rechnete man nur mit idealisierten Aufgaben, in denen die Masse-

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M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 10. Hier hatte die Glasindustrie eine lange Tradition. Die ersten Glashütten sind bereits unter der Verwaltung der Rosenberger in der ersten Hälfte des 16. Jarhunderts belegt, hundert Jahre später zählte das buquoysche Glas zum besten im ganzen Königreich und im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlebte dieser Industriezweig seine große Blüte, nicht zuletzt auch dank der Fähigkeit von Georg Buquoy, auf den sich wandelnden Markt flexibel zu reagieren. Der Graf wurde insbesondere dank der Herstellung des undurchsichtigen schwarzen Glases (Hyalith) bekannt. Nach Georgs Tod kam es zum Niedergang der hiesigen Glasindustrie. Näher zur Glasindustrie in Gratzen vgl. beispielsweise M. Buquoy, Die Buquoyischen Glashütten. Georg von Buquoy, Die Theorie der Nationalwirtschaft nach einem neuen Plane und nach mehreren eigenen Ansichten dargestellt, Leipzig 1815. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 202 (Sammlung von Rezensionen der wissenschaftlichen Studien Georg Buquoys). Ch. Gehrke, Ökonomie, S. 86. Georg von Buquoy, Erläuterungen und Zusätze zu dem dritten Theile von Herrn Schuberts theoretischer Astronomie, nemlich zu dessen physischer Astronomie, nebst einem angehängten Auszuge aus diesem Werke und den Zusätzen, worin der Geist der Rechnung strenge beobachtet ist. Zum fasslichen Selbstunterrichte und zu einem leichten Ueberblicke. Erste Hälfte, welche inclusive bis zum § 140 reicht, Leipzig 1811. Ders., Analytische Bestimmung des Gesetzes der virtuellen geschwindigkeiten in mechanischer und statischer Hinsicht, Leipzig 1812.

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punkte konstante Masse besitzen. Buquoy formulierte eine Gleichung, die auch bei veränderlicher Masse gültig ist.49 Seine Theorie führte er noch weiter aus, ließ sie ins Französische übersetzen und machte sich im August 1815 auf den Weg nach Paris. Über den klassischen Philologen Louis-Mathieu Langlès (1763–1824) kam er ins Institut de France, wo er die Möglichkeit bekam, einen Vortrag über die Bewegung der Körper mit veränderlicher Masse zu halten. Er ließ hundert Exemplare des Resumés drucken und diese unter die anwesenden Wissenschaftler verteilen.50 Wie es damals Usus war, sprach der Graf nicht selbst, sondern seine Thesen wurden von den Mitgliedern des Instituts vorgelesen. Er war sehr auf die Reaktionen zu den Ergebnissen seiner Forschung gespannt, wollte erfahren, ob er „ein Esel ist oder ob es der Mühe werth ist, [seine] Bemühungen weiter fortzusetzen“.51 Die Reaktionen, insbesondere die von dem Mathematiker Pierre-Simon de Laplace (1749–1827), notierte er – auf eine etwas ungewöhnliche Art, in Dialogform – in sein Tagebuch.52 Wenn man dem Tagebucheintrag Glauben schenkt, war Laplace gegenüber den Ausführungen des Grafen zunächst sehr skeptisch und konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendetwas Relevantes zur Dynamik beitragen würden, denn er fand die Thesen und Schlussfolgerungen des Mathematikers Joseph Louis Lagrange (1736–1813) ausreichend. Buquoy konnte ihn allerdings mit stichhaltigen Argumenten überzeugen, dass er eine allgemein gültige Gleichung zu formulieren vermochte, die die getrennten Schlussfolgerungen Lagranges vereinte. Auf positive Resonanz stieß Graf Buquoy auch bei dem Chemiker Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850), der ihm seine Experimente mit Chlor und Jod vorführte. Das zweite erwähnte Element konnte von dem französischen Chemiker erst vier Jahre zuvor identifiziert werden. Auch der Spezialist im Bereich der theoretischen Physik Siméon Denis Poisson (1781–1840) schätzte Buquoys wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Mechanik sehr, worüber der Graf umso mehr erfreut gewesen sein muss, als Poisson nicht unerfahren auf diesem Gebiet war.53 Die bedeutendste Persönlichkeit, mit der Buquoy in Paris Bekanntschaft machte, war Alexander von Humboldt (1769–1859). Der deutsche Naturwissenschaftler empfing den Grafen sehr freundlich, interessierte sich für seine Theorie der Nationalwirtschaft und zeigte sich sehr beeindruckt von seinem Strahlenbrechungsmesser. Sie diskutierten auch über Naturphilosophie, die Humboldt aber nicht sehr schätzte, weil er sie mehr für Dichtung denn Philosophie hielt. Auf Humboldts Anraten stattete Buquoy Laplace noch einen weiteren Besuch ab, mit dem er sich dann unter anderem über die neue Philosophie in Deutschland

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V. Šíma / J. Podolský, Buquoy’s Problem; M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg. [Georg] de Buquoy, Exposition d’un nouveau principe général de dynamique, dont le principe des virtuelles n’est qu’un cas particulier. Lu à l’Institut de France, le 28 Août 1815, Paris 1815. Vgl. den Tagebucheintrag vom 23. August 1815. M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 125. Zur Tagebuchedition siehe Ebd., S. 109–194. Er verfasste die Abhandlung Traité de mécanique von 1811.

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austauschte, die sog. „neue Schule in Ästhetik und Kunst“.54 Namen wie Fichte oder Schelling waren dem französischen Chemiker unbekannt, er hatte aber Goethes Farbenlehre gelesen und kannte Friedrich Schlegel zumindest vom Hörensagen. Wir wissen nicht, was Buquoy über diese Gelehrten sagte, aber bereits ihre Erwähnung zeugt davon, dass er sich in der zeitgenössischen Philosophie gut orientieren konnte. Am Samstag, dem 16. September, traf er sich noch mit dem Physiker François Arago (1786–1853), mit dem er Versuche zur Lichtpolarisation durchführte, und am darauffolgenden Tag absolvierte er dann noch einen letzten Besuch bei Poisson. Hier kam die entscheidende Wende von Buquoys Aufenthalt in Frankreich. Poisson, der noch ein paar Tage vor dem zweiten Treffen dem Grafen gegenüber voller Achtung war, rückte mit Kritik heraus. Er hätte sich in die Arbeit richtig eingelesen und sie sei zu abstrakt, schwer verständlich und vor allem im mathematischen Teil fehlerhaft. Aber der Hauptkritikpunkt war wohl die – ihm so verhasste – metaphysische Perspektive auf die exakte Wissenschaft. Poisson disqualifizierte sich damit in Buquoys Augen als einseitiger Mathematiker, eine bloße Rechenmaschine und Formelnschmieder, der in den engen Grenzen seines eigenen Faches gefangen bleibt und außerstande ist, Dinge zu verstehen, die darüber hinausgehen. Der Graf generalisiert weiter und behauptet, dass die Auffassung der einzelnen Wissenschaften als strikt getrennte Disziplinen etwas typisch Französisches sei und auch der Grund dafür, dass die Franzosen nur so eine marginale Rolle in der Philosophie spielen und sich dafür im Aufstellen mathematischer Gleichungen hervortäten.55 Bei dieser Auseinandersetzung geht es nicht nur um eine wissenschaftliche Disputation über die verwendete Methode, sondern es geht um etwas Grundlegenderes – in Buquoys Augen um die Konfrontation zweier philosophischer Sichtweisen, des französischen Materialismus mit der Betonung der quantitativen Eigenschaften der Dinge, und des deutschen Idealismus, als dessen Vertreter dem Grafen bereits Kant galt.56 Die Wissenschaftler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich Peter Hanns Reill zufolge in zwei Gruppen einteilen. Für die ersten (die er als neomechanists bezeichnet) bleibt die Materie unveränderlich, sie verstanden Mathematik nicht als ein Modell der Realität, sondern vielmehr als einen Weg zur Erkenntnis der Natur. Hierher gehören beispielsweise D’Alembert, Condorcet, Joseph Loius de Lagrange oder Pierre-Simon de Laplace. Die zweite, sehr zahlreiche Gruppe von Wissenschaftlern, zu der auch Georg Buquoy gezählt werden könnte (Enlightenment vitalists) interessierte sich vor allem für Biologie, Chemie, Lebenswissenschaften, Medizin und ihre wechselseitigen Beziehungen. Sie bemühten sich um eine Redefinition der Materie unter Berücksichtigung ihrer Kraft, Energie und 54 55 56

Vgl. den Tagebucheintrag vom 15. September 1815. M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 169–170. Zu Invektiven gegen die französische akademische Gemeinde ließ sich der Graf auch noch neun Jahre später in seiner Autobiographie hinreißen, was die Bedeutung dieses Ereignisses für Georg Buquoy bezeugt. Vgl. G. von Buquoy, Auswahl, S. 11–15. Zwei Richtungen in der Wissenschaft dieser Zeit beobachtete auch P. H. Reill, Vitalizing Nature, S. 6–7.

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Beziehung zur Natur. Sie waren sich der Vielfalt der Natur, der in ihr verlaufenden dynamischen Veränderungen und der Grenzen ihrer Erkenntnis bewusst. Die Vorstellung, dass alles lebt und von lebendigen Kräften regiert wird auf der einen Seite, und der kognitive Skeptizismus auf der anderen führten dann letztendlich zur Überzeugung, dass es eine transzendente Möglichkeit der Erkenntnis geben muss, also zu mystischen und esoterischen Vorstellungen.

Wende zum transzendentalen Weltbild Nach der Erfahrung in Paris beschloss Georg Buquoy, seine mathematischen Forschungen nicht mehr weiter zu verfolgen und kam zu der Überzeugung, dass ihm der philosophische Erkenntnisweg wesentlich mehr behagt. Er begann mit der Arbeit an einem umfangreichen Werk, in dem er seine Auffassung der Ordnung des Universums darlegen wollte. Bereits nach der Veröffentlichung seiner Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur von 1817 fragten sich einige Kritiker, ob es sinnvoll ist, so ellenlange Bücher zu schreiben.57 Das Werk war das Ergebnis seiner intensiven Bemühungen, die neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mit dem philosophischen Denken in Einklang zu bringen. „Wir sind ein integrirender Theil der Natur überhaupt,“ so beginnt das erste Kapitel, „was wir daher immer wahrnehmen, es sey in oder außer uns, wollen wir eine Naturerscheinung nennen.“58 Die Natur sende, so der Graf in seinem Buch, ständig Impulse, die sich beim Menschen entweder entfalten oder nicht, je nachdem, ob sein Inneres gerade aktiv ist oder eben nicht. Anhand der erhaltenen Quittungen kann man davon ausgehen, dass der Graf Exemplare seines Werks an Universitätsbibliotheken, gelehrte Gesellschaften und bedeutende Wissenschaftler (unter anderem auch an Hegel und Schelling) senden ließ.59 Zu Beginn des Jahres 1818 wurden dann die wissenschaftlichen Anstrengungen Buquoys honoriert. Die Philosophische Fakultät der Würzburger Universität verlieh ihm einen Ehrendoktortitel für die Förderung der Wissenschaft und Kunst im Bereich der Mathematik, Physik und politischen Ökonomie.60 Im April desselben Jahres fuhr er erneut nach Paris, diesmal aber mit einem anderen fachlichen Interesse. Auf dem Weg nach Frankreich machte er einen kurzen Abstecher zu Johann David Passavant (1787–1861) und zu einem gewissen Doktor Neef, von denen er Kontakte zu Pariser Magnetiseuren bekam. Der animalische Magnetismus ist vor allem mit dem Namen des anerkannten österreichischen Arztes Franz Anton 57 58 59 60

Vgl. die anonyme Rezension in der Zeitschrift Isis. [Anonym], Georg Graf von Buquoy. Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur, zu einer sinnigen Auslegung desselben und zu einer hieraus hervorgehenden Charakteristik der Natur, Isis, 1819, S. 1168–1169. Georg von Buquoy, Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur, zu einer sinnigen Auslegung desselben und zu einer hieraus hervorgehenden Charakteristik der Natur, Leipzig 1817, S. 1. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 202, Inv. Nr. 975 (Belege von wissenschaftlichen Einrichtungen und Personen über den Empfang von Buquoys Werken); M. Morawetz, Korespondenční kontakty. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 202.

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Mesmer (1734–1815) verbunden, der in den 1770er Jahren eine „hysterische“ Patientin mit an ihrem Körper befestigten Magneten behandelte. Später stellte Mesmer fest, dass er auch durch Handauflegen heilen könne. Er vermutete die Existenz einer Energie bzw. eines Fluidums, das den Körper durchströmt und durch den Therapeuten beeinflusst werden kann. Die Französische Akademie der Wissenschaften lehnte jedoch Mesmers Ansichten ab, deshalb konnte sich der Mesmerismus nicht zu einer offiziellen wissenschaftlichen Methode entwickeln. Trotzdem erfreute sich diese Heilpraktik großer Beliebtheit, Mesmer veranstaltete sogar mystische Séancen, sog. Baquets, während derer er die Angehörigen höherer Gesellschaftsschichten kollektiv am runden Tisch behandelte. Die geheimnisvolle Atmosphäre wurde noch durch die gedämpfte Beleuchtung und Mesmers Kleidung um esoterische Motive verstärkt. Die behandelten Personen gerieten während der Séance in einen schlafwandlerischen Zustand, bei dem sie zwar schliefen, aber trotzdem imstande waren, Fragen zu beantworten oder über verschiedene Ereignisse zu sprechen.61 Zur Zeit von Buquoys Reise nach Paris war Mesmer bereits tot. Der Graf nahm aber mit Joseph Philippe François Deleuze (1753–1835) Kontakt auf, dem Bibliothekar des Nationalmuseums der Naturgeschichte und namhaftesten praktizierenden Magnetiseur im damaligen Paris. Deleuze benutzte die Magnetkunst aber nur als Heilmethode und verabredete für Buquoy ein Treffen mit seiner bedeutendsten Somnambulistin (Schlafwandlerin) Madame Geussel. Buquoy traf auch Marquis de Puységur (1751–1825), den Schüler von Mesmer, aber trotz der anregenden Konversation war er von ihm nicht so fasziniert wie von Deleuze. De Puységur war in Buquoys Augen ein Naturphilosoph mit französischer Oberflächlichkeit, der die Geheimnisse der Natur mit Hilfe des Magnetismus zu enträtseln versuche, dessen Ansichten aber eher schwärmerischem Phantasieren glichen.62 Ein großes Erlebnis war für den Grafen die Möglichkeit, an einer magnetischen Séance teilzunehmen, die vom Hypnotiseur José Custódio de Faria, bekannt als Abbé Faria (1756–1819), durchgeführt wurde. Faria hinterließ auch aufgrund seines dunkelhäutigen Aussehens, seiner markanten Züge und feurigen Augen beim Grafen einen tiefen Eindruck. Buquoy attestierte ihm einen durchdringenden Blick, phänomenale Lebendigkeit, Fähigkeit zur höchsten Abstraktion im Denken sowie einen leidenschaftlichen Einsatz beim Magnetisieren.63 Seine Pariser Erfahrungen mit dem Magnetismus beurteilte Georg Buquoy sehr positiv und besonders erfreut zeigte er sich über die Tatsache, dass die dortigen Magnetiseure ihre Methode zur Behandlung von Somnambulismus einsetzten. Deleuze schätzte, dass es zur damaligen Zeit in Paris etwa zweihundert Menschen gab, die an Schlafwandeln leiden und Graf Buquoy vertraute auf die Möglichkeit der Heilung durch die Magnetkunst. Im Gegensatz zu den Deutschen64 haben die 61 62 63 64

Nicholas Goodrick-Clarke, The Western Esoteric Traditions. A Historical Introduction, New York 2008, S. 173–190. E. Hirsch, Graf, S. 46. Ebd., S. 47–48. Zur Rezeption im deutschsprachigen Raum vgl. beispielsweise Heinrich Jung-Stilling (1740– 1817), der in seinem Werk Theorie der Geisterkunde (1808) über Welten schreibt, die mystische Erfahrungen vermitteln können und er zählt auch den animalischen Magnetismus dazu.

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Franzosen nicht das Bedürfnis, hinter diesen Phänomenen nach Wundern zu suchen, obwohl sie, so Buquoy, selten, aber nachweislich geschehen.65 Auf dem Rückweg legte der Graf einen Zwischenstopp in München ein und besuchte den Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854). In seinem Reisetagebuch notierte er, der 24. Juni 1818 sei aufgrund dieser Begegnung einer der interessantesten Tage in seinem Leben gewesen. „Der berühmte Schelling“, wie er den deutschen Philosophen nennt, sprach ihm im Laufe eines einzigen Vormittags „weit mehr [zu] als in seinen, übrigens so ausgezeichneten Schriften“.66 Diese Begegnung empfand Buquoy als angenehme Erfrischung nach den Tagen bei „ausgetrockneten, depauperierten und ideenarmen Franzosen“, von denen der berühmte Philosoph angeblich die gleiche Meinung hatte. Der Graf freute sich natürlich auch über Schellings Interesse an seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Das neueste Werk Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur war ihm zwar noch nicht bekannt, aber die älteren Arbeiten kannte er sehr wohl, hatte sogar treffende Bemerkungen dazu. Die deutsche Naturphilosophie, als deren Hauptvertreter Schelling gilt, war eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Georg Buquoy.67 Zu diesem spezifischen Zweig der Naturwissenschaft, der vom ausgehenden 18. bis zu den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts sehr einflussreich war, bekannte sich eine große Gruppe von Romantikern aus dem Umfeld der Jenaer Universität. Wie der amerikanische Historiker Peter Hanns Reill aufzeigt, stand ihre Philosophie im weltanschaulichen Gegensatz zum aufklärerischen Rationalismus. Die Naturphilosophen warfen den Aufklärern die Zergliederung des Universums in viele Einzelbereiche vor, so dass man es von nun an nicht mehr als Einheit begreifen konnte. Die Aufklärer hätten zwar viele Phänomene verstanden, seien aber in ihren Forschungen nicht imstande gewesen, über das Materielle hinauszugehen, sie hätten die Gefühle unterschätzt und infolge dieser Einstellung zuletzt auch den Verlust der Harmonie der Welt verursacht. Deswegen wurden die Wissenschaftler der Aufklärung von ihren Nachfolgern kritisiert. Einer der Hauptpunkte der Kritik war deren Überschätzung der Rolle des Menschen in der Natur. Die Naturphilosophen waren überzeugt, dass der Mensch ein Bestandteil der Natur war und ihren Gesetzen unterlag. Sie lehnten ganz grundsätzlich die Vorstellung ab, dass der Mensch außerhalb der Natur stünde oder ihr gar überordnet sei. Die Naturphilosophie kann vielleicht allgemein als ein Versuch verstanden werden, die menschliche Verbindung zur Natur zu erneuern, den geistigen und unbewussten Bestandteil der Existenz wiederzugewinnen, die Fragmentierung des Weltbildes zu unterbinden und die Harmonie zwischen Natur und Menschheit wiederherzustellen.68

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Im Jahr 1817 findet man änhliche Ideen auch im Buch Über das Extase oder das Verzücktstein der magnetischen Schlafredner von Franz von Baader (1765–1841). Als erstes wurde diese Ansicht wohl von Johann Lavater (1741–1801) im deutschsprachigen Raum vermittelt. Vgl. N. Goodrick-Clarke, The Western Esoteric Traditions, S. 187–189. E. Hirsch, Graf, S. 48. Zu der Begegnung siehe Ebd., S. 49–50; M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 22– 23. G. von Buquoy, Auswahl, S. 16–17. P. H. Reill, Vitalizing Nature, S. 199–236.

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An der Jahrhundertwende sympathisierte auch Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) mit der Naturphilosophie, für die er sich seit seiner Arbeit auf dem Felde der Morphologie der Natur interessierte.69 Nach 1807 beschäftigte er sich aber bereits intensiv mit der Farbenlehre, die auch eines der Hauptthemen der persönlichen Begegnungen wie auch des Briefwechsels zwischen Goethe und Buquoy war.70 Goethe versuchte durch Überlegungen und Experimente das Phänomen der Farbe in seiner Ganzheit sowohl aus der Perspektive der Physik als auch beispielsweise der Ästhetik zu erklären. Er zeigte sich deshalb sehr interessiert an Buquoys Refraktometer, zu dessen Funktionsweise er einige Bemerkungen machte.71 Buquoys Interesse an der Farbentheorie bezeugen seine Lektüreexzerpte aus der Literatur nach Oktober 1814 (Das Wichtigste aus der neueren Literatur über Mathematik, Chemie, Physik, Technologie, Staatswirtschaft etc.), unter denen sich beispielsweise Notizen zum Buch des deutschen Arztes Christoph Heinrich Pfaff (1773– 1852) finden. Pfaff hielt in seiner Schrift Über Newton’s Farbentheorie, Herrn von Goethe’s Farbenlehre und den chemischen Gegensatz der Farben von 1813 Goethes Theorie für sehr attraktiv, aber nicht tragfähig genug. Trotzdem hatte Buquoy weiterhin Vertrauen in die Farbentheorie seines Freundes, obwohl Pfaffs Buch nicht die einzige Kritik war, auf die er stieß.72 Bei seinem Aufenthalt in Karlsbad im Sommer 1818 begleitete Georg Buquoy Goethe bei seinen naturwissenschaftlichen Wanderungen in der Umgebung und war ihm ein treuer Gesprächspartner in fachlichen Diskussionen. Sie sprachen über Goethes Gedichtsammlung West-östlicher Divan und natürlich auch wieder über die Farbenlehre. Laut Bericht des Grafen Eugen Czernin von Chudenitz (1796– 1868) versuchte Buquoy eifrig, die Farbenlehre mathematisch zu untermauern und

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Die Morphologie der Natur verstand er zunächst sehr allgemein als eine Wissenschaft von den Formen der Objekte der belebten wie unbelebten Natur. Zu diesem Thema vgl. Dušan Pleštil, Okem ducha. Živá příroda v přírodovědných spisech Johanna Wolfganga Goetheho [Mit dem Auge des Geistes. Die belebte Natur in den naturwissenschaftlichen Schriften Johann Wolfgang von Goethes], Praha 2006, S. 103–115. Buquoy unterhielt die Kontakte mit Goethe auch dank der Vermittlung des Komponisten Wenzel Johann Tomaschek (1774–1850), bei dem er zunächst selbst Klavierunterricht genommen und später in seine Dienste eingestellt hatte. Goethe fand Gefallen an Tomascheks Musik und Buquoy bewegte den Komponisten zur Vertonung einiger von Goethes Dichtungen. Zur Person von Wenzel Johann Tomaschek vgl. beispielsweise Markéta Kabelková, Wenzel Johann Tomaschek, nebo Václav Jan Tomášek? Německy mluvící Čech aneb život na hranici dvou jazyků [Wenzel Johann Tomaschek, oder Václav Jan Tomášek? Ein deutschprachiger Tscheche oder: Das Leben an der Grenze von zwei Sprachen], Hudební věda 46, 2009, S. 341–354. Tomášek verfasste sogar seine Memoiren. Siehe Wenzl Johann Tomaschek, Selbstbiographie, Libussa 1845, S. 349–389; 1846, 231; 1847, 411–441; 1848, 487–494; 1849, 485–503; 1850, 323–350. Vgl. hierzu den Brief von Johann Wolfgang Goethe an Georg Buquoy, Teplice 4. August 1813. R. Teichl, Goethe, S. 19–20; M. Buquoy, Begegnungen, S. 19–20. Bei seiner Reise nach Paris 1815 beklagt er sich in seinem Tagebuch, dass man es sich wahrlich sparen könne, mit den Franzosen über Goethes Farbenlehre zu sprechen, da sie diese als unsinnig betrachten würden. Vgl. den Eintrag vom 4. September 1815. M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 143

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dadurch ihre Richtigkeit zu beweisen.73 Als Freundschaftsbeweis schenkte Goethe dem Grafen ein Exemplar seiner Schrift Zur Kenntniß der böhmischen Gebirge mit Widmung, und auch Georg Buquoy erweiterte im Laufe der folgenden Jahre die Bibliothek seines Freundes um einige Bände seiner Arbeiten.74

Der eigene Weg 1822 veröffentlichte Buquoy ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens. Eingeleitet wird es durch das didaktische Gedicht Das Forschen des Menschen in den Mysterien der Natur75 und die restlichen Seiten sind ausführliche Erklärungen zu den einzelnen Versen, die als „Fragmente zur Meditation und Dichtung über das Erscheinen der Natur und über dessen Reflex am Geiste des Menschen“76 gedacht waren. Bereits drei Jahre nach der Veröffentlichung dieser umfangreichen Arbeit, 1825, erschien in Leipzig ein weiteres bedeutendes Werk von Georg Buquoy mit dem Titel Anregungen für philosophisch-wissenschaftliche Forschung und dichterische Begeisterung.77 Es besteht aus verschiedenen Aufsätzen zu Philosophie, Geschichte, Medizin, Mathematik, Physik und Rechtskunde. Interessant an diesem Werk ist die Tatsache, dass Buquoy seinen bisherigen Inspirationsquellen eine Absage erteilt und für den einzigen Weg zur Erkenntnis von nun an ausschließlich seinen eigenen Verstand hält.78 Sein neues philosophisches Weltbild legt er im Einleitungskapitel mit dem prägnanten Titel Meine philosophische Grundansicht dar.79 Diese Arbeit berei73 74

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J. Urzidil, Goethe, S. 169–171. Darin wird der Eintrag aus Černíns Tagebuch vom 4. August 1818 zitiert. Im Archiv haben sich vier von Goethe signierte Quittungen über den Empfang von Buquoys Büchern erhalten. Dank dieser Tatsache wissen wir also, dass er die Werke Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur (im Jahr 1818), Zusammenstellung einiger Hauptmomente aus der Geotomie, Phytotomie und Zootomie (1820), Eine neue Methode für Infinitesimalkalkül (1821), Anrengungen für philosophisch-wissenschaftliche Forschung und dichterische Begeisterung (1824, das Erscheinungsjahr ist allerdings erst 1825) besaß. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 202, Inv. Nr. 975. Georg von Buquoy, Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens I–II, Leipzig 1822, S. XLI–L. So lautet der Interpretativteil des Buches. Ebd., S. 3–134; 5–312. Dieses Buch war der Grund eines Konflikts mit der Zensurbehörde. Der Graf ließ nämlich ohne Genehmigung dreihundert Exemplare dieses Werks im Leipziger Verlag Breitkopf und Härtel drucken und versandte sie an alle möglichen Wissenschaftler und Institutionen. Zum Konflikt E. Hirsch, Graf, S. 59. Noch demonstrativer bringt er es in seiner Autobiographie zum Ausdruck, wo er schreibt, dass die deutsche Naturphilosophie Inspiration für ihn war, aber – und das betont er – keineswegs als das Fundament seiner Werke angesehen werden darf. Er hätte recht bald erkannt, dass es sich lediglich um „oberflächige[r] Uibersichten, schielende[r] Analogien, poetische[r] Faseleyen, mystische[r] Schwärmereyen und Tändeleyen“ handele, bei der das Poetische über die materialistische Grundeinstellung hinwegtäuschen wolle. G. von Buquoy, Auswahl, S. 16–17. Georg von Buquoy, Anregungen für philosophisch-wissenschaftliche Forschung und dichterische Begeisterung, in einer Reihe von Aufsätzen eigenthümlich der Erfindung nach und der

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tete laut Ernst Hirsch Buquoys zweite philosophische Periode vor, die erst in den vierziger Jahren, in den philosophischen Aphorismen in der von dem Philosophen Lorenz Oken (1779–1851) herausgegebenen Jenaer Zeitschrift Isis80 sowie den im Archiv erhaltenen handschriftlichen Werken, ihren Höhepunkt fand.81 In dieser Zeit förderte der Graf die Wissenschaft auch als Organisator und Mäzen. Bereits 1818 wurde er während seines Aufenthalts in Paris zum korrespondierenden Mitglied der Société d’encouragement pour l’industrie nationale, weitere Mitgliedschaften folgten. Die erhaltenen Diplome zeugen davon, dass er im Laufe von zehn Jahren ordentliches, korrespondierendes oder Ehrenmitglied von zwanzig vorwiegend naturwissenschaftlichen Gesellschaften insbesondere in den deutschen Ländern und Böhmen war, bis 1849 stieg diese Zahl auf fünfunddreißig.82 Der im Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erhaltene Briefwechsel verrät uns Einzelheiten über die Wahl von Georg Buquoy zum korrespondierenden Mitglied in einer dieser Gesellschaften. Vorgeschlagen hat den Grafen (zusammen mit Franz Josef Gerstner) ein ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der deutsche Arzt Joseph von Baader (1763–1835) als „eine seltene Ausnahme unter dem reichen Adel, [der] noch keine Ehrenstelle als die eines böhmischen Landesstandes gesucht hat, und seine ganze Zeit den Wissenschaften widmet“. Er hob Buquoys naturwissenschaftlichen, mathematischen und wirtschaftlichen Arbeiten hervor. Nachdem der Vorschlag angenommen wurde, schritt man zur Wahl zunächst in der Sektion für Mathematik, Mechanik und Analyse, in der Gerstner die volle Stimmenzahl erreichte und Buquoy nur knapp mit fünf Stimmen von neun gewählt wurde. Bei der anschließenden allgemeinen Versammlung sprachen sich für Gerstner sechzehn von achtzehn Anwesenden, für Buquoy vierzehn aus.83 Beide wurden somit 1823 Mitglieder der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Zu diesem Zeitpunkt war Graf Buquoy bereits ein anerkannter Vertreter der europäischen Wissenschaft, was neben seinen Mitgliedschaften in Dutzenden Fachgesellschaften auch durch seinen Briefwechsel belegt wird. Verschiedene europäische Wissenschaftler wandten sich mit Fachfragen an ihn. Der Brief des französischen Mathematikers Joseph Diaz Gergonne (1771–1859), Herausgeber der Annales de mathématiques pures et appliquées, lässt darauf schließen, dass seine Arbeiten auch in Frankreich geschätzt wurden. Dies bestätigt auch das Schreiben des

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Ausführung, Leipzig 1825, S. 3–39. Obwohl das Kapitel denselben Titel trägt wie die in diesem Buch editierte Schrift, handelt es sich nicht um denselben Text. Okens Monatszeitschrift Isis erschien in Jena in den Jahren 1817–1848 zunächst als Isis oder Encyclopädische Zeitung, später mit dem Untertitel encyclopädische Zeitschrift, vorzüglich für Naturgeschichte, vergleichende Anatomie und Physiologie. Die Beiträge widmeten sich in erster Reihe der Wissenschaft, aber auch politischen und gesellschaftlichen Themen. Zu dieser Zeitschrift vgl. Klaus Schäffner, Lorenz Oken – ein biographisches Profil, in: Dietrich von Engelhardt / Jürgen Nolte (Hrsg.), Von Freiheit und Verantwortung in der Forschung. Symposium zum 150. Todestag von Lorenz Oken (1779–1851), Stuttgart 2002, S. 130–137, bes. S. 131–134. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175–187. Ebd., Kart. 203. Die Edition der Briefe im Anhang der Publikation von M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 241–243.

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deutschen Mathematikers August Leopold Crelle (1780–1855), der sich bei Buquoy für sein Buch bedankt und ihm im Gegenzug seine eigenen Werke zusendet, einschließlich der neuen Zeitschrift Journal für Mathematik, der er ähnliche Publizität wie Gergonnes Annales sichern möchte und hofft, bei dem Grafen Unterstützung zu finden.84 Viele andere Kontakte waren eher formalen Charakters, oft wohl nur in Form von Briefwechseln und von kurzer Dauer, dennoch zeugen sie von den breitgefächerten Kenntnissen und vielfältigen Interessen des Grafen. In Prag verkehrte Graf Buquoy unter anderem in den Salons der beiden Cousins Kaspar Sternberg (1761–1838) und Franz Sternberg-Manderscheid (1763–1830) im Palais Sternberg auf der Kleinseite, wo auch der Slawist Josef Dobrovský (1753– 1829) und der Historiker František Palacký (1789–1876) oft zu Gast waren.85 Möglicherweise waren es deren Überredungskünste, die ihn zu seinen Aktivitäten bei der Entstehung des Vaterländischen Museums in Böhmen brachten. Das Museum sollte durch wechselnde und dauerhafte Ausstellungen vieler Sammlungen den Fortschritt der Wissenschaft präsentieren, die Fragmente der nationalen Vergangenheit aufbewahren, auf ihren Reichtum hinweisen und dadurch den Patriotismus fördern. Georg Buquoy stiftete dem Museum bis Ende des Jahres 1819 fünfhundert Gulden und zählte damit offiziell zu seinen Gründern.86 Er erweiterte die Museumsbibliothek um seine eigenen Schriften87 und wollte den Verleih von Fachliteratur von Privatbibliotheken einführen, allerdings ohne Erfolg. 1829 kaufte er vier Aktien des Museums und in den Jahren 1820 bis 1835 beteiligte er sich als Mitglied des Museumskomitees durchaus aktiv an seinem Betrieb. Bei seiner ersten Wahl erhielt er sogar nach František Sternberg-Manderscheid die höchste Stimmenzahl.88 In den vierziger Jahren erwachte Buquoys Interesse am politischen Geschehen. Aufgrund seiner gelegentlichen Probleme mit der Zensur hegte er kaum Sympathien für die österreichische Politik und unterstützte den Gedanken der Entstehung einer Konstitution im Rahmen der Habsburger Monarchie. Seine Vorstellungen über das Funktionieren einer Gesellschaft formulierte er in seiner utopischen Schrift Gespräche über einen Idealstaat. Die Arbeit hat die Form eines Dialogs zwischen einem dreißigjährigen Adeligen und seinem einstigen Erzieher. Die Ansichten der beiden 84 85 86

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M. Morawetz, Korespondenční kontakty; L. Nový, K vědeckých zahraničním stykům, S. 3–4. R. Krueger, Czech, German, and Noble, S. 124. Er gehörte aber auch in den folgenden Jahren zu den Förderern der Einrichtung. Laut Václav Nebeský zahlte Buquoy hundert Gulden jährlich als Beitrag für das Museum und stiftete tausend Gulden an Matice česká. Die Summen werden bereits in der neuen Währung – dem österreichischen Gulden – angegeben. Vgl. Václav Nebeský, Dějiny Musea království Českého [Geschichte des Museums des Königreichs Böhmen], Praha 1868, S. 196. An der Wende der Jahre 1827 und 1828 stiftete der Graf der Museumsbibliothek zwanzig Exemplare seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Helga Turková wollte den Verwendungszweck dieser Bücher untersuchen und stellte fest, dass sie gar nicht gelesen worden waren. Die meisten von ihnen waren nicht einmal aufgeschnitten und die übrigen wohl bereits bei der Bindung beschnitten worden. Vgl. H. Turková, Zapomenutý polyhistor, S. 143–145. Von 1820 an war er Mitglied des provisorischen Komitees, ab 23. Dezember 1822 dann Mitglied des Verwaltungskomitees. In dieses wurde er dann erneut am 30. März 1829 und 9. April 1831 gewählt. Der Austritt erfolgte dann am 30. April 1835. Ebd., S. 142–143; V. Nebeský, Dějiny, S. 188 und 190.

Der eigene Weg

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Diskutierenden spitzt er zu, um sie dann ganz am Schluss zu mäßigen und anzudeuten, dass die beste Lösung für extreme Positionen wäre, sie gegenseitig ins Gleichgewicht zu bringen. Als Hauptprobleme seiner Zeit galten dem Grafen die Einschränkung der menschlichen Natur durch die weltlichen Gesetze und die Anordnungen der Kirche einerseits, sowie die durch ungleiche Besitzverhältnisse verkehrten zwischenmenschlichen Beziehungen andererseits. Er wollte den gegenwärtigen Zustand durch Erziehung verbessern, die zur Bildung von disziplinierten und intellektuell freien Bürgern führen würde. An der Regierung des Staates sollten sich intellektuell und moralisch reife Bürger beteiligen, die den anderen freien Zugang zu Bildung und geistigem Vergnügen sichern sollten. Für die beste Regierungsform hielt Buquoy die Demokratie, zudem einen Staat, dessen Bewohner nicht durch Gesetze und Verordnungen eingeschnürt wären und sich frei geistig und emotional entfalten könnten. Das wirkliche Ziel eines funktionierenden Staates sei ein möglichst großer Raum für die Selbstverwirklichung des Menschen in intellektueller wie körperlicher Hinsicht.89 Im März 1848 war er bei der Versammlung im Wenzelsbad zugegen, wurde in den Ausschuss gewählt und beteiligte sich auf diese Weise an der Erarbeitung der Petition an den Kaiser, welche die Forderungen auf Anerkennung der beiden Landessprachen sowie auf die Einhaltung der Rechte der Böhmischen Krone enthielt. Einige Tage später stiftete er dem Ausschuss achttausend Gulden zur freien Verfügung und seine Popularität stieg rapide an.90 Er förderte auch Studenten und dem Arbeiterfonds schenkte er über dreizehneinhalb Tausend Gulden. In Prag kursierten Geschichten über Buquoys starke Position, was die Polizei nervös machte. Es wurde auch ein Gerücht in Umlauf gesetzt, demzufolge der siebenundsechzigjährige Graf mit Josef Václav Frič (1829–1890) und Frankreich Pläne zum Sturz des Herrschers und zur Errichtung der Republik schmiede.91 Nach den Pfingstunruhen 89

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Georg Buquoy veröffentlichte in der Zeitschrift Isis die einleitenden Passagen seiner Schrift, die allerdings nur die Ausgangsthesen seiner Anschauung enthalten, von denen er sich dann in den unveröffentlichten Teilen der Studien abwendet. Es ist deshalb erforderlich, sein gesamtes Werk zu studieren. Vgl. Georg von Buquoy, Die ersten Blätter aus Gesprächen über einen Idealstaat, Isis, 1840, S. 409–418. In Gestalt einer Romantrilogie hat sich das ganze Werk im Nachlass des Grafen erhalten. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 178–180. Die Situation wird von dem Publizisten Karel Sabina in seinen Memoiren geschildert, der Buquoy ein ganzes Kapitel seiner Erinnerungen widmete. Karel Sabina, Vzpomínky [Erinnerungen], Praha 1937, S. 93. Das Kapitel über Buquoy erschien in deutscher Übersetzung in M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf Georg, S. 215–240. Vor allem Terezie Palacká zeigte sich sehr beunruhigt durch diese Gerüchte. Sie schrieb an ihren Mann František Palacký, dass man sich erzählt, dass Georg Buquoy mit dem Prager Wirt Petr Faster (1801–1868) nach Frankreich fahre, um Verbündete zu suchen, dann wieder, dass Buquoy und Frič in Verbindung mit Frankreich republikanische Pläne hegen würden. In den Briefwechsel schaltete sich auch ihre Tochter Marie ein, die den Vater bat, ihnen mehr Informationen über die Menschen, mit denen er verkehrt, unter anderem über Buquoy, zukommen zu lassen. Palacký beruhigt sie von Prag aus damit, dass es sich tatsächlich nur um Gerüchte handele. Vgl. die Briefe von Terezie Palacká an František Palacký, Lobkowitz 20. Juni 1848 und 23. Juni 1848, von Marie Palacká an František Palacký, Lobkowitz 23. Juni 1848 und František Palacký an Terezie Palacká, Prag 23. Juni 1848. Jiří KoŘalka (Hrsg.), Lobkovický zámek v Neratovicích v životě a díle Františka Palackého [Das Lobkowitzer Schloss in Neratowitz im Leben und Werk von František Palacký], Praha 2007, S. 137–138; 143–147.

