Richard Walther Darré: Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie und Hitlers Machteroberung [1 ed.] 9783412512798, 9783412502911


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German Pages [753] Year 2019

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Richard Walther Darré: Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie und Hitlers Machteroberung [1 ed.]
 9783412512798, 9783412502911

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Horst Gies

Richard Walther Darré Der „Reichsbauernführer“, die nationalsozialistische „Blut und Boden“-Ideologie und Hitlers Machteroberung

Horst Gies

RICHARD WALTHER DARRÉ Der »Reichsbauernführer«, die nationalsozialistische »Blut und Boden«-Ideologie und Hitlers Machteroberung

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Richard Walther Darré auf einer Kundgebung des Reichsnährstandes in Goslar, Dezember 1937. Bundesarchiv Koblenz/Berlin Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51279-8

Meinen Kindern Marcus, Camilla und Niklas gewidmet

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prolog.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 15 16

Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstinszenierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kuriositäten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil I Darrés weltanschauliche Prägungen und sein Weg zu Hitler 1 Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge . . . . . . . . . . . .

21 21 26 35 39 43

2 Politische und weltanschauliche Bewusstseinsbildung . . . . . . . . . . . . .

51 51 56 68

3 Der Weg in die rassistische »Nordische Bewegung«. . . . . . . . . . . . . . .

89

Argentinien, die Familie und eine schwierige Schullaufbahn . . . . . . . . Als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . Kolonialschule in Witzenhausen und landwirtschaftliche Volontariate. . . Heirat, Studium der Landwirtschaft und Tierzucht in Halle und Gießen . Das Scheitern seiner diplomatischen Laufbahn: Ostpreußen und Riga. . .

. . . . .

. . . . .

Der Erste Weltkrieg als Formationsphase und Abnabelung vom Elternhaus .. Das Jahr 1923 und Anteilnahme an der Politik in der Weimarer Republik. . . Chamberlain, Langbehn und Günther als prägende Autoritäten . . . . . . . .

Die Geschichte der Haustierwerdung als Indiz für die Unterscheidung von ­»Semiten« und »Ariern«.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste publizistische Versuche und Kontakt zum »Nordischen Ring« . . . . . .

89 95

4 Auf dem Weg in die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Arbeitslosigkeit und Anregungen der »Artamanen«-Bewegung. . . . . . . . . 118 Kontakt zur NSDAP in Thüringen und neue Partnerwahl . . . . . . . . . . . 126 Die Bedeutung A. Georg Kenstlers für Darré . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

8

Inhalt

Teil II Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich« 1 Ideologie als Anleitung zum Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2 Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré: Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Entstehung und Zielsetzung des Buches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Nomade/Jude versus Bauer/Arier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Erbanlagen und Erbrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Geschichtsauffassung und Arbeitsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Ehe und Familie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3 Die Bedeutung der Biologie bei Darré: Neuadel aus Blut und Boden . . . . . 214 Entstehung und Zielsetzung des Buches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Alter und neuer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 »Hegehöfe« als »nordrassische« Erneuerungsstätten. . . . . . . . . . . . . . . 233 »Zuchtaufgaben« und Rolle der Frau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Darrés Staatsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4 »Blut«: Darrés Rassismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Was kann mit »Blut« gemeint sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Leben, Mensch.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Abstammung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 »Rasse« und »nordrassischer Bauer« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Von Darwin zum Sozialdarwinismus: Die Rolle der Naturgesetze . . . . . . . 265 »Rassenhygiene« und Eugenik: Die Rolle der Erbanlagen.. . . . . . . . . . . 277 Himmlers SS als neuer Adel aus »Blut und Boden« . . . . . . . . . . . . . . . 296 Darrés Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Rassismus und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 5 »Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen . . . . . . . . . . . 339 Was kann mit »Boden« gemeint sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Boden als Staatsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Staatsbürgerschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Vaterland.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Auslandsdeutsche im Zeitalter des Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Reichsbürger und Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Boden als Siedlungsraum und Machtfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Peuplierung, Volkstum und Bodenerschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

9

Inhalt

Damaschkes Bodenreformbewegung und das Reichsheimstättengesetz . . . . . . 357 Fideikommisse und Großgrundbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

»Anerbenrecht« und »Erbhöfe« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Binnensiedlung als »innere Kolonisation« oder »Neubildung deutschen

Bauerntums«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Geopolitik, Kolonien und »Lebensraum im Osten« . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

Boden als Existenzgrundlage in der Landwirtschaft. . Die Zeit der Grundherrschaft . . . . . . . . . . . . . . Stein-Hardenbergsche Reformen . . . . . . . . . . . . Pauperisierung, Ständeordnung und autarker Staat . . . Industrialisierung, »Landflucht« und Urbanisierung . . . . Protektionismus und Selbsthilfeaktivitäten . . . . . . . . »Bund der Landwirte« und Ruhland . . . . . . . . . . .

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. . . . . . .

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. . . . . . .

. . . . . . . Reichsministerium für Ernährungs und Landwirtschaft und »Reichslandbund« . Auf dem Weg in die staatliche Marktregelung für Nahrungsmittel . . . . . . . Ständestaat im 20. Jahrhundert? Der »Reichsnährstand«. . . . . . . . . . . Boden als rurale Idylle, Sehnsuchtsort und Naturreservat . . . . . . . . . Das Land als Gegenbild zur Stadt.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur und Zivilisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkskunde und Heimat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leben im Einklang mit der Natur.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . .

419 420 422 427 432 435 444 451 458 469 487 488 496 504 525 544

Teil III Darrés Beitrag zur Machteroberung Hitlers und der NSDAP 1 Die Eroberung der Macht auf dem Lande 1930–1933 . . . . . . . . . . . . . 551

Die Ausgangsbedingungen von Darrés agrarpolitischer Arbeit für die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lage in der Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die agrarpolitische Programmatik der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . Darrés »Agrarpolitischer Apparat« und seine Bedeutung für die Machteroberung Hitlers und der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Struktur der Organisation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlerfolge und Unterwanderung des »Reichslandbundes« . . . . . . . . . Die Reichstagswahl 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der »Agrarpolitische Apparat« in Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei« als erstes Opfer. . Das ›Superwahljahr‹ 1932. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 552 . . . 552 . . . 559

. . . . . . . . . . . . . . Die Infiltration des »Reichslandbundes« und die Machtübertragung an Hitler..

. . . . .

568 569 582 584 585 588 . 593 . 608

10

Inhalt

Warum war die NSDAP für die Landbevölkerung attraktiv? . . . . . . . . . . 620 2 Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Gleichschaltung aller landwirtschaftlichen Organisationen . . . . . . . . . . . 632 Das Ministerium als Geschenk Hugenbergs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Epilog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Ungedruckte Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Zeitgenössische Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 Abbildungsnachweis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737

Vorwort

Habent sua fata libelli (Terentianus Maurus, Ende 3. Jh. n. Chr.) Auch dieses Buch hat seine eigene Geschichte.

Mit dieser Publikation schließt sich der Kreis eines Teils meiner wissenschaftlichen Arbeit. Der andere Teil, die Geschichtsdidaktik, bleibt hier außen vor. Dem Text liegt meine Dissertation zugrunde, mit der ich 1965 an der Philosophischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main promoviert wurde. Die Arbeit wurde aus finanziellen Gründen nur als Teildruck veröffentlicht und dementsprechend von der Geschichtswissenschaft rezipiert. Die Teile, die sich mit Darrés Vita bis 1930 befassten, mit seinem Weg zur NSDAP und der »Blut-und-Boden«Ideologie, so wie er sie verstand und in die »Hitler-Bewegung« einbrachte, blieben unveröffentlicht. Dies wird nun – nach mehr als 50 Jahren –, ergänzt auf der Basis neuen Quellenmaterials und mit neuen Erkenntnissen angereichert, mit dieser Publikation nachgeholt. Denn bis heute hat sich niemand ernsthaft, mit der nötigen Gründlichkeit und unter Einbeziehung der zur Verfügung stehenden Überlieferung mit diesen Themen beschäftigt. Weder die Biographie- noch gar die Ideengeschichte, aber auch nicht die Agrargeschichte waren lange Zeit, insbesondere nicht in den 1960er bis 1980er Jahren, bevorzugte Arbeitsschwerpunkte der Historiographie in Deutschland. Heute und bei allen Themen, die mit dem Nationalsozialismus zu tun haben, genügt es nicht mehr nur, mit Ranke wissen zu wollen, wie es gewesen (ist), heute wollen wir vor allem wissen, warum es so gewesen und geworden ist – und welche Folgen es hatte. In der Regel gilt R. Walther Darré, der nationalsozialistische »Reichsbauernführer« und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, als Erfinder der Metapher von »Blut und Boden«. In diesem Buch wird der Nachweis geführt, dass dieses Begriffspaar – wie so vieles – keineswegs von den Nationalsozialisten erfunden wurde, sondern lange vor 1933 in den verschiedensten Zusammenhängen bereits expressis verbis verwendet worden ist. Man findet es u. a. in nationalpolitischen, in sozialpolitischen, in interessenpolitischen Kontexten. Auch in ruralistischen und ökologischen Konzepten war die Metapher brauchbar. In jedem der Fälle wird gezeigt, worin er sich von dem unterscheidet, was Darré mit seiner rassistisch motivierten Version der »Blut und Boden«-Ideologie darunter verstand. Das hinderte ihn nicht daran, das propagandistische Potential des Slogans für seine politischen Ziele auszunutzen  ; denn er fand ihn auf der Straße des Zeitgeistes liegend vor, so dass er ihn nur aufzuheben brauchte, um ihm seinen eigenen

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Vorwort

Stempel aufzudrücken. Es war ein eindeutig rassenideologischer Bedeutungsgehalt, den Darré der Metapher implementierte, aber bei der Bevölkerung auf dem Lande wurde diese Akzentuierung aus Gründen, die nachzuweisen sind, weitgehend übersehen. Es gibt unter der Prominenz des »Dritten Reichs« nur noch wenige, von denen man nach 70 Jahren geschichtlicher Forschung erst wenig weiß. Dazu gehört zweifellos Darré. Überhaupt spielen Landwirtschaft und Landbevölkerung in der historischen Forschung nur eine marginale Rolle, obwohl 1933 in Deutschland im Reichsdurchschnitt noch fast ein Drittel aller Erwerbstätigen der Forst- und Landwirtschaft angehörten. In manchen, den ländlichen Regionen natürlich, war ihr Anteil viel höher. Dort, im dörflichen Milieu, spielten Werbung und Propaganda mit der »Blut und Boden«-Ideologie eine ausschlaggebende Rolle, vor allem bei der Ermöglichung der Diktatur Hitlers. Überhaupt hat die nationalsozialistische Agrarpolitik in der Fülle der über das »Dritte Reich« veröffentlichten Literatur von deutschen Verfassern nur eine vergleichsweise geringe Beachtung gefunden. Eine mögliche Erklärung für diese Forschungslücke liegt darin, dass der Landwirtschaft nach 1945 – parallel zum Rückgang ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz – eine relativ geringe volkswirtschaftliche Bedeutung zugemessen wurde. Im Hinblick auf die Frage nach der »Ermöglichung« Hitlers kann der Agrarsektor jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Denn die materielle Lage und die Verhaltensdispositionen der Landbevölkerung sowie die strukturelle Rückständigkeit der Landwirtschaft waren eine wesentliche Voraussetzung für das Erstarken und die Akzeptanz des Nationalsozialismus. Die bis zu Beginn der 1930er Jahre immer noch nicht erfolgte Anpassung der Landwirtschaft an die Verhaltensnormen und Wertemuster liberaler Marktwirtschaft in einer immer mehr industriell geprägten Gesellschaft äußerte sich in rückwärtsgewandten Ständestaatvorstellungen, die ihren Ausdruck und ihre soziale Rechtfertigung auch in der nationalsozialistischen »Blut und Boden«-Ideologie fanden. Dies trifft ebenso auf weitere Bestandteile der nationalsozialistischen Agrarpolitik wie die Etablierung von »Erbhöfen« und die Siedlungsaktivitäten des Staates in den 1930er und den frühen 1940er Jahren zu. Im Hinblick auf die periphere Stellung der NS-Agrarpolitik in der wissenschaftlichen Literatur zum »Dritten Reich« besteht offensichtlich Nachholbedarf. Auch eine biographische Studie zu Darré, die wissenschaftlichen Kriterien standhält, gibt es  – erstaunlicherweise – nicht, obwohl Hitler ihm Ende 1933 bescheinigte, einen wesentlichen Beitrag zur »legalen Eroberung der Macht« geleistet zu haben. Über Darré ist viel Unsinn in der Literatur zu lesen. Das fängt damit an, dass man ihn wegen seiner Idee, das Hausschwein als Indikator für Sesshaftigkeit in Anspruch zu nehmen, zu diskriminieren versuchte. Er wurde sogar despektierlich als »Schweinezüchter« gekennzeichnet, der es zum Reichsernährungsminister gebracht hatte. Das geht weiter damit, dass man ihm eine nicht nachweisbare und auch nicht plausibel zu begründende Mitgliedschaft bei den »Artamanen« zuschreibt. Und es gipfelt bei der abenteuerlichen These, er sei Vertreter einer »Green Party« innerhalb der NSDAP gewesen.

Vorwort

Das Buch von Anna Bramwell, die diese These vertritt, aus einer Ph.D.-Arbeit erwachsen, ist von den Rezensenten einhellig als misslungen bezeichnet worden. Sie machte Darré zu einem Vorläufer der Ökologie-Bewegung und blendete seinen Rassismus fast völlig aus. Eine zahnmedizinische (!) Dissertation beschränkte sich auf den »Hegehofgedanken« Darrés. Lovin und Eidenbenz befassten sich skizzenhaft mit Teilaspekten zu Darré und zur »Blut und Boden«-Ideologie. Schließlich gibt es eine kleine biographische Skizze Gustavo Cornis in dem Band Die braune Elite und die Einbettung der »Blut und Boden«-Ideologie im Spektrum nationalsozialistischer »Utopien« (Kroll). Da lag es für mich nahe, den Faden aus den 1960er Jahren wieder aufzunehmen. Denn es gilt, der Lebensweisheit Martin Walsers zu begegnen, wonach die beste Art der Geheimhaltung das Vergessen sei. Das aber hat der ehemalige »Reichsbauernführer«, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und erste Chef des »Rasse- und Siedlungsamtes der SS« nicht verdient. Darrés Version der »Blut und Boden«-Ideologie wird in diesem Buch aus ihrer Entstehung in seiner Biographie analysiert und ideengeschichtlich kontextualisiert. Sodann wird der Frage nachgegangen, ob und wie sie – in Darrés Verständnis – in der NS-Agrarpolitik realisiert werden konnte. Die Studie will folgenden Fragen nachgehen  : – Wie kam Darré zur NSDAP und wie wurde er zu einem der wichtigsten Mitarbeiter Hitlers  ? – Von welchen Lebensumständen und Ideologemen wurde Darré beeinflusst  ? – Welchen ideengeschichtlichen Hintergrund und welche historische Tiefendimension hat die »Blut und Boden«-Ideologie  ? – Welche Anschlussmöglichkeiten bot die »Blut und Boden«-Ideologie für »völkische« und rurale Zeitströmungen und landwirtschaftliche Interessenpolitik  ? – Welchen Beitrag leistete Darré zur Machteroberung Hitlers und der NSDAP  ? Das Thema ist so vielfältig wie lückenhaft erforscht. Was die »NS-Weltanschauung« aktuell war, entschied letztlich der »Führer«, also Hitler. Insofern war auch die »Blut und Boden«-Ideologie, so wie Darré sie verstand, im »Dritten Reich« nicht unumstritten, wenn auch versucht wurde, sie in ihren Kernelementen – Rassismus und Lebensraumeroberung – zu realisieren. Damit war Darré, entgegen seinen späteren Beteuerungen, sowohl in die Rassenpolitik als auch in die Gewaltpolitik im »Dritten Reich« involviert. Noch ein Wort zum Tagebuch Darrés. Es hat in den frühen 1960er Jahren wirklich im Besitz von Frau Charlotte Darré, der zweiten Ehefrau seines Verfassers, in Goslar existiert, wurde aber gegen meinen Rat nicht dem Bundesarchiv, sondern einem Freundeskreis ehemaliger Mitarbeiter des »Reichsnährstandes« übereignet. Ich konnte das Original einsehen. Es bestand aus 19 Heften und umfasste den Zeitraum vom 24. August 1930 bis zum 18. März 1945 und wurde von dem Verein »Vereinigtes Landvolk« aus Vereinsvermögen Frau Darré abgekauft. Dieser Verein ging aus der noch von

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14

Vorwort

Darré selbst nach seiner Entmachtung gegründeten »Gesellschaft der Freunde des Deutschen Bauerntums« hervor. Der frühere Mitarbeiter Darrés und spätere Staatssekretär im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, Hanns Deetjen, übernahm das Tagebuch 1969, um es, »von allen Unannehmlichkeiten gereinigt«, in einer maschinenschriftlichen eigenen Fassung allen Vereinsmitgliedern zur Verfügung zu stellen.1 Dieses »Tagebuch« steht nun den Benutzern im Bundesarchiv oder im Stadtarchiv Goslar zur Verfügung. Da aber das Original nicht mehr existieren soll, sondern nach Auskunft des Bearbeiters verbrannt wurde, ist die bearbeitete Fassung als Quelle nur von sehr eingeschränkter Bedeutung und von einem sehr begrenzten Aussagewert. Sie wurde in diesem Buch natürlich berücksichtigt, aber es wurde nicht daraus zitiert. Zum Schluss möchte ich allen, die meinen Berufsweg als Historiker begleitet haben, für manche Anregung, Hilfe und Unterstützung danken. Stellvertretend nenne ich meinen Kollegen Dr. Gustavo Corni, Professor an der Universität Trient, mit dem ich eine sehr produktive Zusammenarbeit im Hinblick auf die NS-Agrarpolitik pflegen konnte. Auch ein Hinweis auf Archivmitarbeiter und Bibliothekare, Kollegen und Mitarbeiter während meines aktiven Berufslebens, Herrn van Ooyen vom Böhlau Verlag sowie schließlich zahlreiche Freunde darf nicht fehlen, wenn es um die Würdigung ihres Beitrages zu dieser Arbeit geht. Denn sie alle haben direkt oder indirekt geholfen, dass dieses Buch veröffentlicht werden kann. Meine Großeltern waren Landwirte. Ihre Bauernhöfe existieren nicht mehr, ihr Land aber wird weiterhin bewirtschaftet. Auch ohne sie wäre dieses Buch nicht geschrieben worden. Sie stehen repräsentativ für die Entwicklung, welche die Landwirtschaft in Deutschland im Laufe von nur drei Generationen genommen hat. Berlin, im August 2018

1 Mitteilung Deetjens an den Verfasser.

H. Gies

Prolog

Bedeutung 1933, nachdem ihn Hitler drei Jahre zuvor beauftragt hatte  : »Organisieren Sie mir die Bauern, ich lasse Ihnen freie Hand  !«, konnte Richard Walther Darré diesen Auftrag als erfüllt ansehen. Hitler dankte ihm Ende des Jahres der »Machtergreifung« mit den Worten  : »Die Eingliederung der Millionenmassen der deutschen Bauernschaft in unsere Bewegung war in erster Linie Ihr Werk. Sie haben damit wesentlich geholfen, die Voraussetzungen zu schaffen für die legale Eroberung der Macht in Deutschland durch den Nationalsozialismus.«2 Selbstinszenierung Anlässlich seines 38. Geburtstags am 14. Juli 1933 wurde oberhalb von Wiesbaden, in fußläufiger Entfernung von Darrés Elternhaus, im Beisein des Geehrten ein großer Basaltfindling errichtet, den Bauern aus Hessen-Nassau in einer Stafette mit Pferdewagen aus dem Westerwald herbeigeschafft hatten. Darré hielt eine Rede auf seine eigene Bedeutsamkeit als »Retter des deutschen Bauerntums«. Er hatte oft auf seinen Taunus-Wanderungen unter einer Buche, dort, wo jetzt der Findling lag, Rast gemacht und nachgedacht, insbesondere als er 1927 an seinem ersten Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse arbeitete. Am 21. Oktober 1933 wurde in Weimar  – ebenfalls in Anwesenheit des Geehrten – ein »Darré-Haus« eröffnet. Viele Dörfer und Kleinstädte in Deutschland, aber auch die »Reichsbauernstadt« Goslar, erklärten ihn, den »Retter des deutschen Bauerntums«, zum Ehrenbürger. 1935 errichtete ihm Karl Scheda, Geschäftsführender Vorsitzender der RuhlandGesellschaft, zu seinem 40. Geburtstag ein Denkmal in Buchform  : Deutsches Bauerntum. Sein Werden, Niedergang und Aufstieg. Darin stand das »Deutsche Bauernlied«  : Blut und Boden Wir sind die deutsche Bauernschaft aus altem deutschen Blut Und hüten unsres Volkes Kraft, des Reiches höchstes Gut. Der Scholle gilt die harte Pflicht in Saat und Ernte gleich. Aus Blut und Boden wächst zum Licht das dritte Deutsche Reich.

2 Hitler an Darré, 31.12.1933 (BA, NLD, AD 30).

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Prolog

Seit Gott uns einst zu Lehen gab das heilge deutsche Land, nahm man uns Recht und Freiheit ab mit List und Krieges Brand. Nun fiel der Widersacher Hauf von Adolf Hitlers Streich. Aus Blut und Boden steigt herauf das dritte Deutsche Reich. Zinsknechtschaft war des Bauern Los und Ware Gottes Land, des Halmes Frucht aus seinem Schoß ward Fluch in fremder Hand. Nun wächst im Erbhof stolz und frei der Bauer dem Adel gleich. Aus Blut und Boden kommt herbei das dritte Deutsche Reich. Der uns das neue deutsche Recht von Blut und Boden gab, sei uns und kommendem Geschlecht der Führer bis ins Grab. Dir, Adolf Hitler, gilt der Eid, dir Bauernführer gleich. Aus Blut und Boden allezeit das dritte Deutsche Reich.

Kuriositäten A Richard Tüngel, Mitbegründer und von 1946 bis 1955 Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, mokierte sich in der Ausgabe vom 21. Februar 1946 über »Walter Darrés Schrift ›Das Schwein als Zeichen arischer Kultur‹«. B Ein Artikel im Wochenblatt Der Spiegel über Heinrich Böll hatte 1961 den Titel »Brot und Boden«, ein weiterer vom 25. Oktober 1976 trug die Überschrift »Blut und Hoden«. Er befasste sich mit Leni Riefenstahl, der Filmemacherin Hitlers (Sieg des Glaubens, 1933  ; Triumph des Willens, 1935  ; Fest der Völker, 1936), und ihren Motiven (»Schwarzes Korps und schwarze Körper«). C 1978 erschien in Padua eine Übersetzung von Darrés zweitem Buch Neuadel aus Blut und Boden in einem italienischen Kleinverlag der rechtsradikalen Szene  : La nuova nobilità di sangue e suolo. D Unter der Überschrift »Blut und Bohnen« befasste sich ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. März 2002 mit den Beziehungen zwischen dem ökologischen Landbau und der Anthroposophie Rudolf Steiners.

Prolog

E Nach einem Bericht des Tagesspiegels aus Berlin vom 14. August 2017 skandierten Rechtsradikale bei einer Demonstration in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia die Parole »Blood and Soil«. F In Berlin gab es 2017 im Martin-Gropius-Bau eine Ausstellung zu den NSU-Tatorten (»Nationalsozialistischer Untergrund«) mit dem Titel Blutiger Boden, und ein Bericht zu einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums über bebilderte Flugblätter und Karikaturen im gleichen Jahr trug den Titel »Blut und Tinte«. G In der TV-Krimiserie aus Großbritannien Inspector Mathias  – Mord in Wales wurde am 19. Juli 2015 in der ARD eine Ausgabe mit dem Titel »Blut und Boden« ausgestrahlt. Es ging um Mord, Todschlag und Erpressung. Die Story reichte zurück bis zur Flucht deutscher Soldaten aus einem britischen Internierungslager am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es wurden Kinder gezeugt, Vaterschaften vernachlässigt und komplizierte inner- und interfamiliäre Beziehungen entwirrt. Und es ging um zwei benachbarte Bauernhöfe und ihren Landbesitz.

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TEIL I DARRÉS WELTANSCHAULICHE PRÄGUNGEN UND SEIN WEG ZU HITLER

1 Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge

Richard Walther Darrés Lebensweg trägt paradigmatische Züge für die Generation, die sich im Nationalsozialismus repräsentiert sah. Wenn er auch erst 1930 unmittelbar zu Hitler fand, so kommen doch sowohl in seiner biographischen als auch in seiner geistigen Entwicklung viele Eigentümlichkeiten zum Ausdruck, die sich immer wieder bei führenden Nationalsozialisten finden. Er war nicht nur im Ausland geboren und aufgewachsen, er war auch durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges als »Frontsoldat« nachhaltig geprägt. Seine Berufsausbildung stand zunächst ganz in der imperialistischen Perspektive des Kaiserreiches und seine politisch-weltanschauliche Entwicklung in der Weimarer Republik ging in eine immer rechtsradikalere Richtung, bis er schließlich auch persönlich und beruflich bei der NSDAP landete. Argentinien, die Familie und eine schwierige Schullaufbahn Am 14. Juni 1895 wurde der spätere »Reichsbauernführer« und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft als Richard (Ricardo) Walter Oscar Darré in Belgrano, einer Vorstadt von Buenos Aires, in Argentinien geboren. Wie Adolf Hitler, Rudolf Heß, sein Staatssekretär und Nachfolger im Amt Herbert Backe oder Alfred Rosenberg war er also Auslandsdeutscher. Sie alle waren für volkstumspolitische Fragen besonders aufgeschlossen, ihr Schicksal fand nach dem Versailler Vertrag im Zuge der zahlreichen Minderheitenfragen, Revisionsabsichten und Migrationen erhebliches politisches Interesse. Beide Elternteile Darrés stammten aus Kaufmannsfamilien  : Der Vater, Richard Oskar Darré, begann als Lehrling im Handelshaus Engelbert Hardt & Co. in Berlin und wurde mit 22 Jahren nach Argentinien geschickt, um dort eine Niederlassung der Firma aufzubauen. Später wurde er sogar Teilhaber der Firma, deren Chef, Richard von Hardt, zeitweise Präsident der Berliner Börse war. Die Mutter, Eleonore Darré, geb. Lagergren, war die in Südamerika geborene Tochter eines schwedischen Exportkaufmanns. Sie hatte väterlicherseits Vorfahren in Schweden und mütterlicherseits in Norddeutschland. Obwohl »R. Walther«, wie der Älteste von fünf Kindern der Familie Darré später geschrieben werden wollte, sich schon sehr früh mit damals modischer Familiengeschichte und Genealogie befasste, war doch die Herkunft der Darrés nicht leicht zu rekonstruieren. Zwar stritt er später im »Dritten Reich« die Abstammung von einer französischen Hugenottenfamilie gerne ab, er sah sich lieber als Spross eines »alten pommerschen Freibauerngeschlechts«, doch war ein französisch-wallonischer Zweig der Familie, die nach der Aufhebung der Religionsfreiheit im Edikt von Nantes 1685 aus Frankreich ausgewandert war, leicht nachweisbar und wurde sogar von ihm selbst

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Abb. 1 »Ricardito« Darré und seine Mutter Eleonore, geb. Lagergren, 1895. Abb. 2 Der Vater Richard Oskar Darré (1854–1929).

1919 so angenommen. 1935 allerdings sah er die geschichtliche Überlieferung als so »eindeutig« an, dass er sich als »Urenkel pommerscher Freibauern« darstellen ließ und feststellte, die »französische Ableitung« seines Namens habe sich »als ein Irrtum herausgestellt«.1 1 Damals, 1934/35, gab es einige – auch öffentliche – Verwirrung um die Herkunft des RBF. Darré war daran gelegen, eine rein bäuerliche Herkunft nachgewiesen zu bekommen. Dies tat sein Schwager Manfred von Knobelsdorff, der Ahnenforschung als Hobby betrieb, unter erheblichem Zeitdruck, weil Darré seine bäuerliche Herkunft unbedingt verkünden wollte. Trotz interner Bedenken (Dr. Horst Rechenbach) wurde diese Herkunft des RBF als Band 1 der Reihe »Die Ahnen deutscher Bauernführer« veröffentlicht (Knobelsdorff, o. J.). Bis dahin galt die Version von Darrés engem Mitarbeiter, Hermann Reischle, der in seiner Darré-Biographie 1933 von verfolgten Hugenotten aus der Ortschaft Arrest bei Abbeville an der Mündung der Somme als »Ahnen« geschrieben hatte, die sich in der Uckermark und in Vorpommern angesiedelt hätten. Ihr Name sei als d’Arrest, Darret und Darré überliefert. Nach Knobelsdorffs Feststellungen änderte Reischle seine Aussage im Sinne einer direkten bäuerlich-pommerschen Herkunft Darrés (Reischle, 1935, 13). Die »Annahme der französischen Abstammung« habe »sich als nicht haltbar erwiesen«, schrieb Reischle nun. Es habe sich vielmehr »ergeben, dass die Vorfahren Darrés pommersche Freibauern gewesen sind«. Und als Fazit stellte er – ganz im Sinne seines Chefs – fest  : »So vereinigt der Reichsbauernführer in seinem Blute die Erbmasse artgleichen nordisch-germanischen

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Abb. 3 Redaktionsausweis mit Passbild und Unterschrift Darrés aus dem Jahre 1931.

Auch die unterschiedlichen Vornamen, die Darré im Laufe seines frühen Lebens trug, bedürfen der Erläuterung. Sein Rufname war »Richard«, aber zur Unterscheidung von





Bauerntums.« (VB v. 5.5.1935 »Reichsminister Darrés Familie und Ahnen – Nordisches Bauernblut aus Schweden und Hannover« und NSL v. 10.5.1935) Knobelsdorff hatte ausdrücklich die Existenz eines französischen Zweigs der Familie Darré dementiert und dessen schwedisch-pommersche Herkunft herausgestellt. Diese Darstellung war es, die Darré dazu veranlasste, in einer Rede in Pommern seine eigene rein bäuerliche Herkunft öffentlich zu verkünden  : »Ich bin der Urenkel pommerscher Freibauern«. (Die Rede erschien als Beitrag in der Zeitschrift Odal, 1934/35, Heft 1 und ist abgedruckt in dem Sammelband Darré, BuB, 1941, 249 ff., Zitat  : 255.) Eine in damaliger Zeit ungewöhnlich offene und scharfe Kritik an Knobelsdorffs »Ahnentafel« Darrés findet sich in  : Archiv für Sippenforschung und alle verwandten Gebiete, 13/1936, 27. Erich Wentscher schrieb darin u. a.: »Der Reichsbauernführer […] ist allerdings durchaus nicht der Träger einer Ahnenschaft, wie sie typischerweise zum deutschen Bauern gehört. Seine Herkunft ist weder heimat- noch hofgebunden […]. Erst der Urgroßvater des Ministers […] führte den französelnden, geschichtlich in nichts begründeten Akzent auf seinem Namen.« Beide Großväter Darrés seien Kaufleute gewesen und im Vaterstamm sei »keine einzige Person dort geblieben, wo sie geboren wurde.« Wentscher wies auf peinliche Fehler Knobelsdorffs hin und monierte auch die Art, wie die uneheliche Geburt einer Großmutter Darrés 1825 dargestellt wurde. Diese öffentliche Äußerung eines Experten empfand Darré als persönliche Herabsetzung und schickte dem Verfasser die Gestapo auf den Hals. (Abschrift der Rezension  : BA, NS 10/29 und Darré an Himmler, 23.10.1938, BA, Darré-NS 54). Außerdem ist die Rezension Wentschers zu lesen in Jacobs, 1957, 109 f.

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seinem gleichnamigen und wenig geliebten Vater nannte er sich seit seinem 15. Lebensjahr gern R. Walter. Die Zusammenziehung zu RWalther – mit »h« – taucht erstmals in einem Brief an seine spätere Frau, Alma Staadt, 1919 auf. Ihr erklärte er auch etwas später, dass er Walther – mit »th« – schreibe, weil es germanisch »Heerführer« bzw. »Herr der Walstadt« bedeute. Noch als Student in Halle 1922 schrieb er seinen zweiten Vornamen »Walter« gelegentlich ohne »h«. Aber, wie gesagt, eigentlich wurde er Richard genannt.2 Schon der Großvater Darré hatte der Kaufmannsgilde angehört. Dessen 1854 in Berlin geborener Sohn Richard Oskar besuchte das humanistische Friedrich-Werdersche Gymnasium, musste aber den Plan eines Medizinstudiums auf Betreiben des Vaters und aus Geldmangel frühzeitig aufgeben, um 1872 in der Berliner Im- und Exportfirma Engelbert Hardt & Co. eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren. Bis 1881 brachte er es zum Prokuristen und durfte ab 1888, mit 22 Jahren, die argentinische Niederlassung der Firma aufbauen. Als er nach mehr als 20 Jahren nach Deutschland zurückkehrte, nahm er das medizinische und naturwissenschaftliche Studium nochmals, autodidaktisch, auf, wie er überhaupt bis ins hohe Alter wissenschaftlich interessiert, geistig rege und aufgeschlossen war und im letzten Jahrzehnt seines Lebens alle Kraft in eine Chronik seines Lebens und seiner Familie investierte.3 Seine Ehe mit Eleonore Lagergren war nicht immer glücklich, wodurch das Verhältnis der Kinder zu den Eltern, besonders das »Ricarditos« zu seinem Vater, stark beeinträchtigt wurde. Der Vater war 18 Jahre älter als die Mutter, sehr selbstbewusst, ein klar und nüchtern denkender Geschäftsmann − die Mutter rechtschaffen, wenig intellektuell, sich immer im Hintergrund haltend, eine treu sorgende Hausmutter.4 Im Jahre 1905 verließ die Familie Buenos Aires u. a. auch aus gesellschaftlichen Gründen, wahrscheinlich wegen eines erotischen Fehltritts des Vaters, der nicht ohne Folgen geblieben war. Seitdem war die Atmosphäre im Hause Darré getrübt. Der Vater, immerhin erst 50 Jahre alt, hatte sich in Wiesbaden niedergelassen und für seine große Familie ein Haus bauen lassen, zog sich aber mehr und mehr in seine 2 IfZ-München, NLD, Bd. 3, 477 ff., 491 ff. und Bd. 6, 72. 3 Vgl. (auch für das Folgende) Richard Darré, Meine Erziehung im Elternhaus und durch das Leben. Wiesbaden 1925 (Eigendruck, heute im IfZ, München). Richard Darrés Kriegs- und Familien-Chronik, 36 handschriftliche Bände, war testamentarisch der »Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte« in Leipzig vermacht worden. 1934 fürchtete sein ältester Sohn, Richard Walther, mittlerweile Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie »Reichbauernführer«, Indiskretionen und Enthüllungen. Er verlangte mit Einverständnis seiner Mutter und seiner Geschwister die »Chronik« zurück. Als dies abgelehnt wurde, versuchte Darrés Schwager und Ahnenforscher, mittlerweile SS-Obersturmführer und »Burghauptmann« der Wewelsburg bei Paderborn, mit der Himmler Großes vorhatte, die »Chronik« dorthin auszuleihen. Als auch dies vergeblich war, ließ Darré 1935 durch die Geheime Staatspolizei so viel Druck ausüben, dass sie 1937 seinem Adjutanten, SS-Hauptsturmführer Klumm, ausgehändigt wurde. Sie befindet sich heute im StAG, NLD. Vgl. auch Weiss, 2001, 615 ff. und IfZ-München, NLD, Bd. 7, Bl. 414. 4 Korrespondenz d. Verf. mit Darrés Schwester Carmen Albert, geb. Darré.

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Studierstube zurück. Verbittert und innerlich unzugänglich, ›tröstete‹ er sich mit Alkohol, widmete sich aber auch, ungeheuer emsig und arbeitsam, der Familienchronik und seiner ausgedehnten Korrespondenz. Dies und sein Hang zu patriarchalischen Allüren verhinderten ein emotional angemessenes Verhältnis zu seinen Kindern, von seiner Ehefrau ganz abgesehen. Seine Haltung der Familie gegenüber wurde herrisch und starrsinnig, so dass alle Sympathien der Kinder sich der Mutter zuwandten. Die vielen Briefe, die der Vater seinem Ältesten schickte, begannen in der Regel mit »Lieber Sohn«, die wenigen der Mutter mit »Mein einzig geliebter Richard«.5 Die Familie bewohnte in Wiesbaden in der Walkmühlstraße am Taunusrand ein Haus, in dem eine Atmosphäre des geistig aufgeschlossenen, im Protestantismus verwurzelten, weltoffen denkenden gebildeten Bürgertums vorherrschte. Die ehemalige Residenzstadt des Herzogtums Nassau, das von Napoleon 1806 neu errichtet und dem »Rheinbund« zugeordnet worden war, entwickelte sich zu einem mondänen Badeort mit Spielbank. Die Stadt war 1866 preußisch geworden und wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Kurstadt »von Welt«. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hielt sich jährlich im Mai dort auf und residierte im Gebäude des heutigen Hessischen Landtags. Das »Nizza des Nordens« zwischen Rhein und Taunus mit seinem milden Klima wurde ein beliebter Sommertreff des europäischen Hochadels und namhafter Persönlichkeiten des politischen, literarischen und künstlerischen Lebens. Der Kurort erlebte damals einen wahren Bauboom und wurde mit 100.000 Einwohnern eine Großstadt. Im Hause Darré hatte man die Frankfurter Zeitung abonniert und überstand die Zeit des Ersten Weltkrieges bis zur Inflation in materieller Sicherheit. Ebenso wie Darré waren auch andere NS-Größen  – es seien nur Göring, Himmler, Rosenberg, von Schirach und Speer erwähnt – in einem durchaus respektablen großbürgerlichen Elternhaus sozialisiert worden. Sie wollten eigentlich mit jenen Kreisen aus dem Mittelstands- und Arbeitermilieu, die das bevorzugte Wählerreservoir der NSDAP waren, wenig zu tun haben. Diese Distanz verschaffte dem späteren Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und »Reichsbauernführer« bei der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung trotz aller, freilich angestrengter Anpassungsbemühungen den Ruf der Arroganz und Abgehobenheit. Er war eben nicht einer der Ihren. Hitler dagegen, dessen obskure Herkunft eine wesentliche Voraussetzung seines Weltbildes war, profitierte von seinen demagogischen Fähigkeiten und seiner messianischen »Volksnähe«, ein Potential, das Darré völlig abging. Durch die Geldentwertung im Jahre 1923 wurde der Rentier Darré ernsthaft mit finanziellen Sorgen belastet, ein Umstand, der sich auf den Lebensweg seines ältesten Sohnes und dessen Verhältnis zum Elternhaus nicht unmaßgeblich auswirken sollte, war dieser doch bis 1930 auf finanzielle Unterstützung u. a. von seinem »knauserigen« Vater, der immerhin fünf Kinder zu versorgen hatte, angewiesen. Aber ihr Verhält5 Aussagen von Frau Alma Bauer, der ersten Frau R. W. Darrés, und Frau Charlotte Darré, seiner zweiten Frau.

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nis zueinander verschlechterte sich unabhängig von dieser materiellen Abhängigkeit schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg vor allem wegen zunehmend unüberbrückbarer politischer Meinungsverschiedenheiten.6 Bis zu seinem zehnten Lebensjahr hatte »Ricardito« Darré die deutsche Schule in Belgrano besucht. In Deutschland wurde er zunächst zu einer deutschen Pflegefamilie und als Sextaner in die Oberrealschule in Heidelberg geschickt. Offensichtlich konnte er nur schwer den Wechsel von der behüteten Umgebung in Argentinien mit einer Gouvernante in der Familie und in der Schule der deutschen Kolonie zu den sicherlich raueren Sitten an deutschen Regelschulen verkraften. Denn schlechte Leistungen hatten zur Folge, dass er 1910 in das Internat des evangelischen Pädagogiums in Bad Godesberg überwechseln musste.7 Während seines zweijährigen Aufenthaltes dort nahm der 16-Jährige an einem offiziellen Schüleraustausch mit der King’s College School in Wimbledon teil. Dieses Erlebnis benutzte er später gerne als Aushängeschild seiner schulischen Ausbildung. Ob es auf seine geistige Entwicklung Einfluss gehabt hat, ist schwer zu sagen, aber unwahrscheinlich, in den reichlich zur Verfügung stehenden Quellen finden sich jedenfalls keine entsprechenden Spuren.8 Seit Ostern 1912 besuchte Darré die Oberrealschule in Gummersbach bei Köln und lebte auch dort im Internat. Er machte zwar sein »Einjähriges«, aber nachdem er zweimal die Obersekunda absolvieren musste, nahm ihn der Vater Ostern 1914 von der Schule.9 Als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg Die Frage der Berufswahl war unter diesen Umständen andauernd schlechter schulischer Leistungen schon sehr früh akut. Ein Plan, sofort in die Schutztruppe nach Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zu gehen, scheiterte am Widerstand des Vaters, der aber schon im November 1913 Verbindung mit der Deutschen Kolonialschule (DKS) in Witzenhausen aufgenommen hatte, um dem Sohn wenigstens eine seriöse Berufsausbildung zu verschaffen. Ostern 1914 bezog der ungelehrige Schüler 6 Vgl. u. a. Darré an seinen Vater, 2.11.1919, StAG, NLD, Nr. 436. 7 Bei sechs Noten war seine Gesamtnote 5. Fleiß und Aufmerksamkeit wurden ihm bei fünf Noten mit 4 bescheinigt (IfZ-München, NLD, Bd. 6). 8 Vgl. Zeugenaussage Darrés vor dem IMT in Nürnberg am 27.8.1948 (Protokolle Fall XI, 18520 f. sowie Ankl. Dok. Buch 101  : NID-12497, Exh. 997)  ; Reischle, 1935, 16  ; Der Deutsche Reichstag, 1936 und King’s College School Magazine, New Series, Vol. XXXV, December 1933 sowie den Nachruf in The Times v. 7.9.1953. 9 Sein Abgangszeugnis ist nicht gerade schmeichelhaft. Schon im Februar 1914 hatte Richard Walter nach Hause geschrieben  : »… die Schule hängt mir zum Halse heraus […].« (StAG, NLD, Nr. 93) Die glückliche Versetzung am 3.4.1914 in die Unterprima war ihm ein Telegramm nach Hause wert, das Abgangszeugnis dagegen verkündete lapidar  : »Er wird nach Unterprima versetzt und verlässt die Anstalt […].« (IfZ-München, NLD, Bd. 6 und StAG, NLD, Nr. 462 sowie Nr. 463).

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Abb. 4 Darré als »Student« der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, 1914. Abb. 5 Darré als Soldat an der Westfront, 1915.

dieses Institut, um Übersee-Farmer zu werden. Dieser Beruf schien zur damaligen Zeit und bei den Verbindungen seines Vaters nach Argentinien einige Erfolgsaussichten zu haben, zumal sein Sohn spanische Sprachkenntnisse hatte und die argentinische Staatsbürgerschaft besaß. Doch alle derartigen Zukunftsträume wurden schon bald durch den Kriegsausbruch im August 1914 zerstört. Der abenteuerlustige, jeder Schulbank abholde 19-jährige junge Mann in Witzenhausen begrüßte in echt »vaterländischer« Begeisterung das Ereignis. Von Besorgnis oder gar Furcht im Hinblick auf das, was nun kommen werde, war bei den Schülern in Witzenhausen nichts zu spüren  – im Gegenteil. Euphorisch wurde der Weg in den Krieg im Juli/August 1914 als Erlebnis nationaler Verantwortung und patriotischer Herausforderung empfunden. Diese Aufbruchstimmung, die auch als Befreiung von schulischem Zwang zu verstehen ist, ging unmittelbar über in eine Stimmung nationaler Begeisterung. Wie auch bei Hitler und anderen jungen Männern wurden bei Darré Mobilmachung und Auszug »ins Feld« als Befreiung aus bürgerlicher Enge und als Chance zu einem persönlichen Neubeginn verstanden. Die Hoffnung auf eine ruhmreiche Zukunft verdrängte die als Belastung empfundene Vergangenheit und Gegenwart.

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Die große Begeisterung für den Kriegsausbruch, das »August-Erlebnis« als Zeit kollektiver Erregung, ist erst in den 1920er Jahren von Politik und Publizistik mit dem »Pathos der Identifikation« (Hermann Lübbe) als Bekenntnis zur »Einheit von Volk und Vaterland« zu einem Massenphänomen gemacht worden. Der Mythos der »Volksgemeinschaft« war eher eine Inszenierung des nationalliberalen und konservativen Bürgertums, die insbesondere bei Studenten Anklang fand. Sie blieb nicht ohne Einfluss auch auf sozialdemokratische Intellektuelle und Politiker, die sich eher dem Ordnungsmodell des »Volksstaates« verpflichtet fühlten. Die »Ideen von 1914« wurden verbunden mit einer Abkehr von »westlichem« politischem Denken und waren – als »Volksgemeinschaft«  – ordnungspolitisch ein Gegenbild zur gesellschaftlichen Zersplitterung in Parteien, Interessengruppen und Konfessionen, wie es die Weimarer Republik bot. Die Idee der Nation als ethnisch-kulturelles Phänomen wurde umgestaltet in einem völkisch-rassistischen Sinne, dem eine gute Portion Ausgrenzung und Aggresivität beigegeben war. Hierbei spielte Antisemitismus schon eine Rolle, lange bevor der Nationalsozialismus eine ernst zu nehmende politische Kraft wurde.10 Darré war in dem Glauben in Witzenhausen abgereist, einberufen worden zu sein. Obwohl sein Jahrgang überhaupt noch nicht »gezogen« worden war, gab der Vater am 4. August seine »Einwilligung zum freiwilligen Eintritt«, da er – wie er es einschätzte – »doch demnächst heran muss.« Die Eltern gaben also die Erlaubnis zur Teilnahme am Krieg erst, als sie glaubten, dass ihr 19-jähriger Sohn sowieso eingezogen werden würde. Am 5. August 1914 begann für R. Walther Darré an einem strahlenden Hochsommertag im Rekrutendepot II der Ersatzabteilung des 1. Nassauischen Feldartillerie-Regiments Nr. 27 (Oranien) in Mainz das »Abenteuer« des Krieges.11 Das Weihnachtsfest 1914 verbrachte Darré schon an der Westfront. Von nun an war er bis zum bitteren Ende 1918 an allen großen Schlachten dieses Frontabschnitts beteiligt. Zunächst enthusiasmiert, dann aber nüchtern und mit offenen Augen stand er erstmals der Brutalität des Krieges gegenüber. Am 20. Januar 1915 schrieb er an seine Eltern  : »Und dann glaubt ja nicht, die deutschen Soldaten könnten nicht plündern. Wenn Du hier in verlassene Häuser kommst und siehst, wie Fenster, Spiegel und Schränke sinnlos zertrümmert sind, wird Dir klar, wie gefärbt die sog. Kriegsberichte in den Zeitungen sind.«12 Eine leichte Verletzung, die er sich im März 1915 beim Brotschneiden selbst zufügte, hatte eine Blutvergiftung zur Folge, so dass er drei Monate im Krankenhaus verbringen musste. Im Herbst 1915 wurde er zweimal verschüttet und wieder ausgegraben. Im Hexenkessel »Toter Mann« erlebte er »grauen10 Vgl. Bendikowski, 2014  ; Krumeich, 2001  ; Bruendel, 2003  ; S. O. Müller, 2002  ; J. Verhey, 2000  ; Raithel, 1996 und Rohkrämer, 1994. 11 StAG, NLD, Nr. 93 und R. Darré, Kriegschronik, ebd., Nr. 54–75  ; Zitat  : Nr. 54, 42, sowie IfZ-München, NLD, Bd. 6. Die »freiwillige« Teilnahme Darrés am Ersten Weltkrieg war also durchaus nicht so selbstverständlich, wie sie von seinen nationalsozialistischen Biographen geschildert wurde  : Vgl. Reischle, 1935, 18 und GRAF, 1933, 3. 12 R. Darré, Kriegschronik, 329 und StAG, NLD, Nr. 54.

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volle Zeiten« und am 3. Juli 1917 wurde er durch einen Granatsplitter nochmals leicht verletzt. Nach der Herbstschlacht in der Champagne 1915 erkletterte Darré in verhältnismäßig schnellem Tempo einige Sprossen in der soldatischen Rangleiter  : Am 12. Januar 1916 wurde er Gefreiter, am 1. Februar Unteroffizier, am 3. April 1916 war er Vizewachtmeister.13 Stolz auf die Entwicklung und die erstmals erfahrene Selbstbestätigung ließen in ihm den Gedanken an die Offizierslaufbahn aufkommen. Der Vater jedoch dämpfte den jugendlichen Enthusiasmus, seine Reaktion auf die Pläne des Sohnes wirft ein bezeichnendes Licht auf die bisherigen Überlegungen, die zu Richard Walters Berufsplänen angestellt worden waren. Sie kennzeichnen aber auch seine spätere berufliche Entwicklung  : Als Du dich damals für Witzenhausen entschiedest, schien mir das ein glücklicher Gedanke. − Du hast Neigung fürs Landleben, Liebe für Tiere und für die freie Natur  ! Zum Stillsitzen als Beamter oder Kaufmann, oder gar als Gelehrter, fehlt Dir alles  ! − Und schließlich, wenn Du die Witzenhausener Schulbank fürchtest (warum  ?), dann kannst du als Volontär auf einem großen Gut Deine Lehrzeit durchmachen […]. Meinetwegen werde Schuster, nur werde ein tüchtiger Schuster.14

Nach der Quälerei von Schule und Berufswahl kam der Kriegsausbruch als Entscheidungshilfe wohl gerade recht. Für den Sohn muss er eine Erlösung aus schulischer Enge gewesen sein, die sich dann aber gleichzeitig als Albtraum und Erweckungserlebnis schlechthin herausstellte. Nach dem Schlieffen-Plan sollte der französische Festungsgürtel unter Bruch der belgischen Neutralität im Norden umgangen werden, um dann die gesamte Armee Frankreichs in einer gigantischen Kesselschlacht zu besiegen. Dieses Vorhaben scheiterte und statt eines kurzen Feldzuges musste ein langer, von »Materialschlachten« und enormen Menschenverlusten (»Blutmühlen«) geprägter mörderischer Abnutzungsund Stellungskrieg durchgestanden werden. Schon in der Schlacht an der Marne im September 1914 war die Truppenbewegung, die die Deutschen alsbald nach Paris bringen sollte, erstarrt. Die französischen, britischen und deutschen Armeen erlitten riesige Verluste und gruben sich 130 Kilometer vor der Hauptstadt Frankreichs in ihre Schützengräben ein. Schon bei diesen Kämpfen hatte Darrés Waffengattung, die Feldartillerie, eine besonders wichtige Rolle gespielt. Und nun beschoss sie im statischen Kampfgesche13 Ebd., Nr. 55, 30  ; Nr. 56, 9  ; Nr. 59, 4  ; Nr. 71  ; Nr. 78  ; Nr. 91 und IfZ-München, NLD, Bd. 3. 14 Darré an seine Eltern, 9.2.1916  : »Glückt es mir jetzt, die normale Laufbahn zum Offizier einzuschlagen und die silbernen Achselstücke zu erreichen, so bleibe ich dabei  !« (StAG, NLD, Nr. 58, 119 und Nr. 59, 260).

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hen die ebenfalls in ihren Stellungen eingegrabenen feindlichen Soldaten mit einer bis dahin unbekannten Intensität. Im Verlauf des Krieges konnte die Reichweite der Geschütze ständig ausgedehnt werden. 1916 schoss die Feldartillerie schon zehn Kilometer weit, d. h., der Kanonier konnte sein Ziel gar nicht sehen. Vorgeschoben stationierte Beobachter mussten die Zielkoordinaten ermitteln. Die Briten verschossen 1914 bei dem Versuch, die deutschen Stellungen zu durchbrechen, 18.000 Granaten, 1916 an der Somme waren es zwei Millionen und 1917 in der dritten Ypern-Schlacht waren es dann 4,6 Millionen. Die deutsche Artillerie verfeuerte in den vier Jahren des Krieges mehr als 290 Millionen Granaten im Wert von mehr als 16 Milliarden Reichsmark, was heute etwa 80 Milliarden Euro entspricht. Dieser Granathagel wurde zu einem Tod und Verwundung bringenden »Trommelfeuer« für beide Seiten. Ernst Jünger sprach zynisch von einer »Fastnacht der Hölle«, die er erlebt habe. Man wollte den Gegner in solchen »Materialschlachten« regelrecht »ausbluten« lassen.15 Aus deutscher Sicht sollten wenigstens die Stellungen an der Somme gehalten werden, um Deutschland jene Zerstörungen und Verwüstungen zu ersparen, die in Frankreich angerichtet worden waren. Allein die Schlacht an der Somme 1916/17 verwandelte eine alte Kulturlandschaft in ein »Menschenschlachthaus«. Auf einem Gebiet von 15 mal 30 Kilometern starben 1,1 Millionen französische, britische und deutsche Soldaten. Mehr als 20 Millionen Granaten – 150.000 jeden Tag – wurden allein von der britischen und französischen Artillerie auf die deutschen Stellungen abgeschossen. Auch Giftgas wurde eingesetzt. An der Somme ist 1916 der Gefreite Adolf Hitler verwundet worden. Als die erste Schlacht an der Somme Ende 1916 zu Ende war, hatten die Alliierten trotz des Einsatzes von ca. 2,5 Millionen Soldaten einen Geländegewinn von weniger als zehn Kilometern erzielt. Wie die deutschen, so scheiterten auch alle britisch-französischen Offensiven, wodurch auf deutscher Seite jene Erfahrung des Durchhaltens provoziert wurde, der bei den Franzosen das »Ils ne passeront pas« bei Verdun entsprach.16 Nach den Schlachten bei Verdun und an der Somme bekam der junge Offiziersaspirant Darré am 16. November 1916 das Eiserne Kreuz II. Klasse und am 18. Januar 1917 wurde er zum Leutnant der Reserve befördert.17 Doch damit hatte er den Zenit sowohl seiner soldatischen Karriere als auch seiner kriegerischen Begeisterung überschritten. Die dritte Schlacht in Flandern als Vorspiel der sich langsam abzeichnenden Niederlage und ein unliebsamer Batterie-Vorgesetzter machten seinem militärischen Enthusiasmus schnell ein Ende. In den seit Herbst 1917 in ununterbrochener Reihenfolge stattfindenden Abwehrschlachten und Rückzugskämpfen bei Verdun, Sois15 Zit. n. Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Ausstellungskatalog. Haus der Geschichte. Stuttgart 2014  ; im Übrigen  : Friedrich, 2014. 16 Vgl. Hirschfeld/Jersak, 2004  ; Prior/Wilson, 2005  ; Hirschfeld/Krumeich, 2013  ; Leonhard, 2014 und Hirschfeld, 2016. 17 StAG, NLD, Nr. 61, 94 und Nr. 62, 47.

Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge

sons, Reims, Chemin des Dames, an Marne und Maas – insgesamt nahm Darré an 13 großen Schlachten an der Westfront teil – wurde aus dem weichen, in jugendlichem Überschwang in den Krieg gezogenen jungen Mann einer jener Menschen, die man später mit dem umfassenden Schlagwort »Frontkämpfer« bezeichnet hat.18 Alle Eigenschaften, Sentiments und Ressentiments, die in den politischen Wirren der zwanziger Jahre vor allem im rechten politischen Spektrum virulent wurden − von Ernst Jünger, Edgar Jung und vielen anderen geschildert  −, können ebenfalls bei R. Walther Darré nachgewiesen werden. Der spätere »Reichsbauernführer« gehörte zu jener Generation bürgerlicher Jugendlicher, die als »Wandervögel« Naturverbundenheit anstrebten, ihre vaterländische Begeisterung und ihren patriotischen Opferwillen aus Bildern der Befreiungskriege gegen Napoleon, der siegreichen preußischen und deutschen Einigungskriege und der Verehrung germanischer Helden à la Tacitus bezogen. Sie waren mit dem »einjährig-freiwilligen« Schulabschluss oder dem Abitur in den Krieg gezogen. Sie empfanden die Einebnung sozialer Unterschiede in den Schützengräben nicht als Herabwürdigung, sondern als Konsequenz ihres Patriotismus. Als »Gemeine« mit bildungsfernen Mannschaftsdienstgraden zusammenzuleben, zusammen zu kämpfen oder in Lazaretten gesund gepflegt zu werden war für sie Ausdruck einer »Nation in Waffen«, die man später »Volksgemeinschaft« nennen sollte. Dass viele gleichzeitig potentielle Offiziersanwärter waren, wofür eigentlich das Abitur vorausgesetzt wurde, spielte dabei keine Rolle. Für Darré war diese Perspektive sogar so etwas wie eine Bewährung und Genugtuung nach einer verpatzten Schulkarriere. Von der kalten Realität eines mit modernen technischen Waffensystemen geführten Krieges wussten sie zunächst nichts bzw. wollten sie nichts wissen. Immerhin war der Erste Weltkrieg mit dem Einsatz von Feldartillerie, Maschinengewehren und Panzern (»Tanks«) der erste industriell geführte Volkskrieg in der Geschichte, in dem nicht mehr Herrscher ihre Armeen gegeneinander aufmarschieren ließen, sondern Völker und Nationen miteinander kämpften. Allein an den Somme-Schlachten waren 20 Staaten beteiligt. Aus Kriegsgegnern wurden Feinde und daraus erwuchs ein Sanktionsanspruch, der weit über den Krieg hinausreichte. Am 19. September 1917 schrieb Darré nach Hause  : Dankbarkeit gibt es nicht. Und Gutmütigkeit, Anständigkeit und Takt werden im Leben mit Dummheit gleichgestellt, wenn nicht gar verwechselt. Ich habe dies in meinem immerhin recht kurzen Leben, besonders in den letzten Jahren schon so reichlich erfahren, dass ich es niemandem mehr abstreite.19 18 In einem Bf. Darrés v. 20.4.1918 heißt es  : »Dieses eine Jahr Krieg wird auch vorüber gehen und ich hoffe dann, dem Militär Valet sagen zu können  ! − Ich habe mich immer mehr entschlossen, Landwirt zu bleiben und wenn es irgend geht, hauptsächlich auf einem Gestüt.« (ebd., Nr. 67, 80 f.) Eine Auflistung aller Gefechte und Schlachten, an denen Darré beteiligt war, findet sich in  : BA, BDC, Akte Darré. 19 StAG, NLD, Nr. 64, 262.

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Als er im Oktober 1917 auf Urlaub zu Hause weilte, berichtete er  : »Wütend« und »empört« sei man an der Front über den »inneren Zwist in Deutschland, in der Heimat, während man an der Front sein Letztes einsetzt.« Im Juni 1918 schrieb er nach Hause, er »ersehne« den Frieden, denn dann »wissen wir Frontsoldaten eigentlich erst, woran wir sind. Wir können dann endlich an die Zukunft denken. Wir können beginnen, uns unser Leben aufzubauen.«20 Körperlich und seelisch »total fertig«, nachdem in der Marneschlacht fast alle seine Kameraden und Freunde gefallen waren, berichtete er am 10. Oktober 1918 nach Hause  : … ich habe sehr schwere Tage hinter mir. Dass ich weder tot noch gefangen bin, ist ein Wunder. Augenblicklich liegt die Batterie in Ruhe, besser gesagt, die Trümmer einer Batterie […]. Unsere Kanonen hat der Amerikaner. − Leider  ! Aber es ließ sich nicht verhindern. Wir haben bis zum letzten Schuss geschossen. Dann die Feuerstellung mit Jägern zusammen wieder genommen. Und zum zweiten Male mit knapper Not der Gefangenschaft entronnen. […] Der 3. Oktober hat mich mehr heruntergebracht als sonst ein Tag des Krieges. Mein Abteilungskommandeur, ein alter Hauptmann, hat geweint wie ein Kind. Ich auch, als ich am nächsten Tage die Reste der Batterie gesammelt habe. Unsere Infanterie hält nicht mehr. Sie will sich nicht mehr für »die Heimat« opfern. Fragt man sie, so heißt es  : Wenn wir bis zum Rhein laufen, gibt es Schluss. Und ich fürchte, ich fürchte, wenn unsere Diplomatie nicht versteht, jetzt Schluss zu machen, sitzt der Feind in Kürze am Rhein.  − Herrgott, warum muss man das als alter Westfrontkämpfer miterleben  ? Und warum  ? − Wegen dieser verfluchten Heimat  ! Bei Gott, wenn man nicht Schwestern und eine Mutter hätte, wünschte man beinahe, der Feind käme nach Deutschland, schändete und mordete, und riss wenigstens der Heimat die Augen auf  : Seht, das ist der Krieg. Ich kann mit dem besten Willen nicht die blau angestrichenen Stellen in der Frankfurter Zeitung lesen. Es ekelt mich jede Zeitung an  !21

Diese recht anschauliche Schilderung der Atmosphäre an der Front in der letzten Phase des Krieges brachte etwas ganz anderes zum Ausdruck als das vor 1914 viel zitierte Diktum des Horaz  : Dulce et decorum est pro patria mori. Auf einem schlammigen Schlachtfeld für das »Vaterland« zu sterben wurde nicht als »süß und ehrenvoll« empfunden. Aber die drastische Beschreibung der Realität der industriell geprägten Materialschlachten des Ersten Weltkrieges bringt wesentliche Merkmale der Mentalität zum Ausdruck, die für viele »Frontsoldaten« charakteristisch war und die durch ihre spätere Heroisierung einen so verhängnisvollen politischen Einfluss ausgeübt hat.22 Sie belegt alle rechtskonservativen Klischees des »Frontsoldaten«-Mythos. Sie macht auch deutlich, dass die »kollektive Enttäuschung« und totale Desillusionierung, die 20 Ebd., Nr. 67, 339. 21 Ebd., Nr. 65, 16 sowie Nr. 69, 8 und 291 ff. Vgl. hierzu auch Osburg, 2009. 22 Vgl. u. a. Ziemann, 1999, 165 ff. und dagegen Reischle, 1935, 15 ff.

Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge

man lediglich bei den einfachen Soldaten ausgemacht hat, auch auf das Offizierskorps übergegriffen hatte. In den »Schützengräben-Kameradschaften« entstand in den Phasen zermürbenden Trommelfeuers und den Phasen lähmender Stille dazwischen – »in Stahlgewittern« (Ernst Jünger)  – ein Zusammengehörigkeitsgefühl über alle landsmannschaftlichen und sprachlichen Barrieren, Klassen- und Religionsschranken hinweg. Dieses »Fronterlebnis« führte direkt zum späteren Mythos der »Volksgemeinschaft«. Nach dem deutschen Diktatfrieden von Brest-Litowsk an der Ostfront sollte im Frühjahr 1918 eine Westoffensive, die vor allem von der Feldartillerie getragen wurde, die Entscheidung herbeizwingen. Sie blieb schon im April stecken. Die alliierte Gegenoffensive, die mittlerweile auch durch US-amerikanische Truppen unterstützt wurde, führte schließlich zu Waffenstillstandsverhandlungen, die nun auch von der 3. Obersten Heeresleitung als unvermeidlich angesehen wurde. Monatelang hatten die Militärs Politiker und Bevölkerung über die wahre Lage an der Front getäuscht. Waren Moltke mit seiner Umfassungsstrategie, Falkenhayn mit seiner Zermürbungs- und Abnutzungstaktik gescheitert, so nun auch Hindenburg und Ludendorff. Aber viele Offiziere, zu denen Darré gehörte, weigerten sich, die bittere Realität der militärischen Niederlage anzuerkennen, und schoben die Schuld daran dem »Versagen der Heimat« in die Schuhe. Dieser »Dolchstoß« aus der uneinigen, angeblich weichen und in publizistischer Besserwisserei sich gefallenden Heimat bot Gelegenheit, die vollbrachten Leistungen an der Front aufzuwerten und die eigene Kriegsmüdigkeit zu sublimieren. Diese Unfähigkeit zu verlieren prägte die politische Kultur der Weimarer Republik nachhaltig. Schon am 1. Juli 1918 hatte Darré der Meinung des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Richard von Kühlmann, dass der Krieg nicht mehr mit militärischen Mitteln zu gewinnen sei, zugestimmt. Als er erfuhr, dass der SPD-Politiker Philipp Scheidemann Minister geworden sei, schrieb er  : »Jetzt ist uns alles gleichgültig  !« Am 13. Oktober 1918 findet sich in seinem Kriegstagebuch die von grenzenloser Enttäuschung und Verbitterung getragene Bemerkung  : »Heute kam auch heraus, daß Deutschland bereit ist, das besetzte Gebiet zu räumen. Also auf Gnade und Ungnade  !«23 Das Ende des Krieges erlebte Darré in der zweiten Oktoberhälfte 1918 in wenig heroischer Weise wegen einer Grippeerkrankung in Wiesbaden und danach im Lazarett in Frankfurt am Main. Im Herbst und Winter 1918/19 herrschte weltweit eine Grippe-Epidemie, der allein in Deutschland ca. 250.000 Menschen zum Opfer fielen. Wegen der Zensur in den kriegführenden Ländern wurde zuerst in Spanien darüber berichtet. Unter den 30–60 Prozent der deutschen Bevölkerung, die damals unter dem Virus der »spanischen« Grippe litten, war offensichtlich auch Darré.24

23 StAG, NLD, Nr. 68, 12 und Nr. 69, 370 ff. 24 Vgl. Hieronimus, 2006 und IfZ-München, NLD, Bd. 3.

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Während der Revolutionsunruhen im November 1919 war er in der Kaserne e­ ines Feldartillerie-Regiments in Frankfurt am Main. Den Kieler Matrosenaufstand am 7./8. November sah er als Selbstentwaffnung der Soldaten an. Die gewählten Arbeiterund Soldatenräte würden – wie Darré schrieb – durch »grüne Bolschewisten-Jungs« kommandiert. Da der Dienst in den kritischen Tagen aufrechterhalten werden konnte, berichtete Darrés nationalsozialistischer Biograph 1935 davon, dass die Kaserne gegen »rote Meuterer« erfolgreich verteidigt werden konnte. Am 30. November 1918 hatten Darrés Bemühungen um Entlassung Erfolg. Er kehrte − geistig und seelisch ein anderer Mensch als vor vier Jahren − ins Elternhaus nach Wiesbaden zurück.25 Dort erlebte er den Durchzug deutscher Truppen, die wehmutsvoll wie Sieger empfangen wurden. Im Waffenstillstandsabkommen vom 11. November 1918 war festgelegt worden, dass die linksrheinischen Gebiete und ein zehn Kilimeter breiter Streifen rechts des Flusses von deutschen Truppen zu räumen waren. Sie marschierten durch Wiesbaden nach Osten und wurden umgehend durch französische Besatzungssoldaten ersetzt. Als ich wieder nach Wiesbaden kam, fing die Zeit gerade an, wo die Truppen hier einzogen. Ich hätte am liebsten paarmal geheult, wenn man sah, wie gut die Zucht und Ordnung in diesen Truppen vorhanden war. Viele alte Leute haben geweint, auch Vater konnte keine Truppen sehen, ohne daß ihm Tränen kamen. Festlich wurde heute vor 8 Tagen eine Division empfangen. Blumenübersät zogen sie ein. An der Spitze der Divisionskommandeur, stellenweise mit Hurrah begrüßt.26

Immerhin hatte auch der Sozialdemokrat und Reichspräsident Friedrich Ebert die heimkehrenden Soldaten mit dem Hindenburg-Spruch als »im Felde unbesiegt« begrüßt. So war es für Hindenburg später leicht, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss am 18. November 1919 die Verantwortung für die Niederlage vom Militär auf »die Heimat« zu verlagern. Schließlich hatte das kämpfende Heer bis zum Waffenstillstand Hunderte von Kilometern im Feindesland gestanden. Mit »Heimat« waren dabei konkret Pazifisten, Sozialisten, Bolschewisten und – Juden gemeint. Die Rechte machte aus dieser »Dolchstoß«-Legende ein Angriffsinstrument gegen die »Republik der Verräter und Verlierer«.27 Die französische Besatzung in Wiesbaden ab dem 13. Dezember erlebte Darré »traurig, dass es mit Deutschland so weit gekommen ist.« Sie bot aber auch Gelegenheit, sich an preußisch-deutsche Militärmusik und an »Zucht und Ordnung« zu 25 Tagebuch R. W. Darrés v. 8.12.1918 bis 29.3.1920 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, Bl. 21 ff.) und R. W. Darré, Front- und Heimatbriefe während der Kriegsjahre 1914–1919, zusammengestellt vom Vater und mit einem Vorwort des Sohnes v. 4.11.1927 (Frau Ch. Darré)  ; vgl. auch Reischle, 1935, 24. 26 Tagebucheintragung Darrés v. 8.12.1918 (IfZ-München, NLD, Bd. 6). 27 Vgl. u. a. Kimmel, 2001.

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erinnern. Die übrige Zeit verbrachte Darré mit dem Erlernen von Buchführung, Stenographie und kaufmännischem Rechnen auf einer Handelsschule.28 Nachdem alle Anfragen bei Gestüten oder Gütern abschlägig beantwortet worden waren, ging er ab Mai 1919 wieder nach Witzenhausen auf die DKS. Die dortige Ausbildung bot nun − nach dem Kriege und dem Friedensschluss, nach dem Deutschland keine Kolonien mehr besitzen durfte − kaum noch berufliche Aussichten. Doch allein, um »einen festen Halt« im Kreise von gleichaltrigen und gleichgesinnten Kameraden zu finden, ging Darré diesen Weg.29 Er führte ihn in die Gemeinschaft der »Frontkämpfer« zurück, wo das Erlebnis des Krieges in angemessener Weise nachempfunden werden konnte. Kolonialschule in Witzenhausen und landwirtschaftliche Volontariate Mit dem Entschluss, wieder auf die DKS zu gehen, verband Darré die berufliche Absicht, anschließend – nach einem Volontariat auf einem Tierzuchtgut, denn zu Pferden hatte der ehemalige Artillerist eine besonders enge Beziehung  – eventuell nach Argentinien zurückzukehren. Freilich spielten dabei noch Überlegungen eine Rolle, die jetzt schon ein Licht auf Darrés starre und oft von reinem Wunschdenken beeinflusste politische und ideologische Überlegungen späterer Jahre werfen. In seinem Bericht, der sich mit der Existenzberechtigung der DKS befasste, findet sich der Satz  : Der mit logischer Folge eintretende industrielle Zusammenbruch und die dadurch bedingte Unmöglichkeit einer Ernährung der Massen aus dem Heimatlande werden eine starke Abwanderung zur Folge haben. Der in Deutschland verbleibende Rest wird vorwiegend eine Agrarbevölkerung sein.30

Die »Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe« auf dem Wilhelmshof in Witzenhausen, im Schatten des für die deutsche Jugendbewegung so wichtigen Ludwigsteins an der Werra gelegen, war 1898 gegründet worden und existierte bis 1943. Sie hatte den Leitspruch »Mit Gott für Deutschlands Ehr, daheim und überm Meer  !« und wurde von ihrem Gründungsdirektor Ernst Albert Fabarius (1859–1927), einem ehemaligen evangelischen Divisionspfarrer und Schriftführer der »Deutschen Kolonialgesellschaft«, der dem »Alldeutschen Verband« angehörte, autoritär, patriarchalisch und nationalkonservativ geführt. Die relativ praxisnahe Ausbildung in »deutsch-christlichem und ausgeprägt nationalem Geist« hatte »deutsche Kulturpioniere« zum Ziel. Fabarius erfand für die Absolventen seiner Lehranstalt den Begriff »Diplom-Kolonialwirt«  ; als solcher wurde man nach einem viersemestrigen 28 IfZ-München, NLD, Bd. 6, 53 ff. 29 Tagebucheintragungen Darrés v. 14.12.1918 und 29.3.1919 (ebd.). 30 Persönliche Briefe 1919/20 (StAG, NLD, Nr. 76).

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»Studium« entlassen. Nach dem Vorbild englischer Colleges sollte die DKS den Rang einer »Hochschule« erlangen.31 Fabarius hielt auch nach dem Versailler Friedensvertrag an diesem Konzept fest, weil er an die Revision dieses Vertrages und auch an zukünftige deutsche Kolonien glaubte. Er führte an seiner »Anstalt« ein festes Regiment unter dem Motto »Disziplin, Ordnung und Unterordnung« sowie mit einer »Ehrenordnung mit Ehrenzuchtkammer«. Vorbild war das preußische Militär. Die »Selbstverwaltung« der Schüler mit »Tischältesten«, »Gruppenführern« und einem »Kameradschaftsausschuß« unter der Führung des Direktors diente hauptsächlich der »Selbstdisziplinierung«. 1920 wurde die Schülerschaft der DKS in die »Deutsche Studentenschaft« aufgenommen, obwohl es in Witzenhausen keine Aufnahmekriterien (Reifezeugnis, Einjährigen-Zeugnis) gab, sondern nur eine persönliche Begutachtung durch den Direktor, der dabei Gesundheit und deutschnationale Gesinnung besonders schätzte. 1899 bis 1943 besuchten insgesamt 2308 Schüler die DKS, davon zwischen 1919 und 1932, als es keine deutschen Kolonien mehr gab, allein 977. Nur ca. 60 Prozent machten einen offiziellen Abschluss, darunter schon frühzeitig viele NSDAP-Anhänger. Schon 1927 besuchte eine Delegation der DKS »als Vortrupp der gesamten kolonialen Bewegung« den 3. Parteitag der NSDAP. Es musste Schulgeld bezahlt werden und auch die Kosten für Unterhalt und Logis waren nicht unerheblich, ein Umstand, den Darrés Vater, der sich 1918/19 erstmals mit Geldsorgen konfrontiert sah, aber nicht davon abhielt, seinen Sohn in Witzenhausen anzumelden. Direktor Fabarius hatte am 16. November 1918 in einem Rundschreiben an alle ehemaligen Schüler mitgeteilt, die Ausbildung solle wieder aufgenommen werden  – nach dem Grundsatz  : »Arbeiten und nicht verzweifeln«  ; denn die »überseeische kolonialwirtschaftliche Arbeit« werde fortgesetzt werden. Am 4. April 1919 erhielt Darré die Zusage, er sei wieder aufgenommen. Richard Walther Darré war mit dem festen Willen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, aus dem Kriege zurückgekehrt. Am 23. Juni 1918 hatte er im Tone seiner damaligen Umgebung nach Hause geschrieben  : »Wir gehen einer bitterernsten Zukunft entgegen. Aber wir Soldaten ersehnen eben den Zeitpunkt, wo wir beginnen können, den Kampf um die Zukunft aufzunehmen.«32 Dementsprechend war seine Arbeit in Witzenhausen von großer Energie und Aktivität erfüllt. Er wurde Praktikantenältester, zusammen mit Gleichgesinnten entwarf er neue Satzungen, die eine völlige Selbstverwaltung der »Studierenden« zur Folge haben sollten.33 Aber auch die allgemeinpolitische Lage machte Hoffnung. Am 1. März 1919 hatte die Weimarer Nationalversammlung mit 414 gegen sieben Stimmen die »Wieder31 Böhlke, 1995  ; K. Hildebrand, 1969, 325 ff. und StAG, NLD, Nr. 76a. 32 Kriegschronik, StAG, NLD, Nr. 67, 339. 33 Baum, 1997 und Nachruf des Instituts zum Tode Darrés 1953, in  : Der Deutsche Kulturpionier. Zeitschrift des Verbandes der Alten Herren der Deutschen Kolonialschule für die Kameraden und Freunde, Jg. 1953, 52 f.

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einsetzung Deutschlands in seine kolonialen Rechte« gefordert. Einen Tag später zogen die »Kolonialhelden«, der General und Ostafrikakämpfer, Paul von LettowVorbeck, und der letzte deutsche Gouverneur in Deutsch-Ostafrika, Heinrich Schnee, triumphal durchs Brandenburger Tor in Berlin ein. Einen weiteren Tag später befahl Reichswehrminister Noske, den seit Januar auf den Straßen Berlins tobenden »Spartakus«-Aufstand gegen die Republik niederzuschlagen und den seit dem 25. Februar herrschenden Generalstreik zu beenden. Auch Darré beteiligte sich 1919 am Kampf gegen die Frankfurter Spartakisten. Das 1919 aus dem »Reichskolonialamt« entstandene »Reichskolonialministerium« wurde zwar aufgelöst, dessen Aufgaben  – »Weiterentwicklung der abgetretenen Schutzgebiete, Entwicklung der kolonialen Frage überhaupt und Möglichkeit der Wiedererlangung von Kolonialbesitz« – jedoch dem neuen »Reichsministerium für Wiederaufbau« übertragen. Auch im »Auswärtigen Amt« gab es seit April 1924 eine Kolonialabteilung, die mithelfen sollte, auf dem diplomatischen Parkett den Kolonialrevisionismus zu unterstützen.34 Als Darré im März 1920 sein »Vordiplom« gemacht hatte, warf ihn seine Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung aber völlig aus der Bahn. Nach einer Intrige im Umfeld des Paragraphen 175 (StGB), die ein Ehrenratsverfahren zur Folge hatte, musste er im November 1920 das Institut ohne Abschluss verlassen.35 Über seine Tätigkeit als Praktikantenältester der DKS steht in einem Nachruf des »Verbandes der Alten Herren« des Instituts 1953  : In diesen von der Kriegsgeneration getragenen Kämpfen [um Selbstverwaltung und Mitspracherechte der »Studierenden«, H. G.] war er Wortführer, Vorkämpfer − und schied aus, ohne daß er dem Ziel nahegekommen war, ohne daß er die Widerstände, die ihm von außen und innen entgegentraten, hätte beiseite räumen können.36

Spätere Versuche Darrés, mit Hilfe einer Wiederaufnahme des E ­ hrenratsverfahrens eine Rehabilitierung zu erreichen, blieben ohne Erfolg. Am 31. Dezember 1929 schließlich wandte er sich an den neuen Direktor der DKS, Dr. med. Wilhelm Arning, mit dem Antrag, ihm nachträglich den Titel »Diplom-Kolonialwirt« zu verleihen. Er rechnete dabei auf das Wohlwollen des Mitglieds der DNVP und des Frontkämpferverbandes »Stahlhelm«, konnte aber auch auf seinen Studienabschluss als Diplom34 K. Hildebrand, 1969, 328 f. und die Bücher von Heinrich Schnee, Die koloniale Schuldlüge. München 11. Aufl. 1928 und Deutschlands koloniale Forderung. Berlin 1937. 35 Darré an seine Verlobte Alma Staadt, November 1920 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 318). In einem Bf. an seinen Vater v. 27.11.1920 schrieb er  : »Ich bin vorgestern abend hier aus der Schule ausgewiesen worden, weil ich ein einem Kameraden gegebenes Ehrenwort gebrochen habe. Ich tat dies vor einem halben Jahr, um einen anderen Kameraden vor Verleumdung zu schützen. Der Buchstabe des Gesetzes entschied gegen mich.« Offensichtlich handelte es sich um einen Fall angeblicher oder wirklicher Homosexualität (ebd., 334 und StAG, NLD, Nr. 80). 36 StAG, NLD, Nr. 76.

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Landwirt, seine bisherigen Publikationen und insbesondere sein gerade erschienenes Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse verweisen. Arning, der in seinen Vorlesungen 1929/30 auch aus Darrés zweitem Buch Neuadel aus Blut und Boden zitierte, dirigierte dessen Gesuch erfolgreich durch die Gremien der DKS und konnte ihm im Februar 1930 einen positiven Bescheid zusenden. So wurde Darré am 1. Mai 1930 »auf Grund seiner erworbenen Kenntnisse, insbesondere mit Rücksicht auf seine späteren Studien und Leistungen« das »Diplom« der DKS Witzenhausen noch nachträglich zuerkannt.37 Darré hatte 1919 die Verlegenheitslösung Witzenhausen mit Mut und Entschlossenheit in Angriff genommen. Aber nun, Ende 1920, saß er ohne Ausbildungsabschluss da. Es drohte ihm das gleiche Schicksal, das so vielen seiner Generation beschieden war, die in den Kampfbünden Zuflucht vor den seit dem Krieg veränderten Lebensumständen suchten und dort Kameradschaft und Frontkämpferethos weiter pflegen zu können glaubten. Aber Darré war alles andere als ein Landsknechtstyp. Außerdem war er mittlerweile verheiratet. Die folgenden zwei Jahre führte er ein unstetes Wanderleben als Volontär auf verschiedenen Bauernhöfen und Gütern. Vom 1. Februar bis 21. April 1921 war er in Hausleiten (Niederbayern). Als das Gut verkauft wurde, ging er Ende April 1921 nach Dürrenbühl im Schwarzwald, aber schon im Juli arbeitete er auf einem anderen Bauernhof der Region. Vom 1. August 1921 an war er Volontär und schließlich Verwalter auf Gut Aumühle in Oldenburg. Aber auch hier konnte er sich keine neue Existenz aufbauen. Als das Gut verkauft wurde, stand er im Februar 1922 wieder vor dem Nichts. Versuche, nach Argentinien Kontakte zu knüpfen, ergaben im Januar 1922, dass die Verhältnisse in der dortigen Landwirtschaft auch nicht vielversprechend seien.38 Darrés großbürgerliches Elternhaus, in das er nach Kriegsende zurückgekehrt war, sorgte dafür, dass er nicht wie Himmler, Heß, Bormann oder andere Nationalsozialisten, die noch zu jung gewesen waren, um am Krieg teilnehmen zu können, in ein Freikorps eintrat, abgesehen von einem kurzen Einsatz gegen Spartakisten in seinen Witzenhausener Ferien 1919. Was Frontkämpfergeist und soldatisches Kameradschaftserlebnis betraf, hatte er keinen Nachholbedarf. Dies traf auch für in der Historiographie immer mal wieder behauptete Aktivitäten bei den Artamanen zu, die in den 1920er Jahren junge Menschen zur Verdrängung polnischer Landarbeiter im Osten Deutschlands zu animieren versuchten. Dazu war er schon zu alt, dem »Wandervogel« gegenüber zu skeptisch, zu sehr in seinem Studium engagiert und vor allem mit den Problemen seiner eigenen Familie beschäftigt.39

37 StAG, NLD, Nr. 85 sowie Darré an Dr. Arning, 4.2.1930, IfZ-München, NLD, Bd. 3, 474. 38 Vgl. StAG, NLD, Nr. 71. 39 Zu der Behauptung, Darré sei »Artamane« gewesen, vgl. z. B. Kater, 1971, 627 f. und K. Bauer, 2008, 159. Im Übrigen  : IfZ-München, NLD, Bd. 6, 266 ff.

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Heirat, Studium der Landwirtschaft und Tierzucht in Halle und Gießen Seit Oktober 1919 heimlich und seit Weihnachten 1919 offiziell war Darré mit der Tochter Alma des Handelsgerichtsrats und Kaufmanns Jacob Staadt verlobt. Dessen Familie betrieb in Wiesbaden ein seit 1877 bestehendes Groß- und Kleinhandelsgeschäft für Damenunterbekleidung in unmittelbarer Nachbarschaft des renommierten Hotels »Nassauer Hof«, das ebenfalls zur weitläufigen Familie Staadt gehörte. Nun drängten auch die zukünftigen Schwiegereltern auf eine endgültige Lösung der Berufsfrage des Auserwählten ihrer Tochter. Doch verschiedene Versuche, mit dem Geld der Schwiegereltern einen Hof zu erwerben, hatten keinen Erfolg – im Unterschied zu Darrés späterem Staatssekretär Herbert Backe, dem es gelang, 1928 mit finanzieller Unterstützung seiner Schwiegereltern Pächter einer Domäne zu werden. Frau Staadt, der künftigen Schwiegermutter, gelang es schließlich  − selbst gegen Bedenken Darrés, der glaubte, kein Mensch für die Studierstube, aber auch keiner für die Landwirtschaft zu sein  –, den beruflich so Unentschlossenen an die Universität Halle zu bringen. Eine wichtige Rolle dabei spielte die Vermittlung des mit der Familie Staadt verwandten Professors Gustav Frölich, Direktor des Instituts für Tierzucht und Molkereiwesen an der Hallenser Universität. Schweren Herzens stimmte Vater Darré diesem Plan und der am 29. April 1922 erfolgenden Hochzeit zu  : »… werde den nötigen Zuschuss zu Studentenehe und Studium mitbeisteuern«, schrieb er.40 Die Ehe Richard Walter Darrés mit Alma Staadt stand von vornherein unter einem ungünstigen Stern. Sie war sechs Jahre jünger als er, ein ›Backfisch‹ aus vermögendem Elternhaus, behütet und ohne Berufsausbildung, ein sensibler Stadtmensch mit musischen Anlagen und Interessen (Gesang). Erschreckend naiv erstrebte Alma eine Lebensperspektive an der Seite eines Mannes, der auf dem Weg in die praktische Landwirtschaft zu sein schien.41 Ihr Vater, der die Realitäten besser einzuschätzen wusste, war gegen die Verbindung. Ihre Mutter tat zunächst alles, um ihrer verliebten Tochter zu helfen. Obwohl sich bald große, kaum überwindbare Meinungsverschiedenheiten zwischen Schwiegereltern und Schwiegersohn einstellten, unterstützten die Eltern weiterhin ihre Tochter auch finanziell, zumal sie ihnen im März 1923 eine Enkeltochter schenkte. Sie beteiligten sich sogar ohne jede Ahnung von Landleben oder gar Landwirtschaft an der Suche nach einer Stelle als Gutsverwalter oder einem 40 Schon im Dezember 1920 hatte sich Darré mit der Bitte an Frölich gewandt, ihm eine Praktikantenstelle zu besorgen (StAG, NLD, Nr. 436). Im August 1921 schrieb Darré seiner Braut  : »Zwinge mich zur Landwirtschaft, denn einen Beruf muß ich haben und mein tägliches Brot auch.« Vgl. im Übrigen die Bfe. des Vaters Darré v. 28.2. und 5.4.1922 (StAG, NLD, Nr. 46, Nr. 71 und Nr. 76c sowie Familienchronik, Nr. 40, 41 und 70) sowie IfZ-München, NLD, Bd. 7, 643 ff. und 655 ff. 41 Im November 1919 hatte sie ihn gefragt, ob er Bauer, Pächter oder Verwalter werden wolle. Er musste sie darauf aufmerksam machen, dass »eigenes Land« eine »reine Geldfrage« sei. Dies sei ihm »zwar am liebsten«, aber Pächter zu werden sei wohl die »praktischste Lösung« (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 109, 318 und 481 sowie die Bde. 12 bis 15).

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noch zu kaufenden Hof – ein in der Zeit der Hochinflation völlig aussichtsloses Unterfangen. So blieb es bei der Studentenehe, deren Partner in getrennten Welten lebten und von dauernden finanziellen Nöten geplagt waren. Nervenzusammenbrüche und Sanatoriumsaufenthalte der Braut und späteren Ehefrau, ja die Absicht einer dann doch nicht verwirklichten Entlobung, waren die Folge.42 Insbesondere R. W. Darré, der Lebensunterhalt und Studium nur mit finanzieller Unterstützung seines »geizigen« und ungeliebten Vaters bestreiten konnte, lebte in Halle in dauernden pekuniären Nöten, während seine Frau mit ihrer Tochter weiterhin bei ihren Eltern blieb. Aber Darrés Vater hatte immerhin in Zeiten galoppierender Geldentwertung einen aufwendigen Haushalt und vier weitere Kinder zu unterhalten. Hinzu kamen zunehmend schärfer ausgetragene weltanschaulich-politische Differenzen Darrés nicht nur mit seinem Vater, sondern auch mit seinen Schwiegereltern in Wiesbaden.43 Zunächst arbeitete Darré, der bis dahin zwar als tapferer Frontsoldat angesehen wurde, aber in Wiesbaden als Versager mit mangelnder Tatkraft galt, als M ­ itarbeiter bei Professor Gustav Frölich und wohnte auch in dessen Haus in der Sophienstraße in Halle. Mit dem Sommersemester 1922 konnte er durch die Hilfe Frölichs sein Studium der Landwirtschaft beginnen, obwohl er kein Abitur als konventionelle Hochschulreife vorzuweisen hatte. Der Sprung in eine geregelte und aussichtsreiche Berufsausbildung schien damit geglückt zu sein. Darrés Studium wurde ausschließlich durch die Mendel/Darwin’sche Vererbungsund Evolutionslehre bestimmt, wie sie damals in geschlossener Lehrmeinung in Halle vertreten wurde. Bei der Autorität des Biologen Valentin Haecker war für Einflüsse der Milieutheorie Lamarcks kein Platz. Die Vertreter der tierzüchterischen und pflanzenzüchterischen Vererbungslehre, Frölich und Roemer, fügten sich bereitwillig in diese Phalanx ein. Neben seinen fachlichen Lehrveranstaltungen hörte Darré Vorlesungen bei Haecker (»Biologische Zeitfragen«, »Einführung in die menschlichen Rassen«), zur Völkerpsychologie, Ästhetik, Philosophie und Zeitgeschichte (Versailler Vertrag, Kriegsschuldfrage).44 Professor Frölich kümmerte sich in Halle in besonderem Maße um den Studenten aus Wiesbaden und er war es auch, der dessen Interesse für alle mit Vererbungsbiologie zusammenhängenden Fragen entgegenkam. Als Examensarbeit erhielt Darré im Herbst 1924 von Frölich, einem renommierten Fachmann für Schweinezuchtfragen, die Aufgabe, eigene Forschungen über Kreuzungsversuche mit verschiedenen Schweinerassen zu überprüfen und fortzusetzen.45 42 IfZ-München, NLD, Bd.7, 373 ff., 423 ff., 463 ff. und 484 ff. 43 StAG, NLD, Nr. 71, 77, 78 und Nr. 80. IfZ-München, NLD, Bd. 7, 448 ff. 44 Darrés Vorlesungsverzeichnis weist u. a. folgende Titel auf  : WS 1922/23  : Frischeisen-Köhler, Philosophie der Gegenwart. Thennwald, Grundzüge der Völkerpsychologie. WS 1923/24  : Fleischmann, Der Versailler Friedensvertrag. Karo, Die Schuld am Weltkriege. WS 1924/25  : Spöttel, Über die Vererbung der Eigenschaften. (Studienbuch, IfZ-München, NLD, Bd. 3, 504 ff.). 45 Darré an seinen Vater, 1.10.1924 (StAG, NLD, Nr. 48)  ; vgl. auch Reischle, 1935, 29 f. und die Anfragen Darrés betr. Schweinezucht zwischen Sept. und Dez. 1924 in  : StAG, NLD, Nr. 78b.

Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge

Im Laufe dieser Arbeit über experimentelle Vererbungsversuche an Schweinen glaubte Darré dem Problem durch eine Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung der Haustiere, insbesondere der Schweine, am ehesten auf die Spur zu kommen. Frölich stellte sich auf dieses Vorhaben seines Schützlings ein und gab der Diplomarbeit den Titel  : »Die Domestication der Haustiere mit besonderer Berücksichtigung der Schweine«. Offensichtlich hat Darré sein gesamtes während des Studiums gespeichertes Wissen in dieser 100 Seiten starken Schrift verarbeitet, anders ist deren Charakterisierung durch seinen Vater nicht zu interpretieren  : […] mir scheint, daß die Einleitung  − 70 Seiten  − sehr breit ist […] sie enthält Auszüge aus vielen Schriftstellern, über die Eiszeit, deren Folgen und schließliches Verschwinden, über Nomaden- und Hirtenleben, über Germanen und Semiten  ! Über Domestication, geschweige über Züchtung, ist herzlich wenig gesagt  !46

Ungeachtet dieser wenig schmeichelhaften Beurteilung wurde Darré am 16. Februar 1925 das Zeugnis als Diplom-Landwirt ausgehändigt, das als Gesamtnote »ziemlich gut« aufwies. Frölich hatte seine Hausarbeit sogar mit »gut« bewertet.47 Was der Vater in der Charakterisierung der Diplomarbeit andeutete, bestätigen die Spuren, welche die haustierzüchterischen und -geschichtlichen Studien seines Sohnes in den folgenden Monaten hinterlassen haben. Hermann Reischle, der autorisierte nationalsozialistische Biograph des »Reichsbauernführers«, berichtete später darüber  : Im Zuge dieser Arbeit war Darré nun plötzlich der Zusammenhang klar geworden, der in der Kulturgeschichte der Menschheit zwischen gewissen Menschenrassen und Haustierrassen besteht. Damit stand er auch bereits mitten in der Fragestellung nach den Gründen des Aufstiegs und Niedergangs der Völker, was ihn wiederum nach seiner klaren anthropologischrassenkundlichen Schulung zur Frage nach dem Zusammenhang zwischen Rasse und Kultur bringen musste.48

Darré hatte im Dezemberheft 1924 der »völkischen« Monatsschrift Deutschlands Erneuerung, die im J. F. Lehmanns Verlag in München erschien, einen Aufsatz gelesen, der sich mit »Tierwanderungen und Urheimat der Arier« beschäftigte und aufbaute auf dem Buch von Professor Stegmann von Pritzwald, Die Rassengeschichte der Wirtschaftstiere und ihre Bedeutung für die Geschichte der Menschheit.49 Die darin vertretene Meinung über die Herkunft der europäischen Ackerbaukultur stimmte ganz und gar 46 Bf. des Vaters an einen Bekannten v. 21.1.1925 (StAG, NLD, Nr. 49). 47 IfZ-München, NLD, Bd. 3 sowie das Glückwunschtelegramm seiner Schwiegereltern v. 2.3.1925 (StAG, NLD, Nr. 79). 48 Reischle, 1935, 30. 49 Das Buch erschien in Jena 1924.

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nicht mit den Darré’schen Studienergebnissen überein. Er schickte einen Leserbrief, der sich mit den Thesen des Professors auseinandersetzte, an den Verlag, der im Februarheft 1925 als eigenständiger Artikel in dem »völkischen« Blatt erschien.50 Der Beitrag stellte die erste einer Reihe von Publikationen Darrés dar, die in den Zeitschriften Deutschlands Erneuerung und Volk und Rasse veröffentlicht wurden.51 Sie schlugen die Brücke zu dem rührigen Münchener Verleger »völkischer« Weltanschauung, Julius Friedrich Lehmann, bei dem auch Darrés spätere Bücher erschienen sind. In seiner Zuschrift stellte Darré einen Zusammenhang zwischen Wanderungsbewegungen von Haustieren und der Frage her, wo die »Urheimat der Arier« zu lokalisieren sei. Für ihn stand die Identität von Bauerntum und »nordischer Rasse« damals augenscheinlich schon fest. Wie konnte aber die Ackerbaukultur in Ostasien die »Kulturwiege der Menschheit« sein, wenn Houston Stewart Chamberlain und Hans F. K. Günther, die mittlerweile zu Darrés Autoritäten in »rassischer« Hinsicht geworden waren, als Heimat der »nordischen« Menschen doch Nordeuropa angegeben hatten  ? Das Problem beschäftigte Darré weiter. Im Sommer 1925 absolvierte er in Halle noch einige Zusatzprüfungen landwirtschaftlich-technischer Art als Trostpflaster dafür, dass er zur Abschlussprüfung als Tierzuchtinspektor in Gießen nicht zugelassen worden war.52 Der Tierzucht hatte bisher sein besonderes Studieninteresse gegolten. Tierzuchtinspektor im Staatsdienst zu werden war sein erklärtes Berufsziel geworden. Doch wurde er von der Prüfung ausgeschlossen, weil er nicht die erforderlichen Praktika nachweisen konnte. Grenzenlose Enttäuschung war die Folge. Ihn verbitterte vor allem die Art, wie man von allerhöchster ministerieller Seite mit einem vierjährigen Frontsoldaten umspringt. Muss man denn unbedingt uns, die wir vier Jahre unseres Lebens ans Volk gehängt haben, damit lohnen, dass man in der kleinlichsten Weise uns die Zulassung zum Beruf erschwert  ?

Darrés Abneigung, ja sein Hass gegen die Regierung in Berlin und gegen das »System« von Weimar überhaupt, erhielt durch diesen Vorfall eine stark ausgeprägte persönliche Note. Aus der zurückschauenden Perspektive könnte man auch sagen  : Hätte man ihn doch Tierzuchtinspektor werden lassen  !53 Auf den Rat Frölichs hin war er zum Wintersemester 1925/26 nach Gießen gegangen, da dort die Bestimmungen nicht so streng gehandhabt würden wie im »preußi50 Darré an seinen Vater, 12.3.1925 (StAG, NLD, Nr. 49). 51 Der erste Beitrag Darrés in DE ist unter dem Titel »Tierwanderungen und Urheimat der Arier« wieder abgedruckt in  : Darré, EuW, 1940, 9 ff. 52 Darrés Zeit in der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen wurde ihm zu dieser Prüfung, die eine Staatsbeamtenlaufbahn eröffnete, als Praktikum nicht anerkannt (Darré an seinen Vater, StAG, NLD, Nr. 80). 53 Darré an seine Frau, 16.7.1925 (IfZ-München, NLD, Bd. 7, 985 ff.)  ; vgl. auch Reischle, 1935, 28.

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schen« Halle.54 Aber auch dieser Versuch, eine sichere Beamtenlaufbahn einzuschlagen, scheiterte. Hierbei spielte, neben dem nicht vorhandenen Praktikum, eine persönliche Kontroverse zwischen Darré und Professor Gisevius, dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, eine entscheidende Rolle. Der Geheimrat hatte eine Seminararbeit Darrés als »Unsinn« bezeichnet und alle Bemühungen von Professor Kraemer, an den Darré von seinem Hallenser Mentor Professor Frölich empfohlen worden war, ihn doch noch zur Prüfung zuzulassen, hatten keinen Erfolg.55 Das Scheitern seiner diplomatischen Laufbahn: Ostpreußen und Riga So blieb Darré nichts anderes übrig, als sich nach einer beruflichen Tätigkeit als Diplom-Landwirt umzusehen. Mit Hilfe des Reichslandwirtschaftsrates und Rittergutsbesitzers von Schwerin-Spantekow, eines einflussreichen Onkels von Darrés Studienfreund Hans von Lettow, gelang es ihm schon im Mai 1926, als Volontär bei der »Ostpreußischen Stutbuchgesellschaft für Warmblut Trakehner Abstammung« eine Anstellung zu finden.56 Seit seiner Kriegszeit als Artillerist hatte Darré ein besonderes Interesse für Pferde entwickelt, das sich in den 1920er Jahren auch auf die Pferdezucht ausweitete. Darrés Mentor und Lehrer in Halle, Professor Frölich, hatte ein Lehrbuch zur Pferdezucht geschrieben, das sein Schüler sicherlich kannte.57 Am 1. Juni 1926 begann Darrés Tätigkeit in Insterburg, die auf ein halbes Jahr befristet war. Wie sich bald zeigen sollte, erhielt er damit eine große Chance zum Auf54 Darré an seinen Vater, 23.9.1925 (StAG, NLD, Nr. 49). 55 Kraemer an Darré, 16.3.1926 (StAG, NLD, Nr. 81). Professor Kraemer äußerte sich später auch über Darrés Bauerntum sehr wohlwollend. Bf. des in der Seminarsitzung anwesenden Kommilitonen Darrés, H. v. Gallois, v. 8.3.1926 (ebd.). Vgl. auch ebd., Nr. 82 und Familienchronik (ebd., Nr. 51, 102) sowie Darrés Korrespondenz mit Frölich vom Oktober 1927 (ebd., Nr. 158b). 56 Darré kannte Hans Albert von Lettow-Vorbeck aus Studientagen in Halle, wo ihm der Freund auch aus mancher finanziellen Notlage geholfen hatte (vgl. die Bfe. Hildegard von Lettow-Vorbecks 1922/23 und das Schreiben Hans von Lettow-Vorbecks an Darré v. 15.11.1923, StAG, NLD, Nr. 78a). Dessen Onkel, Schwerin-Spantekow (bei Anklam in Vorpommern), war Vorsitzender des Reichslandbundes in Pommern und Mecklenburg. Er hatte schon für Darrés Zulassung zum Tierzuchtinspektorexamen beim Preußischen Landwirtschaftsministerium interveniert, freilich ohne Erfolg (vgl. die Bfe. von Schwerins an Darré v. 4.7., 25.7., 18.8., 7.9., 21.9.1925 und 13.11.1926  : ebd., Nr. 82). Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass bei der Unterbringung Darrés in Ostpreußen der Rittergutsbesitzer und Gutsnachbar des späteren Reichspräsidenten Hindenburg, Oldenburg-Januschau, mitgeholfen hatte (vgl. die Bfe. Schwerins an Darré v. 5. und 21.4.1926, sowie den Bf. der Ostpr. Stutbuchgesellschaft an Schwerin v. 3.5.1926  : ebd., Nr. 80, 81 und 82 sowie IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1127). 57 Vgl. IfZ-München, NLD, Bd. 6, 229 ff. und Gustav Frölich, Lehrbuch der Pferdezucht. Des Pferdes Rassen, Körperbau, Züchtung, Ernährung und Haltung. Berlin 1926. In einem Beitrag zu einer Fs. für Frölich anlässlich seines 60. Geburtstages berichtete Darré, dieser habe »seine Schüler zu völkischem und nationalwirtschaftlichem Denken« erzogen (Darré, »Professor Frölich als Lehrer und Wissenschaftler«, in  : Festschrift für Prof. Dr. Gustav Frölich zum 60. Geburtstag. Berlin 1939 [Kühn-Archiv, Bd. 52], XIII).

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bau einer Lebensstellung. Doch zunächst blieb die weitere finanzielle Abhängigkeit vom Vater bestehen. Die Lage wurde noch dadurch erschwert, dass zum einen Darré eine Familie hatte, von der er weiterhin getrennt lebte, zum anderen es seinem Vater immer schwerer fiel, den mittlerweile 30-jährigen Sohn finanziell zu unterstützen.58 Schon am 26. Oktober 1925 hatte der Vater betont, er wisse nicht, wie lange er ihn überhaupt noch unterstützen könne. »Du musst alles daransetzen, auf eigene Füße zu kommen.«59 Wenn auch Darré diesem Ersuchen mit seiner neuen Anstellung noch nicht nachkommen konnte, so hatte er doch gerne zugegriffen, da er hoffte, durch die Verbindung mit der ostpreußischen Landwirtschaft eine aussichtsreiche Berufslaufbahn auf einem Gut beginnen zu können. Darré hatte sich in Insterburg mit allen Fragen der ostpreußischen Warmblutzucht, besonders aber mit dem Absatz von Pferden zu befassen. Nach einem Besuch finnischer Landwirte in Ostpreußen erhielt er im Juli 1926 von der Ostmesse Königsberg den Auftrag, in Finnland mit interessierten Kreisen der Landwirtschaft Kontakte aufzunehmen. Darré nahm diesen Auftrag sehr ernst, deutete sich hier doch die Möglichkeit an, Diplomatie und Landwirtschaft in einem Beruf zu vereinen, ein Wunsch, den er schon im April 1920 geäußert hatte.60 Deshalb schlug er auch das Angebot von Professor Kraemer aus, nun − nachdem Professor Gisevius in den Ruhestand getreten war − doch noch das Tierzuchtinspektorexamen in Gießen zu absolvieren. Vielmehr machte er sich berechtigte Hoffnungen, nach seiner Volontärzeit die Leitung der Abteilung für Absatz bei der Stutbuchgesellschaft übertragen zu bekommen.61 Mit Elan, immensem Eifer und großer Einsatzbereitschaft hatte er sich in seine neue Aufgabe gestürzt, allerdings nicht ohne ihr auch einen ideologischen Hintergrund zu geben. Er sei sich darüber klar geworden, daß der Osten der Brennpunkt der europäischen und der deutschen Entscheidungen werden würde. Und zwar mußte diese Entwicklung in dem Maße sich beschleunigen wie, unter dem Drucke der Entente, Deutschland gezwungen werden würde, die westlich orientierte weltwirtschaftliche Grundlage seiner Industrie aufzugeben und den deutschen Binnenmarkt 58 Seine Frau hatte ihm am 5.3.1923 eine Tochter geboren (Lebenslauf Darrés v. 31.12.1929, IfZ-München, NLD, Bd. 3). Das Verhältnis der beiden Eheleute war durch die Art, wie der Vater die finanzielle Unterstützung seines ältesten Sohnes handhabte, oft sehr angespannt. Der Student in Halle musste über alle seine Ausgaben regelmäßig Rechenschaft ablegen, während seine Frau mit dem Kind weiterhin in ihrem Elternhaus versorgt wurde (Darré an seinen Vater, 28.4.1924, Familienchronik, NLD, StAG, Nr. 48, 116  ; vgl. auch die Bfe. des Vaters an den Sohn v. 28.10.1924 [ebd., Nr. 80] und v. 6.10., 10.10., 17.10. und 26.10.1925 [ebd., Nr. 79]). 59 Familienchronik (NLD, StAG, Nr. 50, 166). 60 Bfe. an seine Braut im April 1920 und an seine Frau v. 22.7.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 213 ff.)  ; Zeugnis der Ostpr. Stutbuchgesellschaft v. 1.12.1926 und Lebenslauf Darrés v. 31.12.1929 (ebd., Bd. 9, 1215 ff.)  ; sowie StAG, NLD, Nr. 52, Familienchronik. 61 Kraemer an Darré, 2.11.1926 (StAG, NLD, Nr. 82). Auch Professor Frölich riet ihm, das Angebot aus Gießen anzunehmen  : Frölich an Darré, 22.1.1927 (ebd.). Darré an seine Eltern, 6.8.1926 (ebd., Nr. 81).

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zum Motor einer neu aufzubauenden Nationalwirtschaft zu machen. Ein klar abgegrenzter deutscher Absatzmarkt ist aber ohne Klärung der Ostfragen garnicht zustande zu bringen.

So räsonierte er in einem Brief nach Hause.62

War auch das unmittelbare Ziel seiner Finnlandreise, eine Beteiligung finnischer Landwirte an der Ostmesse in Königsberg zu erreichen, nicht von Erfolg gekrönt, so erledigte Darré seinen zweiten Auftrag, die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der finnischen und der ostpreußischen Landwirtschaft zu intensivieren, zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber. Außerdem machte Darré die Bekanntschaft des forst- und landwirtschaftlichen Sachverständigen für die nordischen Länder bei der deutschen Gesandtschaft in Helsinki, Professor Dr. Carl Metzger. Dieser hatte aus Liebhaberei reichhaltiges Material über landwirtschaftliche Sitten und Jägerbräuche in Nordeuropa gesammelt und traf in Darré, der in dieser Zeit mit der Ausarbeitung seiner Schrift Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung zu dem Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse beschäftigt war, einen interessierten und kenntnisreichen Gesprächspartner.63 Auch dieses glückliche Zusammentreffen bestärkte Darré in seiner Hoffnung, »hier in der Ostmark des Deutschtums dereinst einmal einen Posten zu bekleiden, mit dem ich dem Deutschtum und damit der Welt schlechthin, etwas nützen kann«.64 Er nahm seine Reise nach Finnland und Lettland persönlich noch zum Anlass, mehrere Zeitschriftenartikel meist fachlichen Inhalts zu schreiben, um sich auf diese Weise Geld für die Anschaffung von Literatur zu seinem geplanten Bauerntumsbuch zu beschaffen.65 Die erhoffte Festanstellung in Ostpreußen ließ allerdings auf sich warten. Die Konkurrenz zweier ostpreußischer Pferdezuchtgesellschaften und die deshalb angestrebte Umstrukturierung der Organisation der gesamten ostpreußischen Pferdezucht brachten es mit sich, dass für Darré trotz einer guten Beurteilung nach Ablauf seiner Volontärzeit im Dezember 1926 keine Anstellungsmöglichkeit bestand. Trotzdem gelang es ihm wegen seiner erfolgreichen Finnlandreise, die auch dazu gedient hatte, dort die Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte zu studieren, bei der 62 Darrés Bf. aus Helsinki v. 6.8.1926 (ebd.), in dem er in Zukunftsplänen geradezu schwelgte. Weiterhin  : Darré an seine Frau, 9. und 22.8.1926 sowie Lebenslauf Darrés v. 31.12.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1176 f. und 1236). Es geht wohl etwas zu weit, wenn Darrés NS-Biograph, Reischle, mit dem Pathos der damaligen Zeit dazu feststellte  : »… einer Offenbarung gleich wurde ihm die schicksalhafte Bedeutung dieses Ostraums für das Deutschtum bewusst.« Doch erscheint die folgende Feststellung durchaus glaubwürdig  : »Hier trat die entscheidende innere Wendung ein, die den im wirtschaftlichen Sinne erzogenen Überseer zum bewussten Bejaher und entschlossenen Vorkämpfer für den Ostraumgedanken formte.« (Reischle, 1935, 31). 63 Darré an seine Eltern, 9.8.1926 (StAG, NLD, Nr. 52, 112, Familienchronik) und Darré an seine Frau, 9. und 22.8.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 6). Vgl. auch Darré, Bauerntum, 1929, 222. 64 IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1176 f. 65 Darré an seine Frau, 26.12.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1224) und an seine Eltern, 26.11.1926 (StAG, NLD, Nr. 52, 494, Familienchronik).

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Landwirtschaftskammer in Königsberg in der Exportabteilung zwischenzeitlich unterzukommen.66 Doch auch dies war nur eine Wartestellung ohne feste Bindungen und adäquates Gehalt. Ende Juni 1927 trat Darré seine zweite Finnlandreise an, um im Auftrage des Reichs- und Preußischen Landwirtschaftsministeriums die finnische Tierzuchtausstellung in Lahti zu besuchen. Seine bisher erfolgreiche Tätigkeit, seine Fachaufsätze67, die Protektion durch Herrn von Schwerin sowie die Initiative von und positive Beurteilung durch Professor Metzger verhalfen Darré zu diesem außergewöhnlichen Auftrag. Doch musste er ein weiteres Jahr warten, bis es ihm gelang, endgültig angestellt zu werden.68 Darré nutzte diese Zeit 1927/28 dazu, zeitweise in Wiesbaden, an seinem Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse weiterzuarbeiten, was − wie noch zu zeigen sein wird − in engem Kontakt mit dem »Nordischen Ring« geschah, dem er im Januar 1927 beigetreten war. Das Buch erschien im Frühjahr 1929 im Münchener J. F. Lehmanns Verlag. Nachdem im April 1928 die Verhandlungen zwischen der Ostpreußischen Landwirtschaftskammer, dem Preußischen Landwirtschaftsministerium, dem Reichsernährungsministerium und dem Auswärtigen Amt über eine Verwendung Darrés in das entscheidende Stadium getreten waren, wurde am 12. Oktober 1928 der Anstellungsvertrag abgeschlossen, der Darré ab 1. November mit der Wahrnehmung der Interessen der ostpreußischen Landwirtschaft in den nordöstlichen Randstaaten betraute und gleichzeitig »die gelegentliche Erteilung eines Reichsauftrages« vorsah. Daher unterstand er bei seinen Aufenthalten in den baltischen »Randstaaten« dem jeweiligen deutschen Gesandten, d. h. dem Auswärtigen Amt. Sein Gehalt wurde aus Reichsund preußischen Staatsmitteln im Rahmen der »Osthilfe« aufgebracht und von der ostpreußischen Landwirtschaftskammer ausgezahlt.69 Ursprünglich war beabsichtigt, 66 Neben der »Ostpreußischen Stutbuchgesellschaft für Warmblut Trakehner Abstammung«, bei der Darré beschäftigt war, gab es noch eine »Ostpreußische Züchtervereinigung zur Förderung der Warmblutzucht Trakehner Abstammung«. Zeugnis der Ostpreuß. Stutbuchges. v. 1. 12. 1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1215). Darré an seinen Vater, 24.10.1926 (StAG, NLD, Nr. 52, 370, Familienchronik). Hierbei hatte ihm wieder eine Referenz von Reichslandwirtschaftsrat von Schwerin bei dem Präsidenten der Ostpreuß. Landwirtschaftskammer, Dr. Brandes, geholfen (Schwerin an Darré, 13. 11. 1926 [ebd., Nr. 82]). 67 Sie wurden 1926 und 1927 in den Zeitschriften Deutsche Landwirtschaftliche Tierzucht und Georgine. Amtsblatt der Landwirtschaftskammer Königsberg sowie Ostpreußische Landwirtschaftszeitung veröffentlicht. Kleinere Artikel in Die deutsche Feldartillerie ( Jg. 1, Nr. 2 und 3  ; Jg. 2, Nr. 1), Die leichte Artillerie ( Jg. 4, Nr. 7, 8, 10 und 11) kamen hinzu. Vgl. auch StAG, NLD, Nr. 149–154. 68 Vgl. Darrés Brandbrief an Professor Metzger v. 5.5.1927, in dem er u. a. darauf hinweist, er könne seinem Vater nicht mehr plausibel machen, dass er immer noch finanzielle Unterstützung benötige (StAG, NLD, Nr. 83a). Darré an seine Frau, 13.3.1927 (ebd., Nr. 437a). Darré an den Direktor der Dt. Kolonialschule Witzenhausen, Dr. Arning, 4.2.1930, und Entwurf Darrés für einen Bf. an Professor Metzger v. 16.5.1927 (ebd.). 69 Bf. v. Ministerialrat Dr. Köhler (Reichsernährungsministerium) an den Direktor der LK für die Provinz Ostpreußen, Fink, v. 14.4.1928 (StAG, NLD, Nr. 83a und die Zusammenstellung einschlägiger Akten

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Darré als Assistenten des landwirtschaftlichen Sachverständigen des Reiches in den nordischen Ländern, Professor Metzger, nach Riga zu schicken, um größere Einflussmöglichkeiten im Baltikum zu erzielen. Doch erwies sich dieser Plan im Hinblick auf das Verhältnis dieser Randstaaten zum Deutschen Reich als außenpolitisch nicht opportun, weshalb die Landwirtschaftskammer in Königsberg Darré offiziell unter Vertrag nahm, um der ostpreußischen Landwirtschaft Absatzmöglichkeiten im Baltikum zu erschließen. Der »Volkstumskampf« im Osten, als dessen Teil Darré sich verstand, war damals eine heikle Angelegenheit.70 Das Baltikum – Estland, Livland, Kurland und Litauen – sowie Finnland hatten bis 1914 zum russischen Zarenreich gehört. Sie standen in ihrer neueren Geschichte immer unter dem Expansionsdruck ihrer Nachbarn Russland, Polen und Deutschland. Im Gefolge des Weltkrieges, des deutsch- russischen Friedens von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 und der Russischen Revolution waren  – neben der finnischen Republik  – drei selbstständige republikanisch-parlamentarische Nationalstaaten entstanden  : Estland, Lettland und Litauen. Das gespannte Verhältnis zu ihren Nachbarn blieb weiterhin erhalten, denn Litauen musste sich gegen Gebietsansprüche des sich ebenfalls neu konstituierenden polnischen Staates zur Wehr setzen. Und die während der deutschen Besetzung im Krieg gestärkten Deutschbalten strebten einen in der Tradition des alten Ordensstaates stehenden baltischen Gesamtstaat an. Durch den Versailler Friedensvertrag waren Ostpreußen und das Gebiet um Memel durch den »polnischen Korridor« vom Reich getrennt worden, was damals allgemein in Deutschland als Demütigung empfunden wurde.71 In diesem Kontext verstand Darré seine berufliche Tätigkeit in Königsberg als nationale Aufgabe bzw. er fühlte sich an der Front des deutschen Volkstumskampfes im Nordosten Europas. Aber die Selbstständigkeit der baltischen Staaten und die Realisierung ihres nationalen Selbstbestimmungsrechtes beruhten auf ausbalancierten deutschen, russischen und polnischen Interessen. In der Weimarer Republik waren daher Außenwirtschaftspolitik und Deutschtumspolitik eng miteinander verwoben. Ziel war es, Kultur und Besitzstand der deutschen Volksgruppen im Baltikum zu stärken, ohne die nationalen Kreise in den Ländern zu verprellen. So war 1924 die größte deutschsprachige Tageszeitung in der Region, die Rigaer Rundschau, in den Besitz nur einer deutschen Tarnfirma zu bringen. Auch Handelsinteressen und Minderheitenpolitik waren eng miteinander verzahnt. Auf diesem schwierigen diplomatischen Parkett und Briefe ebd., Nr. 89 und Nr. 437a). Vgl. auch IfZ-München, NLD, 16 sowie den Bericht des Preuß. Landwirtschaftsministeriums, Abt. I, über das Rechnungsjahr 1929 v. 2.11.1929, Anlage 2 zum »Fall Riga«, einer Untersuchung, die von Darrés späterem Mitarbeiter, Dr. Merkel, aus den Akten des AA und des Preuß. Landwirtschaftsministeriums im Dezember 1939 durchgeführt wurde (BA-Koblenz, NLD, AD 46). 70 Lebenslauf Darrés v. 31.12.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1215 ff. und StAG, NLD, Nr. 437a), Bf. Metzgers an Darré v. 25.2.1927 (ebd., Nr. 82). 71 Vgl. Garleff, 2001.

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musste sich also jeder, der deutsche wirtschaftliche oder gar politische Interessen verfolgte, sehr vorsichtig bewegen. So sah sich Darré als »geheimer Beauftragter Deutschlands […], um die wirtschaftlichen Fäden zwischen der baltischen und ostpreußischen Landwirtschaft zu knüpfen«, was gleichzeitig bedeute, »die baltischen Randstaaten wirtschaftlich an Deutschland heranzuführen.« Tatsächlich war es die Hauptaufgabe Darrés, die Not der ostpreußischen Landwirtschaft durch die Erschließung neuer Absatzmärkte etwas zu mildern, weswegen sich ganz besonders die Ein- und Ausfuhrgesellschaft »Außenost« bei der Landwirtschaftskammer in Königsberg für seine Entsendung nach Riga eingesetzt hatte.72 Im Vordergrund von Darrés Tätigkeit in Riga standen dementsprechend Saatgut­ käufe, die das lettische Landwirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der ostpreußischen Landwirtschaftskammer betrieb. Hierbei geriet er in eine schwierige Lage insofern, als einerseits das lettische Ministerium von der deutschfeindlichen Opposition wegen dieser Geschäfte angegriffen wurde, andererseits »Außenost« Getreide lieferte, das nicht bestellt und noch dazu von schlechter Qualität war. Nach einer Aufsehen erregenden lettischen Pressekampagne brach das sich anbahnende Saatgutgeschäft zusammen.73 Es gelang danach der Geschäftsleitung von »Außenost«, vor der Landwirtschaftskammer Königsberg die gesamte Verantwortung für das Misslingen der Aktion Darré aufzubürden. Dieser hatte sich tatsächlich von der »Außenost«-Gesellschaft distanziert und mit der deutschen Gesandtschaft in Riga im Rücken heftige Kritik an deren Geschäftsmethoden geübt. Aus Anlass all dieser Vorkommnisse fand am 15. Mai 1929 in Berlin im Preußischen Landwirtschaftsministerium in der Wilhelmstraße eine Besprechung statt, an der Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Reichsernährungsministeriums und der Landwirtschaftskammer Königsberg teilnahmen. Das Ergebnis kam einem Pyrrhussieg Darrés gleich. Als Gründe für den geschäftlichen Fehlschlag wurden angeführt  : die kaufmännische Unzulänglichkeit des Leiters von »Außenost«, dessen Versuche, eine Gerstensorte zu liefern, die vertraglich nicht vereinbart war, und schließlich die heikle Stellung, in der sich Darré einmal als Angestellter der Ostpreußischen Landwirtschaftskammer und zum anderen als Untergebener der deutschen Gesandtschaft in Riga befand. Gestützt durch sein enges Verhältnis zu Professor Metzger und der deutschen Gesandtschaft in Riga hatte sich Darré nicht bemüht, die Fehler der »Außenost«-Gesellschaft und damit der Landwirtschaftskammer, seiner vertraglich vorgesetzten Behörde, auszugleichen. Im Gegenteil  : Seine 72 Darré an seine Frau, 19.11.1928 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1351 f.). Außerdem  : »Fall Riga« (BAKoblenz, NLD, AD 46) und StAG, NLD, Nr. 53, 110, Familienchronik. 73 »Fall Riga« (ebd.)  ; Rigaer Rundschau v. 25.4.1929 und die Berichte Darrés an seine Frau v. 17.1., 31.3., 25.4. und 3.5.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 3, 477 ff. und Bd. 10, 1389a, 1444 ff. und 1470 ff.)  ; vgl. dazu auch die einschlägige Korrespondenz Darrés in  : StAG, NLD, Nr. 158a–c.

Elternhaus, Ausbildung und erste berufliche Misserfolge

scharfen Angriffe gegen die Geschäftsführung von »Außenost« machten eine weitere Zusammenarbeit unmöglich. Am 30. Mai 1929 wurde das Vertragsverhältnis zwischen der Landwirtschaftskammer Königsberg und Darré gelöst, doch sein Ausscheiden bis zur Klärung der Frage einer Weiterverwendung im landwirtschaftlichen Auslandsdienst bis zum 31. Dezember 1929 ausgesetzt, weil ihm fachlich nichts vorzuwerfen war. Er musste Riga verlassen und wurde in den Urlaub geschickt, sein Anstellungsvertrag dann aber zum 1. Januar 1930 offiziell aufgehoben.74 In dieser Zeit der Beurlaubung war eine Stelle als landwirtschaftlicher Sachverständiger in Dänemark kurze Zeit im Gespräch, schließlich wollte man ihn sogar in Ecuador beschäftigen. Doch auch dieser Hoffnungsschimmer verflog bald. Nach nur drei Jahren in Ostpreußen und im Baltikum stand Darré beruflich wieder vor dem Nichts. Seine Hoffnung, als landwirtschaftlicher Sachverständiger (Attaché) bei der Deutschen Gesandtschaft in Riga in den Auswärtigen Dienst zu gelangen, hatte sich endgültig zerschlagen. Es wurde Darré immer klarer, dass in Berlin, insbesondere in der sozialdemokratischen preußischen Regierung, an dem Autor des alldeutsch-völkischen J. F. Lehmanns Verlages kein Interesse mehr bestand  : Er hatte sich offenbar mit seiner publizistischen Arbeit zu eindeutig exponiert.75 Aus der erträumten beruflichen Verbindung von Landwirtschaft und Diplomatie war Ende des Jahres 1929 ebenso wenig geworden wie aus der Hoffnung Darrés, im Osten einmal seine »Lebensmission erfüllen« zu können. Eine Anstellung in Riga oder Reval war unmöglich geworden, ohne die Gefühle nationaler Selbstbestimmung der baltischen Staaten zu verletzen. Durch das ungeschickte Verhalten der mit staatlichen Mitteln operierenden »Außenost«-Gesellschaft in der Affäre um Saatgutlieferungen nach Lettland war dem Ansehen Deutschlands im Baltikum Schaden zugefügt worden. Grenzenlose Enttäuschung Darrés war die Folge. »Man hat seine Arbeit zur Zufriedenheit der maßgeblichen Behörden getan, hatte sich in eine neue Tätigkeit eingearbeitet und hoffte endlich beruflich in ein bestimmtes Geleise zu kommen. Und nun  ? Für nichts und wieder nichts« – war sein Fazit.76 74 Vgl. Darrés eigene Schilderung in seinem Lebenslauf v. 31.12.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1215 ff.) und Zeugnis des Präsidenten der LK Königsberg, Dr. Brandes, vom 31.12.1929 (StAG, NLD, Nr. 158a) sowie die einschlägige Korrespondenz ebd., Bde. 158a–c. Darrés Erfahrungen spielten 1931 noch eine Rolle, als er im LK-Wahlkampf von LK- und DLR-Präsident Brandes wegen Verleumdung verklagt worden war (Georgine, 16.10.1931  ; Preußische Zeitung, 17./18.10 1931 und NSL, 8.11.1931, ebd., Nr. 158 c). 75 Darré an seine Frau, 21.7.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1514 f.) und an seinen Verleger Lehmann, 7.8. und 3.12.1929 (StAG, NLD, Nr. 437a) sowie Nr. 53, 110, Familienchronik, ebd. Außerdem  : Darré an das Vorstandsmitglied der Deutschen Tageszeitung, Frhr. von Wangenheim, 12.8. und 3.12.1929 (StAG, NLD, Nr. 95 und Nr. 128). Am 1.12.1929 hatte Darré an das Preuß. Landwirtschaftsministerium ein formales Gesuch wegen der Stelle eines Landw. Sachverständigen in Ecuador gerichtet, doch am 4.2.1930 sprach er in einem Bf. an Dr. Arning (ebd., Nr. 85 u. Nr. 160) davon, kein Interesse an dieser Position zu haben. 76 Am 21.7. und 22.8.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1514 ff. und StAG, NLD, Nr. 160).

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In der Tat hatte Darré sich mit enormer Betriebsamkeit in die Arbeit gestürzt, was nicht zuletzt mit seiner prekären Familiensituation und dem dauernden Drängen aus Wiesbaden zu tun hatte, nun endlich eine gesicherte berufliche Perspektive zu erlangen. In außergewöhnlicher Regsamkeit bombardierte er in dieser Zeit die unterschiedlichsten Adressaten, darunter auch Rechtsanwalt Dr. Edgar Jung, Autor des Buches Die Herrschaft der Minderwertigen, mit Briefen und Eingaben, in denen er – mehr oder weniger offen – seine Lage schilderte und um Unterstützung und Empfehlung nachsuchte. Seine Aktivitäten machen den Eindruck, als wolle er es allen recht machen – was natürlich das Gegenteil bewirkte, zumal er seinen Gegenspielern in Königsberg und Berlin im Intrigieren hoffnungslos unterlegen war. Große Sorge hätte Darré auch machen müssen, dass er sich mit der einflussreichen Landwirtschaftskammer Königsberg eine der wichtigsten Institutionen seines Berufsstandes zum Feind gemacht hatte. Später, bei den Landwirtschaftskammerwahlen Ende 1931, nutzte Darré – nun als Funktionär der NSDAP – seine Erfahrungen 1928/29 in Ostpreußen agitatorisch aus, was ihm Beleidigungsprozesse von Kammerdirektor Fink und Kammerpräsident Brandes eintrug. Doch am schwersten traf ihn, dass die »nationale Rechte«, zu der Dr. Brandes, der auch überregional einflussreiche Präsident der Landwirtschaftskammer Königsberg, gehörte, sich – aus Darrés Sicht – durch eigene Unfähigkeit eine Gelegenheit habe entgehen lassen, »völkische« Politik im Baltikum zu betreiben. Sozialdemokraten hatten ihm nach seiner Auffassung in Berlin das Konzept verdorben, Deutschnationale in Königsberg. Es wundert nicht, dass Darré nun nicht nur ideologisch, sondern auch beruflich alle Hoffnungen auf die Nationalsozialisten setzte.77

77 Am 21.7.1929 schrieb Darré an seine Frau  : »Wahrlich, es ist höchste Zeit, daß diese sogenannte ›natio­ nale Rechte‹ im ›Stahlhelm‹ und mit dem Fridericus Rex Marsch ins Museum abwandert. Ordentlich wohltuend ist es zu hören, daß in Heidelberg die Studentenwahlen den Nationalsozialisten von bisher 0 Sitzen zu 10 verholfen haben.« (IFZ-München, NLD, Bd. 10, 1514 und StAG, NLD, Nr. 160) Schon bei seiner Anstellung in Riga habe es »sozialdemokratische Widerstände« gegeben, »die sich natürlich nicht gegen meine Person richten, aber wohl gegen mich als Exponent der preuß. Landwirtschaft.« (StAG, NLD, Nr. 53, Familienchronik, 110) Vgl. auch Darré an Lehmann, 2.10.1929 (ebd., Nr. 437).

2 Politische und weltanschauliche Bewusstseinsbildung

Gleichzeitig mit dem Studium in Halle 1922 begann in Darrés geistiger Entwicklung ein Lebensabschnitt, in dem sich bei ihm das herausbildete, was man damals »völkische Weltanschauung« nannte. Dieser geistige Entwicklungsprozess mündete bei ihm, relativ unabhängig vom Nationalsozialismus, eben in dessen Ideenwelt. Dabei lässt sich erkennen, dass der Nationalsozialismus, bei dem Darré schließlich und folgerichtig landete, kein ›Fremdkörper‹ in der deutschen Geschichte war, sondern tief in den nationalkonservativen und »völkischen« Traditionen des Kaiserreichs wurzelte. Der Erste Weltkrieg als Formationsphase und Abnabelung vom Elternhaus Am Anfang von Darrés Weg in die Politik standen zweifellos die Eindrücke des Ersten Weltkrieges. Von dieser »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«, wie der US-amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan treffend bemerkt hat, nahmen alle folgenden Katastrophen ihren Anfang. Der Erste Weltkrieg führte nicht nur zu einer völligen Veränderung Deutschlands und Europas, er war auch eine »Selbstentmachtung des alten Kontinents« (Klaus Hildebrand). Immerhin hinterließ dieser Krieg in vier Jahren etwa 17 Millionen Tote, etwa zehn Millionen Soldaten und etwa sieben Millionen Zivilisten. Einen solchen Massentod hatte es bis dahin in einem Krieg noch nicht gegeben. 70 Millionen Menschen in 40 Staaten standen unter Waffen. Allein in Deutschland gab es nach 1918 vier Millionen Verwundete und dauerhaft Versehrte. In Berlin und allen 24 deutschen Bundesstaaten, aber auch in Wien wurden die Monarchen vom Thron gestürzt. Der habsburgische Vielvölkerstaat löste sich auf, in Moskau kamen die Bolschewisten an die Macht. Die Sowjetunion und die USA machten sich auf den Weg, Weltmächte zu werden. Der Niedergang des Liberalismus und der bürgerlich dominierten Gesellschaft manifestierte sich in den Totalitarismen des »roten« Kommunismus und des »braunen« Faschismus bzw. Nationalsozialismus.78 Wolfgang J. Mommsen hat im Zusammenhang mit dem »Bürgerkrieg« zwischen »links« und »rechts«, der aus dem Ersten Weltkrieg erwuchs, in Abwandlung von Kennans Diktum von der »Urkatastrophe Deutschlands« gesprochen. Im Bewusstsein der Generation, die durch die direkten und indirekten Erfahrungen des ersten »totalen« und »industriell« geführten Krieges Europas geprägt wurde, blieben politische Desillusionierung und das Trauma der Materialschlachten an der Westfront zurück.79 In 78 Kennan, zit. n. Winkler, 2002, 332  ; K. Hildebrand, 2008  ; Schulin, 1994, 3 ff. und Machtan, 2008. 79 Der Maler Franz Marc sprach schon im November 1914 in seinem Essay »Das geheime Europa« von einem »europäischen Bürgerkrieg«. Der Begriff wurde von Ernst Nolte, 1987 aufgegriffen und in grö-

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Deutschland wurden mehr als 13 Millionen Männer eingezogen. Fast alle mussten Front­erfahrungen machen, wobei die Hälfte von ihnen verwundet oder getötet wurde. Zu Ersteren gehörte auch Darré, der sich im ›Mobilmachungstaumel‹ im Sommer 1914 wie weitere 300.000 junge Männer als »Kriegsfreiwilliger« bei den Musterungsbehörden des Militärs meldete. Fast 165 Millionen Reichsmark lieh sich das kaiserliche Regime bei seinen Bürgern, Geld, das nach der Währungsreform 1923 fast völlig wertlos geworden war.80 Das blieb nicht ohne Folgen für Darrés Ausbildung, die ja von seinem Vater zu finanzieren war. Der Erste Weltkrieg wurde für die Zeitgenossen Darrés zu einem Schlüsselerlebnis. Er war nicht nur ein großer europäischer Erschöpfungskrieg, sondern prägte auch das Weltbild und die geistige Entwicklung einer ganzen Generation durch die erste totale Mobilmachung der Menschen, der Technik und der Wirtschaft.81 Auch der Friedensvertrag von Versailles, der in Deutschland allgemein als Ungerechtigkeit und »Schande« erlebt wurde, hatte einen wesentlichen Anteil am Erfolg rechtsradikalen Denkens und Verhaltens. In einer »Entschließung« vom 15. Mai 1919 stellte z. B. die Gemeindevertretung von Berlin-Lichterfelde fest, der Vertrag sei »geeignet, den Völkerhass zu verewigen und den Keim zu künftigen Kriegen zu legen«.82 Deutschland verlor im Westen Elsass-Lothringen, im Osten Posen und den größten Teil Westpreußens sowie Oberschlesien – insgesamt ein Siebtel seines Staatsgebietes. Das wurde vor dem Hintergrund wilhelminischer »Weltpolitik« und der maßlosen Kriegsziele der Alldeutschen als »Amputation« und Verletzung des vom US-amerikanischen Präsidenten Wilson zugesicherten Selbstbestimmungsrechts der Völker verstanden, zumal Volksabstimmungen in den Randgebieten Eupen-Malmedy, Nordschleswig sowie dem Saargebiet nur widerwillig zugestanden und später halbherzig durchgeführt wurden. Ein eventueller Beitritt Österreichs zum Deutschen Reich war mit Verbot belegt. Ostpreußen wurde vom übrigen Deutschland abgetrennt und war nur durch einen Korridor im neu entstandenen Polen erreichbar, ebenso die Freie Stadt Danzig, die dem hilflosen Völkerbund unterstellt wurde. Das Rheinland  – und auch Wiesbaden, wo Darrés Eltern und seine Frau mit ihrer Familie wohnten – wurde von französischen ßere ideengeschichtliche Zusammenhänge gestellt. Der italienisch-französische Historiker Enzo Traverso, 2008 kommt aber aus einer völlig anderen, mehr an den Fakten und Strukturen orientierten Beschäftigung mit diesem Zivilisationsbruch zu ähnlichen Ergebnissen. Vgl. im Übrigen  : W. J. Mommsen, 2002, der am »Augusterlebnis« als Massenphänomen weiterhin festhält  ; Salewski, 2004  ; Hirschfeld/ Jersak, 2004 und Stevenson, 2006. 80 Wehler, 2003, 4 und 102 ff. 81 P. Nolte, 1996, 281 ff. und Reulecke, 2000, 26 ff. 82 Zit. n. Erika Reinhold, Lichterfelde. Im Schatten der Weltkriege. Berlin 2007, 16. Selbst der so l­iberal denkende damalige Journalist Theodor Heuss war der Meinung, der französische Premierminister Clemen­ceau nutze »Deutschlands gegenwärtige Ohnmacht zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen und moralischen Existenz aus.« Die Versailler Friedensbedingungen seien »selber ein Stück Krieg, letzter furchtbarer Schlag, moralisch ein Bruch des Waffenstillstandes.« Heuss 1919 in Deutsche Politik, zit. n. Lönne, 2002, 114.

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Truppen besetzt, entmilitarisiert und galt als Pufferzone bzw. Pfand im Hinblick auf die Deutschland auferlegten Reparationen. Für Darré besonders bedrohlich war der Verlust aller Kolonien, hatte er doch dort seine berufliche Zukunft gesehen. Da Deutschland zu den Verhandlungen der Friedensbedingungen im Mai/Juni 1919 nicht zugelassen worden war, wurden die Vertragsbedingungen als ein »Diktat« empfunden, an das man sich nicht gebunden fühlte und das schleunigst zu revidieren sei. Angesichts der desolaten Ernährungslage und der militärischen Ohnmacht Deutschlands sprach man einhellig von »Erpressung«. Das von SPD, DDP und Zentrum geführte Kabinett Scheidemann fand die Vertragsbedingungen »unannehmbar« und trat zurück – der sozialdemokratische Reichskanzler erklärte sogar, dass »die Hand, die einen solchen Vertrag unterzeichne, verdorren« müsse. Die Nachfolgeregierung, die nur noch von den vorbehaltlos die parlamentarische Republik unterstützenden Sozialdemokraten und dem Zentrum unterstützt wurde, erhielt den Auftrag, wenigstens einen Vorbehalt zu den »Ehrenpunkten« des Vertrages (Kriegsschuld und Zulassung zum Völkerbund) bei den Alliierten durchzusetzen. Als dies abgelehnt wurde und das Reich durch alliierte Truppen in Einzelteile zerlegt zu werden drohte, erhielt die Regierung vom Reichstag nur mit 237 zu 138 Stimmen die Vollmacht zur Unterzeichnung des Vertragswerkes.83 Der Versailler Vertrag und die anderen Pariser Vorortverträge wurden in Deutschland als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verstanden. 440 Artikel der Deutschland betreffenden Vereinbarungen legten kleinste Einzelheiten fest  : Wie viele und welcher Art Pferde an Frankreich oder Belgien abzuliefern seien  ; wie und womit die Stationierungskosten in den besetzen Gebieten am Rhein zu finanzieren seien  ; wie und welche materiellen Reparationsleistungen wann zu erbringen seien usw. usw. 27 Staaten waren versammelt, auch solche, die gar nicht am Krieg teilgenommen hatten, nun aber eine Gelegenheit sahen, irgendeine noch offene Rechnung mit Deutschland zu begleichen oder sonstige Vorteile zu erlangen. All das wurde aus Art. 231 abgeleitet, in dem Deutschland als »Urheber aller Verluste und aller Schäden verantwortlich« gemacht wurde, welche die Alliierten in dem »ihnen aufgezwungenen Krieg erlitten« hatten. Am 28. Juni 1919 wurde der Vertrag in jenem Spiegelsaal des Versailler Schlosses unterzeichnet, in dem bei der Neugründung des Deutschen Kaiserreichs vor fast 50 Jahren die Franzosen gedemütigt worden waren. Auch dass ebendieses kaiserliche Deutschland den Russen vor eben mal einem Jahr in Brest-Litowsk einen Gewaltbzw. Siegfrieden diktiert hatte, spielte in der öffentlichen Diskussion in Deutschland damals keine Rolle. Im Gegenteil, es galt von Anfang an als Konsens, alles daranzusetzen, die »Fesseln von Versailles« so bald wie möglich abzuschütteln. Eine selbstkri83 Zur kontroversen Diskussion um die »Kriegsschuldfrage« auch in der Historiographie vgl. C. Clark, 2013, der die deutsche Mitverantwortung am Zustandekommen des Krieges wieder etwas relativiert, sowie Leonhard, 2014.

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tische Auseinandersetzung mit der Frage der Kriegsschuld fand nicht statt. Vielmehr wurde als besonders schmählich und beleidigend der »Kriegsschuldparagraph« 231 empfunden, der Deutschland als Aggressor brandmarkte und für alle Kriegsschäden verantwortlich machte. Die Summe der materiellen und finanziellen Reparationen wurde bewusst offen gelassen. Im Mai 1921 beschloss der Reichstag, dass Reparationsleistungen ohne Wenn und Aber zu leisten seien. Das Kalkül, diese Leistungen seien sowieso nicht leistbar, wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Von nun an galten diejenigen, die dem Versailler Vertrag und diesem Reichstagsbeschluss zugestimmt hatten, als »Erfüllungspolitiker«.84 Nicht nur in Deutschland wurde die kurzsichtige europäische ›Flurbereinigung‹ der Sieger kritisiert. Die Politik, die vor allem durch das Revanche- und Sicherheitsbedürfnis Frankreichs bestimmt wurde und die den weiteren Weg Europas in das Katastrophenjahrhundert ebnete, wurde von »links«, den Sozialdemokraten, bis »rechts«, den Deutschnationalen, empört abgelehnt.85 Auch im nichtfranzösischen Ausland ließen sich kritische Stimmen vernehmen. Churchill bezeichnete das Pariser Vertragswerk als »Apotheose des Nationalismus« und John Maynard Keynes, der selbst zeitweilig an den Verhandlungen als englischer Wirtschaftsexperte teilgenommen hatte, kennzeichnete den Vertrag als »ohne Adel, ohne Sittlichkeit, ohne Vernunft«.86 In einer Atmosphäre von Hass und Feindschaft wurde von deutschen Konservativen selbst das »System von Weimar«, die parlamentarisch-demokratische und republikanische Staatsform, als Produkt der Niederlage und »Siegerimport« diffamiert. Für die politische Karriere des Mannes, der als Sieger aus der innenpolitischen Destabilisierung und schließlichen Staatskrise der Weimarer Republik hervorging, Adolf Hitler, war das Trauma des verlorenen Krieges und des Versailler Friedens Voraussetzung und Bedingung seines späteren Erfolges. Auch Darrés politischer Werdegang ist nicht ohne seine Kriegserlebnisse, die französische Besetzung Wiesbadens und die aufgewühlten Debatten um Kriegsschuld und Friedensvertrag zu verstehen. Diese Erfahrungen wirkten – wie bei vielen Menschen seiner Generation – über das unmittelbare Erleben hinaus im Alltag der Nachkriegszeit fort. Darré war als junger Mann, der aus 84 Vgl. u. a. Chickering, 2002  ; Schwabe, 1997  ; U. Heinemann, 1983  ; Krumeich, 2001  ; Duppler/ Gross, 1978  ; Haffner, 1978, 81 ff.; Kolb, 1993, 34 f.; Winkler, 2002, Bd.I, 378 ff. sowie Dülffer/ Krumeich, 2002. 85 Stellvertretend für viele sei hier der durchaus politisch zurückhaltende Jenaer Historiker Alexander Cartellieri genannt, der vom »schlimmsten Betrug« sprach, »den die Weltgeschichte kennt« (zit. n. Matthias Steinbach, Des Königs Biograph  : Alexander Cartellieri (1867–1955), Frankfurt/M. 2001, 170). Und Hjalmar Schacht (1928, 26), späterer Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister, nannte den Vertrag »ein Muster ausgeklügelter Maßnahmen, um die Wirtschaft Deutschlands zu zerstören.« Der Politikwissenschaftler Ferdinand Friedensburg (Die Weimarer Republik. Hannover 1957, 82) wies darauf hin, man habe »den Fehler eines solchen Versuchs anschaulich mit der Torheit verglichen, von einer Kuh gleichzeitig Fleisch und Milch haben zu wollen.« 86 Churchill, der spätere britische Premierminister (zit. n. Peter Alter, Churchill. Stuttgart 2006, 233) und Keynes, 1956, 75.

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dem ungeliebten Schulleben geflohen war und gerade mit einer aussichtsreichen Berufslaufbahn begonnen hatte, mit 19 Jahren in den Krieg gezogen. Unmittelbar nach der Heimkehr 1918 machte er sich völlig frei von Einflüssen aus dem bürgerlichliberalen Elternhaus. Bei den Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 entschied er sich für die DVP, während die Eltern die DDP wählten. 87 Bald stellten sich erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn über politische Fragen ein. Darrés Lektüre der Tirpitz’schen Erinnerungen, die er als »das klarste und sachlichste Buch aller Erinnerungen, die ich bisher gelesen habe«, bezeichnete und die ihm Gelegenheit geboten hätten, »die ganze Haltlosigkeit Kaiser Wilhelms II. und Bethmanns kennen zu lernen«, zeigte ihm mit aller Deutlichkeit die verschiedenen Standpunkte.88 Der Vater, ein passionierter Leser der liberalen Frankfurter Zeitung, die er auch dem Sohn regelmäßig ins Feld geschickt hatte, wurde nun darauf hingewiesen  : »Leider hat ja eine gewisse Presse unter Führung der Frankfurter Zeitung es verstanden, das Buch schon vor seinem Erscheinen in Misskredit zu bringen.«89 Der zum radikalen Alldeutschtum neigende Sohn und der in demokratisch-bürgerlichen Traditionen verwurzelte Vater fanden keine gemeinsame Grundlage mehr für politische Gespräche. Am 8. März 1920 schrieb der Sohn aus Witzenhausen, er wolle zukünftig lieber politische Themen meiden  : »Wir haben beide derart verschiedene politische Grundanschauungen, daß nur zu leicht unsere beiderseitigen Gegensätze sich verschärfen dürften.«90 Aber er machte in seinen Briefen nach Hause trotzdem aus seinen Erfahrungen und politischen Ansichten weiterhin kein Hehl. Immerhin wurde Darré im Hinblick auf die Atmosphäre in seinem Elternhaus auf jenen gesellschaftspolitischen Umschichtungsprozess aufmerksam, in dem das Bürgertum in seiner Stellung und seinem bestimmenden Einfluss in Staat und Gesellschaft von der Arbeiterschaft überflügelt wurde. Der angeblich provinzielle Dämmerschlaf des Bürgertums  − oder war es dekadentes Unvermögen  ?, fragte Darré  − und mehr noch die aufstrebende sozialistische Bewegung, das waren die Themen seiner Briefe an 87 Tagebuch Darrés 1918–1920 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 21 ff.). Vgl. auch U. Heinemann, 1987, 371 ff. 88 Er warf ihnen »verbrecherische Leichtsinnigkeit« vor bei ihrer Vorbereitung Deutschlands auf den Krieg 1914 (Bf. an seinen Vater v. 1.3.1920, StAG, NLD, Nr. 41, Familienchronik, 286). 89 Ebd. Am 25.11.1926 schrieb er sogar recht drastisch an seine Schwiegereltern  : »Es mag Gefühls- oder Geschmackssache sein, ob man sich durch eine organisierte jüdische Clique sein Deutschtum täglich durch den Cacao ziehen läßt  ; aber es ist mir rein sachlich und inhaltlich unverständlich, wie man als gebildeter Deutscher die Frankfurter Zeitung überhaupt lesen kann.« (ebd., Nr. 82) Darrés Abneigung gegenüber der »jüdischen Presse« (»leider sind es fast 90 %«), zu der er 1923 u. a. die Frankfurter Zeitung, die Vossische Zeitung, das Berliner Tageblatt und den Vorwärts zählte, ist bei ihm notorisch (Darré an seine Frau, 14.7. und 6.11.1923, IfZ-München, NLD, Bd. 8, 847 ff. und 893). 90 StAG, NLD, Nr. 41, Familienchronik, 300. Darrés Interesse für politische Tagesfragen und sein Mitteilungsbedürfnis schoben diesen Vorsatz bald wieder beiseite. Erst als auch der Vater ihm 1925 eine endgültige Absage erteilte  − »über Politik zu debattieren, hat keinen Zweck, ich habe darüber ganz andere Ansichten« −, stellte der Sohn seine kommentierenden Berichte nach Hause ein (Bf. d. Vaters v. 3.12.1925, ebd., Nr. 50, Familienchronik, 247).

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den Vater in den ersten Jahren der Weimarer Republik. »Das deutsche Bürgertum wird in Kürze ebenso verdutzt vor dem Bolschewismus stehen, wie 1918 vor der ›glorreichen Revolution‹«, schrieb er 1925.91 Die bürgerliche Sozialismusfurcht der Kaiserzeit steigerte sich nach der russischen Oktoberrevolution und dem Versuch, in Deutschland eine »Räterepublik« zu installieren, zur Bolschewistenangst. Durch alle Kommentare und Äußerungen Darrés zu politischen Tagesfragen in den zwanziger Jahren zog sich wie ein roter Faden die Angst vor einer »Bolschewisierung« Deutschlands. Er stand den Bemühungen der Weimarer Regierungen, die sozialistische Bewegung unter Kontrolle zu halten, mit grenzenloser Skepsis gegenüber und neigte deshalb zunächst zu Selbsthilfemaßnahmen der national und »völkisch« gesinnten Kreise.92 Die hektische Atmosphäre der Saal- und Straßenschlachten zwischen »rechts« und »links« in Halle mochte hierbei ihren Eindruck nicht verfehlt haben.93 Das Jahr 1923 und Anteilnahme an der Politik in der Weimarer Republik Insbesondere im »Schicksalsjahr« 1923 (H. A. Winkler), das Sebastian Haffner als »phantastisches Jahr« erlebt hatte, sind Darrés Stellungnahmen zu politischen Tagesfragen besonders ausführlich. Er schrieb seiner Frau und seinen Eltern damals aus dem unbesetzten Halle sehr lange politische Kommentare, weil er annahm, dass sie sich im von französischen Truppen besetzten Wiesbaden »nur durch die Entente-Brille« informieren könnten.94 Damals erreichte die Krise der Weimarer Republik ihren vorläufigen Höhepunkt, standen das Experiment der parlamentarischen Demokratie und die Errungenschaften der Revolution von 1918/19 auf der Kippe. Es gab kommunistische Aufstände, rechtsradikale Putschversuche und die Reichseinheit war durch die Besetzung des Rheinlandes durch französische und belgische Truppen gefährdet. Es gab einen pfälzischen und vor allem einen rheinischen Separatismus – in Wiesbaden wurde im Oktober 1923 eine »rheinische Republik« ausgerufen. Linke Bewegungen wollten ein politisches System nach sowjetischem Muster, rechte hatten einen autoritären Staat 91 Bf. an seinen Vater v. 5.12.1925, ebd., 248. 92 Bf. an seinen Vater v. 31.3.1920, in dem er von den in einer Wehrübung gebrauchten Waffen erzählte  : »Alles in allem höchst brauchbare Sachen gegen Spartakisten […]. Ich persönlich glaube ja nicht, daß die jetzige Regierung über den Bolschewismus endgültig Herr werden wird  !« (StAG, NLD, Nr. 41, Familienchronik, 439). 93 Bf. an seinen Vater v. 13.12.1925. Er drückt darin seine Freude über das unpolitische Klima in Gießen aus, »im Gegensatz zu Halle, wo dauernd die Gefahr bestand, von den Kommunisten den Schädel eingeschlagen zu bekommen, nur weil man kein Arbeiter war.« (ebd., Nr. 50, Familienchronik, 265). 94 Wie sehr die französische Gewaltpolitik der Nachkriegszeit zur Radikalisierung insbesondere der akademischen Jugend geführt hat, zeigt u. a. Ulrich Herbert am Beispiel des führenden SS-Offiziers im Reichssicherheitshauptamt Dr. Werner Best, der – wie Darré – in Rheinhessen beheimatet war (Herbert, 1996, 66 ff.).

Politische und weltanschauliche Bewusstseinsbildung

kaiserlicher Prägung, »völkische« eine faschistische Diktatur nach italienischem Vorbild im Sinn. Eine ins Bodenlose stürzende Geldentwertung schien Deutschland endgültig in die Katastrophe zu führen und raubte einem großen Teil der Bevölkerung den Willen, sich für diese Republik, die sie quasi enteignet hatte, noch weiter zu engagieren. Von Reichskanzler Stresemann, der von August bis Ende November 1923 die Reichsregierung führte, nachdem französische Truppen mit der Begründung, das Deutsche Reich habe seine Kohle- und Holzlieferungen nicht erfüllt, das Rheinland und auch Rheinhessen einschließlich Wiesbaden besetzt hatten, hielt Darré in seinen Kommentaren zur aktuellen Politik nicht viel. Er sei – so ließ er sich altklug aus Halle vernehmen  – »mehr aus persönlichem Ehrgeiz, denn aus sachlichem Interesse« Regierungschef geworden.95 Dabei war es gerade der DVP-Politiker und Außenminister, unter dessen Führung es gelang, die Einheit des Staates zu wahren, die Währung zu sanieren, eine Militärdiktatur zu verhindern und die außenpolitische Handlungsfreiheit Deutschlands zu erweitern. Das war angesichts einer galoppierenden Inflation, in welcher der Dollar 4,2 Billionen Reichsmark ›wert‹ war, nicht einfach. Nach der Währungsreform, acht Tage bevor die Regierung Stresemann stürzte, kostete der Dollar nur noch 4,20 Rentenmark. Durch seine Fixierung auf die »bolschewistische« Alternative glaubte Darré in seiner Analyse des Hitler-Ludendorff-Putsches in München im November 1923 einen Ausweg aus der drohenden Gefahr gefunden zu haben. An der »Hitler-Bewegung« fiel ihm besonders auf, »dass […] fast die gesamte und zwar sehr ansehnliche Anhängerschar Hitlers aus − Arbeitern besteht  !« Er glaubte, dass mit dem Münchener Ereignis eine Staustufe errichtet worden sei, die der sozialistischen Bewegung den Strom der Arbeitermassen entziehe und ihn ins vertrautere »völkische« Lager ableite. Damit habe sich Hitler zwar die Feindschaft sowohl der Rechten, die bei ihrer »zugkräftigen Propaganda mit dem nationalen Gedanken« einen Rivalen erhalten habe, als auch der Linken zugezogen, die wiederum ihr Alleinvertretungsrecht bei sozialen Kämpfen dahinschwinden sehe. Darré zählte damals den linken Flügel der DVP, die DDP und sogar das Zentrum zum »linken« politischen Spektrum. »Wenn man die ganzen Ideen Hitlers von all jenem Wust reinigt, den jede neue politische Richtung erfahrungsgemäß nun einmal an sich hat«, so habe man, stellte Darré fest, die politische Bedeutung der »Hitler-Bewegung« darin zu sehen, dass hier der Versuch gemacht werde, »den ganzen sozialen Kampf zu bejahen, ihn aber gleichzeitig aus der internationalen Kampffront, in die er durch den Marxismus hineingeriet, herauszuschälen und auf einen rein nationalen resp. völkischen Boden zu stellen.« In seinen weiteren Überlegungen zum Entstehen und zum Ausgang des Münchener Putsches kam Darré zu recht eigenwilligen politischen Schlussfolgerungen  : 95 Bf. an seine Eltern v. 28.10.1923 (StAG, NLD, Nr. 47, Familienchronik, 461 ff.). In der Terminologie Hans F. K. Günthers nannte er »Stresemann und Genossen« 1925 »ostische Wasserköpfe« (Bf. an seine Frau v. 8.11.1925, IfZ-München, NLD, Bd. 8, 1068).

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Es ist klar, daß in einer Zeit, wie der heutigen, wo jedem Deutschen nachdrücklich beigebracht wird, daß er noch lange kein Mensch ist, wie die anderen, jede Propaganda für internationale Verbrüderung auf etwas steinigen Boden fällt und eine Idee, die es dem Arbeiter ermöglicht, seine berechtigten sozialen Forderungen auf nationalem Boden auszufechten, eine ungeheure Zugkraft besitzen muß. Und das war auch der Fall  ! − Während auf der Oberfläche der Zeitungsnotizen der Name Hitler eine untergeordnete Rolle beibehielt, fraß seine Idee unter der Oberfläche der Öffentlichkeit unheimlich schnell um sich. − Arbeiterbataillon auf Arbeiterbataillon entstand mit beispielloser Schnelligkeit […]. Das Bürgertum Bayerns erkannte plötzlich mit Klarheit, daß nur schleunigstes Handeln sie [sic] davor retten konnte, auf völkischer Grundlage vom Sozialismus überrannt zu werden. Da sprang von Kahr im Sommer an die Spitze und versuchte unter gleichfalls rücksichtslosester Betonung des völkischen Gedankens für das Bürgertum zu retten, was zu retten war.96

Den Ausgang des Putsches beurteilte Darré schwankend zwischen der Einsicht, nach der auch von Kahr gehandelt habe, »daß jeder Putsch momentan in der außen- und innenpolitischen Lage des Reiches Wahnsinn ist«, und einer »grenzenlosen Verbitterung« über dessen Vorgehen gegen die völkische Bewegung Hitlers. Dabei ging es ihm nicht einmal so sehr um dessen Person als vielmehr um den »Grundgedanken seiner Richtung«, der unzweifelhaft gut und lebensfähig sei.97 Im Gegensatz zum Kapp-Putsch von 1920, bei dem nur Waffengewalt eingesetzt worden sei, habe Hitler, lediglich gestützt auf seine Idee, den Umsturz versucht. Während bei Kapp die einfache Niederwerfung des Aufstandes genügte, um die Sache mehr oder minder zu Ende zu führen, löste die Niederwerfung Hitlers erst dessen Idee zur vollen Aktion aus, und [es] hat mit Hitler’s Bewegung garnichts mehr zu tun, ob Hitler verhaftet wird, ob er erschossen wird, verbannt wird, − alles dies stempelt ihn nur zum Märtyrer und fördert seine Bewegung.98

Eins stehe fest, meinte Darré hellsichtig  : »Am Ende ist die Münchener Angelegenheit jedenfalls nicht, sondern sie wird der Beginn einer Volksbewegung werden, deren Auswirkungen sich noch gar nicht übersehen lassen.«99 96 Darré an seine Eltern, 11.11.1923 (StAG, NLD, Nr. 80 [Original] und Nr. 47, Familienchronik, 484 ff.) und an seine Frau, 13.11.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 900 f.). 97 Später meinte er sogar  : »Hitler mag ein Brausekopf sein, vielleicht auch gar nicht mal ein politischer Kopf sein, und es ist dann gut, wenn ihn dieser Putsch erledigt hat.« (Bf. an seine Eltern v. 11.11.1923, StAG, NLD, Nr. 80) Da die Anhängerschaft der Arbeiter an diesen neuen sozialen und nationalen Ideen und Strömungen schon so groß sei, wolle er für die Bewegung nur wünschen, es fände sich ein Mann, »der sie meisternd zu produktiver Arbeit bringt, statt dass sie in wilder Opposition sich und andere zerstört.« (StAG, NLD, Nr. 47, Familienchronik, 492). 98 Darré an seine Eltern, 19.11.1923 (StAG, NLD, Nr. 47, Familienchronik, 490 f.). 99 Darré an seine Frau, 13.11.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 900 f.).

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Neben dieser positiven Sicht auf eine enge Verbindung von sozialistischer und völkisch-nationalistischer Bewegung waren zwei Komponenten im Darré’schen Denken damals von Bedeutung  : der zeittypische, in Krisenzeiten immer aufkommende Ruf nach dem »starken Mann« und  − sehr charakteristisch für Darré  − seine frühe Verbindung von Klassenkampf und Rassenkampf. In einem Brief an seinen Vater vom 24. Februar 1920 schrieb er  : Deutschland kann kein Gott mehr helfen  ! Keine einzige politische Partei, selbst der so allgemein ersehnte »starke Mann« sind mehr im Stande, den Verfall aufzuhalten. Denn letzterer könnte  !  ! vielleicht  !  ! in Deutschland Ordnung schaffen, aber die Bewegung in den anderen Ländern kann er nicht mehr unterdrücken. Das Proletariat in sämtlichen Ländern ist erwacht. Aber nicht zum Bewußtsein ihres Wertes als Mensch [sic], sondern lediglich, um es banal auszudrücken, daß das Wirtschaftsleben ohne sie [sic] zum Stillstand kommt. Das weiß der Proletarier, drum fordert, fordert, fordert er  ! Der Proletarier kann nicht objektiv denken, dazu ist er viel zu subjektiv erzogen worden, drum wird er fordern und immer weiter fordern, bis die Staatsgebilde der arischen Rasse zusammenkrachen werden. Wenn dies ›debacle‹ erst gekommen ist, dann wird zum Hohne aller Friedens- und Völkerbundsapostel ein Klassenkampf und anschließend ein Rassenkampf sich austoben, wie ihn die Weltgeschichte wohl bisher noch nie gesehen hat.100

Bei Darrés Vorliebe für waghalsige Gedankenassoziationen, die er in bramarbasierendem und überheblichem Pathos vortrug, ist es kein Wunder, dass er gerade die beiden Phänomene, die ihm einen geradezu panischen Schrecken einjagten, Kommunismus und Judentum, in enger Verbindung miteinander sah. Als einzig Erfolg versprechende Alternative zu beiden erschien ihm schon damals der völkische Staat »arischer Rasse«, wobei sich in Darrés Vorstellungswelt dann schon im Sommer 1923 »Sowjetstern und Hakenkreuz«, »Judentum und Ariertum« unversöhnlich gegenüberstanden  : Am tiefsten entscheidet sich jetzt eben die Frage  : soll der Sowjet-Stern siegen und damit die Internationale, d. h. daß das kleine Volk der Juden die Welt regiert, und wir in dem Chaos versinken, in dem Sowjet-Rußland versunken ist und aus den gleichen Gründen das römische Imperium versunken ist, oder ringt sich noch einmal bodengewachsenes Volkstum, die Urquelle jeder Kultur durch  ?  ! »Hakenkreuz und Sowjetstern« heißt die Formel, wenn wir sie kurz und präzise ausdrücken wollen. […] Wer sich einbildet, daß solche gigantischen Gegensätze unblutig überbrückt werden können, der hat das Stadium des einfachsten Denkens für Geschichte noch nicht erreicht. 101

100 StAG, NLD, Nr. 41, Familienchronik, 261 f. 101 Darré an seine Frau, 6. und 21.7.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 830 ff. und 854 ff.).

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Die völkerbundfeindliche Haltung Darrés war schon in einem Brief aus dem Jahre 1920 angeklungen. Später, im November/Dezember 1925, als die Verhandlungsergebnisse von Locarno zur Debatte standen, bekam sie neuen Auftrieb  : Nun sprach er vom »Völkerausbeutungssyndikat genannt ›Völkerbund‹« und der »Fünfgroschenpolitik heutiger Staatsmänner«.102 Dabei war mit der Verständigungspolitik Stresemanns eine Periode außenpolitischer Entspannung verbunden, in der Deutschland seine internationale Isolierung überwinden konnte und sich die Revision der Versailler Vertragsbedingungen anbahnte. Der Locarno-Vertrag mit Frankreich, Belgien, England und Italien brachte eine Entlastung der deutschen Westgrenze vom Druck französischer Begehrlichkeiten, wofür allerdings der neuerliche Verzicht auf Elsass-Lothringen zugestanden werden musste. Dafür wurde nun das französische Sicherheitsbedürfnis so weit befriedigt, dass die Besetzung der Gebiete an Rhein und Ruhr allmählich beendet werden konnte, ein Prozess, der freilich bis in den Januar 1930 andauerte. Und Deutschlands Eintritt in den Völkerbund eröffnete die Chance, deutsche Interessen von der Genfer Rednertribüne aus zu artikulieren und Beschwerden in Reparations-, Rüstungs- und Minderheitenfragen zu ermöglichen, aber auch auf die schwer erträglichen Probleme um den »polnischen Korridor« im Osten international aufmerksam zu machen. Außerdem gab es Anzeichen, dass in einem international verbesserten Klima eine Erholung der deutschen Wirtschaft stattfinden würde. Diesem Aufschwung lagen US-amerikanische Kredite zugrunde, die 1924 im Dawes-Plan zugesichert wurden. Er sah vor, dass die Reparationen genannten Kriegsschulden Deutschlands seinen tatsächlichen Wirtschaftsleistungen anzupassen seien und mit Hilfe einer Anschubfinanzierung aus den USA allmählich zurückzuzahlen seien. Gegenüber diesen Tendenzen zu internationalen Verflechtungen steigerte sich die Betonung nationaler Eigenständigkeit bei Darré. Sie ist als ein Axiom seiner politischen Bewusstseinsbildung durchgehend nachweisbar und erreichte im Januar 1923 anlässlich der Ruhrbesetzung einen geradezu ekstatischen Höhepunkt  : »Wahrlich, wir sind in der Geburtsstunde des neuen Deutschlands. Mit eisernen Hammerschlägen schmieden uns die Feinde zu Deutschen zusammen«, räsonierte er. Diese Aufputschung des Nationalgefühls mache ihn »wieder stolz und froh ein Deutscher zu sein.«103 Das Ziel nationaler Selbstbestimmung wurde auch auf die Wirtschaft bezogen und fand später in den Autarkiebestrebungen des Reichsernährungsministers Darré einen sichtbaren Ausdruck. Es deutet sich hier auch ein für die Generation Darrés charakteristisches Verständnis des Staates als »Volksgemeinschaft« an, eine Vorstellung, die ebenfalls vom Erleb102 Darré an seinen Vater, 2.12.1925 (StAG, NLD, Nr. 50, Familienchronik, 245). Dass es überhaupt zu Locarno gekommen sei, war nach Darrés Einschätzung »der totalen Unfähigkeit der Deutschnationalen« zu verdanken, die dadurch »den Schergen Judäas« im Ausland in die Hände gearbeitet hätten (Bf. an seine Frau v. 10.11.1925, IfZ-München, NLD, Bd. 8, 1068). 103 Darré an seine Frau, 13.11.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 705). Zur Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die Entstehung eines deutschen Nationalgefühls aus der »Volksgemeinschaft« im Schützengraben vgl. Sontheimer, 1968, 93 ff.

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nis des Krieges her zu verstehen ist. Die in den Schützengräben erlebte kämpferische Gemeinschaft ohne soziale, konfessionelle, weltanschauliche und parteipolitische Unterschiede sollte auf Gesellschaft und Staat übertragen werden. In die Heimat zurückgekehrt, stellte sich diesen jungen Menschen aber die Gesellschaft als Klassenkampf dar, der Staat wurde unter ihren Augen zum »Beuteobjekt der Parteien« und auch die gewohnte autoritäre Führung fanden sie nicht mehr vor.104 So war der Ruf nach dem »starken Mann« ebenso verständlich wie das tief verwurzelte Misstrauen der demokratischen Staatsform gegenüber. Im Januar 1920 schrieb Darré  : … daß es nur eine fixe Idee einiger größenwahnsinniger Menschenkinder ist, wenn sie behaupten, der Mensch sei zum Edlen und Guten zu erziehen. Ja, höchstens wie beim Engländer  : Mit Zuckerbrot und Peitsche. Aber per Sozial- und sonstiger Demokratie, − nee, nicht die Bohne  ! Irgend jemand hat mal sehr schön gesagt  : Demokratie wäre etwas sehr schönes, wenn die Menschen tugendhaft wären. Leider besitzt die Demokratie aber kein Mittel, um sie tugendhaft zu machen.105

Hinzu kam, dass gerade das nationale und soziale Solidaritätsstreben dieser Generation einen ungemein fruchtbaren Boden darstellte für die nationalsozialistische Parole »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«.106 Die Sehnsucht nach preußischer ›Zucht und Ordnung‹ im Innern und die Bejahung des Lebenskampfes als gottgegebene Tatsache nach außen, diese beiden Grundhaltungen der Frontkämpfergeneration des Ersten Weltkrieges wollte auch Darré auf den Staat übertragen wissen. So wurden Pazifisten und Demokraten von ihm als »gottverlassene Deutsche« bezeichnet, die sich um den »Eiertänzer« Stresemann scharten, der preußische Militärstaat hingegen als vorbildlich angesehen.107 War Darré von Hause aus auch Protestant, so fühlte er sich doch schon frühzeitig frei von jedem konfessionellen Zwang und engem Klerikalismus. Andererseits galt ihm aber gerade der katholische Jesuitenorden neben dem preußischen Militär als »einzigartige und großartige« Organisation in der Geschichte. Darüber hinaus war sein Verhältnis zum Katholizismus von ähnlich abstrusen Vorstellungen beherrscht 104 Kater, 1975. 105 Darré an seine Braut, 8.2.1920 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 148 f.). Vgl. im Übrigen  : Jureit, 2001. 106 Darré schrieb am 4.11.1927 in seinem Vorwort zu einer ihm vom Vater zusammengestellten Sammlung »Front- und Heimatbriefe während der Kriegsjahre 1914–19« u. a. die bezeichnenden Worte  : »Als Söhne eines durch und durch im Materialismus und Intellektualismus versinkenden Deutschtums zogen wir 1914 in den Krieg. Die Deutschen hatten verlernt das ›Ich‹ vom ›Wir‹ abzuleiten, d. h. den einzelnen Menschen nur als Knospe am Lebensbaum des Volkskörpers zu betrachten  ; sie leiteten dagegen das ›Wir‹ vom ›Ich‹ ab und merkten dabei nicht, wie sie dem deutschen Schöpfertum seine Quelle zuschütteten.« (StAG, NLD, Nr. 467/468) 107 Darré an seine Braut, 13.10.1919 und an seine Frau, 13.1.1923 und 24.10.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 72 ff.; Bd. 8, 705 und Bd. 9, 1198 ff.).

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wie gegenüber »den« Juden. Als Alternative zu den »Weltbeherrschungsplänen« von »Juda und Rom« galt ihm auch in dieser Hinsicht schon 1923 der völkische Staat. Bereits 1919 hatte er die Tagespolitik in Deutschland durch die konfessionelle Zerrbrille gesehen. Die Politik Erzbergers erschien ihm damals im Zusammenhang mit den Loslösungsbestrebungen der Rheinlande dadurch verständlich, »daß mit dem Zusammensturz des evangelischen preußischen Militärstaates sein größter Gegner, die katholische Kirche, Raum gewonnen hat und ganz energisch auf dem Weg ist, sich durchzusetzen, wenn möglich den Sieg an sich zu reißen.«108 Darré verband seine preußenfreundliche, völkisch-nationalistische Haltung schon sehr früh mit recht eigenwilligen historischen Überlegungen. Die Ruhrgebietsbesetzung durch französische Truppen als Reaktion auf ausbleibende Reparationslieferungen 1923 wurde als Bedrohung einer selbstständigen Existenz Deutschlands empfunden. Darré erwartete eine »französische Expansion auf der Linie Münster, Gießen, Stuttgart, Konstanz«. Obwohl er in der Hoffnung auf »unsere kleine Reichswehr« Krieg erwartete, sah er in dem Ereignis ein Fanal zum Zusammenstehen. Die Besetzung des Ruhrgebiets war für Darré Anlass, in der preußischen Geschichte eine Parallele zu finden  : Aus dem particularistischen Chaos des Dreißigjährigen Krieges erkennt in der kleinen Mark Brandenburg ein Hohenzoller die Tatsache, daß seiner von keiner geographischen Grenze geschützten Mark nur die zwei Möglichkeiten offenstehen. Entweder der chronische Tummelplatz fremder Kriegsvölker zu bleiben, oder sich mit einem schlagkräftigen Heere das Land sauber zu halten. Am Tage von Fehrbellin beginnt das deutsche Reich von heute.

Seit 1870 stelle sich auch äußerlich Deutschland als Fortentwicklung der preußischen Geschichtstradition dar. Für das Jahr 1675 gelte wie für 1923  : »daß der Feinde Haß uns zum eigenen deutschen Gedanken zusammenhämmern wird, woraus sich wiederum ein Heer gebären wird und die alten siegreichen Fahnen werden wieder flattern.«109 Bei seiner bewussten und »unbedingten« Bejahung von Kampf und Krieg fiel Darré, der seit 1923 dem »Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten«, jener republikfeindlichen Kriegsteilnehmervereinigung gegen »die Schweinerei der Revolution«, angehörte, damals die Zustimmung zu einem weiteren »Ringen« zwischen Deutschland und Frankreich nicht schwer. Er sah es als logische Folge einer deutschen nationalen Regierung an. Offensichtlich hatte er seine eigenen schlimmen Kampf- und Kriegserfahrungen schon verdrängt.110 108 Darré an seine Braut, 13. und 27.10.1919 (»Mein ganzes innerliches Verhältnis zu Gott läßt mich sowieso gegen jeden kirchlichen Zwang auflehnen.«). IfZ-München, NLD, Bd. 6, 70 ff. 109 Darré an seine Frau, 13.1. und 10.2.1923 (ebd., Bd. 8, 705 und 732). 110 Darré war seit 1922 Mitglied des »Stahlhelms« und trat erst zum 1.1.1930 wieder aus. Ebenso vollzog er am 19.10.1929 den Austritt sowohl aus dem »Hallischen Genealogischen Abend« als auch (zum 1.1.1930) aus dem »Alldeutschen Verband« (StAG, NLD, Nr. 79  ; 83a  ; Nr. 86 und Nr. 437). Vgl. auch

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Selbstverständlich spielte bei dieser nationalen Kraftmeierei die Angst vor dem östlichen Bolschewismus eine entscheidende Rolle. Hierbei wurden die inneren Widersprüche und Ungereimtheiten durch Prognosen und außenpolitische Theorien eigenwilligster Prägung überspielt. So erschien ihm sicher, dass nach Locarno die Bolschewisierung über Deutschland dahinflutet. Denn Locarno ist ja nur der Auftakt, um militärisch die Operationsbasis für Rußland seitens der Entente zu gewinnen. Aber ich glaube, daß diese Herren Entente-Waffengenossen innerlich nicht mit dem Bolschewismus Herr werden, und das bedeutet auch nicht nach außen.

Die geradezu krampfhafte Suche nach historischen Parallelen, die oft genug zu bedenklichen Fehlgriffen führte − sie wird uns später noch oft bei Darré begegnen − findet sich schon hier  : Deutschland wird wohl nichts anderes übrig bleiben, falls es dann überhaupt noch zu etwas fähig ist, seine zweite Völkerschlacht bei Leipzig zu schlagen. Wir leben in Zeiten wie beim Einfall der Hunnen. Wo werden diesmal die Katalaunischen Felder liegen  ? Wenn man die Fünfgroschenpolitik heutiger Staatsmänner sieht, wenn man dieses Ganze mit allen Kleistern sorgfältig geleimte und trotzdem dauernd in allen Fugen krachende Völkerausbeutungssyndikat genannt »Völkerbund« betrachtet, so bleibt wahrscheinlich nur übrig  : »Herr Dein Wille geschehe  !« − Stresemann fährt nach London und in Halle marschieren rote Bataillone mit tadelloser Disziplin und vollständig öffentlich in den Straßen. Wer in dieser Groteske zuletzt lacht, weiß ich nicht. Jedenfalls nicht Herr Stresemann und die Entente  ! Und im Osten grüßt der Bolschewik  !111

Der Blickwinkel, unter dem Darré die tagespolitischen Ereignisse im ersten Jahrfünft der Weimarer Republik betrachtete, war also begrenzt einerseits durch eine Überbewertung der kommunistischen »Gefahr« und andererseits durch eine frühe Anlehnung an völkisch-nationalistisches Gedankengut, das mit einem kräftigen Zusatz Rassismus und Sozialdarwinismus versehen war. Schon 1919 hatte der Schüler der DKS in Witzenhausen in einem Brief an einen Freund einen engen Zusammenhang zwischen den »Säugetieren« Mensch und Tier sowohl in ihrem Triebleben als auch in ihrem Fühlen und Empfinden festgestellt. Ich habe bis jetzt den ›Verstand‹ oder gar die ›Seele‹ gar nicht erwähnt, da sie meiner Ansicht nichts mit meiner Auffassung zu tun hat [sic]. Der Mensch ist eben das ›höchstentwickelste‹

die Bfe. an seine Frau v. 6.7. und 6.11.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 830 ff. und 893) sowie Bracher, 1960, 134. 111 Darré an seinen Vater, 2.12.1925 (StAG, NLD, Nr. 50, Familienchronik, 246).

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[sic] Tier und muss dadurch ganz von selbst über Eigenschaften verfügen, die ihn über andere Gattungen der Tierwelt herrschen lassen.112

Diese an der Entwicklungstheorie Darwins orientierte Ansicht Darrés wurde im Laufe der Zeit ganz in populärwissenschaftlichem Sinne intensiviert. Die »Verwahrlosung der Proletarierjugend« in den Jahren materieller Not und Armut, die Darré besonders in Halle erlebte, wurde als »günstiges Ausleseverfahren« gewertet  : »Was faul ist, kommt hierbei etwas schneller unter die Räder, was gut und wertvoll ist, wird sich auch durch diesen Schlamassel hindurcharbeiten.«113 Es waren die zeitgenössischen Klischees vom rechten Rand des politischen Spektrums und im Studium aufgelesenes Bildungsgut, die Darré reproduzierte. In seiner Epoche der Kulturkritik und des Kulturpessimismus nahm auch Darré jenes Gefühl der Unzufriedenheit mit der ihn umgebenden Welt auf, das so viele seiner Zeitgenossen beherrschte. Obwohl er die Kluft der Jugendbewegung, mit der man vor 1914 gegen zivilisatorische Dekadenz und spießbürgerlich verengtes Denken protestierte, nicht getragen hatte, so war er doch ein zu bewusst lebender Zeitgenosse, als dass er nicht alle diese Antigefühle und emotionalen Erneuerungsbestrebungen in sich aufgesogen hätte. Besonders die Scheinheiligkeit und Prüderie des Bürgertums, »das ganze muffig-modrige Dunkel unserer sogenannten Sittlichkeit« und die oberflächlich-materielle Interessiertheit seiner Zeitgenossen waren ihm verabscheuungswürdig  : Heute herrscht der Tanz ums goldene Kalb, um äußere Werte. Wir sind ja in einem Wust verstrickt, der grauenvoll ist. Gibt es heute eigentlich noch Offenheit und Wahrheit  ? Ich behaupte »Nein«  ! Wir sind gewohnt zu lügen, uns selbst zu belügen, wir sind gewohnt, uns an äußerliche Werte zu klammern. Wer öffentlich betet, ist fromm, wer öffentlich als Ehrenmann gilt, ist ein Ehrenmann, wer das Gesetz, den Paragraphen umschifft […], bleibt vor der Welt anständig.

Die »innere Ehre und Anständigkeit« werde durch den »Druck der äußerlichen Lüge« abgetötet, es sei aber eine unumgängliche Notwendigkeit, sich gerade von diesem »dumpfen Muckertum« freizumachen.114 Es ging Darré darum, durch Selbsterziehung und Selbstbeherrschung »sich innerlich selbst in die Hand [zu] nehmen«, wobei er diese Bemühungen an »englischem Lebensstil« zu orientieren glaubte. In starker Betonung der Abhängigkeit geistiger und körperlicher Tüchtigkeit war er der Meinung, wahres Mensch-Sein beginne erst, wenn 112 Darré an Erich Müller-Boedner, 12.9.1919 (IfZ-München, NLD, Bd. 6, 70). 113 Darré an seine Frau, 3.9.1922 (ebd., Bd. 7, 690). 114 Gespräch d. Verf. mit Alma Bauer, gesch. Darré sowie die Bfe. an seine Braut von April bis November 1920 und an seine Frau v. 3.9.1922 (IfZ-München, NLD, Bd. 6 und Bd. 7, 690). Vgl. auch Reulecke, 1993, 222 ff.

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man »über seinen Geist und Willen befehlen« könne. Der äußere Erfolg werde sich dann bald einstellen. »Weil der Engländer wie kein Volk sonst dies erkannt hat und eisern in seiner Erziehung durchführt, ist er politisch und kulturell der Herr der Erde«, schrieb er 1923 an seine Frau.115 In der Jugendbewegung sah Darré 1920 keinen gangbaren Weg mehr, zu echter Reform und innerer Erneuerung Deutschlands zu kommen. Er vermisste »die große Idee, die allen Wandervogelschattierungen einheitlich eingepflanzt sein müsste«, und die »eigentlich bedeutenden Führer […], die all dem Sehnen und Drängen ein greifbares Ideal geben.« Darré gab hier schon 1920 eine der grundlegenden Forderungen wieder, die für die folgenden Jahre charakteristisch, für das Entstehen des Nationalsozialismus aber von entscheidender Bedeutung waren  : der Ruf nach der großen Idee zur völkischen Erneuerung und der beherrschenden Führergestalt zu deren Verwirklichung. »An diesem Wendepunkt steht meiner Ansicht der Wandervogel. Ihm teilt sich der Weg. Entweder Führer und Wegweiser zum inneren Aufbau Deutschlands zu werden, oder lediglich amüsante Mode einer Jugendbewegung im Beginn des 20. Jahrhunderts zu sein.«116 Schon 1923 hatte Darré die politische Bewegung gefunden, die seiner Meinung nach »Führer und Wegweiser zum inneren Aufbau Deutschlands« zu sein versprach, den Nationalsozialismus. Seine Kommentare zum Hitler-Ludendoff-Putsch zeigten sowohl das Interesse, mit dem er die Entwicklung dieser Partei verfolgte, als auch sein Umschwenken vom bürgerlich-konservativen Nationalismus von Kahr’scher Prägung zu dessen revolutionärer Variante Hitler’scher Observanz.117 Dieser Prozess wird auch an Darrés parteipolitischer Entwicklung deutlich  : Zunächst, 1919, eingeschriebenes Mitglied der DVP, kam er über die DNVP, der er 1922 nahestand, Anfang 1923 zur »Deutschvölkischen Freiheitspartei«. Diese DVFP verstand sich als antidemokratische und antiparlamentarische »Volksbewegung«, wurde geprägt vom Mythos der »Frontkämpfergeneration«, war gegen alles »Fremdrassige« und, wie ihr führendes Mitglied Theodor Fritsch, streng antisemitisch. Sie hatte die Funktion eines norddeutschen Platzhalters für die verbotene NSDAP, so dass Darré im weiteren Verlauf des Jahres 1923 ausgesprochenes Interesse und viel Sympathie für die Nationalsozialisten erkennen ließ.118 115 Darré an seine Frau, 13.1. und 6.7.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 705). 116 Darré an seine Braut, Juli 1920 (ebd., Bd. 6, 266 ff.). 117 Kahrs Vorgehen gegen die Putschabsichten Hitlers war von Darré »mit großer Erbitterung« konstatiert worden. »… das einzig Gute der ganzen Angelegenheit ist vielleicht das, daß man die Geister jetzt zu unterscheiden vermag.« (Bf. an seine Frau v. 13.11.1923, IfZ-München, NLD, Bd. 8, 900 f.). 118 Schon im Jahre 1919 war Darré Mitglied des antisemitischen und germanophilen »Reichs-Hammerbundes« und des »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes«, der 1922 nach der Ermordung Außenminister Rathenaus im Juni verboten wurde (StAG, NLD, Nr. 436 und Tagebuch Darrés 1918–1920, IfZ-München, NLD, Bd. 6). Das Republikschutzgesetz, nach diesem von Rechtsradikalen durchgeführten Attentat erlassen, wurde von Darré als »Judenschutzgesetz« gekennzeichnet (Bf. an seine Frau v.

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Die Ansichten Darrés zu weltanschaulichen und politischen Themen in einer Zeit, in der sein geistiger Reifeprozess in die entscheidenden Bahnen gelenkt wurde, haben in extenso gezeigt, wie sehr er alle jene Zeitströmungen absorbiert hatte, die als wegbereitend für den Nationalsozialismus anzusehen sind. Das Fronterlebnis und die Verschärfung der politischen Lage nach dem Ersten Weltkrieg machten Darré wie so viele seiner Zeitgenossen erst recht empfänglich für die abstrusen Ideen weltanschaulicher Sektierer des späten 19. und ihrer Epigonen im frühen 20. Jahrhundert. Auch der Katalog völkisch-alldeutschen und antisemitischen Gedankenguts, das Darré in sich aufgenommen hatte und spiegelbildlich wiedergab, ist nahezu vollständig vorhanden  : Er umfasste all jenes völkische Vokabular, das innenpolitisch den Ruf nach einem starken Mann an der Spitze einer autoritären, von jeglichen parlamentarischen Bindungen unabhängigen Staatsführung, die Sehnsucht nach der Volks-Gemeinschaft und die Vorliebe für preußische »Zucht und Ordnung« zum Inhalt hatte. In einem falsch verstandenen Darwinismus, bei dem »Kampf ums Dasein« aus dem ursprünglich weiten, metaphorisch gemeinten Sinn entstellend übertragen wurde in soziale und politische Gegebenheiten, glaubte Darré das Heil seines Vaterlandes suchen zu müssen. Die Angst vor dem Bolschewismus wurde als zugkräftiges Gespann vor den Wagen antisemitischer Vorurteile und eines »nordrassischen« Überlegenheitsdünkels gespannt. Der Kampf gegen Völkerbund und »Erfüllungspolitik« und überhaupt gegen alles, was angeblich aus dem Westen kam, ob es nun Zivilisation, Demokratie und Parlamentarismus oder Frauenemanzipation war, rundet das Bild ab. Dieses ganze Gemisch aus Vorurteilen und Anti-Gefühlen, welches »völkische Weltanschauung« genannt wurde, fand sich, wie gezeigt werden konnte, in den Jahren des geistigen Reifeprozesses zwischen 1920 und 1925 bei Darré vor. 119 14.7.1923, IfZ-München, NLD, Bd. 8, 847 ff.). Vgl. auch Darrés Mitgliederkarte der DVP Wiesbaden (StAG, NLD, Nr. 436) und Darrés Mitteilung über die Teilnahme an einer internen Feier der DNVP in Halle (Bf. an seine Frau v. 3.9.1922, IfZ-München, NLD, Bd. 7, 690). In einem Bf. an seine Frau v. 9.1.1923 (an den Rand der Halleschen Zeitung v. 8.1.1923 geschrieben) heißt es  : »Nationalsozialistische Bewegung scheint auch hier schon im Fluß zu sein. Als Fahne scheint sich die rote Flagge mit weißer Sonne zu entwickeln. In der Sonne schwarzes Hakenkreuz. Doch bin ich mir darüber noch nicht ganz klar. Die Studentenschaft steht der Bewegung scheinbar sehr sympathisch gegenüber, was die Lebensfähigkeit der Bewegung verbürgen würde.« (ebd., Bd. 8, 700 ff.) Am 12.2.1923 schrieb er an seine Frau über seinen Beitritt zur DVFP  : »Damit stehe ich nun noch weiter rechts wie [sic] die Deutschnationalen und gehöre nach Wiesbadener Begriffen ins Tollhaus, jedenfalls nach den Begriffen der Frankfurter Zeitung und die ist ja bei Euch Bibel.« Er beschrieb seiner Frau die DVFP als »Nationalsozialisten Preußens«, die einen »rücksichtslosen Kampf gegen alles Judentum und allen Parlamentarismus« auf ihre Fahne geschrieben hätten (ebd., Bd. 8, 742). Die DVFP wurde im März 1923 in Preußen und nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 reichsweit verboren. Als das Verbot im Februar 1924 aufgehoben wurde, erzielte die Partei, die als Ersatz für die immer noch verbotene NSDAP auftrat, bei der RT-Wahl im Mai 1924 immerhin 6,5 Prozent, was 32 Mandaten entsprach. Dieser Erfolg ging, nach Hitlers Entlassung aus der Haft in Landsberg, bei der Wahl im Dezember 1924 schon wieder verloren und die NSDAP wurde daraufhin neu gegründet und strategisch ausgerichtet. 119 Vgl. hierzu Broszat, 1960 und Neurohr, 1957.

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Wie der Höhenflug entlarvender Unsinnigkeit mutet eine Analyse des Standortes der »völkischen Bewegung« im Jahre 1925 durch Darré an. Den von antisemitischen Vorurteilen beherrschten Ausführungen des 30-jährigen, also nicht mehr pubertierenden Mannes braucht kein erklärendes Wort beigegeben zu werden, sie sprechen für sich selbst. Ausgehend von der Feststellung, dass es politisch »für unsere völkische Idee gar nicht so düster« aussehe, kam er zu folgenden Überlegungen  : Das Judentum hat aber einen sehr groben Rechenfehler gemacht und der beginnt sich jetzt z. Z. zu unsern Gunsten auszuwirken. Es ist ja eigenartig, wie der Jude, dieser kluge politische Schachmeister immer und immer wieder, durch seine Habgier verleitet, Fehler macht, die sich dann gegen ihn selbst auswirken. − Als der Jude während des Krieges, nach der unerwarteten Dauer desselben, Amerika zur Hilfe heranholen mußte, sah er zweierlei  : Erstens die Tatsache, daß Deutschland das einzige Land außer Amerika war, das auf sich selbst stehen konnte und zweitens, daß der Stern Albions im Sinken war. Ergo verlegte sich der Jude folgerichtig und konsequent mit seinem Schwergewicht vom Bankenviertel Londons nach dem Bankenviertel Newyorks. Daß Deutschland den Krieg nicht gewinnen würde, konnte er, der ja überall innerhalb Deutschlands während des Krieges die tatsächliche Macht sich in die Hand gespielt hatte, sehr leicht ausrechnen. − Sein zweites Ziel sind die vereinigten Staaten von Europa. Finanztechnisch, d. h. jüdisch gesehen zweifellos die genialste Lösung, um die gesamte Produktion Europas zu kontrollieren und Dawesplan und das Schuldensystem der Entente sorgen ja dafür, daß es jeweilig den Rahm für sich abschöpfen kann. Alles ging sehr schön, denn England und Frankreich werden heute so von Newyork aus beherrscht, daß z. Z. alles An- und Abklingen des französischen Chauvinismus lediglich von Newyork aufgezogener und bestellter Theaterdonner ist. Die einzige Gefahr bildete die völkische Bewegung. Nachdem aber am 9. November 1923 der Hitlerputsch so musterhaft pariert und ins lächerliche gezogen war, nachdem man sogar 24 den Dawesplan unterschrieb, konnte nichts mehr passieren. Nun hatte man Deutschland am Wickel, der Weltfriede konnte losgehen  ; das bißchen vaterländische Bewegung würde sich schon totlaufen. Die Jugend verlor nach dem Schlagwort des Individualismus ja doch jede Selbstdisciplin  ; Nikotin, Sexuallektüre und Tingeltangel, Kino taten das ihre und so brauchte man nur etwas Nerven zu behalten, um zu warten, daß diese unbegreiflichen Frontkämpferorganisationen alt und bequem wurden und alles war in schönster Ordnung. − Wären die Juden so klug gewesen und hätten Dawes nicht aufs Tapet gebracht, d. h. hätten sie durch ihre Habgier, alles zu besitzen, der deutschen Industrie nicht das Lebenslicht ausgeblasen, so wäre Deutschland rettungslos verschweizert, d. h. bequem und instinktlos in politischen Dingen geworden. Außerdem tatsächlich verindustrialisiert, was immer politische Unfähigkeit nach sich zieht. − Nun schließt in Deutschland eine Fabrik nach der anderen. Haufenweise werden Arbeiter brotlos. Nun gut, sagt der Jude, lass sie Bolschewisten werden. Erstens haben wir den Bolschewismus ja in der Hand, außerdem kann er höchstens die vaterländische Bewegung zerschlagen und drittens bauen wir dann wie in Rußland das auf, was uns paßt. Das geht auch mit Knute und Hunger sehr schön. − Tja, nun kommt der Haken  ! Der deutsche Arbeiter ist kein Russe. Er denkt noch.

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Gewiß wandern Tausende ab in den Kommunismus. Aber die intelligenten sind stutzig geworden, werden stutzig unter dem grausamen Zwang der Not. Die Inflationsjahre hat der Arbeiter nie gespürt. Da saß er im Fett. Gedankenlos konnte er das mit dem Segen des Marxismus verwechseln. Und wo er stutzig wurde, beruhigte ihn die darauf eintretende Stabilisierung, die zunächst ein Aufblühen der Industrie brachte. Aber heute  ? Wo sind die Errungenschaften der Revolution  ? Warum sitzt er im Elend  ? Irgendwo muß doch der Grund sein. Wir sind erst am Anfang dieser Neu-Orientierung. Noch nie war der Boden so reif für das völkische Wollen unter den Arbeitern wie heute. Und wenn ein Hitler neulich, als ihm in einer Versammlung das Wort entzogen wurde, lachend sagte  : »Entziehen Sie so viel Sie wollen. Die völkische Bewegung ist heute mächtiger und fundamentierter wie 1923«, so ist das kein Prahlen.120

Chamberlain, Langbehn und Günther als prägende Autoritäten Als unmittelbare geistige Väter der hier dargelegten politischen und weltanschaulichen Positionen R. Walther Darrés haben zweifellos zu gelten  : Houston Stewart Chamberlain (1855–1927), Julius Langbehn, die darwinistische Schule an der Universität in Halle um Valentin Haecker sowie Hans F. K. Günther. Von ausschlaggebender Bedeutung für die weltanschauliche und politische Entwicklung Darrés war  – auch hier wieder eine Parallele zu Hitler  – die Lektüre von Chamberlains Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts unmittelbar nach Beginn seines Studiums im September 1922.121 Darré wies wenig später selbst in pathetischer Weise auf diese Tatsache hin  : »Chamberlain [hat] mich aus dem kochenden Hexenkessel damaligen revolutionären Durcheinanders herausgerissen und mir mein geistiges Ruder wie mit harter Faust durch die tosende Brandung auf den Norden eingestellt.«122 Darré war wohlpräpariert und -disponiert an die Lektüre dieses Buches herangegangen. Im November 1920 hatte er den ersten Band von Spenglers Untergang des Abendlandes gelesen. In pessimistischer Kulturkritik äußerte der Autor ein Unbehagen an der Moderne und griff, wie viele seiner Zeitgenossen, dabei gern auf altgermanische Traditionen als Alternativen zurück. Spengler prangerte »Mechanisie120 Darré an seine Frau, 21.11.1925 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 1080 ff.). 121 Chamberlain, Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts, erstmals München 1899, im Folgenden zit. n. der zweibändigen 14. Auflage 1922. 122 Darré an seine Frau, 26.12.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1224)  ; vgl. auch die Widmung, mit der er 1930 seiner Frau sein Buch Neuadel aus Blut und Boden überreicht hat (vom Verf. bei Frau Bauer, gesch. Darré eingesehen)  : »Von dem Augenblick an, wo im Mai 1922 die ›Grundlagen‹ von H. St. Chamberlain […] die Kompaßrichtung meiner weltanschaulichen Entwicklung festlegten, bis zu dem Augenblick, wo dieses Buch entstand, hast Du an meiner Seite gelebt.« Ob Darré im Mai oder im September 1922 Chamberlain gelesen hat – in einem Bf. an seine Frau v. 9.9.1922 (IfZ-München, NLD, Bd. 7, 695), bat er um die Zusendung des Buches –, dürfte unbedeutend sein.

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rung«, »Nivellierung« und »Verflachung« an und sah in »Kino, Expressionismus, Theosophie, Boxkämpfen, Niggertänzen, Poker und Rennwetten« Anzeichen für das »Ende der Kultur«. Insbesondere in den Großstädten werde ein Kult der »Selbstzerstörung« sichtbar, der »Entwurzelung und Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen« dokumentiere. Spengler war kein Demokrat, stattdessen verklärte er eine elitär-autoritäre Staatsform. Nun erfuhr Darré von Chamberlain, es könne »keine unglücklichere Losung geben als die, welche der innere Feind gerade in diesem Augenblick, wo wir alle Kraft des Glaubens benötigen, in Umlauf gesetzt hat, die Parole vom ›Untergang des Abendlandes‹.« Mit dem Begriff »Abendland« solle nämlich »der Rassengedanke untergraben« und mit dem Wort »Untergang« solle »alles Hoffen abgeschnitten« werden. Ganz im Gegensatz zu Spenglers Pessimismus verstand Chamberlain sein eigenes Werk als »Weckruf, daß Deutschland,  – wenn es nur will, wenn es zu wollen versteht  – weit entfernt [ist], dem Untergang geweiht zu sein.«123 Das musste einem jungen Mann wie Darré, der sich noch nicht verloren geben wollte, imponieren. Der gebürtige Engländer und Schwiegersohn Richard Wagners verkündete aus Bayreuth »Hoffen ist Pflicht  !«, man müsse sich nur bewusst machen, »daß unsere gesamte heutige Civilisation und Kultur das Werk einer bestimmten Menschenart ist  : des Germanen.« Auf die selbst gestellte Frage »Was ist Rasse  ?« hin verwies er zunächst darauf, dass dieses Phänomen »von der Wissenschaft inzwischen als […] erwiesene Tatsache« angesehen werde. Die »gesamte Geschichte« zeige, »wie die Art der Persönlichkeit durch die Art ihrer Rasse bestimmt wird und die Macht der Persönlichkeit an gewisse Bedingungen ihres Blutes geknüpft ist  !« Unter ausdrücklichem Hinweis auf Darwin scheute Chamberlain nicht davor zurück, Kriterien der Tier- und Pfanzenzucht zur Erklärung dessen heranzuziehen, was »Rasse« sei. Indem er die »mitternächtliche Unwissenheit«, die allenthalben auf diesem Gebiet noch anzutreffen sei, bedauerte, wies er darauf hin, gerade die wissenschaftliche Tier- und Pflanzenzucht böte »ungeheuer reichhaltiges und zuverlässiges Material, an dem wir sowohl die Bedingungen wie auch die Bedeutung von ›Rasse‹ kenenlernen können.«124 Edle Pferderassen wie Zugpferde, Traber oder Renner entstünden nicht durch »Zufall oder Promiskuität (geschlechtliches Durcheinander)«, sondern »durch geschlechtliche Zuchtwahl und durch strenge Reinhaltung der Rasse«. Auch bei Hunden könne man beobachten, »dass die geistigen Gaben Hand in Hand mit den physischen gehen«, was ganz besonders für die »moralischen Anlagen« gelte. Ein »Bastardhund« könne zwar »klug, jedoch niemals zuverlässig« sein, »sittlich ist er stets ein Lump«. Vermi123 Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. 2 Bde. Wien 1918 und München 1922, Bd. I, 41 ff. und Bd. II, 117 ff. sowie Chamberlain, 1922, Bd. I, Vorwort, XXVI. 124 Chamberlain, 1922, Bd. I, 310 und 328. Vgl. auch Piper, 2005, 189 und Bermbach, 2015.

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schung zweier Tierrassen führe »ausnahmslos zur Vernichtung der hervorragenden Merkmale von beiden  !« Der Autor knüpfte daran die rhetorische Frage  : »Warum sollte die Menschheit eine Ausnahme bilden  ? […] In Wahrheit sind die Menschenrassen, trotz des breiten gemeinsamen Untergrundes voneinander in Bezug auf Charakter, auf Anlagen, vor Allem in Bezug auf den Grad der einzelnen Befähigungen so verschieden wie Windhund, Bulldogge, Pudel und Neufundländer.«125 Abgesehen von der hoffnungsvollen Grundhaltung Chamberlains musste dies für einen Studenten wie Darré, der sich für Tierzucht interessierte, unmittelbar einleuchtend sein. Die umstandslose Übertragung von Erkenntnissen aus der Tier- und Pflanzenzucht auf die menschliche Sphäre war für ihn kein Problem. Chamberlains Buch, das bis 1941 die 27. Auflage erreichte, war auch deshalb bei der Generation Darrés so erfolgreich, weil es Antworten auf ihre Sinnsuche lieferte und ihr Selbstwertgefühl stärkte. Auch Rosenberg wurde bei der Arbeit an seinem Mythus des 20. Jahrhunderts nachhaltig durch Chamberlain beeinflusst. Kam es doch bei diesem nicht auf rationale Überprüfung von Thesen an, sondern auf intuitiv gewonnene Einsichten, hinter denen freilich eine nicht zu unterschätzende Belesenheit und Bildung steckte. Er machte durch eine optimistische Perspektive Mut, weil er die Deutschen für die Träger der westlichen Kultur und Retter der Menschheit hielt. Fatal daran war, dass Chamberlains diesbezügliche Aussagen in der Zeit des Imperialismus als Gleichsetzung von »Rasse« und »Volk« bzw. »Nation« verstanden wurden und damit eine machtpolitischdynamische Funktion erhielten. Chamberlain fand in der Geschichte der Juden und Griechen Anschauungsmaterial für seine These, dass notwendige Voraussetzung einer jeden »Rassenbildung« die Nation sei, d. h. die nach erfolgter »Blutsmischung« eintretende Abkapselung nach außen, um so der neuen »Rasse« die Möglichkeit der Entwicklung und Reinerhaltung zu geben.126 Für Chamberlain war »Rasse« ein biologisches und kulturelles Phänomen zugleich, er verstand »Rasse« als etwas Werdendes, sie sei »in ständiger Wandlung, sie veredelt sich oder entartet«, war er überzeugt. In seiner vitalistischen Grundhaltung kam es also auf die »Züchtung« an, worunter er eine »Veredelung des Menschenmaterials« verstand. Zur Rettung vor kulturellem Verfall brauche man nur die »Gesetze des Blutes« zu befolgen, die für alle Lebewesen, auch für den Menschen, gültig seien. Er hatte keine Bedenken, die Führungsrolle der »Germanen« oder »Arier« durch »Zuchtwahl« stärken zu wollen  ; denn er war der Meinung, Begabung und Leistungsfähigkeit beruhten auf »Rassenzüchtung«. Die Entstehung »edler Rassen« sei vom »Vorhandensein vortrefflichen Menschenmaterials« und von einer »sorgfältigen Ausscheidung alles Minderwertigen« abhängig. Im Hinblick auf das »Zuchtziel« komme es entscheidend auf die richtige »Blutmischung« bei der »Zufuhr neuen Blutes« an, war Chamberlain überzeugt.127 125 Chamberlain, 1922, Bd. I, XIX, 286 ff. und 300 ff. 126 Ebd., 321 ff. und 343 ff. 127 Ebd., 326 ff. Zu Chamberlain vgl. auch Young, 1968  ; Mendlewitsch, 1988, 18 ff.; Klepsch, 1990,

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Schon 1920 hatten sich bei Darré antisemitische Gefühlsregungen gezeigt, denen eine entsprechend höhere Wertschätzung »germanischer« bzw. »arischer« bzw. »nordischer« Menschen gegenüberstand. Die Begriffe in seinen überlieferten Äußerungen variieren. Nun wurde sein negatives Urteil über den »inneren Feind«, die »jüdisch« unterwanderte Presse, von Chamberlain bestätigt, der im Vorwort zur 14. Auflage seines Buches 1922 schrieb  : Juden hätten in England Parlament und Regierung in ihre Hand gebracht und mit ihrem Instrument, der Presse, auch die USA für einen »Verleumdungsfeldzug« gegen Deutschland gewonnen. So sei eine englisch-deutsche Partnerschaft – »wegen der Gemeinsamkeit eines germanischen Bewußtseins« eigentlich eine Selbstverständlichkeit – vergiftet worden. Die Presse mit ihrer »unbeschränkten Freiheit zu lügen« habe wesentlich dazu beigetragen, dass die »im Felde unbesiegten« deutschen Soldaten aus der Heimat um ihren wohlverdienten Erfolg gebracht worden seien. Der Autor wies in diesem Zusammenhang u. a. auf die Friedensresolution des Reichstages und die Be- bzw. Verhinderung von Entwicklung und Einsatz neuer Waffen wie Luftschiff (Zeppelin) und U-Boot sowie Brand- und Sprengbomben hin. »Jüdische Führer und Verführer« – so las Darré bei Chamberlain – hätten eine »Verschwörung gegen Deutschland« angezettelt mit dem Ergebnis einer parlamentarischdemokratischen Staatsform, die gleichbedeutend sei mit der »Herrschaft des Geldsackes«. In Chamberlains biologistisch geprägtem Weltbild war die Infiltration »arischen Blutes« mit »jüdischem« nichts anderes als »Verseuchung«, »Bastardisierung« – kurz  : Degeneration.128 Chamberlain hatte sich die »Erweckung des Enthusiasmus« seiner Leser zum Ziel gesetzt. Das ist ihm insbesondere bei der Generation, die den Ersten Weltkrieg er- und überlebt hatte, zweifellos gelungen  – auch bei Darré. Dessen Äußerungen aus den 1920er Jahren machen heute beim Leser den Eindruck, eher ›groß gefühlt‹ als rational durchdacht zu sein. Seine Urteile waren offensichtlich weniger in faktischem Wissen als vielmehr in dilettantischem Fühlen und Glauben begründet. Ähnliches gilt auch für seine Ansichten zu geschichtlichen und weltanschaulichen Problemen wie für seine politischen Betrachtungen überhaupt  : Nicht Tatsachen oder Wahrheit, auch nicht etwa die Wahrscheinlichkeit, sondern der Wunsch, die Hoffnung, die Sehnsucht waren ›Väter des Gedankens‹. Was damit gemeint ist, hatte Chamberlain schon 1898 so ausgedrückt  : Was hier geschrieben steht, ist e r l e b t . Manche tatsächliche Angabe mag ein überkommener Irrtum, manches Urteil ein Fehlurteil, manche Schlussfolgerung ein Denkfehler sein, ganz unwahr ist nichts  ; denn die verwaiste Vernunft lügt häufig, das volle Leben nie  ; ein bloß Ge91 ff.; P. E. Becker, 1990, 176 ff.; Field, 1981 und Bermbach, 2015. Wie Chamberlain, der davon sprach, die »Germanen« oder »Arier« müssten sich das »Gesetz des Blutes« wieder bewusst machen, so schrieb Darré in der Widmung seines Neuadels-Buches an seine Frau 1930  : »Und mein Blutsgesetz ist der Kampf  ; im besonderen der Kampf um die Zukunft meines Volkes.« (Vom Verf. bei Frau Bauer eingesehen). 128 Chamberlain, 1922, Bd. I, XVI ff. und Stöckel, 2002, 252 ff.

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dachtes kann ein luftiges Nichts, die Irrfahrt eines losgerissenen Individuums sein, dagegen wurzelt ein tief Gefühltes in Außer- und Überpersönlichem, und mag auch Vorurteil und Ignoranz die Deutung manchmal fehlgestalten, ein Kern lebendiger Wahrheit muß darin liegen.129

Mit der wortreichen Verherrlichung vitalistischer Ursprünglichkeit, die noch nicht von ›des Gedankens Blässe angekränkelt‹ ist, wurde hier die Tatsache verschleiert, dass eine halbe Wahrheit oft eine ganze Unwahrheit bedeutet. Darré jedenfalls nahm Chamberlains mit raffinierter Eloquenz verabreichte »Empfindungen« und Bekenntnisse für bare Münze, die, unterstützt durch eine prunkvolle Belesenheit, in kulturgeschichtlich ›genialischem Zugriff‹ alles Heil der Welt in einer imaginären »germanischen« oder »arischen Rasse« hervorgerufen sah. Wie sehr Darré Chamberlains nebulösen Rassebegriff, in dem sich »Arier« und »Juden« als unversöhnliche Feinde gegenüberstanden, im wörtlichen Sinne auf die Wirklichkeit bezog, zeigt eine Bemerkung vom September 1922, nachdem er eine Veranstaltung der DNVP in Halle besucht hatte  : […] erschreckend und bedrohlich waren mir die statistischen Nachweise über den Rückgang der nordischen germanischen Menschen. Bedrohlich insofern, als Menschen dieser Abstammung nachweislich allein im Stande zu sein pflegen, geistige und kulturelle Bildung produktiv zu gestalten.130

Es ist nicht verwunderlich, dass auch die Glorifizierung des »deutschen Blutes« und »nordischer« Mentalität durch Julius Langbehn (1851–1907) einen tiefen Eindruck bei Darré hinterließ.131 Der »Rembrandt-Deutsche« stammte aus Nordschleswig, hatte Naturwissenschaften und Philologie studiert und über altgriechische Kunst promoviert. Dieser zum Katholizismus konvertierte »vorsätzliche Kämpfer gegen Verderbnis und Verderbtheit«, wie ihn sein Schüler und Freund Momme Nissen im Vorwort zur 50. Auflage seines Buches Rembrandt als Erzieher 1922 charakterisierte, hatte sein Buch 1890 erstmals unter Pseudonym (»Von einem Deutschen«) veröffentlicht.132 Es wurde ein Bestseller, der besonders bei Lebensreformern, Jugendbewegten und Naturverehrern geschätzt wurde, die alle eine nationalromamtische Kulturerneuerung anstrebten. Schon zwei Jahre nach seinem Erscheinen erreichte es die 38. Auflage, 1909 wurde die 49. Auflage gedruckt und bis 1939 brachte es das Buch auf 90 Auflagen. 129 Chamberlain, 1922, Vorwort zur 1. Aufl., X. 130 Darré an seine Frau, 3.9.1922 (IfZ-München, NLD, Bd. 7, 690). 131 »Über Deutsche darf nur deutsches Blut herrschen, das ist das erste und wichtigste unserer Volksrechte.« (Langbehn, Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, 50. Aufl. 1922, 140). Großen Eindruck auf Darré machte auch  : Langbehn, Niederdeutsches. Ein Beitrag zur Völkerpsychologie, Buchenbach-Baden 1924. Vgl. auch Schemann, 1931, 378 und Darré an seine Frau, 24.11. und 26.12.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1210 und 1224). 132 Nissen, 1922 und 1926.

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Langbehn erklärte den niederländischen Maler zum »echten Arier«, dessen Kunst, der Umgang mit Hell-dunkel-Kontrasten »echt deutsch, echt nordisch« sei, und machte ihn schlicht zum Leitbild seines Erziehungszieles. Er polemisierte gegen »Genußsucht«, »Unwahrhaftigkeit«, »Verbildung«, »Geisteskälte« und »Herzenshärte«, kurz, gegen »Entartung auf allen Gebieten« der modernen Zivilisation. Langbehn verstand sich als Volkspädagoge und plädierte für das »Echte und Einfache« in der »deutschen Volksseele«. Er polemisierte gegen die »kalte Vernunft« und bediente so eine bei vielen Zeitgenossen unmittelbar nach Bismarcks Entlassung verbreitete nationale Erweckungssehnsucht. Die Menschen müssten nicht »von der Natur weg-, sondern zu ihr zurückerzogen werden«, war Langbehn überzeugt. Er mystifizierte nicht nur die Natur und hatte damit großen Einfluss auf die »Wandervogel«- und »Heimatkunst«Bewegung, auch die »Rasse« rückte er in die Nähe des Übernatürlichen, Okkulten, Kosmischen. So sah er den »Arier« als Geschöpf der Sonne, wie es später etwa Lanz von Liebenfels in Österreich in seinem rassistischen Periodikum Ostara. Zeitschrift für Blonde propagierte. Auch dass Langbehn im niederdeutschen Bauern einen »wirklichen Aristokraten« sah und eine »Adelspartei im höheren Sinne« propagierte, die »Klassenkampf« und »Parteiengezänk« überwinden würde, sowie sein Antiliberalismus – all das sprach Darré »aus dem Herzen«, wie er seiner Frau schrieb.133 Zu Weihnachten 1926 wünschte er sich »den Rembranddeutschen« (sic) von seiner Frau als Geschenk, weil er sich »ungeheuer hingezogen« fühlte zu Langbehns Charakterisierung des niederdeutschen/niedersächsischen Menschentyps als geborener bäuerlicher Aristokrat. Als er Langbehns gerade erschienenes Buch Niederdeutsches. Ein Beitrag zur Völkerpsychologie in Insterburg erhalten hatte, berichtete er schon am 26. Dezember  : Er habe es nicht nur »verschlungen«, sondern »in mich hineingetrunken«. Und er bekannte  : »Seit Chamberlains Grundlagen hat mich kein Werk mehr so aufgewühlt, mir so die innere Ruhe gegeben wie dies kleine Büchlein.« Es habe ihn sein »Ich finden lassen«, bekannte er. »Wirklich, ich weiß heute, wie ich bin und warum ich es bin. Damit hören für mich jene grässlichen Zweifel auf. In der Zukunft werde ich handeln wie mein Sein es verlangt und die Umstände erfordern [sic].«134 Langbehns den heutigen Leser wie eine ideologische Donquichotterie anmutende zeitkritische Auslassungen gipfelten eben in jener Gegenüberstellung von »Seele« und »Verstand«, »Herz« und »Vernunft«, die auch für Chamberlain charakteristisch ist. Langbehn sprach von »edler Subjektivität«, Ethik galt ihm mehr als Logik, »Innerlichkeit« war die Parole, die nur zu erreichen sei durch »Rassereinheit«. Aber er warb auch für Prinzipien (»Gesetze«) wie »Führertum« (Deutschland werde von einer 133 Darré an seine Frau, 24.11.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1210). Die Sonne als Lebenssymbol spielte im »völkischen« Denken eine große Rolle. Darré interpretierte den Hintergrund des Hakenkreuzes in der Fahne der Nationalsozialisten als Sonne, »nordische« Menschen verstanden sich als »Kinder des Lichtes« und auch das Publikationsorgan des »Nordischen Ringes«, dem Darré später angehörte, hieß Die Sonne. 134 Darré an seiner Frau, 26.12.1926 (IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1223).

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»cäsaristisch-künstlerischen Einzelpersönlichkeit« gerettet werden, verkündete er) und korporative Gliederung der Gesellschaft (»Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben«), er sprach pathetisch von einem »eingeborenen Erdcharakter des deutschen Volkes« – Phrasen mit suggestiver Kraft, die später in das Begriffspaar »Blut und Boden« einflossen. Obwohl auch Langbehn sich vom Judentum distanzierte, war er doch kein eliminatorischer Rassist. Er räsonierte von »arischem Volksthum«, vom Leben und Wirken »aus dem Blute heraus« und verkündete, »gesunde Sittlichkeit« hänge von »gutem Blut« ab und sei daher irreversibel festgelegt. »Uralter Aristokratismus besiegt neumodischen Demokratismus«, war er überzeugt und plädierte gleichzeitig für eine harmonische »Volksgemeinschaft«. Er wollte »nicht Menschenrechte vom Himmel holen, sondern Volksrechte aus der Erde graben«. Auch sozialdarwinistische Vorstellungen griff er auf, wenn er davon sprach, »das eigene Blut« wolle »sich durchsetzen gegen das fremde  ; so will und wird auch das arische Blut sich durchsetzen gegen jedes andere.« Für ihn waren die Deutschen »bestimmt, den Adel der Welt darzustellen«, er beabsichtigte, ihr Selbstbewusstsein zu stärken mit dem Ziel »deutscher Weltherrschaft«. Sein Fortschrittsskeptizismus, seine Mittelalterromantik und seine Modernitätskritik paarten sich mit Visionen nationaler, germanophiler Erlösung und mündeten bruchlos in die völkische Ideologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.135 Darré nahm ebenso bereitwillig die heroisierende Rassenmystik eines H. St. Chamberlain auf wie die nebulösen, im Irrationalen verwurzelten exaltierten Gedankensplitter Langbehns. Ja, selbst die Universität bot ihm Gelegenheit, seine »völkische Weltanschauung« zu vervollständigen. Darrés Studium in Halle beschränkte sich nicht ausschließlich auf sein Fachgebiet, die Landwirtschaft, sondern umfasste einen weiten Kreis von Interessen. Er beschäftigte sich mit allgemeinen naturwissenschaftlichen Problemen und Fragen der Tierzucht, hörte Vorlesungen philosophischen, zeitgeschichtlichen, politischen und anthropologischen Inhalts, wobei allerdings sein Interesse neben der Vorgeschichte und der Paläontologie bei Johannes Walther besonders der Vererbungsbiologie galt. Sein Lehrer auf diesem Gebiet war Valentin Haecker, ein in darwinistischem Gedankengut verwurzelter Zoologe, bei dem Darré u. a. eine Vorlesung über »Biologische Zeitfragen« hörte.136 Bei Haecker besuchte Darré im Wintersemester 1923/24 auch eine Vorlesung »Einführung in die menschlichen Rassen«, wodurch er zur intensiven Lektüre von Hans F. K. Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes angeregt wurde. Am 14. Januar 1924 berichtete er aus Halle, er »verschlinge« dieses Buch geradezu, »[…] fabelhaft […] manchmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen.« Charakteristischerweise 135 Vgl. Langbehn, 1922, 117, 137 f., 140, 223 und 309. Im Übrigen  : Stern, 1963, 127 ff.; Mendlewitsch, 1988, 74 ff. und P. E. Becker, 1990, 126 ff. 136 Vgl. V. Haecker, Allgemeine Vererbungslehre. Braunschweig 1911, 3. Aufl. 1921  ; Umwelt und Erbgut, Halle (Saale) 1926.

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Abb. 6 Hans Friedrich Karl Günther (1891–1968).

bezog er das, was er »bei Günther gelernt« hatte, sogleich auf seine Familie und sich selbst, wobei er die ganze Problematik der »Rassenkunde« als »Wissenschaft« unbewusst schon andeutete, wenn er feststellte  : »[…] daß manches, was ich für einen persönlichen Fehler meines Charakters oder Wesens hielt, nichts anderes ist wie [sic] das Erbteil meiner Rasse.«137 Es musste einem Menschen, der  − wie Darré  − leicht zur Selbstgefälligkeit neigte, gut ins Konzept passen, persönliche Schwächen als unvergängliche, erblich veranlagte »Rassen«-Merkmale erklärt zu bekommen, noch dazu wenn diese betreffende »Rasse« in der Werteskala menschlicher »Rassen« und ihrer Eigenschaften weit oben rangierte – wie es Günther propagierte. Hans Friedrich Karl Günther hatte in Freiburg Germanistik studiert und war dort mit einer Arbeit über das Volksbuch des Fortunatus 1914 promoviert worden. Nach dem Krieg, an dem er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnahm, wurde er Gymnasiallehrer, ein Beruf, in dem er sich aber nicht wohlfühlte.138 So schrieb er Gedichte 137 Darré an seine Frau, 14.1.1924 (IfZ-München, NLD, Bd. 8, 918 ff.). Schon anlässlich einer Veranstaltung der DNVP im September 1922 war Darrés »vererbungsfrohem Auge« nicht entgangen, dass bei den Teilnehmern »der nordische Typus überwog« (Bf. an seiner Frau v. 3.9.1922, ebd., Bd. 7, 690). Auch von Hitler weiß man inzwischen, dass er Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes studiert hat (Th. Weber, 2016). 138 Vgl. auch für das Folgende  : Lutzhöft, 1971, 28 ff. und 70 ff.; P. E. Becker, 1990, 230 ff. und Weisenburger, 1997, 161 ff.

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und Bühnenstücke und wurde mit dem Buch Ritter, Tod und Teufel. Der heldische Gedanke, das 1920 im J. F. Lehmanns Verlag erschien, bekannt. Darin plädierte er – in Anlehnung an Dürers gleichnamigen Kupferstich, aber Missdeutung desselben – dafür, die Deutschen wieder zu einem »bildnerischen Blick« für »rassische« Phänomene zu erziehen. Günther beklagte die »Verseuchung unseres Zeitalters« durch Materialismus, Liberalismus und Kapitalismus  – alles »Errungenschaften« des 19.  Jahrhunderts. Es gelte, die Massengesellschaft mit ihrer Verherrlichung des Individualismus zu überwinden. Das »rassisch gemischte« deutsche Volk solle die »nordische Rasse« als »wertvoll«, »aufbauend«, »schöpferisch« und »heldisch« erkennen und den »nordischen Gedanken« zur Grundlage einer neuen Reichsidee machen. Emphatisch forderte Günther vom Menschen die »heldische Tat« und glaubte damals schon an eine »auserwählte Rasse«. Indem er »heldisch« und »nordisch« und »schöpferisch« gleichsetzte, war klar, welches »Auslesevorbild« bzw. Ideal er vor Augen hatte. Er sah es als Aufgabe an zu zeigen, was »nordisch« ist und was dem »nordischen Menschen« nützt. Dementsprechend plädierte er für einen »deutschen Staat nordischer Rasse«.139 Diese irrationale Verklärung von nationaler ›Tiefe‹ und Heroismus à la Nietzsche entsprach ganz dem damaligen Zeitgeist. Vom Verleger Lehmann dazu aufgefordert, sich mit dem »Rassengemisch« in Deutschland etwas genauer zu beschäftigen und das Ideal des »nordischen« Menschen zu kennzeichnen, schrieb der anthropologische Autodidakt, der in Freiburg immerhin bei dem damals führenden Anthropologen Eugen Fischer eine Vorlesung gehört hatte, in zweijähriger Arbeit und – nach dem Ausstieg aus dem ungeliebten Lehrerberuf – finanziell von seinem Verleger unterstützt, seine Rassenkunde des deutschen Volkes.140 Das Buch erschien erstmals im Juli 1922. Darin konstruierte Günther zunächst vier, später sechs »Rassetypen«. Er nannte sie »nordisch«, »westisch«, »dinarisch« und »ostisch« 139 Günther  : Ritter, Tod und Teufel. Der heldische Gedanke. München 1920, 127 und 147. Lothar Stengelvon Rutkowski, Anhänger der »Nordischen Bewegung« und Mitarbeiter Darrés im RuSHA der SS, würdigte in den 1930er Jahren Günther und sein Erstlingswerk  : 1920 sei das Jahr »tiefster deutscher Machtlosigkeit, Schande und Zerrissenheit« gewesen. Am 10. Januar sei das »Versailler Diktat« in Kraft getreten, die Sieger hätten von Deutschland die Auslieferung von Heerführern und Frontkämpfern verlangt und der »klägliche Versuch zu aufrechter Haltung und Selbsterneuerung in Form des Kapp-Putsches« sei damals »beschämend zusammengebrochen«, während im Westen die ersten farbigen Truppen in deutsches Gebiet einmarschiert seien. Dieser »Zeit des Zerfalls und der Entartung, der Treulosigkeit und des Ehrverlustes, des Pazifismus und des Landesverrats, des Dadaismus und des Jazz« habe Günther sein Buch entgegengehalten (Stengel-Von Rutkowski, 1935). Der spätere Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, bemerkte 1924 zu Günthers Buch, das er zweimal gelesen habe, es drücke das aus, »was ich fühle und denke« (Ackermann, 1970, 111. Außerdem  : Nipperdey, 2013a, Bd. I, 831). 140 Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Lehmann dem Münchener Anthropologen Rudolf Martin den Vorschlag gemacht, ein solches Buch zu schreiben. Dieser lehnte jedoch ab, »da für ein solches Werk noch nicht genügend wissenschaftliche Unterlagen« vorlägen. Daraufhin erhielt Günther den Auftrag. Vgl. Saller (ein Schüler Martins), 1961, 27  ; M. Lehmann, 1935, 60 f. und 252 f. und Günther, »Erinnerungen an J. F. Lehmann«, in  : DE, 19/1935, 277 ff.

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und ergänzte dieses Tableau 1924 durch einen »ostbaltischen« und 1928 durch einen »fälischen Menschenschlag«.141 Günther stützte sich dabei auf Gobineau und Chamberlain sowie zeitgenössische Anthropologen wie u. a. die Franzosen Georges Vacher de Lapouge und Joseph Deniker sowie Fritz Paudler, die sich alle um eine auf Europa bezogene Differenzierung der menschlichen »Großrassen«  – Weiße, Schwarze und Gelbe, wie Gobineau noch festgestellt hatte – bemühten. So hatte Deniker von einer »race nordique« gesprochen und die »dalische Rasse« des Prager Ethnologen Paudler nannte Günther 1928 »fälisch«. Der Philologe und angehende Schriftsteller machte aus den »Deutschen«, »Germanen« oder »Ariern« ein Phänomen, das aus einem Gemisch konkret benannter »Rassen« bestand.142 Dass Günther von der Germanistik her kam, war insofern nicht ungewöhnlich, als in anthropologisch-ethnologischen Fragen schon seit dem 18. Jahrhundert von sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgegangen worden war. In der vergleichenden Sprachwissenschaft wurde aus der Feststellung einer engen Verwandtschaft der meisten europäischen und einiger asiatischer Sprachen die These vom »Indogermanischen« als »Ursprache« eines »Urvolkes« entwickelt, das  – so nahm man an  – aus dem Osten gekommen sei. Diese These (»ex oriente lux«) wollten alle widerlegen, die – vom Germanen-Mythos infiziert – Nordeuropa als »Urheimat der Arier« ansahen. Hinter diesem vaterländischen Banner vereinten sich Sprachforscher, Altertumskundler, Archäologen und prähistorische Anthropologen. Auch Gustaf Kossinna, der Begründer der Vorgeschichtsforschung in Deutschland, war von Hause aus Germanist. Hatte nicht der Sprachforscher und Dichter August Wilhelm Schlegel den Helden Siegfried aus dem Nibelungenlied als »nordischen Achill« bezeichnet  ? Und hatte nicht der römische Schriftsteller Tacitus die Germanen als »große Gestalten mit wild blickenden blauen Augen, heller Haut und rötlichem Haar« beschrieben  ?143 Günther stand in der Tradition derjenigen, die nach einer Genealogie und Sinngebung der »Tedesci«, der Deutschen in der Mitte Europas, suchten. Diejenigen, die eine nationale Identität und Integrität der Deutschen als politisches Ziel vor Augen hatten, trugen aus ihrer jeweiligen Wissenschaftsdisziplin alles zusammen, was zur Stabilisierung des Mythos von Herkunft und Abstammung des deutschen Volkes als »Kernvolk« der in Nordeuropa ansässigen Germanen diente. In seinem Buch Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat und Rassenherkunft der Indogermanen, das 1934 erschien, wollte Günther – wie es 141 Die zusätzliche Erfindung der »fälischen Rasse«, die auch bei Kern, Stammbaum und Artbild der Deutschen, 1927 vorkam, wurde von Günther in die 9. Auflage seiner RkdV, 23 aufgenommen. Sie kam denen entgegen, die Bismarck oder Hindenburg wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes diskreditiert sahen. Auch Darré nahm diesen Ball gerne auf, wenn er sichtlich erleichtert beide »Rassen« als »gleichwertig« bezeichnete  : Darré, Bauerntum, 1929, 213 ff. 142 Lutzhöft, 1971, 84 und 88 ff. macht aufmerksam auf Deniker, Les races et les peuples de la terre, 1900 und Paudler, Die hellfarbigen Rassen und ihre Sprachstämme, Kulturen und Urheimaten. Heidelberg 1924. 143 Vgl. Grünert, 2002 und Klemperer, 1996, 148.

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auch Darré getan hatte – die Asien-Hypothese (»ex oriente lux«) widerlegen und die Nordeuropa-These belegen und untermauern  : »Die Urheimat der nordischen Rasse ist in den eisfreien Gebieten des altsteinzeitlichen Mitteleuropa zu suchen.« Es war in der Sprachwissenschaft damals nicht ungewöhnlich, von linguistischen auf ethnische bzw. »rassische« Phänomene zu schließen. In dieser völkischen Phalanx, die bald auch rassistisch infiziert wurde, stand auch Hans F. K. Günther.144 Für Deutschland sah Günther besonders im 19.  Jahrhundert die entscheidende Etappe in der Entwicklung zu kulturellem Verfall und »rassischer Entartung«. Die durch Erfindergeist und fortschreitende Zivilisation hervorgerufene Industrialisierung und die Umwandlung überkommener Lebensverhältnisse wurden als verhängnisvolle Entwicklung gebrandmarkt, an deren Ende Dekadenz und Kulturabstieg stehe. Günther wollte der »mechanistischen« eine »organische« und »wuchshafte Lebensauffassung« entgegensetzen und einen Ausweg aus dem Untergangsszenario Spenglers aufzeigen. Der »rassische« Schmelztiegel der Großstadt habe der Auflösung der geschichtlich gewachsenen Bindungen, einem extremen Individualismus und Persönlichkeitskult nur Vorschub geleistet. Geburtenrückgang und Kulturverfall seien die Folgen gewesen. Günther wusste vor allem zwei Gründe hierfür anzugeben  : »Rassenmischung« und »fremdrassischer« Einfluss des Judentums. »Arteigenheit«, d. h. Übereinstimmung von Gesittung (Kultur) und »Rasse«, ist der Schlüsselbegriff für diese Anschauung. Wie Chamberlain so war auch Günther der Meinung, dass beim »reinrassischen« Menschen Leib und Seele in Harmonie, der »Mischling« dagegen gespalten sei. Deshalb seien Produkte aus »Rassenkreuzungen« auch so oft von »leiblicher Häßlichkeit und sittlicher Schlechtigkeit« gezeichnet. Das 19. Jahrhundert sei »auf allen Gebieten ein Mischlingszeitalter« gewesen, das den Menschen entwurzelt habe, so dass er »den tausenderlei verwirrenden Einflüssen keine bestimmte Artrichtung mehr entgegensetzen konnte«, stellte Günther fest. Sein Heilmittel lautete  : »Reinzüchtung« in einem Prozess langer Dauer mit dem Ziel der »Aufnordung«. Es ist kennzeichnend für die unsichere und tastende Vervollständigung seiner Nomenklatur, dass Günther zunächst große Probleme hatte, eine »jüdische Rasse« in seinem System unterzubringen. Mit Vacher de Lapouge machte er einen Unterschied zwischen »Volk« und »Rasse«. Er ging davon aus, dass jedes Volk mehrere »Rassen« beheimatet, ja dass der »überaus größte Teil der europäischen Menschen Mischlinge, Bastarde« seien. 1928 gehört das »jüdische Volk« zur »vorderasiatischen Rasse«. Die in Deutschland lebenden Juden seien nicht Bestandteil des deutschen Volkskörpers, sie seien Fremdlinge im eigenen Land. Günther erklärte sie sogar zu Rivalen der »nordischen Rasse« im Kampf »um die Beherrschung der Erde.« So trug Günther dazu bei, als Alternative zum Marx’schen »Klassenkampf« den »Rassenkampf« als Movens der Weltgeschichte zu popularisieren.145 144 Günther, Kl. RkdV, 1929, 101. Im Übrigen  : R. Römer, 1985  ; Wiworra, 2006 und See, 1994. 145 Günther, RkdV, 9. Aufl. 1926, 16, 246 ff. und 379 ff. sowie Günther, Rassenkunde des jüdischen Volkes,

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Zu seiner These, »Rassenmischung« sei »Rassenschande« und deshalb vom Übel, erklärte Günther, indem er in bloßstellender Offenheit sein Vor-Urteil beim Namen nannte  : Zwar läßt sich das heute kaum erweisen, denn die vielen bekannten Beispiele der Minderwertigkeit von Mischlingen aus einander ferner stehenden Rassen lassen sich in der Regel auch durch die meist ungünstige Auslese derjenigen erklären, die solche Mischverbindungen eingehen. Aber ich möchte vermuten, daß die Forschung, wenn ihr Blick erst einmal auf die Möglichkeit von Kreuzungsunstimmigkeiten gelenkt ist, auch manches finden wird, was eine gewisse Schädlichkeit der Rassenkreuzung wahrscheinlich macht.

Eine Vermutung wurde ihm zur Gewissheit, weil für Günther von vornherein das kulturschöpferische Monopol der »nordisch« reinen »Rasse« feststand. Für den Nordischen Gedanken ist […] nicht Rassenmischung die wesentliche Ursache zu Gesittungsschöpfungen, sondern Rassenschichtung, und auch Rassenschichtung nur, solange die schöpferische Schicht an Zahl und seelischer Gesundheit stark genug ist, sich selbst und dem ganzen von ihm geführten Volk für die gemeinsame Gesittung das ertüchtigende Vorbild aufgerichtet zu erhalten.146

In Günthers Konzept wurden der »nordischen Rasse« alle Führungsaufgaben und Leitungspositionen für das sich aus »ostischen«, »westischen«, »dinarischen« usw. »Rassen« zusammensetzende deutsche Volk eingeräumt.147 Für die »jüdische Rasse« aber bestand in dieser »Rassenschichtung« kein Platz. Sowohl die »Einwirkung des jüdischen Geistes auf das Leben des deutschen Volkes« als auch die »Vermischung deutschen Blutes mit dem in der Hauptsache europafremden jüdischen Blut« wurde als »besonders unheilvoll« bezeichnet. Schließlich habe »das Judentum« erheblich »zur Verwirrung der Geistesrichtungen des neuzeitlichen Lebens« beigtragen.148 Es war das erklärte Ziel der Günther’schen »Rassenkunde«, die »nordische Rasse« zum »leiblich-seelischen Vorbild für die Auslese im deutschen Volk« zu machen, d. h. 2. Aufl. 1931, 342. Das, was er in diesem Buch zusammentrug, hatte er in seiner RkdV bis 1928 als »Anhang« ausgeführt. In der 12. Auflage 1928 ist dieser Anhang verschwunden. Drei Jahre später taucht dieser Text, leicht überarbeitet und erweitert, als Einzelpublikation wieder als Rassenkunde des jüdischen Volkes auf. Vgl. auch Hitler, 1932, 313 f., der darauf hinweist, »daß bei jeder Blutsvermengung des Ariers mit niederen Völkern als Ergebnis das Ende des Kulturträgers herauskam.« (Günther, Nord. Ged., 2. Aufl. 1927, 129 ff.). 146 Günther, Nord. Ged., 1925, 129 und 84. 147 Günther, RkdV, 1926, 410 f. Günther wandte sich übrigens entschieden gegen den aus der Sprachwissenschaft kommenden Begriff »Arier« (ebd., 25). Für ihn war der Germane ausschließlich ein Mensch »nordischer Rasse« (ebd., 170 und 283 Anm. 1). 148 Ebd., 384 f. und Nord. Ged., 1925, 75.

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in Deutschland den »Willen zu einer Wiedervernordung zu wecken.«149 Obwohl Günthers »Rassen« in Deutschland in vielerlei Mischungen vorkommen würden, die »nordische Rasse« beispielsweise in reiner Form »sehr hoch gerechnet etwa 10 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmache«, glaubte er doch, gerade dieser »Rasse« ein kulturschöpferisches Monopol zuschreiben zu können.150 Günther sah dementsprechend in der Indogermanisierung Europas die wichtigste historische Grundtatsache dieses Erdteils. Damals habe sich eine »nordische« Führungsschicht den anderen »Rassen« überlagert, ohne die alle Kultur, ob in Griechenland, Rom oder sonstwo im Bereich des »Abendlandes«, undenkbar sei. »Entnordung«, d. h. Schwinden der »nordischen« Führungsschicht und »nordischer« Anteile an den »Mischlingen«, habe immer »Entartung«, d. h. Kulturabstieg und Minderung der Leistungsfähigkeit, zur Folge gehabt.151 Für Günther war die gesamte abendländische Kultur, die er  – um Fremdwörter zu vermeiden – »Gesittung« nannte, allein auf die »nordische Rasse« zurückzuführen. Deshalb erklärte er »nordisches Blut« zum »Ideal des deutschen Menschen«. Bei einer Qualifizierung und Klassifizierung des Menschen nach seiner Rassenzugehörigkeit gipfelte die Günther’sche Lehre in einer Werteverteilung, die der von ihm angenommenen »nordischen Rasse« alles Positive, den anderen, vornehmlich den »asiatischen Rassen«, die er im Hinblick auf Deutschland als »ostische Rasse« bezeichnete, alles Negative zueignete. Das galt besonders auch für die »vorderasiatische Rasse«, der er die Juden zuordnete. Da für Günther »Rassen« – nicht nur ihre Körperformen, sondern besonders ihre geistig-seelische Eigenart – unveränderliche Konstrukte waren, konnte er Umwelteinflüssen im Gegensatz zu den Erbanlagen keinerlei Bedeutung beimessen. Er war der Meinung, die Mehrzahl der Deutschen seien »Mischlinge« aus mindestens zwei der von ihm ausgemachten »Rassen«, denen er jeweils ein »arteigenes Schönheitsbild« und eine »arteigene Sittlichkeit« attestierte. Günthers »Rassen«-Konstruktion betonte das höherwertige »Nordische« gegenüber allen anderen Konstrukten, insbesondere dem minderwertigsten von allen, dem Jüdischen. »Rassenmischungen« waren für ihn immer mit einer Überlagerung des höherwertigen durch das minderwertige Konstrukt verbunden. In diesem Sinne galt ihm als besonders »rassenzerstörend« eine »Mischehe« mit Juden.152 Wie Darré so verband auch Günther seinen Antisemitismus mit einem antiklerikalen Affekt, der sich auch dezidiert gegen »Rom« richtete. Für beide war das Christentum eine Ausgeburt des Judentums. 149 Günther, RkdV, 10. Aufl. 1926, Vorwort zur 3. Aufl.; Günther, Kl. RkdV, 1927, 146 und Nord. Ged., 1925, 55 f.: »Für das ganze Volk kann Zielbild der Auslese nur der Nordische Mensch sein.« 150 Günther, RkdV, 1926, 224 und 337  : »Schwindet die nordische und die schöpferische Rasse, so schwindet die Größe und Schöpferkraft.« 151 Ebd., 283 und 286  : »Was man in der Sprachwissenschaft Indogermanisierung nennt, stellt sich rassenkundlich dar als die Herrschaft einer nordischen Herrenschicht.« Vgl. auch Günther, Nord. Ged., 1925, 85. 152 Günther, RkdV, 1926, 248 und 380 ff.

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In einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Einwänden gegen seine Rassenlehre verwahrte sich Günther allerdings dagegen, dass man ihm vulgären Antisemitismus unterstelle. Keine Rasse der Erde ist »wertvoll« an sich, vom Wert einer Rasse kann immer nur gesprochen werden in Bezug auf eine Gesittung […]. Die Juden sind der Nordischen Bewegung nicht an sich minderwertig, sondern allein in Bezug auf den Erbgang des deutschen (nordisch-bedingten) Volkes,

versuchte er sich rauszureden.153 Es kann nicht angezweifelt werden, dass Günther mit seiner »Rassenlehre« eine Wertung verband. Die Frage, ob bestimmte Eigenschaften gut oder schlecht, schön oder hässlich, edel oder unedel sind, bestimme die »Gesittung« einer »Rasse«, lehrte er. Jede »Rasse« habe ihre eigene, ihr angeborene Sittlichkeit. Deshalb wurde von ihm das, was »artfremd« sei, negativ, das, was als »arteigen« erkannt werde, positiv beurteilt. Der Schlüsselbegriff für Günthers Haltung den Juden in Deutschland gegenüber ist also deren »Artfremdheit«, weswegen eine geistige Gemeinschaft von Juden und Deutschen nicht denkbar sei. Im deutschen Kulturbereich könne man keine Juden dulden, da die Gefahr eines »unklärbaren europäisch-asiatisch-afrikansichen Rassensumpfes« zu groß sei.154 So kam Günther zu der Ansicht, die in Europa zerstreut wohnenden Juden und der »jüdische Geist« hätten einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Verwirrung der Geistesrichtungen des neuzeitlichen Lebens, auf »Entnordung« und »Entartung« in Europa gehabt.155 Der Grund liege in der bei der »nordischen Rasse« im Laufe der Geschichte immer mehr zunehmenden, von außen her unterstützten Nichtbeachtung erbbiologischer und »rassischer Gesetze«. »Der Jude achtet auf die Dinge des Blutes, der Deutsche fast nie und nirgends […]. Die Unaufmerksamkeit einer Menschengruppe auf die Fragen des Blutes bewirkt aber deren allmähliches Unterliegen«, war er überzeugt.156 Günther hatte gegenüber der Frage, warum in der Geistesgeschichte des Abendlandes sehr viele nicht-»nordische« Menschen an führender Stelle genannt werden, eine recht eigenartige Entgegnung parat  : Zur Lösung der Frage führt die Erwägung, worin der höhere Wert für ein Volksleben erblickt wird, was den Sinn alles Volksdaseins ausmachen soll. Ist es die Erzeugung geistiger Schöpfungen  ? Ist es die Steigerung des Menschen  ? Die betrachteten Einwände beruhen auf der Voraussetzung, die Erzeugung geistiger Schöpfungen sei der Sinn eines Volksdaseins. Die 153 154 155 156

Ebd., 77. Ebd., 78 ff. Günther, Nord. Ged., 1925, 104 und RkdV, 926, 384. Ebd., 385 f.

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Erbgesundheitsforschung wie der Nordische Gedanke sehen aber den Sinn eines Volksdaseins in der Steigerung des Menschen,

behauptete er. Hier offenbart sich der Circulus vitiosus seines Denkens. Geistige Schöpfungen sind ihm nur dann bedeutsam, wenn sie von »nordischen« Menschen geschaffen worden sind und die »nordische Rasse« in ihrer Führungsstellung unterstützen. Die »Steigerung des Menschen«, so sagt er, werde nämlich durch Bildung und Auslese erzielt, deren Ergebnis die führende Position der »nordischen Rasse« im Volkskörper sei. »Aus dem sich steigernden Volk werden dann auch immer die schöpferischen Menschen hervorgehen, die Gesittungsgüter schaffen.«157 Günther gab sich keineswegs Gobineau’schem Pessimismus hin, sondern er übernahm sozialdarwinistische Aktionsprogramme, um zu einer allgemeinen »Wiedervernordung« des deutschen Volkes zu kommen.158 Es war Chamberlain, der aus der Ungleichheit der »Rassen« eine Ungleichwertigkeit gemacht und die Germanen bzw. Arier an die Spitze der Werteskala gestellt hatte. Die – in der Günther’schen Terminologie – zur Führung prädestinierte »nordische Rasse« solle in der »Schichtung« der verschiedenen »Rassen« wieder die oberste Stelle einnehmen. Aus dem drohenden »Untergang« kann eine neuer Aufstieg nur werden, wenn das nordische Blut, dem die geschichtliche Größe aller indogermanischen Völker zu danken ist, wieder erstarkt und nordische Menschen wieder zahlreich und führend werden.159

Günther setzte sich in dieser Hinsicht bewusst von Gobineau ab und wollte  – wie Vacher de Lapouge  – mit Hilfe eines Selektionsprozesses den »nordischen« Anteil an der Bevölkerung allmählich steigern, um so das deutsche Volk dem ursprünglichen Idealtyp des »nordischen Menschen« immer weiter anzunähern  : »Vorwärts, nicht rückwärts gewandt ist der Nordische Gedanke  !« Dabei komme es auch auf eine Erziehung am Vorbild an  ; denn dies sei »zur Rettung der nordischen Seele durch Erfassung nordischen Wesens, vor allem aber auch zur Stärkung des Gemüts« von großer Bedeutung. Günthers Publikationen waren daher voll von anschaulichem Bildmaterial. Darré ließ später ebenfalls »vorbildliche Bauerntypen« malen und publizieren.160

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Ebd., 99 f.; vgl. auch Günther, Platon als Hüter des Lebens. 1928. So im Vorwort der 3. Aufl. seiner RkdV. Günther, RkdV, 1926, 398. Ebd., 414 und Günther, Nord. Ged., 1925, 68. 1929 musste sich der Historiker Walter Goetz gerichtlich dagegen zur Wehr setzen, dass Günther (RkdV, 32) sein Bild als Beispiel für »vorderasiatische« Züge benutzt hatte. (W. V. Weigand, Walter Wilhelm Goetz. 1867–1958. Eine biographische Studie über den Historiker, Politiker und Publizisten. Boppard a. Rh.1992). Darrés bevorzugter Maler »zur künstlerischen Gestaltung des Staatsgedankens von Blut und Boden« war Wolfgang Willrich (vgl. u. a. dessen Buch Des Edlen ewiges Reich, Berlin 1939).

Politische und weltanschauliche Bewusstseinsbildung

Auch Günther verfiel in jene wohlmeinende Schwärmerei für die Vergangenheit, die Gobineau schon gepflegt hat und die bei Darré noch weit ausgeprägter zu finden ist. Günthers Katalog der Maßnahmen, die notwendig seien, um eine »Wiedergesundung« des deutschen Volkes zu erreichen, mutet entsprechend antiquiert an, wies aber gleichzeitig auf nationalsozialistisches Gedankengut voraus  : Abschaffung des römischen und Wiedereinführung deutschen Rechts, Abschaffung des »fast schrankenlosen Kapitalismus des beweglichen Kapitals und der internationalen Vorherrschaft der Großbanken«, Schaffung einer berufsständischen Volksvertretung »gegenüber dem nahezu sinnlos gewordenen Parteientreiben«, Wiedererlangung einer vertieften Auffassung des Wesens der Familie. Gegenüber Individualismus und schrankenlosem »Recht der Liebe« müsse wieder Verantwortungsgefühl gegenüber Sippe, Rasse und Nachkommenschaft in die deutsche Ehe einziehen – verkündete Günther.161 Da man nach Günther niemals ein ganzes Volk für eine »rassische« Mitverantwortung gewinnen könne, sondern immer nur wenige »ausgelesene Sippen«,162 womit selbstverständlich nur die »nordrassischen« Geschlechter gemeint waren, ist wieder der Endpunkt Günther’scher Überlegungen erreicht  : Schutz der »nordischen Rasse« im Staat ist seine Hauptforderung. Er präzisiert sie, indem er steuerliche Vorteile und Subventionierungen fordert, die bei der »nordischen« Führungsschicht zu einer höherer Kinderzahl anregen würden.163 Alles sei zu tun, damit sich die Geburtenzahl der »nordischen« und »vorwiegend nordischen« Menschen in Deutschland anhebe. Deshalb forderte er, »der nordischen Rasse die Umwelt zu schaffen, in welcher sie sich mehren kann.«164 Zur Verhinderung eines Anwachsens »artfremder« Volksbestandteile trat Günther für eine Ausmerzung »minderwertiger« Erbanlagen durch sterilisierende Eingriffe ein. Als »unerläßlich« unterschied er zwischen »erwünschter und mindererwünschter« Kinderzeugung und forderte zur Abwehr »fremdrassischer« Infiltration strenge Einwanderungsgesetze.165 Für Günther stellte sich diese Maßnahme als lebenswichtig für das deutsche Volk dar, ihre Verwirklichung sei Teil des Lebenskampfes, der für ihn ein »Rassenkampf« war. 161 Günther, RkdV, 1926, 306, 399 und 404 f. Vgl. dazu Hitler, 1932, 279  : »Das Recht der persönlichen Freiheit tritt zurück gegenüber der Pflicht der Erhaltung der Rasse.« − Und ebd., 275  : »Auch die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muß dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse, dienen. Nur das ist ihr Sinn und ihre Aufgabe  !« 162 Günther, Nord. Ged., 1925, 28 und 58. 163 Günther beklagte besonders die »Gegenauslese innerhalb der heutigen europäischen Volkstümer, die darauf beruht, daß nicht die Tüchtigeren, sondern gerade die Untüchtigeren, die größere Nachkommenschaft hinterlassen«, wobei automatisch die nordischen Volksteile reduziert würden. »Gerade die höheren Stände, die im Durchschnitt nordischer sind, schränken die Kinderzahl am meisten ein« und auch »die heutige wirtschaftliche Zerreibung des Mittelstandes muß die Entnordung rasch steigern.« (Günther, RkdV, 1926, 394). 164 Günther, Nord. Ged., 1925, 120. 165 Günther, RkdV, 1926, 392 und 403  ; vgl. auch Günther, Nord. Ged., 1925, 63.

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Rassischer Betrachtung ergibt sich dieser Kampf als die Entscheidung, ob die Völker von einer Oberschicht vorwiegend vorderasiatischer Rasse (weil jüdischen Volkstums) kapitalistisch oder (wie im heutigen Rußland) kommunistisch beherrscht, oder ob sie von einer Oberschicht vorwiegend nordischer Rasse geführt werden sollen,

stellte er apodiktisch fest.166 Bei der Frage nach der Verwirklichung seiner Ideen gab sich Günther allerdings keinen Illusionen hin. Ihm erschien die Zeit noch nicht reif, aus der Förderung der »nordischen Rasse« eine Volksangelegenheit und offizielle Regierungspolitik machen zu können. Vom Staat wird in absehbarer Zeit die Frage der Wiedervernordung nicht betrachtet werden können. Kein Staatsmann wird in absehbarer Zeit öffentlich auf Rassenfragen hinweisen dürfen. Vorerst wird alles auf eine gewisse Selbsthilfe nordischer und nordisch gerichteter Kreise ankommen.167

Zur Organisation einer geschlossenen Willensbildung in der Gesellschaft stellte Günther sich einen »freien Zusammenschluß nordisch-gerichteter Deutscher zum Schutz der nordischen Rasse« vor, welche Einrichtung mehr durch das gute Beispiel als durch Prunksucht überzeugen solle und deren Stärke in Auslese und der hohen Kinderzahl bestehe.168 Außerdem komme es auf eine entsprechende Schulung des Sehvermögens an, sei es doch der Blick für das »Artgemäße« und »Artfremde«, der bei der Auswahl des Gatten oder der Gattin maßgeblich werden müsse. Die zu verbreitende »nordgerichtete Bildung« werde für eine rechte Gattenwahl sorgen, da die Menschen »entsprechend ihrer rassisch geweckten Empfindungen gar nicht anders mehr wählen können als nordisch« – war er überzeugt.169 Die Gründung des »Nordischen Ringes« im Mai 1926 muss in unmittelbarem Zusammenhang zu diesen programmatischen Äußerungen Günthers verstanden werden. In dem Kapitel »Die Aufgabe« hatte er in seiner Rassenkunde des deutschen Volkes davon gesprochen, dass angesichts der Lage zunächst nur Selbsthilfe für die »rassenbewusst nordischen« Menschen in Frage komme.170 Unter diesem Leitgedanken wurde der »Nordische Ring« gegründet mit dem ausdrücklichen Ziel geistiger und publizisti166 Ebd., 123. Vgl. dazu Hitler, 1932, 130 ff., der am Antisemitismus der »Christlichsozialen Partei« Österreichs monierte, dass er nicht auf »rassischer«, sondern auf religiöser Basis argumentiert habe. »Es fehlte die Überzeugung, daß es sich hier um eine Lebensfrage der gesamten Menschheit handle, von deren Lösung das Schicksal aller nichtjüdischen Völker abhänge.« 167 Günther, Nord. Ged., 1925, 27 und 128 und RkdV, 1926, 398 und 404. 168 Günther, Nord. Ged., 1925, 28 und 45. Günther forderte an anderer Stelle die »Einigung aller nordgesinnten Gruppen auf den einen Zielsatz  : Mehrung des nordischen Blutes.« (ebd., 120). 169 Ebd., 106 und 110. 170 Günther, RkdV, 1926, 398.

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scher Aufklärungsarbeit. Darré wurde Mitglied dieser »Arbeitsgemeinschaft Gleichgesinnter«. Günther kam mit seinen Ideen dem Zeitgefühl weitgehend entgegen, indem er zu »völkischer Ertüchtigung« aufrief, gleichzeitig aber die allgemein als Schreckgespenst grassierende »Entartung« als »Entnordung« erklärte. Er definierte »Rasse« als eine unveränderbare Verbindung von körperlichen Merkmalen und seelischen Eigenschaften. Er idealisierte das »nordische Rassenbild« als »Eindruck adligen Wuchses«, die »nordische Rasse« sei es, welche »die großen Staatsmänner hervorbringt und hervorgebracht hat.« Er versprach, »nordische« Wesensart und Begabung verhelfe zum Aufstieg in die höheren Sozialschichten, denn  : »Die führenden Völker der Erde sind die Völker mit stärkerem nordischen Einschlag.«171 So bediente Günther diejenigen, die – neben dem Germanen-Kult  – auch z. B. ein heroisch simplifiziertes Bismarckbild pflegten (»fälisch«, mit »nordischem Einschlag«) und alles Heil von einem neuen »Führer« erwarteten. Sein Bild des nordischen Menschen deckte sich mit dem Wunschbild vieler Zeitgenossen vom kommenden »rechten Staatsmann« als Schöpfer eines neuen Reiches. Dass Günthers »rassische« Differenzierung des deutschen Volkes die Idee der »Volksgemeinschaft« in Frage stellte, wurde damals gern übersehen, nicht aber von Friedrich Merkenschlager, einem der ersten fachkompetenten Kritiker Günthers. In seinen Augen hatte dieser insofern den Bogen anthropologischer Differenzierung überspannt, als er das deutsche Volk einteile »in die geborenen Herren und die geborenen Sklaven«. Vor allem störte Merkenschlager die Abwertung (»Verunglimpfung«) der »ostischen Rasse« durch Günther. Scharfsichtig schrieb er  : »Es wird uns zugemutet, in Anverwandten, Freunden, Kameraden das Erscheinungsbild niederer Rassen zu sehen, deren Blut ›minder erwünscht‹ ist.«172 Aber auch aus »völkischen« Kreisen wurde Günthers »Nordizismus« kritisiert. Er überantworte das deutsche Volk durch eine Stufung politischer Rechte und sozialer Eingruppierung dem »tollsten inneren Zwist«, wurde angemerkt und auch Günthers »Rassenaristokratismus«, der einen als 171 Ebd., 41 f., 159 und 169. Günther stellte fest, »daß jeder ›Untergang‹ eines Volkes indogermanischer Sprache bedingt ist durch das Versagen des Blutes der schöpferischen Rasse, der Nordrasse.« Ebd., 297 und 395. 172 Vgl. Merkenschlager, 1927, 35, 53 und 105. Es war Darré, der diesen zeitgenössischen Kritiker Günthers im »Dritten Reich« drangsalieren ließ. Im September 1933 wurde Merkenschlager an der Biologischen Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Berlin, die dem RMEL unterstand, entlassen und von der Gestapo verhaftet. Ein Hilfsgesuch Merkenschlagers an Göring unter Hinweis auf seine Mitgliedschaft in der NSDAP (tatsächlich 1920–1923) im Dezember 1933 blieb vergeblich. Darré nannte ihn in einem Bf. v. 16.10.1933 einen der »gefährlichsten Dolchstößler, den die rassische Erneuerungsbewegung unseres Volkes im Sinne der Nordischen Rasse je erlebt hat« (GStA, Rep. 90/877). In einem Bf. v. 18.10.1933 dankte ihm Günther ausdrücklich für »dieses klare Eintreten für den Nordischen Gedanken« (BA, BDC, Ordner G–H). 1935 wurde Merkenschlager die Lehrbefugnis entzogen und 1937 landete er im KZ Dachau. (Saller, 1961, 43, 61 und 83 sowie H. Haushofer, 1958, 172 ff. und Lutzhöft, 1971, 155 ff.).

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besonders hochwertig eingestuften Rassetyp präferiere und privilegiere, wurde problematisiert.173 Solche Einwände blieben freilich marginal. Günther scheute sich nicht, seine mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit dargelegten Ausführungen durch sprachliche und mythologische Herleitungen zu untermauern – literarische Geschichten, Sagen, volkstümliche Redensarten, intuitive Eingebungen und Beobachtungen eingeschlossen. Wenn das deutsche Volk nur erst wieder »vom Blut her« zu denken gelernt habe, wenn es Teil der »Allnordischen Bewegung« geworden sei, dann sei der Weg zum Platz an der Sonne, zur »Herrschaft über den Weltbetrieb« frei. »Die Schicksalsfrage der Nordischen Rasse ist also die  : wird die Nordische Rasse Beherrscherin oder Beherrschte des sich unaufhaltsam bildenden Weltbetriebes sein  ?«, verkündete er.174 Es ist leicht verständlich, dass diese Thesen in der allgemeinen Bewusstseinskrise der Nachkriegszeit auf fruchtbaren Boden fielen. Ihr Einfluss auf den Zeitgeist war von nicht zu überschätzender Bedeutung, was durch die Auflagenzahl von Günthers »Rassenkunden« nur bestätigt wird. Von seine Rassenkunde des deutschen Volkes musste 1922 schon nach acht Wochen eine zweite Auflage gedruckt werden. Zwei Jahre später erreichte das Buch die sechste, 1927 die zwölfte und 1933 die 16. Auflage. Dieser Verkaufserfolg dämpfte selbstverständlich die anfänglichen Bedenken des Verlegers, ob sein Autor »befähigt« sei, »ohne die nötigen Fachkenntnisse zu besitzen«, ein solches Buch zu schreiben. Am 8. Dezember 1922 schrieb Lehmann seinem Erfolgsautor, er »danke seinem Herrgott, dass ich den richtigen Instinkt gehabt habe und mich nicht durch Einwände meiner rassenkundlichen Fachfreunde habe abhalten lassen, an Ihnen festzuhalten.«175 Bis 1934 wurden in Deutschland über 70.000, bis 1939 über 113.000 Exemplare und bis 1942 fast 125.000 Exemplare von Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes verkauft. Die »Volksausgabe« des Buches, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes, erstmals 1929 publiziert, wurde bis 1933 in fast 70.000 und bis 1943 in mehr als 290.000 Exemplaren verkauft. Zwischen 1921 und 1927 veröffentlichte Günther – bienenfleißig u. a. auch deshalb, weil er von diesen Einnahmen lebte – zahllose Bücher, Aufsätze und Artikel. Darré hatte schon recht, wenn er 1926 seiner Frau schrieb  : Seit 1922 »trieb man Günther«.176 Günther hatte sich mittlerweile durch Studienreisen und 173 Vgl. u. a. Karl Felix Wolf, »Die sogenannte Nordische Bewegung«, in  : Reichswart, 9/1928, Nr. 30. Vgl. auch Lutzhöft, 1971, 28 ff. und Breuer, 2008, 122 ff. 174 Günther, Nord. Ged., 1925, 55 und 125. 175 »Mögen Sie im einzelnen in den Augen der Schulwissenschaft da oder dort einen Fehler gemacht oder ein schiefes Urteil abgegeben haben, als Ganzes betrachte ich das Buch als eine ganz vorzügliche Leistung.« Es werde »für viele Tausende unseres Volkes, hoffentlich für Hunderttausende, ein Segen« werden. (Nach M. Lehmann, 1935, 183 f.) Außerdem  : Lutzhöft, 1971, 415 f.; Stöckel, 2002 sowie Stark, 1981. 176 Darré an seine Frau, 9.10.1926 (vom Verf. bei Frau Bauer eingesehen). Wie der »Rassen-Günther« auf dem Lande und in der Provinz verstanden und ernst genommen wurde, dazu vgl. die Aufsätze von W.

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Lektüre auch anthropologisches Fachwissen angeeignet. Er lebte – bis 1929 – mit seiner zweiten Frau, einer Norwegerin, und zwei Töchtern in Skandinavien. Einige seiner Publikationen wurden u. a. ins Englische und Schwedische übersetzt und fanden sogar bei wissenschaftlichen Fachleuten wie Fritz Lenz und Eugen Fischer wohlwollende Anerkennung.177 In der 3. Auflage seiner Rassenkunde des deutschen Volkes wies Günther im Vorwort mit offensichtlicher Genugtuung auf das Buch The Passing of the Great Race von Madison Grant hin, das 1916 erschienen war und unter dem Titel Der Untergang der großen Rasse 1925 auch in Deutschland bei Lehmann publiziert wurde. Grants Absicht, wie die anderer US-amerikanischer Eugeniker, war es, für Nordeuropäer bevorzugte Einwanderungsbedingungen in den USA zu erwirken. Ähnlich argumentierte damals auch Lothrop Stoddard mit seinem Buch Der Kulturumsturz. Die Drohung des Untermenschen 1925, ebenfalls im Lehmanns Verlag. Beide Autoren wurden auch von Darré später in seinem Erstlingswerk zitiert, um die »Entnordung« in Europa im 18. und 19.  Jahrhundert zu belegen. Auch Günther ging es um ein innen- und gesellschaftspolitisches Umdenken in Deutschland  : Wer gelernt habe, die »Geschichte rassenkundlich zu betrachten«, dem stelle sich die Gegenwart als »Zeitalter der Entnordung« dar, schrieb er. Niemand achte mehr bei der Gattenwahl auf »Rasse« und »Rassenmischung«. Stattdessen werde das »Recht auf Liebe« reklamiert und die Ehe zu einer bloßen Privatangelegenheit gemacht, »während ihr doch eine grundlegende sozialhygienische Bedeutung für Volk und Staat zukommt.«178 Günther lokalisierte – wie Darré – die »Urheimat« der »Nordrasse« nicht im Osten, sondern im Küstengebiet der westlichen Ostsee und an der Nordsee. Was den Studenten in Halle aber besonders beeindrucken musste, war, dass Günther im »freien Bauern« das »nordische Blut« noch am reinsten erhalten sah. Günther äußerte die Einschätzung, dass »Allvermischung« und »das Herbeiströmen fremder Rassenbestandteile« bewirke, den »Pöbel der großen Städte« zu erzeugen und dort für Bevölkerungswachstum zu sorgen, während das Land veröde. Genau so sah es auch Darré. »Das späte Rom ist dafür ein gutes Beispiel« – betonte Günther, wie es Darré später auch tat.179 In dem Entwicklungsstadium, in dem sich Darré 1923/24 befand, und bei seiner uns in seinen Briefäußerungen bekannt gewordenen geistigen Strukturierung ist gleichfalls leicht verständlich, dass und warum Günthers Ausführungen einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterließen, ja sein gesamtes Denken prägten. Er ergänzte die Identifikation von »nordischem Blut« und »freiem Bauerntum« bei Günther durch M. Becker (»Volk und Rasse. Rassenforschung in Hessen«) und D. Gebhardt (»Grundzüge der Rassenforschung«) in  : Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt/M., Darmstadt, 5/1927, 22  ; 1928, 270  ; 1929, 42. Vgl. auch Saller, 1961, 39 und 43 f. 177 Vgl. die ausführliche Bibliographie zu H. F. K. Günther bei Lutzhöft, 1971, 414 ff. 178 Günther, RkdV, 1926, 376 und 386. Vgl. im Übrigen Lutzhöft, 1971, 52 und Kühl, 1997. 179 Günther, RkdV, 1926, 296.

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eine vertiefte Beschäftigung mit der Bodenständigkeit der »Nordrasse«. So wurden die Begründung der Verbindung von »Blut« und »Boden« und die Implementierung des »Staatsgedankens von Blut und Boden« ins »Dritte Reich« zu Darrés Lebensaufgabe. Chamberlain und Langbehn waren seine ideologischen Paten, Günther wurde der Mentor von Darrés politischer Weltsicht.

3 Der Weg in die rassistische »Nordische Bewegung«

Nach seinem landwirtschaftlichen Diplomexamen in Halle im Februar 1925 und in der Zeit, als er sich vergeblich um ein Staatsexamen in Tierzucht in Gießen bemühte, hatte Darré genügend Muße, sich auf der Basis seiner Diplomarbeit weiter mit der Frage zu beschäftigen, ob man aus Phänomenen der Domestikation im Tierreich anthropologische Erkenntnisse gewinnen könne. In einem Leserbrief, der als eigenständiger Artikel im Februar 1925 in der völkischen Zeitschrift Deutschlands Erneuerung im Lehmanns Verlag erschien, setzte er sich mit der These auseinander, die Wiege der europäischen Ackerbaukultur habe im Osten gestanden. Darré aktivierte in dem Artikel seine Studienlektüre180 und setzte deren Erkenntnisse miteinander in Beziehung, für eine Leserschaft, der »Aufklärung über die Herkunft der Nordischen oder arischen Menschen [sic] am Herzen liegt.«181 Er begrüßte zunächst den Versuch Professor Stegmann von Pritzwalds, die Geschichte der Haustierwerdung als Reagenz für die menschliche Kulturgeschichte und Ethnologie fruchtbar machen zu wollen, doch verwarf er leidenschaftlich dessen These »ex oriente lux« in Bezug auf die europäische Kulturentwicklung. Ebenso wenig wie Ostasien als Wiege des Ackerbaues in Europa anzusehen sei, könne man von der These des Professors irgendwelche Rückschlüsse auf die Herkunft der »nordischen Rasse« ableiten, betonte Darré. Die Geschichte der Haustierwerdung als Indiz für die Unterscheidung von »Semiten« und »Ariern« Die Überlegung, Haustiere als Kriterium für menschliche Wanderungen und Besiedelungen in frühgeschichtlichen Zeiten heranzuziehen, war nicht neu und ist in der Anthropologie bis in die heutige Zeit gang und gäbe.182 Dass sein Leserbrief als eigen180 Neben Stegmann von Pritzwald (Die Rassengeschichte der Wirtschaftstiere und ihre Bedeutung für die Geschichte der Menschheit. Jena 1924) zitierte Darré noch  : E. Schuchhardt, Alteuropa in seiner Kultur- und Stilentwicklung. Berlin 1919  ; F. Hoesch, Die Schweinezucht. Hannover 1911 und O. Antonius, Grundzüge einer Stammesgeschichte der Haustiere. Jena 1922. 181 Darré, »Tierwanderungen und Urheimat der Arier«, in  : Darré, EuW, 1940, 9. Der Autor betonte in seinem Artikel ausdrücklich  : »Auf Grund dieses Buches [Schuchhardts, H. G.] muß ganz entschieden die Herkunft jeder Ackerbaukultur aus Ostasien bestritten werden, statt dessen vielmehr der Wahrscheinlichkeit Raum gegeben werde, daß sie vom Westen erst nach dem Osten gekommen ist.« (ebd., 11 f.). 182 Unter dem Einfluss Günthers vermied Darré später die Begriffe »Semiten« und »Arier«, die aus der Sprachwissenschaft stammten  ; wegen ihrer »ganz verschwommenen Anwendung« seien sie »heute wissenschaftlich unbrauchbar geworden« und »ihre Anwendung ist dringend zu widerraten«, hatte

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ständiger Artikel in einer in »völkischen« Kreisen bevorzugten Zeitschrift veröffentlicht wurde, ermutigte Darré, sich weiter um entsprechende Publikationen zu bemühen. Der Versuch, im Herbst 1926 einen weiteren Aufsatz in Deutschlands Erneuerung oder Volk und Rasse. Illustrierte Vierteljahresschrift für deutsches Volkstum – seit Kurzem ebenfalls im Lehmanns Verlag – zu veröffentlichen, schlug allerdings fehl.183 Dies traf auch für seinen Versuch zu, seine Überlegungen über den Zusammenhang von »Menschenrassen« und »Haustierrassen« in der Kulturgeschichte in aller Ausführlichkeit auszuarbeiten. Das Ergebnis bot Darré noch im Frühjahr 1926 dem J. F. Lehmanns Verlag unter dem Titel »Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung« an, doch erhielt er auch dieses unausgereifte Manuskript mit ablehnendem Bescheid wieder zurück.184 Zur Entwicklungsgeschichte der Schrift, die eine Vorstudie zu Darrés späterem Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse war, sei der Verfasser hier deshalb so ausführlich zitiert, weil seine Ausführungen ein helles Licht auf seine Denk- und Arbeitsweise werfen und außerdem die unmittelbare Entstehungsgeschichte der Blut-und-Boden-Ideologie, so wie Darré sie verstand, schon hier beleuchtet wird. In einem Begleitbrief an Lehmann schrieb Darré  : Chamberlains »Grundlagen« und Günthers erste Auflage der »Rassenkunde« waren zwei Bücher gewesen, die mich nicht mehr losgelassen hatten und in mir die unbedingte Überzeugung festigten, daß sie irgendwie auch einmal zum Schlüssel für die uns vorläufig unverständlichen Haustiererscheinungen im Altertum werden könnten […]. Angeregt durch Günther war ich auf Schuchhardt’s »Alteuropa in seiner Kultur- und Stilentwicklung« gekommen […]. Eine Vorlesung von Herrn Geh.Rat Walther über die Grundlagen der Eiszeit gab mir plötzlich die Klarheit, daß die Schuchhardtschen Feststellungen zwangsläufig bedingt sind durch die Verhältnisse, wie sie Walther für die Eiszeit schilderte. Damit ergab Günther in seiner RkdV, 9. Aufl. 1926, 283 und 422 geschrieben. Juden seien »ein Volk«, keine »Rasse« und auch »Semiten« seien »keine Rasse«, sondern eine »Sprachgemeinschaft«. Zur Entwicklung der Vor- und Frühgeschichte und ihrer Forschungen über Herkunft und Abstammung des deutschen Volkes vgl. u. a. Wiworra, 2006. Danach bildete sich erst in den 1890er Jahren aus einer zunächst vielstimmigen Diskussion jener »völkische Ansatz« heraus, der zur Grundlage rassistischer Vorurteile und antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik wurde und im Rassenwahn des »Dritten Reiches« endete. Vgl. u. a. Der Spiegel 12/2007, 149  : »Auf den Spuren der Schweine«. 183 Der Text hatte den Titel  : »Etwas vom Freiluftmuseum auf Seurasaari-Fölisön« Vgl. die ablehnenden Bescheide v. 7.8. und 4.10.1926 (StAG, NLD, Nr. 82). 184 J. F. Lehmanns Verlag an Darré, 6.5.1926 (ebd., Nr. 81). Ob Darré sein Erstlingswerk auch dem »Werkbund für Deutsche Volkstums- und Rassenforschung2 angeboten hat, ist nicht mit Sicherheit festzustellen, da lediglich ein im Wortlaut mit dem Brief an den Lehmanns Verlag identisches Manuskript vorliegt (ebd.). Darré ließ das Manuskript seiner »wissenschaftlichen Erstlings- und Jugendarbeit« aber 1936 in gezählten Handexemplaren im Reichsnährstand-Verlag drucken – quasi als Markstein der geistigen Entwicklung des »Reichsbauernführers«. (Exemplar Nr. 20 v. Verf. bei Frau Darré eingesehen).

Der Weg in die rassistische »Nordische Bewegung«

Abb. 7 Der Verleger Julius Friedrich Lehmann (1864–1935).

sich für mich die einfache Aufgabe, die Schuchhardtschen Kulturkreise auf einen geologischgeographischen Unterbau zu bringen und die biologischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Hierbei ließ ich die Anthropologie zunächst aus dem Spiel und behandelte lediglich die Tierwelt. Hatte ich diese erst und war meine Überlegung richtig gewesen, so mußten sich ja die Haustierwanderungen der Geschichte als klares Reagenz für die Anthropologie verwenden lassen. − Das Ergebnis war überraschend. Nicht nur die Herkunft der »nordischen Menschen« ließ sich in der einfachsten Weise stützen, auch sonstige bisher unverständliche Erscheinungen und Überlieferungen der Geschichte lösten sich ohne Schwierigkeiten auf.

Professor Frölich habe ihm Gelegenheit gegeben, diese Forschungsergebnisse in seiner Examensarbeit auszubreiten, schrieb Darré weiter. Inzwischen ließ mich der Kampf der »nordischen Bewegung« um Anerkennung und Geltung nicht ruhen, war mir jedoch [sic] immer mehr zur Klarheit geworden, daß ich ein wertvolles Beweismaterial dafür in meinen Händen hielt. So reifte langsam der Entschluß, eine Arbeit zu schaffen, die dem um »Deutschlands Erneuerung« kämpfenden Deutschtum weiteres Unterstützungsmaterial zuführte.185

185 Undatierter Entwurf eines Bf. Darrés an den J. F. Lehmanns Verlag (StAG, NLD, Nr. 81).

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Der Verleger Julius Friedrich Lehmann, dem Darré dies schrieb, war als Sohn eines Arztes in Zürich zur Welt gekommen, weil seine Eltern während der Revolution 1848 dorthin geflohen waren.186 Er hatte als 25-Jähriger 1890 in München eine Buchhandlung mit angeschlossenem Verlag für medizinische Literatur eröffnet. Lehmann war schon als Gymnasiast Mitglied des »Deutschen Schulvereins« geworden, des Vorgängers des rechtskonservativen »Vereins für das Deutschtum im Ausland«. Sein Engagement für das Auslandsdeutschtum war später eine vorzügliche Brücke zu Darré. Lehmann engagierte sich sofort im 1891 gegründeten »Alldeutschen Verband«, um auch hier – zeitweise im Vorstand – »völkische« Bestrebungen zu fördern. In seinem Verlag gab er unter dem Titel »Kampf um das Deutschtum in Grenzregionen und im Ausland« in fünf Jahren 19 Hefte heraus und unterstützte auch die deutsche Kolonialbewegung. Er half vaterländischen Verbänden mit Geld und ließ ihre Flugschriften und Pamphlete auf eigene Kosten drucken.187 Aber sein Geld als Verleger verdiente er mit medizinischen Atlanten, Zeitschriften – am bekanntesten und einträglichsten war die Münchener Medizinische Wochenschrift – und Lehrbüchern zu allen medizinischen Fachgebieten. So wurde er wohlhabend und konnte seine kostspieligen politischen Aktivitäten durch die Publikation des um die Jahrhundertwende rasant anwachsenden Wissens in der Medizin finanzieren.188 Lehmann verstand sein völkisches Engagement als »Dienst am Deutschtum« mit dem Ziel, die »Weltverschwörung« von Jesuiten bzw. des »römischen« Katholizismus, der Freimaurer und vor allem der Juden zu bekämpfen. Auch der »Alldeutsche Verband« (AdV) wollte, wie es in seiner Bamberger Erklärung 1919 hieß, »in allen Deutschen eine auf Treue und Liebe zur deutschen Eigenart gegründete völkische Gesinnung und einen nur auf das Wohl der deutschen Volksgemeinschaft gerichteten völkischen Willen erwecken.« Aufgabe sei die »Erhaltung, Pflege und Entwicklung des deutschen Volkstums«. Die planmäßige rassische »Höherentwicklung des deutschen Volkes« sollte »durch Auslese und Förderung aller im Sinne guter deutscher Art hervorragend Begabten« erfolgen. Auf der anderen Seite sei allen Kräften entgegenzutreten, »welche die völkische Entwicklung des deutschen Volkes hemmen oder schädigen, insbesondere der Fremdsucht und der auf fast allen staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten bestehenden jüdischen Vorherrschaft.« Auch Darré gehörte zeitweise dem AdV an.189

186 Vgl. – auch zum Folgenden – M. Lehmann, 1935 und Stöckel, 2002. 187 Viele dieser in hohen Auflagen unters Volk gebrachten Hefte, waren vorher in einer von Lehmanns Zeitschriften erschienen. 1930 veröffentlichte er u. a. E. Reventlow, Kriegsschuldlüge und Kriegsschuldlügner  ; H. Claß, Die außenpolitischen Wirkungen des neuen Tributsystems  ; P. Bang, Tributversklavung. 188 Neben den schon genannten politischen Aktivitäten stellte er auch seine Burg Hoheneck bei Ipsheim in Mittelfranken rechtskonservativen Vereinen, Freikorps und Jugendbünden als Begegnungsstätte zur Verfügung. 189 Vgl. u. a. Kruck, 1954 und Puschner, 2001.

Der Weg in die rassistische »Nordische Bewegung«

Schon ab 1910 bildete die neue, mit der Eugenik eng verbundene Wissenschaftsdisziplin der »Rassenhygiene« einen Schwerpunkt in Lehmanns Verlagsprogramm, nachdem der Verleger während eines Kuraufenthaltes in Davos 1908 die Deutschen Schriften Paul de Lagardes gelesen hatte. Er publizierte u. a. Beiträge von Alfred Ploetz, der 1905 die »Gesellschaft für Rassenhygiene« gegründet hatte und Herausgeber der Zeitschrift Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie war, die Lehmann 1922 vom Teubner-Verlag übernahm. Auch das Standardwerk von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre, Auslese und Rassenhygiene, erschien 1920/21 bei Lehmann. Fischer war Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik sowie ordentlicher Professor an der Berliner Universität. Seine Mitarbeiter waren ebenfalls damals schon renommierte Anthropologen. In dem zweibändigen Werk ging es – wie in allen anderen einschlägigen Publikationen – darum, wie man Degeneration durch Fortpflanzung verhindern könnte (u. a. Gesundheitszeugnis vor der Eheschließung, Verhinderung der Kinderzeugung von geistig und körperlich Behinderten) und »Höherzüchtung« bzw. »Aufartung« als wertvoll erachteten Erbgutes bewerkstelligen könnte.190 Lehmann hatte erkannt, dass nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem millionenfachen Tod junger Männer und Tausenden Kriegsversehrten bevölkerungspolitische Probleme eine besondere Bedeutung erlangen würden. Hinzu kamen ein drastischer Geburtenrückgang und der schlechte Gesundheitszustand der Menschen durch mangelhafte Ernährung, die dazu führten, dass biologische, gesundheitspolitische, sozialfürsorgliche und auch eugenisch-rassenhygienische Konzepte zur Verbesserung der Volksgesundheit öffentliche Aufmerksamkeit erregten. Aber der umtriebig politisierende Verleger mit »völkischer« Weltsicht verband diese wissenschaftlichen Bemühungen der Bevölkerungspolitik mit den Bestrebungen seines Autors Hans F. K. Günther zur Förderung der vom ihm erfundenen und favorisierten »nordischen Rasse«. Lehmann sprach gelegentlich schon in den 1920er Jahren von der »Unfruchtbarmachung von Minderwertigen«.191 Während des Ersten Weltkrieges hatte Lehmann mit »alldeutschen« Gesinnungsfreunden eine Denkschrift verfasst, in der Siedlungsland jenseits der deutschen Grenzen – bis zum Peipussee – als Kriegsziel eingefordert wurde. Er verlor in diesem Krieg seinen Sohn  ; ein Neffe, der auch Miteigentümer des Verlages wurde, kehrte kriegsbeschädigt heim. Dies verstärkte sicherlich die chauvinistische Haltung des Verlagsgründers. Schon seit 1916 hatte er mit Gleichgesinnten wie u. a. H. St. Chamberlain, Freiherr von Wangenheim, Heinrich Claß, der von 1908 bis 1939 Vorsitzender des 190 Zu weiteren Autoren des Lehmanns Verlages gehörten neben Lagarde, der als »Prophet völkischer Wiedergeburt« galt und auch von Hitler gelesen worden ist, u. a. Gobineau und sein Biograph Prof. L. Schemann, H. St. Chamberlain und die Professoren Max Wundt, Fritz Kern, Gustaf Kossinna und Ernst Rüdin. 191 Lehmann an einen Arzt in Danzig, 13.12.1926, in  : M. Lehmann, 1935, 221.

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AdV war, und Wolfgang Kapp die »völkische« Zeitschrift Deutschlands Erneuerung geplant, in der später auch Darré publizierte und die von 1917 bis 1939 – also 23 Jahrgänge lang – existierte. 1919 kommentierte Lehmann die deutsche Niederlage ganz im Sinne der Dolchstoßlegende  : »Unbesiegt an der Front, ist unser Volk im Inneren durch jüdischen Geist so lange zermürbt worden, bis es endlich zusammenbrach und bis die Heimat im Zusammenbrechen die Front mitriß.«192 Nach dem Krieg kämpfte Lehmann in München gegen die kurze Episode der Räterepublik und landete dafür im Februar 1919 im Gefängnis in Stadelheim. Er unterstützte den rechtslastigen Kapp-Putsch, weil er in der Politik der Alliierten einen »teuflischen Plan des Bolschewismus, oder, besser gesagt, des internationalen Judentums« am Werk sah, gegen den anzukämpfen er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Lehmann gab »Unbesiegt-Bücher« und allerlei »völkische« Broschüren heraus, die auch von Hitler gelesen wurden. Er unterhielt in München gute Kontakte zu rechtsradikalen und antisemitischen Vereinigungen wie der »Thule-Gesellschaft« und dem »Germanenorden«, einem antisemitischen Ableger des AdV. Auch der »Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund«, ein weiterer Ableger des AdV mit antisemitischem Profil, wurde von Lehmann gefördert.193 Für seine Verdienste um den Aufstieg der NSDAP erhielt er 1934, ein Jahr vor seinem Tod, anlässlich seines 70. Geburtstages von Hitler die Goldene Ehrennadel der Partei. Der Diktator schrieb dem Parteigenossen am 27. November 1934 formal etwas fehlerhaft und umständlich  : Sie haben nicht nur durch Ihre verlegerische Tätigkeit in hohem Maße dazu beigetragen den nationalen Gedanken und vor allem das Rasseempfinden im deutschen Volke zu fördern, sondern auch zu einer Zeit, in der unsere Freunde zu zählen waren, Alles was in Ihren Kräften stand getan, um der Idee des Nationalsozialismus zum Siege zu verhelfen.194

Wie Darrés so hatte auch Lehmanns parteipolitischer Weg von der DNVP zur N ­ SDAP geführt. In den turbulenten Tagen des Hitler-Ludendorff-Putsches 1923 nahm er an der Versammlung im Bürgerbräukeller teil und gab führenden Nationalsozialisten ein Refugium in seiner Villa in der Holzkirchner Straße. 1924 sorgte er dafür, dass Hitler in seiner Landsberger Haft ein Exemplar der gerade herausgekommenen zweiten Auflage der Menschlichen Erblehre und Rassenhygiene der Professoren Baur, Fischer und Lenz erhielt. Die Lektüre schlug sich in den entsprechenden Kapiteln von Mein Kampf nieder. 1929 nahm Lehmann als Ehrengast am Nürnberger Parteitag der NSDAP teil, nachdem er sich im Reichsausschuss für ein Volksbegehren gegen den Young-Plan 192 Ebd., 163. 193 Zum Umfeld der Aktivitäten Lehmanns vgl. auch  : Lohalm, 1970  ; Stark, 1976, 292 ff.; Stark, 1981 und Ulbricht, 1993, 131 ff. 194 Faksimile aus »Fünfzig Jahre J. F. Lehmanns Verlag«, 1940, in  : P.-F. Koch, 1996, 90.

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engagiert hatte. Er kämpfte nicht nur gegen »Juda und Rom«, er sah sogar seine Suche »nach einem Führer, der das zerrissene und zertretene deutsche Volk wieder vereinen und erheben würde« in Adolf Hitler erfüllt. Ihm traute er zu, in einer »nationalen Diktatur das ganze Volk hinter ein Banner zu scharen, damit wir die innere Zwietracht und den äußeren Feind überwinden.« Aber erst 1931, nachdem er kräftig mitgeholfen hatte, Darré zu Hitler und der NSDAP zu bringen, entschloss er sich, förmlich der NSDAP beizutreten.195 Zur Reichstagswahl 1932 schrieb Lehmann eigenhändig ein Flugblatt mit dem Titel »Warum wählt das nationale Deutschland Adolf Hitler  ?« Darin setzte er sich für eine Förderung der Landwirtschaft als »Eckstein des Staates« ein  ; sie müsse in die Lage versetzt werden, »das gesamte Volk zu ernähren und so viel Lebensmittel zu schaffen, dass wir in Krieg und Frieden vom Ausland unabhängig sind.« Er schlug Importrestriktionen, »Entsumpfung und Verbesserung des Bodens« mit Hilfe eines »Arbeitsdienstes« vor und sah in der Überschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe ein Versagen des »herrschenden Systems«, das »beseitigt« werden müsse.196 Er hatte offensichtlich viel von seinem Autor Darré gelernt. Im August 1933 regte Lehmann bei Reichspropagandaminister Goebbels eine Kampagne zugunsten der »Rassenhygiene« an und schlug vor, in allen Buchhandlungen ein »Rassensonderfenster« einzurichten. Unter den 30 Titeln, die vorgeschlagen wurden, waren auch Darrés Bücher Bauerntum und Neuadel.197 Erste publizistische Versuche und Kontakt zum »Nordischen Ring« Darrés Bemühungen, Haustiere als Unterscheidungsmerkmal der menschlichen »Rassen« zu verwenden und seine Forderung, »tierzüchterische Ergebnisse für die menschliche Rassenkunde nutzbar zu machen«, hatten im ersten Anlauf keinen Verleger gefunden.198 Doch schlug sich ein Extrakt seiner Überlegungen in einem Aufsatz nieder, der im August 1927 in der Lehmann’schen Zeitschrift Volk und Rasse erschien und den skurril anmutenden, von Darré aber durchaus ernst und sachlich gemeinten Titel trug Das Schwein als Kriterium für nordische Völker und Semiten. Damit war nicht mehr und nicht weniger gemeint, als dass das Schwein, ein Wald- und Sumpfbewohner, nie 195 Vgl. u. a. Lehmann an seine Tochter, 10.11.1923, in  : M. Lehmann, 1935, 188 ff. und Müller-Hill, »Selektion«, in  : Stöckel, 2002, 142. 196 M. Lehmann, 1935, 58 ff., 78, 230 f., 237 und 265 ff. Am 25.10.1929 hatte Lehmann dem nach einer beruflichen Perspektive suchenden Darré hellsichtig geschrieben  : »Die Zukunft liegt, meines Erachtens, bei den Nationalsozialisten, wenn Hitler arbeitsfähig bleibt  ; einen Nachfolger hat er nicht.« (StAG, NLD, Nr. 437). 197 Overesch/Saal, 1991, 79. 198 Darré, Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung, 49 des 20. Handexemplars aus dem Reichsnährstand-Verlag, Goslar 1936 (vom Verf. bei Frau Darré eingesehen).

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bei einem Nomadenstamm vorkomme, ja, es werde von semitischen Völkern g­ eradezu gemieden, während es bei dem »nordischen« Menschen Mittel- und Nordeuropas das am höchsten geschätzte Haustier gewesen sei. Darré schloss daraus auf die »Urheimat der Arier« wie auf den »fundamentalen Gegensatz« zwischen »Arier« und »Jude«  : Der eine sei produktiver Ackerbauer, der andere destruktiver Nomade, war er überzeugt.199 Mit ernährungsphysiologischen Hinweisen und Überlegungen zu den klimatischen Verhältnissen versuchte er, seine These zu untermauern. Wie in Günthers so war auch in Darrés Augen »rassische Zersetzung« die Folge einer Vermischung der beiden »Rassetypen«. Ähnlich argumentierte er in dem Aufsatz »Bauer, Krieger und nordische Rasse«, der 1927 ebenfalls in der Zeitschrift Volk und Rasse erschien.200 In einem weiteren Aufsatz mit dem Titel »Innere ›Kolonisation‹«, der im April 1926 in Deutschlands Erneuerung veröffentlicht wurde, vertrat Darré die Ansicht, die »Intelligenz der deutschen städtischen Bevölkerung« erhalte ihren »Zufluß« aus der »überwiegend nordisch bedingten Bauernschaft«. Da diese, wie der Autor meinte, dort »zersetzt« werde, könne »in wenigen Generationen eine totale Entnordung des Deutschen Volkes« stattfinden. Dem gelte es entgegenzuwirken. Nicht die »besitzlose Arbeiterklasse [als] Chaos rassenmäßiger Zufälligkeiten« dürfe als Reservoir für Siedlungsaktivitäten herangezogen werden, sondern nur die weichenden Erben von nach dem Anerbenrecht ungeteilt an die nächste Generation weitergeleiteten landwirtschaftlichen Betrieben. Nur so könne »das sich drohend aufreckende Gespenst unseres Rassetodes« gebannt werden – »nicht [durch] Neuansiedlung zweifelhafter Rassenelemente«.201 Darré nahm hier vorweg, was er 1933 mit seiner Siedlungspolitik und dem »Reichserbhofgesetz« zu realisieren versuchte, wie überhaupt alle Themen, die er in seinen Beiträgen für »völkisch« und rassistisch orientierte Zeitschriften damals publizierte, in seinen späteren politischen Aktivitäten wieder auftauchen. Ebenfalls 1926 schon gab Darré eine Probe seiner antisemitischen Grundhaltung, die eng mit seinem rassistischen Weltbild verbunden war. In dem Artikel »Walter Rathenau und das Problem des Nordischen Menschen«, dem Anfang 1928 ein zweiter, »Walter Rathenau und die Bedeutung der Rasse in der Weltgeschichte«, folgte, sah die Herausgeberin seiner Aufsätze aus der Zeit vor der Machtergreifung unter dem Titel Erkenntnisse und Werden und Aktivistin der »Nordischen Bewegung«, Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe, mit Recht »einen schweren Angriff auf das Judentum und 199 In diesem Zusammenhang gesehen war auch der folgende Satz Darrés durchaus nicht ironisch oder polemisch gemeint  : »[…] das Kamel folgt dem Semiten, weil dem Semiten die Wüste folgt.« (»Das Schwein als Kriterium für Nordische Völker und Semiten«, VuR, 2/1927, 138 ff. und in  : Darré, EuW, 1940, 34) Der Aufsatz erschien später auch als selbstständige Broschüre bei Lehmanns in München. (Vgl. StAG, NLD, Nr. 388 und Nr. 390). 200 Das Typoskript von »Bauer, Krieger und Nordische Rasse« in  : StAG, NLD, Nr. 87, das Heft 3/1927 von VuR, ebd., Nr. 332 und Nr. 350. 201 Darré, EuW, 1940, 18–23. Vgl. auch StAG, NLD, Nr. 51 (Familienchronik, 140) und Nr. 333.

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gleichzeitig eine erfolgreiche Verteidigung des Nordischen Gedankens«.202 Darré wies auf Benjamin Disraelis Diktum »Die Rassenfrage ist der Schlüssel zur Weltgeschichte« hin und zitierte ausführlich Aphorismen und Hypothesen, die »ein anderer Jude«, nämlich Walter Rathenau, in seinem Buch Reflexionen 1908 veröffentlicht hatte. Der Reichsaußenminister und Sohn des AEG-Gründers, der 1922 von Rechtsextremisten ermordet worden war, hatte darin, offensichtlich infiziert vom Zeitgeist, festgehalten  : Wenn man vom nordischen Ursprung der arischen Rasse ausgeht, so erweist sich diese als ein Ergebnis der schärfsten eliminierenden Zuchtwahl […]. Die Aufgabe kommender Zeiten wird es sein, die aussterbenden oder sich auszehrenden Adelsrassen, deren die Welt bedarf, von neuem zu erzeugen und zu züchten. Man wird den Weg beschreiten müssen, den ehedem die Natur selbst beschritten hat, den Weg der Nordifikation.

Auch für Rathenau war damals offensichtlich »Rassenmischung« etwas Negatives (»Verschwemmung des Charakters«) und Darré zitierte ihn nun süffisant als jüdischen Kronzeugen seiner eigenen Ansichten. Wie Darré so war auch Rathenau eine widersprüchliche Persönlichkeit, ein Realist mit dem Hang zum Eklektischen. Er litt unter der Spannung zwischen preußischdeutschem Patriotismus einschließlich wilhelminischem Größenwahn einerseits und seiner jüdischen Herkunft und der nicht ganz gelungenen Emanzipation dieser Minderheit andererseits. So verstand er sich einerseits als »Deutscher jüdischen Stammes« (1918), andererseits erwog er einen »Austritt aus dem Judentum« (1895). Im einen Fall dürfte das Motiv Ärger über den Absonderungshang und die mangelnde Integrationsbereitschaft vieler Juden gewesen sein, im anderen Fall war es wohl der unerfüllbare Wunsch, Offizier in der preußischen Armee zu werden.203 Und wie Darré war Rathenau zeitlebens auf der Flucht vor dem Schatten seines Vaters. Beide Artikel machten Darrés Namen in der »Nordischen Bewegung« bekannt. 1928, in einer Zeit, in der sich Darré immer mehr von der Institution Kirche abwandte, veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er der Kirche vorwarf, die Vererbungsgesetze nicht zu beachten, obwohl es »Auftrag Gottes« sei, »für die Weiterpflanzung und Höherbildung des Menschengeschlechtes Sorge zu tragen«.204 Auch hier aktivierte er sein im Studium erworbenes pflanzenphysiologisches Wissen. Die Intention des Artikels war eindeutig antiklerikal, wenn er die Meinung vertrat, »daß uns Gott 202 Darré, EuW, 1940, 14–17 und 47–53 (vgl. auch StAG, NLD, Nr. 84 und Nr. 355). Die beiden Aufsätze erschienen auch als selbstständige Broschüren unter dem Titel Walter Rathenau und die Bedeutung der Rasse in der Weltgeschichte und Walther Rathenau und das Problem des nordischen Menschen bei Lehmanns in München. 203 Vgl. seine frühe Schrift »Höre Israel« von 1895/97 und seinen Aufsatz »An Deutschlands Jugend« von 1918 (zit. n. Gerstner, 2008, 54 f.) und Volkov, 1985, 221 ff. 204 Der Artikel hieß »Der Lebensbaum unserer Altvordern im Lichte neuzeitlicher Naturwissenschaft« und wurde wieder abgedruckt in Darré, EuW, 1940, 61–73, Zitate 71 ff.

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ganz sicher nicht erlaubt, durch Mißachtung seiner klar zutage liegenden Erbgesetze Untermenschen heranzuzüchten«  ; denn es sei nicht gleichgültig, »ob sich das Menschengeschlecht hinauf oder hinunter züchtet.« Deshalb würden sich diejenigen, »die durch die Zulassung oder Herbeiführung ungeeigneter Ehen oder sonstiger ungeeigneter Kindererzeugungen Gott widerstreben und zuwiderhandeln, […] im höchsten Grade sich an Gott versündigen.« Dass hier schon 1928 die Begriffe »Untermensch« und »Minderwertige« von Darré verwendet wurden, wirft ein bezeichnendes Licht voraus auf seinen späteren rassenpolitischen Einfluss und insbesondere auf das Wertesystem, nach dem die SS Himmlers agierte. Ähnlich bemerkenswert ist es, dass sich der spätere Chef des »Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS« schon im Jahre 1928 öffentlich mit der Frage befasste, »ob eine Frau, die ein Kind von einem Fremdrassigen geboren habe, später noch reinrassige Kinder zur Welt bringen könne.«205 Artur Dinter (1876–1948) hatte in seinem H. St. Chamberlain gewidmeten und 1918 veröffentlichten antisemitischen Roman Die Sünde wider das Blut, der 16 Auflagen erlebte und bis 1934 mehr als 250.000-mal verkauft wurde, die Frage bejaht.206 Der Autor war aktives Mitglied des »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes«, dessen Gründung im Februar 1919 vom »Alldeutschen Verband« initiiert worden war. Darré musste jedoch feststellen, er könne mit seinem Wissen aus der Tierzucht (Hund, Schwein) Dinters These nicht bestätigen. Trotzdem stellte er selbst die Hypothese auf, es sei durchaus möglich, dass »die Frau einer Art Vergiftung anheim gefallen ist, die ihr den untrüglichen inneren Instinkt ihrer Rasse« geraubt habe. Es »ließe sich denken«, schrieb er, »daß diese durch die artfremde Blutgruppe erfolgte Vergiftung des mütterlichen Organismus auch noch dem Kind mitgeteilt wird«. Vorsichtig betonte Darré jedoch, dieses seien seine »rein persönlichen Gedanken über die Sache«, bewiesen im wissenschaftlichen Sinne sei das aber nicht, gleichwohl könne es eine »biologische Möglichkeit« sein.207 Sicherlich 205 Der Aufsatz erschien im Oktober 1928 in der Zeitschrift Die Sonne, dem Presseorgan des »Nordischen Ringes«, unter dem Titel »Rassenverderb durch vorhergegangene Geburt  ?« Er wurde, mit der zitierten Fragestellung in der Vorbemerkung der Herausgeberin, in Darré, EuW, 1940, 80–87 wieder abgedruckt. 206 Dinter, ein Spiritist, der Jesus für einen »Arier« hielt, wurde 1927 GL der NSDAP in Thüringen und 1928 aus der Partei ausgeschlossen. Der vollständige Titel seines Buches hieß  : Die Sünde wider das Blut. Ein Zeitroman. H. St. Chamberlain gewidmet. Leipzig 1918. Bemerkenswert ist, dass die Frage eines Späteffektes sexueller Kontakte schon in den 1880er Jahren von dem englischen Evolutionstheoretiker Herbert Spencer unter Verweis auf entsprechende Äußerungen Darwins diskutiert und bejaht worden war. »Weiße« Frauen könnten nach einem Beischlaf mit einem »schwarzen« Mann später von einem »weißen« Mann ein »schwarzes« Kind empfangen – so die These, die im Zusammenhang mit der Diskussion um die Vererbung erworbener Eigenschaften (Lamarckismus) aufgestellt worden war. Schon damals hatte der deutsche Biologe August Weismann, der die Unabhängigkeit der Keimzellen von den Körperzellen nachgewiesen hatte, die These zurückgewiesen und die moderne Genetik hat sie endgültig widerlegt. (Vgl. Saller, 1963, 184 und Geulen, 2004, 82 f.). 207 Da war sich der Nürnberger GL und Hg. des radau-antisemitischen Kampfblattes Der Stürmer, Julius Streicher, später sicherer. In Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden schrieb er  : »Artfremdes Eiweiß

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hatte Darré aus seinem persönlichlichen Erfahrungsraum die damals viel diskutierten »Rheinland-Bastarde« im Sinn, Kinder also, die von farbigen französischen Besatzungssoldaten nach dem Ersten Weltkrieg mit deutschen Frauen gezeugt worden waren. Das Motiv der verführten und geschändeten »weißen« oder  – im Jargon der »Völkischen« – »arischen« Frau, die den Makel dieser »Sünde« zeitlebens in sich trage, sollte im »Dritten Reich« nach den »Nürnberger Gesetzen« von 1935 unter dem Begriff der »Rassenschande« noch eine wichtige politische Rolle spielen.208 1929, als Darré mit der Schlussredaktion seines ersten Buches befasst war, veröffentlichte er zwei weitere Aufsätze, in denen er die These untermauern wollte, dass Griechen und Römer ursprünglich der »Nordischen Rasse« angehörten, deren kulturelle Leistungen also von ihr »geschaffen worden« seien. Auch hierbei stützte er sich u. a. auf seinen Hallenser Lehrer Professor Walther. Im Übrigen aber handelte es sich um Ausschnitte aus seinem Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, das vor der Fertigstellung stand. Darré hatte seine Aufsätze 209, wie er ausdrücklich betonte, geschrieben, um der »Nordischen Bewegung« zu helfen.210 Natürlich waren auch finanzielle Gesichtsist der Same eines Mannes von anderer Rasse. Der männliche Same wird bei der Begattung ganz oder teilweise von dem weiblichen Mutterboden aufgesaugt und geht so in das Blut über. Ein einziger Beischlaf eines Juden bei einer arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem ›artfremden Eiweiß‹ auch die fremde Seele in sich aufgenommen.« (zit. n. Gamm, 1962, 64) Vgl. auch Berning, 1964, 24 f.; Saller, 1961, 128 und Bosch, 1991. 208 Vgl. Pommerin, 1979. Zwei weitere Aufsätze Darrés aus dem Jahre 1928 sind weniger bedeutsam für die spätere politische Wirksamkeit Darrés  : »Das Gesetz des Minimums und seine Bedeutung für das staatliche Leben« (zunächst in  : DE, Heft 8 [1928], dann wieder in  : Darré, EuW, 1940, 54–60), in dem er das auf Liebig zurückgehende biologische Gesetz, wonach das schwächste Glied in einer Kette deren Stabilität bestimme, bemühte, um den Parlamentarismus zu diskreditieren. In »Der Balken von Klemzig« (zunächst in  : VuR, Heft 4 [1928], dann wieder in  : Darré, EuW, 1940, 74–79) machte er den skurrilen Versuch, das gotische Fenster auf den Holzbau in Skandinavien zurückzuführen. Im Oktober 1929 beteiligte sich Darré unter Berufung auf »den berühmten Hallenser Paläontologen Geheimrat Walther« an Spekulationen um die sagenumwobene Insel »Atlantis« (»Die Eiszeit«, in  : Darré, EuW, 1940, 91–103). Dabei ging es ihm besonders darum, einen Beitrag zur »Stammesgeschichte des Nordischen Menschen« zu leisten. Mit einem weiteren Artikel des Jahres 1929 (»Zur Förderung der Rassenhygiene«, in  : VuR, Heft 4) wollte Darré auf die aktuelle politische Diskussion um die Einführung »rassenhygienischer« Maßnahmen einwirken. 209 Die Aufsätze (»Beiträge zur Rassenkunde« [ Januar 1929, Darré, EuW, 1940, 88–90] und »Hellenen, Germanen und wir« [ Juli 1929, Darré, EuW, 1940, 104–117]) erschienen in der Zeitschrift des »Nordischen Ringes«, Die Sonne, der letztere – wegen Darrés Verhandlungen um eine berufliche Laufbahn im Staatsdienst – unter Pseudonym. Natürlich beteiligte sich Darré auch an der Ausbeutung von Tacitus’ Germania zugunsten einer Heroisierung »nordrassischer« Deutscher – »Zur Berichterstattung des Tacitus in der Germania«, in  : VuR, Heft 1 (1930) – und bezog Preußen in seine rassenideologische Überlegungen ein  : »Einiges zur Rassenkunde in der Geschichte Preußens«, in  : Nordische Blätter, Sept./ Okt. 1928 (StAG, NLD, Nr. 84). 210 Ms. seines Bf. an den Lehmanns Verlag (StAG, NLD, Nr. 81). Zur »Nordischen Bewegung« vgl. Lutzhöft, 1971, 28 ff.