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Graf Georg Buquoy (1781–1851): Kurzer Lebenslauf

wurde er wegen seiner politischen Ansichten festgenommen und in der Georgskaserne auf dem Hradschin inhaftiert. Nach mehrmaligem Verhör ließ man ihn einen Monat später wieder frei. Er zog sich daraufhin aus dem öffentlichen Leben zurück, übergab den Familienbesitz seinem Sohn Georg Johann (1814–1883) und lebte bis zu seinem Lebensende mit seiner Frau vorwiegend in Rothenhaus. Er starb noch vor seinem siebzigsten Geburtstag am 19. April 1851 in Prag und wurde in der Familiengruft in der Gratzener Servitenkirche bestattet.

Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys Inspiration für nachfolgende Generationen? Georg Buquoy veröffentlichte im Laufe seines Lebens fünfundzwanzig Bücher, hundertvierzig kurze Aufsätze in Zeitschriften1 und in seinem Nachlass finden sich an die hundert weitere Schriften. Es stellt sich also die Frage, wie seine schriftliche Hinterlassenschaft zu interpretieren ist und welchen Platz unter seinen Werken die hier editierte Handschrift einnimmt. Der Historiker Ivo Cerman, dessen Theorie sich auch in diesem Fall als tragfähig erweist, warnt davor, die adelige Literatur rigide in gedruckte Arbeiten und unveröffentlichte Handschriften zu unterteilen, denn dies würde den Blick auf das Gesamtwerk des Autoren verzerren.2 Cerman versteht Druck und Handschrift als zwei extreme Pole einer imaginären Achse – und in den zahlreichen Übergangsformen dazwischen haben sich die unveröffentlichten Schriften in den adeligen Hinterlassenschaften erhalten. Zu deren besseren Bestimmung schlägt er die Berücksichtigung folgender Faktoren vor: das Umfeld, in dem die Handschrift entstand (Amt, adeliger Salon, einsamer Ort), die Form (von der Handschrift bis zum Druck), der anvisierte Adressat sowie das kommunikative Ziel (die Mitteilung des Textes). Die Anwendung dieses Konzepts auf Buquoys Nachlass erleichtert die Orientierung in seinem umfangreichen Werk. Die Differenzierung der gedruckten Arbeiten wird durch Quellen ermöglicht, die deren Distribution und den Umgang mit ihnen erklären.3 Während die Zielgruppe einiger Bücher von Georg Buquoy ein breiter und nicht näher spezifizierter Kreis von Fachleuten war, entstanden andere als Gelegenheitsdrucke, die einer konkreten Lesergruppe die Ansichten des Grafen nahebringen sollten und wieder andere als Popularisierung neuer technologischer Methoden oder lediglich als Denkanstoß für „gebildete Leser und Leserinnen“. Im Falle der in handschriftlicher Form erhaltenen Texte kann man aufgrund ihrer Gestalt differenzieren – ist ein Bucheinband vorhanden, handelt es sich um eine kalligraphische Abschrift oder um einen mit Randbemerkungen des Autors übersäten Text? Im Nachlass finden sich Konzepte anderer Arbeiten sowie einige glossierte Handschriften desselben Werks, entlang derer sich die gedankliche Entwicklung Buquoys verfolgen lässt. Aber auch kleinere Schriften, die nur für ihn selbst gedacht waren und ihm beim Ordnen von Gedanken helfen oder der einfacheren Ori1 2 3

Verzeichnis der veröffentlichten Bücher und Artikel bei M. Folkerts / G. K. Michajlov, Graf, S. 195–213. I. Cerman, Šlechtická kultura, S. 282–285. Es handelt sich vorwiegend um Quittungen von wissenschaftlichen Institutionen und Personen über den Empfang von Buquoys Schriften und die wissenschaftliche Korrespondenz des Grafen. Näher hierzu M. Morawetz, Korespondenční kontakty.

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys

entierung in verschiedenen Fächern dienen sollten. Einige der Schriften sah der Graf als fertig an – diese sind in Schönschrift verfasst und in zwei Fällen auch mit einem Bucheinband versehen; die anderen sind aber zumindest in Archivkartons gelagert, in denen sie sich bis heute erhalten haben. Sehr aufschlussreich ist auch die Form, in der hier Buquoys Name erscheint. Während er bei den für die Öffentlichkeit bestimmten Arbeiten mit „Graf Georg von Buquoy“ unterschrieb, oft auch mit dem Zusatz „Doktor der Philosophie und mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitglied“, ist bei den unveröffentlichten, an einen kleineren Kreis von Verwandten und Bekannten adressierten Handschriften die aus der Familienkorrespondenz bekannte informellere Form „Georges Buquoy“ üblich. Im 18. und 19. Jahrhundert dienten Handschriften häufig zum Vorlesen in adeligen Gesellschaften oder waren zumindest für diesen Zweck bestimmt, in Buquoys Fall lässt sich eine solche Praxis aber nicht durch Quellen nachweisen. Der Zweck der Studie Kern meiner philos. Grundansicht war aber noch ein anderer. 1848 übergab Georg Buquoy die Verwaltung des gesamten Familienbesitzes an seinen Sohn und behielt nur seine Handschriften.4 Der neue Inhaber des Fideikomiss Georg Johann Buquoy nahm großzügig angelegte Umbauten der buquoyschen Residenzen im Geiste seiner eigenen romantischen Vorstellungen in Angriff. Im Rahmen dieser Umgestaltungen ließ er in der Burg in Gratzen einen der beiden Räume mit aufbewahrten Schriftstücken als repräsentatives Familienarchiv einrichten. Die eigenhändige Notiz von Georg Buquoy auf der Schrift lässt darauf schließen, dass er sie noch zu Lebzeiten im Familienarchiv deponierte und das Nachlassinventar seiner Schriften vermittelt uns wiederum die Information, dass sie tatsächlich nicht zusammen mit den anderen aufbewahrt wurde.5 Die Annahme jedoch, dass sich die Schrift Kern meiner philos. Grundansicht im gleichen Raum mit den repräsentativen Dokumenten der Familiengeschichte befunden hätte, ist aufgrund der fehlenden repräsentativen Ausstattung als unwahrscheinlich zurückzuweisen.6 Warum nahm der Graf sie aber dann heraus und ließ sie im Familienarchiv deponieren? Als Erklärung bietet sich die Hypothese an, dass der Graf das Werk als abgeschlossen betrachtete, das keiner Überarbeitung mehr bedurfte, gleichzeitig aber für kommende Generationen der Buqouys als Inspiration erhalten bleiben sollte. Auch manche Stellen aus dem Werk scheinen diese These direkt zu unterstützen.

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Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 174. Ebd., Kart. 205. Neben den wichtigsten Belegen der Familiengeschichte befanden sich im Repräsentationsraum auch Dokumente zur Lebensgeschichte des kaiserlichen Generals Karl Bonaventura Buquoy (1571–1621), der für die Selbstpräsentation der Familie als Hauptidentifikationsfigur diente. Zum Inhalt des Repräsentationsarchivs Ladislav HOFMANN, Bericht über das gräflich Buquoysche Archiv in Gratzen, in: Die Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Archivalien zur neueren Geschichte Österreichs I, Wien 1913, S. 35–51.

Grundannahmen des buquoyschen Philosophierens

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Grundannahmen des buquoyschen Philosophierens Nun wenden wir uns dem Inhalt dieses Werks zu, also den philosophischen Ansichten Buquoys. Er versucht darin die Methode seines Forschens darzulegen, also die Art und Weise, wie es ihm gelingt, an transzendentale Gedanken zu kommen und mit ihnen zu arbeiten. Zunächst müssen deshalb die im Werk vorkommenden Grundbegriffe erläutert werden. Der grundlegende Begriff von Buquoys Philosophie ist Natur, manchmal auch als Naturganzes bezeichnet und im allgemeinen Sinne des Wortes als Universum verstanden. Der Mensch ist fähig, die Natur in fünf Erscheinungsformen wahrzunehmen, die der Graf Biotismen nennt. Er unterscheidet zwischen Gesteinen (Lithobiotismus), Pflanzen (Phytobiotismus), Tieren (Zoobiotismus), Menschen (Anthropobiotismus) und „Kulturen“ (Polibiotismus), wo beispielsweise die geschichtliche Entwicklung oder Staaten unterzubringen wären. Näher geht der Graf auf die einzelnen Biotismen nicht ein. Als Weiterführung der Annahme, dass der Mensch ein Bestandteil der Natur ist und sich an ihrem Sein beteiligt, unterscheidet Buquoy aus der Perspektive des Menschen zwei Welten – eine innere und eine äußere. Die innere Welt der Natur wird durch die Aktivität des menschlichen Ich repräsentiert, die äußere ist dann der Rest der sichtbaren Welt (Erscheinungswelt). Das menschliche Individuum ist ein endlicher und physischer Bestandteil der Natur, es kann über die Natur nachdenken und sie beobachten. Das Nachdenken über die Natur besitzt aber nicht den gleichen Charakter wie der Mensch – es ist weder endlich noch physisch, sondern metaphysisch. Der Mensch ist eben wegen dieses Unterschieds nicht fähig, den Gedanken selbst zu produzieren, aber er kann ihn in einem bestimmten Maße weiterführen und entfalten. Der Schwerpunkt von Buquoys philosophischer Weltanschauung ist die Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur bzw. dem metaphysischen Gedanken, den der Graf Metaphysikon nennt. Er geht davon aus, dass der Mensch sich ähnlich wie die Natur aus zwei Grundkomponenten zusammensetzt – der körperlichen und geistigen. Die intellektuelle Tätigkeit gehört in die Kompetenz der letzteren, die auch für die sog. Formen der menschlichen Anschauung verantwortlich ist.7 Buquoy nennt hier Kategorien wie wirklich und fiktiv, körperlich und geistig, objektiv und subjektiv, Ja und Nein und viele andere mehr.8 Diese Kategorien spielen eine wichtige Rolle bei der Aufnahme metaphysischer Gedanken. Der Gedanke kann vom Menschen aufgenommen werden, wenn die wechselseitige Harmonie in drei Schritten erreicht ist – in der ersten Phase kann der Gedanke mit Hilfe der Formen der Anschauung identifiziert werden, in der nächsten stellt sich kein Widerspruch zu den bereits erworbenen Erkentnissen ein und zuletzt erreicht er die Gesamtharmonie, d. h. vereint sich mit dem Menschen selbst.9 Der Graf schreibt, dass ihm das Philosophieren innere 7 8 9

Der Begriff Anschauung wird in der zeitgenössischen Philosophie für die Art und Weise der Kommunikation mit höheren Seinsweisen verwendet. Vgl. H. P. Reill, Vitalizing Nature, S. 9. Kant bezeichnet damit die sinnliche Wahrnehmung im Gegensatz zur Vernunfterkenntnis. Näher hierzu fol. 4–5 in der editierten Schrift. Der scheinbar komplizierte Prozess ist deshalb erforderlich, weil der Mensch von sich aus des metaphysischen Denkens unfähig ist und ein solcher Gedanke ihm nur gegeben werden kann.

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys

Harmonie bringt, vereint also die beiden Komponenten des Menschen und nähert sich dem Metaphysischen, was ja auch ein Grundanliegen seines Strebens ist. In der vorliegenden Arbeit wird Buquoys Philosophie absichtlich als philosophische Anschauung bezeichnet. Dies korrespondiert nämlich viel besser mit seiner eigenen philosophischen Konzeption, denn Georg Buquoy ist überzeugt, dass die Philosophie selbst keinen rechten Sinn hat. Dem Menschen ist nicht die Fähigkeit gegeben, die Philosophie als ein geschlossenes Ganzes, als ein Schema oder System aufzubauen, denn eine solche Philosophie würde die Dauerhaftigkeit des Metaphysischen erfordern, was eben unmöglich sei. Der Mensch sei nicht metaphysisch und es gehe über seine Kräfte hinaus, so etwas in seiner Komplexität zu begreifen. Seine intellektuelle Tätigkeit bezeichnete der Graf deshalb lieber als Philosophieren bzw. philosophische Anschauung. In diesem Zusammenhang formuliert er Kritik an dem aus seiner Sicht falsch verwendeten Begriff Metaphysik. Da der Mensch nun einmal physisch sei und nicht metaphysisch, können die Ideen aus dem Bereich der Metaphysik weder von ihm stammen noch ist er in der Lage, sie gänzlich zu begreifen. Sie können ihm aber offenbart werden – er kann sie dann weiterführen und sich eine Vorstellung von der Einheit des Universums machen.10 Das Philosophieren darf hier aber nicht als ein bloßes Sortieren von erworbenen Erkenntnissen oder Ansichten über die Natur verstanden werden. Es handelt sich um einen intellektuell anspruchsvollen Prozess, dessen Voraussetzungen und Gesetzmäßigkeiten in den folgenden Kapiteln behandelt werden. Fügen wir an dieser Stelle vielleicht noch hinzu, dass laut Buquoy dem Menschen die Sehnsucht gegeben ist, Dinge begreifen zu wollen, die über ihn selbst hinausgehen. Er philosophiert also nicht bloß um des Philosophierens willen, sondern spürt einen inneren Drang dazu, er muss sich im wahrsten Sinne des Wortes „intellektuell austoben“.

Buquoys Kritizismus Bereits in der Wortwahl („Philosophieren“ statt „Philosophie“) manifestiert sich Buquoys Absicht, den Prozess des eigenen Denkens zu beobachten. Mit der Beziehung des Menschen und seiner Fähigkeit zur Aufnahme von Gedanken ist logischerweise auch die Frage nach Wissen und Vernunft eng verknüpft. Der Graf spricht in seinem Konzept von absolutem Wissen oder Wissen an sich, also einer Art universellem Wissen, das in der Natur existiert und wahrhaftig ist. Der Mensch besitzt nicht die Fähigkeit, dieses Wissen (aufgrund seines metaphysischen Charak-

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Ein Beispiel für ein solches Metaphysisches, d. h. für den Menschen in seiner Ganzheit Unbegreifliches, ist Buquoy zufolge Gott. Der Mensch kann ihn zwar nicht vollkommen begreifen, kann von ihm aber einen Gedanken empfangen oder ihm dank eines Wunders begegnen. Aufgrund der grundsätzlich unterschiedlichen Natur von Mensch und Gott ist es unmöglich, sich ein Bild Gottes zu machen. Hier könnte man von einer Inspiration durch Kant und seine Metaphysikkritik ausgehen, wie er sie 1783 in seinem Werk Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können formulierte. Bei diesem Buch handelt es sich um eine Zusammenfassung seiner Thesen aus der Kritik der reinen Vernunft.

Buquoys Kritizismus

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ters) in seiner Ganzheit zu begreifen noch darüber zu philosophieren; das, was sich ihm zu erkennen gibt, ist nur die Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit ist ein weiterer Begriff, den Buquoy abweichend von seiner üblichen Bedeutung verwendet. Er meint damit nur unser subjektives Gefühl der Wahrheit, im Gegensatz zu der objektiven, allgemeinen Wahrheit, die dem Menschen (ähnlich wie das Wissen) nicht zugänglich ist. Wenn der Mensch eine bestimmte Idee wahrnimmt und diese in Einklang mit seiner Anschauung bringt, verleiht er ihr den Status der Wahrhaftigkeit. Als wahrhaftig kann also das bezeichnet werden, was der Mensch als wahrhaftig empfindet – es ist aber nicht möglich, die Wahrheit an sich zu beweisen. Georg Buquoy bringt hier seine Überzeugung zum Ausdruck, dass das Ergebnis unseres Erkennens lediglich fragmentarisches Wissen sein kann, das nur eine Spiegelung des Wissens an sich ist. In der zeitgenössischen Philosophie fand der Graf keine vergleichbaren Gedanken zum Erkenntnissubjektivismus, deshalb hält er seine Ideen in dieser Hinischt für überaus innovativ. Gestreift wurde das Thema zwar bereits vom deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1803), aber, um es mit Buquoys eigenen Worten auszudrücken, „[…] er hatte nicht gesprengt noch jene den Dämmerwahn von der Lichterkenntniß trennende Schranke“.11 Er spielt hier auf Kants Kritizismus an, mit dessen Hilfe der deutsche Philosoph den Skeptizismus von David Hume (1711– 1776) überwand, indem er den Fokus von den Objekten menschlicher Erkenntnis hin zu der Art und Weise des Erkennens lenkte. Kant legte seine Gnoseologie in seinem erstmals 1781 erschienenen Werk Kritik der reinen Vernunft dar.12 In der Einleitung unterscheidet er zunächst zwischen der reinen und der empirischen Erkenntnis. Alle unsere Erkenntnis beginnt Kant zufolge mit der Erfahrung, die durch verschiedene Objekte unsere Erkenntnis zur Aktivität anspornt. Wenn wir etwas erkennen, tun wir das aber wiederum dank der Erfahrung, denn wir erkennen ein Objekt mit Hilfe der Kenntnis anderer Objekte.13 Kant fragt sich also, ob es eine Erkenntnis ohne Erfahrung geben kann („Erkenntnis a priori“, „reine Erkenntnis“) und kommt zu dem Schluss, dass es sie gibt, und dass es auch solche Erkenntnisse gibt, die überhaupt außerhalb der möglichen menschlichen Erfahrung und gleichzeitig außerhalb materieller Objekte stehen, mit denen der Mensch sie identifizieren könnte. Es handelt sich um die metaphysischen Kategorien Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele, die er später in seiner Kritik der praktischen Vernunft von 1788 weiter ausarbeitete.14 Bis hierhin ist Georg Buquoy mit Kant einverstanden. Die metaphysischen Kategorien, also solche, die sich aus dem Wissen a priori, nicht aus einer empirisch 11 12 13 14

Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 29. 1787 erschien die zweite Ausgabe dieses Werks, die üblicherweise als Ausgabe B gegenüber der früheren Ausgabe A bezeichnet wird. Vgl. Immanuel Kant (hg. von Wilhelm Weischedel.), Kritik der reinen Vernunft, Zürich 1977. Hier bietet sich ein interessanter Vergleich mit Kategorien an, die Buquoy als Formen meiner Anschauung bezeichnet. Auch diese dienen zur Erkenntnis des Objektes, mit anderen Worten zu seiner Identifikation im Denken. Immanuel Kant (hg. von Wilhelm Weischedel), Kritik der praktischen Vernunft, Zürich 1977.

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys

erworbenen Erfahrung herleiten, bezeichnet der Graf als historisches Wissen bzw. historischen Glauben. Dem Menschen müssen solche Tatsachen „von einem Anderen erzählt“ werden und dann von ihm in diesem Moment als vollkommen wahrhaftig erfahren werden – er begreift das „Offenbarte“ dogmatisch. Als Beispiele dafür führt Buquoy die Offenbarung und Wundertaten Gottes an, nach seiner Überzeugung die einzigen wirklich metaphysischen Phänomene. Wenn wir das menschliche Wissen (man kann es auch als Vermutung, in der buquoyschen Terminologie „Dafürhalten“ bezeichnen) als Postulat begreifen, muss auch der Glaube auf die gleiche Art aufgefasst werden. Das menschliche Wissen (Dafürhalten)15 bestätigt laut Buquoy die Existenz der Anschauung in der Natur. Der Glaube wiederum bestätigt die Präsenz des gläubigen Menschen in der Natur. Buquoys Argument lautet also, wenn jemand eine Anschauung von etwas hat, existiert diese Anschauung einfach.16 Ähnlich verhält es sich beim Glauben (foi).17 Wenn jemand an etwas glaubt, dann ist es offensichtlich, dass dies zumindest subjektiv existiert. Eine starke Überzeugung kann der Mensch sowohl im Wissen als auch im Glauben finden. Jedes der Postulate wird als zweifelsfrei erachtet. Bei der Entscheidung, ob es verifiziert oder widerlegt werden soll, ist die individuelle subjektive Empfindung und nicht die allgemeine Meinung ausschlaggebend. Buquoy zeigt hiermit Verständnis für die Individualität jedes Menschen. Angesichts der Tatsache, dass der Mensch ein Bestandteil der Natur ist und alles, was in ihm und um ihn herum geschieht, seine Ursache in der Natur hat, ist naheliegend, dass die Unterschiede zwischen den Menschen auf ihre persönlichen Erfahrungen zurückzuführen sind, dank derer sie Anregungen der inneren wie äußeren Natur auf unterschiedliche Weise verarbeiten. Bisher, so Buquoy, maßen die Philosophen dem Glauben viel zu wenig Bedeutung bei und überschätzten das Wissen. Er versucht, beide Auffassungen ins Gleichgewicht zu bringen. Aus Kants Kritik der reinen Vernunft geht hervor, dass das, was wir erkennen, nicht das reine Wissen an sich ist, sondern nur dessen Ansatz. Georg Buquoy bezeichnete diese Auffassung Kants als Kriticismus der ersten Potenz und fügte ihm seinen eigenen Kriticismus der zweiten Potenz hinzu, indem er behauptet, dass sich nicht beweisen lässt, dass unser Wissen ein Bestandteil des reinen Wissens ist. Kant führte zwar seine Idee vom reinen Wissen aus, aber er kann sie nicht beweisen, weil sie von ihm selbst stammt, d. h. ihren Ursprung in der beschränkten menschlichen Vernunft hat. Hier stellt sich natürlich sofort und unweigerlich die Frage, wie nun Buquoys Theorie zu beweisen wäre. Er war sich aber dieses problematischen Momentes seiner philosophischen Anschauung durchaus bewusst und begriff, dass er durch diese Schlussfolgerung seinen religiösen Glauben dem Zweifel preisgab, denn man muss logisch weiter fragen, ob nicht alles, was er vom Glauben denkt, ob 15 16 17

Das menschliche Wissen wird hier nicht als das allgemeine Wissen an sich verstanden, sondern als die Überzeugung des Menschen, etwas zu wissen, einen Zugang zu einem Teil des Wissens an sich zu haben. Buquoy bezeichnet das menschliche Wissen auch als „Dafürhalten“. Auch hier ist der Einfluss Kants unübersehbar. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 69, B 33. Buquoy verwendet den französischen Ausdruck foi, dem er eine tiefere Bedeutung zuschreibt als dem deutschen Begriff Glaube, der zu sehr in die Richtung von meinen oder vermuten abrutschen kann.

Der esoterische Charakter der menschlichen Erkenntnis

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nicht überhaupt alles, woran er glaubt, eine bloße Vermutung ist. Es wäre ja möglich, dass unsere Gedanken und Vorstellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Der esoterische Charakter der menschlichen Erkenntnis Trotz der gnoseologischen Skepsis, die den Grafen überkam, setzt er sein Philosophieren fort. Sein Ziel war auch nicht so sehr die Grenzen seiner Erkenntnis auszuloten, sondern eher die Harmonie mit sich selbst zu erreichen. Es wurde bereits erwähnt, dass Buquoy das Philosophieren als einen Weg hierzu betrachtet. In seiner Schrift versuchte er, sich der Kommunikation mit der transzendenten Sphäre anzunähern. Den Weg, auf dem dies möglich sei, bezeichnete er ebenso wie seine Zeitgenossen als esoterisch. Da es im Folgenden um den etwas diffusen Begriff „Esoterik“ gehen wird, sollte er im Vorfeld wenigstens ansatzweise definiert werden. In Übereinstimmung mit den Thesen Antoine Faivres wird hier Esoterik nicht als ein Fachgebiet wie etwa Malerei, Philosophie oder Chemie, sondern vielmehr als eine spezifische Art des Denkens aufgefasst und durch das Streben des Menschen nach Erkenntnis dessen, was über ihn hinausgeht und ihm verborgen bleibt, charakterisiert. Hier spricht Faivre vom Geheimnis, das uns lediglich verborgen ist, nicht aber unbedingt geheim bleiben muss, wie manchmal behauptet wird. Die Esoterik in unserem Kulturkreis zeichnet sich Faivre zufolge durch vier Hauptzüge aus.18 Bei dem ersten handelt es sich um Entsprechungen. Alle Teile der sichtbaren und unsichtbaren Welt korrespondieren in gewisser Weise miteinander und sind analog – dies wurde traditionell als die Spiegelung des Makrokosmos (Universums) im Mikrokosmos (dem Menschen) bezeichnet. Die Beziehungen zwischen den einander entsprechenden Komponenten der Welt sind dem Menschen verborgen und seine Aufgabe besteht darin, ihr Geheimnis zumindest ein wenig zu enthüllen. Als zweite Charakteristik gilt die lebende Natur. Das Universum wird als komplex, vielfältig und hierarchisch strukturiert aufgefasst und wie ein Buch gelesen, dessen Seiten die einzelnen Schichten einer schrittweisen Enthüllung darstellen. Dieser Gedanke geht davon aus, dass alle Bestandteile der Natur belebt sind und dass es zwischen ihnen Entsprechungen gibt, deren Harmonie allerdings in manchen Fällen gestört ist. Der Mensch hat den Auftrag, diese Harmonie wiederherzustellen. Als dritten charakteristischen Zug der Esoterik könne man Imagination und Meditation bezeichnen. Hier geht es um den Raum zwischen dem Makro- und dem Mikrokosmos, den sog. Mesokosmos, der den Kontakt zwischen diesen beiden Welten ermöglicht. Die Funktion dieses Verbindungsglieds können für den Esoteriker Engel, Geister oder andere Hypostasien erfüllen. Darin besteht ja auch der Hauptunterschied zwischen Esoterik und Mystik. Der Mystiker bedarf im Gegensatz zum Esoteriker keines Vermittlers, er versucht direkt mit Gott zu kommunizieren. Die letzte der vier Hauptmerkmale der Esoterik ist die Erfahrung der Transmutation. Um das Funktionieren der Beziehungen in der Natur wenigstens ansatzweise zu verstehen, 18

A. Faivre, Esoterik, S. 24–34; vgl. auch Antoine Faivre / Karen-Claire Voss, Western Esoterism and the Science of Religions, Numen 42, 1995, S. 48–77, bes. S. 60–64.

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muss man bereits eine innere Erfahrung mit der esoterischen Spiritualität gemacht haben. Bei ihr handelt es sich nämlich nicht um eine spezifische Art der Beschreibung des Universums, sondern vielmehr um das Verstehen von Phänomenen, die über den Menschen hinausgehen. Diesen vier Hauptmerkmalen der Esoterik fügt Faivre noch zwei weitere, ergänzende hinzu. Die erste bezeichnet er als Konkordanzbildung. In den untersuchten Werken macht er nämlich Tendenzen aus, die nach Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen, teilweise sehr alten esoterischen Traditionen suchen und zeigen wollen, dass die zeitgenössische Esoterik den gleichen Ausgangspunkt hat wie ihre uralten Vorgänger. Die zweite Charakteristik nennt Faivre Transmission, Übergabe – nämlich die Annahme, dass die esoterische Tradition nur ein Schüler von seinem Lehrer, in einem Initiationsritual empfangen kann. Neben der Definition der Esoterik als spezifischer Art des Denkens arbeitet Faivre noch eine weitere Bedeutung heraus. Bei der Esoterik kann es sich auch um einen spezifischen Weg handeln, um das Universum zu erkennen. Sie ist ein geistiger Ort, von dem aus die Wege zur Erkenntnis führen, sie ist aber auch der Weg selbst, stellt verschiedene kognitive Techniken dar. Antoine Faivre bezog sich mit seiner Theorie auf die Esoterik von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, was ihm aber Kritik einbrachte, da er als Grundlage und Ausgangspunkt seine Forschungen zum 18. und frühen 19. Jahrhundert nahm. Angesichts der zeitlichen und zum großen Teil auch räumlichen Verankerung dieses Buchs büßt Faivres Theorie dennoch nichts von ihrer Relevanz ein. Die Kommunikation mit der transzendenten Sphäre muss sich laut Buquoy auf der Systematisierung fragmentarischer Urbilder gründen. Die Urbilder und Bilder stellen die wesentlichsten Grundlagen von Buquoys Philosophieren dar. Man könnte sie sich in etwa als unkonkrete Vorstellungen des Menschen von den Naturphänomenen denken, die dieser zwar innerlich erahnt, sie aber nicht in Worte fassen kann, weil sie über seine Ausdrucksmöglichkeiten hinausgehen. Wenn man also die Bilder nicht in geordnete Sätze fassen kann, versucht es der Graf mit Hilfe von Gedichten, die sich dank ihrer bildhaften Ausdrucksweise dem tieferen Sinn nähern und ihn einem sensiblen Menschen vermitteln können. Alle dem Menschen offenbarten Bilder, ob sie nun seinem Zutun zu verdanken sind oder nicht, ob sie mit ihm im Einklang sind oder nicht, ob sie gewöhnlich oder außergewöhnlich sind, setzen sich laut Buquoy zu dem Bild der gesammten Natur zusammen. In unübersichtlichen Fragmenten zeigt sich dem Menschen das Bild der gesamten Natur oder, anders ausgedrückt, in den Einzelheiten spiegelt sich das Ganze. Wenn es möglich ist, dass der Mensch die Ganzheit der Natur zumindest teilweise erfahren kann, dann korrespondiert der Makrokosmos (die Natur) mit dem Mikrokosmos (der Mensch), was ja gerade zu den wesentlichen Zügen des esoterischen Denkens nach Antoine Faivre gehört.19 Auch eine weitere Bedingung des esoterischen Werks wird durch Buquoys Urbilder oder Bilder der Natur erfüllt, das sie zwischen Gott (Natur) und dem Menschen vermitteln.20 19 20

Vgl. A. Faivre, Esoterik, S. 24–25. Vgl. Ebd., S. 27–29.

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Durch die Systematisierung der fragmentarischen Erkenntnisse von der Ganzheit der Natur wollte Georg Buquoy die Beziehungen in der Natur verstehen und die All-Lebensformel finden. Er geht dabei von der Annahme aus, dass alles in der Natur lebendig ist, was nicht nur als Inspiration durch die Naturphilosophie zu bewerten ist, sondern auch einen weiteren Charakterzug der zeitgenössischen Esoterik bildet.21 Seine Überzeugung von der Lebendigkeit der Natur untermauert er durch folgende Belege: Würde er beispielsweise behaupten, dass ein Kristall unbelebt sei (sein Leben ist gleich Null), riskiere er zu lügen, weil das Leben darin verborgen, für den Beobachter nicht sichtbar, sein könnte (kryptobiotisch).22 Man befände sich auf einem viel sichereren Terrain, wenn man sage, dass das Leben im Kristall durch die Unbekannte x ausgedrückt werden könne. Dadurch sei ausgesagt, dass sein Leben einen uns unbekannten Grad an Intensität besitze und seien der Wahrheit viel näher als wenn wir ihm ein Leben verweigerten. Buquoy bemüht hier die Analogie mit dem Ei. Beim Betrachten seiner Schale scheint es sich um ein unbelebtes Objekt zu handeln, dabei wächst in seinem Inneren ein Huhn heran. Ähnlich unbelebt sieht ein Tier während seines Winterschlafs aus oder ein scheintoter Mensch. Auch ein Geometer dürfte laut Buquoys Ausführungen nicht behaupten, dass der Kreis eine Ellipse sei. Dabei ist der Kreis eine Ellipse mit Null-Exzentrizität. Falsch wäre es auch, eine Gerade für absolut gerade zu halten, denn sie kann eine für uns unsichtbare Beugung haben und somit eine Kryptokurve sein. Als ein gegensätzliches Beispiel könnte eine Parabel gelten, bei der es sich um eine Phänerokurve handelt. Abschließend geht Buquoy auch auf Anthropobiotismen ein. Würde man behaupten, dass die Nomaden- oder Hirtenstämme vollkommen unzivilisiert seien (Civilnexus), riskiere man wiederum einen Irrtum, denn auch eine solche Menschenhorde könne über ein gewisses minimales Maß an Zivilisiertheit verfügen. In den obigen Beispielen wurde anschaulich vorgeführt, wie die einzelnen Erscheinungsformen von Biotismen einer einheitlichen Lebensformel entsprechen. Die Überlegung, ob die einzelnen Biotismen ohne Wechselwirkung bzw. irgendwie außerhalb der Natur auf diese Weise funktionieren können, weist Buquoy ganz entschieden zurück. Gemäß der gerade erwähnten Formel, die besagt, dass die Unbekannte x in der Natur allem entsprechen kann außer Null (diese Behauptung hält er wohl für ein Postulat), ist es unmöglich, dass es in der Natur eine Nullform des Lebens gibt. Bilden wir also die Gleichung x = 0, ist das Ergebnis, dass dies nur außerhalb der Natur mögllich ist. Buquoy kommt also zu dem Schluss, dass es außerhalb der Natur keine Lebensform gibt. Die Möglichkeit, dass die Gleichung x = 0 einfach unmöglich sein könnte, scheint Buquoy nicht in Betracht zu ziehen, so wie er sich auch einfach darüber hinwegsetzt, dass möglicherweise auch alles außerhalb der Natur kryptobiotisch sein könnte. Seine Beispiele sollen jedenfalls be-

21 22

Ebd., S. 25–27. Die griechischen Präfixe krypto- und phänero- verbinden sich in Buquoys Arbeit mit variablen Wortbildungsbasen zu neuen Begriffen, mit denen er die dem menschlichen Blick verborgene oder eben im Gegenteil sichtbare Natur der Dinge bezeichnet. Unter kryptobiotisch ist also in diesem Zusammenhang eine dem Menschen verborgene biotische Form zu verstehen.

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys

legen, dass alles, was ein Bestandteil der Natur ist, belebt ist. Oder noch prägnanter – dass alles Natur ist, außerhalb der Natur gibt es gar nichts. Die All-Lebensformel wurde für Buquoy im Laufe seines Philosophierens immer unerreichbarer, bis er sich eingestehen musste, dass es ihm nie möglich sein wird, ihre Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Trotzdem versuchte er, ihr möglichst nahezukommen und alles zu beschreiben, was ihm in den Sinn kam. Allerdings sah er sich auch dieses Mal außerstande, seine Gedanken in Worte, in einen Text oder Algorithmus zu fassen, deshalb nahm er erneut die Kunst zu Hilfe und komponierte ein Lied, das er in seiner Schrift abdruckte.23 Er bringt darin zum wiederholten Mal seine Erkenntnisskepsis zum Ausdruck, die ihn dennoch nicht von weiterer Forschung abhielt, denn er betrachtete die sich wandelnden Ansichten als Spiegelbild der Funktionsweise der Natur. Er war überzeugt, dass ihn sein Philosophieren letztendlich bis an die Grenzen der Erkenntnis der All-Lebensformel bringen würde. Denn analog zur Entwicklung beispielsweise eines Embryos, bei dem sich schrittweise die Organe und das Skelett herausbilden, beschreite auch sein Philosophieren den Weg hin zur Erkenntnis des Lebenscodes, dessen Unerforschlichkeit es sich bewusst sei. Die Analogie zur Entwicklung eines Embryos ist aber auch ein Hinweis darauf, wie gut informiert Buquoy über die Ansichten seiner Zeitgenossen war. Denn der Anatom Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) untermauerte seine Theorie vom Bildunsgtrieb argumentativ unter anderem eben auch mit dem Beispiel des Embryonenwachstums.24 Buquoy erwähnt an einigen Stellen seiner Schrift, dass er zu manchen seiner Ansichten durch gründliches Studium der vergleichenden Anatomie kam, andernorts erwähnt er sogar explizit Blumenbachs Theorie. Der Graf wendet dessen naturwissenschaftliche Theorie auf seine Philosophie an, ist aber nicht bis zum letzten mit ihm einverstanden. Buquoy zufolge gibt es nämlich nicht nur den Bildungs-, sondern auch den Auflösungstrieb. Die Vorstellung des unaufhaltsamen Fortschreitens in der Naturerkenntnis und das Bewusstsein von der Unerreichbarkeit eines solchen Ziels ruft in Buquoy gemischte Gefühle hervor. Einerseits will er zu einem Ergebnis kommen und ist überzeugt, dass er die richtige Methode gewählt hat, andererseits ist ihm bewusst, dass er das angepeilte Ziel nie erreichen kann. Diese widersprüchlichen Gefühle schreibt er der Natur zu und formuliert sie in eindringlichen Versen „So herrlich schön bist du Natur; / doch stets – trägst du der Mißgunst Spur“.25 Der All-Lebensformel kam er nach seiner eigenen Einschätzung sehr nahe, sie blieb ihm aber zuletzt dann doch verborgen. Er erklärt es damit, dass es ganz einfach unmöglich sei und unternimmt dann keine weiteren Anstrengungen mehr.

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Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 60–61. Vgl. Johann Friedrich Blumenbach, Handbuch der vergleichenden Anatomie, Göttingen 1805, S. 499–501; Emanuel Rádl, Dějiny biologických teorií novověku I. Od renesance na práh 19. století [Geschichte der biologischen Theorien der Neuzeit I. Von der Renaissance bis zur Schwelle des 19. Jahrhunderts], Praha 2006, S. 346–348. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), Anm. auf fol. 64.