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punkte im Spiel, konnte er doch so erstmals eigene Einkünfte vorweisen, was seinem Selbstbewusstsein sicherlich auch guttat. Aber weiterführender war eher der Kontakt zu einer Organisation der »Nordischen Bewegung«, der nicht lange auf sich warten ließ. Am 12. Januar 1927 erhielt er einen Brief der Geschäftsführer des »Nordischen Ringes«, des späteren Ehepaares Hanno Konopacki-Konopath und Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe, in dem sich diese »Arbeitsgemeinschaft Gleichgesinnter« vorstellte.211 Man war auf Darré aufmerksam geworden durch den ersten Aufsatz über Rathenau, der auch in der Deutschen Zeitung, dem Presseorgan des »Alldeutschen Verbandes«, abgedruckt worden war. Darré trat sofort dem »Nordischen Ring« bei, denn mit Hans F. K. Günther, dem Spiritus Rector der »Nordischen Bewegung« in den 1920er Jahren und insbesondere des »Nordischen Ringes«, korrespondierte er schon u. a. über Langbehn und Rathenaus Gedanken über die Bedeutung von Rassen. Mit einer Karte vom 29. Dezember 1926 empfahl Günther Darré, dem »Nordischen Ring« beizutreten. Seitdem Darré mit Günther erstmals in Kontakt kam, entwickelte sich ein derart reger und intensiver Meinungsaustausch, dass man geneigt ist zu der Feststellung  : War Chamberlain Darrés ›Erwecker‹, so wurde Günther sein Mentor. Unter dessen Fittichen reifte in Darré das heran, was man später die nationalsozialistische Blutund-Boden-Ideologie genannt hat. Dies trifft nicht nur in ideologischer Hinsicht zu, sondern auch in praktischer Beziehung. Günther, der seit Mitte 1929 in sehr bescheidenen Verhältnissen wieder in Deutschland lebte und in Dresden mit einer halben Stelle – »zum Broterwerb« – den ungeliebten Lehrerberuf ausübte, wurde für Darré ab 1927 ein vertrauter Freund, der ihn u. a. zusammen mit dem Verleger Julius Lehmann und dem »Nordischen Ring« protegierte und alle seine Veröffentlichungen mit warmer Anteilnahme und Hilfe begleitete. Gleichzeitig eröffnete Darré bei Günther die Perspektive auf das Bauerntum und seine Bedeutung für die »nordische Rasse«.212 Als der Diplom-Landwirt Darré seinen Plan, im Wintersemester 1925/26 in Gießen ein Staatsexamen zu machen, um als Tierzuchtinspektor in den Staatsdienst zu gelangen, nicht verwirklichen konnte, hatte er ein halbes Jahr Zeit, etwas aus seinem Studium zu machen, das ihn und seine Familie finanziell etwas unabhängiger von den beiden Elternhäusern machen würde. So kamen seine ersten schriftstellerischen Versuche zustande, aber ein Buchmanuskript, in dem er seine Diplomarbeit zu einer Geschichte der Haustierwerdung umgearbeitet hatte, fand keinen Verleger. Dann begann seine Zeit in Ostpreußen, aber das Volontariat in der Pferdezucht war ein Berufseinstieg ohne finanzielle Einkünfte und endete im Dezember 1926 mit 211 »Nordischer Ring« an Darré, 12.1.1927 (StAG, NLD, Nr. 84). 212 Der Bf., mit dem Darré dem »Nordischen Ring« beitrat, ist ohne Datum überliefert. Darin nannte er als Bürgen u. a. seine Professoren Haecker und Frölich aus Halle sowie Kraemer aus Gießen (StAG, NLD, Nr. 84, dort auch die Postkarte Günthers). Vgl. auch Darré an seine Frau, 30.1.1927 (IfZMünchen, NLD, Bd. 9, 1223 ff.). Am 21.4.1927 berichtet er ihr stolz, von Günther in dessen Buch Der nordische Gedanke unter den Deutschen, 1925, zitiert worden zu sein (ebd., 1276).

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dem geschilderten Desaster.213 Darré, damals fast 32 Jahre alt, verheiratet und Vater eines Kindes, hatte immer noch keine berufliche Perspektive. Auch in der Zeit, in der er auf eine Entscheidung seiner bisherigen Arbeitgeber wartete, und in den folgenden zwei Jahren war er aber nicht untätig. Er veröffentlichte Aufsätze, korrespondierte u. a. mit Günther sowie mit denjenigen, die ihm auf seine Artikel Leserbriefe geschrieben hatten, und schloss seine Briefe damals schon »mit deutschem Gruß«. Er knüpfte Kontakte vor allem in der rechten politischen und anthropologischen Szene und arbeitete sein Buchmanuskript so weit aus, dass es im Dezember 1928 vom Verleger Julius Lehmann angenommen und mit dem Titel Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse publiziert wurde. Darré wurde in dieser Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass seine publizistischen Aktivitäten insbesondere im Lehmanns Verlag seinen Ambitionen, als landwirtschaftlicher Sachverständiger und Diplomat in den Staatsdienst zu gelangen, nicht förderlich sein könnten. Man empfahl ihm, vorsichtiger zu sein, vielleicht sogar ein Pseudonym zu benutzen. Aber Darré war inzwischen so sehr von der Richtigkeit seiner ›Sache‹ und von der Notwendigkeit, sich auch öffentlich dafür einzusetzen, überzeugt, dass er – mit einer Ausnahme – alle Warnungen in den Wind schlug.214 Neben Fachliteratur, die er für sein geplantes Buch heranzog, las er in dieser Zeit Bücher von Autoren, die mit Hilfe einer »nationalen Revolution« an die Stelle der demokratischen Weimarer Republik eine elitär-autokratische Herrschaft setzen wollten. Dazu gehörten u. a. Hans Grimm, der in einem Kolonialroman für eine agrarisch motivierte Expansion Deutschlands eintrat (Volk ohne Raum, 1926), Othmar Spann (Der wahre Staat, 1923), dessen Ideen einer ständischen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft später bei der theoretischen Begründung des »Reichsnährstandes« halfen. Auch Edgar Jungs Buch Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung, ein Bestseller im Jahre 1927, gehörte zu Darrés damaliger Lektüre. Daraus entwickelte sich ein reger Briefwechsel. Jung, ein Jahr älter als Darré, lebte als Rechtsanwalt in München, war – wie Darré – Kriegsfreiwilliger und Frontsoldat gewesen und hatte in engem Kontakt zu den Freikorps an der Beseitigung der Münchener Räterepublik mitgewirkt. Er war wegen Sabotageaktionen aus der französisch besetzten Pfalz ausgewiesen worden und erfolgreich darum bemüht, ein Netzwerk nationalkonservativer Reformer bzw. Revolutionäre aufzubauen.215 Jung war ein Gegner der auf Parteien aufgebauten par213 Vgl. auch Darré an seinen Verleger Lehmann, 7.8.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). 214 Am 25.3.1927 schrieb ihm der Schriftleiter von DE, von Müffling  : »Daß Sie wegen Riga Schwierigkeiten haben, wundert mich nicht. Wer an ›Deutschlands Erneuerung‹ mitarbeitet, wird bei den heute regierenden Hallunken [sic] schwerlich beliebt sein.« Auch Günther riet Darré in einem Bf. v. 16.9.1927, »unter Pseudonym« zu veröffentlichen (StAG, NLD, Nr. 84a). 215 Wie Jung empörte sich auch Darré damals über Erich Maria Remarques Buch Im Westen nichts Neues als »eine einzige Gemeinheit gegen uns Frontsoldaten« (Bf. an seine Frau v. 27.3.1927, IfZ-München, NLD, Bd. 9, 1441).

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lamentarischen Demokratie, Volksherrschaft, selbst in indirekter Form, war für ihn offensichtlich »Herrschaft der Minderwertigen«. Stattdessen trat er für elitäre gesellschaftliche Strukturen, einen autoritären Ständestaat und gegen gesellschaftlichen Pluralismus ein. Er war Anhänger des Zähmungskonzepts Papens und anderer Konservativer, mit dem man die nationalsozialistische Massenbewegung unter Kontrolle bringen wollte. 1932 schrieb er  : »Der Nationalsozialismus ist unsere Volksbewegung, muß von uns geschützt werden und darf niemals von dem Blickwinkel angegriffen werden, von dem aus der Liberalismus und das sterbende Bürgertum ihn ansehen.«216 Jung sah aber auch die Gefahr, dass der autoritäre Staat einer konservativen Elite, den er anstrebte, von einer totalitären Partei gekapert werden könne. Und genau das trat ein  : Nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, wurde Jung Redenschreiber des früheren Reichskanzlers von Papen. Als dezidierter Gegner des Nationalsozialismus hatte er, wie eine Denkschrift für von Papen ausweist, im Frühjahr 1934 Staatsstreichpläne geschmiedet. Initialzündung dieses Putsches sollte die Rede von Papens vor Marburger Studenten am 17. Juni 1934 sein. Jung hatte sie verfasst und darin gegen die Knebelung der Presse sowie die Entwürdigung Andersdenkender protestiert. Aber der erhoffte Effekt  – ein Vorgehen der Reichswehr gegen die SA  – blieb aus, Jung wurde anlässlich der »Röhm-Revolte« von der SS verhaftet, ins KZ Oranienburg verschleppt und erschossen. Papen ließ es reaktionslos geschehen.217 Gleichwohl  – Jung hatte die Verhältnisse in Deutschland in den 1920er Jahren scharf angegriffen und mit dem Wort »Minderwertige« auch rassistisch eingestellte Leser und Literaten bedient, ohne Rassist zu sein. So schrieb er, er stehe »den politischen Auswirkungen und Schlussfolgerungen unserer bisherigen Rassenforschung« skeptisch gegenüber. Eine einseitige Fixierung auf die biologischen Eigenschaften des Menschen lehnte er als »Materialismus des Blutes« ab. Er wies damals – ohne Wirkung allerdings – Darré darauf hin  : »Soweit sind wir noch nicht, daß wir auf Schädelmessungen Weltanschauungen und politische Systeme aufbauen können.« Auch die Vorstellung, es gebe »reine Rassen« mit Qualitätsmerkmalen, und eine Klassifikation bzw. Hierarchisierung à la Günther lehnte Jung ab. Wenn man ein so großes Volk wie das deutsche nach »rassischen« Kriterien aufteile, könne nur Zwietracht daraus entstehen, war er überzeugt. Außerdem sah er einen »Selbstwiderspruch« in jeglicher Rassenlehre  : »Man kann nicht in einem Atem freie Entschließung mit blutsmäßiger Gebundenheit alles Geistigen predigen«, schrieb er. Obwohl er der Meinung war, die Rechte der Staatsbürger könnten nicht nach »rassischen« Gesichtspunkten abgestuft werden, unterschied er doch zwischen »rassisch wertvollen Bestandteilen des deutschen Volkes« und »minderwertigen« und plädierte dasür, Letzteren den »Zustrom« nach Deutschland zu verwehren.218 216 E. J. Jung, »Neubelebung von Weimar«, in  : Deutsche Rundschau, 59/1932, 160. 217 Vgl. Jenschke, 1971  ; Forschbach, 1984  ; Jones, 1988 und Gerstner, 2008, 88 ff., 184 ff. und 464 ff. 218 Jung, 1930, 121  ; 126 und 629 ff.

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Darré knüpfte bei Jungs Elitekonzept an und bei dessen Gegnerschaft zum »heutigen Regierungssystem«, das »beseitigt« werden müsse (»Diesem Ziele gilt deshalb heute meine ganze Energie.«).219 Im Übrigen stimmte er mit Darré in der Einschätzung überein, dass »ein starkes Bauerntum die Zukunftsfrage des deutschen Volkes« sei.220 Jung hatte in seinem Buch das Verhältnis von Stadt und Land als feindlichen Dualismus von existentieller Bedeutung gekennzeichnet. »Heimat« und »Asphalt« wurden von ihm in einem strikten Entweder-Oder gegenübergestellt. Diese Art der konfrontativen Argumentation pflegte auch Darré, um den Leser in seiner Meinungsbildung gewissermaßen zu einer Entscheidung zu zwingen. Ähnlich wie Darré stellte Jung ein »organisches« gegen ein »mechanisches« Weltbild und seine Großstadtkritik gipfelte darin, den modernen, in Städten lebenden Menschen als »Nomaden« zu beschreiben, den er zum Antagonisten des sesshaften Bauern stilisierte. In der Stadt sei »Geldverdienst« vorherrschend, für den Bauern sei die »Scholle« dagegen Lebenszweck. Das musste Darré gefallen. Auch Jung sah die Wanderbewegung vom Land in die Stadt, die als Begleiterscheinung der Industrialisierung vornehmlich aus ökonomischen Gründen (schlechte Arbeitsbedingungen, Armut, Arbeitslosigkeit) stattfand, eher als Zeichen eines moralischen Verfalls. Das Phänomen wurde meist – in Anlehnung an »Fahnenflucht« – despektierlich »Landflucht« genannt. Es war also um die Jahreswende 1926/27, als Darré alle Brücken zu einer bürgerlichen Karriere abbrach und die Weichen für seinen weiteren beruflichen Lebensweg stellte  : 1926 trat er aus dem »Alldeutschen Verband« und 1928 aus dem »Stahlhelm« aus.221 Ende 1926 hatte er mit dem damals noch in Stockholm lebenden Schriftsteller Dr. Hans F. K. Günther den ersten brieflichen Kontakt und – fast gleichzeitig – auf dessen Empfehlung trat er im Januar 1927 auch dem »Nordischen Ring« bei. In dieser sektiererischen Vereinigung fand er diejenigen, die ihm halfen, sein zweites Buch zu schreiben, und die ihm seinen Weg zur NSDAP ebneten.222 219 Der briefliche Kontakt mit Darré ging so weit, dass Jung seine Beziehungen zum Auswärtigen Amt nutzen wollte, um Darrés Anstellung in Riga zu unterstützen. Darré seinerseits berichtete von seinem Buch, an dem er arbeitete  : »Der Grundgedanke des ganzen Buches ist der, die breite hauptsächlich rassenkundlich orientierte Öffentlichkeit auf die Bedeutung des Bauerntums und im besonderen auf das altdeutsche bäuerliche Erbrecht zu verweisen.« Er wolle »mehr oder minder das, was Sie vom rein juristischen und volkswirtschaft-politischen Standpunkt beleuchten, vom bäuerlich-biologisch-rassischen Standpunkt zu bestätigen« versuchen, schrieb er ihm in offensichtlicher Anpassung an die politischen Vorstellungen des katholischen Adressaten (Bfe. u. a. v. 29.10. 1927 und 25.4. sowie 11.5.1928, StAG, NLD, Nr. 84). Nach der Veröffentlichung seines ersten Buches wurde der Gedankenaustausch auch im Jahre 1929 fortgesetzt  : ebd., Nr. 437a. 220 Jung an Darré, 16.1.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). 221 BA, BDC, Personalakte Darré. 222 Dieser Prozess zog sich bis in den Herbst 1929 hin, nicht zuletzt, weil er intensiv an seinem ersten Buch arbeitete. Dann trat er auch aus dem biederen »Halleschen Genealogischen Abend« aus. Seine Begründung, er beabsichtige »agrarkulturgeschichtliche und rassenkundliche Studien zu treiben und mit entsprechenden Schriften und Büchern an die Öffentlichkeit zu treten«, und er wolle »weder

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Unter ausdrücklicher Betonung der geistigen Führerschaft Günthers hatte sich der »Nordische Ring« das Ziel gesetzt, »den nordischen Gedanken in Deutschland herrschend zu machen«.223 Die Vereinigung war im Mai 1926 offiziell gegründet worden, um der seit Erscheinen von Günthers Rassenkunde 1922 enorm angewachsenen »Nordischen Bewegung« eine Zentrale, einen Kristallisationskern zu geben, damit diese »geistige Bewegung« in die richtigen Bahnen gelenkt werde. Es handelte sich um einen losen Zusammenschluss »geistig reger Anhänger des nordischen Gedankens«, die in gegenseitigem Meinungsaustausch, d. h. in persönlichem und brieflichem Kontakt, standen. Insbesondere müssten die »völkischen und vaterländischen Vereine über die Rassenfrage aufgeklärt werden, weil in ihnen die nordischen Menschen in Deutschland vornehmlich zusammengefaßt sind«, hieß es in den Gründungspapieren. Der »Nordische Ring«, der sich  – wie viele »völkische« Vereinigungen  – als elitärer Geheimbund verstand, wollte die »nordischen« Deutschen wieder »rassenbewußt« machen. Zu seinen Gründern gehörten der ehemaligen Ministerialrat im Finanzministerium Hanno Konopacki-Konopath (1892–1962) und seine Frau, Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe (1895–1993).224 Außerdem gehörten Prinz Friedrich Freund noch Feind die Möglichkeit geben, mir parteipolitische Bindungen vorwerfen zu können«, dürfte vorgeschoben sein. Seine damalige Situation war eher durch Geldsorgen gekennzeichnet. Der AdV war keine Partei, Darré aber war damals auf ebendiesem Weg eines parteipolitischen Engagements  : entweder in der »Landvolkbewegung« in Schleswig-Holstein oder in der NSDAP (IfZ-München, NLD, Bde. 6 und 8  ; StAG, NLD, Nr. 86 und Nr. 436). 223 Vertrauliche Niederschrift über die Gründungssitzung und erste Tagung, dem Bf. des »Nordischen Rings« an Darré v. 12.1.1927 beiliegend (ebd., Nr. 84). Schon 1923 war mit ausdrücklicher Orientierung an Günther ein »Jungnordischer Bund« gegründet worden, dessen Anliegen eine »nordisch bestimmte Kultur, Erhaltung und Stärkung der nordischen Rasse, Heranbildung einer zielbewußt schaffenden Führerschicht« waren. (Vgl. Pross, 1964, 479). 224 Hanno Konopacki-Konopaths Familie stammte aus Westpreußen. »Kono«, wie sich der Jurist von seinen Freunden nennen ließ, »unbekümmert« und mit »Herz und Schnauze« ausgestattet, war 1926 als Ministerialrat aus dem Staatsdienst ausgeschieden (einstweiliger Ruhestand). Er betätigte sich fortan in der »Völkischen Bewegung« und publizierte auch über rassenideologische Themen (Ist Rasse Schicksal  ? Grundgedanken der völkischen Bewegung. München [Lehmanns Verlag] 1926). 1928 trat Konopacki-Konopath aus der DNVP, deren »völkischem Ausschuss« er angehört hatte, aus und im Frühjahr 1930 – wie Darré – in die NSDAP ein.1929 gab sich Konopacki-Konopath als »Vorsitzender des Ahnenerbes. Bund für Sippen- und Wappen-Forschungs-Hilfe, Erbkunde und Rassenpflege« aus (die »NS-Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe e. V.« wurde von Himmler und Darré erst ab 1935 aufgebaut und 1937 offiziell gegründet). Außerdem betrieb er mit seiner Frau eine »Nordische Vermittlungsstelle«, die alle »nordisch-erbtüchtigen Menschen« zusammenbringen wollte, auch solche, »die einen Gatten suchen«. Beide lebten recht freizügig und machten auch keinen Hehl daraus. Aber Gerüchte dieser Art schadeten seiner Parteikarriere  : Von Darré als Leiter der Abteilung für »Rasse und Kultur« in der Organisationsabteilung II in der Reichsleitung untergebracht (Konopacki an Darré, 22.9.1930 und Darré an Konopacki, 23.12.1930, StAG, NLD, Nr. 87, sowie VB, 31.12.1930), wurde er im Dezember 1931 als »Hans Konopath« (geb. war er als Friedrich) alleiniger Vorstand des »Reichsverbandes deutscher Rundfunkteilnehmer« (G. Paul, 1990, 196). Aber durch seine exaltierte Art diskreditierte er sich derart, dass er schon Mitte 1932 für Gregor Strasser untragbar geworden war. Nachdem er sich

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Wilhelm zur Lippe und Graf Günther von der Goltz zu den Gründungsmitgliedern sowie Professor Gustaf Kossinna, einer der führenden Vertreter der Vor- und Frühgeschichtsforschung. Kossinna wollte seine Disziplin zu einer »völkisch-nationalen« Wissenschaft machen und bemühte sich um den Nachweis der »germanischen Kulturhöhe« und der »slawischen Unkultur«. Er wurde später auch Gründungsmitlied von Rosenbergs »Kampfbund für Deutsche Kultur«.225 Zu den Initiatoren, die den »Nordischen Ring« gründeten, gehörten weiterhin Max Robert Gerstenhauer und Dr. Ludwig F. Clauß sowie Freiherr von Vietinghoff-Scheel, der es übernahm, Anregungen zur Pflege der Familienkunde zu geben und »Vorschläge für die Anlage von Geschlechterbüchern im nordischen Sinne« zu machen.226 Die Geschäftsstelle muß von den Mitgliedern ständig mit Aufsätzen versehen werden, und zwar mit Aufsätzen aus allen Gebieten, von der Rassenhygiene und Rassengeschichte über die Rassenkunde und Rassenpsychologie bis zur »nordischen« Weltanschauung und deren Auswirkungen in der Politik,

hieß es in der Niederschrift zur Gründungssitzung des »Nordischen Ringes«.227 Dem­­ entsprechend bleibe der Kreis der Mitglieder beschränkt, es könne sich ausschließlich um geistig rege Persönlichkeiten handeln, die in einer von keiner Satzung eingroßsprecherisch schon als künftigen Kultusminister gesehen hatte, machte er sich auch Goebbels zum Feind. Diese Personalie, die Darrés Menschenkenntnis tangierte, beschädigte erstmals dessen innerparteiliches Ansehen. (BA, NLD, Nr. 87, Darré an Eichenauer, 22.6.1932, und BA, BDC, Personalakte). Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe (»Marieadel«, Darré nannte sie liebevoll »Schwesterlein«), wie Darré 1895 geboren, wurde als Tochter des Prinzen Rudolf zur Lippe in ihren beiden ersten Ehen mit zwei Prinzen aus dem Hause Reuß verheiratet, bevor sie sich mit Konopacki-Konopath zusammentat und den »Nordischen Ring« gründete. Sie trat am 1.5.1930 – wie ihr Mann – der NSDAP bei, blieb im »Dritten Reich« immer in Darrés Nähe und gab 1940 seine frühen Publikationen heraus. 1936 ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. (BA, BDC, Research-Ordner 400 sowie Gespräch d. Verf. mit Frau Konopath). 225 Kossinna war seit 1902 Professor für »Deutsche Archäologie« in Berlin, gründete 1909 die »Gesellschaft für Deutsche Vorgeschichte« und publizierte 1912 das Buch Die deutsche Vorgeschichte  – eine hervorragend nationale Wissenschaft. Vgl. Grünert, 2002 und Hossfeld/John/Lemuth/Stutz, 2003, 868 ff. 226 »Insbesondere müssen die völkischen und vaterländischen Vereine über die Rassenfragen aufgeklärt werden, weil in ihnen die nordischen Menschen in Deutschland vornehmlich zusammengefasst sind.« (StAG, NLD, Nr. 86) Unter den zu einer öffentlichen Tagung »Grundlagen und Zukunft deutschen Volkstums« des »Nordichen Ringes« vom 16. bis 18.6.1927 in Berlin einladenden Verbänden erschienen der »Nordgau des Deutschen Hochschulringes«, der »Hochschulring deutscher Art« und die »Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands« (Einladung mit Programm vom Verf. bei Frau Bauer eingesehen). 227 »Nordischer Ring« an Darré, 12.1.1927 mit vertraulicher Niederschrift über die Gründungssitzung und erste Tagung im Mai 1926 (StAG, NLD, Nr. 84).

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geschränkten losen Vereinigung die gemeinsamen Ideale in die noch feindlich ein­gestellte Öffentlichkeit tragen sollten.228 Diese Gruppierung unterschied sich also von den übrigen neugermanischen Organisationen der damaligen Zeit durch ihren intellektuellen Anspruch und ihre zielbewusste publizistische Aufklärungsabsicht.229 Als Publikationsorgan übernahm der »Nordische Ring« 1928 vom »Deutschbund« die Zeitschrift Die Sonne. Monatsschrift für nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung. Der »Deutschbund« war 1894 als rassistische und antisemitische Vereinigung gegründet worden. Er verstand sich als »rassische« und kulturelle Elite und war wie ein Geheimbund organisiert. Zu seinen prominentesten Mitgliedern gehörten Theodor Fritsch, Heinrich Claß und Adolf Bartels, eines der aktivsten war Max Robert Gerstenhauer. Es gab in vielen deutschen Städten »Deutschbund-Gemeinden«, aber bis zum Ersten Weltkrieg insgesamt nur 1500 Mitglieder. In den 1920er Jahren verdoppelte sich diese Zahl allerdings, viele Mitglieder suchten bald auch den Kontakt zur NSDAP. 1930 trat die gesamte Führung des »Deutschbundes« der Partei Hitlers bei. Der »Bundesgroßmeister«, d. h. Geschäftsführer, des »Deutschbundes« war seit 1921 der in völkischen Kreisen umtriebige Jurist, thüringische Beamte und Publizist Gerstenhauer, der auch Hans F. K. Günther bewegen konnte, seinem »Bund« beizutreten. Gerstenhauer (1873–1940), im thüringischen Staatsdienst gut abgesichert (zuletzt Ministerialdirigent im Innenministerium), war von 1910 bis 1914 im Vorstand des »Alldeutschen Verbandes« gewesen und wurde nach dem Ersten Weltkrieg auch zur Leitfigur der »Deutschchristen« in Thüringen, wo er von 1924 bis 1932 Mitglied des Landtages war. In vielen Aufsätzen und Publikationen forderte er einen Kampf gegen »Rassenverfall durch Zivilisation und Rassenvermischung«. Er hatte mit Adolf Bartels die »Deutschvölkische Vereinigung« gegründet, aus der nach dem Ersten Weltkrieg der einflussreiche »Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund« hervorging. Er wollte die »nordische Rassenkraft« durch »Stärkung des Bauerntums« fördern. Nassforsch hatte er die »Ausmerzung der Minderwertigen, der Schwachen, Kranken, Untüchtigen und Schlechten [  !] durch ihren Ausschluß von der Nachzucht« gefordert. Denn es komme, so war er schon 1913 überzeugt gewesen, auf die »Fortpflanzung der tüchtigen und edlen Elemente« an. Seine Themen reichten von Anerbenrecht über Bodenreform zur »Landfrage in Südwestafrika« und mündeten immer in die »Wendung zur Rettung und zum Aufstieg Deutschlands«. Er sah Rassenpolitik und Lebensreform untrennbar mit einer »Rückkehr aufs Land« verbunden, um wieder zu einem ausgeglichenen Verhältnis von Stadt und Land, Industrie und Landwirtschaft zu kommen. Deshalb engagierte er sich auch bei den »Artamanen«.230 228 Vgl. auch den Rundbrief des »Nordischen Ringes« vom Sommer 1929 (ebd., Nr. 434). 229 Vgl. E. Schlund, Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland. München 1924. 230 Zu Gerstenhauers Publikationen gehörten u. a. Rassenlehre und Rassenpflege, 1913 (Zitate 35 ff.)  ; Der Führer. Ein Wegweiser zu deutscher Weltanschauung und Politik, 1927  ; Der völkische Gedanke in Vergangenheit und Zukunft. Aus der Geschichte der völkischen Bewegung, 1933. Vgl. u. a. Fricke, 1996, 328 ff.; Breuer, 2008, 162 ff. und 2010, 3 ff.

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Abb. 8 Günther, Konopacki und Darré als Trio, um 1929. Abb. 9 Das Publikationsorgan des »Nordischen Rings«, 1929.

Neuer »Schriftleiter« der Sonne wurde 1929 Hanno Konopacki-Konopath, der die Zeitschrift zum »Sprachrohr« der Günther’schen »Rassenkunde« machte. Sie wurde 1934 eingestellt, nachdem viele ihrer Protagonisten u. a. im von Darré aufgebauten »Rasse- und Siedlungsamt« der SS tätig geworden waren. Der »Nordische Ring«, dessen Geschäftsstelle mit der Wohnung der Geschäftsführer in Berlin-Tempelhof identisch war, hatte im Sommer 1929 nur 150 Mitglieder, von denen allerdings erwartet wurde, dass sie »aktiv«, d. h. durch Vorträge, Publikationen und dergleichen, die Ziele der Vereinigung unterstützten.231 Erst ab Herbst 1929 öffnete sich der »Nordische Ring« auch für passive Anhänger, von denen – neben den Mitgliedsbeiträgen – durchaus auch finanzielle Beihilfen geleistet werden sollten. Freimaurer und Anthroposophen waren ausgeschlossen, Juden selbstredend auch. 1929 hatten sich anlässlich einer vom »Nordischen Ring« veranstalteten Tagung in Berlin zwölf den »Nordischen Gedanken« fördernde Bünde zusammengefunden  : »Deutschbund«, »Kampfbund für Deutsche Kultur«, »Deutscher Hochschulring«, 231 Als ständige Mitarbeiter wurden neben Günther und Darré u. a. die Professoren Kossinna, Fleischer, Strzygowski, Wundt, Merk, Bock, Illies, Christian, Polland, Runze und Fahrenkrog genannt (nach  : Die Sonne, 7. Jg., Heft 8, August 1930, vom Verf. bei Frau Bauer eingesehen). Auf einer Pfingsttagung verschiedener »nordisch-völkischer« Vereinigungen, die 1928 auf Schloss Guteborn bei Ruhland stattfand und von dem »Artamanen« August Georg Kenstler geleitet wurde, sprachen u. a. Günther und Konopacki-Konopath. Darré befand sich unter den Zuhörern (Die Sonne, Mai 1928 und Gespräch d. Verf. mit Frau Konopath).

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»Hochschulring für deutsche Art«, »Orden der Nordungen«, »Geusen«, »Bund der jungen Nation«, »Bund Ahnenerbe«, »Nordischer Jugendring«, »Nordische Glaubensgemeinschaft«, »Bund für deutsche Weltanschauung« und »Deutsche Richard-Wagner-Gesellschaft«.232 Die Sonne schrieb damals stolz  : »Welch ein Empor, seit 1924 auf der ersten Völkischen Woche in Berlin der Leiter des ›Nordischen Ringes‹, Hanno Konopath, […] zum ersten Male in größerer Öffentlichkeit ein Bekenntnis zur Ungleichheit der Menschen und Rassen und zum Nordischen Gedanken ablegte.«357 Auf dieser Tagung 1929 sprach Darré übrigens zum Thema »Altnordische Sittengesetze, die sich zugleich als Zuchtgesetze auswirkten«. Darré hielt den Vortrag 1931 auch an der Universität Jena.233 Im Januar 1929 wurde Darré auch Mitglied des »Deutschen Bundes für Volksaufartung und Erbkunde«, der sich noch nicht auf »nordisches Blut« fixiert hatte. Dieser eingetragene Verein verfolgte nach seiner Satzung vom 30. April 1925 das Ziel, die deutsche Volksgesamtheit über die bestehenden bedrohlichen Gefahren der menschlichen Entartung aufzuklären sowie die Mittel und Wege nicht nur der Vermeidung dieser Schäden, sondern auch der Erhaltung und Mehrung des im deutschen Volke vorhandenen wertvollen körperlichen und geistigen Erbgutes in den weitesten Kreisen zu verbreiten.

Er propagierte »zehn Grundsätze«, einige davon hießen  : Der körperliche und geistige Wert [eines Menschen] hängt von den Erbanlagen ab […]. Körperlich und geistig Minderwertige sind von der Fortpflanzung auszuschließen. Durch Auslese vererbungstüchtiger Eltern kann das Erbgut des gesamten Volkes verbessert werden. Eltern mit guter Erbverfassung müssen in der Aufzucht einer größeren Kinderzahl gefördert werden.234

Das Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14. Juli 1933 lässt grüßen. Der »Nordische Ring« war Teil der deutschvölkischen Bestrebungen, die im wilhelminischen Kaiserreich wiederum Teil jener Erneuerungsbewegung waren, die dem kleindeutschen neuen Staat eine nationale Identität geben und sich nicht mit dem um die Jahrhundertwende weit verbreiteten kulturpessimistischen Lebensgefühl abfinden wollte. Ihr Spektrum reichte von »Wandervogel« und »Heimatschutz« über die Denkmalpflege zur Naturheilkunde, Ernährungsreform (Vegetarismus, Antialkoholismus, biologisch-dynamischer Anbau in der Landwirtschaft), Kleidungsreform und Frei232 Die Sonne, 7. Jg., Heft 8, August 1930 (Frau Bauer) und StAG, NLD, Nr. 437. 233 Abgedruckt in  : Darré, EuW, 1940, 183 ff. 234 Vgl. den Bf., den Darré am 27.1.1927 einschl. Informationsmaterial erhielt, StAG, NLD, Nr. 84. Der Verein residierte in Berlin-Lichterfelde, Hortensienstraße, einer Gegend, in der rund um preußische Kasernen hauptsächlich Militärs und konservative Adlige wohnten.

Der Weg in die rassistische »Nordische Bewegung«

körperkultur, Tierschutz und Bodenreform (Gartenstadtbewegung). Dazu gehörten auch Erneuerungsbestrebungen in den Kirchen und im Erziehungswesen (deutschchristliche und deutschgläubige, freireligiöse und spiritistische, reformpädagogische und jugendbewegte) bis hin zu alternativen sexualreformerischen, rassenideologischen und gesundheitspolitischen Lebens- und Gesellschaftsentwürfen (Landkommunen, Rassenhygiene bzw. Eugenik). Sie alle organisierten sich in kleinen, sektiererischen Vereinigungen und esoterischen Geheimbünden bzw. »Orden«, aber auch in wissenschaftlichen Institutionen. Sie rangen nicht nur untereinander und wegen offensichtlicher Profilierungsneurosen ihrer jeweiligen Protagonisten um den richtigen Weg zum »Heil«, auch innerhalb der verschiedenen okkulten Gruppierungen und Fachkreise gab es heftige Konflikte, Rivalitäten, Kämpfe und Eifersüchteleien. Sie werden noch von Interesse sein, wenn es um die Analyse und Darstellung der »Blut und Boden«Ideologie geht, d. h. um das Verhältnis von »Blut« = Mensch und »Boden« = Umwelt.235 Wie die »Nordischen« um Inhalt und Bedeutung ihres Ideals rangen, so stritten auch die »Völkischen« darum, was »deutsch« sei und wie man diesem Anspruch »germanischen Wesens« am besten gerecht werden könne. Da wurden altgermanische Monatsnamen eingeführt (»Hartung« für Januar oder »Ernting« für August) und Fremdwörter eingedeutscht. Es ging, wie es in der Satzung des 1885 in Dresden gegründeten »Allgemeinen deutschen Sprachvereins« hieß, um die »Reinigung der deutschen Sprache von unnöthigen fremden Einflüssen«, aber auch gegen ihre »Verjudung, Verpfaffung und Verwälschung«. Die lateinische Schrifttype »Antiqua« sollte durch die altdeutsche »Fraktur« ausgetauscht werden, ja man wollte eine an den Runen orientierte neue Schriftart kreieren. Außerdem waren »Rassenmischung« und »Blutschaos«, »Verstädterung« und rechtliche »Überfremdung« Angriffspunkte deutschvölkischer Aktivitäten.236 Die »Völkische Bewegung« war – wie einer ihrer Protagonisten, Max Robert Gerstenhauer, mit Recht feststellte  – »kein Erzeugnis der Nachkriegszeit«, sondern »schon zwanzig, dreißig Jahre vor dem Weltkrieg« entstanden. Symbole wie das Hakenkreuz oder der »Heil«-Gruß gingen freilich im zunächst undurchdringlichen Dickicht unterschiedlicher Strömungen und Organisationen unter. Versuche zur Bildung eines völkischen Dachverbandes scheiterten alle an Sektiererei, Geheimbundmentalität, individualistischen Neigungen und Obsessionen. Aber immerhin verdankte Darré den Slogan »Blut und Boden« ebendiesem »geräumigen Sammelbecken« (Uwe Puschner), das sich »Völkische Bewegung« nannte und dem auch die »Artamanen« 235 Vgl. Kerbs/Reulecke, 1998  ; Gugenberger, 2001 und den zweibändigen Katalog einer Ausstellung zur »Lebensreform«-Bewegung, die 2002 auf der Darmstädter Mathildenhöhe stattgefunden hat. 236 So wurde beispielsweise im »Nebelung« 1929 von der »Nordischen Glaubensgemeinschaft e. V.« zu einem Vortrag eingeladen (StAG, NLD, Nr. 437). Die ersten Rundschreiben, die Darré als Leiter des »Agrarpolitischen Apparates« der NSDAP ab 1930, anfänglich auch im »Reichsnährstand«, versandte, waren ebenfalls mit altgermanischen Monatsnamen datiert. Vgl. auch Puschner/Schmitz/Ulbricht, 1996  ; Puschner, 2001 sowie Linse, 1983a und 1983b.

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zuzurechnen sind, deren Mtglied, wie oft behauptet wird, Darré zwar nie war, deren Gedankengut er aber schamlos ausbeutete. Viele dieser Zirkel hatten ein elitäres Selbstverständnis und pflegten ein germanozentrisches Weltbild. Parteipolitisch waren sie zunächst in der DNVP oder dem »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund« organisiert, bevor es schließlich der NSDAP gelang, sich als alleiniger Sachwalter »völkischer« Interessen zu präsentieren.237 Viele nahmen an, dass nicht nur körperliche, sondern auch geistige und sittliche Eigenschaften in den »Rassen« vererbt und »Rassenvermischung« zu »Rassenverfall«, »Entartung« und Dekadenz führen würden. Auch im »Nordischen Ring« wurde z. B. darüber gestritten, ob »seelische« oder »körperliche« Gesichtspunkte bei der Kennzeichnung der einzelnen »Rassen« aus Günthers Konstruktionsbüro im Vordergrund zu stehen hätten. Darüber zerbrach die Freundschaft zwischen Günther und Clauß, der sich besonders mit der »Rassenseele« beschäftigte. Diejenigen, die wie Günther, Darré und die Konopaths den körperlichen Aspekt in der »Rassenkunde« betonten, grenzten sich zunehmend von Ludwig Ferdinand Clauß und Dr. Bernhard Kummer ab, denen es mehr um die »inneren« Werte bzw. die Mentalität menschlicher Existenz ging und die Darrés Züchtungsvorstellungen ablehnten. Demgegenüber billigten sie der »Rassenseele« eine kulturbildende Funktion zu. Und im Unterschied zu Darré und Günther, die biologistisch und naturwissenschaftlich argumentierten, orientierte sich Clauß an metaphysischen Kriterien, was ihn weniger angreifbar machte. Für ihn stellte »Rasse in sich selbst einen Höchstwert dar. Jede Rasse trägt ihre Wertordnung und ihren Wertmaßstab in sich selbst und darf nicht mit dem Maßstab irgendeiner anderen Rasse gemessen werden« – war er im Gegensatz zu Darré und Günther überzeugt. Clauß war der Meinung, schwarze Haare und ein stämmiger Wuchs könnten durchaus eine »blonde und schlanke Seele« beherbergen.238 237 Vgl. See, 2001  ; Lutzhöft, 1971  ; Mosse, 1991 und Lohalm, 1970. 238 Dr. Ludwig Ferdinand Clauss (1892–1974) publizierte die Bücher Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde. Halle 1923, dann München (Lehmanns) 1926, 8. Aufl. 1940 und Rasse und Seele. Eine Einführung in die Gegenwart. München (Lehmanns) 1926. Später mit dem Untertitel Eine Einführung in den Sinn der leiblichen Gestalt, 3. Aufl. 1933, 7. Auflage 1941. Er übernahm die »phänomenologische Methode« seines Lehrers Husserl einschl. eigenwilliger Begrifflichkeiten. Weil er die inneren Werte eines Menschen für wichtiger hielt als seine äußere Erscheinumg, umging er das Problem, dass viele führende Nationalsozialisten nicht blond, groß und »wohlgestaltet« waren. 1936 wurde Clauß auf eine Honorarprofessur für Völkerpsychologie an die Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität berufen. Als er sich weigerte, sich von seiner jüdischen Mitarbeiterin und Geliebten zu trennen, wurde er 1943 nach einem Parteiausschlussverfahren aus seinem Professorenamt entlassen und totgeschwiegen. Sein Gegner, Walter Groß vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP sorgte dafür, dass seine Schriften aus dem Verkehr gezogen wurden. Clauß wurde zur Waffen-SS eingezogen. (Zitate von Clauß aus dessen Buch Rasse und Seele, 1934, 9 und 1939, 16.) Vgl. auch Poliakov/Wulf, 1978, 413 ff.; Lutzhöft, 1971, 47 ff. und P. E. Becker, 1990, 296 ff. sowie Weingart, 1995. Dr. Bernhard Kummer (1897–1962) war zeitweilig Hg. von Publikationen wie Nordische Blätter. Zeitschrift für nordisches Leben und Nordische Stimmen. Zeitschrift für Rassen- und Seelenkunde (ab 1936  :

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Aber auch zwischen Günther und Darré gab es Meinungsverschiedenheiten, wenn er z. B. Darré von einer allzu forschen Gleichsetzung von Mensch und Tier abzubringen versuchte, obwohl er »grundsätzlich« nichts gegen die Einbeziehung tierzüchterischer Erfahrungen in die »Rassenkunde« einzuwenden hatte.239 Bei diesen zum Teil öffentlich auf Tagungen und in Zeitschriftenartikeln, zum Teil privat in Korrespondenzen und Debatten ausgetragenen Richtungskämpfen – zu denen selbstverständlich auch infame Intrigen gehörten – wurden Energien gebunden und neue Fronten aufgemacht, aber auch Sympathisanten gewonnen. So lernte Darré damals Dr. Horst Rechenbach kennen, der später im »Rasse- und Siedlungsamt« der SS eine wichtige Rolle im Sinne der »Blut und Boden«-Ideologie spielen sollte. Er stand  – wie Günther  – in der Tradition von Anatomen und Anthropologen des 18. Jahrhunderts, die physiognomische Merkmale wie Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie Schädelformen und Körpermaße zur Grundlage einer Rassentypologie gemacht hatten. Sie hatten dem Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und moralischen Eigenschaften bestimmten Gehirnregionen zugewiesen und ihn nach seinem körperlichen Erscheinungsbild klassifiziert. Die Unterscheidung »langer« von »kurzen« Schädelformen z. B. hatte schon der 1796 geborene schwedische Anatom Alfred Anders Retzius vorgenommen.240 Horst Rechenbach (1895–1968) praktizierte dieses Konzept  – nun auf der Günther’schen Basis – Ende der 1920er Jahre bei der Rekrutierung des Nachwuchses der Reichswehr. Er war so alt wie Darré, war in Straßburg als Sohn eines preußischen Berufssoldaten geboren und hatte in Königsberg Abitur gemacht. 1914 war er Berufssoldat geworden. Nach dem Krieg zunächst Freikorpskämpfer in Ostpreußen, schloss er 1922 sein Studium der Landwirtschaft in Göttingen erfolgreich ab und schaffte es auch – im Gegensatz zu Darré –, die Befähigung als Tierzuchtinspektor zu erlangen. 1926 schrieb er seine Dissertation über Die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Landbevölkerung Nordthüringens. Da war er längst wieder in die Reichswehr zurückgekehrt und Lehrer an der Heeresfachschule in Erfurt geworden. In dieser Zeit kam er erstmals mit Darré in Kontakt, weil er, wie er in einem Brief schrieb, die Rekruten bei der Musterung »im Sinne der Nordischen Bewegung« nach deren phänotypischem Erscheinungsbild auswähle. Außerdem versuchte Rechenbach Zeitschrift für nordisches Wesen und Gewissen). Er befasste sich mit »nordischem Lebensgefühl« und germanischer Sittengeschichte. Kummer hatte am Forschungsinstitut für vergleichende Religionsgeschichte in Leipzig promoviert (Midgards Untergang. Germanischer Kult und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten. Leipzig 1927) und wurde später Lehrbeauftragter für altnordische Überlieferung und germanische Religionsgeschichte an der Universität Jena. 1942 wurde er dort Ordinarius. (Lutzhöft, 1971, 50 f.). 239 Vgl. Günther an Darré, 17.1.1927 (StAG, NLD, Nr. 84). Vgl. auch den Briefwechsel Darrés mit dem Ehepaar Konopath 1929/30 (ebd., Nr. 437/8). Da wurde u. a. von der »Claußschen Seelentürnerei« gesprochen. 240 Vgl. Burrell, 2004.

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1929/30 in Weimar bzw. der »Deutschen Heimatschule« in Bad Berka einen »Verein zur Förderung einer deutschen Freibauernschaft« zu gründen, der – zur Tarnung, denn Rechenbach war seit 1926 Mitglied des »Nordischen Rings« – mit einer »neutralen« Begrifflichkeit »jeden lebensfähigen Bauernbetrieb in die Hand einer gesunden Familie« überführen wollte. Auch von einem »Deutschen Familienbund. Gesellschaft zur Förderung deutschen Blutes auf freier Scholle« und von »Adelsbauernschaft« war die Rede, die sich als »grosse Blutsbewegung durch Wiederverankerung aller mit dem Acker« verstehen sollte  : »Jedes Mitglied hat sich vor seiner Aufnahme einer Überprüfung seiner Persönlichkeits- und Erbwerte zu unterziehen«, hieß es in den »Leitsätzen«. Darré beteiligte sich an deren Formulierung, war wohl auch Vorstandsmitglied, aber das Projekt, das im ländlichen Raum die »Erneuerungsquelle freien deutschen Bauerntums« sah, scheiterte. Rechenbachs entsprechende Beiträge in der Sonne führten ihn aber mit Darré in näheren Kontakt. Er hatte Darrés erstes Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse gelesen und, so schrieb er ihm, gerade als dieser sein zweites Buch Neuadel aus Blut und Boden verfasste, er wolle das, was Darré in der Vergangenheit erkannt habe, »in der Gegenwart neu erstehen lassen«.241 In dieser Zeit korrespondierte Darré auch mit einem der einflussreichsten Antisemiten Deutschlands  : Theodor Fritsch (1852–1933). Dieser gab seit 1902 die Halbmonatsschrift Hammer. Blätter für deutschen Sinn heraus, die ihr Ziel, die »Ausscheidung des Judentums aus dem Volksleben«, in jeder Ausgabe plakatierte. Darré rechtfertigte ihm gegenüber, dem Herausgeber des Handbuches zur Judenfrage, das bis 1941 fast 270.000-mal verkauft wurde, seine begriffliche Zurückhaltung in der »Judenfrage« 1929 mit seiner beruflichen Situation. »Aber auch wenn ich persönlich unabhängig wäre und den Mund nach Belieben auftun dürfte, hätte ich das Wort Jude oder das jüdische Problem nicht erwähnt.« Seine Publikationen, schrieb Darré, seien »noch nicht als antisemitisch verschrien«, weshalb auch sein neues Buch von »Zeitungen, die sonst gar nicht daran denken, Bücher wie das Meinige auch nur einer halbwegs normalen Kritik zu würdigen«, mit freundlichen und ausführlichen Besprechungen bedacht werde. Auf diese Weise werde seine Botschaft zur »lebensnotwendigen Bedeutung des Anerbenrechts und der Bodenfrage« öffentlich besser wahrgenommen.242 241 Zum Briefwechsel Darrés mit Rechenbach 1929–1932  : StAG, NLD, Nr. 87 und Nr. 94 sowie Horst Rechenbach, »Der deutsche Bauer als Vater des kommenden Volkes«, in  : Die Sonne. Monatsschrift für nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung 6/1929, 418–423. Zu Rechenbachs Vita und Vereinsgründung  : BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 112 und Gespräch d. Verf. mit ihm. Vgl. auch Eidenbenz, 1993, 187 ff. 242 Darré an Fritsch, 11.8.1929. Der Verleger und Hg. des Hammer hatte in einem Bf. v. 27.7.1929 Darrés Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse als »literarisches Phänomen« gelobt, »das den Grundstock abgeben wird für die Schaffung einer ›Heilige[n] Schrift‹ des nordischen Menschen« (StAG, NLD, Nr. 437). Fritsch hatte bisher die »Nordischen« als Gegenpol zu den Juden völlig übersehen. So schrieb er in »Der Alldeutsche Verband und der völkische Gedanke« (Hammer, 25/1926, 573)  : »Das Völkische will nicht nur Partei-Gegensätze, sondern auch Klassen- und Standes-Gegensätze

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In diesem Briefwechsel ging es nicht nur um die Frage, wie man mit dem Thema Antisemitismus in der Öffentlichkeit umgehen sollte, sondern auch um Willibald Hentschel, einen Schüler des Jenaer Zoologen Ernst Haeckel, dem ebenfalls aufgefallen war, dass Darré immer von »Nomaden« sprach, wenn er Juden meinte. Hentschel (1858–1947) war seit der Jahrhundertwende bekannt geworden mit seinen gesellschaftspolitischen Experimenten, die er zunächst in den literarischen Werken Varuna. Eine Welt- und Geschichts-Betrachtung vom Standpunkt des Ariers (1901) und Mittgart. Ein Weg zur Erneuerung der germanischen Rasse (1904) darstellte. Beide Bücher wurden in Theodor Fritschs Hammer-Verlag publiziert. Ihr Verfasser wollte »dem westlichen Kulturverfall« und der »Erschöpfung ihrer ländlichen Reserven« mit Landkommunen als »Stätten rassischer Hochzucht« entgegenwirken. In ihnen sollte in »freien Ehen«, die nur Schwangerschaften zum Ziel hatten, »Menschenzüchtung zur germanischen Rassenerneuerung« betrieben werden. Das war selbst in »völkischen« Kreisen unstritten. Schemann oder Gerstenhauer z. B. distanzierten sich ausdrücklich unter Hinweis auf die »guten Sitten« und »religiöse Anschauungen«.243 Hentschel, der mit chemischen Patenten zu Wohlstand und finanzieller Unabhängigkeit gekommen war, beschränkte sich nicht auf theoretische Gesellschaftsentwürfe mit archaisch-aristokratischer Akzentuierung. Um »rassischen Verfallserscheinungen«, die er als »Semitisierung« kennzeichnete, entgegenzuwirken, gründete er 1906 den »Mittgart-Bund«. Er war der Überzeugung, dass der »heldische« Mann ein »Zeugungsvorrecht« haben müsse, um sein größeres Sterblichkeitsrisiko ausgleichen zu können. Der »Mittgart-Bund« war ein Teil der Bewegung der »Deutschgläubigen«, deren Hauptträger der »Deutsche Orden« war. Ebenso wie der 1913 gegründete und 1918 in »Thule-Gesellschaft« umbenannte »Germanenorden«, dem in den frühen 1920er Jahren einige führende Nationalsozialisten angehört haben sollen, war diese Vereinigung als antisemitische Geheimloge organisiert. »Deutsches Gottum«, Wahrhaftigkeit »deutschen« Lebens, Sippenpflege und Freilandsiedlung waren Programmpunkte. Neben solchen religiös-kulturellen Zielen wurde aber auch »rassische Hochzucht« angestrebt. Hentschel schwebte eine »Keimsiedelung« vor, ein »Menschengarten«, wo in polygyner Lebensform (Männer und Frauen im Verhältnis 1  :10) eine neue Oberschicht herangezüchtet werden sollte.244 Eine solche »Stätte rassischer Hochzucht« hatten auch Hentschels Gesinnungsfreunde Adolf Reinecke 1907 und Theodor Fritsch 1908 vorgeschlagen. Reinecke, Heüberbrückt sehen. Es will die Volks-Gemeinschaft, gegründet auf Blut und einheitlicher Geistesart.« Vgl. auch Puschner/Schmitz/Ulbricht, 1996, 341 ff. 243 Vgl. »Leitsätze des Mittgart-Bundes«, BA, NS26/883  ; Th. Fritsch, »Dr. Willibald Hentschel zu seinem 75. Geburtstage«, in  : Die Sonne, 10/1933, 574 f. und den Bf. Darrés an Hentschel v. 29.12.1930 (StAG, NLD, Nr. 157). Vgl. auch Löwenberg, 1978 und Breuer, 2008, 110 f. sowie Puschner, 2013. 244 Vgl. Schlund, 1924, 43. Nach Grebing, 1959, 25 waren Mitglieder der »Thule-Gesellschaft«  : Streicher, Rosenberg, Heß, Feder, Dietrich Eckart, Hans Frank und Anton Drexler. Im Übrigen Puschner/ Schmitz/Ulbricht, 1996, 294 f. und Puschner, 2011, 155 ff.

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rausgeber der »völkischen« Zeitschrift Heimdall. Monatsschrift für deutsche Art, wollte einen »Arier-Bund, ähnlich dem Freimaurer-Orden« schaffen, um auf diese Weise die »völkische« Wiedergeburt durch »Arier-Züchtung« zu ermöglichen. Fritsch versuchte, eine »Siedelungs-Genossenschaft Heimland« als »deutsche Erneuerungsgemeinde« und »völkische Pflanzstätte« einer »neuen Gesellschaft« zur »Wiedergeburt der germanischen Rasse« ins Leben zu rufen. Sein Experiment in der Nähe von Rheinsberg in der Ostprignitz scheiterte ebenso wie Hentschels »Mittgart-Bund« und die »FreilandSiedlung Donnerhag« des Ehepaars Hunkel in Sontra bei Kassel nach dem Ersten Weltkrieg. Sie konnten nie mehr als 100 Aktivisten mobilisieren, weil »der wohlgeratene nordische Mensch« nicht daran dachte, »in eine Einsiedelei zu gehen«, aber auch mangels Frauen, die bereit waren, sich »zur Wiedergeburt der germanischen Rasse« als ›Gebärmaschinen‹ zur Verfügung zu stellen. Selbst in der »Völkischen Bewegung« waren derartige asketisch-ländliche Siedlungs- und Züchtungsideen nicht unumstritten. Aber es waren weniger ethische Bedenken, die vorgetragen wurden, sondern eher juristische (Unzucht) und pragmatische (utopisch-idealistisch). Gleichwohl hätten diese Erfahrungen mit an »Blut« und »Boden« orientierten Lebensreformvorstellungen, die alle Utopie blieben, Darré eine Warnung sein müssen.245 Denn sowohl Günther als auch Darré wiesen ausdrücklich auf Hentschels »Mittgart-Bund« und seine Idee einer »Errichtung umhegter Zuchtstätten (Mittgart-Dörfer)« hin, kannten also deren Erfahrungen.246 Der Gedanke wurde von Martin Otto Johannes Rädlein, von 1921 bis 1932 Kassenwart des »Mittgart-Bundes«, in seinem Roman Adel verpflichtet 1919 aufgegriffen, wo in »Hegehöfen« Hentschels Rassenzüchtungsutopie theoretisch durchgespielt wurde. Darré berief sich in seinem zweiten Buch Neuadel aus Blut und Boden ausdrücklich auf Rädlein alias Martin Otto Johannes. Aus dessen »Hegehof« wurde später in abgewandelter Form der nationalsozialistische »Erbhof«.247 Hentschel gehörte in den 1920er Jahren zu den Initiatoren der »Artamanen«-Bewegung, die junge Menschen zur Verdrängung der polnischen Saisonarbeiter auf ostdeutschen Gütern einsetzen wollte. Um die Bedrohung, Verdrängung und Vernichtung der »germanischen Rasse« durch »Tschechen, Polen, Galizier, Juden und Römlinge« abzuwehren, hatten Fritsch und Hentschel schon vor dem Ersten Weltkrieg gefordert, die »Siedlungs-Gesellschaft Heimland« solle dafür sorgen, dass eine »feste Beziehung zur heimischen Scholle«, die weder verschuldbar noch verkäuflich sein dürfe, hergestellt werden müsse. Die Landwirtschaft sollte wieder Vorrang vor allen anderen Wirtschaftszweigen haben. Außerdem sollte die »Aufzucht der Starken und Tüchtigen« durch eine »vernünftige 245 Vgl. Willy Schlüter, »Zur Weltanschauung der Erneuerungsgemeinde«, in  : Hammer, 1909, Nr. 165, 285  ; Gerstenhauer, Rassenlehre und Rassenpflege. 1913, 43 und Puschner, 2001, 197 ff. 246 Vgl. Günther, Nord. Ged., 1925, 18 und Darré, Neuadel, 1930, 14. 247 Martin Otto Johannes, Adel verpflichtet. Leipzig 1919, zweite Auflage 1930. Zum Kontext vgl. Gerstner, 2008, 158 ff.

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Auslese« nach »rassenhygienischen« und lebensreformerischen Kriterien ermöglicht werden. Schließlich propagierte die »Siedelungs-Gesellschaft Heimland« eine Erziehungsarbeit, welche die »Wehrhaftmachung unseres Volkes gegen innere und äußere Feinde« gewährleisten sollte.248 Hier ist unschwer erkennbar, dass das, was Richard Walther Darré in den 1930er Jahren mit seiner auf »Blut und Boden« fußenden Agrar- und Siedlungspolitik zu realisieren versuchte, schon zu Beginn des 20.  Jahrhunderts vorgedacht worden war. Ähnliche Ideen, wie sie Darré und Himmler später in der SS realisierten, verfolgte in den 1920er Jahren auch Thea Schwencke, geb. Freiin von Teubern, die in Hellerau bei Dresden 1927 einen »Bund Kinderland e. V.« gegründet hatte.249 Unter dem unverfänglichen Motto »Die Zukunft ruht in guter Hand, wird Deutschland wieder Kinderland« verfolgte der Verein den Zweck, »das Verantwortungsbewußtsein für das kommende Geschlecht im Sinne des nordischen Gedankens zu wecken.« Es komme darauf an, eine Alternative aufzubauen zu der »Fürsorge, die heute hauptsächlich den erbuntüchtigen Minderwertigen gilt«. Es gelte, »eine hochwertige Erbauslese« zu betreiben, »erbtüchtigen nordischen Familien größeren Kinderreichtum zu ermöglichen und in Kinderlandheimen hochwertige, durch äußere Lebensumstände gefährdete Kinder aufzunehmen und zu erziehen.« Auf diese Weise wollte der Bund, wie es in einer Werbebroschüre 1927 hieß, einen »neuen Adel« schaffen.250 Hier deuteten sich nicht nur Ziele an, die Darré mit seiner Programmschrift Neuadel aus Blut und Boden verfolgte, sondern auch Ziele, die im »Rasse- und Siedlungsamt« und im »Verein Lebensborn« der SS eine wichtige Rolle in der Realität des »Dritten Reiches« spielen sollten.251

248 Vgl. u. a. Puschner/Schmitz/Ulbricht, 1996, 401 ff. und 910 f.; Puschner, 2001, 125 und 196 f. sowie Haar/Fahlbusch, 2008, 239 ff. 249 Vgl. Lilienthal, 1997, 340 ff. 250 Die Werbebroschüre wurde Darré am 8.9.1927 zugesandt (StAG, NLD, Nr. 84) zusammen mit der Satzung des Vereins v. 30.5.1928 (im Besitz d. Verf.). Seinem »Freundeskreis« gehörten u. a. Ludwig Schemann, Gustaf Kossinna, die beiden Konopaths und Günther an (Günther an Darré, 16.9.1927, StAG, NLD, Nr. 84). 251 1936/37 scheiterte die Überführung des »Bundes Kinderland«, der mittlerweile fünf Heime betrieb, in Bad Doberan residierte und vom Reichs- und Preußischen Innenministerium nach Begutachtung durch den »Reichsausschuss für Volksgesundheit« subventioniert wurde, in den »Lebensborn e. V.« der SS am Eigensinn von Frau von Teubern (Briefwechsel Darré–Himmler, BA, Darré-NS 40 und 54).

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4 Auf dem Weg in die NSDAP

Mit Darrés offenkundiger Sympathie für den Nationalsozialismus 1923 und seinem Eintritt in den »Nordischen Ring« 1927 wurden die Eckpunkte sowohl seiner politischen wie seiner weltanschaulichen Bewusstseinsbildung ermittelt. Sie manifestierte sich 1929 in einem intensiven Engagement in der radikal-rassistischen »Nordischen Bewegung« und in den im J. F. Lehmanns Verlag erschienenen Büchern Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse und Neuadel aus Blut und Boden. 1930 wurde aus Darrés Sympathie für die NSDAP eine enge berufliche Partnerschaft, die freilich auf ideologischem Gebiet schon lange vorher vollzogen war. Diese Entwicklung, die Darré schließlich am 10. Mai 1930 mit Hitler zusammenführte, wurde direkt eingeleitet durch die Enttäuschung seiner beruflichen Hoffnungen in Ostpreußen. »Überhaupt denke ich jetzt manchmal, ob es nicht vielleicht für mich vernünftiger wäre, den ganzen Krempel mit Berlin schwimmen zu lassen und in die vaterländische Bewegung zu gehen, dort in den Agrarfragen zu wirken und zu kämpfen«, sinnierte er im September 1929.252 Darrés Versuch, Ende 1929 beim »Reichslandbund« eine Anstellung zu finden, blieb erfolglos, war allerdings auch nicht mit voller Überzeugung unternommen worden.253 Dabei spielten seine Erfahrungen in Ostpreußen, insbesondere mit der dortigen Landwirtschaftskammer, eine nicht unerhebliche Rolle. Deren Präsident Dr. Brandes hatte in der »nationalen Rechten«, insbesondere in der DNVP und im »Reichslandbund«, erheblichen Einfluss. Darré jedoch hatte die »Führung der ostpreußischen Landwirtschaft« als »unfähig« erlebt, die prekäre Lage der Landwirtschaft zu verbessern und nationale deutsche Interessen effektiv zu vertreten.254 Er dachte in eine andere Richtung  : Unter normalen Verhältnissen würde ich sagen, ich gehöre in den Landbund. Aber einmal gefällt mir dessen augenblickliche Führung ganz und garnicht, und zum anderen habe ich 252 Darré an Lehmann, 7.9.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). Wie sehr Darré im Sommer 1929 schwankte, wohin ihn sein beruflicher Weg führen sollte, zeigt sein Bf. an seinen Schwiegervater v. 1.9.1929  : »[…] und ach wie gerne hing ich den ganzen Beruf an den Nagel und widmete mich ganz der Feder.« (IfZMünchen, NLD, Bd. 10, 1499). 253 Am 23.12.1929 hatte sich Darré bei Dr. Wentzel im RLB-Präsidium vorgestellt (Mappe mit Privatpapieren, eingesehen bei Frau Darré, jetzt BA, NLD, Nr. 53). 254 Vgl. auch den Bf. Darrés an Lehmann, 2.10.1929 (StAG, NLD, Nr. 437) und den Briefwechsel Darrés mit Frhrn. von Wangenheim von der alldeutschen Deutschen Tageszeitung, der ihn im Januar 1929 als Mitarbeiter gewinnen wollte. Darré sollte über die Lage der Landwirtschaft schreiben, hatte aber eher die rassenideologische Bedeutung der Bauern im Blick als deren ökonomische Sorgen. Im Übrigen waren sich beide in der Einschätzung einig, dass die Linke heute ihre »Ernte einfahre« und sich die Rechte »mit ihrer Gleichgültigkeit gegen die Landwirtschaft selbst den Ast absäge, auf dem sie sitzt.« (ebd., Nr. 95 und Nr. 437).

Auf dem Weg in die NSDAP

das Gefühl, daß die Bauern anfangen, am Landbund vorbei, sich ihre eigene Front auszubilden. Wo aber die Bauern und Arbeiter stehen werden, dort allein fällt die Entscheidung der nächsten Jahre. Was die Arbeiter anbetrifft, so hat man dies auf der Rechten auch erkannt. Dagegen weniger, daß gut organisierte Bauernschaften unter energischen Führern, einen sehr viel ausschlaggebenderen Faktor im innenpolitischen Kampfe bilden als die ihnen zahlenmäßig überlegenere Arbeiterschaft. Auf unserer Rechten sieht man wenigstens nicht viel davon, daß um die Seele des Bauern ebenso gerungen würde wie um die des Arbeiters. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, daß rücksichtslos geführtes, frondierendes Bauerntum in kurzer Zeit jeden städtischen Marxismus lahm zu legen vermag. Gerne würde ich mich an der Schaffung und Durchorganisierung einer echten Bauernfront beteiligen. Vielleicht könnte ich auf diesem Gebiet noch mehr leisten wie mit der Feder.255

In diese Richtung, d. h. auf den radikalen Flügel der Deutschnationalen Hugenbergs, der Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein und der Nationalsozialisten, machte Darré nun seine »einflußreichen Freunde« mobil. Er setzte hierbei zunächst auf Lehmann, der ihn in der Hoffnung auf einen Erfolg seines Buches Neuadel aus Blut und Boden finanziell über Wasser hielt. Ihm schrieb er am 15. Dezember 1929 unter Hinweis darauf, er »hänge völlig in der Luft« und müsse »für Frau und Töchterchen sorgen«  : »Hugenberg und Hitler sind zwei Persönlichkeiten, zu denen ich Vertrauen habe, daß sie einen Kampf um das Bauerntum ehrlich unterstützen würden.«256 Doch Hugenberg schied in den Augen des Münchener Verlegers aus  : »Die Zukunft liegt, meines Erachtens, bei den Nationalsozialisten«, hatte ihm Lehmann schon am 25. Oktober 1929 geschrieben.257 Durch diesen Hinweis aufgemuntert, schrieb Darré am 17. Dezember 1929 optimistisch  : »Ich habe begründete Hoffnung, in der agrarpolitischen Front unterzukommen. Am liebsten wäre mir ja, unmittelbar für Hitler arbeiten zu können.«258 Am 17. Januar 1930 wandte sich Lehmann in einem Brief direkt an Hitler mit der dringenden Empfehlung Darrés  : »Wäre Ihre Partei in der Lage, sich wissenschaftliche Berater zu halten, so würde ich Ihnen raten  : Nehmen Sie den Mann als landwirt255 Darré an Lehmann, 15.12.1929 (ebd., Nr. 437a). Diese Formulierung über das »frondierende Bauerntum« findet sich fast wörtlich wieder in Darrés Denkschrift über den Aufbau einer agrarpolitischen Organisation der NSDAP. 256 Darré an Lehmann, 2.10.1929  : »Sollten Sie irgend etwas günstiges für mich bei Hitler oder Hugen­ berg wissen, so muß ich Ihnen ehrlich sagen, daß mir dies sehr lieb wäre.« (ebd., Nr. 437) und 9.12.1929 (ebd., Nr. 85). Außerdem wurde Darré von dem Fabrikanten Gerhard Quandt aus Wittstock/Dosse unterstützt, der von seinem Bauerntum so begeistert war, dass er ihm spontan finanzielle Hilfe leistete (Briefwechsel Darré–Quandt, 7. und 14.6.1932, ebd., Nr. 87). Am 21.12.1929 erhielt Darré beispielsweise 1000,– RM von Quandt, den er auch persönlich im Hause Schultze-Naumburg traf (ebd., Nr. 437 und IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1586). 257 Lehmann an Darré, 25.10.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). 258 Darré an seinen Buchhändler Nattermüller in Insterburg, 17.12.1929 (ebd., Nr. 85).

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schaftlichen Beirat für die Partei.« Trotz der finanziellen Nöte der NSDAP müssten jetzt die Bauern im Hinblick auf eine eventuelle Machteroberung ins Kalkül genommen werden. Da die Landwirtschaft in der nächsten Zeit wohl die Klasse ist, von der naturgemäß der Hauptstoß gegen die Regierung erfolgen muß und wird, wäre es von höchster Bedeutung für Sie, daß Sie mit diesen Kreisen die engste Fühlung nehmen, um vereint dann den Stoß zu führen. Ich möchte Sie jedenfalls auf diese ganz hervorragende Kraft aufmerksam gemacht haben.259

Diese und andere Initiativen Lehmanns, bei der NSDAP eine Art von agrarpolitischem Generalstab mit Darré an der Spitze einzurichten, fanden zunächst  – hauptsächlich aus finanziellen Gründen – nicht das erwartete Echo. Lediglich der »Posten eines Wanderredners«, wie ihn schon Himmler bekleidete, schien von Hitler ins Auge gefasst zu werden.260 Arbeitslosigkeit und Anregungen der »Artamanen«-Bewegung Um die Wartezeit im Hinblick auf eine immer noch mögliche Verwendung im Staatsdienst zu überbrücken, hatte Darré im Sommer 1929 begonnen, den Plan zu verwirklichen, sein Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse zu einer Programmschrift fortzuentwickeln. Sie sollte den völkischen Kreisen eine konkrete Zielsetzung ihres politischen Wirkens geben.261 Im September 1929 war das Rohmanuskript dieses Buches fertiggestellt, das den Titel »Wir brauchen einen neuen Adel« tragen sollte. Diese Forderung des »Artamanen«-Führers Hans Holfelder entsprach ganz seinen Intentionen, doch wurde schließlich in Zusammenarbeit mit dem Verleger Lehmann, dem »Artamanen« Kenstler und Darrés Freunden vom »Nordischen Ring« der Titel Neuadel aus Blut und Boden vorgezogen.262 Zu Überlegungen seiner Förderer, eventuell ein Pseudonym zu verwenden, erklärte Darré selbstbewusst  : Dies Buch ist gut geworden  ; für derartiges habe ich eine durchaus feine Nase. Ich glaube sogar, daß es in gewisser Weise sensationell wird. Auf jeden Fall bringt es unsere Gedanken in die Menge, und gerade weil ich alles wieder so hübsch verbacken habe, daß man die Pastete 259 Lehmann an Hitler, 17.1.1930 (Darré erhielt am 25.1.1930 einen Durchschlag [ebd., Nr. 437b]). 260 Wie Lehmann Darré in einem Bf. v. 23.12.1929 mitteilte, hatte Hitler ihm geantwortet  : »Ich stelle ihn mit Vergnügen ein, aber sorgen Sie für die Bezahlung.« (ebd., Nr. 437a) Vgl. auch Lehmann an Darré, 9.2.1930 (ebd., Nr. 437b) und Darré an Kenstler, 2.2.1930 (ebd., Nr. 94). 261 Darré an Günther, 7.9.1929 (ebd., Nr. 437). 262 Darré an Günther, 20.9.1929 (ebd.).

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mit Vergnügen genießt, und sich über das, was man zu sich genommen hat, beim Essen nicht den Kopf zerbricht. Derartige Bücher werden Schicksal und müssen unter dem richtigen Namen des Verfassers heraus.

Da als Verlag außerdem nur Lehmann in Frage komme − »Und dies […] nimmt man mir in Berlin tödlich übel« −, befreundete sich Darré immer mehr mit dem Gedanken, sein Arbeitsfeld »in irgendeiner Organisation der Rechten« zu suchen. Im Dezember 1929 stand für ihn fest, »aus der innenpolitischen Lage und meinem eigenen Pech die Folgerungen zu ziehen und mich irgendwie aktiv in die agrarpolitische Front einzureihen. Denn wir haben längst eine Kerenski-Regierung in Deutschland und da kommt man mit Halbheiten nicht durch«, gab er sich überzeugt.263 Das Interesse der »Artamanen« an Darrés Publikationen war wegen ihrer teilweise gleich gerichteten Ziele verständlich. Umgekehrt galt das Gleiche. Aber im Gegensatz zu Heinrich Himmler oder Rudolf Höß, die in dieser Vereinigung aktive Mitglieder waren, konnte sich Darré aus Gründen seines Alters sowie seiner beruflichen und familiären Situation auf eine jugendbewegte Tätigkeit in einem ostelbischen landwirtschaftlichen Betrieb natürlich nicht einlassen.264 Seine Zeit als Volontär oder Praktikant lag lange vor der Gründung der »Artamanen«-Bewegung und in deren Hoch-Zeit 1926 bis 1929 war er in Ostpreußen bzw. im Baltikum und hoffte auf eine berufliche Perspektive im Staatsdienst. Außerdem hatte er kein Interesse mehr an praktischer Landwirtschaft. Aber 1929/30, als Darrés erstes Buch veröffentlicht war und er an seinem zweiten arbeitete, hatte er nicht nur persönliche Kontakte zu »Artamanen«, er bediente sich auch bei ihrem Gedankengut. So verwies er im Vorwort seines zweiten Buches Neuadel aus Blut und Boden auf die Forderung des »Artamanen«Funktionärs Hans Holfelder, der gerade im Januar 1929 nach einem Motorradunfall ums Leben gekommen war, »Wir brauchen einen neuen Adel«.265 Auch das Begriffspaar »Blut und Boden«, das Darré in die NS-Bewegung einbrachte, stammte aus der »Artamanen«-Bewegung. Diese Vereinigung ging auf eine Idee Willibald Hentschels zurück, der 1923 dazu aufgerufen hatte, junge Männer und Frauen auf ostdeutsche Güter zu schicken, »um dem kulturellen Verfall und der slawischen Völkerwelle entgegenzuwirken.« Er schlug 263 Darré an Konopath, 23.9.1929 (ebd.). Schon vor der Herausgabe seines ersten Buches hatte Günther ihm geraten, ehe er seine staatliche Stellung gefährde, solle er lieber ein Pseudonym verwenden  ; Darré schlug jedoch eine derartige Vorsichtsmaßnahme in den Wind (Günther an Darré, 16.9.1927, ebd., Nr. 84). Vgl. auch Darré an Köster, einen ehemaligen Schulkameraden aus Godesberger Tagen, 17.12.1929 (ebd., Nr. 85). 264 Obwohl häufig in der Literatur behauptet – von Michael Kater 1971 bis Gesine Gerhard 2005 –, ist eine Mitgliedschaft Darrés bei den »Artamanen« nicht nachweisbar, ja höchst unwahrscheinlich. 265 Hohlfelder war seit 1927 »Bundeskanzler« (Geschäftsführer) der »Artamanen« und Nationalsozialist. Sein Grab auf dem Gertraudenfriedhof in Halle wurde kurzzeitig zum Wallfahrtsort der »völkischen« Jugendbewegung. Vgl. Proksch, 1942, 9 ff. sowie Kater, 1971, 579 und Brauckmann, 2012, 39 ff.

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eine »ritterliche Kampfgenossenschaft« vor und diesem »Heils-Heer« gab er den Kunstnamen »Artam«. Hentschel wollte junge »erbgesunde« Menschen für einen freiwilligen Arbeitsdienst auf dem Lande gewinnen, um so die polnischen Erntearbeiter zu verdrängen und für eine Kolonisation der »deutschen Ostgebiete« zu sorgen. Bruno Tanzmann, Gründer und Führer der »Deutschen Bauernhochschul-Bewegung«, die in der dänischen Volkshochschule (Nikolai Frederick Severin Grundtvig) ihre Wurzeln hatte, nahm diese Idee auf und veröffentlichte zusammen mit Wilhelm Kotzde, einem »völkischen« Verfasser von Jugendbüchern, und dem Rittergutspächter Georg Obendorfer 1924 einen Aufruf »An die gesammte völkische Jugendbewegung«, in dem die Idee Hentschels konkretisiert wurde. Ein »freiwilliger Arbeitsdienst« sollte eine »beispielgebende Tat« sein, und sich so von »Redensarten und Problemwälzen« unterscheiden. In der Gründungssatzung hieß es idealistisch  : »Nicht Erwerbsquelle ist uns die Arbeit, sondern ein sittliches Gesetz zur Erhaltung und Wiedergesundung der nationalen Pflichterfüllung und Leistung. Einsatz und Opfer für die Gemeinschaft sind die Leitsterne unserer Arbeit an der Scholle.«266 Bruno Tanzmann (1878–1939) hatte jahrelang das großelterliche Gut in der Oberlausitz bewirtschaftet. Er war 1910, stark beeinflusst von Langbehns antimodernem Menschen- und Weltbild, das eine »Rettung« durch eine »völkische Wiedergeburt unseres Bauerntums und eine bäuerliche Wiedergeburt unseres Volkes« propagiert hatte, und Adolf Bartels, der die »großstädtische Dekadenz« auf jüdische Einflüsse zurückführte, in die »Gartenstadt« Hellerau bei Dresden gezogen und hatte dort eine Buchhandlung eröffnet. 1919 gründete er den »Hakenkreuz-Verlag«, weil er in diesem Symbol ein »germanisches Heilszeichen« sah. 1920 gründete er die erste deutsche Bauernhochschule in Hellerau und im März 1921 veranstaltete er dort den »Ersten Germanischen Bauernhochschultag«, an dem auch Hans Holfelder teilnahm. Das von Tanzmann herausgegebene Periodikum Die Deutsche Bauernhochschule erschien 1919 als Zeitschrift für das geistige Bauerntum und die Volkhochschulbewegung Deutschlands und von 1921 bis 1928 als Vierteljahresschrift für deutsche Bauernkultur und den germanischen Bauernhochschulgedanken. Die letzte Ausgabe 1928 hatte den Zusatz Sendschrift für deutsche Art an alle Stände im Reich und jenseits der Grenzen und Meere.267 Tanzmann war der Meinung, Deutschland müsse »wieder vorwiegend zu einem Bauernland« gemacht werden, ja  : »Wir müssen ein Bauernvolk werden  !«, verkündete er. Er setzte die Begriffe »deutsch« und »bäuerlich« in eins und strebte deshalb die Schaffung eines neuen deutschen Menschen an, der nur Bauer sein könne – schollen266 W. Hentschel, 1923, 7 ff.; B. Tanzmann/W. Kotzde/G. Oberdorfer, in  : Die Deutsche Bauernhochschule, 3/1923, 38 ff. und Der Falke. Blätter für junges Deutschtum, Jugendfreude und Jugendwandern, 5/1924, 72 ff.; Tanzmann, 1924, 1 ff. und W. Kotzde, »Die Geschichte der Adler und Falken«, in  : Deutschlands Erneuerung, 10 (1926), Heft 4. Vgl. auch P. E. Becker, 1990, 253 ff.; Pross, 1964, 265 ff. und K. Bergmann, 1970, 247 ff. 267 Vgl. Findeisen, 1938 und Miller, 1928 sowie K. Bergmann, 1970, 219 ff. und Piefel, 2005, 255 ff.

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treu und bodenverwurzelt. Paul Tonscheidt, ebenfalls Leiter einer »Bauernhochschule« sah im Bauerntum den »Träger aller schöpferischen Kultur«. Er führte aus  : ›Volk‹ ist nicht mehr das, was es sein sollte und von Ursprung her ist […]. Darum ist VolksHochschule heute unter allen Umständen irreführend. Erst, wenn wir wieder ›Volk‹ d. h. Bauernvolk geworden sind, kann man von Volks-Hochschule reden.

Um dies zu erreichen, träumte Tanzmann von Siedlungsaktivitäten, die, nach einer Phase der Regeneration im Innern, in der die Deutschen wieder zu einem »Eroberervolk« aufgebaut worden seien, auch die geltenden Staatsgrenzen überschreiten könnten  : »Land wollen wir haben  ! Unser Vaterland muß größer sein  ! Auf daß die deutsche Jugend wieder das alte deutsche Bauern-Auswanderer-Lied singe  : ›Nach Ostland wollen wir reiten‹  !«268 Wie Bartels und Gerstenhauer, so sah auch Tanzmann in Stadt und Land gegensätzliche, ja feindliche Lebensweisen. Ihre Bewohner hätten zu unterschiedliche Mentalitäten und Interessen, weshalb sie nicht Rivalen, sondern Duellanten auf Leben und Tod seien. Später nahm Darré im »Reichserbhofgesetz« Tanzmanns Forderung wieder auf, der Begriff »Bauer« müsse wieder ein »Ehrentitel« werden, wie er auch die Forderung aus Tanzmanns völkischem Umfeld nach einem »neuen deutschen Bauernadel« adaptierte. Aber dass damit eine Förderung der »nordischen Rasse« gemeint sein könnte, war Tanzmann und seinen Gesinnungsfreunden noch nicht bewusst. Allerdings dachten sie schon über ein »Eugenisches Heiratsamt« nach, das, von Ärzten und Rassehygienikern geleitet, für »rassisch einwandfreie« Eheschließungen und »Sippenpflege« sorgen sollte. Tanzmanns Nachfolger als »Reichsherr« der deutschen Bauernhochschulbewegung wurde Max Robert Gerstenhauer. 1939 beging der »barfüssige Prophet« (Ulrich Linse) Bruno Tanzmann  – vereinsamt wie sein Mitstreiter Kenstler – in offensichtlicher geistiger Verwirrung Selbstmord.269 Wilhelm Kotzde (1878–1948), eigentlich »Kottenrodt«, ein ehemaliger Volksschullehrer, der 1914 in den Alldeutschen Blättern auf die Bedeutung der Lehrerschaft bei der Verbreitung der völkischen Ideen hingewiesen hatte, war ein bekannter Jugend268 Tanzmann, »Die Sendung der deutschen Jugend«, in  : Deutsche Bauernhochschule, 3/1923 (Zitate 8 und 49)  ; Tanzmann, »Aufbruch der Artamanen«, Deutsche Bauernhochschule, 4/1924, 111 und ders., »Sendbrief an alle Freunde und Mitarbeiter meiner völkischen Arbeit«, Deutsche Bauernhochschule, 7/1927, 611 ff. sowie P. Tonscheidt, »Bauern-Hochschule oder Volkshochschule«, Deutsche Bauernhochschule, 3/1923, 24 f. 269 Tanzmann, 1919, 1 ff.; ders., »Bauernkultur«, Deutsche Bauernhochschule, 1/1921, 3 ff.; Gerstenhauer, »Richtlinien für die Tätigkeit der Deutschen Bauernhochschule«, Deutsche Bauernhochschule, 5/1925, 139 f. und Miller, 1928, 292  ; sowie J. Scholz, »Vom neuen deutschen Bauernadel«, Deutsche Bauernhochschule 1/1921, 36, der diese Zielsetzung damit begründete, »weil der Bauer der wahre freie Mann ist, der König auf seiner Scholle.« Und der Verfasser kennzeichnete diesen »neuen deutsche Bauernadel« bezeichnenderweise als »Adel des Blutes und der Tüchtigkeit, sprießend aus der Mutter Erde«.

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buchautor und Herausgeber verschiedener völkischer Zeitschriften. 1918 zog er vom Havelland in den Schwarzwald, trat der »Deutschbund-Gemeinde« in Freiburg bei und unterstellte dieser völkischen Vereinigung seinen Jugendbund »Adler und Falken«. Darré hatte Kotzdes Autobiographie 1926 gelesen.270 Mit ihm gründete Tanzmann 1927 den »Bund Artam e. V.«. Nach Fritz Hugo Hoffmann, der 1930 Holfelder in der Organisationszentrale (»Artamanen-Arbeitsamt«) in Halle/Saale nachfolgte, bedeutete das aus dem Indogermanischen abgeleitete Wort »Artam« die »Erneuerung aus den Urkräften des Volkstums, aus Blut, Boden, Sonne, Wahrheit«. Andere sprachen von einer »Schar der Schollenhüter«, die in einer Art freiwilligem Arbeitsdienst auf dem Lande die polnischen Saisonarbeiter von den ostelbischen Gütern verdrängen und sich auf heruntergewirtschafteten und überschuldeten landwirtschaftlichen Betrieben selbst ansiedeln sollten.271 Es waren junge Idealisten, die ihre antiurbanen, antiindustriellen und agrarromantischen Affekte ausleben wollten und von einem eigenen Selbstversorgerhof träumten, ohne sich viel darum zu kümmern, ob diese Ziele eine realisierbare Basis hatten. Sie kamen aus Freikorps, manche wollten sich nicht mit Arbeitslosigkeit abfinden, andere gehörten einer bündischen Jugendorganisation an und sahen den Landarbeitsdienst als eine Art Wehrersatzdienst an. Natürlich kamen auch viele aus der Landjugend, die eine Aus- oder Fortbildungsmöglichkeit suchten. Einige »Artamanen«, wie die Nationalsozialisten Hans Holfelder und Friedrich Schmidt, versuchten, rassenideologische Inhalte à la Günther in die Schulungsarbeit der Organisation einfließen zu lassen. Ja, es gab auch »Artamanen«, die den Begriff »Entnordung« benutzten.272 Aber das war 270 Darré an seine Frau, 8.12.1926 (IfZ-München, NLD [ED 110], Bd. 8). Vgl auch W. Kotzde, »Völkische Jugendbewegung«, in  : Alldeutsche Blätter, 1914, 58 ff. Der Verfasser, Mitgründer der Zeitschrift die kommenden, erhielt 1918 den Ehrenpreis der Langbehn-Stiftung des »Deutschbundes«. Er war zunächst Anhänger des »nordischen Gedankens« Günthers, bekam aber dann doch Bedenken wegen der Gefährdung einer »Volksgemeinschaft« aller Deutschen. Vgl. Breuer, 2008, 211 ff. Vgl. auch Tanzmann, »Die Beispiel-Bauernhochschule in Hellerau«, in  : Deutsche Bauernhochschule. Hellerau 1921, 1–6. 271 Tanzmann hatte 1917 eine »Denkschrift zur Begründung einer deutschen Volkshochschule« verfasst. Vgl. zum Kontext  : Rosenberg, 1977, 199  ff sowie Ulbricht, 1995, 29 ff., 1996, 1996a  ; Behrend, 1996, 94 ff. sowie Kindt, 1974, 840 ff. 272 Erich Bleich/Karl Gurrath/Hans Teichmann, »Artamanenarbeit und Siedlung«, in  : Der Falke, 6/1925, 34 ff. Holfelder errichtete 1927 ein »Amt für Rassenkunde« im »Bund Artam«. Er war der Meinung  : »Nordisches Blut und unnordisches kämpfen durch die Rassenvermischung einen heißen Kampf. Nordischer Instinkt muß siegen. Der unnordische Blutsbestandteil tritt immer wieder mit Versuchungen an den nordischen Menschen heran. Es ist die Pflicht der Wissenden unter den Artamanen, dass sie sich zur planmäßigen Zusammenarbeit finden.« (die kommenden, 30.3.1927) Als Geschäftsführer des Bundes warb Holfelder auch bei der NSDAP um Unterstützung, vgl. u. a. seinen Beitrag im VB v. 16.3.1927, der am 30.3.1927 auch in die kommenden erschien. Die Zeitschrift mit dem Untertitel Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewußter Jugend war 1926 gegründet worden mit dem Ziel, Wandervogel- und Frontkämpfermentalität zu gemeinsamer Aktion zu bündeln. Für die »Artamanen« stand eine Beilage zur Verfügung. (Vgl. die Jgg. 1926–1931 in  : StAG, NLK).

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nur ein Indiz für die sektierische Ausfächerung auch dieser völkischen Gruppierung. Darrés und Günthers Rassenaristokratismus passte nicht zu den sozialpolitischen Zielen vieler »Artamanen« und die von ihnen propagierte Rekrutierung ihrer Klientel auch aus der Stadt lehnten Günther und Darré aus rassenideologischen Gründen ab  ; denn sie schlossen bei ihrer Verquickung von »nordischem Blut« und ländlichem Boden Stadtmenschen weitgehend aus.273 Die »Artamanen«-Bewegung hatte  – insbesondere in der Weltwirtschaftskrise  – auch einen sozialen und ökonomischen Aspekt  : Städtischen arbeitslosen jungen Männern und Frauen sollte eine Lebensperspektive auf dem Land verschafft werden, sie sollten helfen, die Ernährungsbasis Deutschlands zu stärken, um nicht eine Nahrungsmittelkrise wie gegen Ende des Ersten Weltkrieges heraufzubeschwören. Die erste »Artamanenschaft« auf dem Rittergut Limbach in Sachsen leitete im April 1924 A. Georg Kenstler, der aus dem rumänischen Siebenbürgen stammte. Mit ihm stand Darré 1929/30, als seine Verbindung zur NSDAP konkrete Formen annahm, in engstem Kontakt. Kenstler half ihm bei seiner Arbeitsplatzsuche und stellte auch das Begriffspaar »Blut und Boden« zur Verfügung, das schon einige Zeit im Titel einer Zeitschrift stand, die er herausgab  : Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelhaftes Bauerntum, für deutsche Wesensart und nationale Freiheit.274 Die »Artamanen« waren Teil der sektiererischen völkischen Jugendbewegung, aber ihre Bedeutung wird in der historiographischen Literatur häufig überschätzt. Sie hatten nie mehr als 2300 Mitglieder auf kaum mehr als 200 landwirtschaftlichen Betrieben. Sie wurden von den Gutsherren bzw. -verwaltern vornehmlich zur Erntezeit als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und glichen durch nationale Gesinnung sowie spartanische Lebensführung das aus, was ihnen an Fachkenntnissen fehlte und an Entlohnung sowie Verpflegung vorenthalten wurde. Ihre Absicht, ein »Grenzbauerntum« aufzubauen als »Wall gegen die Slawen«, war auch deshalb zum Scheitern verurteilt, weil ihnen die finanziellen Mittel zum Erwerb von Land und zum Ankauf von Betriebsmitteln fehlten. Da half dieser »Ordensgemeinschaft der Tat, getragen von der Stimme des Blutes« (Tanzmann) auch nicht eine »Gesellschaft der Freunde der Artamanenbewegung«, die von dem ehemaligen Naumburger Arzt und Mitbegründer der völkischen Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, Dr. Georg Wilhelm Schiele, 1927 gegründet worden war.275 Er war ein Cousin des Landbundführers Martin Schiele, der verschiedenen Regierun273 Vgl. den anonymen Beitrag  : »Artamanen und Nordische Bewegung«, in  : Die Sonne, 7/1930, 135 f. und den Artikel »Die Krisis der ›Artamanen‹«, in  : Tägliche Rundschau Nr. 7 v. 29.5.1930 (StAG, NLK, Nr. 8). 274 Vgl. Kenstler, 1924, 56 und ders., »Artamanen«, in  : Deutsche Bauernhochschule, 5/1925, 334 f. Es gab auch ein »Lied der Artamanen«. Darin hieß es bezeichnenderweise  : »Hinter uns der Städte Tand/Vor uns heil’ges Bauernland« und »Heimgekehrt zur Ackerkrume/Singen wir der blauen Blume.« (Ernst Hauck, »Lied der Artamanen«, ebd., 52). 275 Von G. Schieles vielen Flugschriften und Broschüren seien nur erwähnt  : Völkische Agrarpolitik. Naumburg 1925 und Freie oder gebundene Wirtschaft  ? Naumburg 1932. Vgl. auch seinen Artikel »Wann

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gen der Weimarer Republik als Innen- und Landwirtschaftsminister angehörte. Georg Schiele war als Finanzminister der Kapp-Putschisten vorgesehen gewesen und saß später für die DNVP im Reichstag.276 Aber die Ideen und Aktivitäten der »Artamanen« hatten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Meinungsbildung in »völkischen« Kreisen, denen sie mit ihrem Idealismus und ihrer Tatbereitschaft imponierten. Friedrich Schmidt, ein schwäbischer Volksschullehrer, der mit Kotzde zu den »Artamanen« und von da zur NSDAP wanderte, traf den romantisierenden Ton vieler dieser weltfremden Schwärmer, wenn er zu ihren Motiven feststellte  : »Es ist der Wille zur Scholle, zur dampfenden Erde, es ist das sich Öffnen für die Lebensströme, die aus dampfender Erde unser Blut durchströmen.«277 Auch in der »Raumfrage« ihrer geplanten Siedlungsaktivitäten hatten die »Artamanen« nationalsozialistische Vorstellungen und zeigten so voraus in die Zeit des »Dritten Reiches«. In einem Artikel mit dem Titel »Volk ohne Raum  ? – Raum ohne Volk  ?« distanzierte sich Fritz Hugo Hoffmann von Hans Grimms kolonialpolitischen Utopien. Der durch die »Landflucht« entvölkerte Raum, so führte Hoffmann aus, müsse zunächst wieder aufgefüllt werden und dann zur weiteren Reagrarisierung Deutschlands nach Osten über die deutschen Grenzen hinaus erweitert werden. Auch Tanzmann hatte schon davon gesprochen, dass »wir […] ein Eroberervolk« seien, das »die Grenzen durchbrechen« wolle. Und auch Friedrich Schmidt verfasste 1930 einen »Aufruf zum Ostlandfeldzug deutscher Jugend« und meinte damit nicht nur die erste Etappe deutscher Siedlungspolitik im Osten. Denn 1925 hatte er schon dafür geworben, die »Artamanen« sollten sich als »Heer des Spatens und des Schwertes« verstehen.278 Im Dezember 1929 spalteten sich die »Artamanen«, weil ihre Gründer persönliche Eitelkeiten nicht zurückstellen konnten, ihre Protagonisten extreme Individualisten waren und die Organisation mittlerweile von der NSDAP so unterwandert war, dass ihre programmatische Überparteilichkeit nicht mehr gewährleistet schien. Die kleinere Gruppe der Unabhängigen unter Führung Fritz Hugo Hoffmanns gründete »Die Artamanen. Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung«, die größere Gruppe Nationalsozialisten, die Hindenburgs Unterzeichnung des Young-Planes 1929 heftig kommen wir zur Siedlung  ?«, in Blut und Boden, 1/1929, Heft 2, in dem er sich mit den Schwierigkeiten der »Artamanen«, Land zu erwerben, beschäftigt. 276 Zum Protest gegen den Missbrauch ihres Idealismus vgl. R. Becker in  : die kommenden v. 7.3.1930 (StAG, NLK). Vgl. auch Bund Artam e. V. (Hg.), Zehn Jahre Artam. Sternberg-Neumark, Lehngut Koritten, o. J. (1934)  ; Proksch, 1939, 16 ff. sowie die Korrespondenz des Verf. mit Proksch. Vgl. im Übrigen  : Linse, 1983  ; Linse, 1996, 227 ff. und W. Dietrich, 1982. 277 F. Schmidt, »Aufruf an die Adler und Falken«, in  : Der Falke. Blätter für junges Deutschtum, für Jugendfreude und Jugendwandern, 7/1926, 31 f. 278 F. H. Hoffmann, 1929, 206 ff. und F. H. Hoffmann, 1930, 6 ff.; Tanzmann, 1923, 8 sowie F. Schmidt, »Ein Wort an die Gutsbesitzer«, in  : Deutsche Bauernhochschule, 5/1925, 50 f. und ders., »Aufbruch der Jugend. Ein Aufruf zum Ostlandfeldzug deutscher Jugend«, in  : Blut und Boden, 2/1930, 50 ff.

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bekämpft hatte und anlässlich der Reichstagswahlen im September 1930 enthusiastisch Hitler und die NSDAP unterstützte, existierte als »Bund Artam e. V.« bis zum Konkurs im Juli 1931 weiter. Unmittelbar nach dem Tode Holfelders gab es schon zu Beginn des Jahres 1929 Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten in der Zentrale der »Artamanen« in Halle. »Heini« Himmler, der von Holfelder angeworben worden war und seit 1928 »Artam-Gauführer« von Bayern ohne eine nennenswerte Anzahl von Mitgliedern war, sprach in einem Brief an Kenstler vom 9. Februar 1929 davon, in Halle werde »eine gefährliche Schiebung vorbereitet«.279 Versuche, an denen auch Himmler und Heß beteiligt waren, die nationalsozialistischen »Artamanen« in den Zuständigkeitsbereich Darrés in der Reichsleitung der NSDAP einzugliedern, scheiterten. Sie zogen sich von Oktober 1930 bis Mai 1931 hin.280 Aber auch in der NSDAP war das Verhältnis zu den »Artamanen« umstritten. So warb der hessische Domänenpächter und »Landwirtschaftliche Gaufachberater« Dr. Richard Wagner für sie, während sein pommerscher Kollege von Corswant, der allerdings Gutsbesitzer war, polnische Saisonarbeiter beschäftigte. Schließlich existierten noch verschiedene regionale »Gemeinden«. Im Gau Ostpreußen (»Ostmark«) galt 1932 der »Ariernachweis« als Mitgliedschaftsvoraussetzung. Ein 1931 in Mecklenburg gegründeter Bund, gefördert vom zeitweiligen Ministerpräsidenten und »Landwirtschaftlichen Gaufachberater« der NSDAP, Walter Granzow, wurde 1934 in den »Landdienst der HJ« bzw. den »Reichsarbeitsdienst« überführt. Schließlich wurden die letzten organisatorischen Rudimente der »Artamanen« 1935 in den »Reichsnährstand« integriert, der 1937 mit der »Hitlerjugend« ein Abkommen über den Arbeitseinsatz der Jugend auf dem Lande abschloss.281 Ein weiterer Weg, über den Darré Verbindung zur NSDAP suchte, waren seine Freunde von der »Nordischen Bewegung«. Hierbei spielten die Verhältnisse in Thüringen eine besondere Rolle, wo im Januar 1930 mit dem Innen- und Volksbildungsminister Dr. Wilhelm Frick ein Nationalsozialist in der Regierung saß. Gesellschaftliches Zentrum speziell des »Nordischen Ringes« war das Haus des Architekten Paul Schultze-Naumburg in Saaleck bei Kösen. Dort war Darré zum ersten Male im Januar 1929 persönlich mit Günther zusammengetroffen, dort hielt er sich von Januar bis Mai 1930 auf, um seinem zweiten Buch Neuadel aus Blut und Boden die endgültige Fassung zu geben. Während dieser Zeit lernte Darré dort nicht nur führende regionale 279 StAG, NLK, Nr. 2. Zur weiteren Entwicklung vgl. auch VB vom 9.10.1934 und BA, NS 26/1285. 280 Darré in einem Brief an MdR Stoehr (NSDAP), 8.11.1930 (BA, NS 22, 360), in dem er den Vorschlag Himmlers begrüßt, die »Artamanen« in seine Abteilung in der RL der NSDAP einzugliedern. 281 Mehrfach waren führende Nationalsozialisten wie Rosenberg, von Schirach oder Ziegler als Redner auf »Führertagungen« der »Artamanen« zu Gast gewesen. Zur Spaltung der »Artamanen« vgl. auch StAG, NLK, Nr. 8 und Proksch, 1939, 24 und ders., »Jugend aufs Land  ! Der ›Landdienst der Hitlerjugend‹«, in  : Odal, 5/1936/37, 822–834 sowie Zehn Jahre Bund Artam, 1934. Zum Kontext  : Schlicker, 1970, 66 ff.; Kater, 1971, 616 ff.; A. Rosenberg, 1977, 199 ff.; Schmitz, 1985 und Brauckmann, 2008, 68 ff.

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Nationalsozialisten kennen, sondern auch reichsweit agierende wie Frick, Rosenberg, Göring, Goebbels und – Hitler.282 Kontakt zur NSDAP in Thüringen und neue Partnerwahl Warum gerade Thüringen, warum ausgerechnet Weimar  ? Schon Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, hatte sich, als er für die Nationalversammlung 1918/19 nach einem ruhigeren Tagungsort als dem von ständigen Demonstrationen und Gewaltakten heimgesuchten Berlin Ausschau hielt, aus verschiedenen Möglichkeiten  – im Gespräch waren u. a. Nürnberg und Frankfurt am Main  – für das »Herz Deutschlands« entschieden. Weimar, die Stadt an der Ilm, in der Wieland, Herder, Schiller und Goethe gewirkt hatten, galt als Symbolort deutscher Kultur. Das dortige Deutsche Nationaltheater, in dem die Verfassung des ersten republikanischdemokratischen Staates auf deutschem Boden beschlossen worden war, sollte angesichts der Los-von-Berlin-Bestrebungen süddeutscher und rheinischer Separatisten nach dem Ersten Weltkrieg den Einheitsgedanken stärken und einen Kontrapunkt setzen zu Hohenzollern-Monarchie und preußischem Militarismus.283 Aber der genius loci Weimars hatte auch geistige Bewegungen angezogen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine bewusst national-völkische Kulturerbepflege betrieben. In Thüringen und seiner Hauptstadt entstand damals das Zentrum einer »deutschen Renaissance«, die rassistisch und antisemitisch geprägt war und für die die Schriftsteller und Judenhasser Artur Dinter und Adolf Bartels repräsentativ sind. Insbesondere der völkische »Literaturpapst« Adolf Bartels (1862–1945) schlug eine Brücke zwischen der überkommenen völkischen Bewegung der wilhelminischen Ära und dem aufkommenden Nationalsozialismus. Um ihn herum entstand in den 1920er Jahren ein Netzwerk völkisch-antisemitischer und nationalsozialistischer Gesinnungsfreunde.284 Bartels hatte der Heimatkunstbewegung nahegestanden, war 1907 Mitglied des 1894 gegründeten »Deutschbundes« geworden, der die Auffassung propagierte, dass die Juden als verstreut und »parasitär« lebendes Volk nicht nur einer fremden, sondern einer feindlichen »Rasse« angehörten. Er war 1910 Mitbegründer der »Deutschvölkischen Schriftstellerverbandes« gewesen und als Mitglied des Judenausschusses des »Alldeutschen Verbandes« treibende Kraft der »Deutschvölkischen Vereinigung« und des »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes«. Bartels führte die »großstädtische 282 Darré an seine Frau, 8.1.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1376) und Darré an seinen Schwiegervater, 4.12.1929 (StAG, NLD, Nr. 85). Neuadel aus Blut und Boden ist deshalb auch Schultze-Naumburg gewidmet. 283 Vgl. Merseburger, 1998 und Bollenbeck, 2002, 207 ff. 284 Vgl. H. Brenner, 1963, 27 f. und Ulbricht, 1995, 29 ff.

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Dekadenz« auf jüdische Einflüsse zurück. Entsprechend rassistisch und antisemitisch war die von ihm verfasste deutsche Literaturgeschichte. Der Gegner von Liberalismus und Demokratie sah die »germanische Grundlage des deutschen Volkstums« durch »slawisches Blut« in Gefahr und sprach von »edlem und minder edlem Blut«. 1904 hatte Bartels in einer Sammelrezension auf Gobineau als Begründer der »Rassenwissenschaft« hingewiesen, die – im Unterschied zur vorherigen »spekulativen Rassenphilosophie« – ernst zu nehmen sei. Es ging ihm darum, die Menschen auf dem Lande zu halten  ; denn – so war Bartels überzeugt – das deutsche Volk sei, wie die Germanen, von Natur aus ein Ackerbauernvolk.285 Ganz im Sinne Spenglers betonte auch Bartels  : »Nein, wir wollen keine Händler und Schacherer, keine Weltgauner werden. Wir wollen ein Bauernvolk bleiben […] und damit ein Kulturvolk  ; denn der Kulturbegriff kommt von bauen, anbauen, den Boden bebauen.« Schon 1908 hatte er eine »Rassenzucht« gefordert und dafür entsprechende Siedlungsaktivitäten vorgeschlagen. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges forderte er eine Ausdehnung des Deutschen Reiches nach Osten (»das ganze westliche Russland«) und vertrat die Meinung  : »Wir brauchen Boden, wir brauchen eine schwere Kolonisationsaufgabe, um wieder zu gesunden.« Bartels, in Dithmarschen beheimatet, wohnte seit 1895 in Weimar, knüpfte so mit anderen »völkischen« Schriftstellern wie Ernst Wachler und Friedrich Lienhard an die klassische Tradition der Stadt an, um sie in seinem Sinne ›weiterzuentwickeln‹. So veranstalteten sie »Nationalfestspiele für die deutsche Jugend« am Hoftheater Weimars. Im Übrigen war der Antisemitismus das einigende Band der ansonsten heillos zerstrittenen »völkischen« Gruppierungen.286 Nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 in München verlagerten die radikalvölkischen und nationalsozialistischen Aktivisten ihr politisches Zentrum nach Weimar. Als nach dem Mord an Rathenau 1922 die antisemitische »Deutschvölkische Freiheitspartei« verboten wurde, erhielt ihr Ersatz, die von Gregor Strasser und Erich Ludendorff geführte »Nationalsozialistische Freiheitspartei«, bei den Reichstagswahlen 1924 in Thüringen 10 Prozent der Stimmen (Reichsdurchschnitt 6,5 Prozent). Auf ihrem Parteitag im August 1924 im Deutschen Nationaltheater in Weimar hetzte Ludendorff gegen die parlamentarische Demokratie und pries den in Landsberg einsitzenden Adolf Hitler als zukünftigen »Retter der Nation«. Nach seiner Freilassung aus der Haft hatte Hitler im ganzen Reich Redeverbot, nur nicht in Thüringen. Von August bis Dezember 1925 überzog die NSDAP daher das Land mit einer 285 Bartels, 1920, 55 ff., 95, 102, 152 ff., 161 ff., 191, 232 ff., 310 ff. und Bartels, 1923, 30. 286 Wachler gründete 1903 das »Harzer Bergtheater« in Thale, ein Sprechtheater, um das, was Richard Wagner mit seinen Weihespielen in Bayreuth gelungen war, als Sprechtheater nachzuahmen. Dem Theologen Lienhard ging es in seinen Publikationen um »eine Edelrasse deutscher Seelen«. Vgl. A. Bartels, Das Weimarische Hoftheater als Nationalbühne für die deutsche Jugend. Eine Denkschrift, Weimar 1905  ; Weshalb ich gegen die Juden kämpfe. Eine deutliche Auskunft, Hamburg 1919  ; und Der Nationalsozialismus. Deutschlands Rettung, Leipzig 1924.

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lärmenden Propagandakampagne, an der sich alle führenden Parteiredner beteiligten. In Weimar fand damals jede Woche eine NSDAP-Veranstaltung statt. Der erste Parteitag der NSDAP nach ihrer Neugründung ging folgerichtig 1926 in Weimar über die Bühne. Bei dieser Gelegenheit stattete Hitler Adolf Bartels einen Besuch ab und gewann ihn als Mitglied seiner Partei. Örtlicher Organisator des NSDAP-Parteitages war Dr. Hans Severus Ziegler, Schüler und Sekretär von Adolf Bartels sowie Stellvertretender Gauleiter und 1922 Begründer der Zeitung Der Völkische in Weimar, die bald in Der Nationalsozialist. Kampfzeitung der Hitlerbewegung Thüringens für Ehre, Freiheit und Brot umbenannt wurde. Ziegler war seit 1922 Schriftleiter von Bartels’ Zeitschrift Deutsches Schrifttum, die in Weimar erschien. Als rühriger Agitator – 1930 war er 37 Jahre alt – inszenierte er dort einen antibolschewistischen und antisemitischen »Theaterkampf«, der die Aufführung solcher »fremdblütiger Barbaren« wie Brecht, Sternheim, Toller oder Zuckmayer verhinderte und die Förderung »nordischer Dichtkunst« im Auge hatte. Im Hause des Intendanten des Weimarer Deutschen Nationaltheaters, Carl von Schirach, lernte Hitler dessen Sohn Baldur kennen und machte ihn zu einem seiner treuesten Anhänger. Der 18-jährige Abiturient, von Ziegler nachhaltig gefördert, wurde 1929 Führer des »NS-Studentenbundes« und war seit 1931 »Reichsführer« der »Hitlerjugend«.287 Die nationale Bedeutung Thüringens und seiner damaligen Hauptstadt wurde von Hitler und den Nationalsozialisten also frühzeitig erkannt, ihr Mythos vereinnahmt und missbraucht. Weimar wurde als »Wallfahrtsort aller Deutschen« inszeniert und bewusst im Kontrast zur parlamentarischen Demokratie und künstlerischen Moderne propagiert. Kaum eine andere Stadt in Deutschland hat Hitler so oft besucht wie Weimar, kein Land konnte die NSDAP so effektiv als politische Probebühne »legaler« Machteroberung nutzen wie Thüringen. Bei den Landtagswahlen im Dezember 1929, als auch die Agitation zum Volksbegehren gegen den Young-Plan mitwirkte, erhielt die NSDAP 11,3 Prozent der Wählerstimmen und schickte sechs Abgeordnete in den Landtag. Bei der Regierungsbildung fiel ihnen eine Schlüsselrolle zu, weil ohne sie keine bürgerliche Mehrheit zu erreichen war. Im Januar setzte Hitler seinen Vertrauten Dr. Wilhelm Frick als Innen- und Volksbildungsminister in einer vom rechtskonservativen »Thüringer Landbund« geführten Regierung, an der auch Max Robert Gerstenhauers »Wirtschaftspartei« beteiligt war, durch. Frick fungierte bis April 1930 als erster nationalsozialistischer Minister in Deutschland.288 Thüringen hatte Bayern als Eldorado der rechtsextremen Szene in Deutschland abgelöst. Es gab dort seit den frühen 1920er Jahren eine ganze Reihe von Tagungs- und Begegnungsstätten der »völkischen« Subkultur. Nirgendwo sonst fanden Antisemi287 Vgl. H. S. Ziegler, Adolf Bartels, ein völkischer Vorkämpfer der deutschen Jugend. Erfurt 1943 und Ehrlich/John, 1998. 288 Vgl. Schrickel, 1926  ; Fritz Sauckel, Der Führer in Weimar 1925–1938. Weimar 1938  ; Kirsten, 2001  ; Dickmann, 1966, 454 ff. und Heiden/Mai, 1995.

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Abb. 10 Hans Severus Ziegler (1893– 1978).

ten, Rassisten und Nationalsozialisten ein besseres Betätigungsfeld. Dort war seit 1925 eine Atmosphäre des Kulturkampfes gegen die »Linke« entstanden, dem z. B. das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete »Bauhaus. Hochschule für Gestaltung« zum Opfer fiel  : Es wurde 1925 nach Dessau vertrieben. Als sich Darré von Anfang Januar bis Mitte Mai 1930 im Hause Paul Schultze-Naumburgs in Saaleck aufhielt, existierte im benachbarten Thüringen also schon ein rechtsradikales Netzwerk, das seinen weiteren weltanschaulichen, beruflichen und persönlichen Werdegang entscheidend mitprägte. In seiner Amtszeit, die in Thüringen nur 15 Monate dauerte, machte Frick vor, was es bedeutete, wenn Nationalsozialisten an der Macht waren.289 Auf der Grundlage einer Art Ermächtigungsgesetz, das am 18. März 1930 vom Landtag »im Hinblick auf die Not von Land und Volk« beschlossen worden war, säuberte er den Beamten- und Verwaltungsapparat und griff in Polizei-, Schul- und Hochschulangelegenheiten lenkend ein. Zunächst führte er ein blasphemisches Schulgebet ein, das die Jugend zum Beten »auf deutsche Art« anleiten sollte. Anfang April 1930 gab er einen Erlass »wider die Negerkultur und für deutsches Volkstum« heraus, mit dem er »Verseuchung deutschen Volkstums durch fremdrassige [sic] Unkultur« verhindern wollte. Dazu berief er den Architekten Paul Schultze-Naumburg an die Spitze der »Vereinigten Staatli289 Vgl. zum Folgenden  : Dickmann, 1966  ; Neliba, 1992, 57 ff. und ders., 1995.

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chen Hochschule für Baukunst, bildende Künste und Handwerk« (ehemals »Staatshochschule für Bildkunst« und »Staatshochschule für Handwerk und Baukunst«) in Weimar, die »richtunggebend« ein »Mittelpunkt deutscher Kultur« werden sollte. Als Erstes ließ der neue Direktor in einer Art »Weimarer Bildersturm« die Wandmalereien des Bauhäuslers Oskar Schlemmer übertünchen und aus dem Weimarer Landes- und Schlossmuseum 70 Werke, u. a. von Dix, Feininger, Kandinsky, Klee, Kokoschka, Marc und Nolde, entfernen, weil sie »das ostische oder sonstige minderrassige Untermenschentum« darstellten. Fricks Adlatus in Thüringen, Hans Severus Ziegler, wurde in seinem Ministerium Referent für Theater und Kunst, 1936 bis 1945 war er dann Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar.290 Auch der mit Schultze-Naumburg befreundete Hans F. K. Günther, der nach seiner Rückkehr aus Skandinavien 1928 in Saaleck – wie zwei Jahre später Darré – längere Zeit Gastfreundschaft genossen hatte, wurde von Frick im Mai 1930 gegen erhebliche Widerstände der Universitätsleitung und der Professorenschaft an die Thüringische Landesuniversität in Jena auf einen Lehrstuhl für »Sozialanthropologie« in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (!) berufen.291 Seit Ernst Haeckel galt die Universität Jena als »Hochburg des Darwinismus«. Günther war der erste auf nationalsozialistischen Einfluss hin berufene Professor in Deutschland überhaupt. Dabei war er damals nicht einmal Mitglied der NSDAP. Hitler selbst soll bei einem Besuch in Weimar im Januar 1930 angeregt haben, in Jena, das nur 20 Kilometer von Weimar entfernt ist, einen »Lehrstuhl für Rassefragen und Rassenkunde« einzurichten. Aber Günther selbst, der sich gern aus politischen Auseinandersetzungen heraushielt und eher den Habitus eines Privatgelehrten pflegte, musste erst überredet werden, sich auf das Abenteuer einer Bewerbung einzulassen. Im Februar 1930 schrieb ihm Darré  : Er solle »die Jenenser Widerstände« nicht zu ernst nehmen und »das Opfer einer per-

290 Vgl. u. a. H. S. Ziegler, Praktische Kulturarbeit im Dritten Reich. Anregungen und Richtlinien für die künftige Volkserziehung. München 1930 (NS-Bibliothek, Heft 22), 3. Aufl. 1930 und ders., 1964 (!) sowie H. Brenner, 1963, 28 ff. 291 Selbst in Kreisen der »Nordischen Bewegung« blieb die Resonanz auf diesen außergewöhnlichen Vorgang nicht ohne kritische Untertöne. Die Sonne, das Organ des »Nordischen Ringes«, schrieb (7. Jg. 6. Heft, Juni 1930, 280) enthusiastisch  : »Sämtliche geistigen und politischen Erneuerungsbewegungen in Deutschland sind im wesentlichen auf seinen Erkenntnissen begründet […]«. An anderer Stelle hieß es  : »Günthers unbestreitbares Verdienst ist es, die Rassenkunde von einer Geheimwissenschaft weniger Zünftiger zu einer Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes gemacht zu haben. Er lieferte der nationalsozialistischen Bewegung das geistige Rüstzeug zu jenen politischen Auswertungen dieser Fragen, die für die Zukunft des deutschen Volkes von so ausschlaggebender Bedeutung sind.« (Nach einer Rezension aus Der Kampfruf, abgedruckt im Anhang des Lehmanns Verlages zu Clauss, Rasse und Seele, 1934). Doch der Propagandist Gobineaus in Deutschland, Ludwig Schemann (1931, 242), wies darauf hin, dass Günther »manche Fragen der Anthropologie zu früh als geklärt, ein Übergangsstadium der Wissenschaft als deren festen Stand angenommen« habe.

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sönlich zunächst etwas ungemütlichen Anfangszeit in Jena in Kauf nehmen und eine eventuelle Berufung durch Frick nicht ausschlagen«.292 Im Laufe eines langwierigen Prozesses, bei dem u. a. 16 auswärtige Gutachten eingeholt wurden, war auch von einem Lehrstuhl für »Rassenanthropologie« oder gar »menschliche Züchtungskunde« die Rede. Am Ende wurde Günther doch berufen und Frick lobte insbesondere die Studenten, die sein Vorhaben unterstützt hatten, weil sie »mehr Verständnis für die Schaffung notwendiger Voraussetzungen zu Deutschlands Erneuerung« aufgebracht hätten als ihre Lehrer. Er selbst wurde für »diese größte rassenpolitische Tat« gepriesen und Hitler, Frick, Göring, Ziegler, Schultze-Naumburg, Konopacki-Konopath u. a. nahmen an Günthers Antrittsvorlesung im November 1930 zum Thema »Die Ursachen des Rassenverfalls des deutschen Volkes seit der Völkerwanderungszeit« teil. Alle diese Vorgänge erlebte Darré im Frühjahr 1930 hautnah mit. Unter dem Einfluss und im Fahrwasser von Günther, Ziegler und Schultze-Naumburg betrachtete auch er künstlerische Werke ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rassenselektion und einer Erziehung der Sehgewohnheiten im Sinne des »nordrassischen« Vorbildes. In diesem Sinne hatte Günther zusammen mit dem Eugeniker Eugen Fischer 1930 im Lehmanns Verlag das Buch Deutsche Köpfe nordischer Rasse veröffentlicht. Die Photographien sollten »Rassenschönheit« vorbildhaft dokumentieren.293 Paul Schultze-Naumburg gehörte – wie sein Freund Adolf Bartels – zu den »völkischen« Wegbereitern des »Dritten Reiches« und den Frondeuren gegen die Moderne in Architektur, Kunst und Literatur. Sie waren beide Mitarbeiter der Zeitschrift Der Kunstwart gewesen. Schultze, der seinem Allerweltsnamen seine Geburtsstadt hinzugefügt hatte, gehörte als pragmatischer Vermittler 1904 zu den Gründern des »Bundes Heimatschutz«, der Volkskunst, Sitten und Brauchtum in ländlichen Regionen pflegen wollte, ohne in »lebensfeindliche Altertümelei« zu verfallen, und der zeitweise 30.000 Mitglieder vornehmlich aus dem Bildungsbürgertum hatte. Anfänglich Maler und in Berlin lebend, hatte er von einem Holzfabrikanten um 1900 in Saaleck bei Kösen ein großes Anwesen gekauft, das aus mehreren Gebäuden, Gärten und einem Stück Wald bestand. Es war auf einem Plateau unterhalb der beiden Saalecker Burgtürme und der Rudelsburg gelegen, mit einem eindrucksvollen Blick ins Saaletal. Sein Auftragsspektrum erweiterte sich von der Architektur auch zum Design (Möbel und Wohnungseinrichtungen), für dessen Realisierung er die »Saalecker Werkstätten« aufbaute. Sein eigenes Domizil erfuhr im Laufe der Zeit vielerlei Um- und Erweiterungsbauten, so dass Darré, als er Anfang 1930 dort zu Gast war, auch eine große Bibliothek vorfand.294 292 Darré an Günther, 25.2.1930, StAG, NLD, Nr. 437b. Vgl. auch Kaudelka, 2005, 103 ff. 293 Zur Vorbereitung der Publikation hatte Fischer in VuR 1927, 1 ff. ein Preisausschreiben für den »besten Rassekopf« vorgestellt. Vgl. Hossfeld/John/Lemuth/Stutz, 2003, 523 f.; Neliba, 1992, 59  ; P. E. Becker, 1990, 254 f. und Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 253 f. 294 Vgl. auch zum Folgenden  : Borrmann, 1989 und Kerbs, 1993, 219 ff.

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Schultze-Naumburg war also zunächst kein antimodernistischer Fundamentalist gewesen, vielmehr hatte er eher eine Position vertreten, die technischen Fortschritt mit lebensweltlichen und ästhetischen Traditionen verbinden wollte.295 1907 gehörte er zu den Begründern des »Werkbundes«, beteiligte sich an der emanzipatorischen Reform der Frauenbekleidung, die »natürlich«, bequem und gesund sein, also die Atmung erleichtern und – frei von Korsettagen – die körperliche Bewegungsfreiheit erweitern sollte. Er war um die Förderung von Volkskultur und Kunsthandwerk bemüht und baute von 1912 bis 1918 in Potsdam für das Kronprinzenpaar der Hohenzollern das Schloss Cecilienhof in einem Stil, der englische Vorbilder der Tudor-Epoche (Backsteine, Fachwerk, Butzenscheiben und über 50 Schornsteine) aufgriff und mit wilhelminischem Imponiergehabe (fast 180 Räume, die um fünf Innenhöfe gruppiert sind) verband. Dabei war der »Landhausstil«, wie ihn auch Hermann Muthesius verwirklichte, damals fortschrittlich, weil er gegen den aktuellen Historismus in der Kunst und gegen wilhelminisches Pathos und Protzerei in der Architektur gerichtet war. So wie der »Bund Heimatschutz« immer germanozentrischer auftrat – er nannte sich seit 1914 »Deutscher Bund Heimatschutz«  –, so entwickelte sich sein zeitweiliger Vorsitzender Schultze-Naumburg in den 1920er Jahren vom bildungsbürgerlichen, aber bodenständigen Kultur- und Lebensreformer zum völkisch-rassistischen und schließlich  – spätestens seit seinem Eintritt in die NSDAP 1930  – zum nationalsozialistischen Eiferer. Dabei spielte Hans F. K. Günther, der häufig in Saaleck zu Gast war, eine maßgebliche Rolle.296 Die vielen Vorträge, die Schultze-Naumburg im Rahmen von Rosenbergs »Kampfbund für Deutsche Kultur« hielt, beendete er immer mit dem »völkischen« Schlachtruf »Deutschland erwache  !« Er polemisierte gegen den Bauhaus-Stil aus Beton, Stahl und Glas und fand, dass das Flachdach mit Klima und Tradition Mitteleuropas unvereinbar sei  : »orientalische Kuben« gehörten nicht nach Deutschland, sondern eher »an den Rand der Wüste«, meinte er. Stattdessen sei das Walmdach der »Nordischen Rasse« adäquat. Statt Beton favorisierte er Kalkstein und als Dachbedeckung Schiefer und Ziegel. Dementsprechend ließ er an der Werkbundausstellung 1927 kein gutes Haar (die Weißenhofsiedlung in Stuttgart nannte er einen »Schandfleck«) und half mit, dass das Bauhaus, seit 1925 als Hochschule für Gestaltung in Dessau und seit 1930 von Mies van der Rohe geleitet, 1932 geschlossen wurde. Schultze-Naumburg, der auch Mitglied des »Dürerbundes« war, trat 1927 aus dem »Werkbund« aus, dessen Mitbegründer er 1907 gewesen war, und publizierte bei Lehmann in München 1928 sein Buch Rasse und Kunst, in dem er »die Figurenwelt des Expressionismus« (u. a. Picasso, Kirchner, Nolde) mit »Geisteskranken und Verkrüppelten« – auch mit Bild- und Photobeispielen – ver295 Kratzsch, 1969 und Wolschke-Bulmahn, 1996, 533 ff. 296 Vgl. Günther, »Paul Schultze-Naumburg und der Nordische Gedanke«, in Die Sonne, 6/1929, 269 ff. Günther widmete seinem Freund zwei seiner Bücher  : Platon als Hüter des Lebens, 1928 und Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes, 1929.

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Abb. 11 Paul Schultze-Naumburg (1869–1949).

glich. Dass damit die Vernichtung »lebensunwerten Lebens« und die Säuberung der Museen von »entarteter« Kunst vorbereitet wurden, sei nur nebenbei bemerkt.297 Schultze-Naumburg versuchte  – unter dem Einfluss Hans F. K. Günthers  – der »entarteten« Kunst von »Untermenschen« eine vorbildliche »nordische Ästhetik« entgegenzusetzen. Er vertrat die Ansicht, künstlerisches Schaffen und künstlerische Beurteilung seien zwei Seiten einer Medaille und an die »Rassenzugehörigkeit« gebunden. Das ging sogar so weit, dass er die »Ausmerzung Minderwertiger« befürwortete und dabei die Rolle des Fuchses für die Hasen in einem Jagdrevier als Vorbild heranzog. Als »Kulturrassist« (K. D. Bracher) wollte er – wie Darré – die Kunst als Mittel der Erziehung zum »richtigen« Sehen instrumentalisieren. Als Anschauungsmaterial nahmen sie Bilder und Photographien von »Rassetypen« in ihre Publikationen auf. Günther ließ sich schon 1927 mit entsprechenden Abbildungen u. a. auch von dem »Artamanen« Kenstler versorgen. 1928 wurden Schultze-Naumburg, Günther und KonopackiKonopath Mitglieder des kurzlebigen antisemitischen Vereins »Ahnenerbe. Bund für 297 Diese Entwicklung lässt sich u. a. auch an seinen Publikationen ablesen  : Kunst und Kulturpflege, 1901  ; Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung, 1903  ; Kunst und Rasse, 1928 (4. Aufl. 1942)  ; Kampf um die Kunst, 1932 (Zitat 68)  ; Rassegebundene Kunst, 1934  ; Kunst aus Blut und Boden, 1934  ; »Die Bedeutung der Rasse in der Baukunst«, 1934  ; Nordische Schönheit, 1937  ; »Die Kunst im Dienste des bäuerlichen Auslesevorbildes«, in  : Odal, 8/1939  ; »Das Bauernhaus als lebendige Bauaufgabe«, in  : Odal, 1941. Vgl. auch H. Brenner, 1963, 27 ff.; Lane, 1986 und Rohkrämer, 1999.

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Sippen- und Wappen-Forschungs-Hilfe, Erbkunde und Rassenpflege«.298 SchultzeNaumburgs volkstümelnd-pseudobäuerlicher Stil konnte später mit Paul Ludwig Troosts und Albert Speers Monumentalarchitektur nicht konkurrieren. Der Protagonist »nordischer« Baukunst geriet im »Dritten Reich« zunehmend an den Rand der Bedeutungslosigkeit, nachdem er 1935 – auch durch eine Intrige – im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Nürnberger Opernhauses bei Hitler in Ungnade gefallen war.299 Paul Schultze-Naumburg hatte seit 1901 in Saaleck bei Kösen gelebt und gearbeitet und war seit 1902 Dozent an der »Staatlichen Hochschule für Baukunst« in Weimar. Er hatte sein Anwesen auf einem Felsen unterhalb der Burgruine, wo 1922 einer der Rathenau-Attentäter von der Polizei erschossen wurde und ein zweiter Selbstmord beging, zu einem repräsentativen Wohnsitz ausgebaut.300 Joseph Goebbels, der später sein Intimfeind wurde, erlebte Schultze-Naumburgs gastliches Haus als »wundervoll über der Saale, herrlich in die Landschaft hineinkomponiert«. Dort lernte Darré im Frühjahr 1930, als er an seinem zweiten Buch arbeitete, nicht nur alle regionalen NSDAP-Größen kennen, sondern auch reichsweit agierende Nationalsozialisten wie u. a. Frick, Göring, Goebbels und – Hitler. Goebbels hatte Darré, »der«, wie er vorausschauend feststellte, »in der Partei das Agrar-Ressort bekommen soll«, bei Frick in Weimar kennengelernt. Er mache »einen guten Eindruck. Ruhig, sachlich. Und kann etwas«, notierte sich Goebbels am 7. Juni 1930. Aus Anlass von Schultze-Naumburgs 61. Geburtstag ließ sich Goebbels von Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe, die jetzt Frau Konopath war, das Haus zeigen, das »voll von Gästen« war. Er stellte fest, dass Frick in Margarete Schultze-Naumburg, geb. Dörr, verliebt war, »eine schöne junge Hausfrau, gastlich und frohsinnig«. Beide lebten ihre gegenseitige Zuneigung offen aus, traten auch bei einer »großen Gesellschaft« bei Göring gemeinsam auf und heirateten im März 1934, nachdem beide sich hatten scheiden lassen.301 Überhaupt ging es im Hause des Architekten und Kunstprofessors Schultze-Naumburg, der schon vor dem Ersten Weltkrieg an eine ästhetische Befruchtung aller Baukunst durch die ländliche Tradition geglaubt und nun diese Position durch rassenideologische Aspekte ergänzt hatte, für damalige Verhältnisse recht offen und libertin zu. Das wirkte sich auch auf Darré ganz persönlich aus, der sich seit Jahresbeginn 1930 durch Günthers Vermittlung dort aufhielt, nachdem er definitiv aus dem Staatsdienst ausgeschieden war. Am 15. Dezember 1929 hatte sich Darré an seinen Verleger Julius F. Lehmann gewandt 298 Beispiele von Schultze-Naumburg bei H. Brenner, 1963, Abb. 2 und Günther, 1926. Außerdem  : Günther an Kenstler, 23.11.1927 (StAG, NLK, Nr. 9) und die kommenden v. 30.3.1927, 150. Vgl. auch Hermand/Trommler, 1978, 421 ff.; Hossfeld, 2001, 43 ff. und Gerstner, 2008, 403 f. 299 Borrmann, 1989, 185 ff. 300 Die beiden Mitglieder der »Brigade Erhardt« wurden auf dem Friedhof in Saaleck beigesetzt. Bis 1933 trafen sich jedes Jahr im Juli an dieser »Heldenstätte« Freikorps-Leute, Röhm, Himmler, Sauckel u. a. zu einem Erinnerungsritual. 301 Die Tagebücher von Joseph Goebbels,Teil I, Bd. 2/I., 2005, 172–175 (7.–11.6.1930)  ; Neliba, 1995, 90 und Darré an seine Frau, 1.4.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1556 ff.).

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mit der Bitte, für ihn eine Anstellung in der »bäuerlichen Kampffront« zu suchen, da er ab Januar mittellos sei, aber »für Frau und Töchterchen sorgen« müsse.302 Lehmann wusste, dass selbst Günther nicht von seinen Buchtantiemen leben konnte und deshalb eine halbe Stelle im ungeliebten Schuldienst hatte annehmen müssen. Darré war seit 1922 verheiratet und seit 1923 Vater einer Tochter. Die Familie hatte nie eine gemeinsame Wohnung. Alma Darré, geb. Staadt, lebte mit ihrem Kind, wohlbehütet wie seit ihrer Kindheit, in ihrem großbürgerlichen Elternhaus in Wiesbaden, während Richard Walther Darré als Verlobter, Ehemann und Vater eine aussichtslose Odyssee als landwirtschaftlicher Volontär absolvierte und danach als Student in Halle finanziell völlig abhängig von seinen Eltern war. Als Darrés Vater im Februar 1929 starb, war das Verhältnis von Vater und ältestem Sohn bereits derart zerrüttet, dass sich dieser in Ostpreußen für unabkömmlich erklärte und sich auf der Beerdigung von seiner Frau vertreten ließ.303 Dieses Vater-Sohn-Zerwürfnis war nicht nur in materieller Abhängigkeit und weltanschaulich-politischen Meinungsunterschieden bzw. -gegensätzen begründet, es war auch  – im Sinne Freuds  – ein klassischer Konfliktfall zwischen einem starken, autoritären Vater und einem schwachen, unsicheren Sohn. Der Patriarch der Familie hatte am Ende seines Lebens immer mehr an Sehkraft verloren, was den Rentier in seinem Schreib- und Studierzimmer in Wiesbaden zunehmend vereinsamen ließ. Immerhin waren seine beiden Töchter gut verheiratet und kümmerten sich zukünftig um ihre verwitwete Mutter. Die beiden leiblichen Söhne aus dieser schwierigen Ehe zweier ungleicher Partner waren bisher Problem- und Sorgenkinder gewesen, während ihr in die Familie integrierter Halbbruder Schule und Ausbildung erfolgreich absolviert hatte und eigene berufliche Wege ging.304 Auch das Verhältnis Richard Walther Darrés zu seinen Schwiegereltern Staadt hatte sich im Laufe der 1920er Jahre immer schwieriger gestaltet. Bereits im Sommer 1923 überwarf er sich mit seiner Schwiegermutter, weil sie offensichtlich ihre Tochter vor seinen penetranten Erziehungsbemühungen zu schützen versuchte. Darré hatte sich schon 1921 vorgestellt, mit der kunstsinnigen und musisch interessierten Alma Staadt ein »landgesessenes Geschlecht« zu gründen, und wurde auch später nicht müde, sie auf ein Leben als »Gutsfrau und Mutter« einzustimmen, die sich völlig seiner Führung anzuvertrauen bzw. unterzuordnen habe. Vor allem aber waren es die immer rechtsradikaler werdenden politischen Positionen Darrés, die sein Verhältnis zu den liberalkonservativen Schwiegereltern vollständig zerrütteten. Schließlich waren es Katholizismus und Freimaurerei gleichermaßen, die er als unüberbrückbare Hindernisse für ein gedeihliches Verhältnis zu den Eltern seiner Frau ausmachte.305 302 303 304 305

StAG, NLD, Nr. 437a. Vgl. den Briefwechsel mit seiner Frau im Februar 1929  : IfZ-München, NLD, Bd. 16. Vgl. u. a. StAG, NLD, Nr. 40 und Nr. 51. Vgl. die Bfe. Darrés an seine Verlobte im Juli/August 1921 (IfZ-München, NLD, Bd. 7, 423 und 448)

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Darrés familiengeschichtliche Interessen waren von Anfang an auch rassenideologisch akzentuiert. Schon während seines Studiums trat er der »Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte« bei und abonnierte die Familiengeschichtlichen Blätter. Außerdem war er Mitglied des »Halleschen Genealogischen Abends e. V«.306 In seine Ahnenerforschung bezog er auch die Familie seiner Frau ein. Wie bei H. St. Chamberlain, der im Mangel einer »arteigenen Religion« die »größte Gefahr für die Zukunft der Germanen« gesehen hatte, so mündete auch Darrés Auseinandersetzung mit konfessionellen Fragen in der Gewissheit, dass eine der »Rasse« innewohnende Religion ein wichtiger Garant für die sittliche Erneuerung eines Volkes sei. 1926 nahm er einen »nordischen Gott« für sich in Anspruch. Seiner Frau schrieb er damals im Hinblick auf ihre Tochter  : Aus unserer Ehe können nicht gut 100 % reine nordische Kinder kommen. Aber Du kannst sie so erziehen, dass ihr nordisches Blut, soweit es in ihnen vorhanden ist, in der Erziehung einen Halt findet, und mit dem andersrassigen [sic] Blut in sich fertig wird.307

Darrés Frau Alma war in all diesen Selbstfindungsbemühungen, Streitgesprächen, Auseinandersetzungen mit Vater und Schwiegermutter, ja selbst in allen ihren Ehekrächen immer loyal an seiner Seite geblieben. Sie, die sich eher als Soubrette sah, hatte sogar tapfer eine Zukunft auf dem Lande und als Bauersfrau zu akzeptieren versucht.308 Aber gerade als sich für Darré eine berufliche Perspektive als Politiker auftat, die Zeit der dauernden Trennung und der demütigenden finanziellen Abhängigkeit von Eltern wie Schwiegereltern zu Ende zu gehen schien, trennte sich Darré von seiner Ehefrau. Er hatte im Hause Schultze-Naumburg eine junge baltische Adlige kennengelernt, die er zu heiraten beabsichtigte  : Baroness Charlotte (»Charly«) von Vietinghoff-Scheel, die sich bei Schultze-Naumburg als Sekretärin nützlich machte. und im Oktober 1923, wo er außerdem lapidar feststellte, »das Freimaurertum« werde »von Juden beherrscht« (ebd., Bd. 8, 885). Diese Art Paranoia gegen eine freimaurerische und jesuitische Verschwörung begleitete Darré sein ganzes Leben lang. Zum Bruch mit seiner Schwiegermutter vgl. u. a. Darré an seine Frau, 22.5.1923, ebd., Bd. 8, 776 ff. 306 Deutsche Zentralstelle für Genealogie im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, Mappe 79 und StAG, NLD, Nr. 84. 307 Schon in Witzenhausen 1919 hatte er erste rassistisch orientierte familienbezogene Überlegungen angestellt und lange Ausführungen über die katholische und evangelische Religion und ihre Bedeutung in der Ehe gemacht (Bfe. an Alma Staadt v. 13.10. und 4.11.1919, IfZ-München, NLD, Bd. 6, 72 ff.). Sie setzten sich im weiteren Verlauf der Korrespondenz mit seiner Verlobten und Ehefrau in den 1920er Jahren fort (vgl. u. a. die Bfe. v. 14.1.1924 [ebd., Bd. 8, 918 ff.], 24.1. und 9.10.1926 [Bd. 9, 1192 ff.]). Das Zitat zur Erziehung der gemeinsamen Tochter findet sich im Bf. v. 9.10.1926 (ebd., 1197). 308 Oftmals flüchtete sie sich, die dem Einfluss ihrer Eltern einerseits, den dauernden brieflichen Ergüssen ihres Verlobten und Ehemanns andererseits ausgesetzt war, in Nervenzusammenbrüche, Sanatoriumsaufenthalte oder sarkastische Heiterkeit (vgl. ihre Bfe. an Darré in  : IfZ-München, NLD, Bde. 12–18).

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Von Anfang an hatte es in der Ehe von Richard Walther Darré und Alma Staadt gekriselt. An der Jahreswende 1921/22 wurde von Almas Mutter eine Entlobung in Erwägung gezogen. Erst im März 1922, als die Eltern Almas für ihren Schwiegersohn in spe einen Studienplatz in Halle besorgt hatten, stimmten sie einer Eheschließung zu. Unmittelbar nach ihrer Hochzeit im April 1922 stellte sich die erste Beziehungskrise bei diesem im Wesen so ungleichen Paar ein. Als sich seine noch minderjährige Frau – naiv wie ein Backfisch – von einem Verehrer den Hof machen ließ, »verbot« ihr Darré »Korrespondenz und Umgang« mit ihm, drohte ihm mit »Pistole oder Säbel« und ihr mit der »Peitsche«. Er sah in seiner jüngeren Frau eine Art Erziehungsobjekt und in einer weiteren krisenhaften Zuspitzung ihres Verhältnisses 1925 warf er ihr sogar vor, sie sei für ihn ein »Hemmschuh«, weil sie ihn nicht umsorge, sondern »nur« liebe.309 Dabei hatte Alma Darré den Weg ihres Mannes sogar gegen den Willen ihrer Eltern gerade in den letzten Jahren mit steter Anteilnahme und Unterstützung verfolgt. Sie sammelte Zeitungsausschnitte über seine Vorträge und die Rezensionen seiner Bücher, deren Manuskripte sie durchsah, redigierte und expedierte.310 Aber Darrés Frau konnte auch vor den streng rassenideologisch geschulten Augen seiner neuen Freunde aus dem »Nordischen Ring« nicht bestehen.311 Hinzu kamen die Belastungen einer Studentenehe, die materiell völlig von der Unterstützung der Eltern abhängig war, und – nicht zuletzt – Unterschiede in Mentalität und Charakter. Dem politisch engagierten angehenden Schriftsteller war sie zu betulich und desinteressiert, unpraktische ›höhere Tochter‹ halt, zu emotional bzw. warmherzig. Er war schwerblütig, humorlos und ernst, verklemmt und misstrauisch, grundsätzlich und selbstgefällig  ; sie hingegen impulsiv, offen gegenüber Menschen, lebenslustig und sprunghaft. Er sah in der Ehe keine Partnerschaft, sondern sah sich eher als ›Herr im Hause‹, mit erhobenem pädagogischem Zeigefinger. Ihrer Herzensbildung in einer aller Geldsorgen enthobenen Kindheit und Jugend hatte er ein Aufwachsen in einer zerrütteten Familie, eine von vielen Misserfolgserlebnissen begleitete Schullaufbahn fern von zu Hause und daraus resultierende Introvertiertheit und Flucht in die Rationalität entgegenzusetzen. Während er unter der Knute seines despotischen Vaters litt, war sie mit der Betreuung ihres oft kranken Kindes sowie im Hinblick auf hausfrauliche Tätigkeiten oft 309 Zur Beziehungskrise 1921/22, als Alma Staadt zur Kur im Schwarzwald und ihre Mutter angesichts des Fiaskos der Volontärtätigkeiten Darrés mit den Nerven am Ende war, vgl. die Bfe. v. November 1921 bis April 1922 in  : IfZ-München, NLD, Bd. 7, 484 ff. Zur ehrpusseligen Reaktion Darrés auf einen eher harmlosen Flirt seiner Partnerin vgl. seine Bfe. v. 22.3. und 26.4.1922, ebd., Bd. 7, 655 ff. Zu den Ehekrisen 1925 und 1927 (hier spielt seine rassenideologische Orientierung an Günther eine Rolle) vgl. seine Bfe. v. 14.9.1925 (ebd., Bd. 8, 1010), 7.6. und 14.6.1927 (ebd., Bd. 9, 1236 f., 1247 ff., 1300 und 1312 ff.). 310 StAG, NLD, 437b und 438a. 311 Vgl. den Briefwechsel zwischen Darré und den beiden Konopaths vom Januar (StAG, NLD, Nr. 437b), April und Juni 1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1556 ff.).

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überfordert und auf die Unterstützung ihrer Mutter angewiesen. Dass und wie viel Aufmerksamkeit, Liebe und Arbeit mit der Erziehung eines Babys verbunden ist – dafür ging ihm jedes Verständnis ab. Alma Darrés Briefe an ihren Mann dokumentieren eine Entwicklung vom Mädchen zur Frau. Ihre Äußerungen, zunächst von großer Empathie und herzlicher Zuneigung geprägt, wurden immer ernster und distanzierter. Trotzdem machte sie ihm immer wieder Mut, versicherte ihm ihre Loyalität, »komme, was da wolle«, half ihm sogar bis ins Frühjahr 1930 beim Korrekturlesen seiner beiden Bücher.312 Er hingegen wandte sich in der Zeit, in der er in Saaleck an seinem zweiten Buch arbeitete, definitiv von ihr ab und der anderen, auch unter rassistischen Gesichtspunkten attraktiveren Frau zu. In der ersten Jahreshälfte 1930, in der sein Selbstbewusstsein aus allen Nähten platzte, glaubte er erkannt zu haben, dass er »falsch verheiratet« gewesen sei. In einem mit Kränkungen angereicherten Brief an seine Frau vom 26. Juni 1930 blickte er zurück auf ihre zehnjährige Beziehung, sah alle Schuld für das Fiasko bei ihr, ja warf ihr vor, »lähmend« auf ihn zu wirken, während »Charly« ihm »Kraft und Handlungsfähigkeit« gebe, die er zum »Führertum« brauche. Wenig später bekräftigte er seine Meinung, die »grundsätzlichen Unterschiede« zwischen ihnen beiden seien »zweifellos rassisch bedingt«.313 Danach war auch Alma Darrés Kraft, die Beziehung zu retten, erschöpft. Nach einigem Hin und Her um die Modalitäten, bei dem Darré auch die ihm mittlerweile freundschaftlich eng verbundene Frau Konopath bzw. Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe zur Seite stand, wurde die Ehe am 31. Januar 1931 geschieden. Rechtsanwalt Dr. Bohne, den das Ehepaar Konopath vermittelt hatte, sorgte als NSDAP-Mitglied für eine kurze, unspektakuläre Gerichtsverhandlung. Darré übernahm Schuld (Ehebruch) und Kosten.314 Das Verhältnis R. Walther Darrés zu der damals 29-jährigen Charlotte von Vietinghoff-Scheel, die seit 1929 zusammen mit einer ihrer Schwestern für Paul SchultzeNaumburg und seit 1930 auch für ihn als Sekretärin arbeitete, war zunächst distanziert  : Sie war ihm, der fünf Jahre älter war, zunächst zu albern und oberflächlich. Erste tiefer gehende Annäherungen fanden erst im April/Mai 1930 statt. Ihre Leichtigkeit 312 Vgl. u. a. den Bf. an seine Frau v. 14.5.1930, IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1593. 313 Almas Vater war wohl Freimaurer. Bfe. Darrés an seine Frau Alma v. 26.6. und 5.7.1930, IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1655 ff. und 1679 f.; vgl. auch den Bf. v. »Marieadel« an Alma Darré v. 3.7.1930 (ebd., 1675 ff.). 314 Vgl. die zum Teil geschönten, zum Teil auch – aus rechtlichen Gründen – mit Unwahrheiten gespickten Akten zu seiner Ehescheidung in  : StAG, NLD, Nr. 438 sowie IfZ-München, NLD, Bd. 17. Vgl. auch Darrés Bf. an seine Frau v. 23.7.1930, in dem er sich auf ihre empörte Reaktion auf seinen Bf. v. 26.6. als in seinem Ego verletzt gab (ebd., Bd. 10, 1687 ff.). Von da an wurden nur noch sehr distanzierte, geschäftsmäßige Briefe gewechselt, in denen auch ausgehandelt wurde, dass Almas Eltern in der Angelegenheit zu absolutem Schweigen verpflichtet wurden, um Darré in der Öffentlichkeit nicht zu schaden (ebd., 1702 ff. und 1715 ff.). Alma heiratete 1936 einen bayerischen Amtsgerichtsrat. Ihr Nachlass befindet sich im Institut für Zeitgeschichte in München (ED 916).

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und zunehmende Zuneigung imponierten dem ernsten und unter der Belastung ächzenden Gast, der die Arbeit an seinem Buch abschließen und gleichzeitig für seine zukünftige berufliche Laufbahn die Weichen stellen musste. Ihre gleichzeitige empfindsame Zurückhaltung im Hinblick auf seine Ehe tat seiner Eitelkeit gut, nötigte ihm aber auch Respekt ab.315 Charlottes – Darré nannte sie »Charly« – Familie gehörte dem deutsch-baltischen Landadel an. Sie entstammte einem westfälischen Adelsgeschlecht, das als Ministeriale des Bischofs von Münster erstmals 1230 urkundlich erwähnt ist. Ein Zweig der Familie wanderte im Mittelalter ins Baltikum aus und war seit dem 14. Jahrhundert als eine der führenden, weit verzweigten ritterschaftlichen Familien teil- und zeitweise in Livland (nördlicher Teil Lettlands), Kurland (südlicher Teil Lettlands), Estland und Russland ansässig. Nach alter Sitte nahm ein Zweig der Familie den Beinamen »gen. Scheel« (der Schieler) an. Charlottes Eltern, Rudolf Baron von Vietinghoff-Scheel (geb. 1858) und Vera, geb. Kaegler, deren Vater Akzisebeamter gewesen war, hatten 1892 in Reval, dem heutigen Tallinn (Estland) geheiratet, wo Charlotte am 3. Dezember 1900 zur Welt kam. Die Familie lebte in Timofejewka (Gouvernement Witebsk, Weißrussland), Charlotte hatte sechs ältere Geschwister und einen jüngeren Bruder. 1917 musste die Familie zum ersten Mal vor den Lenin’schen Revolutionären ins Baltikum fliehen, 1920 wurde sie ein zweites Mal Opfer des bolschewistischen Terrors. Sie hatte, wie ca. 20.000 andere Baltendeutsche, alle Besitztümer verloren und landete 1925 ohne jegliche Habe bei Verwandten in Neustrelitz. Gleichwohl wurden alle Geschwister Charlottes adlig verheiratet. Die »baltischen Barone« hielten auch in ihrer neuen Heimat zusammen. Charlottes Onkel, Leopold von Vietinghoff-Scheel, engagierte sich im »Alldeutschen Verband« und der »Völkischen Bewegung«, ein anderer, Paul von Vietinghoff-Scheel, war führend im RSHA tätig.316 In Neustrelitz fand dann auch die Hochzeit Richard Walther Darrés mit Charlotte von Vietinghoff-Scheel am 14. August 1931 in einem sehr bescheidenen Rahmen statt, nachdem sie sich im Juli 1930 verlobt hatten. Sie arbeitete später als Sekretärin ihres 315 Vgl. Darré aus Saaleck an seine Frau, 28.3., 7.4., 25.5. und 26.6.1930 (IfZ-München, Bd. 10, 1555, 1561 f., 1610 und 1655 ff.). 316 Vietinghoff-Scheel, 2000, 125 ff. Leopold von Vietinghoff-Scheel war zeitweilig Geschäftsführender Vorsitzender des »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes« und sorgte 1920 dafür, dass als Voraussetzung für einen Eintrag ins »Eiserne Buch deutschen Adels Deutscher Art« (EDDA) zu gelten hatte, dass es bei »32 Vorfahren von Vaters und Mutters Seite […] keinen oder höchstens einen Semiten oder Farbigen« gab. Denn »Blutsmischung« im Erbgang galt als schädlich. Daraufhin wurden im EDDA-Projekt Beratungsstellen eingerichtet, die prüfen sollten, ob es Chancen gab, sich durch »gute Gattenwahl emporzumendeln«, d. h., sich wieder zu einem »reinen Adel« entwickeln zu können, oder ob es notwendig sei, den »verunreinigten« Familienzweig durch Enthaltsamkeit oder gar Sterilisation »absterben« zu lassen. Die EDDA- und SS-Ahnentafeln des RuSHA glichen dann auch einander und entsprechend positiv fiel Leopold Baron von Vietinghoff-Scheels Besprechung von Darrés NeuadelsBuch im Deutschen Adelsblatt (1930, 662) aus. Vgl. ders., Grundzüge des völkischen Staatsgedankens. O. O., o. J. und Malinowski, 2003, 252 und 527 ff.

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Mannes in der Reichshauptabteilung II bei der Reichsleitung der NSDAP in München. Richard Walther und Charlotte Darré hatten eine Tochter, die 1938 geboren wurde. Frau Darré hielt bis an ihr Lebensende an der Bedeutsamkeit ihres Mannes für das deutsche Bauerntum fest. Sie wurde an der Seite ihres Mannes in Goslar begraben.317 Die Bedeutung A. Georg Kenstlers für Darré Mit Hilfe des Gründers und Herausgebers der Zeitschrift Blut und Boden, Georg August Kenstler, eines der ersten Aktivisten der »Artamanen«, gelang es Darré Anfang 1930, zunächst die thüringischen Nationalsozialisten zu überzeugen, dass sich die Partei mehr um die Bauern kümmern müsse. Es ging Kenstler um die »Förderung und Verbreitung der aktiven national-revolutionären Bauernbewegung der Nordmark über das Reich«, d. h., die »Landvolkbewegung« sollte aus dem regionalen Bereich Schleswig-Holsteins herausgeführt werden und in einer gesamtdeutschen Bauernbewegung ihre politischen Ziele und revolutionären Bestrebungen verfolgen.318 Für diese »politische und kulturelle Erweckung des Bauerntums« im übrigen Deutschland schien Kenstler zunächst auch der Nationalsozialismus ein geeignetes Werkzeug zu sein. Deshalb strebte er eine Annäherung von Nationalsozialismus und Landvolkbewegung an und dachte dabei an ein von Darré geleitetes agrarpolitisches Institut dieser beiden revolutionären Bewegungen. Anfang Februar 1930 traf Kenstler in München mit Himmler, dem damaligen Experten der NSDAP für Landwirtschaftsfragen in der Reichsleitung, der selbst »Artamane« war, und anderen führenden Nationalsozialisten zusammen, die sich sehr aufgeschlossen gegenüber dem Plan einer »agrarpolitischen Zentrale« in Weimar zeigten. Kenstler erhoffte sich eine Koordination der Bestrebungen einer reichsweiten »Landvolkbewegung« mit denen der NSDAP. Doch hatte man es in der Reichsleitung der NSDAP nicht sehr eilig, nicht zuletzt wohl deshalb, weil die Frage der Finanzierung des Projekts erhebliche Sorgen bereitete.319 317 Zu dem baltischen Zweig der Familie von Vietinghoff vgl. Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. VII und XV. Limburg 1971 und 2004  ; Gert von Pistohlkors (Hg.), Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Staaten. Berlin 1994  ; Sigmar Stopinski, Das Baltikum im Patt der Mächte. Zur Entstehung Estlands, Lettland und Litauens im Gefolge des Ersten Weltkrieges. Berlin 1997  ; Garleff, 2001a  ; StAG, NLD, Nr. 404/405 sowie Gespräche des Verf. mit Frau Charlotte Darré, geb. von Vietinghoff-Scheel, und ihrer Tochter Elin Weidemann, geb. Darré  ; weitere Informationen speziell zur Familie Vietinghoff-Scheel verdanke ich Herrn Dr. Peter Wörster vom Herder-Institut in Marburg. 318 Vgl. das von Kenstler im Zusammenhang mit den Bauernprotesten in Schleswig-Holstein veröffentlichte »Nationalrevolutionäres Manifest der deutschen Bauernschaft«, in  : Blut und Boden, 3/1931, 151 und seinen Beitrag »Die Zivilisationstragödie des deutschen Volkes«, in dem er zu einer »Revolution aus Blut und Boden« aufruft (ebd., 338). 319 Kenstler an Darré, 10.2.1930 (StAG, NLD, Nr. 94). Werbematerial und vertrauliche Rundbriefe Kenstlers u. a. v. 25.4., 1.6., 18.8. und 22.9.1929 (ebd., Nr. 437).

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Abb. 12 A. Georg Kenstler (1900– 1941), um 1924.

Georg August (»Gust«) Kenstler war  – wie Darré  – Auslandsdeutscher.320 Und wie Darré pflegte auch er seinen Rufnamen zu kaschieren, indem er sich A. Georg Kenstler schrieb. Er war fünf Jahre jünger als Darré und kam aus der Nähe von Hermannstadt in Siebenbürgen im heutigen Rumänien. Sein Großvater war Schmied, sein Vater Tischler gewesen. Nachdem seine Eltern in die USA ausgewandert waren, kehrte der Sohn bald zu seinen Großeltern nach Siebenbürgen zurück, erhielt eine »völkische« Erziehung, rebellierte gegen die Schule, die er mit 15 Jahren verließ, und begann eine Gärtnerlehre. 1916, als Siebenbürgen durch Rumänien besetzt worden war, ging er in das »Freikorps Windischgrätz« und kehrte, nach dem Ende der k. u. k. Monarchie »ins Reich« zurück. Dort lebte er von dem Vermögen, das er von seinen Eltern geerbt hatte. Er engagierte sich in der christlich-evangelischen und »völkischen« Bewegung, immer bereit, »für das Reich zu kämpfen, zu opfern und zu bluten« – wie es ein Redner auf der Trauerfeier anlässlich seines frühen Todes 1941 ausdrückte.321

320 Für das Folgende  : »Rückblick« auf sein Leben und weitere Materialien, StAG, NLK, Nr. 7 und – mit einigen Unstimmigkeiten – Böhm, 2003 sowie Proksch, 1980, 275 ff. 321 Es ging Kenstler um eine Synthese aus Deutschtum und Christentum in einer »deutschgläubigen Bewegung«. 1929 wurde in seiner Zeitschrift Blut und Boden über »artgemäßen Glauben«, »nordische Deutschheit« sowie »Rassengedanke und Christentum« debattiert (StAG, NLK, Nr. 17).

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1924 war er Mitbegründer der »Artamanen«-Bewegung und führte die erste »Artamanen-Schar« an, die auf dem sächsischen Rittergut Limbach bei Dresden eingesetzt wurde, um die meist polnischen Landarbeiter zu ersetzen. 1926 bewarb er sich beim »Institut für Grenz- und Auslandsdeutschtum«, das von Max Hildebert Boehm in Berlin-Steglitz geleitet wurde, landete aber in der »Grenzlandschule« in Reichenbach bei Görlitz, die vom »Schlesischen Landbund« getragen wurde. Er war dort Dozent, organisierte Tagungen und gab die Zeitschrift Sachs’ halte Wacht. Zeitschrift heimattreuer Siebenbürger Sachsen und ihrer Freunde heraus. Sie erschien als Beilage zur Vierteljahresschrift Bruno Tanzmanns, Deutsche Bauernhochschule, der sich dafür aus Kenstlers Vermögen unterstützen ließ. 1928 ging er nach Bad Berka in Thüringen, wo der antisemitische »Deutschbund« eine »Bildungsstätte deutscher Volkheit« betrieb.322 Wie in seinem Umfeld üblich, sprach Kenstler seine Gesprächs- und Briefpartner mit »Heil« oder gar »Euer Deutschgeboren« an und schloss »Mit deutschen Gruß«. »Wohlgeboren« wurde im »völkischen« Umfeld als gleichbedeutend mit »reinrassiger Herkunft« verstanden und daraus geschlussfolgert, dass die alten »Freibauerngeschlechter« Norddeutschlands als »Edelinge/Adlige« zu identifizieren seien. Üblich waren auch »altgermanische« Monatsnamen wie »Hartung« für Januar, »Wonnemond« für Mai, »Gilbhart« für Oktober oder »Nebelung« für November. Sie wurden vor dem Ersten Weltkrieg u. a. vom »Verein für deutsch-völkische Stammkunde« in seiner Zeitschrift Der deutsche Roland und später zeitweilig auch von Darré und in seinem Umfeld in NSDAP und SS verwandt. Seine Aufgabe, »nationalpolitische Lehrgänge« und Tagungen zu organisieren, brachte Kenstler mit einschlägig bekannten »völkischen« Publizisten in Verbindung, die alle in einer Art ›Netzwerk‹ miteinander in Kontakt standen. Dazu gehörten u. a. Theodor Fritsch, Georg Stammler, Kleo Pleyer, Max Robert Gerstenhauer, aber auch Günther und Konopacki-Konopath vom »Nordischen Ring« oder Rosenberg und Baldur von Schirach von der NSDAP. Besonders beliebt in »völkischen« Kreisen waren Tagungen zu Pfingsten, auf denen die Vorträge umrahmt wurden durch Volkstanz, Lieder, Feuersprüche, Spiele und Leibesübungen im Freien. Auf Schloss Guteborn bei Ruhland in Thüringen sprachen 1928 u. a. Stammler, Günther (»Platons Aufruf zur Rassenpflege«) und Konopacki-Konopath (»Biologische Sippenforschung«). Die Tagung stand unter dem Motto »Für Blut und Pflug« und die Vertreter des »Nordischen Ringes« sprachen von der »Rettung der letzten Reste nordischen Blutes« und von der »Unersetzlichkeit nordischen Blutes für jede Kulturentwicklung«. 1929 fand die Pfingsttagung, die Kenstler organisierte, auf Schloss Gauernitz bei Meißen statt, das die Familie Schönburg-Waldenburg zur Verfügung gestellt hatte. Auch diese Tagung war eingerahmt von jugendbewegter Folklore, es sprachen u. a. Günther (»Rasse und Erbgesundheit im Leben des deutschen Volkes«), Rudolf 322 Die »Deutsche Heimatschule« in Bad Berka wurde von der Berliner »Arndt-Hochschule« getragen, einer Einrichtung der Erwachsenenbildung. Vgl. dazu Ulbricht, 1993a, 184 f.

Auf dem Weg in die NSDAP

Abb. 13 Die von Kenstler herausgegebene Zeitschrift »Blut und Boden«, 1930.

Böhmer (»Siedlung – Der Weg zur nationalen und sozialen Freiheit«) und auch der »Artamanen«-Freund Dr.med. Georg Schiele hielt einen Vortrag über »Artamanen, eine neue Jugend«. Die Zusammenkunft stand unter dem Leitspruch »Blut und Boden, das heißt  : Aufstieg des deutschen Volkes durch rassische Ertüchtigung und Rückkehr zum Bauerntum«.323 Das Begriffspaar »Blut und Boden« war also in »völkischen« Kreisen, insbesondere bei den »Artamanen«, schon in Umlauf, bevor Darré es aufgriff. So sprach Fritz Rödiger, »Artamane« und NSDAP-Mitglied, in einem Brief an Kenstler vom 20. Februar 1929 vom »Geheimnis des Artam« als »Erneuerung aus Blut und Boden« und auch der zeitweilige »Artamanen«-Führer Fritz Hugo Hoffmann definierte Namen und Aufgabe seiner »Werkgemeinschaft« als »Erneuerung aus den Urkräften des Volkstums, aus Blut, 323 Der Vortrag, den Kenstler für Darré als Ersatz für Günther vorgesehen hatte (»Tierzüchterische Zielsetzungen als Vorbilder für rassenkundliche Arbeitsweisen zur Wiederaufnordung unseres Volkes«) kam nicht zustande, weil Günther doch noch zusagte (StAG, NLD, Nr. 94). Kenstler wollte Darré auch später im Jahr 1929 zu einem Vortrag einladen, sah auf Anraten Günthers aber davon ab, weil dieser einen Auftritt mit Rudolf Böhmer ablehne, dessen Siedlungskonzept ohne rassenideologische Orientierung war, aber die Einbeziehung der ehemaligen deutschen Kolonien vorsah (»Kolonien sind nötig – mit dem Osten allein schaffen wir es nicht  !«). Vgl. StAG, NLK, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 10. Dort auch die Ausgabe der Dresdner Nachrichten vom 21.5.1929, in der über die Tagung in Gauernitz unter der Überschrift »Um Blut und Boden« berichtet wurde.

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Boden, Sonne und Wahrheit«.324 Aber der Idealist, Eigenbrötler und Schwarmgeist Kenstler, der das »Gesetz von Blut und Boden« als eine Art innere Stimme verstand, die »bodenhungrige Erwerbslose« zum Siedeln auffordere, hatte weitere Pläne. Je mehr sich die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft in Deutschland verschlechterte, umso radikaler wurden Kenstlers Aktivitäten. Zunächst allerdings musste er sich – im Januar 1929 – von Gerstenhauer sagen lassen, dass das, was er propagiere, ja vom »Deutschbund« schon lange angestrebt und betrieben werde.325 Gerstenhauer verwies auf die Arbeit der »Deutschen Heimatschule« in Bad Berka, wo nicht nur »Artamanen« ausgebildet würden, sondern auch eine »Umschulung von städtischer Schuljugend auf das Land« stattfinde. Außerdem betreibe der »Deutschbund« ein »Rassepflegeprogramm« mit einem »Hochstift für Volkstums- und Rassenpflege«, um dessen Finanzierung allerdings noch gekämpft werden müsse. Auch Thea Schwenkes »Kinderland-Heim« in Hellerau bei Dresden arbeite in dieser Richtung.326 Gerstenhauer beklagte in diesem Zusammenhang die »völkische Zersplitterung« und bat Kenstler, mit seiner geplanten Zeitschrift Blut und Boden für eine Koordinierung bzw. Vereinigung der verschiedenen Gruppierungen einzutreten. Aber da wäre der ›Bock zum Gärtner‹ gemacht worden, denn Kenstler war ja selbst ein Protagonist dieser sektiererischen Einzelgängerei, in der Pläne zu Realitäten aufgeblasen wurden und die unter dauernder Finanznot litt. Zum Beispiel hatte Kenstler schon 1926 mit der Idee geliebäugelt, eine weitere, radikalere Vereinigung neben den »Artamanen« mit dem Namen »Bundschuh. Treuorden bodenständiger und tatbereiter Jugend« zu gründen. Aber 324 F. H. Hoffmann, »Blut und Boden«, in  : Blut und Boden, 1/1929, Heft 2 (StAG, NLK, Nr. 2) und Breuer, 2008, 218. 325 Gerstenhauer an Kenstler, 22.1.1929 (StAG, NLK, Nr. 3). Es gab 1928/29 Bestrebungen Kenstlers, eine Zeitschrift mit dem Namen »Bundschuh« zu publizieren. Bei Versuchen, einen Verlag zu finden, wurde auch Gregor Strassers »Kampf-Verlag« in Oranienburg bei Berlin ins Kalkül genommen. Die »Artamanen«-Zeitschrift sollte zunächst anderen Zeitschriften des Verlages beigelegt werden, später aber selbstständig erscheinen. Das Vorhaben, in das auch Himmler involviert war, scheiterte allerdings und wurde von der Arbeit an der Zeitschrift Blut und Boden überlagert. (Vgl. Himmler an Kenstler, 6.3. und 19.12.1928 und Gregor Strasser an Kenstler, 4.2.1929, StAG, NLK, Nr. 2 und Nr. 3). 326 Es war nicht ohne Pikanterie, dass Kenstler selbst an der Entstehung dieses Instituts beteiligt gewesen war. Im August 1926 hatte er in Berlin eine »Ordensgemeinschaft Jungdeutscher Schwesternschaften« mit dem Anliegen besucht, »rassig [sic] hochwertigen Eltern, die aus wirtschaftlichen Gründen glauben, keine Kinder haben zu dürfen«, ein Angebot zu machen im Interesse eines »nordischen oder doch hochwertigen Nachwuchses unseres Volkes.« Eine solche »starke nordische Tat« sollte durch Spenden finanziert und als Kinderheim von der »Ordensgemeinschaft«, ohne in der Öffentlichkeit aufzufallen, betrieben werden. Der »Wille zur rassischen Aufzucht nordischer Menschen« würde »sonst von tausend Gegnern totgeschlagen werden«. Diese Aufgabe sollte »Schwester Schwenke« in Hellerau übernehmen – so fasste Hanna Klostermüller, die Leiterin der »Ordensgemeinschaft«, in einem Bf. an »Bruder Kenstler« v. 18.8.1926 das Gespräch zusammen und schloss mit der Formel »Treudeutsch – allewege  !« (StAG, NLK, Nr. 9) Vgl. auch (ebd.) Günthers Bfe. an Kenstler v. 7.5. und 23.11.1927, in denen er dessen »Kinderland-Plan« lebhaft begrüßte und darum bat, auch den »Nordischen Ring« zu informieren.

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selbst über den »Landbund« waren Subventionen der preußischen Regierung nicht zu bekommen, weil – nach dem Verbot der rechtsradikalen »Wikingjugend« – nun auch die staatlichen Gelder für andere »völkische« Einrichtungen gefährdet waren. So blieb der »Bundschuh« eine Idee, für die allenfalls in Flugblättern geworben wurde.327 Doch Kenstler ließ sich hiervon nicht abschrecken. Wie die Wahl des Wortes »Bundschuh« schon andeutete, ging es ihm um eine »Fortsetzung der Bauernkriege«. Darüber geriet er in einen Konflikt mit Tanzmann, der mit seinen »Bauernhochschulen« eine etwas friedlichere bauernfördernde Aufgabe verfolgte.328 Auch dass er »Rassenkunde« à la Günther ins Zentrum seiner »Erziehungsarbeit« stellte, ja zur »Bibel, auf die jeder völkische Kämpfer schwört«, erklärte, wurde nicht in allen rechtsorientierten Kreisen und Zirkeln gutgeheißen. Als Sprachrohr seiner Aktivitäten, die immer mehr in den Sog der Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein gerieten, gründete Kenstler im Frühjahr 1929 die Zeitschrift Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit. Das erste Heft erschien im April 1929 »im Auftrage des Arbeits- und Freundeskreises der ›Bildungsstätte deutscher Volkheit‹« in Bad Berka.329 Die Auflage von »1000 Stück« ging an deren Mitglieder zur »Leserwerbung« und an den »Bund Kinderland« ebenfalls »zur Werbung«, so dass »ungefähr 600 zahlende Leser« ins Auge gefasst werden konnten. Zu den Autoren des ersten Heftes gehörte auch Darré mit einem Beitrag »Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse«, der für sein gerade erschienenes Buch Reklame machte.330 Kenstler selbst warb für seine neue Zeitschrift, die im »Verlag ›Blut und Boden‹« B. Ostermanns in Lauban/Schlesien publiziert wurde, mit einer Werbepostkarte, auf der er die Monatsschrift großspurig kennzeichnete  : als »Führerzeitschrift der von Schleswig-Holstein aufbrechenden Landvolkbewegung«  ; als »das Kampfblatt der der slawischen Unterwanderung entgegenwirkenden 327 Böhm an Kenstler, 9.11.1926 u. weiteres Material in  : StAG, NLK, Nr. 10. Dagegen K. Bergmann, 1970, 289 f.; Kater, 1971, 579 f. sowie 628. und in dessen ›Schlepptau‹ Brauckmann, 2012, 44 f. und Heinemann, 2003, 24. 328 Dies hinderte Kenstler nicht daran, auf einer Gedenkveranstaltung für Tanzmann, der im August 1939 gestorben war, den »Vorkämpfer und Wegbereiter der Bauernhochschul- und Artamanenbewegung sowie der Ostlandsiedlung« zu würdigen. Die Rede wurde am 1.9.1940, dem »Tag von Sedan und dem Beginn des Polenfeldzuges«, gehalten (StAG, NLK, Nr. 6). 329 Zu dieser »Bildungsstätte deutscher Volkheit« vgl. das »vertrauliche« Rundschreiben Kenstlers an Darré, das dieser am 25.4.1929 erhielt (StAG, NLD, Nr. 437). Sie war am 11.1.1928 in Hellerau bei Dresden in Anwesenheit u. a. von Bruno Tanzmann, Thea Schwenke, geb. Freiin von Teubern, und Kenstler gegründet worden. Sie sollte ein weiterer »geistiger Stützpunkt der völkischen Bewegung« sein. Später (16.6.1928) war von »völkisch-nordischer Jugend« die Rede, die dort im Sinne von Fichtes »Nationalerziehung« zu schulen sei (StAG, NLK, Nr. 10). 330 Später nutzte Darré Kenstlers Zs., um auch auf sein Buch Neuadel aus Blut und Boden aufmerksam zu machen  : Diplomlandwirt und Diplomkolonialwirt R. Walther Darré, »Über einige Grundfragen deutscher Landwirtschaft«, in  : Blut und Boden, Heft 7, Heuert 1930, 301 ff. (es handelte sich um Kapitel IV seines zweiten Buches, das hier noch »Adel aus Blut und Boden« heißt).

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Artamanenbewegung«  ; als »sichtbaren Ausdruck bäuerlicher Willensbildung, die aus der Tiefe deutscher Wesensart aufbegehrt mit dem Ziel  : Volk und Reich  !« Weiter hieß es  : »Kein Deutscher von volksbewußter Haltung ohne das geistige Rüstzeug, das ›Blut und Boden‹ bedeutet, im Kampf um Deutschlands soziale u. nationale Freiheit  !«331 Darré hatte ein »Probeheft« der Zeitschrift erhalten und das Vorhaben als »gute Sache« begrüßt, weil »die Zeit mehr als reif dafür« sei.332 Auch das Heft 2 des Jahres 1929 der völkisch-jugendbewegten Zeitschrift die kommenden, das »am 11. Hartung ( Januar)« erschien, war ganz der Arbeit der »Artamanen« gewidmet.333 Es enthielt nicht nur die Blätter des Bundes Artam e. V. (Freiwilliger Arbeitsdienst), die als Beilage von Hans Holfelder herausgegeben wurden, sondern auch einen Aufruf an die Freunde der »Artamanen«-Bewegung, sich in der »Bundschuhgruppe« zu versammeln. Darin riefen Kenstler als »Führer der Bundschuhjugend«, Fritz H. Hoffmann als »Bundesführer der Artamanen« und Hans Holfelder als »Bundeskanzler der Artamanen« zur »Zusammenfassung aller aktiven Kräfte des deutschen Volkes, die um die tiefere Frage deutschen Bauerntums wissen«, unter der schwarzen Fahne »mit dem Schuh des armen Mannes, dem Bundschuh«, auf. Der »gefallene Held Deutschland«, an dem sich »unsere Feinde wie Aasgeier mästen«, müsse befreit werden vom »Frondienst harter Knechtsarbeit«. Ziel sei »das dritte Reich«, dröhnte es. Konkret trat man ein für eine »Verbäuerlichung des deutschen Volkes«, für eine »nationale Siedlungsbewegung« und für eine »Ausbreitung des freiwilligen Arbeitsdienstes« auf dem Lande. In seinem Leitartikel stellte Kenstler außerdem fest, der »letzte Rückhalt unseres Volkstums« sei der Bauer als »Erbträger volklicher Lebenskraft«. Aber – so nahm Kenstler eine Zielsetzung des späteren »Reichserbhofgesetzes« vorweg  : »Wer [als Bauer] nur die materiellen Vorteile seines Besitzes kennt, der hat sein Recht als Anwalt der Scholle verloren.« Darré diskriminierte solche Bauern später als »Landwirte«. Weiterhin plädierte Kenstler im Rahmen des »deutschen Freiheitskampfes« für »Ostlandsiedlung«, denn die »Raumleere des Ostens« müsse »sich füllen mit jugendfrischen Bauernleibern«. In einem zweiten Beitrag, mit dem Titel »Vom wehrhaften Bauerntum«, brach Holfelder unter Hinweis auf Hitlers Mein Kampf, II. Teil, ebenfalls eine Lanze »für den lebensnotwendigen Raum im Osten, den wir haben müssen, wir oder die nach uns«. Dabei müsse »der Pflug dem Schwert folgen«, um »die Ernährung eines Volkes auf eigenem Grund und Boden« zu sichern. Im Übrigen forderte Holfelder  : »Wir müssen einen Blutsadel, einen Bauernadel anstreben.« Der Beitrag Fritz Hugo Hoffmanns 331 Weiteres Material zur Zs. Blut und Boden, StAG, NLK, Nr. 3. Die Zs. ist dort mit Jg. 1930 (12 Hefte), 1931 (8 Hefte), 1932 (12 Hefte), 1933 (12 Hefte) und dem 6. und letzten Jg. 1934 (3 Hefte) erhalten. 332 StAG, NLD, Nr. 437 sowie NLK, Nr. 3. Vgl. auch ebd., Nr. 13 und Nr. 17. 333 Vgl. auch zum Folgenden die kommenden. Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewußter Jugend, 4. Jg., 2. Folge v. 11.1.1929  : StAG, NLK, Nr. 8. In der Beilage der »Artamanen« veröffentlichte Kenstler einen Artikel, der die Vertreibung des »Deutschtums« aus Südosteuropa nach dem Ersten Weltkrieg anprangerte und beklagte. Er war schon im 12. Heft 1928 von Lehmanns Zs. DE erschienen.

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befasste sich schließlich mit dem »Zerfall unseres Volkstums durch die Verstädterung des Bauerntums«. Auch Kenstler stellte im gleichen Heft der kommenden fest  : »Raumenge, Übervölkerung und volkliche Zersetzung schufen die Eiterwunden am Körper des deutschen Volkes, in denen seine Lebenskraft sich selbst verzehrt.« Alles habe mit dem Vorkriegskanzler Caprivi begonnen, »der die Landwirtschaft der Industrie zu Füßen legte durch die Aufhebung des Zollschutzes« – ein Argument zur Erklärung des Niederganges der Landwirtschaft und der »Landflucht«, das man später im Zusammenhang mit der »Marktordnung des Reichsnährstandes« auch von Darré hören sollte. Kenstler wollte die aufgeheizte politische Atmosphäre im Zusammenhang mit dem Young-Plan zur »Verbreitung der aktiven national-revolutionären Bauernbewegung der Nordmark über das Reich« ausnutzen. Hierfür plante er eigene Vortragsreisen nach Schlesien, Sachsen und Thüringen, bezog aber auch u. a. den schleswig-holsteinischen »Landvolkführer« Wilhelm Hamkens mit ein.334 Kenstler empörte sich darüber, dass »der Bauer heute von der Scholle gejagt [werde], weil er die Lasten, die ihm durch die verfehlte Politik der herrschenden Parteien und der Bürokratie auferlegt sind, nicht mehr tragen kann«. In Schleswig-Holstein war schon 1928 zum Steuerstreik aufgerufen und Widerstand gegen Zwangsversteigerungen von Bauernhöfen organisiert worden. Unter der Führerschaft Wilhelm Hamkens aus Eiderstedt und vor allem Claus Heims aus Dithmarschen radikalisierte sich diese »Landvolkbewegung« immer mehr gegen Finanz- und Landratsämter sowie andere Behörden und Repräsentanten des verhassten politischen »Systems«. Es wurden 1929 sogar Sprengstoffanschläge und Attentate verübt. Hitler hatte aus Angst, die NSDAP könnte in Preußen verboten werden, eine Prämie für die Ermittlung der Bombenleger ausgelobt und jegliche Kooperation der Partei mit der Landvolkbewegung untersagt. Auch Kenstler propagierte Leitsprüche dieser bäuerlichen Protestbewegung wie »Lewwer duat üs Sklaav  !« oder »Diesem System keinen Mann und keinen Heller  !« und bemühte sich, »das Feuer des Widerstandes«, das in Schleswig-Holstein aufgeflammt war, nach Ostpreußen, Mecklenburg, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen und Schlesien auszudehnen. Letztlich ging es ihm um den Aufbau einer »national-revolutionären Bauernfront« in ganz Deutschland. Seit September 1929 machte der preußische Innenminister allerdings gegen diese »verbrecherischen Machenschaften« mobil, Heim und Hamkens wurden inhaftiert. Am 1. August 1929 war auch erstmals die schwarze Bauernkriegsfahne mit Pflug und Schwert von Aktivisten gezeigt worden, die Hamkens aus dem Gefängnis in Neumünster abholen wollten. Mit zwei Prozessen – im Juli 1930

334 Rundschreiben Kenstlers als Leiter der »Bildungsstätte deutscher Volkheit« und Hg. von Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit, das Darré am 22.9.1929 erhielt (StAG, NLD, Nr. 437). Darüber berichtete auch die »Grenzlandschule« in Reichenbach/Schlesien in einem Rundbrief 4/1929, der von einem Logo geziert wurde, das in dem Spruch »Für Heimat und Ehr  !« ein von einer Faust aufrecht gehaltenes Schwert zeigte (ebd., NLK, Nr. 2).

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in Itzehoe und im November 1930 in Altona – ging die Bauernrevolte zu Ende. Von 21 Angeklagten wurden 18 zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Kenstler erhielt als »lästiger Ausländer« am 14. Oktober 1929 ein Aufenthaltsverbot für Preußen, denn er habe sich durch seine »Verbindung mit rechtsradikalen Persönlichkeiten im staatsfeindlichen Sinne betätigt«. Der Siebenbürger Sachse war immer noch rumänischer Staatsbürger, weshalb ihm die Übernahme eines Redakteurspostens beim Landvolk, dem Publikationsorgan der Landvolkbewegung, verwehrt wurde.335 Der Vorgang und das zeitweilige Verbot der Zeitschrift Blut und Boden in Preußen machten Kenstler durch entsprechende Berichte in der rechtskonservativen Presse reichsweit bekannt. Kenstler träumte davon, dass aus der regionalen Protestbewegung in Schleswig-Holstein die »deutsche Revolution des 20. Jahrhunderts« werden würde, eine »Bauernrevolution« selbstverständlich. Es war pures Wunschdenken, wenn er im Spätsommer 1930 verkündete  : »Die Landvolkbewegung hat bereits ungeahnte Energien im Bauerntum entfesselt, von deren Dasein wenige in Deutschland ahnen.«336 In einem flammenden Aufruf »Heraus zur Sympathiekundgebung für Claus Heim  !« schrieb Kenstler, es gehe um jene »Schar von Männern« – er nannte sie auch »Nordmarkbauern«  –, die in einem »Akt berechtigter Notwehr gegenüber einem System, wo die Macht des Staates in selbstmörderischem Wahnwitz die Axt an die Wurzel des Bauerntums legte, das Lebensrecht der deutschen Bauernschaft verteidigt habe.« Denn, so Kenstler in seinem altväterlichen Duktus, es könne nicht sein, dass man einen Bauern »in Ketten von der Stätte seiner Arbeit führt, wenn diese nicht mehr den Ertrag ergibt, welchen die Gier des Steuerbüttels heischt.«337 Immer auf der Suche nach Geldgebern und Publikationsplattformen hatte Kenstler nicht nur bei den Brüdern Otto und Gregor Strasser angeklopft, sondern auch mit der Tageszeitung Das Landvolk, die in Itzehoe/Holstein erschien, Kontakt aufgenommen. Dort wollte man seine Ausweisung sogar mit Hilfe einer Adoption unterlaufen, weil Kenstler sich engagiert für den »Märtyrer« Claus Heim einsetzte, der im Gefängnis auf seinen Prozess wartete.338 Kenstler sah die »schwarze Fahne« als Gegensatz zur »roten Fahne«, dem Symbol der kommunistischen Revolution, und grenzte sein Verständnis einer »Bauernrevolution« von dem der »Nationalbolschewisten« Bruno und Ernst von Salomon ab, die mit Hilfe ihres Publikationsorgans Kämpfendes Landvolk 335 Kenstler an Darré, 10.2.1930 (StAG, NLD, Nr. 94). Weiteres Material von Kenstler ebd., Nr. 437 sowie NLK, Nr. 2 und Nr. 13. Zur »Landvolkbewegung« allgemein vgl. u. a. H. Beyer, 1957, 194 f. Zu der seit Juli 1929 feststellbaren Ausdehnung der Landvolkbewegung über Schleswig-Holstein hinaus vgl. H. Beyer, 1962 und Stoltenberg, 1962, 135 f. 336 Kenstler, 1930, 296. 337 Ebd., 293. 338 Zum Angebot einer Adoption Kenstlers vgl. den Bf. der Schriftleitung der Zeitung Das Landvolk an Kenstler, 13.11.1929 und dessen Bf. an Rechtsanwalt Lütgebrune, der Heim verteidigte, in  : StAG, NLK, Nr. 2 und Nr. 3. Weiteres Material zu seiner Ausweisung aus Preußen und Hessen ebd., Nr. 13 und Nr. 14.

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ein Bündnis der Bauern mit den Arbeitern anstrebten. Er war fest davon überzeugt, dass »dem deutschen Bauerntum immer mehr die große Verantwortung für die nationale Zukunft unseres Volkes« zufalle, und rief auf zum »Sammeln einer Kampfesfront, die Blut und Boden schicksalhaft erkannt hat als die tiefste Frage um die deutsche Zukunft«. Aber je mehr und erfolgreicher sich auch die Nationalsozialisten für die Landvolkbewegung interessierten, umso mehr zog sich der auf seine parteipolitische Unabhängigkeit bedachte Kenstler zurück. Er hatte sowieso eine Aversion gegen alles Organisatorische.339 Kenstler war es auch, der die Landvolkbewegung im Frühjahr 1930 mit Darré direkt in Verbindung brachte. Sie suchte für ihr Publikationsorgan, die »unparteiliche, unabhängige Tageszeitung« Das Landvolk einen Schriftleiter bzw. Chefredakteur. Darré erklärte sich durchaus bereit, sein »Können in den Dienst der Landvolkbewegung zu stellen«. Doch zerschlugen sich die Verhandlungen bald, weil sich die schleswig-holsteinischen Bauernrevolutionäre durch ihre Gewaltaktionen isolierten und durch die Kosten der Bombenlegerprozesse finanziell zu sehr in Bedrängnis geraten waren.340 Schließlich gelang es der Initiative Kenstlers, führende Nationalsozialisten besonders in Thüringen für seine Idee zu gewinnen, »eine Art von Zentrale auszubauen […], die jederzeit einen Überblick über die Lage ermöglicht und sofortige Maßnahmen gegebenenfalls möglich macht.«341 Am 26. März 1930 kamen Kenstler und Darré in einer Besprechung bei Ziegler in Weimar zu dem Ergebnis, daß die Notwendigkeit der Einrichtung eines Agrarpolitischen Instituts […] von der ­ SDAP eingesehen wurde und der Gau Thüringen der NSADP sich auf Grund eines ausN gearbeiteten Planes unmittelbar mit Hitler in Verbindung setzen wird, damit die Hauptstelle München das Geld gibt.

339 Vgl. den Ausschnitt aus der schleswig-holsteinischen Tageszeitung v. 28.1.1930, in der NSDAP-GL Hinrich Lohse verkündete  : »Wir Nationalsozialisten werden in kürzester Frist eine eigene Bauernorganisation schaffen müssen, um neben der politischen auch die wirtschaftliche Interessenvertretung […] in die eigenen Hände zu nehmen.« (StAG, NLK, Nr. 3). 340 Der Kontakt wurde von Karl Schotten, dem Direktor der Eiderstedter landw. Schule, über den Fabrikanten Gerhard Quandt aus Wittstock/Dosse, der Darré finanziell unterstützte, hergestellt  ; Darré an Schotten, 27.1.1930 und 5.2.1930 (ebd., NLD, Nr. 94)  ; an seine Frau, 23.3.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1538 f.) sowie Darré an Quandt, 14. »Brachmond« (6.) 1932 (StAG, NLD, Nr. 87). Der Zersetzungsprozess der »Landvolkbewegung« hatte damals schon begonnen. Er zeigte sich auch daran, dass die monatelange Suche nach einer redaktionellen Besetzung der Zeitung Das Landvolk erfolglos blieb. Im August 1931 musste sie ihr Erscheinen einstellen. 341 Darré an Kenstler, 2.3.1930 (StAG, NLD, Nr. 94). In dem »Nationalrevolutionären Manifest«, das Kenstler für seine später ohne Darré gebildete »Großdeutsche Bauern- und Landvolkbewegung« herausgab, standen die Sätze  : »Wir wollen keine Anarchie, wir wollen die Revolution  ! Heraus zur Revolution für Blut und Boden  !« (Vgl. H. Beyer, 1957, 198 f.).

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Das war die Geburtsstunde des »Agrarpolitischen Apparates« der NSDAP, der später von Darré in deren »Reichsleitung« in München aufgebaut wurde.342 Bei der »Hitler-Bewegung« ließ man sich jedoch weiterhin Zeit.343 Erst als es Schultze-Naumburg bei einem Zusammentreffen mit Hitler im Hause des Münchener Verlegers Bruckmann gelang, nochmals dessen Interesse für Darré und den Plan Kenstlers zu wecken, zeichnete sich ein gewisser Erfolg ab. Er konnte Hitler nämlich für ein Zusammentreffen mit Darré in Thüringen gewinnen. Auch Lehmann war nicht untätig gewesen  : In dem mittelständischen Chemie-Unternehmer Albert Pietzsch hatte er einen Mann gefunden, der bereit war, die finanziellen Probleme der Anstellung Darrés bei der NSDAP zu lösen. Am 28. April 1930 lud Lehmann Darré nach München ein, um ihn seinem potentiellen Geldgeber vorzustellen.344 Nun, Anfang Mai 1930, als sich eine Reise Hitlers nach Thüringen abzeichnete, beeilte sich Darré, seinen formellen Beitritt zur NSDAP zu vollziehen. Er wurde ab 1. Juni 1930 als Parteimitglied geführt.345 Mittlerweile hatte er auch die am 6. März 1930 publizierte 342 Darré berichtete am 27.3.1930 an seine Frau  : »Bisher schleppten sich alle Verhandlungen, weil die Notwendigkeit der Sache nicht recht begriffen worden war und mithin von Seiten der NSDAP zwar eine wohlwollende Haltung eingenommen, nicht aber eine tatkräftige Inangriffnahme und Unterstützung erfolgte.« (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1549). 343 Kenstler an Darré, 11.4.1930  : »Scheinbar haben die Münchener Führer stärkere Hemmungen in Agrarfragen als die hier in Weimar.« (StAG, NLD, Nr. 94). 344 Darré an Kenstler, 25.4. und an Ziegler, 28.5.1930 (ebd.)  ; Darré an seine Frau, 18.4.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1571 ff.). Schon am 2.12.1929 hatte Darré angesichts der Aussichtslosigkeit, in Berlin eine berufliche Position angeboten zu bekommen, an Frau Schultze-Naumburg geschrieben, dass »nunmehr doch die Angelegenheit Bruckmann-Hitler in den Vordergrund tritt.« (StAG, NLD, Nr. 437) Außerdem Darré an seine Frau, 28.4.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1577) und StAG, NLD, Nr. 91, wo die Zahlungen Pietzschs im Jahre 1930 nachgewiesen sind. 345 Schon während der Arbeit an seinem ersten Buch hatte Darré Verbindung mit der Ortsgruppe Wiesbaden der NSDAP aufgenommen (Bf. an seine Frau, 26.4.1928, ebd., Bd. 9, 1340). Am 22.11.1929 gratulierte Darré dem »Ortsgruppenleiter« der NSDAP in Wiesbaden, Theo Habicht, zu deren Wahlerfolg (StAG, NLD, Nr. 85). Am 28.4.1930 bat er seine Frau, ihm mit Habicht eine Unterredung zu vermitteln, am 9.5.1930 schrieb er an sie nach Wiesbaden  : »… bitte ich Dich dringend, den Beitritt zur NSDAP zu vollziehen.« (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1578). Theodor Habicht (geb. 1898) hatte – wie Darré – als Artillerist am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war ebenfalls als Leutnant der Reserve, dekoriert mit dem »Eisernen Kreuz« zurückgekommen. Mit 28 Jahren wurde er 1926 Mitglied der NSDAP, machte Wiesbaden zu einer ihrer Hochburgen und wurde 1931 als Nachrücker MdR. Er machte im Sommer 1933 in Österreich als »Landesinspekteur« der dortigen NSDAP und Drahtzieher des Juli-Putsches 1934 von sich reden, bei dem die Wiener SS Bundeskanzler Dollfuß brutal ermordete. Nach dem Scheitern dieses Staatsstreichversuchs tauchte er einige Jahre unter, bevor er über das Hauptamt Kommunalpolitik bei der Reichsleitung der NSDAP ein neues Betätigungsfeld fand. Er wurde 1937 Oberbürgermeister in Wittenberg und 1939 in Koblenz. 1944 ist er als Kompaniechef in Russland gefallen. Vgl. Stephanie Zibell, »Oberbürgermeister Theodor Habicht  – Werdegang eines Nationalsozialisten«, in  : Koblenzer Beiträge zur Geschichte und Kultur NF, 9/10, 1999/2000, 72–100  ; F. Römer, 2017  ; Longerich, 2008, 286 f. und Rauchensteiner, 2017, 113 u. 118. Die Personalpapiere Darrés weisen einen Eintritt in die NSDAP zum 1.6.1930 aus.

Auf dem Weg in die NSDAP

»Parteiamtliche Kundgebung über die Stellung der NSDAP zum Landvolk und zur Landwirtschaft« kennengelernt und »Wort für Wort« gutgeheißen.346 Am 10. Mai 1930, einem Samstag, traf Darré zum ersten Mal im Hause SchultzeNaumburgs mit Hitler zusammen. Dieser war nach einer Rede in Gotha und einem Kurzaufenthalt in Weimar mit Heß nach Saaleck gekommen. »[…] er war eine Stunde hier, frühstückte mit uns und quetschte mich dabei wie eine Citrone aus  ; aber wir beide verstanden uns sofort, auch ohne, daß viele Worte gewechselt zu werden brauchten«, schrieb Darré euphorisch nach Hause. Er war weniger von dem »etwas linkischen Auftreten« Hitlers fasziniert als vielmehr »von dem eigenartigen strahlenden Blau seiner Augen« und von der Art seines Sprechens.347 Ein wichtiger Grund für die gegenseitige Sympathie war sicherlich auch, dass beide – ohne sich freilich begegnet zu sein – an den Schlachten in Flandern sowie an Somme und Marne teilgenommen hatten. In dem Gespräch machte Darré Hitler darauf aufmerksam, dass in seiner Parteiorganisation auf dem Gebiet der Landwirtschaft eine Lücke sei, die aus strategischtaktischen und ideologischen Gründen ausgefüllt werden müsse.348 Der »Chef« − so nannte Darré Hitler anschließend in einem Brief − stimmte ihm hierin zwar zu, legte sich jedoch in Bezug auf die ihm vorgetragenen Pläne eines agrarpolitischen »Mittelpunktsbüros« noch keineswegs fest, sondern wollte erst »in München Rücksprache nehmen«. Darrés ausführliche Schilderungen seiner ersten persönlichen Begegnung mit seinem späteren »Chef« und »Führer« war von einer faszinierten und sich sofort unterwerfenden Haltung geprägt. Dabei trat Hitler damals recht befangen und bescheiden auf und war noch nicht der messianischen Hybris späterer Jahre verfallen (»… dass ihr mich gefunden habt  !«). Er sah sich noch nicht als Heiland oder gar als »Mann von Nazareth« wie in jener verzückten und blasphemischen Sportpalastrede vom 10. Februar 1933, die mit den Worten von »der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen  !« endete. In München gelang es noch im selben Monat Lehmann, der auch Heß von der Notwendigkeit eines landwirtschaftlichen Beraters der Partei überzeugen konnte, von Sein Parteibuch trägt die Mitgliedsnummer 248 256 (vom Verf. bei Frau Darré eingesehen)  ; vgl. auch Dok. NJD 12213 Exh. 955, Ankl. Dok. Buch 101, Fall XI des IMT-Prozesses in Nürnberg. 346 Darré an Dr. Ziegler, 16.3.1930 (StAG, NLD, Nr. 87)  : »Mit besonderem Interesse las ich neulich im V.B. das parteiamtliche Agrarprogramm der NSDAP. − Ich unterschreibe es Wort für Wort.« Vgl. auch Kenstler an Darré, 11.4.1930, der ihn auffordert, dazu eine Stellungsnahme an Hitler zu schicken (StAG, NLD, Nr. 94). 347 Darré an seine Frau, 10. und 11.5.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1581und 1586)  ; an seine Schwester Ilse, 28.5.1930 (StAG, Nr. 85)  ; an Lehmann, 14.5.1930 (StAG, NLD, Nr. 437) und an Nattermüller, 31.5.1930 (ebd., Nr. 85). 348 Kenstler, Ziegler und Darré hatten vor der Zusammenkunft Darrés mit Hitler einen »kurzen Plan ihrer Ideen« ausgearbeitet, »daß die Gelegenheit wohl vorbereitet am Schopfe ergriffen wird und die Zusammenkunft mit A. H. ein positives Ergebnis zeitigt.« (Darré an Kenstler, 25.4.1930, StAG, NLD, Nr. 94).

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Albert Pietzsch, dem Besitzer der »Elektrochemischen Werke« in München, eine Zusage in Höhe von 600,– RM monatlich zu erhalten.349 Damit war das Gehalt Darrés gesichert, was gleichzeitig seine Anstellung als landwirtschaftlicher Berater der NSDAP bedeutete. Am 1. Juni 1930 begann Darré − zunächst in Weimar, wenig später in München − seine neue Tätigkeit.350 Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Nationalsozialisten Ziegler, dem »Artamanen« Kenstler und dem Netzwerk Lehmann/Schultze-Naumburg/Bruckmann, die dieses für Darré erfreuliche Ergebnis in langen Verhandlungen ermöglichen half, wurde noch besonders deutlich dokumentiert, als zu Pfingsten 1930 der »Kampfbund für Deutsche Kultur« Alfred Rosenbergs seine erste große Reichstagung in Weimar abhielt. Dieser »Kampfbund« war 1929 aus der »Nationalsozialistischen Gesellschaft für Kultur und Wissenschaft« hervorgegangen und in »Ortsgruppen« gegliedert. Im Februar 1929 war er erstmals ins Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit getreten, als unter seiner Regie Othmar Spann einen Vortrag an der Universität München hielt. Der Wiener Professor sprach zum Thema »Die Kulturkrise der Gegenwart« ganz im Sinne eines Untergangsszenarios à la Spengler. Im Vorfeld der Tagung 1930, die sich vor allem an die Jugend richten sollte, hatte Rosenberg mit Himmlers Unterstützung die nationalsozialistischen »Artamanen« davon überzeugt, dass eine eigene Veranstaltung  – Goslar, die spätere »Reichsbauernstadt«, war damals schon im Gespräch – nicht so öffentlichkeitswirksam sei wie eine gemeinsame Kundgebung möglichst vieler völkischer Vereinigungen. Tatsächlich folgten dann insgesamt 17 »Bünde« dem Ruf des nationalsozialistischen »Kampfbundes« nach Weimar und in das dortige Nationalthea­ter.351 349 Lehmann an Darré, 21.5.1930 (ebd., Nr. 437)  ; vgl. auch Darré an Kenstler, 24. und 28.5.1930 sowie an Ziegler, 28.5.1930 (ebd., Nr. 94). Belege der Zahlungen Pietzschs finden sich ebd., Nr. 91  ; vgl. auch die Steuererklärung Darrés  : BA-Koblenz, NLD, AD 54. Der Maschinenbauingenieur Pietzsch, der sein Geld u. a. mit der Herstellung von Wasserstoffperoxid zum Blondfärben der Haare verdiente, unterstützte die NSDAP schon seit 1925. Er wurde 1934 Präsident der Industrie- und Handelskammer in München und trat 1936 an die Spitze der Reichswirtschaftskammer in Berlin. (Vgl. StAG, NLD, Nr. 421b  ; Henry A. Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Berlin 1985, 244  ; P. Longerich, Hitlers Stellverstreter. Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Parteikanzlei Bormann. München 1992, 28 f. und Der Spiegel, Nr. 17/2007, 62). 350 Der VB meldete am 29.8.1930, Hitler habe am 25.8.1930 angeordnet, dass Darré als »Referent für landwirtschaftliche Fragen« in die Organisationsabteilung II der RL der NSDAP »berufen« worden sei (vgl. auch IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1695a). 351 VB v. 26.2.1929. Der Programmzettel der Pfingsttagung, dazu auch Zeitungsausschnitte, in denen über die Tagung berichtet wurde, und Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur, 2/1930, 49 ff.; außerdem Bfe. Rosenbergs an den »Bund Artam e. V.« v. 19.2. und 27.2.1930 und Bf. Kenstlers an Rosenberg v. 15.4.1930, in dem er anmahnt, die »völkische« Landjugend dürfe auf der Tagung nicht »untertauchen«, und als weitere Referenten Rudolf Böhmer (Raum oder Not  !) und Wilhelm Hamkens von der schleswig-holsteinischen »Landvolkbewegung« vorschlug (StAG, NLK, Nr. 3). Vgl. auch H. Brenner, 1963, 7 ff. und 17 f. sowie Martynkewicz, 2009.

Auf dem Weg in die NSDAP

Abb. 14 … und ihr Schicksal, 1934.

Die organisatorische Vorbereitung und Leitung dieser Tagung, die vom 7. bis 9. Juni 1930 stattfand und unter dem Motto »Ein Bekenntnis der deutschen Jugendbewegung zum Kampf um Rasse und Volkstum, Blut und Boden« stand, lag in den Händen Zieglers und Kenstlers. Unter der Schirmherrschaft Fricks nahmen Goebbels, Göring, Schirach und Gauleiter Sauckel daran teil. Unter den Referenten befand sich neben Rosenberg und dem nationalsozialistischen »Artamanen« Friedrich Schmidt auch Darré. Sein Thema lautete  : »Blut und Boden als Grundlage des Dritten Reiches«. Ein Zeitungsbericht fasste seinen Beitrag wie folgt zusammen  : »Der Bauer stirbt – das Kapital gedeiht. Überhandnahme des Liberalismus unter Hardenberg. Verkümmerung des Bauern durch Umstellung vom Agrar- zum Industriestaat mit der Folge  : Landflucht. Eindringen der westlerischen Gedankenwelt in unser gesamtes Wirtschaftsleben durch jüdische Agitation.«352 Erklärtes Ziel der Tagung war eine engere Zusammenarbeit zwischen Nationalsozialismus und »völkischer« Jugendbewegung. Darré sprach in seinem ersten öffentlichen Vortrag demgemäß vorsichtig davon, man wolle den jungen Menschen bei dieser 352 Darré an seine Frau, 27.3.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1549 ff.). Es ist nicht uninteressant, dass sich dieser Duktus in Darrés Beitrag »Blut und Boden« in Bd. I des »Handbuches für den Beamten im nationalsozialistischen Staat«, hg. von Lammers/Pfundtner/Koellreutter, wiederfindet, das 1936 erschien.

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Zusammenkunft zwischen Nationalsozialismus und bündischer Jugend »leitende Eindrücke« vermitteln.353 Rosenberg dagegen stellte ohne Umschweife, aber in einer für ihn typischen ›philosophisch‹-verschwurbelten Sprache, fest  : Ein unvergängliches Verdienst, die deutsche Seele in Revolution gegen ein mechanistisches Jahrhundert versetzt zu haben, hat der deutsche Wandervogel […]. Und doch steht heute alles das, was vom deutschen Wandervogel seinen Ausgang genommen hat, vor einer zerbrochenen Welt und wird erkennen müssen, daß Seele und Geist des Wandervogels nur dann wirkliche Volkskultur werden können, wenn sie sich verbünden mit einem organisch begründeten Machtgedanken.354

Genau daran, dass weite Teile auch der »völkischen« Jugendbewegung es ablehnten, sich diesem »Machtgedanken« unterzuordnen, scheiterte dann das bis dahin freundschaftliche Verhältnis Kenstlers zu Darré. So sehr der »Artamane« Kenstler dem Familienvater Darré geholfen hatte, seine prekäre berufliche und finanzielle Situation durch die Anstellung bei der NSDAP etwas zu verbessern, so sehr war er selbst auf seine eigene parteipolitische Unabhängigkeit bedacht. Kenstlers Kontakte zu Nationalsozialisten hatten immer nur dem Weiter- und Überleben seines ›Sprachrohres‹, der Zeitschrift Blut und Boden, gegolten und hingen mit seinen Aufgaben als Vortragsund Tagungsorganisator zusammen. Aber es gab auch sachliche Meinungsverschiedenheiten. Darré lehnte aus rassenideologischen Gründen die Position des ehemaligen Bezirksamtmannes von Lüderitzbucht in Deutsch-Südwestafrika, Rudolf Böhmer, ab, der in Anlehnung und Fortführung von Hans Grimm (Volk ohne Raum) die soziale Not städtischer Arbeitsloser durch Siedlung zu beheben und dadurch gleichzeitig die ernährungswirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands vom Ausland zu mildern ­hoffte.355 Kenstler veröffentlichte nicht nur Beiträge Böhmers, er setzte sich auch für ihn bei Lehmann ein, der durch Günther und Darré verunsichert worden war, ob er Böhmer weiter unterstützen sollte. »Ich bin der Meinung«, schrieb Kenstler an den Verleger, »dass gerade die Vorschläge Böhmers allein der Weg sind, unser Volk auf eine gesunde soziale Grundlage zu stellen.« Er forderte Lehmann auf, nicht wankelmütig zu werden, denn  : »Mit nordischen Rechtsanschauungen wird Deutschland jedenfalls nicht geret353 VB v. 17.6.1930. 354 Der Nationalsozialist, Organ der NSDAP in Weimar, Folge 29 (IfZ-München, NLD, Bd. 11, 1985). 355 Böhmer hatte seine Position in dem ebenfalls bei Lehmanns in München 1928 erschienenen Buch Das Erbe der Enterbten niedergelegt und in Vorträgen sowie weiteren Publikationen – auch in Kenstlers Zs. Blut und Boden – verbreitet. 1930 veröffentlichte Böhmer in Lauban/Schlesien, im gleichen Verlag, in dem auch Kenstlers Zs. Blut und Boden erschien, das Buch Arbeiter, Bauern und Soldaten. Darré hatte es schon im Frühjahr 1929 abgelehnt, mit Böhmer gemeinsam auf einer »völkischen« Tagung aufzutreten, weil er dessen Ansichten als »marxistisch« ablehnte und »für die nordische Rasse [als] äußerst gefährlich« ansah (Konopath an Kenstler, 28.1.1929, StAG, NLK, Nr. 2).

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tet werden.« Und Kenstler blieb weiter bei seiner Linie, eine »konservative völkische Revolution aus Blut und Boden« zu propagieren, die »schwarze Fahne« hochzuhalten und den Steuerstreik, zu dem die schleswig-hosteinische »Landvolkbewegung« aufgerufen hatte, als eine »notwendige und wirksame Waffe gegen ein System der Ausbeutung« zu verteidigen  : »Gewalt setzt man Gewalt entgegen«, war er überzeugt.356 Der unheilbare Bruch Kenstlers mit Darré und der NSDAP hatte über diese Meinungsverschiedenheiten hinaus zwei Gründe  : Hitlers Dekret, eine Zusammenarbeit mit Heims gewaltsam agierender »Landvolkbewegung« werde mit Parteiausschluss geahndet, und die rigorose Art, mit der Darré von seiner neuen Position in der Reichsleitung der NSDAP aus gegen Kenstlers Zeitschrift Blut und Boden vorging und ihm die Urheberschaft und inhaltliche Füllung dieses öffentlichkeitswirksamen Begriffspaares streitig machte. Beide Gründe hingen eng miteinander zusammen. Während Kenstler weiterhin Claus Heim und die »Landvolkbewegung« vorbehaltlos unterstützte und damit sein Verständnis einer »Revolution aus Blut und Boden« verband, wobei er die Metapher »Blut« mit »Landvolk« gleichsetzte, hatte Darré dem Begriffspaar eine strikt rassenideologische Bedeutung im Sinne Günthers gegeben.357 Außerdem musste er sich Hitlers Strategie, »legal« die Macht zu erobern, unterordnen. Am 22. November 1931 konnte Kenstler in der von Darré herausgegebenen Nationalsozialistischen Landpost. Wochenblatt für das deutsche Landvolk lesen, der »Schriftleiter der Monatsschrift ›Blut und Boden‹« sei ein »neuer Gegner der Hitlerbewegung«. Kenstler hatte Darré als dem »landwirtschaftlichen Reichleitungsfachberater der NSDAP« sein »früheres freundschaftliches Verhältnis« aufgekündigt, weil er und seine Zeitschrift von der Partei diskriminiert würden. »Die Reichsleitung der NSDAP« könne, so echote es aus München, Kenstler nun nicht mehr »wie bisher wohlwollend schonen«. Deshalb erkläre sie, »dass die Zeitschrift ›Blut und Boden‹ des Herrn G. Kenstler zu jenen Blättern zu rechnen ist, die in negativer Kritik und destruktivem Literatentum mit jüdischen Kampfmethoden die gerade Linie der NSDAP erfolglos zu verleumden suchen.«358 356 Kenstler an Lehmann, 17.7.1930 (ebd., Nr. 4). Im Übrigen war auch dieses Schreiben ein ›Bettelbrief‹, in dem Kenstler für seine Zs. um finanzielle Unterstützung bat. Damals sah sich Kenstler in seinem Verhältnis zu Darré noch in einer überlegenen Position, denn er zeigte sich »erfreut« darüber, mit Hilfe Darrés in der NSDAP »eine Brücke zu unserer Arbeit aufgebaut« zu haben. Schon bald aber musste Kenstler die »Hoffnung« aufgeben, die Partei »an uns heranzuführen und sie sozusagen für die Revolution aus Blut und Boden nutzbar zu machen« (StAG, NLK, Nr. 2  ; vgl. auch seinen Bf. an Hans Henneke v. 5.2.1932, ebd., Nr. 17). 357 Wie sehr Darré das Begriffspaar, für das Kenstler eigentlich das Urheberrecht gebührte, mit rassenideologischer Akzentuierung antizipierte und in die »Nordische Bewegung« einführte, zeigt ein Vortrag, den er kurz nach der Tagung in Weimar am 22.6.1930 auf einer »Nordischen Tagung« in Berlin hielt (abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 17–29). 358 Vgl. Kenstler an »Herrn Himmler«, 14.8.1930, wo er sich über das Kontaktverbot der NSDAP zur »Landvolkbewegung« beschwert, aber auf eine Revision hofft und »beste Grüße« an »Herrn Darré« ausrichten lässt (StAG, NLK, Nr. 2). Dort auch Kopie des Artikels in der NSL, Nr. 12 v. 22.11.1931.

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Darrés weltanschauliche Prägungen und sein Weg zu Hitler

Von »wohlwollender Schonung« Kenstlers durch die Partei Darrés konnte aber überhaupt keine Rede sein – es war genau umgekehrt  : Kenstler wurde bekämpft, diffamiert, ausgegrenzt und dann totgeschwiegen. Die letzte Ausgabe von Kenstlers Zeitschrift Blut und Boden erschien im »Lenzing« (März) 1934. Sie bestand aus einer Seite und druckte den Verbotserlass der Regierung wörtlich ab. Auf der Basis der Republikschutzverordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 durften das Blatt und auch eine eventuelle »Ersatzschrift« nicht mehr erscheinen, weil die Zeitschrift »geeignet ist, Verwirrung und Unruhe in die Bevölkerung zu tragen«. Insbesondere wurde ein Aufsatz über das »Reichserbhofgesetz« in Jahrgang 6, Heft 1 vom Januar 1934 inkriminiert, »der eine zersetzende und dem Staatsinteresse zuwiderlaufende Kritik der gesetzlichen Maßnahmen der Regierung darstellt.« So wie die NSDAP das Terrain, das ihr die »Landvolkbewegung« in Schleswig-Holstein bereitet hatte, eroberte und besetzte, so verhielt sich Darré Kenstler gegenüber  – er hetzte ihm sogar die Gestapo auf den Hals. Frei nach Shakespeare hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan, er konnte gehen. Am 5. Januar 1941 starb Kenstler, der Darré durch sein persönliches Engagement und die weitere Verbreitung des Schlagwortpaares »Blut und Boden« zur Ausgangsposition einer beispiellosen Karriere in der ­NSDAP verholfen hatte, einsam und vergessen an seiner Diabetiserkrankung in einem Hotel in Gotha.359 Erst auf dem »Reichsbauerntag« 1938, als er selbst sein Scheitern in der »Landflucht«-Frage eingestehen musste, war Darré bereit, die »Artamanen« als diejenigen zu erwähnen, die »mit ihrem Herzen und durch die praktische Tat« versucht hätten, »die Landflucht zu überwinden«. Es seien die »Artamanen« gewesen, die »geistig Pate gestanden« hätten bei den »Bekenntnissen der NSDAP zum Bauerntum«. Den Namen Kenstler sucht man in dieser Rede, aber auch in der ansonsten überaus reichlich vorhandenen Überlieferung Darrés nach 1933 vergeblich.360 Für den stellungslosen Schriftsteller Darré war die Tagung des »Kampfbundes für Deutsche Kultur« eine weitere Gelegenheit zum Zusammentreffen mit führenden Nationalsozialisten. Neben Ziegler, Frick und Rosenberg nahmen Gauleiter Sauckel, von Schirach, von Renteln (der Gründer des NS-Schülerbundes), Göring und Goebbels an der Tagung teil. Wegen des erfolgreichen Verlaufs fand anschließend im Hause von Professor Schultze-Naumburg in Saaleck eine Feier statt, die nicht zuletzt auch dem neu ernannten Professor für Sozialanthropologie an der Universität Jena, Dr. Hans F. K. Günther, galt. Die Sonne, Presseorgan des »Nordischen Ringes«, sprach in einer Würdigung der Berufung Günthers von einem »Markstein in der Geschichte der Vgl. außerdem die Artikel Kenstlers in Das Landvolk, Itzehoe, und »Kämpfendes Landvolk vom März 1930 sowie in der Reichsausgabe der Deutschen Tageszeitung (36. Jg., Nr. 303 v. 25.12.1931) ebd., Nr. 6a. Die letzte Ausgabe der Zs. Blut und Boden in  : StAG, NLK, Zeitschriften. 359 Vgl. die Materialien in  : StAG, NLK, Nr. 7. Kenstler gehörte zweifellos zu jenen Wegbereitern des Nationalsozialismus, die Hitler als »völkische Wanderscholaren« verspottete, die, nachdem sie ideologisch ausgebeutet worden waren, gnadenlos fallen gelassen wurden (Hitler, 1932, 395). 360 Darré, Aufbruch, 1942, 120.

Auf dem Weg in die NSDAP

Nordischen Bewegung«. Es ist nicht ohne Pikanterie, dass der »Nordische Ring« 1936 mit der einflusslosen »Nordischen Gesellschaft« Rosenbergs »verschmolzen« wurde.361 Für Schultze-Naumburg, Günther und auch für Darré, der eine Anstellung als landwirtschaftlicher »Fachberater« bei der Reichsleitung der NSDAP in München ergattern konnte, hatte sich die enge Anlehnung an den Nationalsozialismus gelohnt. Darré war zwar formal erst am 1. Juni 1930 der Partei beigetreten, was mit seinem beruflichen Werdegang zusammenhing. Denn für seine Sympathie für die »Hitler-Bewegung« gibt es schon ab 1923 unübersehbare Belege. Gleichwohl musste er sich nicht in der Parteihierarchie ›hochdienen‹, wie so viele »alte Kämpfer«, sondern gehörte als Agrarexperte sofort zur engsten Umgebung des »Führers«. So konnten sich führende Mitglieder des »Nordischen Rings« und der NSDAP im Frühsommer 1930 die Hände reichen. Insbesondere Richard Walther Darré hatte sein Ziel erreicht, auf das er schon lange unbewusst, zum Schluss aber zielorientiert hingearbeitet hatte  : Adolf Hitler und die NSDAP.

361 VB v. 3.6.1930  ; Darré an seine Frau, 14.5. und 6.6.1930 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, 1593 und 1634), Die Sonne, 7. Jg., 6. Heft, Juni 1930, 281 und Rosenberg an Darré 3.12.1936 (BA, NS 8/173) sowie Lutzhöft, 1971, 64 ff.

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TEIL II DIE »BLUT UND BODEN«IDEOLOGIE UND IHRE IMPLEMENTIERUNG IM »DRITTEN REICH«

1 Ideologie als Anleitung zum Handeln

Ob am Anfang das Wort war, ist ungewiss. Gewiss aber ist  : »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.« ( Joh 1,3) So konnte Vaclav Havel, der tschechische Schriftsteller, Dissident und letzte Staatspräsident der Tschechoslowakei, lakonisch feststellen  : »Jeder Realität geht das Wort voraus.« Dieser Meinung war auch Hannah Arendt, wenn sie feststellte  : »Reden ist eine Form des Handelns.« Es war Joachim C. Fest, der im Zusammenhang mit seiner Hitler-Biographie darauf hingewiesen hat, »daß Worte nicht nur Worte sind. Tendenziell sind sie, das haben wir durch ihn gelernt, immer schon die Tat.« Wörter dienen nicht nur der Verständigung, aus Wörtern können Werke werden. Und Wörter haben nicht nur eine Bedeutung, sie haben auch eine Geschichte, ihr Bedeutungsinhalt verändert sich. Das gilt auch dann, wenn aus einfachen Wörtern komplexe Begriffe werden. Auch sie können einen Bedeutungswandel vollziehen, den es aufzuklären gilt. In der Sprache drückt sich die Vorstellungswelt der Menschen aus, aber auch ihre Absichten und Taten. Oder – wie Victor Klemperer im Hinblick auf die LTI, die Lingua Tertii Imperii, festgestellt hat  : »Man atmet sie ein und lebt ihr nach.« Für den Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt war klar, daß die verschiedenen Inhalte, die ein Begriff haben kann, nicht in ihm liegen, als wäre es möglich, sie aus ihm herauszupulen. Der Inhalt eines Begriffs wird in ihn hineingelegt  : die Religion legt einen religiösen, der Faschismus einen faschistischen, der Marxismus einen marxistischen Inhalt in den Begriff.

So ist es auch mit der Doppelmetapher »Blut und Boden«, die – wie dargestellt wurde – in der Welt war, lange bevor sich Darré ihrer bemächtigte.1 Sprache, mit der die Welt dargestellt wird, ist nicht angeboren, sondern sie ist ein Kulturprodukt. Menschen stellen mit Sprache ihre Weltsicht dar, sie formulieren mit ihr auch ihre Ideen. Die Kraft des menschlichen Geistes gestaltet die Wirklichkeit. Ideen sind mitbestimmend an Geschichte beteiligt, manchmal verändern sie sogar ihren Lauf. Wörter und Begriffe, vor allem aber Metaphern wie »Blut und Boden« sind vieldeutig und damit auch unterschiedlich verstehbar. Die Bedeutung, die sie haben, wird ihnen von außen je nach Sichtweise, Standort, politischen und anderen Interessen beigegeben. Dem gilt es, forschend und aufklärend nachzugehen. 1 Vgl. Reinhart Koselleck in der Einleitung zu Brunner/Conze/Koselleck, 1972, Bd. 1, XIV f.; Fest im Gespräch mit K.-H. Janßen, nach Die Zeit, Nr. 42/1973  ; Klemperer, 1996, 212 und Dürrenmatt in Die Zeit, Nr. 51/1975.

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Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich«

Sprache dient dazu, Ideen, Ideologeme und Ideologien zu formulieren. Sprache produziert nicht nur Sinngebung und Weltdeutung, sie schafft auch Wirklichkeit, manifestiert sich in Realität. Ideologeme (Gedankengebilde) setzen sich im Bewusstsein der Menschen fest und bilden so einen Ankergrund, in dem sich Ideologien festmachen können, um Wirkung zu erzielen. Mit Sprache wird das Verhalten der Menschen instrumentalisiert, werden Taten legitimiert und Handlungen manipuliert. Auch Ideen sind Fakten und können Taten werden. Ideologien sind zwar nicht allein die historische Realität, wohl aber gehören sie zur historischen Wirklichkeit. Sie sind nicht nur unter geistesgeschichtlichen Gesichtspunkten interessant, als Faktoren und Indikatoren des realhistorischen Prozesses sind sie geschichtsmächtig. Sie haben legitimierende Funktionen in Politik und Gesellschaft, sie liefern Perzeptionsmuster zur Wahrnehmung der Wirklichkeit und sie bilden die Grundlage für Lagebeurteilungen und Aktionen. Sie können auch bei der Verschleierung von handlungsbestimmenden Absichten oder zur Täuschung über die eigentlichen Motive politischer Zielsetzungen eine Rolle spielen. Zum Begriff »Ideologie« gibt es zwar eine umfangreiche Literatur, aber keine allgemein akzeptierte Definition.2 Im Allgemeinen versteht man darunter ein Orientierungssystem, das aus einem Ensemble von Ideen besteht. Ideologien sind Erklärungsmodelle der Welt, die den Anspruch auf umfassende Wahrheit und Allgemeinverbindlichkeit erheben. Ihre Wirkung beruht weniger auf vernünftigen Überzeugungen als auf Hoffnungen und vor- bzw. unterbewussten Erwartungen. Damit sie auf fruchtbaren Boden fallen, bedarf es vor allem der Macht der Verführung. Dabei spielen Vorurteile und Irrationalismen eine nicht unerhebliche Rolle. Mit Hilfe von Ideologien kann man der Wirklichkeit Sinn geben, sie verstehen, sie aber auch beeinflussen und nach vorgefassten Maximen (»Idealen«) gestalten. Das Verhältnis von Idealen zu Ideologien ist zweiseitig  : Ideologien sind durch Leitbilder bestimmt, sie bestehen aus einem Konglomerat von Ideen. Wenn Ideale als Wunschvorstellungen mit Absolutheitsanspruch auftreten, dann wird Ideologie zu einer Lehre, die für sich ein absolut sicheres Wissen von dem hat, was ist und was werden soll. Dann beansprucht sie eine »Wahrheit ohne Fragezeichen« (Max Horkheimer) und ihre Vertreter fühlen sich legitimiert, in die gesellschaftlichen Verhältnisse und bestehende politische und soziale Strukturen verändernd einzugreifen. Wenn dahinter eine Geisteshaltung steht, die – bewusst oder unbewusst – Wirklichkeit verdeckt oder verschleiert, die nicht wahrhaben will, was ist, sondern – als Zukunftsprogramm – realisieren will, was sein soll, dann wird Ideologie zu einer Rechtfertigungslehre für Wunschvorstellungen  – mit unter Umständen fürchterlichen Folgen. »Denn auch die unsinnigste und unmoralischste Ideologie kann zur Weltgefahr werden, wenn sie Machtmittel in die Hand bekommt.«3 2 Vgl. u. a. Brunner/Conze/Koselleck, 1982, Bd. 3, 131 ff.; Lenk, 1967 und 1971  ; Lübbe, 1971, 159 ff.; Lieber, 1985  ; E. Lemberg, 1974  ; Sandkühler, 1990, 616 ff. und Bracher, 1982. 3 Hartung, 1996, 41.

Ideologie als Anleitung zum Handeln

Da Ideologien zu Aktionen drängen, hat ideologiegeleitetes Handeln die Neigung, die Realität diesen Wunschvorstellungen anzupassen. Ideologien sind aber auch Gedankengebilde, die der Deutung der Gegenwart dienen, ihr Sinn geben, sie rechtfertigen oder ablehnen und die Zukunftsentwicklung beeinflussen wollen. Insofern sind Ideologien keine Hirngespinste, sondern mit Energie aufgeladen, die nach Realisierung strebt. Sie können Instrumente zur Mobilisierung sozialer Energien werden. Ihnen wohnt ein erhebliches affektives und irrationales Potential inne, weshalb es äußerst schwer ist, rational und argumentativ dagegen anzugehen. Das haben Ideologien mit Vorurteilen gemeinsam. »Es ist Ideologie, was Menschen von Zeit zu Zeit dazu bringt, einander für Götter oder Ungeziefer zu halten.«4 Schon Francis Bacon befasste sich im 17. Jahrhundert mit dem Problem, dass das menschliche Denken und Handeln durch »Götzenbilder« und »Aberglauben« beeinflusst wird. Auch in der französischen Aufklärung, als der Begriff »Ideologie« geprägt wurde, spielten interessegeleitete Vorurteile und ihre Wirkung auf das menschliche Bewusstsein schon eine Rolle, weil sie nicht nur zur Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen beitrügen, sondern auch zur Störung von Logik und Vernunft. Antoine Destutt de Tracy sprach 1796 von einer »Wissenschaft von den Ideen« und meinte damit die »Ideologie«. Nach Napoleons Code civil wurde der Begriff in der ersten Häfte des 19.  Jahrhunderts verstanden als realitätsfernes Ideengebäude, das zu kritisieren sei. Wenn die Sicht auf die Realität durch Vorurteile getrübt, gestört oder verfälscht wird, sprach man von »Ideologie«. Insbesondere in der Epoche der Restauration galten »Ideologen« als Schwärmer und Träumer, die den »weltfremden« Idealen der Französischen Revolution nacheiferten. Alles, was sich außerhalb der Realität des Ancien Régime befand, wurde als Fiktion, Chimäre, Wunsch- und Wahnbilder diffamiert, zu deren Ingredienzien Glaube und Gefühl gehörten. Gemeint waren abstrakte Prinzipen wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, die in der Praxis des Lebens für wirkungslos gehalten wurden. Karl Marx und Friedrich Engels setzten später »Ideologie« gar mit »falschem Bewusstsein« gleich, das die Realitätswahrnehnung verneble und die wahren (Klassen-) Interessen verschleiere. Sie konnotierten Ideologie negativ als Irrlehre, die abzulehnen bzw. durch »Ideologiekritik« zurückzuweisen sei.5 Aber Ideologie ist mehr als »falsches Bewusstsein«, sie ist Teil der historischen Wirklichkeit, ist eine geschichtsmächtige Kraft mit Eigendynamik. Auch die Nationalsozialisten gebrauchten den Begriff »Ideologie« abschätzig als theoriebehaftet, unpraktisch und versponnen. Sie sprachen lieber von »Weltanschauung«.6 Demgegenüber kennzeichnete Theodor Geiger Ideo4 Eagleton, 2000, 3  ; vgl. auch Fetscher/Münkler, 1986/87 und Karsten, 1978. 5 Vgl. Ludz, 1976. 6 So z. B. Hitler in einer Reichstagsrede am 30.1.1934 im Hinblick auf »kommunistische Ideologen«, »bürgerliche Intellektuelle« und »völkische Ideologen«, welch Letzteren er unterstellte, »im Bärenfell aufs neue ihre Wanderung antreten« zu wollen. Vgl. Domarus, 1973, Bd. 1, 354.

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logie  – wertfreier  – als ein »unechtes« Gedankensystem. Er sprach von einem »der Wirklichkeit inadäquaten, wenn auch nicht logisch falschen Denken«. Geiger war weit entfernt davon, Ideologie als Ideenlehre bzw. Gedankengebäude positiv zu sehen. Auch Werner Hofmann sah in der Ideologie eine »Fehlmeinung, die gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse absichert«. Sie sei eine »Fehllehre mit Rechtfertigungstendenz«, stellte er fest. Ideologien enthielten durchaus richtige Elemente, die dazu beitrügen, dass sie glaubhaft erscheinen. »Ideologien sind daher nicht nur auf ihre unzutreffenden Aussagen zu prüfen, sondern auch auf ihren verborgenen gesellschaftlichen Wahrheitsgehalt, auf die ›falsche Wirklichkeit‹ in ihnen.«7 Hannah Arendt betonte den Hang zum Extremismus, der allem Ideologischen anhafte, während Max Horkheimer die individuelle Vorstellungskraft und die subjektive Positionierung ideologischen Denkens herausstellte, im Gegensatz zur objektiv belegbaren und wirklichkeitsadäquaten Wahrheit. Physiker aber wissen seit Heisenberg, dass das Subjekt aus der Erkenntnissituation nicht zu eliminieren ist. Was scheinbar unbefangenes Beobachten ist, entpuppt sich dann als unreflektierte Erwartung. Insofern spielen auch Gesinnungen und Emotionen bei Ideologien eine große Rolle. Ihre Inkonsistenz und die Unschärfe ihrer Ideenbestandteile sind Indiz dafür, dass sie selten bis zum Ende durchdacht und kaum in ihren Konseqenzen bedacht sind. Sie appellieren oft an Instinkte, unbewusste Bedürfnisse und Sehnsüchte. Die Typisierung, die Lenk versucht hat – er unterscheidet »Rechtfertigungs-«, »Komplementär-«, »Verschleierungs-« und »Ausdrucksideologien« –, ist deshalb als Analyseinstrument nicht sehr hilfreich, weil die einzelnen Typen nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind. Gleichwohl kann sie helfen, die Gesamtheit des ideologischen Spektrums zu erkennen und abzubilden. Ideologien sind eines der wichtigsten Merkmale totalitärer Herrschaft, weil sie die schrankenlose Herrschaft rechtfertigen, und das mit dem Anspruch auf alleinige Gültigkeit. Konstitutive Elemente sind Freund-Feind-Muster, Schwarz-Weiß-Malerei und Entweder-oder-Denken, die allesamt auf Vorurteilen basieren. Dabei haben Ideologien das Bestreben, sich mit der Aura von Wissenschaftlichkeit zu umgeben. Sie haben einen utopisch-eschatologischen Charakter, ihr Unfehlbarkeitsanspruch, ihre Behauptung zweifelsfreier Richtigkeit und absoluter Wahrheit führen zu Dogmatismus und Rechthaberei. Dann wird aus Erziehung Schulung, aus Anleitung wird Überwachung. Deshalb ist die erste Aufgabe von Ideologiekritik, vermeintliches Wissen als Scheinwissen und behauptete objektive Tatsachen (»Fake News«) als subjektive Empfindungen zu entlarven. Nach mehr als 40 Jahren real existierendem Sozialismus in Deutschland, dessen Selbstverständnis vom Marxismus-Leninismus bestimmt wurde – nicht zu reden von dessen Auswirkungen auf die Verhältnisse in der Sowjetunion, China und vielen an7 Geiger, 1967, 228 ff. und Stichwort »Ideologie«, in  : Handwörterbuch der Sozialwissenschaft, Bd. 5, Tübingen 1965, Sp. 179–184  ; Hofmann, 1969, 26 f. und Hofmann, 1968.

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deren Staaten der Welt  –, ist die Macht von Ideologien nicht zu bezweifeln. Einer der führenden Repräsentanten der DDR, Günter Schabowski, SED-Chef von OstBerlin, Chefredakteur des Neuen Deutschland, bis 1989 Mitglied des Politbüros der SED, des wichtigsten Entscheidungsorgans des Staates, und unfreiwiliger Impulsgeber für die friedliche Öffnung der gemauerten Staatsgrenze der DDR, bekannte 1992, die Ideologie des Marxismus-Leninismus sei es gewesen, die »uns alle beherrschte, bis zur Selbstnarkose«.8 Der Marxismus war und ist ein Theoriegebäude, das einen Glauben und eine Hoffnung evozierte, die nur selten durch Erfahrung – etwa in der Sowjetunion Lenins und Stalins – zu erschüttern war. Er gab sich als wissenschaftlich fundierte Weltsicht aus, die das »Gesetz der Geschichte« erkannt habe und nur noch vollstreckt werden müsse. Doch alle Varianten dieser Ideologie, seien sie von Tito, Mao oder Castro initiiert, zeitigten kein zufriedenstellendes Resultat, sondern waren mit Intoleranz und brutaler Gewalt verbunden, nach dem Motto  : »Das Ziel heiligt die Mittel«. Das freimütige Bekenntnis aus eigener Erfahrung, welche Macht von Ideen und Ideologien ausgeht, wie es bei Schabowski festzustellen ist, war als Erkenntnis in Zeiten, als Struktur- und Sozialgeschichte in der Historiographie Konjunktur hatten, etwas verdrängt worden. Dabei hatte doch Karl Marx selbst in seiner Dissertation den olympischen Gott Apoll als »Wirklichkeit im Leben der Griechen« gekennzeichnet.9 Einzig Karl Dietrich Bracher (Zeit der Ideologien) wies damals unverdrossen auf die Wirkungsmacht von Ideologien hin und Ernst Nolte analysierte und verglich – trotz aller Anfeindungen – ihre Auswirkungen (Der europäische Bürgerkrieg). Nach Eberhard Jäckel war Hitlers Weltanschauung als Entwurf einer Herrschaft nicht nur eine Interpretation der Welt, sie war auch eine Handlungsanweisung für die Politik. Das Fatale daran war, dass äußere und innere Konflikte auf eine »natürliche« Ebene transportiert und »wissenschaftlich« begründet wurden. Zum Beispiel  : Solange es Staaten gibt, kämpfen sie um »Lebensraum«. Oder  : In der Politik zählt nichts anderes als »Stärke«. Oder  : Solange es »Juden« gibt, ist damit für andere eine Existenzgefahr verbunden. Mit solchen Bedingungsverhältnissen war immer ein brutales Entweder-oder und damit der Vernichtungsgedanke verbunden. Das wusste schon Carl von Ossietzky 1932, als er feststellte  : »Ein gut gezieltes Wort genügt, um Hände in Bewegung zu setzen. In dieser Zeit liegt viel Blut in der Luft. Der literarische Antisemitismus liefert nur die immateriellen Waffen zum Totschlag.« Wenn es denn so etwas wie eine nationalsozialistische »Weltanschauung« gab, dann waren »Blut« und »Boden« ihr Kern. Das zu zeigen wird Aufgabe des folgenden Kapitels sein. Dass die »Blut und Boden«- Ideologie eine »reaktionäre Utopie« sei, ist keine neue Erkenntnis. Wohl aber sollte der Hinweis ernst genommen werden, dass »reaktionäre Ideologien auf Bildern der Vergangenheit basieren, die im allgemeinen mehr mythisch als real sind und den Zweck verfolgen, in der Gegenwart politische 8 Der Tagesspiegel v. 13.3.1992. 9 Vgl. Ludz, 1977.

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Aktionen auszulösen.« Diese realen Folgewirkungen der »Blut und Boden«-Ideologie gilt es in die Analyse einzubeziehen.10 Trotz aller schlimmen Erfahrungen mit Ideologien im 20. Jahrhundert sollte beachtet werden, dass ideologiegeleitetes Handeln  – je nach Leitbild  – sowohl eine aufbauende als auch eine zerstörende, eine archaische und eine utopische Dimension hat. Ideologien wollen politische Handlungen und moralische Einstellungen untermauern oder unterminieren. Sie haben den Hang, ihre Adressaten zu instrumentalisieren oder zu manipulieren, indem an ihre Gefühle und Empfindungen appelliert wird. Dagegen ist in der Regel kein rationales ›Kraut gewachsen‹. Kurt Lenk spricht sogar davon, es sei eine »Donquichotterie«, wenn man »ihre immanenten Widersprüche, ihre Risse und Sprünge, ihre Irrationalität« aufdecken wolle.11 Denn Ideologien wollen nicht überzeugen, obwohl ihre Stifter so tun. Sie wollen, dass die Menschen zustimmen oder ablehnen, sich begeistern oder hassen. Sie operieren mit Mechanismen der Überwältigung und fordern Bekenntnisse heraus. Ideologien sind keineswegs immer bewusste Täuschungsmanöver, sondern können subjektiv durchaus ehrlich gemeint sein, wenn es um die Umformung einer als schlecht, ungerecht, gefährlich oder reformbedürftig empfundenen Realität geht. In der Regel gilt als Ideologie ein System (positiv) oder Konglomerat (negativ) von Ideen, Haltungen, Zielvorstellungen und Wertungen, deren Wirkungen wichtiger erscheinen als ihre Inhalte. Es gilt, ihre Rolle in Politik und Gesellschaft, ihre Funktion im Zusammenhang mit politisch-sozialem Handeln und ihre Bedeutung bei der Organisation sozialer und ethnischer Gruppen (Wir-Gefühl, Ausgrenzung, Ächtung) zu analysieren. So stellt Werner Conze zutreffend fest  : »Sie legitimiert eigenes Handeln, erlaubt fremdes als richtig oder falsch zu beurteilen, rechtfertigt den gegenwärtigen sozialen Zustand oder gibt Mittel und Ziele für dessen Veränderung an und trägt zur (Selbst-)Identifizierung und zum Zusammenhalt von Parteien, Nationen etc. bei.«12 Nach den Erfahrungen mit den zwei Ideologien, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, dem Marxismus-Leninismus und dem Faschismus-Nationalsozialismus, steht natürlich die Ideologiekritik im Vordergrund, der es vor allem auf die Herkunft und Herausarbeitung unwahrer, mit der Realität nicht vereinbarer Gesichtspunkte und ihre Wirkungen im Fokus des analytischen Interesses ankommt. Es ist also wichtig, nicht nur die konkreten ideologischen Aussagen zu beschreiben, sondern auch Entstehung und Entwicklung, Träger und Adressaten sowie die Funktionen und Folgewirkungen von Ideologien in den Blick zu nehmen. Warum werden Ideologien erfunden und gegen alle Wirklichkeitserfahrung aufrechterhalten  ? Wer hat ein Interesse daran  ? Und mit welchen Absichten werden Ideo10 Ossietzky in  : Die Weltbühne v. 19.7.1932, 96 f.; Hugh Seton-Watson, »Faschismus rechts und links«, in  : W. Laqueur/G. L. Mosse (Hg.), Internationaler Faschismus. München 1966, 255 sowie Kroll, 1998, 22 und 157 ff., bei dem das im Untertitel genannte »politische Handeln« leider viel zu kurz kommt. 11 Lenk, 1971, 35. 12 In  : Brunner/Conze/Koselleck, 1982, Bd. 3, 168.

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logien angewandt  ? Solche und ähnliche Fragen gilt es, auch im Hinblick auf die »Blut und Boden«-Ideologie zu beantworten. Es sind außerdem Verfahrensmängel und Widersprüche in der Argumentation aufzuspüren, ob z. B. die Voraussetzungen, aus denen Schlüsse gezogen werden, richtig und vollständig sind. Ob hypothetische Annahmen sich unversehens in Behauptungen mit Wahrheitsanspruch verwandeln und falsche oder einseitige Kausalbeziehungen konstruiert werden. Ob das zu Beweisende stillschweigend in die Prämissen aufgenommen wird oder ob in einer Aussage ohne weitere Begründung Wertungen eingehen, die zur Beeinflussung der Adressaten dienen. In der Propaganda ist Ideologie ein Werkzeug von Demagogie und Polemik, sie hilft, Herrschaft zu destabilisieren und/oder zu etablieren und zu festigen Ideologien wohnt eine erhebliche Wirkungsmacht inne, sie sind Energiespender des Lebens. Selbst wenn man  – negativ  – annimmt, Ideologien würden als »falsche Lehre« die Wirklichkeit verbrämen und die Wahrheit verhüllen, sie würden helfen, Unrecht zu rechtfertigen, Machtansprüche zu legitimieren, sie würden zur Ermächtigung von Gewalt beitragen und dem Terror zum Durchbruch verhelfen, so wird damit ihre Wirkungskraft und ihr propagandistisches Potential nur bestätigt. Mit einem Gedankenexperiment hat Ian Kershaw dies verdeutlicht  : Wenn im Jahre 1926, als der zweite Band von »Mein Kanpf« veröffentlicht wurde, jemand prophezeit hätte, innerhalb von 15 Jahren stünde Deutschland in einem völkermörderischen Krieg gegen Rußland, in Polen würden Gaskammern errichtet, um die Juden in ganz Europa auszurotten, und außerdem würden Pläne entwickelt, Abermillionen von Slawen über die folgenden 25 Jahre nach Sibirien zu deportieren, um den Ostraum zu germanisieren, hätte man ihn wohl für wahnsinnig gehalten. Wenn er darüber hinaus 1926 behauptet hätte, dass derjenige, der dies zustande bringen würde, Adolf Hitler wäre  – anscheinend kaum mehr als ein wilder Fanatiker, Extremist, Radikaler, politischer Außenseiter, demagogischer Hitzkopf – hätte man das Urteil wahrscheinlich nicht revidiert. Dennoch geschah dies alles nach 1933.13

Weil mit Hilfe von Ideologien im politisch-sozialen Raum Interessen wahrgenommen, vertreten und durchgesetzt werden, weil sie Taten lenken und Handeln manipulieren können, spielen sie in der Propaganda eine erhebliche Rolle. Mit Ideologien werden im sozialen Machtkampf Gruppeninteressen verhüllt oder gerechtfertigt. Ideologien helfen, brüchig gewordene soziale Verhältnisse als so desaströs zu empfinden, dass ihre Rechtmäßigkeit nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Wenn es darum geht zu überzeugen, ein Wir-Gefühl herzustellen, wahre Absichten zu verhüllen oder »Fremdes« auszugrenzen, dann ist meist ideologiegesteuertes Denken und seine instrumentale Verwendung im Spiel. 13 Kershaw, 2003, 136.

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Immer wieder werden mit gleichen Begriffen unterschiedliche Inhalte transportiert. Welche Folgen das hat, kann man z. B. sehen, wenn Patriotismus und Nationalstolz mit Hilfe eines nationalistischen Sendungsbewusstseins, das an den einzigartigen Eigenwert glaubt, in Chauvinismus umgewandelt werden. Solche Mechanismen gilt es, mit Hilfe von Analyse und Ideologiekritik zu erkennen und offenzulegen. Das macht die Frage nach den Wegbereitern einer Ideologie wie der von »Blut und Boden« interessant und schwierig zugleich. Die Ideologie vom »Volk ohne Raum« diente dazu, imperialistische Kriegsziele zu rechtfertigen. Gerade die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Begriffs »Rasse« z. B. war eine vorzügliche Basis für ideologische Instrumentalisierung. Das sieht man insbesondere bei der Umsetzung der Vorstellung einer »Volksgemeinschaft«. Alle tradierten Strukturen (z. B. Religion oder Stand) oder konstruierte Differenzierungen (wie »Klassen« oder »Rassen«) werden in einem Umschmelzungsprozess aus- und gleichgeschaltet – und das Individuum bleibt dabei auf der Strecke. Im »Dritten Reich« konnte das »Artfremde« aus der »Volksgemeinschaft« mit Hilfe der »Blut und Boden«-Ideologie ausgegrenzt und sogar ausgerottet werden.14 Gewiss, Ideologien verschleiern und verdummen, sie emotionalisieren und verführen zu Begeisterung und/oder Resignation, zu Zustimmung und/oder Ablehnung, zu Sympathie und/oder Hass. Als »sprachlich geformte geistige Kräfte« (Erwin Hölzle) dienen sie dazu, Interessen zu vertreten oder zu verdecken, durchzusetzen oder ihre Durchsetzung zu verhindern, Handlungen zu initiieren, zu legitimieren, zu verweigern oder zu provozieren, weltanschauliche und politische Positionen sinnvoll erscheinen zu lassen oder ihnen einen Sinn zu geben, auch sozialen Zukunftsentwürfen zur Realität zu verhelfen. So hat Eduard Spranger Ideologie als »gedanklichen Zukunftsentwurf« bezeichnet, der keiner fundierten Wahrheitskritik unterworfen wird, sondern »von Wissens- und Glaubenskräften getragen […] fähig [ist], unmittelbare Motivationskräfte zu entfalten.« Und auch Max Weber, der betont, »Interessen (materielle und ideelle), nicht Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln des Menschen«, musste zugestehen, dass »die ›Weltbilder‹, welche durch ›Ideen‹ geschaffen wurden, sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt [haben], in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte.« Eugen Lemberg meinte sogar, »ideologische Systeme«, die Menschen antreiben, orientieren und steuern, seien anthropologische Konstanten, die bei Gruppenbildung und -abgrenzung eine wesentliche Rolle spielten.15 Es ist kaum zu bestreiten, dass Ideologien unser ganzes Leben – mehr oder weniger, direkt oder indirekt – bestimmen. Es wäre daher fahrlässig, angesichts der furchtbaren Folgewirkungen, die rechte und linke, braune und rote Ideologien im 20.  Jahrhun14 Zeltner, 1966 und Topitsch/Salamun, 1972. Im Übrigen  : A. Kuhn, »Herrschaftsstruktur und Ideologie des Nationalsozialismus«, in  : NPL 16/1971, 395 ff.; W. Michalka, »Geplante Utopie. Zur Ideologie des Nationalsozialismus«, in  : NPL 18/1973, 432 ff. und Zischka, 1986. 15 Hölzle, 1969, 84 f.; Eduard Spranger in dem Aufsatz »Wesen und Wert politischer Ideologien«, zit. n. P. E. Becker, 1990, 509  ; Max Weber in der Einleitung zum 1. Band seiner Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie, 1920 und E. Lemberg, 1977.

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dert gezeitigt haben, auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Prämissen und Voraussetzungen, ihren Herleitungen und Zielvorstellungen zu verzichten. Denn Täter, ihre Taten und Untaten, sind nur zu verstehen und zu beurteilen, wenn man ihre Motive, ihre Absichten und die Ideen kennt, die sie zu ihren Handlungen antreiben. Ideologien wollen die Welt, wie sie vorgeben, zum Besseren verändern und müssen deshalb besonders kritisch auf ihre Herkunft, ihre Substanz und ihre Zielstellungen hin untersucht werden. Dabei wird es nicht ohne Rückgriffe in die Ideengeschichte abgehen können  ; denn  : ohne Buch kein Buch und kein Buch ohne Buch, will sagen  : Man muss die Entstehungsgeschichte von Ideologien kennen, um sie besser verstehen zu können. Zur Einseitigkeit der Betrachtungsweise, die Ideologien kennzeichnet, gehört ein dichotomisches Denkmuster, ein Weltbild, das sich sicher ist, was gut und was böse ist, wer Freund und wer Feind und was richtig und was falsch ist. Oftmals werden Mythen benutzt, an die man glaubt oder glauben möchte. Hierzu gehören Mythen, die Gemeinschaft begründen, die Selbstbehauptung stärken und Existenzängste zu beseitigen versprechen. Zu solchen Mythen zählt Kurt Lenk Rasse und Volk, aber auch Nation und Vaterland  : Völkische Selbstbehauptung bedeutet  : Behauptung kollektiver werthafter Gebilde wie Nation, Vaterland, Volk, Rasse usw. Die Termini, die den kollektiven Machtwillen in den Ausdrucksideologien als fadenscheiniges Gewand umgeben, heißen nun »organischer Volkskörper«, »völkisches Wesen«, »autoritäre Demokratie« oder »wahrer Sozialismus«, »Scholle« oder »Blutskräfte« oder »artgemäßes Wesen« oder »Blut und Boden« (»Blubo«).16

Warum ist es wichtig, sich mit Ideologien wissenschaftlich zu beschäftigen, wenn sie doch so schwer zu bekämpfen sind  ? Horkheimer und Adorno meinten sogar, Ideologiekritik sei nur dann möglich, wenn das Ideengebäude rationale Elemente enthalte. Bei Irrationalismen, wie sie in der NS-»Weltanschauung« enthalten seien, versage das Instrumentarium der Ideologiekritik. Dem ist entgegenzuhalten  : Irrationalismus und Niveaulosigkeit sind keine ausreichenden Gründe, Ideologie als Geschwätz abzutun. Sie ist Manifestation vielleicht eines verwirrten oder gar kranken Geistes, aber als instrumentum regni kann auch »falsches Bewusstsein« fatale Folgen haben. Wörter und Begriffe prägen die Wahrnehmung. Und die Wahrnehmung steht in Wechselwirkung zur Wirklichkeit, wenn man auch beides nicht miteinander verwechseln sollte. Wer die Begriffe besetzt, hat auch Einfluss auf die Köpfe. Die Köpfe aber steuern die Taten. Das trifft insbesondere auch auf historisch-politische Deutungsmuster und durch sie gesteuerte Handlungen zu. Diejenigen politischen Kräfte oder Gruppen, denen es am

16 Lenk, 1971, 34.

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besten gelingt, ihre Interessen und Absichten mit positiv besetzten Traditionslinien zu verknüpfen, haben die größeren Chancen, sich durchzusetzen.17 Das war auch eines der Erfolgsrezepte der Nationalsozialisten. Sie suchten und fanden Formeln, mit deren Hilfe sie die weit verbreitete Enttäuschung und Unzufriedenheit der Menschen in Deutschland mit der Gegenwart (Demokratie, Republik, Kapitalismus) und die Angst vor der Zukunft (zivilisatorische Moderne, Kommunismus) zu bündeln und in eine bestimmte Richtung zu lenken verstanden. Wer die Frage Cui bono  ? einer Ideologie stellt, also die nach den Nutznießern, wird feststellen, dass Mythen oder Utopien als Antwort auf Strukturveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft eine große Rolle spielen können. Existenzängste öffnen ihnen dann den Weg zu Akzeptanz bei den Betroffenen. Sie wecken Gefühle der Hoffnung und sie mobilisieren Willenskräfte, weil sie eine sinnstiftende Wirkung haben bei denen, die einen Ausweg aus ihrer Not suchen. Auf diese Weise leisten Ideologien einen Beitrag zur Durchsetzung politischer Ziele und in der Feststellung und Beschreibung von deren Folgewirkungen liegt die eigentliche Bedeutung ihrer Thematisierung. Auch eine Sentenz wie »Junkerland in Bauernhand – rottet dieses Unkraut aus  !«, die das Täuschungsmanöver einer »Bodenreform« der Kommunisten in Ostdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg begleitete, macht deutlich, dass Ideologien als Anleitungen zu Verhaltensweisen, Einstellungen und auch zu politischen Taten benutzt werden. Anatolij Jakowlewitsch Rasumow, der in einer Buchreihe (Leningrader Martyrologium) das Schicksal aller Menschen, die von den Bolschewisten in der Stalin-Ära in seiner Heimatstadt ermordet wurden, zusammenträgt, stellt fest  : »Die Vollstrecker waren von sich überzeugt, sie hatten keine Angst. Sie mordeten im Namen einer Idee.«18 Ob »Unkraut« oder »Ungeziefer«, ob »liquidieren« oder »ausrotten«, aber auch bei der nur gewaltsam möglichen Eroberung von »Lebensraum« – am Anfang war das Wort. Ob Sozialrevolutionäre mit der Heilslehre des Kommunismus oder Nationalrevolutionäre mit dem Götzenbild der »arischen Rasse« – für beide gilt  : So wie Wörter zu Waffen werden können, so ist ein Ideengebäude, eine Ideologie – einmal in die Welt gesetzt – ein Werkzeug zur Gestaltung der Realität. Sie ist Anleitung zum politischen Handeln.19 Alexander Solschenizyn hat wohl recht, wenn er in seinem Monumentalwerk Der Archipel GULAG sagt, das Böse werde erst durch die Ideologie möglich. Macbeth sei noch von seinem Gewissen geplagt worden, weil ihm die Rechtfertigung seiner Untaten durch eine Ideologie gefehlt habe  : Es sei die Ideologie, so der russische Schriftsteller, »die der bösen Tat die gesuchte Rechtfertigung und dem Bösewicht die nötige zähe 17 M. Horkheimer/Th. W. Adorno, »Ideologie«, in  : Institut für Sozialforschung (Hg.), Soziologische Exkurse. Frankfurt/M. 1956, 162 ff. und Schöttler, 1989, 85 ff. 18 Nach  : Der Spiegel, 53/2015, 97. 19 Zur Enteignung der Bauern in der DDR vgl., neben der wissenschaftlichen Literatur, den eindrucksvollen Leserbrief von Dr. B. von Maltzan in  : Der Tagesspiegel v. 16.1.2011.

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Härte gibt.« Es sei die Ideologie, »die ihm hilft, seine Taten vor sich und vor den anderen reinzuwaschen, nicht Vorwürfe zu hören, nicht Verwünschungen, sondern Huldigungen und Lob.« So hätten sich die »Inquisitoren am Christentum, die Eroberer an der Erhöhung der Heimat, die Kolonisatoren an der Zivilisation, die Nationalsozialisten an der Rasse, die Jakobiner (die früheren und die späteren) an der Gleichheit, an der Brüderlichkeit und am Glück der künftigen Generationen« orientiert.20 Auch Ideen und Ideengebäude wie Ideologien sind Taten im Bewusstsein und können zu Taten in der realen Welt werden. »Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift« – wusste schon Karl Marx in seiner »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«. Und über die Auswirkungen »bloßer Worte« schrieb er  : »Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird.«21 So wie sich Stalin und Mao auf Marx, Engels und Lenin beriefen, also als Marxisten ihre Untaten vollbrachten, so entwickelten Himmler und seine »Ostraum«-Planer in der SS aus der »Blut und Boden«-Ideologie ihre mörderischen Aktivitäten und rechtfertigten sie damit. So zeigt sich an der nationalsozialistischen Bauerntumsideologie – Darré sprach vom »Staatsgedanken von Blut und Boden« –, dass ideologische Konzepte nicht nur »Überbau« dessen sind, was ist und was war, sondern auch dessen, was erst herbeigeführt werden soll.22 Bei der Implementierung eines idealtypisch formulierten Programms entstehen notwendigerweise Veränderungen. Entwurf und Normfestsetzung in Form von Gesetzen differieren und deren Auslegungsbedürftigkeit schafft wiederum in der politischen Realität andere Ergebnisse als ursprünglich gedacht und gewollt waren. Gesetzestexte können gedeutet und interpretiert werden. Sachzwänge, Interessen und entsprechende Interventionen verändern die Ausgangslage und führen zu abweichenden Ergebnissen. Der Weg von der Idee, der Ideologie über den normativen Vollzug und die Umsetzung in Wirklichkeit ist lang und dabei entstehen Veränderungen, die es wahrzunehmen gilt. Darauf ist auch bei der »Blut und Boden«-Ideologie und ihrer Umsetzung in staatliche und gesellschaftliche Realität zu achten. Historiker, vor allem, wenn sie an Strukturgeschichte interessiert sind, neigen dazu, die Bedeutung von Ideologien zu unterschätzen. Seit Leopold von Ranke aber wissen wir  : »In den einmal zur Herrschaft gekommenen Ideen liegt eine nötigende Gewalt.« Wenn dies schon auf die Zeit der Gegenreformation zutrifft, wie viel eher auf die »Zeit der Ideologien«, wie Karl Dietrich Bracher das 20.  Jahrhundert genannt hat. Ernst Nolte hat das »Dritte Reich« einen ausgeprägten »Ideologiestaat« genannt.23 Macht20 Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG. Bern 1974, Bd. 1, 172. 21 Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1956, Bd. I, 385. 22 Darré, BuB, 1941, 6. 23 E. Nolte, 1991, 165 ff.

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technokraten wie Goebbels, Göring, Bormann, Heydrich, Best oder Backe machten sich lustig über die ideologischen Marotten Rosenbergs und Darrés und deren »Mystizismus«. Einzig Himmler war es gegeben, beides, nämlich Machtstreben und Hang zur Esoterik, miteinander zu verbinden. Aber Ideologie ist mehr als esoterische oder mystizistische Versponnenheit. Goebbels, aber auch Backe, Darrés Stellvertreter und Nachfolger als Minister, und Konrad Meyer, Architekt des »Generalplans Ost« und Backes Gesinnungsfreund im Bereich der Agrarwissenschaften, sprachen abwertend von der »verschwommenen Romantik« des »Reichsbauernführers« Darré. Das war ein machttaktisch motiviertes verbales Manöver, denn auch sie, die Technokraten, waren vorher hinter der Fahne mit der Aufschrift »Blut und Boden« hermarschiert. Es gibt einen unleugbaren Zusammenhang zwischen doktrinär verstandener Ideologie und politischer Realität insbesondere in Diktaturen. Stalin wusste, wovon er sprach, als er die Schriftsteller »Ingenieure der Seele« nannte. Deshalb ist eine Untersuchung der hinter den Taten stehenden Gedanken, Ideen und Weltanschauungen zwingend geboten. »Die Ideologie des Nationalsozialismus bietet den besten Schlüssel zu seinen »Endzielen«. Sie zu studieren, ist weder sehr erfreulich noch einfach.«24 Was aber ist die »Ideologie des Nationalsozialismus«  ? Als angemessenster Ausdruck und plausibelste Begründung dessen, was die Nationalsozialisten anstrebten, galt und gilt die mit dem Namen R. Walther Darré verbundene »Blut und Boden«-Ideologie. Aber Darré ist im »Dritten Reich« gescheitert  : Er wurde schon ab 1936 in seinem Einfluss auf die Politik zurückgedrängt und ab 1942 war er, persönlich schon seit 1939 völlig wirkungslos, aus der operativen Politik ausgeschaltet worden. Trotzdem war damit die Wirkungskraft seines ideologischen Konzepts keinesfalls beseitigt, es wirkte auch ohne seinen Protagonisten, z. B. bei der Eroberung von »Lebensraum im Osten« Europas, fort.25 Deshalb geht es im Folgenden darum, ein Ideengebäude zu erforschen, das in der Endphase der Weimarer Republik wesentlich dazu beitrug, die Landbevölkerung zu Wählern der NSDAP zu machen, das in der Anfangsphase der Diktatur Hitlers die Bauern wie keine andere Bevölkerungsgruppe – auch nicht die Arbeiter – förderte. Es war die »Blut und Boden«-Ideologie, die erheblich dazu beitrug, denjenigen, welche die Rassen- und Expansionspolitik des Nationalsozialismus zu verantworten hatten, ein gutes Gewissen zu verschaffen. Der amerikanische Historiker Clifford R. Lovin betonte daher mit Recht die Bedeutung der »Blut und Boden«-Ideologie für die nationalsozialistische Agrar-, Gesellschafts- und Expansionspolitik  : 24 F. Neumann, 2004 (erstmals 1942), 65. 25 Vgl. Eidenbenz, 1993 und Kroll, 1998, der in Anlehnung an die polykratische Herrschaftsstruktur in der Hitler-Diktatur von »weltanschaulicher Polyzentrik« und »Pluralismus der nationalsozialistischen Welt- und Geschichtsauffassungen« spricht, indem er die entsprechenden Positionen Hitlers, Rosenbergs, Darrés, Himmlers und Goebbels’ unter der Überschrift »Utopie als Ideologie« miteinander vergleicht (19 und 309). Vgl. aber auch Mannheim, 1952 und Klepsch, 1990.

Ideologie als Anleitung zum Handeln

If Darré’s ideas were not original and if he was not the principal philosopher of Nazism, wherein lies the importance of a study of his ideas  ? The answer is that his presentation of these ideas was clear and comprehensive  ; and, perhaps more important, that he actually put them into practice. In addition, such a study can give insight into the motivations of an individual Nazi and can provide some hints as to why educated Germans could fall victim of the siren call of Nazism.26

Der Slogan »Blut und Boden« gehörte im »Staat Hitlers« (Martin Broszat) zweifellos zu den Formeln mit handlungsanleitenden und die politische Realität prägenden Wirkungen. Die dahinterstehende Ideologie hatte eine entsprechende Funktion im Hinblick auf den bäuerlichen Teil der Bevölkerung in den letzten Jahren der Weimarer Republik, aber auch im »Dritten Reich«. Für den Verantwortungsbereich R. Walther Darrés im »Dritten Reich« spielte die »Blut und Boden«-Ideologie hauptsächlich in den Themenfeldern Wahlkampf und Propaganda, »Erbhof«- und »Rassen«-Gesetzgebung, bei der ländliche Brauchtumspflege, bei der Etablierung des »Reichsnährstandes« und seiner »Marktordnung«, bei der »Neubildung deutschen Bauerntums«, wie Darré die Binnensiedlung nannte, und bei der »Lebensraum«-Eroberung eine maßgebliche Rolle. Die »Blut und Boden«-Ideologie war weder »sinnlos« noch »romantisch« noch gar »versponnen« oder »verschroben«. Sie hatte auch keine ökologischen Zielsetzungen eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Umganges mit der Natur. Sie war – in Darrés Verständnis  – eine reine Rassenideologie, eine Utopie zur »Züchtung« des Phantasieproduktes einer »nordischen Rasse«. So viel lässt sich schon nach der Erforschung und Beschreibung von Darrés Weltbild bis 1930 sagen. Da ist es auch nicht erkenntnisfördernd, die »Blut und Boden«-Ideologie mit Adjektiven wie »pathologisch« oder »eklektizistisch« abzutun  ; denn so wird die schlichte Tatsache übersehen, dass sie sich aus einer Neuadelsdebatte entwickelte, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts – in der Sinnkrise von Demokratie und republikanischer Staatsform in Deutschland – verstärkt geführt wurde. Es ist auch eine billige Effekthascherei, wenn süffisant darauf hingewiesen wird, dass Darré als anthropologischer Dilettant das Hausschwein als Kriterium für die Lebensweise und das Selbstverständnis von Ethnien herangezogen hatte. Solche Verharmlosung, mit gerümpfter Nase quasi, ändert nichts an seiner Wirkmächtigkeit und den Folgen der »Blut und Boden«-Ideologie im Prozess der Entdemokratisierung Deutschlands auf dem Weg in eine totalitäre Diktatur. Himmler als »überspannten Kleinbürger und Hühnerzüchter aus Waldtrudering« zu bezeichnen ist eine journalistische Effekthascherei, die davon ablenkt, dass es sich um einen der größten Massenmörder der Geschichte handelt, dessen Taten auch mit der »Blut und Boden«Ideologie gerechtfertigt wurden.27 26 Lovin, 1967, 282. 27 Vgl. u. a. Fest, 1964, 157 und 171  ; Herbert, 1996, 18 und E. Conze/Weinfort, 2004, 151 ff.

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Theodor Eschenburg verzichtet in dem Begleittext zur Veröffentlichung von Himmlers Rede anlässlich der SS-Gruppenführertagung am 4. Oktober 1944 in Posen darauf, jeden seiner furchtbaren Sätze analytisch an den Pranger zu stellen. »Denn das Wesentliche an der Demagogie ist nicht die widerlegbare Darstellung im einzelnen, sondern die verzerrte Sicht im Ganzen. Der Demagoge taucht alle Dinge in ein falsches Licht  ; es ist daher müßig, ihn Punkt für Punkt zu widerlegen.«28 So soll auch bei der Darstellung, Analyse und Einschätzung der »Blut und Boden«-Ideologie, ihrer Einbettung in den jeweiligen ideengeschichtlichen Kontext, ihrer Implementierung in den NS-Staat und ihrer Folgewirkungen in der realen Politik vor und nach 1933 verfahren werden. Es ist müßig, sich mit allen Absurditäten und inneren Widersprüchen in Denken und Werk Darrés auseinanderzusetzen oder gar alle Irrtümer, Fehler und Missverständnisse zu widerlegen – auch nicht in einer Biographie. Historisch relevant ist allein die Darstellung und Analyse der »Blubo«-Ideologie im Hinblick auf das, was im »Dritten Reich« daraus gemacht wurde, bzw. darauf, welchen Einfluss die gedanklichen Entwürfe und Konzepte Darrés auf die Politik im »Staat Hitlers« hatten.29

28 Eschenburg, 1953, 362. 29 Zum Thema ›Ideologie und Nationalsozialismus‹ vgl. u. a. Bracher, 1982  ; Broszat, 1958, 53 ff.; Schulz, 1975, 470 f.; Childers, 1983, 218 f.; Kershaw, 1983, 102 ff. und Klepsch, 1990.

2 Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré: Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse Entstehung und Zielsetzung des Buches Im Jahre 1927 war im J. F. Lehmanns Verlag das Buch des Bonner Ordinarius für allgemeine Geschichte, Fritz Kern, Stammbaum und Artbild der Deutschen und ihrer Verwandten. Ein kultur- und rassengeschichtlicher Versuch, erschienen. Der Verfasser stützte sich weitgehend auf archäologische, frühgeschichtliche, ethnologische und anthropologische Forschungen, sein erklärtes Ziel war eine ordnende Synthese aller dieser Disziplinen in kulturgeschichtlicher Hinsicht  – selbstverständlich wissenschaftliche Objektivität beanspruchend. Mit dem Satz, jedem Historiker sei »klar, daß nicht ein Gesichtspunkt, auch der der Rasse nicht, alles erklären kann und sich seine Überschätzung ebenso rächt wie seine Vernachlässigung«, setzte sich Kern bewusst von denjenigen geistigen Zeitströmungen ab, die alle geschichtlichen Erscheinungen als Ausdruck von »Rassen«-Gegensätzen erklären wollten.30 Doch war es nicht so sehr dieser Sachverhalt, der Günther und insbesondere Darré auf den Plan rief, als vielmehr Kerns Äußerungen zum Zusammenhang von »nordischer Rasse« und Bauerntum, wie sie das in seinem Titel schon bezeichnende Kapitel »Herren und Bauern« zum Inhalt hatte. Der Bonner Universalhistoriker teilte – mit Paudler und Hentschel  – die »nordische Rasse« entwicklungsgeschichtlich in zwei Stränge auf  : eine »dalische Rasse« (Hindenburg-Typ) schwerer, ruhiger, eckiger Menschen, die vom altsteinzeitlichen sogenannten Cro-Magnon-Menschen abgeleitet wurde, und eine »nordische Rasse« schlanker, beweglicher Menschen.31 Diese letztere »nordische Rasse« wurde in nähere Verwandtschaft mit den »Rassen« des Mittelmeergebietes gebracht, insbesondere der »westischen«, aber auch der »orientalischen« und »hamitischen«. Fritz Kern (1884–1950), der von der Mediävistik herkam und sich – dem Zeitgeist entsprechend – auf das glatte Parkett der »Rassen«-Geschichte eingelassen hatte, war keineswegs ein Gegner »nordischen« Gedankenguts, sondern begrüßte die Diskussion über verschiedene »Rassen« als »Gegenbewegung gegen die Gleichmacherei« vieler Zeitgenossen. Aber er lokalisierte die »nordische Rasse« für die Eiszeit in den weiten Steppen Zentralasiens und Osteuropas, weswegen er ihr auch den Namen »eurasische Rasse« geben wollte. Das musste Darrés Phobie gegen die These »ex oriente lux« 30 Kern, 1927, 3. 31 Vgl. Fritz Paudler, Die hellfarbigen Rassen. Heidelberg 1924 und Willibald Hentschel, »Rasse-AusleseRecht. Der bäuerliche Zuchtkreis«, in  : die kommenden. Überbündische Wochenschrift der deutschen Jugend, 6. Jg., 1. Folge, 2. Hartung [ Januar] 1931.

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auf den Plan rufen, sah er doch die »Kulturwiege der Menschheit« nicht im Osten, sondern im nördlichen Mitteleuropa stehen.32 Außerdem behauptete Kern, die enge Verwandtschaft der südeurasischen »semito-hamitischen« und der nordeurasischen »indogermanischen« Völker bestehe in ihrer gemeinsamen vorgeschichtlichen Hirtenkultur. Im Laufe einer durch Jahrtausende sich fortsetzenden Anpassung an das Leben als Wanderhirten seien in diesen »Rassen« jene Eigenschaften herangezüchtet worden, die sie zu ihrer Herrenstellung und ihren Kulturleistungen befähigt und sie zu einer eiszeit-jägerischen »Hochzucht« gemacht hätten. Kern, der seit 1922 in Bonn lehrte und sein Buch dem Andenken Friedrich Ratzels gewidmet hatte, stellte also den »semito-hamitischen« und eurasischen »Herrenrassen« sesshafte »Pflanzerrassen« gegenüber, zu denen er im europäischen Raum die »dalische Rasse« zählte, und kam so zu seinem Gegensatz »Herren und Bauern«.33 Auch diese Behauptung konnte Darré nicht gefallen, hatte er sich doch in seinem Studium den Standpunkt erarbeitet, sesshafte »nordische« Bauern als »Herrenrasse« zu kennzeichnen und Wanderhirten als negativ konnotierte »Nomaden«. Mit seinem Buch forderte der seriöse Bonner Historiker also sowohl den »Rassenkundler« Günther als auch den das Bauerntum hochlobenden Tierzuchtexperten Darré zum Widerspruch heraus. Die »Nordische Bewegung« sah sich in zweifacher Hinsicht gefährdet  : Einmal war die Ursprünglichkeit der »nordischen Rasse« durch die Kennzeichnung einer »Abart«, eben der »dalischen Rasse«, in ihrer Entwicklungsgeschichte in Frage gestellt. Andererseits wurde der bisher so sehr betonte Unterschied zwischen »Ariern« und »Juden« durch ihr beiderseitiges Hirtenkriegertum verwischt. Der Eugeniker Fritz Lenz drückte die erstere der beiden »Gefahren« in seiner sehr wohlwollenden Kritik des Kern’schen Buches recht drastisch aus  : Die nicht unbedenkliche Forderung einer »Wiedervernordung« im Sinne Günthers wird ja schon durch die Einsicht, daß die bäuerliche Grundlage des Germanentums schon in der ältesten Zeit ›dalisch‹ gemischt, vielleicht sogar vorwiegend ›dalisch‹ war, mindestens stark eingeschränkt […]. Die Herausarbeitung der ›dalischen‹ Rasse wird hoffentlich die Folge haben, daß Millionen deutsche Volksgenossen, die mehr in die Breite gebaut sind, als es dem nordischen Idealtypus entspricht, sich nicht mehr als ›ostisch‹ und damit als zurückgesetzt fühlen werden, wie sie das unter dem Einfluß der Lehren Günthers […] vielfach getan haben.34

Damit wies selbst einer der führenden Eugeniker Deutschlands auf das Problem der wertenden Hierarchisierung von »Rassetypen« hin, die damals immer weitere Verbrei32 Darré, »Tierwanderungen und Urheimat der Arier«, 1925, in  : Darré, EuW, 9 ff. 33 Kern, 1927, 196 ff. und 280 ff. 34 Münchener Medizinische Wochenschrift, 1923, Nr. 47, 2028. Lenz bezeichnet darin das Buch Kerns als »das genialste, welches seit Gobineaus Essai über die Bedeutung der Rasse für die Geschichte geschrieben worden ist.« Das folgende Zitat Kerns ebd.

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tung auch in wissenschaftlichen Kreisen fand. Der Bonner Historiker Kern gehörte dazu, wenn er das Aufkommen des »nordischen Gedankens« damit »begrüßte«, wo immer Kräfte geweckt würden, »welche der Entartung entgegenwirken, müssen sie willkommen sein«. Und auch bei Günther und Darré war Bewertung der einzelnen »Rassen« von Anfang an selbstverständlich. Auf den Gefahrenpunkt, welcher der »Nordischen Bewegung« von Kerns Konzeption her drohte, machte Günther selbst aufmerksam, wenn er auf Reaktionen hinwies, »nach Kern« könnten nun keine »rassenmäßigen« Gründe gegen das Judentum mehr angeführt werden, denn »Nordische Rasse« und »Semiten« erschienen ja so »nächst verwandt.«35 Günther war dieser »Gefahr« ausgewichen, indem er in sein Rassenschema die »dalische Rasse« unter dem Namen »fälische Rasse« aufnahm, doch wehrte er sich dagegen, sie als »Abart der nordischen Rasse« zu bezeichnen. Um die Möglichkeit einer Verwischung der Unterschiede zwischen »Ariern« und »Juden« auszuschließen, wies er darauf hin, Kern habe zwar eine Verwandtschaft zwischen »nordischer Rasse« und »Semiten« festgestellt, das Judentum sei aber schon seit etwa 1000 v. Chr. nur noch sprachlich, nicht aber »rassenmäßig« zum »Semitentum« zu rechnen.36 Mit dieser vorläufigen Stellungnahme des geistigen Führers der »Nordischen Bewegung« zu Kerns Buch war aber die Kontroverse für Darré, der sich das Buch im November 1927 vom Verleger Lehmann hatte zuschicken lassen, noch nicht beendet. Ihn traf an der Theorie des Bonner Geschichtswissenschaftlers besonders, dass die »nordische Rasse« ein Hirtenkriegervolk gewesen sein sollte. Der von ihm herausgearbeitete Unterschied zwischen »Arier« und »Jude«, der in der Gegenüberstellung von sesshaftem Bauern und »schmarotzendem Nomaden« bestand, war in Frage gestellt. Außerdem sah Darré eine Gefährdung der »Nordischen Bewegung« insofern, als die »nordische Rasse« als wenig bodenständige, ursprünglich nomadische Erobererschicht, die ihr Herrentum über die friedliche Arbeit von Bauern errichtet habe, in der abendländischen Welt in Misskredit geraten könnte  ; denn für ihn stand fest, dass die abendländischen Völker ihre Kraft und Kultur aus dem Bauerntum gewonnen hätten. Günther drückte diese Darré’sche Perspektive klar aus  : »Waren die nordischen Menschen im Grunde nicht bäuerlichen Wesens, so waren sie für das Abendland von sehr vermindertem Wert  !«37 Darré wollte beweisen, dass »eine Trennung der menschlichen Rassen« – wie Kern sie vornahm  – »in solche der aufbauenden Werktätigkeit und solche des ausschließlich kriegerischen Führertums nicht zu Recht besteht.« Wie Günther so ging es auch Darré nicht so sehr um die Richtigkeit der Kern’schen Darlegungen, auch nicht um die quellengestützte Haltbarkeit seiner Thesen, sondern um die Wertungen, die damit verbunden waren. 35 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹ und der nordische Gedanke«, in  : DE, März 1930, 138. 36 Ebd. Die »fälische Rasse« tauchte in Günthers RkdV erstmals in der 12. Auflage 1928 auf. 37 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 138.

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Für eine Bewertung der menschlichen Rassen ist damit leicht eine gedankliche Einstellung gegeben, die der Nordischen Rasse ihre Bedeutung in der Vergangenheit zwar nicht abstreitet, aber heute in ihr nur eine Art von notwendigem Übel erblickt und die eigentlich werktätige Arbeit anderen Rassen zuspricht.38

Neben diesem Moment einer Angreifbarkeit der ihm so sehr am Herzen liegenden »Nordischen Bewegung« durch die Einschränkung der »Herrlichkeit« der »nordischen Rasse« war es aber wohl in der Hauptsache die Position, welche sich Darré im Laufe seines Studiums erarbeitet hatte, die ihn dazu anregte, gegen Kern Stellung zu nehmen. In seiner Diplomarbeit vom Herbst 1924 über die Domestikation der Haustiere, die – wie sein Vater festgestellt hatte – der Untersuchung »über Nomaden- und Hirtenleben, über Germanen und Semiten« weiten Raum gegeben hatte, war Darré ein kulturgeschichtlicher Zusammenhang zwischen Menschen und Haustieren aufgefallen  : Er hatte in der Geschichte der Haustierwerdung ein Reagenz für die Kulturgeschichte der Menschheit entdeckt. Es war für Darré nur logisch, im Zusammenhang mit seinen von Chamberlain und Günther geprägten weltanschaulichen Prämissen auf das Auf und Ab im Leben der Völker und die Wechselbeziehung von »Rasse« und »Kultur« zu schließen. Dies geschah in seiner Studie Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung, die im Wintersemester 1925/26 in Gießen entstanden war. Darré bekannte sich in dieser Arbeit dezidiert zu der Methode, eine vorgefasste Meinung durch »wissenschaftliche« Empirie zu bestätigen  ; ja, er sah  – wie Chamberlain – darin sogar eine unbedingte Voraussetzung produktiver, d. h. schöpferischer geistiger Arbeit. Ohne »ausgesprochen leitende Idee« bleibe wissenschaftliches Arbeiten lediglich sterile »Registrierung der vorgefundenen Tatsachen«, schrieb er.39 In diesem Sinne stand am Anfang seiner Überlegungen die ebenfalls von Chamberlain vertretene These  : Die »Urheimat« der »nordischen Rasse« sei der Norden Europas, dort befinde sich die Quelle aller Kultur. Darré suchte und fand eine Bestätigung dafür bei dem Archäologen Schuchhardt und dem Paläontologen Walther, seinem Lehrer in Halle.40 Aus ihren Forschungen zog er biologische Folgerungen und kam so zu einer »wissenschaftlichen Bestätigung« seiner »leitenden Idee«.41 Die bisher in der anthropologischen Kulturgeschichte verbreitete Vorstellung, dass mit dem Ackerbau auch alle Kultur aus dem kleinasiatischen Raum nach Europa gekommen sei (»ex oriente lux«), fand Darré widerlegt  : Die »Indogermanisierung der Welt« sei vom Norden Europas her erfolgt, stellte er selbstsicher fest.

38 Darré, Bauerntum, 1929, 1 und 472. 39 Darré, Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung (gedruckte Fassung 1936), 68 f. 40 C. Schuchhardt, Alteuropa in seiner Kultur und Stilentwicklung. Berlin 1919  ; J. Walther, Allgemeine Paläontologie. Geologische Fragen in biologischer Betrachtung. Berlin 1922. 41 Vorspruch Darrés zur Drucklegung des Manuskriptes 1936.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

Da die »nordische Rasse« alleinige Trägerin der Kultur sei, müsse Nordeuropa der »Urquell aller Gesittung« und die »Urheimat der nordischen Rasse« gewesen sein. Auch in der »Völkischen Bewegung« war dies die Königsfrage schlechthin. Eine asiatische Herkunft der »Arier« oder Germanen galt in ihren Kreisen als verhängnisvolle Irrlehre.42 Durch seine Untersuchung der Geschichte der Haustierwerdung sah sich Darré in seiner These ihrer nordeuropäischen Herkunft bestätigt. Insbesondere das Schwein als Haustier der »nordischen Rasse« schließe für sie die Existenz einer nomadisierenden »Wanderrasse« aus.43 Ganz nebenbei gab er auf die in der Kultur- und Sprachgeschichtsforschung hoch umstrittene und heiß diskutierte Frage eine umfassende, das Verhältnis des Menschen zur Natur grundsätzlich bestimmende Antwort. Sie machte aus »den Juden« immer und zu allen Zeiten Nomaden, aus den Menschen »nordischer Rasse« hingegen immerwährende Bauern  – und das mit naturwissenschaftlicher Gewissheit. Der geistige ›Aufhänger‹ zu allen Überlegungen, die Darré zu diesen Themen anstellte, war also die Konstruktion eines »unversöhnlichen Gegensatzes« von Nomade und Ackerbauer  : »So weit wir blicken können, stehen sie sich in unüberbrückbarer Todfeindschaft gegenüber«, war er überzeugt. »In der ganzen Weltgeschichte« gebe es »kein wichtigeres Problem« als diesen Antagonismus, der seine Ausprägung in besonderem Maße durch den »Rassenunterschied« erhalte. Der Nomade, beherrscht von einem »vollendeten Verwertungsinstinkt« und völliger »Unfähigkeit zur produktiven Arbeit«, sei besonders im »Semitentum« verkörpert, und in dieser Menschengruppe wiederum seien »die Juden« die »begabtesten und hervorragendsten Vertreter«.44 Sei beim »Semiten« das Grundprinzip des Gemeinschaftslebens Absolutismus bzw. Byzantinismus, so sei der »Arier« als Prototyp des Ackerbauern durch eine aristokratische Gliederung der Gesellschaft charakterisiert. Darré übernahm in dieser Beziehung von Chamberlain die Sicht in weiträumigen kulturhistorischen Zusammenhängen. Die Geschichte stellte sich ihm dar als fortdauernder Kampf der »nordischen und semitischen Rasse« und ihrer Lebens- und Staatsauffassungen. Ja, er war sogar davon überzeugt, dass die ersten Staatsbildungen überhaupt dadurch entstanden seien, dass sich die »Arier« gegen die räuberischen Nomaden, die »Semiten«, hätten verteidigen müssen  : »Damit wurde aus dem Keim zum Staat der Staat schlechthin, und die Geschichte begann.« Auf der gleichen Linie liege der seinen Zeitgenossen altvertraute Gegensatz Kultur–Zivilisation, der von Darré im Sinne seiner Gegenüberstellung Nomade/»Semit«–Bauer/»Arier« eine besondere Nuance erhielt. Er 42 Vgl. hierzu Puschner, 2001, 84 f. 43 Das Kapitel VIII, 71 ff. seiner Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung handelt besonders ausführlich von der Wechselbeziehung zwischen Menschen und der sie umgebenden Tierwelt in der Kulturgeschichte. Besonders das Schwein (76 ff.) diente ihm als Unterscheidungs- und Charaktermerkmal der »Rassen« und Stämme. 44 Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 29 und 66. Seite 60 schreibt er  : »Die Werte zu erringen ist ihm [»dem Semiten«] nur durch Raub möglich, denn erarbeiten kann er sie sich nicht.«

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sah die beiden Nomadenvölker, »Semiten« und Mongolen, wie sie »durch die Jahrtausende, trotz aller scheinbaren Aufenthalte und Abweichungen konstant der Wiege der Kultur entgegen[gehen], der Heimat der nordischen Menschen, dem Norden Europas zu.« Für Darré waren die »semitischen« Juden Wegbereiter der negativ konnotierten Zivilisation, im »nordischen« Menschen dagegen sah er den Verteidiger der positiv gekennzeichneten Kultur, die einzig im Ackerbau begründet liege.45 Es ist einleuchtend, dass Darré aufgrund dieser Position nicht auf das Buch von Kern und dessen These, ein kriegerisch-nomadisierender Adel »nordischer Rasse« sei über bäuerlichen Hörigen »fälischer Rasse« geschichtet gewesen, schweigen wollte. Im Gegenteil  : Er nutzte die Veröffentlichung Kerns als Anlass für eine eigene Buchpublikation. Schon in seinen Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung, die mehr als ein Jahr vor der Veröffentlichung Kerns entstanden waren, hatte Darré die Fronten klar bezeichnet  : Allerdings gehört zur Beurteilung des Nomaden, daß man […] nicht in Verkennung der Wirklichkeit Vorstellungen kultiviert, die schließlich zu dem heute beliebten Ergebnis führen, etwa die Germanen bei ihrem ersten Zusammenprall mit den Römern noch als ein nomadisierendes Jägervolk hinzustellen.46

Aus dieser Situation »einer für mich notwendigen Auseinandersetzung« heraus entstand also Darrés Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse.47 Er war im Januar 1927 dem »Nordischen Ring« beigetreten, seine Erwiderung auf Kern entstand demgemäß in enger Anlehnung an die »Nordische Bewegung« und besonders an deren spiritus rector, Hans F. K. Günther. Der briefliche Kontakt, in dem beide seit Januar 1927 standen, erweiterte sich im Laufe der Zeit immer mehr zu gegenseitigen Anregungen, Hinweisen und Gedankenaustausch. Am 8. März 1927 schrieb Günther an Darré  : »Ich muß sagen, daß mir Ihre Briefe immer nicht nur eine große Freude machen, sondern immer auch wertvolle Anregung bedeuten. Sie sind einer der wenigen, die wirklich verstehen, in wie weite Bezirke die Rassenfrage hineinspielt.«48 Darré hatte seine Studie Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung noch ganz in geistiger Abhängigkeit von H. St. Chamberlain geschrieben.49 Günther dagegen stand er damals noch recht reserviert gegenüber. Er fand dessen »Rassenkunde« zwar »als Orientierung ausgezeichnet«, doch im Ganzen war ihm das Werk zu »summarisch«. Besonders wenn er sich in diesem Zusammenhang gegen die Annahme einer »biologischen Konstanz der nordischen Rasse« wendet, leuchtet der Einfluss Cham45 Ebd., 61 f. und 67. 46 Ebd., 30. 47 Darré, Bauerntum, 1929, Vorwort. 48 StAG, NLD, Nr. 84. 49 Vgl. den ausdrücklichen Hinweis auf Chamberlains Grundlagen  : Darré, Haustierwerdung, 58.

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berlains durch. Zwar stammten alle »arischen« Völker aus ein und derselben »Urheimat, die ihnen ihr Gepräge aufdrückte«, doch seien sie untereinander doch recht verschieden. Spartaner und Athener, Griechen und Römer müssten wohl als »nordische« Völker angesehen werden, dennoch seien sie sehr verschieden gewesen. Dieser augenscheinlich von Chamberlain inspirierte »Rasse«-Begriff Darrés gipfelte in der hellsichtigen Bemerkung, »daß es trotz aller Definitionen so etwas wie eine Rasse streng genommen gar nicht gibt. Denn das, was wir als Rasse bezeichnen, ist ein Hilfsmoment der Systematik, aber nichts Absolutes, Unabänderliches.«50 Das hätte denjenigen, die eine »Aufnordung« der Deutschen auf ihre Fahne geschrieben hatten, zu denken geben müssen. Aber auch Günther war Darrés Position, Kriterien der Tierzucht auf den Menschen anzuwenden, nicht ganz geheuer. Überhaupt kann ich nicht so leicht, wie Sie annehmen, Erfahrungen der Tierzucht auf die Frage menschlicher Auslese übertragen. Mit der zielbewußten Auslese einerseits und Ausmerze andererseits, mit der in der Tierzucht vorgegangen wird, läßt sich ja bei den Rassen der Menschheit nicht rechnen.51

Doch mit zunehmendem Kontakt Darrés zu Mitgliedern des »Nordischen Ringes« und besonders zu Günther selbst schwanden diese Bedenken gegenüber einem starren »Rasse«-Begriff einerseits und der Anwendung tierzüchterischer Prinzipien auf die Menschheit andererseits. In einem späteren Brief an Edgar Jung charakterisierte Darré selbst diese seine Entwicklung  : Er liebe die »Nordische Bewegung« gerade um ihrer ideellen Ziele willen, »nachdem auch ich mich habe zu ihr erst durcharbeiten müssen«.52 Dieses »Durcharbeiten« wird besonders an Darrés bis dahin sehr diffus verwendetem »Rasse«-Begriff sichtbar  : Er changierte noch abenteuerlich zwischen der Linguistik und der Biologie. Schon in der 9. Auflage 1926 seiner Rassenkunde des deutschen Volkes hatte Günther geschrieben, »die Bezeichnung arisch« sei »heute wissenschaftlich unbrauchbar geworden und ihre Anwendung ist dringend zu widerraten, zumal sich in nicht-wissenschaftlichen Kreisen das Wort arisch […] in einer ganz verschwommenen Anwendung« finden lasse. Hatte Darré in seiner Studie Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung Günthers Rassenkunde nur bedingt empfohlen und ausdrücklich betont, er wolle nur anregen, es liege ihm fern, Behauptungen aufzustellen (»Wir wissen auf dem Gebiet der menschlichen Rassenkunde vorläufig wenig«), so war sein Hinweis auf Günther in seinem Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse uneingeschränkt positiv.53 50 Ebd., 97 f. 51 Günther an Darré, 17.1.1927 (StAG, NLD, Nr. 84). 52 Darré an E. Jung, 4.3.1929 (ebd., Nr. 437). 53 Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 100 und Günther, RkdV, 1926, 283.

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Nun schrieb er selbstbewusst im Vorwort des Buches, seine »von einem klar bestimmten Standpunkt aus« geschriebene Untersuchung wolle einiges »zur Klärung über das Wesen der Nordischen Rasse beitragen«.54 Auf dieser Linie gegenseitigen Entgegenkommens lag Günthers Bemerkung, mit der er seinen Einwand, er sehe die »nordische Rasse« nicht so bäuerlich wie Darré, wieder ironisch einschränkte  : »Ich bin entwurzelter Städter und kann diese Dinge vielleicht nicht so deutlich sehen.« Aber war Darré nicht auch ein »entwurzelter Städter«  ? Es war augenscheinlich das gleiche Vor-Urteil − Darré sprach von den »ideellen Zielen« der »Nordischen Bewegung« −, das alle Unbestimmtheiten, gegensätzlichen Ansichten, Ungereimtheiten und Widersprüche überbrückte.55 Darré hatte im Spätherbst 1927 das Manuskript seiner Auseinandersetzung mit Kern an Günther zur Beurteilung geschickt. Dieser fand die Arbeit »zum größten Teil glänzend«, er machte nur kleine formale und stilistische Einschränkungen. Günther monierte »falsche und schiefe Bilder« und stellte fest, es gelinge Darré »nicht immer, das, was Sie wollen, schlackenfrei auszudrücken. Manches wirkt unbeholfen.« Besonders störte ihn der häufige Gebrauch von Fremdwörtern, »die eben wir Reiniger der Rasse vermeiden müssen, denn Sprachreinheit ist doch so etwas wie ein sekundäres Rassenmerkmal seelischer Art, und wir müssen doch froh sein, daß das Deutsche nicht ein so gräßlicher Bastard geworden ist wie das Englische«. Außerdem glaubte der vorsichtigere Günther, den Eifer Darrés etwas bremsen zu müssen  : »So wird es sich auch empfehlen, hier und da statt ›Nordische Rasse‹ lieber zu sagen ›vorw. nordische Bevölkerungen‹ oder so ähnlich. Sonst wird das Ganze etwas doktrinär.« Sprach er da – angesichts seiner eigenen »Rassentypen« – nicht pro domo  ? Schließlich empfahl Günther Darré, die Arbeit, die als Aufsatz doch zu umfangreich sei, als »Schrift auszugestalten […] und diese bei Lehmann erscheinen [zu] lassen«.56 Schon zwei Monate später folgte Darré diesem Rat und schickte das überarbeitete Manuskript, dem er den Titel »Bauern, Krieger und Nordische Rasse« gegeben hatte, an Lehmann nach München.57 Er berief sich hierbei ausdrücklich auf »den Vorschlag von Herrn Dr. Hans F. K. Günther«. Nun – beim zweiten Anlauf – wurde das Manusskript angenommen und der Vertrag zwischen Lehmann und Darré am 9. Mai 1928 unterzeichnet.58 Unter Mitarbeit eines Mitglieds des »Nordischen Ringes«, 54 Darré, Bauerntum, 1929, Vorwort. 55 Günther an Darré, 3.1.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). 56 Ebd. Vgl. auch Günthers Gebrauch des Wortes »Erbgesundheitslehre« für »Rassenhygiene« oder »Gesittung« für »Kultur«, welch Letzteres übrigens von Darré übernommen wurde. Es dürfte auch auf dieses deutschtümelnde Sprachgefühl Günthers zurückzuführen sein, dass Darrés Bauerntum Wörter wie »Spatenwissenschaft« (80) und »Wandbildwerfer« (290) enthält. An einer anderen Stelle (Darré, EuW, 1940, 63) ersetzt er gar »Materialismus« durch »Erdstoffverehrung«. 57 Konzept für einen Brief Darrés an Lehmann v. 22.3.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). Noch am 14.6.1928 hatte das Buch diesen Titel, wie das Typoskript des Titelblattes (ebd., Nr. 87) ausweist. 58 Der erste Versuch, das Manuskript »Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung« bei Lehmanns

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

des Bochumer Studienrats mit den Fächern Deutsch und Musik Richard Eichenauer, den Günther an Darré empfohlen hatte, gelang es bis Mitte Dezember 1928, das Manuskript auch stilistisch druckreif zu machen.59 Eichenauer60, damals 35 Jahre alt, konnte als Lektor sicherlich manche Stilblüte Darrés tilgen, es blieben in der Druckfassung aber noch viele ungeschickte und unklare Formulierungen und auch Günther wies in seiner Rezension trotz allen Lobes darauf hin, Darrés Darlegungen seien da und dort zu breit und ausführlich geraten, um »schlagkräftig« zu sein.61 In einem intensiven Gedankenaustausch entschieden sich Darré, Lehmann und Eichenauer für einen neuen Titel des Buches. Aus »Bauern, Krieger und Nordische Rasse« wurde zunächst »Bauerntum als lebensgesetzliche Grundlage der nordischen Kultur« und schließlich Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse.62 Es ist hierbei bezeichnend, dass man sich schließlich doch für die Verwendung des Begriffs »Nordische Rasse« entschied  ; denn deren Renommee war es ja eigentlich, das − wie auch Günther meinte – durch Kerns Buch in Gefahr geraten war. Darré selbst drückte diesen Sachverhalt in einem Brief an Lehmann nochmals aus  : Wenn zwischen der nordischen Rasse und den Semiten kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied besteht, so ist damit logischerweise die Bedeutung der nordischen drucken zu lassen, war im Mai 1926 gescheitert. Nun fand Lehmann, »die nordischen Zuchtgesetze« seien »in ganz prächtiger Weise« zur Darstellung gekommen, und bemerkte in einem Brief an Darré v. 14.11.1928, er selbst habe »gründlich umzulernen« gehabt (M. Lehmann, 1935, 225 f.). 59 Am 3.1.1928 hatte Günther an Darré geschrieben  : »Sie sollten sich m. E. nur noch bestreben, Ihre Ausführungen stilistisch auf die gleiche Höhe wie inhaltlich zu bringen.« Außerdem Günther an Darré, 16.4.1928, Darré an Eichenauer, 11.5.1928 und dessen Einverständnis v. 12.5.1928 (StAG NLD, Nr. 84). 60 Nach Beiträgen in Sammelbänden (u. a. Hermann Meyer [Hg.], Der deutsche Mensch, 2. Bde. München 1925, Bd. I  : Völkische Weltanschauung, 63 ff.) und Zeitschriften wie VuR (»Über nordische Melodik«, März 1930, 30 ff.) und Die Sonne (u. a. »Der Untermensch auf der Opernbühne«, Nov. 1930, 503 ff.) publizierte Eichenauer im Lehmanns Verlag 1932 das Buch Musik und Rasse (2. Aufl. 1937). Darin hatte er Richard Wagner, den Freund Gobineaus und Schwiegervater H. St. Chamberlains, zum Typus des »nordischen Menschen« erklärt (Musik und Rasse, 224 f.). 1933 erschien sein Aufsatz »Deutschunterricht und Rassenkunde« in der Zeitschrift für Deutschkunde (522 ff.), worin er für eine »Durchdringung des Deutschunterrichts mit einer bestimmten rassenseelischen Haltung« warb. Gemeint waren konkret die »Glanzzeit des nordisch-germanischen Menschen« in Antike und Hochmittelalter und die »überragende Bedeutung der nordischen Rasse für die [damalige] Gesittungsschöpfung« – immer vor dem Hintergrund des »Rassengegensatzes nordisch – vorderasiatisch«. Dabei war auch der Deutschlehrer nicht in der Lage, ein Wortungetüm wie »Gesamtverostungsvorgänge« (528) zu vermeiden. Eichenauer wurde später von Darré zum Leiter der Bauernhochschule des RNSt in Goslar berufen und veröffentlichte noch eine Reihe von Aufsätzen und Büchern, u. a. Die Rasse als Lebensgesetz in Geschichte und Gesittung. Ein Wegweiser für die deutsche Jugend (1934). 61 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 138. Vgl. z. B. den Satz Darré  : »Beginnen wir also damit, uns das Leben jener nordischen Waldbauern so natürlich wie möglich vor uns hinzustellen.« (Darré, Bauerntum, 1929, 262) Vgl. auch ebd., 189. 62 Lehmann an Darré, 24.10. und 26.10.1928  ; Eichenauer an Darré, 28.10.1928  ; Darré an Lehmann, 29.10.1928 und Lehmann an Darré, 31.10. und 13.12.1928 (StAG, NLD, Nr. 84).

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Rasse auf ein Gebiet abgeschoben, wo sie gewissen heutigen Leuten nicht mehr sehr weh tun kann.

Außerdem wollte er nicht darauf verzichten – »etwa aus Angst vor der Straße« –, seine Präferenz für die »nordische Rasse« zu unterdrücken.63 Innerhalb der »Nordischen Bewegung« verfolgte Darré mit seinem Buch den Zweck, die fundamentale Bedeutung des Bauerntums für die »nordische Rasse« klarzumachen, zumal die »Nordische Bewegung« in der Gefahr sei, »städtisch« bzw. »literarisch«, d. h. »zur Unfruchtbarkeit verdammt«, zu werden.64 Da Günther ein Städter sei, glaubte Darré, in seinem Buch »geradezu eine Lebensfrage für die ganze Nordische Bewegung« sehen zu müssen, ohne zu sehen, dass dieses städtische Herkommen auch für ihn selbst zutraf.65 Darüber hinaus wollte er sich an das ganze deutsche Volk wenden mit dem Anliegen, die Landwirtschaft nicht allein vom ernährungspolitischen Standpunkt aus zu würdigen, sondern zu erkennen, dass die viel wichtigere Bedeutung des Bauerntums, wie er meinte, auf biologischem Gebiet liege.66 Es kam Darré darauf an, urban geprägte Menschen anzusprechen und ihnen »die Bedeutung unseres deutschen Bauerntums und seines tatsächlich ursprünglichen Zusammenhanges mit der Nordischen Rasse« klarzumachen.67 Angesichts des Existenzkampfes des Bauerntums in Deutschland zeigte sich Darré davon überzeugt, »daß die Landwirtschaft an dem Tage gerettet ist, wo die nichtlandwirtschaftlichen, aber völkisch oder national eingestellten Kreise sich über die zentrale Bedeutung klar werden, welche der Landwirtschaft als biologischer Faktor im Haushalt eines Volkskörpers zukommt«. So wurde aus der ursprünglich geplanten Gegenschrift gegen den Historiker Fritz Kern eine Art Lehrbuch rassenkundlicher, volkskundlicher und eugenischer Art, das unumwunden den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhob und gleichzeitig ein politisches Programm zur Erhaltung der Landwirtschaft als »primärer Sektor« in Wirtschaft und Gesellschaft postulierte.68 Nachdem der Verkauf des Buches zunächst 63 Darré an Lehmann, 25.4.1928 (ebd.). 64 Darré an E. Jung, 4.3.1929 (StAG, NLD, Nr. 437)  ; vgl. auch den Hinweis auf die »Nordische Bewegung« in Darrés Bauerntum, 1929, 64. In einem Brief Darrés an seinen Vater v. 28.6.1929 (ebd., Nr. 84) befindet sich ebenfalls der ausdrückliche Hinweis, er habe sein Buch »nicht für Landwirte, sondern für die völkischen Kreise in der nordischen Bewegung« geschrieben. 65 Darré an seine Frau, 12.1.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, Bl. 1394). 66 Das Buch wurde dann auch in der »Nordischen Bewegung« enthusiastisch begrüßt  : Rosenberg (Mythus, 1930, 86), Schemann (1927–1931, Bd. 2, 408), Günther (Rassenkunde Europas, 3. Aufl. 1929, 153 und DE, 14/1930, 135 ff.) sowie Eugen Fischer (Nachweis bei Lutzhöft, 1971, 53). 67 Darré an Lehmann, 25.4.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). Auch in anderen Briefen wies Darré darauf hin, er habe mit seinem Buch »dem Städter die Augen für unser Bauerntum zu öffnen« versucht (Konzept Dez. 1928 für einen Brief an Professor Kraemer, ebd.). Vgl. auch Darré an Lehmann, 22.3.1928 (ebd.) und 16.12.1929 (ebd., Nr. 437). 68 Lehmann an Darré, 13.12.1928 (ebd., Nr. 84). Wie sehr Darré die Kennzeichnung seines Buches vom jeweiligen Adressaten abhängig machte, zeigt auch sein Brief an Edgar Jung v. 4.3.1929, worin er betonte,

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zu wünschen übrig ließ, erreichte es mit der 9. Auflage 1942 die Anzahl von 56.000 Exemplaren. Nomade/Jude versus Bauer/Arier Wenn auch Darré sein Buch in zehn gleichförmig nacheinander stehende Kapitel eingeteilt hat, so lässt sich doch eine innere Gliederung in zwei Themenkreise feststellen  : die Auseinandersetzung mit Kern und die Charakterisierung der »nordischen Rasse« als ein vom Bauerntum geprägter Menschenschlag. Entsprechend seiner vermeintlichen Entdeckung einer »unüberbrückbaren Todfeindschaft« zwischen Nomaden und Siedlern und seiner Überzeugung, dass dieser Gegensatz als ein Grundmovens aller Geschichte zu betrachten sei, war diese Gegenüberstellung nicht nur Ausgangspunkt des Buches, sondern sie zieht sich durch das ganze Werk hindurch. Die negative Typisierung »des« Nomaden diente Darré dazu, eine positive Charakterologie »des« Siedlers aufzustellen. Hierbei wurde die Verbindung zur »Rassen«-Kunde selbstverständlich nie aus den Augen gelassen, das Gegensatzpaar Nomade/»Semit«−Bauer/»Arier« in seiner Geschichte der Haustierwerdung wurde allerdings bewusst zu verschleiern versucht.69 Darré wollte offensichtlich nicht in den politischen Meinungsstreit um den Antisemitismus geraten und aus dieser Ecke angreifbar werden. In einem Brief an Theodor Fritsch, der sich enthusiastisch über das Bauerntum in seinem Hammer geäußert hatte, wies Darré erklärend und entschuldigend auf den Umstand hin, dass das Wort »Jude« in seinem Buch an keiner Stelle verwendet werde.70 Einmal fürchte er um sein berufliches Fortkommen, andererseits wolle er aber auch aus taktischen Gründen nicht mit der Tür ins Haus fallen  : Mir kam es […] darauf an, das Buch so zu verfassen, daß es dem Juden schwer fällt, mein Buch zu verstänkern, während ein das Buch in die Hände bekommender Philosemit garnicht »dass ich weit eher eine Verteidigungsschrift für das deutsche Bauerntum geschrieben habe als eine Propagandaschrift für die nordische Rasse« (ebd., Nr. 437). Vgl. auch die Zeugenaussage Darrés vor dem IMT in Nürnberg v. 27.8.1948 (IfZ-München, Fall XI, Zeugenaussagen, 18525). 69 Darré hatte sich schon frühzeitig mit der Psychologie des Bauerntums, besonders der Friesen, Holsteiner und Dithmarscher beschäftigt (vgl. Darré an seine Braut, November 1920, IfZ-München, NLD, Bd. 6, Bl. 318). Ob er Werner Sombarts Buch Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München 1915, gekannt hat, ist nicht belegt und eher unwahrscheinlich. Sombart hatte zwei Pole menschlicher Existenz definiert  : »Egoistisch und auf seine Rechte fixiert der Eine, opferbereit und auf seine Pflichten hin orientiert der Andere.« Für Sombart standen sich die damals feindlichen Engländer (»Händlerstaat«) und die Deutschen als »geborene Helden« gegenüber. 70 Besprechung von Darrés Bauerntum in  : Hammer, Blätter für deutschen Sinn, Nr. 642, 160 f.; vgl. auch Th. Fritsch, »Der Untergang des Bauerntums und der Verfall der nordischen Rasse«, in  : Hammer, 20. Jg., Nr. 654, 457 ff. (15.9.1929).

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merkt, daß ich ihn mitten hinein in das völkischste Problem der Deutschen hineinführe [sic].71

In diesem Sinne vermied Darré eine offene Identifizierung von Nomade und Jude, er erwähnte als Wandervölker zwar Araber, Indianer, Tataren und Hunnen, doch nur in den seltensten Fällen wagte er es, von »Semiten« zu sprechen. Wenn er aber z. B. von »nomadisierendem Zwischenhändlertum« sprach, so kam recht eindeutig zum Ausdruck, was und wer damit gemeint war. Die Absicht, die »nordische Rasse« entgegen den Nivellierungstendenzen Kerns gegenüber dem »Semitentum« und dessen »begabtesten und hervorragendsten Vertretern, den Juden« abzugrenzen, blieb also trotz versuchter Tarnung bestehen.72 Schon der ausgewiesene Antisemit Adolf Wahrmund hatte 1887 in seinem Buch Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Herrschaft der Juden beide direkt miteinander in Zusammenhang gebracht. Darrés Charakterisierung und Typisierung der Nomaden oder Wanderhirten in absoluter Gegenüberstellung zum Bauern oder Siedler war geprägt von pauschalen Urteilen und undifferenzierter Einseitigkeit. »Der« Nomade wurde als »feige«, »hinterhältig«, »grausam« bezeichnet, er sei »kulturvernichtend« und sein Leben immer »reines Schmarotzertum«.73 Darré, der Wert darauf legte, »den Standpunkt eines landwirtschaftlich geschulten Forschers nicht zu verlassen« und »so sachlich als nur irgendmöglich vorzugehen«, scheute sich nicht zu formulieren  : »Daher ist das Nomadentum auf der ganzen Welt auch viehisch grausam und im übrigen nichts als räuberisch  ; sie stehlen alle wie die Elstern.«74 Von den verschiedensten Gesichtspunkten her versuchte er, »den« Nomaden als »rein zerstörende[n] Bestandteil des Menschengeschlechts« zu erweisen. »Besitz ist für die Vorstellungswelt des Nomaden lediglich eine Angelegenheit des Abgrasens, d. h. des Genusses.« Immer wurde dieser negativen Typisierung des Wanderhirten eine entsprechend positive Charakterisierung des Siedlers entgegengesetzt. »Der Nomade lebt dem Tage, der Bauer der Zukunft«, stellte er apodiktisch fest.75 71 Darré an Fritsch, 11.8.1929. »Ich bin in einer beruflichen Stellung – in unmittelbarer Abhängigkeit vom Auswärtigen Amt – die es mir verbietet zu diesen Dingen den Mund aufzutun.« (StAG, NLD, Nr. 437) In ähnlichem Sinne äußerte sich Darré auch seinem Verleger Lehmann gegenüber. In dem Briefkonzept v. 22.3.1928 ist dieser Passus allerdings wieder gestrichen  : »[…] schrieb ich mein Buch so, daß der Jude nie, oder nur an einer ganz unvermeidlichen Stelle genannt wird […]. Obwohl mein Buch der ganzen Judenschaft wahrscheinlich verflucht unangenehm sein dürfte, ist es doch an keiner einzigen Stelle wegen Antisemitismus angreifbar.« (ebd., Nr. 84). 72 Darré, Bauerntum, 1929, 51 und 303 Anm. 1 sowie Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 66. 73 Darré, Bauerntum, 1929, 31, 33 f. und 52  ; vgl. auch die schematisierende Identifizierung von Bauer = Kulturträger, Nomade = Zivilisationsbringer ebd., 61. Zur antisemitischen Funktion des Begriffs »Schmarotzer« vgl. Bein, 1965, 126 ff. 74 Darré, Bauerntum, 1929, VI (Vorwort) und 315. 75 Ebd., 46, 54 und 298. Gegenüber dem »rein oberflächlichen« Sehen und Denken »des« Nomaden stellte Darré lapidar fest  : »Der Bauer sieht den Dingen auf den Grund.« (ebd., 290).