Der esoterische Charakter der menschlichen Erkenntnis

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Nicht jeder ist nach Buquoys Auffassung in der Lage, die Natur so wahrzunehmen wie er selbst. Dazu muss man eingeweiht sein, ähnlich wie in der esoterischen Schule. Auch seine eigenen Beobachtungen bezeichnet der Graf als esoterisch – die verwendete Ausdrucksweise ist ein klarer Hinweis darauf, dass er die Art und Weise seines Philosophierens in dieser Tradition verankert. Das ist wichtig, denn seiner Auffassung zufolge sind die transzendentalen Gedanken, über die er philosophiert, dem Menschen nicht anders zugänglich als auf diesem Weg. Wer also sehen will, was er selbst sieht, fühlen, was er fühlt, wer die „entdeckten geheimnisvollen Hieroglyphen“26 lesen und deuten können will, so wie er selbst, und wer schließlich die Harmonie der Welt empfinden will, solle sich an seine Ratschläge halten. Die erste Voraussetzung ist die Fähigkeit, esoterische Gedichte zu komponieren. Die zweite dann, eine Zeit lang ein ruhiges, nachdenkliches und zurückgezogenes Leben zu führen wie Buquoy selbst. Er muss Gutes wie Böses, Lob wie Kritik annehmen können. Er muss unvoreingenommen und unbestechlich sein, er darf sich nicht durch schulische Bildung, allgemein verbreitete Meinungen, bekannte Persönlichkeiten oder Hypothesen beeinflussen lassen. Es ist erforderlich, dass er zum philosophischen und kritischen, aber auch entspannten Denken befähigt ist und seine Ansichten mathematisch formulieren kann. Er sollte den Charakter der Natur anhand ihrer Merkmale bestimmen können, ähnlich wie der Physiognom den Charakter eines Menschen aus seinen Gesichtszügen herausliest. Georg Buquoy bestätigt auch, dass er Erfahrungen mit der esoterischen Spiritualität hat, also dem letzten der Hauptmerkmale des esoterischen Denkens nach Faivre.27 Sein philosophisch-kontemplatives Leben kann Buquoy aber nicht restlos verbalisieren, sondern nur in seinen Hauptzügen andeuten und damit lediglich eine Anregung zum Verständnis geben. Folgen kann dem Graf nur derjenige, der sich zu seiner Art des Philosophierens hingezogen fühlt, die anderen sollen sich ihren eigenen Weg suchen. Buquoy will aber niemanden rügen, der nicht in seinen Spuren geht, denn die Wahl der Methode für die philosophischen Untersuchungen ist und bleibt jedem selbst überlassen, jedwede Intoleranz würde seiner Vernunft widersprechen. Gleichzeitig verkündet Buquoy aber, dass die Wahrheit als der höchste Wert des Lebens gelten muss, und wer diese Ansicht nicht teilt, darf sich nicht Philosoph nennen, da er die höchste Form der Meditation und der transzendentalen Tiefe des Denkens verschmäht. Er weist wiederholt darauf hin, dass das philosophische Nachdenken offen bleiben müsse und dass jeder, der ein wissenschaftliches Werk für abgeschlossen erklärt, nur ein prahlerischer Wichtigtuer sei. Er fordert die Leser seiner Werke auf, diese lediglich als Einführung in die Philosophie zu betrachten.

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Buquoy spricht vom „Lesen und Deuten von Hieroglyphen“, was allerdings nicht mit einem tatsächlichen Lesevorgang gleichzusetzen ist, sondern mit den zeitgenössischen esoterischen Vorstellungen korrespondiert, denen zufolge in den Hieroglyphen ein Geheimcode zur Erkenntnis der Welt verschlüsselt sei. A. Faivre, Esoterik, S. 24. Zum esoterischen „Lesen“ von Hieroglyphensymbolen vgl. auch Pierre de Lasenic, Egyptské hieroglyfy a jejich filosofie [Die ägyptischen Hieroglyphen und ihre Philosophie], Praha 1935, S. 19–28. Vgl. A. Faivre, Esoterik, S. 29–31

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Kern der philosophischen Grundansicht Georg Buquoys

Allgemeine Naturgesetze Georg Buquoy beschrieb auch seine Vorstellung von der Entwicklung der Dinge in der Natur. Zu den Naturprodukten zählen seines Erachtens Gemälde, Gedichte, wissenschaftliche Abhandlungen, philosophische Systeme, Gebäude, Kunstgärten und Maschinen ebenso wie Gesteine, Pflanzen, Tiere oder meteorische Gebilde. Er unterteilt sie in drei Gruppen: eigentliche Naturprodukte (Selbstgebilde) wie Steine, Pflanzen, Tiere, Vogeleier, Ausscheidungssekrete, Urin-, Nieren- und Gallensteine und ähnliches. Eine weitere Untergruppe bilden sog. Instinktgebilde oder Instinktprodukte. Hierrunter fallen beispielsweise Vogelnester, Bienenstöcke, Biberburgen usw. Die Produkte der dritten und letzten Gruppe bezeichnet er als Zweckgebilde, Kunstgebilde oder Kunstprodukte, als Beispiele nennt er Häuser, Pflüge, Mühlen, Skulpturen, Gedichte oder philosophische Abhandlungen. Jede der genannten Gruppen unterliegt einer bestimmten Entwicklung, die er in mehreren Schritten zu erklären versucht, an denen die fortschreitende Entfaltung deutlich ablesbar ist. Unverkennbar ist hier die Inspiration durch die vergleichende Anatomie des deutschen Anatomen Blumenbach, konkret durch die Theorie vom Bildungstrieb (nisus formativus). Der Bildungstrieb ist Blumenbach zufolge eine Kraft, welche die Zeugung, Ernährung und Reproduktion bedingt und eine entscheidende Rolle bei der Bildung der äußeren wie inneren Form des Organismus spielt.28 Buquoy ist also überzeugt, dass die Natur so etwas wie Stillstand oder Reglosigkeit nicht kennt und ihre Bewegung durch die Naturgesetze gesteuert wird. Dem oben beschriebenen Schema zufolge ist die Entwicklung nicht linear, sondern schreitet in einer Spirale fort. In ihrer Entwicklung weiter fortgeschritten sind beispielsweise verschiedene Statuten der menschlichen Gesellschaft wie Gesetze. Sie sind keinesfalls ein Maßstab an sich. Ihr Inhalt geht aus der tausendjährigen bedingten Entwicklung in der Natur hervor und sie für einen Verstoß gegen die Natur zu halten, ist absurd, weil ihr Ursprung ja letztlich in den Naturgesetzen liegt. Ein unabdingbarer Bestandteil von Buquoys Philosophieren ist das der Natur entnommene Oszilationsprinzip. Die Gegensätze von Gut und Böse, von Schönheit und Häßlichkeit, von Wahrheit und Lüge sah er in einem sukzessiven Verhältnis zueinander und ständiger Wechselwirkung. „Durchgehends, an dem gesammten Naturwalten, ist das Aufschwingen nach dem Wahren, Schönen, Guten stets begleitet und nachgefolgt von einem Herniederstürzen in den Pfuhl des Truges häßlichen Bösen, und beide mit gleich stark sich offenbarender Planmäßigkeit,“ schreibt er.29 Den Grund hierfür glaubt er in der ständiger Oszillation der Natur zwischen Aufstieg und Niedergang ausgemacht zu haben. Er vergleicht diese Bewegung mit der eines Pendels oder einer Welle. Eine ähnliche Oszillation gebe es auch im Falle der menschlichen Gesundheit, in Form von in bestimmten Intervallen wiederkehrenden 28 29

Blumenbach baute seine Theorie auf der Grundlage genauer Beobachtung auf, legte jedoch keine überzeugende Erklärung vor. Vgl. E. Rádl, Dějiny biologických teorií novověku I, S. 346–348. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 82.

Allgemeine Naturgesetze

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Krankheiten, die einen plagen.30 Man sei dann geneigt, in der Krankheit nur „verschmitzte[r] Grausamkeit“ zu sehen, „Zerstörungsprozesse am Gesundheitsorganismus, an welchem sie, in frechem Hohne, in roher Unverschämtheit, in schadenfroher Bosheit, in feiger Siegeslust, schonungslos ein herrlich Gebilde um das andere lähmen“.31 Buquoy weist darauf hin, dass diese Auffassung eine grobe Fehleinschätzung der Natur und ihres Prinzips des ständigen Schwingens vom Guten zum Bösen sei. Der Mensch müsse logischerweise auch verschiedene Qualen und Schmerzen aushalten, ja zuweilen winde er sich gar auf dem Boden und flehe Gott um Hilfe an. Das Oszillationsprinzip bleibe aber in der Natur bestehen, es sei darin fest verwurzelt und währe ewig. Dies hätten einige Naturphilosophen nicht verstanden. „Meinst du etwa, Sohn des Staubes,“ spricht Buquoy zum Menschen, „es sey die Natur zu deinem Dienste da? […] Welch eine feigherzige Selbsttäuschung!“32 Anstatt sich solchen Träumereien hinzugeben, sollte der Mensch vielmehr mit seinem Stolz, Egoismus und der unkritischer Vergöttlichung der äußerlichen Natur kämpfen. Er mokiert sich hier über die Bewunderung der Natur im engeren Sinne des Wortes, vielleicht könnte man auch sagen über die romantische Bewunderung der Landschaft, die er den Naturphilosophen zur Last legt. In seiner Abhandlung stellt sich der Buquoy auch die Frage, ob der Mensch sich selbst erforschen kann. Bei der Suche nach einer Antwort müsse man sich klar machen, dass wir den Naturgesetzen unterliegen und vom Schicksal (Fatum) gesteuert werden. Das Schicksal durchdringt laut Buquoy das gesamte Universum, ist sowohl außerhalb als auch innerhalb des Menschen verwurzelt. Gleichzeitig sind auch alle Bewegungen im Inneren des Menschen nur die Erfüllung des Schicksals, der Macht der Welt. Das Schicksal des Menschen vergleicht Buquoy mit dem Druckknopf an einer Maschine, durch dessen Betätigen sie in eine voreingestellte Bewegung gesetzt wird. Jeder von uns wirkt dadurch an der seriellen Bewegung des Schicksals mit. Jeder von uns verfügt allerdings auch über seinen eigenen Verstand, in Bezug auf den Buqouy drei grundlegende Faktoren ausmacht: 1. Der Verstand strebt nach Freisetzung der Oszillation, 2. er hat die dem Naturleben entsprechende Abfolge der einzelnen Oszillationsphasen inne, 3. die Harmonie der einzelnen Regeln der Abfolge führt zur kompletten Oszillation.33 Das Unverständnis gegenüber der Abfolge dieser drei Schritte habe in der Vergangenheit zur Fehleinschätzung des Denkprozesses und der Selbsttäuschung des Menschen geführt, so Graf Buquoy. Des Weiteren macht er darauf aufmerksam, 30

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Mit wiederkehrenden Krankheiten hatte der Graf seine Erfahrungen. Regelmäßig in den Monaten Februar und März hatte er von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter Gesundheitsprobleme, die er in seiner Schrift Krankengeschichte aufgesetzt im Märtz 1812 ausführlich beschrieb. Vgl. M. Morawetz, „Krankengeschichte“. Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 86–87. Ebd., fol. 88. Ebd., fol. 97–98.

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dass alles, was der Mensch als falsch, schlecht oder böse empfindet, im Widerspruch zu seinen Gefühlen für das Wahre, das Schöne und das Gute steht. Nichts davon richtet sich gegen die Natur oder die Naturgesetze. Es handelt sich lediglich um Gegensätze, die in der Natur im Laufe der Oszillation entstehen. Abschließend beschäftigt sich Buquoy mit der menschlichen Moral. Er geht auf die Zeit ein, als Philosophen nicht mit eigenen Gedanken gearbeitet, sondern sich auf die Klassiker berufen hatten. Sobald die Menschen aber anfingen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und „den von den Naturgesetzen ausgehenden Lichtstrahl wahrnahmen“, fielen sie auf das Vorurteil von der moralischen Freiheit herein. Georg Buquoy spielt hier auf die aufklärerische Moralphilosophie auf, die er als gebildeter Gelehrter zweifellos kannte.34 Er kritisierte die Ansicht der Aufklärer, der zufolge das moralische Handeln den Ursprung in ihnen selbst und nicht in der Natur hat. Die Überzeugung, dass der Mensch moralisch frei ist, hält Buquoy für eine Illusion. Deshalb spürte er das Bedürfnis, das Verhältnis von Moral und menschlichem Individuum zu erklären. Buquoys Auffassung nach handelt der Mensch im Einklang mit drei Sinnen – dem Sinn für Wahrheit, dem Sinn für Schönheit und dem Sinn für das moralische Wohl, von denen in jeder gegebenen Situation immer einer dominiert. Über tausende von Jahren bildete sich im Menschen die in ständiger Wechselwirkung stehende Beziehung von tierischen Trieben und seinem Willen. Die Sehnsucht nach Befriedigung der tierischen Bedürfnisse schränkte sein ethisches Handeln ein und das ethische Empfinden wiederum unterdrückte in ihm sein tierisches Verhalten. Der Mensch kann sein Handeln in manchen Situationen beeinflussen, aber nur im Rahmen der vom Schicksal vorgegebenen Umstände oder der gesellschaftlichen Position. Es gibt auch Fälle, die sich auf das moralische Empfinden des Menschen disharmonisch auswirken, beispielsweise wenn er gelobt oder bestraft wird. Beide Vorgänge sind dabei in keiner Weise seltsam oder außergewöhnlich, denn in ihnen manifestiert sich wieder einmal das natürliche Oszillieren der Natur, d. h. sie sind Bestandteil der Naturgesetze. Vollkommen absurd ist laut Buquoy die Vorstellung, dass Gott den Menschen für seine Taten bestraft, denn Gott liegen solche Methoden der Abschreckung fern. Auch sollte der Mensch weder Schuld- noch Unschuldsgefühle empfinden, diese sind nämlich nur das Ergebnis eines falsch verstandenen Christentums und dementsprechend nicht im Einklang mit seiner Anschauung. Der Mensch kann nicht schuldig oder unschuldig sein, weil er nicht nach eigenem Gutdünken handelt, sondern vom Schicksal geleitet wird. Auf den Einwand, dass der Mensch auch unlautere Begierden empfinden könnte, die ihn am moralischen Handeln hindern, hätte der Graf ebenfalls eine Antwort: Jeder Mensch verfügt über einen gewissen Grad an Würde, die das ethische Handeln unterstützt. Wenn der 34

Es ist durchaus denkbar, dass ihm diese Theorie bereits sehr früh geläufig war, denn ihr Hauptvertreter in der österreichischen Monarchie Karl Heinrich Seibt war der Lehrer von Georgs Onkel Johann Nepomuk, und für Georg selbst empfahl er einen Erzieher aus den Reihen seiner Schüler. Zu Seibts Ansichten Ivo Cerman, Secular moral philosophy: Karl Heinrich Seibt, in: Ivo Cerman / Rita Krueger / Susan Reynolds (Hrsg.), The Enlightenment in Bohemia: religion, morality and multiculturalism, Oxford 2011, S. 147–168.

Allgemeine Naturgesetze

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Mensch aber gegen seinen eigenen Willen handeln möchte, muss man bedenken, dass es zwei Typen von menschlichem Willen gibt – den eigenen könnte man als den inneren bezeichnen, der individuell und nicht von der gesellschaftlichen Stellung abhängig ist: der andere ist vom Schicksal, der gesellschaftlichen Stellung und den Umständen geprägt. Wenn der Mensch also im Widerspruch zu seinem Willen handeln würde, wäre es vielleicht nur gegen einen der beiden Teile. Seine Theorie veranschaulicht er am Beispiel eines Sklaven. Müßte er als Sklave eine Arbeit ausführen, gegen die er Abneigung empfindet, handelte er gegen seinen eigenen, aber nicht gegen den gesamten Willen. Der Wille eines Sklaven ist es, zu arbeiten – der Sklave zieht es vor, eine ungeliebte Arbeit zu machen und dabei Peitschenschläge über sich ergehen lassen zu müssen als keine Arbeit zu haben. Deswegen handelt er nicht gegen seinen gesamten Willen, sondern nur gegen den inneren. Für Buquoy selbst ist vom Schicksal nicht die Rolle des Sklaven vorgesehen, dehalb würde er nicht unter einer Peitsche arbeiten. Einigen von Buquoys Gedanken mangelt es an Konsistenz und Geschlossenheit, andere scheinen nicht ausreichend belegt zu sein – insgesamt hinterlässt die Schrift wegen mangelnder Strukturiertheit einen fast chaotischen Eindruck. Nichts davon darf aber Buquoy als Inkonsequenz zur Last gelegt werden, denn es korrespondiert mit seiner Theorie. Es ist ihm wichtig, über philosophische Fragen nachzudenken, einen Gedanken abzuschließen ist aber nicht mehr zwingend erforderlich. Er lehnt sogar die Anstrengungen der Philosophen ab, immer zu einem Schluss kommen zu müssen, dies hält er für einen großen Irrtum. Sein eigenes Philosophieren (nicht Philosophie) will er als ein Mittel zum „intellektuellen Austoben“ verstanden wissen, auf keinen Fall als ein geschlossenes philosophisches System, das seines Erachtens ein völliger Unsinn wäre. Er wünscht sich zu philosophieren, nicht eine Gedankenkonstruktion zu bauen. Im Laufe seines Nachdenkens in diesem Sinne kommt er immer wieder auf schon Erwähntes zurück, um dem eine weitere Erkenntnis hinzuzufügen, er sucht verschiedene Wege und Anregungen, die ihn der Erkenntnis der Natur näher bringen könnten.

Zusammenfassung Die erhaltene Handschrift des unveröffentlichten Werks Kern meiner philosophischen Grundansicht von Georg Buquoy entstand in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts und stellt die Grundlagen von Buquoys philosophischer Konzeption dar, an der er seit den zwanziger Jahren gearbeitet hatte. Die Wissenschaft in den böhmischen Ländern konnte sich zu dem damaligen Zeitpunkt nicht ganz frei entfalten, alle Arbeiten mussten von der Zensur genehmigt werden und an der Karl-Ferdinand-Universität waren eigene wissenschaftliche Neuerungen nicht wirklich willkommen. In der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften und folglich auch im Vaterländischen Museum in Böhmen konzentrierte sich die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Naturwissenschaften, auf die slawische Linguistik oder die neu entstehende Archäologie. Manche Gelehrte waren, aus unterschiedlichen Gründen, teilweise oder ganz außerhalb der wissenschaftlichen Institutionen tätig. Zu den bedeutsamen Wissenschaftlern und Organisatoren des wissenschaftlichen Lebens der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen zählten insbesondere der Sprachwissenschaftler Josef Dobrovský, der Naturwissenschaftler Kaspar Sternberg, der Philosoph Bernard Bolzano, der Biologe Jan Evangelista Purkyně und der Historiker František Palacký. Georg Buquoy kam mit den tschechischen Wissenschaftlern im Salon der Cousins Sternberg in Kontakt, wo er in seiner Funktion als Mitglied im Ausschuss des Vaterländischen Museums in Böhmen verkehrte, und dank seiner Mitgliedschaft in diversen inländischen gelehrten Gesellschaften. Er pflegte aber auch sehr intensiv internationale Kontakte, unternahm Studienreisen insbesondere in deutschsprachige Länder und nach Frankreich, wo er mit internationalen Wissenschaftlern zusammentraf. Für Buquoys wissenschaftliche Laufbahn bedeutete sein Aufenthalt in Paris 1815 einen wichtigen Einschnitt. Er wurde dort mit Kritik seiner philosophischen Auffassung exakter Wissenschaft konfrontiert, was einen Wechsel der fachlichen Orientierung zur Folge hatte. Buquoys Interesse verlagerte sich von nun an weg von der Mathematik und Physik hin zur Philosophie und von den exakten Wissenschaftlern eher zu solchen Gelehrten, die mehr mit ihren Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen arbeiteten. Er suchte nun den Kontakt zu Magnetiseuren und nach der anregenden Begegnung mit Friedrich Schelling zog ihn die deutsche Naturphilosophie in ihren Bann. Seine philosophische Auffassung der Wissenschaft legte er der wissenschaftlichen Gemeinde in Form von Büchern und Aufsätzen vor, die er seit den zwanziger Jahren beinahe ausschließlich in der von dem Naturwissenschaftler und Philosophen Lorenz Oken herausgegebenen Jenaer Zeitschrift Isis publizierte. Buquoys Schrift Kern meiner philosophischen Grundansicht war nicht zur Veröffentlichung gedacht, obwohl sie die Grundlagen seiner Philosophie darlegt. Der Graf verfolgte nicht das Ziel, ein philosophisches System aufzubauen. Seine Vorgehensweise bezeichnete er als philosophisches Dichten oder dichterisches Philoso-

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phieren und spürte ein inneres Verlangen und Bedürfnis, seine Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Er suchte nach Wegen, auf denen man den Gedanken, der über einen selbst hinausgeht, das sog. Metaphysikon, zu erreichen und analysierte dessen Beziehung zu sich selbst. Im Einklang mit der Theorie des französischen Religionswissenschaftlers Antoine Faivre kann man diese Art und Weise der Naturbeobachtung als esoterisch bezeichnen, weil darin alle vier Grundzüge und auch eines der beiden Nebencharakteristika der Esoterik auszumachen sind. Inspiration für sein Philosophieren fand der Graf nachweislich in den Theorien des Philosophen Immanuel Kant und des Anatomen Johann Friedrich Blumenbach sowie den Theorien weiterer Wissenschaftler der damaligen Zeit, die er in vielen Fällen weiterzuführen versuchte. Er bemühte sich, die Erkenntnisse der Geistes- und der Naturwissenschaften zu verbinden – in dieser Hinsicht würde er der durch den amerikanischen Historiker Peter Hanns Reill so bezeichneten Gruppe der „aufklärerischen Vitalisten“ nahe stehen. Buquoy weigerte sich, die bisherige Philosophie als metaphysisch zu bezeichnen, denn seiner Auffassung nach ist der Mensch nicht in der Lage, selbst zu einem metaphysischen Gedanken zu kommen. Diese Ansicht ist bereits bei Kant zu finden und Buquoy knüpft daran an. Er schlägt vor, die bisherigen Bemühungen der Philosophen „metaempirisch“ zu nennen, denn die Metaphysik bleibt der transzendenten Welt der Natur vorbehalten. Dem Transzendenten kann sich der Mensch mit Hilfe der beschriebenen Lebens- und Denkweise nähern, die mit esoterischen Erlebnissen verbunden sein sollte. Erst danach hat man die Möglichkeit, metaphysische Gedanken zu entwickeln, wobei man aber nie mit absoluter Sicherheit sagen kann, einem Teil des Transzendenten begegnet zu sein, denn daran hindert den Menschen seine eingeschränkte Wahrnehmung. Durch sein Philosophieren möchte Graf Buquoy Harmonie mit sich selbst finden. Die könnte durch die Vereinheitlichung von Bildern zu erreichen sein, durch die die Natur zu ihm spricht. Er suchte zu beweisen, dass alles in der Natur belebt ist und dass es nichts außerhalb der Natur geben kann. Er ist überzeugt von der Oszillation der Natur zwischen den Gegensätzen sowie von der Unfähigkeit des Menschen, dieses Gesetz zu verändern. Buquoys Auffassung nach handelt der Mensch im Einklang mit drei Sinnen – dem Sinn für Wahrheit, dem Sinn für Schönheit und dem Sinn für das moralische Wohl, von denen in einer bestimmten Situation je nach den vom Schicksal gegebenen Umständen oder der gesellschaftlichen Stellung immer ein Sinn dominiert. Ein weiterer Faktor für die Herausbildung der menschlichen Identität sind neben den eben genannten die Erfahrungen. Um Buquoys Gedanken klarer aufgreifen und interpretieren zu können, wurde in der vorliegenden Arbeit die Struktur seiner Abhandlung aufgebrochen. Sein anvisiertes Ziel war ja auch nicht so sehr die Darlegung einzelner Ansichten zur Natur und zum Menschen, als vielmehr die Methode vorzustellen, mit der er diese Ansichten erwirbt. In seiner Schrift philosophiert er also, lässt sein Denken verschiedenen Anregungen folgen und sucht Wege, die sein Denken beschreiten könnte. Aus diesen Gründen kommt er häufig nochmals auf das Gesagte zu sprechen, reichert einen Gedanken um neue Erkenntnisse an oder verwirft ihn als Irrtum. Solches Philosophieren soll nicht in ein philosophisches System münden, sondern das

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Ergebnis soll eine Art Bild, ein Kunstwerk sein, das im Menschen Eindrücke hervorruft, ihn inspiriert, aber nicht eine Anleitung simuliert. Den Anhang dieser Arbeit bildet deshalb die Edition von Buquoy’s Abhandlung in extenso, damit sich der Leser eine noch bessere Vorstellung von dessen Art des Philosophierens, also dessen Erkenntnismethode, machen kann.

Edition Quellenanalyse Ein Bestandteil der vorliegenden Arbeit ist die Edition der unveröffentlichten philosophischen Abhandlung von Graf Georg Buquoy. Die Schrift wird im persönlichen Fonds des Grafen aufbewahrt, der sich im buquoyschen Familienarchiv des Staatlichen Gebietsarchivs in Třeboň befindet. Verfasst ist sie auf neununddreißig einmal gefalteten, fast auf allen Seiten beschriebenen und nummerierten Papierbögen, insgesamt 142 Seiten1 mit etwa 17.000 Wörtern. Der Text ist in Seitenbreite mit schwarzer, ausnahmsweise roter (nur bei einigen späteren Einträgen, um sie vom Grundtext abzuheben) Tinte geschrieben und nur in Absätze gegliedert. Der Tintenfraß verschlechtert den Erhaltungszustand und die Lesbarkeit des Textes. Die Sprache des Dokuments ist Deutsch, lediglich einige Wendungen oder Zitate stehen auf Lateinisch, Französisch oder Italienisch da. Das griechische Wort physis wird durchgehend in der griechischen Schrift wiedergegeben (φύσις). Bei dem Schrifttyp handelt es sich um die für den Zeitraum charakteristische neugotische Kursive bzw. humanistische Schrift für die nichtdeutschen Wörter. Wir wissen, dass die Handschrift nicht die des Autors ist, allerdings fügte der Autor eigenhändig zahlreiche Anmerkungen und Umformulierungen in den Text ein. Neben Buquoys Hinzufügungen sind im Text noch zwei weitere Handschriften erkennbar. Die des Schreibers A (fol. 1–4; 9–12; 20–140) zeichnet sich durch markante Rundungen, größere Schrift und breitere Lücken zwischen einzelnen Zeilen aus; auf der Seite befinden sich ca. 13–16 Zeilen. Schreiber B (fol. 5–9; 12–19) führt die Rundungen nicht vollständig aus, seine Schrift ist nicht so ordentlich und etwas kleiner, er geht allgemein sparsam mit dem Platz um (19–20 Zeilen auf dem Blatt). Ein eventueller Autograph oder noch weitere Abschriften sind nicht erhalten. Als Autor wird Georg Buquoy angegeben, und angesichts des Charakters der eigenhändigen interlinearen Einträge und Anmerkungen sowie seiner sonstigen Werke aus dem Bereich der Philosophie kann seine Autorschaft als gesichert gelten. Die Handschrift ist, ähnlich wie die anderen unveröffentlichten Werke, nicht datiert. Anhand des Kontextes und der Verweise auf veröffentlichte Werke kann man allerdings mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass sie in den 1840er Jahren niedergeschrieben wurde.2 Das ganze Werk ist bis heute in ein Papier gewickelt, 1

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Zur einfacheren Orientierung richten sich die Seitenzahlhinweise nach der Paginierung durch den Archivar. Der ganze Text endet auf der Seite mit der Zahl 140, auf der 141. Seite steht lediglich die Fortsetzung der Anmerkung von der vorhergehenden Seite. Von der Seite 104 an ist Nummerierung verschoben, weil die Folgeseite vom Archivar irrtümlicherweise mit derselben Zahl versehen wurde (in der Edition fol. 1041 und 1042). Das jüngste Buch, Prodromus zu einer neuen, verbesserten Darstellungsweise der höhern analytischen Dynamik, erschien in Prag in zwei Bänden in den Jahren 1842–1844.

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Edition

auf dem steht Gratzener Archiv. Kern meiner philos. Grundansicht. Dieser Text ist in lockerer Handschrift verfasst, in deren Schriftzug man die spezifische Handschrift des Autors erkennt. Daraus lässt sich schließen, dass es der Graf selbst war, der das Werk im Familienarchiv deponieren ließ, das sich zu dem damaligen Zeitpunkt im ersten Stock des Turms der Gratzener Burg befand. Bemerkenswert ist auch der Titel, unter dem das Werk archiviert wurde – es handelt sich um den Kern (zudem durch Unterstreichung hervorgehoben), also die zentralen Ideen seiner philosophischen Anschauung. Obwohl die Schrift bis heute unter dieser Bezeichnung archiviert ist,3 handelt es ich nicht um seinen wirklichen Titel. Dieser war etwas weitschweifiger: „Vorläufer meines neuen Philosophirenssystems, das durchaus gestützt ist auf die hypothesenfrei rein empirisch aufgefaßten, dann hieraus hypothesenfrei streng reflektiv fortgesetzten und möglich strenglogisch systemisirten Gesetze an dem totalen Erscheinen der Natur, vom Grafen Georg v[on] Buquoy“.

Editorische Notiz Die editorische Textarbeit erfolgte im Spannungsfeld zweier grundlegenden Prinzipien: einerseits die Spezifika des Originals zu erhalten, andererseits es dem heutigen Leser verständlich zu machen. Für das Transkribieren des Textes wurde die Transliteration gewählt. Die allgemeinen Regeln für die Transkription deutscher Texte werden eingehalten, die etwaigen Abweichungen begründet.4 Ohne Veränderungen wurde die Schreibung von y (seyn, drey) und dem behauchten h (Theile, Thier) beibehalten, desgleichen die spezifische Umlautschreibung (ui anstatt ü, beispielsweise in Uiberzeugung, aehnlich). Die Rechtschreibung bei Wörtern mit gleicher Bedeutung kann variieren, dies entspricht der Situation vor der Kodifizierung. Ebenso war die Verwendung von Artikeln oder ihre Deklination nicht einheitlich. Bei einigen Wörtern schwankt das Genus. Nach der Vorlage richtet sich auch die Schreibung von s, ss und ß. Die Worttrennung wurde allerdings nach den heutigen Rechtschreibregeln vorgenommen, die Interpunktion mit Rücksicht auf bessere Verständlichkeit des Textes (insbesondere bei mehrgliedrigen Satzgliedern) ergänzt und die Groß- und Kleinschreibung vereinheitlicht. Eckige Klammern wurden beim Ausschreiben von Abkürzungen (v[on]) sowie für editorische Eingriffe verwendet. Die geläufigen Abkürzungen (z. B., u. s. w.). blieben ohne Veränderung. An mehreren Stellen korrigierte der Autor seinen Text nachträglich. Es wurden Passagen durchgestrichen und bis auf das letzte gestrichene Wort, wohl um die Kohärenz zu erhalten, vollkommen unleserlich gemacht. Diese Stellen wurden deshalb ganz 3 4

Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht). Ivan ŠŤovíČek a kolektiv, Zásady vydávání novověkých historických pramenů z období od počátku 16. století do současnosti. Příprava vědeckých edic dokumentů ze 16–20. století pro potřeby historiografie [Editorische Prinzipien für die Herausgabe von neuzeitlichen historischen Quellen aus der Zeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Die Vorbereitung wissenschaftlicher Editionen von Dokumenten aus dem 16.–20. Jahrhundert für die Bedürfnisse der Geschichtsschreibung], Praha 2002, S. 61–62.

Editorische Notiz

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ausgelassen, denn ihr Einfügen hätte die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des ganzen Textes deutlich beeinträchtigt. Die über alle freien Flächen der Blätter verteilten Einträge und interlineare Notizen wurden in geschweifte Klammern gesetzt {}. Runde Klammern und Unterstreichungen sind Bestandteil des ursprünglichen Textes. Kursiv werden Ausdrücke geschrieben, die im Original in der humanistischen Schrift stehen (point de départ, Plato). Die Nummern der einzelnen Folien stehen in eckigen Klammern [folio]. Die jeweils am Seitenende befindlichen Fußnoten sind ein Bestandteil des Originaldokuments, in dem sie ursprünglich mit verschiedenen graphischen Symbolen gekennzeichnet und durch das Wort Anmerkung oder seine Abkürzung eingeleitet wurden. Dieses Einleitungswort wurde in der Edition ausgelassen und durch römische Zahlen (i–lxxix) ersetzt. Editorische Anmerkungen sind mit Buchstaben des lateinischen Alphabets versehen und stehen als erklärende Endnoten am Dokumentende. Hier finden sich auch Übersetzungen und Erklärungen weniger bekannter fremdsprachiger Zitate, ungewöhnlicher Begriffe oder verschiedener Anspielungen im Text.