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Wie subjektiv und konstruiert diese einseitige Gegenüberstellung im Stile der Schwarz-Weiß-Malerei war, zeigt sich recht anschaulich, wenn Darré die Haltung beider Menschentypen in Krieg und Kampf schildert. Der Bauer erschien ihm »schwertfreudig«, der Nomade dagegen »kriegerisch«. »Der Wüstennomade kennt den Krieg nur als Mittel zum Raub, d. h. als Diebstahl mit gewaltsamen Mitteln. Ihm kommt es lediglich auf die Beute, auf das Ergebnis an, aber durchaus nicht auf den Kampf.« 76 Gerade die »Kampfbejahung«, Standhaftigkeit und Tapferkeit der »nordischen« Bauernvölker, deren Kriegs- und Wanderzüge in der Geschichte als »Bauerntrecks« mit dem Ziel der Landnahme im Sinne des Schlagwortes »Volk ohne Raum« gedeutet wurden, erschienen Darré im hellsten und positivsten Licht. Nicht kriegerische Eroberungssucht, sondern die Suche nach kultivierbarem Siedlungsland sei für die Wanderungen der »nordischen« Völkerschaften der Grund für Landnahme gewesen, stellte er selbstgewiss fest.77 Darré wurde nicht müde, unter immer neuen Aspekten diesen »Wesensunterschied« zwischen Bauer und Nomade herauszuarbeiten. Aus ihm ergaben sich für ihn alle Verschiedenheiten der Völker und »Rassen« in Bezug auf Charakter, Veranlagung, Weltanschauung, Lebensauffassung, Sitten und Gebräuche.78 Während Darré Kerns These von der »nordischen« als nomadisierender »Wanderrasse« und ihrem »Hirtenkriegertum« widerlegen wollte, erklärte er deren Eroberungszüge mit »Landnot«. Dass von hier aus eine Brücke zu Hitlers Forderung nach »Lebensraum im Osten« in seinem 1925 veröffentlichten Buch Mein Kampf gebildet werden konnte, war ihm damals sicherlich nicht bewusst. Aber die Gedankenkette erklärt, warum sich Darré später so vehement gegen die Ernennung Himmlers zum »Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums« wehrte, die mit der beabsichtigten gewaltsamen Expansion 76 Ebd., 82, 157 und 312. 77 Darré sah auch im römischen »ver sacrum« eine »Landsuche« wegen »völkischer Überfüllung« (Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 197). Zur Übernahme des Schlagwortes »Volk ohne Raum« vgl. Darré an seine Frau, 21.7.1929 (IfZ-München, NLD, Bd. 10, Bl. 1514 f.), wo er die Lektüre von Grimms gleichnamigem Buch erwähnt. Schon an früherer Stelle war zu diesem Thema mit deutlicher Blickrichtung auf Kern zu lesen  : »Herr sein auf eigenem Grund und Boden oder im eigenen Wirkungskreis, das sind die Triebfedern, die die Nordische Rasse zum Auswandern drängen. Mit Nomadentum hat das nichts, aber auch rein nichts zu tun und man muß schon den Wesenskern des Nomadentums sehr wenig kennen, um das Streben nordischer Menschen nach selbstverantwortlichem Wirken mit den unstäten heimatlosen Blutstrieben der Wanderrassen zu verwechseln.« (Darré, Bauerntum, 1929, 58  ; vgl. auch ebd., 187 und 213) Im Übrigen vgl. das Kapitel »Das Kriegertum der Nordischen Rasse«, Darré, Bauerntum, 1929, 311 ff. 78 Ein weiteres Beispiel für Darrés unwissenschaftliche Verallgemeinerungen  : »Haben nun kriegerische Nomaden den Sieg über Siedlervölker davongetragen, so können wir zweierlei beobachten. Entweder raubt der Nomade bei seinem hoch entwickelten Verwertungssinn und bei seiner räuberischen Raffgier das Vorgefundene einfach aus  ; tote und trostlose Wüste bleibt dann übrig. Oder der Nomade ist klug genug, die Arbeitsfähigkeit der unterworfenen Siedlerbevölkerung zu erhalten, und in diesem Falle schiebt er sich einfach als schmarotzende Herrenschicht darüber.« (ebd., 45).

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des Großdeutschen Reiches nach Osteuropa einherging. Schließlich wurde ihm als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft damit die Zuständigkeit für Siedlungsfragen genommen. Nachdem Darré »den« Nomaden in den dunkelsten Farben geschildert hatte, wusste er sich der Gefolgschaft mindestens seiner »völkisch« eingestellten Leser sicher, wenn er feststellte, »daß der nordische Mensch Bauer und Siedler sein muß, doch niemals ein Nomade.« Denn wie kann die »nordisch-germanische Rasse« bei ihren kulturschöpferischen Leistungen mit solch negativen Wesensmerkmalen behaftet sein, wie sie für die Nomaden festgestellt worden waren  ? Damit glaubte Darré allen Gefahren, die dem Ansehen der »nordischen Rasse« durch die Kern’sche These ihres nacheiszeitlichen Wanderhirtentums drohten, die Spitze genommen zu haben  : Der »völkisch« gesinnte Deutsche, der, wenn er nicht rein »arisch« war, doch einen Schuss »nordischen Blutes« in seinen Adern wähnte, wollte und konnte sich seine Vorfahren nicht als »schmarotzende und in Zwingburgen sitzende Kriegerkaste« vorstellen.79 Darré entwickelte also eine Typologie des Bauern- und Nomadentums, wobei er bei der Zuordnung der positiven oder negativen Eigenschaften pauschal und willkürlich vorging, und zog daraus dann den von vornherein feststehenden, aber mit scheinbar logischen Folgerungen abgeleiteten Schluss für die Zugehörigkeit der »nordischen Rasse«. »Ist die Nordische Rasse eine tapfere Rasse gewesen, aber durchaus keine kriegerische, so halten wir damit einen weiteren Beweis in Händen, daß sie auf bäuerlichem Grund und Boden entstanden ist und können Ableitungen aus dem Nomadentum abweisen.«80 Es stellt die Zielsetzung der Beweisführung Darrés nur ins rechte Licht, wenn sein Mentor, Hans F. K. Günther, erklärte  : Verhielte es sich mit der Nordrasse so, wie Kern vermutet hatte, so blieb diese Rasse bei all ihren Werten fragwürdig für das Abendland  ; verhält es sich mit der Nordrasse so, wie Darré geschildert hat, so ist die Festigung des Abendlandes an Erhaltung und Mehrung der Nordrasse gebunden, die Zersetzung des Abendlandes an das Aussterben der Nordrasse.

Der von Oswald Spengler an die Wand gemalten Gefahr der Dekadenz und »Entartung« setzte Darré das vitale Phänomen »Rasse« entgegen.81 Zur Methode, mit der Darré versuchte, den Historiker Kern zu widerlegen, erklärte Günther, er sei »von der Neuzeit ausgehend immer tiefer in die Vorzeit hinabgestiegen«  ; d. h., Darré hatte es für richtig befunden, von einer völkerkundlich-psychologischen 79 Darré, Bauerntum, 1929, 18 ff., 35 f., 61, 154 und 219. Vgl. auch seinen Aufsatz »Etwas über die Wikinge« (sic) v. Juni 1930 (Darré, EuW, 1940, 150 ff.), in dem er nachzuweisen versucht, dass »das ›Wikingtum‹ nicht als ein[ ] Beweis gegen das Bauerntum der Nordgermanen« verwendet werden könne. Ihre Erkundungs- und Eroberungsfahrten seien »von nichterbenden Bauernsöhnen« durchgeführt worden, behauptete er. 80 Ebd., 338. 81 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 141 f.

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Plattform seines konstruierten Gegensatzpaares Nomade/»Semit«–Bauer/»Arier« aus auf die vorgeschichtlichen Erwägungen Kerns zu antworten. Diesem Vorhaben, gegensätzliche Eigenschaften bei Wandervölkern und Siedlern herauszuarbeiten und die gesamte germanische Kultur als Ausdruck »wahrhaft bäuerlichen Wesens« zu erweisen, dienten die ersten vier Kapitel von Darrés Buch. Hierbei stellte er auch für die alten Griechen, insbesondere die Spartaner, und die Römer eine bäuerliche Grundstruktur fest und folgerte im Hinblick auf den Untergang dieser Völker und Staaten lapidar  : »Der Indogermanen Bauerntum war ihr Schicksal  !«82 Erst das fünfte Kapitel, »Gedanken zur vorindogermanischen Zeit der nordischen Rasse«, stieß zu einer zeitlich mit Kern übereinstimmenden Thematik vor. Hier allerdings gab sich Darré weniger bestimmt und sicher. Er war sich offensichtlich des hypothetischen Charakters seiner Ausführungen bewusst, mehrmals wies er darauf hin, er wolle mit seinen Überlegungen nur »anregen«, damit »es dem Leser lohnend scheint, auf diesem Wege fortschreitend weiter vorzudringen.« Darré fand das von Kern angezweifelte »uralte Siedlertum der Nordischen Rasse« hinreichend bewiesen dadurch, dass sie »aus Urzeiten« durch die Dreiheit von Herdfeuer, Haus und Dauerehe charakterisiert sei, was notwendigerweise Sesshaftigkeit voraussetze.83 Auch hier diente ihm die Geschichte der Haustierwerdung dazu, die »indogermanische« und die »semitische« Familie scharf voneinander zu scheiden. Mit deutlichem Bezug auf Kern gab Darré der Vermutung Ausdruck, die »nordische« und die »fälische Rasse« »könnten« beide vom Cro-Magnon-Menschen abstammen, beide »Rassen« kämen bei den Germanen gleichwertig nebeneinander vor, doch sie seien »wahrscheinlich« nicht − wie Kern behauptet habe − geschichtet gewesen und ihrer beider Heimat sei »wohl« das mitteleuropäische Laubwaldgebiet, nicht eine eurasische Steppenlandschaft gewesen.84 Diesen beiden »Rassen« der »indogermanischen« Völkerschaften stellte er nicht nur scharf die »semitischen« Stämme gegenüber, auch der »westischen« und besonders der »ostischen Rasse« sprach Darré jeden Zusammenhang mit echtem Bauerntum ab. Insbesondere zum »Eindringen des ostischen Blutes in unser Bauerntum« scheute sich Darré nicht, die abenteuerlichsten Spekulationen anzustellen, in denen es um »Kartoffelnasen« und das geflügelte Wort von den ›dümmsten Bauern, die die dicksten Kartoffeln ernten‹ ging.85 82 Darré, Bauerntum, 1929, 185 und 259. 83 »[…] bittet der Verfasser, die folgenden Ausführungen lediglich als Gedanken zu betrachten, die für die europäische Vorgeschichtsforschung vielleicht eine Anregung enthalten können.« (Darré, Bauerntum, 1929, 239) Vgl. auch ebd., 223 f., 238 und 248. 84 Ebd., 246 ff und 253 f. Diese vorsichtige Haltung gegenüber der vom Anthropologen Paudler und der vom Historiker Kern angenommenen »dalischen« oder »fälischen« Rasse hatte bei Darré wohl auch den Grund, dass ihm der »fälische« Bismarck ebenso lieb war wie der »nordische« Friedrich der Große. Deshalb war ihm eine Brücke zwischen beiden »Rassen« recht angelegen, allerdings nicht auf der Basis  : »nordisches Herrentum« versus »fälisches Bauerntum«. 85 Ebd., 256.

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Es wundert keinesfalls, dass diese vage Gegenbeweisführung, die noch dazu auf einem so unwissenschaftlichen Fundament aufbaute, wie es das konstruierte Zerrbild des Nomaden im Gegensatz zum Bauern darstellte, selbst einem so ergebenen Unterstützer Darrés, wie es Günther war, unliebsam auffiel. Günther empfahl für eine eventuelle Neuauflage ganz unumwunden, bei der Beweisführung gegen Kern einen Weg anzutreten, der dem, den Darré gegangen war, genau entgegengesetzt war, nämlich »vom frühesten erschließbaren Indogermanentum aus[zu]gehen und das bäuerliche Hellenen-, Italikerund Germanentum davon abzuleiten suchen.« In seiner ersten brieflichen Stellungnahme zu dem Manuskript des Buches, das Darré ihm zugesandt hatte, drückte Günther diese seine Bedenken noch deutlicher aus  : »Es ist ja schade, daß Sie nicht genügend in die nacheiszeitlichen Jahrtausende zurückgehen  ; und Kern wird Ihnen nicht ganz mit Unrecht das vorwerfen können, daß Sie ja von ganz anderen Zeiten reden als er.«86 Es stellt sich angesichts dieser Sachlage unwillkürlich die Frage, ob es Darré so sehr auf eine sachgerechte Widerlegung Kerns ankam oder ob er dessen Buch nur als willkommenen Ansatzpunkt benutzt hat, seinen schon konzipierten eigenen Beitrag zur Ideologie der »nordischen Rasse« im gleichen Verlag publizieren zu können. Vieles spricht für die Richtigkeit der letzteren Annahme. Darré sagte im Vorwort seines Buches in bei ihm seltener Bescheidenheit, er habe Kern nicht widerlegen wollen, obwohl er sich auf über 250 Seiten bei dauernder Betonung eines ausschließlichen »Entwederoder« in Bezug auf seine oder Kerns Auffassung alle Mühe dazu gegeben hatte.87 Gleichzeitig wies er darauf hin, dass das Erscheinen des Werkes von Kern in ihm wie eine Art Initialzündung gewirkt habe, das Ergebnis seiner Forschungen und Studien über die Geschichte der Haustierwerdung und das Wesen der »nordischen Rasse« in »polarer Gegenüberstellung« herauszuarbeiten. Darré vermutete den Bonner Historiker an der Spitze einer anthropologischen Forschungsrichtung, die sich bemühe, »die langköpfigen, hoch gewachsenen Rassen der Erde von einer Wurzel abzuleiten« und in ihnen den beweglichen und kriegerischen Bestandteil der Menschheit zu sehen  ; oder, mit den Worten aus seiner Geschichte der Haustierwerdung, als ein »nomadisierendes Jägervolk hinzustellen«.88 86 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 141 und Günther an Darré, 3.1.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). 87 Dieser Rigorismus des Denkens ist übrigens ein Grundzug der Darré’schen Gedankenführung. Eine zugespitzte Entweder-oder-Feststellung findet sich u. a. in Darré, Bauerntum, 1929, 153, 154 und 217  ; in Neuadel, 51 u. 83 ff. Auch hier erweist sich Darré als typisches Kind seiner Zeit. Sontheimer stellt als einen der Leitbegriffe des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik »das Pochen auf Entscheidung und Tat« fest  : »Seiner ganzen Anlage nach ist das antidemokratische Denken ein Denken des Entweder – Oder.« (Sontheimer, 1962, 327). 88 Darré, Bauerntum, 1929, V und 2  ; sowie Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 30. Vgl. auch Darré, Bauerntum, 1929, 157  : »Nun hat sich aber die Auffassung, daß sich Bauerntum und indogermanisches Herrentum gegensätzlich gegenüberstehen, bereits so fest in den Köpfen vieler Freunde − (oder Feinde  ?)  − der heutigen Rassenbewegung eingenistet, daß man sich dort einfach nicht vorzustellen vermag, wie z. B. der spartanische Militärstaat von dorischen ›Bauern‹ errichtet werden konnte.«

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

Gegen diese von ihm als Verunglimpfung des Germanentums empfundene Tendenz wandte sich Darré, indem er die in viel weiter zurückliegenden Zeiten fixierten Thesen Kerns angriff und sich so eine Möglichkeit schuf, der »Nordischen Bewegung« die Bedeutung der »aufbauenden Werktätigkeit« des Bauerntums gerade für das Ansehen der »nordischen Rasse« ins Bewusstsein zu rufen. So dürfte Kern für Darré lediglich der Anlass gewesen sein, um seine Bauerntumsideologie in die bisher »städtisch« beeinflusste und orientierte »Nordische Bewegung« zu tragen. Er sah im Ackerbau nicht nur den »Schlüssel für die Klärung der rasslichen Verhältnisse [sic] bei den Germanen«, sondern das Bauerntum erschien ihm geradezu als »Schlüssel zum Verständnis der Nordischen Rasse«.89 Er definierte sie als schollengebunden und sesshaft, eben als »Siedlerrasse«.90 Und er betonte, dass die »nordische Rasse […] den Bauernhof nur als Ernährungsuntergrund für ein neues Geschlecht ihrer Kinder auf[gefasst habe].« Es sei darauf angekommen, »daß sich gleichwertiges Blut auf dem Hofe zur Ehe zusammenfand«. Nicht eine sachgerechte Widerlegung der Thesen Kerns war offensichtlich die Hauptaufgabe, die sich Darré gestellt hatte, sondern er wollte der »Nordischen Bewegung« die Notwendigkeit der Einbeziehung bäuerlicher Lebens- und Denkgewohnheiten in ihre gesellschaftlichen Regenerationsbestrebungen vor Augen führen.91 Demgemäß unternahm es Darré vornehmlich im zweiten Teil seines Buches, die Kulturgeschichte der Völker »nordischer Rasse«, d. h. der Germanen, Römer und Griechen, insbesondere Spartaner, allein von dem Gesichtspunkt ihres Bauerntums her zu interpretieren. Denn dem, was Darré als »Bauerntum« verstand, lag eine wunschbildhafte Typologie zugrunde  – fernab jeder Realität. In durchaus naheliegender Folgerichtigkeit sah er dabei auch bäuerliche Lebensformen und Traditionen ganz unter rassistischen Gesichtspunkten. Aufstieg und Niedergang der »nordischen« Völker erschienen ihm in unmittelbarer Abhängigkeit von ihrem Verhältnis zum »Blut«, d. h. ihrer »Rasse«, und zum »Boden«, worunter er den Landbesitz, den Bauernhof, verstand. Beides sah er untrennbar miteinander verbunden. Da Darré die »nordische Rasse« als »Bauernrasse« definierte, war sie an Landbesitz gebunden. Auf dem bäuerlichen Familiengut (»Boden«) vollzog sich die Weitergabe des Sippenerbes (»Blut«). Erbrecht und Ehesitten seien die im Bauerntum begründeten Fundamente, auf denen die Völker »nordischer Rasse« ihre Kultur aufgebaut hätten, stellte er fest. Unter diesen Gesichtspunkten sah Darré die Bedeutung des Bauerntums für ein Volk weniger auf dem Ernährungssektor als vielmehr auf dem bevölkerungspolitischen Gebiet der Erhaltung und Mehrung »nordischen Blutes«. Sein Ziel war eindeutig  : »Mein Buch will doch gerade den völkischen aber bereits total ver89 Darré, Bauerntum, 1929, 1, 75, 277 und 421. 90 Ebd., 26, 46, 208, 219 f. und 258. 91 »Meine Hoffnung ist es, einiges zur Klärung über das Wesen der Nordischen Rasse beigetragen zu haben.« (ebd., Vorwort).

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städterten Kreisen die Augen öffnen für die biologische Bedeutung des Bauerntums  ; in diesen Kreisen wird sonst nur immer auf die nationalwirtschaftliche Bedeutung des Bauerntums hingewiesen.«92 Die allgemeine Verkennung dieses »wahren Wertes« des Bauerntums in seiner Zeit war es denn auch, die Darré in höchstem Maße bedauerte. Nicht von ungefähr zitierte er den Altmeister der Streiter für die Erhaltung des Bauerntums gegenüber der immer weiter vordringenden Industrialisierung, Wilhelm Heinrich Riehl  : »In dem Bauernstand allein noch ragt die Geschichte alten deutschen Volkstums leibhaftig in die moderne Welt herüber.«93 Ganz in diesem Sinne ging Darré weit in die Geschichte zurück, um seinen Zeitgenossen die fundamentale Bedeutung des Bauerntums für Volk und Staat zu demonstrieren. Dieser Blick zurück »in die Gefilde hoher Ahnen«, den auch Gobineau und Chamberlain praktiziert hatten, erschien Darré umso notwendiger, als durch Bauernaufstände im Mittelalter und die Bauernkriege im 16. Jahrhundert, vor allem aber durch Verstädterung und Industrialisierung das Bauerntum allgemein in Misskredit geraten sei. Die Verwendung des Wortes »Bauer« als Schimpfwort war ihm für diesen Vorgang nur symptomatisch. Hierin ruhe letzten Endes auch das Missverständnis Kerns, welcher »der Nordischen Rasse das Bauerntum deshalb absprechen will, weil diese Rasse tapfer war«.94 Diesem Versuch einer Trennung der staatstragenden »nordischen Rasse« vom Bauerntum stellte Darré seine Konzeption gegenüber, welche die Grundbegabungen der »nordischen Rasse« allein aus deren Bauerntum herleitete. Dadurch also, dass mit der »nordischen Rasse« jegliche Kulturschöpfung identifiziert und ihr gleichzeitig eine bäuerliche Wurzel und bäuerliches Wesen unterlegt wurden, kam Darré zu seiner ideologischen Überhöhung des Bauerntums. Volks- und ernährungswirtschaftliche Gründe spielten dabei nicht die geringste Rolle. Dies gilt es bei der Analyse der Frage zu berücksichtigen, warum Darré im »Dritten Reich« gescheitert ist. Die Übertragung kultureller, gesellschaftlicher, weltanschaulicher und politischer Gegebenheiten aus längst vergangenen Epochen der Geschichte in eine völlig veränderte Welt seiner Gegenwart erschien Darré ebenso möglich, ja notwendig wie Gobineau, Chamberlain und Günther. Erbanlagen und Erbrecht Eine der beiden Wurzeln bäuerlicher Vitalität und staatlichen Wohlergehens war für Darré das »bodengebundene indogermanische Familienrecht«. Neben den Ehegesetzen sei, vom bevölkerungspolitischen Gesichtspunkt aus, das Bodenrecht von ganz 92 Darré an Lehmann, 28.6.1929 (StAG, NLD, Nr. 437)  ; vgl. auch Darré, Bauerntum, 1929, 49 ff., 72 und 277 ff. 93 Ebd., 60 ff., 74 und 279 f. Zu Riehl vgl. H. Haushofer, 1958. 94 Darré, Bauerntum, 1929, 53.

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besonderer Bedeutung gewesen, war er überzeugt. Anhand der spartanischen Erbgüter, ihrer Unteilbarkeit und Unverkäuflichkeit, versuchte Darré, diese fundamentale »biologische« Bedeutung des ländlichen Erbrechts herauszuarbeiten, welches »im Bauernhof […] einen Ernährungsuntergrund für das von Geschlecht zu Geschlecht weitergereichte Keimgewebe« gesehen habe. Das Anerbenrecht und sonstige altrömische und germanische Rechtsverhältnisse dienten Darré dazu, seine These von der »blutsmäßigen« Gebundenheit und Bodenständigkeit bäuerlichen Lebens und dessen bevölkerungspolitischer Bedeutung zu untermauern.95 Deshalb sah er auch in der durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 auf der Basis von § 903 (»Der Eigentümer einer Sache kann […] mit der Sache nach Belieben verfahren.«) eingeführten Erbsitte, die keinen Unterschied in der Vererbung eines beweglichen oder unbeweglichen Nachlasses machte, einen verhängnisvollen politischen Fehler. Mit der Realteilung im Erbgang habe das deutsche Volk »die Axt an die Wurzel seines Volkstums gelegt und damit […] auch den Lebensnerv der Nordischen Rasse im deutschen Volkskörper zerschnitten«, stellte Darré schon damals fest.96 Warum er im BGB ein »staatlich sanktioniertes Instrument zur Entwurzelung und Vernichtung unseres bodengewachsenen Bauerntums« sah, erklärte er an anderer Stelle ausführlicher  : Seit Einführung des BGB ist praktisch für die Bauern die reale Erbteilung eingeführt. Entweder muß der Hof zerschlagen werden, um die Erben zu gleichen Teilen abfinden zu können, oder der Erbe muß den Hof über dessen normale Produktionskraft hinaus hypothekarisch belasten, um die Geschwister abfinden zu können. Dieses System ist so ungefähr die genialste Art zum »Bauernlegen«, die man sich ausdenken konnte. Will der Bauer diesen Angriff parieren, muß er der Erbteilung ausweichen, d. h. nur ein, höchstens zwei Kinder in die Welt setzen.97

Vergegenwärtigt man sich die Darré’sche Identifizierung des Bauerntums mit der »Nordischen Rasse« und seine Gleichsetzung von »Nordischer Rasse« mit Kulturleistung, woraus er den Führungsanspruch dieser imaginären Volksgruppe im Staate herleitete, so wird deutlich, wie groß die Gefahr erscheinen musste, die er in dieser neuen Erbgesetzgebung sah. Geschichtlich hätten alle Völker die Sünden der Entwurzelung ihres ansässigen Bauerntums mit ihrem Untergang besiegeln müssen. Der Grund liegt eben einfach darin, […] daß der Untergang des Staates besiegelt war, so wie das Nordische Blut die anderen Rassenbestandteile nicht mehr meistern konnte.98 95 Darré, Bauerntum, 1929, 107, 152 und 185. 96 Ebd., 406. 97 Darré an Dr. E. Liek, 3.2.1927 (StAG, NLD, Nr. 84). 98 Darré, »Innere ›Kolonisation‹«, ein Aufsatz, der 1926 in Heft 4 von DE erschien, abgedruckt in Darré, EuW, 1940, 20.

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Mit dieser Formulierung deutete Darré schon an, dass er sich »Deutschlands Erneuerung« nur mit Hilfe einer »Wiedervernordung« vorstellen konnte, was automatisch wegen der Führungsqualitäten der »nordischen Rasse« eine neue Kulturhöhe zur Folge haben werde. Reagrarisierung, d. h. vornehmlich »rassische« Erneuerung des Volkes vom Bauernhof her, war seine Zielvorstellung. Wie in der germanischen Frühzeit die nicht erbberechtigten jungen Bauernsöhne als Krieger dem Staat gedient hätten, wie in Preußen neben dem Offizierskorps das Beamtentum auf diese Weise im Bauerntum und damit in der »nordischen Rasse« verwurzelt gewesen sei, so müsse man auch heute wieder dazu übergehen, »die nicht erbberechtigten Söhne der Bauern auf einen neu zu schaffenden Ernährungsuntergrund zu stellen, d. h. sie in ein vernünftig aufgebautes, der Landwirtschaft angegliedertes, industrielles und kaufmännisches Bürger- und Arbeitertum zu überführen«.99 Um dies zu erreichen, erschien es Darré allerdings unumgänglich, dass eine Entwicklung rückgängig gemacht werde, die durch den Übergang von einer »organischen« zu einer »mechanischen« Rechtsauffassung gekennzeichnet sei. Der germanische Rechtsbegriff, der vollkommen auf der verantwortungsbewußten Persönlichkeit aufbaut, steht allerdings einem mechanisierten Rechtsbegriff wie ihn jede reine Geldwirtschaft hervorbringt − die notwendigerweise jedes Persönlichkeitsbewußtsein entthront und den Menschen zur Sache herabdrückt − so gegensätzlich wie nur möglich gegenüber.

Darré sah einen grundsätzlichen Unterschied zwischen altrömischer, d. h. »nordisch« bestimmter, und orientalisch beeinflusster spätrömischer, ins deutsche BGB hineinragender Rechtsauffassung. Diese Letztere »mit ihren die schöpferische Arbeit erstickenden Grundsätzen« sei es gewesen, welche den alten »nordisch-germanischen« Grundsatz »Gesamtnutz geht vor sonderlichen Nutz« durch »ich-bezogene, selbstsüchtige, geldwirtschaftliche Gesichtspunkte« ersetzt habe.100 Darré arbeitete diese altgermanische Rechts- und Lebensauffassung in der ganzen Tragweite ihres Gegensatzes zu modernen Vorstellungen von Individualismus und Liberalismus heraus, wobei er sich besonders auf die Rechtshistoriker Ihering, Amira und Merk stützte.101 »Der Germane kannte die schrankenlose Ich-Freiheit der Ein 99 Darré, Bauerntum, 1929, 466. 100 Ebd., 36, 84 und 124. 101 Ihering (Vorgeschichte der Indoeuropäer, Leipzig 1894  ; Entwicklungsgeschichte des Römischen Rechts, Leipzig 1894), der als Kronzeuge für die Gegensätze zwischen Semiten und Ariern öfters angeführt wird (vgl. besonders Darré, Bauerntum, 1929, 30 und 185 f.), war von Darré im März 1925 gelesen und ausgewertet worden (vgl. seine Bfe. v. 25.3. und 7.4.1925 an seinen Vater, StAG, NLD, Nr. 49). Zur Position Iherings in der Geschichte der »Rassen«-Bewegung vgl. Schemann, 1931a, 168 f. Amira, Grundriß des germanischen Rechts. Straßburg 1913  ; Merk, Vom Werden und Wesen des deutschen Rechts, Langensalza 1926. Darré (Bauerntum, 1929, 98) stellte in diesem Zusammenhang besonders den Satz Merks heraus  : »Der germanische Staat ist kein unpersönlicher, bloß auf Befehlsgewalt und Gehor-

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zelpersönlichkeit überhaupt nicht  ; er gliederte den Freien grundsätzlich in die Gesamtheit der Freien ein und wertete ihn auch nur im Hinblick auf das, was er für die Gesamtheit Wert war.«102 Darrés Ausgangsposition ist gekennzeichnet einerseits durch eine vulgärdarwinistisch akzentuierte Anthropologie, andererseits durch eine tierzüchterisch inspirierte Eugenik. Beide Einstellungen sind bei ihm eng miteinander verbunden, ja, sie bedingen sich gegenseitig. So zitierte er den Pferdezuchtexperten »Prof. Walther-Hohenheim«, der – wie er – keine Bedenken hatte, Tier- und Menschenwelt gleichzusetzen  : »Der Kulturmensch ist, von natürlicher und künstlicher Zuchtwahl gleichermaßen im Stich gelassen, nicht umsonst das züchterisch am meisten vernachlässigte Säugetier der Erde«, konstatierte Darré. Ganz im Sinne einer umfassenden Sicht auf alles Naturhafte trat Darré leidenschaftlich für eine möglichst enge Zusammenarbeit von Tierzüchtern und Eugenikern ein, wobei er in Bezug auf das »Objekt« ihrer Arbeit, einerseits Tier, andererseits Mensch, keinen Unterschied machte. »Ob im übrigen die Nordische Rasse sich ihrer Zuchtnieten durch Ersticken entledigte (heute hätten wir dafür die Möglichkeit der Sterilisation) oder ob der Tierzüchter seine Merztiere dem Metzger anvertraut, ist im Grunde gleichgültig«, war Darré überzeugt.103 Darré sah für die ihm dringend nötig erscheinende »Volksaufartung« die gesetzliche Einführung der Sterilisation für unumgänglich an. Es ist Roheit oder ein Mangel des Gefühls, wenn man sich heute noch gegen die gesetzliche Einführung der Unfruchtbarmachung (Sterilisation) stemmt und auf diese Weise verhindert, daß erblich belastete Personen oder Verbrecher sich von dem Fluch ihrer Vererbung auf Lebenszeit befreien können.104

Auch hier verwies er auf längst vergangene, germanische Zeiten und hob in diesem Zusammenhang die scharfe »Ausmerze« unter den Neugeborenen bei der »nordischen Rasse« als vorbildlich hervor. Die »Nieten unter den Geburten« seien deshalb unschädlich für die Gesamtheit des Volkes gemacht worden, um die »erreichte Leistungshöhe zu erhalten«. Mit der Einführung moderner Moral- und Sittlichkeitsbegriffe sei allerdings auch diese Stütze »nordischer« Kulturblüte weggeschwemmt worden. Darré orientierte also seine von einer Überbewertung der Vererbungs- im Gegensatz zur samspflicht gegründeter Zwangsapparat, sondern ein auf Wechselseitigkeit der Rechte und Pflichten aufgebauter persönlicher Treueverband.« 102 Ebd., 89. 103 Ebd., 275. Er vermutet, »daß der Mensch eher vom Fleischfresser zu einem Gemischtkostfresser wurde« (ebd., 222). An anderer Stelle bezeichnet er den Menschen als »Nackthäuter« (ebd., 228). 104 Ebd., 424, 434 f. und 440. Vgl. dazu auch Hitler, 1932, 279  : »Die Forderung, daß defekten Menschen die Zeugung anderer ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft und bedeutet in ihrer planmäßiger Durchführung die humanste Tat der Menschheit.«

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Milieutheorie gekennzeichneten »rassenhygienischen« Vorstellungen einmal an den »klaren und übersichtlichen Zuchtgesetzen« der Völker »nordischer Rasse« in grauer Vorzeit. »Altnordische Sittengesetze, die sich zugleich als Zuchtgesetze auswirken«, so lautete der Titel eines Vortrages, den Darré 1931 vor Studenten der Universität Jena gehalten hat.105 Zu diesem Rückgriff in die Geschichte kamen Erfahrungen der Tierzucht hinzu. Ein dieser Disziplin verpflichteter Gedanke war es beispielsweise, wenn Darré Günther dafür lobte, dass er dem deutschen Volk einen »züchterischen Richtungspunkt« gegeben habe. »Zucht«, die er mit »Volksaufartung« gleichsetzte, sei ohne Auswahl eines Idealtypus ein Widerspruch in sich selbst.106 Eben gerade dieses »Zuchtziel« habe Günther dem deutschen Volk mit der Herausstellung der »nordischen Rasse« gegeben, betonte Darré. Er machte der »Rassenhygiene« und den Eugenikern sogar einen Vorwurf, der die tiefe Problematik dieser damals hoch angesehenen »Wissenschaft« unbewusst andeutete  : »Dieser Wille zur Entscheidung [über das »Zuchtziel«] fehlt aber großenteils bei unseren Volksaufartlern. Man spricht von der Pflege des Wertvollen, drückt sich aber um die klare Entscheidung, was denn nun eigentlich wertvoll ist und was nicht.«107 Für Darré stand, seit er Chamberlain, Langbehn und Günther gelesen hatte, fest, wie das »Zuchtziel des deutschen Volkes« auszusehen habe.108 Die fundamentale Bedeutung gerade der genannten »Erzväter der Rassenbewegung« für die Darré’sche »Blut und Boden«-Ideologie wird besonders deutlich, wenn er ausführt  : Wenn […] feststellbar ist, daß diese oder jene Rasse ausschließlich oder vorwiegend Gesittung schafft und daß diese Gesittung in ihrem Zustand und ihrem Bestehen von der betreffenden Rasse abhängt, dann ist im Grunde genommen die Aufgabe sehr einfach  : es muß eben diejenige Rasse, an welche die erstrebte oder zu erhaltende Gesittung gebunden ist, erhalten und gefördert werden.109

105 Darré, EuW, 1940, 183 ff. 106 Darré, Bauerntum, 1929, 425, 434, 442 f. und 472. Die starke Überbewertung der erblichen Anlagen im Gegensatz zum Einfluss der Umwelt begegnete uns schon in einem Brief Darrés an seine Frau v. 13.1.1923  : »Ist das Wesen eines Mädels die Dirne, so wird sie das, und kein Mensch hat Macht, sie aus ihrem Wesen herauszuzwingen, genau so wenig, wie ich von der Rosenknospe erzwingen kann, daß sie sich zur Chrysantheme eröffnet.« (IfZ-München, NLD, Bd. 8, Bl. 705). 107 Darré, Bauerntum, 1929, 441 f. 108 Diesen Titel, der 1931 in der Zs. VuR erschienen war und keinerlei Anstoß erregte, trägt ein Aufsatz Darrés aus dem Jahre 1931 (in  : Darré, BuB, 1941, 30 ff.). Die innere Logik seiner Weltsicht kommt darin besonders deutlich zum Ausdruck. In prägnanter Gedankenführung bietet er ein Konzentrat des Darré’schen Ideengebäudes. Durch seine klare Diktion und die streng rationale Gedankenführung zeigt dieser Aufsatz besonders anschaulich, dass die »Blut und Boden«-Ideologie, so wie Darré sie verstand, nichts anderes als eine »Rassen«-Ideologie ist. 109 Darré, Neuadel, 1930, 136.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

Es war, aus der Perspektive Darrés gesehen, deshalb folgerichtig, wenn er sagte  : Unser Ziel muß sein  : Erhaltung der Reste des Nordischen Blutes in unserem Volke, nicht aus Gründen einer Romantik, nicht deshalb weil mir die Nordische Rasse besonders liegt oder nicht liegt, sondern ausschließlich deshalb, weil sie sich in einer ein und einhalbtausendjährigen deutschen Geschichte als brauchbar erwiesen hat und wir deshalb keinen Beweis dafür haben, daß man Geschichte im deutschen Sinne auch ohne die Nordische Rasse zu machen vermag.110

In welch verhängnisvoller Weise die Vorarbeiten der Vererbungswissenschaft seit Darwin durch die »Erkenntnisse der Rassenkunde« in die Enge getrieben und so stellenweise pervertiert wurden, zeigt sich hier besonders deutlich. Darré hatte offensichtlich seine tierzüchterische und »rassenkundliche« Lektion zu gut gelernt, als dass es für ihn eine andere als die skizzierte Lösung gegeben hätte für das, was von ihm und vielen seiner Zeitgenossen als wichtigste Frage ihrer Zeit verstanden wurde. Der »Untergang des Abendlandes« war für Darré nur auf dem Weg über die »nordische Rasse« und ihre »Zuchtgrundsätze« zu verhindern. In diesem Sinne verstand sich Darré durchaus als Anti-Spengler.111 Den Gedanken des »Zuchtziels des deutschen Volkes« weiterführend, empfahl Darré die in der Tierzucht schon lange gehandhabte Methode der »Beobachtungsschulung am Idealtyp«, d. h. einer Miteinbeziehung physiologischer Gegebenheiten in die »rassische« Bewertung des Menschen. Darré scheute sich nicht, der wissenschaftlichen Anthropologie seiner Zeit einen weiteren deutlichen Hinweis in dem Sinne zu geben, dass züchterische Beurteilungskunst und Aufstellung eines »Zuchtziels« nur mittelbar mit wissenschaftlicher Systematik und Vererbungsbiologie zusammenhängen würden. Er sehe es geradezu als »Verhängnis« an, »daß sich die menschliche Rassenkunde offenbar auf das Gebiet der sogen. ›wissenschaftlichen Objektivität‹ hat abdrängen lassen und es für ein Zeichen besonderer Wissenschaftlichkeit hält, wenn man eine ›Bewertung‹ der Rasse vermeidet«.112 In diesem Sinne forderte Darré eine bewusste Erziehung der Jugend zur Beurteilung des menschlichen Körpers  : Der Blick müsse wieder vom Kopf auf den ganzen Körper gelenkt werden. Offensichtlich unter dem Einfluss von Günther und SchultzeNaumburg plante Darré Anfang 1930 ein Buch, in dem durch Bild und Wort der Leser in die wichtigsten Fragen der Körperbeurteilungslehre eingeführt werden sollte. 110 Darré an E. Jung, 4.3.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). 111 Darré, Bauerntum, 1929, 387. In seinem Beitrag für die »Nordische Tagung« in Berlin im Juni 1930 betonte er, er wolle »keine Rassenrestromantik für eine dem Untergange geweihte Rasse«, es gehe ihm vielmehr darum, »jedwede Spenglerei zu überwinden, denn in dem Maße, wie wir den nordischen Menschen im deutschen Volkskörper retten, sichern wir der deutschen Kultur die Zukunft.« (Darré, BuB, 1941, 26). 112 Darré, Bauerntum, 1929, 439  ; vgl. auch ebd., 366  : »Züchten ist eine Kunst und keine Wissenschaft.«

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»Der Leser soll den germanischen Menschen wieder körperlich erkennen lernen.«113 Auf diese Weise werde die »züchterische« Beurteilungsfähigkeit der durch den Blick zu erfassenden »Rasseneigenschaften« des Organismus beim jungen Menschen wieder geschärft, meinte Darré, und nahm sein entsprechendes Engagement in der SS Himmlers vorweg.114 Gegen den eventuellen Vorwurf, er setze Tierzucht und menschliche »Rassenhygiene« gleich, wehrte sich Darré im Voraus mit dem Argument, dass die »nordische Rasse«, als sie noch »unverbildet« gewesen sei, nicht anders gehandelt habe. Die aus dem Orient kommende »Verdrehung der Sittlichkeitsbegriffe« erst habe den Blick für die naturhaft zusammenhängenden »Gesetze des Lebens« getrübt und eine »Sonnenfinsternis der Kultur« eingeleitet. Wenn man dagegen die Überlieferung zu Sparta und der alten, germanischen Ehe- und Aufzuchtpraxis betrachte, »so mutet sie, trotz mancher Unbegreiflichkeiten für unsere jetzige Denkweise, doch immer klar, hell und sauber an  ; […] unsittlich war nur, was dem Rassenerbe zuwiderlief«, stellte Darré fest.115 Auch hier deutet sich schon an, was im »Dritten Reich«, insbesondere in der SS, unter Moral verstanden wurde. Ethisch vorbildlich (»anständig geblieben zu sein«, wie Himmler sagen sollte) war nur, was dem »Zuchtziel des deutschen Volkes« – der »Volksgemeinschaft«, welche die Herrschenden als »Blutsgemeinschaft« verstanden – nützlich erschien. Auch die Abhängigkeit der Frage »Zucht oder Unzucht  ?« allein vom »Blutserbe«, der genetischen Veranlagung, brachte Darré in engen Zusammenhang mit Methoden 113 Bfe. Darrés v. 8.4.1929 und 3.3.1930 (IfZ-München, NLD und StAG, NLD, Nr. 157)  ; vgl. hierzu auch Darré, Bauerntum, 1929, 450. 114 Ebd., 445 ff. Es gab innerhalb der »Nordischen Bewegung« eine Richtung, die sich gerade von dieser einseitigen Betonung physiologischer Merkmale, wie sie die Gruppe um Günther vertrat, distanzierte. Ihre führenden Vertreter waren L. F. Clauß, Bernhard Kummer und F. W. Prinz zur Lippe (Vom Rassenstil zur Staatsgestalt. Rasse und Politik, 1928). Sie wandten sich auch in ihrem Publikationsorgan Nordische Blätter. Zeitschrift für nordisches Leben, das 1930 im 6. Jahrgang erschien, gegen Günthers »naturkundlich-anthropometrische Rassenkunde«, die sie als materialistisch ebenso ablehnten wie seine »Rassen«-Bewertung auf der Grundlage von »Rassenmerkmalen«. Sie erstrebten eine »rassen«psychologische Sichtweise auf der Basis von »Stil, seelischer Artung und Geistigkeit«. »Rasse« sei kein Begriff der Naturwissenschaften, sondern eine »Gestaltidee« von Geist und Seele. Diese mehr philosophisch-psychologisch orientierte »Rassen«-Ideologie wandte sich denn auch heftig gegen den von Günther und Darré verfochtenen Zuchtgedanken. Kummer trat 1930 aus der NSDAP aus, F. W. Prinz zur Lippe sah sich von Darré entstellt zitiert, in ideologischen Fragen für den eigenen Zweck missbraucht, ja er sprach sogar von »überwältigender Klitterung in der Wiedergabe meiner Gedanken«. In seinem Aufsatz »Nordischer Adel«, dem er ein »Nachwort auf Darré ›Neuadel aus Blut und Boden‹ hin« anfügte (in der Aufsatzsammlung Angewandte Rassenseelenkunde, 1931, 106), zeigte der Prinz inhaltliche, ideologische und auch formale Schwächen des Darré’schen Buches auf, u. a. Widersprüchlichkeiten, dem Wortlaut nach falsche und auch sinnentstellende Wiedergaben anderer Schriftsteller und ständig wechselnden Gebrauch desselben Begriffs mit anderem Begriffsinhalt. 115 Darré, Bauerntum, 1929, 387 und 453. Vgl. die heftige Kritik, die Darrés Frauenbild auch schon zeitgenössisch erfuhr  : Pia Sophie Rogge-Börner, Nordischer Gedanke und Verantwortung. Leipzig 1930.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

und Erfahrungen in der Tierzucht. »Aller züchterische Fortschritt beruht zunächst immer nur auf der Ausmerze der Minderwertigen und einem Festhalten des bewährten Blutes.« Zusammen mit einem klaren Leistungsnachweis sei das der Grundgedanke jeder »Hochzucht«. Mit dieser »Erkenntnis über die Entstehungsursachen einer auf Leistung aufgebauten Hochzucht« glaubte Darré den Schlüssel zu besitzen, »um die Eheprobleme der Nordischen Rasse biologisch zu erschließen«. Später galt es in der SS durchaus nicht als anstößig, wenn »vorbildliches Blut« eines Mitglieds auch außerehelich fortgepflanzt wurde. Schon 1929 hatte Darré »bewußte Züchtung« der »nordischen Rasse« zur »Erhaltung ihrer Leistungsstärke« gefordert, ja er wollte sogar »einzig und allein den erwünschten Einzelnen die Ehe gestatten und das übrige ausschließen«.116 Für Darré war es »das Christentum«, das die Axt an die Wurzel dieser »Sittlichkeit« gelegt hatte, indem es »die erbliche Ungleichheit der Menschen […] durch die Lehre von der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, nach Germanien brachte.«117 Auch hier wieder wird deutlich, dass Darré in archaischen Zeiten das fand, was er suchte und was seinen derzeitigen Wünschen entsprach. Geschichtsauffassung und Arbeitsmethode Darrés bisher erkennbares Verhältnis zur Geschichte und auch seine Gedankenführung und Arbeitsweise lassen seine Einstellung zu politischen, weltanschaulichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen seiner Zeit als im wahrsten Sinne des Wortes re-aktionär erscheinen. Es drückt sich darin der Mangel jeglichen Verständnisses dafür aus, dass man eine geschichtliche Entwicklung, die vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden begonnen und der Menschheit ihr Siegel eingeprägt hat, nicht zurückschrauben kann, auch wenn die Ergebnisse dieses Prozesses nicht den eigenen Wunschvorstellungen entsprechen. Wilhelm Röpke hat vom sozialökonomischen Blickwinkel aus dies in einem Vortrag Anfang Februar 1933 − also unmittelbar unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Machteroberung  − zum Ausdruck gebracht  : »Man kann nicht 116 Darré, Bauerntum, 1929, 368 ff. Wenn der Bauernhof die alleinige Ernährungsbasis der »nordrassischen« Familie sei und er durch das Erbrecht auch in dieser Familie bleibe, so seien die unehelichen Kinder, die ein Germane mit seinen »Kebsen« gezeugt habe, »für das eigentliche Vollblut vollkommen ungefährlich« gewesen. »Es ist […] ein Irrtum anzunehmen, daß derartigen unehelichen Kindern ein Makel im heutigen Sinne anhaftete  ; sie werden nur ganz sachlich von der Zucht ferngehalten, etwa so, wie ein Pferdezüchter, der auf seinem Gestüt Vollblut zusammen mit Halbblut zieht, zwar beide in den züchterischen Maßnahmen peinlichst auseinanderhält, aber deshalb doch sämtlichen Tieren eine gleiche Liebe entgegenbringt.« (ebd., 379) Vgl. auch einen Beitrag Darrés von 1929 zum abzulehnenden Makel unehelich geborener Kinder, in dem er ein Zitat eines Grafen von Wartensleben aus dem Jahre 1904 anführt  : »Nicht auf eheliche Zeugung kommt es an, sondern auf Züchtung.« (Darré, EuW, 1940, 203 f.) Es ist bemerkenswert, dass Darré noch nach 1945 so dachte, als ihm ein unehelich gezeugtes Enkelkind geboren werden sollte. 117 Darré im März 1930, ebd., 122.

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in die Urwälder Germaniens zurücklaufen wollen […], während der Apparat unserer Massenversorgung immer komplizierter geworden ist.«118 Es handelt sich hier um ein Phänomen, das u. a. auch bei Gobineau festgestellt werden kann, das aber offensichtlich eine Zeiterscheinung auch der zwanziger Jahre war und beispielsweise bei Himmler oder Rosenberg ebenfalls zu finden ist.119 Die Sehnsucht nach den Verhältnissen früherer Zeiten, entstanden aus der Unzufriedenheit mit der Gegenwart, kommt am anschaulichsten in den Worten Hitlers zum Ausdruck  : »Warum konnte man denn nicht hundert Jahre früher geboren sein  ? […] Ich hatte mir so über meine, wie mir vorkam, zu spät angetretene irdische Wanderschaft oft ärgerliche Gedanken gemacht.« Auch Langbehns Geschichtsauffassung wies in diese Richtung, die Vergangenheit von der Gegenwart her und der Zukunft wegen zu verherrlichen  : »Wenn die Gegenwart in den Spiegel der Vergangenheit blickt, so gewahrt sie sich darin als Zukunft«, konstatierte er. Einer derartigen Haltung musste das Wort von der »Lehrmeisterin Geschichte« (»historia magistra vitae«) geradezu zum Verhängnis werden  ; denn nur allzu leicht konnten hierbei die historischen Fakten in das Dämmerlicht der Wunschbilder und in den Nebel der Vorurteile geraten.120 Wird unter solchen Umständen alle Geschichtsbezogenheit lediglich Mittel zum Zweck, so sind Gewaltakte an der historischen Realität unvermeidlich. Die Geschichte wird zur Handlangerin des eigenen Wunschdenkens, sie wird einem Weltund Zukunftsbild dienstbar gemacht. Im Falle Darrés bedeutet dies  : Er spiegelt seine eigenen Wunschvorstellungen in eine weit zurückliegende Vergangenheit und sieht sie dort verwirklicht. Er projiziert in die Vergangenheit einen biologischen ›Sinn‹ und so erhält unbewusstes, weil genetisch (»rassisch«) bedingtes Handeln von Vorfahren eine biologische, d. h. bewusste züchterische Bedeutung. Er sieht in der Vergangenheit »Zuchtgesetze der Nordischen Rasse« und verbindet sie mit gegenwärtig praktizierten »tierzüchterischen Maßnahmen zur Erhaltung von Vollblut«. Mit dieser ihn angeblich selbst verblüffenden »Entdeckung« verleiht er seinen Gedankenassoziationen auch noch eine »wissenschaftliche« Unterfütterung. Dabei spielt der Faktor Zeit als Veränderung keine Rolle  : Er wird einfach übersprungen.121 Darré verleiht dem Konstrukt der »Nordischen Rasse« insofern eine mythologische Bedeutung, als er ihre Rolle in der Menschheitsgeschichte – vom Ursprung über das Werden (einschließlich der Gefährdungen und Rückschläge) bis hin zu ihrer Bestimmung – als biologisch festgelegtes Schicksal darstellt. In einer solchen »rassischen Geschichtsbetrachtung« wird Vergangenheit zum Spiegel, in dem sich der Betrachter mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften, Wunschvorstellungen und Zukunftser118 W. Röpke in einem Vortrag am 8.2.1933 in Frankfurt/M., abgedruckt in  : Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 3.1.1963. 119 Vgl. Ackermann, 1970, 59 ff. und Kroll, 1998, 137 ff. und 230 ff. 120 Hitler, 1932, 172 f. und Langbehn, 1903, 352. 121 Darré, Bauerntum, 1929, 373 f.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

wartungen wiedererkennt, sich verstehen und sein ›Schicksal‹ erklären kann. Spekulationen ohne fachliche Grundlage werden als evidente Gewissheiten verstanden und ›verkauft‹. Das nationale Sendungsbewusstsein speist sich dann aus einer selektiv gesehenen, monumentalisierten und mythisierten Vergangenheit und dem »Blutserbe« der »nordischen Rasse«. Das so entstehende Zukunftsbild ist reine Fiktion. Hinzu kommt der Hang, die komplexe historische Realität zu vereinfachen und auf eine dichotomische Gegenüberstellung von gut–böse, richtig–falsch, Freund–Feind zu reduzieren. Das Unterscheidungsmuster für diese bipolare Weltsicht wird von seiner Vorstellung von »Rasse« bestimmt.122 An der Art und Weise, wie Darré Sparta und Rom zu Exempeln seiner rassistischen Instrumentalisierung der Geschichte machte, ist dies anschaulich zu belegen. Der griechische Staat auf der Halbinsel Peloponnes ist für ihn ein »indogermanischer Militärstaat par excellence«. Um zu beweisen, dass der dort vorherrschende Militarismus aber nicht per se, sondern ad usum agricolae praktiziert wurde, also die »nordische«, d. h. bäuerliche Elite der Spartiaten gegenüber der Masse der Heloten und Periöken keine andere Wahl hatte, als sich durch Rüstung, Sport und eiserne Disziplin zu behaupten, zeichnet Darré ein Bild von diesem Gemeinwesen, das nur als Wunschbild, aber nicht als wissenschaftlich gefestigtes Geschichtsbild zu kennzeichnen ist  : Die Spartaner seien als indogermanisches Bauernvolk auf der Suche nach kultivierbarem Boden im Zuge eines »großen nordischen Bauerntrecks« nach Lakonien gekommen. Dort hätten sie einen »merkwürdig straff organisierten Kriegerstaat« errichten müssen, um sich gegenüber der »rassisch fremden«, d. h. feindlichen Urbevölkerung zu behaupten. Die oligarchische Staatsform und ihre militärische Ausrichtung seien also nicht Selbstzweck gewesen, sondern »die echte Verteidigungsordnung eines offenen Bauernstaates […], wie sie Preußen in der deutschen Geschichte vor unseren Augen entwickelt hat.«123 Darré entwickelt daraus eine logische Kette von Argumenten, welche die Auffasung, Sparta sei an seinen vielen Kriegen zugrunde gegangen, als »biologischen Rechenfehler« entlarven soll. Denn die Zahl der Gefallenen eines Volkes sei bei einer 122 Dass sich diese Art des Denkens nicht nur auf das Gebiet historischer Analogieschlüsse beschränkt, zeigt ein Beispiel aus Darrés Typologie des Bauerntums in dem Kapitel »Das Bauerntum als Schlüssel zum Verständnis der Nordischen Rasse«. Er geht hier nicht von Tatsachen aus, sondern von Idealen und Wunschbildern. »Bauer sein heißt frei sein. Bauer sein heißt sein Handwerk verstehen. Bauer sein heißt in seinem Betrieb wirken, nicht schmarotzend auf ihm sitzen.« (Darré, Bauerntum, 1929, 277) Diese Art psychologischer Typisierung mit wertender Akzentuierung wird fatal, wenn man sich die Darré’sche Identifizierung von bäuerlichen und »nordrassischen« Eigenschaften vergegenwärtigt, mit ihrer Spitze gegen »Nomaden«, d. h. u. a. gegen Juden. 123 Darré, Bauerntum, 1929, 157 ff. und 178 f. Vgl. dazu Losemann, 1977, 24 ff.; Chapoutot, 2014, 227 ff. sowie Elizabeth Rawson, The Spartan Tradition in European Thought. Oxford 1969  ; Karl Christ (Hg.), Sparta. Darmstadt 1986 und Ernst Baltrusch, Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München 2. Aufl 2003.

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hinreichend großen Geburtenzahl leicht auszugleichen und diese »Fruchtbarkeit« sei bei einem Bauernvolk wie den Indogermanen/Hellenen selbstverständlich. Sogar den »Zeugungshelfer« entdeckt Darré bei den Spartiaten  : »Fiel der eigene Gatte der Besitzerin eines Erbgutes aus«, sei es eine »regelrechte gesetzliche Verpflichtung« gewesen, einen solchen ›Helfer‹ »an seine Stelle treten« zu lassen. Sparta sei also »nicht durch Kriege entnordet worden, sondern durch wirtschaftliche Fragen des Bodenrechts.« Ursprünglich seien die Klároi, die Erbgüter der Spartiaten, Staatslehen gewesen, unteilbar und unverkäuflich. Die Zerstückelung des Landes in viele kleine Erbteile habe dann aber die Feldmark so sehr parzelliert, dass sie nicht mehr rentabel zu bewirtschaften gewesen sei. Damit gelingt es Darré, Krieg als ein Phänomen zu kennzeichnen, das der »nordischen Rasse« einerseits durchaus nicht wesensfremd ist, das aber andererseits für sie auch nicht lebensgefährlich zu sein braucht. Entscheidend sei eben die »Bodenfrage« gewesen, d. h., das Verhältnis Mensch–Erde sei »schlechthin die Schicksalsfrage der nordischen Rasse.« Dies allein sei es, so war Darré überzeugt, was aus der kurzen Geschichte Spartas zu lernen sei  : Der Staat der Lakedämonier sei nicht durch seine Kriege zugrunde gegangen, sondern durch die Aufgabe seiner ursprünglich »gesunden bäuerlichen Grundlage«, wodurch die »Ehen immer unfruchtbarer« geworden seien. Dass genau dies, die ›Ein-Kind-Ehe‹, die Folge des »Reichserbhofgesetzes« sein würde, war Darré 1929 natürlich noch nicht bewusst.124 Auch in der Geschichte Roms und dem Bedeutungswandel der Plebejer in der römischen Gesellschaft sah er eine entsprechende Entwicklung  : »Entnordung beginnt mit dem Augenblick als Rom nach dem Siege über Karthago die bäuerlichen Grundlagen aufgibt und ein wirtschaftlich-händlerisch denkendes Volk wird, mit all den Schattenseiten eines kapitalistisch aufgezogenen Staatswesens.« Darré meinte »schrankenlose Entfaltungsmöglichkeit der Einzelpersönlichkeit […] ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesamtheit« und er sprach von einer Mentalität, die »ich-bezogen, selbstsüchtig [und] geldwirtschaftlich« orientiert gewesen sei – und war da ganz auf der Linie, die schon Spengler vorgezeichnet hatte. Aber als entscheidend für Roms Niedergang, so war Darré überzeugt, war die Veränderung der bäuerlichen Agrarverfassung. Er zitierte Plinius (»Latifundia perdidere Italiam, [iam vero et provincias]«) und sah sich in der Tradition des Tiberius Gracchus, der im Jahre 133 v. Chr. das Licinische Gesetz von 367 v. Chr. erneuert hatte, worin 124 Zitate  : Darré, Bauerntum, 1929, 163–168. Abgesehen davon, dass Darrés »Erbhof«-Gesetzgebung« von 1933 hier schon aufblitzt, ist sein Verhältnis zum Thema »Krieg und Frieden« hier grundgelegt. Denn er plädiert im Falle der »Besitzergreifung Griechenlands durch die Hellenen« für ein »schwertbejahendes Bauerntum« (157). Dies ist für seine spätere Verteidigungsstrategie im Nürnberger Prozess nicht ganz unwichtig. Es ist auch für die Frage relevant, wie er – einfluss- und machtlos zusehend – die Entwicklung des Hitlerstaates in den Zweiten Weltkrieg erlebte und warum er sich so vehement dagegen wehrte, dass ihn Himmler als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« bei der Besiedelung des eroberten »Lebensraums im Osten« ausgebootet hatte.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

eine Obergrenze für Landbesitz festgelegt worden war. So sollten »Landflucht« und Großgrundbesitz verhindert werden, was bekanntlich schon im antiken Rom gescheitert war.125 Ein weiteres Beispiel  : Für Darré war das Jahr 109 v. Chr. das wichtigste Datum der »Nordischen Rasse« in Europa, als die Kimbern und Teutonen die geschlagenen Römer nicht nach Italien verfolgt hatten. Damals sei die Möglichkeit der Verwirklichung eines »nordisch« bestimmten Staatsaufbaues verpasst worden, war Darré überzeugt. Kampf zwischen »arteigenem«, »artentfremdetem« und »artfremdem« Wesen beherrsche seither die deutsche Geschichte  : Von jenen Germanen an, die im Jahre 58 v. Chr. Cäsar halfen, einen Ariovist zu besiegen, über Segestes und seine traurige Rolle gegenüber dem Sieger in der Varusschlacht im Teutoburger Walde, über den im Solde Roms stehenden Vandalen Stilicho, der die bei Pollentia ahnungslos ihr Osterfest feiernden arianischen Westgoten unter Alarich überfällt und niedermachen läßt, über den fränkischen Karl, der zur Ehre Roms Tausende von niedersächsischen Edelingen bei Verden an der Aller im wahrsten Sinne des Wortes hinschlachtet und ihre Frauen und Kinder verschleppt und damit vernichtet, über die Freiheitskämpfe der Niederländer gegen die Spanier, über unsere Bauernkriege im 16. Jahrhundert, über die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges usw. hinweg bis in unsere Zeit hinein, zieht sich durch die ganze germanische Geschichte wie ein roter Faden die Tatsache, daß das Germanentum einen verzweifelten Kampf gegen entfremdetes, aber arteigenes Blut auszufechten hat, welches ihm sein eigenes Renegatentum aufzwingen will. Und dies verdanken wir in erster Linie der politischen Instinktlosigkeit jener Kimbern und Teutonen im Jahre 109 v. Chr., die aus einem echt nordischen Rechtsgefühl heraus, das ihrer Lage durchaus nicht entsprach, die große Stunde der Germanen versäumten.126

Wird hier die geschichtliche Faktizität im rassenideologischen Blickwinkel verzerrt, so ist die Arbeitsweise Darrés beispielhaft für eine Methode, die nach dem Motto ›gesucht – gefunden‹ mehr oder weniger gefestigte Aussagen im einschlägigen Schrift125 Darré, Bauerntum, 1929, 184 f., 89, 124  ; Neuadel, 1930, 81  ; Schlange-Schöningen, 1933 und Fried, 1938a sowie H. Haushofer, 1958, 195 f. 126 Darré, »Hellenen, Germanen und wir«, Aufsatz aus dem Jahre 1929, der damals, um seine Berufsperspektive nicht zu gefährden, unter Pseudonym in Die Sonne. Monatsschrift für nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung erschienen war (abgedruckt in  : Darré, EuW, 1940, 104 ff., Zitat 112 f.). Wie hier ein ganz bestimmtes Denkschema der Historie aufgepfropft wird, zeigt sich auch an einem anderen Beispiel  : Luther wird zwar als »Auslöser germanischer Selbstbesinnung« gelobt, doch auch er »verstand seine Zeit und Aufgabe nicht vollständig und vernichtete durch seine Ablehnung der Bauernerhebung die hoffnungsvoll ans Licht strebenden Kräfte.« (ebd., 114) Karl der Große war für Darré der »Sachsenschlächter« und »blutsmäßig kein reiner Germane«, weil er »römisches Denken nach Germanien verpflanzen wollte und tatsächlich verpflanzt hat«, gleichwohl aber auch eine große historische Gestalt (Darré, Bauerntum, 1929, 110 ff. und Darré, Neuadel, 1930, 31).

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tum dem eigenen Wunschdenken dienstbar macht. In einer Kritik zu Darrés Buch findet sich der sicherlich wohlgemeinte Satz  : Was Ihering und Amira als Rechtshistoriker, Birt und Busolt als Historiker, Kossinna und Schuchhardt als Archäologen, Hirt und Kluge als Sprachforscher, Frölich und Hilzheimer als Tierzüchter und H. F. K. Günther als Rassenforscher oft in ganz anderem Zusammenhang festgestellt haben, Darré faßt es in beherrschendem Überblick zusammen.

Dabei hat Darré die Menschheitsgeschichte auf biologische Prozesse in der Natur reduziert  : Sie war für ihn eine Emanation »rassischer« Entwicklungen.127 Darré sah also in der modernen Entwicklung, die von der »genossenschaftlichen Grundauffassung des germanischen Bauerntums« abgewichen sei und lieber einer »schrankenlosen Entfaltungsmöglichkeit ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesamtheit« gehuldigt habe, eine große Gefahr für Bauerntum, »nordische Rasse« und deutsches Volk.128 Einen weiteren verhängnisvollen Erdrutsch sah er mit Günther in der Französischen Revolution. Neben der Industrialisierung seien die Reformen, die Hardenberg im Anschluss an den anders denkenden Freiherrn vom Stein durchgeführt habe, die Wurzeln allen Übels, war Darré überzeugt. Keine Bauernbefreiung, »sondern bloß eine Bauernentwurzelung« sei die Folge gewesen. »Sie befreiten zwar den Bauern von den Feudallasten, lieferten ihn dafür umso rücksichtsloser den Geldmächten aus.«129 Schließlich habe das BGB von 1900 in Deutschland »die Axt an die Wurzel seines Volkstums gelegt und damit […] auch den Lebensnerv der Nordischen Rasse im deutschen Volkskörper zerschnitten.« In der hypothekarischen Belastbarkeit der Bauernhöfe sah Darré den entscheidenden Grund, der zur »Zwingherrschaft der beweglichen Geldmächte« und zum »Wucher auf dem Lande« geführt habe. Dieses Vordringen städtischer »fremdrassischer« Kapital- und Handelsmächte aufs Land sei zwar durch den Anerbenbrauch erschwert worden, doch die noch hier und da herrschende Anerbensitte biete keine Gewähr mehr für einen ausreichenden Schutz des Bauernhofes vor dem »liberalistischen Händlertum«. Zusammenfassend sei zu diesem Problem ›Anerbenrecht oder Realteilung‹ – auch im Hinblick auf das spätere »Reichserbhofgesetz« – Darré selbst ausführlich zitiert, da auf diese Weise Gedankengang und Methode der Beweisführung seiner Aussagen am besten dokumentiert werden, die erst vor dem Hintergrund des rassenideologischen Gegensatzes zwischen dem bodengebundenen »Arier« und dem händlerischen »Juden« in ihren Dimensionen deutlich erkennbar werden  : Darré ging von der Feststellung aus, 127 Niederdeutsche Volkszeitung, Hannover, v. 29.1.1929 (bei Frau Bauer eingesehen). 128 Darré, Bauerntum, 1929, 118 und 89  ; vgl. auch Darrés Polemik gegen den Individualismus (ebd., 181 u. 190). 129 Ebd., 69 f. und 466 sowie 180  : »Im Orient begann die Herrschaft des Geldes ihren Siegeszug um die Welt anzutreten.« Vgl. hierzu auch Gottfried Feders Forderung  : »Brechung der Zinsknechtschaft«  !

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

daß der Handel dann immer am besten gedeiht, wenn die Beweglichkeit und Ungebundenheit der Waren weitgehendst durchgeführt ist. […] Aber diese Tatsache stieß im Altertum unweigerlich feindlich zusammen mit dem ganzen Gedanken des indogermanischen bodengebundenen Familienrechts. Und weil nun der Handel sich auf Schritt und Tritt von diesem Familienrecht beengt fühlte, stellte er rein triebmäßig diesem Recht einen erbitterten Widerstand entgegen und versuchte in einem zähen Kleinkrieg die Unterlagen dieses Rechts zu untergraben. In diesem Kampfe ist der Handel bisher noch immer Sieger geblieben. Die Abschnitte dieses Kampfes, der sich fast immer über einige Jahrhunderte hinzieht – (in Griechenland z. B. vom 7. bis 3. Jahrtausend v. Chr.) –, sind gekennzeichnet durch gewisse Erscheinungen, die sich fast mit gesetzmäßiger Regelmäßigkeit wiederholen. Die Überschriften der drei Hauptabschnitte seien hier genannt  : Verkündigung des Individualismus, d. h. Verherrlichung der nur sich selbst verantwortlichen und ausschließlich auf eigenen Füßen stehenden Persönlichkeit  ; Bauernbefreiung, d. h. Aufhebung der Hörigkeit, eine Tat, die allerdings meistens gerecht ist, weil die ursprünglich sozial sehr verantwortungsbewußte Grundherrschaft unter dem Druck der aufkommenden Geldherrschaft meist in drückende Fronherrschaft ausartete und auch längst Bauern zu Hörigen gemacht hat, deren Vorfahren mit den Vorfahren der herrschenden Adelsschicht als gleichberechtigte Eroberer ins Land kamen  ; Demokratie mit ihrem Gefälle vom städtisch gebundenen Königtum bis zur schrankenlos herrschenden Plutokratie.

Darré sah in dieser Entwicklung einen vom »Handel« bewusst gesteuerten Vorgang, »die Gebundenheit des Bodens aufzuheben«, wodurch er als »frei veräußerliche Ware« den »fremdrassischen« Mächten »ausgeliefert« worden sei. Auffallenderweise kann man nun immer wieder beobachten, daß der Handel sich in diesem Kampfe gegen das ländliche Anerbenrecht einer Begriffsfälschung bedient, die kulturgeschichtlich sehr aufschlußreich ist. Man rollt nämlich die Frage des Anerbenrechts ausschließlich von der Seite des Besitzes auf und stellt es hin als eine allen demokratischen Grundsätzen Hohn sprechende Bereicherung Einzelner. Dabei übersieht man aber, daß das Anerbenrecht entwicklungsgeschichtlich nicht das Ergebnis einer wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit gewesen ist, sondern lediglich ein Teil des alten indogermanischen Familien-Rechts war. Man hob daher mit dem Anerbenrecht auch den Gedanken der bodengebundenen indogermanischen Familienverfassung auf. Damit fiel praktisch der Begriff der indogermanischen Familie in sich zusammen, und mit ihm verschwanden sehr bald und folgerichtigerweise alle jene sittlichen Werte, die aus der Quelle der indogermanischen Ehe gespeist wurden. Allerdings scheint der Handel zunächst mit seinen gegen die Gebundenheit von Grund und Boden durchgeführten Maßnahmen recht behalten zu wollen, da das Eindringen der Geldwirtschaft in die ländlichen Verhältnisse ein Aufblühen der Landwirtschaft bewirkt. Doch bald gelangen die frei gewordenen Bauern in die Zinsknechtschaft der städtischen Geldherren, müssen von Haus und Hof und wandern in die Stadt ab. Während so das Land

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an Menschen arm wird, bläht sich die Stadt auf. Zwar erleben die Völker des Altertums in diesem Augenblick meistens ihre kulturelle Blüte und bringen ihre edelsten und wertvollsten Kulturschöpfungen hervor. Aber bei näherem Zusehen erweist sich dieser Zustand doch weniger als Ausdruck eines lebendigen Kräftespiels in einem gesunden Volkskörper, denn als phosphoreszierende Zersetzungserscheinung entwurzelter indogermanischer Schöpferkraft, deren bester Teil sich in einem kurzen, aber hellen Aufleuchten brennend in sich selbst verzehrt  ; der geneigte Leser möge sich für Griechenland bei Gilbert, Busolt, Lübkers u. a., für Rom bei Mommsen, Ferrero, Kuhlenbeck, Ihering u. a. von der Richtigkeit des hier Gesagten überzeugen  ; und der Verfasser möchte noch hinzufügen, daß  − soweit Landwirtschaftsgeschichte und eine neuzeitliche, rassenkundlich eingestellte Geschichtsforschung hier schon ein Urteil zu bilden erlauben  − dasselbe auch für alle anderen indogermanischen Staatengründungen zu gelten scheint […], jedenfalls ist dieser geschichtliche Zustand im Leben eines indogermanischen Staates derjenige Zeitabschnitt, der bei aller scheinbaren kulturellen Höhe doch schon den Keim der Fäulnis in sich trägt und oft daher trotz aller politischen Machtstellung des Staates den grausig schnellen Absturz in das Dunkel der Geschichte bewirkt.130

Liberaler Handel, Urbanisierung und Industrialisierung erschienen Darré demnach als sich gegenseitig bedingende Erscheinungen, die »Landflucht« und Zerstörung des Bauerntums zur Folge gehabt hätten, was natürlich letztlich gleichbedeutend sei mit »rassischem« und kulturellem Niedergang. »Eine gewisse Asphaltpresse« habe die Bevölkerung über diese verhängnisvolle Entwicklung, vornehmlich in der »Unfruchtbarkeitsmaschine, genannt Stadt«, irregeführt. So sei der Stolz auf das Bauerntum und auf den Beruf des Bauern in der Welt abhandengekommen. »Deutschland hat durch seinen industriellen Aufschwung von 1871 bis 1914 derartige Hekatomben von Bauerngeschlechtern geopfert, daß einem biologisch geschulten Menschen über diese auch noch als ›Fortschritt‹ gepriesene Selbstentleibung die Haare zu Berge stehen können.«131 Indem Darré gleichzeitig im Bodenrecht »schlechthin die Schicksalsfrage der Nordischen Rasse« sah, war auch hier der Zusammenhang mit Rassenideologie und Antisemitismus hergestellt. Da dem Anerbenrecht in Darrés Vorstellung der Gedanke »nordrassischer« Selbsterhaltung zugrunde lag, war es ganz folgerichtig, wenn er in einem Brief an seinen Verleger Lehmann darauf hinwies  : »Hauptzweck« seines Buches über das Bauerntum sei »ja gerade das, das deutsche Volk auf die große biologische Bedeutung des alten deutsch-germanischen Landrechts hinzuweisen.«132 130 Darré, Bauerntum, 1929, 181 ff. 131 Ebd., 71 f., 73 und 165. 132 Brief Darrés an Lehmann v. 8.5.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). In gleichem Sinne äußerte sich Darré gegenüber Edgar Jung am 10.5.1928  : »Der Grundgedanke des ganzen Buches ist der, die breite, hauptsächlich rassenkundlich orientierte Öffentlichkeit auf die Bedeutung des Bauerntums und im besonderen auf das altdeutsche bäuerliche Erbrecht zu verweisen.« (ebd.)

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

Darrés Arbeitsmethode ist dadurch gekennzeichnet, die Aussagen seiner Gewährsleute seinem simplen dichotomischen Weltbild anzupassen.133 Als Beispiel sei nur noch auf die Benutzung des römischen Schriftstellers Tacitus hingewiesen, der auf der einen Seite als durchaus glaubwürdig oftmals zur Schilderung altgermanischer Verhältnisse herangezogen wird, der aber an einer Stelle, die von der kriegerischen Art der Germanen und ihrer Missachtung des Ackerbaues handelt, von Darré als nicht kompetent zur Seite geschoben wird.134 Der Appell an das nationale Ehrgefühl des Lesers ist hierbei besonders dekuvrierend  : »Um ein handgreifliches Beispiel für den Wert solcher nichtdeutscher Berichte herbeizubringen«, verwies Darré auf »die geradezu unsinnige Vorstellung der Ausländer über das Mensurwesen unserer Studenten sowie den blutdürstigen ›Militarismus‹ unseres aktiven Offizierskorps«. Diese »Auffassungen über uns Deutsche, die mit dem tatsächlichen Verhältnissen nicht das geringste mehr zu tun haben«, zeigten, daß es offenbar einem Nichtdeutschen unmöglich ist, den Deutschen richtig zu sehen. Und wenn man die heutigen Auslandsstimmen über unser »saufendes, raufendes, faulenzendes deutsches Studententum« mit den Worten des Tacitus über die freien Germanen vergleicht, die angeblich das Schwert auch mehr liebten als die Arbeit, den Metkrug mehr als die Mäßigkeit, dann wird man doch fast handgreiflich dazu geführt, derartige Worte des Tacitus mit Vorsicht aufzunehmen.135

Schon bei der dichotomischen und unhistorischen Gegenüberstellung von Nomade/ Jude und Bauer/Arier war der Hang Darrés zu einem polaren Argumentationsmuster deutlich geworden. Diese Konfrontation zweier Prinzipien nach dem Schema entweder– oder dürfte er bei Chamberlain gelernt haben, sie war aber auch bei Darrés »völkischen« Zeitgenossen sehr beliebt. Sie entwickelt einen radikalisierenden Sog im Denken, der insbesondere bei Wertungen keinen Ausweg mehr zulässt  : Das als negativ Erkannte muss natürlich ausgeschaltet, das Positive gefördert werden. Indem das Böse aus der 133 Die Mitteilung seines Verlegers Lehmann in einem Brief v. 14.11.1928 an Darré weist auf diese Kompilationstechnik recht eindeutig hin  : »Mein Schwiegersohn sagt nämlich, daß Sie wohl Ihre Behauptungen durch Aussprüche anderer Gelehrter belegt hätten und somit wenigstens teilweise gedeckt seien  : er bezweifelt aber die Richtigkeit der Behauptungen verschiedener Ihrer Gewährsmänner und glaubt, daß sich der Eine oder Andere von diesen auch geirrt habe und daß Sie die irrigen Meinungen dieser Leute mitübernommen hätten.« (StAG, NLD, Nr. 84). 134 Darré, Bauerntum, 1929, 98, 249 und 405. Vgl. auch seinen Aufsatz »Zur Berichterstattung des Tacitus in der Germania« vom Januar 1930 (Darré, EuW, 1940, 157 ff.). Zum auch bei Darré gepflegten Germanen-Mythos vgl. See, 1987, 343 ff. und Engster, 1986. 135 Darré, Bauerntum, 1929, 121 f. Als letztes Beispiel dafür, wie Darré die Überlieferung in sein starres Denkschema einzupassen versuchte, sei auf seine Interpretation der Stelle aus dem Alten Testament verwiesen, die vom Brudermord Kains an Abel erzählt  : »Kain, der Ackerbauer, kann sich des Nomaden Abel nicht anders erwehren, als daß er zur Waffe greift und ihn niederschlägt.« (ebd., 329 f.; vgl. auch Darré, EuW, 1940, 30) Ein Vergleich mit dem Bibeltext (Gen 4) macht die ganze Haltlosigkeit dieser Behauptung deutlich.

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Welt geschafft ist, wird das Gute nicht nur geschützt und erhalten, sondern geradezu erlöst. Bei einer historische Umstände völlig außer Acht lassenden biologistischen Weltsicht, wie sie bei Darré vorliegt, hat dieses Denkschema geradezu fatale Folgen  : Es lässt zum einmal festgestellten Befund keine Alternative zu, auch keine historisch bedingte. Wie aber kann man das negativ Stigmatisierte verteidigen oder gar die Vorwürfe widerlegen  ? Das bipolare Welterklärungsdenken entzieht sich einem rational geführten Diskurs, indem es den ethischen Gehalt der Erkenntnis von vornherein festlegt und für naturwissenschaftlich begründet und unveränderlich, weil naturgesetzlich determiniert erklärt. Dadurch wird jedes das Böse entlastende Argument nur zu einem weiteren Beweis für seine hinterlistige Perfidie. Darrés Scheinargumente täuschen eine Logik vor, die in Wahrheit Vor-Urteile bestätigen soll. Die behaupteten »Rassengesetze« traten in ihrer Funktion an die Stelle dessen, was früher »göttliche Gebote« waren und das Wertesystem bestimmte. Wird die Auseinandersetzung zweier gegensätzlicher Prinzipien konkret, ist eine programmatisch auf Realisierung hin angelegte Position unumgänglich. Denn es wäre unmoralisch, dem Guten nicht durch aktives Handeln zum Sieg über das Böse zu verhelfen. Die als notwendig erkannte Beseitigung des Unheils aus der Welt fordert politisches Handeln heraus und gibt diesem Tun auch noch eine zusätzliche Legitimation, indem die Menschheit oder das eigene Volk von einem Übel befreit und gleichzeitig dem Guten zur Herrschaft verholfen wird. Alles andere wäre amoralisch und inhuman oder unpatriotisch. Eine rassistische Geschichtsbetrachtung, so wie sie Darré vorführt, erlaubt nur die Farben Schwarz oder Weiß, Grautöne können darin nicht vorkommen. Wie sehr das nationalsozialistische Geschichtsbild von der Devise »Der Zweck heiligt die Mittel« bestimmt wurde, zeigt Alfred Rosenberg in einer Rede, die er am 22. Februar 1934 in der Krolloper in Berlin gehalten hat. Der »Beauftragte des Führers für die Überwachung der weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP« kennzeichnete darin den »neuen« Maßstab für historische Größe  : Die neue Geschichtsauffassung […] mißt die Größe der Männer und Frauen der Vergangenheit auf allen Gebieten danach, mit welcher Kraft und Vollkommenheit sie Blut und Boden der deutschen Nation erhalten, in welchem Ausmaß sie die hohen Werte germanischen Ehrgefühls beschirmt und wie eine Schöpferkraft das geistige Deutschland gestählt und verklärt hat.136

Ehe und Familie Darré betrachtete neben dem Erbrecht in besonderem Maße die Ehesitten der Völker »nordischer Rasse« als Grundpfeiler ihrer Größe, die es zu erneuern galt. Bei seiner 136 A. Rosenberg, »Der Kampf um die Weltanschauung«, in  : Hier spricht das neue Deutschland. München 1939, 15 (zit. n. Ackermann, 1970, 59).

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

ausschließlich rassistisch und bevölkerungspolitisch orientierten Interpretation der Vergangenheit sowie seinen tierzüchterischen Studien und Interessen sah sich Darré mit logischer Konsequenz auf das Gebiet der »Ehe- und Aufzuchtgesetze der Nordischen Rasse« verwiesen. Ihrer Schilderung sind vornehmlich die beiden letzten Kapitel seines Buches Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse gewidmet. Sehr ausführlich werden alle Sitten und Gebräuche bei Germanen und Spartanern dargestellt, die seine These unterstützten, dass die Ehe bei der »nordischen Rasse« allein unter züchterisch-biologischen Gesichtspunkten, als Angelegenheit der »Zuchtwahl«, geschlossen worden sei. Wesensinhalt der »nordischen« Ehe, ihr »kategorischer Imperativ«, sei die Kinderzeugung gewesen, nicht das »Privatvergnügen« der Ehegatten, stellte er fest. Letztlich komme es auf die erbwertliche Tüchtigkeit der Kinder bei der Beurteilung einer Ehe an, »wenn man die Frage vom Standpunkt der Allgemeinheit betrachtet und nicht vom ichsüchtigen Standpunkt aus«. Die Ehe sei als »eine Aufgabe im Dienste der Allgemeinheit« aufgefasst worden.137 Den Germanen habe der höhere Organismus − Familie, Sippe, Stamm − stets mehr gegolten als der Einzelne. Daher sei die Ehe ein gesellschaftlicher Auftrag im Interesse der Art- und Sippenerhaltung. Individualistische Lust und Liebe seien irrelevant gewesen. Auch hier komme der Grundsatz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« zum Ausdruck.138 Die Stellung der Frau in der »nordischen« Ehe weit in der Geschichte zurückreichender Zeiten diente Darré besonders dazu, seine Ansicht zu exemplifizieren, dass Fragen der Keuschheit und Moral lediglich vom Standpunkt der Erbmasse her zu beurteilen seien. Die »erbwertliche« Bedeutung ihrer Kinder sei bei der »nordischen Rasse« immer zum Gradmesser für die Beurteilung der Ehefrau gemacht worden, behauptete er. Eine »geschlechtliche Freiheit«, wie sie der Mann besessen habe, sei für die Frau aus Gründen der Reinerhaltung des Blutes nicht möglich gewesen. Indessen sei sich die »nordrassische« Ehefrau ihrer Bedeutung in erster Linie als Hausfrau und Mutter durchaus bewusst gewesen. Sie habe die Promiskuität ihres Mannes nicht als Einschränkung ihrer Stellung innerhalb der Ehe aufgefasst, die auch für sie eine »biologische Zweckmäßigkeit« gewesen sei.139 137 Darré, Bauerntum, 1929, 378, 396 und 405 f.; Notiz Darrés v. 9.10.1932 (BA Koblenz, NLD, AD 45 b) sowie Darré an E. Jung, 4.3.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). 138 »Die Ehefrau wird dem Gatten von der Gemeinschaft des Stammes gewissermaßen nur zu treuen Händen übergeben. […] Ehe und Kinderaufzucht sind für ein Familienoberhaupt Nordischer Rasse soziale Verpflichtungen gewesen.« (Darré, Bauerntum, 1929, 385 f.) Vgl. dazu auch Hitler, 1932, 275 f.: »Auch die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muß dem einen großen Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse, dienen. Nur das ist ihr Sinn und ihre Aufgabe.« 139 Darré, Bauerntum, 1929, 380, 412 f., 419 und 471. Außerdem meinte er, »daß die verheiratete Frau sehr wohl in der Lage ist, in ein reingehaltenes Vollblut ein Bastardblut hineinzuschmuggeln. Daher ging die Nordische Rasse auch mit rücksichtslosen Mitteln gegen die Ehebrecherin vor und tötete sie  ; eine rassliche [sic] Niete muß gewissermaßen so nachdrücklich wie nur möglich ausgemerzt werden.« (ebd., 388) Ehebrecherin sei allerdings nur die Frau gewesen, die sich mit einem »rassisch ungleichwertigen« Mann eingelassen habe  : »Der Nordischen Rasse war Ehebruch durchaus nicht der geschlecht-

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Darré stützte seine These, die »nordische Rasse« habe ihre Führungsstellung durch dieses auch in der Tierzucht richtungsweisende »eiserne Gesetz der Leistungshochzucht« errungen und gefestigt, indem er auf die Institution des »Zeugungshelfers« hinwies  : Die Gemeinde gab dem Ehemann eine Jungfrau zu treuen Händen, damit er Kinder mit ihr zeuge und stellte durch übersichtliche Erbgesetze den Ernährungsraum für die Kinderschar sicher. Wurde der Ehemann durch irgendwelche Umstände gehindert, Kinder zu zeugen, so dachte die Nordische Rasse gar nicht daran, den kostbaren Ernährungsraum für eine Kinderschar brachliegen zu lassen  ; man verlangte, daß der Gatte einem anderen Freien die Gattin zur Verfügung stellte, damit die Fruchtbarkeit der Frau genutzt werde.140

Angesichts eines solchen Satzes erscheint es angebracht, nochmals darauf hinzuweisen, dass Darré es für »unzulässig« ansah, die »nordrassischen Ehe- und Aufzuchtgesetze« − auch, vielleicht sogar  : besonders so, wie er sie schilderte und interpretierte − mit heutigen Moral- und Sittlichkeitsbegriffen einzuschätzen. Der »Zeugungshelfer«, den man auf die Sippe des Gatten beschränkt habe, sei zwar eine »Behelfsmaßnahme«, aber eine »züchterische Notwendigkeit« gewesen. Nicht nur weil man »die Ehe im Hinblick auf die Allgemeinheit schloß« und sie als »Pflicht an der Gesamtheit« auffasste, sondern besonders weil die »nordische« Führungsschicht nur so ihre »Rasse«, ihr »Blut« habe rein halten und ihre führende Stellung habe verteidigen können. Darré schildert den Niedergang der Völker »nordischer Rasse« in engem Zusammenhang mit äußeren, unbäuerlichen, nicht arteigenen Einflüssen. »Entnordung« und damit Kulturverfall sei weniger eine Folge von Kriegen als vielmehr durch die Aufgabe bäuerlichen Lebensstils bedingt gewesen. Bei gesundem Bodenrecht und gesunden Ehen hat der Nordischen Rasse noch niemals ein Krieg im biologischen Sinn geschadet. Erst wenn eine Abkehr vom ländlichen Leben eintritt und die Ehe keine Aufgabe mehr an der Gesamtheit ist, sondern zum Geschäft oder zum Privatvergnügen oder eine Angelegenheit der Hausmacht-Politik wird, greifen die Kriege »entnordend« ein, weil unter solchen Anschauungen die Kinderzahl notwendigerweise nachläßt und nunmehr der vorher unmaßgebliche Hundertsatz an Gefallenen sich verheerend auswirken muß.141 liche Verkehr der Ehefrau mit einem anderen Manne, sondern nur der dem Ehemann unbekannt bleibende Umgang mit einem anderen Mann. […] Ehebruch der Frau ist nur solange gefährlich, als sich unbekanntes Blut in das eigentliche Vollblut einschleichen kann.« (ebd., 392) Pikanterweise sah Darré im »Judentum« eine ähnliche Stellung der Ehefrau. Wer Jude sei, werde nur durch das Zeugnis der Mutter bestimmt. 140 Ebd., 166 ff., 369, 389 ff. und 470. 141 Darré, Bauerntum, 1929, 467 und 56 f. Im Dezemberheft 1929 der Zs. Die Sonne hatte sich Ludwig Schemann, der Gobineau in Deutschland bekannt gemacht hatte, sehr positiv zu Darrés Bauerntum

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

Zur Untermauerung dieser These diente Darré insbesondere das Verhältnis zwischen Spartiaten und Heloten. Die englische Geschichte wiederum zog er als Beispiel für die verheerenden Folgen der »Entwurzelung« eines Volkes heran, worunter er die dortige Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat verstand. Aufgabe bäuerlichen Lebensstils, allmähliche Durchbrechung der »Zuchtgesetze der nordischen Herrenschicht« durch die Unterschichten, Industrialisierung und Geldwirtschaft, das sind also nach Darrés Meinung die Faktoren, welche der »Reinerhaltung des Blutes und einer nordischen Kultur« in der Geschichte entgegengewirkt haben. Die Folgen seien »Entnordung«, Kulturverfall und zivilisatorische Dekadenz gewesen.142 Bei diesem Ergebnis seiner Analyse blieb Darré jedoch nicht stehen. Schon hier in seinem Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse war durch die − wenn auch oft negative  − Setzung der Akzente der Weg in eine »bessere« Zukunft jenseits des Spengler’schen Fatalismus gewiesen. Günther sprach davon am Ende seiner Betrachtung über Darrés Werk  : »Der Nordischen Bewegung ist aufgegeben, durch Landsiedlung erbgesunder nordischer Menschen im Sinne des Darréschen Buches den Menschenschlag neu zu bilden, dessen Vertreter wieder als ›echte Deutsche‹ gelten dürfen  : den künftigen nordrassischen Deutschen.« Dies ist eine Formulierung, die darauf schließen lässt, dass Darré mit seinem Vorhaben Erfolg gehabt hat, die »Nordische Bewegung« auf die fundamentale Bedeutung des Bauerntums für die »nordische Rasse« und eine »nordische« Kultur hinzuweisen. Auch Günther gab nun die Parole aus  : »Wiedervernordung vom Bauernhof her«.143 Schon in seinem ersten Buch finden sich Hinweise auf Darrés Vorstellung von der »nordrassischen« Elite, die natürlich an frühgermanischen Verhältnissen, so wie Darré sie sehen wollte, orientiert waren. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass er mit Hilfe des als Anlass seiner Ausführungen benutzten Buches von Kern einer damals weit verbreiteten Meinung entgegentreten wollte, die »nordische Rasse« als nomadische »Herrenrasse« anzusehen. Er wollte die Ansicht widerlegen, diese habe auf ihren Wanderungen andere »Rassen« und Völker überschichtet und dann die Unterworfenen kraft ihres kriegerischen »Herrentums« zu einer »nordischen« Kultur gezwungen. Diese halbnomadisierenden Hirtenkrieger mit bäuerlichem Gefolge hätten ihr »Hergeäußert. Er wandte sich jedoch »gegen Darrés These, dass nicht die zahlreichen Kriege sondern die Abkehr vom Lande und der damit verbundene Geburtenrückgang die Entnordung Hellas, Roms und anderer Völker Nordischer Rasse herbeigeführt habe.« Darauf antwortete Darré dem »allverehrten« Freiburger Professor, »dessen Lebensarbeit ja der Erforschung und Erhaltung der Nordischen Rasse gewidmet« sei, im Januarheft 1930 mit dem Aufsatz »Entnordung durch Kriege und Artprägung durch Bauerntum«, in  : Darré, EuW, 1940, 135 ff. 142 Darré, Bauerntum, 1929, 126 ff., 133 ff., 406 und 471  ; vgl. hierzu Hitler, 1932, 324  : »Die Blutsvermischung und das dadurch bedingte Senken des Rassenniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens alter Kulturen  ; denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist.« 143 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 142.

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rentum« nur in einer kriegerischen Umwelt entwickeln können, wobei sich bei der »nordischen Rasse« jene Kampffreudigkeit und Ritterlichkeit herausgebildet habe, die einesteils ihren »Adel« erkläre, andererseits sie aber der groben Handarbeit des Bauern gegenüber abgeneigt gemacht habe. Gegen diese als Abwertung der »nordischen Rasse« aufgefasste Theorie wandte sich Darré mit seiner These, aus dem »nordrassischen« Bauerntum habe sich durch bewusste »Leistungshochzucht« eine besondere Adelsschicht entwickelt, so dass Adel und Bauerntum ursprünglich eins gewesen seien. Die »nordische Rasse« sei also keine Herrenschicht gewesen, die das »dalische« bzw. »fälische« Bauerntum beherrscht habe und für sich arbeiten ließ, sondern durch »Leistungshochzucht« seien aus Freibauern Adelsbauern geworden  – ein »Blutsadel« par excellence, stellte Darré lapidar fest.144 Es ging ihm bei diesen offensichtlich von Wunschdenken beeinflussten Überlegungen allerdings weniger um die Bezeichnung »Herrenrasse«, die er übrigens an anderen Stellen für die »nordische Rasse« mehrmals verwandte,145 sondern er wollte der Trennung der menschlichen »Rassen« in solche der aufbauenden Werktätigkeit und solche des ausschließlichen Führertums entgegentreten. Wenn nämlich die »nordische Rasse« auf eine »kriegerische Herrenrasse« reduziert werde, so kalkulierte er, könne das als eine Diskriminierung verstanden werden und die »Aufnordungspläne« der »Nordischen Bewegung« diskreditieren. Diese Gedankengänge weisen schon auf ideologische Gegensätze hin, an denen nicht zuletzt die zunächst enge Freundschaft zwischen Darré und Himmler später zerbrach. Dessen Machtinstinkt verband die SS schon früh mit Aufgaben der Polizei und verschob deren Verwurzelung mit dem Bauerntum auf die Zeit nach dem Krieg, wenn »Wehrbauern« den im Osten eroberten »Lebensraum« absichern sollten. Die Absicht Darrés erkennend, stellte Günther deshalb auch nach der Lektüre des Buches mit deutlich spürbarer Erleichterung pathetisch fest  : Bei alledem ist es für die Nordische Bewegung so bedeutungsvoll, daß der Nordische Mensch nach Darrés Entdeckungen − so möchte man fast sagen − für das gesamte Indogermanentum, heute also vor allem für das Abendland dasteht  : nicht als nomadischer Eindringling, nicht als Angehöriger eines lose überschichteten Herrentums, dem ein Bauerntum Knechtsdienste leistet, sondern als der Gründer des abendländischen Bauerntums selbst, als der von Grund

144 Vgl. Darré, Bauerntum, 1929, 365 und 374 f., wo er den germanischen Adel als »echtes Hochzüchtungsergebnis« bezeichnete, »welches haargenau den gleichen Gesetzen unterworfen war  – wie die englische Vollblutzucht.« Für seine »Synthese zugleich volkstümlicher und rassisch-aristokratischer Lebensformen« wurde Darré 1934 von dem Bonner Geschichtsphilosophen Erich Rothacker hoch gelobt. (E. Rothacker, Geschichtsphilosophie. München 1934, 145 ff.; das Buch erschien 1953 in 5. Auflage  !). 145 Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 55  ; vgl. auch Darré, EuW, 1940, 65.

Die Bedeutung der Vergangenheit bei Darré

auf Hinaufbauende, der Herr, weil der ursprüngliche Gesittungsschöpfer selbst und zugleich der Sinnvoll-Vollendende.146

Darré hob also besonders hervor, dass der Führungsanspruch der »nordischen Rasse« auf Leistung beruhe, weshalb diese später auch vom »Erbhofbauern« bei Strafe der »Abmeierung« gesetzlich verlangt wurde. Darré betonte, dass die Herrschaft bei den Germanen nie Gewaltherrschaft gewesen sei. Vielmehr sei sich die »nordrassische« Führungsschicht in besonderem Maße der Schutzpflicht ihren Untergebenen gegenüber bewusst gewesen. Gegenseitiges Pflichtverhältnis und Verbundenheit von Herr und Diener seien sprichwörtliche germanische Tugenden, Kadavergehorsam dagegen sei orientalischen Ursprungs ebenso wie Herrschsucht. »Der Begriff des Sklaven ist […] den Indogermanen ursprünglich fremd gewesen. Sie kannten nur den Hörigen.«147 Die Frage, wie die »nordrassischen« Vorfahren zu dem Land, das sie besiedelten, gekommen waren, stand hier nicht zur Debatte. Wohl aber wird in den letzten Kapiteln von Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse vieles von dem dargelegt, was in Darrés zweitem Buch Neuadel aus Blut und Boden detaillierter ausgeführt wurde.

146 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 141. 147 Darré, Bauerntum, 1929, 202 und 352.; vgl. hierzu auch Darré, Haustierwerdung, 1926/1936, 55, wo er das Verhältnis eines Knechts zu seinem »nordrassischen« Herrn als »familiär« und »erstaunlich freiheitlich« kennzeichnete.

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3 Die Bedeutung der Biologie bei Darré: Neuadel aus Blut und Boden Entstehung und Zielsetzung des Buches Der Titel von Darrés zweitem Buch, Neuadel aus Blut und Boden, das 1930 erschien, wies mit aller Deutlichkeit auf das Aktionsprogramm hin, von dem sich die wichtigsten Mitglieder des »Nordischen Ringes« und viele andere »Völkische« eine Ertüchtigung des deutschen Volkes von der »germanischen« oder »arischen« oder eben von der »nordischen Rasse« her versprachen. Darrés erstes Buch wollte als ein Versuch angesehen werden, mit Hilfe von geschichtlichen, »rassenkundlichen« und gesellschaftspolitischen Analysen, die sich bewusst einen wissenschaftlichen Anstrich gaben, »das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse« und damit auch des von »fremdrassischen Einflüssen gereinigten deutschen Volkes« zu erweisen. Dieses Vorhaben litt – bei einem Buchumfang von 483 Seiten, wie Hans F. K. Günther treffend feststellte – unter der »Fülle des Stoffes« und dem »Gedankenreichtum« des Autors  : »Kein Zweifel, daß Darrés Schilderung an zu großen Breiten leidet, daß sie in gewisser Hinsicht schlagkräftiger hätte werden können, wenn sie kürzer gefaßt worden wäre.«148 Dies war auch der Eindruck des Verlegers, der Darré  – offensichtlich unter dem Eindruck schlechter Verkaufszahlen – unumwunden empfahl, das Bauerntum in dieser Form nicht wieder herauszugeben. Von dem Buch, das in einer Auflage von 1500 Stück erschienen war, waren nach einem Jahr erst 229 Exemplare abgesetzt worden. Doch Lehmann konnte die politische Karriere seines Autors nicht voraussehen, die den Absatz des Buches später natürlich beflügelte.149 Der Verleger hatte Ende 1928 seinem Autor empfohlen, er solle das, was er zu sagen habe, »in anderen Büchern systematisch bearbeitet zur Darstellung bringen«, und vorgeschlagen, unter dem Arbeitstitel »Buch über die Aufartung des deutschen Volkes« in programmatischer Form einen Extrakt seines ersten Buches zu erarbeiten, um so den »völkischen« Kreisen in Deutschland einen Weg in die Zukunft zu zeigen. Im Mai 1930 hatte Darré das Manuskript dieses programmatischen Buches fertiggestellt. Noch im Herbst des gleichen Jahres kam es bei Lehmann heraus. Im Vorwort 148 Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 138 und Lehmann an Darré, 13.12.1928 (StAG, NLD, Nr. 84). 1978 erschien in einem Verlag in Padua, Italien, eine gekürzte Version des Buches unter dem Titel La nuova nobilità di sangue e suolo. 149 Lehmann an Darré, 13.12.1928 (StAG, NLD, Nr. 84), 3.6. und 13.6.1929 (ebd., Nr. 437) sowie Darré an Konopath, 5.11.1929 (ebd.). Auch Darré hatte damals nicht die Absicht, eine Neuauflage seines Bauerntums herauszubringen, da das Buch »seinen Zweck als Weckruf erfüllt« habe (Bfe. an seinen Rechtsanwalt Dr. Bohne, 28.2.1931 und 14.6.1932, ebd., Nr. 87).

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

erklärte der Verfasser, indem er das damals bekannte Wort Moeller van den Brucks verwendete  : »Die vorliegende Arbeit ist die folgerichtige Weiterführung der Grundgedanken meines Buches  : ›Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse‹ zu greifbaren Vorschlägen für das von uns allen erstrebte Deutsche Reich der Deutschen, für das Dritte Reich.«150 Günther kennzeichnete Darrés Neuadel aus Blut und Boden als »richtungweisend«.151 Das Buch wurde ins Französische übersetzt und erschien 1939 in dem gleichen Verlag, der auch die französische Ausgabe von Hitlers Mein Kampf veröffentlicht hatte, unter dem Titel  : La race, nouvelle noblesse du sang et du sol. 1978 (!) erschien in Padua eine Übersetzung in einem italienischen Verlag der rechtsradikalen Szene unter dem Titel  : La nuova nobilità di sangue e suolo. Teile des Buchmanuskripts waren schon in der Zeit entstanden, als Darré von seiner Stelle eines landwirtschaftlichen Sachverständigen Deutschlands in den baltischen Staaten beurlaubt war. Nach seiner endgültigen Entlassung aus dem Staatsdienst Ende 1929 hielten ihn und seine Familie der Verleger Lehmann und der Unternehmer Gerhard Quandt aus Wittstock/Dosse finanziell über Wasser.152 Auf Einladung von Paul Schultze-Naumburg, der sich mittlerweile im »Nordischen Ring« engagiert hatte, konnte der stellungslose Schriftsteller in Saaleck in einer komfortablen Umgebung an seinem Manuskript weiterarbeiten. Seinem damaligen Gastgeber hat Darré das Buch auch gewidmet, wobei er ein frühes zivilisationskritisches Zitat aus SchultzeNaumburgs »Heimatschutz«-Lebensphase verwendete. Da beide mittlerweile der rassistischen »Nordischen Bewegung« angehörten, kann man es nur als Camouflage ansehen, wenn Darré eine Sentenz Schultze-Naumburgs aus dem Jahre 1904 zitierte, in der davon die Rede war, dass das »Leben auf der entstellten Erde eigentlich nicht mehr lebenswert ist«, weil der moderne Mensch »zwar alles an [sich] gerissen [hat], was unser Planet herzugeben hatte, daß wir aber bei dieser Wühlarbeit ihn und damit uns selbst zerstört haben.« Diese, auf Naturschutz zielende technikfeindliche Denkweise aus den frühen Jahren seines Gastgebers wird durch den Inhalt des Buches an keiner Stelle bestätigt.153 Im Gegenteil  : In regem Austausch mit seinem Verleger Lehmann und seinem Mentor Günther wurde im ersten Halbjahr 1930 der Titel für das Buch gefunden. Alle diskutierte Versionen brachten eine rassistische Zielsetzung zum Ausdruck. Da150 Darré, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930. Vorwort, 5 (Zitate im Weiteren aus der Ausgabe [29.–33. Tausend] 1935, die textgleich, aber um einen Anhang mit dem »Heiratsbefehl« der SS und dem REG erweitert ist.). 151 Günther, Führeradel durch Sippenpflege, 3. Aufl. 1941, 38. 152 Quandt hatte Darrés erstes Buch so gut gefallen, dass er ihm erstmals am 21.12.1929 RM 1000 zur Verfügung stellte (vgl. den Dankesbrief Darrés v. 22.12.1929, StAG, NLD, Nr. 437a). Zur Unterstützung durch Lehmann (Honorar-Vorschuss) vgl. Darré an den Verleger, 31.12.1929 (ebd.). 153 Wahrscheinlich hat Darré das Zitat während seines Aufenthaltes in Saaleck in der Bibliothek seines Gastgebers gefunden (Gespräch d. Verf. mit Frau Darré).

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bei waren Versionen wie »Die Aufartung des deutschen Volkes«, »Führeradel«, »Um einen neuen Adel«, »Schaffung eines völkischen Adels« oder »Schaffung eines Rasseadels« im Gespräch. Auch »Um einen neuen Adel des deutschen Volkes« oder »Vom Volksadel des Dritten Reiches« wurden erwogen. Darré nahm im Vorwort ausdrücklich Bezug auf die Aussage des tödlich verunglückten »Artamanen«-Führers Hans Holfelder  : »Wir brauchen einen neuen Adel«. Es war der »Artamane« Georg August Kenstler, der das Begriffspaar »Blut und Boden« 1929 in den Titel seiner neuen Zeitschrift übernommen und in die Planung der NSDAP-Tagung Rosenbergs in Weimar eingebracht hatte. Dabei dachte Kenstler sicherlich auch an die Vermarktung seines Blattes und an Sponsoren für seine Aktivitäten. Er schlug Darré als Titel »Blutadelstum« oder »Adel aus Blut und Boden« vor, Günther fand »Volksadel aus Blut und Boden« besser. Gegen Bedenken Lehmanns bestand Darré nach der Pfingsttagung des »Kampfbundes für deutsche Kultur« in Weimar, die mit ihrem Thema die Zugkraft der Doppelmetapher »Blut und Boden« erwiesen hatte, darauf, dass die Formel im Titel vorkommen müsse.154 In einem Flugblatt der Zeitschrift die kommenden, die von zahlreichen »völkischen« Bünden getragen wurde, war der Slogan »Blut und Boden« schon 1925 aufgetaucht. Dort war von der »Aufgabe einer neuen Bindung des deutschen Menschen an Blut und Boden« die Rede gewesen und vom »Weg in ein neues Bauernland im Osten«. Schließlich destillierten die Protagonisten um Darré aus dem etwas sperrigen »Ein neuer Volksadel. Seine Notwendigkeit, sein Wesen und seine Entstehung aus Blut und Leistung« den wesentlich griffigeren Titel Neuadel aus Blut und Boden heraus. Der Verlagsvertrag wurde am 13. August 1930 geschlossen, schon Ende September 1930 war das Buch auf dem Markt.155 Darrés zweites Buch hielt sich nicht  − wie sein Bauerntum  − dabei auf, wissenschaftliche Autoritäten teils mit, teils ohne Belegnachweis zur Untermauerung der eigenen Meinung zu zitieren, sondern es stellte unumwunden fest, behauptete, forderte und propagierte ein geschlossenes Programm im Sinne des Titels. Wie auch die diskutierten Titelvarianten ausweisen, wollte Darré zeigen, »wie man erkanntes wert154 Vgl. Darré an seinen Verleger Lehmann, 13.6.1930 (StAG, NLD, Nr. 437a) und Darré, Neuadel, 1935, 7. Der Ruf nach einem neuen Adel schlug sich zeitgleich in verschiedenen Publikationen nieder  : Günther, Adel und Rasse, 2. Aufl. 1927  ; M. O. Johannes, Adel verpflichtet, 2. Aufl. 1930  ; außerdem Ernst Mayer, Vom Adel und der Oberschicht, 1928 und B. GOETZ, Neuer Adel, 1930  ; ferner H. E. Busse, Bauernadel. Romantrilogie aus dem Schwarzwald, 1930 und H. Johst, So gehen sie hin. Ein Roman vom sterbenden Adel, 1930. Und dass Darré nicht der »Schöpfer des Schlagwortes von ›Blut und Boden‹« war, wie man häufig, zuletzt bei Kroll, 2003, 261, lesen kann, dürfte schon jetzt deutlich geworden sein. 155 Vgl. den Briefwechsel Darrés mit Lehmann und Günther von August bis November 1929 und im ersten Halbjahr 1930 (StAG, NLD, Nr. 437)  ; Bf. Darrés an den Verein ehemaliger Schüler des Evangelischen Pädagogikums Bad Godesberg, 5.12.1929 (ebd., Nr. 85) und an seine Schwester Ilse, 28.5.1930 (ebd.) sowie Briefe Darrés an Konopath, 27.8.1930 (ebd., Nr. 87, dort auch der Verlagsvertrag) und an Kenstler, 10.2. und 14.5.1930, sowie dessen Bf. an Darré, 12.5.1930 (ebd., Nr. 94 und 95). Außerdem Pross, 1964, 345 ff.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

volles Blut durch Maßnahmen einer Landesgesetzgebung festhalten kann und durch Zuchtgesetze von eventuellen erbwertlichen Schlacken bereinigt«. Nach dem Willen seines Verfassers wollte das Buch ein »Leitfaden für den zukünftigen Bismarck  II« sein oder − mit den Worten von Darrés Korrektor Richard Eichenauer − ein »Auftrag an eine […] kommende Staatsführung«. Im Vorwort betont Darré ausdrücklich, er beabsichtige, dass der Leser einen »Standpunkt« gewinne, »der ein mehr oder minder klares Urteil gestattet und die ganze Angelegenheit aus dem Bereich nebelhafter Wunschgebilde und Luftschlösser auf den Boden verwirklichungsfähiger Möglichkeiten stellt.«156 Das Buch ist also von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Rassen- und Bauernpolitik im »Dritten Reich«. Bis zur letzten Auflage 1941 dürften mehr als 70.000 Exemplare verkauft worden sein. Alter und neuer Adel Darrés gesellschaftspolitisches Programm fußte auf der Feststellung, dass die alte adlige Führungsschicht ihren Aufgaben nicht gerecht geworden sei, versagt und daher abgewirtschaftet habe. Wieder instrumentalisierte er die Historie, um in einer »Entwicklungsgeschichte des Adels« zu zeigen, wie durch spätrömische, byzantinische und vor allem christliche Einflüsse der ursprüngliche, vorbildliche germanische Adel »verseucht« worden sei. Stationen auf diesem Weg seien die Übernahme der spätrömischen Rechts- und Staatsauffassung durch Karl den Großen gewesen, den er »Sachsenschlächter« nennt, und die vom Byzantinismus geprägte Herrschaft Ottos III. Die Aufhebung der »erblichen Ungleichheit« der Menschen durch das christliche Ethos habe den Wert einer edlen Geburt untergraben, durch Vasallentum und Lehnsadel sei das »Blut« als Wertmesser durch Besitz und äußeres Ansehen (Titeladel) abgelöst worden, stellte Darré fest. Darré war überzeugt, dass der christlich geprägte Adel, »im Gegensatz zum heidnischen germanischen Adel, nicht mehr wie ein im Volke eingegliedertes Führertum wirkt, sondern wie eine in sich abgeschlossene Schicht über dem deutschen Volk erscheint.« Auf diese Weise sei eine Trennung von Adel und Bauern, Wehrstand und Nährstand zustande gekommen. Eine Trennung von Adel und Bauerntum, konstatierte Darré, sei »ungermanisch«, bei den Germanen sei der Adel im Bauerntum »eingegliedert« und nicht durch »Herrentum«, sondern durch »bäuerliches Führertum« 156 Darré, Neuadel, 1935, 7 sowie Bfe. Darrés an Lehmann v. 2.11.1929 (StAG, NLD, Nr. 437) und an Konopath v. 23.9.1929 (ebd.). Außerdem stellte Eichenauer, mit dem Darré weiterhin korrespondierte und der auch seinem zweiten Buch stilistisch den letzten Schliff gab, fest  : »[…] weil es in diesem Sinne ein durch und durch politisches Buch ist, d. h. zum Handeln aufruft, hat es notwendigerweise vor der drängenden Gedankenfülle von Darrés Erstlingswerk […] den Vorzug, daß es nur wenige ganz klar gestellte Forderungen erhebt.« (Eichenauer in einer Besprechung in DE, die sich als Druckfahne in Nr. 378, ebd., befindet).

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gekennzeichnet gewesen. Der auf Äußerlichkeiten (wie z. B. den erblichen Adelstitel) und nicht auf »gesundem Blut« und Leistung aufgebaute frühere deutsche Adel habe sich schließlich nur noch durch Unterdrückung der Bauern halten können. »Es mußte kommen, was gekommen ist, daß Adel und Bauern sich wie zwei unversöhnliche Gegensätze gegenüberstanden. Von der alten Einheit von Adel und Bauer, von Schwert und Pflug, dieser Grundlage allen Germanentums, war so gut wie nichts mehr übrig geblieben.«157 Was die aristokratische Elite betrifft, so kratzte Darré mit dieser Adelskritik an einer offenen gesellschaftspolitischen Wunde. Die »Adelsfrage« war nämlich spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Tagespublizistik, bei den Betroffenen und sogar im seriösen sozialwissenschaftlichen Diskurs omnipräsent. Schon der Religionswissenschaftler und Göttinger Orientalist Paul de Lagarde (1827–1891), dessen Deutsche Schriften, die erstmals 1878 erschienen waren, 1924 bei Lehmann neu herausgegeben wurden, hatte auf die Notwendigkeit einer »rassischen« Erneuerung des Adels hingewiesen.158 Er forderte eine »Wiedergeburt des Deutschtums« und trat für eine »Germanisierung des Christentums« ein. Dieser »Prophet des Irrealen« vertrat eine kulturpolitische Position, »die von Ressentiments gegen schlechthin alles lebte, was für die Moderne stand« (Wolfgang J. Mommsen). Was Ina Ulrike Paul für Lagarde feststellt  – »Unter Ausblendung der politischen Realität und des deutschen Alltags verbinden sich imaginierte Vergangenheit und geträumte Zukunft« –, charakterisiert treffend auch Darrés Denken. Und es war ebenfalls Lagarde, der schon frühzeitig für eine neue Führungsschicht plädierte, die aus dem herkömmlichen Adel, angereichert durch Beamten-, Offiziers- und Landbesitzerfamilien, bestehen und in einem ständisch strukturierten Herrschaftssystem leben sollte.159 Auch Max Weber hatte 1895 von einem »Todeskampf« des Adels gesprochen, hatte aber dem ständischen Strukturprinzip der Gesellschaft keine Zukunft mehr eingeräumt. Selbst Theodor Fontane, der sicherlich kein Gegner des märkischen Adels war, stellte in einem Brief ernüchtert fest  : 157 Darré, Neuadel, 1935, Vorwort, 12, 31 und 33 f.; vgl. auch ebd., 18  : »Wir können uns die durch die Bekehrung zum Christentum bewirkte Umwertung aller sittlichen Begriffe unter den Germanen gar nicht auflösend genug im Hinblick auf Sitte und Gesetz vorstellen.« 158 Vgl. Lagarde, »Die Reorganisation des Adels«, in  : Lagarde, 1934, Bd. 1, 326–335. Hinweise auf Lagarde bei Darré, Neuadel, 1930, 13, 216 und 223. Im Vorwort der Neuausgabe von Lagardes Deutschen Schriften im Lehmanns Verlag wurde ausdrücklich auf Darrés »großen Leitgedanken von Blutund-Boden« hingewiesen. Mit seiner radikalen Zivilisationskritik und seinem obsessiven Antisemitismus beeinflusste Lagarde auch den »Chefideologen« der Nationalsozialisten, Alfred Rosenberg (vgl. Piper, 2005, 190 f.). 159 Vgl. I. U. Paul, 1996, 45 ff. (Zitate 57 und 71). Zu Lagarde als Kämpfer für Deutschlands Wiederaufstieg, der Religion als Stifterin der nationalen Einheit missbrauchen wollte, vgl. auch  : völlig unkritisch Schemann, 1919  ; außerdem  : Stern, 1963, 25 ff.; Mendlewitsch, 1988, 116 ff.; Klepsch, 1990, 95 ff.; Sieg, 2007  ; Zillessen, 1970, 147 f. und Nipperdey, 2013a, Bd. I, 523 f.

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Preußen – und mittelbar ganz Deutschland – krankt an unseren Ost-Elbiern. Ueber unsren Adel muß hinweggegangen werden  ; man kann ihn besuchen wie das aegyptische Museum und sich vor Ramses und Amenophis verneigen, aber das Land ihm zu Liebe regieren, in dem Wahn  : dieser Adel sei das Land, – das ist unser Unglück, und so lange dieser Zustand fortbesteht, ist an eine Fortentwicklung deutscher Macht und deutschen Ansehens nach außen nicht zu denken. Worin unser Kaiser diese Säule sieht, das sind nur thönerne Füße. Wir brauchen einen ganz andren Unterbau.160

Auch die Sehnsucht nach dem Helden, dem Genie, dem Führer, dem »Herrenmenschen« (Nietzsche) war damals in Deutschland gegenwärtig. Protagonisten waren nicht nur Lagarde und Langbehn, sondern auch der Literaturkritiker und Publizist Michael Georg Conrad. Er war 1883 Gründer und zehn Jahre lang Herausgeber der Zeitschrift Die Gesellschaft. Conrad befasste sich nicht nur mit dem Thema »Der Übermensch in der Politik«, in seiner Autobiographie plädierte der Enthusiast einer naturalistischen Kunstrichtung 1902 für »rassige [  !], blut- und heimatechte, wurzel- und bodenständige Eigenpersönlichkeiten« und verkündete schlicht  : »Im Geheimnis des Blutes und des Bodens ruht das Geheimnis der Kunst.« War damit eine genialische Führungsschicht, eine neue Aristokratie aus »Blut und Boden« gemeint, so wie Darré sie forderte  ? Auch Ernst Jünger destillierte aus seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg einen FührerGenie-Kult, der auf »Blut, Boden und Gefühl« beruhen sollte. All das wurde freilich nicht rassistisch begründet, sondern ästhetisch und viril. Demgegenüber begann Hans F. K. Günther zwar mit Überlegungen zum »heldischen Gedanken« seine literarische Laufbahn, landete aber schließlich bei der »nordischen Rasse«.161 In der Weimarer Republik waren der zunehmende Ansehensverlust vieler Adliger und auch ihre fragwürdige gesellschaftliche Position in Verwaltung, Politik, Diplomatie, Militär und Wirtschaft mit Händen zu greifen. In Art. 109 Abs. 3 der republikanischen Reichsverfassung hatten sie ihre rechtlich-politischen Privilegien verloren und damit die Grundlage ihres Hanges zur kollektiven elitären Selbststilisierung eingebüßt. Adelstitel waren fortan nur noch Bestandteil des Namens und ohne Monarchie konnte es keine Erhebung in den Adelsstand und damit auch keine Adelserneuerung mehr geben. Diese »Zeitenwende« für den Adel in Deutschland hatte sich schon im Kaiserreich angebahnt. Schon während des Ersten Weltkrieges waren an der »Heimatfront« Arroganz, politische Kurzsichtigkeit und Wunschdenken der ostelbischen »Junker« im »Bündnis der Eliten« (Fritz Fischer) aus bürgerlichem Unternehmertum und Wissen160 Max Weber, »Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik« (1895), in  : Gesammelte politische Schriften, hg. von J. Winkelmann. Tübingen 2. Aufl. 1958  ; Theodor Fontane, Briefe an Georg Friedländer, hg. von K. Schreinert. Heidelberg 1954, 310. 161 Michael Georg Conrad, Von Emile Zola bis Gerhard Hauptmann. Erinnerungen zur Geschichte der Moderne. Leipzig 1902 (Zitat  : Hans Schwerte, »Deutsche Literatur im Wilhelminischen Zeitalter«, in  : Wirkendes Wort 14/1964, 266) und Ernst Jünger, Das Wäldchen 125. Eine Chronik aus den Grabenkämfen 1918. Berlin 1925, 161.

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schaft unangenehm aufgefallen. In den Schützengräben der Materialschlachten galt sowieso das Egalitätsprinzip aller »Frontschweine«.162 Auch die 1918/19 nicht nur in adligen Kreisen, sondern bei allen Monarchisten als schmachvoll empfundene Flucht der obersten Aristokraten in den deutschen Teilstaaten, mit dem König von Preußen und Deutschen Kaiser an der Spitze, hatte einen enormen Ansehensverlust des überkommenen Eliteprinzips zur Folge.163 Diese Stimmung nutzte Darré noch 1934, als er in einer Rede erklärte, es sei »mit dem besten Willen nicht ein[zu]sehen, warum wir uns Leute zurückholen sollten, die uns im Augenblick der größten Gefahr [er meinte die Revolutionsbestrebungen von links 1918/19] verlassen haben  !« Anlässlich des 75. Geburtstages Wilhelms II. war er der Meinung, dass dieser als »Feigling« im Falle einer Rückkehr aus Holland vor ein »Volksgericht« gestellt werden müsse.164 In den Augen vieler war die Monarchie und die von ihr geprägte aristokratische Kultur der Höfe 1919 unwiederbringlich untergegangen und durch republikanisch-demokratische, zur Egalität tendierende Strukturen ersetzt worden, weil die Führungselite versagt habe. Wäre nicht ein Rückhalt im Beamtenapparat und vor allem im Grundbesitz gewesen, der Adel wäre schon zu Beginn der 1920er Jahre – desorientiert, wie er sich präsentierte – noch mehr an den Rand der Gesellschaft gerückt. Denn es gab damals schon so etwas wie ein aristokratisches ›Proletariat‹, das aus zahlreichen adligen Offizieren bestand, die nach der Verkleinerung der Reichswehr ohne Berufsperspektive waren. Darré konnte am Beispiel seines Schwagers Manfred von Knobelsdorff, vor allem aber an der Familie seiner zweiten Ehefrau, der Baroness von Vietinghoff-Scheel und ihrer Familie sehen, wie der Verlust des Berufes oder der wirtschaftlichen Existenzgrundlage im Osten bei verarmten und einflusslosen Adligen zu Rat- und Orientierungslosigkeit führte. So entstand nicht nur in solchen Vereinigungen wie der »Deutschen Adelsgenossenschaft« (DAG), sondern überhaupt ein Spannungsverhältnis zwischen Land besitzendem und landlosem, reichem und verarmtem Adel, insbesondere in Nord- und Ostdeutschland.165 Für Darré war die DAG, die 1874 gegründet worden war, schlicht eine »Gewerkschaft« des alten Adels zur lobbyistischen Vertretung seiner Interessen. Dies geschah 162 In einem Aufsatz (»Ernste Gedanken zum 10. Geburtstag der deutschen Republik«) erklärte Rüdiger von der Goltz beispielsweise 1928  : »Im Herzen von uns Frontsoldaten [sitzt] als unausreißbares Erlebnis und innerste Überzeugung, daß wir Deutschen aller Klassen, Grenzen und Stämme ein einig Volk von Brüdern sind und auf Gedeih und Verderben zusammengehören. Wer heute noch Geburts-, Standes-, Bildungs- oder sonstige Vorurteile hat, der gehört für uns zum alten Eisen.« (zit. n. Malinowski, 2004, 316). 163 Vgl. u. a. Wehler, 2003, 323 ff. Vgl. auch Martin Kohlrausch, »Die Flucht des Kaisers. Doppeltes Scheitern adlig-bürgerlicher Monarchiekonzepte«, in  : Reif, 2000/2001, Bd. 2, 65 ff.; Weinfort, 2006, 46 f. und E. Conze, 2013. 164 Zit. n. Malinowski, 2004, 252 und 510. 165 Malinowski, 2004, 90 ff., 198 ff. und 260 ff. sowie Saint Martin, 2003.

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hauptsächlich im Deutschen Adelsblatt, dem Publikationsorgan der DAG. Darin fand Darrés Buch im Rahmen einer monatelang 1930/31 geführten Neuadelsdebatte eine erstaunlich wohlwollende Besprechung.166 Diese durchaus kontrovers geführte Diskussion wurde allerdings etwas abrupt beendet mit dem Ausruf  : »Schaffung eines neuen Adel  ? Nein  !« Schon 1920 hatte die DAG im Judentum einen Sündenbock für den Niedergang der alten Aristokratie gesehen und bei Neuaufnahmen den Nachweis nichtjüdischer Herkunft gefordert. Hier knüpfte man nun an, indem man sich auf eine »Absperrung gegen jüdisch versippte Familien« einigte und einen Kampf ankündigte gegen alle »fremden Einflüsse, wie sie in Gestalt des Amerikanismus, des Westlertums und des Judentums die deutsche Seele überwuchert haben.« Antisemitismus wurde so zusammen mit einem antirepublikanisch-antidemokratischen Reflex zur Brücke des alten Adels zum Nationalsozialismus. Im Januar 1933 eröffnete Leopold von Vietinghoff-Scheel, ein Onkel von Darrés Ehefrau, die Neuadelsdebatte im Deutschen Adelsblatt erneut. Sie wurde nach wenigen Wochen und noch bevor die Nationalsozialisten in die Macht kamen mit einem Satz beendet, der auch den alten Adel an die neuen Verhältnisse anschlussfähig zu machen schien  : »Ein völkischer Staat braucht eine Führerschicht, die rassisch rein, bodenverbunden, im eigenen Volkstum wurzelt [… und] das Wohl ihres Volkes sucht.«167 Dass adlige Interessenpolitik in den 1920er Jahren nicht sehr effektiv praktiziert wurde, lag nicht zuletzt an den Disparitäten ihrer Klientel. Denn diese bestand aus äußerst heterogenen Gruppen mit unterschiedlichen Traditionen und geprägt von unterschiedlichen Religionen und Regionen. Ihre Werthaltungen, Tätigkeitsfelder und ökonomischen Grundlagen waren alles andere als einheitlich. Wenn aber Darré den »heutigen« Adel als ein »Durcheinander von Wertvollem, Minderwertvollem und Wertlosem« kennzeichnete, so war dies rein rassistisch gemeint. Titeladel war für ihn eine reine »Äußerlichkeit«, worauf es ankomme, sei »Führungsfähigkeit«, nicht »überflüssige Salonattrappe«, war Darré überzeugt. Sein Elitekonzept orientierte sich an der »germanischen« Adelsauffassung längst vergangener Zeiten. Die »Germanen« oder »Arier«, denen Chamberlain die höchste Kulturstufe zuerkannt und die er als geborene »Herren der Welt« angesehen hatte, wurden von Darré im Gefolge Günthers konkreter benannt und enger definiert als Menschen »nordischer Rasse«.168 166 Vgl. u. a. Deutsches Adelsblatt Nr. 36 v. 5.9.1931, wo Darrés Adelsdefinition (»bewußt gezüchtetes Führertum auf Grund ausgelesener Erbmasse«) zustimmend zitiert und vor »fremdrassiger [sic] Blutsbeimischung« und »Verjudung« gewarnt wurde. 167 Ebd. v. 8.11.1930, 623 f. und 21.1.1933, 49 ff. Vgl. auch KleinE, 1978, 100 ff.; Zollitsch, 1992  ; Malinowski, 2004, 144 ff. und 317 ff. sowie die Dokumentation eines Briefwechsels zwischen Graf von Arnim-Boitzenburg und Fürst Eulenburg-Hertefeld in  : Gossweiler/Schlicht, »Junker und N ­ SDAP 1931/32«, in  : ZfG, 1967, 644 ff. 168 Darré, »Adelserneuerung oder Neuadel«, in  : NS-Monatshefte, Heft 16 (August 1931) und StAG, NLD, Nr. 376, hier zit. n. dem Wiederabdruck in  : Darré, BuB, 1941, 41 ff. Im Übrigen  : Darré, Neuadel, 1935, 15 ff., 30 f., 36 ff., 157 f. und 219 ff.

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Dabei war Darrés Grundverständnis dessen, was Adel kennzeichne, durchaus nicht weit von dem des alten Adels entfernt, wenn »Blut« Abstammung bedeutete und »Boden« Landbesitz. Es waren diese beiden Säulen, auf denen das Selbstverständnis des alten Adels ruhte  : Landbesitz (Boden) und Familienbewusstsein (Blut). Nur war das sprichwörtliche »blaue Blut« der überkommenen Aristokratie nicht immer mit dem »reinen Blut« der »Nordrasse« identisch. Das war der entscheidende Unterschied, den Darré nie aus den Augen verlor und der seine Haltung zum Thema »Adel und Nationalsozialismus« immer bestimmte, insbesondere beim »Reichserbhofgesetz« und in der Siedlungspolitik. Ewald von Kleist-Schmenzin, der »Konservative gegen Hitler« (Bodo Scheurig), fasste die Bedeutung des Faktors »Land« für den Adel folgendermaßen zusammen  : Auf einem Gebiete muß der Adel seine Stellung ganz besonders sorgfältig wahren, nämlich auf dem Lande. In einem großen Landbesitz liegen die Wurzeln seiner Kraft und werden sie immer liegen. Die Führung auf dem Lande darf nie verloren gehen  ; sonst ist über kurz oder lang der Bestand des Adels gefährdet. Denn vom Lande strömen ohne Unterlaß seelisch und körperlich verjüngende Kräfte. Dort liegt letzten Endes zum größten Teil die preußischjunkerliche Anschauungsweise begründet, die der modernen Welt völlig entgegengesetzt und die zur Rettung unseres Volkes bestimmt ist.169

Zur Deklassierungserfahrung nach dem Ersten Weltkrieg kamen im alten Adel vielfältige Verlusterlebnisse während der Weimarer Republik hinzu. Mit der Wirtschaftskrise in den späten 1920er Jahren wurde indirekt sogar die 1918/19 drohende, dann aber doch vermiedene sozialistische Bodenreform teilweise nachgeholt  ; denn Unrentabilität und Überschuldung in der Landwirtschaft trafen besonders die großen Güter in den Ostprovinzen Preußens. Manche Adlige konnten damals nicht einmal den Jahresbeitrag der DAG von 6,– RM aufbringen. Die korrupten Zustände im Zusammenhang mit der »Osthilfe« taten ein Übriges, um den verbliebenen ständischen Überlegenheitsdünkel ohne kulturelle und ökonomische Fundierung als hohle Phrase und Potemkinsche Dörfer zu entlarven. So erklärte auf einer von Kenstler auf Schloss Gauernitz bei Meißen durchgeführten »völkischen Tagung« der »Jungadelige« Jobst von Dewitz  : »Es gibt keinen Adel mehr. Ein neuer Adel ist im Werden begriffen, der deutsche Blutadel, die neue Führerklasse.« Ein »ergrauter Edelmann aus der deutschbaltischen Ritterschaft« pflichtete ihm bei mit den Worten  : »Der Adel hat sich selbst aufgegeben, er hat sein Lebensrecht verwirkt.«170 169 E. von Kleist-Schmenzin, »Adel und Preußentum«, in  : Süddeutsche Monatshefte, 23/1926, 379 (zit. n. E. Conze/Weinfort, 2004, 158 f.). Vgl. demgegenüber Malinowski, 2004, 525 f. 170 Die kommenden, 1929, 283 (StAG, NLK, Nr. 3). Auch der Graf Coudenhove-Kalergi (Adel, Leipzig 1923, 44) hatte sich für einen »neuen Zuchtadel der Zukunft« begeistert. Vgl. auch Reif, 1999 und Denzel/Schulz, 2004.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

In Darrés Argumentation, die eine Pervertierung des germanischen Adelsbegriffs entwicklungsgeschichtlich nachzuweisen versuchte, deutet sich schon an, dass der Verfasser des Buches Neuadel aus Blut und Boden sein Adelsideal an frühgermanischen Vorstellungen orientierte. Auf diese Weise übersprang er  – wie schon in seinem ersten Buch – eine mehr als 2000-jährige geschichtliche Entwicklung. Wie Darré sich den altgermanischen Adel vorstellte, beschrieb er – zusammengefasst im Hinblick auf seine Erneuerungsbestrebungen – folgendermaßen  : Durch Bereitstellen von Erbsitzen, zu denen der Erbe nur nach erwiesener Leistung gelangte und auf denen Ehegesetze von durchaus züchterischer Auswirkung galten, wurde bei den Germanen bewährtes Führertum nicht nur festgehalten, sondern vermehrt und somit bewußt gezüchtet. Von irgendwelchen Vorrechten des Adels ist im übrigen nichts zu spüren, so daß von einer Adels-Schicht nicht gut die Rede sein kann. Der germanische Adel scheint im Grunde seines Wesens nichts weiter gewesen zu sein als die auf der Grundlage der weltanschaulichen Bejahung der erblichen Ungleichheit des Menschentums durchgeführte Gliederung des Volkskörpers nach unterschiedlich veranlagten Blutsstämmen zwecks ausgiebiger Bereitstellung von erprobter Erbmasse für die Auswahl geeigneten Führertums.

Adel war demnach für Darré nicht ein »dem Bauernstand übergeordnetes Herrentum«, sondern ein ihm wesensgleiches, weil aus ihm heraus bewusst »gezüchtetes« und deshalb mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattetes »Führertum«. Es sei bei den Germanen von jedem das erwartet und verlangt worden, »was man auf Grund seiner erbwertlichen Stufung von ihm erwarten durfte«, war Darré überzeugt. Es kam ihm also auf die »Züchtung« eines Leistungsadels an, bei dem die genetische Ausstattung die Hauptrolle spielte, gleichgültig aus welchen Schichten des Volkes der Betreffende stammte, so dass der Adel »Führungsausdruck eines Volkswillens, […] echter Volksadel und damit gewissermaßen die vollendetste Verkörperung des Volksgeistes« sei.171 Neben dieser in fortdauerndem Leistungsnachweis bestehenden Bewährung erhob Darré für den neuen deutschen Adel eine zweite, ihm nicht minder wichtig erscheinende Forderung, die durch die offenkundige Anlehnung an seine Vorstellung einer »erbwertlichen Stufung« der Menschen sein gerade verkündetes Ideal des »Volksadels« wieder entscheidend einschränkte  : Die neue Führungsschicht müsse, wolle sie »wahre Kulturleistung« garantieren, der »nordischen Rasse« angehören. Seine Beurteilung des bisherigen deutschen Adels in dieser Hinsicht war vernichtend  : »Weder besitzen wir noch irgendwelche Maßnahmen, um unser wertvolles Führerblut erblich festzuhalten, […] noch könnten wir behaupten, daß unser Adel immer noch das Führertum unseres Volkes darstelle, geschweige denn, daß er gesund wäre.« Indem Darré vom »rassenkundlichen« Standpunkt Günther’scher Prägung aus urteilte und die Wertvor171 Darré, Neuadel, 1935, 6, 47, 202 und 221.

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stellungen Chamberlains und Langbehns einbezog, wollte er die pessimistische These Spenglers vom »Untergang des Abendlandes« zurückweisen  : Sie hätten den Weg gezeigt, der den Altersverfall der abendländischen Kultur aufzuhalten in der Lage sei, gab er sich überzeugt.172 Dieser Weg bestehe in der Förderung der kulturtragenden und kulturschöpferischen »nordischen Rasse«, die dem deutschen Volk als Auslesevorbild vor Augen geführt werden müsse. Es kann für uns Deutsche in dieser Beziehung wirklich nur eine Zielsetzung geben und diese bedeutet  : Es ist mit allen nur möglichen Mitteln dahin zu streben, daß das schöpferische Blut in unserem Volkskörper, das Blut der Menschen Nordischer Rasse, erhalten und vermehrt wird, denn davon hängt Erhaltung und Entwicklung unseres Deutschtums ab.

Aus dem »Volksadel«, einer Elite, die sich aus dem Leistungsprinzip herleiten sollte, wurde also durch das »Auslesevorbild« der »nordischen Rasse« eine Führungs- und Herrschaftslegitimation, die sich auf das »richtige Blut« und eine entsprechende Abstammung berufen konnte. Dies war zwar genau das Prinzip, das seit Jahrhunderten zum Selbstverständnis der europäischen Königs-, Fürsten- und Adelshäuser gehört hatte. Und auch die Bindung dieser Elitekonzeption des »Blutsadels« an Land- und Bodenbesitz wollte Darré nicht ändern. Das Einzige und Entscheidende, das er ändern wollte, war das ideologische Auswahlkriterium der »nordischen Rasse«.173 Aufgrund der Ausstattung mit »Boden« und der Abstammung von »nordischem Blut« zum Herrschen geboren zu sein und vom Staat mit Land belehnt zu werden – das war das Darré’sche Konzept des »Hegehof-« bzw. »Erbhofbauern«, wie es 1933 im »Reichserbhofgesetz« (REG) verwirklicht worden ist. Dabei mussten allerdings, was die »Reinheit des Blutes« betraf, Konzessionen an die realen »Rassen«-Verhältnisse im deutschen Bauerntum gemacht werden. In der SS war das anders  : Hier hatte die »Blutsreinheit« der »nordischen Rasse« bei der Auswahl der Mitglieder im von Darré geleiteten »Rasse- und Siedlungsamt« oberste Priorität. Ihre Verbindung mit Landbesitz musste aber erst durch Siedlungsaktivitäten hergestellt werden. Dies war ein langwieriger Prozess, egal ob es sich um Binnensiedlung oder »Eroberung von Lebensraum« (Hitler) handelte. Die von Darré für unverzichtbar gehaltene Identität von »nordischer Rasse« und Adel hatte  – wen wundert es  – auch schon Hans F. K. Günther in seinem 1926 erschienenen Buch Adel und Rasse festgestellt  : »Nicht-nordische« Aristokraten seien, weil »rassisch minderwertig«, keine Adligen, eine »nordische Bauerntochter« stehe weit über ihnen, hatte er verkündet. Darré bezog ihn, der damals schon als »Rassenpapst« galt, ausdrücklich in seine Argumentation in Neuadel aus Blut und Boden 172 Vgl. ebd., 11, 189 f. und 198. 173 Vgl. auch Gerstner, 2008.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

ein.174 Dass Günther damals bereits in adligen Kreisen Eindruck machte, zeigt die Reaktion auf seine Publikationen bei dem »völkischen« Schriftsteller Börries Freiherr von Münchhausen. Der Baron fand in Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes von 1922 »goldene Worte« und folgerte daraus  : »Wenn Adel einen Sinn und Wert haben soll, der über die äußerliche Namensverzierung hinausgeht, so kann es nur dies sein  : Menschenzüchtung.« Auch er sah – wie Darré später – kein Problem darin, die Wahl adliger Ehefrauen an der Züchtung von Vollblutpferden zu messen und das »reingebliebene nordische Blut« zum Vorbild zu erheben  : »Wenn Adel wieder einen rassischen Sinn erhalten soll, so ist ihm die Erziehung nordischer Rassenreinheit als erste Aufgabe zugewiesen.«175 Zu den von Darré herangezogenen ›Autoritäten‹ Chamberlain, Langbehn und Günther kam als weiterer Kronzeuge der ›Ur-Vater‹ quasi aller Konzepte eines neuen »Rassenadels«, der Diplomat, Orientalist und kulturgeschichtlich interessierte Schriftsteller aus verarmtem französischen Adel Joseph Arthur Comte de Gobineau (1816– 1882). In Frankreich waren schon im 18. und frühen 19.  Jahrhundert besonders in der entmachteten Aristokratie Rassentheorien entstanden, mit denen man versuchte, verloren gegangenes politisches und gesellschaftliches Terrain zurückzuerobern und dem Herrschaftsanspruch des alten Adels eine neue Legitimation zu verschaffen.176 Die deutschen Bauern sollten  – unter Anleitung von »Reichsbauernführer« Darré  – Ähnliches 100 Jahre später in Deutschland, als sie durch die Industrialisierung immer mehr an den gesellschaftlichen und politischen Rand abgedrängt worden waren, mit Hilfe der »Blut und Boden«-Ideologie versuchen. Gobineau hatte 1853/54 einen Essai sur l’inégalité des races humaines veröffentlicht, den der Bibliothekar Ludwig Schemann in Deutschland 1897/98 unter dem Titel Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen publizierte. Schemann (1852–1938), mit dem Darré 1929 korrespondierte, weil jener an seinem Bauerntum moniert hatte, dass Gobineau nicht erwähnt wurde, vertrat auch die Meinung, dass man den »Rassenverfall« durch »Züchtung« aufhalten bzw. rückgängig machen müsse.177 Der Privatgelehrte aus Freiburg verhalf seinem Protagonisten durch die Gründung einer »Gobineau-Vereinigung« 1894 und weitere publizistische Aktivitäten zu unverhoffter 174 Schon am Ende seiner 1924 bei Lehmanns in München erschienenen Rassenkunde Europas hatte Günther diese Meinung angedeutet. 175 Dr. iur. et Dr. phil. h. c. Börries Frhr. von Münchhausen, »Adel und Rasse«, in  : Deutsches Adelsblatt 42/1924, 63 ff. (zit. n. Malinowski, 2004, 318 f.). Darré zitierte Münchhausen im Vorwort seines Buches mit einem Gedicht, weil es Adel »nicht als dem Bauerntum übergeordnetes Herrentum« auffasse, »sondern [als] das ihm wesensgleiche, aber mit besonderen Vorpflichten ausgestattete Führertum« (Darré, Neuadel, 1935, 5 f.). 176 Vgl. hierzu auch den Romanisten Klemperer, 1996, 147 f. 177 Bf. Darrés an Schemann v. 26.8.1929, in dem er die Vernachlässigung der »alten Rassenforschung« damit zu erklären versuchte, von Erfahrungen der Biologie bzw. der Tierzucht ausgegangen zu sein und nicht von der Sprach- und Geschichtswissenschaft (StAG, NLD, Nr. 437a).

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Popularität, insbesondere bei der »völkisch«-nationalistischen Rechten. Für sie war Gobineau die Autorität schlechthin, wenn es um »rassische Ungleichheit« und »Rassen-Prädestination« (Heinrich Driesmans) ging. Auch diejenigen, die vom menschlichen Phänotyp (Gestalt, Kopfform, Gesichtsausdruck) Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften und Sozialverhalten zogen, beriefen sich auf Gobineau.178 Schemann fasste den Inhalt der Lehre des französischen Grafen 1930 folgendermaßen zusammen  : Die Rasse als einer der Grundfaktoren nicht nur aller Geschichte, auch aller Politik, aller Gesellschaft  ; Ungleicheit überall in Welt und Leben, rücksichtslos und siegreich durchgeführt gegen den bis auf den heutigen Tag noch fortspukenden Gleichheitswahn Rousseaus  ; das Ungleichheitsprinzip mutig auch angewandt auf die geschichtlichen Rassen in dem Sinne, daß der indogermanischen (arischen, nordischen) der erste Rang zuerteilt, den Germanen insonderheit die allseitige Führerrolle der neueren Menschheit − auch innerhalb der romanischen und slawischen − überwiesen wird  ; Rasse als Maßstab für den Wert wie für Fortschritt und Rückschritt der Völker  ; Sinken der Rasse als Hauptursache des allgemeinen Verfalls der heutigen Völkerwelt, wenigstens der weißen.179

Mit Chamberlain, dessen Buch Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts fast zeitgleich in Deutschland erschien, war Gobineau der Ansicht, dass nur die »weiße« oder »arische Rasse« kulturschöpferische Fähigkeiten habe und den Menschen gelber und schwarzer Hautfarbe daher überlegen sei. Dass sich aus dem vorhandenen »Völkergemisch« durch »rassenhygienische« Maßnahmen eine »reine Rasse hinaufzüchten« lasse, wurde erst viel später in seine Phantasmagorien hineininterpretiert. Denn Gobineaus pessimistische Sichtweise war eher statisch-retrospektiv als dynamisch nach vorne gerichtet. Sein Beitrag zur Geschichte der Rassenideologie lag zweifellos eher in der Doktrin einer natürlichen = naturgegebenen Ungleichheit = Ungleichwertigkeit der 178 Gobineau, Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen. Deutsche Ausgabe hg. von Ludwig Schemann in 4 Bänden 1897/98–1901. Stuttgart 4. Aufl. 1922. Der damals einflussreiche Adolf Bartels schrieb dazu 1904  : »Man darf es als sicher hinstellen, dass jetzt einem großen Teil der gebildeten Deutschen die Haupt- und Grundsätze der Gobineauschen Rassentheorie oder besser Rassenphilosophie in Fleisch und Blut übergegangen, ein integrierender Bestandteil der Weltanschauung geworden sind.« (Bartels, 1920) Vgl. außerdem Puschner, 2001, 77 ff. und Mühlen, 1977, 43 ff. 179 L. Schemann, »Gobineau und das deutsche Volk«, Sonderdruck aus Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit, hg. von A. Georg Kenstler (StAG, NLD, Nr. 437 und NLK). Vgl. auch Schemann, 1931a, 219  : »Das Neue, das Gobineau in der Rassenbewegung des vergangenen Jahrhunderts vertritt […], besteht darin, daß er die Rasse als Kernstück in ein großes geschichtsphilosophisches Weltgemälde aufgenommen und ihr mit samt allen ihren Voraussetzungen und Nutzanwendungen dadurch zugleich eine bedeutsame  − für viele geradezu eine beherrschende  − Stelle in den Weltanschauungen erwirkt hat. Seit Gobineau redet man von einer Rassentheorie.« Vgl. im Übrigen Schemann, 1913/16  ; Schemann, 1919 und Schemann, 1927–1931.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

Menschen, womit die Annahme einer »rassisch« bedingten sozialen und kulturellen Differenzierung und Hierarchisierung einherging.180 Der französische Graf, der aus der indogermanischen Sprachforschung den Begriff der »Arier« übernommen hatte, die dann den »Semiten« gegenübergestellt wurden,181 war noch von drei »Ur-Rassen« ausgegangen (einer »weißen«, einer »gelben« und einer »schwarzen«) und hatte als Grund für den »Niedergang der weißen Rasse« ihre Vermischung mit den angeblich minderwertigen Angehörigen der beiden anderen »Rassen« im Laufe der Geschichte angegeben. Seine umfassende rassenideologisch ausgerichtete ›Geschichtsphilosophie‹ führte erstmals ein Qualitätsgefälle bei »Rassen« ein und machte die »minderwertigen« für alle sogenannten Dekadenzerscheinungen (»Verderbtheiten«) verantwortlich.182 Gobineau war weder Wissenschaftler noch besaß er eine methodische Fachbildung. Als »Universal-Dilettant« war er mehr »Prophet und Bekenner« (Otto Hintze) als möglichst voraussetzungsloser Forscher. Schemann wies in dieser Hinsicht darauf hin, dass »vieles, was Gobineau erst undeutlich und gestaltlos vorschwebte, durch Darwin zu einer wissenschaftlich erkannten und begründeten Wahrheit geworden ist.«183 Im Allgemeinen sieht man den Erfolg Gobineaus darin begründet, dass sein Werk »etwas eminent Persönliches« ausstrahlte und es sich dabei um »von starken persönlichen Gefühlen und Überzeugungen« geprägte »Glaubensgrundsätze« handelte. Offenbar war die Generation Darrés für derlei Machwerke, die sich der Verfasser »von der Seele heruntergeschrieben hatte«, leicht zugänglich, wie auch der publizistische Erfolg Julius Langbehns belegt. Zu den französischen Aristokraten, die auf der Suche nach einer neuen Rechtfertigung für gesellschaftliche Privilegien waren, gehörte auch Georges Vacher de Lapouge (1854–1936). In seinen Vorlesungen in Montpellier zwischen 1886 und 1892 über »Arier und ihre Bedeutung in der Gesellschaft« versuchte er, Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften für geschichtsphilosophische Fragestellungen fruchtbar 180 Vgl. u. a. Young, 1968, insbesondere 323 ff.; Klepsch, 1990, 87 ff.; Biddiss, 1970 und Mühlen, 1977. 181 Zur Ariertheorie als linguistische Hypothese vgl. Maurice Olender, Les langues du paradis. Aryens et Sémites  : un couple providentiel. Paris 1989. 182 Vgl. auch F. Friedrich, Studien über Gobineau, Leipzig 1906, 81 und 128  : »Unbeschadet der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Rassentheorie an sich, kann die weltgeschichtliche Konstruktion […] weder in den Hauptzügen noch in den Einzelheiten Anspruch auf wissenschaftliche Beachtung erheben. Sie ist weder eine brauchbare Wissensquelle von praktischem Wert, noch ein möglicher Unterbau für die weitere Rassenforschung. Keine einzige Bemerkung daraus kann, auch wenn sie an und für sich noch so wahrscheinlich klingt, ungeprüft daraus entnommen werden, und nichts kann, auf die bloße Autorität des Rassenbuches hin, für erwiesene Wahrheit gelten.« 183 Zu Gobineaus Stellung in der Geschichte der Rassenbewegung vgl. Schemann, 1931, 48 und 219 ff.; Hintze, 1919 (Zitat 169)  ; Lester/Millot, 1948, 165 ff.; Hertz, 1925, 203 ff.; Lerch, 1950 sowie Lutzhöft, 1971. Im Übrigen  : Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe, »Ein Bahnbrecher rassischen Denkens – zum 125. Geburtstage Gobineaus«, in  : Odal, 10/1941, 535 ff.

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zu machen.184 Wie Ernst Haeckel in Jena war Vacher de Lapouge überzeugt, dass der Mensch, in die »Gesetze der Natur« eingebettet, vollkommen von seiner erbbiologischen Ausstattung abhängig sei. Diese Determinationslehre kombinierte er mit Darwin’schen Erkenntnissen der Selektion und kam so zu dem Ergebnis, dass moralische Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit oder individuelle Freiheit Wunschvorstellungen seien und einzig geltendes Recht das Recht des biologisch Stärkeren sei. Vacher de Lapouge sah es als Aufgabe des Staates an, mit Hilfe eugenischer Maßnahmen dafür zu sorgen, dass eine neue, naturgesetzlich legitimierte Aristokratie geschaffen werde. Erbbiologisch »wertvolle« Menschen sollten Heirats- und Kinderprämien erhalten, für genetisch »wertlose Elemente« sah er Sterilisation vor.185 Auch der deutsche »Rassenhygieniker« Fritz Lenz trat 1921 für die Schaffung bäuerlicher »Erblehen« mit derselben Zielsetzung einer neuen Elite ein.186 Selbst aus Kreisen des alten Adels erscholl der Ruf einer »völkischen Erneuerung des Adels auf Grund germanischer Blutsreinheit«. Ein Kreis um Rüdiger von Hertzberg-Lottin beispielsweise glaubte, dem alten Adel durch »Aufnordung« mit Hilfe des mechanischkünstlichen Mittels der »Zuchtwahl« wieder neuen Glanz verleihen zu können.187 Sogar bei der DAG versuchte man, ›mit der neuen Zeit‹ zu gehen  : Unter dem Druck »völkisch«-rassistischer Adelskritik führte sie 1920 einen rigorosen »Arierparagraphen« ein und gab 1921 zusammen u. a. mit dem in Süd- und Westdeutschland etablierten »Verein deutscher Standesherren« das Eiserne Buch des Deutschen Adels Deutscher Art (EDDA) heraus. Es verlangte von allen Mitgliederfamilien einen rassistisch konzipierten Ahnennachweis (rein »arischer« Stammbaum bis 1800). Der fortschreitende Bedeutungsverlust des »alten« Adels in Deutschland provozierte die unterschiedlichsten Vorstellungen, wie ein »neuer« Adel, eine von Grund auf reformierte aristokratische Führungsschicht entwickelt werden könne. Im Presseorgan der DAG wurde nicht nur Darrés Bauerntum wohlwollend besprochen, auch sein Buch Neuadel aus Blut und Boden entfachte eine im Ganzen zustimmende Diskussion, obwohl der Verfasser an seiner Verdammung des alten Adels und seiner eigenen Fixierung auf die »nordische Rasse« keinen Zweifel gelassen hatte.188 In den Elitekonzep184 Vacher de Lapouge, 1896 und 1899 sowie Der Arier und seine Bedeutung für die Gemeinschaft. Frankfurt/Main 1939. Günther nannte in seiner RkdV (1926, 22) Vacher de Lapouges Arbeit »erstes wissenschaftliches Werk rassenkundlicher Geschichtsbetrachtung«. Vgl. auch W. Kulz, »Vacher de Lapouge«, in  : Die Sonne, 14/1936, 170 f. und E. Nolte, 1963, 348. 185 Young, 1968, 214 ff. 186 F. Lenz, »Menschliche Auslese und Rassenhygiene (Eugenik)«, im 2. Bd. von Baur/Fischer/Lenz, 1931  ; vgl. auch Schallmayer, 1918, 352. 187 Vgl. Görlitz, 1957, 373 ff. Schon 1904 war in Berlin ein Buch von J. C. Graf von Wartensleben mit dem Titel Veränderte Zeiten. Eindrücke von Weltreisen und Reflexionen erschienen, das sich für »Züchtung« im Darré’schen Sinne aussprach  : »[…] nicht auf eheliche Zeugung kommt es an, sondern auf Züchtung […]. Mit Hilfe der Naturwissenschaften ließe sich sehr wohl das Liebesleben aus dem Bereich des individuellen Genusses in den der sozialen Betätigung erheben […].« (2. Aufl. 1906, 212 f.). 188 Deutsches Adelsblatt, 48/1930, Nr. 113, 159 und Nr. 45 ff. (gesammelt in StAG, NLD, Nr. 230–250). Vgl.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

tionen, die damals diskutiert wurden, spiegelt sich die Tatsache, dass es den deutschen Adel im Grunde nie gegeben hatte. Seine Heterogenität (u. a. nach Grundbesitz, Titel, Regionen, Konfessionen) verhinderte sowohl eine Nationalisierung als auch eine Homogeniserung aristokratischer Neuorientierung. Auch Edgar Julius Jung (1894–1934), mit dem Darré korrespondierte, publizierte in seinem Buch Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung 1927 Vorstellungen über eine neue Elite in einer nicht republikanischen Herrschaftsstruktur.189 Er gehörte in den Kreis jener »revolutionären« Konservativen, die mit Hilfe eines großen Netzwerkes, in das auch Adlige eingebunden waren, eine Erneuerung aristokratischer Führerschaft auf der Basis einer ständischen Gesellschaftsstruktur anstrebten. In eingebildetem Hochmut gegenüber einer pluralen Massengesellschaft setzte man auf persönliche Querverbindungen und Beziehungen, wie es bei Eliten oder denen, die sich dafür halten, üblich ist. Sichtbaren Ausdruck fand diese Vision in den »Herren-Clubs«, deren Mitglieder für Parteien und Parlamentarismus nur Verachtung übrighatten. Diese Alternative zur Realität der Weimarer Republik fand schließlich im »Kabinett der Barone« der Reichskanzler von Papen und von Schleicher am Ende der Weimarer Republik ihre konkrete Gestalt. Jung griff u. a. auf ständische Traditionen aus dem katholischen Milieu zurück, weil er seinen »neuen Adel« als »organisch gewachsene Oberschicht« begründen wollte. Er war ein Gegner der kaiserlichen Nobilitierungspolitik, besonders weil diese »behördliche Auszeichnung« dann »keinen gesellschaftlichen Rückhalt mehr hatte, da die monarchische Spitze wegfiel«. Wie schon in seinem Gedankenaustausch mit Darré sichtbar wurde, war Jung gegen eine einseitige Fixierung auf die biologischen Eigenschaften des Menschen, die er »Materialismus des Blutes« nannte. Der Rassenlehre Günther’scher Prägung stand er also höchst skeptisch gegenüber, insbesondere im Hinblick auf die Behauptung, es gebe »reine Rassen«. Auch zu dessen wertender Hierarchisierung hatte er erhebliche Bedenken  : »Die Rechte der einzelnen Staatsbürger lassen sich nicht abstufen nach rassenmäßigen Gesichtspunkten«, umschrieb er seine Position.190 Gleichwohl entwickelte auch Jung ein Neuadelskonzept, in dem das »Land« eine zentrale Rolle spielte. »Boden« war für ihn als »Heimat« die Lebensmitte und Exisauch Malinowski, 2004, 317. Am 24. April 1931 schrieb Darré zur Resonanz auf sein Buch an M. O. Johannes Rädlein  : »Das Buch hat jedenfalls mächtig eingeschlagen und insbesondere den alten Adel in Aufregung gebracht. Das war ja schließlich der Zweck der Übung.« (StAG, NLD, Nr. 87). 189 Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung. Berlin 1927. 1929 erschien eine 2. stark erweiterte Auflage. Unter dem Titel Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Aufstieg und Zerfall und ihre Ablösung durch ein Neues Reich, wurde das Buch 1930 unverändert in 3. Auflage publiziert. Der Umfang hatte sich von 350 auf 692 Seiten fast verdoppelt. Vgl. Jenschke, 1971  ; Jahnke, 1998 und Mohler, 2005. 190 Jung, 1927, 151. Vgl. im Übrigen Breuer, 1993  ; Reif, 1999, 115 f. und vor allem Gerstner, 2008, 88 ff.

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tenzgrundlage einer zukünftigen adligen Elite. Hier, bei der Anbindung der zukünftigen Aristokratie an Grundbesitz und Landwirtschaft, mit der eine tiefe Abneigung gegen alles Urbane, ja Großstadtfeindschaft schlechthin einherging, trafen sich Jungs und Darrés Zukunftskonzepte. Für Jung war der moderne, von der Industrialisierung geprägte Mensch ein »Nomade«, den er als Antipoden des sesshaften Bauern stilisierte. Die Wanderbewegung vom Land in die Stadt war für ihn  – wie für Darré  – nicht arbeitsmarktpolitisch begründet, sondern »Landflucht«, die mit moralischem Verfall und zivilisatorischem Niedergang einhergehe. Wenn Jung vom Zusammenhang von »Blut« und »Boden« sprach, so war »Blut« für ihn keine Metapher für »Rasse«, sondern für ererbte Körper- und Charaktereigenschaften, denen ein adäquates Lebensumfeld zur Verfügung gestellt werden müsse, um die erwünschten Erziehungs- und Sozialisationsergebnisse zu erzielen. Solche Bedingungen seien nicht mit Parteiendemokratie und Republik vereinbar. Jung stellte sich dagegen ein »organisches«, an der spätromantischen Staatslehre von Adam Müller und dem »Universalismus« Othmar Spanns orientiertes Ständestaatsmodell vor.191 Später wurde Jung Berater und Redenschreiber von Reichskanzler von Papen und im Zusammenhang mit der Mordaktion der SS anlässlich der »Röhm-Revolte« 1934 umgebracht. Er hatte Papens Marburger Rede verfasst, in welcher der »widernatürliche Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus« angeprangert worden war.192 Jung wollte die »Herrschaft der Minderwertigen« aus den Städten durch einen Aufbau der Gesellschaft ersetzen, in dem über die »Stände« stufenförmig die Besten bis in die Staatsführung aufsteigen können sollten  : »Der Staat, als Höchststand der organischen Gemeinschaft, muß eine Aristokratie sein  : im letzten und höchsten Sinne  : Herrschaft der Besten.« Der Rechtsanwalt, der in der Nähe von München lebte und aus der Pfalz stammte, war der Meinung, bei der »Züchtung wahrer Führer« würden »die Tüchtigen« in seinem Gesellschaftsmodell »von unten her durchbrechen«, die »Vornehmheit des Blutes« komme zu der der »Gesinnung« hinzu und die »gezüchteten Führereigenschaften« würden sich dann »vererben« und so einen »neuen Adel« als Führungsschicht der »Hochwertigen« entstehen lassen.193 Zwischen diesem »ständischen« Neuadelskonzept und Darrés rassistischem lagen, trotz der missverständlichen Wortwahl Jungs, Welten. Aber es waren immer noch genügend Gemeinsamkeiten vorhanden für einen Briefwechsel, in dem jeder den anderen von seiner Sicht der Dinge überzeugen wollte. Im Zusammenhang mit Darrés rassistischen Neuadelsplänen sind auch solche zeitgenössischen Ideen und Entwürfe von Bedeutung, die aus dem »völkischen« Teil der Jugendbewegung des Kaiserreichs hervorgegangen sind. Es waren allesamt esoteri191 Vgl. P. Nolte, 1996, 233 ff. 192 In Jung, 1930, 309–324 hieß ein Kapitel »Blut und Heimat als Grundlagen der Gemeinschaft«. Vgl. auch Thamer, 1986, 327 f. 193 Vgl Gerstner, 2008, 134 ff., 184 ff., 207 ff., 278 ff., 331 ff. und 464 ff.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

sche, zum Teil okkultistische Utopien mit antisemitischer Schlagseite. Zu Willibald Hentschels »Mittgart-Bund« stellte Darré fest, er habe »die Züchtungs- und Auslesevorgänge für die Bildung eines neuen Adels richtig erfaßt«, vermisste aber »die auf dem vaterrechtlichen Gedanken aufgebaute Familienüberlieferung.«194 Auch der okkultistische Wiener Schrifteller Guido von List (1848–1919) mit seiner Vision einer »ario-germanischen« Hochkultur der »Armanen« ist zu erwähnen. Ihm ging es um einen »ario-germanischen Adel der Zukunft«, um nicht mehr und nicht weniger als die »Züchtung« einer »ario-germanisch-deutschen Edelrasse der Herrenmenschheit«. Nur ihren Angehörigen dürften bürgerliche Freiheiten und Rechte zuerkannt werden. List wollte solche »Herrenmenschen« durch »Entmischung« und strikte Abgrenzung gegenüber allem »Fremdvölkischen« heranzüchten. Angehörige »minderwertiger Mischrassen« sollten einem »Fremdgesetz« unterworfen und ihnen sollte eine »höhere Ausbildung versagt« werden. Als die »größten Feinde« der »ario-germanischen Edelrasse« nannte List Katholiken, Freimaurer und Juden, die auch für Darré des Teufels waren.195 In dieses Segment der »rassen«-ideologisch bestimmten sozialen Neuerungsutopien gehört auch Ernst Hunkels »Freiland-Siedlung Donnershag« bei Sontra in Nordhessen. Hunkel (1885–1936) war Mitbegründer des »Deutschen Ordens« und »Kanzler« seines Berliner Ablegers »Sigfridsgilde« gewesen und seit 1914 Herausgeber der Zeitschrift Neues Leben. Monatsschrift für deutsche Wiedergeburt. Er stellte sich ein geschlossenes deutschgläubiges Gemeindeleben auf der Grundlage arischer Rasse und germanischen Boden- und Gemeinschaftsrechts [vor] und erstrebte die Wiedergeburt unserer Volkheit an Seele und Leib durch ein gesundes, vernünftiges Leben, durch bewußte Sippenpflege und rassische Auslese sowie durch gemeinsame Pflege aller Werte und Güter deutschen Wesens.

Er war der Meinung, daß wir von heiliger deutscher Abstammung sind, von jenem Blute, aus dem das Heil der Welt erwachsen soll. […] Und wenn wir den Adel wegwerfen, der unser einst war, […] so

194 Darré, Neuadel, 1930, 14. Vgl. auch »Dr. Willibald Hentschel zu seinem 75. Geburtstag«, in  : Die Sonne 10/1933, 575. Hentschels Ideen waren schon in der »Völkischen Bewegung« nie unumstritten, wie man an den Diskussionsbeiträgen Theodor Fritschs sehen kann  : »Die rechte Ehe. Ein Wort zum Züchtungs-Gedanken und Mittgart-Problem«, in  : Hammer, 12/1913 und 28/1929. 195 Guido von List, Die Bilderschrift der Ario-Germanen. Berlin-Lichterfelde 1910 und Die Armanenschaft der Ario-Germanen. Leipzig 1911. Ein Vergleich mit dem österreichischen Einflüsterer Darrés und Himmlers in den 1930er Jahren, Wiligut-Weisthor, liegt sehr nahe. Zu List vgl. u. a. Puschner/ Schmitz/Ulbricht, 1996, 233 ff. und 916 f.; Gerstner, 2008, 72 und 340 f. sowie Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München 1996.

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müssen wir trachten, ihn wieder zu gewinnen als unser größtes, unser erstes und nunmehr unser letztes Gut.196

Einflussreicher als der Sektierer Hunkel war der Sippenkundler Bernhard Koerner (1875–1952), der seit 1902 höherer Beamter im königlich-preußischen Herolds-Amt war und später aktives Mitglied sowohl des auf List bezogenen »Hohen Armanen-Ordens« als auch des »Germanenordens« und des »Deutschen Ordens« wurde. Als »Ariosoph«, der Sippenpflege und »Rassenhygiene« als »verschwistert« ansah, war Koerner auch Mitarbeiter am Genealogischen Handbuch Bürgerlicher Familien, weil er im »Verein für Familienforschung Herold« den Adel bevorzugt sah. Er begann schon 1911, Juden im Deutschen Geschlechterbuch besonders zu kennzeichnen, und hatte sich den Kampf gegen die Nobilitierung von Juden, den »verjudeten« Adel überhaupt, aufs Panier geschrieben. Koerners rassenaristokratische Vorstellungen waren in der Weimarer Republik und auch in der DAG sehr einflussreich. Er ging davon aus, dass die Trennung der »freien Bauern« in adlige und nichtadlige erst durch das Lehnsrecht im frühen Mittelalter erfolgt sei. Sein Ideal war nicht das von »Fürstengunst« verliehene, sondern das vom »Blut der Abstammung« legitimierte Adelsprädikat. Deshalb machte er auch keinen Unterschied zwischen alten Bauern- und alten Bürgergeschlechtern. Er war der Meinung, dass »wohlgeboren« (bene natus) gleichbedeutend sei mit »reinrassiger Herkunft« und zog daraus den Schluss, dass Adel und »Rassereinheit« identisch sein müssten.197 Koerner war ein strikter Gegner der kaiserlichen Nobilitierungspolitik, weil dadurch die Bedeutung des Herkunfts- bzw. des Geburtsprinzips geschwächt werde. Aber besonders dann, wenn »Volksfremde« nobilitiert würden, könne »keinem DeutschEmpfindenden verdacht werden, wenn er solche Fremden nicht als seines Blutes, noch weniger als die Edelsten seines Volkes betrachtet«, stellte er 1910 fest. Gemeint waren natürlich »jüdische Emporkömmlinge« oder auch »schwarzgelockte Orientalen minderwertigsten Volkstums«. Solche rassistisch motivierte Adelskritik war schon vor dem Ersten Weltkrieg wohlfeil, besonders als man – wie Koerner als Mitarbeiter – anhand des Semi-Gotha, eines antisemitischen Adelshandbuches, das zwischen 1912 und 1914 erarbeitet wurde, feststellte  : »[…] es dürften wenige Adelsfamilien vorhanden sein, in deren Adern nicht jüdisches Blut fließt.« Man sprach auch von »jüdisch versipptem Adel« oder vom »verjudeten Adel«.198 Koerner war 1924 fest davon überzeugt, dass »die deutschen Herrscherhäuser letzten Endes [daran] gescheitert [seien], daß sie das Weistum des Blutes bei Adelsverleihungen außer Acht ließen, und minderwertiges Blut, nur weil es Geld hatte, dem 196 Zu Hunkel vgl. u. a. Puschner/Schmitz/Ulbricht, 1996, 180 f., 262, 294, 408 f. und 911 und Puschner, 2002, 29. 197 Vgl. u. a. Gerstner, 2008, 69 ff., 131 ff. und 376 ff. 198 Vgl. Gregor Hufenreuter, »Der ›Semi-Gotha‹ (1912–1919). Entstehung und Geschichte eines antisemitischen Adelshandbuches«, in  : Herold-Jahrbuch, N. F. 9/2004, 71–88.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

wahren Blutadel gleichstellte[n]«. So waren auch bei Koerner die »Mischehen« Adliger mit Angehörigen »nicht-arischer« Bevölkerungsgruppen schuld an der »Degeneration« der deutschen Elite. Diese ›Adelsdämmerung‹ war sein Hauptmotiv, einen »Neu-Adel auf rassischer Grundlage« zu fordern. Die Vorstellungen Koerners, der 1928 Mitbegründer des kurzlebigen Vereins »Ahnenerbe. Bund für Sippen- und Wappen-Forschungs-Hilfe, Erbkunde und Rassenpflege« war, kamen denen von Darrés »nordischem Rassenadel« schon sehr nah.199 In seinem Buch Neuadel aus Blut und Boden stellte Darré ausführlich dar, warum Leistung und »Nordische Rasse« die beiden Grundpfeiler des neuen Adels sein sollten, den er sich nur verwurzelt in einem bäuerlichen Lebensumfeld und verbunden mit Grund und Boden vorstellen konnte. »Wer der deutschen Seele die naturgewachsene Landschaft nimmt, der tötet sie.« Adel sei nur auf dem Lande möglich, wo der Boden Hüter des Familiengedankens und der Geschlechterfolge sei, wusste Darré.200 Existentielle Grundlage des neuen Adels könnten deshalb nur Grund und Boden, d. h. der Bauernhof sein. Für diesen Erbsitz einer Adelsfamilie übernahm Darré aus dem Roman Adel verpflichtet von Martin Otto Johannes (i. e. Martin O. J. Rädlein) die Bezeichnung »Hegehof«.201 »Hegehöfe« als »nordrassische« Erneuerungsstätten Kernfrage bei der Schaffung solcher »Hegehöfe« sei, so stellte es Darré dar, die Erhaltung und Förderung des auf ihnen angesiedelten »nordrassischen« Geschlechts. Dies setze einmal voraus, dass der »Hegehof« eine in sich ruhende Wirtschaftseinheit sei, und zum anderen, dass er aus dem Kreislauf des freizügigen kapitalistischen Warenverkehrs herausgelöst werde und an die Stelle der Realteilung im Erbgang das Anerbenrecht trete. »Grund und Boden ist dem deutschen Volke sowohl sein Ernährer als auch der gesunde Untergrund zur Erhaltung und Mehrung seines guten Blutes  ; er ist damit Teil eines Familienrechts, dem staatlicher Schutz zu gewähren ist.«202 In einem 199 Alle Zitate ebd., 137 ff.; vgl. auch Reif, 1999, 161 f. und Malinowski, 2003, 147 ff. 200 Darré, Neuadel, 1935, 56, 87 und 44 f.: »Adel war bei den Germanen eine Einrichtung, die den Besitz betraf, und zwar ganz offensichtlich zur Erhaltung und Vermehrung erprobten Blutwertes.« 201 Ebd., 54, Anm. 1. Der Roman war schon 1919 publiziert worden und 1930 in zweiter Auflage erschienen. Darin machte Rädlein einen Unterschied zwischen »papierenem Hofadel«, zu dem er den »Namensadel« von Nobilitierten rechnete, und »echtem Blutsadel«, der aus Bauern und Landbesitzern, Patriziern und Handwerkern bestehe. Eine wichtige Rolle spielte in dem Roman auch die »rassisch richtige« Ehefrau des »Hegehof«-Besitzers. Rädlein war aktives Mitglied (Kassenwart von 1921 bis 1932) in Willibald Hentschels »Mittgart-Bund«, dessen Ziel es war, »Rassezucht«-Siedlungen zu gründen. Vgl. Darré an Rädlein, 15.1.1930 (StAG, NLD, Nr. 437)  ; P. E. Becker, 1990, 241 ff. und Gerstner, 2008, 158 ff. 202 Darré, Neuadel, 1935, 75 ff., 84, 92 und 95 f. »Der Grund und Boden einer Familie ist keine Angelegenheit des Ichs in bezug auf den Familienvater, sondern ein Teil des Familiengedankens im Sinne der

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gegenseitigen Treue- und Pflichtverhältnis zwischen Staat und »Hegehof«-Besitzer schlug Darré den Fortfall jeglicher Besteuerung dieses Grundbesitzes vor. Von dem so Priviligierten werde umgekehrt aber erwartet, dass er dem Volk »rassisch hochwertige« Bürger schenke. »Die Hegehöfe sollen in jeder Beziehung dem Deutschen Volke Frucht tragen, nicht aber Geldquellen sein.«203 Darré betonte, er wolle, dass der Staat seinen »Hegehof-Gedanken« aufgreift und »praktisch durchführt«. Allerdings war er sich klar darüber, dass er »Hegehof-Geschlechtern […] nicht vor Ablauf von zwanzig Generationen zutraue, dass sie restlos zuverlässig in ihrer Erbmasse werden«. Das wären 1000 Jahre. Als Darré Reichs- und Preußischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft geworden war und politische Gestaltungsmacht hatte, wurde aus dem »Hegehof« der »Erbhof«. Zugeständnisse an die Realitäten waren da unerlässlich. Trotzdem hielt er an der »totalen Aufnordung des deutschen Volkes« als Ziel auch des »Reichserbhofgesetzes« fest.204 Darré war sich 1930 auch darüber klar, dass solche »Hegehöfe« nicht in der Lage waren, die Ernährung der städtischen Bevölkerung einer Industrienation sicherzustellen. Das sollte auch gar nicht ihre Aufgabe sein. Für die Gewährleistung einer funktionierenden Ernährungswirtschaft sollten nach Meinung Darrés die staatlichen Domänen verantwortlich gemacht werden. Was die Bereitstellung von Land für »Hegehöfe« betraf, so dachte Darré nicht an staatliche Enteignungen, sondern durch Schenkungen, Stiftungen, Spenden, Geldbeihilfen und mit Hilfe eines staatlichen Vorkaufsrechts sollten genügend Land und Kapitalmittel für die Ansiedlung neuer Adelsgeschlechter beschafft werden. Auch alte bodenverwurzelte Bauern- und Gutsbesitzergeschlechter sollten in den Kreis der »Hegehof«-Besitzer aufgenommen werden, allerdings »ihre körperliche und sittliche Geeignetheit vorausgesetzt«. Nach Beseitigung des althergebrachten Titeladels müsse das Adelsprädikat ausschließlich an den »Hegehof«-Besitz gebunden sein. Die Bezeichnung »Edelmann auf Hegehof so und so« sollte nur für den Hegehofbesitzer und seine Frau, nicht aber für Verwandte und Kinder gelten.205 Geschlechter-Folge  ; somit ist das Ich, auch das des Hausherrn, immer nur Teil des Geschlechts und durch diese Einordnung in das Geschlecht, als das übergeordnete Ganze, verpflichtet zum Dienst an der Scholle im Hinblick auf das Geschlecht und dessen Erhaltung.« (ebd., 62). 203 Ebd., 103. An anderer Stelle betonte Darré, »daß dem Besitzer an Grund und Boden neben dem Genuß an seinem Besitz auch eine blutsmäßige Pflicht zukommt, sei es nun im alten Sinne an seinem Geschlecht oder im neuzeitlichen Sinne an seinem Volk« (ebd., 7). Um von seiner Fixierung auf die »Nordische Rasse« abzulenken und dem Vorwurf der »Phantasterei« auszuweichen, wies Darré auf die von »Reichsverweser« Horthy in Ungarn »bereits durchgeführten Adelssiedlungen« hin. (Auch Darré, Bauerntum, 1929, 178.) Aus seiner geplanten Studienreise nach Ungarn, die seine vorgefasste Meinung bestätigen und sein Gönner Quandt finanzieren sollte, wurde allerdings nichts. (Vgl. auch ebd., 48 f. und Darré an Lehmann, 2.11.1929, StAG, NLD, Nr. 437 und 437a). 204 Darré, »Zur Neuadelsfrage«, in  : Der Weltkampf. Monatsschrift für Weltpolitik, völkische Kultur und die Judenfrage aller Länder, hg. v. Dr. E. Boepple, Heft 96 (Dez. 1931), StAG, NLD, Nr. 378. 205 Darré, Neuadel, 1935, 57 f., 93, 97 ff.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

Die später im »Dritten Reich« von Darré praktizierte Unterscheidung von »Bauern« und »Landwirten« deutet sich hier schon an. Darré sah einen engen Zusammenhang zwischen Bodenbesitz und Verpflichtung der Allgemeinheit gegenüber. »Immer aber wird sich der Nutznießer des Bodens als ein Treuhänder der Allgemeinheit ansehen müssen, woraus der Allgemeinheit ihrerseits ein Einspruch erwächst, falls der Nutznießer seinen sittlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.«206 Die Anforderungen, die an den Besitzer eines »Hegehofes« nach Darrés Meinung also gestellt werden müssten, waren zweifacher Art  : einmal der Nachweis einwandfreier Gesinnung bzw. herausragender beruflicher Leistung und zweitens eine vom »züchterischen« Standpunkt aus gesehen einwandfreie Gattenwahl. Der Anwärter auf den Hegehof kann nur Edelmann werden, wenn er gewisse Vorbedingungen bei seiner Gattenwahl berücksichtigt und wenn seine Gattin, die zukünftige Edelfrau, gewisse Mindestanforderungen in leiblicher und seelischer Hinsicht erfüllt und sozusagen mit einer nicht beanstandbaren Erbmasse versehen ist.

Im Darré’schen Sinne konnte dies nur für die »nordische Rasse« zutreffen, weshalb er expressis verbis auch für eine »ausschließliche Bevorzugung der Mädchen von nordischem, vorwiegend nordischem und noch einigermaßen nordischem Blute bei der Eheschließung« eintrat. An anderer Stelle wies er als Möglichkeit auf den »Abstammungsnachweis« hin, den er bei mittelalterlichen Zünften ausgemacht hatte.207 Hier deutet sich schon an, was im von Darré inspirierten »Heiratsbefehl« Himmlers vom 31. Dezember 1931 von jedem SS-Mann verlangt wurde und vom »Rasse- und Siedlungsamt der SS«, dem Darré vorstand, überwacht werden sollte. Glaubt ein junger Edelmannssohn, der für den Hegehof in Aussicht genommen ist, sich keinem Zwange bei der Eheschließung unterwerfen zu können, nun, so bleibe ihm das zugestanden, aber − er muß dann den Platz auf dem Hegehof einem anderen einräumen  : Denn zu seinem Vergnügen kann das Deutsche Volk einem Edelmann den Hegehof nicht zur Verfügung stellen  !

206 Ebd., 98. 207 Ebd., 44, 153 und 194 sowie seinen Aufsatz in DE (März 1930)  : Darré, EuW, 1940, 124. Darré wehrte übrigens ausdrücklich den Einwand ab, es gebe auch noch andere »wertvolle Rassen« in Deutschland, die für den »Hegehof« geeignet seien. Solange nicht – wie das für die »nordische Rasse« geschehen sei – eine kulturschöpferische und kulturtragende Begabung für die »ostische«, »dinarische« und andere Günther’sche »Rassen« nachgewiesen sei, könnten diese Bevölkerungsgruppen »im deutschen Volkskörper« bei der Schaffung des neuen »Hegehofadels« keine Berücksichtigung finden, weil sie kein »Auslesevorbild« seien. Diese Absicht ließ sich natürlich im REG später nicht verwirklichen, dort war von »deutschem oder stammesgleichem Blut« die Rede. (Darré, Neuadel, 1935, 193 f.).

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Diese Position wurde durch Darrés Forderung bestimmt, dass »unterwertige Hegehof-Erben« einfach nicht geboren werden dürften. Deshalb müsse »bester weiblicher Nachwuchs« auf den »Hegehöfen« verheiratet werden  ; denn die Wahl der Ehefrau sei entscheidend für die Leistungshöhe des »Hegehofgeschlechts«.208 »Zuchtaufgaben« und Rolle der Frau In einem großen Kapitel »Zuchtaufgaben und Ehegesetze« behandelte Darré in extenso nochmals alle die Themen, die schon in seinem ersten Buch abgehandelt worden waren, nun aber in programmatischem Duktus  : Fragen der »Volksaufartung« müssten auf der Grundlage mehrtausendjähriger tierzüchterischer Erfahrungen behandelt werden  ; für eine Adelsneuschöpfung sei bewusste »Zucht« notwendige Voraussetzung  ; denn alle menschliche »Höherzüchtung« sei an »Auslese und Ausmerze« gebunden. Das Recht auf Eheschließung wird abhängig gemacht von »Mindestanforderungen an die Erbmasse«. Altgermanisches Eherecht – so wie Darré es verstand – galt ihm hierbei als vorbildhaft, weil es »der Schutzwall des wertvollen deutschen Menschentums« sei, »welcher das Untermenschentum aus der Gesellschaftsordnung der Deutschen draußen hielt und seine Vermehrungsmöglichkeiten ganz erheblich einschränkte, stellenweise sogar unmöglich machte.« Schon in seinem Bauerntum hatte er die Begriffe »Vollblutzucht« und »Zuchtziel« benutzt, sogar ein »eisernes Gesetz der Leistungshochzucht« aus der Tierwelt auf die Menschenwelt übertragen.209 Es ist hier die Stelle, darauf hinzuweisen, dass Darré von dem Grundsatz ausging »Wer den Erfolg will, muß auch die Mittel wollen« und dass die Grundhaltung seines Buches bestimmt war durch den Satz  : »In unserem sich auflösenden Volke muß so oder so jetzt etwas geschehen. Die übliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal unserer wertvollen Erbmasse ist Raubbau an unseren Erbstämmen. Dieser Zustand kann nicht mehr lange anhalten.«210 Mit dieser Haltung ging er auf die Suche nach wirksamen Ideen und Institutionen für die »Höherzüchtung« des deutschen Volkes. Er war sich der Eigenartigkeit und Außerordentlichkeit seiner Vorschläge durchaus bewusst. Deshalb appellierte Darré mehrfach an das Verantwortungsgefühl seiner Leser.

208 Ebd., 143 ff. und 163. 209 Zitate ebd., 128 ff., 132 und 153. Vgl. auch 159  : »Sinn aller Höherzüchtung bleibt ausschließlich die Auslese. Nur durch Auslese der Minderwertigen lassen sich die Erbanlagen eines Volkes langsam aber sicher von allen Schlacken bereinigen und zu immer vollendeterer Einheitlichkeit und Vollkommenheit bringen.« Im Übrigen Darré, Bauerntum, 1929, 369 und 442. 210 Darré, Neuadel, 1935, 39 und 198. In einer Besprechung von Darrés Neuadel in der Zs. VuR (Nr. 1, 1931, 51 f.) schrieb der Hg., Professor Reche, Leipzig, ganz in diesem Sinne  : »Irgend ein mit unseren rassenhygienischen und biologischen Erkenntnissen zusammenhängender Weg muß gefunden werden, soll das Deutsche Volk und seine Kultur nicht zugrunde gehen.«

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

Bei der augenblicklich fast hoffnungslosen »rassenhygienischen« Lage und um der Zukunft des deutschen Volkes willen seien außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich. Unser neuer deutscher Adel muß wieder ein lebendiger Quell hochgezüchteter Führerbegabungen sein. Er muß über Einrichtungen verfügen, die erprobtes Blut im Erbgang festhalten, minderwertiges abstoßen und die Möglichkeit der Aufnahme neu sich zeigender Begabungen aus dem Volke jederzeit gewährleisten.211

Da Darré für den männlichen Anwärter auf einen »Hegehof« einen charakterlichen, beruflichen, körperlichen und erbbiologischen Leistungsnachweis vorsah, er andererseits aber für die erbwertliche Beurteilung eines Geschlechts die Frau ungemein hoch einschätzte, schlug er eine Klassifizierung des weiblichen Nachwuchses des deutschen Volkes im Hinblick auf seinen »Zuchtwert«  – an anderer Stelle sprach er von »Erbwert« – vor. Die prononciert formulierte Begründung für diese Maßnahme lautete  : Weil es weder denkbar sei, dass »die Umwelt mit rücksichtsloser Härte die Auslese unter dem Adel handhabt«, noch, dass eine bewusste Inzucht »eine Leistungszucht in eine Vollblutzucht überführe«, müsse der Staat rechtzeitig regelnd eingreifen und das Faule, Angefaulte oder auch nur Angekränkelte immer wieder von Generation zu Generation ausscheiden. Man bedenke, daß man nach Lage der Dinge diese rücksichtslose Ausmerze unter den Hegehof-Erben nicht ohne weiteres durchführen kann, weil man sonst einen unerwünschten Wechsel der Geschlechter auf dem Hegehof einleiten würde, daß man aber eben aus diesem Grunde verpflichtet ist, die Ausmerze unter den Töchtern um so rücksichtsloser zu handhaben […]. Der Völkische Staat als Staat hat bei den heranwachsenden jungen Mädchen in erster Linie überhaupt nur ein Interesse  : das ist ihr Wert als Mutter in seelischer und körperlicher Beziehung für das Volk.212

Darré, hier ganz Tierzüchter, schlug folgende Klassifizierung des weiblichen Nachwuchses vor  : Die Verehelichung der Mädchen, die er in der ersten Klasse eingestuft wissen wollte, wofür etwa 10 Prozent der zur Ehe »Tauglichen« in Betracht kämen, erklärte er für unbedingt »wünschenswert«. Einer Verehelichung der in der zweiten Klasse rangierenden Mädchen ständen im Hinblick auf ihre Nachkommen »keinerlei grundsätzliche Bedenken« entgegen. Dagegen könne für die dritte Klasse zwar eine Verehelichung zugelassen, aber wegen ihres »erbwertlichen Zustandes« müsse eine Unterbindung der Zeugung von Kindern durch Sterilisation vorgesehen werden. An211 Darré, Neuadel, 1935, 40, 173 und 182  ; Darré sah sich angesichts der Lage, nach der nur 14 Prozent aller deutschen Frauen überhaupt noch »gebärfähig« seien, zu der Feststellung veranlasst  : »Wir können uns den heutigen Zustand gedankenloser Verschwendung unseres besten Erbgutes kein Jahrzehnt mehr leisten.« (ebd., 165 ff.). 212 Ebd., 170 ff. und Darré, »Zur Neuadelsfrage«, a. a. O. (StAG, NLD, Nr. 378).

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gehörige der vierten Klasse schließlich seien überhaupt von der Möglichkeit der Heirat fernzuhalten, da von ihnen der »Begriff der deutschen Ehe entwürdigt« werde. Dies treffe beispielsweise für Geisteskranke, Dirnen, »denen ihre Ahnentafel das Gewerbe schon vorzeichnet«, und rückfällige Verbrecherinnen zu.213 Für die Durchführung dieser Klassifizierung ließ sich Darré die Institution des »Zuchtwartes« einfallen, eine Bezeichnung, die er anstelle des Fremdwortes »Eugeniker« lieber verwandt sehen wollte. Diese vom Staat besoldeten »Zuchtwarte« sollten jeden einzelnen Bürger mit Hilfe eines Stammbuches in Bezug auf u. a. Herkunft, Krankheiten, gerichtliche Strafen, Schul- und Berufsausbildung registrieren. »In ihrer Hand müßten alle Fragen, die das Erbgut unseres Volkes betreffen, zusammengefaßt sein.«214 Darré sah auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen  : Einmal werde eine »Bestandsaufnahme unserer Volkserbmasse auf der Grundlage planmäßiger Durchforschung der Ahnentafeln jedes Deutschen« möglich, zum anderen sei eine Überwachung und Lenkung der Eheschließungen  − besonders der »Hegehofehe«  − gewährleistet im Sinne eines »planmäßigen Zusammenhaltens des guten Blutes bei gleichzeitigem Fernhalten von fremdem oder unerwünschtem.« In dem von Darré gewünschten »Deutschen Staat der Deutschen« sollte die Eheschließung keine »Ich-und-Du-Angelegenheit« mehr sein, sondern eine Auszeichnung, die der Staat »nur dem Würdigen gewährt«. Den »Zuchtwarten« kam hierbei die Rolle staatlicher Heiratsfunktionäre zu, die am besten bei den schon existierenden Standesämtern zu lokalisieren sei  : Setzen wir voraus, daß im zukünftigen Deutschen Staat der Deutschen die Erringung der Bürgerrechte in erster Linie eine Angelegenheit des Blutes ist, der Begriff des Deutschen Staatsbürgers also vom Blute her bedingt ist, so haben wir vermittels der Zuchtwarte und der Stammbücher eine durchaus einfache Möglichkeit, durch fortdauerndes Aussieben der Besten unter unserem weiblichen Nachwuchs diesen besten Mädchen in erster Linie zur Ehe zu verhelfen.215

Darré machte seine außergewöhnlichen und provokativen gesellschaftspolitiischen Vorschläge zu einer Zeit, da er noch keine politische Verantwortung trug und dies auch noch nicht in Aussicht stand. Aber er meinte sie ernst, was allein das Sendungsbewusstsein garantierte, mit dem er sie vortrug. Er war sich natürlich bewusst, dass ein Projekt, das aus dem in Deutschland vorhandenen »Rassengemisch« die gewünschten »nordischen« Elemente in reiner Form wieder »herauszüchten« wollte, sich über meh213 Darré, Neuadel, 1935, 172. 214 Darré, Neuadel, 1935, 168 ff. 215 Ebd., 169  : »Will z. B. ein Deutscher heiraten, so ließe sich auf seinen Antrag hin alles Weitere von Zuchtwart zu Zuchtwart regeln und erledigen, denn das Stammbuch des Betreffenden enthält alles Wissenswerte und steht den Zuchtwarten zur Einsicht offen.«

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

rere Jahrhunderte, ja Jahrtausende erstrecken musste. Es konnte nur in ersten, sehr kleinen Schritten in Auslese-, Hegehof- und Siedlungsaktivitäten angegangen und in politische Realität umgesetzt werden, weil sich natürlich auch Rechtsnormen, Sittenund Moralvorstellungen verändern mussten. Aber wie solche Schritte konkret aussehen würden, wird an den »Nürnberger Gesetzen« deutlich, in denen »wertvolles Blut« zur Voraussetzung der Staatsbürgerschaft gemacht wurde. Die Resonanz, die seine Ideen u. a. im Deutschen Adelsblatt hervorriefen, zeigt, auf welch dünnem Eis Darré sich bewegte. An anderer Stelle, die sich »völkischem« und rassenideologischem Denken durchaus nicht verschloss, schrieb Wolfgang Freiherr von Gersdorff empört, es sei unwürdig und töricht, den homo sapiens gleichsam als erstes der Säugetiere im Sprunggarten zu züchten. […] Der Hegehof führt in die Sphäre des Bordells  ; denn das Geschlechtliche […] erfährt hier eine einseitig übersteigerte Bedeutung, die jeden Mann von persönlichem Eigenwert anwidern muß. […] In der unheiligen Sachlichkeit des Zuchtwartes kann man Gesindel mehren, nicht aber wertvolles Menschentum. Dazu bedarf es eines höheren Einsatzes. Ist doch der Mensch nach seinem Werte Geist und Seele.216

Darrés »Hegehof« und »Neuadel« sollten also »ein lebendiger Quell hochgezüchteter Führerbegabungen sein«, die sauerteigartig alle Berufsschichten durchdringen würden. Hierfür kamen nach seinen Vorstellungen vornehmlich die nicht erbenden »Hegehofsöhne« in Betracht. »Die vom Hegehof weichenden Söhne müssen in allen Ständen zum Rückgrat des deutschen Führertums werden«, forderte er. Darüber hinaus aber wollte Darré einen bestimmten Prozentsatz nicht erbberechtigter »Hegehofsöhne« mit einem lebenslänglichen Sitz in der Volksvertretung ausstatten. Diese Berufspolitiker würden »dem Deutschen Reiche Stetigkeit seiner Führung und staatsmännische Erfahrung« gewährleisten. Die »Adelsgenossenschaft«, von der sie zu ernennen, zu entsenden und zu unterhalten seien, würde auf diese Weise engstens in die Volksvertretung eingefügt. Da für Darré die überragende staatsmännische Begabung der »nordischen Rasse« in ihrem Bauerntum begründet lag, war auch dieser Gedanke ganz folgerichtig. Die in jeder Hinsicht herausgearbeitete Ausnahmestellung der »nordischen Rasse« wurde auch auf dem Gebiet des Führungsnachwuchses beansprucht. »Aus dieser überwiegend nordisch bedingten Bauernschaft erhält die Intelligenz der deutschen städtischen Bevölkerung ihren Zufluß, nicht aus einer Bauernschaft schlechthin.«217 216 Zur Diskussion in Adelskreisen vgl. Deutsches Adelsblatt 1930, 662 f., 712 ff. und 734. Auf einem Vortragsabend auf Gut Aystetten bei Augsburg (Wilhelm Frhr. von Reitzenstein) machte sich Darré dadurch unbeliebt, dass er den Adel pauschal als zur Führung eines Volkes unbrauchbar charakterisierte. Der ebenfalls anwesende Himmler versuchte die Empörung der adligen Zuhörer zu besänftigen. Wolfgang Frhr. von Gersdorff, »Neuadel  ?«, in  : Nordische Stimmen. Zeitschrift für deutsche Rassen- und Seelenkunde, 1931 (damals hg. von Dr. Bernhard Kummer), 4 f. (zit. n. Malinowski, 2004, 522 f.). 217 Darré, Neuadel, 1935, 120 f. und 220 f. In ähnlicher Weise, wenn auch in weit geringerem Ausmaß,

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Abschließend formulierte Darré nochmals zusammenfassend die Funktion, die er dem »Hegehof« und seiner »Sippe« in einem deutschen Staate zugeordnet wissen wollte  : So ermöglichen wir einen Blutkreislauf  : Während bewährtes Führertum des Deutschen Volkes fortdauernd in die Adelsgenossenschaft übernommen und dort durch klare Zuchtgesetze im Laufe der Geschlechterfolge von möglicherweise vorhandenen erbwertlichen Schlacken bereinigt wird, fließt aus den Hegehöfen, als den Erneuerungsquellen, wertvolles Führertum fortdauernd in alle Stände und Schichten des Volkskörpers zurück, hier entweder tatsächlich führend oder bei nur durchschnittlicher Begabung unbemerkt im Volksuntergrund versickernd.218

Bei allen seinen institutionellen Vorschlägen, zu denen sich Darré in der germanischen Geschichte rückenstärkende Anregungen und Belege holte, schwebte ihm eine Rechtsordnung vor, »in der der werteschaffende Mensch ausdrücklich geschützt und gestützt« werde, »alles übrige aber aus einer Mitbestimmung an einer Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung ausgeschlossen« bleiben solle, »obwohl es der wirtschaftlichen Fürsorge sicher sein« könne. Konkret ausgedrückt heißt das, dass der »nordischen Rasse« ein Herrschaftsanspruch zugebilligt wurde, während die anderen geduldeten »Rassen« sich lediglich – ihrer »Wertigkeit« entsprechend – mit Schutz- und Fürsorgeverpflichtungen zufriedengeben müssten.219 Das war eine Position, die mit der Ideologie der »Volksgemeinschaft« im »Dritten Reich« nur schwer in Übereinstimmung zu bringen war. Doch Darré ließ sich schon 1930 ein Hintertürchen offen  : Es sei »eine Binsenweisheit«, schrieb er, dass ein nichtnordisch aussehender Deutscher durchaus vorwiegend nordische Erbanlagen haben kann, so dass unnordisches Aussehen kein Grund ist – etwa aus verletzter Eitelkeit –, sich gegen den Nordischen Gedanken zu stemmen  ; Günther sagt einmal  : »Die Erscheinung eines Menschen mag ein Hinweis auf seine rassische Zugehörigkeit sein, ein voller Ausweis ist sie nicht.«220

Chamberlains Forderung nach Schöpfung einer »spezifisch germanischen, neuen Welt«, Langbehns Hoffnung auf »Wiedergeburt«, Günthers Zielvorstellung einer »Aufnordung« des deutschen Volkes – all das hatte Darré aufgenommen und in sein biologistisches Neuadelskonzept integriert. Er verstand Gesellschaftspolitik ganz konsollten auch die anderen Berufsstände an der Führung des Staates beteiligt werden. Vgl. außerdem Darré, Bauerntum, 1929, 290 und Darré, »Innere ›Kolonisation‹«, in  : Darré, EuW, 1940, 19. 218 Darré, Neuadel, 1935, 221. 219 Darré, 1930, in  : Darré, EuW, 1940, 126. 220 Darré, Neuadel, 1935, 198.

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

kret und wörtlich als »Rassenhiegiene«, d. h. als »Züchtung« im Sinne der »Aufartung« und der damit korrespondierenden »Ausmerzung«. Dies wusste der damals schon weithin bekannte »Rassenkundler« Günther zu schätzen  : »Ich bin ja auch so froh, dass Sie nun ins Feld gesprungen sind, denn Sie haben all das Biologische, was mir noch fehlt bei meiner geisteswissenschaftlichen Vergangenheit«, schrieb er ihm.221 In seinem Buch Der nordische Gedanke unter den Deutschen, in dem sich Günther mit Einwänden gegen seine Rassenkunde des deutschen Volkes auseinandersetzte, zitierte er aus Nietzsches Zarathustra  : »O meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel. […] Eurer Kinder Land sollt ihr lieben  : diese Liebe sei euer neuer Adel.« Und für die »Nordische Bewegung« nahm Günther in Anspruch, diesem wolkigen und emphatischen Ausruf einen konkreten und vorbildhaften Inhalt gegeben zu haben  : Sie strebt nach Steigerung vorwiegend nordischer Geschlechter durch Auslese. […] Nur ein Zeitalter, das ein rassisches Vorbild hochhält, wird Kultur schaffen. Dieses Vorbild muß lebendig im Volk sein. Es muß im neuen Adel sich darstellen. […] Nur das rechte Vorbild erzeugt ein sich steigerndes Leben.222

Darré baute auch diese Anregungen einer rassistisch hierarchisierten Gesellschaftsstruktur in seine Ideologie aus »Blut und Boden« ein – und machte sie so zu einem völlig unrealistischen Zukunftsentwurf, einer Utopie. Darrés Staatsverständnis Für den von der »Nordischen Bewegung« angestrebten Fall, dass das »Zuchtziel des Deutschen Volkes« ein Anliegen nicht einzelner Phantasten oder sektiererischer Gruppen, sondern des staatlichen Machtapparates sein würde, bot Darrés Neuadel aus Blut und Boden schon 1930 recht aufschlussreiche Überlegungen. Auf den Einwand, dass die »nordische Rasse« ja nur einen ganz geringen Prozentsatz der deutschen Bevölkerung ausmache, antwortete er  : Wenn wir heute einen Staat bekommen, der den Hegehofgedanken praktisch durchführt und ihn gleichzeitig dem nordischen Gedanken unterwirft, dann reinigt sich ja nicht nur das Hegehof-Geschlecht von unerwünschten Bestandteilen seiner Erbmasse, sondern das ganze Volk. Denn für diese Frage ist doch gar nicht entscheidend, welcher Vermischungszustand heute im deutschen Volk festgestellt werden muß, sondern entscheidend ist lediglich  : 1. Welcher Typ Mann − rassenmäßig gesehen − kommt in diesem Staat vorwärts  ? 2. Wel221 Günther an Darré, 15.1.1929, StAG, NLD, Nr. 84. Zum historischen Hintergrund vgl. Mann, 1973 und Marten, 1983. 222 Günther, 1925, 20, 49 und 98.

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chen Typ Frau  − rassenmäßig gesehen  − heiratet der vorwärts gekommene Mann  ? Diese beiden Gesichtspunkte bestimmen das Wesen der kommenden Generation und nicht die Zahl der heute vorhandenen rassenmäßig unerwünschten Einzelnen. Tausend heute lebender ostischer Mädchen sind für die Zukunft unseres Landes völlig belanglos, wenn − sie keine Kinder bekommen.223

Darrés Buch Neuadel aus Blut und Boden erhob den Anspruch, ein Leitfaden für die Politik zu sein. Wenn die Entscheidung darüber, wie »das Bild des echten Deutschen« auszusehen habe, in die Hände von Menschen geraten würde, welche die Macht zu seiner Realisierung besitzen würden, sollten sie mit Ideen ausgestattet sein. Für das soziale Leben in diesem Staat gab Darré schon 1930 deutliche Hinweise, die er an aktuellen Beispielen veranschaulichte  : Liberalismus und Marxismus haben es auf dem Gewissen, wenn heute in unserem Volkskörper die Gesetze des Lebens missachtet und verspottet werden. Nur so lässt sich erklären, dass ein Volk von der hochwertigen Begabungsveranlagung des Deutschen den Wahnsinn hat, die Gesunden für die Minderwertigen arbeiten zu lassen und durch eine ausgiebige – angeblich soziale – Gesetzgebung auch noch dafür Sorge zu tragen, dass dem Untermenschentum die weitesten Möglichkeiten bleiben, während dem hilfsbedürftigen Wertvollen die Hilfe versagt wird. Oder ist es nicht Wahnsinn – (von dem Blickpunkt aus, der das Erbgut unseres Volkes im Auge behält)  – daß gesunde deutsche Ehepaare heute keine Wohnung finden können, während man Riesensummen für die möglichst behagliche Einrichtung der Gefängnisse und Irrenhäuser aufbringt  ?224

Es ist keine Frage, dass in dem Augenblick, da der Politiker Darré – im Schlepptau Adolf Hitlers – das »Idealbild« des deutschen Menschen nach seinen Vorstellungen prägen konnte, die hier ausgebreiteten rassenideologischen Ideen und Ansichten verhängnisvolle Folgen haben mussten. Rassistischer Rigorismus, Antihumanismus und Autoritarismus − wenige Jahre später Wirklichkeit geworden − sind diesem Ideengebäude schon von Anfang an immanent gewesen. Es war die Konzeption eines »Neuadels aus Blut und Boden«, die Darré veranlasste, sich mit Heinrich Himmler beim Aufbau der SS und ihres »Rasse- und Siedlungsamtes« zu verbünden. Dort – etwa bei der Umsetzung des »Heiratsbefehls« – glaubten die Vertreter der »Nordischen Bewegung« im Umkreis Darrés und Günthers die direkte Erfüllung ihrer Wünsche zu finden  : Pflege und Förderung des »nordischen Blutes« auf der privilegierten Basis eines Landsitzes.225 Gegenüber dem strengen Maßstab, 223 Darré, »Zur Neuadelsfrage«, a. a. O. (StAG, NLD, Nr. 378). 224 Darré, Neuadel, 1930, 51 f. 225 Dies wird auch dadurch dokumentiert, dass in den späteren Ausgaben von Darrés Neuadel aus Blut und Boden bei sonstiger Textgleichheit sowohl der »SS-Befehl A Nr. 65« Himmlers vom 31.12.1931

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

den Darré an die »Erbwertigkeit« der Frau anlegen zu müssen glaubte, wurde der Besitzer eines »Hegehofes« mit einer anderen Elle gemessen als normale Bürger. »Zum Edelmann wird man geboren oder kraft besonderer eigener Leistungen im Dienste des Deutschen Volkes ernannt«. Darré nahm die »Nürnberger Gesetze« schon 1930 vorweg, wenn er die »Erringung der Bürgerrechte in erster Linie [als] Angelegenheit des Blutes« bezeichnete, das Staatsbürgerrecht also rassistisch definierte. Wo aber sollten die Kriterien hergenommen werden, nach denen die von Günther vorgenommene Klassifizierung der in Deutschland vorhandenen »Rassen« staatsrechtlich unanfechtbar in Realität umzusetzen war, von den unterschiedlichen Mischverhältnissen ganz abgesehen  ? Es ist offensichtlich, dass hier langfristig, sehr langfristig gedacht werden musste. Selbst bei den »Rasse«-Gesetzen, die auf dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1935 beschlossen wurden und die lediglich die Ausschaltung »jüdischen Blutes« zum Ziel hatten, konnte nur auf Kirchenbücher bis zum frühen 19. Jahrhundert zurückgegriffen werden, also auf die Religionszugehörigkeit. Wegen dieser langfristigen Perspektive seiner Vorstellungen widmete Darré dem Thema ›Erziehung der Jugend und des Jungadels‹ ein ganzes Kapitel seines Buches. Zunächst forderte er, dem Staat als Träger der »Gesittung« müsse ein Mitbestimmungsrecht bei der Erziehung der Jugend eingeräumt werden. Nicht Wissen, sondern Gesinnung, d. h. Charakterschulung müssten im Vordergrund stehen. Hierbei komme dem Militärdienst eine wichtige Aufgabe zu, besonders da mit der Charakterschulung auch gleichzeitig eine Leistungsprüfung verbunden werden müsse. Darrés Vorschlag lautete  : »Wir erweitern die Militärdienstpflicht der Vorkriegszeit zu einer Erziehungsschule für das deutsche Staatsbürgertum.« Der Gang der Leistungsprüfung solle drei Stufen umfassen, die als Auslesegesichtspunkte zu verstehen seien  : 1. Zulassung zur Dienstzeit nach »rassischen« Kriterien  ; 2. Entlassung aus der Dienstzeit anhand eines Zeugnisses  ; aber das »letzte Wort in züchterischer Hinsicht« hätten dann die Berufsstände zu sprechen, »welche durch die Zuerkennung des Eherechts das arbeitswillige und brauchbare Menschentum unter den Deutschen noch ganz besonders heraussieben«.226 Für das Verhältnis des »Neuadels« zum übrigen Volk versprach sich Darré von dieser Prozedur noch einen ganz besonderen Erfolg. Er war der Meinung, der »Gedanke der Volksgemeinschaft« werde gepflegt und gefördert durch die Dienstpflichtzeit für Angehörige aller Berufsstände. Überheblichkeit und kastenmäßige Abschottung des Adels werde verhindert und »auf diese Weise das Fronterlebnis aus der Zeit des Weltkrieges 1914–18 für alle Zeiten immer wieder lebendig erhalten«. Schließlich habe der Edelmanns-Anwärter bei Übernahme des »Hegehofes« eine landwirtschaftliche als auch das »Reichserbhofgesetz« vom 29.9.1933 im Wortlaut abgedruckt wurden (Ausgabe 1935  : 228 ff.). 226 Ebd., 202 f. und 209 ff.

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Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich«

Eignungsprüfung und den Nachweis einer »artgemäßen Ehe« zu erbringen. Eine weibliche Erbfolge auf dem Hegehof glaubte Darré aus mancherlei Gründen, die er schon in seinem Bauerntum ausführlich erläutert hatte, ablehnen zu müssen. Allein bei männlicher Erbfolge verspreche der »Hegehof« das zu werden, was Darré von ihm erwartete  : »Blutserneuerungsquell« des ganzen Volkes zu sein.227 Über die richtige Durchführung aller dieser Vorstellungen sollte nach dem Willen Darrés eine Art Selbstverwaltungskörperschaft wachen, die »Adelsgenossenschaft«. Von ihr sollten die »Hegehöfe« als Erblehen vergeben werden, falls gegen Ahnennachweis, Ehe und Leistungsfähigkeit des Antragstellers nichts einzuwenden sei. Komme es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Staat und »Adelsgenossenschaft« etwa über eine Neuaufnahme in den »Hegehofadel« oder beim Erbgang innerhalb eines »Hegehofgeschlechts«, so liege die Entscheidung bei einem Obersten Gericht. Darré hielt sich lange dabei auf, einen »ständischen Aufbau der Edelleute« zu entwerfen, der in der »Landschaft«, d. h. dem »Rat der Edelleute«, seine unterste regionale Institution hatte und in der »Adelsgenossenschaft«, d. h. dem »Haus der Edelleute«, seine höchste Stufe erreichte.228 Neben dieser »Adelsgenossenschaft« dachte Darré 1930 noch an die Schaffung einer »Bauerngenossenschaft« nach dem gleichen Organisationsprinzip. Zwischen beiden bestehe kein grundsätzlicher, sondern nur ein gradueller Unterschied, »indem an den Bauern etwas geringere Leistungsanforderungen als an den Edelmann gestellt werden.« Er wollte »Bauerngenossenschaft« und »Adelsgenossenschaft« in einen Landstand vereinen und glaubte, dass »die tausendjährige Schichtung unseres Volkes in Adel und Bauern damit wieder überwunden« und »die Anknüpfung an die germanische Form der Aufgabengliederung zwischen Adel und Bauer wieder hergestellt« sei. Denn in der beruflichen Organisation aller das Land Bearbeitenden seien beide – Edelleute und Bauern – ebenso zusammengeschlossen wie landwirtschaftlich oder tierzüchterisch arbeitende Beamte und bodenständige Landarbeiter. Darré war der Meinung, auf diese Weise stelle die Landwirtschaft den anderen Berufsständen gegenüber einen geschlossenen Block dar und werde auch als solcher in der »Berufsständekammer des Deutschen Reiches« vertreten. Diesem Unterhaus korrespondierte eine Art Oberhaus als »Volksvertretung«. Die Rechte beider Institutionen des Staatsaufbaues werden nicht genannt, auch die Abgrenzungskriterien bleiben unklar – dafür war das Konzept noch zu unausgegoren. Klar aber war, Darré dachte nicht an eine parlamentarisch-demokratische Mitwirkung der Staatsbürger, sondern an eine autoritär-ständische Staatsstruktur mit einem Reichsgericht als oberster Berufungsinstanz.229 227 Darré, Bauerntum, 1929, 149 und 172  ; Darré, Neuadel, 1935, 101 und 212. 228 Darré, Neuadel, 1935, 99 ff. Eine Zusammenfassung dieses »Entwurfs zum ständischen Aufbau der Edelleute« ebd., 118 f. 229 Ebd., 104 ff. und 119 ff. Schon in seinem Bauerntum (286) hatte Darré 1929 darauf hingewiesen, dass

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

Dies ist − in den Hauptzügen skizziert − die Vorstellung, die Darré von einer Staatsordnung des von ihm mehrfach beschworenen »Deutschen Staates der Deutschen« hatte. Sie müsste, das ist der Grundgedanke, »artgemäß« sein, was gleichbedeutend ist mit »aristokratisch«. Der auf solche Weise zustande gekommene Aufguss ständestaatlicher Verfassungsprinzipien erhielt durch die spezifisch rassenideologische Wertung des Menschen eine besondere Akzentuierung. Darré verwendete auch in diesem Zusammenhang den aus der Biologie stammenden Begriff des »Organischen«. Er suggeriert »gewachsen«, naturbedingt und naturgesetzlich und wird damit jeder Infragestellung entzogen. Das Denken in »organischen« Kategorien und bezogen auf die politisch-gesellschaftliche Realität kennt nur die Pole schwarz–weiß, krank–gesund, zugehörig–fremd. Komplexität, die Differenzierung verlangt, oder Pluralität, die Toleranz herausfordert, sind ausgeschlossen. In einem Aufsatz Darrés aus dem Jahre 1926 findet sich der Vorschlag, »durch stufenweises Sieben der wählenden und ins Parlament wählbaren Volksgenossen« der Tatsache Rechnung zu tragen, dass »ein Parlament eine durchaus biologische und dynamische Angelegenheit« sei. Die einem jeden Menschen zukommende »unterschiedliche Wertigkeit« könne man nicht durch das »arithmetische Kunststück« des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts verdecken. Diese Übertragung biologischer Gesetzmäßigkeiten auf staatliche Strukturen bestimmte auch Darrés Parlamentarismuskritik. Er übertrug das in der Landwirtschaft gültige »Gesetz des Minimums« umstandslos auf die politische Legislative. Wie bei Planzen der Nährstoff, der am geringsten im Boden vorhanden sei, das Wachstum bestimme, so sah Darré im Parlament die Effektivität der Arbeit vom »schwächsten Kettenglied« bestimmt.230 Darré wollte das demokratische Gleichheitsprinzip durch eine hierarchische Ordnung ersetzen, deren Grundlage »rassische Gegebenheiten« sein sollten. In seiner Konzeption des »Dritten Reiches« nahm das »Bauerntum« wieder  − wie ehemals  − eine Schlüsselstellung ein. »Das Bauerntum […] hat die Grundlage des Staates zu bilden, von ihm aus gliedert sich dann im Staate die Stadt und die Industrie in den Volkskörper ein.«231 Aus der Gedankenreihe einer Gleichsetzung von Bauerntum und »nordischer Rasse«, die aufgrund ihrer Eigenschaften zur Führung bestimmt sei, der Gedanke der ständischen Selbstverwaltung altgermanischen Ursprungs sei, ein »nordischer Staatsgedanke« deshalb auf diesem Prinzip aufgebaut werden müsse. 230 Darré, »Das Gesetz des Minimums und seine Bedeutung für das staatliche Leben«, in  : Darré, EuW, 1940, 54 ff. Vgl. hierzu auch Hitler, 1932, 493, wo er das »aristokratische Prinzip« als »Grundlage des völkischen Staatsgedankens« bezeichnet. »Eine Weltanschauung, die sich bestrebt, unter Ablehnung des demokratischen Massengedankens, dem besten Volk, also dem höchsten Menschen, die Erde zu geben, muß logischerweise auch innerhalb dieses Volkes wieder dem gleichen aristokratischen Prinzip gehorchen und den besten Köpfen die Führung und den höchsten Einfluß […] sichern.« Vgl. auch Marten, 1983. 231 Darré, »Blut und Boden als Lebensgrundlage der Nordischen Rasse«, in  : Die Sonne, 7/1930, 8. Heft (in  : Darré, BuB, 1941, 17).

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wird diese Sonderstellung des Bauerntums im Staatsgefüge  – so wie Darré es sich damals vorstellte – entwickelt. Der Bauer begründet seinen Führungsanspruch damit, der »nordischen Rasse« anzugehören. Alle anderen »Rassen« hatten sich dieser Doktrin unterzuordnen. Irrational gedachte polare Freund-Feind-Kategorien, wie sie bei den »Völkischen« üblich waren, galten auch für Darré als elementare Bestandteile der Rechtfertigung autoritärer Herrschaft. Wirtschaftspolitische Ordnungsvorstellungen kamen bei Darré – im Gegensatz zu rassistischen – nicht vor. Darrés Staatsverständnis wurde allein durch ein Bild vom Menschen als »rein biologisches Derivat« (Kroll) bestimmt  : nicht als geistgeprägtes Individuum, sondern vitalistisch und körperhaft, ein animalisches Geschöpf materialistisch verstandener »organischer« Natur. Eine neue bäuerliche, an Landbesitz gebundene Elite der »nordischen Rasse« sollte für ihre  – »artgemäße«  – Lebensform optimale Bedingungen erhalten. In Darrés »Deutschem Reich der Deutschen« hatten weder republikanische noch demokratische, weder kapitalistische noch sozialistische, weder liberale noch egalitäre Strukturprinzipien einen Platz, wohl aber reaktionäre und ständisch-autoritäre. Dieser Staat, den Darré sich vorstellte, war geprägt durch die biologistische und rassistische »Blut und Boden«-Ideologie, die zu einer politischen Utopie missraten war.232 Aus einem »preußisch-deutschen Staatsgedanken« machte Darré später den »Staatsgedanken aus Blut und Boden« und versuchte, dieses Konzept im »Dritten Reich« zu implementieren. Er scheiterte, aber Anfang 1936 war er noch zuversichtlich, sein Ziel zu erreichen, als er zu seinen engsten Mitarbeitern sagte  : »Der Nationalsozialist beurteilt […] Staatsform und Staatsidee vom Blute her und wertet sie danach, was sie für das Blut wert sind und welchen Nutzen oder Schaden das Blut davon hat.« In einem Beitrag für das Standardwerk zur Verwaltung, den »Lammers/Pfundtner«, dem er den Titel »Blut und Boden« gab, vermied Darré zunächst, von »nordischer Rasse« zu sprechen, um dann aber umso deutlicher auf dieses sein »Zuchtziel des Deutschen Volkes« hinzuweisen.233 Darré bedauerte am Ende seines Buches, dass es in Deutschland noch keinen »eigentlichen deutschen Staatsgedanken« gebe, unter dem er sich eine Verbindung von »richtig verstandenem Preußentum und Rassismus« vorstellte  : Der preußische Staatsgedanke […] stellt das Ganze über das Einzelne und bewertet das sittliche Handeln des Einzelnen im Dienste des Staates von den Erfordernissen des Ganzen her. Man könnte den preußischen Staatsgedanken den auf neuzeitliche Verhältnisse hinaufentwickelten germanischen Volks- und Staatsgedanken nennen. […] Richtig verstandenes Preußentum ist als Gedanke und Tat freiwilliges Dienen am Ganzen eines Volkes aus sittlicher Überzeugung heraus. 232 Vgl. Kroll, 1998, 157 ff. (Zitat  : 197). 233 Rede Darrés an die LGF in Weimar, 24.1.1936 (BA, Darré-NS 47b und StAG, NLD, Nr. 428) und D’Onofrio, 2001 sowie Darré 1936 (Lammers/Pfundtner, Bd. I, Sonderdruck ab Seite 13).

Die Bedeutung der Biologie bei Darré

Im Zusammenhang mit dem »Nordischen Gedanken« Günthers sollte so ein »Deutscher Staatsgedanke erstehen und ein Deutsches Menschtum sich bilden, welchem aus geistiger und körperlicher Vollkommenheit heraus im Zusammenhang mit seinem Dienst am Deutschen Staat der Stil des Deutschen Menschen der Zukunft erwüchse.« Zu seinem großen Bedauern musste Darré aber leider feststellen, dass »der Deutsche« erst noch zu lernen habe, »in diesem Sinne er selbst zu sein«.234 Doch hoffte er zuversichtlich, dass das deutsche Volk den nun endlich gewiesenen Weg gehen werde, der allein einen »Untergang des Abendlandes« verhindern könne und an dessen Ende »das von uns allen erstrebte Deutsche Reich der Deutschen, […] das Dritte Reich« stehen werde.

234 Darré, Neuadel, 1935, 5, 224 und 226 f. Vgl. auch ebd., 37  : »Der erdräumlich, wirtschaftlich und blutsmäßig richtig aufgebaute, von unten nach oben und von oben nach unten richtig gegliederte, sowie in seiner Umfriedung nach außen klar umgrenzte, zielsicher geführte germanische Staat der Germanen harrt noch heute seiner Schaffung.«

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Bisher wurde in der Darstellung von Darrés Lebensweg bis 1930 und seiner Weltsicht, wie sie sich in seinen bis dahin erschienenen Publikationen niedergeschlagen hatte, ein gerader Weg zu Hitler und »völkisch«-rassistischem Gedankengut sichtbar. So skurril manche Ideen und Formulierungen Darrés aus heutiger Sicht auch anmuten, sie waren in ihrer Zeit nicht ungewöhnlich und – sie hatten eine lange Tradition, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dies soll nun aufgezeigt werden. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie und warum die Doppelmetapher »Blut und Boden«, aber auch jeder ihrer Teile für sich, unterschiedlich verstanden werden konnten und – im Hinblick auf Darrés Vorstellungen – missverstanden wurden. Dies erklärt, warum so viele Menschen, insbesondere in der Landbevölkerung, zu Beginn der 1930er Jahre Wähler und Anhänger der NSDAP wurden und waren. Dabei wird sich zeigen – was übrigens für jede Metapher gilt –, wie unterschiedlich und vielfältig man sowohl »Blut« als auch »Boden« verstehen konnte und wie vieldeutig die Verbindung beider Begriffe war.235 Dazu sind die Heranziehung von Verwendungsbeispielen und ein Rückblick in die Bedeutungsgeschichte beider Begriffe unerlässlich. Gegen Ideologisierung helfen nur Konkretisierung und Differenzierung, gegen Ideologie nur Begriffsschärfe und Aufklärung. Was kann mit »Blut« gemeint sein? Leben, Mensch

Mit »Blut« kann nicht nur Erbgut (Keim- oder Erbmasse) gemeint sein, das Wort assoziiert den Schöpfungsakt schlechthin. 1853 schrieb der badische Schriftsteller Viktor von Scheffel in Der Trompeter von Säckingen, die Lebenshaltung des Menschen liege ihm »schon im Blute als Erbteil früherer Geschlechter«. »Blut« stand und steht als symbolträchtiger Begriff (»Blut ist ein ganz besondrer Saft«) für Geburt und Tod, für Leben überhaupt. Alle konservativ inspirierten Weltanschauungen in der Weimarer Republik  – nicht nur die »völkische«  – befassten sich mit dem, was »Leben« bedeutet. Es wurde gedanklich verknüpft mit »organisch«, »naturhaft«, aber auch mit subjektivem »Erleben« als Gegensatz zu rationalem Denken. Heinz Haushofer weist auf Band IV der englischen Enzyklopädie People, Places and Things (London 1954) mit dem Titel Ideas hin. Dort würden der »teutonischen Primitivität von Blut und Boden« Positionen von George Bernard Shaw, D. H. Lawrence und Henri Bergson (»élan vi235 Vgl. z. B. Hitler  : »Vergeßt nie, dass das heiligste Recht auf dieser Welt das Recht auf Erde ist, die man selbst bebauen will, und das heiligste Opfer das Blut, das man für diese Erde vergießt.« (1932, 754 f.).

»Blut«: Darrés Rassismus

tal«) entgegengesetzt. Sie hätten »Anteil an der Rebellion gegen ein Zeitalter, das die Mechanisation zum Nachteil des Lebens auf den Schild gehoben« habe.236 Waren die Genannten – man hätte auch Spengler oder den frühen Hamsun und manche andere nennen können – Rassisten wie Günther und Darré  ? Natürlich nicht. So kann Haushofers Verweis als ein Versuch angesehen werden, Rassisten zu entlasten, und als ein weiterer Beleg dafür, dass die Doppelmetapher »Blut und Boden« von vielen Zeitgenossen der fortschreitenden Industrialisierung benutzt wurde, um eine Alternative aufzuzeigen. Diejenigen, die mit »Blut« Mensch bzw. Leben meinten, hatten nichts mit Rassismus im Sinn. Das Phänomen macht aber deutlich, wie missverständlich die Formel »Blut und Boden« zur damaligen Zeit war. Dies erklärt auch, warum sie von der Landbevölkerung, insbesondere von den Bauern, missdeutet wurde als zugkräftige Parole, die ihnen Hoffnung auf eine Aufwertung ihrer sozialen Stellung und eine Verbesserung ihrer materiellen Existenz vorgaukelte. Die nationalsozialistische »Blut und Boden«-Ideologie war etwas ganz anderes als ein antiidustrieller Affekt, sie war Rassismus. Der ausgebildete Maurer, Gewerkschafter und Sozialdemokrat August Winnig (1878–1956) kennzeichnete das »Leben« als etwas Expressives und Naturhaftes, Irrationales und Rauschhaftes, das über das »Blut« Einfluss sogar auf die Staatsform habe, in der Menschen zusammenleben  : Was wir gemeinhin Leben nennen, ist nicht das Leben selbst, sondern ist seine Äußerung. Das eigentliche Leben, jene Kraft, von der die Äußerungen ausgehen – ist ein Geheimnis. Alle von uns als Leben angesprochenen Äußerungen dieser Kraft sind Ausdruck eines Inwendigen. Wir nennen dieses Inwendige Seele und Geist und meinen mit Seele die uns mit dem Blute übermachte innere Zuständlichkeit, mit Geist die uns durch Erziehung, Lehre und Erfahrung gewordene Bewusstheit von uns und den Dingen außer uns. Von hier aus erhält alles Menschenwerk seinen Sinn, seine Form und Richtung. Von hier aus bildet sich auch die Form der Staatlichkeit.237

Nur so, von der genetischen Bestimmung des Menschen aus, ist es zu verstehen, wenn Winnig von »Blut und Boden als dem Schicksal der Völker« sprach. Auch Friedrich Georg Jünger (1898–1977), Bruder des bekannteren Ernst Jünger, nationalrevolutionärer Schriftsteller, der bei Langemarck schwer verwundet worden war und dem »Nationalbolschewisten« Ernst Niekisch nahestand, meinte damals, auch die Werteordnung einer Gemeinschaft sei »blutmäßig gebunden«  : Das Leben ist kein voraussetzungsloses Spiel des Gehirns. Es ist streng gebunden […] vor allem blutmäßig. […] Das Bewußtsein der Blutgemeinschaft fordert den Kampf gegen alle 236 H. Haushofer, 1958, 167 f. 237 Winnig, 1926, 4 und 1928, 3 ff.

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das Blut schwächenden, die Geistgemeinschaft fördernden Bewegungen. Es vermag Werte nur blutmäßig zu schätzen. So will es das Leben als Ganzes als eine neue berauschende Fülle […] nicht verfließend und durch den Intellekt ermattet. Der Nationalismus hat etwas Berauschendes, einen wilden, blutmäßigen Stolz, ein heroisches mächtiges Lebensgefühl. Er besitzt keine kritischen, analysierenden Neigungen […]. Er ist fanatisch, denn alles Blutmäßige ist fanatisch und ungerecht. Er legt keinen Wert darauf, sich wissenschaftlich zu begründen, […] denn die Wissenschaften schwächen das ursprüngliche Leben durch gerechte Würdigung. […] Eine Blutgemeinschaft […] rechtfertigt sich nicht, sie lebt, sie ist da, ohne die Notwendigkeit einer intellektuellen Rechtfertigung zu empfinden.238

Das klingt nach Sorels oder Bergsons Vitalismus. Doch auch einer der einflussreichsten Publizisten in der Weimarer Republik, Oswald Spengler, der nicht verdächtigt werden kann, einem instinkthaften Recht des Stärkeren das Wort zu reden, verband »Blut« mit »Leben« und meinte, der Mensch werde durch das »Blut« und nicht den Verstand gesteuert  : »Das Leben ist das erste und das letzte. Es handelt sich in der Geschichte um das Leben und immer nur um das Leben, den Triumph des Willens zur Macht und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld.« Spengler sah Kulturen als große Pflanzen an, die aufblühen, wachsen und dann vergehen. Auch er favorisierte das organisch-biologische »Leben« gegenüber dem analytisch-rationalen »Denken«.239 Ein anderer der vielen »Lebensphilosophen« der 1920er Jahre, der Soziologe Georg Simmel (1858–1918), dessen Eltern vom Judentum zum Christentum konvertiert waren, betonte den »strömenden« Charakter des Lebens, was so ähnlich klang wie Blut, das durch die Adern fließt. So sollte Leben von Tod unterschieden werden, Vitalität von Erstarrung, Organik von Mechanik, Positives von Negativem. Bei dieser Art Mythisierung des Lebens spielte die Metapher »Blut« eine wichtige Rolle, aber hier wurde »Blut« nicht mit »Rasse« gleichgesetzt – wie bei Darré. Auch Ludwig Klages (1872–1956), Psychologe und Graphologe, der zunächst in der Schwabinger Bohème in München im Kreise der »Kosmiker« um Stefan George und Karl Wolfskehl, seit 1915 als Privatgelehrter in der Schweiz lebte und das »natürliche Leben« pries, gefiel sich darin, das Leben gegen den Geist, die Seele gegen den Verstand, das Gefühl gegen den Intellekt, das Gemüt gegen die Vernunft auszuspielen. Klages bevorzugte das Organische gegenüber dem Mechanischen, das Universalistische gegenüber dem Individualistischen, das Dynamische gegenüber dem Statischen. Er sprach vom »Geist als Widersacher der Seele« und sah Leib und Seele als Einheit an, die durch den Geist gefährdet sei, »den Leib zu entseelen, die Seele zu entleiben und dergestalt endlich alles ihm irgendwie erreichbare Leben zu ertöten.«240 238 F. G. Jünger, Aufmarsch des Nationalismus. Leipzig 1926, 21. 239 Spengler, Pessimismus. Berlin 1921, 9, zit. n. Sontheimer, 1968, 57 ff. 240 Klages, 1929, Bd.1, 7.

»Blut«: Darrés Rassismus

Solche mehr oder weniger geistreich vorgetragenen »lebensphilosophischen« Ansichten hatten nichts mit Darrés rassistischen politischen Vorstellungen gemein, wiewohl es natürlich Überschneidungen in Grundpositionen gab, die zivilisationskritisch motiviert waren. Aber »Rasse« und »Natur« waren keineswegs identisch, obwohl Darré diesen Anschein erwecken wollte, um vom Konstrukthaften der Günther’schen Konzeption abzulenken. Auch die Assoziation von »Blut« mit »Leben« oder »Volk«, so wie konservative Publizisten in der Weimarer Republik sie vornahmen, hat nichts zu tun mit dem, was Darré damit meinte. Sie trugen allerdings durch die Vagheit und die Unbestimmtheit, die mangelnde Präzision ihrer Begriffsbildung und die Expressivität ihrer Begriffsverwendung viel dazu bei, vor den Karren rassistischen Denkens gespannt zu werden. Volk

Insbesondere der Begriff »Volk«, der im rechtskonservativen, antiliberalen und antidemokratischen Denken in Deutschland damals eine zentrale Rolle spielte, ist für Begriffswirrwarr in dieser Szene ein anschauliches Beispiel. »Volk« assoziiert »organisch« und »naturverbunden«, kulturelle und »blutmäßige« Bindung, Traditionsbewusstsein und stammesübergreifenden Zusammenhalt. Der Einzelne ist Glied der Gemeinschaft des Volkes, Partikularinteressen wie die von Konfessionen, Klassen, Parteien oder Individuen sind aufgehoben in der »Volksgemeinschaft«. »Volksgenossen« fühlen sich zu Solidarität untereinander verpflichtet und alles Fremde ist ihnen verdächtig. Der Tübinger Philosoph Max Wundt (1879–1963), in seinen politischen Ansichten stark geprägt von seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, den er als Gemeinschaftserlebnis erinnerte, reihte sich in die damals modische Phalanx derjenigen ein, die das »Volk« ins Zentrum ihres Denkens stellten. Wundt lehrte zunächst in Marburg und seit 1920 neun Jahre in Jena, war Vorstandsmitglied im »Alldeutschen Verband« sowie Autor von Lehmanns Zeitschrift Deutschlands Erneuerung und dem Periodikum des »Nordischen Ringes für Bildung und Wissenschaft e. V.«, Die Sonne. Wundts Publikationen wurden auch in der politischen Bildung in der Weimarer Republik verwandt, hatten also einen starken volkspädagogischen Impetus. Er meinte, »die deutsche Seele« kranke »an einer Übersättigung mit fremder, ihr unverdaulicher Kost. Sie wird nur gesunden, wenn sie sich wieder an die Früchte ihres eigenen Bodens gewöhnt.« Schon 1924 sprach er davon, dass »Blut und Boden zu wahrer völkischer Gemeinschaft« führten, sie seien die »natürlichen Wurzeln jeden Volkstums«. Während Wundt mit »Boden«  – traditionell  – das »Territorium« eines Staates meinte, das durch seine Grenzen markiert werde, verband er mit der Metapher »Blut« Leben und Volk  ; aber seine diffusen und widersprüchlichen Überlegungen liefen letztlich auf rassistische und vor allem antisemitische Vorstellungen hinaus. Zunächst wies er am Beispiel der Schweiz darauf hin, »gemeinsamer Boden« könne »zeitweise auch fremdes Blut zur Einheit eines Volkes zusammenführen«. Auch umgekehrt könne »ge-

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meinsames Blut auch ohne gemeinsamen Boden die Volkseinheit wahren«, wie man am Beispiel »der Juden« sehen könne. Dann stellte er fest, dass das »Blutsbewußtsein der Juden trotz des fehlenden Bodens ein sehr lebendiges« sei, und betonte, »die Verjudung unseres Geistes« sei »viel schwerer zu bekämpfen als die Verjudung unseres Blutes.« Wundt war der Meinung, dass »nicht die Blutmischung überhaupt, sondern die Mischung mit gefährlichem Blute wie dem jüdischen« als »verwerflich« zu gelten habe. Denn es sei ein »gefährlicher Irrtum«, die »völkische Gemeinschaft« in Deutschland auf dem Gedanken der »Gemeinschaft des Blutes aufbauen« zu wollen, wie das Günther und seine »Nordische Bewegung« beabsichtigten. Das führe schließlich dazu, dass »der Sohn der nordischen Rasse unter den Deutschen« sich den Schweden und Dänen »näher fühlen« müsse als den Bayern und Alemannen.241 Trotz dieser Bedenken, die auch Merkenschlager gegen Hans F. K. Günther vortrug und die für Darré selbstverständlich im Hinblick auf seine »Hegehof«- bzw. »Erbhof«Pläne von Bedeutung waren, gab sich Wundt überzeugt  : »Unser Blut rein zu halten und zu veredeln, müssen wir als eine der wichtigsten Aufgaben völkischen Handelns erkennen.« Und was den »Boden« angehe, so sei es »ja bekannt, dass der Jude seine Arbeit am wenigsten dem Boden zuwendet und als Sohn der Wüste in keinem Boden verwurzelt« sei. Unter Hinweis auf »die Großstadt« betonte Wundt wie viele seiner Zeitgenossen, es sei »ein Unglück für ein Volk, wenn es den Zusammenhang mit seinem Boden verliert.« Wenn auch auf dem Weg vom »Hegehof-Gedanken« zur »Erbhof«-Realität die »Nordische Rasse« aus Gründen der Justiziabilität auf der Strecke blieb, so war es trotzdem eine Werbung für den »Sippen«-Gedanken und den Schutz des »Erbhof«-Landes, wenn Wundt als »Sünde wider das Blut« die »Selbstsucht ohne Verantwortung vor dem kommenden Geschlecht« geißelte. Denn in den Realteilungsgebieten sorgte die Bedienung der Ansprüche der weichenden Erben regelmäßig für Verschuldung sowie zu kleine und damit unwirtschaftliche Bauernhöfe. Und wenn Wundt als »Sünde wider den Boden« anprangerte, dass Land als »Ware […] um geldliche[r] Vorteile willen rasch von Hand zu Hand wechselt«, dann war das genau die Argumentation, mit der Darré für sein »Reichserbhofgesetz« warb. Wundt fasste seine Überlegungen, die an Pädagogen in der politischen Bildung gerichtet waren, 1924 folgendermaßen zusammen  : »Treue zum Blut und Treue zum Boden vereinen sich zur Vaterlandsliebe, in der Familiensinn und Heimatgefühl verschmolzen sind.«242 Zu den Protagonisten des »Volkstumsgedankens« in Deutschland gehört der evangelisch geprägte Publizist Wilhelm Stapel (1882–1954). Er war promovierter Kunsthistoriker, führendes Mitglied des »Dürerbundes« und Redakteur der Zeitschrift Der Kunstwart, bevor er 1919 seine Zeitschrift Deutsches Volkstum gründete und bis 1938 prägte. Stapel betonte die »Kette der Geschlechter«, sah das Individuum »sittlich 241 Wundt, 1923. Im Übrigen  : Krenzlin, 2003, 128 f.; Sieg, 2013, 154 ff. und Dahms, 2003. 242 Wundt, 1924, 8 ff. und 32 (4. Auflage 1927 unter dem Titel Volk. Volkstum. Volkheit) und Wundt, 1926.

»Blut«: Darrés Rassismus

gebunden durch die Treue gegen unsere Vorfahren und durch die Sorge für unsere Nachkommen.« Das klang zwar so wie Darrés »Sippengedanke«, war aber ganz anders begründet  ; denn Stapel machte nicht nur einen theoretischen Unterschied zwischen »Volk« und »Staat«, er legte auch Wert darauf, zwischen »Rassen« und »Völkern« zu unterscheiden. Für ihn gab es ein »jüdisches« und ein »deutsches Volkstum«, was aber nicht rassistisch, sondern eher kulturell begründet wurde. Ja, er machte sich sogar über den »nordischen Spleen« lustig.243 So tat es auch Ernst Jünger, ein weiterer Vertreter der von Armin Mohler als »Konservative Revolution« gekennzeichneten Denkrichtung. Er lehnte rassenideologische Vorstellungen ab, fand den Begriff »Rasse« unbrauchbar und distanzierte sich von einer Glorifizierung von »Blut und Boden«, wie sie in »völkischen« Kreisen üblich war.244 Hans Freyer (1887–1969), einer der ersten deutschen Soziologen mit großem Einfluss auf die Jugendbewegung, hat zwar schon in seinem Jugendwerk Antäus von 1918 die »Mächte des Blutes und der Erde« als naturhafte/natürliche Grundlagen aller menschlichen und staatlichen Ordnung beschworen. Auf der Suche nach einer Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft sah er das Individuum »in einer Gemeinschaft aufgehen«. Für ihn waren »Blut« und »Heimat« Faktoren, die dem Staat als »Geschenk der Natur« zufielen. Aber konkrete Folgerungen aus diesen naturalistischen Prämissen zog er nicht. Nachdem er zunächst den Machtumschwung 1933 begrüßt hatte und sich an die Spitze der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« hatte stellen lassen, ging er 1936 von der Universität Leipzig, wo er seit 1925 tätig war, nach Budapest.245 Bei Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925), der den Nationalsozialisten den Begriff »Drittes Reich« hinterließ, spielte Blutmystik zwar eine gewisse Rolle, von Rassismus und Fremdenhass war der Kulturhistoriker und Publizist aber weit entfernt. Er sah in den Deutschen das »germanisch erhaltenste Volk«, weshalb Deutschland berufen sei, Europa in den »Rassen- und Weltteilkämpfen der Zukunft zu vertreten.« Wenn er aber von der »Rasse des Blutes« sprach, die den Völkern Einheit und Kraft verleihe, und Deutschland zum »Mutterland der Rasse« zählte, dann wird klar, dass für ihn nationale Größe im Vordergrund stand und sein »Rasse«-Begriff viel zu vage war, als dass er mit dem der »Völkischen« kompatibel sein konnte. »Wir brauchen nicht Demokraten, die von vorneherein Partei sind, sondern volkliche Führer, die wir […] gar nicht erst fragen brauchen, welcher Partei sie angehören, weil ihre Partei von vorneherein Deutschland ist.« Er polemisierte gegen den Versailler Vertrag und versuchte, eine Brücke zwischen Nationalismus und Sozialismus, West und Ost zu schlagen. Moellers Verhältnis zu rassenideologischem Denken war ähnlich zurückhaltend wie das Edgar Jungs, den Darré vergeblich von seiner Position überzeugen wollte, das 243 Vgl. Stapel, 1917 und 1926, 798. Vgl. auch Kessler, 1967  ; Sontheimer, 1968, 244 ff. Kurz, 2007 und Vordermayer, 2016. 244 Vgl. Ernst Jünger, »Großstadt und Land«, in  : Deutsches Volkstum, 28/1926, 577 ff. 245 Freyer, 1918 und 1926, 151 f. Vgl. auch Sieferle, 1995.

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»Deutschtum« liege im »Geblüte«, nicht im »Gemüte«. Aber Jung trat immerhin für eine »staatliche Zusammenfassung alles deutschen Volkstums« ein zur »Beherrschung des deutschen Volksbodens.«246 Auch Max Hildebert Boehm (1891–1968), dessen Eltern – der Vater war Gymnasiallehrer – 1902 von Livland nach Lothringen übergesiedelt waren, engagierte sich sein ganzes Leben lang im »Volkstumskampf« und der »Grenzlandarbeit«. Schon 1918 hatte er in der Pressestelle »Oberost« in Riga die Interessen der Baltendeutschen unterstützt, für Darré ergab sich eine solche Möglichkeit erst ab 1926. Boehm leitete, ebenfalls seit 1926, zusammen mit dem Gründer des »Deutschen Schutzbundes für die Grenz- und Auslandsdeutschen«, Karl Christian von Loesch, das »Institut für Grenz- und Auslandsstudien« in Berlin und lehrte dort an der Deutschen Hochschule für Politik »Nationalitäten- und Grenzlandkunde«. Boehm war ein engagierter Gegner der Weimarer Republik, von der er meinte, die Westallierten hätten ihr eine »Eunuchenrolle« zugewiesen. Von 1933 bis 1945 bekleidete er eine eigens für ihn geschaffene Professur für »Volkstheorie und Volkstumssoziologie« in Jena. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich in der Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik, indem er 1951 die »Ost-Akademie« in Lüneburg gründete und leitete.247 Vor allem Staatlichen stand für Boehm das Volk. »Volksgenossen« waren ihm wichtiger als »Staatsbürger«. »Die Vorstellung vom Volk als einer Bluts- und Artgemeinschaft, auf die sich bei uns eine betontermaßen völkische Politik beruft, drängt sich zumeist an erster Stelle zu, wenn die Frage aufgeworfen wird, was ein Volk eigentlich sei«, betonte er 1932. Für Boehm waren »Völker« die wichtigsten und wirkungsmächtigsten Subjekte der Geschichte. Objekte der Forschung und Geschichtsschreibung sollten nicht Staaten sein, sondern Völker und Volkstum, Stämme und Landsmannschaften. Regionen sah er vor allem als »Volks- und Kulturboden« an. Weil Boehm Staats- und Volksgrenzen in Übereinstimmung miteinander bringen wollte  – später sprach man von »ethnischen Säuberungen« –, hatten die Pariser Vorortverträge für ihn vor allem Minderheitsprobleme geschaffen (Europa Irredenta), die in seinen Augen für die »Volkstumskämpfe« nach den Pariser Vorort-Verträgen verantwortlich waren. Zu ihrer Vermeidung schlug er die Schaffung einer mitteleuropäischen Föderation vor.248 Dass es beim Schutz des eigenen »Volkstums« immer auch darum geht, das »fremde« auszugrenzen, wurde auch von Boehm hingenommen. »Überfremdung« galt als Gefahr und diese Haltung führte zur Verwischung der Grenze zwischem »volkhaftem« und »völkischem« oder rassistischem Denken. »Hier ist der Punkt, wo die Volksideologie in die Rassenideologie übergeht, wo der Mythos vom Volk in den Mythos des Blutes 246 Lagardes einprägsames Diktum (Deutsche Schriften, 3. Aufl. München 1937, 30) wird auch bei Jung zitiert ( Jung, 1930, 121). Vgl. auch Breuer, 1993, 105. 247 Vgl. Prehn, 2001 (dort in Anm. 18 ausführliche Bibliographie) und Prehn, 2013 sowie Haar/Fahlbusch, 2008, 68 f. 248 Vgl. u. a. Boehm, 1920  ; 1921  ; 1930  ; 1932 (Zitat 17) und 1936.

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und der Rasse übergeht«, stellte schon Sontheimer 1968 fest.249 Es ist nur ein kurzer Schritt von der Idee, das »Volk« sei »Träger der Erziehung« (Ernst Krieck), zu der biologistischen Insinuation, das »Blut« sei »Träger der Artprägung« (Darré). Und Böhms Definition des Volkes als »Bluts- und Artgemeinschaft« führte direkt zur »Volksgemeinschaft« als homogene »Rasse-Gemeinschaft« und zur Anbindung der Staatsbürgerschaft an das »reine Blut«. Boehm war nicht nur Erforscher und Unterstützer des »Grenz- und Auslandsdeutschtums«, er war auch engagierter »Deutschtumskämpfer«. Boehm trat für eine kulturelle Autonomie der »Volksgruppen« ein, aber er wollte den »Volksgenossen«, nicht den Staatsbürgern, eine rechtgestaltende, ja eine rechtsetzende Kompetenz einräumen. Er wandte sich gegen das »bürgerliche Gerede vom Geistesadel« und feierte stattdessen den »echten, von Blut und Boden unablösbaren Adel«. Eine besondere Bedeutung nahm in seiner Ideenwelt der Korporativismus ein. Er sah ihn als eine gute Möglichkeit an, im ständestaatlichen Prinzip die »organische Volksgliederung« abzubilden und zu realisieren. Auch dies zeigt, wie sehr dieses Denken die Akzeptanz lange zurückliegender Gesellschaftsmodelle zu erleichtern in der Lage war – wie es Darré später mit der Etablierung des »Reichsnährstandes« im »Dritten Reich« unternahm.250 Abstammung

Für Darré war »Blut« mehr als neutrales Keimplasma, es war determinierende und wertbesetzte »Keimmasse«, »Keimgewebe« oder »Erbmasse«. Es schuf durch »Blutlinien« die »Geschlechterfolge« und war konstitutiv für das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Familie, den »Sippengedanken«.251 Wie »Blut« für H. St. Chamberlain eine »gesetzgebende Naturmacht« war, so begründete »Blut« für Darré eine naturbedingte Zwangsgemeinschaft  : »Wir kommen aus dem Rahmen nicht heraus, den uns die Erbanlagen unserer Ahnen gesteckt haben«, war er überzeugt. Sie, die Erbanlagen, allein bestimmten den Menschen, nicht jedoch das, was er in seinem Leben durch Erziehung und andere umweltbedingte Einflüsse erfahren hat. Diese endogene Füllung des Begriffs »Blut« war sehr nah an derjenigen, die als »Leben« und »Mensch« erkennbar geworden ist, aber sie war nur eine von vielen Assoziationen, die damals gängig waren. Denn »Blut« ist nicht nur Trägerin der Erbanlagen oder wurde als Grundstoff für die Vererbung gemeinsamer Eigenschaften von Arten, Familien, Stämmen und Ethnien angesehen. Seit biblischen Zeiten sprach man von der »heiligen Blutsbande« und »Blutsbrüder« schworen sich »ewige Treue«. Es ist das Blut, das Menschen mit ihren Verwandten, aber auch Ahnen bzw. Vorfahren verbindet. 249 Sontheimer, 1968, 249. 250 Boehm, 1935, 58  ; vgl. auch H. Kaufmann u. a., 2005. 251 Vgl. Darré, Bauerntum, 1929, 4 f., 388 ff.; Darré, Neuadel, 1930, 68, 129, 142 und 160 f.; Darré, EuW, 1940, 183 ff. und BuB, 1941, 187.

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Durch die gemeinsame Abstammung werden Individuen zu Gliedern einer Gemeinschaft, die ihre persönlichen Interessen dem Wohle dieses naturbedingten Kollektivs unterordnen. Das »Blut« bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. »Blutsverwandtschaft« (»Blut ist dicker als Wasser«) begründete den Sippengedanken, »blaues Blut« den Adel, das »Blut« bestimmte die Abstammung und damit die Familien-, die Stammes- und sogar die Volkszugehörigkeit. Die Nationalsozialisten sprachen von »Volksgemeinschaft« und von »Gemeinschaftsfremden«. Doch »Blut« wurde auch verstanden als ein Element, das einen Zusammenhang zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft herstellt. Es garantierte eine unzerbrechliche Kontinuität zwischen dem Gestern und dem Morgen, der Herkunft und der Zukunft. Und es garantierte den Zusammenhalt von Ethnien, Volksgruppen, Völkern, ja sogar der Nation, wenn sie als ethnische Gemeinschaft, als »Blutsnation« (Wolfgang Wippermann), verstanden wurde. Die Staatsangehörigkeit wurde im wilhelminischen Kaiserreich an das »gemeinsame Blut« gekoppelt (ius sanguinis). Ab 1913 war nur der »deutscher Staatsbürger«, der eine »deutsche Abstammung« nachweisen konnte – egal wo er geboren war oder wohnte. Daraus wurde im »Dritten Reich« die Abstammung von »deutschem oder stammesgleichem Blut« (»Reichserbhofgesetz«, 1933) und »deutschem oder artverwandtem Blut« (»Reichsbürgergesetz«, Nürnberg 1935). Im Programm der NSDAP von 1920 konnte Staatsbürger bzw. Volksgenosse nur sein, »wer deutschen Blutes ist«. Das war noch vager als »arteigen« oder »stammesgeich« oder »stammesverwandt«  – in keinem Fall waren die Begriffe staatsrechtlich definierbar. Das »Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz« von 1913 ist ein gutes Beispiel dafür, wie man dem Mythos von der ethnisch definierten Nation (»Blut«) eine Rechtsgrundlage geben kann.252 Schon 1842 war in Preußen ein Gesetz erlassen worden, das bestimmte, dass »preußischer Untertan« nicht nur der war, der seinen ständigen Wohnsitz in diesem Staat hatte, sondern die »Eigenschaft als Preuße« wurde auch an die »deutsche Abstammung« gebunden. Damit war erstmals das ius soli mit dem ius sanguinis verbunden worden. Das hing mit der nationaldeutschen Bewegung zusammen, die als Folge der französischen Drohung, linksrheinische Gebiete zu besetzen, damals in den mehr als 35 Staaten – Fürstentümern, Grafschaften und Freien Städten – des »Deutschen Bundes« ihren Höhepunkt erreichte. Diese erstmalige Einführung des »völkisch« verstandenen »Blutrechts« in einem deutschen Staat nach dem Ende des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« 1806 war ein erstes Signal von »Preußens deutscher Sendung«. Das Blut- oder Abstammungsrecht wurde nach Preußen auch von anderen deutschen Staaten und vom »Norddeutschen Bund« übernommen. Das Staatsbürgerrecht lag bei den Mitgliedsländern, die auf der Basis der Abstammung die deutsche »Reichsangehörigkeit« verliehen. Diese Regelung fand dann 1871 Eingang in die Verfassung des ›Preußi252 Vgl. W. J. Mommsen, 1996, 128 ff.

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schen Kaiserreichs deutscher Nation‹, dem die Aufgabe zufiel, aus einem Bundesstaat vieler Stadt- und Staats- bzw. Länderterritorien mit jeweils eigener Staatsbürgerschaft einen deutschen Nationalstaat zu machen – gegen erhebliche Bedenken Wilhelms I., der lieber König in Preußen bleiben als Kaiser in Deutschland werden wollte – von Bayern ganz abgesehen. Obwohl unter den Staatsangehörigen des damaligen »Deutschen Reiches« nicht nur Deutsche, Germanen oder »Arier«, sondern auch polnisch-, dänisch- oder französischstämmige Menschen lebten und deren Muttersprache auch nicht Deutsch war, ging man von einer ethnischen Gemeinschaft aller Staatsangehörigen Deutschlands aus.253 »Deutschstämmig« war im Gesetz von 1913, wer Eltern mit deutscher Staatsbürgerschaft besaß. Einen »Abstammungsnachweis«, der weitere Vorfahren einschloss – wie später im Staat Hitlers –, gab es damals allerdings noch nicht.254 Aber unabhängig vom territorialen Staatsgebiet wurden im von »völkischem« Denken dominierten zweiten deutschen Kaiserreich auch alle Deutschen, die im Ausland lebten, ›eingemeindet‹ – man sprach vom »Deutschtum im Ausland« und ein Verein kümmerte sich seit 1881 sehr erfolgreich um ihre Interessen. Die Definition der Nation und ihres Staatsvolkes von 1913, der die Abstammung zugrunde lag, galt in Deutschland bis in die 1980er Jahre. Das führte dazu, dass deutsche Minderheiten in anderen Staaten, deren Grenzen durch die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, als »Volksdeutsche« galten. Dazu gehörten nicht nur Baltendeutsche und Sudetendeutsche, sondern auch Russlanddeutsche und Donauschwaben. Der Siebenbürger Sachse Georg August Kenstler, von dem Darré das Schlagwort »Blut und Boden« übernommen hat, war rumänischer Staatsbürger und »Volksdeutscher«. Es war schon einige Zeit her, dass seine Vorfahren dorthin ausgewandert waren. Sie alle konnten »heimkehren« oder »heimgeholt« werden, so wie die Saarländer nach einer Volksabstimmung 1935 oder die Sudetendeutschen, die 1938 im Zusammenhang mit dem »Anschluss« Österreichs »heim ins Reich« geholt wurden. Das galt aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg für mehr als 15 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene, die in der DDR »Umsiedler« genannt wurden. Und es galt für die Spätaussiedler, die aus der kommunistisch regierten Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland kamen, und für alle DDR-Bürger, die in den Westen Deutschlands flohen.255 Das auf dem Abstammungsprinzip beruhende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht bot ihnen die Möglichkeit, im westlichen Teilstaat ohne Umschweife als Staatsangehörige bzw. Staatsbürger anerkannt zu werden. Art. 116 des 253 Vgl. Wippermann, 1999, 133 ff. 254 Immerhin hatte schon Langbehn, 1922, 352 vorgeschlagen, die deutsche Staatsbürgerschaft mit einer »Ahnenprobe« zu verbinden. 255 Vgl. Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945–1955. Göttingen 1982, 39 ff. und Karl A. Otto (Hg.), Westwärts – heimwärts  ? Aussiedlerpolitik zwischen »Deutschtümelei« und »Verfassungsauftrag«. Bielefeld 1990, 178 ff.

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Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bestimmte nämlich, dass deutscher Staatsbürger ist, wer »deutscher Volkszugehörigkeit« ist. Und die Zugehörigkeit zum deutschen »Volk« wurde an der »deutschen Abstammung« festgemacht. Auch nachdem dieser Artikel 1999 reformiert worden war, ist bis heute deutscher Staatsangehöriger, wer »Abkömmling« eines deutschen Staatsbürgers ist.256 Im Hinblick auf die Einverleibung Elsass-Lothringens in das Deutsche Reich 1871 hatte der französische Kulturwissenschaftler und Patriot Ernest Renan, der an die »Nation« ein »tägliches Plebiszit«, also eine Willensbekundung des Volkes gebunden hatte, warnend den Zeigefinger gehoben  :257 Ihr [Deutschen] habt anstelle der liberalen Politik das Banner archäologischer und ethnographischer Politik entfaltet  ; diese Politik wird euch zum Verhängnis werden. […] Wie könnt ihr glauben, die Slawen würden euch nicht zufügen, was ihr anderen antut  ? […] Wenn eines Tages die Slawen Anspruch auf das eigentliche Preußen, auf Pommern, Schlesien und Berlin erheben werden, und zwar deswegen, weil alle diese Namen slawischen Ursprungs sind, wenn sie an Elbe und an Oder das tun, was ihr an der Mosel getan habt, wenn sie auf der Karte den Finger auf die wendischen oder obotritischen Dörfer legen, was werdet ihr dann zu sagen haben  ? Nation ist nicht gleich Rasse.

Frankreich verstand sich schon seit dem Mittelalter und erst recht nach der Revolution von 1789 als Nationalstaat freier und gleicher Bürger. Französischer Staatsangehöriger war, wer auf dem Territorium des französischen Staates geboren war und dort wohnte, sei er Baske, Bretone oder Elsässer. Sie alle waren Angehörige der französischen Staatsnation. Demgegenüber war der deutsche Nationalstaat von Anfang an »völkisch«, er war durch »Blut« bzw. Abstammung geprägt und damit für rassistische Bestrebungen offen.258 »Rasse« und »nordrassischer Bauer«

Nach allem, was bisher zu R. Walther Darré festgestellt und dargelegt wurde, kann es keinen Zweifel daran geben, dass der spätere Reichsernährungsminister und »Reichsbauernführer« im Staat Hitlers ein Verständnis von »Blut und Boden« hatte, das eine rassistische Grundlage und eine rassistische Zielsetzung hatte.259 Der Begriff »Blut« 256 Vgl. Baumann/Dietl/Wippermann, 1999. 257 Ernest Renan, Qu’est-ce qu’une nation  ? (1882), in  : Henriette Psichari (Hg.), Œuvres complètes, Tome 1. Paris 1947. 258 Vgl. Rogers Brubaker, Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich. Hamburg 1994. 259 Dies nachzuweisen und wiederholt darauf hinzuweisen ist deshalb nicht überflüssig, weil Darrés Verteidigungsstrategie nach dem Zweiten Weltkrieg im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess in Nürnberg ebendiesen Rassismus, der radikalen Antisemitismus einschloss, erfolgreich leugnete. Auch die

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war für ihn eine Metapher für »Rasse« – der Begriff »Boden« stand für Landbesitz. Im Hinblick auf die »nordische Rasse« verstand Darré beides als existentiell aufeinander bezogen und er erklärte für diesen Menschentypus die bäuerliche Lebensweise als »arteigen«. So wurde für den Verfasser des Buches Neuadel aus Blut und Boden von 1930 Landbesitz zum »Erbsitz« bzw. zum »Stammgut« einer »Sippe«. Wie Darré »Abstammung« nicht staatsrechtlich sah, sondern als »Geschlechterfolge«, so verstand er »Volk« als »die Summe aller derjenigen Menschen, die von gleichem oder verwandtem Blut [ab]stammen.« Er betonte ausdrücklich, dass er »den Begriff des ›Volkes‹ vom Blute her ableitet.« Unmissverständlich stellte er fest, er als »Nationalsozialist beurteilt also Staatsform und Staatsidee vom Blute her« und werte sie danach, »was sie für das Blut wert sind und welchen Nutzen oder Schaden das Blut davon hat.«260 Doch »Volk« und »Rasse« sind weder semantisch noch realiter identisch, obwohl in den 1920er Jahren ein solcher Anschein erweckt wurde, was den Rassisten natürlich in die Hände spielte und ihre Akzeptanz förderte. Denn die »Blutsgemeinschaft« war der Indikator für die Zugehörigkeit zu einer »Rasse«. Aber »Blut« war für Darré nicht allein eine Metapher für »Abstammung« oder »Volk«, auch nicht nur für »Rasse« überhaupt, sondern  – mit Hans F. K. Günther  – nach »Rasse-Typen« hierarchisiert und wertbesetzt, mit der »Nordischen Rasse« an der Spitze.261 Indem er nur dem Konstrukt »Nordisches Blut« bzw. »Nordische Rasse« bisher einzige Biographie nach 1945, die Darré zum Gegenstand hat, ist deshalb misslungen, weil ihre Verfasserin dieses entscheidende Merkmal der »Blut und Boden«-Ideologie außer Acht ließ und stattdessen sein späteres Interesse an der »biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise« in den Vordergrund stellt (Bramwell, 1985). In einem Aufsatz (1984, 8) schrieb sie  : »It is not often realised that ecological ideas were beeing put forward in National Socialist Germany – often in identical words to those used today – by Ricardo Walther Darré, Minister of Agriculture and Peasant Leader from 1933 to 1942. He campaigned for ecological ideas, especially organic farming, during his period in office, and during the Second World War, and was to continue his campaign as a broken, discredited politician until his death in 1953.« Vgl. dazu auch Stephens, 2001 und Brüggemeier, 2005. 260 Aus dem Manuskript eines Vortrages, den Darré am 23.1.1936 auf einer Tagung der »Landwirtschaftlichen Gaufachberater« (LGF) in Weimar gehalten hat. Der RBF verstand diese jährliche Zusammenkunft seiner wichtigsten regionalen Mitarbeiter als Ort der Erziehung in Weltanschauungsfragen und zur Pflege des Korpsgeistes seiner »Mitkämpfer«. Daher blieben Reden und Gedankenaustausch auch stets geheim. (BA, Darré-NS 47b, Zitate  : 7 und 8 des 36-seitigen Manuskripts). Im Übrigen  : Chamberlain, 1907, 822 und Darré, Neuordnung unseres Denkens, 1940a, 24. 261 Wie Günther (Fremdwörter), so war auch Darré sehr sprachbewusst. In einer Mitteilung vom 1.11.1937 an das »Stabsamt des Reichsnährstandes« verlangte er 1937, nicht »nordische Rasse«, sondern »Nordische Rasse« zu schreiben, weil »nordisch« ein geographischer Begriff sei, wodurch »unbewußt der Milieutheorie Vorschub geleistet« werde. Lappen und Eskimos seien »zweifellos nordische Menschen, aber doch keine Nordischen Menschen«. Dem in Argentinien mit dem Spanischen aufgewachsenen Darré, dessen Mutter aus Schweden kam, war offensichtlich das Eigenschaftswort »nördlich« nicht präsent. Unbeschwert und in autoritärem Duktus fuhr er fort  : »Ein Trakehner ist ein ›Ostpreußisches Pferd‹  ; und wenn eine ermländische Stute in Trakehnen abfolt, so bleibt das Fohlen doch nur ein ostpreußisches Pferd und wird kein Ostpreußisches Pferd.« (BA, Darré-NS 45).

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eine gesellschaftliche und politische Führungsrolle zubilligte, wertete er – wie Hans F. K. Günther auch  – alle anderen »Rassen« und Lebensweisen ab bzw. ordnete sie in einer Abstufung mehr oder weniger wertvoller Mitglieder der Gesellschaft seiner Führungs-»Rasse« unter. Die unterste Position in der Werteskala der angenommenen bzw. definierten »Rassen« nahmen »die Juden« ein, die – wie gezeigt werden konnte – Darré radikal ablehnte, ja als »Gegenrasse« zum bedrohlichen Feind erklärte. Es ist deshalb unzweifelhaft, dass Darré – wie alle Rassisten in Europa – Antisemit war.262 Für den Nationalsozialismus war »Blut« ein »mythischer Zentralbegriff«.263 Man sprach von »Blut und Ehre«, von »Blutsopfer« und »Blutserbe«, von »Blutsgemeinschaft« und »Blutfahne«, von »Blutorden«, »Blutschande«, »Blutschutz« und eben von »Blut und Boden«. Solche Mystifizierung und Dämonisierung des Blutes führte im »Dritten Reich« dazu, dass das Individuum zum Glied in der »Geschlechterfolge« einer »Rasse« gemacht, die individuelle Persönlichkeit der wichtiger eingestuften »Volksgemeinschaft« ein- und untergeordnet wurde (»Du bist nichts, dein Volk ist alles«). Oder – wie es ein führender Nationalsozialist kennzeichnete  : »In der Gemeinschaft des Blutes, in der Idee der Rasse die Grundlage unserer Denkens und Handelns erkannt zu haben, ist die große epochale Entdeckung des Nationalsozialismus, die keine Vorläufer hat.«264 Die Erblinie des »Blutes« wurde im »Dritten Reich« herangezogen zur Legitimierung politischer Positionen und Projekte, unmenschlicher Gesetze und verbrecherischer Taten. Naturwissenschaftlich begründete Erbgesetze ließen einen Rückfall in atavistische Zustände sogar zu einem unentrinnbaren Schicksal werden. Aber über »Erbhöfe« und die Nürnberger »Rassen«-Gesetze war eine »Blutsgemeinschaft«, so wie Darré sie sich vorstellte, nur in sehr ferner Zukunft zustande zu bringen. Doch in Himmlers »Orden guten Blutes«, der SS, sah der spätere »Reichsbauernführer« eine Möglichkeit, seine Vorstellung von einer Verbindung von »Blut« und »Boden« zeitnah zu verwirklichen. Deshalb animierte er Himmler zur Gründung des »Rasse- und Siedlungsamtes« und übernahm dessen Chefposition.265 Die mit dem Namen R. Walther Darré untrennbar verbundene nationalsozialistische »Blut und Boden«-Ideologie ist ihrem Wesen und ihrer Zielsetzung nach in der »Rassenbewegung« begründet, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 262 Auch dies ist zu betonen, weil Darré es in Nürnberg erfolgreich leugnete. Vgl. auch Mosse, 1978 und 2006  ; Geiss, 1988 sowie Eidenbenz, 1993. 263 Berning, 1964, 42. 264 Der Reichspressechef der NSDAP, Dr. Dietrich, vor Studenten 1937 (Stuttgarter Tagblatt v. 10.12.1937, zit. n. Heyer, 1991, 158). 265 Vgl. Himmler in einer Rede an das Offizierskorp der »Leibstandarte Adolf Hitler« am 7.9.1940 (zit. n. Hofer, 1976, 112 f.)  : »Das Gesamtziel ist für mich seit den 11 Jahren, seit ich Reichsführer-SS bin, immer unverrückbar dasselbe gewesen  : einen Orden guten Blutes zu schaffen […]. Einen Orden zu schaffen, der diesen Gedanken des nordischen Blutes so verbreitet, daß wir alles nordische Blut in der Welt an uns heranziehen, unseren Gegnern das Blut wegnehmen, es uns einfügen, damit niemals mehr […] nordisches Blut, germanisches Blut, gegen uns kämpft.«

»Blut«: Darrés Rassismus

herausgebildet hat. Um dies besser zu verstehen, ist ein kurzer Abstecher in die Geschichte des Rassismus und seiner verschiedenen Ausprägungen vom Sozialdarwinismus über die »Rassenhygiene« bzw. Eugenik bis hin zur »Rassenkunde« und ihrer Verherrlichung des »Ariers«, Germanen oder »nordischen« Menschen nötig. Er wird zeigen, wie sehr gerade Darré nicht nur persönlich, sondern auch ideologisch aus dieser Quelle geschöpft hat und wie sehr seine Ideologie dieser Tradition verbunden ist. Ein solcher Rückblick kann aber auch erklären, warum Darré mit seinem rassistischen Anliegen so große Resonanz und Akzeptanz fand. Dieser Erfolg ist nur möglich gewesen, weil ihm schon lange der Boden geebnet und bereitet worden war. Hinzu kommt die in Darrés Lebensweg verankerte Beziehung zur »Nordischen Bewegung«, zu der untrennbar ein rassistisch akzentuierter Antisemitismus gehört. Bei der auffallenden Parallelität des Gedankengutes Darrés mit dem des Nationalsozialismus schon in den 1920er Jahren werden aber auch gleichzeitig die ideengeschichtlichen Wurzeln und politischen Implikationen der von Hitler verkörperten und ins »Dritte Reich« einmündenden »Völkischen Bewegung« beleuchtet. Rassenhochmut und Rassenhass, so wie sie uns bei Darré begegnen, sind Erscheinungen, die es im 19. und 20. Jahrhundert in vielen Ländern der Welt gegeben hat. Der Rassismus war und ist ein internationales Phänomen, aber – von Südafrika abgesehen – nur im Deutschland des »Dritten Reiches« erhielt er den Rang einer Staatsdoktrin. Obwohl der Begriff »Rasse« erst im späten 19. Jahrhundert im Gefolge Gobineaus ein breites Publikum erreichte, ist die Geschichte von der Antike bis ins 20. Jahrhundert – mit der am deutlichsten ausgeprägten Apartheid in Südafrika – voller Beispiele von stammesund volksgruppenbedingten, brutal und bedingungslos ausgetragenen Konflikten und Auseinandersetzungen. Oft waren kulturelle, insbesondere religiöse Gründe maßgebend, meist dienten diese aber zur Beschönigung von Unterjochung und Ausbeutung oder zur Bemäntelung von brutaler Herrschsucht. Rassistische Motive spielten aber erst ab dem 19.  Jahrhundert eine Rolle, als es gelungen war, »diesen Atavismus mit wissenschaftlichem Flitter aufgeputzt zu haben«. Forciert auch durch den imperialistischen Wettlauf um Kolonialbesitz setzte sich sogar in der Wissenschaft vielfach die Meinung durch, »dass die Verschiedenartigkeit von Menschengruppen gleichbedeutend sei mit ihrer Verschiedenwertigkeit«. Schon Gobineau hatte zwischen »höheren« und »niederen Rassen« unterschieden und »hoch« war wertvoll, »niedrig« war minderwertig.266 Das Wort »Rasse« spielte erstmals im Spanien der Reconquista eine Rolle, als man Volksgruppen, die sich durch Kultur und Religion unterschieden (Mauren, Juden), voneinander abgrenzen wollte (»limpieza de sangre«, Reinheit des Blutes). In Frankreich diente der Begriff »race« seit dem 17. Jahrhundert zur Unterscheidung des Abstammungsprivilegs vom Leistungsprinzip, des Geburts- vom Amtsadel. Erst als sich Darwins Deszendenztheorie in den Naturwissenschaften durchgesetzt hatte, war die 266 Vgl. u. a. Hertz, 1925, 2 ff. (Zitat  : 4) sowie Lester/Millot, 1948, 165 f.

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Grundlage für den modernen, naturwissenschaftlich begründeten Rassismus gelegt.267 Obwohl Darwin sich noch für den »Ursprung der Arten« interessiert und Mendel die Grundlagen der Pflanzenphysiologie erforscht hatte, wurden biologische Gewissheiten (»Naturgesetze«) auf alles Leben schlechthin übertragen – Darré sprach von »lebensweltlichen Gesetzen«, Hitler von einer »gleichmäßigen Wesensart«, wenn sie von »Rassen« sprachen. Hans F. K. Günther sah in der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert »die Aufbruchzeit der Rassenbewegung« schlechthin. Damals wurde der Begriff »Rasse« – nicht zuletzt wegen seiner Unschärfe – zu einer mystifizierenden Hülle für das anthropologische Phänomen der physischen Ungleichheit der Menschen. Aus dem Interesse an einer Unterscheidung verschiedener Volksgruppen und dem auf Platon zurückgehenden typologischen Denken wurde »Rassen«-Mystik. Nun wurde »Rasse« als eine Gemeinschaft »reinen Blutes« verstanden.268 Während Gobineau »Rasse« zum bestimmenden Faktor der Geschichte und »races humaines« zum Schlüsselbegriff seiner Weltsicht gemacht hatte, sprach Darré davon, jede menschliche »Rasse« habe ein »inneres Baugesetz«, das den einen Menschen zum »Nomaden« und den anderen zum »Bauern« mache. Prinzipien der kontrollierten Pflanzen- und Tierzucht wurden in die Humanbiologie transferiert. Man sprach von »natürlicher Zuchtwahl« und »natürlicher Auslese« – und zwar nicht nur als empirischer Befund, sondern als aktiv zu betreibende, zielorientierte biopolitische Handlungsanleitung auch im Hinblick auf den Menschen. Darré reihte sich in die Phalanx derjenigen ein, die schon im 19. Jahrhundert das Phänomen »Rasse« von sprachlichen und kulturellen Konnotationen frei machen wollten. Für Günther war es beispielsweise selbstverständlich, dass es »keine germanische, romanische oder slawische Rasse« gebe.269 Die Rassentheorie knüpfte an den uralten Mythos von der lebensbestimmenden Kraft des Blutes an und versuchte, diesem »ganz besondren Saft« auf der Basis der Anthropologie, der Biologie, der modernen Medizin und der Genetik einen neuen – wissenschaftlichen – Nimbus zu verleihen. Die inhaltliche Ungenauigkeit, die den Gebrauch des Begriffs »Rasse« immer begleitete, spiegelt sich nicht nur darin wider, dass man nicht genau feststellte, worin der Unterschied zwischen einer »Art« und einer »Rasse« besteht. Darré sprach beispielsweise häufig von »artreinen« und »artverwandten Rassen«, um sie von »artfremden« zu unterscheiden. So fand er einen Ausweg aus dem Dilemma, dass die Deutschen – vom rasseniologischen Standpunkt à la Günther aus gesehen – ein Mischvolk waren. Die Begriffe »Arier« (aus der Linguistik) und »Weiße« (Gobineau), »Indogermanen« (Linguistik) und »vorchristliche Germanen« (Geschichte) wurden oftmals synonym benutzt, wobei Sprachfamilien und Ethnien miteinander verwechselt wurden. Vacher 267 Vgl. W. Conze, 1984, 135–178. 268 Hitler, 1932, 311 ff. sowie Günther, 1925, 7 und 1928. Im Übrigen    : Grebing, 1959, 16 f. und Berning, 1964, 152 ff. 269 Darré, EuW, 1940, 105 und Günther, RkdV, 9. Aufl. 1926, 7.

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de Lapouge setzte erstmals »arisch« und »nordisch« gleich und schon sehr früh wurde »arisch« als »nicht jüdisch« verstanden. Auch die Günther’sche Typologie und Klassifikation konnte sich nicht allgemein durchsetzen, wodurch ihre künstliche und konstruierte Begrifflichkeit und willkürliche Struktur nur unterstrichen werden.270 Hinzu kam, dass Günthers Kategorisierung die »völkische« bzw. nationalsozialistische Idee von der »Voksgemeinschaft« gefährdete. Denn er attestierte beispielsweise den »ostischen« Menschen weniger Vaterlandsliebe als den »nordischen«. Schon frühzeitig wurde darauf hingewiesen, dass die einseitige Verherrlichung einer einzigen Bevölkerungsgruppe (die »Nordische Rasse« als alleiniger Kulturschöpferin) eine Verunglimpfung anderer Bestandteile der Volksnation nach sich ziehe. Solche zeitgenössischen Warner und Bedenkenträger wie Merkenschlager oder Saller wurden – auch durch Mithilfe Darrés – im »Dritten Reich« gemaßregelt und mit Berufsverbot ausgeschaltet.271 Sie wiesen auf die vielen an den Fronten des Ersten Weltkrieges gefallenen Soldaten aus Süd- und Ostdeutschland (»dinarisch« und »ostisch«) hin. Auch die bei Anthropologen verbreitete Meinung, »Rasse ist kein Zustand, sondern ein Prozeß« und »reinerbige Rassen« seien völlig irreal (Saller), fand damals keine Akzeptanz im öffentlichen Bewusstsein. Dagegen setzte sich gegenüber diesem dynamischen »Rasse«-Begriff die statische »Rassen«-Vorstellung Günthers und anderer »völkisch« orientierter Rassentheoretiker durch. Sie verstanden unter »rassischer Erneuerung« die Wiederherstellung der »Rassereinheit«. Sie wollten sich nicht mit »Rassen«-Mischungen und einem damit einhergehenden unaufhaltsamen »Rassenverfall« abfinden, sondern ihn durch »planmäßige Züchtungspolitik« (Gerstenhauer) verhindern. Eher von links argumentierte Adolf Hedler, der auch durch eine Ab- und Ausgrenzung einzelner Bestandteile die Einheit der Nation gefährdet sah. Er bezweifelte grundsätzlich, dass »Rassereinheit« durch Auslese und Züchtung möglich sei.272 Die »Rassenbewegung«, von der Günther sprach, verstand »Rasse« nicht als Volk, Stamm oder Ethnie, sondern als Volksgruppe, die sich von anderen Volksgruppen in Bezug auf Eigenschaften und Fähigkeiten unterschied, die sich aus ihrer Erbmasse ergäben. Ihr Verhältnis zueinander ist durch Vorurteile und eine unveränderliche Hierarchie gekennzeichnet. Dem Rassismus liegt ein überzogenes Selbstbild zugrunde, aus dem sich ein herabsetzendes Fremdbild entwickelt. Es findet eine »Hypostasierung des Eigenen durch Diffamierung des Anderen« (Geulen) statt. So liegt es in der rassistischen Logik 270 Für Konopacki-Konopath z. B. waren »ostische« Menschen »nicht schöpferisch veranlagt« und als »Massenmensch« das »typische Material für die Demokratie«, die er ablehnte (1926, 14 ff.). 271 Dem Anthropologen Karl Saller, der 1927 in Göttingen für Anatomie habilitiert worden war, wurde 1935 die Lehrbefugnis in Kiel entzogen. Friedrich Merkenschlager verlor seine Anstellung bei der dem RMEL unterstehenden Biologischen Reichsanstalt und wurde sogar auf Betreiben Darrés in ein KZ verbracht. Vgl. Saller, 1934 und Merkenschlager/Saller, 1934. Im Übrigen H. Haushofer, 1958, 174  ; K. Pätzold, 1991, 105 f. und Hossfeld/John/Lemuth/Stutz, 2003, 526 f. 272 Hedler, 1932  ; vgl. auch Lutzhöft, 1971, 20 ff.

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der Darré’schen »Blut und Boden«-Ideologie, dass die Regeneration und Rettung des Eigenen, der »Nordischen Rasse«, nur durch Herabwürdigung oder Ausgrenzung oder gar gänzliche Ausrottung des Fremden, d. h. anderer »Rassen«-Typen, möglich scheint.273 Da aber rassistisches Denken nicht bloße Theorie blieb, sondern von vornherein auf Anwendung in der Praxis und auf Umsetzung in Realität angelegt war, wurde es zu einer gefährlichen politischen Waffe. Der biologische Determinismus, der den Rassismus seit dem 19. Jahrhundert kennzeichnet, hat ihn nicht nur mit dem Mythos der Unentrinnbarkeit ausgestattet. Eine Hierarchie der »überlegenen«, »unterlegenen« oder gar »minderwertigen Rassen« gab es schon bei Gobineau. Das hatte der Kolonialpolitik im 19., dem »imperialistischen«, Jahrhundert eine neue, der religiösen Missionierung weit überlegene Legitimation gegeben.274 In der Nachfolge Darwins erhielt der Begriff »Rasse« den Anspruch wissenschaftlicher Objektivität und Eindeutigkeit. Aber auch auf der Grundlage des Erbgutes oder des »genetischen Codes« ist es unmöglich, »Rassen« eindeutig zu bestimmen und voneinander abzugrenzen. Wegen seiner Unschärfe, seiner Mehrdeutigkeit und Beliebigkeit eignete sich der Begriff überhaupt nicht für gesetzliche Normierung – wie die »Rassen«-Gesetze« des »Dritten Reiches« zeigen. Seine angebliche Naturgegebenheit aber zeitigte im Zusammenhang mit »rassen«- und gesellschaftspolitischen Ordnungsvisionen fürchterliche, weil unmenschliche Handlungen. Es wäre daher fatal, würde man Rassismus auf dumpf empfundene Vorurteile reduzieren, die im 19. und 20.  Jahrhundert politisch virulent geworden sind. Kulturhochmut, Xenophobie oder Ethnozentrismus gehören zwar zu den anthropologischen Konstanten, die in allen Kulturkreisen und Epochen der Weltgeschichte zu finden sind. Doch erst nachdem sich die Darwin’sche Evolutions- und Selektionstheorie durchsetzen konnte und naturwissenschaftlich begründete Vererbungstheorien zu genetischen Erkenntnissen weiterentwickelt wurden, erhielten rassistische Ressentiments eine wissenschaftliche Dignität, die ihnen die Aura einer unumstößlichen Gewissheit, ja Wahrheit verliehen. Auch Darré unternahm den Versuch, seinen Darlegungen – trotz ausdrücklicher Berufung auf Instinkt und erlebnishafte Evidenz – auch die Aura naturwissenschaftlich gefestigter Erkenntnisse zu geben.

273 Geulen, 2004. 274 Der Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika 1904 wurde von der deutschen Heeresleitung als »Rassenkampf« verstanden und entsprechend brutal als vierjähriger Vernichtungsfeldzug durchgeführt. Er kostete etwa 80.000 Menschen das Leben. Zeittypisch waren auch Hagenbecks »Völkerschauen« um 1910 in Hamburg, die hochtrabend »anthropologisch-zoologische Veranstaltungen« genannt wurden und indigene Menschen neben Dickhäutern und Affen als exotische Lebewesen vorführten.

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Von Darwin zum Sozialdarwinismus: Die Rolle der Naturgesetze Am Anfang dieser Entwicklung einer naturwissenschaftlich begründeten »Rassenlehre« steht unzweifelhaft, wenn auch unbeabsichtigt, der Evolutionsbiologe Charles Darwin (1809–1882). Zwar war bei ihm zunächst von der Abstammung des Menschen noch nicht ausdrücklich die Rede, wie Darwin überhaupt wegen des revolutionären Sprengstoffes seiner Erkenntnisse und ihrer noch weitgehend lückenhaften Beweisführung große publizistische Zurückhaltung übte. Erst als er von einem anderen englischen Naturforscher, Alfred Russel Wallace (1823–1913) überholt zu werden drohte, veröffentlichte er 1859 seine schon lange vorliegende Theorie von der Entstehung der Arten in der Natur  : On the Origin of Species by Means of Natural Selection. Es war nur ein kleiner Teil einer auf mehrere Bände angelegten Naturgeschichte der Lebewesen.275 Aber durch missverständliche Formulierungen und einprägsame Schlagworte, die sich auch 1871 in seiner Schrift Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl manifestierten, verließ seine Entwicklungstheorie der Lebewesen in der vehement geführten öffentlichen Diskussion schon bald die Ebene einer naturwissenschaftlichen Beschreibung und führte in Richtung dogmatischer und wertender Behauptungen.276 Dabei tat sich in Deutschland seit 1863 besonders Ernst Haeckel (1834–1919) hervor. Der Zoologe an der Universität Jena machte nicht nur Darwins Abstammungslehre in Deutschland populär, er spitzte sie auch zu. Er stellte fest, dass die Ähnlichkeit verschiedener Arten in der Embryonalphase ihre gemeinsame Abstammung beweise. Haeckel wurde später Mitglied des »Alldeutschen Verbandes« und war Lehrer Willibald Hentschels. In seinen letzten Publikationen sprach er sich sogar für eine Tötung der »Tausenden von Krüppeln« aus, »die alljährlich geboren werden«, und sortierte die »Menschenrassen« nach ihrem »Lebenswert«  : Wie durch sorgfältiges Ausjäten des Unkrauts mehr Licht, Luft und Bodenraum für die edlen Nutzpflanzen gewonnen wird, so würde durch unnachsichtige Ausrottung aller unverbesserlicher Verbrecher nicht allein dem besseren Teil der Menschheit der »Kampf ums Dasein« sehr erleichtert, sondern auch ein vorteilhafter künstlicher Züchtungsprozeß ausgeübt werden  ; denn es würde dadurch jenem entarteten Auswurfe der Menschheit die Möglichkeit benommen, seine schlimmen Eigenschaften durch Vererbung zu übertragen.277

275 Vgl. Darwin, 1892  ; 1893 und 1908 sowie Winau, 1990, 301 ff. 276 Die deutsche Übersetzung erschien 1860 unter dem Titel  : Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche Zuchtwahl, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampf um’s Dasein. Vgl. Kelly, 1981 und Fenske, 1991, 807 f. 277 Haeckel, 1924, Bd. 1, 179. Vgl. Engels, 1995  ; Schallmayer, 1918, 16 ff.; Schemann, 1931, 46 ff.; Wyss, 1958  ; Heberer, 1959  ; Hemleben, 1996  ; Neffe  ; 2008 und Quamenn, 2010. Zu Haeckel als Begründer der naturwissenschaftlichen Ersatzreligion des »Monismus« vgl. Hübinger, 1997, 246 ff. und R. Clark, 1990 sowie allgemein Nipperdey, 2013a, Bd. I, 509 f., 613 f. und 625 ff.

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Immerhin  : Darwin hatte den Anstoß für die Vorstellung gegeben, im Menschen nicht mehr die Ausnahme, das Einmalige unter allen Lebewesen zu sehen, sondern ihn in einer Entwicklungsgeschichte aller Geschöpfe einzuordnen. Biologisch betrachtet war der Mensch nichts anderes als ein Säugetier geworden, ein ›Tier mit Verstand‹, ein Affe quasi, dessen Gehirn durch besondere Spezialisierung im »Kampf ums Dasein« den Weg zum Geist hin gegangen war. Diese Sichtweise stellte nicht nur die Autorität der Bibel in Frage, sie revolutionierte auch das christliche Menschenbild und machte die Vorstellung vom Menschen als ›Ebenbild Gottes‹ zunichte. Schon 1798 hatte Robert Malthus (1766–1834) festgestellt, dass zwischen der Zahl der Bevölkerung und ihrem Nahrungsmittelbedarf ein Zusammenhang besteht, und vorausgesagt, dass in Zukunft bei gleichbleibend wachsender Bevölkerung ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln gefährdet sei. Diese »Gesetz« wurde zwar sehr bald unter Hinweis auf Geburtenrückgang und erhöhte landwirtschaftliche Produktivität widerlegt, aber die Tatsache, dass die »physische Fortpflanzungstätigkeit eines Volkes unbegrenzt« sei, die Vermehrung der Nahrungsmittel aber an Boden gebunden und damit begrenzt, stand im Raum. Auch diese These, die zu einer Ausdehnung des in einem Staat vorhandenen Bodens herausforderte, wurde bald unter Hinweis auf den freien Welthandel widerlegt. Sie spukte aber in chauvinistischen Kreisen bis ins 20.  Jahrhundert herum und auch für Darré spielte sie eine Rolle. Aber seitdem die Dreifelderwirtschaft durch die Fruchtfolge abgelöst worden war und die Möglichkeit der künstlichen Düngung zur Verfügung stand, war auch das »Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag« obsolet geworden.278 Die Antwort, die Darwin auf die Frage der Vielfalt und Fülle des Lebens auf der Erde fand, war  : Der Überfluss an Lebewesen ist nötig, weil nur diejenigen im Prozess der Evolution überleben, die sich als besonders tüchtig, d. h. leistungs- und anpassungsfähig an ihre Umwelt, erweisen. Der Ausdruck »struggle for life«, den der Nationalökonom Malthus in die Debatte einbrachte, hatte bei Darwin weder einen kämpferischen noch einen heroisierenden Gehalt. Er wurde ebenso missverstanden wie das Schlagwort »survival of the fittest«, das von dem Sozialphilosophen Herbert Spencer (1820–1903) stammte. Darwin meinte nicht das Überleben der Stärksten, sondern das der am besten an die Umgebung bzw. Umwelt Angepassten, also zum Überleben Geeignetesten. Diese Begriffe wurden in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts auf soziale, wirtschaftliche und staatliche Verhältnisse übertragen, für die sie überhaupt nicht geschaffen waren – und natürlich auch auf »Rassen«. Darwin fand heraus, dass jeder Organismus mit etwas anderen Erbanlagen und damit anderem Aussehen und anderen Eigenschaften zur Welt kommt. Diese »Variationen« bestimmen das Verhältnis der Nachkommen zu den Vorfahren, Darwin nannte den Vorgang »Evolution«. Er betonte, dass nur diejenigen, die sich in ihrer Umwelt und gegen die Konkurrenz anderer Lebewesen durchsetzen, ihre Erbanlagen fortpflanzen 278 Dierkes, 1927, 1 ff.

»Blut«: Darrés Rassismus

können, während die anderen lediglich eine Zwischenexistenz ohne Nachkommen haben. Diesen Vorgang nannte er »Selection«. Beide Regeln – auch von »Naturgesetzen« war die Rede – seien für alle Lebewesen und ihre Entwicklung vom Einzeller bis zum komplexen Organismus des Menschen gültig bzw. maßgeblich. Wohlgemerkt  : Hier ging es um einen Prozess von etwa vier Milliarden Jahren – seitdem es Leben auf der Erde gibt. Und es waren etwa sechs Millionen Jahre oder ungefähr 400.000 Generationen, wenn man menschliches Leben ins Auge fasste. War es da nicht vermessen, diese unendlich lange und langsame Entwicklung der menschlichen Art »züchterisch« beeinflussen zu wollen – wie es Darré und vor ihm andere vorschlugen  ?279 Robert Malthus, den Darwin 1838 gelesen hatte, war der Meinung, dass die Zahl der Menschen rascher wachse als die Produktion der Nahrungsmittel. Er hatte deshalb eine Hungerkatastrophe vorausgesagt, aber zweierlei nicht berücksichtigt  : Erstens, dass die vermeintlich Tüchtigen aus den »höheren Ständen« (Adel, Bürgertum) weniger Nachwuchs als die »niederen Stände« (Bauern, Arbeiter) produzierten. Und zweitens, dass man nach den Erkenntnissen der Evolution zweierlei erwarten konnte  : Mit neuen Methoden der Züchtung in der Landwirtschaft und dem Fortschritt in der Agrochemie die Produktion so zu steigern, dass die erzielten Ernteerträge alle seine Befürchtungen obsolet machten. Außerdem war die Bevölkerungsentwicklung nur schwer vorauszusagen. Ähnliches passierte mit Darwins These von der Ungleichheit der Lebewesen, einer These, die ebenso revolutionierende Auswirkungen haben sollte wie die Abstammungslehre. Denn aus der Ungleichheit wurde bald eine Ungleichwertigkeit der Arten gemacht – mit verhängnisvollen Auswirkungen. Auf diese Weise wurde ein fast zwei Jahrtausende altes, in christlichen Traditionen begründetes Menschenbild in Frage gestellt, wonach jeder Mensch als »Ebenbild Gottes« und »Krone der Schöpfung« immer gleichwertig sei. Das Entwicklungsprinzip hob dieses Gleichheitsprinzip auf, d. h., die Menschen unterschieden sich durch mehr oder weniger günstige Veranlagungen und Fähigkeiten für den Existenzkampf. Darwin sah in der »natürlichen Zuchtwahl […] das wichtigste, wenn auch nicht das einzige Mittel der Veränderung«.280 Durch sinnentstellende Verkürzung, die durch einen euphorischen Zeitgeist inspiriert wurde, der dem naturwissenschaftlichen Fortschritt alles zutraute, wurde die sozialdarwinistische Idee der »künstlichen Zuchtwahl« 279 Im Vorwort des 80. Bandes seines Deutschen Gesellschaftsbuches machte z. B. Bernhard Koerner darauf aufmerksam, dass der Arzt Dr. Paul Franze aus Bad Nauheim auf der 81. Versammlung deutscher Naturforscher im Jahre 1900 in Salzburg einen Vortrag über »Höherzüchtung des Menschen auf biologischer Grundlage« gehalten habe, der 1910 in Leipzig auch veröffentlicht worden sei. »Mit dieser Schrift«, so kommentierte Koerner seinen Hinweis, »die in ihrer Zeit nicht die gebührende Beachtung fand, sollten sich die heutigen Sippenforscher und Sippenpfleger etwas eingehender beschäftigen.[…] Die Auslese wird einen völkischen, höhergearteten Staat entstehen lassen, wenn sie sich abwendet von dem Herden-Wahne der Massen der letzten Vergangenheit und sich zuwendet dem Führergedanken.« (zit. n. Weiss, 2001, 615). 280 Darwin, Gesammelte Werke, Bd. 2, Stuttgart 1876, 26.

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geboren. Warum nicht den natürlichen durch einen künstlichen Vorgang ergänzen, um das Überleben der Besten zu fördern  ? Auch die These von der erblichen Ungleichwertigkeit der Menschen ist eine der geistigen Grundlagen der Rassenbewegung, auf ihr baute sich auch Darrés »Blut und Boden«-Ideologie auf. Neue Erkenntnisse vor allem aus der Genetik widerlegten später die Meinung von der genetischen Ungleichheit der Lebewesen. Die Gene, so weiß man heute, sind der sicherste Beweis dafür, dass der Glaube an eine naturgegebene Überlegenheit oder Unterlegenheit einzelner Bevölkerungsgruppen oder »Rassen« keinerlei wissenschaftliche Basis hat. Das wird vor allem damit begründet, dass alle Menschen miteinander verwandt sind, genauer, dass sie zu 99,9 Prozent genetisch identisch sind. Hinzu kommt, dass sich Menschen und Bevölkerungsgruppen immer wieder untereinander vermischt haben. Man kann sich das wie ein riesiges Wollknäuel vorstellen  : verworren, ineinander verstrickt – aber doch aus einem einzigen Faden bestehend. »Rassen« vermischen sich und bilden vielfache Zwischenformen, kein »Blut« ist »reiner« als ein anderes. Man kann nicht einmal sagen, wie viele »Rassen« es gibt. Je nachdem, welche Kriterien man anwendet, sind zwischen drei und 56 »Rassen« gezählt worden.281 Die Unterscheidung von »Rassen« beim Menschen hat – gegen allen Anschein – also keine hinreichende genetische Basis. Man sollte – so haben Experten der UNESCO vorgeschlagen – alle Bemühungen um eine Klassifikation der Menschen aufgeben und lieber von »Varianten« unserer Spezies oder von Ethnien sprechen, die zunächst geographische, dann kulturelle Prägungen haben, im Zeitalter der Globalisierung und Mobilität aber ihre Trennschärfe verlieren. »Rassen« sind nicht als solche existent, sie werden aus einer ganz bestimmten Sichtweise konstruiert. Durch die Klassifikation der Artenvielfalt in Unterarten oder »Rassen« werden einander ausschließende Einheiten geschaffen, die – noch dazu, wenn sie (natur)wissenschaftlich begründet werden – eine Exaktheit vortäuschen, die der tatsächlich gegebenen genetischen Realität nicht entspricht.282 Ein Festhalten an »Rassen«-Konzepten ist nach heutigem anthropologischem Forschungsstand nicht wissenschaftlich begründbar, sondern eher sozialpsychologisch erklärbar. »Rassen« wurden und werden konstruiert, um den Zusammenhalt der eigenen Gruppe zu sichern und sie von anderen Bevölkerungsgruppen abzugrenzen. Das Eigenbild bestimmt dabei das Fremdbild. Wo immer Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen – man könnte auch Stämme, Völker, Ethnien, Staaten oder Nationen sagen – aufbrechen, sind nicht Haut- und Haarfarben die Ursache, sondern Machtstreben, politische Interessen, religiöse Selbstherrlichkeit und/oder soziale Ungerechtigkeit.283 Freilich  : Die Erkenntnisse der modernen Genetik standen Darré in den späten 1920er Jahren noch nicht zur Verfügung. Was aber konnte er wissen  ? 281 Vgl. u. a. Olson, 2004. 282 Vgl. Berning, 1964, 154 und Foroutan, 2018. 283 Vgl. u. a. Cavalli-Sforza, 1994 sowie Gould, 1984, 195 ff. und Mayr, 1994.

»Blut«: Darrés Rassismus

Darwin ging noch von dem Irrtum des französischen Zoologen Jean-Baptiste de Lamarck (1744–1829) aus, wonach erworbene Eigenschaften in das Erbgut eingehen und sich so fortpflanzen würden. Die Giraffe hat deshalb einen langen Hals bekommen, weil sie sich immer nach dem Futter in den Baumkronen strecken musste. Aber erst als der Zoologe August Weismann (1834–1914) die »natürliche Zuchtwahl«, wonach im Kampf um den geschlechtlichen Partner nur der Tüchtigste siegt, als einzig maßgeblich für die stammesgeschichtliche Entwicklung erklärte, waren sowohl der verändernde Einfluss der Lebensumstände  – für den Menschen seine sozialen Kontakte z. B. – als auch die angebliche Vererbung erworbener Eigenschaften irrelevant geworden. Weismann, mit dem der Zoologe Valentin Haecker, einer von Darrés Lehrern in Halle, beruflich und persönlich eng verbunden war, fand also heraus, dass erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden können.284 Noch fatalere Folgen hatte die Übertragung biologischer Erkenntnisse in den sozialen Raum. Schon 1860 hatte der englische Physiologe John William Draper die Selektionstheorie Darwins auf die menschliche Gesellschaft übertragen. Die »Sozialdarwinisten« fassten die Gesellschaft als Organismus auf und stellten das menschliche Geschlechtsleben unter den kategorischen Imperativ der Bevölkerungspolitik. Sie ebneten den Weg zur absoluten Verwendbarkeit des Lebens auf einen willkürlichen, von der Politik gesetzten Zweck hin. Sie lehnten alle sozialen oder karitativen Aktivitäten ab, weil diese zu einer biologischen Degeneration der Menschheit bzw. eines Volkes oder einer »Rasse« führten. Felix von Luschan (1854–1924), zeitweilig Direktor am Museum für Völkerkunde in Berlin, übertrug z. B. auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1909 den Begriff »Rasse« aus der Anthropologie auf die Nation und ihre »Wehrkraft«. Deshalb, so folgerte er dem Zeitgeist entsprechend, seien staatliche Eingriffe in den Fortpflanzungsprozess nötig, um »Rassenverfall« durch Degeneration zu verhindern.285 »Aufartung« oder »züchterische« Maßnahmen, »Ausmerzung« oder »Vernichtung lebensunwerten Lebens« wurzeln in derselben Tradition, nämlich in der Absicht, die natürliche Auslese steuern zu wollen. Helga Grebing hat die Folgen sozialdarwinistischen Denkens treffend gekennzeichnet  :

284 1934 gab es eine Diskussion in der Zs. Rasse. Monatsschrift der nordischen Bewegung, welche die politische Brisanz der Frage sichtbar machte, ob Umwelteinflüsse »Rassen«-Merkmale verändern könnten. Sie wurde als unwissenschaftlicher »Umweltaberglaube« abgetan. Ein Argument dabei war, dass es sonst nicht möglich sei, »die Juden zu bekämpfen«, denn sie seien ja nach der Umweltlehre »längst durch Anpassung Germanen geworden«. Andererseits wurde in dieser wegen politischen Drucks nur kurze Zeit geführten Debatte festgestellt  : »Der Nationalsozialismus hat durchaus recht, wenn er ›Blut und Boden‹, d. h. die erblichen Eigenschaften unserer Rasse und die Einflüsse der Heimat, zur Grundlage seiner Anschauungen macht.« (Hans Böker, Kurt Holler und Ludwig Plate, in  : Rasse 1/1934, 31 ff., 250 ff. und 279 ff. Vgl. auch Eidenbenz, 1993, 139). 285 Vgl. Marten, 1983 und Nipperdey, 2013a, Bd. I, 628 ff.

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Durch ihre Lehren wurde der Mensch zum Züchter seiner selbst erhoben, beziehungsweise zum Objekt der Züchtung durch seinesgleichen herabgewürdigt. Freiheit und Würde des Menschen oder auch nur sein Einzelinteresse wurden der Erhaltung der Art oder – wie es bald unter dem Einfluß der Rassenlehre hieß – dem Rassenwohl untergeordnet. Mit diesem Einbruch des biologischen Naturalismus in die Politik unter dem Vorwand einer angeblich »neuen Sittlichkeit« war die Wirklichkeit des totalitären Staates bereits beschworen.286

Verstanden sich Gobineau, Schemann, Lagarde, Langbehn und Chamberlain noch als »Erzieher des Volkes« und nicht als Sozialingenieure mit Handlungskompetenz, so machten sich die Sozialdarwinisten in zynischer Gleichgültigkeit gegenüber den antihumanen Folgen ihrer gesellschaftspolitischen Forderungen die materiellen und gesundheitlichen Auswirkungen der Industrialisierung zunutze, um einem Aristokratismus zum Durchbruch zu verhelfen, der sich an vermeintlichen »rassischen Naturgesetzen« orientierte. Sie propagierten eine Deutschtumsideologie als Abkehr von vermeintlich abstrakten Humanitätsidealen. Es war ein antiegalitäres Gegenkonzept zum Gesellschaftsentwurf der Französischen Revolution, welches das »Führerprinzip« und die »ständische« Gliederung der Gesellschaft rechtfertigte, aber auch den »angeborenen Erdcharakter« des (deutschen, germanischen, »arischen«) Volkes behauptete, dabei Volkstum und Bauerntum in eins setzte und damit die spätere »Blut und Boden«-Ideologie vorbereitete. Die »Rassen«-Theoretiker füllten nur eine Lücke, indem sie dem deutschen Volk im Namen von Sitte und Moral ein »Zuchtziel« (Darré) vor Augen stellten. Wenn, wie auch Günther behauptete, die Verhältnisse, Zustände und Gesinnungen Ausdruck allein der menschlichen Erbanlagen sind, wenn man die besten Erbanlagen noch dazu einer, nämlich der »nordischen Rasse« zuordnet, so sind alle, die mit ihrer sozialen Umwelt unzufrieden sind, zur Zielsetzung der »Nordischen Bewegung« bekehrt. Denn diejenigen Menschen, die noch nicht dem »leiblich-seelischen Bild des echten Deutschen« gleichen, erhalten in der »nordischen Rasse« ein »Ideal«, ein »Vorbild«, dem nachzustreben zur »sittlichen Pflicht« geworden ist.287 Hedwig Conrad-Martius stellte in ihrer Untersuchung zum Sozialdarwinismus (Utopien der Menschenzüchtung) dazu sehr treffend fest  : Aber gerade diese auf der Lehre von Weismann beruhende mechanistische Selektionstheorie ist dann zu einem fanatisch verteidigten »wissenschaftlichen« Dogma und einer propagandistisch ausgenützten Fanfare geworden, die ein halbes Jahrhundert, die letzten Jahrzehnte des 19. und die ersten des 20. Jahrhunderts, gefangen genommen hat. Insbesondere geschah dies mit deren Anwendung auf die sozialen Verhältnisse der Menschen. […] Die ungeklärte und äußerst vieldeutige Verwendung des Ausdrucks und Begriffs ›Kampf ums Dasein‹ hat dann besonders in seiner sachlich unhaltbaren, nur ideologisch verständlichen Übertragung auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konkurrenzkampf verheerende Folgen ge286 Grebing, 1959, 9. 287 Vgl. Günther, »Betrachtungen zum Nordischen Gedanken«, in  : DE, Juni 1927, 209 ff.

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habt und allerdings einen Pseudodarwinismus erzeugt, für den Darwin nicht persönlich verantwortlich gemacht werden kann.288

Vorbereitet wurde diese antihumane Vision, welche die menschliche Gesellschaft als biologischen Organismus missverstand und biologistische Handlungsanleitungen für zukünftige Sozialingenieure davon ableitete, u. a. von dem französischen Zoologen und Anatomen Georges Comte Vacher de Lapouge (1856–1936). Der Graf stellte die »arische« bzw. »nordische Rasse« als kulturschaffend in Europa heraus und sagte einen »Rassenkrieg« zwischen »Ariern« und ihren »Hauptfeinden«, den Juden, voraus. Im Übrigen propagierte er die Verhinderung unfruchtbarer Ehen und die Tötung behinderter Kinder durch den Staat. Für ihn war »Rasse« eine physisch zu bestimmende Erscheinung, die an anatomischen Merkmalen wie Gestalt, Haut-, Haar- und Augenfarbe, Kopf- und Nasenform bestimmt werden konnte bzw. messbar war. Die »langschädeligen Arier« beschrieb er wegen ihrer Vernunftorientierung, Willenskraft und Arbeitsmoral als »Herrenrasse«, die den anderen, rund- und kurzschädeligen Menschen weit überlegen sei.289 Die Sozialdarwinisten beriefen sich auf die »Naturgesetze« der Entwicklung und Auslese der Arten und sahen im »Kampf ums Dasein« mit dem »Recht des Stärkeren« ein Grundprinzip auch für das menschliche und staatliche Zusammenleben. Man glaubte, biologische Erkenntnisse auf die soziale Welt übertragen zu können. An die Stelle der Erziehungs- und Bildungsfähigkeit der Menschen wurden ihre erbliche Ausstattung und die »natürliche« Selektion gesetzt, die durch Unterstütztung oder gar Schutz der Schwachen und Kranken auf Kosten der Starken und Gesunden nur gestört würde. Manche – wie Vacher de Lapouge – sahen im Krieg sogar die Gefahr, dass die Besten und Tapfersten zugrunde gehen, während die Feiglinge und Drückeberger überleben. Und der Kapitalismus begünstige die »unproduktiven« Händler und Spekulanten gegenüber den »ehrlich« arbeitenden Bauern und Handwerkern. Andere wollten der Kinderarmut der Oberschichten durch die Aufhebung der Monogamie und der christlichen Moral entgegenwirken, war doch die Fortpflanzung der Stärkeren zu fördern. Aus ähnlichen Gründen sollten »Landflucht« und Auswanderung gestoppt werden, denn in der Stadt und in der Fremde würde gerade das »gute Blut« versickern und die vitalsten Teile eines Volkes würden verloren gehen.290 So gerieten zivilisatorische Werte wie mitmenschliche Solidarität und Toleranz oder Fürsorge in die Defensive und an ihre Stelle traten eine natürwüchsige Kultur und eine rassistische Zuchtutopie, denen eine inhumane und barbarische Vernichtung alles »Lebensunwerten« an die Seite gestellt wurde. »Rassenmischung«, kulturelle 288 Conrad-Martius, 1955, 18 und 43. Herbert, 1990, 474 hat den Sozialdarwinismus treffend als »Biologisierung des Gesellschaftlichen« bezeichnet. 289 Vacher de Lapouge, 1939. 290 Vgl. H. Koch, 1973 und Marten, 1983.