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Kern meiner philosophischen Grundansicht

Titelseite des Manuskripts (Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 1),

Das Beispiel der Textbearbeitungen Buquoys (Staatliches Gebietsarchiv Třeboň, Familienarchiv Buquoy, Kart. 175 (Kern meiner philos. Grundansicht), fol. 49),

Kern meiner philosophischen Grundansicht [Papierumschlag] Gratzener Archiv. Kern meiner philos[ophischen] Grundansicht. [1] Vorläufer meines neuen Philosophirenssystems, das durchaus gestützt ist auf die {hypothesenfrei}, rein empirisch aufgefaßten, {dann hieraus hypothesenfrei, streng reflektiv fortgesetzten und endlich} strenglogisch systemisirten Gesetze – an dem totalen Erscheinen der Natur, vom Grafen Georg v[on] Buquoy. Natur, Naturganzes, Weltall, Universum – ist mir – das gesammte mir Erscheinen, {der gesammte auf mein Selbstbewußtseyn bezogene – Litho-, Phyto-, Zoo-, Anthoropo-, Poli-Biotismus,a meine gesammte Erscheinungswelt (mich selbst – mit einbegriffen),} von deren einem Theile es mir vor[2] kömmt als entspringe er – aus etwas das nicht mehr mein Ich ist, von deren anderm Theile es mir vorkömmt als entspringe er – aus Schaffensthätigkeit meines Ichs selbst. Dehne ich nun – den vom Universum – meinem endlichen Denken – zugängigen Theil, diesen endlichen {Theil – des Universums, die eigentliche φύσις,b in} Gedanken bis nach dem Einfalle (meinerseits) vom Unendlicheni aus, so ist mir dieser mein Einfall vom Unendlichen, {vom nicht mehr φύσις-haften, vom Metaphysischen, dieß Metaphysikon,}c – Gott das Absolutum. {Am Absolutum – ist Alles – nothwendig an sich, an der Natur – ist Alles – nothwendig aus dem Absolutum her.} Philosophie, als geschlossenes Ganzes, ist mir ein Unding. Ich vermag nur, über manigfache Gegenstände zu philosophiren vermag aber nie, eine Philosophie selbst – zu konstruiren. Dennoch ist mein Philosophiren – kein bloßer Eklektismus, [3] sondern ist ein, seinen Theilen nach, harmonisch unter sich, Verschmolzenes; denn all mein Philosophiren – entwickelt sich ausnahmslos – von einem einzigen Grundbilde her (über dieß Bild weiter unten), wohlverstanden – Bild, nicht Satz. Wenn ich philosophire, so thue ich dieß nicht – um eines außserhalb des Philosophirens selbst – gelegenen Zweckes wegen; mein Philosophiren ist mir – Zweck an sich; ich fühle mich innerlich nothgedrungen zu philosophiren, {autonom}, gleichsam nach einem sich mir aufdringenden Bedürfnisse, intellektuell auszutoben; mein Philosophiren dringt sich mir auf – als actio actionis causa.d i

{Ich, als ein endlicher Theil der Natur, als ein durch u[n]d durch Bedingtes, Beschränktes, Endliches, Naturhaftes (den Naturgesetzen unterworfen selbst), φύσις-haftes, – bin außer Stande, das Unbedingte, Unbeschränkte, Unendliche, das nicht mehr Naturhafte, das nicht mehr φύσις-hafte, das Metaphysische – selbstproduktiv aus mir heraus rationell zu entwickeln; ich vermag hievon – höchstens nur den Einfall – zu haben; in dem ich von allen Kriterien der Endlichkeit abstrahire. Solch einem Einfall – nenne ich Metaphysikon.}

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[4] Was mir dabei für die Anwendung, gleichsam als Späne von der Arbeit, abfällt, nehme ich mit auf, aber – nur nebenher. Wenn ich philosophire, so kann ich nur über das gesammte mir Erscheinen – philosophiren, über meine gesammte Erscheinungswelt nur, wie sie vor mir auftritt, theils als scheinbar von {meiner} Außenwelt herstammend, theils als scheinbar der Schaffenskraft meines Ichs – entsprossen (diese Distinktion weiter unten).ii Wenn ich philosophire, so strebe ich, das gesammte mir Erscheinen, sowohl seiner Totalität als seinen Theilen nach, mit den Formen meiner Anschauung, die mir Thatsachen des Bewußtseyns sind, in Harmonie zu bringen, gleichsam meine Erscheinungswelt mit meinem Ich – zu assimiliren, und so – mich mit mir selber zu verständigen, {und selbst auf die Gefahr, wo Alles – an und in mir – blos Täuschung, leerer Wahn, wäre; selbst hierüber – mich mit mir selber zu verstandigen, ist mir ein autonomes Bedürfniß.} Jene Formen meiner Anschauung sind: Quantität, Raum [5] und Zeit, Qualität, Substanz und Accidenz {(Constantes und Variables am Constanten)}, Causalität, Ganzes und dessen Theile, Identität bei Mannigfaltigkeit, Ja und Nein, am Faktum vermuthete Absichtlichkeit (Teleoismus),e Seyn und Thätigkeit, Subjekt und Prädikat, was und wie, Stoff und Form, aposteriorisch und apriorisch, objektiv und subjektiv, real und ideal, wirklich und fiktiv, fragmentarisch und systematisch, {coordinirt, subordinirt (Systematismus), formal} zufällig und formal nothwendig, sommatisch und dynamisch, körperlich und geistlich, Gesetz der Continuität, Anfang und Ende, u. s. w. Mein Philosophiren – geht durchaus nur von – vor mir selber – unläugbaren Thatsachen des Bewußtseyns aus, und zwar wesentlich von folgenden dreyen: 1. Ich bin mir bewußt meines selbstbewußten Ichs, 2. Ich bin mir bewußt einer meinem selbstbewußten Ich vorschwebenden Erscheinungswelt, 3. ich bin mir bewußt, daß diese – sich mir darstellt als in zwei Theile zerfallend, von deren einem Theile es mir vorkömmt, als entspringe er aus etwas das nicht mehr mein Ich ist, von deren anderm Theile es mir [6] vorkömmt, als entspringe er aus Schaffensthätigkeit meines Ichs selbst.iii Nach diesem Letztern – bildet sich an jeglichem – meinem selbstbewußten Ich – vorschwebenden, an jeder Perception (Stein, Pflanz, Thier, Mitmensch, Firmament, u. s. w. durchgehends Erscheinungen vor dem selbstbewußten Ich, von denen es mir vorkömmt, als entsprängen – diese Erscheinungen vor meinem Ich – aus etwas, das nicht mehr mein Ich ist), an jeder Vorstellung, an jedem Begriffe, an jeder Idee, an jeder Fiktion, an jedem Phantasiegebilde, an jeder Gesichtswegung, an jeden Begehren, u. s. w. (durchgehends Erscheinungen vor dem selbstbewußten Ich, von denen es mir vorkömmt, als entsprängen – diese Erscheinungen vor meinem Ich – aus ii iii

{Mein Philosophiren – ist ein mir und allenfalls auch andern genaues Rechenschaft ablegen – über alles an meinem Selbstbewußtseyn vorgehende.} {Ich sage blos – vorkömmt; vielleicht ist beiderlei vorkommen – blosse Täuschung, ein Traum.}

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Schaffensthätigkeit meines Ichs selbst), es bildet sich, sagen wir, da überall – ein Urgegensatz, der alten folgenden Gegensätzen zu Grunde liegt: Zoosinnlich – anthroposinnlich (ungerechtfertigt ben[n]ant: sinnnlich – übersinnlich), empyrisch – metaempyrisch, aposteriorisch – apriorisch, objektiv – subjektiv, real – ideal, wirklich – [7] fiktiv, als speziell giltig erscheinend – als algemeingiltig erscheinend, als fragmentarisch erscheinend – als systematisch erscheinend, als formal zufällig erscheinend – als formal nothwendig erscheinend {(in beidem Fällen – Fatumsnothwendig), u. s. w.} Es war ein Grundfehler alles bisherigen Philosophierens, welchen wir entdenken können an dem Philosophieren insgesammt, das aus den Jahrhunderten Jahren her – uns bekannt ward, ein Grundfehler, anzunehmen, es stehe der Mensch über der Natur, außer der Natur also, es sey daher – der Mensch nicht mehr ein Theil der Natur. Der Mensch unterliegt ja aber, hinsichtlich seiner höchsten Aktivitäten selbst, hinsichtlich seiner höchsten Funktionen selbst, hinsichtlich seiner höchsten Vollbringungsbefähigungen selbst, bestimmten Gesetzen,iv ganz so – wie z. B. die Satzlauge, hinsichtlich der geometrischen Form der Kristalle, bei ihrem Unschießen – bestimmten Gesetzen unterliegt; diese letztere Gesetze – sind um nichts imperativer, als die logischen Gesetze es sind, die dem alltäglichsten Denken – wie dem höchsten Denken eines Newton, Leibnitz, [8] Kant – vorstehen.f Daher ist der Mensch, seinem Wesen nach, nehmlich als integrirender Theil der Natur, unfähig – für Metaphysik aus sich selbst heraus construirt, wenn gleich fähig für hohes Aufschwingen in Gebiethe des Metaempirischen {aus sich selbst heraus construirt.} Was man bisher Metaphysik nannte, war nicht Metaphysik, und konnte nicht es seyn, insoferne es – vom Menschen stammte; es war Metaempirie nur, und zwar – immer noch naturhafte, immer noch φύσις-hafte, immer noch bestimmten Gesetzen unterliegende; Metaempirie war es, und zwar eine nimmermehr – über das φύσις-haft endliche hinaus – ragende Metaempirie. Jeder unbefangene Denker, der das eben Gesagte – {bei sich selber genau} erwogen hat, wird mit voller Uiberzeugung – folgende Sätze mir nachsprechen: Ich, als ein durch und durch Bedingtes, Beschränktes, Endliches, Naturhaftes, φύσις-haftes selbst, bin unfähig, das Unbedingte, Unbeschränkte, Unendliche, das nicht mehr Naturhafte, das nicht mehr φύσις-hafte, das Metaphysische – selbstproduktiv aus mir heraus – zu konstruiren; ich vermag vom Metaphysischen – höchtens nur den Einfall zu haben, durch beständig fortgesetztes Hinwegdenken nehmlich – aller Kryterien Endlichkeit; ein Weiteres über jenen [9] Einfall hinaus, vermag ich, in Bezug auf Metaphysik, nicht selbst produktiv zu vollziehen, sondern höchstens nur passiv zu vernehmen, und zwar – {durch rein} gläubiges Erforschen – des mir vom Absolutum her geoffenbarten metaphysischen, iv

{Siehe dem Aufsatz: Gesetze herrschen, in dem Werke: [Georg von] Buquoy, Anregungen für phil[osophisch] und[!] wiss[enschaftliche] [Forschung und dichterische Begeisterung], [Leipzig 1825, S. 759–762.].}

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d. h. der nur von Gott geoffenbarten Glaubensmisterien, wenn es doch ja – eine göttliche Offenbarung für mich gibt, welches Letztere ich, {wohlverstanden} – vom Standpunkte des Philosophierens aus, weder mit Uiberzeugung zu afirmiren – noch mit Uiberzeugung zu negiren – vermag, da ich – die Kryterien des Göttlichen, des Metaphysischen, {folglich der göttlichen Offenbarung,} nicht anzugeben vermag, {weil} ich selbst – nur φύσις-haft bin. Gott ist das {mir unfassliche} Metaphysische; jede Omoio-φύσιςg (Naturähnlichkeit) auf Gott bezogen – ist ein Absurdum; es ist absurd, Gott als omoiolithisch, Gott als omoiophytisch, Gott als omoiozooisch, Gott als omoioanthropisch, sich zu denken; Gott ist das Außernaturhafte {in dem Sinne, wenn ich für Natur blos den endlichen, meinem Denken zugängigen, Theil des Universums, dieses vielleicht Unendlichen selbst, dann Gott selbst, berücksichtige; Gott ist das Metaphysische,} das Absolutum. Das Philosophiren, soll es [10] {doch unserm Wesen als endliche Menschen – entsprechen, soll es anthropisch seyn, darf} durchaus nur – {endlich naturhaft,} φύσις-haft seyn, ist unfähig, Metaphysik – je zu werden. Unser Philosophiere – soll nichts anderes seyn, als φύσιςhaft (nicht metaphysisch), {metaempirische} Verherrlichung des empirisch erfaßten {sowohl als des im Ich metaempirischem} Naturlebens; all unser Philosophieren – muß von hypothesenfreier Auffassung und Systemisirung der Gesetze – am Naturerscheinen vor unserm Ich – ausgehen. Zu diesem Naturerscheinen {(mein Ich mit einbegriffen)}, das durchgehends bestimmten Gesetzen unterliegt (der unpassende Ausdruck Gesetze, gleichsam von einem absurder Weise fingirt, omoioanthropischen Gotte ausgesprochen, wird in der Folge einer eigenen Kritik unterworfen, und durch passendere Ausdrücke substituirt, werden), gehören alle unsere Perzeptionen über Mineral-,v Pflanz-, Thier-, {Ich-Leben, über} Menschen-, Völker-, Staaten-, Geschichts-Leben, ferner alle unsere Vorstellungen, alle unsere Begriffe und Urtheile, [11] alle unsere Ideen und Schlüße, alle unsere Gefühlsregungen und Leidenschaftsstürme, alle unsere Phantasivgebilde, alle unsere Fiktionen, alle unsere Begehrungen und Verabscheuungen, alle unsere Willensentschlüße, alle unsere Thaten, u. s. w. Niemand noch bisher – hat den Ausdruck Natur in seinem wahren Sinne aufgefaßt (hierüber weiten unter mehr); daher wesentlich die Nichtigkeit alles bisherigen Philosophirens. {„Gegen langverjährten} Wahnin Kampfesschranken {führ’} ich eine Schaar zerstörender Gedanken.“ Die vor mir selber unläugbaren Thatsache des Bewustseyns {überhaupt} – und die Formen meiner Anschauung {insbesondere} – sind die Urelemente alles möglichen Philosophirens für mich, sind das an sich Gegebene für mich, und sind nicht fernerhin analisirbar durch mich; v

Mineral-Leben ist hier der abgekürtzte Ausdruck aller Erscheinungen – am fälschlich sogenannten Anorganischen (Kryptobiotischen).

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[12] sie sind, in Eines zusammengefaßt, der Auslaufpunkt (point de départ) all meines Philosophirens. Daher denn z. B. alles bisherige Grübeln über Kausalität {an sich, über} Substanz und Accidenz {an sich}, u. s. w., leerer Wortschwall nur war, und nur seyn konnte, dem man den pompösen aber an sich absurden Titel: Metaphysik – zu ertheilen geruhte, und dem Unsinne – hiemit die Krone aufsetzte. Die Thatsache meines Bewußtseyns, {wohin auch meine Uiberzeugung gehört vom Bestehen in mir – bestimmter Formen meiner Anschaung}, sind am Ende nie etwas anderes als – Perceptionen meinerseits aus meiner Erfahrungswelt, wenn letzterer Ausdruck in seiner weitesten Bedeutung genommem wird, nehmich als die Gesammtheit von Perception aus meiner (vielleicht nur scheinbaren, vielleicht ist nichts Wirklichkeit, vielleicht Alles nur Traum [ist]) Außenwelt nicht nur, sondern auch aus meiner Innenwelt. Soll nun aber mein, aus Thatsachen meines Bewußtseyns, sich aufthürmendes Philosophie – klar vor mir selber seyn, hiemit als festgestützt sich mir darstellen, und hiernach – mich mit mir selber verständigen, worauf meine gesammte autonome Thätigkeit – in Philosophiren – sich reduziert, soll [13] {an Klarheit nichts mangln}, so muß jede meiner Perceptionen {an der mir vorschebenden Wirklichkeit} – isolirt für sich – von mir ausgesprochen werden, an sich, und nicht in Kombination mit solchen Perceptionen (Perceptionen nehmlich aus meiner Fiktionenwelt), die man Hypothesen oder Suppositionen – nennen kann:vi So z. B. darf ich nicht den Ausdruck Seelenverrichtung anwenden, da hierin schon eine – Schwanken in mein Philosophieren bringende – Kombination zweyer Perceptionen, die eine (Verrichtung) aus meiner Wirklichkeitswelt, die andere (Seele) aus meiner Fiktivenwelt, vollzogen ist. Eben so darf ich, als Philosoph, mich des geologischen Ausdruckes Versteinerung nicht bedienen, da das vorgefundene Fossil, unbefangen und unmittelbar nach seiner Erscheinensweise benannt, nur ein omoiophytisches oder ein omoiozooisches Fossil genannt werden kann von mir, wo hingegen der Ausdruck Versteinerung, Petrefact, nicht mehr der unbefangene der unmittelbare Ausdruck der Erscheinung ist, sondern die Perception aus meiner Wirklichkeitswelt – schon mit einer Perception aus meiner Fiktionenwelt – kombinirt – gibt, nemlich mit dem Percep[14] tion am Ich – der in mir sich gestaltenden – der aus mir heraus fingirten – Supposition, es sey vorliegendes Fossil einst Pflanze oder einst Thier gewesen, sey aber später versteinert worden, statt z. B. zu suppomren, es sey besagtes Fossil, so wie es da vorliegt, eben so wie z. B. ein Quarzkristall, innerirdigentstanden. U. s. w.vii So lange wir nicht aus unserm Philosophiren – alle Ausdrücke eben erwähnter Art – gänzlich verbannen, bleibt unser vermeintliches Philosophieren ein leeres Hyn- und Wieder-Reden, dem es an männlicher Haltung gebricht. Es ist nun einmal Zeit, nach den Jahrtausenden – keine Befriedigung gewährenden Philosophierens, das ausgefahrene Geleise der verfallenen Bahn, nach der bisher keuchend verfolgten Schimäre hinzievi Selbst in den Ausdrücken, einzelnen Benennungen, darf keine Hypothese – versteckt liegen. vii Viel ähnliche Betrachtungen – in [Georg von] Buquoys Skizzen zu [einem] Gesetzbuche der Natur, Leipzig bei Breitkopf und Härtel [1817].

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hend, zu verlassen, und sich frische Bahn zu brechen, während einer Periode, wo Alles sich angeeckelt fühlt von dem Leichengeruche des faulenden Cadawers einer [15] in Stumpfsinn, Aberglauben, Gespensterseherei – {in eitler Sucht in Aberwitz} und in hoffärtiger Demuthheuchelei träg abgelaufenen, immer noch mittelalterlich und skolastisch, adeptisch infizirten {Reihe von Jahrhunderten}; es ist einmal Zeit {den schurrenden Leyerkasten einer abgeschmackten Moral zu verlassen} und jugendlich kräftige Arme zu benützen, um frische Bahn sich zu brechen – über Stock und Stauden hin, dahin, wo die Feuerblicke eines jugendlich aufkeimenden Geschlechtes hindeuten, in Verachtung abgelebter Schulweisheit zujauchzend einem Paradiese klarer Erkenntniß, und den Menschen als solchen – beseeligender Selbstverständigung; es ist einmal Zeit, die Schimären vom Dinge an sich, vom letzten Grunde, von der Ursubstanz, und all den metaphysischen Wahn, aufzugeben, den Menschen zu nehmen für das was er in der That ist, für ein endliches – mineralig, pflanzlich und thierlich irdgefesseltes – Vernunftwesen nehmlich, und ihn an die Naturgrenzen zu mahnen außerhalb derer er sich, seinem Wesen nach, stets nur als ein Wahnsinniger benehmen kann. Die Hinweisung auf solche Grentzen der Natur, der φύσις, solche Hinweisung, [16] {aber reduziert} sich, ganz kurz ungedrückt, darauf, daß jeder des Philosophierens Beflissene – von sich selber so spreche: Mein Philosophieren kann nie mehr seyn, als, daß ich alle Thatsachen meines Bewußtseyns, aus meiner gesammten Erscheinungswelt, {(mein Ich – mit einbegriffen)} in Harmonie setze mit den Formen meiner Anschauung, von denen es mir Thatsache des Bewußtseyns ist, daß sie das Wesen meiner Selbstbewußtheit konstituiren, wornach mein Philosophieren sich, so zu sagen, auf ein Assimiliren {meiner φύσις-haften} Erscheinungswelt mit dem Wesen meiner φύσις-haften Ichlichkeit – reduziert; so – verständige ich mich mit mir selber, welches mir autonom – intellektuelle Beseeligung gewährt; zu Wahnsinn und Verzweiflung führt aber das Streben nach Metaphysik – ein Wesen wie der Mensch, das durch und durch φύσις-haft ist. Was meine Thatsachen des Bewußtseyns, so viele sich ihrer – aus meiner gesammten Erscheinungswelt auch darstellen mögen, was sie an sich – seyen, was die Formen meiner Anschauung {(mir – gleichfalls Thatsachen des Bewußtseyns)} an sich – seyen, was selbst [17] mein Ich {(durchaus – mir gegebene Dinge) an sich – sey,} alles das – ist schon über das Gebieth des φύσις-haften hinaus, gehört schon der Metaphysik an, steht also dem Philosophieren – des durch und durch φύσις-haften Menschen – nicht mehr zu, dieses Culminationspunktes zwar, aber dieses Culminationspunktes telluren Lebens doch nur, – sondern kömmt nur dem nicht mehr φύσις-haften – zu, dem Metaphysischen, dem Alsolutum, Gott, – von dem der Mensch blos den Einfall – haben kann, den Einfall blos – und nie mehr, als Selbstproducirtes aus dem durch und durch φύσις-haften Menschen heraus. {All mein Philosophieren – kann stets nur naturhaft – φύσις-haft – seyn.} Ein durch und durch bedingt, beschränkt, endlich, naturhaft, φύσις-haftes Vernunftwesen, z. B. der Mensch, kann wohl den Einfall vom Unendlichen haben,

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{durch fortgesetztes Negiren der Kriterien der Endlichkeit,} kann aber das Unendliche selbst – sich nie klar denken. Sobald ich irgend einem Gedachten – das Wörtchen: unendlich – beifüge, so wird eo ipso, indem ich solches Beisetzen verrichte, jenes Gedachte – zu einem Nonens,h zu einer Bedeutungslosigkeit für mich. Denke [18] ich mir z. B. ein Kreisfläche von bestimmter Größe, und sage nun in Gedanken: Größere Kreisfläche, noch größere Kreisfläche, noch größere Kreisfläche, u. s. w., so schwebt mir dieß alles – sehr klar war; so wie ich aber dem Außdrucke: Kreisfläche – das Wörtchen: unendlich – beifüge, ist eo ipso – der Sinn des Wortes: Kreisfläche – annulirt, und es heißt: unendliche Kreisfläche – ganz dasselbe, als folgende Absurdität: unbegrentzes Etwas, das seinem Wesen nach – nothwendig begrenzt ist. Der Ausdruck: Unendlich – der Mathematiker – ist ganz falsch, und soll lauten: Genugsam großes, daß, in der Addition und Subtraktion, ohne merklichen Rechnungsfehler, die erste Potenz gegen der zweiten, die zweite gegen dem dritten, u. s. w., vernachlässigt werden kann. Verbannt sey auf immer – aus dem Gebiethe unsers Philosophierens – Metaphysik; Empirie und φύσις-hafte Metaempirie, mit dem höchsten aus möglichen Aufschwunge {innerhalb der Endlichkeit}, dieß sey das Gebieth unsers Philosophie[19] rens, {unseres, – die} wir selbst – kein Metaphysisches sind, die wir nicht außer der Natur stehen, die wir nur integrirende Theile der Natur sind, die wir durch und durch bedingt, beschränkt, endlich, naturhaft, φύσις-haft sind. {Wo des Wortes belebende Kraft – uns verläßt, da mögen Symbol, Metapher, Alegorie – auch noch als Krücken ausdienen; aber φύσις-haft sey alles – an unseren Philosophierenstreben stets.} Bescheidenheit und richtige Selbstschätzung der eigenen Vollbringensfähigkeit – sind der Anfang – aller Weisheit. Ich vermag, hin[20] sichtlich des Wahrheiterkennens,viii stets nur soviel: Ich bin im Stande, stets nur mein für wahr Anerkennen, und dieses stets nur in dem Sinne, mit innerer Uiberzeugung zu behaupten, daß mir – irgend Eines, wahr zu seyn, vorkomme; aber nimmermehr kann ich erweisen, daß solch Eines auch an sich – wahr sey; denn fühlte ich auch wirklich die innere Uiberzeugung in mir, daß besagtes solch Eines – wahr an sich – sey, so könnte ja dieß Gefühl immer noch auf einen bloßen Schein meinerseits – sich beziehen. {Mein Uiberzeugtseyn vom Wahr-an-sich kann nur sebjektiv seyn.} Mein apriorisches, metaempirisches (versteht sich, immer noch naturhaftes, immer noch φύσις-haftes, nicht metaphysisches) Denken – fährt mich nie – zu einem realen objectiven wirklichkeitsgemäßen Wissen, wornach ich, bei meinem Philosophieren, doch auch zugleich – strebe;ix sondern führt mich höchstens nur, viii Mein Wahrheiterkennen – ist das Wahrnehmen meinerseits, daß eine Behauptung harmoniere – mit der Form meiner Anschauung: Ja und Nein. ix Indem ich strebe, meine Erscheinungswelt in Harmonie zu bringen – u. a. auch – mit der Form meiner Anschauung: wirklich und fiktiv.

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und das sehr selten (nur in der reinen Mathematik und reinen Logik), zu der Uiberzeugung, {zu solch formalem Wissen,} daß diese oder jene apriori erbeutete Behauptung – von meiner Vernunft postulirt werde, woraus ich aber nimmermehr erweisen kann, daß das von meiner {apriorischen} Vernunft [21] postulirte – auch in der Wirklichkeit – sich gültig behaupten müsse; das heißt, wenn etwas, als ein von mir apriori Ausgesprachenes, mir als von meiner Vernunft postulirte sich aufdringt, so muß eben nicht nothwendig – solches Etwas – identisch seyn – mit dem, jenem Etwas – entsprechenden, empirisch Perzipirten. Erläuternd sage ich hier: Mein objectives, reales, wirklichkeitsgemäßes Wissen – ist mein Wissen, daß mir etwas – empirisch {so erscheine} (nicht durch mein apriorisches Denken so erscheine), und daß es mir – eben nur auf diese oder jene bestimmte Weise erscheine; um über das Wesen an sich – des, durch mein empirisches Perzipiren, oder auch (in einem andern Falle) durch mein apriorisches Denken, mir Erscheinenden – zu sprechen, hinzu fehlt mir der allerersten Anhaltspunkt. Mein objectives, {reales,} wirklichkeitsgemäßes Wissen, wornach {ich bei meinem Philosophieren} zugleich auch – sehr wesentlich strebe, jenes Wissen kann mir [22] stets nur aus der Erfahrung – werden; {aus subjektiv postulirtem – folgt nichtnothwendig – objektive Gültigkeit. Die Erfahrung} also in Vereinigung mit {φύσιςhaft} apriorischen Denken – ist mir Basis – all meines Philosophierens, welches letzten, {obgleich φύσις-haft, obgleich nicht metaphysischen,} nicht desto weniger in die höchsten Regionen transcendenten Denkens und selbst des Dichtens – sich aufzuschwingen geeignet ist. Anlangend den Gegenstand, über den ich philosophiere, so kann dieser nie etwas anderes seyn, als, das an der Selbstbewußtseynssphäre meines Ichs – mir Erscheinende, welches (nach der Form meiner Anschauung vielleicht blos) vor meinem Selbstbewußtseyn zerfällt: In das mir erscheinende Naturwalten innerhalb und außerhalb mir, oder: In das mir Erscheinen – esoanthropischen und exoanthropischen Naturwaltens, welches Alles – in dem schon durch frühere Sätze erläuterten Sinne – zu nehmen ist. Dem weiter eben Entwickelten, über apriorisches oder formales Wissen und über wirklichkeitsgemäßes Wissen, füge ich [23] noch die Darstellung des historischen Wissens bei: Mein historisches Wissen,i oder wohl eben so richtig – mein historischer Glaube, ist mein Wissen, daß etwas – wirklichkeitsgemäße Gültigkeit habe, obgleich {dieß Etwas – sich mir} weder apriori als Vernunftpostulat aufbringt, noch von mir empirisch perzipirt ward – solch historisches Wissen meinerseits – stützt sich lediglich darauf, daß mir jenes Etwas – von einem Andern erzählt wird, und daß {zugleich – ich innerlich} vom Wahrheitsprechen solches Erzählenden – überzeugt bin.x Mein historisches Wissen – modificirt sich in jenem Falle zum religiösen Glaube, {(foi), wenn ich} den Erzählenden, x

Indem die Aussage z. B. bestättigt wird – durch gleichzeitige Zeugen, durch Monumente, Lapidar-Inschriften, u. s. w.

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nun den Offenbarenden, meiner innersten Uiberzeugung nach, nicht nur für wahrsprechend halte, sondern zugleich für fähig, mir metaphysisch-göttliche (übernaturhaft-göttliche) Wahrheit {zu verkünden} nämlich religiöse Glaubensmysterien {zu offenbaren, von} welchen ich durch mich selbst – in mir – die Vorstellung weder apriorisch – noch durch mein empirisches Perzipi[24] ren – hervorzurufen vermag, {ich durch und durch Bedingtes, Beschränktes, Endliches, Naturhaftes, φύσις-haftes}, sondern – welche göttliche Mysterien {(ein Metaphysisches)}, sowohl als Vorstellung – denn als ein durch mich für wahr Gehaltenes, ich stets nur gläubig erhorchend – in mir aufnehmen kann. All meine Metaphysik – reduzirt sich auf Offenbarungsglauben, wenn es doch ja – eine Offenbarung für mich giebt; giebt es aber Keine, so reduzirt sich all meine Metaphysik – auf ein leehres Nichts. {Ich bin durch und durch – naturhaft, φύσις-haft.} Mein Philosophieren erscheint mir nur dann – nicht als ein blindes jagen nach einem Phantome, flößt mir selbst – Achtung ein – nur dann, gewährt mir jene innere Harmonie, welches mir nicht anders denn als Resultat des Philosophierens werden kann, nur dann, wenn ich mich vorläufig recht mit mir selbst – darüber verständigt habe, und dieß zwar hervordemonstrirt – aus meiner Natur und Wesenheit, {darüber nehmlich, was} denn eigentlich Jenes sey, das ich – philosophirend – zu erlangen vermag, oder dem ich mich wenigstens durch mein [25] Philosophiren annähern kann, und durch dessen – mich Annähern – ich, meinem innern Drange, wo nicht ein volles, so doch wenigstens einiges, Genüge zu leisten mich fähig fühle. Nur mittelst eines lange fortgesetzten, ungestörten, durch und durch kontemplativen Lebens,xi – {nur dadurch, daß ich} zugleich unbefangen {nach philosophischen Befriedigung} strebte, weder Tadel fürchtend und Huldigung suchend, {noch auch haschend nach Befreitung des von Andern – Behaupte nur durch dieses Alles – war ich} im Stande, zu solcher Selbstverständigung mit {mir selber – zu} gelangen, geschöpft diese – in meiner Natur und Wesenheit selbst, zu einer Selbstverständigung jedoch, die ich zwar nicht in ein Paar Worten ausdrücken kann, aber die ich mich bemühe, hier in mir selber – und in Solcher – hervorzurufen, die mir geistrerwandt sind, und zwar hervorzurufen – als klares Bild, wohlverstanden als ein Bild, nicht als ein Schema von Sätzen, bei [26] {Hervorrufung welchen Bildes – es} mir aber wohl höchstens nur gelingen möchte, hinzu den Impuls zu geben. Eben so vermag der Künstler – durch sein Werk – nie mehr, als dem Betrachter des Werkes – einen Impuls zu geben, der Impuls nämlich zu einem Aufschwingen nach dem Ideale des Schönen hin, unter bestimmter Form; diese Form – ist dann das jedesmalig kombinirte Resultat, hervorgehend aus der Individualität des Kunstwerkes – und zugleich aus der Individualität des Betrachters. Ehe ich jedoch zur eigentlichen Darstellung jener Selbstverständigung mit mir – schreite, will ich, gleichsamm als Vorbereitung hinzu, jenes Resultat meines kontemplativen Lebens und unbefangenen Forschens – recht klar in mir hervorrufen, xi

Nicht ein blosses Betreiben philosophischer Studien.

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welches Resultat sich auf die Bestimmung dessen bezieht, das ich, meiner durch Selbstdenken errungenen Uiberzeugung [27] nach, im Philosophiren – nicht zu suchen – habe, {und zwar darum nicht} meiner Natur und Wesenheit nach, aus mir heraus – nicht hervor konstruirt werden kann. Was habe ich denn nun aber im Philosophieren – nicht zu suchen? Gerade dasjenige, welches, ehe ich mich nach mit mir selber veständigen konnte, und so lange ich bloß nach der bei Andern – herrschenden Weise philosophirte, mir als das im Philosophirten eigentlich zu Suchende – erschien, das sich mir aber nur, nach bereits eingetretener Verständigung mit mir selbst, als ein im Philosophiren durchaus nicht zu Suchendes – aufdringt. Was ist denn nun aber – dieses nicht zu Suchende? Es ist dieses: Das Wissen im strengsten Sinne des Wortes, das Wissen an sich. – Warum wird denn aber solches Wissen – nicht als Gegenstand meines Philosophierens – von mir betrachtet? Weil ich – eines Wissens im strengsten Sinne des Wortes, eines Wissens [28] an sich, – durchaus unfähig bin, indem, bei genauer Untersuchung, all das, so ich für Wissen zu halten – allenfalls geneigt wäre, sich mir bloß als ein Dafürhalten meinerseits, mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit, aber nimmermehr – als ein absolutes Wissen meinerseits, – darstellt. Das binnen Jahrtausenden getriebene Philosophieren – war eitler Tand, hoffärtiger Wahn, leeres Wortspiel, Zweck verfehlende Grübeley, verzüglich seit Platosj poetisch aufgeputzter Philosophie seyn sollender Lehre, bis zu dem Augenblick hin, wo der mächtige und so gründlich durchgeführte Satz erscholl, daß, ausser dem formalen Wissen, es durchaus kein Wissen gebe. Hiemit hatte Kant, dieser tiefe Denker, die Rieget der Pforten – des seit Jahrtausenden verschlossenen Weisheittempels – mir riesigen Arme – {glirrend} erfaßt zwar, sie mächtig erschüttert {zwar}, – er hatte die sinnende Menschheit gemahnt zwar an – Re[29] form {in der Methode} des Forschens; – aber er hatte nicht gesprengt noch – jene den Dämmerwahn von der Lichterkenntniß trennende Schranke.k Hinzu – hätte er noch folgenden, sich der ächten Forschung von selbst aufdringenden, Satz aussprechen müssen: Auch unser formales Fürwahrhalten, welches sich uns beim ersten Anblick als ein Wissen an sich aufdringen möchte, ist kein Wissen an sich, indem das am Formalen – sich als ein Wissen anfangs darstellende, bei näherer Würdigung, sich nicht mehr als ein Wissen behauptet, sondern, wie Alles das wir etwa für Wissen zu halten geneigt seyn möchten, als ein bloßes Dafürhalten, mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit, {sich behauptet}.l Diesen Satz zu affirmiren {nun aber}, fühle ich mich durch Folgendes nothgedrungen: Dem Formalen, im meinem apriorischen Erkennen, entspricht nur ein relatives Wissen, ein auf meine Subjektivität bezogenes Wissen, hiemit also kein eigentliches Wissen, kein Wissen an sich, – der bloße Schein eines [30] Wissens, ein Wissen nämlich (wenn dieß doch ja – ein Wissen genannt werden kann), das vor nur meiner – theoretischen Vernunft – sich allenfalls für ein Wissen ausgeben möchte, von dem ich aber nie erweisen kann, daß es auch vor der Vernunft an sich –

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als Wissen sich behaupte, da ich ja nicht erweisen kann, daß meine partikulare theoretische Vernunft – identisch sey – mit der theoretischen Vernunft an sich; jeder solche Beweis – entspränge ja aus blos meiner partikular Vernunft. Das von Kant so benannte formalen Wissen – ist um nichts mehr – ein Wissen, als Kants sobenannter praktischer Vernunftglaube; jenes formale vermeintliche Wissen, wenn es, wie gewähnlich, als gleichbedeutend mit apriorischem Wissen genommen wird, ist am Ende doch nur ein Dafürhalten meinerseits, sich stützend dieses – auf das von mir nie zum Wissen zu erheben mögliche Dafürhalten, daß meine Partikularvernunft – vor dem Richterstuhle der Vernunft an sich – als frei von jeder Spur des Wahnsinnes – [31] sich behaupte; dieß bloße Dafürhalten {meinerseits – ist jedoch} nimmermehr ein Wissen. {Unsere reine Mathematik – ist vielleicht – die Ausgeburth eines der Menschenspecies – eigenthümlichen Wahnsinne.} Kant entwickelte, als staunenswerther Denker, die Kathegorien aus seiner Partikularvernunft; beweiß er denn aber auch, und konnte er es wohl je beweisen, daß die Vernunft an sich – dieselben Kathegorien, als die Kantischen, hervorkonstruiren müßte? Niemand kann solches je erweisen, da Jeder – den Beweis stets nur aus seiner (des beweisen Wollenden) Partikularvernunft schöpfen könnte, deren Ausspruch er ja nie als identisch mit dem Ausspruche der Vernunft an sich – erweisen kann. Ich möchte den Kantischen Kriticismus – den Kriticismus der ersten Potenz nennen, und meinen Kriticismus – den Kriticismus der zweiten Potenz. {Dem vorgetragenen} Zufolge, spricht sich mir aber der religiöse Glaube – um nichts mehr – als ein bloßes Dafürhalten, als ein bloßes Meinen, aus, als das bisher fälschlich sobennante logische und mathematische Wissen – mir als ein bloßes Dafür[32] halten sich ausspricht; vielleicht ist all mein {rein} logisches und rein mathematisches Denken, vor der Vernunft an sich, Spiel eines mir eigenthümlichen {oder dem Menschgeschlechte eigenthümlichen} Wahnsinnes, so wie vielleicht all mein Glaube – Spiel eines krankhaft aufgeregten Gefühls ist, und so muß mir den die religiöse Evidenz für eben soviel gelten – als die mathematische, oder es muß mir mathematische Evidenz für eben so wenig gelten als die religiöse, wenn doch ja – von Evidenz – im menschlichen Forschen – je die Rede seyn kann. (Uiber Glaube, foi, später mehr). Nach Skizzierung meiner, den Glauben auf die ihm vergleimende Würde erhebenden, oder das Wissen auf den ihm entsprechenden Standpunkt zurückweisenden, Skepsis, wende ich mich nun zu folgenden Betrachtungen: Durch Verstand und Vernunft allein, durch bloßes Reflektiren und strenges Demonstriren, – gelange ich nimmermehr zu einer harmonischen, mein totales Ich – befriedigenden, Anschauung [33] des Naturganzen innerhalb und außerhalb mir,xii und der an jenem Naturganzen sich manifestirenden Verhältnisse und Wechselbeziehungen; eben so wenig gelange ich xii Das Naturganze ist mir – meine gesammte, sowohl somatisch als selbstbewusthaft (vielleicht so – der Form meiner Anschauung gemäß) sich mir aussprechende, Erscheinungswelt, so wie mir Naturprodukt – jedes ist, das mir, außerhalb oder innerhalb mir, als Einzelnes erscheint (siehe den Aufsatz: Was heißt Natur? in dem Werke: [Georg von] Buquoy, Anregungen für

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{durch bloßes Reflektiren} – zu einer – mit meinem totalen Selbstbewußtseyn – harmonirenden Interpretation, zum Aussprechen der Bedeutung, des Sinnes, aller Erscheinung überhaupt – innerhalb und außerhalb mir (nämlich des gesammten mir Erscheinens, meiner gesammten Erscheinungswelt, von [34] deren einem Theile es mir vorkömmt, als entspringe er aus etwas das nicht mehr mein Ich ist, von deren anderen Theile es mir vorkömmt, als erspringe er aus Schassenthätigkeit meines Ichs selbst); insgesammt Zielpunkte, denen nachzustreben ich mich dringend aufgefordert fühle, und zwar authonom, {als actio actionis causa um keines außerhalb des Philosophierens selbst – gelegenen Zweckes willen.} Ich sagte schon weiter aber, daß ich es nie zu einer vollendeten Philosophie bringen können; der Grund dieser Behauptung ist folgender: Eine vollendete Philosophie – wäre eigentlich – das aus einem oberste Grundsatze nur – abgeleitete Schema, woraus jedes Einzelnerscheinen (innerhalb und außerhalb mir) als nothwendig so hervorginge, und als Reflex des Allerscheinens zugleich. Jener oberste Grundsatz nun aber – müßte nothwendig ein apriorischer seyn, indem das Aposteriorische – immer nur Bruchstücke – liefern kann; dann aber erstreckte sich die Anwendung jenes obersten Grundsatzes – bloß auf das Subjective, nicht auf das Objective, also nicht auf die Gesamtheit des Erscheinens. Denn das Apriorische paßt – {als nothwendig so} – nur innerhalb der {Vorstellung – der Idee – der Schlüsse, begrün[35] det nicht nothwendig – objective Gültigkeit,} findet keine sichere Anwendung weiter hinaus, also keine sichere Anwendung auf die Sphäre der {zoosinnlischen} Wahrnehmung, auf die Sphäre des Objectiven, Realen, Empirischen, Wirklichen. {Da ich, aller Selbsttäuschung und Scharlatanerie abhold, unbefangen nach Selbstverständigung mit mir – strebe, so kann mein} Philosophieren stets nur – ein fragmentarisches bleiben, dem jedoch der Sistematismus – dadurch zugesichert ist, daß alles, jedesmal ab ovo begonnene, fragmentarische Philosophieren – durchaus von einem einzigen Urbilde (Bild – nicht Satz) ausgeht. Zu solchem Urbilde – gelangen wir aber nicht so eigentlich – durch Lehrvorträge, durch Definitionen und logische Demonstrationen; nicht Alles – ist von so prosaischer Klarheit – wie die Mathematik; in das Erfassen solchen Urbildes – müssen wir eigens eingeweihet werden, wie in eine esoterische Schule, und zwar mittelst eines durch und durch philosophisch kontemplativen und zugleich wirklichkeitsgemäß naturanschauenden Lebens, wornach wir, selbstproductiv aus und heraus, [36] ein gewisses richtiges Gefühl, {un cértain tact,} einen wirklichkeitsgemäßen Naturanschauungstakt {und Naturinterpretirungstakt, erlangen,} und zwar für klare, sinnige, jedoch in das beschränkende Wort nicht zu fassende, Anschauung – sowohl philosophisch-wissenschaftliche Forschung und dichterische Begeisterung, [Leipzig 1825, S. 745–746.]), also jedes lithobiotische sowohl, als phytobiotische, als zoobiotische, als anthropobiotische (Gedanken, Fiktionen, Gefühle, …), als polibiotische (staatslebendliche), Gebilde. Den Gegensatz des somatischen und selbstbewusthaften (gewähnlich geistiges benannt) dringt sich mir zwar auf, aber vielleicht bloß – als Form meiner Anschauung, ohne hier objective Gültigkeit zu postuliren.

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das Naturganzen, als der Naturindividualitäten, als endlich des Verhältnisses der letztern zum Naturganzen und unter sich wechselseitig. Ich drücke dieß – folgendermassen aus: „Willst du des Waltens tief verborg’nen Sinn erfassen, So blick unabgewandten Auges, unbefangen – Nach der Natur Gebehrde hin. Ein Hochgebilde, Herrend lauffendem Gemüth’ – entsteiget urhaft, Zuwinkend dir das langersehnte Ja, – du hättest, Erfaßt den hohen Sinn – erfaßt ihn im Gebild’. Doch dieses Hochgebilde, doppelzügig kündend Des Tagens Wonn’ und Niedernachtens Schreckgesichte, Zu schaun nur ists als Bild, – zu fassen nicht in Worte. –“ Noch bemerke ich von oben erwähntem Urbilde folgendes: Mein Urbild, von dem mein jedesmaliges Philosophieren – gleichsam in Successiren ausschwüngen nach den höchsten Regionen des Denkens, Dichtens, Schwärmens hin – [37] seinen ersten Anlauf nimmt, {und wovon jede meiner einzelnen Anschauungen – das Gepräge an sich trägt, welches} Urbild – all meinem Philosophieren – Richtung und Haltung ertheilt, ihm, {so zu sagen,} seinen Gesammthabitus verleiht, – mein rein empirisch und streng reflectiv construirtes Urbild – stammt aus der Wirklichkeit, paßt also auch wieder auf die Wirklichkeit; sonach ist mein Philosophieren – wirklichkeitsgemäß durch und durch, und nicht im geringsten – eine Chimäre, eine bloße Träumerei, eine leere Grübelei, mir bisher sobenannte Metaphysik u. s. w. Ich strebe nicht nach dem Begreifen und Erklären des mir Erscheinenden, da es mir überhaupt als etwas Unmögliches, und daher als etwas das Suchen nicht Lohnendes, vorkömmt, den Kausalnexus zu ergründen. Wohl ist am Ende – der sich mir allenthalben aufdringende Kausalnexus – weiter Nichts, als eine subjective Forderung meinerseits, sich gründend auf die Form meiner Anschauungsweise am Objectiven, und vielleicht eben so sehr auf scholastische Vorurtheile,m aber nicht am Objectiven selbst – bestehend – jeder Kausalnexus. Wenn ich überhaupt sage: a bewirkt b, c, und d, oder a ist die Ursache von b, c, und d; so ist dieß allemal nur eine Hypothese. Die reine unbefangene Anschauung an den Erscheinenswelt – sagt mir, im jedesmaligen [38] speziellen Falle {besagter Art}, unmittelbar – nie mehr, als, daß a, b, c, d zusammengenommen – als Simmultangruppe oder als Successivgruppe sich aussprechen; die weitere Behauptung aber, daß a die Ursache und b, c, d die Wirkungen seyen, dieß – ist eine bloße Supposition, deren Gültigkeit ich in keinem Falle erweisen kann; auch dann nicht, wenn durch Hinwegnehmen von a, das b, c, d hinwegfiele, da dieß Hinwegfallen ja auch dann noch erfolgen möchte, wenn nur, ohne daß eben a die Ursache von b, c, d wäre, a, b, c, d sich zu einander so verhielten, daß sie nicht anders – denn als Gesammtgruppe, nämlich als Simultan- oder Successiv-Gruppe, mit einander bestehen können.xiii xiii Siehe hierüber: [Georg von] Buquoy, Ideele Verherrlichung u. s. w. [des empirisch erfaßten Naturlebens, Leipzig 1822].

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Ist denn überhaupt – ein Kausalnexus am Objectiven – etwas Nothwendiges? Ist er nicht vielmehr von mir, den Formen meines Anschauens gemäß, oder vielleicht gar durch bloße Angewähnung von der Schule her, nur ins Objective transponirt? U. s. w. Weiter unter wird gezeigt, wie sich der Begriff von Kraft als eine bloße [39] Fiktion kund gebe, und wie eben so – {als bloße Fiktion sich ausspreche} – der Begriff von Zweckmäßigkeit in der Natur überhaupt so wie in dem menschlichen sogenannt (fälschlich, wie gezeigt werden soll) freyen Handeln insbesondere (das menschliche Handeln ist bloß ein integrirender Theil – allgemeiner Naturthätigkeit),xiv {welchem Letztern nach} – wir das Schicksal zu lenken wähnen. {Kein Endliches, auch nicht der Mensch, faßt den vollen Grund seiner Thätigkeit – in sich.} Was man, außerhalb des Gebietes der reinen – Mathematik, gemeinhin erklären nennt, ist nie ein Zurückführen auf einen nothwendig-letzten Grund, über welchen hinaus keiner mehr bestehen kann; sondern immer nur auf eine Hypothese, deren Gültigkeit – allemal erst wieder eines Beweises bedarf. All solches Erklären – der Erscheinungen innerhalb und außerhalb uns – dient bloß dazu, um die ungeheuere Menge der Erscheinungen zu Klassifiziren, und zwar, nach gewissen {stets nur supponirten} Grundactivitäten, [40] welche den Erscheinungen zugemuthet werden, {zu klassificiren} ungefähr so, wie in der Naturgeschichte man die Mineral-, Pflanz- und Thier-Körper nach äußere Merkmalen klassifizirt. Auf der Grund der Dinge – gelangen wir durchs Erklären nie. {All unser Erklären – ist ein bloßes Giriren von einer Unbegreiflichkeit nach der andern hin.} Wäre vielleicht die ganze Vorstellung vom Grunde der Dinge – am Ende nichts weiter, als eine uns zur fixen Idee gewordene Hypothese? Die Naturgesetze, oder besser die Urnormen alles Hervortretens am Naturganzen innerhalb und außerhalb mir, vermag ich zu erkennen, und hiemit – kann ich mich bescheiden. {Wie sollte ich diese nie wandelnden Normen – nicht als blosse Nothwendigkeit – zu betrachten mich gezwunzen fühlen?} Was soll den über dieselben hinaus – noch liegen? Ich strebe wesentlich – nach dem hypothesenfrei, ohne vorgefaßter Ansicht, in kindlicher Unbefangenheit, erschauten, und daher von mir als truglos gehaltene, Totalbilde – desjenigen, das sich mir (vielleicht nur scheinbar) darstellt als Gewesenes, Sezendes und Werdendes, so wie ich zugleich strebe, alle, zwischen den einzelnen Parthien jenes [41] Totalbildes, stattfindenden Wechselbeziehungen zu enthüllen (saisir les rapports), oder wenigstens zu erahnen. Jenes Totalbild des Erscheinungsganzen innerhalb und außerhalb mir, {nehmlich} des Erscheinungsganzen von als selbstbewußthaft {karakterisirter} (sogenannt geistiger) und von als somatisch {karakterisirter Form}, in sich schließend Folgendes: sowohl Künstlich- als Selbstisch-Entstandenes,xv sowohl durch Entfaltungshindernisse Verkümmertes als frei Entwickeltes, sowohl mit xiv Alles – unterliegt hier – der Nothwendigkeit dem Fatum, der Weltlaufsmacht. xv Nehmlich durch und ohne Einwirken des Menschen.

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meinem Würdigungssinne disharmonirendes als mit jenem Sinne harmonirendes, sowohl Abnormes (Ungewähnliches) {als normales} jenes Totalbildxvi – nenne ich das Bild der gesammten Natur. Bei der von mir, nach besagter Weise vorgenommenen philosophischen Naturanschauung – berücksichtige ich wesentlich – die, per Inductionem, aus hypothesenfrei aufgefaßten und aus erprobten Versuchen (von mir selbst, und andern mir glaubwürdigen Zeugen, beobachtet), so wie aus hypothesenfreien Wahrnehmungen, hypothesenfrei abstrahirten Gesetze – des Erscheinungs innerhalb und außerhalb mir, ferner die aus diesen Gesetzen, oder [42] Urnormen des Erscheinens, weitershin, durch strenges (durch Gefühl und Phantasie nicht beirrtes) Denken, vorzüglich durch mathematischen Kalkul, abermals hypothesenfrei, entwickelten Gesetze, oder Urnormen des Erscheinens, innerhalb und außerhalb mir. Nur um des angenommenen Sprachgebrauches willen – bediene ich mich des an sich falschen, oder wenigstens leicht falsche Deutung veranlassenden Ausdruckes Naturgesetz, das eigentlich eine Naturnothwendigkeit ist; in der Folge werde ich andere Bezeichnungen verschlagen und zeigen, wie wenig der Ausdruck Gesetz – hieher passe. Ich strebe ferner, bei meiner philosophischen Naturanschauung, nach der Bedeutung, nach dem Sinne, des Gesammterscheinens, d. h. es mit den Formen meiner Anschauung in Harmonie zu bringen, als für welche Interpretation – die Gesammtheit der Naturgesetze (Naturnothwendigkeiten, Naturwaltensnormen), soweit ich deren habhaft werden kann, dasjenige ist, das mir den physiognomischen Ausdruck, die Mimik, die Gebehrde, liefert, in welchen richtig zu lesen, {d. h. welche mit den Formen meiner Anschauung in Harmonie zu bringen, – mir zu Aufgabe ist;} oder anders ausgedrückt: Ich strebe, durch unbefangene und durch sinnige Anschauung des sich mir bis geoffenbarten (hypothesenfrei erbeuteten) Gesetzesganzen, – am Naturwalten innerhalb und außerhalb [43] mir, – den Typus, den Charakter, den Sinne,xvii des Naturwaltens überhaupt, zu erahnen. Was mir solchengestalt bisher ward, und noch täglich hin, nach dem organischen Entfaltensakte meines Fortphilosophirens, wird, mag mir als Fragment der in ihrer Totalität, von mir als einem Beschränken, nie auszusprechen möglichen AllLebensformel gelten (von dieser All-Lebensformel später ein Mehreres), mag mir nur als solches Fragment gelten, obgleich an sich schon – ein unübersehbares Bild, in sich fassend eine Fülle von Bildern, ein Bild, das ich nur als geahnete Totalität aufzufassen vermag, aber nicht in Worten zu geben im Stande bin, da es mir als Etwas vorschwebt, {dieß Fragment blos,} das mir zwar innerlich sehr klar ist, das aber meine Ausdrückenfähigkeit überschreitet.xviii Die Weise zu falsch hoher inniger Anschauung xvi

Dieß Alles – führe ich hier an, um die falschen Anwendungen der Ausdrücke: Natur, natürlich, u. s. w. zu rägen. xvii [Georg von] Buquoy, Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur, [Leipzig 1817]. xviii So das Fragment nur; was wäre die All-Lebensformel selbst? Mir einigen schwachen Zügen strebte ich jenes Bild zu entwerfen in dem Gedichte: Das Forschen des Menschen in den Mysterien der Natur ([Georg von] Buquoys Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten

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[44–45 ist das zum fol. 46 gehörte Gedicht] [46] des Naturganzen innerhalb und außerhalb mir, freilich nur als geahnete Totalität, ward mir – durch ein lange fortgesetztes echt philosophisch-contemplatives Leben, ich sage: Leben. –xix Die Einsamkeit ist die Quelle echter und anhaltender Begeisterung. {„An der von Sphinxen umlagerten Thebe, Uiber Babilons Modergemäuern, Uiber der Ninive Schwinden dahin, Und der Egbatan, Saba, Palmira, Und der Baktra, Persepolis, ach! Uiber sie, des Vergehens Symbole, – Möcht’ ich weinen, vergänglich – auch ich. Dann, nach dem Himmel der Nächte hinblickend, Nach dem Schauderraum funkelnder Welten, Möcht’ ich erfassen des Alls – hohen Sinn, Und erlauschen ihn wieder hier unten, In dem Geflüster der Blume der Wüste, Kündend die Blume dem vollenden Euphrat, Was zu der Blume sprachen die Sterne. Und dann die Wonne der Wehmuth besingen, Sie, diese Wonne, möglich besingen, Sie, diese Wonne selgen Beweußtseyns, Ferne zu wandeln – vom Menschengetriebe.“} Weiters strebe ich, jenen allgemeinen Typus, jenen allgemeinen Charakter, des Naturwaltens überhaupt, in den einzelnen Zügen der Naturphysiognomie, in den speziellen Naturmanifestationen, in den isolirten Naturgebehrden, d. h. in jeder [47] einzelnen Erscheinung, wieder zu finden, die Bedeutung jeder Erscheinung für sich – auszusprechen, und so – gleichsam an der einzelnen Erscheinung – den Nachhal der Allerscheinung – zu erhorchen, und zwar stets – in Harmonie mit den Formen meiner Anschauung, die mir Thatsachen des Bewußtseyns sind.xx Der hier angedeutete Parallelismus zeigt sich vorzüglich klar in der vergleichenden Anatomie, er

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Naturlebens, [Leipzig 1822, S. XLI– L]). Nicht selten überschreitet, von der Anschauung des Begeisterten und des Selbstdenkers, der sich aufdringende Wesengliedbau – den zu Gebot stehenden Zeichengliedbau. – Ein bloßes Studiren der sogenannten Philosophie (diese letztere mir eine Chimäre), der Naturlehre, Physiologie, Psychologie, Menschengeschichte, u. s. w., ist dazu nicht hinreichend; sondern es muß die ganzen Lebensweise – contemplativ, in sich gesammelt, seyn, wenn irgend Einer – zu echter Naturanschauung gelangen soll. Die große Heerstrasse ist nicht den Pfad, der zu dem Sanktuarium höheren Einweihung führt, wenn es gleich eine unserer Zeitlaunen ist, so Manches populär zu machen, das eben hiedurch – nur profanirt wird. Von der Formen meiner Anschauung: Quantität, Qualität, Substanz und Accidenz, Causalität, u. s. w., sprach ich schon ausführlich weiter oben.

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läßt sich überhaupt, wie {er an der ganzen Natur allgewaltig herrscht, durch} folgende Strophen geben: „Ein, nur ein Leben, All will durchweben, Nach Gegensätzen, Gleichen es schätzen, Das Un’verselle, Und Ind’viduelle; Dort – wie’s erschallet, Hier’s – wiederhallet.“ Ich befriedige, dem objectiven und subjectiven Umfange [48] nach, jenes bis hieher angedeutete, sich als actio actionis causa aussprechende, Streben, indem ich, ohne Ausnahme, allen – einzelnen Zügen der Naturphysiognomie überhaupt,xxi so viel dieß in meiner Macht liegt, {nachspähe, u. z.} unbefangen und hypothesenfrei; indem ich ferner mit allen – mir zu Gebote stehenden Fakultäten des Percipirens, des Abstrahirens, des strengen Denkens, als ganz vorzüglich des mathematischen Eindringens, ferner, des Vergleichens und Interpretirens mittelst Verstand, Vernunft, Phantasie, Gefühl u. s. w., mit allen diesen Fakultäten stets zugleich, – {also zoosinnlich, reflektiv, gefühlgewegt und poetisch stets zugleich} in das Erscheinungsganzen innerhalb und außerhalb mir, in die Waltensnorm {desselben}, und in dieser letztern eigentlichen höhern Sinn, – dringe; mit all jenen Fakultäten, wie gesagt, stets zugleich – zwar, jedoch, nach Maßgabe der jedesmal vorgenommenen speziellen Betrachtung, vorherrschend mit der einen oder der andern jener Fakultäten. Diesem [49] zu Folge – fühle ich mich geneigt, {behufs meines Philosophirens} – weder irgend eine abgeschlossene Fachwissenschaft zu treiben, noch dieser oder jener angenommenen, meinen freien Schwung lähmenden, Schulmethode im Philosophieren, überhaupt und insbesondere, mich zu fügen. Mein Philosophieren – ist ein durchaus freies – ist ein Begeisterungsphilosophiren, ist ein philosophisches Dichten – oder ein poetisches Philosophieren; ist aber zugleich {und dieß zwar – seiner Methode nach, höchst besonnen und wirklichkeitsgemäß,} des heterogenste in sich schließend zwar, und selbst Schwärmerei mitunter, aber all das – unter sich – zu einem harmonischen Ganzen unausgesetzt verschmelzend, und es auf Erfahrung und nüchterne Logik zurückführend, indem nämlich jenes heterogene – ein und dasselbe Urbild – immer wieder reflectirt, das rein empirisch und streng reflektiv construirte, aber freilich – unter tausendfacher Farbeprunken der Lichtbrechung.n Mein Philosophiren geht ferner nicht von einem in Worte zu fassenden Prinzipe aus, nicht von einem Grundsatze, woher stets nur todte Begriffsgliederung zu entspringen vermag; sondern – von einem empirisch erfaßten, durch Verstand und Vernunft hypothesenfrei konstruirten, Totalbilde, das einzig und allein aus Thatsachen gexxi Zu dieser – gehört auch die ganze Innerlichkeit meines Ichs.

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schöpft ist, und daher wieder nur auf Entwicklungsresultate führen kann, {welche dem Thatsächlichen, und so – auch der lebendigen} Wirklichkeit, entsprechen. Die Konstruc[50] tion dieses Totalbildes – geht in mir – unausgesetzt vor sich, und {zwar: rein} empirisch und streng reflektiv, mit sorgfältiger Vermeidung aller Einmengung des Gefühls und der Phantasie, und frei von jeglicher Hypothese. Das von diesem {prosaischen} Urbilde jedesmal ausgehende Philosophiren {jedoch (gleichsam der jedesmalige Aufschwung nach Aethersphäre – von starrer Erde aus) bewegt} sich frei phantasievoll und gefühlsdurchdrungen. Solchermassen möge denn die All-Lebensformel (ein mir, als Vollendetes betrachtet, unerreichbares Ideal) immer klarer und klarer von meinem Bewußtseyn sich gestalten, und zwar – aus dem Heerde meiner innern Anschauung der Wirklichkeit – hervor, welcher Anschauung gemäß – mir, an der gasammten Natur innerhalb und außerhalb mir, Alles – als lebendxxii – vorschwebt. Nach der All[51] Lebensformel {(Formel – im Sinne der analytischen Dynamik)} könnte das AllErscheinen innerhalb und außerhalb mir, dieses Erscheinen selbst, a priori nachgewiesen werden, wenn ich die All-Lebensformel – a priori, gleich einer algebraischen Formel {der reinen Mathematik} anzusetzen je vermöchte. Denn, es wäre die Verwirklichung der All-Lebensformel – das All-Leben selbst, nämlich der gesammte Litho-, Phyto-, Zoo-, Anthropo-, Poli-Biotismus. Es ließe sich aber auch – jedes spezielle Leben – aus jener All-Lebensformel dann entwickeln; denn es wäre irgend ein betrachtetes Einzelnleben – die Verwirklichung derjenigen Einzeln-Lebensformel, die ich {aus der All-Lebensformel} erhielte, indem ich bei der All-Lebensformel – die Bezeichnung für dieß oder jene einzelne Lebensmoment – als so prädominirend (nach Maßgabe des jedesmal betrachteten Einzelnlebens) ansetzte, daß die übrigen in der All-Lebensformel (diese – der Ausdruck der Kombination aller aufs All-Leben sich beziehenden Lebensmomente) enthaltenen Lebensmoments-Bezeichnungen – aproximativ als verswindende Größen erscheinen [52] möchten. Auf ähnliche Art entwickle ich (in andern Schriften) aus der von mir erfundenen allgemeinen Formel der Dynamik – nicht bloß die spezielle Formel für den Zustand an einem wie irgend in beschleunigter und verzögerter Bewegung begriffenen, wie irgend einfachen oder verwickelten mechanische (phoronomischen),o Systeme, sondern, eben so bestimmt auch – die spezielle Formel für den Zustand jedes auch nach so beschränkten einzelnen Falles der Statik (siehe: [Le Comte de] Buquoy, Exposition d’un nouveau principe général de Dynamique, … Lu à l’Institut [de France], [Paris 1815]; ferner: [Georg von] Buquoy, Weitere Entwickelung [und Anwendung] des Gesetzes der virtuellen Geschwindigkeiten etc., [Leipzig 1814]). xxii Ich kann die Natur innerhalb und außerhalb mir – nicht als in leblose und lebende zerfallend – mir denken. Mir lebt die ganze Natur; bloß Gradationen des Lebens mag es geben; daher denn die Eintheilung der Natur in kryptobiotische und phänerobiotische anzunehmen ist, nicht aber die Eintheilung in anorganische und organische. Hierüber folgt unten ein Mehreres.

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Da meine weiter oben ausgesprochene Ansicht von All-Leben – vorzüglich Jenen anstässig scheinen möchte, welchen es, nach einer herkömmlichen und sehr allgemein üblichen Methode im Naturstudium, nach einem herkömmlichen Schulschlendrian, durchaus widersteht, die gesammte Naturxxiii – als eine Totalität – [53] zu betrachten, {als einen Gesammtorganismus,} denen vielmehr die Natur – bloßes Stückwerk ist, das in belebte und unbelebte Inventarstücke zerfällt; –xxiv so theile ich den solchermassen Denkenden, unter Vermeidung aller poetischen und rhetorischen Künste der Verführung, folgende nüchterne Betrachtungen zur weitern Beherzigung mit: Wenn ich sage: das Leben am Krystalle – ist gleich Null, so risquire ich, eine Lüge {zu begeben}, da ja der Krystall immer noch ein Leben besitzen kann, das aber nur so schwach ist, daß es vielleicht bloß – meiner Wahrnehmung entgeht. Sage ich aber: Das [54] Leben am Krystalle ist {gleich x}, das heißt, den Krystall besitzt ein Leben von einem mir unbekannten Grade der Intensität, so risquire ich keine Lüge mehr; denn mein Satz bleibt auch für den Fall noch wahr, wo wirklich das Leben des Krystalls {gleich Null} wäre, da ja in dem allgemeinen Ausdrucke, der sich auf {den Ausspruch: Gleich x} bezieht, auch der spezielle Werth gleich Null – mit enthalten ist.xxv Auf ähnliche Weise lügt der Geometer [55] nicht, wenn es sagt, der Kreis sey eine Elipse; denn der Kreis ist in der That eine Elipse, nämlich eine solche, worinn die Excentricität gleich Null ist. Ich risquire eine Lüge, wenn ich eine auch noch so gerad scheinende Linie – als Absolutgrade xxiii Ganz falsch – begreift man bisher in die Natur lediglich den Lito-, Phyto-, Zoo-Biotismus, nicht mit einbeziehend – den Anthropo- und Poli-Biotismus. xxiv Die Ansicht vom Zerfallen des Naturganzen in die Heterogenitäten: Organisches und Unorganisches, oder Lebendes und Todtes, widerspricht allen philosophischen sowohl als dichterischen Auffassung. Bei solcher erzwungener Trennung war man blind gegen alle Analogie unter den fiktiv aus einander gezerrten Gruppen, und übertrieb den vermeintlich statt finden sollenden Gegensatz hieran über Gebühr. Sonach trennten sich, auf sehr unangemessene Weise, Physiologie und Physik – in gänzlich geschiedene Doktrine, indeß ersten doch nicht weiter ist, als der Ausdruck der unter höherm Lebensaccente erscheinenden letzteren, gleichwie die Physik als Physiologie der vital deprimirten Parthie am Naturleben – zu erklären ist. xxv Uibrigens bedenke man hier noch Folgendes: Das, nicht in Bebrütung begriffene, potentiell lebende Ey – bleibt sich gleich, ohne deutliche Thätigkeiten, d. h. ohne sichtbare Bewegungen und Veränderungen aus dem Innern des Eyes selbst her, zu äußern. Wir bemerken ferner, daß bei niedern blos parenchymatösen Pflanzen, ohne Spiralgefüße punktirte und ringförmige Gefüße, wo keine Softbewegung wahrzunehmen ist, wo auch ein höheres Leben nicht durch von uns erfaßbare Thätigkeiten sich kund gibt, daß sich hier dennoch ein Leben äußert, und zwar ist dieß – aus dem fortdauernden Grünen und allmähligen Wachsen zu errathen. Auch bei dem winterschlafenden Thiere, so wie beim scheintodten Menschen, sind die äußerlichen ein höchstens Leben kündenden Thätigkeiten aufgehaben, ohne Vernichtung des Lebens. Also kann, bei einem Minimum des Lebens, auch seine Aeußerung latent werden, es kann das Leben qua potentia fortbestehen, ohne darum sich kund zu geben qua actio. Ferner bedenke man, daß destillirtes Wasser – über Muschelkalk gegossen Infusionsthierchen entwickle, daß also zwei scheinbar todte Stoffe – die Geburthstätte elimmelnden Lebens – hier sind.

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ausgebe, da jene immer noch einen mir unbemerkbaren Grad von Kurvität besitzen kann; hingegen risquire ich keine Lüge, wenn ich besagte, dem Auge als gerade ersheinende, Linie – für eine Kurve, von einer mir unmerklichen Kurvität, ausgebe, da ja auch die absolutgrade Linie eine solche Linie ist, der ein gewisser Grad von Kurvität entspricht, {indem die Gleichung des ersten Grades ja nur ein spezieller Fall ist irgend einer Gleichung des höhern Grades.} In ähnlichen Sinne, als ich bei Naturkörpern sage: kryptobio[56] tisch und phänerobiotisch (statt anorganisch und organisch), kann ich bei Linien sagen: kryptokurve und phänerokurve, ja nach dem geringern oder höheren Grade von Kurvität; und dem – gemäß ist mir die als eine gerade erscheinende Linie – eine Kryptokurve, da hingegen z. B. die Parabel mir eine Phänerokurve ist. – Ich risquire eine Lüge, wenn ich ein scheinbar Ruhendes – als absolut ruhend ausgebe, nicht aber, wenn ich es als ein Bewegtes von unmerklichen Bewegungsgrade erklären, da ja selbst das absolut Ruhende ein Bewegtes ist, an welchem nur die Geschwindigkeit (die binnen jeder Zeiteinheit durchlaufene Anzahl von Längeneinheiten) {gleich Null ist}. – Ich risquire eine Lüge, wenn ich eine in scheinbar rohem uncivilisirtem Zustande lebende Menschenhorde, ein Züger- oder Hirtem-Volk, als ein Aggregat von Menschen ausgebe, wobei absolut kein civiler Nexus besteht; ich risquire aber keine Lüge, wenn ich besagte Horde als ein Menschenaggregat von einem mir unmerklichen Grade der Civilnexus ausgebe, da ja selbst eine Horde ohne allem Nexus immer nach eine [57] civiliter verbundene genannt werden kann; nämlich eine solche civiliter verbundene Horde, bei welcher nur der Grad des Civilnexus {gleich Null} ist. U. s. w. – Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, welchen Sinne die von mir weiter oben aufgestellte Behauptung habe. Jede Einzeln-Erscheinung innerhalb und außerhalb mir – unterliege der All-Lebensformel; es ist nämlich die irgend einer Einzel-Erscheinungxxvi entsprechende Einzel-Lebensformel, blos ein spezieller Ausdruck der All- Lebensformel, so wie die irgend einem einzelnen Falle der Mechanik oder auch selbst der Statik entsprechende Formel blos ein spezieller Ausdruck meiner allgemein dynamischen Formel ([Georg von] Buquoy, Weitere Entwickelung [und Anwendung] des Gesetzes der virtuellen Geschwindigkeiten, [Leipzig 1814]; [Georg von] Buquoy, Prodromus [zu einer neuen, verbesserten Darstellungsweise der höhern analytischen Dynamik] u. s. w., [Prag 1842–1844]) ist. – Uiberhaupt ist es sonderbar, wenn man, bei Beantwortung der Frage, ob, außer dem Pflanz- und Thier-Reiche, außer dem einzelnen Menschen und der menschlichen Staatsverbindung, ob, außer [58] dem – der Natur noch ein Lebensgrad zukomme, wenn man, sage ich, bei Beantwortung solcher Frage schlechthin mit Nein – antwortet, statt hier – dasselbe Verfahren anzuwenden, dessen man sich mit so günstigen Erfolge – in der mathematixxvi Entsprechend auch solcher Einzeln-Erscheiung, die in das Gebiet des Kryptobiotischen oder Suborganischen (fälschlich benannt: Anorganischen) fällt, z. B. dem Krystallisiren aus einer Salzlauge.

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schen Physik bisher bediente. Der Physiker setzt nämlich, nach der Weise des Geometers überhaupt, eine Größe in so lange gleich x an (x das Symbol des quantitativ Unbekannten, des erst nach zu Bestimmenden), als ihm seine angesetzte Gleichung, aus der er x auf die eine Seite der Gleichung gebracht hat, nicht das Resultat x gleich a oder x gleich b oder u. s. w., oder auch x gleich Null, ausdrücklich gegeben hat. Warum wollen denn wir (des Philosophirens über Natur – Beflissene) so unbedingt behaupten, es sey der außer dem Pflanz- und Thier-Reiche u. s. w. bestehende Lebensgrad, den wir ja auch gleich ∞ setzen dürfen, es sey jener Lebensgrad absolut Null? Warum das behaupten, ehe wir, aus den Bedingnissen der Aufgabe, die jenem x entsprechende Gleichung angesetzt, den Werth von x gesucht, und in der That x gleich Null erhalten, haben. Laßt uns daher, nach der Weise des Geometers (deren sich der, allgemeinen über Natur, Philosophierende – wahrlich nicht zu schämen hätte), den außerhalb des Pflanz- und Thier-Reiches, außerhalb des menschlichen und staatlichen Erscheinens, [59] z. B. den am Steine, bestehenden Grad des Natur-Lebens in so lange gleich x annehmen, und nicht voreilig gleich Null setzen, bis es aus etwa gelungen seyn möchte, die lithobiotische Gleichung, den Bedingnissen der Aufgabe vollkommen entsprechend, anzusetzen, in welcher Gleichung der Grad des Mineral-Lebens durch x ausgedrückt stände, und bis es uns ferner gelungen wäre, aus basagter Gleichung der Werth von x zu finden; erhielten wir solchermassen wirklich x gleich Null, so könnten wir getrost dann sagen: Außer Pflanze, Thier, Menschen, Staat – ist Alles todt, aber bis dahin, und wahrlich wir sind noch weit davon entfernt, laßt uns dem Stein – dem Metalle – dem Salze – u. s. w., ihnen, die so deutliche Kunde geben von mächtig innerer Selbstbestimmung – während des Krystallisirens nach geometrischen also nach falschen Formen, die der höchsten Vitalitätsäußerung entsprechen, dem Denken des Geometers, laßt uns dem Krystallinischen, – auch ein bischen Lebens gönnen. –xxvii Ascolta e taci, poi movi a tempo le parole audaci.p [60] {Nach dieser Digression wieder rückkehrend zur All-Lebensformel, sage ich: Ich vermag blos, mich ihr asymptotisch, ohne Ende fort, zu nähern; aber nie werde ich sie} vollends construiren können; sie wird überdieß – mir stets nur als Etwas vorsweben, das ich zwar innig fühle, aber nicht im Stande bin, in streng bestimmter und klar artikulirter Laut- oder Schrift-Sprache, nach festgesetztem Algorithmus, auszudrücken. Laßt uns hier – das Gesanges Sprache anstimmen, hier, wo nur von einem Erahnen – des gesammten Naturlebens die Rede ist, dessen höherexxviii Accente sich solgendermassen geben lassen: „Da weicht die Klarheit der Fülle der Anschauung, Löst die Erkenntniß sich auf – in Empfindung. – xxvii xxviii

Siehe [Georg von] Buquoy, Anregungen für phil[osophisch-]wiss[enschaftliche] Forschung [und dichterische Begeisterung, Leipzig 1825, S. 109–209]. (Lineamente zum Bild und zur Idee des Lebens). [Georg von] Buquoy, Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens, Leipzig bei Breitkopf und Härtel [1822].

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Hier ist des Rechners bewundertes Denken – Stumpfheit des Geistes und ohnmächt’ges Trotzen! Hier ist der Zepter des kalten Verstandes Tod’ eitel Zeug, ohne Kraft, ohne Weihe! Hier ist das Grübeln ein thöricht’ Beginnen, Das sich bestrafet durch Hochmuthes Blendung! Des Lebens Blüthe welkt hin – vor dem Denken; {Kunde von jenem – gibt nur das Lied!“} –

Das, mit echt vitaler Mobilität, als organogenisches Entfalten, von Augenblick zu Augenblick sich in mir anders und anders modifizirende Resultat – des weiter oben erwähnten Strebens, meines Strebens nehmlich, die Totalität der Gesetze, oder besser, der Urnormen, {oder der in der Nothwendigkeit des Absolutums} bedingten urnothwendigen Waltensweisen, am Naturganzen, und deren Wechselbeziehung unter sich, als harmonisches Gesammtbild zu erfassen, und dieß zwar – in Uibereinstimmung mit den Formen meiner Anschauung, so wie – jenes Bildes Reflex in jedem Einzelnerscheinen wiederzufinden, solches Strebensresultat hat, trotz aller Mobilität und Mutabilität, dennoch in meinem Innern einen bestimmten Typus des Fortentwickelns gewonnen, einem Embryo von bestimmter Lebensqualität zu vergleichen, der zwar beständig [62] in seinen organogenischen Metamorphosen forttrückt, unausgesetzt sich umbildet {und wieder umbildet, mitunter auch tranditorisch Organe schafft welche dann wieder obliteriren, welchem Embryo aber} bereits schon sein individuell charakterisirter Stempel des Lebens – deutlich aufgedrückt ist, verkündend an dem zum Leben geweckten Keime, die bestimmte Diathesis zum künstigen Entwurfe einer Succesion von bestimmten Lebensbildern nach einem bestimmten Gesetze der Kontinuität. – Ein vollendetes Bild, ein, so zu sagen, krystallinisch in sich erstarrtes Bild, das dem Schaffen meiner Selbstbewußtseynsthätigkeit entstiege, dieß – wäre nicht mehr das echte Konterfey der, selbst ja – in stetem Umwandeln begriffenen, Natur (innerhalb und außerhalb mir), ihrer – durch und durch Leben selbst, ihrer – ewiges Wogen selbst; auch würde solch ein Bild, der Entfaltensvariabilität dermaßen ermangelnd, es würde ein so Skeletartiges, dem formalen meiner lebendig höhern Anschauung – nicht entsprechen. Die All-Lebensformel {(ein mir Unerreichbares)} wäre die, nach bestimmtem [63] Algorithmus, durch bestimmt bezeichnende Symbole, ausgedrückte Kombination aller jener Momente, welche zusammengenommen das Weltall-Leben konstituiren (mein Ich mit einbegriffen), wobei jene Momente und die Kombination derselben zu einer Totalität, sich durchaus auf Naturgesetze, oder besser, auf Naturwaltensnormen, beziehen. Die All-Lebensformel – nehme man nicht etwa für den innhaltleeren metaphysischen {bloßen Einfall} – von der absoluten Totalität alles Erscheinens. Mit metaphysischen {Nichtsen} – gebe ich mich nicht ab. Die (durch eine gewissen, auf höhern Grad der Ausbildung gelangten, Naturanschauenstakt) blos zu

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erahnende – mir als symbolisirtes Gesammtbild vorschwebende – All-Lebensformel, kann ich, in mir oder in irgend einem Andern, nicht hervorrufen, etwa durch bloßes Definiren, oder durch schulgerechtes demonstriren, logisches deduziren, u. s. w., wie sich allenfalls ein mathematischer Satz, {(in seiner abgeschmackte) Klarheit,} sogleich evident erweisen läßt. Ja! Nicht einmal durch [64] eine Schilderung läßt sich jenes erwähnte Resultat am Selbstbewußtseyn hervorrufen, ob sich gleich nach zu diesem Hervorrufen die größte Annäherung – auf der Bahn lyrischer – dem Entzücken und Entsetzenxxix entstiegener – Schilderung erlangen ließe. Wer sich mich mit der blos historischen – Relation über mein Philosophiren begnügt; wer sehen will was ich sehe, – fühlen will was ich fühle; – wer die, am Erscheinungsganzen, durch dessen Beobachter, zu entdeckenden geheimnißvollen Hieroglyphen – lesen und deuten will, wie ich sie lese und deute,q – wer in dieser Deutung die Wonne (versteht sich – dem subjectiven Gefühle nach) richtig erhorchter Harmonie am Weltchorexxx empfinden will, wie ich sie empfinde; und wer hiernach – esoterischen Dichtens fähig werden soll wie ich es ward; der führe, nachdem er in dem raschen, lebendigen, geselligen Treiben längere Zeit mit verflochten gewesen, ein in sich [65] zurückgezogenes, beschauliches, kontemplatives Leben, wie ich; der sey, bei seinem das Naturstudiumxxxi betreffenden Produziren (indem er rücksichtslos nur das Wahre Schöne und Gute, so wie deren Kontraste, an der Wirklichkeit – erspäht, indem er einzig die Bahn reinen Forschens verfolgt), durch Lob und Tadel, durch herrschende Ansicht u. s. w., [66] nicht zu bestechen, er sey ganz so unbestechlich wie ich; – der percipire unbefangen (durch keine Schulansicht oder Lieblingsidee oder Autorität oder Hypothese u. s. w., auch nicht durch absichtigen Widerspruchsgeist, influenzirt) am Erscheinungsganzen innerhalb und außerhalb sich, wie ich; – der abstrahire, aus dem {hypothesenfrei} rein empirisch Percipirten, eben so rücksichtlos und hypothesenfrei die Gesetze des Erscheinens (besser, die Urnormen die urnothwendigen Waltensweisen des Erscheines), rein per inductionem, wie ich; {und entwickle hieraus – hypothesenfrei weitere Gesetze streng reflektiv, wie ich; der erhebe} sich, einer Seits denkend, mathematisch berechnend, transcendent, spekulativ, meditativ, andrer Seits dichtend, phantasiebeflügelt, und gefühlbewegt; er erhebe sich, zu gleicher Zeit betrachtend und begeistert, alle – Fähigkeiten seiner Selbstbewußtseynssphäre zu xxix Diese beiden entgegengesetzten Gefühle – ergeben sich aus einem tiefen Blicke ins Naturleben. So herrlich schön bist du Natur; doch stets – trägst du der Mißgunst Spur. xxx Auch das am Naturganzen hervortretende Falsche, Häßliche und Böse gehört mit zu jenem Wonnebilde, dem ja, zum vollendeten Ausdrucke, die Schatten nicht fehlen dürfen. xxxi Der Ausdruck Naturstudium – bezieht sich aufs Erfassen und Interpretiren des Gesammterscheinens außerhalb und innerhalb des Ichs, des Hervortretens des Lithobiotismus, Phytobiotismus, Zoobiotismus, Anthropobiotismus, Polibiotismus, welches Alles in der Folge deutlicher werden soll.