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Vielfalt, Internationalismus und Individualismus, überhaupt die Errungenschaften der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) galten als politisches Unheil und wurden abgelehnt. Wie an Gobineau, Vacher de Lapouge u. a. verdeutlicht werden kann, dienten Rassentheorien in Frankreich auch dazu, das seit der Revolution von 1789 nicht mehr akzeptierte Gottesgnadentum und die darin verankerte Ständegesellschaft durch ein neues Legitimationsinstrumentarium zu ersetzen.291 In Deutschland gehörte der Ingenieur und Journalist Otto Ammon (1842–1916) zu den Pionieren der Sozialanthropologie, die soziale Phänomene biologistisch deuteten und verändern wollten.292 Als Mitglied des Karlsruher Altertumsvereins führte er 1886 eine anthropologische Untersuchung der Bevölkerung des Großherzogtums Baden durch. Diese Verbindung von Frühgeschichte und Anthropologie war seit der Gründung der »Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte« im Jahre 1869, u. a. durch den Pathologen und Sozialpolitiker Rudolf Virchow, nichts Ungewöhnliches. Auch die Kraniometrie, die Schädelmessungen und eine Klassifikation der Menschen nach äußeren Merkmalen wie Größe, Gestalt, Kopfform, Haut-, Haar- und Augenfarbe betrieb, war für die Anthropologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstverständlich. In Darrés Umfeld war es vor allem Dr. Horst Rechenbach, der kraniometrische Verfahren zunächst in der Reichswehr und dann in der SS praktizierte, um so die »richtigen« Mitglieder für diese Eliteorganisation des »Dritten Reiches« zu finden.293 Die Sozialdarwinisten sahen in der Menschheitsgeschichte eine Abfolge von »Rassenkämpfen«.294 Sie behaupteten, es gebe »Herren-« und »Sklavenrassen« – und dies sei naturbedingt so, also »unabänderlich«. Auf diese Weise konnten historisch gewordene Machtverhältnisse stabilisiert und verewigt werden. Denn Herrschaft und Unterwerfung sind quasi naturgesetzlich gegeben. Neue »Rassen« können nicht entstehen und eine Mischung bzw. Kreuzung bestehender »Rassen« darf es deshalb nicht geben, weil sie die Position der »rassischen Elite« – wie Günthers und Darrés »nordischer Rasse«  – gefährden und durch ihre egalitären Folgen zu kulturellem Verfall führen würde. Auch die Dogmatisierung der Behauptung vom Höchstwert »reiner Rassen« zog die Forderung nach »Hochzüchtung« durch sozialpolitische Maßnahmen nach sich. Denn schützt sich ein »Herrenvolk« nicht vor Vermischung mit »rassisch Minderwertigen«, wird es »überfremdet« und selbst »minderwertig«. Aber alle Typi-

291 Hierzu und zu Vacher de Lapouge vgl. u. a. Young, 1968, 209 ff. und Fenske, 1991, 809 ff. sowie Günther, Kl. RkdV, 1933, 134 f. und 138 f. 292 Vgl. Lichtsinn, 1987. 293 Gespräch des Verf. mit Herrn Dr. Rechenbach. 294 Vgl. Ludwig Gumblowicz, Der Rassenkampf. Sociologische Untersuchungen. Innsbruck 1883. Bei Alfred Rosenberg hieß es dann  : »Geschichte und Zukunftsaufgaben bedeuten nicht mehr Kampf von Klasse gegen Klasse, sondern Kampf zwischen Rasse und Rasse.« (Mythus, 1930, 1 f.) Zum Kontext vgl. P. E. Becker, 1990, 310 ff.

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sierungsversuche, auch die Günthers nicht, förderten keine »Reinrassigkeit« zutage, der »Rasse«-Begriff blieb unklar und letztlich ein theoretisches Konstrukt. Ammon war als Vorkämpfer der »Völkischen Bewegung« aktives Mitglied des »Alldeutschen Verbandes« und Antisemit. Was ihn in eine Traditionslinie zu Darré’schem Gedankengut stellte, war, dass er als Sozialdarwinist kein Problem damit hatte, Praktiken der Tierzucht auf den Menschen zu übertragen, um dessen »Überlebenskampf« eine »positive« Richtung zu geben. Aber während er sich mit »künstlicher Auslese« im Sinne einer »Menschenzüchtung« noch schwertat, weil so in die »natürliche Auslese« eingegriffen werde, sah er im »bäuerlichen Leben« die den langschädeligen Germanen gemäßeste Lebensart. Vor allem aber hatte Ammon festgestellt, dass die tüchtigsten und wertvollsten Menschen, also die »germanischen« oder »arischen« oder »nordischen«, vom Land in die Großstädte ziehen und dann unter den dortigen Bedingungen ihre Kinderzahl einschränken, so dass sie relativ schnell aussterben. Dieser empirische Befund wurde zu einer Art »Gesetz« erhoben, das auch von Günther und Darré übernommen wurde.295 Ammon sah in der Wanderung vom Land in die Stadt im Zuge der Industrialisierung, die man in Analogie zur »Fahnenflucht« abwertend »Landflucht« nannte, einen sozialen Ausleseprozess, der zu einer »Blutsauffrischung« der Stadtbevölkerung vom Bauertum her führe. Darin erkannte er eine Auslese zuungunsten der Menschen »germanischen« bzw. »nordischen« Typs und trat vehement für eine »Entstädterung« der Gesellschaft ein. Die Forderung vieler »Völkischer« vor allem im Dunstfeld des Bundes der Landwirte nach »Reagrarisierung« Deutschlands bekam also nicht nur eine ökonomische Zielsetzung, sondern auch eine bevölkerungspolitische und – in der Perspektive Günthers und Darrés – auch eine rassistische. Als der Tierzuchtexperte Darré vom Schriftsteller zum Politiker geworden war, drückte er dies – camoufliert wie im Falle »Nomade« gleich »Jude« – so aus  : »Die Städte fressen unsere Volkkraft auf. Die Städte sind unsere Särge.«296 Um der historischen Gerechtigkeit und Richtigkeit willen muss allerdings betont werden, dass Darwin unmittelbar keinen Anteil an den Sünden seiner falschen Apostel hatte. Was Hitler, Darré und die Nationalsozialisten sich zu eigen machten, war nichts als purer Vulgärdarwinismus. In seinem Werk Über die Entstehung der Arten, in dem sich Darwin lange dabei aufhielt, die grundlegenden Unterschiede zwischen Mensch und Tier darzustellen, meinte der englische Naturforscher sogar, dass die Institutionen, die eine »Ausmerzung« der Schwachen verhindern (Krankenhäuser, Behinderteneinrichtungen, Fürsorge usw.), keinesfalls beseitigt werden dürften, da karitative Gesin295 Günther, RkdV, 1922, 153 und 362  ; Günther, »Darrés ›Bauerntum‹«, 1930, 135 und Günther, Die Verstädterung, 3. Aufl. 1938, 10 ff. sowie Darré, Bauerntum, 1929, 55 ff. (mit Bezug auf Grant und Stoddard) und Darré, Neuadel, 1930, 155 (mit Bezug auf Ammon). 296 Darré, »Nationalsozialismus und Landfrau«, in  : DA, 1/1932/33, 816. Vgl. auch Puschner/Schmitz/ Ulbricht, 1996, 897 und Koller, 2009, 42 ff.

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nung und soziale Empathie zum Edelsten des menschlichen Wesens gehörten. Der Unterschied zwischen dem Geschehen in der Natur und den sittlichen Normen und Prinzipien im menschlichen Bereich war von Darwin nicht angetastet worden. Die Verfälschung des Darwinismus zum Pseudo- und Sozialdarwinismus war eine Folge seiner »Amalgamierung mit dem Geist des 19. Jahrhunderts«.297 Darwin kannte weder Mendel, den Begründer der Genetik, noch die Erkenntnisse der modernen genetischen Forschung. Der Augustinerpater Gregor Mendel (1822– 1884) hatte 1865 bei Kreuzungsversuchen an Erbsen und Bohnen Mechanismen im Vererbungsprozess entschlüsselt, die verallgemeinerbar waren. Diese »Mendelschen Gesetze« wurden erst am Beginn des 20.  Jahrhunderts wiederentdeckt. Danach unterliegen alle Lebewesen einer ständigen Veränderung im Erbgang und diese »Mutationen« werden als ›genetische Webfehler‹ an die nächste, übernächste usw. Generation weitergegeben. Immer wenn Lebewesen sich fortpflanzen, können bestimmte Eigenschaften, auch Schädel- und Körperformen, Haut- und Augenfarbe der Eltern an die Nachkommen, mehr oder weniger verändert oder überhaupt nicht, vererbt werden. Es gibt dominante und weniger dominante Erbfaktoren. Neue Arten entstehen, wenn die Unterschiede der Erbfaktoren allmählich so groß werden, dass nur noch Nachkommen einer Spezies entstehen. Arten überleben, wenn die mit der Vererbung einhergehenden unterschiedlichen Eigenschaften in der Lage sind, sich gut an ihre Umgebung – das Klima z. B. – anzupassen. Wenn Bakterien in wenigen Jahren resistent gegen bestimmte Antibiotika werden, wird anschaulich, dass es einen Wandel der Arten, also Mutation gibt.298 Mit der Gleichsetzung von »Arten« und »Rassen« im späten 19.  Jahrhundert erhielt, wie der Kulturhistoriker Rolf Peter Sieferle feststellte, die Erkenntnis Darwins, dass die Erbausstattung von Lebewesen nicht konstant ist, sondern in dem Maße fluktuiert, wie sie unter Selektionsdruck seitens ihrer Umwelt steht, eine ganz andere Akzentuierung  : »Die Rasse und ihre spezifische Umwelt (was auch metaphorisch als ›Blut‹ und ›Boden‹ ausgedrückt werden konnte) bildeten in dieser Perspektive eine in langen Zeiträumen entstandene funktionale Einheit.«299 In diesem Sinne konstruierte Darré das »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse«. Der spätere Mitbegründer und erste Leiter des »Rasse- und Siedlungsamtes der SS« stand in der Tradition materialistischer Rassentheorien, die schon im späten 19. Jahrhundert auch 297 W. F. Wühlmann, »Studien zur Kultur und Sozialbiologie«, in  : Archiv für Rassen- und Gesellschaftshygiene, Bd. 23, Heft 4, Februar 1931, zit. n. Conrad-Martius, 1955, 41. Der Nationalsozialismus nahm für seine »Rassen«-Lehre ausdrücklich Darwin als Ahnherrn und wissenschaftliche Autorität in Anspruch  : u. a. VB (Reichsausg.) vom 15.6.1932. Vgl. im Übrigen Wyss, 1958, 167 ff. u. 225  ; Berning, 1964, 215 f. sowie Grebing, 1959, 9. 298 Zur Beziehung der Mendelschen Gesetze mit der »Blut und Boden«-Ideologie vgl. K. Taschner, »Johann Gregor Mendels Gesetze als Grundlage der Vererbungs- und Rassenforschung (Zu seinem 120. Geburtstag am 22. Juli 1942)«, in  : Odal, 11/1942, 358 f. 299 Sieferle, 1996, 439. Vgl. auch Daum, 1998 und Fredrickson, 2004.

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kulturelle Eigenschaften und Begabungen von »Rassen« als zwar entstanden aus dem Anpassungsdruck der Lebensumstände, aber als erblich bedingt und damit konstant angesehen hatten. Der menschliche Phänotyp (Größe, Haarfarbe, Kopfform usw.) konnte Aufschluss über unterschiedliche Charaktere und Mentalitäten geben, was zu ihrer genauen anthropometrischen Registrierung wie z. B. Schädelmessungen führte. Auch die Frage, welche Haustiere bestimmte Völker oder »Rassen« hielten, galt als Indikator für ihre Eigenschaften und Haltungen – im Falle Darrés war es das Schwein. Arten verändern sich nicht nur und es gibt Verknüpfungen zwischen ihnen, Arten stammen auch voneinander ab. Jeder Mensch hat zwei Eltern und vier Großeltern. Mit jeder Generation verdoppelt sich diese Zahl. Wenn man nur 30 Generationen zurückgeht, hat jeder Mensch eine Milliarde Vorfahren. Karl der Große oder August der Starke dürften mittlerweile unzählige Nachkommen haben, in deren Stammbaum unendlich viele Mutationen festgestellt werden könnten. Die in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – auch bei R. Walther Darré – so beliebte Familien- oder Sippenforschung, die »Stammbäume« möglichst weit zurück verfolgen wollte, hatte unter dem Gesichtspunkt der Traditionsbildung und Neugierde ihre Berechtigung, nicht aber unter dem rassistischer Legitimation. Der »Ariernachweis« der »Völkischen« und Nationalsozialisten, der gerade mal bis 1800 zurückreichte und damit höchstens 150 Jahre oder etwa sieben Generationen, war nicht nur antisemitisch motiviert, weil er mit der nun möglichen Assimilation der Religionsjuden begann, er war auch in seinem Zeitumfang willkürlich und unzureichend, um das festzustellen, was er feststellen sollte. Freilich  : Das Bestreben der »Rassen«-Anthropologie, mit Methoden und Erfahrungen der Tierzucht die zur Fortpflanzung bestimmten Eigenschaften zu erhalten, geht ebenfalls auf Darwin, aber auch auf Mendel zurück. Wenn es nicht Gott war, der als begnadeter Ingenieur des Lebens die biologische Fülle schuf, sondern die Natur selbst, warum sollte sich der Mensch diese Fähigkeit zur »Zuchtwahl« nicht selbst aneignen  ? In der Tierwelt war das doch schon gang und gäbe. Darwin und Mendel hatten gelehrt, dass sich alle Lebewesen in langsamen Schritten auseinander entwickelt haben. Weil immer zu viele Nachkommen gezeugt werden und weil alle leicht variieren, gibt es besser und schlechter angepasste. Die besser angepassten Nachkommen überleben in der Natur, die sich hierin als mitleidlose Züchterin erweist. In der Tierzucht war das Auslesekriterium ein von Menschen definiertes »Zuchtziel«. Wenn es aber auch beim Menschen eine »Rasse« gab, die man gegenüber anderen als die bessere ansah, warum sollte die beste nicht als »Zuchtziel« ins Auge gefasst werden  ?300 Mit dem Aufschwung des naturwissenschaftlichen Denkens im 19. Jahrhundert war die Hemmschwelle davor, keinen Unterschied mehr zwischen tierischem und mensch300 Vgl. u. a. Friedrich Kruse, »Die Veredelung der deutschen Bauerngeschlechter nach der Mendelschen Vererbungslehre«, in  : Deutsche Bauernhochschule, 1/1921, 22 ff.; im Übrigen  : Zmarzlik, 1963, 256 ff.; H. Koch, 1973 und P. E. Becker, 1990.

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lichem Leben zu machen, entscheidend gesenkt worden. Von der Veränderlichkeit der Arten zur Veränderbarkeit der »Rassen« war es dann nur ein kleiner Schritt. Darré sah die »nordischen Menschen« Günthers als »Zuchtvorbild« an in einem lang andauernden Prozess der Selektion und Mutation. Als der ›göttliche Designer‹ abgeschafft worden war, setzte Darré an seine Stelle den »Zuchtwart«. Während die Evolutionsbiologen Darwin und Mendel auf der Ebene der Beschreibung von Naturphänomenen und der Theoriebildung über die »natürliche Zuchtwahl« und die »Abstammung des Menschen« geblieben waren, ging der Tierzüchter Darré, als er politische Gestaltungsmacht erhielt, daran, seine »Utopie der Menschenzüchtung« (Conrad-Martius) durch konkrete Gesetzesvorhaben in die Realität zu übertragen. Dass er bei der Implementierung des »Reichserbhofgesetzes« u. a. auf die mentalen Voraussetzungen bei der vom christlichen Menschenbild geprägten Bevölkerung  – insbesondere auf dem Lande  – Rücksicht nehmen und Kompromisse eingehen musste, liegt auf der Hand. Rigoroser konnte aber in ein Milieu eingegriffen werden, das ganz vom Wollen der Nationalsozialisten geprägt werden konnte  : die SS, die »Schutzstaffel« Adolf Hitlers. Knapp 100 Jahre nachdem der Naturforscher Darwin seine Theorie der Entwicklung der Arten durch »natürliche« Auslese in die Welt gesetzt und damit den Schöpfergott durch die Natur ersetzt hatte, glaubten Himmler und Darré, die beide Tierzucht studiert hatten, sich zu Herren der »Menschenzucht« machen zu können. Wenn Selektion zu kleinen Varietäten in großen Zeiträumen führt, die Auslese aber durch die Lebensumstände entscheidend mitgeprägt wird, dann hat auch die Partnerwahl eine mitentscheidende Bedeutung im Erbgang. Auch auf dem geschlechtlichen Sektor konnte man in den Mechanismus des ständigen Wandels menschlichen Lebens eingreifen. Im »SS-Heiratsbefehl« vom 31. Dezember 1931, der für jedes SS-Mitglied bei einem »Heiratsgesuch« eine »rassische und erbgesundheitliche« Überprüfung beider Partner vorschrieb, konnte man in diesen individuellen Auslesevorgang im Sinne des »nordischen Rassevorbildes« steuernd eingreifen. Die Hege und Pflege dieser Menschen »nordischer Rasse« wurde zum »Zuchtziel des deutschen Volkes« erklärt, der »Orden unter dem Totenkopf« sollte – als Fortpflanzungsgemeinschaft – den Anfang machen. Dass sich der »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler, bei diesem Befehl – an dessen Entstehung Darré mitgewirkt hat und den er in den weiteren Auflagen seines Buches Neuadel aus Blut und Boden im Anhang neben dem »Reichserbhofgesetz« abdrucken ließ – der Tragweite seiner Maßnahme bewusst war, zeigt Punkt 10 der Anweisung  : »Die SS. ist sich darüber klar, daß sie mit diesem Befehl einen Schritt von großer Bedeutung getan hat. Spott, Hohn und Mißverstehen berühren uns nicht  ; die Zukunft gehört uns  !«301 Auch die Himmler’sche Vorstellung von der SS als »Zuchtgemeinschaft« lässt sich, beispielhaft für viele »rassenbewußte« SS-Männer, an dem polygamen Verhalten von

301 Zit. n. Darré, Neuadel, 1935, 228. Dort (229 ff.) auch der Wortlaut des REG.

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Darrés engem Mitarbeiter und erstem Biographen Hermann Reischle erkennen, aber selbstverständlich nicht nur bei ihm, sondern auch bei anderen SS-Mitgliedern.302 »Rassenhygiene« und Eugenik: Die Rolle der Erbanlagen Die Übertragung des Existenzkampfes in der Natur auf menschliche Individuen und Phänomene wie Volksgruppen, Ethnien, Völker oder »Rassen«, wie sie im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts popularisiert wurde, zeitigte ihre verheerenden Folgen erst im 20. Jahrhundert, als menschenverachtende Sozialingenieure die Biologisierung gesellschaftlicher Verhältnisse in die Hand nahmen und ihnen dazu ein entsprechender Machtapparat zur Verfügung stand. Nun traten »Zucht« und »Züchtung« an die Stelle von Erziehung und Bildung, als »minderwertig« ausgemachte Mitbürger und »Fremdvölkische« galten als Schmarotzer und konnten »ausgemerzt« werden. Die Eugenik oder, wie man in Deutschland zunächst sagte, die »Rassenhygiene« hatte zwei Seiten  : Einmal die Erforschung und Verhütung von Erbkrankheiten und die Bekämpfung von Erbschäden durch Alkoholismus, Drogenkonsum oder Geschlechtskrankheiten. Die zweite Aufgabe der »Rassenhygiene« aber war die aktive Beeinflussung des Vererbungsprozesses nach bestimmten Zielsetzungen und Wunschvorstellungen. Auch eine gezielte Sozialpolitik, die den Kinderreichtum der Unterschichten umlenken wollte auf die Oberschichten mit angeblich höherwertigem Erbgut, war schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vorgedacht worden. Man sah die Beziehung von »Rasse« und Gesellschaft als Prozess, der züchterisch »positiv« oder »negativ« zu beeinflussen war. Dabei wurde man blind für den fundamentalen Unterschied zwischen Mensch, Tier und Pflanze, auf den Darwin noch hingewiesen hatte. Das Selektionsprinzip wurde umstandslos auf das Zusammenleben der Menschen übertragen und aus Ungleichheit Ungleichwertigkeit gemacht. Gerade die »Rassenhygiene« geriet durch diese Theorien in ein Fahrwasser, in dem an die Stelle einer Individualethik eine »Rassen«-Ethik, an die Stelle von Humanität und sozialer Gerechtigkeit brutale Unmenschlichkeit und Nützlichkeit traten.303 Die Sozialdarwinisten, die »den Vorgang der Auslese im sozi302 In einem Bf. v. 9.2.1942 beklagte sich eine Frau, die in einem »Lebensborn«-Heim zwei Kinder von Reischle zur Welt gebracht hatte, bei Darré, dass der Vater ihrer Kinder, neben seinem ehelichen Nachwuchs, in Wien ein weiteres Kind gezeugt hatte. Darré bat seinen Mitarbeiter Kinkelin, die Dame »von Dummheiten abzuhalten« (BA-BDC, Ordner RNSt, Personalakte Reischle). Es gab in der SS viele weitere ähnliche Beziehungen, wie sich an Ernst Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, und Oswald Pohl, Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, ja am RF-SS selbst zeigen ließe. Nach Kriegsbeginn wollte Himmler sogar ganz offiziell, dass seine SS-Männer wie Zuchthengste ihr »gutes Blut« vererben sollten, um so die Verluste an »wertvollem Blut« zu kompensieren. Vgl. Ackermann, 1970, 126 ff.; G. Schwarz, 1997, 55 ff. und Gies, 1968, 127 ff. 303 Vgl. Schallmayer, 1903, 447  : »Vom Standpunkt der Gesetzgebung hat demnach als gerecht zu gelten,

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alen Geschehen aufsuchten und in der ›sozialen Auslese‹ einen besonderen Fall der Selektion sahen«, propagierten den Gedanken, der Selektionsprozess in der Natur reiche nicht aus, die altruistischen Triebe im Menschen müssten zurückgedrängt werden, damit sich ein biologischer Idealtypus entwickeln könne.304 In ihrer Gefolgschaft wollten manche »Rassenhygieniker« durch Maßnahmen, die in den Vererbungsprozess eingriffen, »gute Erbanlagen« fördern. Man stellte fest, dass die soziale Wirklichkeit in der Gesellschaft nicht dem allseitigen Konkurrenzkampf in der Natur entspricht. Es gab Privilegien in den Oberschichten, und vermeintlich »minderwertige« Unterschichten und Randgruppen, die eine besonders zahlreiche Kinderschar produzierten. Soziale und humanitäre Einrichtungen sorgten dafür, dass »natürliche Auslese« untergraben oder sogar ganz ausgeschaltet wurde. Der fortschreitend humanisierende Prozess der Zivilisation wirke »kontraselektorisch«, stellte z. B. Schallmayer fest, wodurch eine allmähliche Degeneration hervorgerufen werde, der man entgegenwirken müsse. Dahinter stand die Vision, durch gentechnische Eingriffe die physischen und psychischen Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen kontrollieren und manipulieren zu können. Von hier aus wird die sozialdarwinistische und auch Darré’sche Abneigung, ja der Hass auf Zivilisation und Christentum und deren »gleichmacherische« Einwirkung auf den abendländischen Geist verständlich, ebenso wie ihre Versuche, durch künstliche Auslese, d. h. durch bewusste »Menschenzucht«, der Natur im gewünschten Sinne auf die Sprünge zu helfen. Wenn Auslesefaktoren menschlich beeinflussbar waren, d. h. eine positiv oder negativ empfundene Wirkung hatten, dann konnte man unerwünschtes Erbgut ausschalten und erwünschtes begünstigen – wie es in der Tierzucht schon lange geschah. Denn der Mensch war nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der Selektion.305 Alfred Grotjahn (1869–1931) war der Begründer einer neuen medizinischen Teildisziplin, der »Sozialhygiene«. Der zeitweilig in Berlin-Kreuzberg praktizierende Arzt habilitierte sich 1912 in dem neuen Fach »Soziale Hygiene« an der Berliner Universität und wurde 1920 Ordinarius an der Charité. Als aktiver Sozialdemokrat wurde er auch in der Politik tätig  : Er war Leiter der Abteilung Sozialhygiene im städtischen Medizinalamt und von 1921 bis 1924 war er auch Mitglied des Reichstages. Es ging Grotjahn um die »Volksgesundheit« und das schloss die ärztliche Regulierung des »generativen Verhaltens« ein. Die praktischen Maßnahmen, die er forderte, machten ihn zu einem der radikalsten Eugeniker der 1920er Jahre. Dazu gehörte die »planmäßige Ausmerzung durch Verwahrung und Zwangsunfruchtbarmachung« erblich »Belasteter«. Er wollte die »Erzeugung und Fortpflanzung konstitutionell geistig und körperwas der Kräftigung des Gemeinwesens, seinem sozialen und generativen Gedeihen, förderlich ist.« 304 Eugen Fischer, Artikel »Sozialanthropologie« in  : Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Bd. 9, Jena 2. Aufl. 1934 und Weismann, 1893 sowie Segal, 1991 und Frei, 1991. 305 Vgl. Conrad-Martius, 1955, 68 ff.

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lich »minderwertiger« Individuen zuverlässig verhindern. Dazu zählte er Schwachsinnige, Epileptiker, Nervenkranke, Alkoholiker und andere Suchtkranke, »Krüppel« (Blinde, Taube, Kriegsversehrte), Dauerkranke und »Schwindsüchtige«, wie Menschen, die an Lungentuberkulose erkrankt waren, genannt wurden. Manche rechneten auch Vagabunden, Verwahrloste und Prostituierte als »Asoziale« dazu. Sie seien »nicht nur ein Ballast in wirtschaftlicher Hinsicht, was zu verschmerzen wäre, sondern eine Quelle sich durch den Erbgang fortsetzender Minderwertigkeit«, stellte Grotjahn fest. Schutz- und Fürsorgemaßnahmen für die Schwachen wurden als materielle Belastung und bevölkerungspolitische Bedrohung empfunden.306 Grotjahn sah die Eugenik als Teil der »Sozialhygiene« und unterschied, wie viele seiner Zeitgenossen, zwischen »positiven« und »negativen« Maßnahmen. Durch ärztliche Beratung und allgemeine Aufklärungsarbeit sollten – vorbeugend – »geschlechtliche Zuchtwahl« gefördert und »Entartung« bzw. »Verkümmerung« des Nachwuchses verhindert werden. Die »negativen« Maßnahmen, die auch der »Volksgesundheit« dienen sollten, folgten allerdings auf dem Fuße  : Abtreibung, Sterilisation, Isolation in »Anstalten« und »Euthanasie« für »Minderwertige«, »unnütze Esser« und »Ballastexistenzen«. Auch Darré versuchte nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Prozess in Nürnberg die »positiven« Maßnahmen für sich und die »Blut und Boden«-Ideologie zu reklamieren und die »negativen« Aktivitäten anderen in die Schuhe zu schieben. Vor einem überforderten Gericht konnte das teilweise gelingen, nicht aber im Lichte der Geschichte. Grotjahn war nicht weit entfernt von dem, was »Rassenhygieniker« wie sein Berufskollege und Zeitgenosse Alfred Ploetz unter angewandter Vererbungslehre verstanden. Er sprach zwar noch nicht – wie Ploetz – von dem einzig »kulturtragenden« Auslesevorbild der »arischen«, »germanischen« oder »nordischen Rasse«, deren Förderung ein Dienst an der menschlichen Gattung sei. Aber die bevölkerungspoltischen Überlegungen, die der Mediziner Grotjahn und andere Gleichgesinnte in den 1920er Jahren angestellt hatten, gingen sofort nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, in praktische Anwendung über, wie das Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14. Juli 1933 zeigt.307 Die hier zutage getretene Zweckhaftigkeit des sozialdarwinistischen Denkens auch im ethisch-moralischen Bereich ist auch für Darrés weit in die Zukunft gerichtete rassistisch motivierte Neuadelspläne charakteristisch. Auch in dieser Hinsicht zeigte er sich als ein gelehriger Schüler seiner ideologischen Vorgänger und Zeitgenossen. Die Sozialdarwinisten, die das Geschlechtsleben und die Ehe unter den kategorischen Imperativ der Bevölkerungspolitik stellten, ebneten den Weg zur absoluten Verwendbarkeit des Lebens auf ein gesetztes Ziel hin. Es ging darum, gewünschte 306 Grotjahn, 1926, 185 ff. und 330. 307 Vgl. Paul Eikhoff, 1986  ; Bock, 1986 und Gansmüller, 1987. Zu RMI Fricks Vorbereitungskommission für das Gesetz v. 14.7.1933  : AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 702.

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Eigenschaften zu fördern (»Auslese«, »Zuchtwahl«, »Aufartung« oder »positive Rassenhygiene«) und unerwünschte Eigenschaften zu vermeiden (»Ausjätung«, »Ausmerzung«, »Ausmerze« oder »negative Rassenhygiene«). Das konnte Ausgrenzung von »Gemeinschaftsfremden« heißen, aber auch »rassische Höherzüchtung« auf eine »Vitalrasse« hin. Es galt, »Rassenmischungen« zu vermeiden oder eine vermeintlich »kulturschöpferische Rasse« zu bevorzugen und eine vermeintlich »kulturzerstörende Rasse« auszuschalten. Es war bezeichnend, dass das Wort »töten« vermieden wurde und man lieber von »ausmerzen« sprach. Fürsorge durch lebens- bzw. gemeinschaftsfördernde Maßnahmen wie die Integration von »Asozialen«, Wohlfahrtspflege oder die Verhinderung von Erbkrankheiten einerseits, die Zwangssterilisierung von »Irren« oder die »Vernichtung lebensunwerten Lebens« andererseits wurzeln in derselben Tradition und Denkweise, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Man hat in dieser Hinsicht mit Recht von einem »Einbruch des biologischen Naturalismus in die Politik unter dem Vorwand einer angeblich ›neuen Sittlichkeit‹« gesprochen.308 Hier konnten die »Rassen«-Theoretiker anknüpfen. Sie brauchten nur eine Lücke zu füllen, indem sie dem deutschen Volk im Namen von Sitte und Moral ein »Zuchtziel« vor Augen führten. Wenn, wie auch Günther behauptete, die Zustände und Gesinnungen Ausdruck allein der menschlichen Erbanlagen sind, wenn man alle guten Erbanlagen noch dazu einer »Rasse« zuordnet, so sind alle, die mit ihrem Umfeld unzufrieden sind, zur Zielsetzung der »Nordischen Bewegung« bekehrt. Denn diejenigen Menschen, die noch nicht dem »leiblich-seelischen Bild des ›echten Deutschen‹« gleichen, erhalten in der »nordischen Rasse« ein »Ideal«, ein »Vorbild«, dem nachzustreben zur »sittlichen Pflicht« werden muss.309 Wilhelm Schallmayer (1857–1919), der einen Teil Darré’scher Gedankengänge vorwegnahm und auf den sich Darré ausdrücklich berief,310 hatte 1903 den Anspruch, Biologie und »Rassenhygiene« müssten Einfluss auf die Politik haben, in Deutschland wissenschaftlich zu begründen unternommen. Der studierte Nationalökonom und Mediziner hatte ein Preisausschreiben gewonnen, das von Ernst Haeckel angeregt und von dem Industriellen Friedrich Alfred Krupp finanziert worden war. Die für den 308 Vgl. Mühlen, 1977, 83 ff.; Mosse, 1978  ; Benz, 1993 und Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 379 f. 309 Vgl. Darré  : »Germanen hatten auf Grund ihrer nordischen Rasse unmittelbares Verhältnis zu Gott.« Deshalb sei der mittelbare Weg über die »Zwischeninstanz einer Priesterkaste« nicht nötig gewesen. »Das Gewissen ist dem Blute verhaftet, weswegen der rassisch vollkommenste Mensch auch derjenige mit der klarsten inneren Steuerung ist.« (Notiz Darrés v. 25.9.1932, BA, NLD, AD 45 b) Zu dieser Argumentation vgl. auch Günther, »Betrachtungen zum Nordischen Gedanken«, in  : DE, Juni 1927, 209 ff. sowie Grebing, 1959, 10. 310 Darré, Neuadel, 1930, 165. Obwohl Schallmayer »eine Begünstigung der nordischen Rasse vor anderen deutschen Volkselementen« als »nicht in das Programm der Eugenik« gehörend ablehnte, berief sich Darré doch auf ihn, wodurch die von Hedwig Conrad-Martius angeführten Bedenken gegenüber den Gedankengängen der Sozialdarwinisten nur bestätigt werden (Schallmayer, 1918, 375 ff. und Thieme, 1988, 65 f.).

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Zeitgeist um die Jahrhundertwende symptomatische Aufgabe lautete  : »Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Beziehung auf die innenpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten  ?«311 Schallmayer sah – wie Darré später – im Erbgut das »höchste Gut« einer Nation und glaubte, dass es dem »Rasseinteresse« förderlich sei, eine »möglichst günstige Gestaltung der Fortpflanzungsauslese« zu bewerkstelligen. Er stellte fest, dass das Ziel der Staatspolitik unter eugenischen Gesichtspunkten die Hinwirkung darauf zu sein habe, dass die Frau in erster Linie Gattin und Mutter sei, »und daß ihre mütterlichen Leistungen für die Nation um so unersetzlicher sind, je höher ihr Rassewert ist«. Er vertrat die Meinung, »daß das persönliche Wohl hinter dem des Volkes mit Einschluß seiner künftigen Generationen naturgemäß zurückstehen muß«, und forderte, dass Reformen des Erbrechts unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten durchgeführt werden müssten. »Die Rücksicht auf die Erbschaftsverteilung gehört mit zu den stärksten Faktoren der Kleinhaltung der Kinderzahl bei besitzenden Familien, ganz besonders bei ländlichem Besitz«, stellte er, ganz so, wie es Darré später sah, schon frühzeitig fest. Einer staatlich geförderten »Rassenhygiene« sei »die Aufgabe vorbehalten, die degenerierenden Wirkungen der Kultur des Westens, die so vielen Völkern verderblich gewesen sind, auszugleichen«, war Schallmayer überzeugt.312 Schallmayer wollte zur Vermehrung der Geburtenzahl und allgemeinen »Rassenhebung« einen »Erbbiographischen Personalbogen« schaffen, durch den »für jede Person von ihrer Geburt an zur Beurteilung ihrer Erbanlagen dienliche Beobachtungen durch zuständige Ärzte festgestellt werden«. So würden im Laufe der Zeit ganze »Familienbücher« entstehen, die man leicht zu einer »rassenhygienischen« Kontrolle der Eheschließungen benützen könne. Dabei habe als Maxime zu gelten  : »Die Nichtfortpflanzung der allerungünstigsten Varianten ist ein unerlässlicher Bestandteil jeder

311 Schallmayers Schrift wurde in verschiedenen Text- und Titelvarianten immer wieder neu publiziert. Vgl. Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker. Eine staatswissenschaftliche Studie auf Grund der neueren Biologie. Jena 1903  ; Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen und politischen Bedeutung. Preisgekrönte Studie über Volksentartung und Volkseugenik. Jena 2. Auflage 1910 (Zitat 368)  ; Vererbung und Auslese. Grundriß der Gesellschaftsbiologie und der Lehre vom Rassedienst. Jena 3. Aufl. 1918, 4. Aufl. 1920. Zu den Preisträgern gehörte auch Ludwig Woltmann, dessen Arbeit unter dem Titel Politische Anthropolgie 1903 in Jena erschien. Er behauptete schon lange vor Günther  : »Die nordische Rasse ist die geborene Trägerin der Weltzivilisation.« (zit. n. Baader/Schultz, 1980, 43). 312 Schallmayer, 1891, 354  ; 1918, 332 ff., 375 ff. und 394 ff. sowie 1905. In einer geheimen Rede vor seinen bäuerlichen »Mitkämpfern« am 23.1.1936 stellte Darré teilweise wortgleich fest  : »Für Mädchen gibt es eigentlich nur eine einzige Leistungsprobe im Hinblick auf ihr Volk und das sind die Kinder, die sie ihrem Volke schenken.« Deshalb messe er »der Ehe der Zukunft einen entscheidenden züchterischen Wert« zu. Auch unehelich Geborene seien »vom Standpunkt des Saldos unserer völkischen Erbwerte« willkommen, wenn ihre Abstammung als wertvoll erkannt werde. Die »überlieferte bürgerliche Moral« nannte Darré »gedankenlos«. (BA, Darré-NS, 47b, 20 ff.) Und genau so argumentierte er nach 1945, als er selbst duch seine erste Tochter betroffen war.

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Züchtungsmethode«. Neben generellen Heiratsverboten dachte er besonders an staatlichen Einfluss auf das Sexualverhalten und an Zwangssterilisierung. Wie eng die Fäden zwischen Sozialdarwinismus und »Rassenhygiene« gespannt waren, verdeutlicht ein Blick auf die bis 1918 erschienene Literatur. Mehr als 250 Autoren befassten sich mit diesem Thema. Es machte ihnen keine Schwierigkeiten, die ursprünglich für individuelle Lebewesen in der Natur festgestellten Prinzipien des Existenzkampfes auf überindividuelle Gemeinschaften wie Völker oder »Rassen« zu übertragen. Alexander Tille, Germanist und Geschäftsführer verschiedener Industrieverbände, kam 1893 beispielsweise zu folgenden Überlegungen  : Diejenige »Rasse«, die sich am meisten an Zeugungen beteiligt und die andere Völker an Leistungen überbietet, werde überleben. Das sei der wahre »Wettkampf im Völkerdasein«. Es sei nur »das Recht der stärkeren Rassen, die niederen zu vernichten. […] Wenn diese nicht die Fähigkeit zum Widerstand haben, so haben sie auch kein Recht auf Dasein. Was sich nicht behaupten kann, muß sich gefallen lassen, daß es zu Grunde geht.« Mit der Verdrängung der »niederen Rasse« tue der Mensch nur, was sich im Pflanzen- und Tierreich täglich vollziehe.313 Tille nahm schon Hitlers Testament aus dem Jahre 1945 vorweg. Solche biopolitische Ansichten stützten sich auf als seriös, ja fortschrittlich geltende Wissenschaft. Sie waren nicht auf das »völkisch«-rechte politische Spektrum begrenzt, sondern hatten auch im linken, sozialistischen Lager ihre Befürworter und Anhänger. Und sie wurden selbstverständlich international diskutiert.314 Hierbei ging es durchweg und grenzüberschreitend um die Erforschung und Verhütung von Erbkrankheiten und die Bekämpfung von Erbschäden durch »Schwindsüchtige«, Geschlechtskranke und Sittlichkeitsverbrecher, »Idioten« (Geisteskranke), Alkohol- oder Drogensüchtige, die alle durch »mangelnde Zuchtwahl« geboren worden seien. Sehr schnell wurde dieser Kreis von kranken und behinderten Menschen um Kriminelle, Obdachlose, Arbeitsscheue, sexuell »Abnorme«, Nervenkranke oder Psychopathen erweitert. Schallmayer sprach ganz im Sinne seiner Mitstreiter von »Fortpflanzungshygiene« und meinte konkret Heiratsverbote und Zwangssterilisation. Von hier war der Schritt zu aktiven Formen der staatlichen Gesundheitspolitik mit vorher festgelegten erbbiologischen Zielen nicht groß. Auch eine gezielte Sozialpolitik, die den Kinderreichtum der Unterschichten auf die Oberschichten mit angeblich höherwertigem Erbgut umlenken wollte, war schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Gegenstand wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Publikationen. In der breit geführten Debatte um das, was in der Anthropologie »Fortschritt« bedeuten könne, ging es grundsätzlich darum, humanitäre und »rassenhygienische« bzw. 313 Tille, 1893, 27  ; vgl. auch Schungel, 1980. 314 Vgl. die »sozialhygienischen« Vorstellungen des Sozialdemokraten Grotjahn und die Züchtungsutopien u. a. Kautskys, aber auch die kommunistische Vorstellung der Erziehung zu »neuen Menschen« für eine »fortschrittliche Gesellschaft der Gleichen« (u. a. Mocek, 2002).

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eugenische Utopien, politische Zukunftsentwürfe und naturwissenschaftliche Entwicklungstheorien gegeneinander abzuwägen.315 »Rassenhygiene«, Eugenik bzw. Erbgesundheitslehre wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg weltweit betrieben. Weil sämtliche menschlichen Eigenschaften als angeboren angesehen wurden, d. h. von Natur aus so seien, wie sie festgestellt wurden, konnten sie nur durch Eingriffe in den Fortpflanzungsprozess verändert werden. Man glaubte, mit Maßnahmen, die den Vererbungsvorgang beeinflussen bzw. steuern, gesellschaftspolitische Ziele erreichen zu können. Es waren Engländer, Skandinavier, Franzosen, Deutsche und US-Amerikaner, die dazu beitrugen, dass aus dem Geschichtspessimismus Gobineaus oder Spenglers durch die soziale Perspektive auf Selektion und Züchtung in der Natur praktisch-politisches Handeln in Hinblick auf die menschliche Gesellschaft wurde. Sie verwandelten  – wie Darré und Günther es später beabsichtigten  – existentielle Angst vor Degeneration, Dekadenz und sozialem Abstieg in utopische Zuversicht.316 Die Unterscheidung zwischen erbgesundheitlichen und rassistischen Zielen war dabei fließend. Letztere sollten durch »Entmischung« erreicht werden, wobei der germanische, blonde, langschädelige oder »nordische« Menschentyp als Vorbild-»Rasse« herausgemendelt bzw. »gezüchtet« werden sollte. Das erste Erbgesundheitsgesetz trat in Dänemark in Kraft, Sterilisationsprogramme gab es erstmals 1890 in der Schweiz, später auch in Schweden, Kanada und in über 30 Staaten der USA. Dort wurde im Bundesstaat Connecticut 1896 ein Gesetz erlassen, das »Epileptiker, Schwachsinnige und Geistesschwache« mit Heiratsverbot belegte. Auch in China, Japan, der Sowjetunion und Lateinamerika wurden eugenische Erkenntnisse als Grundlage für bevölkerungspolitische Maßnahmen herangezogen. Immer ging es dabei um eine biologische »Verbesserung« des Menschen, um eine Steuerung des Geschlechtslebens, um Bevölkerungspolitik durch staatliche Eingriffe in die Fortpflanzung, auch um die Steuerung von Einwanderung. Doch nur in Deutschland erhielt diese Biopolitik, in der sich insbesondere Naturwissenschaftler und Mediziner engagierten, eine vulgärdarwinistische und rassistische Akzentuierung, die am Ende – massenwirksam – mörderische Folgen hatte.317 Es war der Arzt und Anthropologe Alfred Ploetz (1860–1940), der aus der Wissenschaft von der genetischen »Verbesserung« des Menschen im Prozess seiner Fortpflanzung, die ein Cousin Darwins, der Naturforscher Francis Galton 1883 »Eugenik« genannt hatte, 1895 die »Rassenhygiene« machte. Ploetz, durch Schallmayer und Ammon beeinflusst, sah mit »Sorge auf die Gefahren, mit denen der wachsende Schutz 315 Vgl. u. a. Sieferle, 1989, 91 ff.; Lösch, 1997 und Puschner, 2001, 119 ff. 316 Während in Deutschland ca. 360.000 Menschen zwangssterilisiert wurden, waren es z. B. in S ­ chweden ca. 63.000 und in Norwegen ca. 40.000. Wie man – viel früher schon – in den USA die neuen, »rassenhygienischen Erkenntnisse« aufnahm und auch einwanderungspolitisch nutzbar machen wollte, lässt sich an den Büchern von Madison Grant 1916/1925 und Lothrop Stoddard, 1922/1925 ablesen. Vgl. hierzu auch Günther, Kl. RkdV, 1933, 141. 317 Vgl. Kühl, 1997  ; P. E. Becker, 1988  ; S. Bauer, 2001 und Koller, 2009, 33 ff.

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der Schwachen die Tüchtigkeit unserer Rasse bedroht.«318 1904 gründete er die rasch Ansehen erringende Zeitschrift Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (letzter Jahrgang  : 1941), ein Jahr später – zusammen mit Ernst Haeckel – die »Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene«, die nach ihrer Satzung von 1910 nur Angehörige der »weißen Rasse« aufnahm. Obwohl es Ploetz zunächst um die »Förderung der gesamten menschlichen Gattung« gegangen war, denn 1895 hatte er unter »Rasse« noch die »Bezeichnung einer durch Generationen lebenden Gesammtheit des Menschen in Hinblick auf ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften« verstanden und der »arischen« zusammen mit der »jüdischen«, die »höchstwahrscheinlich ohnehin ihrer Mehrheit nach arisch ist«, attestiert, »die Culturrasse par excellence« zu sein. Es ging Ploetz damals um »Aufartung«, nicht um »Aufnordung« wie man den »Leitsätzen« der »Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene« von 1922 entnehmen kann. Dort ist nichts von einer Begünstigung des »nordischen Rasseelements« zu lesen, wie sie Günther oder Eugen Fischer vertraten, sondern von »Entartung« bzw. Degeneration, der man entgegenwirken wolle. »Es wächst der Rassenbiologie die Aufgabe [zu], für diesen Mangel der Ausmerzung Untüchtiger […] ein Gegengewicht zu schaffen«, war Ploetz überzeugt. Es ging ihm damals um Erbgesundheits-, nicht um »Rassenfragen«.319 Das änderte sich – wohl unter dem Einfluss des Zeitgeistes – später, als sich Ploetz für die »Rettung der Nordischen Rasse« engagierte und  – u. a. zusammen mit Günther – Mitglied der »Arbeitsgemeinschaft für Rassenhygiene und Rassenpolitik« wurde, einer Art Beirat für die rassenpolitischen Gesetzesvorhaben im »Dritten Reich«. Das Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« durch Zwangssterilisation wurde begrifflich schon 1920 in einer Schrift des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche vorweggenommen (Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens) und schon in der späten Weimarer Republik u. a. durch den Psychiater Ernst Rüdin, einen Schwager von Ploetz, als ›Schubladentext‹ vorbereitet. 1936 wurde Ploetz mit einer Titularprofessur für seine Loyalität belohnt.320 Ploetz hatte schon 1895 vorgeschlagen, ein »Ärzte-Collegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet«, solle dafür sorgen, dass »schwächlichen und missgestalteten« Neugeborenen ein »sanfter Tod bereitet« werde, überhaupt sollte »ganz schwächlichen oder defecten Individuen« die Ehe nicht gestattet werden. Ploetz war schon damals der Meinung gewesen, »der Kampf ums Dasein« müsse »in seiner vollen Schärfe erhalten bleiben, wenn wir uns rasch vervollkommnen sollen«. Er wetterte als Arzt gegen »›humane Gefühlsduseleien‹ wie Pflege der Kranken, der Blinden, Taubstummen, überhaupt aller Schwachen«, denn sie hinderten oder verzögerten nur »die 318 F. Galton, Inquiries into Human Faculty. London 1883  ; Ploetz, 1895, V. 319 Ploetz, 1911a, 120. Vgl. auch Zmarzlik, 1963, 265 f. und Lutzhöft, 1971, 157 f. 320 Zu Galton vgl. Schemann, 1931, 217 f.; zum deutschen Zwangssterilisations- und zum Ehegesundheitsgesetz von 1933 vgl. Münch, 1994, 113 ff. und Baader/Schultz, 1980, 96 und zu Ploetz Doe­ leke, 1975. Im Übrigen P. E. Becker, 1988, 57 ff.; Weindling, 1989 sowie Weingart/Kroll/Bayertz, 1992.

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Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl«. Später erkannte er in der »hochgewachsenen weißen Rasse […] einen sehr wertvollen und hochstehenden Typ […], dessen Abschmelzung durch kontraselektorische Einflüsse mit aller Kraft zu bekämpfen ist.«321 Wer – wie Ploetz – bedauerte, dass die Schwachen und Anpassungsunfähigen durch sozialpolitische Maßnahmen wie die gesetzliche Kranken- und Invalidenversicherung, die Blinden- und Taubstummenhilfe usw. nicht mehr »ausgejätet« werden konnten, war bestrebt, den Sozialstaat abzubauen und eine auf Wettbewerbsprinzipien aufgebaute Staats- und Gesellschaftsordnung zu befürworten, in der Regeln der »natürlichen Auslese« galten. Da Privilegien kontraselektorisch wirken, waren auch sie abzuschaffen  : Wenn z. B. ein Adliger und sein Gesinde in keinem sozialen Konkurrenzkampf stünden, könnte sich der Privilegierte trotz erbbiologischer Inferiorität leichter durchsetzen als der Untergebene mit seinem vielleicht gesünderen Erbgut, wurde argumentiert. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten solche »rassenhygienischen« Vorstellungen einen weiteren Popularitätsschub. Denn zu den Kriegsfolgen gehörte, dass viele der »wertvollsten« Männer als potentielle Erzeuger »hochwertiger« Kinder gefallen waren, während in der Heimat verbliebene »Minderwertige« sich weiter fortpflanzen konnten. Das Problem der »negativen Privilegierung« durch Sozialpolitik verband sich mit Degenerationsängsten zu einem menschenverachtenden Ideengemisch, das immer mehr Befürworter in der breiten Öffentlichkeit fand. Damals wurde die Einführung eines obligatorischen Heiratszeugnisses gefordert, das die »Ehetauglichkeit« bzw. – bei »Erbleiden« von der Schizophrenie bis zur Zuckerkrankheit  – »Eheuntauglichkeit« der Aspiranten bescheinigen sollte.322 In den »Leitsätzen der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik)« von 1932, beschworen ihre Verfasser, Eugen Fischer, Fritz Lenz und der Jesuitenpater (!) Hermann Muckermann, als »größte Gefahr für ein Volk« die »Entartung«. Sie wiesen darauf hin, dass »die Geburtenzahl in den erbtüchtigen Familien des deutschen Volkes […] nicht mehr zur Erhaltung des Bestandes« ausreiche, und schlugen einen »Ausgleich der Familienlasten für die bodenständigen ländlichen Familien« vor. Besonders die Passage musste den damals schon in der aktiven Politik für die NSDAP tätigen R. Walther Darré freuen, in der über die damals sehr aktuelle Siedlungspolitik gesagt wurde  : »Eugenisch besonders wirksam wären Siedlungen, deren Erbrecht an das Vorhandensein von vier oder mehr Kindern gebunden wäre (bäuerliche Lehen). Voraussetzung für jede Siedlung sollte die Auslese nach eugenischen Gesichtspunkten sein.«323 Das war eine Steilvorlage für das ein Jahr später erlassene »Reichserbhofgesetz« und das Gesetz »zur Neubildung deutschen Bauerntums«. 321 Ploetz, 1895, 2 f., 5 ff. und 144 ff. und ders., »Die Begriffe Rasse und Gesellschaft und die davon abgeleiteten Disziplinen«, in  : Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1/1904, 2–26. Außerdem P ­ loetz, 1911 und 1923. 322 Vgl. A. Ostermann, »Das Heiratszeugnis«, in  : Zeitschrift für Volksaufartung und Erbkunde 1/1926, 105 ff. 323 Vgl. G. Just (Hg.), Eugenik und Weltanschauung. Berlin 1932, 17 ff.

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1919 gründete Julius Friedrich Lehmann die Zeitschrift Deutschlands Erneuerung. Monatsschrift für das deutsche Volk (DE), deren Aufgabe es wurde, »einen unerbittlichen Kampf gegen volksfremdes Wesen, Internationalismus und Marxismus gegen unsere inneren und äußeren Feinde zu führen.« Zu ihrem fortwährend größer werdenden Leserund Autorenkreis gehörten u. a. Darré, der 1925 in dieser Zeitschrift seinen ersten Artikel veröffentlichte, und – Adolf Hitler. Der Führer der NSDAP, der in der Zeitschrift seinen Artikel »Warum mußte ein 8. November kommen  ?« publiziert hatte, machte der Zeitschrift das schmeichelhafte Kompliment, sie enthalte »in der Tat derart herrliche und für unsere Bewegung wertvolle Aufsätze […]. Ein wertvolleres Propagandamittel hätten Sie uns nicht an die Hand geben können  !«, schrieb er 1924 an den Verleger.324 Nach dem Ersten Weltkrieg erschien den »völkisch« und »nordisch-germanisch« eingestellten Kreisen in Deutschland die Gefahr eines nationalen und »rassischen« Untergangs noch in weit größerem Maße als vor 1914 gegeben. Symptomatisch hierfür war der auf Max Robert Gerstenhauer zurückgehende »Rassenarbeitsplan« des antisemitischen »Deutschbundes« von 1913. Der als Ministerialbeamter in Thüringen tätige Gerstenhauer, der für den »Alldeutschen Verband« aktiv war, verschärfte diesen »Rassenarbeitsplan« 1920 in rassistischem Sinne nochmals. Er sah explizit »die künstliche Ausmerzung der Minderwertigen, der Schwachen, Kranken, Untüchtigen und Schlechten durch ihren Ausschluß von der Nachzucht« vor. Das Gleiche sollte für »Geistes- und Nervenkranke, Geschlechtskranke und so weiter« gelten. Helfen sollte dabei ein »ärztliches Zeugnis bei der Verehelichung«, bei dem die »rassische Tüchtigkeit« im Sinne einer »wertvollen Nachkommenschaft« Hauptkriterium bei der Partnerwahl sein sollte. Auch Ahnenforschung, die Erarbeitung von Ahnentafeln und Geschlechter- bzw. Sippenverzeichnissen galten als entsprechende Hilfsmittel. Zu den »Schlechten« zählten die »Völkischen« in der Weimarer Republik alle als »minderrassisch« klassifizierten Bevölkerungsgruppen, die ihrer Meinung nach zu »Entartung« und »Verfall« durch »Rassenmischung« beitrugen.325 Eine solche »germanische Rassen-, Rein- und Hochzucht« (Gerstenhauer) war selbstverständlich bevölkerungspolitisch nur partiell in reale Politik umzusetzen. Aber die Unterscheidung zwischen »negativer« Bevölkerungspolitik (»Ausmerze«) und »positiver Rassenhygiene« (»Auslese«), die auch Darré für sich in Anspruch nahm, sollte dabei helfen. Beispiele waren  : das Gesetz »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (7. April 1933), das politisch und »rassisch« unliebsame Beamte ausschloss  ; das Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« (14. Juli 1933), das die Sterilisation vorsah  ; das »Reichserbhofgesetz« (29. September 1933), nach dem für den »Bauern« und seine Frau ein Abstammungsnachweis bis zum Jahre 1800 erforderlich war, was natürlich auch für die Siedlung als »Neubildung deutschen Bauerntums« galt  ; die 324 DE, 4/1924, Heft 4 und Jahrweiser Lehmanns Verlag 1926. 325 Gerstenhauer, 1913, 41 ff. Vgl. u. a. Fricke, 1996, 328 ff.; Weiss, 2001, 417 ff., 497 ff. und 615 ff. sowie Puschner, 2001, 120 ff.

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»Nürnberger Gesetze« (»Reichsbürger-« und »Blutschutzgesetz«, 15. September 1935) und das Gesetz »zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes« (18. Oktober 1935), das eine Art »Ehefähigkeitszeugnis« verlangte. Für diese ersten Schritte in den »Rassestaat« mit »germanischer«, »arischer« oder »nordischer« Prägung, von dem »Volksfremde« wie Slawen, Juden und Welsche ausgeschlossen waren, hatten die »Völkischen« – zu denen Ende der 1920er Jahre auch Darré gehörte  – schon lange vor 1933 vorgearbeitet, indem sie das »Rassenbewusstsein« im Volk entsprechend beeinflusst und geschult hatten. Im Mai 1930 gab der Völkische Beobachter eine Beilage heraus, in der die »Hebung der Rasse« als »Pflicht jedes Volksgenossen« deklariert wurde. Am 30. September 1930 fand auf Einladung von Professor Otto Reche im Hause Schultze-Naumburg in Saaleck bei Kösen eine Besprechung führender Vertreter der »Nordischen Bewegung« (Günther, Konopath, Rechenbach, Gerstenhauer, Quandt, Suchsland u. a.) statt, die Einigkeit erreichte über das anzustrebende Ziel (»Bildung eines hochwertigen Rassenkerns, der unter dem Gesichtspunkte der Aufnordung möglichst nur bestes Erbgut enthalten soll«) und die Art des Vorgehens  : Es müssten in den »völkischen« Bünden und Vereinigungen »Zuchtwarte« und Vertrauensärzte nominiert werden  ; denn »wenn auch erst im 3. Reich, in dem die staatliche Unterstützung sicher sei, ein voller Erfolg zu erzielen sei, so müsse man doch jetzt schon mit der Arbeit beginnen«. Darré war wohl nur deshalb nicht dabei, weil er in München in der Reichsleitung der NSDAP unabkömmlich war.326 Bei der zunehmenden Angst vor sozialem Abstieg waren in der Weimarer Republik das Interesse und die Verbreitung rassenkundlichen Schrifttums gewachsen. Seit 1925 erschien im Lehmanns Verlag, der sich dabei besonders hervortat, erstmals die Zeitschrift Volk und Rasse, die zunächst von dem Privatdozenten Dr. W. Scheidt, später von dem Professor für Anthropologie und Ethnologie in Leipzig, Dr. Otto Reche, dem Lehrer des späteren stellvertretenden Leiters des »Rasse- und Siedlungsamtes« (RuSA) der SS, Dr. Horst Rechenbach, herausgegeben wurde. Mit dem Juli-Heft 1931 gab es eine inhaltliche Wende hin zur »Rassenhygiene« mit dem Leitbild der »nordischen Rasse« bei den Bemühungen um »Aufartung«. Damit hatte sich die Münchener Richtung in der »Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene« durchgesetzt gegenüber der Berliner, die sich eher einer eugenischen »Verbesserung« von Familie und »Volkskörper« verpflichtet fühlte. Außerdem gab es seit 1925 noch eine Zeitschrift des »Deutschen Bundes für Volksaufartung und Erbkunde«, bei dessen Gründung der »Reichsverband der Standesbeamten Deutschlands« beteiligt war.327 Um sich zu behaupten und weiter im Sinne des Zeitgeistes zu profilieren, ging die Zeitschrift Volk und Rasse im Juli 1931 in die Offensive mit einem »rassenhygienischen Heft«, in dem Darré unter dem Titel »Das Zuchtziel des deutschen Volkes« den Leit326 Vgl. die Bayernausgabe des VB, Nr. 102 vom 1.5.1930, also kurz bevor Darré seine Tätigkeit bei der NSDAP aufnahm, und vertrauliches Protokoll der Besprechung in Saaleck (StAG, NLD, Nr. 87). 327 Essner, 2002.

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artikel beisteuerte. Er war dabei in guter Gesellschaft mit angesehenen Wissenschaftlern wie z. B. Alfred Ploetz und Fritz Lenz. Paul Schultze-Naumburg, der Gastgeber Darrés bei der Arbeit an seinem Neuadel-Buch, der mittlerweile als »Kämpfer für deutsche Kunst« bekannt war, gehörte auch zu den Autoren dieser Zeitschrift. Ein weiteres Mitglied des »Nordischen Ringes«, Bruno Kurt Schultz, wurde 1933 Schriftleiter der Zeitschrift und später Leiter des »Rasseamtes« im »Rasse- und Siedlungshauptamt« der SS. 1938 wurde Schultz Vorsitzender der neu gegründeten »Gesellschaft für Rasseforschung« und 1942 als »Rassebiologe« Ordinarius an der Karls-Universität in Prag.328 Die ungeheure Popularität von Rassenmystik und Rassenwahn in den 1920er Jahren, gerade wenn sie in wissenschaftlicher Aufmachung daherkamen, ist nur mit der Übersteigerung aller schon vor dem Ersten Weltkrieg vorhandenen Ressentiments zu erklären  : Antisemitismus, Chauvinismus, Angst vor Dekadenz und Zivilisation. Jean F. Neurohr weist auf einen weiteren sehr wichtigen Grund für diese Zeitströmungen hin, indem er ein Wort von Henri de Man aufgreift  : Aber wer leidet, der hofft, und wer hofft, der glaubt. Während die Rassenmystik vor dem Kriege nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung ernst genommen wurde, schien sie jetzt ein messianischer Glaube, eine heroische Hoffnung, daß trotz aller Niederlagen und trotz aller Not das bessere Blut über alle inneren und äußeren Feinde schließlich siegen werde. Die Rassenidee ist nämlich ein Akt des Glaubens an die tiefe grundlegende Einheit aller Deutschen über alle sozialen, politischen, religiösen, geistigen Spaltungen hinweg. Die Nation ist nicht mehr nur ein tägliches Plebiszit, […] sondern eine unerschütterliche, unanfechtbare Wirklichkeit, welche mit der Natur selbst gegeben ist, und die aller Reflexion, allem Bewußtsein vorausgeht.

Wer sich auf gemeinsames »Blut« berufen konnte, meinte eine ebenso mystische wie konkrete Substanz, die den eigenen Körper mit anderen in eine unauflösliche Verbindung brachte, sei es nun eine »Rasse« oder einen »Volkskörper« bzw. eine Nation.329 1921 erschien, ebenfalls im Verlag Julius Friedrich Lehmanns, der Baur/Fischer/ Lenz, ein »Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene«, ein Buch, das sehr schnell zum Standardwerk der Eugenik in Deutschland wurde.330 Der Verleger sorgte dafür, dass Hitler das Werk bei der Arbeit an Mein Kampf zur Verfügung stand, und ein Blick in das 11. Kapitel »Volk und Rasse« des ersten Bandes und eine Passage aus dem 2. Band dieser Bekenntsnisschrift belegen, was sein Verfasser daraus machte. Nachdem er »Rassenkreuzung« als Verhängnis bezeichnet und »Rassenmischung« als »Bastardisierung« gebrandmarkt hatte, erklärte Hitler pathetisch  : 328 »Zuchtziel«, wieder abgedruckt in Darré, BuB, 1941, 30 ff. Vgl. B. K. Schultz, »Rassenhygiene und Erbgesundheitslehre (Eugenik)«, in NS-Monatshefte 1932, 97 ff. und Stöckel, 2002. 329 Neurohr, 1957, 150  ; vgl. auch Lester/Millot, 1948, 167. 330 Baur/Fischer/Lenz, 1921. Die 2. Auflage erschien 1923 und wurde von Hitler benutzt, die 3. »stark vermehrte« Auflage erschien als Grundriß 1927 und in zwei Bänden 1931. Die 4. Auflage erschien 1932, die 5. Auflage 1936. Vgl. auch Fangerau, 2001.

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Nein, es gibt nur ein heiligstes Menschenrecht, und dieses Recht ist zugleich die heiligste Verpflichtung, nämlich  : dafür zu sorgen, daß das Blut rein erhalten bleibt, um durch die Bewahrung des besten Menschentums die Möglichkeit einer edleren Entwicklung dieser Wesen zu geben. Ein völkischer Staat wird damit in erster Linie die Ehe aus dem Niveau einer dauernden Rassenschande herauszuheben haben, um ihr die Weihe jener Institution zu geben, die berufen ist, Ebenbilder des Herrn zu zeugen und nicht Mißgeburten zwischen Mensch und Affe. […] Er hat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu setzen. Er hat für ihre Reinerhaltung zu sorgen. Er hat das Kind zum kostbarsten Gut eines Volkes zu erklären. Er muß dafür Sorge tragen, daß nur wer gesund ist, Kinder zeugt  ; daß es nur eine Schande gibt  : bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen, doch eine höchste Ehre  : darauf zu verzichten. Umgekehrt aber muß es als verwerflich gelten  : gesunde Kinder der Nation vorzuenthalten. Der Staat muß dabei als Wahrer einer tausendjährigen Zukunft auftreten, der gegenüber der Wunsch und die Eigensucht des einzelnen als nichts erscheinen und sich zu beugen haben. Er hat die modernsten ärztlichen Hilfsmittel in den Dienst dieser Erkenntnis zu stellen. Er hat, was irgendwie ersichtlich krank und erblich belastet und damit weiter belastend ist, zeugungsunfähig zu erklären und dies praktisch auch durchzusetzen. Er hat umgekehrt dafür zu sorgen, daß die Fruchtbarkeit des gesunden Weibes nicht beschränkt wird durch die finanzielle Luderwirtschaft eines Staatsregiments, das den Kindersegen zu einem Fluch für die Eltern gestaltet. […] Wenn so die bewußte planmäßige Förderung der Fruchtbarkeit der gesündesten Träger des Volkstums verwirklicht wird, so wird das Ergebnis eine Rasse sein, die, zunächst wenigstens, die Keime unseres heutigen körperlichen und damit auch geistigen Verfalls wieder ausgeschieden haben wird. Denn hat erst ein Volk und ein Staat diesen Weg einmal beschritten, dann wird sich auch von selbst das Augenmerk darauf richten, gerade den rassisch wertvollsten Kern des Volkes und gerade seine Fruchtbarkeit zu steigern, um endlich das gesamte Volkstum des Segens eines hochgezüchteten Rassengutes teilhaftig werden zu lassen. Der Weg hierzu ist vor allem der, daß ein Staat die Besiedelung gewonnener Neuländer nicht dem Zufall überläßt, sondern besonderen Normen unterwirft. Eigens gebildete Rassekommissionen haben den einzelnen das Siedlungsattest auszustellen  ; dieses aber ist gebunden an eine festzulegende rassische Reinheit. So können allmählich Randkolonien begründet werden, deren Bewohner ausschließlich Träger höchster Rassenreinheit und damit höchster Rassentüchtigkeit sind.331

Erwin Baur (1875–1933) war Arzt und Botaniker. Er leitete seit 1914 das »Institut für Vererbungsforschung« in Berlin.332 Eugen Fischer (1874–1967) war Anatom und 331 Hitler, 1932, 444 ff. und Mein Kampf, Krit. Ed., 1027 ff. 332 Baur war 1911 auf einen Lehrstuhl für Botanik an die Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin berufen worden. Er war Mitglied der »Gesellschaft für Rassenhygiene« und seit 1917 ihr Vorsitzender in Berlin. Er war Mitherausgeber der Zss. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie und Volk und Rasse

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Volkskundler an der Universität Freiburg und sein Schüler Fritz Lenz (1887–1976) war damals dort Privatdozent für Hygiene in der humanmedizinischen Fakultät. Ihr Handbuch gab Antworten u. a. auf Fragen wie »Welches sind die Grundgesetze der Fortpflanzung und Vererbung  ?«, »Sind Erziehungserfolge erblich  ?«, »Wie entstehen neue erbliche Anlagen  ?« (Baur)  ; »Das Wesen der Rasse«, »Die Rassen Europas, Typen und Körperformen« (Fischer). Die Beiträge von Lenz zur »menschlichen Auslese und Rassenhygiene« waren die bei Weitem umfangreichsten. Er schrieb u. a. über »Darf die Mittelmäßigkeit zur Norm erhoben werden  ?«, »Ursachen der Blindheit und Kurzsichtigkeit, Schwerhörigkeit und Taubheit, Haararmut, Zwergwuchs, Kropf, Arteriosklerose, Zuckerkrankheit, Fettsucht, Gicht, Stottern, Schwachsinn, Epilepsie, Nervenschwäche, Homosexualität, Alkoholismus«, »Ist Tuberkulose erblich  ?«, »Erbliche Unfruchtbarkeit«, »Gefahren der Verwandtenehen«, »Ist das Genie züchtbar  ?«, »Ist Bildung erblich  ?«, »Ist die nordische Rasse die edelste  ?« und »Sind Mischlinge minderwertig  ?« Darré hatte schon für sein Bauerntum die dritte Auflage des Baur/Fischer/Lenz benutzt, in seinem Neuadel berief er sich auf Lenz, wenn er feststellte, »alle geistige Erziehung« könne »nur Vorhandenes entfalten oder kräftigen, niemals aber neuschaffend Nichtvorhandenes hervorzaubern«.333 Wichtiger – auch für Darré – war, dass Lenz einen Vorschlag zur Etablierung »bäuerlicher Lehen« gemacht hatte. »Dieser Vorschlag von Lenz steht« – so der spätere Initiator des »Reichserbhofgesetzes« – unter den Vorschlägen der Eugeniker in seinem klaren, schöpferischen Entwurf wohl einzig da, und es spricht bei Lenz für sein feines Gefühl um das aufbauende Menschentum, wenn er in der Verwirklichung dieses seines Planes letzten Endes den Kern aller Rassenhygiene erblickt.

Triumphierend zitierte Darré den Wissenschaftler Lenz, der dazu geschrieben hatte, »alles andere wäre mehr oder weniger nebensächlich«.334 Eugen Fischer war 1927 Gründungsdirektor der größten und angesehensten anthropologischen Forschungsstätte Deutschlands, des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin, geworden und bis 1942 im Amt. Es sollte »den unzureichenden und dilettantischen Versuchen auf diesen Gebie(vgl. »Der Untergang der Kulturvölker im Lichte der Biologie«, VuR 7/1932). Er war maßgeblich an der Gründung der beiden Kaiser-Wilhelm-Institute »für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik« 1927 und »für Pflanzenzüchtung« 1928 beteiligt. Er hatte zwar 1933 das Sterilisationsgesetz begrüßt, wurde aber trotzdem von Darré massiv unter Druck gesetzt. Im Dezember 1933 starb er an einem Herzinfarkt. Vgl. Hagemann, 2000. 333 Darré, Bauerntum, 1929, 3 und Darré, Neuadel, 1935, 148, wo er F. Lenz, Über die biologischen Grundlagen der Erziehung. München 2. Aufl. 1927 heranzieht. 334 Darré, Neuadel, 1935, 105. Den Vorschlag hatte Lenz in Bd. II der 2. Aufl. 1923 des Baur/Fischer/ Lenz gemacht.

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ten entgegentreten«, der »Rassenhygiene« als angewandter Wissenschaft eine seriöse Untermauerung geben und praktische Programme erarbeiten, die im Sinne wissenschaftlich fundierter aktiver Politikberatung auf Staat und Gesellschaft einwirken sollten. Dafür gab es damals einen breiten Konsens von den Sozialdemokraten über das Zentrum bis hin zum rechten Rand des politischen Spektrums. So sollten Fördermittel im Tausch gegen Wissen generiert werden. »Rassenforschung« war also keine nationalsozialistische Pseudowissenschaft, sondern durchaus seriös und allgemein anerkannt. Freilich  : Fischers Institut war aktiv an der Gestaltung des Gesetzes »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« beteiligt. Dort wurden im »Dritten Reich« Gutachten zu Abstammungsnachweisen und Sterilisierungen erstellt, »Erbgesundheitsrichter« ausgebildet, und Josef Mengele, Assistent von Fischers Nachfolger Otmar Freiherr von Verschuer, besorgte seit 1943 »Forschungsmaterial« im Vernichtungslager Auschwitz für das Institut in Berlin.335 Fischer war nach dem Ersten Weltkrieg als führender deutscher Anthropologe anerkannt, er war erklärter Anhänger Gobineaus, in dessen Nachfolge besonders Fischers Kollege in Freiburg Ludwig Woltmann als Begründer des Neodarwinismus hervorgetreten war.336 Es war Fischer, der die Ansicht bestätigte, dass es nur das gleiche Ressentiment war, das Gobineau und Chamberlain − trotz ihres unterschiedlichen »Rasse«-Begriffs  − zu geistigen Vätern der Rassenbewegung in Deutschland gemacht hatte. Er attestierte Chamberlain zwar, er habe »unbekümmert um [den] schwankende[n] Grund vieler Einzelheiten« ein »kühnes Gedankengebäude« entworfen, »das dann natürlich tausend äußere Angriffspunkte bietet«. Doch meinte er gleichzeitig, der »wahre Kern« seiner »Rassen«-Theorie werde jedem Angriff standhalten. Als »Kern« der Lehre Chamberlains kann hier nur die Verherrlichung und Mythisierung der »nordisch-germanischen Rasse« gemeint sein. Denn auch für Fischer stand fest, dass die »nordische Rasse« alleiniger Kulturträger und Kulturbringer Euro-

335 Über die Gründung eines solchen KWI wurde seit 1920 verhandelt. 1923 war auf hoher Ministerialebene die »Errichtung einer Reichsanstalt für menschliche Vererbungslehre und Bevölkerungskunde« im Gespräch. Das Zitat steht im Reichshaushaltsplan der KWG 1927, zit. n. Henning/Kazemi, 2002, 63. Vgl. im Übrigen Schmuhl, 1987 und 2008 sowie M. M. Weber, 1993. 336 Der Arzt Ludwig Woltmann war zweiter Preisträger des von Haeckel angeregten und von Krupp finanzierten Wettbewerbs aus dem Jahre 1900. Seine Arbeit wurde unter dem Titel Politische Anthropologie ( Jena 1903) veröffentlicht. Das Buch wurde später von Otto Reche bearbeitet und nochmals herausgegeben (Leipzig 1936). Darin (355) sah Woltmann die »nordische Rasse […] dazu berufen, die Erde mit ihrer Herrschaft zu umspannen«, und nahm damit die »Herrenmenschen«-Mentalität der SS vorweg. Auch er sah Körperproportion, Kopfform usw. als wesentliche Rassemerkmale an und im Wandel der agrarischen in die industrielle Gesellschaft den Grund für einen zunehmenden »rassischen« Verfall. Eugen Fischer rühmte sich 1934  : »Ich war der einzige akademische Lehrer in Deutschland, der seit mehr als 25 Jahren die Bedeutung der nordischen Rasse in diesem Woltmannschen Sinn vortrug.« (in  : VuR, 1934, 250) Vgl. auch P. E. Becker, 1990, 328 ff.; Puschner, 2001, 95 ff. und Misch, 1975.

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pas sei. Fischer hatte keine Bedenken, mit Hans F. K. Günther zusammenzuarbeiten und ihn für seine verschiedenen Rassenkunden zu loben.337 Mit Gobineau’schem Pessimismus stellte Fischer fest  : Ausgemerzt ist heute schon das Germanenblut, die nordische Rasse, in Italien und Spanien und Portugal, Rückgang, zum Teil Bedeutungslosigkeit ist die Folge  !  − Frankreich ist das nächste Volk, das daran glauben muß − und dann wir − mit absoluter Sicherheit, wenn’s so weiter geht wie bisher und heute.338

Kein Wunder, dass sich Fischer 1934 an einer Aktion des »NS-Lehrerbundes« zur Begrüßung des »Dritten Reiches« unter Führung Adolf Hitlers beteiligte, mit dem für einen international renommierten Wissenschaftler bemerkenswerten Satz  : »Einen nationalen Staat haben wir aufgerichtet, und wir sind dabei, ihn auszubauen, einen Staat aus Blut und Boden, einen Staat aus der deutschen Volksverbundenheit heraus aufgebaut auf Volkstum, Rasse und deutscher Seele.« Fischer war 1933/34 Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.339 Die Eugeniker der 1920er Jahre hatten zwar alle das Ziel einer »gesellschaftlichen Erneuerung« (Ploetz), wenn es aber um konkrete Maßnahmen in der Bevölkerungspolitik ging, zeigt sich ein durchaus unterschiedliches Bild. Den einen ging es bei der Lösung sozialer Fragen mit biologischen Mitteln um das Problem der sinkenden Geburtenrate sowie um Gesundheitsförderung und Fürsorge. Den anderen ging es um die Vermeidung degenerativer Erscheinungen mit Hilfe neuer medizinischer Erkenntnisse. Eine dritte Gruppe hatte »Rassereinheit« im Sinn, die durch langfristig angelegte »Aufzucht«-Methoden verwirklicht werden sollte. Alle drei rivalisierten um öffentliche Anerkennung und benutzten dazu auch Argumente und Publikationsmöglichkeiten der Wettbewerber, um zu überzeugen und Fördermittel zu generieren. Doch im Zuge der zunehmend rechtsradikaler werdenden politischen Stimmung in der Weimarer Republik dominierten schließlich diejenigen, die im Zusammenhang mit »Volksgesundheit« den Begriff »Rassen-Hygiene« am wörtlichsten verstanden. 337 Fischer/Günther, 1927 und Fischers Rezensionen von Günthers Publikationen in  : Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 26/1926/27, 158, 190 und 193  ; 27/1928–30, 158 und 29/1931, 519. 338 E. Fischer im Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Art. »Sozialanthropologie«, Bd. IX, Jena 1913, 185. Eine ähnliche Meinung vertrat übrigens auch der Führer des AdV Heinrich Claß alias Daniel Frymann, 1914, 34 f.; vgl. außerdem E. Fischer, 1910, 19 f. und zu seinem Antisemitismus  : Gerhard Kittel/Eugen Fischer, Das antike Weltjudentum. Tatsachen, Texte, Bilder. Hamburg 1943. Zur zeitgenössischen Bedeutung Fischers vgl. auch Schemann, 1931, 249. Im Übrigen  : Lösch, 1997 und Gessler, 2000. 339 Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat, überreicht vom Nationalsozialistischen Lehrerbund. Dresden 1934, 9 f. (zit. n. Poliakov/Wulf, 1978, 104). Fischer wurde noch 1952 mit der Ehrenmitgliedschaft der »Deutschen Gesellschaft für Anthropologie« und 1952 mit der »für Anatomie« ausgezeichnet.

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Aber die Abgrenzung der unterschiedlichen Positionen ließ sich oft nur schwer feststellen. Ploetz lehnte  – wie Schallmayer  – die Züchtungsutopien Hentschels als »weltfremd« und »aussichtslos« ab. Aber weil es Ploetz – wie vielen in der damaligen Ärzteschaft  – um die Förderung der »Erbgesundheit des Volkes« ging, ließ er sich im Juni 1933 von Reichsinnenminister Dr. Frick, dem sein Parteigenosse Dr. med. Arthur Gütt zur Seite stand, in den »Sachverständigenrat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik« berufen, der ein Sterilisierungsgesetz vorbereiten und legitimieren sollte. In diesem Gremium, das drei Arbeitsgruppen (für staatspolitische, biologische und erzieherische Aspekte) hatte, saßen neben Ploetz u. a. noch Eugen Fischer, Fritz Lenz, Hans F. K. Günther, aber auch der Bevölkerungswissenschaftler Friedrich Burgdörfer. Himmler und Darré waren Mitglieder der staatspolitischen Arbeitsgruppe. Das Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, dessen Entwurf schon einen Monat nach der Konstituierung des Sachverständigenrates fertig war und das am 14. Juli 1933 von der Regierung beschlossen wurde, aber wegen der Verhandlungen mit dem Vatikan über das Konkordat erst ab 1. Januar 1934 in Kraft trat, sah die Möglichkeit der Zwangssterilisation bei vermeintlichen Erbkrankheiten vor. Ihm fielen bis 1945 fast 400.000 Menschen zum Opfer, die gegen ihren Willen oder gegen den Willen ihrer Angehörigen nach einem Spruch von »Erbgesundheitsgerichten« zwangssterilisiert wurden, wenn bei ihnen »Erbkrankheiten« wie Schwachsinn, körperliche Missbildungen, Schizophrenie, manisch-depressive Störungen, Fallsucht, Taubheit, Blindheit und Alkoholismus festgestellt worden waren. Die mörderischen Taten wurden als »wahrhaft sozial«, ja sogar als »Fürsorge« verstanden.340 Der Sachverständigenrat beim RMI trug auch mit zur »Lösung der Bastardfrage« im Rheinland bei. Die durch sexuelle Beziehungen von farbigen französischen Soldaten mit deutschen Frauen in den frühen 1920er Jahren entstandenen Kinder wurden zwangssterilisiert.341 Das Gesetz »zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes« vom 18. Oktober 1935 sollte die Schließung von »erbungesunden Ehen« verhindern. Die dazu vorzulegenden Gutachten über die »Ehetauglichkeit« der Partner waren, wie zu erwarten, keineswegs populär und verursachten bei den Standesämtern erhebliche organisatorische und bürokratische Schwierigkeiten. Obwohl sich Ploetz durchaus eine innere Distanz zum NS-Regime wegen dessen brutaler und rassistischer Bevölkerungspolitik bewahrte, ehrte Darré ihn anlässlich seines Todes 1940 mit einem Kranz. Das wenig trennscharfe Verhältnis differierender »rassenhygienischer« Positionen und ihrer Repräsentanten lässt sich beispielhaft und besonders anschaulich an Fritz Lenz erkennen. Wie Ploetz und Fischer, Günther und Darré lehnte auch er den Radau-Antisemitismus vieler »Völkischer« ab und die antisemitischen Ausbrüche Hitlers 340 RGBl. 1933 I, 529  ; vgl. P. E. Becker, 1988, 57  ; Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 407, 460 f. und 513 ff.; Bock, 1986, 90 sowie Wildt, 2008, 110 ff. 341 Vgl. Pommerin, 1979.

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in Mein Kampf nahm er nur »kopfschüttelnd« zur Kenntnis. Die Rangordnung der »Rassen« mit der »nordischen« an der Spitze und der »semitischen« bzw. jüdischen als Gegenbild am Ende der Hierarchie à la Günther und Darré verwarf Lenz ebenfalls als ideologisch motivierten »Totalitarismus«. Das und weitere Dissonanzen führten 1934 zu einer öffentlich und geheimpolizeilich ausgetragenen Kontroverse mit Darré und Himmler. Andererseits sah Lenz in der NSDAP die erste politische Partei, »welche die Rassenhygiene als eine zentrale Forderung ihres Programmes vertritt«, und lobte Hitler dafür, dass er sich »die wesentlichen Gedanken der Rassenhygiene und ihre Bedeutung mit großer geistiger Empfänglichkeit und Energie zu eigen gemacht« habe. Insbesondere gefiel Lenz, dass »höchster Zweck des völkischen Staates« die »Sorge um die Erhaltung« der »rassisch als besonders wertvoll erkannten Elemente« sein sollte. Desgleichen lobte er Hitlers und Darrés Ansicht zur Bedeutung des Bauerntums und einer völkischen Siedlungspolitik.342 Lenz war schon als Medizinstudent zusammen mit seinem Lehrer Eugen Fischer Mitbegründer der Freiburger Sektion der »Gesellschaft für Rassenhygiene« gewesen. Er gehörte von 1913 bis 1933 zur Schriftleitung der Zeitschrift Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. 1923 wurde er auf den ersten Lehrstuhl für »Rassenhygiene« in Deutschland nach München berufen. 1933 ersetzte Lenz den politisch unerwünschten Jesuitenpater Hermann Muckermann als Abteilungsleiter in Eugen Fischers Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem und erhielt einen Lehrstuhl für Sozialhygiene und Erblehre an der Universität.343 Lenz war ein pragmatisch denkender, man könnte auch sagen  : opportunistischer Wissenschaftler, der die politische Dimension seiner Arbeit sehr wohl erkannte, sich dabei aber hier und da in Widersprüchen verhedderte. Er wollte die »Zeugungsfähigkeit und Zeugungsmöglichkeit körperlich Degenerativer und geistig Erkrankter« zwar verhindern, fand auch die Sterilisation »Untüchtiger« wünschenswert, wollte diesen Eingriff in die Würde des Menschen und sein Intimleben immerhin aber nicht gegen den Willen der Betroffenen, d. h. gewaltsam durchsetzen. Er verkündete zwar 1931  : »Die Frage der Erbqualität ist hundertmal wichtiger als der Streit um Kapitalismus oder Sozialismus und tausendmal wichtiger als der um Schwarz-Weiß-Rot oder Schwarz-Rot-Gold.« Ihm war aber auch bewusst, dass »rassenhygienische« Eingriffe

342 Lenz, »Die Stellung des Nationalsozialismus zur Rassenhygiene«, in  : Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 25/1931, 300 ff.; vgl. auch Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 168 ff., 372 f., 382 ff. 343 Vgl. die biographische Skizze bei Haar/Fahlbusch, 2008, 383 ff. Muckermann war als Katholik an das Verbot eugenisch indizierter Sterilisation durch die päpstliche Enzyklika »Casti connubii« gebunden. An der Friedrich-Wilhelms-Universität wurde Lenz Nachfolger von Othmar Frhr. von Verschuer, der nach Frankfurt/M. ging, aber 1943 als Nachfolger von Eugen Fischer nach Berlin zurückkehrte und Lehrer des berüchtigten KZ-Arztes Mengele war (Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 382 ff.).

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in die Privatsphäre nicht gegen die allgemein akzeptierte Werteordnung der Bevölkerung durchgesetzt werden konnten.344 Wer um 1930 standesamtlich heiratete, erhielt ein Familienstammbuch mit Sippenund Ahnentafel, das vom »Reichsbund der Standesbeamten Deutschlands« herausgegeben wurde. Es enthielt einen von Fritz Lenz verfassten Artikel, der den Eheleuten mitteilte, »Rassenhygiene oder Eugenik« kümmerten sich um »die Pflege des Ahnenerbes«. Außerdem wurden sie darüber aufgeklärt, dass »die hochgearteten Erbstämme sich schwächer fortpflanzen […] als die minder hochgearteten.« Das habe eine »Verschlechterung der Rasse, eine Entartung« zur Folge  ; denn »jene Sippen […], aus denen die schwachsinnigen Hilfsschüler stammen«, pflanzten sich in der Gegenwart besonders stark fort. »Wenn es nicht gelingt, dem Niedergang durch eine tatkräftige Rassenhygiene Einhalt zu tun, so wird das Schicksal unseres Volkes in wenigen Geschlechterfolgen besiegelt sein«, erfuhren die Eheleute von dem renommierten Wissenschaftler. Die Rezension, die Lenz zu Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes schrieb, fiel wohlwollend-distanziert aus, obwohl er doch in dessen »Rassen«-Einteilung eher ein unwissenschaftliches Phantasieprodukt sah als naturwissenschaftlich gestützte Realität. Er war – wie viele seiner Kollegen und Zeitgenossen – der Meinung, in Deutschland herrsche ein unentwirrbares »Rassengemisch«, und sah in der »Menschenzüchtung« nach Prinzipien und Verfahren der Tierzucht eine »Entwürdigung« des Menschen. Dadurch werde das menschliche Individuum »wie in der Viehzucht nur noch als Mittel zum Zwecke des Züchters« angesehen, stellte Lenz fest. Auch Günthers »Rassen«-Hierarchisierung missfiel ihm zeitweilig. Andererseits lobte er schon 1931 den Nationalsozialismus als »angewandte Wissenschaft«, die als »angewandte Biologie« vor allem »angewandte Rassenkunde« sein wolle, wobei er sich ausdrücklich auf das Parteiprogramm der NSDAP berief. Ja, er betonte sogar, dass »rassische Erneuerung«, so wie diese Partei sie anstrebe, über eine reine antisemitische Nutzanwendung hinaus als höchstes Ziel die »Aufnordung unseres Volkes« möglich mache.345 Im Falle Darré war Lenz’ Haltung ähnlich ambivalent. Einerseits begrüßte er es, dass dieser mit seinen »Hegehöfen« eine Idee aufgegriffen hatte, die Lenz unter dem Begriff »bäuerliche Lehen« auch vertrat, um der weiteren »Entartung« und dem Geburtenrückgang der Stadtbevölkerung entgegenzuwirken. Er lobte die Absicht der Verankerung der zukünftigen Elite mit dem Boden, lehnte aber Darrés Fixiertheit auf die »nordische Rasse« ab und wollte nicht so sehr äußere Merkmale als vielmehr »soziale und kulturelle Leistung« zum Kriterium der staatlichen Förderung machen. Andererseits sah er in Himmlers von Darré inspiriertem »Heiratsbefehl« für die SS 344 Baur/Fischer/Lenz, Grundriß, 3. Aufl. 1931, Bd. 2, 317 ff. Auf Anregung des Verlegers Lehmann gab Lenz 1933 eine kleine Schrift heraus (Die Rasse als Wertprinzip), in der er die »Ausmerzung lebensunwerten Lebens« ethisch rechtfertigte. Sie ging auf einen Aufsatz zurück, den er unter dem Titel »Die Rasse als Wertprinzip. Zur Erneuerung der Ethik« 1917 in DE veröffentlicht hatte. 345 Lenz, 1931, 416.

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vom 31. Dezember 1931 »einen sehr dankenswerten Versuch rassenhygienischer Lenkung der Ehewahl«.346 Konnte sich Fritz Lenz etwa nicht festlegen  ? Galten bei ihm Maßnahmen »positiver« und »negativer Rassenhygiene« gleichzeitig, hatten sie das gleiche Gewicht  ? Während sein Lehrer und Mentor Eugen Fischer 1955 immerhin zugestand, dass »im Nationalsozialismus heilloser und verbrecherischer Mißbrauch unter […] Mißachtung jeder Menschenwürde betrieben worden ist«, lässt sich bei Lenz solche Einsicht nicht feststellen. 1940 beteiligte er sich an Schulungen von »Rasseprüfern« für die NS-Siedlungspolitik. Günter Pancke, dem Nachfolger Darrés als Leiter des RuSHA der SS, leitete er eine Denkschrift »zur Umsiedlung unter dem Gesichtspunkt der Rassenpflege« zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Lenz in Göttingen wieder mit einem Lehrstuhl für »Menschliche Erblehre« betraut. Sein Entnazifizierungsverfahren hatte ihm die Einstufung in die Kategorie 5 (»entlastet«) eingebracht. Solche normativen Eskapaden sollte sich die Historiographie nicht leisten.347 Himmlers SS als neuer Adel aus »Blut und Boden« Es dauerte nur wenig mehr als ein Jahr, bis es Darré nach seinem Dienstantritt bei der Reichsleitung der NSDAP gelungen war, Heinrich Himmler (1900–1945) davon zu überzeugen, aus seiner »Schutzstaffel« (SS) eine »Sippengemeinschaft« zu machen, die das realisieren sollte, was er 1930 in seinem zweiten Buch als »Neuadel aus Blut und Boden« für das kommende »Dritte Reich« konzipiert hatte. Die Voraussetzungen waren denkbar günstig, denn der ehrgeizige Himmler wollte aus dem Schatten von Röhms SA heraus und suchte für seine Formation, die SS, eine eigene und besondere Sinngebung. Außerdem hatte sich mittlerweile zwischen Darré und Himmler ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Hitler hatte Darré bei ihrer ersten Begegnung in Saaleck im Mai 1930 empfohlen, sich vertrauensvoll an den »alten Kämpfer« Himmler zu wenden, der beim Putschversuch am 9. November 1923 das Banner eines Freikorps getragen habe und der sich bisher in der Reichsleitung der NSDAP als Sekretär Gregor Strassers um Fragen der Landwirtschaft gekümmert hatte. Wie Darré so war auch Himmler Diplom-Landwirt, er war aktives Mitglied der »Artamanen«, 346 Vgl. die Rezension von Darrés Neuadel, die Lenz in der Zeitschrift Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 16/1932, 444–447 veröffentlichte, und ders., »Ein Versuch rassenhygienischer Lenkung der Ehewahl«, Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 26/1932, 460–462 sowie Baur/Fischer/Lenz, Grundriß, 1931, Bd. 2, 382. 347 Als seine Berufung nach Göttingen 1946 öffentlich kritisiert wurde, ließ sich Lenz unter Hinweis auf eine depressive Erkrankung beurlauben, wurde aber zum Wintersemester 1947 wieder als Hochschullehrer tätig und 1952 zum Ordinarius ernannt. 1955 wurde Fritz Lenz ehrenvoll emeritiert. Vgl. E. Fischer, 1955, 280. Zu Lenz vgl. Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 169 ff., 392 f. und 533 sowie Haar/Fahlbusch, 2008, 385.

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d. h., er war aufgeschlossen für den Gedanken der »völkischen Erneuerung« auf dem Weg des Siedelns und der Rückbesinnung auf ländliche Lebensgewohnheiten. Beide, Darré und Himmler, trafen sich in der Überzeugung, die Stärkung des Agrarsektors in Wirtschaft und Gesellschaft sei in Deutschland eine »völkische« Notwendigkeit.348 Bisher hatte die SS nur die Aufgabe, die Wahlveranstaltungen der NSDAP und insbesondere Hitlers öffentliche Auftritte zu schützen. Sie war als »Stabswache« 1923 entstanden und sie war – zwischenzeitlich auch als »Stoßtrupp Adolf Hitler« – Teil der SA (»Sturm-Abteilung«) der Partei. Himmler hatte schon nach Hitlers Entlassung aus der Landsberger Haft versucht, sich und seine SS von der SA abzusetzen, indem er sie als eine Art Elite aufzog, die ihm und Hitler blindlings Gehorsam und unabdingbare Treue zu schwören hatte, aber auch innerparteilich für Sicherheit sorgen sollte. Jede »Schutzstaffel« bestand zunächst aus acht Männern, die Parteifunktionäre und -versammlungen absichern und als innerparteilicher Spitzeldienst zu fungieren hatte. Da aber jede Ortsgruppe der NSDAP eine solche Formation aufstellen sollte, war ihre Exklusivität innerhalb von Röhms Schlägertruppe und ihre reichsweite Ausbreitung strukturell vorgegeben.349 Am 6. Januar 1929, als Himmler von Hitler zum »Reichs-S.S.-Führer« ernannt worden war, hatte die Formation, die auf dem NSDAP-Parteitag im August ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte, nicht einmal 300 Mitglieder. Seitdem nannte sich Himmler »Reichsführer SS« (RF-SS). In einem Grundsatzreferat im Juni 1931 zeigte sich erstmals öffentlich, dass Himmler das Neuadelskonzept seines Freundes Darré aufgenommen hatte. Als »Zweck und Ziel der SS« erklärte er, »bestes Menschenmaterial« für die »Garde des Führers« sammeln zu wollen, worunter er eine »Blutsgemeinschaft« des »Volkes nordischer Rasse« verstand. Gelänge es, so Himmler schon damals nicht unbescheiden, »diese nordische Rasse anzusiedeln, wieder zu Bauern zu machen, und aus diesem Saatbeet heraus ein Volk von 200 Millionen zu machen […]. Dann gehört die Erde uns.«350 Schon damals betonte Himmler, wie wichtig die Auswahl der Frauen der SS-Männer sei. Er stellte den elitären Anspruch seiner Formation innerhalb der SA heraus, den er rassenideologisch begründete, vergaß aber nicht, mit der »rassischen Auslese« auch einen innerparteilichen Machtanspruch mit der SS zu verbinden  : Im Sommer 1931 wurde Reinhard Heydrich an die Spitze des »Sicherheitsdienstes« (SD) der SS, der parteiinternen Geheimpolizei, berufen. Mittlerweile war die SS auf mehr als 4500 348 Himmler war Darré auch behilflich, nach seiner Ankunft in München im Juli 1930 eine Wohnung zu finden. (Vgl. Darré an Lehmann, 19.7.1930, StAG, NLD, Nr. 437  ; Zeugenaussage Darrés vor dem IMT in Nürnberg am 30.8.1948, Fall XI sowie H. von Rheden-Rheden, R. Walther Darré, masch. schriftl. Manuskript II, 139, v. Verf. bei Frau Darré eingesehen). 349 D’Alquen, 1939, Neusüss-Hunkel, 1956  ; Buchheim, 1965 und 1999  ; Koehl, 1983  ; Höhne, 1991 sowie B. Hein, 2012 und 2015. 350 BA, NS 19/1934 (Zitate nach Longerich, 2008, 133)  ; vgl. auch B. F. Smith, 1979 und Tuchel in Smelser/Syring, 2000, 234 ff.

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Mitglieder angewachsen, die in 39 »Standarten« und acht »Abschnitte« gegliedert waren. Bis Ende 1931 erreichte sie mehr als 10.000 Mitglieder und hatte Ende 1932 die von Röhm festgelegte Quote von 10 Prozent der SA (ca. 40.000 Mitglieder) erreicht. Bis 1933 verdoppelte sich die Zahl der SS-Männer auf mehr als 100.000.351 Himmler sah seine SS als junge Garde im Vergleich zum als »verkalkter Männerbund« angesehenen »Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten« und zur Reichswehr, die als traditionsgebundener Militärverband verstanden wurde. Und im Gegensatz zur Massenorganisation der SA, die auf Straßenschlachten und Raufhändel in Bierhallen aus war und deren Mitglieder als pöbelhaft und plebejisch galten sowie als jederzeit gewaltbereit, trinkfest und sexuell potent, wollte Himmler die SS als disziplinierte Elite verstanden wissen, deren Exklusivität sich am Jesuitenorden der katholischen Kirche und am »Deutschen Ritterorden« in Zeiten der Ostkolonisation orientieren sollte. Dieser »Orden unter dem Totenkopf« trug Schwarz, statt Braun wie die SA, und war auf Korpsgeist, Disziplin, Mut, Opferbereitschaft, Leistung sowie absoluten Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten und bedingungslose Treue zum »Führer« Adolf Hitler verpflichtet. Dieser »soldatische, nationalsozialistische Orden nordisch bestimmter Männer« konnte leicht zu einer »verschworenen Gemeinschaft rassisch hochwertiger Sippen« weiterentwickelt werden.352 Dieses »Schwarze Korps« mit seinem exklusiven Anspruch zog Juristen, Ärzte und andere Akademiker an, sicher auch kühl kalkulierende und Macht und Einfluss suchende Karrieristen.353 Von besonderer Bedeutung – auch für die weitere Entwicklung der SS – war aber, dass Himmler von seinem fünf Jahre älteren Freund und Kollegen in der Reichsleitung der NSDAP, R. Walther Darré, eine Idee übernahm, wie er sich weiter gegenüber der SA seines Vorgesetzten Ernst Röhm profilieren konnte  : durch die »rassische Auslese« nach den Kriterien Hans F. K. Günthers, den beide, Darré und Himmler, als anthropologische Autorität anerkannten. So entwickelte sich im Jahre 1931 ein Konzept, das aus der »Schutzstaffel« einen neuen Adel statt einer Ansammlung von Schlägern, Spießern und Proleten, eine Aristokratie statt einer Massenorganisation und eine »Sippengemeinschaft« statt eines »Männerbundes« machen wollte. Es war Darré, der Himmler und seiner SS dieses elitäre Sendungsbewusstsein auf der Basis rassistischer Zukunftsvorstellungen vermittelte. Ein »Neuadel aus Blut und Boden« sollte entstehen und »herangezüchtet« werden, ein »Orden« von »Herrenmenschen«, zur Führung geboren, nicht nur berufen. 351 Koehl, 1983, 32 und 79. Es ist wichtig, die innerparteiliche (und später auch außerparteiliche) Polizeiaufgabe der SS zu betonen, weil Darré sein Zerwürfnis mit Himmler später auf dessen machtpolitischen Ehrgeiz im Bereich der Staatssicherheit zurückführte. Darré konnte dieses Faktum von Anfang an nicht übersehen. 352 Auf dem Koppelschloss eines SS-Mannes stand »Meine Ehre heißt Treue«. Vgl. Himmler, »Das Schwarze Korps«, in  : NS-Jahrbuch 1937, 255. 353 Vgl. Kater, 1975  ; Herbert, 1996  ; Smelser/Syring, 2000 und Wildt, 2002.

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Dieses Konzept manifestierte sich in Himmlers »SS-Befehl A Nr. 65« vom 31. Dezember 1931. Der Erlass war so etwas wie die Gründungsurkunde des späteren »Rasseund Siedlungshauptamtes« (RuSHA) der SS und Gunther d’Alquen, der »Hauptschriftleiter« der SS-Wochenschrift Das Schwarze Korps, nannte ihn schon »einen ewig unbegreiflichen Eingriff in die sogenannte persönliche Freiheit des Einzelnen«. Auch Darré bekannte freimütig, Himmlers Befehl sei ein »Eingriff in die persönlichen Freiheiten des Einzelnen – aber ein Eingriff zum Wohle des gesamten Volkes.«354 In Anlehnung an die biblischen Zehn Gebote bestand Himmlers Befehl aus zehn Punkten  : 1. Die SS. ist ein nach besonderen Gesichtspunkten ausgewählter Verband deutscher nordisch-bestimmter Männer. 2. Entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung und in der Erkenntnis, daß die Zukunft unseres Volkes in der Auslese und Erhaltung des rassisch und erbgesundheitlich guten Blutes beruht, führe ich mit Wirkung vom 1. Januar 1932 für alle unverheirateten Angehörigen der SS. die »Heiratsgenehmigung« ein. 3. Das erstrebte Ziel ist die erbgesundheitlich wertvolle Sippe deutscher nordisch-bestimmter Art. 4. Die Heiratsgenehmigung wird einzig und allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt oder verweigert. 5. Jeder SS.-Mann, der zu heiraten beabsichtigt, hat hierzu die Heiratsgenehmigung des Reichsführers SS. einzuholen. 6. SS.-Angehörige, die bei Verweigerung der Heiratsgenehmigung trotzdem heiraten, werden aus der SS. gestrichen  ; der Austritt wird ihnen freigestellt. 7. Die sachgemäße Bearbeitung der Heiratsgesuche ist Aufgabe des »Rasseamtes« der SS. 8. Das Rasseamt der SS. führt das »Sippenbuch der SS.«, in das die Familien der SS.-Angehörigen nach Erteilung der Heiratsgenehmigung oder Bejahung des Eintragungsgesuches eingetragen werden. 9. Der Reichsführer SS, der Leiter des Rasseamtes und die Referenten dieses Amtes sind ehrenwörtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. 10. Die SS. ist sich darüber klar, daß sie mit diesem Befehl einen Schritt von großer Bedeutung getan hat. Spott, Hohn und Mißverstehen berühren uns nicht  ; Die Zukunft gehört uns  !355

354 BA, NS 2/174, Bl. 125 und Ms. einer Rundfunkansprache Darrés am 11.10.1933 (StAG, NLD, Nr. 421). 355 BA, NS 41/122  ; D’Alquen, 1939, 8 ff. und 23 f., der den Befehl ebenso abdruckte, wie es Darré ab der zweiten Auflage seines Neuadel-Buches zusammen mit dem REG tat. Außerdem Corni/Gies, 1994, 81.

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Mit gleichem Datum wurde der »SS-Standartenführer« R. Walther Darré zum Leiter des neu gegründeten »Rasseamtes« der SS berufen.356 Gewiss, in der alten Reichswehr gab es bis 1918 auch eine Regelung, dass Offiziere um eine Art Heiratserlaubnis bei ihren Vorgesetzten nachsuchen mussten. Diese Vorschrift war aber nicht rassistisch motiviert, sondern auf den finanziellen und sozialen Status der Verlobten hin orientiert. Darrés und nun auch Himmlers Ziel aber war es, an die Stelle des »Altadels« ein »in Geschlechtern gezüchtetes Führertum nordischen Blutes«, den »Neuadel aus Blut und Boden«, zu setzen  : Das deutsche Volk faßt im Dritten Reich dasjenige Blut, welches sich als wirkliches Führertum ausgewiesen hat, zu Geschlechtern zusammen, deren vornehmste Aufgabe im Dienste des Volkes es ist, sich so zu verehelichen, daß ihre Kinder immer hochwertiges Menschentum mit angeborenen Führereigenschaften sind, so daß sich das deutsche Volk aus den Besten unter ihnen immer wieder seine Führer erwählen kann und damit die Gewähr besitzt, durch alle Zeiten hindurch gut geführt zu werden.357

Darré sah mit Himmlers »Heiratsbefehl« für die SS seinen »Rassegedanken erstmals zur Rassentat« geworden, er sah darin einen ersten Schritt zu einer »planvollen« Bevölkerungspolitik, die eine »nordrassische« Elite zum Ziel hatte. Die Nationalsozialistische Landpost (NSL), das von Darré herausgegebene offizielle Presseorgan seines »Agrarpolitischen Apparates« (ApA) der NSDAP, veröffentlichte ihn alsbald und nannte Darré ausdrücklich als dessen Mitverfasser.358 Weil das, was er im März 1930 gefordert hatte – Laßt den Unverheirateten […] erst einmal den Nachweis erbringen, daß er ein wertvolles und aufbauendes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft ist, ehe ihr ihm die Vollbürgerrechte und die Eheerlaubnis erteilt, und ihr habt damit schon ein ganz einfaches Mittel in der Hand, um aus dem deutschen Volke mit der Zeit das Minderwertige auszusieben und nur den wertvollen Deutschen am blutlichen und wirtschaftlichen Aufbau unseres Staates mitwirken zu lassen

– weil dies nur eine Utopie sein konnte, war Darré enthusiasmiert, nun in der SS wenigstens einen Teil seiner abenteuerlichen Vorstellungen verwirklichen zu können. Schon am 7. August 1930 berichtete er seinen Freunden vom »Nordischen Ring« mit unverhohlener Freude, dass »die SS seit geraumer Zeit von nordischen Gesichtspunk356 SS-Befehl A Nr. 67 (BA, Slg. Schumacher 427 und IfZ, FA 201, Bl. 45). Zur Entstehung des RuSHA der SS vgl. Gies, 1968, 127 ff. 357 Darré, »Adelserneuerung oder Neuadel«, in  : NS-Monatshefte. Wiss. Zs. d. NSDAP, Heft 16 (August 1931), hier zit. n. dem Wiederabdruck in  : Darré, BuB, 1941, 51 f. 358 Darré an Quandt, 4.2.1932 (StAG, NLD, Nr. 87) und NSL v. 8.1.193.

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ten aus aufgebaut« werde. »Die SS soll neben ihrer besonderen zukünftigen politischen Aufgabe eine nordische Elitetruppe werden, mit ganz bestimmtem Ehekonsens in Richtung auf nordische Gattenwahl.«359 Die Aufgaben des »Rasseamtes« der SS waren durch Himmlers »Heiratsbefehl« festgelegt  : Prüfung der Heiratsgesuche auf der Grundlage entsprechend einzureichender Unterlagen  ; Führung des »Sippenbuches« der SS, in dem alle SS-Familien einzutragen waren  ; und Schulung der Mitarbeiter der SS – auch ›vor Ort‹ in den unteren SS-Einheiten, die eine Vorauswahl zu treffen hatten – im Hinblick auf die Kriterien der Auswahl der SS-Männer und ihrer potentiellen Ehefrauen. Daraus ergab sich alsbald auch die Ausleseprüfung (»Musterung«) bei Neueinstellungen von SS-Anwärtern. Jeder musste seinen Abstammungsnachweis bis zum 1. Januar 1800 führen, SS-Führer hatten ihn sogar im Nachhinein bis zum 1. Januar 1750 zu erbringen.360 Wegen seiner aufreibenden Tätigkeit in der Reichsleitung der NSDAP an der Spitze des gerade im Aufbau befindlichen, reichsweit – auch bei den Wahlen – operierenden »Agrarpolitischen Apparates« der Partei konnte sich Darré selbstverständlich nicht selbst intensiv um den Aufbau und die Arbeit dieses neuen Amtes in der SS kümmern. Es gelang ihm jedoch, in Dr. Horst Rechenbach einen Stellvertreter als Amtschef zu finden, der ihm als Gesinnungsfreund und Mitglied des »Nordischen Ringes« sehr nahestand und der schon einschlägige Erfahrungen in der rassenideologisch-anthropologischen »Musterung« junger Männer in der Reichswehr mitbrachte. Rechenbach, während des Ersten Weltkrieges aktiver Offizier, war Diplom-Landwirt und Tierzuchtinspektor. Er hatte bei Professor Reche, dem Herausgeber der Zeitschrift Volk und Rasse, in Leipzig auch Anthropologie studiert und war als Truppenschulungsleiter in Mitteldeutschland besonders darauf bedacht, rassistisch akzentuierte Vererbungslehre und Erbgesundheitspflege als Teil der allgemeinen Ausbildung in der Reichswehr einzuführen. Vor allem aber hatte er die Aufgabe, die Auswahl der Rekruten nach diesen Kriterien zu steuern und durchzuführen361 359 Darré, »Eine Auseinandersetzung mit Böhmers Werk ›Das Erbe der Enterbten‹«, in  : DE, Heft 6, 1930, zit. n. Darré, EuW, 1940, 134, und Darré an Prinzessin Reuß-zur Lippe (Frau Konopath), 7.8.1930 (StAG, NLD, Nr. 87). Am 10.5.1932 schrieb Darré an seinen Lektor Eichenauer, der auch Mitglied des »Nordischen Rings« war  : »Der alte Stamm der Nordischen Bewegung kristallisiert sich um das Rasseamt der SS.« (ebd.). 360 »Aufgaben und Gliederung des Rasse- und Siedlungsamtes  – SS«, Befehl RFSS Nr. 07291/34 v. 21.9.1934 (IfZ, FA, 201, Bl. 45 ff. und BA, Slg. Schumacher, 427)  ; »Das Rasse- und Siedlungshauptamt«, 1938 (ebd., NS 2, Nr. 65, Bl. 13 ff.) und I. Heinemann, 2003, 49 ff. (mit Ungenauigkeiten und zum Teil abweichenden Einschätzungen). 361 Rechenbachs Beurteilungsschema bestand aus drei Aspekten  : 1. »Körperbaubewertung« (mit Noten 1–9)  ; »rassische Anteile« (»rein nordisch, vorwiegend nordisch-fälische Mischtypen  ; vorherrschend alpine, dinarische, ostische und ostbaltische Mischtypen  ; Mischlinge mit nichteuropäischen, fremden Einschlägen«)  ; »Soldatischer und persönlicher Allgemeineindruck im Stehen, in Haltung und Bewegung« (mit fünf Stufen von »sehr geeignet« bis »starke Bedenken«) (BA, BDC-Akte Rechenbach  ; Bf. Rechenbachs an d. Verf. v. 7.2.1965 sowie Gespräch des Verf. mit Herrn Dr. Rechenbach).

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Im Februar 1930 hatte Rechenbach zusammen mit dem »Artamanen« Kenstler in Weimar eine »Gesellschaft zur Gründung einer deutschen Adelsbauernschaft« aus der Taufe gehoben.362 Bei dieser Gelegenheit lernte er erstmals Darré persönlich kennen, dessen Ideen und Pläne (Neuadel aus Blut und Boden) er teilte. Beide waren damals 35 Jahre alt. Diese Vereinsgründung als erste Initiative zur »rassischen Erneuerung« der Landbevölkerung litt naturgemäß an ihrer mangelnden Einflussmöglichkeit und Breitenwirkung. Umso mehr musste es Rechenbach begrüßen, dass ihm Darré im Dezember 1931 den Aufbau des »Rasseamtes« der SS antrug  : »Bei der Schutzstaffel hätten Sie es in der Hand, die Aufnahmebedingungen auszuarbeiten und eine rassische Elite zusammenzustellen. In der SS hätten Sie die Möglichkeit, den Gedanken einer neuen Adelsbauernschaft im Osten zu verwirklichen.« Wegen des SA- und SS-Verbots und den langwierigen Verhandlungen Rechenbachs mit der Reichswehr um seine Beurlaubung, bei denen sogar Himmler nachhelfen musste, konnte Rechenbach erst im Herbst 1932 seine Arbeit aufnehmen. Sein Gehalt erhielt er weiterhin von der Reichswehr.363 Ab 1934 kam zu den Aufgaben des »Rasseamtes« noch die »Herbeiführung einer engen Bindung der SS mit dem Bauerntum«, d. h. die »Verwirklichung des Begriffs Blut und Boden« hinzu. Aus dem »Rasseamt« wurde das »Rasse- und Siedlungsamt« und 1935 das »Rasse- und Siedlungshauptamt« der SS. Schon in seinem Brief an Rechenbach vom 22. Dezember 1931 hatte Darré auf die Zielsetzung einer Ansiedlung von SS-Familien »im Osten« hingewiesen  : Beabsichtigt ist […], die Einstellungsbedingungen in die SS bearbeiten zu lassen, außerdem einen Ehekonsens einzuführen […] im nordischen Sinne und, wenn das kommt, was wir

362 In seiner Einladung zur Gründungsversammlung an Darré schrieb Rechenbach am 18.1.1930  : »Ich habe Ihr Buch [Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse] seinerzeit mit höchstem Interesse gelesen und seine Gedanken in vielen Vorträgen verwertet. Die ›Adelsbauernschaft‹ soll eigentlich nichts anderes als das, was Sie als Ideal vergangener Zeiten schildern, in der Gegenwart neu erstehen lassen.« (StAG, NLD, Nr. 87) Vgl. auch Darré an Rechenbach, 30.1.1930 und Rechenbach an Darré, 12.6.1930 (ebd.). 363 Darré an Rechenbach, 22.12.1931 und dessen grundsätzliche Zusage v. 28.12.1931. Vgl. auch Rechenbach an Darré, 18.1. und 12.6.1930, 6.7., 14.7., 30.8. und 7.9.1932 (StAG, NLD, Nr. 87). Als weitere Mitabeiter der ersten Stunde konnte Darré u. a. gewinnen  : Dr. Bruno K. Schultz (geb. 1901 in Österreich), Assistent von Reche in Leipzig und »Schriftleiter« von VuR, Mitglied im »Nordischen Ring«, der auch bei den rassistischen Auswahlkriterien für SS-Mitglieder nach Günther mitwirkte (Darré an Schultz, 16.1.1932, BA, BDC-Akte)  ; Lothar Stengel-von Rutkowski war noch jünger ( Jg. 1908), er hatte die Ermordung seiner Eltern in Lettland durch die Bolschewiki erlebt und es hatte ihn nach Marburg verschlagen. Dort war er von dem Historiker Edmund Stengel adoptiert worden. Er hatte seit 1928 in München, Marburg und Wien Medizin und »Rassenhygiene« studiert und war im RAS für Erbgesundheitszeugnisse zuständig. Beide behielten aber auch weiterhin ihre akademische Karriere im Blick. Auch für seinen jüngeren Bruder Erich fand Darré im neuen SS-Amt eine Verwendung in der Familienforschung. (Darré an Rechenbach, 15.1., 28.1., 26.2., 26.3. und 13.6.1932. Ebd.).

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erstreben, die SS später einmal im Osten in großen Siedlungsverbänden anzusetzen als Wall gegen die Slaven.

Auch in einem Schreiben an seinen bewährten ›Sponsor‹ Quandt wies Darré darauf hin, dass das, was innerhalb der bestehenden Grenzen Deutschlands wegen der kapitalistisch-industriellen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur in reiner Form noch nicht möglich sei, die Realisierung eines »Neuadels aus Blut und Boden«, dann erreicht werden könne, »wenn es gelingt – was in ferner Zukunft beabsichtigt ist – diese SS in Deutschlands Osten als Grenzwall zu siedeln  ; dann ist [sic] 70  % von ›Neuadel‹ verwirklicht.« Dass damit keine »innere Kolonisation« gemeint war, geht auch daraus hervor, dass bis 1939 keine nennenswerten Siedlungsaktivitäten der SS stattfanden.364 Es ging also nicht nur um Binnensiedlung. Dieser Konzeption wohnte von Anfang an das Element der Expansion in außerdeutsche Räume im Osten inne. In dem zu erobernden »Lebensraum in Osten« (Hitler, 1925) war es dagegen ohne die innerhalb Deutschlands vorhandenen vielfältigen Hemmnisse, wozu auch Kompetenzüberschneidungen gehörten, möglich, »arteigene« Lebensverhältnisse für die »nordrassischen« Siedler zu schaffen.. Mit diesen ausschließlich agrarisch strukturierten Gebieten im Osten konnte die Wechselbeziehung zwischen Industrie und Landwirtschaft wieder in ein ausgewogenes – Darré nannte es »organisch« bzw. »lebensgesetzlich« – Verhältnis gebracht werden. Volkswirtschaftliche und bevölkerungspolitische Probleme wären insofern gelöst, als dann die »Ernährung aus eigener Scholle« und der »Führungsanspruch der Nordischen Rasse« verwirklicht sein würden. Die vom Nationalsozialismus angestrebte unbedingte Souveränität des Nationalstaates hatte in der Sicherung der Ernährung des Volkes ihre Voraussetzung, die wiederum in der Eroberung neuen »Lebensraums« ihre Grundbedingung vorfand. Und – mindestens ebenso wichtig – es konnten »rassische« bzw. ethnische Säuberungen, im Sprachgebrauch der SS »Umvolkungen«, durchgeführt werden, um den »nordischen Herrenmenschen« Siedlungsland bereitzustellen.365 Darrés Antisemitismus Grundlage der Rassentheorie, wie sie von der »Nordischen Bewegung« und Darré vertreten wurde, ist die Gobineau’sche Annahme der Ungleichheit der Menschen, Völker 364 Darré an Quandt, der den Aufbau des RAS bzw. RuSA finanziell unterstützte, 4.1.1932 (StAG, NLD, Nr. 87). 365 »So wie unsere Vorfahren den Boden, auf dem wir heute leben, […] durch Lebenseinsatz erkämpfen mußten, so wird auch uns in Zukunft den Boden und damit das Leben für unser Volk keine göttliche Gnade zuweisen, sondern nur die Gewalt des siegreichen Schwertes. […] Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.« (Hitler, 1932, 741 f. und Mein Kampf, Krit. Ed., Bd. II, 1656 f.).

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und »Rassen«. Es war naheliegend, daraus auch eine Ungleichwertigkeit abzuleiten. Für Darré war die »Nordische Rasse« die edelste und hochwertigste, denn von ihr gehe alle abendländisch-europäische Kultur aus, ausschließlich sie sei Trägerin allen Fortschritts.366 Alle anderen »Rassen« seien mit graduellen Unterschieden moralisch und sittlich unedler, geringwertiger und weniger begabt. Diese angeborene Minderwertigkeit sei weder durch soziale Bedingungen noch Erziehung, Bildung oder andere Umwelteinflüsse aufhebbar. Jedes Individuum sei durch die Zugehörigkeit zu einer »Rasse« determiniert. »Rassenmischung« sei durch planvolle und zielgerichtete Züchtungsmaßnahmen zu »veredeln«. Nur »jüdisches Blut« sei »artfremd«, ein für alle Mal »verdorben« und daher zu eliminieren. Am Ende dieses Gedankengebäudes und dieser ›logischen Kette‹, die Darré – wie er immer betonte – bevorzugte, stand unzweifelhaft mörderischer Antisemitismus. Wenn zu einer patriotischen Überhöhung des eigenen Volkes das Wissen um den ethnologischen, anthropologischen, kulturellen und historischen Vorrang einer bestimmten, beispielsweise der »weißen« oder »germanischen« oder »arischen« oder »Nordischen Rasse« kommt, so ergibt sich eine Haltung, wie sie sich bei Darré in den Jahren 1920 bis 1925 entwickelt hat und wie sie sich in seiner »Blut und Boden«Ideologie niedergeschlug. Das antisemitische Ressentiment fügt sich in diese Ideologie insofern ein, als »das Judentum« am Ende der Hierarchie der »Rassen« einsortiert wurde und sich der ›Waffen‹ Kapitalismus, Zivilisation, Liberalismus, Industrialisierung und − Darrés eigene Variante − des »nomadenhaften« Bolschewismus bedient, um die »bäuerlich-nordische Kultur« und »Rasse« zu vernichten. So verbindet sich der sozialistische »Klassenkampf« mit dem sozialdarwinistischen »Rassenkampf«. Da die Natur aber der mit allen positiven Eigenschaften versehenen »Nordischen Rasse« nicht allein zum Sieg verhilft, muss mit künstlichen Mitteln dem drohenden Niedergang entgegengewirkt werden  : mit der »Aufzucht« mit organisierten eugenischen Maßnahmen und mit der »Ausmerze« des absolut Minderwertigen, eben der »jüdischen Rasse«. Dass Darré Antisemit war, kann nicht angezweifelt werden, obwohl er nach dem Zweiten Weltkrieg bei seinem Prozess in Nürnberg zum eigenen Schutz einen anderen Eindruck zu vermitteln versuchte.367 Aber wie war seine Judenfeindschaft motiviert und akzentuiert  ? Schon im Ersten Weltkrieg, als Darré gerade einmal 20 Jahre alt gewesen war, hatte er heftig gegen die in seinem Elternhaus gelesene »jüdische Presse« protestiert.368 Sein diesbezügliches Weltbild verfestigte sich bis 1925 zu einem Konglomerat »völkischer« Ansichten, in dem Antisemitismus, Antiklerikalismus und Antibolschewismus die Stützpfeiler bildeten. Jüdisches, Klerikales und Bolschewisti366 Vgl. auch Günther, 1925, 26  : Es komme beim »Nordischen Gedanken vor allem auf die Mehrung der höherwertigen Erbanlagen einer im deutschen Volk vertretenen Rasse [an]  : der nordischen.« 367 Selbst in die neuere historiographische Literatur hat sich der falsche Eindruck eingeschlichen, Antisemitismus habe bei Darré und der »Blut und Boden«-Ideologie »einen relativ geringen Raum« eingenommen. Vgl. Kroll, 2003, 265. 368 Vgl. die achtungsvolle Art, mit der Darrés Vater vom Judentum sprach  : Richard Darré, 1925, 40 f.

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sches war für ihn nicht nur angsteinflößend, es verursachte geradezu allergische Panikattacken. Der rassistisch grundierte Größenwahn wurde von einem entsprechenden Verfolgungswahn begleitet.369 Die für seine rassistische Weltanschauung prägenden Autoritäten Chamberlain, Langbehn und Günther waren allesamt bekennende Antisemiten.370 Langbehn äußerte sich im Laufe der Überarbeitungen seines Buches Rembrandt als Erzieher immer radikaler über »die« Juden, prangerte ihre »grenzenlose Ausbeutungsgier« an, geißelte sie als »Gift im deutschen Volkskörper« und setzte sie mit »Pest und Cholera« in eins. Er beklagte zwar einen »plebejischen Antisemitismus« – wie später Darré den »Radau-Antisemitismus«  –, für Langbehn waren Juden aber gleichzeitig »korrupt« und »niederträchtig«, sie bevorzugten »krumme Wege« und seien »Fremdlinge«. Für ihn waren Juden »Gift für uns, und müssen als solches behandelt werden«. 371 Und er verkündete  : »Ein Jude kann so wenig zu einem Deutschen werden, wie eine Pflaume zu einem Apfel werden kann.« Chamberlain ging es dezidiert um eine Entlarvung des Judentums als »minderwertiger Typus der Menschheit«. Die Juden seien wie »Rebläuse« eine Plage für ihre »Wirtsvölker«, den Germanen »ewig fremd«, und »jüdisches Blut« habe die »Indoeuropäer infiziert«, meinte Chamberlain. Juden seien »Blendlinge« und »Bastarde« und müssten »schonungslos ausgeschlossen« werden. »Rücksicht ist Verbrechen an sich selbst«, war er überzeugt. Auch Günther wollte die Juden zur Auswanderung zwingen, vermied aber Kennzeichnungen, die implizierten, dass man sie wie Schädlinge ausrotten sollte.372 Dies tat umso deutlicher Paul Bötticher alias Paul de Lagarde (1827–1891), der von »den« Juden als »Trichinen und Bazillen« sprach, die »so rasch und so gründ369 1923 sprach Darré von der »›Deutschen‹ Demokratischen Partei« als »verfluchte Judenpartei«, sprach von den Juden als »Deutschlands Unglück«, wollte sie »kompromißlos« aus dem Reich vertreiben und bekannte sich expressis verbis zu seinem »antisemitischen Standpunkt«. 1925 sprach er von den »Schergen Judäas«, die in Deutschland eine »vaterländische Politik« verhinderten. (Bfe. an seine Frau v. 19.1. und 10.2.1923 sowie v. 10.9.1925, IfZ-München, NLD, ED 110). 370 Für Günther war die »Judenfrage weder eine Glaubensfrage, noch eine wirtschaftliche, sondern eine Frage der Volkstümer und der Rassen« (1930, 318 ff.). Er sah sogar im Zionismus in »völkischer« Hinsicht ein Vorbild für die »Nordische Bewegung«. Im Übrigen, auch zum Antisemitismus der »Nordischen Bewegung«, vgl. P. E. Becker, 1990, 242, 246, 257, 263 ff. sowie Weingart/Kroll/Bayertz, 1992, 371 f. und 374 f. 371 Zu Darrés Unterscheidung zwischen akzeptablem und nicht akzeptablem Antisemitismus vgl. u. a. den Text eines vertraulichen Rundschreibens des RBF an die Mitglieder des RBR v. 24.10.1935 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 192). Darin lehnte er »rein negative Propaganda, wie z. B. […] ›Juden sind hier nicht erwünscht‹ oder ›Kauft nicht beim Juden‹«, ab und empfahl »positive« Aussagen wie »Die Rassenfrage ist der Schlüssel zum Verständnis der Weltgeschichte« oder »Nationalsozialismus ist angewandte Rassenkunde«. Es solle nicht »Mitleid zu Gunsten der Juden« oder »Abreagierung wirtschaftlicher Neidkomplexe« provoziert werden, sondern es müsse deutlich werden, »warum wir den Juden als unerwünscht betrachten«. 372 Zu Chamberlain u. a. 1915, 23, 251 f., 337 f., 382 f. und 859  ; zu Langbehn u. a. Langbehn, 1891, 284  ; Langbehn, 1909, 348 ff. und Langbehn, 1922, 362 f. (ein Zitat nach Landmann, 1981, 43 f.).

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lich wie möglich« vernichtet werden müssten. Für ihn waren Juden »in jeder Hinsicht werthlos«, weil sie »Träger der Verwesung« und »Ungeziefer« seien. Das, was er in seinen Deutschen Schriften mitteilte, war auch Darrés immer wieder geäußerte Meinung – mit allen Ressentiments und Vorurteilen  : »Die Alliance Israélite ist nichts als eine dem Freimaurertum ähnliche internationale Verschwörung zum Besten der jüdischen Weltherrschaft, auf semitischem Gebiete dasselbe, was der Jesuitenorden auf dem katholischen ist.« Lagarde machte »die Juden« für Dekadenz und alles Böse in der Welt verantwortlich. Aber sein Antisemitismus war nicht biologistisch oder rassistisch motiviert, sondern eher kulturkritisch begründet und mit einer religiösen Aura versehen. Er kennzeichnete »die Juden« als »etwas Fremdes« in jedem europäischen Staat, sie seien »als Fremde nichts anderes als Träger der Verwesung«, war er überzeugt.373 Darré zitierte Rathenaus Klage wegen der nicht gelungenen Integration der Juden und Disraeli (»Die Rassenfrage ist der Schlüssel zur Weltgeschichte.«) als Kronzeugen seines Judenhasses. Auch sein Verleger Lehmann wurde nicht müde, antisemitisches Gedankengut zu verbreiten.374 Als Darré in seinem ersten Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, um sich wegen seiner unsicheren beruflichen Situation nicht zu gefährden, einen »unversöhnlichen Gegensatz« zwischen Nomaden und Bauern in der Geschichte konstruierte, konnte jeder Leser das Tarnungs- bzw. Täuschungsmanöver durchschauen  ; denn ganz in »völkischem« Vokabular sprach er doch von der »Todfeindschaft« zwischen den Nomaden einerseits (»Verwertungstrieb«, »Abgrasungs-Instinkt«), denen er alle negativen, kulturzerstörenden Fähigkeiten zuordnete, und den Bauern andererseits, die mit allen positiven, kulturschöpferischen Eigenschaften ausgestattet wurden.375 Diese Verschleierungstaktik, die Darré dem ›Berufsantisemiten‹ Theodor Fritsch 1929 in einem Brief offenlegte, setzte er, nun nicht mehr so vorsichtig, auch in seinem zweiten Buch fort. So griff er Ideen von antisemitischen Neuadelsutopisten wie Hentschel auf und konnte sich sogar über eine positive Resonanz bei antisemitischen Vertretern des alten Adels freuen  ; denn selbst373 Lagarde, Deutsche Schriften, in zwei Bänden 1878 und 1881 erschienen, dann als Gesamtausgabe 1886, 4. Aufl. 1903, 295 und 365 f. und 5. Aufl. Göttingen 1920, 278. 374 1918 stellte Lehmann erbittert fest  : »Wer hat dem deutschen Volk das Rückgrat gebrochen  ? Die Juden und ihre alljüdische Presse. Sie haben den Glauben der Heimat vernichtet und dann die Front zermürbt.« Die Konsequenz, die er zog, lautete  : »Wir müssen unser Volk rassenmäßig denken lehren, dass es alles Fremdstämmige und Artfremde von sich weist.« Deswegen verlegte er rassistische und antisemitische Autoren und war »Juda von Herzen dankbar für die geradezu vorzügliche Reklame« beispielsweise bei Schemanns Publikation Die Rasse in den Geisteswissenschaften (3 Bde., 1927–1931). Sie wurde von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften mitfinanziert, wurde aber durch kritische Presseartikel und politische Interventionen zu verhindern versucht. Vgl. M. Lehmann, 1935, 149 ff. und 231. Zu J. F. Lehmanns Antisemitismus vgl. auch seinen Bf. an Eugen Fischer v. 24.8.1925, ebd., 203 ff. 375 Zu Darrés antisemitischer Charakterisierung von »Nomaden« vgl. Darré, Bauerntum, 1929, 34, 39, 51 f., 303 und 377 ff.

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verständlich kamen Juden für seine »Hegehöfe« nicht in Betracht. »Erbhofbauern« mussten im »Dritten Reich« ihre »arische« Abkunft bis zum Jahre 1800 nachweisen.376 Intern nahm Darré schon 1930 kein Blatt mehr vor den Mund, wenn er vom »Gegensatz zwischen Germanentum und Judentum« sprach. Nach seinem Eintritt in die NSDAP ließ er auch öffentlich seinem Antisemitismus freien Lauf, wie seine Auseinandersetzung mit der Bodenreformbewegung bezeugt, als er alle Juden aufzählte, die sich auf diesem Sektor engagiert hatten.377 Im »Dritten Reich« war weder Vorsicht noch Rücksicht mehr nötig. Auf dem »Reichsbauerntag« 1934 polterte er offen gegen das »jüdische Prinzip des Handels um des Handels willen« und 1936 betonte er auf dem »Reichsbauerntag« in Goslar den »polaren Gegensatz« zwischen »jüdischem Nomadentum« und »germanischem Bauerntum«, der »ewig und unerschütterlich« sei, und erklärte »den Juden« zum »Todfeind allen Bauerntums«.378 Dass Juden auch sesshaft sein und Landwirtschaft erfolgreich betreiben können, konnte Darré vor Gründung des Staates Israel noch nicht erkennen. Aber er hätte das Alte Testament (Lev 25) zur Hand nehmen und die Vorschriften der Israeliten zur Bestellung von Land und zu Feld- und Weinbergarbeit lesen können.379 Und er hätte – andererseits – in der Geschichte der Hanse erfolgreichen »arischen« Händlern begegnen können. Als auf dem Parteitag der NSDAP in Nürnberg 1935 das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« verkündet wurde, war das ganz im Sinne von Darrés »Zuchtziel des deutschen Volkes«, das er 1931 formuliert hatte. In der Präambel des »Blutschutzgesetzes« stand nämlich  : »Durchdrungen von der Er376 Vgl. Darrés Bfe. an seine Frau während der Arbeit an seinem Bauerntum (IfZ-München, NLD, Bd. 9, Bl. 111 ff.). Im Frühjahr 1930 musste Darré sogar bei Hitler den Eindruck korrigieren, er »fasse das jüdische Problem nicht genügend von dessen schmarotzerhaftem Wesenskern [her] auf.« (StAG, NLD, Nr. 94) Später war solcherart Camouflage nicht mehr nötig  : Im Vorwort der 7. Auflage 1938 seines Buches Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse bezeichnete er es als Beitrag zur »Auseinandersetzung des gewaltigen Ringens zwischen germanischem und jüdischem Geiste.« Darin empfiehlt Darré, sowohl den »Heiratsbefehl« der SS aus dem Jahre 1931 als auch das REG von 1933 »als Prüfungsmittel für germanisch-deutsches und für jüdisches Denken [zu] verwenden«  ; denn »wessen Geist von jüdischem Denken beeinflußt ist, oder wessen Ahnentafel einen Webfehler aus jüdischem Blut aufweist, der muß und wird sich immer gegen beide Gesetze auflehnen.« Vgl. auch Stöckel, 2002, 210. 377 Darré, »Damaschke und der Marxismus« (August 1931), in  : Darré, EuW, 1940, 216 ff. und »Die Bodenfrage, der Schlüssel zum Verständnis der sozialen Probleme«, in  : NSL v. 13.4.1934, wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 291 ff. 378 Darré am 22.6.1930 auf einer Tagung des »Nordischen Ringes« in Berlin, wo er als Beispiel die Vermehrungsgewohnheiten der Hausratte (»bodenständige Art«, verweigere in Gefangenschaft die Zeugung von Nachkommen) und der Wanderratte (vermehre sich auch »bei ungünstigsten Gefangenschaftsverhältnissen«) heranzieht. Darré, BuB, 1940, 18 f. und Darré, Aufbruch, 1942, 36 und 84 f., wo er ausführte  : »Wo das Bauerntum sich nicht entschließt, die Demokratie jüdischer Prägung zum Teufel zu jagen, sind alle seine Rettungsversuche nicht anders zu bewerten als die aufbäumenden Versuche von Schlachttieren, sich in letzter Minute dem Schicksal zu entziehen, das auf sie im Schlachthause wartet.« 379 Vgl. hierzu auch Klemperer, 1996, 226.

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kenntnis, daß die Reinheit des deutschen Blutes Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes ist«, werde ehelicher und außerehelicher Verkehr mit Juden verboten.380 In seiner schon mehrfach herangezogenen geheimen Rede in Weimar am 23. Januar 1936 bedauerte Darré den »grundsätzlichen Gedankenfehler« des italienischen Faschismus und seinen falschen »Rassebegriff«  : »[…] klar, daß sich in der Blutsfrage nicht nur der Faschismus vom Nationalsozialismus unterscheidet, sondern jeder andere Nationalismus auch, welcher den Begriff des Volkes ausschließlich vom Raume her oder von der Staatsangehörigkeit seiner Bürger aus sieht.« Das »Judentum« habe, so fuhr Darré fort, sich als artfremder Blutsbestandteil in die Nationen einschleichen können, weil die Ideen von 1789 ja das Blut verneinten. […] Ich möchte den Satz aussprechen, daß das Judentum den Liberalismus und damit den Kapitalismus bewusst gefördert hat, um seiner Rasse die günstigsten Wachstumsbedingungen und Lebensmöglichkeiten zu schaffen  ; das Judentum ist aber die Gegenrasse zum Nordischen Menschen.

Nach dem Ersten Weltkrieg mit der parlamentarischen Demokratie in Deutschland und dem »jüdisch geführten Bolschewismus« in Russland habe sich »das Judentum erstmals offen an die Spitze des Kampfes um die Vernichtung des Nordischen Menschen« gestellt, belehrte er selbstsicher seine »Mitkämpfer«.381 »Antisemitismus«382 – von vorsichtiger Distanzierung bis zu brutaler Vernichtung – hat es schon immer gegeben, nicht erst seit Juden in der Diaspora leben und von Christen verfolgt wurden  – also lange bevor dieser Begriff im Jahre 1879 von dem Journalisten und Mitbegründer der »Antisemitenliga« Wilhelm Marr popularisiert wurde. Er sprach vom »Semitismus«, was natürlich das »Anti« herausforderte. Dabei war die konstruierte Feindschaft zwischen »Ariern« und »Semiten« irreführend, weil dabei Begriffe aus der Sprachwissenschaft auf Anthropologie und Ethnologie übertragen worden waren.383 Bis heute hat sich das missweisende Wort »Antisemitis380 RGBl. 1935 I, 1146 und Darré, BuB, 1941, 30 ff. 381 Geheime Rede Darrés am 23.1.1936 in Weimar (BA, Darré-NS 47b, Ms., 13 ff.). 382 Zum Begriff »Antisemitismus« vgl. aus der unübersehbaren Literatur Brunner/Conze/Koselleck, 1972, Bd. 1, 129 ff. Zur Geschichte und Psychologie des Antisemitismus vgl. u. a. Reichmann, o. J.; Pulzer, 1966  ; Gamm, 1964  ; Greive, 1983  ; Berding, 1988  ; Katz, 1989  ; Pfahl-Traughber, 1993 und 2002  ; Nipperdey, 2013a, Bd. II, 289 ff. und Rensmann/Schoeps, 2008. 383 Das Wort »Arier« (von arya [Sanskrit], vornehm, edel) ist ein Sammelbegriff für die indogermanische Sprachenfamilie. Dazu gehörten zunächst Meder, Perser, Inder, erst im 19. Jahrhundert kamen Griechen, Römer und Germanen als Schöpfer der europäischen Kultur hinzu. »Semiten« (von Sem, nach Gen 5,32 Sohn des Noah und Stammvater aller orientalischen Völkerschaften) waren ursprünglich alle Völker vorderasiatisch-orientalisch-arabischer Sprachen und Schriften. Erst im 19.  Jahrhundert wurde der Begriff ausschließlich auf die Juden eingegrenzt und von der Linguistik in die Völkerkunde übertragen. A. Schlözer (1761) und F. Schlegel (1808) waren Vorbereiter dieser Begriffsverwirrung, aber erst der französische Orientalist Ernest Renan (1823–1892) popularisierte den Antagonismus im

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mus«, das sich nicht gegen »Semiten«, sondern ausschließlich gegen Juden richtet, als Sammelbegriff für alle Arten von Judenfeindschaft erhalten. Es handelt sich um eine Obsession, die sich immer und überall der Stereotypisierung (»geldgeil«, »lügnerisch«, »heimtückisch«, »ausbeuterisch« usw.) und Dämonisierung (»Zersetzer«, »Weltverschwörer« usw.) bedient. »Ein Antisemit sieht ein Salzfass und faselt zwanghaft, dass die Juden schon zu Christi Zeiten die Salzpreise hochgetrieben hätten.« ( Josef Joffe) Solche Vorurteile haben Antriebe, die selten mit rationalen Mitteln zu erklären und zu bekämpfen sind. Sie sind tief ins Bewusstsein eingeprägt und kaum durch Erfahrung korrigierbar. Es irritiert dann überhaupt nicht, wenn Juden für die Folgen sowohl des Kapitalismus als auch des Kommunismus verantwortlich gemacht werden.384 Judengegnerschaft und Judenfeindschaft speisten sich zunächst aus der monotheistischen Religion des sich als »auserwählt« verstehenden Volkes Israel. Bei dem jüdischrömischen Historiker Flavius Josephus (ca. 37 bis ca. 100 n. Chr.) kann man nachlesen, dass es Antijudaismus bei arabischen Nachbarn, u. a. in Ägypten, lange vor Christi Geburt gab, und er berichtet auch, wie die noch unchristliche Besatzungsmacht Rom judenfeindlich eingestellt war. Als mit dem Christentum eine zweite monotheistische Religion hinzukam, eskalierte die Rivalität weiter, insbesondere als das Christentum römische Staatsreligion geworden war.385 Im christlich-europäischen Mittelalter waren Juden nicht nur Gottesleugner und Mörder Jesu Christi, sie waren auch fluchbeladen, weil sie (nach Mt 27,25) vor Pilatus ausgerufen hatten  : »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder  !« Schuldzuweisungen (wegen der Leidensgeschichte Christi) und Verteufelung (als angebliche Hostien- und Reliquienschänder, als Ritualmörder an christlichen Kindern und Brunnenvergifter) waren die Folgen. Das 4. Laterankonzil wollte 1215 »Mischehen« von Christen, Juden und Muslimen dadurch verhindern, dass die Unerwünschten eine besondere Kleidung tragen mussten  : Juden einen spitzen Hut, einen gelben Ring oder einen sechseckigen Davidstern. In der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft des Mittelalters waren und blieben sie Fremde, wegen der Zunftordnungen waren ihnen handwerkliche Berufe verwehrt und als Händler und Geldverleiher waren sie ein leichtes Ziel für Aggressionsbereitschaft, verdeckte und offene Feindseligkeit, ja brutale Gewalt und Pogrome – von München 1285 bis Kiew 1911. Beispielsweise wurden sie 1290 aus England und 1492 aus Spanien vertrieben. Luthers berüchtigte Polemik Von den Juden und ihren Lügen konnte noch nicht »antisemitisch« motiviert sein, weil es im 15. Jahrhundert noch keine rasrassistischen Sinne. Er sprach 1855 von den Semiten als »race inférieur«. Vgl. Young, 1968, 138 ff. und Kiefer, 1991, 104. 384 Zur Geschichte des Begriffs »Antisemitismus« vgl. Nipperdey/Rürup, 1972 und Fenske, 1991, 802 ff. Zur Identifizierung so unterschiedlicher Phänomene wie Liberalismus, Marxismus, Materialismus, Kapitalismus usw. mit dem Judentum vgl. u. a. Lerch, 1950, 257 ff. Weil meist Juden den Antisemitismus erforschten, ist die Frage, welchen Anteil sie selbst an dem Phänomen hatten, völlig unterbelichtet. 385 Flavius Josephus, Contra Apionem. Text, übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Dagmar Labow. Stuttgart 2005.

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sistisch definierte Judenfeinschaft gab. Aber Judenfeindschaft war, vor und nach der Erfindung des Begriffs »Antisemitismus«, ein grenzüberschreitendes Phänomen.386 Doch Darrés antisemitische Ressentiments waren weder antijudaistisch noch antizionistisch (Israel in Palästina als jüdische »Heimstatt«) motiviert, sondern  – dem Zeitgeist zu Beginn des 20.  Jahrhunderts entsprechend  – ausschließlich rassistisch. Sein Antisemitismus hatte sich schon in Georg Schönerers Diktum manifestiert  : »Was Juda glaubt, ist einerlei, im Blute steckt die Schweinerei  !« Darré definierte einen jüdischen Menschen nicht nach dessen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, für ihn waren Juden eine »Rasse«, ein Volk. Sein Bild von »den« Juden orientierte sich noch dazu am orthodoxen religiösen Judentum und seinen traditionellen Denkund Verhaltensmustern. Ja, manche dieser uralten Religionsgesetze und alltagsweltliche Anweisungen aus dem Talmud galten ihm sogar als vorbildlich für seine eigenen »Aufzuchtpläne« der »Nordischen Rasse«. Hierzu gehörte u. a. die Überhöhung der Mutterrolle, die durch die »Halacha« eine einzigartige Bedeutung für die Stammesgemeinschaft der »Kinder Abrahams« erhielt. Wenn nur jüdische Frauen jüdische Kinder gebären können, gilt biologisches Erbgut, das »Gesetz des Blutes«, als entscheidend dafür, wen Jüdinnen und Juden heiraten und mit wem sie Kinder zeugen (dürfen).387 Wenn man nur Jude sein, aber nicht werden kann, ist es auch nicht hilfreich, zur jüdischen Religionsgemeinschaft überzutreten. Und umgekehrt gilt dann für jüdische Konvertiten, dass sie weiterhin Juden bleiben. Wenn sich Juden als ethnische Gemeinschaft verstehen, als Volk, wenn nur die Erben Abrahams »gesegnet« sind, dann sind Religion und Rituale zweitrangig, eigentlich dienen sie nur zur Stabilisierung einer jüdischen »Volksgemeinschaft«.388 386 Vgl. u. a. P. Schäfer, 2010  ; Junginger, 2011, 25 ff.; Manzmann, 1981 und Aly, 2017 sowie – begrifflich missverständlich und unscharf – Thomas Kaufmann, Luthers Juden. Stuttgart 2014, 10 f. Es gab aber, wie die Vorgeschichte der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 zeigt, auch im christlichen Antijudaismus schon rassistische Elemente. Die Lehre von der »Erbsünde« und das Konzept der Abstammung (limpieza de sangre – Reinheit des Blutes) wurden benutzt, um die jüdischen Konvertiten (cristianos nuevos) als »blutlich Verunreinigte« zu identifizieren und auszugrenzen. Vgl. Hering Torres, 2006 und Grüttner, 1996, 166 ff. 387 Zu dieser Sichtweise vgl. den notorischen Antisemiten Adolf Bartels (1920, 151)  : »Die Juden verdienen Bewunderung, denn sie haben mit absoluter Sicherheit nach der Logik und Wahrheit ihrer Eigenart gehandelt, und nie hat die Humanitätsduselei (welche die Juden nur insofern mitmachten, als sie ihnen selber zum Vorteil gereichte) sie auch nur für einen Augenblick die Heiligkeit der physischen Gesetze vergessen lassen. Man sehe doch, mit welcher Meisterschaft sie das Gesetz des Blutes zur Ausbreitung ihrer Herrschaft benutzen  : Der Hauptstock bleibt fleckenlos, kein Tropfen fremden Blutes dringt hinein  ; heißt es doch in der Thora  : ›Kein Bastard soll in die Gemeinde Jahves kommen, auch nicht nach zehn Generationen‹  ; inzwischen werden aber Tausende von Seitenzweiglein abgeschnitten und zur Infizierung der Indoeuropäer mit jüdischem Blute benutzt. Ginge das ein paar Jahrhunderte so fort, es gäbe dann in Europa nur noch ein einziges rassereines Volk, das der Juden, alles Übrige wäre eine Herde pseudohebräischer Mestizen, und zwar ein unzweifelhaft physisch, geistig und moralisch degeneriertesVolk.« 388 Kritisch dazu, eine biologisch bzw. genetisch begründete jüdische Identität feststellen zu wollen  : Sand,

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Auch diejenigen, die  – wie Theodor Herzl (Der Judenstaat, 1896), der Begründer der zionistischen Bewegung, oder David Ben-Gurion, der »Gründervater« Israels  – vom »jüdischen Volk« sprechen und damit nicht das Volk des Staates Israel meinen, sehen im Judentum nicht eine Religions-, sondern eine »Blutsgemeinschaft« (Franz Rosenzweig). Eine solche Sichtweise, die das Judentum auch nicht über den Bürgerwillen, sondern über das Erbgut definiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, selbst rassistisch zu sein.389 Sie fördert nicht nur die gesellschaftliche Abgrenzung, sie ist auch mit einem modernen, multikulturellen Staatsverständnis nicht vereinbar  ; denn sie diskriminiert andere Ethnien, wenn sie z. B. unterschiedliche staatsbürgerliche Rechte daraus ableitet. Hier wird – wie auch bei Darré – als »Natur« ausgegeben, was in Wirklichkeit Kultur oder Tradition ist. Alle Versuche, »Rassen« anhand äußerer Merkmale zu identifizieren, sind sowohl in der Humanbiologie als auch in Anthropologie und Ethnologie fehlgeschlagen.390 Sie haben aber in der Politik verhängnisvolle Folgewirkungen gezeitigt. 2011. Der israelische Historiker vertritt die These, dass die Vorstellung, es gebe ein »jüdisches Volk« als ethnische Gemeinschaft, eine Idee sei, die von den Zionisten aufgegriffen wurde als Rechtfertigung für die Ansiedlung der Juden in Palästina und als Grundlage für die Ausbildung einer israelischen Identität. Diese israelische Identität sei im modernen, multikulturellen Israel aber ein Anachronismus. Solch ein »positiver Rassismus« – den übrigens auch Darré bei seinem Prozess in Nürnberg für sich reklamierte – wird in Israel von denjenigen fundamentalistischen Juden in Anspruch genommen, die Araber, Palästinenser oder Äthiopier ausgrenzen (wie der Jerusalemer Fußballclub »Betar« mit dem Slogan »Betar bleibt auf ewig rein  !«) oder »Mischehen« zwischen Jüdinnen und Palästinensern verhindern wollen (wie die jüdischen Vereine »Brüderliche Hilfe« und »Lehava«). In diese Kategorie eines angeblich »positiven« Rassismus« gehört auch das »am echad« (»ein Volk«, d. h., »wir sind ein Volk und müssen zusammenhalten«), das in Israel gern in Not- oder Streitfällen benutzt wird. Vgl. Moshe Zimmermann in Berliner Zeitung v. 15.7.2014, 23 und Malte Lehming in Der Tagesspiegel v. 16.8.2014, 6  ; vgl. auch Alphons Silbermann, Was ist jüdischer Geist  ? Zur Identität der Juden. Zürich 1984. 389 Vgl. Mühlen, 1977, 16 f.   : »Der Anspruch der gemeinschaftlichen Abstammung von Abraham, das religiös verankerte Bewußtsein der Auserwähltheit und der Messianismus, verbunden mit dem zeitweilig strengen Gebot der Reinheit des Blutes, trägt bereits Züge eines ethnographischen oder gentilen Rassismus.« Die Frage drängt sich geradezu auf, ob das, was die jüdisch-orthodoxe Siedlungsbewegung unter dem Leitmotiv »Eretz Israel« mit augenzwinkernder Duldung und finanzieller Unterstützung der israelischen Regierung praktiziert, etwas mit »Blut« und »Boden« zu tun hat. Die israelischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland sind nach Art. 49 Abs. 6 des Genfer Abkommens IV aus dem Jahre 1949 völkerrechtswidrig. 390 Die Frage, ob die Juden eine eigene »Rasse« seien, wurde schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch in Kreisen jüdischer Wissenschaftler kontrovers diskutiert  : Der Ethnologe Elias Auerbach sprach (»Die jüdische Rassenfrage«, in  : Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, 4/1907, 332 ff.) von einer »reinen jüdischen Rasse« und kämpfte vehement gegen die 1905 geäußerte Meinung seines Lehrers Felix von Luschan (Völker, Rassen, Sprachen. Berlin 1922), Juden seien ein »Rassengemisch«. Zum Thema jüdischer »Mischehen« vgl. auch J. M. Judt, Die Juden als Rasse. Berlin 1903. Bei den assimilierten Juden etwa des »Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« war diese Position höchst umstritten. Vgl. Kiefer, 1991 und Lipphardt, 2008. Bis heute wird über die Frage, was das Judentum ausmacht und wie jüdische Identität zu definieren

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Juden hatten zwar in Preußen seit Hardenbergs Reformen 1812 oder in Württemberg seit 1831/1849 die jeweilige Staatsbürgerschaft erhalten, blieben aber weiter für »völkisch« denkende Zeitgenossen Juden. Schon der Dichter der deutschen Einheitssehnsucht, Ernst Moritz Arndt, den auch Darré verehrte, befürchtete zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine »Bastardisierung« der germanischen Völker durch »Blutsmischung« mit dem »fremden Volk« der Juden. Für ihn waren sie »Fliegen, Mücken und anderes Ungeziefer«. Und Paul de Lagarde brachte diese Wortwahl auf den Punkt  : »Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt. Trichinen und Bazillen werden auch nicht ›erzogen‹, die werden so rasch und gründlich wie möglich unschädlich gemacht.«391 Wer aber  – wie auch Darré  – »Schmarotzer« sagt, muss wissen, dass andere »Ungeziefer« verstehen. Wer »Ungeziefer« sagt, muss wissen, dass andere »ausrotten« verstehen und entsprechend handeln. Zyklon B, mit dem Juden im »Dritten Reich« vergast wurden, war ursprünglich ein Schädlingsbekämpfungsmittel. sei, debattiert. Ein israelischer Schriftsteller, 1936 in Jerusalem geboren, schrieb hierzu (Das Parlament, 11.4.2005)  : »Die Juden sind Leute, die Wesensmerkmale sowohl einer Nation als auch einer Religion aufweisen. Jedoch sind sie weder eine Nation noch eine Religion, sondern eine problematische Mischung.« So gibt es (alle Beispiele wurden entnommen aus Die Zeit, 12.8.2010  ; Der Tagesspiegel, 9.8. und 18.10.2010 sowie 17.9. und 19.11.2012  ; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.6.2004 und 5.1.2016 sowie Die Welt, 3. und 5.4.2011) Menschen, die sich als »nichtgläubige Juden« bezeichnen (z. B. Tony Judt, in London geborener Historiker, Vater Belgier, Mutter Russin, der in New York lebte)  ; es gibt Menschen, die sich nicht als »Jude« verstehen, sondern »jüdischer Herkunft« sein wollen (z. B. Alfred Grosser, 1925 in Frankfurt am Main geborener Spross einer jüdischen Familie, der in Paris lebt)  ; es gibt Menschen, die sich als »schlechter Jude, weil nur vom Vater her« kennzeichnen (z. B. Stéphane Hessel, in Berlin geborener und 1937 nach Frankreich emigrierter Diplomat), und es gibt Menschen, die sich als ein »jüdisch gottgläubiger Heide« sehen (z. B. György Konrád, ungarischer »Holocaust«Überlebender). Die Judaistin Salcia Landmann verweist in ihrem erstmals 1967 erschienenen Buch Die Juden als Rasse darauf hin, das Thema einer »rassischen Besonderheit« der Juden sei tabuisiert worden, weil im Namen der »Rasse« gemordet worden sei. Dagegen spricht sie bewusst von einem »jüdischen Volk« und vom »zum Teil rassisch bedingten Anderssein der Juden« (dt. Ausg. 1981, 32 f. und 337). Wenn es aber keine jüdische »Rasse« gibt, sondern eine jüdische Religionsgemeinschaft, dann gibt es auch keine Unterscheidung von Juden und Deutschen, sondern von Christen und Juden oder Israelis und Deutschen  – mit der entsprechenden Staatsbürgerschaft. Gleichwohl spricht der derzeitige israelische Ministerpräsident Netanjahu vom »Staat Israel und dem jüdischen Volk« und der Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, von Israel als der »Heimat des jüdischen Volkes« (Der Tagesspiegel, 22.2.2015 und 3.7.2016). Beide stehen damit ganz in der Tradition des Gründungsmythos des Staates Israel  : 1961 wurde Adolf Eichmann »wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk« zum Tode verurteilt. Auch der Diplomat Shimon Stein und der Historiker Moshe Zimmermann nennen den Staat Israel »Alleinvertreter des gesamten jüdischen Volkes« (Der Tagesspiegel, 12.7.2015). Auch Martin Walser spricht in seinem Essay über seinen jiddisch schreibenden Kollegen Scholem Jankew Abramowitsch 2014 vom »jüdischen Volk«. Andererseits wurde die »Kach-Bewegung« des orthodoxen Rabbiners Meir Kahane 1988 in Israel als »rassistisch« verboten. Ausgesprochen geschickt zog sich der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn aus der Affäre, als er in einer Talkshow am 21.6.2017 nicht von einem »jüdischen Volk«, sondern von einer »jüdischen Gemeinschaft« sprach. 391 Paul de Lagarde, Juden und Indogermanen. Göttingen 1888, 339 (zit. n. Gamm, 1968, 312).