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harmonischer Simultanthätigkeit – auffordernd, vom rein empirisch, strengreflektiv, hypothesenfrei abstrahirten Gesetze (besser, [67] von der urnothwendigen Waltensweise des Erscheines, von der Urnormen) – zu dessen Sinn und Bedeutung, – als geübter Naturphysiognomist, von der unbefangen, erschauten Naturgebehrde – zur Naturidee, – wie ich; – der strebe ferner, wie ich, in der, jeder einzelnen Manifestation des Naturlebens, entsprechenden EinzelLebensformel, die All-Lebensformel zu erblicken, gleichsam (in der Sprache des Geometers) die Einzel-Lebensformel aus der All-Lebensformel, durch gehörige Elimination und Substitution, zu construiren, u. s. w.; – und, ich sollte meinen, was mir – geworden, das möchte (wohl verstanden, den Eigenthümlichkeiten der jedesmal ligen Individualität nach – modifizirt) auch ihm – zu Theil werden. Nur ein langjährig fortgesetztes – echt philosophisch-kontemplatives Leben, – ich sage Leben, – führt zu solcher Weise. Beachte Alles, das bisher von den mancherlei Philosophen und wissenschaftlichen Forschen bahauptet ward; beachte er, nimm dich aber ein, weder für Eines, noch gegen Eines; –xxxii strebe vorurthelsfrey nach der, aus dir [68] heraus selbstproduzirten, höchsten Harmonie unter deinen Grundgefühlen, nämlich den Gefühlen: des Wahren, des Schönen, und des Guten; – begnüge dich aber ja – mit jener Wonne, die in dem Acte an und für sich – jenes Strebens liegt; das Streben selbst – betrachte als dein Ziel, sieh es an – jenes Streben – als eine actio actionis causa; und beunruhige dich nicht mit der Sucht, etwa ein letztes Ziel – jemals zu erreichen, das über – jenem Streben an und für sich – hinaus läge; denn dieß – hieße, einem Phantome nachjagen. Wie vermöchtest denn du, – du selbst nur ein durch und durch Bedingtes, Naturhaftes, φύσις-haftes, ein Endliches, den letzten Grund der Natur zu erfassen, der ja nothwendig wirr [69] Absolutes, ein nicht mehr Naturhaftes, ein nicht mehr φύσις-haftes, seyn müßte, ein Metaphysisches in der eigentlichen Bedeutung des Ausdrucks, nicht in der oft falsch gebrauchten Anwendung, da metaphysisch – oft ganz unrichtig statt metaempirisch angesetzt wird? Das Resultat meines lang und unablässig bisher fortgesetzten Philosophirens, ja, ich kann sagen, meines philosophisch-kontempativen Lebens, bin ich außer Stande, irgend Jemand, dem ganzen Inhalte und innern Sinne nach, mitzutheilen; es kann solches Resultat in jedem Einzelnen – nur wieder von neuem – nur selbstproduktiv aus jedem Einzelnen heraus – entstehen; ich vermag hier blos – einen Impuls zu geben; es ist jenes Resultat, seinem Wesen nach, esoterisch, fodert, um wahr und sinnig aufgefaßt zu werden, eine eigenthümliche Vorwihe, die Jeder, durch ein echt philosophisch kontemplatives Leben, wohlverstanxxxii Ich möchte diese wichtige Lehre folgendermassen ausdrücken: „Alle Systeme beachte; Keins als das Einzige achte.“ – Die von jeher ausgestalten Systeme der Philosophen, und der Forscher in den mannichfachen wissenschaftlichen Doktrinen, sündigen nicht so eigentlich durch das in jenen Systemen Bahauptete, – als vielmehr wesentlich durch die übertreibene Generalisation – des Behaupteten.

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den Leben, – nur selber zu erringen vermag; wozu überdieß, als Prodromus, tiefe und vielseitige Kenntniß der – vorzüglich in mathematischer Form aus[70] gedrückten – Naturgesetze, besser, Naturwaltens-Normen (der Ausdruck Natur in seiner echten allseitigen Bedeutung genommen),xxxiii erfordert wird. –xxxiv Wer jenes Resultat, aus seinen hier nur hingeworfenen Grundzügen, liebgewinnen möchte, wer es etwa Mühe werth hielte, darnach selbst zu streben, und wer, seinen Fähigkeiten nach, es fassen kann, der folge mir nach. – Wem meine Art und Weise nicht zuspricht, der wähle eine andere Bahn, sein inneres Schauen zu befriedigen; und warum sollte er nicht auch auf dieser, wie ich auf der meinigen, Befriedigung für sein inneres Schauen, die ja am Ende – der Zweck unsers Naturstudiums und Philosophirens ist, finden? Ist ja [71] {doch das Streben} das Entfalten und Bilden an dem Sommatischen – der, zumal phänerobiotischen, Natur – so vielfach modifizirt; sollte nicht eben dasselbe – an der Sphäre selbstbewußthafter Thätigkeit (von Andern – geistliche Thätigkeit genannt) – in der Natur statt finden? Ich tadle deshalb, daß irgens Jemand einen andern Weg der Untersuchung einschlägt als ich, Keinen; denn eines der Hauptresultate meines bisherigen Forschens und Meditirens ist, daß Intolleranz – im höchsten Grade vernunftwidrig – sey; ich verdamme Keinen; aber vernunftwidrig handelt, meiner Ansicht zu Folge, der, welcher meine Weise verdammt. – Ansichten lassen sich einem Andern nicht ausdringen, sondern blos anbiethen. – Noch einmal: Wer mich fassen will, und fassen kann, der folge mir nach; – mancherlei Impulse dazu findet er in meinen Schriften,xxxv aber auch nur Impulse; ein vollendetes Resultat vermag ich ihm nicht zu [72] geben; ja! Der bloße Versuch dazu – stände in offenbaren Widerspruche mit meiner selbstbewußthaften (oder, nach der gewähnlichen Sprechart, geistigen, psychischen, u. s. w.) Activitätsweise, mit meiner Ansicht über Philosophiren überhaupt, das sich bei mir auf ein beständig fortzusetzendes dichterisch-philosophisches Naturstudium und auf das Streben nach einem Erahnen des über der Natur hinaus – xxxiii xxxiv xxxv

Siehe den Aufsatz: Was heißt Natur? ([Georg von] Buquoy, Anregungen für philosophischwissenschaftliche Forschung [und dichterische Begeisterung, Leipzig 1825, S. 745–746]). Als Impuls hinzu studiere man vorzüglich: [Georg von] Buquoy, Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur [Leipzig 1817]. Der falsche Ausdruck: Naturgesetz wird weiter unter durch passendere Ausdrücke substituirt werden. Alle meine bisher im Drucke erscheinenen Schriften finden sich in Leipzig bei Breitkopf und Härtel; sind überdieß in den vorzüglichern Bibliotheken Deutschlands deponirt. Nur ein Theil jener Schriften handelt über Naturstudium und Philosophiren im engen Sinne – über Natur innerhalb und außerhalb des Menschen, da ich auch über reine Mathematik, über Mechanik, Staatswirtschaft, Kredit und Geldwesen, Mancherlei herausgegeben habe, u. s. w. Zu meinen zuerst erwähnten Schriften rechne ich vorzüglich: Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur, [Leipzig 1817; Neuauflage: Leipzig 1825] samt zwei Nachträgen [S. 395–480; S. 481–562]; Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens 2 Bände, [Leipzig 1822; Neuauflage: 1826]; Anregungen für philosophisch-wissenscahftliche Forschung u. s. w. [und dichterische Begeisterung, Leipzig 1825; Neuauflage: Leipzig 1827].

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Liegenden oder nicht Liegenden – reduzirt. Es philosophire Jeder nach seiner Eigenthümlichkeit, doch so viel behaupte ich: Wem Wahrheit nicht höchste Angelegenheit des Lebens ist, wer dagegen noch in Anschlag bringt: Lebenserwerb, Geselligkeit, Lob und [73] Tadel, und andere Armseligkeiten, – der ist zum Philosophen – nicht geboren, der kann das Gebieth höhern Meditirens und transcendenter Contemplation – nur entheiligen. Was bisher als ein Vollendetes, im Fache des Philosophirens und wissenschaftlichen Forschens, {sich ausgab, ist leere Prahlerey;} leider haben es manche dieser Prahlereyen zu einer unpanirenden Celebrität (was ist aber auch – Celebrität?) gebracht, wodurch dem echten Philosophiren – Eintrag geschah. Ich bitte den Leser, meine Schriften – ja nicht als eine in sich geschlossene Philosophie (ein Unding, nach meiner Uiberzeugung) zu betrachten, sondern dieselben vielmehr als eine bloße Anleitung zu vielseitigem Philosophiren, Dichten und Empfinden, – anzusehen, woraus jedoch – durchgehends einerlei Urbild (Bild, nicht Satz) hervorleuchtet, mittelst dessen das Mannigfaltigste sich unter einander, gleichsam zu einer Arabeske,r verflechtet. – Wir besitzen für die sogenannte Philosophie –xxxvi eine Menge [74] von Systemen; allein dieselben sind durchgehends bloße Titularsysteme; nicht eines – jener sogenannten philosophiren Systeme ist, streng genommen, ein System. Ich verbinde mich feyerlichst dazu, jedes der bisher sogenannten philosophischen Systeme, seinen Grundprinzipen nach, zu Boden zu werfen, und den System-Antheil daran – auf Nullität zu rezuziren;xxxvii allen übrigen Wahrheiten und Schönheiten, die solche Werke menschlicher Beschränkheit und Hoffart außerdem hie und da enthalten mögen, unbeschadet. Glücklicher Weise vergessen die Systemschöpfer, während des Vortrags ihrer vermeintlichen [75] Systeme, nicht selten auf ihr System, und sprechen dann, als momentan wieder zur gesunden Vernunft und zur Unbefangenheit zurückkehrend, blos durch einen glücklichen Instinkt geleitet, mitunter als rechte kluge Leute. Was namentlich die vergebliche Metaphysik – betrifft, als ob der durch und durch naturhafte, φύσις-hafte Mensch – es vermöchte, selbstproduktiv aus sich heraus, ein nicht mehr φύσιςhaftes zu schaffen,xxxviii so bemerke ich folgendes: Häufig benannt man ganz falsch – metaphysisch, was immer noch ein φύσις-hafter Gegenstand ist, und spricht über xxxvi

Philosophie ist mir ein Unding; eine Philosophie läßt sich nicht konstruiren, sondern blos eine gewisse Fertigkeit im Philosophiren kann man erhalten, wie ich innig überzeugt bin. xxxvii Das heißt nämlich, bei jedem der bisher aufgestellten Systeme – dasjenige, das als ein nothwendig zu Affirmirendes aufgestellt ist, als ein nichtnothwendig zu Affirmirendes, zu Karakterisiren, ohne bei diesen Darstellen – mich eines Absurdums schuldig zu machen. Es ist manche Behauptung von der Art, daß man sich wohl geneigt fühlen kann, in sie mit einzustimmen; aber – es kann solche Behauptung doch immer noch sehr weit von einem nothwendigen Postulate der Vernunft, wie z. B. die mathematischen Axiome sind, abstehen. xxxviii Metaempirisches vermag der Mensch zu produziren, insoferne es noch φύσις-haft ist, insoferne es sich nicht versteigt – nach nicht mehr φύσις-haftem – nach Metaphysischem.

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diesen recht vernünftig. Oft aber spricht man von einem wirklich Metaphysischen, von einem nicht mehr φύσις-haften, und hierüber folgt, wie nicht anders möglich, leerer Wortkram {stets nur. Was} hie und da vernünftig klingt {in solchem Falle}, ist stets nur eingeschwärzt, d. h. nicht zum Gegenstande gehö[76] rig, {und ist naturhaft, φύσις-haft}. Bei der Interpretation {(bei dem In-Harmonie-Bringen mit den Formen meiner Anschauung)} der hypothesenfrei, blos per inductionem, aus dem Empirischen abstrahirten Gesetze, so wie der hieraus durch strenges Denken und mathematischen Kalkul, gleichfalls hypothesenfrei, {weiters} entwickelten Gesetze (besser, Urnormen) an dem gesammten Naturerscheinen innerhalb und außerhalb mir, wobei ich Alles, das innerhalb und außerhalb mir sich gestaltet, oder sich so zu gestalten mir wenigstens vorkömmt, als Naturprodukte,xxxix als Resultate der Produktivität eines und [77] dasselben lebendigen Weltorganismus, betrachte, da ich selber ja, so wie jeder Mensch, jedes Thier, jede Pflanze, jedes Mineral, ein integrirender Theil am gesammten Weltorganismus – bin, bei der (weiter oben erwähnten) Intepretation der Naturgesetze (besser, Naturwaltensnormen) so wie einzelner Erscheinungen innerhalb und außerhalb mir, handle ich, zu gleicher Zeit, gemäß wesentlich dreier – in mir sich aussprechender Grundgefühle, gemäß nämlich des Gefühles für Wahres, des Gefühles für Schönes, und des Gefühles für Moralisch-Gutes, wobei indeß, nach Beschaffenheit des Gegenstandes jedesmaliger Betrachtung, immerhin das eine oder das andere jener Grundgefühle prädominirt. Anders verhält sichs mit dem Grundbilde, – dessen klare Anschauung (nicht – dessen Aussprechen durch Worte) und dessen dann nachfolgende Interpretation – eigentlich die Basis meines gesammten Philosophirens begründet, indem von solchem Grundbilde aus – all mein fragmentarisch getriebenes Philosophiren – jedesmal seinen Anlauf [78] nimmt. Jenes Grundbild – darf, um sich als unerschütterliche Basis – all meiner Versuche im Philosophiren zu behaupten, um mein Philosophiren vor Extravaganzen zu bewahren, nichts Schwankendes in sich schließen; wie dieß so leicht den Gebilden der Phantasie und des Gefühles zu Schulden kommt. Jenes Grundbild – muß das reine Resultat seyn – blos empirischer, unbefangen hypothesenfrei entstandener, Wahrnehmungen, dann – hypothesenfrei bloßen Abstrahirens hieraus – in Gesetzessprache (in der Sprache klar ausgesprochener Naturnothwendigkeiten), xxxix

Also als Naturprodukte – eben sowohl das dem ichlichen Bildungstriebe Gewordene, nämlich: meine Vorstellungen, Begriffe und Urtheile, Ideen und Schlüsse, Dichtungen und Traumgebilde, Entschlüsse, Handlungen, meine Wissenschaft- und Kunst-Produkte, Artefakten, u. s. w., eben sowohl alles dieses, als das dem außerichlichen Bildungstriebe Gewordene, nämlich: Mineralkörper, Pflanzen, Thiere, einzelne Menschen und deren Leistungen, eben so die aus dem Menschheitsleben hervorgetretenen Nationen, der historisch begründete Volkssinn, die Nationalsitte, die mancherlei politischen Institutionen und der übrigen Gebilde polibiotischer Genesis, u. s. w. wer sich durch diese Zusammenstellung – beleidigt fühlt, der geruhe doch – aller huldvollst – zu erwägen, daß der Mensch, dieser stolze Schwächling, nur integrirender Theil – der Natur – sey.

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und bloßen, hieraus dann weiters, hypothesenfrei gezogener Rechnungssatze, oder überhaupt reiner Sätze strengen Denkens. Von diesem unerschütterlichen Fundamente aus – jedesmal mich erhebend, überlasse ich mich bei meinen philosophischen Ausflügen – unbesorgt der innern Inspiration, stets wiederkehrend zum festen Fundament. {So – ist mein Philosophiren – regsamste Poesie und zugleich ruhigste Besonnenheit.} Der Glaube – hat eben so gut seine Axiome – wie das Wissen. – Wissen wird hier nicht im strensten Sinne des Wortes genommen, sondern als ein bloßes Dafürhalten meiner Seits, da es für mich ein Wissen im strengsten Sinne des Wortes – gar nicht gibt. Jenes Dafürhalten nenne ich ein Wissen – blos im Gegensatze zu einem Glauben, und bestimme [79] den Begriff solchen Wissens wesentlich dadurch, daß meine Affirmation entspringe – unmittelbar aus des von mir affirmirten Gegenstandes – Verhältniß zu meinem Erkenntnißvermögen. Mein Glaube hingegen faßt eine Affirmation in sich, welche entspringt – aus dem Verhältnisse der Persönlichkeit eines Andern – zu meinem Gefühle für moralisch Gutes. In andern Stellen dieser Schrift wird dieß deutlicher ausgeführt. Glaube heißt hier eigentlich das, was der Franzose sehr bestimmt durch foi ausdrückt, und nicht etwa ein bloßes Vermuthen; der deutschen Sprache fehlt den Ausdruck für das französische foi.s Mein Wissen – ist meine Affirmation einer Behauptung, mit voller Uiberzeugung, gestützt diese – auf der Natur und Wesenheit der Behauptung selbst; Mein Glaube – ist meine Affirmation einer Behauptung mit vollen Uiberzeugung, gestützt diese – auf der Natur und Wesenheit (nicht der Behauptung selbst, sondern) der Person, welche die Behauptung ausspricht. Die Uiberzeugung kann im Glauben eben so groß seyn als im Wissen (als selbst im mathematischen), nur anders geartet ist die Uibezeugung [80] im Glauben (foi) als im Wissen. Jedes Axiom, auch selbst das, von so Vielen ausschlüßlich für unbezweifelbar betrachte, Axiom {der Vernunft}, beruht endlich doch auf weiter Nichts, als auf einem nicht fernerhin mehr zu rechtfertigenden – Sich-genöthig-Fühlen – Etwas zu affirmiren oder zu negiren; also immer nur auf einem subjectiven Gefühle. Wird dieß recht erwogen, so möchten die Axiome des ethischen und ästhetischen Würdigungsvermögens in uns – eben so viel Anspruch auf Evidenz machen dürfen, als die gewönlich so hoch angeschlagenen – Vernunftaxiom. Die Philosophen taxirten bisher den Glauben zu niedrig, das Wissen zu hoch; dieß behaupte ich aus dem strengen Denken hervor, nicht etwa – aus Pietismus. Wenn ich dem Hervortreten der Gegensätze: Wahr und falsch, schön und häßlich, gut und böse,xl an der gesammten Natur innerhalb [81] und außerhalb mir, {an dem gesammten mir Erscheinen (am} Litho-, Phyto-, Zoo-, Anthropo-, Poli-Biotismus), unbefangen nachspüre; so bemerke ich durchgehends, xl

Entsprechend nämlich dieß Alles – meinen Grundgefühlen für Wahres, Schönes und Gutes. Die Existenz jener Grundgefühle in mir – ist mir Thatsache des Bewußtseynes.

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daß, theils simultan theils succesiv, dem Wahren der Trug, dem Schönen das Häßliche, dem Guten das Böse, zur Seite gehen, daß Eines dem Andern auf den Fuß folge, und umgekehrt; daß überhaupt – an dem gesammten Naturwalten innerhalb und außerhalb mir – die Tendenzen für Wahres, Schönes, Gutes mit den Tendenzen für Trug, Häßliches und Böses – in unaufhörlichen Kampfe – {unter sich} verwickelt seyen, daß ferner auf – planmäßige Bildenstendenz und eben so planmäßige Vernichtenstendenz – in ewigem Kampfe gegen einander begriffen seyen, eben so, Streben nach Mannigfaltigkeit und Streben nach Einheit, nach Divergenz und Convergenz, welches Letztere vorzüglich klar wird aus einem tiefen Studium der vergleichenden Anatomie – an der gesammten Thierganzen auf Erden. Nirgend ist ein beständiges Empor[82] steigen, – nirgend ein beständiges Herniedersinken, – wahrzunehmen. {Jeder Planmäßigkeit entspricht eine Antiplanmäßigkeit, – jeder Vernunftmanifestation ein Akt des Wahrsinns.} – Durchgehends, an dem gesammten Naturwalten, ist das Aufschwingen nach dem Wahren, Schönen, Guten stets begleitet und nachgefolgt von einem Herniederstürzen in den Pfuhl des Truges, Häßlichen, Bösen, und beides mit gleich stark sich offenbarender Planmäßigkeit; es efolgt aber nach jedesmaligem Herniederstürzen besagter Art – allemal wieder ein Aufrichten und Emporschwingen, u. s. w.; solchermaßen besteht an dem gesammten Naturwalten innerhalb und außerhalb mir, ohne Ausnahme, ein stetes Auf- und Niederwogen, ein ewiges hin und wieder Oscilliren (metaphorisch ausgedrückt), welches Wogen, welches Oscilliren, zu keiner endlich einmal erfolgenden Ruhe gelangt, sondern es geht die Fluktuation unaufhörlich vor sich; – die gesammte Natur innerhalb und außerhalb mir – stellt ein immerwährendes, Planmäßigkeit offenbarendes, Werden, und ein immerwährendes, Planmäßigkeit offenbarendes, Vergehen, ein unausgesetztes [83] Aufblühen und Niederwelken dar (Siehe den Aufsatz: Irdische Treiben, in dem Werke: [Georg von] Buquoy, Anregungen für philosophisch-wissenschaftliche Forschung [und dichterische Begeisterung], [Leipzig 1825, S. 752–753.]); kurz, das gesammte Naturwalten äußert sich als actio actionis causa, wenn gleich – stetig verfolgend einerlei Ziel, dennoch – in entgegengesetzten Richtungen ihm nachstrebend, gleich einem oscillirenden Pendel. Dieser höchst wichtige Satz, dieser blos per inductionem aus rein empirischen Wahrnehmungen {hypothesenfrei} abstrahirte Satz, läßt sich nicht durch Demonstration kurzweg {apriori} erweisen, er ist von esoterischem Inhalte. Wer zu dem affirmativen Gefühle – des durchgehends in der gesammten Natur, innerhalb und außerhalb des Menschen, herrschenden oscillatirischen Charakters gelangen will, wie ich, der muß solches Gefühl selbstproduktiv – in sich – hervorrufen, muß für solch eine, sich als nothwendig aufdringende, innere Zustimmung – eingeweihet werden, {und dieß zwar dadurch, daß er} unbefangen, [84] ohne vorgefaßten Ansicht, mit steter und lange fortgesetzter Aufmerksamkeit, dem hypothesenfrei erfassten Naturwelten innerhlab und außerhalb seiner selbst – nachsinnt, und hiebei berücksichtigt, wie jenes Walten gegenwärtig ist, wie es der Ge-

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schichte gemäß in andern Perioden sich aussprach, und wie es genetischt zu denjenigen ward, so es bis hieher geworden; ferner dadurch, daß er spähend und horchend die leisesten Winke an der Naturphysiognomie vernimmt, unbefangen und sinnig sie erfaßt, indem er sie ahnend zu deuten strebt,xli und [85] solchermassen ungestört ein echt philosophisch kontemplatives Leben – führt. Vieles zu solcher Vorweihe findet sich in den Schriften: [Georg von] Buquoy, Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur, [Leipzig 1817]; [Georg von] Buquoy, Ideelle Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens, [Leipzig 1822]; und [Georg von] Buquoy, Anregungen für philosophisch-wissenschaftliche Forschung [und dichterische Begeisterung], [Leipzig 1825], aus welchen Andeutungen, wenn sie in Eines zusammen gefaßt werden, ein klares Gesamtbild hervorgeht, und zwar ein affirmativ uns zuwinkendes, nicht in Worten auszudruckendes – blos innerlich erschaubares, Bild, darauf hindeutend, daß, wenn der totale Naturorganismus (ideell und real, dynamisch und somatisch, betrachtet) planmäßig im Zeugen und Entwickeln sich einer Seits äußert, er sich anderer Seits eben so planmäßig im Zerstören und Ertödten ausspreche,xlii und [86] zwar nicht blos im Ertödten desjenigen, das seinen Cyklus vollendet hat, sondern auch desjenigen, das noch mitten im Aufblühen – {begriffen ist}. In dieser Hinsicht dürfen wir z. B. eben sowohl behaupten, es habe der Gesundheitsorganismus – die Bestimmung, den verschiedenen an solchem Gesundheitsorganismus (gleichsam parasitisch) wuchernden und zugleich den Gesundheitsorganismus höchst planmäßig zerstörenden Krankheitsorganismen – zu Geburt- und Gedeihe-Stätte zu dienen, als man anderen Seits sagen könnte, es habe der Gesundheitsorganismus die Bestimmung, der üppigsten Blüthe des dem Gesundheitsorganismus eigenthümlichen Lebens entgegen zu sprossen.xliii Man betrachte nur das Regelmäßige xli

xlii

xliii

Als Vorbereitung hinzu ist erforderlich: ein gründliches Studium der Physik (verzüglich ihres mathematischen Theiles), der Physiologie, der sogenannten Psychologie, der Menschengeschichte. Bei allen diesen Vorstudien müssen jedoch stets die Thatsachen des Erscheinens – hypothesenfrei, und lediglich als Thatsachen, aufgefaßt werden; nur so – gelangt man zu einer der Wirklichkeit – angemessenen Ansicht vom Naturwalten, in jeder von dieser Richtung abweichende Weg führt zur Chimäre, zu leerer Grübelei. Interessant ist in analoger Hinsicht die rationelle Betrachtung der Mißbildungen, an denen durchgehends die bestimmteste Gesetzmäßigkeit – sich entdecken läßt. So zeigt sich, unter Anderen, daß Mißbildung an dem einen Thiere – hindeute auf Normalbildung an einem andern Thieren; ferner, daß als ein Stehengebliebenseyn auf niederer Bildungsstufe, während der embryonisch organogenischen Entwicklung, manche Mißbildung sich ausspreche, z. B. bei der spina bifida, bei der Hasenscharte, u. s. w. Die Teleologen fassen, höchst einseitig, nur die letztere Rüchsicht auf, und fingiren überhaupt dem Naturwalten – ein romanhaftes Wohlwollen zu, das dann frömmelnd an einen omoioanthropisch fingirten Gott – weiter fort girirt wird. Das Naturwalten, seinem von Wonne und Entsetzen begleiteten Einherzuge nach betrachtet, äußert weder Wohlwollen noch Haß, sondern ein rücksichtloses, als actio actionis causa ausgesprochenes, sich fortwältzen, möge hiedurch hoffnungsvolle Saat oder möge Giftpflanze niedergepreßt werden. „So herrlich schön bist du Natur, doch stets – trägst du der Mißgunst Spur.“

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[87] in den Krankheitsstadien, das Planmäßige in ihrem, man möchte sagen mit verschmitzter Grausamkeit vollzogenen, Zerstörungsprozesse am Gesundheitsorganismus, an welchem sie, in frechem Hohne, in roher Unverschämtheit, in schadenfroher Bosheit, in feiger Siegeslust, schonungslos ein herrlich Gebilde um das andere lähmen, und es in ihre verpestende Jauche niederzerren. Wahrlich! Man weiß nicht, ob die zerstörende Planmäßigkeit des fortwuchernden Krankheitsorganismus mehr anzustaunen sey, oder ob man mehr dem höchsten Grade von Erbitterung sich hingeben solle, wenn die reizendst geformten die kraftstrotzendsten Gebilde, plastisch [88] und durch Lebenskolorit – kündent Wonne und Hochgenuß, – nach unerbittlichem Vernichtungsspruche, mitten in ihrem Emporwuchern, so regelrecht und elendiglich dahinwelken, {brandig ersterben an dem schönen jugendlichen Organismus}, ohne daß eine schützende Gottheit – dem in Qual und Schmerz sich Windenden – hülfreich zueilte. Doch nein! Weder Staunen noch Erbitterung möge uns hier ergreifen, da jene Erscheinung ja weiter nichts ist, als ein zum Naturganzen nothwendig Gehöriges, in des Naturganzen Oscillationstypus, von Ewigkeit her und in Ewigkeit hin, gegründet. Dieß – die Resignation des Naturphilosophen. Meinst du etwa, Sohn des Staubes, es sey die Natur zu deinem dienste da? Oder meinst du auch nur, sie bestehe für die behagliche Existenz der in ihr lebenden sich ihrer selbst bewußten Wesen? Welch eine feigherzige Selbstäuschung! {Statt in solche Träumereien dich zu wiegen}, arbeite nach Kräften daran, deine Hoffart zu bekämpfen, deinen Egoismus, er mag sich [89] auf dich – oder auf die von dir unvernünftig geliebte Natur außerhalb dir – beziehen, zu bemeistern, ruhig zuzusehen, wie sichs du gestalten oder entstalten mag und muß, wie Grazien hold dir zuwinken, oder Zerrgesichte dich angrinsen; streben nach Kräften, wo möglich, dich zu einer höhern Beschauungsweise vorzubereiten, als du etwa aus frömmelnder Teleologie, die vor dem tiefern Forschen stets zu Schanden wird, geschöpft haben möchtest, – zu einer Beschauungsweise, von der die Meisten der Sterblichen nichts ahnen. – Alles – ist Nothwendigkeit,xliv alle Wonne und aller Jammer – entsteigen dem unerbittlichen Fatum, wollend dahin dieses – als Weltlaufsmacht. Es besteht in der gesammten Natur (am Litho-, Phyto-, Zoo-, Anthropo-, PoliBiotismus) zwar, durchgehends in allen einzeln für sich betrachteten Erscheinungen, eine (wenigstens scheinbare) Planmäßigkeit; allein, solche Planmäßigkeit ist allemal nur eine Interimsplanmäßigkeit, gleichsam nur – einen transitorischen Paroxismus des allgemeinen Bildungstriebes kündend, da jedem auch noch so planmäßigen Entwicklungsprozesse – ein eben so planmäßiger Zerstörungsprozeß – auf den Fuß xliv

Omoioanthropisches, also Kryterien des Endlichen, auf Gott das Absolutum angesandt dieß, heißt Endliches mit Unendlichem vermengen, und ist eo ipso – ein Unsinn. Das dem Menschen entlehete Streben, Zwecke durch Mitttel zu erweichen, der vom Menschen entlehete Karakterzug, alle Handlungen auf Absichtlichkeit zu basiren (aus dem Wesen eines bediegten Vernunftwesensnothwendig hervorgehend), u. s. w., dieß Alles wird, auf Gott das Absolutum übertragen in Gedanken, zum Absurdum.

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[90] nachfolgt, und oft mitten im Entwicklungsakte, noch vor Erlangen entsprechender Akme am sich Entwickelnden, – ex abrupto verheerend, eintritt. – Laßt uns, in dieser Hinsicht, auf folgende Weise das Naturleben, dessen selbst teuflische Züge – noch zur Begeisterung stimmen, besingen:

[91]

„Wenn’s umher schweifet, Was es ergreifet, Laut es aufrufen, des Bildens Stufen, Wie sie sich reihen, Kühn zu ersteigen; – Bald doch es wieder (Satt schon der Güter, die seinem Hange Folgten zu lange) Schnöd von sich werfen, Frisch um zu schärfen (Bei seinem Geizen Nach neuen Reizen) Sein geil’ Gelüsten Da, wo sich’s rüsten Will – gegen Bande Zum widerstande.“ –

Einseitig war Blumenbachs Ansicht, von einem in der Natur einzig nur walten sollenden Bildungstriebe, – da ja zugleich auch – ein eben so mächtiger und sich eben so planmäßig äußernder Zerstörungstrieb – allerwärts sich verkündet.u Bildungstrieb und Zerstörungstrieb, in einen kollektiven Begriff zusammengefaßt, geben den Begriff von einem Umwandlungstriebe. {Dieser – herrscht in der gesammten Natur.}

[92]

„Hier ist Gebähren – Auch schon Verheeren; Hier ist Vernichten – Ordnendes Schichten, Zart aus dem Rauhen, Neu, um zu bauen.“

Unter dem Karakter {des Umwandlungsstrebens} spricht sich das gesammte Treiben – in der Natur aus. Das gesammte Naturwalten, das an demselben herrschende Fatum, –xlv erscheint unter dem Doppelkarakter von Bildendem, gleichsam Weiblichem, und Zerstärendem, gleichsam Männlichem. – In jenem {Doppelkarakter}, xlv

Das Fatum – ist die, in der Nothwendigkeit an sich – des Universums (Gottes des Absolutums) – begründete, Nothwendigkeit in Simultanität und Successivität – an den Naturerscheinungen innerhalb und außerhalb mir.

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im sowohl ein unaufhörliches Zeugen als ein unaufhörliches Zerstören beansichtigenden Umwandlungsstreben, beides – unter dem Karakter von Planmäßigkeit auftreten lassend, sehen wir den Karakter einer actio actionis causa an dem gesammten Naturwalten ausgedrückt, ganz so wie in unserm selbstbewußthaft ausgesprochenen und {wie in unserm} organisch leiblichen Streben, das ja eigentlich – nur ein spezieller Ausdruck des der gesammten Natur zukommenden Strebens ist. Nicht allein am Phänerobiotischen (dem sogenannten Organischen) findet jener Karakter blos interimistischer Planmäßigkeit [93] statt, sondern eben so – am Kryptobiotischen (dem fälschlich sogenannten Anorganischen), z. B. am Krystallisirungsnisus im Mineralreiche, wo jener Nisus,v durch so manchen antagonistisch ihm entgegen tretenden, aufgehalten, nach einer andern Richtung getrieben, oder wo die Basis der ursprünglichen Wirksammkeit durch fremde Operationslinien durchschnitten, wird; so, daß der Krystall zur eigenthümlichen Gestalt, der er ursprünglich zustrebte, gar nicht gelangt, und gleichsamm nur den torso – derselben zu liefern vermag. Aehnliche Mißbildungen kommen auch an Pflanz- und Thier-Organismen vor, ja selbst – an der hie und da abnorm hervortretenden Selbstbewußtseynsthätigkeit im Menschen (Wahnsinn, Blödsinn) und nicht minder – an ganzen Staatsorganismen, es gibt monstruöse Verfassungen, u. s. w. Sapienti pauca.w Was ich hier, rücksichtlich des durchgehends herrschenden oscillatorischen Karakters (metaphorisch sprechend), an den Manifestationen des Naturwaltens innerhalb und außerhalb mir, [94] hinsichtlich des Grunzuges von actio actionis causa, an der Mimik an der Gebehrde am Gesammthabitus der Erscheinigungen, mit voller Uiberzeugung affirmativ aufstellte, dazu berechtigt mich: Beobachtung meiner selbst (ich bin Theil – am Naturganzen) bis ins Innerste meiner Selbstbewußtseynssphäre hin, und sogennante Naturforschungxlvi (Forschen an der Natur außerhalb mir), wohin auch zu rechnen ist: das Studium der Geschichte der Menschheit (nämlich der Lehre vom sich außerdem Polibiotismus), {überhaupt: tiefes lang fortgesetztes Studium des gesammten Litho-, Phyto-, Zoo-, Anthropo-, Poli-Biotismus}. Alle Erklärungen der Erscheinungen – durch die, so bisher über Natur zu philosophiren versuchten, waren, so zu sagen, ein bloßes Girizenx von einer Unbegreiflichkeit nach der andern hin, oder auch, ein zu nichts – führendes Parallelisiren einer uns unbekanntern Erscheinung – mit einer uns mehr bekannten, aber ihrem letzten Grund und ihrem Wesen nach – uns dennoch auch – unbekannten, Erscheinung. Die einfachste Art des Erklärens aller {sowohl einzelnen} Erscheinungen, als des Erscheinungsganzen, des Weltalls [95] (mein Ich mit einbegriffen), {des Universums, ist}, – das Weltganze selbst, bis auf dessen unbedeutendsten Theil hin, bis auf dessen unbedeutendste Thätigkeitsäußexlvi

Jeder Gegenstand der Forschung – ist ein Naturgegenstand, daher ist alle Forschung – stets eine Naturforschung.

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rung hin, als ein {im Absolutum} Bedingtes, als ein am Absolutum Nothwendiges, zu statuiren, jedes Einzelne – als bedingt durchs unbedingte Ganze, wie im Problem der drei Körper ([Pierre-Simon] Laplace, [Traité de] méc[anique] cél[este], [Paris 1798–1825]).y Alle Regung im innersten des Menschen selbst – ist blos Erfüllung des Fatums, der Weltlaufsmacht; moralische Freiheit – ist eine Schimäre. Handelt denn aber, könnte man hier billig fragen, der Mensch – nicht nach Plan und Absicht? Ja noch mehr! Bringt der Mensch nicht sogar durch sein Wirken – Resultate hervor, die von ihm selbst – vorhinein berechnet waren? Greift denn also nicht auch der Mensch – zum Theil mit ein, in die Entfaltung des Werdens – am Universum? Allerdings greift er mit ein;xlvii aber [96] eben über die eigentliche Bedeutung, über den tief verhüllten Sinn, solchen scheinbar disponirenden Eingreifens, schwebt die Menschheit in Irrthum; Alles ist hier – voll des trüglichsten Scheines, voll der demüthigendsten Selbsttäuschung. – Jeder unter uns, die wir Alle sammt und sonders nichts weiter sind, als integrirende Oscillationsmomente {an der Totaloszillation des Universums}, – Jeder unter uns, vom (im oben angegebene Sinne verstandenen) Fatum – zugewiesenen Angriffspunkt an der Maschine (allegorisch ausgedrückt) des Weltganzen, auf die ihm (Jedem unter uns) vom Fatum vorgeschriebene Weise; und so – wird denn Jeder unter uns – zum Mitexekutor – am Reihenschwunge des Geschickes. Jeder unter uns aber, als ein sich seiner selbst[97] bewußtes Vernunftwesen, ist sich bewußt: 1. des – laut Weltlaufsmacht – in sich (in Jedem unter uns) aufgeregten Strebens für jenes Angriffspunkt-Bewegen, – so wie 2. der dem Naturleben entsprechenden Norm – von Succesion (dem Was und dem Wie nach) einzelner Oscillations-Momente (unter einer verworrenen Berücksichtigung – in den Schulen Kausalitätsgesetzxlviii genannt), so wie 3. der Identität jener Norm von Succession – an der totalen Oscillation, an der Natur überhaupt, am Weltganzen, und an der ihn insbesondere (Jeder unter uns), seine individuelle Aktivitätssphäre (einen der Elementarbögen an der Totaloscillation), betreffenden speziellen Oscillation. – Dieß Alles (sub 1, sub 2, sub 3 Gesagte) in [98] ein einziges kombinirtes Moment selbstbewußtlich vorschwebenden innigen Gefühls – zusammengefaßt – bringt die oben erwähnte Selbsttäuschung – in Jedem unter uns hervor, nämlich den Wahn – von einem planmäßig, selbstdisponirend, aus Jedem unter uns, hervortretenden Verfügen. xlvii Alles in der Natur – greift eigentlich mit ein, in die Entfaltung des Werdens; so die Sonne, hier befruchtend dort versongend; so die Feldblume, nährend die Biene und verdrängend die mühsam gezogene Saat; so der Schreckenheulende Sturm, am Ozean furchend allverschlingende Schlünde, und vom Lande verscheuchend pestilenzialische Dünste; so der Erde fieberfrostiges Rütteln, Städte zertrümmernd hier, und Inseln zu künftig blühender Wahnstätte erhebend aus Meeresgrund dort; u. s. w. xlviii Die unmittelbare Wahrnehmung gibt uns allemal nichts weiter, als eine Simultangruppe oder Succesivgruppe von Erscheinungen. Das eine oder andere Moment aus solcher Gruppe als Ursache angeben, die übrigen als Wirkung, wie dieß in den Schulen durchaus geschieht, dieß ist allemal nur eine Hypothese, die häufig zu, mit Arroganz behaupteten, Irrtum führt.

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Wer unter uns naiv genug ist, um die so eben entwickelte noch allgemein herrschende Täuschung nicht zu merken, {um das Trugbild für Wahrheit zu halten,} und auf diese Weise – einem behaglichen Selbstgefühle vermeintlich dem Menschen innwohnender Machtherrlichkeit (als ob der Mensch nicht integrirender Theil der Natur wäre, der in ihrer Endlichkeit und Bedingtheit – angeschauten Natur, der φύσις, sondern freischaltend über – der Natur, sie lenkend, schwebte) sich hinzugeben; wer aber dann, im Schmerzgefühle hereinbrechenden Mißgeschickes, zu dem Ahnen jener Täuschung gelangt, ohne jedoch Wesen und Bedeutung an ihr – klar zu erfassen; solch Einem erscheint das allwaltende Schicksal – unter dem Zerrgesichte der Ironie, – wovon z. B. Shakespeare in so bitter treffenden Zügen – das lebendig Konterfey entwarf. [99] Mein Tadeln – des Gewordenen, sey dieß Gewordene {ein kryptobiotisches}, lithobiotisches (fälschlich sogenannt lebloses anorganisches), oder ein phytobiotisches, oder ein zoobiotisches, oder ein anthropobiotisches, oder ein polibiotisches Gebilde, {kurz, ein Phänerobiotisches, beziehe sich nämlich} mein Tadeln auf eine Mineral-, Pflanz- oder Thier-Formation, oder auf den, durch Zusammenfluß von Umständen, hervorgegangenen Karakter Bildungszustand u. s. w. eines Menschen, oder auf eine von ihm unter geweissen Konjunkturen unternommene Handlung, oder auf geweiße historisch hervorgetretene politische Institutionem an einem Volke, oder auf das geschichtlich gewordene Verhältniß ganzen Nationen gegen einander, u. s. w., mein Tadeln – kann vernünftiger Weise nie einen andern Sinn – haben, als folgenden: Das erscheint mir als falsch, häßlich, oder böse; welches so viel heißt, als: Das disharmonirt mit meinem Gefühle (wohlverstanden mit meinem) für Wahres, Schönes, oder Gutes. Nie aber kann vernünftigerweise mein Tadel so lauten: Das ist naturwidrig, widerspricht den Naturgesetzen den Naturwaltensnormen, das hätte nicht geschehen sollen,xlix u. s. w., wie [100] man sich häufig ausdrückt. Hier ist nämlich zu bemerken: Was geworden ist, – das müßte, so – wie es geworden ist, werden {(als einzelnes Oscillirensmoment nothwendig so und nicht anders – an der}, allen ihren Theilen nach als nothwendig bestimmten, Totaloscillation); wobei nicht zu vergessen kömmt, daß ja das Falsche, Häsliche, Böse, am Naturganzen innerhalb und außerhalb mir, eben so – als etwas Nothwendiges – hervortrete, als das Wahre, Schöne, Gute; wo bliebe sonst – das weiter oben, als allgemeine Form alles Erscheinens, entwickelte Oscillatorische? – Das Böse muß geschehen, doch wehe dem, durch den es geschieht. –l Endlich

xlix

l

Bezieht sich unsere Würdigung auf unser eigenes oder eines Andern Handeln; so hängt jener falsche Ausspruch vom nicht Sollen – mit der herrschenden falschen Meinung zusamm, als ob der Mensch (dem Fatum zum Trotze) anders hätte wollen und handeln können, als er wirklich gewollt und gehandelt hat, – woraus sich die falschen Ansichten von moralischer Freiheit bildeten. Doch hierüber weiter unter ein Mehreres. Der Ausdruck wehe – bezieht sich hier auf die Gewissensfolter, nicht auf eigends verhängte äußere Strafe; in demselben Sinne ließe sich sagen: Es muß Sieche geben, doch wehe denen, die das siech Seyn – trifft.

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[101] muß überhaupt bemerkt werden, daß die von so Vielen – ausgesprochene Aeußerung, als sey ein sich Zutragendes, als sey die Art und Weise nach welcher etwas vor sich geht, u. s. w., widernatürlich, – daß solche Aeußerung – ein vollkommener Unsinn sey. Denn, Nichts kann wirklich vor sich gehen, Nichts in der That sich ereignen (sowohl innerhalb und außerhalb mir), worinn ein Widerspruch bestände mit den Naturgesetzen, mit den Naturwaltensnormen, welche ja selbst – die ewig nothwendige Art und Weise des Naturwaltens sind, dieß sogar noch – an der uns scheinbar freien – Sphäre menschlicherli Thätigkeit, welches scheinbar freie – auf grober Täuschung beruht. Werde auch immerhin, im gemeinen Sprachgebrauch, der [102] Gegensatz zwischen natürlich und künstlich geduldet,lii so bezieht sich derselbe nie auf etwas Anders, als auf ein, entwender ohne oder mit Zuthun des Menschen, Hervorgetretenes; Beides ist aber ein, den Naturgesetzen (besser Urnormen des Waltens) entsprechend, gewordenes Produkt einer und derselben Natur, da die Menschenthätigkeit – nicht ein außerhalb der Natur Wirksames ist, sondern ganz und gar nur ein integrirender Theil – der Naturthätigkeit überhaupt. Die Natur, das Gemählde, das Gedicht, die wissenschaftlice Abhandlung, das philosophische System, das Gebäude, der Kunstgarten, die Maschine, sey sie auch noch so künstlich konstruirt, u. s. w., alle diese Dinge sind ganz so – Naturproduk[103] te, als Steine, Pflanzen, Thiere, {metheoristische Gebilde}, u. s. w.,liii Erstere gingen hervor – mit zum Theil (nie allein) aus dem Walten (scheinbar ein SpontaneitätsWalten) der menschlichen Natur (aus dem Anthropobiotismus), die ja aber selbst nur – ein integrirender Theil der Natur überhaupt ist; Letztere gingen hervor – lediglich aus dem Walten der äußermenschlichen Natur (dem Lithobiotismus, Phytobiotismus, Zoobiotismus, u. s. w.). Aber li lii

liii

Siehe den Aufsatz: Gesetze herrschen ([Georg von] Buquoy, Anregungen für philosophischwissenschaftliche Forschung [und dichterische Begeisterung, Leipzig 1825, S. 759–762].). Besser wäre hier zu sagen: Selbstentstandenes und durch des Menschen Zuthun Entstandenes. Ich sage gefließentlich blos: durch des Menschen Zuthun, u. s. w., da einzig durch Menschenthätigkeit – nichts entsteht; die Menschenthätigkeit tritt nur nebenher mit bei in Allem das da wird auf des Menschen Veranlassung. Selbst die meinem selbstbewußten Ich gewordene Grundidee all meines apriorischen Denkens ist, hinsichtlich der Art ihres (jener Grundidee) Gewordenseyns in mir, statt mit von Aeußerlichkeiten influenzirt. Die Naturprodukte möchten sich folgendermassen eintheilen lassen: Selbstgebilde, z. B. Stein, Pflanze, Thier, Vogeley, mittelst der Drüsen sezernirte Flüssigkeiten, Blasen-, Nieren-, Gallen-Steine, u. s. w, ferner Instinktgebilde oder Instinktprodukte, z. B. Vogelnest, Bienenzelle, Bieberbau, u. s. w., endlich Zweckgebilde oder Kunstgebilde oder Kunstprodukte, z. B. Haus, Pflug, Mühle, Statue, Gedicht, philosophische Abhandlung, u. s. w., bei welchen letztern, – während des sich Gestaltens, – des Menschen Thätigkeit (diese ist einer der integrirenden Theile der Naturthätigkeit überhaupt) mitunter (nicht allein) hinzutritt, aber stets nur mitunter; – wenn z. B. dem Genius des Mahlers innerlich ein nach nicht auf die Tafel gebrachtes Bild vorschwebt, so ist solches Bild – das Resultat, nicht blos der Schaffenskraft des Künstlers, sondern zugleich unzähliger Reminiszenzen aus vorhergegangenen äußern Natureindrücken auf den Künstler.

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[1041] nicht nur das aus dem anthropobiotischen Walten, sondern auch das aus dem polibiotishen (staatslebendlichen) Walten, Hervortretende, das volksthümliche Geschichts-Resultat, die Volks- und Staatsthümliche Erscheinung als ein Gewordenes, ist ein Naturprodukt, entsprossen dem menschlichen und zugleich dem außermenschlichen Antheile – der Naturaktivität überhaupt. Eben so falsch ist es, wenn man (wie dieß so häufig geschieht) blos das freyer, unter günstigern Umständen, sich Entwickelnde, als ein natürlich Gewordenes betrachtet, hiegegen das unter Zwangsverhältnissen Gewordene, und hiedurch nicht selten Ver[1042] kümmerte, als widernatürliches Produkt ansieht;liv oder, wenn man als natürlich erklärt, was mit unserm bessern Gefühle harmonirt, hingegen als widernatürlich, was mit unserem bessern Gefühle disharmonirt, indeß ja doch das moralisch Böse – eben so nothwendig in der Totaloscillation austreten muß, als das moralisch Gute; oder, wenn man das Gewöhnliche – natürlich nennt, und das Ungewöhnliche – als widernatürlich [105] betitelt, statt zu sagen: normal und abnorm; u. s. w., wohin sich z. B. die Zustände von Gesundheit und Krankheit beziehen, welche Beide doch sicherlich – bestimmten Naturgesetzen unterliegenlv (oder befolgen etwa die Krankheitsstadien, die Krisen, u. s. w., keine bestimmten Gesetze?), daher beide – natürliche Zustände sind. {Wie könnte es überhaupt in der Natur – etwas widernatürliches geben?} An dem Entwicklungs-Akte irgend eines kryptobiotischen [106] oder phänerobiotischenlvi Produktes am Naturleben (Mineral, {Meteor}, Pflanze, Thier, Mensch, selbstbewußthaft sich aussprechendes Gebilde, z. B. Begriff, Urtheil, Idee, Schluß, Gefühlsregung, Phantasiegebilde, Entschluß, That, u. s. w.,lvii liv Siehe ein Weiteres hierüber in [Georg von] Buquoy, Ideele Verherrlichung des empirisch erfaßten Naturlebens, Theil I, [Leipzig 1822], pag[ina] 6, wo nämlich unter andern gezeigt wird, wie falsch es sey, blos eine freie Entwicklung als eine natürliche zu betrachten. Ist denn wohl z. B. der in dunkler Kluft zur bleichen wassersüchtigen schwächligen Pflanze gewordene Keim – weniger nach Naturgesetzen so geworden, als die auf Libanonsduftumflossenen Höhen – üppigen Geästes nach dem Zenithe ringende Ceder – zu dem ward, was sie ist? lv Man sollte es kaum glauben, welcher Unfug mit den Ausdrücken natürlich und widernatürlich getrieben wird, und das zwar eben so sehr von Philosophen und Gelehrten als von Laien. Der unsinnige Begriff des Widernatürlichen hat sich durch den Wahn unter die Menschen eingeschlichen, daß der Mensch über der Natur stehe; unser Dünkel hat uns dahin gebracht, daß wir es gar nicht merken, wie wir nur – Theil der Natur sind. – Selbst in den weltberühmten griechischen und römischen Klassikern – findet sich in dieser Hinsicht, vieler von uns – treuherzig nachgeschwätzter Unsinn. lvi Das Kryptobiotische und Phänerobiotische – karakterisiren sich – durch vorherrschende Passivität gegen äußere Influenz und durch vorherrschend innere Selbstbestimmung. lvii Da der Mensch nicht außer – der Natur, sondern blos einer der integrirenden Theile – am Naturganzen, ist, indem der Mensch ein durch und durch Naturhaftes, φύσις-haftes selbst ist, kein Metaphysisches, so kann auch kein aus menschlicher Thätigkeit resultirendes Gebilde – ein Metaphysisches seyn, sondern jenes ist stets nur φύσις-haft, ist Naturprodukt.

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ferner polibiotisches Gebilde, z. B. Nation, Staatenkombination, Lehnswesen, Kaßenwesen, Hierarchie u. s. w.) [107] treten häufig, vielleicht durchgehends, wenn gleich für uns nicht allemal bemerkbar, folgende Momente ein: 1. Aus dem, hier durch A bezeichneten, gesammten Bildungstriebe irgend eines betrachteten Gebildes A des Naturlebens, entfalten sich, in einem bestimmten Zeitmomente, eigenthümliche Produkte a, a‘, a‘‘, …; 2. Diese reagiren auf jenes Gebilde A zurück, und modifiziren dessen Bildungstrieb A zum Bildungstriebe B, für Hervorbringung fernerer Produkte b, b‘, b‘‘, … im zweiten Zeitmomente; 3. Zugleich wird besagtes Gebilde (ursprünglich A genannt), als ein mit dem übrigen Weltorganismus zusammenhängendes Organ jenes Weltorganismuses, von außerhalb ihm (dem Gebilde A) liegenden, in der Naturthätigkeit überhaupt – nothwendig begründeten, obgleich zufällig oft – uns scheinenden, Momenten α, β, γ, … influenzirt, wodurch der Bildungstrieb B zum Bildungstriebe C modifizirt wird, für Hervorbringung der Pro[108] dukte c, c‘, c‘‘, …; 4. Die Produktiren c, c‘, c‘‘, … reagiren auf obiges Gebilde zurück, und modifiziren dessen Bildungstrieb C zum Bildungstriebe D, für Hervorbringung fernerer Produktionen d, d‘, d‘‘, … in einem dritten Zeitmomente; 5. und so geht es beständig fort. – Wir sehen hieraus, wie ein ursprünglich A benanntes Gebilde fortwährend in eine andere, dann andere, dann wieder andere, u. s. w., Geburt- und Gedeihe-Stätte – umwandelt werde, und daher, seinem (das A) Walten nach betrachtet, binen den auf einander folgenden Perioden, keineswegs als ein stätig sich constant Behauptendes angenommen werden dürfe. – Welchem Irrthume sind wir nun aber, eben in dieser Hinsicht, preißgegeben! – Indeß wir einem Gebilde eine bestimmte Benennung A ertheilen, und jenem Gebilde diese Benennung unverändert fort beibehalten, wird jenes Gebilde selbst – seinem Wesen nach – unaufhaltsam ein Anderes, denn Anderes, denn wieder Anders, [109] u. s. w.; {wir aber}, – von der stereotypischen Starrheit der Benennung A befangen, – betrachten häufig die mit jener Benennung bezeichnete Sache, – nämlich das oberwähnte sich fortan umstaltende Gebilde, unabänderlich als ein und dasselbe, so es bei seiner allerersten Nahmensertheilung A war. – Hierinn liegt nun aber eine Anzahl menschlicher Verirrinden, die nicht sollten – die fürchterlichsten Verheerungen des Fanatismus zeuget. Wenn du – des sich höher aussprechenden, des rasch vorauschreitenden, vielsinnigen, Lebens – Wandelgeschick – an des starren regungslos krystallinischen – Form zu schmieden dich bemühest, o Mensch! {Du selbst ja – eine schnell worübereilende Erscheinung nur – auf Erden, so wähne nicht, es} möge dir gelingen, etwa zu vereiteln sie, jenes Lebens Bildelust, des mächtig allbeherrschenden Lebens; nein! Stolzer Schwächling! Es gewinnet Leben die Felswand selbst, – [110] an welche das Leben zu bannen du wähntest; – jene nun, in wildem Aufruhr, im Bunde mit den losgelassenen Stürmen, wüthet schonunglos über der Menscheit sorgsam gepflegte Fruchtgefilde hin; und reißt auch dich Zagenden, dich Zitternden, dich Lebenden, mit – in den Greul der Verwüstung hinein. –

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Was man gewöhnlich, obwohl uneigentlich (wie gezeigt werden soll), Naturgesetze – nennt, bezieht sich auf die unabänderlich, vollkommen entschieden, sich aussprechende Art und Weise – des Hervortretens jedes bestimmten Momentes, jedes bestimmten Was – Wann – und Wie, am gesammten Naturerscheinen innerhalb und außerhalb mir, {am durch und durch oszillatorischen Universum, an der φύσις innerhalb und außerhalb mir}. Was man mit dem Worte Naturgesetze bezeichnet, [111] würde man zweckmäßiger so ausdrücken: Naturnothwendigkeiten, Modus-Absolutheiten, Oscillationsimperative, Oscillationspostulate, Urnormen des Waltens, Naturwaltensnormen, u. s. w., um sie nicht etwa, durch die noch einer andern Beziehung hin schielende Benennung von Gesetz, mit Menschensatzungen, z. B. mit Staatsgesetzen, zu verwechseln, deren Realisirung (gemeinhin das Beobachtetwerden genannt) keineswegs das Kriterium der Nothwendigkeit – in sich faßt, sondern vielmehr durch tausenderlei Umstände bedingt ist und vereitelt werden kann. Daher denn auch jedem Gesetze, eben weil es eine bloße Menschensatzung ist, der erbärmliche Nothbehelf der Strafandrohung angehängt seyn muß; dahingegen Strafe, auf Uibertritt eines Oscillationspostulates (eines uneigentlich sobenannten Naturgesetzes) {bozogen}, ein Absurdum ist. Man hört zwar [112] öfters die tolle Behauptung, und dieß nicht selten – mit fromm verdrehten Augen, aussprechen, vorzüglich in der Ethik der Teleologen,z als bestrafe sich die Uibertretung eines Naturgesetzes – von selbst. Dieser Satz ist eben so unsinnig, als ob man sagen möchte, es bestrafe sich von selbst die Uibertretung desjenigen, das, seiner Natur und Wesenheit nach, gar nie übertreten werden kann. Weiter oben erwähnter Unsinn, der selbst in griechischen und römischen Klassikern häufig ausgesprechen ist, kann nur Jenen als Vernunftausspruch erscheinen, welche von einer falschen Ansicht der moralischer Würde, diese mit moralischer Freiheit verwechselnd, und von absurder omoioanthropischer Ansicht Gottes, befangen sind, ihn als einen menschlichen Monarchen betrachten. Vergeßt doch den oscillatorischen Karakter des Naturwaltens nicht, wornach, eben so wie das Gute, ja auch das Böse – zum Ganzen jenes Waltens gehört; was wäre auch – ein Bild ohne Schatten? Das unmoralische Handeln ist keineswegs, [113] wie dieß auf die unsinnigste Art von Manchen behauptet wird, ein Handeln gegen Naturgesetze;lviii es ist vielmehr das unmoralische Handeln – eben so sehr ein Handeln nach – Oscillationsimperativen, nach Naturgesetzen, als das moralische Handeln.lix Die der bösen That auf den Fuß folgende böse Lage, in welche der Thäter versetzt wird, nämlich seine innerlich empfundene moralische Nichtswürdigkeit

lviii lix

Die Vorstellung von der Möglichkeit eines Handelns gegen Naturgesetze – ist absurd; es ergibt sich Alles – nur nach Naturgesetzen, kann nur so – sich ergeben. Der oscillatorische Karakter des Naturganzen, prägt ihm die Modusabsolutheit (das Naturgesetz) auf, daß am Naturganzen – eben sowohl das Böse – als das Gute in die Erscheinung trete; gleichwie das Häßliche – das Falsche – hervortreten müssen an der Allnatur.

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und die hiemit verbundene Pein, sind nicht als Strafe, nicht als ein die Hintanhaltung böser Thaten beab[114] sichtigendes Mittel, zu betrachten, indem ja das Vorsichgehen des Moralischbösen – zum Totalerscheinungsakte der Natur wesentlich mit gehört; sondern sind zu betrachten als die, nach Naturwaltensnorm, nothwendige Konsequenz – der bösen That; ganz so, wie es Naturwaltensnorm ist, daß, wenn die Pflanze der Gewalt des Hagels nicht Widerstand leistet, sondern sich zerknicken und in den Boden schlagen läßt, daß jene Pflanze elendiglich dahin dorre. Die Vollziehung der vom Landesfürsten seinen Unterthanen, vom Vater seinen Kindern, u. s. w., angedrohten Strafe hingegen, ist nicht eine nach Oscillationsimperativ, nach Naturgesetz, nothwendige Konsequenz irgend einer, vom Unterthan oder Kinde u. s. w., verübten gesetzwidrigen That, indem ja, trotz solcher verübter That, die Vollstreckung der angedrohten Strafe unterbleiben kann. Es ist das Strafandrohen weiter nichts, als der erbärmliche Nothbehelf des beschränkten Menschen, der, eben weil er beschränkt ist, – einen Willenlx hat, und, weil er hinsichtlich des [115] Vollzogenwerdens seines Wollens ohnmächtig ist, nicht die Fähigkeit besitzt, seinen Willensspruch ausnahmslos – vollziehen zu machen.lxi Der Gesetzgeber kann nur streben, – trachten, – seinen Willen (tant bien que mal)aa vollziehen zu machen. Des Menschen Hoffart, diese in Demuth gefüllte Betrügerinn, sie war es, die in Parallele setzen wollte – Gott und die mächtigen der Erde. Alles in mir Vorgehende gehört mit – zur Vollziehung des Fatums, dringt sich mir auf – durch Weltlaufsmacht. – Kein Endliches, auch nicht der Mensch, faßt den vollen Grund seiner Thätigkeit in sich. Die Chimäre der moralischen Freiheit – hat im Philosophiren seit Jahrtausenden ihr Unwesen getrieben, und schlich sich dadurch ein, {daß Jahrtausende hindurch – nichts geahnet ward von der [116] am Weltall durchgehendsherrschenden Gesetzmäßigk[eit], sondern daß erst in neuerer Zeit}, vorzüglich seit Newton, die Naturforscher von der durchaus der Natur herrschenden Gesetzmäßigkeit sich überzeugten, wovon aber – die sogenannten Psychologenbb – wenig oder gar keine Kenntniß nahmen, daß überdieß, seit Plato und Aristoteles, die irrige Ansicht bestand, als sey das menschliche Denken, Fühlen und Wollen außer dem Bereiche der Naturaktivitäten – gelegen, {über der φύσις hinaus, also Metaphysik; indeß ja doch, bei} Wahren bei wirklichkeitsgemäßer, nicht aus Fiktionen gegriffener, Ansicht vom menschlichen, Denken, Fühlen und Wollen, die Uiberzeugung entstehen und fortbestehen muß, daß, an denselben, wie an allen Naturaktivitäten außerhalb des ichlichen Selbstbewußtseins im Menschen (Plastizismus, Mechanismus, Chemismus, Lumismus, Calorismus, Elektrizismus, Galvanismus, Magnetismus, Befruchtung (innere und äußere), Ey-Entwicklung, Einsaat, Bebrütung (innere und äußere), Gebären, Assimilation und Ausscheidung, lx lxi

Wollen heißt – vorzugsweise Einem nachstreben, faßt also Beschränkung in sich. Dem Absolutum, Gott, einen Willen zumuthen, selbst einen solchen, der nie übertreten werden könnte, wäre eine Absurdität; das Absolutum ist das Superlativ von Gleichgültigkeit, u. s. w.; der Begriff Wille – postulirt Bedingtheit. –

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Sinneswahrnehmung und willkührliche Bewegung am Thiere, thierisches Begehren, Handeln nach Instinkt, u. s. w.), durchaus Gesetze herrschen, daß jenes eigenthümlich menschliche – Aktivitäten also eben so naturhaft – eben [117] so φύσις-haft – sind, als die {außerlichlich, außermenschlich, selbstbewußtlich} erscheinenden Naturaktivitäten, als z. B. das Krystall-Anschießen aus der Mutterlauge, indem jene menschliche Naturaktivitäten – blos ein integrirender Theil – der allgemeinen Naturthätigkeit überhaupt sind, blos einzelne Oscillationsbögen – an der Totaloscillationlxii {(symbolisch ausgedrückt)}. Daß man in frühen Zeiten, so lange man noch, unter dem stillschweigenden Selbstbekenntnisse nicht erlangter Mündigkeit, alle Gedanken aus den Klassikern schöpfte, und so lange den Forschen das Eigentliche – des hohen generellen und präcisen Sinnes am Ausdrucke: Naturgesetz – nicht aufgegangen war, daß man damals an dem Vorurtheile von der moralischen Freiheit – kränkelte, dieß ist nicht zu wundern. Aber nicht wohl begreiflich wird es, wie jenes Vorurtheil auch nach dem eingebrochenen Lichtstrahle vom Naturgesetze, der seit Newton unser Wissen so glorreich erhellte,cc noch ferner fortwuchern kann; nur darinn möchte die Lösung des sich beim ersten Anblicke als Unbegreifliches Aufdringenden [118] liegen, daß diejenigen, die man bisher {(ganz falsch)} ausschließend Physiker und Naturforscher nannte, von den eigentlich sobenannten Philosophie – getrennt, ohne wechselseitiger Influenz, sich verhielten so, daß das seit Newton {aufgegangen Licht, welches} über die gesammte Naturforschung – sich hätte verbreiteten sollen, blos dazu diente, die ausschließlich sogenannten Naturforscherlxiii mit Riesenschritten vorwärts zu fördern, indeß die eigentlich sogenannten Philosophen, vom Schwunge ihrer Zeit nicht mit ergriffen, immer noch an den Knochen des Platonismus und Aristotelismus nagten. Noch gegenwärtig ertönt, in der philosophischen Schulen, [119 Beendung der Anmerkung lxiv] [120] der Gemeinplatz, der Masse Thätigkeitsäußerung – sey blos Resultat äußern Impulses ohne innerer Selbstbestimmung, hingegen sey des Menschen Thätigkeitsäußerung, z. B. dessen Willensmanifestation, blos Resultat innerer Selbstbestimmung. Beides ist nur aber hier falsch angegeben; es soll eigentlich, um mit der Wirklichkeit übereinzustimmen, so heißen:

lxii

lxiii

Es besteht am Weltganzen (mein Ich selbstbewußtseyn mit einbegriffen) nicht der Gegensatz von Nothwendigkeit und Freiheit, – sondern es besteht der Gegensatz von exoanthropisch und esoanthropisch hervortretender Nothwendigkeit. Die Modusabsolutheiten – herrschen allerwertes. Auch Psychologen, Geschichtforscher, eigentlich sogenannte Philosophen (mögen diese immerhin als Metaphysiker – sich ganz falsch tituliren), sind Naturforscher und Physiker, da der Gegenstand menschlichen Philosophirens – nur φύσις-haft seyn kann. Alle Forschung ist Naturforschung.

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Sowohl an der Masse,lxiv als am Menschen ist die jedesmal, bei äußerer Influenz, resultirende Thätigkeitsäußerung – das kombinirte Resultat aus dem schon vor der Influenz bestehenden Zustande am Infuenzirten und aus der Geartung der Influenz selbst. Beweis für die Masse hinsichtlich ihrer Bewegung. Eine und [121] dieselbe, Centralkraftlxv wird zwei, von {ihr in} einerlei Abstande solicitirte und dann unablässig an sich gezogene, Masseneinheiten, die vor Solicitirtwerden zweierlei gleichförmige Tangentialgeschwindigkeiten, der Richtung und Größe nach, hatten, veranlassen, nicht nach einerlei Bahn zu laufen, sondern nach zweierlei Kegelschnitten sich zu bewegen; es kann sogar der eine z. B. eine Parabel der andere z. B. eine Elipse seyn, u. s. w.lxvi Beweis für den Menschen hinsichtlich seines Willens. Ein und dasselbe die Zoosinnlichkeit reizende Objekt – wird in dem einen Menschen den, das Streben ethisch würdig zu handeln überwiegenden, Willen veranlassen, die thierische Lust zu befriedigen, und in dem andern Menschen den, das Streben die Thierlust zu befriedigen überwiegenden, Willen veranlassen, ethisch würdig zu handeln, je nach der, vor eintretender Influenz (durch das reizende Objekt), statt habenden verschiedenen pathognomischen und moralischen Stimmung (beide diese Stimmungen – von tausen[122] derlei vorhergegangenen äußern Influenzen abhängig) an den in Rede stehenden zwei Menschen. Möchte etwas der letztere obiger zwei Menschen {behaupten, er} habe die Influenz des die Zoosinnlichkeit reizenden Gegenstandes durch innere Selbstbestimmung dahin gelenkt, als Resultat, würdevoll zu handeln, statt, wie der erstere obiger zwei Menschen, die Thierlust zu befriedigen, er sey daher ein freies Wesen, – so könnte, ganz in demselben Sinne, die eine a, der obigen zwei Massen a und b, behaupten, sie habe die Influenz des Centralkörpers durch innere Selbstbestimmung dahin gelenkt, als Resultat, nach einer Ellipse zu laufen, statt, wie die Massen b, nach einer Parabel zu laufen, sie sey daher ein freies Wesen.

lxiv

lxv

lxvi

Gemeinhin nimmt man, in der Physik, die Masse für unbelebt; mir ist Alles ein Belebtes; nur zerfällt es, vor meiner Anschauung, in Kryptobiotisches und Phänerobiotisches. Indeß wird durch diese meine Ansicht, die so eben folgende Betrachtung nicht influenzirt. Was man, in der Mechanik, Trägheit nennt, dieß ist eigentlich die Manifestation innerer Selbstbestimmung, wornach die Masse aus ihrer innern Wesenheit heraus – strebt, ihren phoronomischen Zustand, gegen die äußern Kraftinfluenz, fort zu behaupten; sonach ist, was man nicht ganz richtig Centrifugalkraft nennt, eigentlich – ein Trägheitswiderstand, der, zu Realisirung krummlienigter Bewegung, durch die Centripetalkraft überwunden werden muß. [Georg von] Buquoy, Erläuterungen [und Zusätze] zu [dem dritten Theile von Herrn] Schuberts [theoretischer Astronomie, nemlich zu dessen] physischer Astronomie, [Leipzig 1811]; dann [Georg von] Buquoy, Prodromus [zu einer neuen, verbesserten Darstellungsweise der höhern] analystische[n] Dynamik, [Prag 1842–1844]. Es ist hier, nach Newton, die Gravitation dem Quadrate des Abstandes verkehrt proportional angenommen.

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Nach diesen einleitenden Betrachtungen, zu einer vernunftgemäßen Würdigung der sogenannten moralischen Freiheit, – behaupte ich nur folgendes, auf Beobachtung und Raisonnement mich [123] stützend, und jede auf fingirte Apotheose der Menscheheit –lxvii basierte Selbstäuschung und Selbstschweichelei sorgfältig vermeidend: Moralische Freiheit (ein unpassender Ausdruck) findet meinerseits nicht einmal in soferne statt, daß ich den Wahlakt, der ein verändertes Wollen in mir bewirken kann, aber nicht bewirken muß, nach Beliebenlxviii vorzunehmen vermöchte; was für ein Wollen – nun aber gar, aus solchem vorgenommenen Wahlakte, jedesmal wirklich entsteht, so liegt dieß, noch klarer mir fühlbar, nicht in meinem Belie[124] ben kurz, ob ich, jedesmaligen Falls, einen Wahlakt vernehmen, wie ich ihn durchführe jedesmal, welch Wollen in mir – jedesmal aus dem Wahlakte endlich resultire, dieß Alles, bis auf den kleinsten Oscillationsbogen hin, constituirt mit die jedesmalige Totaloscillation (symbolisch gesprochen). Ich handle allemal nur so, ich kann nur so handeln, wie ich will;lxix ich will aber immer nur Das, kann nur wollen Das, – so entweder unmittelbar meinem Begehrungsvermögen (wohlverstanden meinem) als höchst Begehrliches, oder so meiner Vernunft (wohlverstanden meiner) als geeignetestes Mittel zu Erlangung jenes mir höchst Begehrlichen, sich [125] aufdringt, wohlgemerkt, sich aufdringt; – ich bin außer Stande, grade irgend einen Entschluß, als endliches Resultat meines Wahlaktes, meines Abwägens, gleichsam zu erwollen (man erwäge hier wohl den Sinn des Ausdrucks: Etwas erwollenlxx). Die sehr allgemein verbreitete Ansicht, von einem dem Menschen innewohnen sollenden Vermögen, durch freie Disposition über sich selbst, irgend ein bestimmtes Wollen in sich, und sonach irgend ein bestimmtes Handeln durch sich, herbeizuführen, – es in sich gleichsam zu erzwingen, – dieß ist eine leere Fiktion, {eine alberne Fiktion,} moralische Freiheit genannt, deren Realität sich durch keine Art des lxvii So wie man bisher – den Glauben zu niedrig, das Wissen zu hoch, anschlug, eben so taxirte man bisher die Mineralwelt zu niedrig, den Menschen (diesen φύσις-haften – als metaphysisch fingirend) zu hoch. lxviii Nach dem von mir bis hieher über das (nur in dem ausgegebenen Sinne – zu nehmende) Fatum, – das sich selbst bis auf die leisesten Regungen hin – an meinem Innersten – erstreckt, Gesagten, ist jedes in mir vermeintliche Freie – nur ein Schein – von Freiheit, indem, was mir in jedem Augenblicke beliebt, als solches – vom Fatum nothwendig postulirt ist. In diesem Sinne ist in der Folge stets der Wahlakt zu nehmen ([Georg von] Buquoy, Ideele Verherrl[ichung des empirisch erfaßten Naturlebens, Leipzig 1822.]). lxix Auch selbst – der durch Peitschenhiebe zu einer ihm höchst widerlichen Arbeit gezwungene Sklave handelt, indem er jene ihm widerliche Arbeit verrichtet, immer nur nach seinem (des Sklaven) bestimmt ausgesprochen Willen, die Arbeit – doch noch – den Peitschenhieben worziehend; eben so handelt der ruhig sitzende Eingekerkerte nach seinem Willen; er will keine Austrengung zum Entkommen machen, wohlwissend, daß hier alle Austrengung fruchtlose Akmattung wäre. Alles dieß wird weiter hier deutlicher werden. lxx Die Vorsylbe er – in den Worten erringen, erbeuten u. s. w. betrachtet – mag hier das Sprachgefühl auf die rechte Spur führen.

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Selbstbeobachtens rechtfertigen läßt, und allem bis hieher von mir Entwickelten durchaus widerspricht. Die moralische Freiheit müßte, als Ausnahme der allerwärts in der Natur herrschenden Gesetzmäßigkeit,lxxi ganz eigens erweisen [126] werden, {da man ja} Ausnahmen – nicht suponirt. Das jedesmalige Gestalten des in mir sich hervorbilden Wollens – geht nach eben so unerbittlichem Naturgesetze (Oscillationsimperativ) vor sich, ist eben so gut – Naturnothwendigkeit, {als das Rechnungsfacit so und nicht anders – aus den Bedingnissen der Aufgabe, oder als doch bestimmte Gestalten} z. B. aus einer gegebener Mutterlauge anschießender Krystalle unter bestimmten Barometerstande, Thermometerstande, Uiberfättigungsgrade der Lauge und unter überhaupt bestimmten Umständen. Solches in mir hervorgebildetes Wollen – fällt nun aber (nolens volens bezüglich meiner) entweder so aus, daß es mit meinem Moralgefühle harmonirt, oder fällt so aus, daß jenes Wollen – mit meinem Moralgefühle disharmonirt; im ersten Falle fühle ich mich, vor mir selber, gewürdigt, im letzten – entwürdigt, so zu sagen (indeß nicht ganz richtig ausgedrückt) belohnt oder bestraft,lxxii aber immer nur – ist dieß – als absolut nothwendige Konsequenz – zu nehmen gerade [127] so, wie der Talentvolle – sich durch sein gelungenes Werk vor sich selbst gewürdigt (belohnt), hingegen der Talentlose – sich durch sein Pfuschwerk vor sich selbst entwürdigt (bestraft) fühlt.lxxiii Nach solcher Ansichten – hat der triviale Ausdruck von einem Dafürkönnen und einem Nichtdafürkönnen – zur keine Bedeutung, bezieht sich auf falsche Ansicht, schief aufgefaßte Thatsachen des Bewußtseyns, auf leere Fictionen und Vorurtheile, auf teleologisches Frömmeln, auf falsch verstandenes Christenthum. Der Vertheidiger der moralischen Freiheit möchte etwa einwenden: Es sey Thatsache seines Bewußtseyns, daß das lebendig ihm vorschwebende ethische Prinzip – den Andrang der unlautern Begierde {in ihm} – stets aufzuhalten vermöge. Allein hiemit [128] hätte Jener nicht eine ihm innwohnende moralische Freiheit, als vielmehr jenen Grad innerer moralischer Würde, für sich behauptet, wornach, einer eigenthümlich edlen Geartung gemäß, in ihm der Drang, nach ethischem Prinzipe zu handeln, über den Drang, der bösen Begierde gemäß zu handeln, stets das Uibergewicht erhalten muß, nach welchem Uibergewichte er sich dann eben so nothgedrungen fühlt edel – zu wollen und zu handeln, wie das Rad am einmännschen Göppeldd – gegen die lxxi

Selbst das den höchsten Regionen zu – sich schwingende Denken – hat seine logischen Gesetze. lxxii Bestraft, nicht etwa im Sinne einer vom Absolutum beabsichtigten Abschreckung u. s. w. Ein omoioanthropischer Gott – ist eine Absurdität. lxxiii Ganz uneigentlich sind hier die trivialen Ausdrücke: belohnt, bestraft, da Lohn und Strafe einen Lohnenden oder Strafenden voraussetzen, der die Absicht hat, zu gewissen Handlungen aufzumuntern, von andern abzuschrecken, welches die Absurdität eines omoioanthropischen Gottes voraussetzt. Eine Aehnlichkeit zwischen Menschen (Endlichem) und Gott (Unendlichem) aufstellen, ist eben so unsinnig, als die Kreislinien von endlichem Durmesser mit der Kreislinie von unendlichem Durchmesser, also mit der Geraden, als ähnlich zu erklären.

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Last der Erztonne sich bewegen muß, wenn des Bergmanns Hand jene Last wältigt. Wollte der Vertheidiger der moralischen Freiheit nun aber, den falschen Ausdruck Freiheit aufgebend, den konstanten Zustand seiner – auch nur moralischen Würde – als Thatsache seines Bewußtseyns behaupten; so ließen sich an den mit solcher Zuversicht Sprechenden – die Fragen stellen: 1. Da deine Behauptung sich blos auf deine bisherige Erfahrung stützt, [129] wie kannst du beweisen, daß dir gleicher Sieg als bisher, auch dann werden möchte, wenn deine Begierde höhere Grade erlangte als bisher? 2. {Wenn du von der auf andre schließen wolltest, kann} wohl deine individuelle Natur (die vielleicht, wegen Schlaffheit deiner Faser, wegen des verwässerten Zustandes deines Blutes, wegen Stumpfheit deiner Nerven, wegen deines zu echt viril irritabler Vollendung nicht gelangten Organismus, u. s. w., eine eigentliche Begierde in Tiegerglut – zu zeugen gar nicht vermag) als Maßstab aufgestellt werden, für die Menschennatur überhaupt? Wahrlich! Es gibt Kastraten-Naturen, rasselose Wasserschößlinge, bei denen jede moralische Uiberwindung der Begierde – stets nur Kinderspiel bleibt, die zu lebensarm und nullig sind, um ja der Versichung Macht – zu fühlen. 3. Kannst du die Nichteintretung des Sieges, dessen du dich so anmassend brüstest, wohl für jene Fälle, auch selbst nur auf dich bezogen, läugnen, wo Wahnsinn [130] sich deiner bemöchtigen möchte, ja selbst nur der Zustand des Berauschtseyns, oder narkotischer Influenz, u. s. w.? und kann es – auf gleiches Resultat führender Influenzen – nicht noch tausenderlei, dir unbekannte, geben? Ist denn dein, übrigens dem Wandel so ausgesetzter, Gesundheitszustand – wohl mehr, als eine bloße Annäherung zur vollkommnen Gesundheit (der Physiker darf keinen Körper – als vollkommen elastisch betrachten, insoferne nicht von fingirten Körpern die Rede ist)? Kannst du daher wohl dreist und zuversichtlich dich lossprechen von jedem Grade des Wahnsinnes? {Worübergesender Paroxismen wenigstens von Wahnsin? U. s. w.} Es ist ein Wesen, an dem zum Wenigstens die Diathesis zu einem, keine Art der Freiheit aufkommen lassenden, Wahnsinne unaufhörlich vorhanden ist, ist solch ein Wesen wahrlich nicht frei – zu nennen? Wer mag es bestimmen, in wieferne jene Diathesis nur potentia schlummern, oder qua actio zu lebendiger Aeußerung sich erhebe? Willst du, o Mensch, doch ja von Freiheit [131] noch sprechen, so kann sich dieß höchstens nur – auf zufällige Grade – von nicht einmal in gehörigem Wortsinne genommener Freiheit beziehen. Welch eine Quasifreiheit ist doch das, du stolzer Schwächling! Es ist mein Wollen von doppelter Art: a. ein ursprüngliches, b. ein äußerlich aufgedrungenes. Ich kann zwar gegen mein ursprüngliches Wollen handeln; aber dann handle ich doch nicht gegen mein Wollen; sondern ich handle dann einem nicht äußerlich aufgedrungenen Wollen gemäß, z. B. jenem Wollen gemäß, das aus Furcht vor Strafe – in mir zu einem Wollen – erkünstelt ward, das also, obgleich durch äußere Zwangsmotive veranlaßt, nichts destoweniger ein mir gewordenes wirkliches Wollen ist. Wenn ich z. B. als Sklave eine mir widerliche Arbeit ver-

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richte, so ist dieß Arbeiten zwar ein Handeln gegen mein ursprüngliches Wollen, aber darum doch nicht ein Handeln gegen mein Wollen überhaupt, indem letzteres ja darin besteht, lieber gegen meine ursprüngliche Neigung zu arbeiten, als Peitschenhiebe zu erdulden. Der Beweis der Richtigkeit dieser Behauptung ergibt sich daraus, [132] daß, wenn ich es dem Arbeiten vorzüge, unter Peitschenhieben zu sterben, so würde ich ja, trotz der Peitschenschiebe nicht arbeiten; ein Fall, worüber sich wohl Beispiele anführen ließen. – Als in der für ihn letzten Schlacht, die der größte Feldherr unsers Jahrhunderts focht, die ringsumzingelte Garde, im enthusiastischen Hochgefühle nie befleckter Ehre, die Aufforderung sich zu ergeben einstimmig damit erwiderte: La garde meurt, et ne se rend pas!ee Da handelte jeder Einzelne jener Heldenshaar – gegen sein ursprüngliches Wollen zwar (nämlich sich tödten zu lassen), aber dennoch – ganz dem durch Ehrgefühl rege gewordenen Willen gemäß (sich nämlich lieber tödten zu lassen, als besiegt – in Schande – fortzuleben). Ich handle gut, tugendhaft, – so oft mein Wollen – gut, tudendhaft ist;lxxiv es ist aber dann allemal, aber auch nur dann, [133] mein Wollen gut, tugendhaft, wenn das (nicht von meinem Belieben abhängige) Resultat meines (ob er von mir unternomen, und wie er von mir geführt, wird – nicht blos von meinem Ich abhängigen) Wahlaktes, blos meiner innern Entscheidung nach, nicht durch ein mir Aufdringen von außen her dahin ausfällt, daß mir als höchst Begehrtes, aus dem Streite zwischen meinen sich widersprechenden Begehrungen, ein Solches sich aufdringe, dessen Ausübung meinlxxv Gefühl (wohl verstanden meines) für moralisch Gutes – befriedigt; dieses Befriedigtseyn ist [134] mein Lohn (wohl verstanden: {diesen Lohn} blos als {nothwendige} Konsequenz genommen), der nie ausbleibt, da er im Wesen meines Ichs – begründet ist. Mein jedesmaliges Wollen, und mein hieraus entspringendes jedesmaliges Handeln, sind um so tugendhafter, in dem Maße, als es eines gesteigertern Gefühles für Moralischgutes, meiner Seits, jedesmal bedurfte, {wenn für einen bestimmten Fall als} Resultat meines Wahlaktes solch ein Wollen wirklich hervorgehen sollte, das mein Gefühl für Moralischgutes befriedigt; es ist also mein Wollen und Handeln um so tugendhafter {in irgend einem Falle}, je mehrere und je kräftige Motive lxxiv Dieß zwar aus doppeltem Grunde: 1. Da ich nur so handeln kann, wie ich handeln will; 2. Da ja nicht die äußere Form, nicht das Thun, – die Handlung zur guten oder bösen Handlung stempelt, sondern der Wille nur, aus dem die Handlung hervorgeht, und zwar insoferne dieser Wille so geartet ist, daß er Selbstadelung oder Selbsterniedrigung in sich schließt (meinem Gefühle nach). lxxv Wenn ich mir irgend ein menschliches Wollen oder Handeln vorstelle, so erscheint es mir allemal unter dem bestimmten Karakter von entwender gut – oder böse – oder gleichgültig; dieß ist Thatsache meines Bewußtseyns. Ob nun aber – das von mir als gut, böse oder gleichgültig Anerkannte, auch an sich – gut, böse oder gleichgültig sey, dieß kann ich eben so wenig entscheiden, als, ob das von meiner Partikularvernunft – als wahr Anerkannte, auch vor der Vernunft an sich – wahr sey. Alle Würdigung in Bezug sowohl auf Gut als auf Wahr, kann stets nur subjektiv seyn.

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jedesmal vorhanden sind (meine Subjektivität hier mit berücksichtigt), die sich während meines Wahlaktes bemühten, das Resultat meines Wahlaktes nach einem solch gearteten Wollen hinzuziehen, welches Wollen – mein Gefühl für Moralischgutes empört hätte, und wenn dennoch – mein resultirendes Wollen – mit meinem Moralgefühle harmonirt. Hieraus folgt zu gleicher Zeit, daß der Lohn (dieser immer nur als nothwendige Konsequenz betrachtet, und nicht etwa, als vom Absolutum her – verhängtes Aufmunterungsmittel), [135] welcher als gutes Gewissen einer guten That nachfolgt, ähnlichen Betrachtungen unterliege. Als gut, als tugendhaft, erscheint vor meinem Würdigungsvermögen jene Handlung, die entweder unmittelbar mit meinem Gefühle für moralisch Guteslxxvi harmonirt, oder die meiner Vernunft als geeignetestes Mittel A zu einem Zwecke B sich darstellt; welcher Zweck B unmittelbar mit meinem Gefühle für moralisch Gutes harmonirt; wozu im zweiten Falle jedoch überdieß noch erfordert wird, daß die in mir Statt habende Vorstellung, von der Erreichung des Zweckes B durch das Mittel A, daß jene Vorstellung mit meinem Gefühle für moralisch Gutes harmonire, oder wenigstens jenes Gefühl nicht empöre. Es kann nämlich geschehen, [136] daß A zwar an und für sich – mit meinem Gefühle für moralisch Gutes disharmonire, mir als bös erscheine, daß hingegen A, als Mittel zu Erreichung des Zweckes B gedacht, mit meinem Gefühle für moralisch Gutes nicht mehr disharmonire, sondern mir als moralisch Gut erscheint, z. B. das Gefesselthalten eines Menschen, dieß an sich betrachtet, und das Gefesselthalten eines Menschen, als Strafe in kriminalistischer Hinsicht – betrachtet.lxxvii Jede ethische Würdigung – beruht endlich allemal auf einem im Partikulargefühle des Würdigenden – begründeten Axiome des Gefühles für moralisch Gutes. Was man fälschlich ethisches Vernunftprinzip – nennt, ist eigentlich immer nur ein durch Vernunftschlüsse abgeleiteter Satz, jedoch abgeleitet allemal nur – aus einem Axiome des Gefühls für moralisch Gutes, nicht aus einem Vernunftaxiome, obgleich von Alters her, und sehr allgemein, [137] behauptet ward, daß {alle moralische Würdigung stets aus} einem Vernunftprinzipe ursprünglich abzuleiten sey. Wenn ich z. B. in einem einzelnen Falle erwäge, wie ich gegen einen Andern zu handeln habe, damit ich, in moralischer Hinsicht, mit mir selbst zufrieden seyn könne, so werde ich zwar Anfangs meine Vernunft befralxxvi

lxxvii

Es ist Thatsache meines Bewußtseyns, daß mir ein (vermuthlich durch Erziehung und andere Influenzen modifizirtes) Gefühl für moralisch Gutes – innewohne, nämlich das Vermögen, die vorgestellte Handlung ethisch zu würdigen. Solche Würdigung ist allemal nur – ein subjektiv auf mich bezogen gültiger Ausspruch, von dem ich eine Gültigkeit an sich – nie zu erweisen vermag. Hierauf gründet sich meine Tolleranz in Beurtheilung fremden Handelns; diese Tolleranz ist auch durchgehends herrschender Karakter in Jesu auf Liebe gestützter Herzerhebender Moral; wie ward sie aber entheiligt. Inquisition ist das Antichristlichste, das in des Menschen Sinn je kommen konnte. Den Satz, daß der Zweck die Mittel heilige, kann ich nur bis auf eine gewisse Grenze hin billigen, keineswegs unbedingt (meinem Gefühle nach); der einzelne Fall – fordert jedesmal seine eigenthümliche Entscheidung.

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gen, durch welche Mittel ich in diesem einzelnen Falle dahin gelange, ob besagten Andern durch mein Handeln in die Lage zu setzen, daß weder er auf meine Unkosten, noch ich auf seine Unkosten, begünstig werde; – wenn ich aber nun weiter frage, warum denn – weder er auf meine, noch ich auf seine, Unkosten begünstigt werden solle, so antwortet hierauf – nicht mehr meine Vernunft, sondern mein Gefühl für moralisch Gutes, welches Gefühl (nicht die Vernunft) sich empört über der Vorstellung, daß Einer auf Unkosten des Andern genießen, daß Einer dem Andern blos zum Werkzeuge dienen, solle. Die so viel umfassende, so schöne, ein so heiteres Verhältniß in sich schließende, [138] Ermahnung: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst,ff {dieser Rath für Beseeligung}, ist nicht der Ausspruch der klügelnden Vernunft, sondern wahrlich der lebendige Ausdruck des regen beseligenden ethischen Gefühles; vor dessen sehnendem Schauen – die moralische Schönheit in verklärter Göttergestalt himmelan sich schwinget! – Eine abstrahirte blosse Vernunft-Tugend – ist eben so hölzern, eben so eiskalt, – als eine schulgerecht abstrahirte Vernunftpoesie, oder als eine Liebeserklärung – blos in streng logischer Form. {Aus dem Gesagten über Tugendhaftes, Lohn, u. s. w., folgt von selbst, was zu sagen sey über Lasterhaftens, Strafe, u. s. w.} Die Natur, das Weltall, das Universum, das gesammte mir Erscheinen, meine gesammte Erscheinungswelt (mein Ich mit einbegriffen), von deren einem Theile es mir vorkömmt, als entspringe er aus etwas das nicht mehr mein Ich ist, von deren anderm Theile es mir vorkömmt als entspringe er aus Schaffens[139] thätigkeit meines Ichs selbst, die Natur, {die endlich angeschaute φύσις, in Gedanken bis zum Einfall vom Unendlich verfolgt, bis zum Metaphysikon,} ist mir das an sich Nothwendige, das in sich selbst Bedingte, das Ewige, an dem – jeder einzelne Theil, beständigem Formwechsel unterliegend, durch die übrigen Theile aus Naturganzen bedingt ist.lxxviii An der Natur, an der endlich angeschauten φύσις, ist mir Alles – Gesetzmäßigkeit, besser – Naturnothwendigkeit, Oscillationsimperativ; die Natur, die φύσις, ist mir eine Kombination von Oscillationsmomenten, ist mir, erfahrungsmäßig, ein Aggregat von Planmäßigkeiten und Antiplanmäßigkeiten, eine Kombination von Mannigfaltigkeit und Identität, sonach ein Parallelismus durch und durch, ferner ein durch und durch Belebtes, verschiedene Vitalitätsgrade äußernd, ferners der somatische und ideelle, der räumlich und selbstbewußtlich ausgesprochene, Reflex – meines {gravitirenden, vegetirenden, spontoseistischen,} denkenden, fühlenden und begehrenden, Ichs; die {Na[140] tur, die endlich angeschaute φύσις, ist mir das nur in ihrer Endlichkeit noch Gedenkbare, hingegen bis zum Einfall vom Unendlich hin – verfolgt, als Metaphysisches, – das mir nicht} mehr Gedenkbare, ein bloßes Einfall. {Nur die Spezialitäten an der Natur} sind mir ein Gedankbares, nur die einzelnen Endlichkeiten daran, und

lxxviii So ist im Problem der drei Körper (Laplace) a durch b und c bedingt, b durch a und c, endlich c durch a und b; und dennoch ist die Dreiheit a, b, c durch nichts bedingt außer sich.

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zwar, nicht blos als Wirklichkeiten sondern auch als Fiktionenlxxix angeschaut, sowohl als exoanthropische denn als esoanthropische Manifestationen einer und derselben Naturthätigkeit angeschaut. Vielleicht ist all mein Denken – Täuschung; – seys immerhin; – auch jene etwaige Täuschung, – strebe ich als Harmonisches in mir zu vernehmen, laut eines autonomen ichlichen Bedürfnisses; Philosophiren – ist mir {Bedürfniß als} actio actionis causa, {ein, so zu sagen, mir innewohnender Drang, intellektuell – auszutoben.} [141 – Beendung der Anmerkung lxxix]

lxxix

Da mein selbstbewußtes Ich – integrirender Theil nur – der von mir endlich angeschauten Natur ist, so ist auch jede ichlich produzirte Fiktion – ein von mir angeschautes Naturprodukt, von mir angeschaut stets nur – unter den imperativen Formen von Raum und Zeit; dieß ist mir Thatsache des Bewußtseyns.

Erklärungen a

b

c d e f

g h i j k l m n o p

q

Buquoy zufolge nimmt der Mensch die Natur in fünf Erscheinungsformen wahr, den sog. Biotismen, die er in Gesteine (Lithobiotismus), Pflanzen (Phytobiotismus), Tiere (Zoobiotismus), Menschen (Anthropobiotismus) und Kultur (Polibiotismus) unterteilt. Das Präfix poli- wird vom griechischen Wort polis hergeleitet. Zu den Polibiotismen zählt der Graf beispielsweise die geschichtliche Entwicklung oder Staaten. φύσις [Physis] (griechisch), Substanz, Grundlage aller Erscheinungen, Natur; bei Buquoy alles, was existiert (Universum). Durch die Verwendung des griechischen Begriffs und dessen Wiedergabe in griechischer Schrift bringt Buquoy zum Ausdruck, dass er in der Erforschung bis auf den Grund geht, dass er nach dem Wesen sucht. Metaphysikon, Buquoys Neologismus; Gedanke aus der Sphäre der Metaphysik, transzendentaler Gedanke. Actio actionis causa (lateinisch), die Ursache einer Handlung ist eine andere Handlung; Kausalität. Teleoismus bzw. Teleologie (aus dem gr. telos – Ziel, Zweck) ist eine philosophische Auffassung, nach der sich Ereignisse oder Entwicklungen auf einen bestimmten Zweck zubewegen. Buquoy schätzte bei diesen drei Wissenschaftlern ihren Beitrag zum Verständnis des höheren Denkens. Er wusste, dass Newton und Leibniz unabhängig voneinander die Grundsätze der Integralrechnung formulierten und bei Kant schätzte er dessen transzendentale Philosophie. Vgl. G. von Buquoy, Skizzen, S. 355. Omoio-φύσις, Buquoys Neologismus, gebildet aus den griechischen Wörtern hómoios (gleich, ähnlich) und phýsis (Natur). Gott weist mit nichts in der Natur eine Ähnlichkeit aus, er ist im wörtlichen Sinne des Wortes „metaphysisch“ (er ist „hinter der Natur“ – metá-phýsis). Nonens aus lat. non (nichts) + ens (das Seiende), d. h. etwas, das nicht existiert. Historisches Wissen, ggf. historischer Glaube ist die Fähigkeit des Menschen, eine transzendentale Erscheinung zu erkennen, ohne je zuvor eine Erfahrung mit einer solchen gemacht zu haben. Bei Kant heißt es „Erkenntnis a priori“. In Plato sah Buquoy ein Beispiel der Verbindung des mathematischen, philosophischen und dichterischen Geistes. Siehe auch G. von Buquoy, Auswahl, S. 4. Buquoy spielt auf Kants Kritizismus an, mit dessen Hilfe er die gnoseologische Skepsis von David Hume überwand. Paraphrase eines Gedanken Kants aus der Kritik der reinen Vernunft. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 687–695, B 848–B 860. Die auf das Beweisen kirchlicher Dogmen ausgerichtete mittelalterliche Wissenschaft wurde seit der Aufklärung als Scholastik bezeichnet. Die pejorative Konnotation schwingt auch bei Buquoy mit. Buquoy war an Goethes Farbenlehre interessiert und baute selbst einen Refraktometer, mit dem er dann verschiedene Experimente durchführte. M. Morawetz, Korespondenční kontakty, S. 39. phoronomische – kinematische Ascolta e taci, poi movi a tempo le parole audaci. (Hör’ und schweige, daß, ist es Zeit, dein Wort sich kräftig zeige). Ein Zitat aus dem Epos von Torquato Tasso Das befreite Jerusalem aus dem Jahr 1580. Vgl. Torquato Tasso, La Gerusalemme liberata, Firenze 1825, S. 90, Zehnter Gesang, Absatz 32. Jean François Champollion (1790–1832) präsentierte 1822 in der französischen Akademie die entschlüsselten Hieroglyphen und löste dadurch eine Welle von Interesse am Alten Ägypten aus. Es wurden auch die Grundlagen des Faches Ägyptologie gelegt. Buquoy spricht vom „Lesen und Deuten“ von Hieroglyphen, was mit den zeitgenössischen esoterischen Vorstellungen

Erklärungen

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korrespondiert, denen zufolge in den Hieroglyphen ein Geheimcode zur Erkenntnis der Welt verschlüsselt ist. A. Faivre, Esoterik, S. 24. Zum esoterischen Lesen von hieroglyphischen Symbolen vgl. P. de Lasenic, Egyptské hieroglyfy, S. 19–28. Arabeske – hier im Sinne der von Friedrich Schlegel definierten literarischen Gattung: eine „durch scheinbar chaotische, naturähnliche Strukturen gekennzeichnete Form“ und „die älteste und ursprünglichste Form der menschlichen Fantasie“, aber „keine hohe Dichtung“. Vgl. Friedrich Schlegel, Gespräch über die Poesie, in: August Wilhelm Schlegel – Friedrich Schlegel, Athaeneum, Dritter Band, Berlin 1800, S. 58–121. Buquoy verwendet den französischen Ausdruck foi, dem er eine tiefere Bedeutung zuschreibt als dem deutschen Begriff Glaube, der zu sehr in die Richtung von meinen oder vermuten abrutschen kann. Angesichts des Bemühens der Romantiker, bis zu der ursprünglichen Bedeutung eines Wortes vorzudringen, ist auch denkbar, dass Buquoy den französischen Ausdruck foi wegen seiner lateinischen Herkunft gegenüber dem deutschen, auf das Altgermanische verweisenden Begriff bevorzugt. Das Adjektiv genetisch wurde um 1800 von J. W. Goethe in seinen Arbeiten über die Morphologie der Pflanzen verwendet und war auch in der Naturphilosophie ein gängiger Begriff, seine Bedeutung war aber eine andere. Es bezeichnete die Entwicklung eines Individuums, in heutiger Terminologie die Ontogenese. Vgl. Ilse Jahn – Rolf Löther – Konrad Senglaub (Hrsg.), Geschichte der Biologie, Jena 1985, S. 284 und 413. Der Bildungstrieb (nisus formativus) ist dem deutschen Biologen Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) zufolge eine Kraft, die die Zeugung, Ernährung und Reproduktion bedingt und eine entscheidende Rolle bei der Bildung der äußeren wie inneren Form des Organismus spielt. Vgl. sein Hauptwerk Johann Friedrich Blumenbach, Handbuch der vergleichenden Anatomie, Göttingen 1805. Nisus (lateinisch) – der Trieb sapienti pauca (lateinische Redewendung) – Dem Weisen sind wenige Worte genug. Girizen (Schweizerdeutsch) – sich unruhig herumtreiben Das Dreikörperproblem in der Himmelsmechanik besteht darin, die Bewegung dreier Himmelskörper unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen gravitativen Anziehungskraft vorauszusagen. An diesem Problem arbeitete auch Pierre-Simon Laplace, Traité de mécanique céleste I–V, Paris 1798–1825. Der teleologischen Ethik zufolge kann eine solche Handlung als richtig bezeichnet werden, deren Gesamtergebnis das beste ist; entscheidend ist also das Ergebnis der Handlung. Demgegenüber betont die deontologische Ethik die Richtigkeit des Handelns ungeachtet seines Ergebnisses. Ein Beispiel für die deontologische Ethik ist Kants kategorischer Imperativ. tant bien que mal (französische Redewendung) – mehr schlecht als recht sogenannte Psychologen – Buquoy deutet hier mit sogenannte an, dass die Psychologen ihr Fach missverstehen. Sehr reserviert steht er beispielsweise den Versuchen von Johann Friedrich Herbart gegenüber, die Erkenntnisse der Mathematik auf die Psychologie zu übertragen – denn das Untersuchungsobjekt der Psychologie lässt sich selten durch Zahlen wiedergeben. Vgl. G. von Buquoy, Anregungen, S. 446–452. In seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (1687) erklärte der englische Physiker und Mathematiker Isaak Newton (1643–1728) das Gravitationsgesetz sowie die drei Gesetze der Bewegung und trug dadurch zur Mathematisierung der Wissenschaft bei. Das schätzte auch Georg Buquoy bei ihm. Vgl. G. von Buquoy, Anregungen, S. 323–325. Göppel (Schweizerdeutsch) – das Rad La garde meurt, et ne se rend pas! (Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht!). Diesen Satz soll General Pierre Cambronne (1770–1842) geäußert haben, als seine Elitetruppe in der Schlacht von Waterloo umzingelt wurde. Pierre Jacques Étienne Cambronne, 1770–1842, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3, Leipzig – Wien 1905–1909, S. 716–717. Göttliches Recht, Altes Testament, Leviticus 19:18.

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Abstract The research carried out during the past two decades (particularly by Anglophone and German scholars) in the field of intellectual history has increased the appreciation of the significant role played by early nineteenth century intellectual currents in the development of modern society. Following pioneering studies of the leading European philosophers of the time, current research tends to focus on less wellknown figures whose work did not gain international reputation but whose importance nonetheless transcended regional boundaries. Until the present day, the literary works of many such figures have remained largely unknown and their intellectual preoccupations were often merely assumed on the basis of their known sociocultural affiliations. Therefore, the research in this area involves as a necessary component editions of the relevant literary works. George, Count of Buquoy (1781–1851), a nobleman who lived in Bohemia, is one of such newly discovered intellectuals. This book introduces a critical edition of Buquoy’s hitherto unpublished and academically unrepresented German-language philosophical treatise written in the 1840s and entitled Kern meiner philosophischen Grundansicht (The Basis of My Philosophical Worldview). This document, which is part of the family estate deposited in the State Regional Archive in Třeboň, is crucial for the understanding of Buquoy’s other literary works (both published and unpublished), but it also illuminates particular aspects of Buquoy’s biography. The edition is accompanied by an introductory study, which interprets the source through current methods of intellectual history, explains its relevance to the author’s other works, and sets Buquoy’s views in the broader context of philosophical thought in the first half of the nineteenth century. Finally, this monograph also includes a biographical account of Buquoy’s professional activities. The present analysis shows that Buquoy’s intention in Kern meiner philosophischen Grundansicht was not primarily to present his views on nature man, but rather to introduce a method through which such insights can be gained. His focus in this treatise is on the process of philosophical deliberation, not on the formation of a definitive philosophical system. Buquoy indulges in a flow of ideas, seeking new fruitful paths for his thought. In his view, philosophical deliberation should lead to the creation of a mental image, a work of art which provides inspiration but cannot function as an instruction book. In accord with the theory of Antoine Faivre, a notable French theorist of religion, Buquoy’s method of attaining knowledge and understanding of nature can be described as esoteric. The sources of Buquoy’s philosophical thought can be found in the Critiques of Immanuel Kant, in the medical research of Johann Friedrich Blumenbach, and in the works of other important scholars of the time. Buquoy sought to harmonise the findings of natural and human sciences; in this respect, he displayed an affinity with the type of scientists which the American historian Peter Hanns Reill described as ‚Enlightenment vitalists‘.

Register Personenregister Arago, François 49 Baader, Joseph 55 Baloglou, Christos 14 Beiser, Frederick C. 25 Berchtold, Friedrich 30 Berzelius, Jöns Jakob 12 Blumenbach, Johann Friedrich 68, 70, 75, 112 Bolzano, Bernard 21, 22, 32, 34, 36–38, 74 Born, Ignaz 21 Braun (Erzieher) 42 Buquoy, Adélaïde (geb. Preud’homme d’Hailly) 40 Buquoy, Gabrielle (geb. Rottenhan) 46 Buquoy, Georg Franz 11–18, 20, 23, 24, 28, 35, 37, 38, 40, 42, 43, 45–75, 77, 81 Buquoy, Georg Johann 58, 60 Buquoy, Johann Nepomuk 41, 42, 43 Buquoy, Leopold Adalbert 40, 41, 42 Buquoy, Ludwig Ernst 40, 41 Buquoy, Margarete 12, 15 Buquoy, Pauline Juliane 40 Buquoy, Terezie (geb. Paar) 41, 44, 45, 46 Cerman, Ivo 9, 23, 59 Condorcet, Marie Jean Antoine 49 Corbin, Henry 24 Crelle, August Leopold 56 Czernin, Eugen 53 D’Alembert, Jean Baptiste 49 Deleuze, Joseph Philippe François 51 Diviš, Prokop 28 Dobrovský, Josef 21, 28, 29, 30, 31, 56, 74 Dudressier (Arzt) 45 Duperey, Quidor 45 Ederová, Markéta 9 Engels, Friedrich 20 Faivre, Antoine 24, 27, 65, 66, 69, 75 Faria, José Custódio 51 Ferdinand I., Kaiser 25, 35 Folkerts, Menso 15 Fourier, Charles 36 Franz I., Kaiser 25, 32, 33 Frič, Josef Václav 57 Frint, Jakob 34 Gay-Lussac, Joseph Louis 48

Gehrke, Chtistian 14 Gentz, Friedrich 32 Gergonne, Joseph Diaz 55, 56 Gerstner, Franz Josef 21, 30, 55 Geussel (Somnambulistin) 51 Goethe, Johann Wolfgang 11, 12, 13, 17, 21, 35, 49, 53, 54 Grüner, Josef Sebastian 35 Guesmann, Franz 43 Habermas, Jürgen 22 Hanuš, Josef 16, 19, 20 Haubelt, Josef Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 35, 36, 38, 50 Herder, Johann Gottfried 27 Hirsch, Ernst 12, 13, 18, 55 Humboldt, Alexander 12, 48 Hume, David 63 Janko, Jan 20, 22 Jungmann, Josef 23, 29 Kant, Immanuel 49, 63, 64, 75, 83, 90, 91 Klebelsberg, Franz 30 Kopetz, Wenzel 33 Kořalka, Jiří 23 Kostlán, Antonín 22 Krueger, Rita 22 Lagrange, Joseph Louis 48, 49 Langlès, Louis-Mathieu 48 Laplace, Pierre-Simon 12, 48, 49, 114 Leopold II., Kaiser 21 Majer, Jiří 23 Marx, Karl 20, 38 Masaryk, Tomáš Garrigue 27 Mesmer, Franz Anton 51 Metternich, Klemens Wenzel 32 Michajlov, Gleb K. 14 Millauer, Maximilian 29 Müller, Adam 32 Neef 50 Niklíček, Ladislav 22 Novák, Arne 19 Oken, Lorenz 55, 74 Owen, Robert 36 Palacký, František 23, 28, 29, 31, 56, 74 Passavant, Johann David 50

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Register

Pekař, Josef 20 Pelcl, František Martin 19 Pfaff, Christoph Heinrich 53 Poisson, Siméon Denis 48, 49 Presl, Jan Svatopluk 29 Procházka, František Faustin 19 Purkyně, Jan Evangelista 12, 74 Puységur, Marquis de 51 Reill, Peter Hanns 24, 49, 52, 75 Rottenhan, Heinrich Franz 45, 46 Řezník, Miloš 15 Saint-Simon, Claude Henri 36 Sak, Robert 23 Seibt, Karl Heinrich 41 Seidl (Erzieher) 41 Schefold, Bertram 14 Schelling, Friedrich Wilhelm 49, 50, 52, 74 Schindling, Anton 9 Schlegel, Friedrich 25, 49 Schnabel, Georg 33 Schubert, Theodor 47

Sismondi, Jean Charles Simond 33 Smetana, Augustin 32, 37, 38 Smith, Adam 14, 33, 47 Sonnenfels, Josef 33 Steiner, Rudolf 13 Sternberg, Joachim 20, 28 Sternberg, Kaspar 16, 20, 23, 29, 30, 31, 35, 56, 74 Sternberg-Manderscheid, Franz 16, 20, 30, 56 Štaif, Jiří 23 Štrbáňová, Soňa 20 Taaffe, Franz 41, 42 Teichl, Robert 11, 12 Thomas, Ernst 13 Thun, Franz Josef 24 Tomaschek, Wenzel Johann 12 Turková, Helga 18 Vega, Jurij 43 Voigt, Mikuláš Adaukt 19 Winter, Eduard 21, 27, 32, 36 Wurzbach, Constantin 13

Ortsregister Amsterdam 24 Bayern 45 Böhmen 12, 15, 22, 23, 28, 29, 30, 31, 38, 41, 47, 55, 56, 74 Brüssel 40 Budweis (České Budějovice) 9, 42 California 24 Deutschland 14, 24, 34, 48 Ellischau (Nalžovy/Nalžovské Hory) 41, 42 England 36 Frankreich 24, 25, 36, 45, 49, 50, 55, 57, 74 Gratzen (Nové Hrady) 11, 16, 45, 47, 58, 60, 78, 81 Jena 13, 52, 55, 74 Karlsbad (Karlovy Vary) 33, 35, 53 Leipzig 13, 54 Marienbad (Mariánské Lázně) 35 Moskau 14

München 52 Nimbourg 40 Österreich 21, 32, 35, 44 Österreichische Niederlande 40 Paris 12, 15, 28, 48, 50, 51, 55, 74 Prag (Praha) 16, 21, 28, 31, 32, 34, 37, 40, 41, 42, 56, 57, 58 Pressburg (Bratislava) 16 Rom 32 Rothenhaus (Červený Hrádek) 46, 58 Schwaben 45 Schweiz 45 Teplitz (Teplice) 35 Tübingen 9 Wien 11, 20, 21, 40–45 Wittingau (Třeboň) 9 Würzburg 50

contubernium Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte

Herausgegeben von Jörg Baten, Ewald Frie, Sigrid Hirbodian, Andreas Holzem, Ulrich Köpf, Anton Schindling, Jan Thiessen und Urban Wiesing.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0340–6857

59. Sönke Lorenz (Hg.) Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski 2002. VIII, 495 S., geb. ISBN 978-3-515-08093-4 60. Marie-Luise Ehrenschwendtner Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert 2004. X, 399 S., geb. ISBN 978-3-515-07838-2 61. Stephan Fuchs „Vom Segen des Krieges“ Katholische Gebildete im Ersten Weltkrieg. Eine Studie zur Kriegsdeutung im akademischen Katholizismus 2004. XI, 372 S., geb. ISBN 978-3-515-08316-4 62. Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hg.) Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance 2004. XX, 295 S. mit 28 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08551-9 63. Sabine Holtz / Gerhard Betsch / Eberhard Zwink (Hg.) Mathesis, Naturphilosophie und Arkanwissenschaft im Umkreis Friedrich Christoph Oetingers (1702–1782) 2005. VIII, 314 S., geb. ISBN 978-3-515-08439-0 64. Márta Fata / Gyula Kurucz / Anton Schindling (Hg.) Peregrinatio Hungarica Studenten aus Ungarn an deutschen und österreichischen Hochschulen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert 2006. XII, 548 S. mit 29 Abb., 14 Digar. und 3 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08908-1 65. Martin Priwitzer Ernst Kretschmer

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und das Wahnproblem 2007. XIV, 314 S. mit 15 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08562-5 Daniela Siebe (Hg.) „Orte der Gelahrtheit“ Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches 2008. XIV, 267 S. mit 15 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09108-4 Tilman Matthias Schröder Naturwissenschaften und Protestantismus im Deutschen Kaiserreich Die Versammlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte und ihre Bedeutung für die Evangelische Theologie 2008. XII, 561 S., 2 Taf., geb. ISBN 978-3-515-09222-7 Simone Giese Studenten aus Mitternacht Bildungsideal und peregrinatio academica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung 2009. XXVII, 826 S. mit 10 Abb., 25 Graf., 33 Tab. und 2 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-08545-8 Thorsten Doneith August Mayer Ein Klinikdirektor in Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Nachkriegszeit 2008. 287 S. mit 13 Abb. und 4 Tab., geb. ISBN 978-3-515-09237-1 Matthias Asche Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800). Zweite, durchgesehene Auflage mit einer kommentierten Bibliographie über neuere Arbeiten zur Rostocker und Bützower Universitätsgeschichte seit dem 575. Gründungsjubiläum im Jahre 1994 2010. XX, 654 S. mit 26 Abb. und 3 Faltktn.,

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Territoriale Politik, Schule und Bildungsvermittlung in der vormodernen Stadtgesellschaft. Das Kurfürstentum und Königreich Sachsen 1600–1815 2012. XIV, 482 S. mit 12 Abb. und 9 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10042-7 Matthias Blum / Rainer Kampling (Hg.) Zwischen katholischer Aufklärung und Ultramontanismus Neutestamentliche Exegeten der „Katholischen Tübinger Schule“ im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die katholische Bibelwissenschaft 2012. 271 S. mit 2 Abb. und 2 Tab., geb. ISBN 978-3-515-10199-8 Markus Thurau Paul von Schanz (1841–1905) Zur sozial- und theologiegeschichtlichen Verortung eines katholischen Theologen im langen 19. Jahrhundert 2013. XIV, 511 S. mit 21 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10335-0 Christian Handschuh Die wahre Aufklärung durch Jesum Christum Religiöse Welt- und Gegenwartskonstruktion in der Katholischen Spätaufklärung 2014. 262 S., geb. ISBN 978-3-515-10604-7 Ivo Cerman Aufklärung oder Illuminismus? Die Enzyklopädie des Grafen Franz Josef Thun 2015. 322 S., geb. ISBN 978-3-515-10672-6 Matthias Morgenstern / Reinhold Rieger (Hg.) Das Tübinger Institutum Judaicum Beiträge zu seiner Geschichte und Vorgeschichte seit Adolf Schlatter 2015. 264 S., geb. ISBN 978-3-515-11128-7 Jörg Wagenblast Die Tübinger Militärpsychiatrie im Zweiten Weltkrieg 2016. 103 S. mit 1 Abb. und 9 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11217-8 Bernhard Homa Die Tübinger Philosophische Fakultät 1652–1752 Institution – Disziplinen – Lehrkräfte 2016. 428 S. mit 25 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11568-1

Graf Georg von Buquoy (1781–1851) wurde in der Geschichtsschreibung lange nur als ein patriotischer Gönner und Erfinder wahrgenommen. Erst vor ein paar Jahren rückten auch seine wissenschaftlichen Arbeiten in den Fächern Physik und Nationalökonomie in den Vordergrund. In diesen Studien deutet sich bereits an, dass die ungewöhnlich breiten Forschungsinteressen des Grafen durch eine gemeinsame Idee verbunden sind – der Schlüssel zum Verständnis des Wissenschaftlers Buquoy liegt daher in seinen zahlreichen philosophischen Schriften.

Michal Morawetz präsentiert in diesem Band ein bislang unveröffentlichtes Manuskript, in dem der Graf seine philosophischen Anschauungen und seine Forschungsmethode darlegt. Darin werden die durch Naturphilosophie und zeitgenössische Esoterik inspirierten Reflexionen eines böhmischen Adeligen sichtbar, der im Zeitalter der Romantik deutschen Wissenschaftlern als ein angesehener Gesprächspartner galt.

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ISBN 978-3-515-11753-1

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