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Dieser »eliminatorische Antisemitismus« (Daniel Goldhagen) speiste sich im deutschen Biedermeier zwar noch aus dem alten christlichen Antijudaismus, hatte aber auch schon rassistische Elemente, lange vor den »modernen« Rassenlehren. Hartwig von Hundt-Radowsky war 1819 der erste Deutsche, der öffentlich die Ausrottung der Juden forderte. Er nahm quasi den Ablauf des »Holocaust« vorweg, indem er Stigmatisierung, Ausraubung, Versklavung, Deportation und Vernichtung der Juden möglichst außerhalb deutscher Grenzen und mit Hilfe anderer Völker forderte. Bei ihm gab es schon den »Rassejuden«, der nicht durch seinen Glauben erkennbar ist, sondern überall lauert, wo mit wenig Einsatz Geld und Publicity zu ernten seien. Das war schon weit mehr als der aggressiv ethnozentrische Antisemitismus eines Ernst Moritz Arndt oder die judenfeindlichen »Hep-Hep«-Krawalle (»Jude verreck  !«) von 1819 in Würzburg, Frankfurt am Main und Hamburg.392 Mit ihrer Emanzipation hatte sich zwar die Rechtsstellung der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbessert, was gleichzeitig sozialen Aufstieg zur Folge hatte. In ihrer religiös-kulturellen und sozialen Absonderung konnten sie aber weiterhin in der christlichen Mehrheitsgesellschaft als Nichtzugehörige, als Fremde wahrgenommen werden. Entschlossen sie sich zur Assimilation, ließen sie sich taufen und waren sie in ihren jeweiligen Berufen erfolgreich, setzte dies Neid und Missgunst frei und förderte eine aus antijüdischen Voreingenommenheiten und Vorurteilen verstärkte Aggressionsbereitschaft und Ausgrenzung. Dies wiederum führte bei den so als Störenfriede stigmatisierten Juden zu Solidarität und einem Zusammengehörigkeitsgefühl, das Selbstausgrenzung im Bewusstsein gemeinsamer Abstammung als Volk und Religionsgemeinschaft hervorrief. Es war die Tragik der jüdischen Assimilationsbewegung, dass die Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert auf den rassistischen Sozialdarwinismus stieß, der mit dem Anspruch naturwissenschaftlich begründeter »Wahrheit« daherkam. Wie sehr diese Mechanismen in der Realität durchaus Bestätigung in Einzelfällen finden konnten, macht das Beispiel des »Eisenbahnkönigs« Bethel Henry Strousberg (eigentlich Baruch Hirsch Strousberg, eingedeutscht  : Barthel Heinrich Strausberg) deutlich. Er war einer der bedeutendsten Unternehmer im 19.  Jahrhundert, Eisenbahnmagnat und Betreiber des Berliner Viehmarktes. Diese schillernde Persönlichkeit war zwar schon als junger Mann in London zum Christentum konvertiert, wurde aber als jüdischer Außenseiter in Preußen zeitlebens beargwöhnt. Als er wegen seiner unseriösen Aktiengeschäfte beim Ausbau des preußischen Eisenbahnnetzes auffiel und 1875 wegen Kreditbetruges in St. Petersburg festgenommen wurde, gingen im Zuge 392 Man kann in diesem Zusammenhang leider auch Martin Luther nicht übergehen, der Juden als »Fremd­linge« kennzeichnete, die »aus unserem Land vertrieben werden« müssten. In seinen Tischreden findet sich sogar eine biologistische Begründung für seinen Judenhass  : »So wie die Elster das Rauben nicht lassen kann, so kann der Jude nicht davon absehen, Christen umzubringen.« (Vgl. Thomas Kaufmann, Luthers Juden. Stuttgart 2014.) Im Übrigen  : Fasel, 2010  ; Manzmann, 1981, 54 und E. L. Ehrlich, 1963, 209 ff.

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des »Gründerkraches« 1873 seine Unternehmen in Konkurs.393 Als Prototyp des »jüdischen Kapitalisten« bediente er alle antisemitischen Vorurteile seiner Zeit. In dem beschriebenen Aktions-Reaktions-Mechanismus war aber selten von einzelnen Juden die Rede, sondern von »den«, d. h. allen Juden, egal welche Konfession oder Staatsangehörigeit sie hatten. Der circulus vitiosus brachte Klischees wie den Mythos vom jüdischen Weltmachtstreben oder den vom Juden als notorischem Lügner und Betrüger hervor. Oft mussten Juden als Projektionsobjekte für Ängste, Sorgen und Probleme herhalten, die einen völlig anderen Hintergrund hatten, und wurden ›Prügelknaben‹ für verdrängte Aggressionen. Um die eigene religiöse, kulturelle, ethnische oder soziale Identität zu stabilisieren oder aufzuwerten, bedrohten »die« Juden  – je nach historischer Situation – angeblich die Einheit der Christenheit, die von Volk und Nation oder die der »rassischen« Homogenität. Solche Stereotype erreichten mit dem Rassenantisemitismus im 19. Jahrhundert einen unübertreffbaren Höhepunkt. Der christliche Antijudaismus unterschied sich vom »völkischen« Rassenantisemitismus dadurch, dass der angebliche Makel durch einen Konfessionsübertritt ›geheilt‹ werden konnte. Der nun propagierte Biologismus der »Rasse« machte aus der rassistischen Zuordnung eine »naturgesetzliche« und damit unumkehrbare Tatsache. Aus Anhängern des mosaischen Glaubens wurden – durch Biologisierung – Angehörige der »jüdischen Rasse« und dieses stigmatisierte sie und ihre Nachfahren für alle Zeiten als Träger »jüdischen Blutes«. Dagegen war kein Kraut mehr gewachsen  : Weder religiöse Bekehrung noch gesellschaftspolitische Emanzipation oder Assimilation konnten da noch helfen. Das perfide Konstrukt des »ewigen Juden« war entstanden. Schon 1873 beklagte der linksradikale Journalist Wilhelm Marr die »Verjudung der Gesellschaft«, die durch die rechtliche Gleichstellung in der Reichsverfassung von 1871 kodifiziert worden sei. Sein Menetekel lautete  : Ein »Sieg des Judenthums über das Germanenthum« habe »Finis Germaniae« zur Folge.394 1876 schrieb der Journalist Otto Glagau, der sein ganzes Vermögen in der Finanzkrise nach der Aufblähung des Marktes durch die französischen Reparationsgelder in der Gründerzeit verloren hatte, in dem viel gelesenen Wochenblatt Die Gartenlaube  : »Die ganze Weltgeschichte kennt kein zweites Beispiel, daß ein heimatloses Volk, eine physisch wie psychisch entschieden degenerierte Race, blos durch List und Schlauheit, durch Wucher und Schacher über den Erdkreis gebietet.« Er stellte »die Juden« als Schuldige an dem finanziellen Desaster an den Pranger und forderte, »gegen die Auswüchse, Ausschreitungen und Anmaßungen der Judenherrschaft« müsse etwas unternommen werden.395 393 Vgl. Borchart, 1991 und Winkler, Bd. I, 2002, 227 ff. 394 Wilhelm Marr, Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet. Bern 1879. Das Buch wurde zur Zeit des Gründerkrachs so populär, dass es im selben Jahr noch mehrfach aufgelegt wurde. 395 Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. Leipzig 1876, zit. n. Greive, 1983, 79. Als

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Auch der evangelische Theologe und Pastor Adolf Stoecker, 1870/71 Divisionspfarrer im deutsch-französischen Krieg, machte in seinen Hasspredigten »die Juden« für das Fiasko im Gründerkrach der 1870er Jahre verantwortlich, weil sie nicht durch »sittliche Arbeit«, sondern durch »korrupteste Geschäftspraktiken« ihr Vermögen erwerben würden. Auf die selbst gestellte Frage, was geschehen müsse, um »dem jüdischen Capital den nöthigen Zaum anzulegen«, schlug er u. a. folgende Maßnahmen vor  : »Beseitigung des Hypothekenwesens im Grundbesitz«  ; »Änderung des Creditsystems«  ; »Änderung des Börsen- und Aktienwesens«  ; »Änderung des Missverhältnisses zwischen jüdischem Vermögen und christlicher Arbeit«  ; »Einschränkung der Anstellung jüdischer Richter auf die Verhältnißzahl der Bevölkerung«  ; »Entfernung der jüdischen Lehrer aus unseren Volksschulen« und »Rückkehr zu mehr germanischem Rechts- und Wirtschaftsleben«.396 1892 nahm die »Deutschkonservative Partei« auf Betreiben Stoeckers den »Kampf gegen den zersetzenden jüdischen Einfluß« in ihr Programm auf. Die ursprünglich religiös, politisch, wirtschaftlich und sozial akzentuierten antijudaistischen Strömungen, die in Deutschland besonders seit der Wirtschaftskrise Mitte der 1870er Jahren großen Aufschwung erhalten hatten, nahmen begierig die »Beweise« der biologisch begründeten Rassenlehren Gobineaus, Chamberlains, Lagardes und Vacher de Lapouges auf. In dieser Tradition stand auch Darrés Antisemitismus.397 Symptomatisch dafür, dass solches Denken auch im »linken« politischen Lager Fuß fassen konnte, ist das 1881 erschienene Buch Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage des Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, Eugen Dühring (1833–1921). Er schrieb u. a.: »Der Jude kann nur die Früchte anderer Völker und Kulturen stehlen und ausbeuten. Als Parasit fühlt er sich am wohlsten in einer etwas korrumpierten Gesellschaft.« So hat auch Darré »den« Nomaden als Menschentypus charakterisiert. Dühring, der seit 1861 völlig erblindet und 1877 wegen Beleidigung von Kollegen aus dem Universitätsdienst entlassen worden war, machte erstmals darauf aufmerksam, dass sich am »rassischen« Status der Juden durch die christliche Taufe nicht das Mindeste ändere, sondern dass es eine »blutsmäßige«, d. h. naturgesetzliche Bestimmung des Menschen gebe. Und ganz im Einklang mit dem antisemitischen Zeitgeist forderte Dühring  : »Der unter dem kühlen Himmel gereifte nordische Mensch hat die Pflicht, die parasitären Rassen auszurotten, wie man eben Giftschlangen und wilde Raubtiere ausrottet.«398 die Finanzblase platzte, wurden in Deutschland 61 Banken, 116 Industriebetriebe und vier Eisenbahngesellschaften, unter ihnen auch die von Strousberg, zahlungsunfähig. 396 Stoecker, 1880, 19 f. 397 Zwischen 1873 und 1890 erschienen in Deutschland mehr als 500 Schriften über die »Judenfrage«, wobei rassistische Argumente zunehmend die Oberhand gewannen. Immer ging es um »die Befreiung unseres Volkslebens von dem Überwuchern jüdischen Einflusses.« Theodor Fritschs Antisemiten-Katechismus von 1887 erzielte in sechs Jahren die 25. Auflage. Zum Kontext vgl. Nipperdey, 2013a, Bd. I, 497 f. 398 Um die »Weltherrschaft« zu erringen, nach der das »parasitäre Judentum« (Marr) strebe, schlug

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Für den in Göttingen ausgebildeten und als Hochschullehrer seit 1871 in Wien wirkenden Orientalisten Adolf Wahrmund (1827–1913) waren Juden (wie Araber) »Nomaden« und er sprach schon das aus, was Darré in diesem Zusammenhang später zunächst vermied, aber auch meinte  : Sie seien als solche »Parasiten«, die sich »von jeher jeder wirklichen Arbeit fernhalten« würden und sich vom Ausplündern ansässiger Bauern ernährten. Wahrmund, der auch Theologie studiert hatte, sprach vom »ewig wandernden Juden« als Antipoden einer im Boden »verwurzelten arischen Bauernschaft« und er forderte die »Ausscheidung des jüdischen Fremdkörpers« und die »Vernichtung des jüdischen Volkes«. Denn das »Ideal« der Juden sei »die Herrschaft über die anderen, über die Welt, von der sie wollen, daß sie als Sklave ihnen zu Füßen liege.«399 Wichtigste Grundlage des Rassenantisemitismus war die Fixierung des Phänomens »Rasse« als ein ehernes Gesetz der Natur, aus dem es kein Entrinnen gibt – auch nicht durch die Taufe. »Der Jude« sei von Natur aus ebenso determiniert, schlecht zu sein, wie »der Germane« oder »Arier« alles Gute und Positive sein Eigen nennen könne, lautete das »völkische« Dogma. Auch Darré sprach vom »Wissen, dass Erbmasse unveränderlich ist«. Da spielte es auch keine Rolle, wenn von den Juden, die sich mit ihren »Wirtsvölkern« immer wieder vermischt hätten, als »Mischvolk« die Rede war.400 Eine solche Lehre bedeutete für das noch junge und unausgegorene deutsche Nationalbewusstsein, Juden als potentielle Gefahr für das eigene Volk und seine Identität anzusehen. Es kann daher nicht verwundern, dass der international verbreitete Antisemitismus in Deutschland besonders stark ins Kraut schoss. Beide, Nationalismus und Antisemitismus, spielten sich gegenseitig den Ball zu. Da man »die Juden« als Dühring Maßnahmen wie »Einpferchung« oder Zwangsausweisung vor. Selbst eine »Endlösung« als letzte Konsequenz zeichnet sich bei ihm schon ab. Von Dühring stammt auch das Wort vom »ewigen Juden«, das im »Dritten Reich« den Titel eines Filmes hergab. Sein Buch Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Leipzig 1881 wurde bis 1930 sechsmal aufgelegt. Vgl. auch ders., Die Judenfrage als Frage des Rassencharakters und seiner Schädlichkeiten für Existenz und Kultur der Völker. Karlsruhe 1880, 6. Aufl. Leipzig 1933. (Zitat nach  : Landmann, 1981, 41.) Dühring, der den Begriff »Antisemitismus« ablehnte, weil er beschönigend wirke, verwendete auch schon das Bild von den Deutschen als »Wirtsvolk« und den Juden als »Schmarotzer«. Auch Hitler benutzte in seinem bekenntnishaften Programmbuch Mein Kampf die Metaphern »Ungeziefer« und »Blutsauger« für Juden und nannte sie wechselweise »Bazillenträger«, »Maden«, »Spaltpilze«, »Blutegel«, »Drohnen«, »Volksparasiten« oder »Völkervampyre«. Wie Luther benutzte Hitler in einer Rede am 12.4.1922 auch das Wort »Natterngezücht« ( Jäckel/Kuhn, 1980, 603). Das Judentum war für ihn eine »Rassentuberkulose der Völker«, es müsse – in Gottes Namen – ausgerottet werden  : »Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.« (Hitler, 1932, 70) Vgl. auch Berning, 1964, 13 f. mit dem Hinweis, dass Propagandaminister Goebbels ab 1935 durch Presseanweisungen versuchte, das Wort »antisemitisch« durch »antijüdisch« zu ersetzen. 399 Adolf Wahrmund, Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft. Leipzig 1887. Zit. n. Landmann, 1981, 42 f. 400 Geheimrede Darrés am 23.1.1936 in Weimar (BA, Darré-NS 47b, Ms., 13) und Felix von Luschan, Völker, Rassen, Sprachen. Berlin 1922.

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Verkörperung des Universalismus ansah, wurden sie als »Krebsgeschwür am deutschen Volkskörper« diffamiert und standen angeblich der Nationsbildung im Wege. Selbst Walther Rathenau, der 1914 die Leitung der Rohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium übernahm und 1922 Reichsaußenminister wurde, veröffentlichte 1897 einen kritischen Aufsatz mit dem Titel »Höre Israel«, in dem er sich ausdrücklich zu seinem Judentum bekannte, andererseits aber gegen »eine asiatische Horde auf märkischem Sand« und gegen ein »Volk von Krämern und Maklern« wetterte. Dabei hatte er sicherlich die in großer Zahl nach Preußen und Berlin eingewanderten Juden aus Osteuropa vor Augen. Er machte sie mitverantwortlich für antisemitische Strömungen, weil viele sich in Ghettos absonderten und nicht zur Integration in die Mehrheitsgesellschaft bereit seien. Später (Staat und Juden, 1911) distanzierte er sich von dieser Position und erkannte auch staatliche Diskriminierung als Ursache der problematischen Lage der Juden in Deutschland an. Nach dem verlorenen Krieg galt Rathenau der »völkischen« Rechten als Personifizierung der Dolchstoßlegende und der »Erfüllungspolitik«. Er wurde 1922 von Verbrechern aus dem rechten politischen Milieu ermordet. Darré benutzte, wie dargelegt, Rathenaus kritische Äußerungen als Bestätigung für seine antisemitischen Ansichten.401 1891 hatte Friedrich Ratzel den »Alldeutschen Verband« (AdV) mitgegründet. Der Mainzer Justizrat Heinrich Claß, der von 1908 bis zu seiner Auflösung 1939 Vorsitzender des AdV war, hatte 1914 eine Denkschrift lanciert, in der eine territoriale Expansion Deutschlands in Europa, ein mitteleuropäischer Wirtschaftsverbund und weitere Kolonien (Rohstoffe und Absatzmärkte) als Kriegsziele im Namen des »völkischen« und antisemitischen Honoratiorenverbandes gefordert wurden. In seinem Buch Wenn ich der Kaiser wär’. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, das er 1912 publizierte und das bis 1914 fünf Auflagen erzielte, schrieb er u. a.: Eine Gesundung unseres Volkslebens, und zwar aller seiner Gebiete, kulturell, moralisch, politisch, wirtschaftlich, und die Erhaltung der wiedergewonnenen Gesundheit ist nur möglich, wenn der jüdische Einfluß entweder ganz ausgeschaltet oder auf das Maß des Erträglichen, Ungefährlichen zurückgeschraubt wird. […] Die sogenannte »Humanität« […] mag wieder gelten, wenn wir politisch, sittlich, gesundheitlich und kulturell reformiert sind […], und danach wird sie ihre Grenze immer finden müssen an dem Gesetze, daß der Gesundheit des Volkes jedes Opfer gebracht werden muß.

Zusammen mit dem fast gleichzeitig gegründeten »Bund der Landwirte« (BdL) stand der AdV an der Spitze der Agitation aller damals den Zeitgeist bestimmenden »völkischen« Gruppierungen, zu denen auch seit 1898 der »Deutsche Flottenverein« gehörte. Claß war 1894 Mitgründer des geheimlogenähnlich agierenden »Deutschbundes« und 401 Zu Rathenaus empfundener Doppelidentität als Preuße bzw. Deutscher und als Jude vgl. Gerstner, 2008, 54 f. und W. Brenner, 2005.

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seit 1897 AdV-Mitglied. Auch Darré gehörte dem AdV an, bis er 1929, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, seinen Austritt erklärte.402 Nationalismus, Antisemitismus und Fin-de-siècle-Stimmung, das angstvolle Gefühl drohender Dekadenz waren ausgezeichnete Voraussetzungen für ein immer weiteres Umsichgreifen der geistigen Seuche von »Rassen«-Mystik und »Rassen«-Wahn.403 Um die Eigenständigkeit und Größe Deutschlands zu erhalten und zu mehren, verfiel man nicht nur in anmaßende Überheblichkeit und übertriebene Selbstbehauptung nach außen, sondern auch die Feinde im Innern, die »Träger fremden Blutes«, vornehmlich »die Juden«, mussten an ihrer »planvollen Unterwühlungsarbeit« gehindert werden. Dabei half der angeblich naturwissenschaftliche Nachweis der Überlegenheit und Höherwertigkeit der »Arier« gegenüber den »Semiten«. Neurohr stellt dazu treffend fest  : »Was der Rassenlehre ihren Auftrieb gab, aus ihr einen politischen Faktor und eine politische Kraft machen sollte, mit andern Worten, was sie zu einem sozialen Mythos im Sinne Sorels werden ließ, war ihr Antisemitismus.«404 Eva Reichmann hat die Verstärkung der Judenfeindschaft aus dem Geist des spezifisch deutschen Nationalismus treffend so dargestellt  : Unreif, unfertig, ungefestigt, seiner selbst nicht sicher und nicht froh, – so schweifte der deutsche Nationalismus durch Idee und Leben der neuen Zeit. Bald sich selbst erniedrigend, bald sich zum Herrscher der Welt aufwerfend  ; bald im Schmollwinkel und bald mit der drohenden Geste des Eroberers  ; bald um Mitleid flehend und bald des Mitleids spottend  : so stieß er auf der Flucht vor der eigenen Haltlosigkeit auf das jüdische Opfer. Hier nun hoffte er endlich sich selbst zu finden. Wo immer wir eine über das Durchschnittsmaß hinausgehende antisemitische Neigung bei den deutschen Geistigen, auch bei der breiteren Akademikerschaft und den sogenannten Gebildeten antreffen, ist ihr Ursprung in dieser Anomalie des deutschen Nationalismus zu suchen.405

Wie aber konnte ausgerechnet in der Zeit der jüdischen Emanzipation und rechtlichen Gleichstellung der Antisemitismus weiter radikalisiert werden  ? Neben dem Rassismus spielte hierbei auch der Zusammenhang der »nationalen« und der »sozialen Frage« eine wesentliche Rolle.406 Insbesondere die Landwirtschaft, deren Position als »primärer Sektor« der Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert durch die fortschreitende Industrialisierung gefährdet war, war für antisemitische Erklärungen ihrer materiellen 402 Frymann (Class), 1914, 74 und 105 sowie Pulzer, 1966, 183 ff.; Chickering, 1984 und StAG, NLD, Nr. 86. Vgl. auch Leicht, 2012 sowie M. Peters, 1992  ; Hering, 2003 und Walkenhorst, 2007. 403 Günther, 1925, 9, betonte ausdrücklich, dass die Fin-de-siècle-Stimmung »zu einem Aufbruch nach neuen Ufern« geradezu herausgefordert habe. 404 Neurohr, 1957, 150. 405 Reichmann, o. J., 156 f. 406 Vgl. hierzu Kampmann, 1973 und M. Zimmermann, 2005.

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Existenz- und ihrer sozialen Orientierungskrise offen. Die »Bauernbefreiung« durch die Hardenbergschen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachten zwar für die Bauern die Abschaffung der feudalen Rechtsordnung, aber keinen sozialen Aufstieg, sondern eine Freiheit in materiellem Elend, wie Darré nicht müde wurde zu betonen.407 Daraus entwickelten sich immer wieder auch antisemitisch unterlegte Ausschreitungen gegen jüdische »Wucherer«, »Halsabschneider« und »Ausbeuter«, womit jüdische Geld-, Vieh- und Getreidehändler gemeint waren, z. B. 1819 in Württemberg und 1830 in Baden. 1876 erklärte Otto Glagau apodiktisch  : »Alle Juden und Völker jüdischer Abkunft sind geborene Gegner der Landwirtschaft.«408 Als Bismarcks Bündnis mit den Nationalliberalen zerbrach, förderte dies einen protektionistischen Wirtschaftskurs, von dem die heimische Landwirtschaft, insbesondere die aristokratischen Großgrundbesitzer mit ihren riesigen Getreidefeldern in Ostelbien, aber auch die Industrie am meisten profitierten. Der Verfall der Getreidepreise durch nordamerikanische »Überflutung« des Weltmarktes führte zu einer Abkehr von liberalen Handelsstrukturen, zu Schutzzoll und einer ›unheiligen Allianz‹ von Roggen und Eisen, Rittergut und Hochofen. Agitatoren diffamierten Juden als »Landplage«, »Parasiten« und »Raubtiere«. Der protestantische Hofprediger am Berliner Dom Adolf Stoecker, Gründer der antisemitischen »Christlich-Sozialen Partei« und ab 1877 Leiter der verdienstvollen Berliner Stadtmission der evangelischen Kirche, bediente die Ressentiments der ostelbischen »Junker«. Otto Böckel, ein Marburger Bibliothekar, der 1887 Reichstagsabgeordneter wurde, versorgte argumentativ die kleinen und mittelgroßen Bauern im westlichen Deutschland, indem er für Hessen den jüdischen Landhandel verbieten wollte und »judenreine« Viehmärkte forderte. 1892/93 war im Tivoli-Programm der neu gegründeten »Deutsch-Konservativen Partei« vom »sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluß auf unser Volksleben« die Rede. Aber auch im linken politischen Spektrum gab es angebliche und tatsächliche Juden wie Marx, Lassalle, Kautsky, Trotzki oder – im Zusammenhang mit der revolutionären Rätebewegung 1918/19 – Luxemburg, Radek, Toller und Eisner in München, die den Bauern, für die Privateigentum sakrosankt war, den Schrecken der Enteignung in die Glieder fahren ließen. 1893 wurde als Antwort auf die nur kurzzeitig von Reichskanzler Caprivi wieder praktizierte liberale Handelspolitik der »Bund der Landwirte« (BdL) als Interessenverband vornehmlich der Großgrundbesitzer gegründet, der sich sofort auch als »Gegner des bei uns geradezu übermächtig gewordenen Judentums, welches in der Presse, im Handel und an der Börse das entscheidende Wort zu sagen hat«, bezeichnete.409 In seiner Propaganda war von »mammonstrotzenden Hebräern« die Rede, die den »germanischen Landwirten Ketten an Arme und Beine legen« würden und sie zu 407 Vgl. z. B. Darré, Neuadel, 1930, 68 ff. und 132. 408 Glagau zit. n. Pulzer, 1966, 62 und Merkenich, 1998, 121 ff. 409 Vgl. Puhle, 1975a, 111 ff. und Pulzer, 1966, 103.

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»Heloten« machten. Die antikapitalistische Demagogie des BdL, der in der Weimarer Republik zum »Reichslandbund« (RLB) wurde, spielte den Internationalismus (»goldene Internationale« des »Weltjudentums«) gegen den Nationalismus und »den Juden« gegen »den Germanen« aus. Nach der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem »Schandfrieden« von Versailles gaben »die Juden« einen wohlfeilen Sündenbock ab. Da kam es gerade recht, dass sich in der die bürgerlich-ökonomische Existenz gefährdenden »bolschewistischen« Bewegung viele Juden als Aktivisten hervortaten. In dieser Tradition glaubte Darré den Nachweis erbracht zu haben, dass Juden von Natur aus nicht in der Lage seien, den Boden produktiv zu bearbeiten. Für ihn stand fest, dass hinter der freihändlerischen Politik Caprivis »die« Juden steckten. Er stempelte und diffamierte sie als »schmarotzende Nomaden« und geborene Händler. Für ihn, wie für die ganze »Nordische Bewegung«, waren sie die »Gegenrasse« schlechthin.410 Das damit korrespondierende positive Bild war die Hege und Pflege des »Nordischen« Menschentypus, der nur eng verbunden mit dem Land, dem Boden existieren könne, wie Darré behauptete. 1919 wurden die in Russland erschienenen Protokolle der Weisen von Zion auch in Deutschland veröffentlicht und verstärkten, obwohl sie schon 1921 als antisemitische Fälschung der zaristischen Geheimpolizei entlarvt wurden, die Angst vor einer »jüdischen Weltverschwörung«.411 Gerade in Russland, wo im Pass unter »Volkszugehörigkeit« das Wort »Jude« festgehalten wurde, kam es nach der Ermordung Zar Alexanders  II. 1881 wiederholt zu antisemitischen Pogromen mit der Folge verstärkter Auswandung der Betroffenen nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland. Nur ein Zehntel so viele Juden flohen später aus Hitlers Europa wie damals aus dem zaristischen Russland.412 Das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 nahm die »Nürnberger Gesetze« von 1935 vorweg, indem es in Punkt 4 feststellte  : »Staatsbürger kann nur sein, wer Volks410 Der Begriff taucht in diesem Milieu erstmals 1927 auf  : Arnold Schickedanz, »Das Gesetz des Schmarotzertums. Der Jude – Das Beispiel einer Gegenrasse«, in  : Der Weltkampf, 1927, 433 ff. Auch Alfred Rosenberg benutzt ihn in seinem Mythus (1930, 461 f.) und führte zum jüdischen »Schmarotzertum« aus  : »Der Begriff soll hier zunächst gar nicht als sittliche Wertung, sondern als Kennzeichnung einer lebensgesetzlichen (biologischen) Tatsache aufgefasst werden, genau so, wie wir im Pflanzen- und Tierleben von parasitären Erscheinungen sprechen. Wenn sich der Sackkrebs durch den After des Taschenkrebses einbohrt, nach und nach in ihn hineinwächst, ihm die letzte Lebenskraft aussaugt, so ist das der gleiche Vorgang, als wenn der Jude durch offene Volkswunden in die Gesellschaft eindringt, von ihrer Rassen- und Schöpferkraft zehrt – bis zu ihrem Untergang.« (zit. n. Klepsch, 1990, 226). 411 Vgl. u. a. Parkes, 1964, 71 ff. und 122. Alfred Rosenberg widmete dem Verschwörungsmythos schon frühzeitig eine Kampfschrift  : Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik. München 1923. Zu diesem Phänomen moderner Psychopathologie vgl. auch Norman Cohn, »Die Protokolle der Weisen von Zion«. Köln 1969. 412 1881 sammelte Bernhard Förster, der Schwager Nietzsches, 250.000 Unterschriften für eine Eingabe an den Deutschen Reichstag, in der eine Beschränkung der jüdischen Einwanderung gefordert wurde (Manzmann, 1981, 53). Zum Antisemitismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts vgl. Byrnes, 1950.

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genosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.« Es irritierte in der Weimarer Republik offensichtlich nur wenige, dass hier »die Juden« als Repräsentanten und Nutznießer von Kapitalismus, Marxismus, Bolschewismus, Sozialismus, Liberalismus, republikanischer Staatsform und Demokratie zugleich dargestellt wurden.413 In der Hyperinflation 1923 und in der Wirtschaftskrise ab 1930 sah sich zunächst die Bevölkerung allgemein, dann besonders die Landwirtschaft hilflos den kapitalistischen Marktmechanismen und »ihren Hintermännern, den Geld-, Börsen- und Handelsjuden« ausgeliefert.414 Darré nutzte diese antisemitischen Ressentiments der Landbevölkerung in der Endphase der Weimarer Republik für seine Propaganda für Hitler und die NSDAP mit Hilfe der rassistischen »Blut und Boden«-Ideologie aus. Das »Reichserbhofgesetz« (REG) vom 29. September 1933 schloss Juden grundsätzlich aus  : nicht nur als »Bauern«, auch die »Bauernfähigkeit« war gebunden an einen »Ahnennachweis« ohne jüdischen Anteil zurück bis zum Jahr 1800 sowohl des »Erbhof«-Besitzers als auch seiner Frau. Worin, so ist zu fragen, unterscheidet sich Darrés »Salon-Antisemitismus« von dem »Radau-Antisemitismus« der SA oder Julius Streichers, des Herausgebers des gehässigen Hetzblattes Der Stürmer  ? Beide waren Zweige desselben Stammes, der eine lief subtil und subkutan, der andere offen und brutal auf das gleiche eliminatorische Ziel hinaus. Der Rassenantisemitismus des ausgehenden 19. und des frühen 20.  Jahrhunderts hat die Unterscheidung zwischen »Deutschen« und »Juden« quasi naturalisiert und so die Emanzipation und Assimilation der Juden in Deutschland erheblich erschwert, ja ihre Integration in die deutsche Gesellschaft geradezu verhindert. Sie wurden nicht nur zum »Bösen« schlechthin erklärt, sondern als »andere Rasse« wahrgenommen und zum natürlichen Feind der »eigenen Rasse«, zur »Gegenrasse« überhaupt gemacht.415 Obwohl die Nationalsozialisten Juden weder über ihre Religionszugehörigkeit noch über ihre kulturelle Tradition definierten, sondern ausschließlich über ihre »rassische« Zuordnung, hatten sie – wie die »Nürnberger Gesetze« von 1935 vorführen – kein anderes staatsrechtlich relevantes Kriterium zur Verfügung als das Glaubensbekenntnis ihrer Vorfahren, das in den Kirchenbüchern dokumentiert wurde.416 413 Vgl. die Einschätzung Eva Reichmanns (o.J., 287)  : »Das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland hätte von sich aus niemals zu einem radikalen Antisemitismus, wie er im Nationalsozialismus zutage trat, Anlaß gegeben, wenn nicht der weitgehende gesellschaftliche Zerfall durch Krieg und Nachkriegskrise alle auflösenden Faktoren außerordentlich verstärkt und die Ordnungskräfte lahmgelegt hätte. Mitentscheidend war das Versagen der Demokratie, die unter so schwierigen Verhältnissen nur dann hätte befriedigend arbeiten können, wenn sie sich auf moralische Reserven aus langjährigen demokratischen Sympathien und Traditionen hätte stützen können.« 414 Vgl. Jakob Lestschinsky, Das wirtschaftliche Schicksal des deutschen Judentums. Aufstieg, Wandlung, Krise, Ausblick. Berlin 1932 und Reif, 1994, 405 ff. 415 Vgl. Geulen, 2004, 197 ff. 416 Um die »Reinheit des deutschen Blutes« als »Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Vol-

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Körperliche Merkmale waren nicht justiziabel. Auch Menschen ohne eine ›jüdische Nase‹, die sogar blond und blauäugig waren, konnten sich als Personen mit Vorfahren mosaischen Glaubens herausstellen. Das »Reichsbürgergesetz« unterschied zwischen »Reichsbürgern« mit allen Rechten und »Staatsangehörigen« mit minderen Rechten. »Reichsbürger« war »nur der Staatsangehörige deutschen und artverwandten Blutes«. Alle anderen, also auch Juden, waren »Staatsangehörige«, die »dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehören und ihm dafür besonders verpflichtet sind«. Der »Arierparagraph« in der ersten Durchführungsverordnung des Gesetzes bestimmte  : »Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt.«417 Der vom Gesetz »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 in § 3 geforderte »arische« Abstammungsnachweis konnte nur über die Religionszugehörigkeit erbracht werden. Das Gesetz war, wie aus einem Begleitbrief der Reichskanzlei an Reichspräsident Hindenburg hervorgeht, speziell gegen die »Überflutung gewisser Berufe durch das Judentum« gerichtet und sollte nach seinem § 15 auch für Arbeiter und Angestellte gelten.418 Abgesehen davon, dass selbst Hitler nicht in der Lage war, sich auf diese Weise zum »Arier« zu machen, weil es bei seinen Vorfahren den »Webfehler« (Darré, der das natürlich nicht im Hinblick auf seinen »Führer« meinte) einer ungeklärten Vaterschaft gab, auch alle anderen Menschen im »Dritten Reich« konnten ihren Stammbaum nur über die Taufregister und Kirchenbücher erbringen. Das preußische »Bäuerliche Erbhofrecht« vom 15. Mai 1933, das auf Initiative des Justizministers Hanns Kerrl (NSDAP) beschlossen wurde, der sich von Darré und seinen wichtigsten Mitarbeitern beraten ließ, stellte in seinem § 1 kategorisch fest  : »Der Eigentümer des Erbhofes heißt Bauer.« Und in § 2 stand  : »Einen Erbhof kann als Bauer nur besitzen, wer deutscher Staatsbürger und deutschen oder stammesgleichen Blutes ist.«419 Auch hier war von »arisch« oder gar »nordisch« nicht die Rede. Der Weg, »deutsches oder stammesgleiches Blut« nachzuweisen, führte über Tauf- und Kirchenbücher. Das von Reichsminister Darré zu verantwortende »Reichserbhofgekes« zu sichern, verbot das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« vom 15.9.1935 (RGBl. 1935 I, 1146) Eheschließungen und außerehelichen Geschlechtsverkehr »zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes«. Vgl. dazu Walter Groß, Deine Ehre ist die Treue zum Blut deines Volkes (Schriftenreihe für die Wochenendschulungen der Hitlerjugend, Heft 3), hg. von der Reichsjugendführung. Berlin 1943, und Wildt, 2008, 116 ff. 417 Vgl. Adam, 1985, 14 ff. 1926 hatte Th. Arldt in den Nordischen Blättern. Zeitschrift für nordisches Leben (2. Jg., Nr. 3) den Vorschlag gemacht, die Bürger eines Staates in drei Kategorien einzuteilen  : »Halbbürger« (Menschen mit »negroidem und sonstigem fremdem Einschlag«)  ; »Vollbürger« (Menschen mit »dinarischem, alpinem und leicht nordischem Blutsanteil«) und »Edelbürger« (Menschen mit »hochprozentigem nordischen Blutsanteil«). Ihre rechtliche und soziale Stellung sollte entsprechend abgestuft werden. 418 RGBl. 1933 I, 175 f. und IfZ, FA 246/1 sowie Wollstein, 2001, 82 ff.; vgl. auch Schulle, 2001 und Weiss, o. J. 419 PrGS, 1933, Nr. 34, 165 und Grundmann, 1979, 36.

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setz« (REG) vom 29. September 1933, durch welches das gerade geschaffene »Bäuerliche Erbhofrecht« in Preußen obsolet wurde, ging in seiner Ahnentafel für »Bauern« und ihre Ehefrauen ausdrücklich bis auf das Jahr 1800 zurück und gab dem diskriminierenden Unterschied zwischen einem »Bauern« und einem »Landwirt« – eine Idee Darrés  – ebenfalls Gesetzeskraft  : »Bauer« konnte nach § 11 nur sein, wer mehr als drei Generationen christlich getaufte Vorfahren nachweisen konnte. Alle anderen, die Land bewirtschafteten (u. a. Landarbeiter, Nebenerwerbsbauern, Pächter und Gutsverwalter), mussten sich »Landwirte« nennen.420 Auch im REG war von »nordischem Blut« nicht die Rede – der Begriff aus dem Katalog Hans F. K. Günthers, den Darré übernommen hatte, war nicht justiziabel. Der Ausschließungsterminus hieß »deutsches oder stammesgleiches Blut«. Bauer, und damit Besitzer eines »Erbhofes«, konnte nach § 13 REG ausdrücklich nicht sein, »wer unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdisches oder farbiges Blut hat«.421 »Jüdisches Blut« konnte nur über die Kirchenbücher, die über die Religionszugehörigkeit Auskunft gaben, festgestellt werden. Ob »arisch«, »artverwandt« oder »stammesgleich«  – die unsichere Terminologie, was »deutsches Blut« denn nun sei, verdeutlicht nur die Schwierigkeit, die rassistisch verstandene »Blut und Boden«-Ideologie in gerichtsfeste Paragraphen zu fassen. Letzlich lief alles auf die Exklusion von Juden hinaus.422 Rassismus und Ethik Es geht darum, Hannah Arendts Diktum ernst zu nehmen, dass das absolut Böse, die archaische Grausamkeit, unter der dünnen Kruste zivilisierter Mitmenschlichkeit unter keinen Umständen als Schicksal zu akzeptieren ist, weil es bewusst herbeigeführt wurde. Schon Kant hatte 1788 in seiner Kritik der praktischen Vernunft festgestellt, der Mensch sei autonom, weil er nicht wie ein Automat auf Einflüsse reagiert, sondern durch seinen Willen die Freiheit besitzt, »vernünftig« zu handeln und so das Böse 420 RGBl. 1933 I, 685 ff. und Darré, »Bauer und Landwirt«, in  : DA, August 1932, wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 177 ff. und Saure, 1941, 145. Der Verf. weist auf eine »Einfügung« vom 26.4.1939 (§ 6a REG) folgenden Wortlautes hin  : »Ergibt sich beim Zurückverfolgen der Ahnenreihe des Bauern, daß keiner der vor dem 1. Januar 1800 geborenen nächsten Vorfahren des Bauern einen Elternteil hatte, der der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat, so ist die Möglichkeit eines jüdischen Bluteinschlags als ausgeschlossen anzusehen.« 421 Das REG ist, seit es erlassen wurde, in allen Ausgaben von Darrés, Neuadel im Anhang abgedruckt (z. B. München 1935, 229 ff.). 422 Dass es Darrés Anliegen war, Juden an den Pranger zu stellen und auszugrenzen, wird auch in zahlreichen Publikationen nach 1933 belegt. Als Beispiele  : Darré, »Unser Weg«, in  : Odal, April 1934 (Darré, BuB, 1941, 69 ff.)  ; »Die Bodenfrage, der Schlüssel zum Verständnis der sozialen Probleme«, NSL, 13.4.1934 (ebd., 291 ff.) und »Das Gesetz unseres Volkes«, Frühjahr 1938 (ebd., 157).

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zu unterlassen. Wer handelt  – und dazu gehört auch Publizieren  –, muss dafür die Verantwortung übernehmen. Es gilt, gegen eine Haltung der Ausflüchte und Relativierungen Position zu beziehen, wie sie u. a. Adolf Eichmann 1961 in seinem Prozess in Jerusalem praktizierte  : »Jeder hat auf seine Weise recht.« Gegen diese Beliebigkeit der Weltdeutung ist klar festzustellen, was gut und was böse, was akzeptabel und was nicht akzeptabel ist – und warum. Darré forderte staatlich zu organisierende Züchtungsmaßnahmen am Menschen sogar ausdrücklich im Namen von Sittlichkeit und Kultur − allerdings, wie er immer wieder betonte, in einem »nordrassisch-germanischen« Sinne. »Das Gewissen ist dem Blute verhaftet, weswegen der rassisch vollkommenste Mensch auch derjenige mit der klarsten inneren Steuerung ist«, notierte er sich 1932. »Es gibt keine Sittlichkeit an sich, ebenso wenig wie es eine Schönheit an sich gibt, sondern es kann für eine Art immer nur diejenige Sittlichkeit geben, die ihr dient.«423 Dem gilt es zu widersprechen. Wenn, wie schon bei Christoph Meiners im 18. Jahrhundert, eine »schöne« (europäische) und eine »hässliche Rasse« (Asiaten, Afrikaner, Indianer) unterschieden wird, ist das belanglos, schließlich ist das Geschmacksache.424 Etwas völlig anderes ist es aber, wenn jemand zwischen kulturfähigen (Ariern) und kulturunfähigen ( Juden) als »Rassen« unterscheidet, wie das Darré tat. Darré diagnostizierte nicht nur empirisch, wie etwa Gobineau, eine »Ungleichheit der Menschenrassen«, sondern er unterschied höherwertige von minderwertigen und wertlosen »Rassen«. Auch hierfür gab es zeitgenössische Vorläufer. So wurde aus Langbehns »Herrschaft der Mittelmäßigkeit«, die es zu überwinden gelte, Edgar Jungs »Herrschaft der Minderwertigen«, die durch eine aristokratische Elite zu ersetzen sei. Dabei war es auch schon damals inakzeptabel, unterschiedliche äußere Merkmale wie z. B. die Hautfarbe zur Wertung, Bewertung und Abwertung heranzuziehen – von inneren wie z. B. Charaktereigenschaften ganz abgesehen.425 423 Notizen v. 25.9. und 9.10.1932 (BA-Koblenz, NLD, AD 45b). 424 Lutzhöft, 1971, 83. Dass in einem Werk wie dem Alten Testament, das ethische Maßstäbe setzt und eine moralische Vorbildfunktion ausübt, dem Volk Israel aufgetragen wird, bei der Eroberung des ihm »von Gott« versprochenen »gelobten Landes« alles, was sich ihm entgegenstellt, mit brutalsten Mitteln, auch gegen Kinder, Frauen und Greise, auszurotten, steht auf einem anderen Blatt. Hier gab es keine Skrupel bei Völkermord zur Eroberung von »Lebensraum«  : »Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat« (Dtn 20,16–17). 425 Herbert George Wells, englischer Schriftsteller mit einer Vorliebe für das Science-Fiction-Genre und Sozialdarwinist, hielt die Sterilisierung von Versagern für besser, als Erfolgreichen zu mehr Nachwuchs zu verhelfen. Ganz im Sinne des Zeitgeistes im Großbritannien des Kolonialismus schrieb er 1905  : »Jene Schwärme von schwarzen, braunen sowie von gelben Völkern müßten weichen, weil sie den Erfordernissen der Effizienz nicht entsprechen, denn schließlich ist die Welt keine karitative Institution.« Daraus folgerte er  : »Wenn die Minderwertigkeit einer Rasse demonstriert werden kann, dann gibt es nur eines […] zu tun – und dies ist, sie auszurotten.« (H. G. Wells, Race in Utopia  : Modern Utopia. Zit. n.

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Schon Herder hatte am Anfang des Siegeszuges der Naturwissenschaften in seinen Briefen zu Beförderung der Humanität im Hinblick auf die Erforschung der Naturgeschichte der Menschheit gefordert  : »Der Naturforscher setzt keine Rangordnung unter den Geschöpfen voraus, die er betrachtet  ; alle sind ihm gleich lieb und wert. So auch der Naturforscher der Menschheit.« Erst Sozialdarwinismus und Rassenideologie brachten in diese humanitäre Denkweise eine völlig neue Dimension. Darré bediente sich bei seiner ethnischen Hierarchisierung der Konstruktion seines Freundes vom »Nordischen Ring«, Hans F. K. Günther, der die Deutschen in fünf bzw. sechs verschiedene »Rassetypen« eingeteilt hatte. Innerhalb dieses Systems »verwandter Rassen« bedeutete »Aufartung« oder »Höherzüchtung« auch für Darré »Aufnordung«. Und es war nur eine Schutzbehauptung, wenn Günther schrieb, er wolle den »Nordischen Gedanken« so verstanden wissen, dass er »sich nicht in erster Linie gegen eine Rasse, sondern […] vor allem für eine Rasse« einsetze.426 Denn die Günther’sche Einteilung der deutschen Bevölkerung war nicht wertfrei, sondern mit der Pflege eines »nordrassischen« Dünkels verbunden. Außerhalb seines Systems befanden sich Farbige, Semiten/Juden (denen Darré zunächst den Tarnnamen »Nomaden« gab), Slawen und »Zigeuner«. Sie wurden als wertlos, gefährlich oder feindlich angesehen und sollten in Deutschland »ausgemerzt« werden. Erstmals sichtbar wurde die Übernahme dieser Rassenideologie durch den Staat 1933, als die »Rassenschande« des Geschlechtsverkehrs von Menschen »deutschen und artverwandten Blutes« mit solchen jüdischer oder farbiger Herkunft angeprangert und die »Rheinlandbastarde« sterilisiert wurden. Auch soziale Empathie wurde von Günther abgelehnt  : »Der ›Menschheitsgedanke‹ sieht […] nie die Blutsgemeinschaft, nie das Volkstum und die künftigen Geschlechter. So entartet […] ›Mitleid‹ zur Förderung einer Züchtung alles Schwachen, Kranken und Haltlosen«, ließ er sich vernehmen. Und auch Darré sprach in diesem Zusammenhang von »Gefühls-« bzw. »Humanitätsduselei«. Hier wurde die metaphysische Existenz des Menschen geleugnet, er wurde zum biologischen Material, ein animalisches Lebewesen, das auf seine Fortpflanzungsfunktion reduziert wurde.427 Darrés Denkweise stand ganz in der Tradition der Sozialdarwinisten des späten 19.  Jahrhunderts, welche die von Darwin beobachtete Entwicklungsgeschichte des The Works of H. G. Wells. London 1924–1927. Bd. IV, 274) In seiner utopischen »New Republic« galt ein »ethisches System«, das »vorwiegend die Fortpflanzung dessen begünstigt, was in der Menschheit gut, effizient und schön ist. […] Und die Methode, nach welcher die Natur bei der Gestaltung der Welt vorgegangen ist, mit der verhindert wurde, dass Schwäche wieder Schwäche hervorbringt, […] ist der Tod. […] Die Menschen der Neuen Republik […] werden ein Ideal haben, welches das Töten lohnend macht.« (H. G. Wells, Anticipations of the Reaction of Mechanical and Scientific Progress upon Human Life and Thought. London 1902, 299 ff.). 426 Günther, Nord. Ged., 2. Aufl. 1927, 80 und P. Schultze-Naumburg, »H. F. K. Günther zum 50. Geburtstag«, in  : VuR, 16/1941, 21. 427 Günther, RkdV, 9. Aufl. 1926, 390 und Darré, Geheimrede v. 23.1.1936 (BA, Darré-NS 47b bzw. StAG, NLD, Nr. 428a, Ms., 35).

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tierischen und pflanzlichen Lebens auf die menschliche Gesellschaft im Sinne einer Biologisierung des sozialen Miteinanders übertragen hatten. Aus seinem Studium der Tierzucht waren Darré die Kategorien der Auslese bei Pferden und der Anpassung der Lebensumstände von Tieren bei Schweinen vertraut und seine Ausbildung an einer Kolonialschule hatte ihm gelebtes Herrenmenschentum gegenüber Eingeborenen, die man damals als Angehörige einer fremden »Rasse« verachtete, vorgeführt. Zu Herrenmenschen gehören Untermenschen. Und wenn das Gefühl der Bedrohtheit von Mensch, Volk oder »Rasse« besteht, gibt es keine Gewissenskonflikte mehr, sondern Abwehrmaßnahmen werden als Notwendigkeit, ja als Notwehr empfunden – seien sie noch so brutal und grausam. Denn Humanität gilt dann als Indiz für Schwäche, als »Gefühlsduselei«. Den Lichtgestalten der »germanisch-arisch-nordischen Herrenrasse« standen am Ende der Skala als finsterer Gegenpol jüdische oder slawische »Untermenschen« gegenüber. Seitdem der Mensch in die Entwicklungsreihe aller Lebewesen gestellt worden war, war das Tor geöffnet für die Entwürdigung seiner Gottesebenbildlichkeit, war das Gespür für die Sonderstellung des Menschen als geistig-sittliches Wesen im Kosmos der Natur verloren gegangen. Der inhumane Charakter der sozialdarwinistischen Sichtweise führte zu einer moralischen Entwertung des Individuums zugunsten des »Volkskörpers« (Schallmayer). Oder, mit den Worten Vacher de Lapouges  : »Die Rasse, die Nation ist alles.«428 Bei der rassenideologischen Denkweise wurde die entscheidende Frage, wer die Normen für Sitte und Moral setzt, bezeichnenderweise in den Dienst des »Blutes« gestellt. »Es gibt […] keine Sittlichkeit an sich ebensowenig wie es eine Schönheit an sich gibt, sondern es kann für eine Art immer nur diejenige Sittlichkeit geben, die ihr dient«, stellte Darré in der zitierten Notiz 1932 fest. Für ihn war sittlich nur, was unmittelbar der »Nordischen Rasse« und damit mittelbar auch dem deutschen Volke nützlich sei. »Es ist mit allen nur möglichen Mitteln dahin zu streben, daß das schöpferische Blut in unserem Volkskörper, das Blut der Nordischen Rasse, erhalten und vermehrt wird«, propagierte er an anderer Stelle als »Zuchtziel« und »Auslesevorbild« des deutschen Volkes. Hier definierte er »Zucht« unter Hinweis auf Mendel als »Recht, die Vererbungsgesetze bewußt anzuwenden« – und meinte dies in Bezug auf den Menschen.429 Als Folge einer solchen Denkweise wäre die Zerstörung aller Gefühle mitmenschlicher Verantwortlichkeit zu beklagen gewesen – wenn ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein vorhanden gewesen wäre. Dieses war jedoch durch die rassenideologischen 428 Vgl. den Nachruf Günthers für Vacher de Lapouge in  : VuR, Heft 3, 1936, 95 ff. Im Übrigen  : Bender, »Die Unfruchtbarmachung minderwertiger Volkselemente«, in  : Monatsschrift Deutscher Ärztinnen 6/1930, 16  ; Mühlen, 1977, 185 f. und Velden, 2005. 429 Auch für das Folgende  : Darré, »Das Zuchtziel des deutschen Volkes«, in  : VuR, 1931, Heft 3 ( Juli), wieder abgedruckt in Darré, BuB, 1941, 30 ff. (Zitate 31 f. und 39 f.).

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Prämissen suspendiert worden. Ethik und Moral wurden aus biologischen Gegebenheiten und rassistischen Konstrukten abgeleitet und ihnen untergeordnet. Ehe und der Wille zum Kind waren keine Privatsache mehr, sondern wurden der »Aufgabe« untergeordnet, »ein wertvolles Geschlecht am Leben zu erhalten.« Die »reinblütige Tochter« ist »ein Gefäß, in dem ein zukünftiger Erbe [eines Bauernhofes] sein Blut rein an das nächste Geschlecht weitergeben konnte.« Ihr »Blut, d. h. ihre Erbmasse« galt es »zu bewachen und zu schützen.« Es sei für jeden Germanen eine Plicht gewesen, so das Ergebnis von Darrés Frühgeschichtsforschung, dieses »wertvolle Keimgewebe, dasjenige, was die Rasse determiniert«, zu erhalten. Es sei darauf angekommen, »dafür zu sorgen, daß Krankes nicht zur Vermehrung kommt und Fremdes nach Möglichkeit der Erbmasse des Volkes ferngehalten wird.« Schließlich galt es, der staatlich privilegierten »Rasse« die günstigsten Bedingungen zur Selbsterhaltung und zum Gedeihen zu verschaffen. Diese Prämisse rechtfertigte die Pervertierung sämtlicher Moral- und Wertvorstellungen. Die ungleiche Qualität eines Menschen hatte zwangsläufig eine unterschiedliche Anwendung von Rechtsnormen zur Folge – auch die der Rechtlosigkeit. Darré übertrug Sprache und Methoden der Viehzüchter in die menschliche Sphäre, indem er nicht nur »artverwandtes Blut reinzüchten«, sondern im Sinne der »Nordischen Rasse« auch »hochzüchten« wollte. Das bedeutete die »züchterische Ausmerze« der nicht erwünschten, als »minderwertig« eingestuften und der »wertlosen« Menschen. »Hochzucht setzt die vorhergehende Reinzucht voraus und bedingt die von Generation zu Generation immer wieder geschaffene Auslese innerhalb eines geschlossenen Blutstammes sowie die ausschließliche Weiterzüchtung mit dem ausgesuchten Material.« Darré war stolz darauf, für diesen Mechanismus den Begriff »eisernes Gesetz der Leistungshochzucht« erfunden zu haben, und übertrug es umstandslos auf den Menschen.430 Wie diese Grenzüberschreitung sich auswirkte, lässt sich konkret feststellen an einem Zeitungskommentar zum Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das am 14. Juli 1933 beschlossen wurde und am 1. Januar 1934 in Kraft trat. Ihm fielen ca. 400.000 Menschen durch Zwangssterilisation zum Opfer  : Es wird immer eine erstaunliche geschichtliche Tatsache bleiben, daß das Denken, wie es jetzt in dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zum Durchbruch gekommen ist, so lange unterdrückt werden konnte, umso mehr, als dieses Denken bei Tierzüchtern auf eine nicht absehbare Kette von Erfahrungen und eine sehr gepflegte Tradition blicken kann. Für jeden Züchter ist es klar, daß minderwertige Exemplare aus seiner Züchtung ausgeschieden werden müssen, wenn die übrig bleibenden die Merkmale ihrer Rasse in besonders ausgeprägter und edler Art aufweisen sollen.431

430 Darré, Bauerntum, 1929, 368 ff. 431 Stuttgarter Neues Tagblatt, Nr. 356 v. 2.8.1933, zit. n. Heyer, 1991, 193. Schon 1920 hatten der Jurist

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Wer, wie Darré, ein »Zuchtziel des deutschen Volkes« definierte, wollte nicht nur die »nordischen Blutsanteile« eines Menschen in der Geschlechterfolge fördern, er forderte selbstverständlich neben der genetischen »Verbesserung« des Menschen auch eine »Reinigung des Volkskörpers« von krankhaften, »minderwertigen« und »wertlosen« bzw. »gefährlichen« Erbanlagen. Das wird u. a. auch daran sichtbar, dass in der zweiten Auflage des amtlichen Kommentars zum Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« ausdrücklich auf Darrés »Zuchtziel«-Publikationen aus dem Jahre 1931 hingewiesen wurde.432 Wie hier Raum geschaffen wurde für die Manipulation moralischer und auch ästhetischer Normen, deutet sich in Sätzen an wie  : »Bilder müssen das zeigen, was sein soll, nicht das, was ist.« Oder  : »[Der] Mensch muß erst dazu erzogen werden, sehend für die Reinheit der Rasse zu werden, die ›Arteigenheiten‹ zu erkennen.«433 Demnach galt es, über »rassenhygienische« Erziehung »Rassenbewusstsein« und »Rassenstolz« zu wecken, den Blick für das »Artgemäße« und »Artfremde« zu entwickeln und zu fördern sowie die »rassische« Urteilskraft ebenso wie die »rassische« Widerstandskraft (u. a. gegen »Überfremdung«) zu schärfen. Dies war die Aufgabe des »Schulungsamtes« im von Darré geleiteten RuSHA der SS.434 Theodor Heuss machte schon 1932 auf die Folgen solchen Denkens aufmerksam  : »Das ist der Exzeß naturalistischen Denkens, weil es die ganz nüchternen Fragen der Eugenik, der gesunden Volkserhaltungssorge, mit fremden Maßstäben des Wertens durchsetzt.« Aber Heuss verkannte die Brisanz des Themas, wenn er Günthers »Art der Rassenbewertung lächerlich« und nicht unverantwortlich fand.435 Die bei den »Rassenhygienikern« zutage tretende materialistische Zweckhaftigkeit des Denkens auch im ethisch-moralischen Bereich ist nicht nur charakteristisch für Darré. Auch in dieser Hinsicht zeigt er sich als gelehriger Schüler seiner ideologischen Vorgänger und als Gesinnungsgenosse seiner politischen Freunde. Moralvorstellungen bestimmen nicht nur menschliches Denken, sondern auch menschliches Handeln. Karl Binding und der Arzt Alfred Hoche die »Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens« – sie sprachen auch von »Ballastexistenzen« – gefordert. Vgl. K. Bauer, 2008, 141 f. 432 Vgl. Gütt/Rüdin/Ruttke, 1936, 111. 433 Günther, 1925, 211 und Günther, »Betrachtungen zum Nordischen Gedanken«, in  : DE, Juni 1927, 211. Vgl. auch Darrés Notiz v. 9.10.1932  : »Schön ist das, was die Art [d. h. Rasse] vollkommen zum Ausdruck bringt.« (BA-Koblenz, NLD, AD 45 b). 434 Zur rassistisch orientierten Pädagogik im »Dritten Reich« vgl. u. a. Richard Geuß, Rassenseelische Grundlagen der Erziehung. Schkeuditz b. Leipzig 1940  ; Jakob Graf, Bildungs- und Erziehungswerte der Erblehre, Erbpflege und Rassenkunde. München 1933  ; Ernst Krieck, Völkisch-politische Anthropologie. Leipzig 1938  ; Oswald Kroh, Völkische Anthropologie als Grundlage deutscher Erziehung. Esslingen 1934  ; ders., »Pädagogische Psychologie im Dienste völkischer Erziehung«, in  : Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde 38/1937 und Gerhard Pfahler, Warum Erziehung trotz Vererbung  ? Leipzig/ Berlin 1938. 435 Heuss, 1932, 34 und 38. Vgl. demgegenüber die Abhandlung des Eugenikers Fritz Lenz, Die Rasse als Wertprinzip. Zur Erneuerung der Ethik. München 1917.

»Blut«: Darrés Rassismus

Selbst Hans F. K. Günther bekannte sich zu der Logik, dass »Auslese« und »Ausmerze« nicht voneinander zu trennen sind. Der journalistische Berichterstatter eines Vortrages, den Günther 1936 zum Thema »Lamarckismus, Darwinismus, Neudarwinismus und die völkische Frage der Aufartung« gehalten hat, brachte dessen Ausführungen auf folgenden Punkt  : Also bleibt uns in der völkischen Frage der Aufartung kein anderer Weg übrig als der der Auslese und Ausmerze. Was ein Volk auf die Dauer vorwärts bringt, kann demnach nicht geistige Entwicklung durch Erziehung und Bildung, sondern nur Kinderreichtum der Tüchtigen und Kinderlosigkeit der Untüchtigen sein. […] Wir können nichts anderes tun als neudarwinistisch und mendelistisch denken und verfahren und die ausschlaggebende Bedeutung des Erbgutes praktisch zur Geltung bringen.436

»Rasse« und »Moral« spielten im Nationalsozialismus nicht nur eine zentrale Rolle, sie waren auch unauflöslich miteinander verbunden. Dies wird in seiner ganzen perversen Tragweite deutlich an der Rede, die der »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler am 4. Oktober 1943 vor seinen Generälen (»Gruppenführern«) in Posen zum Thema Behandlung »Fremdvölkischer« gehalten hat  : Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muß, das ist klar. Wir Deutschen, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen, aber es ist ein Verbrechen gegen unser eigenes Blut, uns um sie Sorgen zu machen und ihnen Ideale zu bringen, damit unsere Söhne und Enkel es noch schwerer haben mit ihnen. […] Das ist das, was ich dieser SS einimpfen möchte und – wie ich glaube – eingeimpft habe, als eines der heiligsten Gesetze der Zukunft  : Unsere Sorge, unsere Pflicht, ist unser Volk und unser Blut  ; dafür haben wir zu sorgen und zu denken, zu arbeiten und zu kämpfen, und für nichts anderes.

Und zur »Ausschaltung« der Juden, ihrer »Ausrottung«  : Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 da liegen oder wenn 1000 da liegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.437

436 Stuttgarter Neues Tagblatt v. 21.1.1936, zit. n. Heyer, 1991, 254. 437 IMG, 1947/49, Bd. XXIX, 122 f. und 145 (Dok. 1919-PS)  ; vgl. hierzu auch Buchheim, 1965, Bd. I, 334 ff.

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Um dieses außerirdisch erscheinende Phänomen ethisch-moralischen Denkens zu begreifen, hat Raphael Gross in Anlehnung an Ernst Tugendhat vorgeschlagen, zwischen einer »universalen« und einer »partikularen Moral« zu unterscheiden.438 Sicher, Himmler postulierte für seine SS eine eigene »Moral«, welche die Ermordung von Menschen anderer »Rassen« als Notwehr zu legitimieren versuchte und die Aneignung ihrer hinterlassenen materiellen Werte (er sprach von »Mark«, »Pelz« oder »Uhr«) unter Strafe stellte.439 Aber galt das auch für die »Arisierung« dessen, was die Verfemten und »Ausgemerzten« zurückließen  ? Es gab diese »partikulare« NS-Moral weder in den Vernichtungslagern der SS noch im Alltag des »Dritten Reiches«, sie war entweder vorgeschoben oder willkürlich gesetzt nach Kriterien von Sozialneid, Nützlichkeit und/oder Opportunität, etwa, um sich in den Besitz von »arisiertem« Hab und Gut zu bringen oder um die SS als Organisation (mit Zahngold oder Haaren) zu bereichern oder um dem einzelnen SS-Mann hinter der Front einen eigenen »moralischen« Handlungsspielraum zu geben. Die Anwendung »rassenhygienischer« Prinzipien auf die Gesellschaft bedeutete die Verdrängung der traditionellen christlichen Moralvorstellungen zugunsten eines ethischen Systems, das Gut und Böse allein aus den imaginierten kollektiven Interessen der deutschen, der »arischen« oder »nordischen Rasse« ableitete.440

Die SS-Moral war keine »partikulare«, sie war eine neue »Moral« zur Rechtfertigung von Raub und sogar Mord. Vor diesem Hintergrund im Sinne Max Webers zwischen einer »Gesinnungsethik« und einer »Verantwortungsethik« zu unterscheiden, ist nach den Erfahrungen mit der SS-Moral auf der Basis der »Blut und Boden«-Ideologie sehr fragwürdig geworden  ; denn auch Gesinnung muss sich dem Praxistest stellen, um ihre Verantwortbarkeit einschätzen zu können. Diese neue »Moral« pervertierte ethische Normen und sittliche Einstellungen, die mit dem Christentum zur Grundlage kulturellen menschlichen Zusammenlebens geworden waren  : Alle Menschen sind »vor Gott« gleich-wertig. Die Bekehrung der Germanen zum Christentum […] entzog dem germanischen Adel seine sittlichen Grundlagen. Wir können uns die durch die Bekehrung zum Christentum bewirkte Umwälzung aller sittlichen Begriffe unter den Germanen gar nicht auflösend genug im Hinblick auf Sitte und Gesetz vorstellen, 438 Gross, 2010 sowie Tugendhat, 1993 und 2009, 61 ff. 439 »Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern.« (Himmler in seiner Posener Rede 1943, a. a. O., 146) – entgegen der Praxis – auch in den Vernichtungslagern der SS. 440 Evans, 2005, Bd. 2, 624.

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stellte Darré dazu fest.441 Er ordnete ethische Kategorien, die Frage, was richtiges oder falsches Handeln ist, allein rassenbiologischen Gegebenheiten unter. Sittlichkeit und Moral sind für ihn nicht kulturell bedingt, sondern »rassisch«  : Es ist das »Blut«, das menschliches Handeln bestimmt, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Dabei war ihm – in hellen Augenblicken – durchaus bewusst, auf welch wackligen Beinen, fragwürdigen Hypothesen, nicht nachweisbaren Annahmen und willkürlichen Konstrukten seine wertenden Schlussfolgerungen beruhten. Aber das hinderte ihn nicht daran, seinen Vorurteilen und Ressentiments zu folgen, um seine politischen und sozialen Wunschvorstellungen zu verwirklichen  : Wir müssen […] feststellen, dass es kein Mittel gibt und auch nie geben wird, über den Erbwert eines Menschen ein eindeutiges Urteil abzugeben. Man mag die Erbmasse der Vorfahren eines Menschen noch so genau kennen, man wird nie über ein Wahrscheinlichkeitsurteil hinauskommen, da man ja nicht weiß, welche Erbanlagen die Eltern abgegeben haben und wie sich die väterlichen und mütterlichen Erbanlagen koppelten. Auskunft hierüber gibt immer nur die Nachkommenschaft  : An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen  !

Um eine »Gewähr« dafür zu haben, »dass nur offensichtlich Brauchbares sich an der Erzeugung von Nachkommenschaft beteiligt«, schlug Darré vor  : – eine »Leistungsprüfung in charakterlicher und beruflicher Hinsicht bei jungen Männern«  ; – die »Scheidung der Mädchen nach solchen, die eine Ehe mit Kindersegen eingehen dürfen und solchen, die dies nicht dürfen«  ; – die »Erziehung der jungen Männer zur richtigen Gattenwahl«, worunter er »Erziehung zum züchterischen Sehen« und die Überprüfung der »Ahnentafel« verstand.442 Darrés Frauenbild macht die irrationale Umwertung aller Werte in geschlechtlichen Beziehungen in aller Deutlichkeit sichtbar. Es orientierte sich an der vorchristlichen Welt der Germanen, für die sich Darré Belege aus der kulturgeschichtlichen Literatur suchte und durch »Vermutungen«, d. h. Wunschvorstellungen, ergänzte. Für ihn stand die »sittliche Reinheit« (»züchtig« zu sein) der »nordischen« Frau außer Zweifel. Sollte sie doch einmal »unzüchtig« gewesen sein, indem sie »heimlicherweise fremdes Blut unter ihre ehelich geborenen Kinder gemengt« habe, dann sei sie immer noch in der Lage gewesen, ihrer »Pflicht« dem »Rassenerbe« gegenüber, nämlich es zu »bewachen« und zu »beschützen«, nachzukommen. Denn, so war Darré überzeugt, nur die Frau kann die Erbmasse, das »Blut« in »reiner« Konsistenz an die nächste Generation weitergeben. Da sie um dieses Privileg weiß, kann sie »Bastarde« entsprechend behandeln. 441 Darré, Neuadel, 1930, 19. 442 Darré, »Das Zuchtziel des deutschen Volkes«, in  : VuR, 1931, auch in  : Darré, BuB, 1941, 34 ff.

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Im Übrigen steht alles, was mit Sexualität zu tun hat, bei Darré unter dem kate­ gorischen Imperativ des »Rassenerbes«. Ob es sich um die Institution des »Zeugungs­ helfers« handelt oder den Brauch, die Ehefrau oder Tochter einem Besucher als »Gastgeschenk« zum Beischlaf anzubieten – es ist durch die Weitergabe hochwertigen Erbgutes gerechtfertigt. Auch die Polygamie der »Nordmänner« mit »Kebsen« oder die außereheliche Zeugung von Kindern durch SS-Männer  ; denn »unsittlich« ist nicht etwa Untreue und Vertrauensbruch, sondern nur, was dem »Rassenerbe« nicht dient.443 Aber die Erkenntnis, dass der Mensch Teil der Natur ist, die bekanntlich weder gerecht noch moralisch korrekt ist, bedeutet keineswegs, dass wir unser Verhalten nach der Natur richten sollen bzw. müssen. Nicht die Biologie bestimmt, wie der Mensch handelt, sondern er selbst als Kulturwesen mit freiem Willen. Seit der Aufklärung ist dies Allgemeingut. So bleibt als Erklärung für eine derartige »Moral« nur der Versuch, die Schuldgefühle gegenüber den Opfern ausschalten zu wollen. Dass es diese moralischen Skrupel – auch bei Nationalsozialisten – gab, ist allein schon ein Beleg dafür, dass es eine universale Ethik gibt, dass es also Normen gibt, die für alle Menschen – überall und immer – gelten. Eine Anthropologie im Jargon der Pferdezüchter ist als menschenverachtend und inhuman zurückzuweisen. Der Gedanke, es könne sich nicht um eine Verletzung der Menschenwürde handeln, ebenso  – von entsprechend motivierten Handlungen ganz zu schweigen.444 Der Kampf gegen eine vermeintlich westliche und zivilisationsbedingte Humanität war nichts anderes als die Missachtung der menschlichen Willenskraft sowie die Leugnung der unteilbaren Menschenwürde und Autonomie. Die Angst vor menschlicher Degeneration war nichts anderes als die Negierung der christlichen Nächstenliebe, die den Schutz der Schwachen und Kranken als Verpflichtung der Starken und Gesunden postuliert. Und die Umdeutung der Geschichte als »Rassenkampf« sollte ablenken von der Achtung eines jeden Menschenlebens und von der Freiheit eines jeden Menschen, sich seinen Partner selbst auszuwählen. Diese individuelle Verantwortung kann auch nicht durch einen Vorrang des »Sippengedankens«, geschweige denn von Volk und »Rasse« (»Gemeinnutz geht vor Eigennutz« oder »Du bist nichts, dein Volk ist alles«), aufgehoben werden. Denn eine solche Prioritätensetzung kann weder aus einer »natürlichen« noch aus einer »moralischen« Ethik abgeleitet werden, sie ist ausschließlich politisch motiviert. Eine »partikulare Moral« mag zur Beschreibung eines politischen Systems taugen, vielleicht auch, um politisch motiviertes Handeln intellektuell nachvollziehbar, begreifbar zu machen. Ihre Beurteilung freilich bedarf ethischer Expertise und moralischer Urteilskraft, eines Kompasses also, der an keine Zeit, keinen Raum und keine Kultur gebunden ist.445

443 Darré, Bauerntum, 1929, 373 ff., 389, 392 f., 396 und 402  ; Darré, Neuadel, 1930, 127 ff. 444 Vgl. u. a. Höffe, 2013. 445 Dass auch die Medizin, dass auch Ärzte sich in den Dienst der pervertierten nationalsozialistischen

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Wenn Ethik die Lehre von der Einschätzung »guten« und »bösen« Handelns ist, dann müssen die Kriterien genannt werden, mit denen Handlungsoptionen beurteilt werden. Es genügt nicht, sich ins Paradies zurückzuversetzen, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken und dann zu wissen, was gut und was böse ist. Die Nationalsozialisten, die den Unterschied zwischen »richtig« und »falsch« im Namen rassenideologischer Konstrukte machten, rechtfertigten sich mit einem menschenverachtenden Zynismus, einem biologischen Materialismus und einem kaltherzigen Utilitarismus, der seinesgleichen sucht. Darré ging sogar so weit, im Hinblick auf »Zuchtfragen« nicht nur von sittlicher Pflicht, sondern geradezu von einem »göttlichen Gebot« zu sprechen  : Gott hat das Gesetz in unsere Wiege gelegt, für die Weiterpflanzung und Höherbildung des Menschengeschlechtes Sorge zu tragen. Will ich dies aber ohne Minderung der überkommenen stofflichen Unterlagen kommender Geschlechter durchführen, so muß ich wohl oder übel die Vererbungsgesetze bejahen. Damit geraten wir aber schon mitten hinein in den Nordischen Gedanken. Und ich stehe im weiteren sogar auf dem Standpunkt, daß diejenigen, die aus Gründen einer ausschließlichen Blickrichtung auf Gott und den Geist ihren Körper und die stofflichen Gesetze dieser Welt abzuleugnen versuchen, sich mit einer solchen Auffassung in Wirklichkeit sogar in höchstem Grade an Gott versündigen, weil sie, und gerade sie, durch die Zulassung oder Herbeiführung ungeeigneter Ehen oder sonstiger ungeeigneter Kinderzeugungen Gott widerstreben und zuwiderhandeln.

1932 notierte er sich  : »Germanen hatten auf Grund ihrer nordischen Rasse unmittelbares Verhältnis zu Gott.« Deshalb sei der mittelbare Weg über die »Zwischeninstanz einer Priesterkaste« bei ihnen nicht nötig gewesen. »Das Gewissen ist dem Blute verhaftet, weswegen der rassisch vollkommenste Mensch auch derjenige mit der klarsten inneren Steuerung ist.«446 Hier waren im Weltanschauungsnebel der Rassenideologie die klaren Konturen ethischer Normen verloren gegangen. Mit dem humanen Gebot der Erhaltung des Lebens wurde die von einer irdischen Instanz, nämlich den Wortführern der »Nordischen Bewegung«, zu denen auch Darré gehörte, festgesetzte Norm darüber verknüpft, welches Leben wertvoll und welches minderwertig oder gar wertlos ist. In einer Art biologistischem Determinismus glaubten sie, dass man durch planmäßige Züchtung einen bestimmten, »höherwertigen« Menschentypus heranbilden könne. Seine ererbte »Moral« stellten, ist für das »Dritte Reich« hinreichend belegt. Vgl. u. a. Baader/Schultz, 1980 und Pfeiffer, 1992. 446 Darré, »Der Lebensbaum unserer Altvordern im Lichte neuzeitlicher Naturwissenschaft«, 1928, in  : Darré, EuW, 1940, 61 ff. und 71 f. Vgl. hierzu Hitler, 1932, 314, der in Bezug auf Degeneration und »Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse« durch »Blutsvermengung« des »Ariers« mit »niederen Völkern« meinte  : »Eine solche Entwicklung herbeiführen, heißt aber denn doch nichts anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers.« Darrés Notiz v. 25.9.1932  : BA, NLD, AD 45 b.

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physische und mentale Struktur, zu der auch eine sittlich-moralische Komponente (»Rassewert«) gehörte, determiniere ihn, mit anderen einer »Blutsgemeinschaft« anzugehören. Einen Anspruch auf Loyalität habe nur sie. Aber Loyalität zum eigenen »Volk«, zum eigenen »Blut«, zur eigenen »Rasse« kann schon deshalb nicht eingefordert werden, weil es keine Kriterien, auch keine naturwissenschaftlich-biologischen, für sie gibt. Körperliche Merkmale (Haut, Haare, Kopfform usw.) taugen deshalb nicht, um Menschen, Volksgruppen oder Ethnien voneinander zu unterscheiden, weil sie nur von 0,01 Prozent unserer Gene bestimmt werden. Darré wies diejenigen Priester, die einen Ehebund einsegnen, »von dem handgreiflich vorauszusagen ist, daß er der menschlichen Gesellschaft in jeder Beziehung minderwertige Kinder schenken muß«, darauf hin, sie machten sich der Sünde wider »Gottes Gebot« schuldig. Stellt man diesem Gedanken eine andere Bemerkung Darrés zur Seite, so wird die ganze Pervertierung bisher geltender sittlicher und moralischer Begriffe deutlich. Ein uneheliches Kind, welches »artrein« ist, entschuldigt in Darrés Vorstellung die mögliche Untreue der Eltern deshalb, weil ihm ein außerehelicher Geschlechtsverkehr dann gerechtfertigt (»göttliche Aufgabe«) erscheint, »sobald die Partner der Art dienen wollen«.447 In diesem Sinne gab auch Himmler 1935 seinen SS-Männern ›freies Geleit‹, um ihre »wertvolle« Erbmasse möglichst oft weiterzugeben. Die Früchte solcher Handlungen sollten dann im »Lebensborn e. V.« aufgefangen und gefördert werden.448 Um sich vor dem Vorwurf zu schützen, man setze Gegebenheiten der menschlichen Fortpflanzung mit tierzüchterischen Gepflogenheiten in eins, wurde in den Reihen der »Nordischen Bewegung« gern auf die Freiheit des Menschen hingewiesen, »im Dienste eines freigewählten und freigewollten sittlichen Zielgedankens« zu handeln. Auch hier argumentierte man mit Begriffen der Sittlichkeit und des Idealismus. In der Tierzucht ist das Tier unfreier Gegenstand (Objekt) des Züchters. Wenn wir hingegen an die Fortpflanzung Nordischer Menschen im Dienst des Nordischen Gedankens denken, so handelt es sich um Lebewesen, die sich aus freiem Willen, aus freier und überdies sittlich bestimmter Wahl und Entschließung nach einer ganz bestimmten Richtung hin weiterpflanzen. Indem sie dies tun, sind sie nicht Objekt, sondern Subjekt einer »Selbstzucht«, eines frei gesetzten Hinaufbegehrens, eines Höhertrachtens aus sittlichen Gründen, mit einem sittlichen Hochbild vor Augen.449 447 Darré, »Lebensbaum«, 1928, in  : Darré, EuW, 1940, 72 und BA, NLD, AD 45 b. Vgl. auch seinen Aufsatz »Runö« aus dem Jahr 1931 (Darré, EuW, 1940, 176–182), in dem er für die dort angeblich praktizierte »Freigabe des Geschlechtsverkehrs der Unverheirateten« warb. 448 Vgl. Lilienthal, 2003. 449 Kynast, »Ein Wort zum Zuchtgedanken«, in  : Die Sonne, 8. Jg., 2. Heft, Febr. 1931, 70 f. Bei der modernen Pränataldiagnostik kann zwar auch Selektion stattfinden, aber sie wird weder durch rassenideologische noch durch sozialdarwinistische Kriterien bestimmt, sondern durch eine diskursive und ethisch geprägte Abwägung der Rechte der Mutter einerseits und des Kindes andererseits. Wenn mit einem Test in der zehnten Schwangerschaftswoche festgestellt werden kann, ob das ungeborene Kind bei-

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Auch hier wird also die menschliche Fortpflanzung ausschließlich nach den von Günther propagierten »neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft« zur sittlichen Pflicht, ebenso wie die »rechte Gattenwahl« im Dienste des »Nordischen Gedankens« bei Darré zu einem »Gebot Gottes« pervertiert wurde. Trotz des Hinweises auf die Freiheit der Wahl des »sittlichen Zielgedankens« und des individuellen Selbstbestimmungsrechts wurde aber gleichzeitig von Günther wie von Darré gefordert, die »Aufartung des deutschen Volkes« müsse eine Angelegenheit der Staatsaufsicht sein. Dies intendiert aber unzweifelhaft rechtliche Verordnungen und Maßnahmen, die unter Umständen durchaus in der Lage sein können, die »Freiheit« der Betroffenen einzuschränken, wie die gesetzliche Realität im »Dritten Reich« bestätigt. Und Darré, Günther und andere Gleichgesinnte waren Mitglieder im Beirat des Reichsinnenministeriums, der die Eugenik-Gesetze vorbereitete.450 Aufbauend auf den Lehren der »Rassenhygiene« wurde in der Bevölkerung eine Einstellung gefördert, die eine Unterscheidung zwischen »höherwertigen«, »minderwertigen« und »entarteten« Mitmenschen als wissenschaftlich gesichert erscheinen ließ.451 Warum sollte man das Besitztum »Minderwertiger« achten (»Arisierung«)  ? Dass die Reduktion des Menschen auf sein Erbgut einherging mit ökonomischen Kalkulationen der Kosten, die Behinderte verursachen, ist ein weiterer Aspekt dieser Sichtweise. Nach 1933 konnte das Regime auf wenig Empörung oder gar Widerstand stoßen, wenn es Gesetze machte, die soziale Randgruppen wie »Arbeitsscheue« und »Vagabunden«, »Asoziale« und »Gewohnheitsverbrecher« als »Entartete« diffamierte. Sie wurden aus dem allgemeinen Wohlfahrtssystem ausgeschlossen, weggesperrt, unfruchtbar gemacht oder umgebracht, wie in der »T4-Aktion« 1940/41, genannt nach dem Ort der Planungszentrale für die Tötung von unheilbar kranken Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten in der Berliner Tiergartenstraße 4 geschehen. Ihr fielen mehr als 200.000 Menschen zum Opfer.452 Und im Schulunterricht gab es Rechenaufgaben, die sichtbar machen sollten, was die Betreuung von »unnützen Essern« und »Ballastexistenzen« Staat und Gesellschaft kosten. Ploetz, Lenz und andere »Rassenhygieniker« wollten »erbliche Entartung« verhindern und gerieten schnell in den Sog rassistisch motivierter Machtpolitiker wie Hitler, Himmler, aber auch Darré, der allerdings – zu seinem späteren Glück – im Zweiten Weltkrieg keine Macht mehr hatte.453 spielsweise mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird, dann müssen sich die Eltern mit dieser Realität auseinandersetzen und entscheiden, ob sie mit einem derart behinderten Kind leben wollen. Das Selbstbestimmungsrecht als Teil der Menschenwürde (der Mutter) ist gegen das Recht auf Leben (des Kindes) abzuwägen. 450 Darré an E. Jung, 4.3.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). Im Übrigen  : Stuckart/Schiedermair, 1939. 451 Vgl. den programmatischen Aufsatz des Eugenikers Fritz Lenz, »Zur Erneuerung der Ethik«, in  : DE, 1/1917, 35 ff., der – erweitert – später auch selbstständig publiziert wurde, und Darrés Bf. an Lenz v. 10.2.1931 (StAG, NLD, Nr. 87a) und Graham, 1977, 1133 ff. 452 Vgl. u. a. Klee, 1985 und Aly, 1989. 453 Es waren pragmatische, nicht grundsätzliche Gründe, die Lenz davon abhielten, in seinen konkreten

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Die »wissenschaftlichen« Lehren der »Rassenhygieniker« nahmen ungern Rücksicht auf traditionelle Moralvorstellungen und religiöse Skrupel. Sie wollten eine »rassische Verbesserung« der Bevölkerung und übersahen, dass dies nicht nur im Sinne der Gesundheit (Erbkrankheiten), sondern auch einer vermeintlichen »Höherzüchtung« oder »Aufnordung« geschehen konnte. So war es nur folgerichtig, dass nicht nur die Schwachen und Kranken, sondern auch die als »minderwertig« angesehenen, aber »arteigenen Blutsanteile« aus der Fortpflanzungskette herausgehalten werden sollten. Sie waren zwar nicht vorbildlich, mussten aber zunächst noch akzeptiert werden, während alle »artfremden« Menschen, die man als potentielle Feinde wahrnahm, im »Dritten Reich« aus der nach rassistischen Gesichtspunkten neu formierten Gesellschaft, der »Volksgemeinschaft« als »Blutsgemeinschaft«, ausgeschlossen wurden.454 Wie entscheidend der Unterschied ist, ob man »Rasse« als biologisches Faktum oder als sozialen Mythos betrachtet, wurde von Theodor Heuss in seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus schon 1932 klar gesehen, wenn er schreibt  : »[…] macht man sich aus hundert körperlichen Merkmalen […] einen Idealtyp und überschreitet die Schwelle der empirischen Darstellung zu moralischen und geistigen Bewertungen vorandringend, dann ist der Augenblick gekommen, wo man stolpert.« Der spätere Bundespräsident warnte schon frühzeitig, wenn er fortfuhr  : Wer dieser These sich unterwirft, wird sich damit immer gerne bestätigen, daß er zu den anderen gehört. Blauäugige Blondheit ist der Ausweis eines Herrschaftsanspruches, ja mehr, der Ruf einer Herrschaftspflicht. Wir verdanken ihr das Wort von der »Aufnordung«, die als Aufgabe gestellt ist. Das Irrationale der Lebensbedingungen wird in die Nähe einer Gestütsordnung gerückt.455

Es war der genetische Determinismus, der die Grenzüberschreitung von der Tier- zur Menschen-»Zucht« erleichterte und die Biologie zur Ingenieurwissenschaft des Lebens machte. Aber nicht nur eine Reglementierung zwischenmenschlicher Beziehungen, wie sie in Darrés Konzeption eines Herdbuchverfahrens für Menschen zum Ausdruck kam, wohnt seiner Rassenideologie inne. Hass und Verachtung, Ausgrenzung und der Wunsch nach Ausrottung (»Ungeziefer«) sind die Folge, wenn alle positiven Eigenschaften einer »Rasse« A, alle negativen Eigenschaften einer »Rasse« B zugeschrieben werden. Insofern ist die – auch von Darré in den 1940er Jahren, als er im politischen Abseits und dann in Nürnberg vor Gericht stand – in Anspruch genommene Ratschlägen zur Erbgesundheitspflege konsequent zu sein. Auch er befürwortete die biologische Möglichkeit, die Bevölkerung »rassisch zu veredeln«. Deshalb ist es zutreffend, wenn festgestellt wurde  : »Eine Entwürdigung des Menschen bedeutete Lenz zufolge die rassenhygienische Züchtung […] nicht. Vielmehr war es gerade umgekehrt  : Züchtung fand fortlaufend statt, nur war es eine ›Züchtung im Sinne der Gegenauslese, eine Herabzüchtung, die zur Entartung führt‹ (Lenz).« Weingart/Kroll/ Bayertz, 1992, 170. 454 Vgl. u. a. Evans, 2005, Bd. 2, 586 ff. und Schmuhl, 1987. 455 Heuss, 1932, 32 und 38.

»Blut«: Darrés Rassismus

Unterscheidung zwischen einem »positiven« und einem »negativen« Rassismus obsolet. Der »rassenhygienischen« Erbgesundheitspflege folgte die »Rassenpflege« und ihr als »Zuchtziel des deutschen Volkes« (Darré) die »Aufnordung«. Und mit der »Entmischung« des Erbgutes zugunsten der »Nordischen Rasse« (Auslese) war unweigerlich die Herabsetzung und Ausgrenzung anderer, unerwünschter Erbgutbestandteile oder »Blutsanteile« oder »Rassen« (Ausmerze) verbunden. 456 »Negativer« Rassismus im Sinne einer Ausschaltung unerwünschter menschlicher Eigenschaften aus der Fortpflanzungskette und »positiver« Rassismus im Sinne einer Förderung erwünschter menschlicher Eigenschhaften sind zwei Seiten einer Medaille. Nur wer weiß, was gut und was schlecht für die Menschheit, ein Volk oder ein Individuum ist, kann in den Erbgang »positiv« bzw. »negativ« eingreifen. Sowohl Schallmayer und Ploetz als auch Günther, Darré und Himmler wollten »minderwertige« Varianten innerhalb des »Volkskörpers« entweder durch Sterilisierung oder durch Eheverbote von der Fortpflanzung ausschließen. Der natürlichen Selektion sollte durch gesetzliche und politische Maßnahmen nachgeholfen werden. Dies geschah konsequenterweise dann auch bei der Eliminierung unerwünschter bzw. als feindlich deklarierter »Rassen« aus der »Volksgemeinschaft«. Es konnte Darré  – justiziabel  – persönlich nicht nachgewiesen werden, sich dabei persönlich die Finger schmutzig gemacht zu haben. Aber er und seine »Blut und Boden«-Ideologie lieferten, wie andere ›Schreibtischtäter‹ auch, die Argumente für die Diffamierung und Diskriminierung von Menschen angeblich »minderwertiger Rasse«, was Juden und Slawen angeht, sogar für ihre Ausrottung. Er lieferte Rechtfertigungen für die Zerstörung des Bildes vom Menschen, wie es Antike, Christentum und Aufklärung gestaltet haben. Er half mit, den moralischen Irrweg akzeptabel und salonfähig zu machen, auf dem das Rechtsbewusstsein in Deutschland gegen grausame und unmenschliche, ja verbrecherische Gesetze wehrlos wurde.457 Die »Verhütung erbkranken Nachwuchses« (Zwangssterilisierung), die Tötung »unwerten Lebens« (euphemistisch »Euthanasie« – schöner Tod – genannt) und die Ausrottung ganzer Volksgruppen (Genozid) sind Maßnahmen, denen eine imanente 456 Lothar Stengel-von Rutkowski, Mitarbeiter Darrés im RuSHA der SS und erster Assistent von Professor Karl Astel, dem Nachfolger Günthers in Jena, dessen Lehrstuhl für »menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung« 1935 in »menschliche Erbforschung und Rassenpolitik« (nomen est omen) umbenannt wurde, sprach sich 1938 in der Monatsschrift der Nordischen Gesellschaft explizit und konsequent auch für eine »negative Eugenik« aus (Der Norden, 15. Jg., 18 ff.). Astel nahm sich 1945 das Leben, während Stengel-von Rutkowski nach 1945 als Amtsarzt in Hessen praktizierte. Vgl. Heiden/ Mai, 1995, 317 ff.; Hossfeld, 2004 sowie I. Heinemann, 2003. 457 Nach den Erfahrungen, die mit der Setzung neuer Rechtsnormen im »Dritten Reich« gemacht wurden, kam der bedeutende Rechtsphilosoph Gustav Radbruch zu der bemerkenswerten Aussage  : »Es kann Gesetze mit einem solchen Maß von Ungerechtigkeit und Gemeinschädlichkeit geben, dass ihnen die Geltung, ja der Rechtscharakter abgesprochen werden muß.« (»Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht«, in  : Schweizerische Juristen-Zeitung, 1946, 105 ff.).

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Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich«

Logik der Rassenideologie zugrunde liegt.458 Aus der geistigen und moralischen Überlegenheit der »Rasse« A ergibt sich ihr »Führungsanspruch«, das Recht, die »Untermenschen« der »Rasse« B und anderer »minderwertiger Rassen« zu beherrschen und zu unterdrücken.459 Man kann sogar die andere »Rasse« für ein Missgeschick oder eine angebliche Fehlentwicklung verantwortlich machen. Aus der »Minderwertigkeit« der Rasse B ergibt sich schließlich das Recht, die Ehegemeinschaft mit ihr zu verbieten, ihre Angehörigen aus führenden Stellungen zu entfernen, sie ihrer Einkünfte und ihres Vermögens zu berauben, sie zu sterilisieren, ihre staatsbürgerlichen Recht einzuschränken usw. usw. Es ist nur ein kurzer Schritt von der Einschätzung  : »minderwertig« − bis zur Tat  : liquidieren. Man kann dies sogar im Namen der Sittlichkeit tun, denn die Menschheit wurde ja von einem Übel befreit. Im »Dritten Reich« wurde auf eine erschreckend deutliche Weise vorgeführt, dass »Moral ein Teil der Tat« (Raphael Gross) ist und dass einer ›bloßen‹ Idee die Tat folgen kann. Aber es war eine perverse »Moral«, die hinter diesen Taten stand. Auch Darré hat zu dieser Perversion ethischer Normen seinen Beitrag geleistet. Er hat dazu beigetragen, das Bewusstsein der einfachen Polizisten, Wehrmachtssoldaten und Mitglieder der SS-Einsatzgruppen für persönliche Mitverantwortung an ihrem Tun im Zweiten Weltkrieg zu verdrängen bzw. auszuschalten. Immerhin wurden etwa zwei Millionen slawische Männer, Frauen und Kinder in Osteuropa ermordet. Vorher waren die »Feinde« entmenschlicht worden und so die in der anthropologischen Grundausstattung angelegte humane Tötungshemmung ausgeschaltet worden. Zu der Legitimation alles dessen hat auch Darré nicht unwesentlich beigetragen. Das alles, von der gesellschaftlichen Diskriminierung und Ausgrenzung, über die Verfolgung bis zur Ausrottung, lässt sich mit einer gewissen Notwendigkeit aus der Voraussetzung ableiten, bestimmte »Rassen« bzw. Bevölkerungsgruppen oder gar Völker besäßen bestimmte unwandelbare Eigenschaften, die in ihrer Wertigkeit in ein hierarchisches System einzuordnen seien. Die Anhänger dieser Denkweise sind in letzter Konsequenz »Vordenker der Vernichtung« (Aly/Heim) gewesen, die sich vielleicht – im strafrechtlichen Sinne – nicht schuldig gemacht haben, aber große Verantwortung tragen für die Folgen ihrer Denkweise.460 Zu diesen »Vordenkern der Vernichttung« gehörte auch Darré mit seiner rassistischen »Blut und Boden«-Ideologie. 458 Vgl. u. a. Friedlander, 2001. Zur Euthanasie, der 1940/41 mehr als 70.000 Menschen zum Opfer fielen, und zur Zwangssterilisation mit an die 400.000 Opfern vgl. Klee, 1985  ; Aly, 1989  ; Hamm, 2005 und Wildt, 2008, 132 f. 459 Vgl. auch Hitler, 1932, 421  : »Sie [die »völkische Weltanschauung«] glaubt somit keineswegs an eine Gleichheit der Rassen, sondern erkennt mit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren oder minderen Wert und fühlt sich durch diese Erkenntnis verpflichtet, gemäß dem ewigen Wollen, das dieses Universum beherrscht, den Sieg des Besseren, Stärkeren zu fördern, die Unterordnung des Schlechteren und Schwächeren zu verlangen.« Selbstverständlich fehlte auch hier nicht der Hinweis, dass die Erhaltung und Unantastbarkeit des »Ariers« als »Ebenbild des Herrn Gottes Gebot« sei. 460 Vgl. dazu auch Jaspers, 1946.

5 »Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen Es ist sehr auffällig und verdient, festgehalten zu werden, dass in der BB-Teminologie [BB steht für »Blut und Boden«] das Wort »Natur« keine Rolle spielt. Der Grund hierfür ist deutlich  : die BB-Ideologie hat nichts mit der alten und niemals ganz unmodern gewordenen Naturschwärmerei gemein. Sie beruht – man hat Gründe, das Wort zu verwenden – auf der Vergottung der »Rasse«, nicht der Natur. Daher ist auch das Bild vom »Boden« längst nicht so häufig, wie das vom »Blut«, und wenn das Wort »Natur« vorkommt, dann ist es meist gekoppelt mit dem Wort »Volk« […]. Statt »Boden« nimmt »Raum« im ns. [nationalsozialistischen] Wortschatz überhand.461

Diese Feststellung aus linguistischer Sicht wird durch die politische Realität im Staate Hitlers nur bestätigt. Für Darré war Boden, d. h. Landbesitz – wie dargelegt wurde – vor allem den Menschen »nordischer Rasse« vorbehalten, weil er annahm, sie seien durch ihre »rassische« – heute würde man sagen  : genetische – Ausstattung zum Bauerntum berufen. Für Menschen »Nordischer Rasse« war Boden  – in Darrés Vorstellung  – allerdings mehr als Landbesitz oder ein Landgut. Boden hatte als Erbsitz einer Familie und Stammgut einer Sippe existenielle Bedeutung für Menschen »Nordischer Rasse« und stand damit auch für Kontinuität im Gegensatz zum städtischen Wandel. Boden war eben das Gegenteil von Vergänglichkeit. Darré verwahrte sich auch dagegen, Boden mit Naturschwärmerei (»Romantik«) gleichzusetzen, war die Metapher für ihn doch Ausdruck von Realismus. Andererseits vestand man im »Dritten Reich« unter Geopolitik die Lehre von den Beziehungen zwischen »Rasse und Raum im Völkerschicksal« und insbesondere im Umfeld der SS sprach man von der »Heiligkeit des Bodens«, vom »ewigen Acker« und vom »Sonnenlehen«, wenn es um das »All-od« oder das »Odal«, die Heimstatt der Germanen, ging. Wenn Darré allerdings meinte, nur Menschen »Nordischer Rasse« seien mit dem Boden verwurzelt, dann hatte ihm schon Willy Hellpach, der Arzt, Psychologe und Politiker, der 1925 erfolglos für die DDP bei der Reichspräsidentenwahl kandidiert hatte, widersprochen. Hellpach hatte nämlich die Bodenverbundenheit ganz allgemein für den Menschen reklamiert  : »Wir sind erdgebundene Geschöpfe.« Sein Buch Die geopsychischen Erscheinungen konnte in 5. Auflage sogar 1939 publiziert werden und war Karl Haushofer gewidmet.462

461 Seidel/Seidel-Slotty, 1961, 90. 462 Hellpach, 1911.

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Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich«

Unter dem Begriff »Boden« konnte und kann man also mehr verstehen als Landbesitz im Sinne Darrés. Auch im Sinne von »Raum« kann der Begriff Boden sehr unterschiedlich mit Inhalt gefüllt werden. Und der Topos »Blut und Boden«, so wie Darré ihn verstand, war nicht im Entferntesten das Gleiche wie »Mensch und Erde« (Ludwig Klages) oder »Land und Leute« (Wilhelm Heinrich Riehl). Um besser zu begreifen, warum Darrés Verständnis des Syntagmas »Blut und Boden« nicht verwechselt werden darf mit ruralistisch-idealistischen Bestrebungen, die Bauernhof und Landleben als Idylle verklären oder – »völkisch«-nationalistisch – das Land als »Lebensraum« und Herrschaftsgebiet verstehen oder – agrarpolitisch – die heimische Landwirtschaft (Acker, Scholle, Feld) als Garant der Volksernährung retten und gegen anderswo billiger produzierte Nahrungsmitteleinfuhr verteidigen wollen, lohnt es sich, einen kurzen Blick in die Geschichte solcher Ideen zu werfen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren sie eine Reaktion auf die unaufhaltsam fortschreitende und als Bedrohung empfundene Industrialisierung. Das gilt nicht nur für sozial motivierte Siedlungskonzepte, sondern auch für alle Lebensentwürfe, die »alternativ« sein wollten zu bestehenden urbanen Lebensformen, seien sie nun ökologisch oder ruralistisch akzentuiert.463 Was kann mit »Boden« gemeint sein? Wie die rassistisch-konstrukthafte Metapher »Blut« von Leben und Mensch bis hin zu Volk, »Rasse« oder – wie bei Darré – »Nordische Rasse« vieles bedeuten konnte und kann, so war auch die Metapher »Boden« unterschiedlich mit Inhalt füllbar und damit missverständlich interpretier- und auch unterschiedlich propagandistisch einsetzbar. »Boden« kann ja nicht nur Fundament, Grundlage oder Basis heißen, sondern auch Gebiet, Land oder Territorium bedeuten – und damit alle geographischen und politischen Gegebenheiten umfassen, in denen Menschen leben und arbeiten  : von Raum über Staatsgebiet und Nation bis hin zu Reich. Bis heute werden Wörter wie bodenständig, verwurzelt, alteingesessen, ländlich (lat. ruralis), erdnah oder naturverbunden mit dem landwirtschaftlichen bzw. bäuerlichen Milieu in Verbindung gebracht. Wenn aber »Boden« mit Region, Landschaft oder Heimat gleichgesetzt wird, dann sind damit auch Natur und ländliche Kultur involviert. Dem »Vater Staat« korrespondiert die »Mutter Erde«. Der Begriff »Boden« transportiert auch mythologische Vorstellungen  : »heilige« Erde, aus der fruchtbare Pflanzen wachsen und in welche die Toten zurückkehren (»Erde zu Erde«). Wie »Rasse«, so kann auch »Boden« biologistisch verstanden werden. Und wie bei dem Begriff »Blut«, so ist auch bei der Metapher »Boden« in der Bedeutung Erde, Scholle oder Ackerland (»Muttererde«, »Mutterboden« oder »Nährboden«) der Rückgriff auf eine atavistische Vergangenheit naheliegend, weil die Abhän463 Vgl. demgegenüber Bramwell, 2002, 380 ff.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

gigkeit des Menschen von seiner Umgebung oder seiner Umwelt größer wird, je weiter man in die Geschichte zurückgeht. In einer von Ackerbau und Viehzucht geprägten Gesellschaft hat die Nutzung des Bodens existentielle Bedeutung – ohne ihn konnte man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten, war kein Überleben möglich. Dies galt von frühgeschichtlichen Zeiten bis weit in die Neuzeit hinein. In agrarisch geprägten Wirtschaftsverhältnissen ist Landbesitz, d. h. »Boden«, Voraussetzung aller ökonomischen Aktivitäten. Dies traf für Deutschland bis weit in das 19. Jahrhundert hinein zu, bevor die unaufhaltsame Industrialisierung die Landwirtschaft, den »primären Sektor« des Wirtschaftslebens, zurückdrängte. Es ist nicht nötig, allen Bestrebungen nachzugehen, die sich im 19. und 20. Jahrhundert um die »Erneuerung des deutschen Volkes« vom Bauernhof her bemühten. Es ist lediglich darzulegen und zu dokumentieren, dass Darré nicht nur im Hinblick auf »Blut« in den Fußstapfen seiner sozialdarwinistischen und an »Rassenhygiene« interessierten Vorläufer ging. Auch im Hinblick auf »Boden« betrat er keineswegs Neuland, sondern konnte an vorhandene Weltbilder und Lebensentwürfe anknüpfen  ; denn nur so lässt sich begreifen, warum Darré mit dem Schlagwort von »Blut und Boden« eine so große Resonanz in der Öffentlichkeit fand und insbesondere von der ländlichen Bevölkerung so außergewöhnlich positiv und hoffnungsvoll aufgenommen wurde. Diese Entwicklung zu skizzieren heißt zugleich, den ideen- und kulturgeschichtlichen Weg vom Patriotismus über den Nationalismus zum »völkischen« Chauvinismus zu verfolgen. Boden als Staatsgebiet Staatsbürgerschaft

Von herausragender Bedeutung ist »Boden« oder »Land« nicht nur für Grundeigentümer, sondern auch für Staaten. Im Gegensatz zur deutschen Praxis seit 1913, als die Staatsbürgerschaft an die der Eltern geknüpft wurde (ius sanguinis), war und ist sie in anderen Ländern an das Territorium, die Staatsgrenzen gebunden (ius soli). Wer innerhalb der Staatsgrenzen, also auf dem Staatsgebiet geboren wird und das will, erhält die staatsbürgerlichen Rechte und unterliegt dann natürlich auch den staatsbürgerlichen Pflichten. Diese Alternative »Blut« oder »Boden« als Kriterium für die Staatsbürgerschaft war und ist natürlich nicht die einzige Lösung der Frage nach der Staatsangehörigkeit. Oftmals und zeitweise galt und gilt auch eine Verbindung beider Grundprinzipien  : der Volksnation als Abstammungsgemeinschaft einerseits und der Staatsbürgernation als Willensgemeinschaft andererseits.464 Es kommt nicht von ungefähr, dass im Zusammenhang mit der Diskussion um das deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 die Metapher »Blut und 464 Vgl. W. J. Mommsen, 1996, 128 ff.; Gosewinkel, 2004  ; Gall, 1995, 568 ff. und Gies, 1998.

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Die »Blut und Boden«-Ideologie und ihre Implementierung im »Dritten Reich«

Boden« expressis verbis schon in Erscheinung trat. In den Alldeutschen Blättern, die in ihrem Kopflayout den Satz führten »Bedenke, dass du ein Deutscher bist  !«, erschien am 22. Mai 1915 ein Aufsatz von Dr. Hans Ratjen, Hamburg, mit dem lapidaren Titel »Blut und Boden«. Der Verfasser setzte sich – vor dem Hintergrund des Krieges – mit den Folgen der unterschiedlichen Staatsangehörigkeitsgesetze der Kriegsteilnehmer auseinander. Sein Interesse galt natürlich dem »Kampf um die Reichsangehörigkeit der Auslandsdeutschen«.465 Seit Beginn seiner Existenz, so führte Ratjen aus, habe sich der »Alldeutsche Verband« (AdV) darum bemüht, »den staatlichen Zusammenhang zwischen dem Reiche und den Auslandsdeutschen zu fördern«. Nun aber drohe »die völlige Entrechtung und Vernichtung des Auslandsdeutschtums« durch die Geltung des ius soli – »Bodenrecht (Territorialprinzip)«  – in anderen kriegsteilnehmenden Staaten. So drohe den Deutschstämmigen in England und Frankreich die Einsperrung in Internierungslagern – er sprach von »Konzentrationslagern«, ein Wort, das in der Tat auf die Briten zurückgeht, die im Burenkrieg im Süden Afrikas in solchen Lagern unter freiem Himmel mehr als 25.000 Menschen verhungern und verdursten ließen. Dabei sei es gerade Britannien gewesen, so führte Ratjen aus, das im Hinblick auf die englischen Ansiedler in Nordamerika das ius sanguinis  – »Blutsrecht (Personalprinzip)«  – angewandt hätte, das vom Grundsatz der »Stammeseinheit, die im Blute begründet« sei, ausgehe. Dem liege die richtige Erkenntnis zugrunde, argumentiert der Autor, dass – »solange die Welt steht« – Völker und Staaten »das Bedürfnis nach nährenden Weideplätzen« gehabt hätten. Aus »Herrschaft über den Boden« sei »Herrschaft über die auf dem Boden wohnenden Menschen« erwachsen. So sei es auch im »zweiten amerikanischen Unabhängigkeitskrieg« um die Frage der »Bluts- und Bodenhoheit« gegangen. Mit heftigen Vorwürfen prangerte Ratjen Russland an. Dort »herrsche der Boden gänzlich«, das Territorialprinzip entrechte die deutschen Siedler und unterwerfe die neuen Bewohner dem Herrscher über diesen Boden, selbst wenn sie »reichsdeutsch« bleiben wollten. So würden diese Siedler – er nennt sie auch »Boden suchende Menschen« – »deutschblütige Bürger zweiter Klasse«.466 Sein Aufsatz gipfelte in der Klage  : »In Rußland reißt man die deutschen Wurzeln aus dem Boden, in England und Frankreich macht man sie [durch ein Doppelstaatsangehörigkeitsrecht] locker, im Endziele nimmt man den Deutschen jeglichen Weideplatz, im Osten wie dem Westen.« Und so plädiert er schließlich für eine »Verschmelzung des Bluts- und Bodenrechts«  ; denn  : »Nur, wer den Boden faßt, dessen Blut wird im Völkersturme nicht untergehen. Nur wer den Boden hat, des Blut wird herrschen.« Es ist offensichtlich, dass die Metapher »Blut« hier für »Mensch« oder »Volk« steht, genauer für deutsche, französische oder britische Staatsbürger. Und die Metapher 465 Alldeutsche Blätter 25/1915, Nr. 21, 165–167. 466 Es war gerade Darrés späterer StS Herbert Backe, dem dieses Schicksal widerfuhr  : Er wurde von 1914 bis 1918 als deutscher Staatsangehöriger in Russland interniert (Gespräch d. Verf. mit Ursula Backe).

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

»Boden« meint nichts anderes als das Staatsgebiet, auf dem das Staatsvolk lebt und arbeitet. Diese Verbindung von »Blut und Boden« hatte nichts mit dem zu tun, was Darré darunter verstand. Es ging auch den »Alldeutschen« – wie der deutschen Nationalbewegung in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts überhaupt – zunächst um die Einheit des »deutschen Blutes« und des »deutschen Bodens«. Vaterland

Schon 1813 hatte Ernst Moritz Arndt auf die Frage »Was ist des Teutschen Vaterland  ?« geantwortet  : alle, die Deutsch sprechen, egal ob sie Preußen, Bayern, Pommern oder Württemberger sind  ; alle, die Deutsch sprechen, egal ob sie in der Schweiz, in Kärnten, Tirol, Polen oder Russland leben. »So weit die deutsche Zunge klingt […] das soll es sein, das wackrer Deutscher nenne dein  !«, meinte der Dichter, der ein Hassprediger nicht nur gegen die Franzosen, sondern auch gegen die Juden war.467 Auch Fichte, Jahn und andere Vorkämpfer eines deutschen Nationalstaates dachten ähnlich, selbstverständlich auch Hoffmann von Fallersleben  : »Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt«. Johann Gottlieb Fichte sprach in seinen Reden an die deutsche Nation, die er im Wintersemester 1807/8 an der Berliner Universität hielt, vom »Mutterland« der Deutschen, die auf ihrem »Boden zu Hause sind«. Er fragte nach der »Deutschheit eines Volkes« und kam zu dem Ergebnis, es handele sich um Menschen, die, »wenn sie als ein Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das Volk schlechtweg, Deutsche« seien. Es ging in diesen einflussreichen Vorlesungen Fichtes immer um »Volk und Vaterland«.468 Alle Ideologen des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert instrumentalisierten sowohl das ius soli als auch das ius sanguinis zunächst im patriotischen, dann im nationalen Interesse. Freilich, Friedrich Ludwig Jahn sprach in seinem Buch Deutsches Volkstum 1810 u. a. von »Schacherjuden« und »Zigeunern«, die nicht zum »deutschen Volkstum« gehörten. »Fremdvölkische« wurden schon damals ausgegrenzt, Polen hingegen, die durch die Veränderung der territorialen Grenzen im 18. Jahrhundert ›eingemeindet‹ worden waren, sollten »eingedeutscht« werden. Hitler, Himmler und Darré wären niemals auf eine solche Idee der Assimilation gekommen, sahen sie doch in »Slawen« nichts anderes als »Untermenschen« im Vergleich zu »arischen« oder »nordischen« Menschen, ihrem idealen Menschentypus.469 Es waren nicht nur »völkisch«-chauvinistisch denkende Zeitgenossen, die bei der Bildung eines eigenen Nationalstaates der Wunsch nach einer Einbeziehung al467 Zit. n. Klaus Dede, Die missbrauchte Hymne. Ein Plädoyer. Oldenburg 1989, 58 f. 468 Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation. Köln o. J., 99, 102, 118 und 128  ; vgl. auch Fetscher, 1986, 174 ff. 469 Friedrich Ludwig Jahn, Deutsches Volkstum, 1810, in  : Carl Euler (Hg.), Werkausgabe, Bd. 1, Hof 1884. Zu solchem volklichen bzw. ethnischen Nationalismus vgl. Heckmann, 1991 und Majer, 1981.

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ler Deutsch sprechenden Menschen in das »deutsche Vaterland« umtrieb.470 Als das Paulskirchenparlament 1848 im Zusammenhang mit der »groß- oder kleindeutschen Lösung« für den zukünftigen deutschen Bundesstaat der Frage nach den territorialen Grenzen Deutschlands nachging und die Ein- oder Ausgrenzung der Polen diskutierte, die u. a. im preußischen Posen lebten, wurde auch ein gewisser Kulturimperialismus außerhalb des rechten politischen Spektrums sichtbar. Der zu den Linken gehörende Abgeordnete Wilhelm Jordan aus Berlin nannte in der heftig geführten Debatte die polnische Führungsschicht »despotische Schmarotzer« und stellte generell »die Polen« als »dreckig«, »faul« und »primitiv« dar. Jordan sprach von »polnischer Unkultur« und »polnischer Wirtschaft« und reproduzierte alle »völkischen« Vorurteile gegenüber dem »Slaventum« schlechthin. Die Deutschen hätten, so stellte er fest, polnisches Land »kultiviert«, überhaupt den Polen Kultur, »deutsche Kultur« natürlich, gebracht und so das Recht auf den einstmals polnischen »Boden« erworben. Da es sich bei der Ostkolonisation um »Eroberungen der Pflugschar« handele, müssten die Deutschen diese von Polen bevölkerten Territorien auch nicht zurückgeben. Jordan forderte einen »gesunden Volksegoismus« ein, »welcher die Wohlfahrt und Ehre des Vaterlandes in allen Fragen oben an stellt«.471 Hier ging es um nicht mehr und nicht weniger als um den Mythos von der deutschen Ostkolonisation als Volkstumskampf.472 Wilhelm Jordans rhetorische Frage lautete  : »Hat der Deutsche die Wälder gelichtet, die Sümpfe getrocknet, den Boden urbar gemacht, Straßen und Kanäle angelegt, Dörfer erbaut und Städte gegründet, um den Epigonen eines exilierten hundertköpfigen polnischen Despotismus neue Schmarotzernester zu bereiten  ?« Es gab im ›Preußischen Kaiserreich deutscher Nation‹ viele ethnische Minderheiten  : Polen in Posen, Schlesien und Westpreußen  ; Masuren in Ostpreußen  ; Sorben in Sachsen und Brandenburg  ; Litauer im Memelland  ; Wallonen an der Grenze zu Belgien in Eupen und Malmedy  ; Dänen in Schleswig und Elsässer an Deutschlands Grenze zu Frankreich. Sie alle sollten damals nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell assimiliert werden – nicht aber »rassisch«. Nicht die staatsbürgerliche »Bekenntnis- oder Willensgemeinschaft« auf der Basis des ius soli war das Ziel in Deutschland, das ius sanguinis ermöglichte es, die Nation als »Sprach- und Kulturgemeinschaft« zu legitimieren. Es galt, alle »Deutschstämmigen«, die auf deutschem Territorium, ja sogar im Ausland lebten, unter dem Dach des Nationalstaates zu vereinen. Daher auch die Unterscheidung zwischen »Reichsdeutschen« und »Staatsbürgern«, die in den Staaten vorgenommen wurde, die sich zunächst im Norddeutschen Bund und dann im Deutschen Reich 1871 zusammengeschlossen hatten. Im ›Preußischen Kaiserreich deutscher Nation‹ Bismarck’scher Prägung gab es aber nicht nur die Königreiche Preußen und Sachsen oder das Großherzogtum 470 Vgl. Schulze, 1994 und Winkler/Kaelble, 1993. 471 Vgl. Baumann/Dietl/Wippermann, 1999, Zitate 17 f. 472 Vgl. Wippermann, 1979 und 1981 sowie Burleigh, 1988.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Baden, es gab eben auch das »Reichsland« Elsass-Lothringen. Aber aus der deutschen »Kulturnation« (Friedrich Meinecke) sollte sehr bald unter dem Einfluss »völkisch«rassistischen Denkens das Wunschbild einer »Blutsnation« (Wolfgang Wippermann) gemacht werden.473 Übrigens  : Die Begriffe »Reichsdeutsche« und »Staatsbürger« tauchen in abgewandelter Form (»Reichsbürger« und »Staatsangehörige«) in den »Nürnberger Rassengesetzen« 1935 wieder auf. Auslandsdeutsche im Zeitalter des Nationalismus

Am liebsten hätte die »Völkische Bewegung« die »Stimme des Blutes« und nicht ein Gesetz darüber bestimmen lassen, wer dazu, d. h. zur nationalen »Volksgemeinschaft«, gehörte und wer nicht. Schon Lagarde hatte 1919 formuliert  : »Deutschland ist die Gesamtheit aller deutsch empfindenden, deutsch denkenden, deutsch wollenden Deutschen.«474 Es war Rudolf Heß, der diese Vorstellung auf dem »Parteitag der Ehre« der NSDAP im September 1936 in Worte fasste, als er 48 Fahnen nationalsozialistischer Auslandsorganisationen »weihte«  : »[…] glauben und wissen wir«, so sprach der »Stellvertreter des Führers«, »daß der Deutsche überall ein Deutscher ist – ob er im Reich lebt oder in Japan, in Frankreich oder in China oder irgendwo sonst auf der Welt. Nicht Länder oder Kontinente, nicht das Klima oder die Umwelt, sondern das Blut und die Rasse bestimmen die Ideenwelt der Deutschen.«475 Die Neigung zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl von Stämmen und Völkern, das durch gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur entsteht, fördert die Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden, dem »Wir« und dem »Sie«. Es durchzieht die gesamte Menschheitsgeschichte. Die anderen als Bedrohung und/oder als unkultivierte »Barbaren«, diese Unterscheidung hatte schon die untereinander heillos zerstrittenen griechischen Stadtstaaten und ihre Bürger in der Antike zusammengeschweißt. Fichte, Arndt und Jahn, die Gründerväter des deutschen Nationalismus, schöpften ihr Engagement auch aus dem Kampf gegen das Fremde – ob es nun französisch oder jüdisch daherkam. Aber mit rassistisch-biologistischem Determinismus à la Darré hatte ihre Einstellung nichts zu tun. Misstrauen gegenüber Fremdem ist die Kehrseite des Nationalstolzes, es führt zu einer steten Bereitschaft, auf eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung von außen aggressiv zu reagieren. Als es in Deutschland noch keinen Nationalstaat gab und bis diese Sehnsucht 1871 erfüllt wurde, waren es das »Volk« und das »Reich«, die – überhöht und mystifiziert – als das »organische« Band herhalten mussten, das alles zusammenhielt. Denn die Interessen der Dynastien und die Loyalität der Menschen zu Herrscherhaus und Nation waren Kräfte, die einer grenzüberschreitenden Einigung durchaus entgegenstanden 473 Vgl. aber auch W. Conze, 1963 und Winkler, 1985, die einen anderen Akzent setzen. 474 Paul de Lagarde, Deutscher Glaube, deutsches Vaterland, deutsche Bildung. Jena 1919, 76. 475 Zit. n. Fetscher/Münkler, 1986, Bd. 4, 594.

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und die Kleinstaaterei festigten. Und an der Unterzeichnung der Gründungsurkunde des »Deutschen Bundes« auf dem Wiener Kongress 1815 waren noch die Könige von England, Dänemark und den Niederlanden beteiligt gewesen. Als es nach 1871 in Deutschland einen Nationalstaat gab, wuchs die Zahl derjenigen, die Deutsch sprachen, aber nicht im »Deutschen Reich« lebten, erheblich an, weil nur die in der Paulskirche so genannte »kleindeutsche Lösung« realisiert wurde bzw. werden konnte. Um sie kümmerte sich seit 1881 der »Verein für das Deutschtum im Ausland« (VDA). Er war aus dem 1880 in Wien gegründeten »Allgemeinen Deutschen Schulverein« hervorgegangen, der die deutschsprachigen Menschen im habsburgischen Vielvölkerstaat schützen und fördern wollte.476 Nach der Gründungssatzung war es die Aufgabe des VDA, die im Ausland lebenden Deutschen »dem Deutschtum zu erhalten und sie nach Kräften in ihren Bestrebungen, Deutsche zu bleiben oder wieder zu werden, zu unterstützen«. Zu diesem Zweck wurden Schulen, Kindergärten und Bibliotheken gegründet und den schon existierenden finanziell und materiell geholfen – aus Spenden und mit Hilfe von Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit im Mutterland. Besonders aktiv und erfolgreich war die Solidaritätspropaganda des VDA in den Schulen des Deutschen Reiches, indem an den patriotischen Idealismus der deutschen Schüler und ihrer Eltern appelliert wurde. Aus 1885 etwa 12.000 Mitgliedern in 140 Ortsvereinen wurden bis zum Ersten Weltkrieg über 360.000 Mitglieder in 13 Landesverbänden und etwa 600 Ortsvereinen. Auch und gerade der VDA geriet danach immer mehr unter zeitgeistbedingten »völkischen« und chauvinistischen Einfluss. Die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg vergrößerten nicht nur die Klientel des VDA, sie führten auch zu seiner weiteren Radikalisierung. Nun ging es nicht mehr nur um die kulturelle Bindung der in aller Welt lebenden Deutschen mit dem Mutterland, nun ging es um die Erhaltung des »Auslandsdeutschtums« überhaupt und um Revisionspolitik als »Volkstumspolitik«. Übrigens schloss sich 1921 der Wiener »Deutsche Schulverein« als »Landesverband Österreich« dem VDA an und unterlief so das im Versailler Vertrag festgeschriebene Vereinigungsverbot Österreichs mit Deutschland. Der aus Kärnten stammende Hans Steinacher wurde 1933 »Reichsführer« der in »Volksbund der Deutschen im Ausland« umbenannten Organisation. Die Definition des Staatsbürgers über das ius sanguinis änderte sich in Deutschland nach 1919 also nicht, als aus dem Kaiserreich ein republikanischer Bundesstaat geworden war. Hoffmann von Fallerslebens »Lied der Deutschen« wurde erst ab 1922 deutsche Nationalhymne. Das ius sanguinis als Grundlage der Staatsbürgerschaft war sogar noch in der Bundesrepublik Deutschland bis 1999 in Geltung und ermöglichte es, geflüchtete DDRStaatsbürger umstandslos in Bürger der Bundesrepublik zu verwandeln. Aber das alles hatte nichts mit Darrés Konzept eines »nordrassischen Blutsadels« zu tun, der mit »Bo476 Weidenfeller, 1976 und Luther, 2004.

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den«, d. h. Land, existentiell verwurzelt sei. Das wird auch sichtbar, als in den 1920er und 1930er Jahren mit dem Begriff »deutscher Volks- und Kulturboden« eine auch vom VDA und anderen Volkstumsideologen wie Max Hildebert Boehm betriebene Revisionspolitik gemacht wurde. Der VDA hatte sich übrigens mit der Auslandsorganisation (AO) der NSDAP unter dem Gauleiter und Staatssekretär Ernst Wilhelm Bohle auseinanderzusetzen, die sich um die »Parteigenossen« in aller Welt kümmerte. Auch der konservative und vom Katholizismus geprägte ehemalige Reichskanzler Franz von Papen benutzt in seiner von Edgar Julius Jung, Darrés Korrespondenzpartner, verfassten Marburger Rede von 1934 ausdrücklich die Formel »Blut und Boden«. Als Gegenbewegung zur von »Rationalismus« geprägten »liberalen Revolution von 1789« müsse es Ziel einer »konservativen Revolution« sein, so Papen/Jung, die »Massen« wieder »in Volk zurück zu verwandeln«. Es komme auf eine »Rückbesinnung auf die eigenen Blutsquellen, die geistigen Wurzeln, die gemeinsame Geschichte und den Lebensraum« an. Die Nationalsozialisten hatten die »Massen« mobilisiert, die Konservativen sie an der Macht beteiligt, nun sollten die »Massen« für eine »neue soziale Ordnung« gewonnen werden, die freilich auf eine reaktionäre »ständische Ordnung« der Gesellschaft mit einer »neuen personellen Auslese« hinauslaufen sollte. Die »Massen« sollten, so wollten es Papen/Jung, in »Volk« umgewandelt werden. Hier ging es also darum, die Metapher »Blut«, verstanden als »Volk«, und die Metapher »Boden«, verstanden als »Staatsgebiet« – beides auf die Deutschen und Deutschland bezogen –, für propagandistische und machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren.477 In einem Seminar an der Universität Freiburg im Wintersemester 1933/34 mit dem Titel »Über Wesen und Begriff von Natur, Geschichte und Staat« erklärte Martin Heidegger  : »Einem slavischen Volk würde die Natur unseres deutschen Raumes bestimmt anders offenbar werden als uns, den semitischen Nomaden wird sie vielleicht überhaupt nie offenbar.« Heidegger (1889–1976), der dem »Volk« existentiell einen »Staat« zuordnete, weil seine Verwurzelung in »Boden«, »Heimat« oder »Natur« unabdingbar sei, stand mit dieser Position sicherlich in der Tradition des »völkischen« Nationalismus. Dazu gehörten Ressentiments gegen Technik und Moderne, gegen Industrialisierung und technisierte Landwirtschaft, aber auch die Diskriminierung jener Völker, deren Geschichte wenig »erdverbunden« verlief. Insofern war es nur folgerichtig, dass Heidegger große Hoffnung in den Nationalsozialismus und seine »Blut und Boden«-Ideologie setzte. Denn er sah in der Nutzbarmachung alles Weltlichen durch den Menschen und seine technischen Errungenschaften eine »Vernutzung« der natürlichen Ressourcen. Demgegenüber solle der Mensch sich eher als Gast verhalten, der nur eine Zeitlang auf Erden wohnt und sie schon allein deswegen schonen sollte. Heidegger ließ sich im April 1933 zum Rektor der Universität Freiburg wählen, wurde im Mai Mitglied der NSDAP und trat in seiner Rektoratsrede am 21. Mai 477 Die Rede Papens v. 17.6.1934 ist in Auszügen abgedruckt bei Wollstein, 2001, 148 ff. Vgl. auch Fetscher/Münkler, 1986, Bd. 4, 589 ff.

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1933 für die Etablierung des »Führer«-Prinzips an der Universität ein. Hier sprach er in Hinsicht auf das Volk von der »Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins.« Im November 1933 unterzeichnete er ein »Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler«. Aber schon nach nicht einmal einem Jahr trat er als Rektor zurück und beendete sein politisches Engagement. Heidegger hatte die nationalsozialistische »Blut und Boden«-Ideologie völlig missverstanden.478 Ein Verständnis des Topos »Blut und Boden«, das zwischen völkischem und rassistischem Denken changiert, zieht sich durch die gesamte Ideengeschichte des konservativen Nationalismus seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Um dies zu belegen, sei auf zwei völlig unterschiedliche zeitgenössische Repräsentanten verwiesen, die sich mit Hilfe der Begriffe »Blut« und »Boden« Gedanken zu ihrer Identität machten. Es war keineswegs rassistisch gemeint, wenn Walther Rathenau 1918 feststellte  : »Ich habe und kenne kein anderes Blut als deutsches, keinen anderen Stamm, kein anderes Volk. Vertreibt man mich von meinem deutschen Boden, so bleibe ich deutsch, und es ändert sich nichts.«479 In Ernst Jüngers Zukunftsvision national akzentuierter Herrschaftsverhältnisse, die u. a. die Einschränkung der Freizügigkeit und die Knebelung der Presse, die Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung, die Abschaffung des Parlamentarismus, die Disziplinierung der Parteien als militärisch organisierte Kampfbünde, wirtschaftliches Autarkiestreben und Arbeitsdienst – kurz  : die Unterordnung des Individuums unter eine Herrschaftselite – vorsah, war sogar von gewaltsamer Eroberung von Land als legitimem Teil des nationalen Selbstbestimmungsrechts die Rede. »Wer den Nationalismus bejaht«, meinte der Vertreter der »Konservativen Revolution« (Armin Mohler) in Deutschland, »darf vor seiner logischen Konsequenz, dem Imperialismus, nicht haltmachen.« Die »Blutskräfte« würden – so Ernst Jünger – den Angriff über die Staatsgrenzen hinaus führen, »um Erde für dieses Blut zu gewinnen.«480 Das war geopolitisch gemeint im Sinne von Friedrich Ratzel oder Karl Haushofer, aber nicht im Sinne von Hitler, Himmler oder Darré. Die Französische Revolution hatte zwar das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung zur Grundlage der internationalen politischen Ordnung gemacht, aber die volonté générale sollte von Individuen und nicht von Stammes- oder anderen Gemeinschaften ausgeübt werden. Konstituiert sich eine Nation aus dem stammesmäßigen Zusammenhalt (»Blut«) sowie gemeinsamer Kultur, Sprache und Geschichte, so ist 478 Denker/Zaborowski, 2009, 82 f.; Vondung, 1997, 36 und Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie. Frankfurt/M. 1992. 479 Zit. n. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.4.1997, 13. 480 Ernst Jünger, »Das Ziel entscheidet«, in  : Arminius. Kampfschrift für deutsche Nationalisten vom 7.8.1927 und »Nationalistische Grundfragen« in  : Der Vormarsch, November 1927, 130 – zit. n. H.-P. Schwarz, 1962, 75.

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ein Zusammenfallen von Staat und Nation nicht systemkonform. Wird Nation als natürliche Grundlage für ein Staatsvolk verstanden, sind auch Vielvölkerstaaten wie das Reich der Habsburger nicht möglich  – es ist ja auch im Zeitalter des Nationalismus untergegangen, was ebenfalls für die Sowjetunion zutrifft. In einer Zeit der technologischen Globalisierung und entsprechender Mobilität der Menschen ist das Zusammenfallen von Staat und Nation nicht nur anachronistisch, sondern auch nicht wünschenswert. Denn es hat auf dem Balkan und in der nachkolonialen Zeit – etwa in Afrika – zu andauernden Konflikten geführt und in Europa zu grausamen ethnischen Säuberungen. Reichsbürger und Staatsangehörige

Der französische Religionswissenschaftler und Orientalist Ernest Renan definierte in einem Vortrag an der Pariser Sorbonne 1882 Nation als »Solidargemeinschaft«, die sich durch ein »tägliches Plebiszit«, d. h. den Willen der Individuen, der Staatsbürger also, konstituiere.481 Aber es gab in Frankreich auch revanchistische Nationalisten wie Maurice Barrès (1862–1923), einen einflussreichen Schriftsteller und Politiker aus dem vom Deutschen Reich 1871 annektierten Lothringen. Er war zwar ein »Radikalnationalist« (Wehler), Kriegshetzer und – wie sich in der Dreyfus-Affäre zeigte – Antisemit, aber ein »völkischer« Rassist war er nicht. Barrès, geprägt durch die französische Niederlage gegen die vereinten deutschen Bundesstaaten, gilt als Vater des Nationalismus in Frankreich. Er war ein Gesinnungsfreund von Charles Maurras, dem Gründer der protofaschistischen »Action française«. Beide wollten zwar Frankreichs Bevölkerung vermehren, aber nicht »rassisch reiner« machen. Beide verstanden sich als nationale Sozialisten, sprachen aber auch von »le sang et le sol.«482 Barrès unterschied zwischen »race« und »nation«  : Frankreich sei eine »Nation«, die Franzosen seien aber keine »Rasse«, differenzierte er. Das Individuum bedürfe  – zu seinem Schutz  – der »Nation«  ; Barrés meinte damit offenbar den Staat. In seinem Verständnis war »race« etwas, das einen historisch, kulturell und sprachlich bedingten Zusammenhalt eines Volkes ausmache.483 »Race« war für ihn keine biologisch determinierte »Rasse«, sondern – antiintellektuell – eher irrationaler Instinkt als naturwissenschaftlich definierte Erbmasse. Wenn Barrès den Topos »la terre et la race« verwendete, dann geschah dies, um die »Verwurzelten«, die braven Bürger, die Sparer, 481 Vgl. Renan, 1996. 482 Vgl. Ernst Robert Curtius, Maurice Barrès und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus. Bonn 1921  ; Zeev Sternhell, Ni droite ni gauche. L’idéologie fasciste en France. Paris 1983  ; E. Nolte, 1963, 83 ff. und Wippermann, 2009, 24 ff. 483 M. Barrès, Scénes et doctrines du nationalisme. Paris 1902. Ähnliches dürfte für den Schriftsteller Michael Georg Conrad gelten, der damals schrieb  : »Im Geheimnis des Blutes und des Bodens ruht das Geheimnis der Kunst.« (Von Emile Zola bis Gerhart Hauptmann. Erinnerungen zur Geschichte der Moderne. Leipzig 1902, 4).

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Steuerzahler und Bauern, von den »Entwurzelten«, den Börsenspekulanten, Finanzakrobaten und Geldaristokraten, zu unterscheiden. Gewiss, Barrès entpuppte sich als Berichterstatter im Revisionsverfahren gegen Dreyfus als Antisemit, aber seine Verwendung des Begriffspaares »race et terre« ist viel mehr Mystik und sehr weit weg von dem, was später von Darré und im »Dritten Reich« unter »Blut und Boden« verstanden wurde.484 In dieses rassistische Fahrwasser geriet man in Deutschland, weil man hier dem französischen citoyen, d. h. Staatsbürger, den »Volksgenossen« gegenüberstellte. Und wer zum »Volk« gehörte, sollte schon bald nicht mehr durch Willensäußerung, Sprache und Kultur, sondern auch und vor allem durch »Blut« oder »Rasse« bestimmt werden. Das förderte Bestrebungen, die Landesgrenzen so zu ziehen, dass sich innerhalb eines solchen Staates nur eng definierte Volksgruppenzugehörige befinden würden. Das Ziel einer solchen ethnischen Homogenisierung war unrealistisch, rassenideologisch fatal, weil staatsrechtlich nicht definierbar, und politisch katastrophal. Es führte im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zu immerwährenden Kriegen und mörderischen ethnischen Säuberungen. Als 1999 das seit 1913 geltende Abstammungsrecht (ius sanguinis) durch Elemente des Bodenrechts (ius soli) in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ergänzt wurde, holte Deutschland das nach, was in anderen europäischen Staaten längst praktiziert wurde – mit freilich unterschiedlichen Akzentsetzungen. In Großbritannien, Frankreich und Italien z. B. hat der Geburtsort Vorrang, in Österreich, Spanien und den skandinavischen Ländern hat – wie in Deutschland – das Prinzip der Familienzugehörigkeit Priorität. Auf einem ganz anderen Blatt steht die infame Art und Weise, wie die Nationalsozialisten das vage und naive Verständnis des Begriffs »Blut« als »Volk« und »Boden« als »Staatsgebiet«, das dieses Volk bewohnt, aufnahmen und in ihrem rassistischen Sinne ummünzten. Das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 erklärte, nur der sei »Volksgenosse«, der »deutschen Blutes ist«. Wie das festzustellen sei, blieb offen. Auch das Agrarprogramm der NSDAP vom März 1930 bestimmte, dass nur der »Besitzer deutschen Bodens« sein könne, der »deutscher Volksgenosse« sei. Nachdem am 1. Januar 1935 die deutschen Länder aufgehört hatten zu existieren, ging ihr Staatsbürgerrecht, das eigentlich ein Landesbürgerrecht als Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft im Gesamtstaat war, auf das Reich über. Schon durch das Gesetz »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 mussten Staatsbedienstete einen »arischen« Abstammungsnachweis führen. In Fricks Reichsinnenministerium wurde damals intensiv über ein Gesetz »über die Reichsangehörigkeit und das Reichsbürgerrecht« beraten. Es ging darum, wer »Deutscher« sein sollte. Der ›Eiertanz‹ um mögliche Definitionen macht das Problem um den Begriff »arisch« deutlich, der zur Verfügung stand  : 484 Vgl. demgegenüber den leider völlig misslungenen Beitrag Anna Bramwells »Blut und Boden« in  : François/Schulze, 2002, 380 ff.

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Deutsch ist, wer von deutscher Abstammung ist. Deutscharischer Abstammung ist, wer deutscher oder vorwiegend deutscher, dabei aber zumindest arischer Abstammung ist. Arisch ist das dem deutschen stammverwandte Blut. Als arisch gilt der Abkömmlimg eines Volkes, das unvermischt in geschlossener Volkstumssiedlung seit geschichtlicher Zeit in Europa beheimatet ist.485

Es war nicht verwunderlich, dass der Gesetzentwurf in einer Schublade des Ministeriums verschwand. Auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP 1935 wurde beschlossen, dass nur »Reichsbürger« sein konnte, »wer deutschen oder artverwandten Blutes« sei. Alle anderen Deutschen waren »Staatsangehörige« minderen Ranges.486 Zu ihnen gehörten nach den entsprechenden Durchführungsverordnungen – es waren 13 – ausdrücklich »Juden«, »Zigeuner« sowie »Neger und ihre Bastarde«. Menschen der beiden letzteren Kategorien konnte man an äußeren Merkmalen wie Hautfarbe und Haaren erkennen, für »Juden« galt ein Abstammungsnachweis, der sich – notgedrungen – an der Religionszugehörigkeit der Vorfahren orientieren musste. Ob alle Deutschen, die auf deutschem Staatsgebiet lebten, und alle »Deutschstämmigen«, die im Ausland lebten, nach Günthers und Darrés Kategorisierung »Reichsbürger« sein konnten, blieb offen. »Nordische«, »ostische« oder »dinarische« Menschentypen standen ja auch nur auf den Papieren, die Hans F. K. Günther beschrieben und veröffentlicht hatte. Darré hatte 1930 in seinem zweiten Buch gefordert, zur »germanischen Auffassung vom Adel« zurückzukehren. Dieser altgermanische Adel sei die auf der Grundlage der weltanschaulichen Bejahung der erblichen Ungleichheit des Menschentums durchgeführte Gliederung des Volkskörpers nach unterschiedlich veranlagten Blutstämmen, zwecks ausgiebiger Bereitstellung von erprobter Erbmasse für die Auswahl geeigneten Führertums.

Hierzu hatte er sich als theoretisierender Schriftsteller den »Hegehof« für Menschen des »nordischen« Menschentyps ausgedacht und die anderen Günther’schen Typen entsprechend eingeordnet  : »Wenn ›ostische Mädchen‹ keine Kinder bekommen, sind sie für die Zukunft unseres Volkes völlig belanglos«. 1932, als aktiver Politiker, musste er Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer Menschentypen nehmen, die nicht nur »Volksgenossen«, sondern auch in der Landwirtschaft tätig waren, wie »fälische«, »westische« oder gar »ostische«, die in der Günther’schen Klassifikation minderen Ranges waren.487 485 BA, R 43 II/720a, Bl. 51 ff. und 125 f. 486 RGBl. 1935 I, 1333 f. und 1460. 487 Darré, Neuadel, 1935, 39 und 47  ; Darré, »Zur Neuadelsfrage«, a. a. O., 550 (StAG, NLD, Nr. 378) sowie Darré, »Bauer und Landwirt«, in  : DA, 1932/33 (1.8.1932), wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 177 ff.

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Um die Betroffenen »nicht zu beunruhigen und damit die Ernährungsfreiheit des deutschen Volkes nicht [zu] gefährden«, griff er auf das Konstrukt altgermanischer »Volksgemeinschaft« zurück  : Darré sprach von »Edelfreien« mit »nordischen Blut«, den »Gemeinfreien« mit »artverwandtem Blut« und den »Hörigen«, die zwar auch als »Volksgenossen« gegolten, aber sich in einer deutlich niederen Zuarbeiterrolle befunden hätten. Wenn das der »ostische« Menschentypus in Günthers Terminologie war, dann konnten etwa die Menschen »fälischen« oder »dinarischen Blutes« zu den »Gemeinfreien« gehören. Alle drei »Geburtsstände« konnte er so in seinen »Erbhof«Vorschlag integrieren. Jedenfalls stellte Darré diesen drei »Volksgenossen« die »Ungenossen« gegenüber. Zu diesen »Blutsfremden« zählte er »Juden und Zigeuner«, rückte aber auch die Slawen, die er etymologisch den Sklaven zuordnete, in deren Nähe.488 Später waren sie alle, in der Sprache der SS, »Fremdvölkische«. So wurde in Darrés Aufsatz »Bauer und Landwirt« vom August 1932 die »Hegehof«Idee den Realitäten im deutschen »Volkskörper« angepasst und zum »Erbhof«-Gedanken weiterentwickelt. Um »die bedingungslose Erhaltung der noch vorhandenen echten Bauernfamilien auf ihrer angestammten Scholle« zu erreichen, forderte er in richtiger Einschätzung der Rechtslage die »Schaffung eines Rahmengesetzes des Deutschen Reiches«, das »Erbhöfe« zu schaffen möglich mache. Sie sollten »vor Teilung und Verschuldung, aber auch vor landwirtschaftlichen Reingewinnsüchteleien ihres jeweiligen Besitzers grundsätzlich geschützt« sein. Als das »Reichserbhofgesetz« (REG) am 29. September 1933 erlassen wurde, war von der »Freiwilligkeit des derzeitigen Eigentümers eines landwirtschaftlichen Betriebes«, einen »Antrag« zur Eintragung in eine »Anerbenrolle« zu stellen, wie er es 1932 noch vorgeschlagen hatte, nicht mehr die Rede. Die Machtposition, welche die Regierung Hitler und mit ihr Darré mittlerweile errungen hatte, ermöglichte nun viel rigidere Maßnahmen.489 In § 12 REG wurde vom Besitzer eines »Erbhofes« die »deutsche Staatsangehörigkeit« verlangt. Dies schloss Dänen, Polen, aber auch Österreicher aus, die in Deutschland Landwirtschaft betrieben. § 13 REG bestimmte, woran die »deutsche Staatsbürgerschaft« und damit der Besitz eines »Erbhofes« gebunden waren. Von »nordischem Blut«, wie Darré es in seinen Publikationen für den »Hegehof« gefordert hatte, war da nicht mehr die Rede. Der Terminus hieß »deutsches oder stammesgleiches Blut«. Damit waren alle Menschentypen, die Günther im »deutschen Volk« gesehen hatte, inkludiert  ; denn man konnte die »fälischen/dalischen«, die »westischen« und »dinarischen«, die vornehmlich im Süden und Westen lebten, ja nicht einmal die als »minderwertig« stigmatisierten »ostischen« Menschen nicht ausschließen. Wohl aber »Juden«, die im Abstammungsnachweis bis 1800 nicht vorkommen durften. Der blonde, blauäugige, große und schlanke »nordische« Menschentypus, für den Darrés »Hegehof/ Erbhof« eigentlich gedacht war, wurde quasi der »Volksgemeinschaft« geopfert. Die 488 Ebd., 183 ff. 489 Ebd., 208 f. und Grundmann, 1979, 63 ff.

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»Nordische Rasse« blieb aber als Erziehungsideal, als Vorbild, dem es »züchterisch« nachzueifern galt, immer präsent und war in der SS annährungsweise sogar realiter vorhanden.490 1933, als das REG vom »Bauern« in Abgrenzung zum »Landwirt« die »deutsche Staatsangehörigkeit« verlangte, war noch nicht von »Staatsangehörigen« (minderen Rechts) und »Reichsbürgern« (mit vollen staatsbürgerlichen Rechten) die Rede, wie 1935 auf dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg beschlossen. Ob »deutsche Reichsbürgerschaft« oder »deutsche Staatsangehörigkeit«, ob der höherwertige Rang an »arisches« oder »deutsches Blut« gebunden wurde, was »artverwandt« oder »stammesgleich« bedeutete, mag eine juristische Spitzfindigkeit sein und bei Staatsrechtlern zu Diskussionen geführt haben. Die vage und unsichere, ja widersprüchliche Terminologie, die schließlich in den Gesetzen stand, macht aber nur die Schwierigkeit deutlich, die rassistisch verstandene »Blut und Boden«-Ideologie in gerichtsfeste Paragraphen zu fassen. Boden als Siedlungsraum und Machtfaktor Die Kultivierung von »Boden« und die Gestaltung von Landschaft als »Lebensraum« – der Begriff stammt von Friedrich Ratzel  – war per se schon ein Atavismus, der die gesamte Menschheitsgeschichte durchzieht. Und ähnlich wie den konservativen Nationalisten erging es auch denjenigen, die geographische Gegebenheiten, Klima und Bodenbeschaffenheit als Determinanten politischer und gesellschaftlicher Prozesse ernst nahmen  : Sie gerieten in den Sog unterschiedlicher Interessen und Bestrebungen. Peuplierung, Volkstum und Bodenerschließung

Im 18. Jahrhundert galt es für Herrscher, nicht nur »Peuplierung« zu betreiben, sondern den Menschen auch Land zur Verfügung zu stellen, das sie für eigene Bedürfnisse nutzen konnten. Derjenige galt als guter und erfolgreicher Staatsmann, der – nach den Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg – Land und Leute zu vermehren wusste. Man sprach von »Staatssiedlung« durch »Kolonisten« (colonus = Bauer, Landwirt), die man nicht nur, aber auch aus dem Ausland anwarb. Außerdem gehörten zur »Peuplierung« Maßnahmen zur friedlichen Landgewinnung wie Eindeichung an Küsten und Flüssen, Trockenlegung von Sumpf- und Moorland, Meliorationen, also Kultivierung des Bodens. Gewaltsame Landnahme und kriegerische Landeroberung wurden selbstverständlich ebenfalls praktiziert  ; denn Raumgewinn bedeutete Machtgewinn. Für das 490 RGBl. 1933 I, 685 ff.; Darré, Neuadel, 1935, 229 ff. und Saure, 1941, 14, der nun schon das REG als »einheitliches bäuerliches Erbhofrecht des Großdeutschen Reiches« erläutern konnte. Es galt nun für das Saarland (1935), Österreich (1938), Memelland (1939), die sudetendeutschen Gebiete (1939/40), Danzig (1940) und im Westen Eupen-Malmedy (1940).

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Preußen Friedrichs  II., des »Großen«, trifft beides zu  : Er schuf im Oderbruch mit friedlichen Mitteln eine »neue Provinz« und er eroberte in einem langen und blutigen Krieg Schlesien. Immer wurde der »Boden« in das macht-, wirtschafts-, sozial-, gesundheits- oder bevölkerungspolitische Kalkül genommen. Im 19.  Jahrhundert, als die Bevölkerung durch die Industrialisierung in die Städte und Ballungszentren strömte, sollte diese »Landflucht« im Interesse der Volksgesundheit, aber auch der Landwirtschaft abgeschwächt oder gar umgeleitet werden. Auch dabei spielte die Formel »Blut und Boden« eine Rolle, denn sie suggerierte, dass es um das Verhältnis der »Leute« zum »Land«, der Menschen zu Erde und Natur gehe. In diesem Sinne nahm der zeitweilige ostpreußische Oberpräsident und ehemalige Sozialdemokrat August Winnig (1878–1956) die zwei Begriffe »Blut« und »Boden« in den 1920er Jahren auf und brachte sie in abgewandelter Form miteinander in Verbindung. »Blut und Boden sind das Schicksal der Völker. In diesen beiden Urgegebenheiten erhält das Leben Richtung und Form«, schrieb er 1928. Liest man weiter, so stellt sich heraus, dass Winnig mit »Boden« die »Eigennatur des einen Staat umspannenden Erdraums« und mit »Blut« die »Eigennatur der Volkspersönlichkeit« meinte. Es ging ihm um das richtige Staatsverständnis und deshalb präzisierte er  : »Unsere Vorstellung vom Staat haftet an zwei Elementen  : an Mensch und Raum.« An anderer Stelle sprach er auch von »Volkstum« und »Landschaft«. Er argumentierte auf solche Weise gegen »jede schematisierende Staatstheorie und jeden Versuch einer Staatskonstruktion«. Und er fuhr fort  : »Wegen dieser Verschiedenheit des Blutes und des Bodens im obigen Sinn werden die Staatsgebilde der Völker immer verschieden sein.«491 Diese Individualisierung des Staates ging bei Winnig mit einer Mythisierung des Lebens einher, dessen »Träger« er »Blut« nannte. Der ehemalige Gewerkschafter dokumentierte so seine Absetzbewegung von einer sozialistischen hin zu einer »völkisch«nationalen Weltsicht. Winnig war als ›nationaler‹ Sozialist aus dem Ersten Weltkrieg gekommen mit der Vorstellung, es sei auch im Zivilleben so etwas möglich wie »Volksgemeinschaft«. Als Generalbevollmächtigter der Regierung für die besetzten baltischen Länder setzte er sich enthusiastisch für die Interessen des »Deutschtums« im Nordosten Europas ein. Er verlor sein Amt als Regierungschef in Ostpreußen, weil er sich am Kapp-Putsch beteiligt hatte, wurde aus der SPD ausgeschlossen und trat 1930 in die »Volkskonservative Vereinigung« ein.492 Als Publizist vertrat Winnig eine vitalistische Geschichtsmystik, auf die ein Bild wie »Blut und Boden zeugen das Geschehen« hinweist. Was damit gemeint war, kleidete er in den Antagonismus  : »Der Boden beharrt. Der Mensch auf ihm lebt, stirbt und erneuert sich in der Kette der Geschlechter. Der Boden ist ewig. Der Mensch ist 491 Erstmals publizierte Winnig diese Gedanken im Dezember 1924 in den Süddeutschen Monatsheften. Im Übrigen  : Winnig, 1928, 3 ff.; 1926  ; 1933 und 1951. 492 Vgl. Landgrebe, 1961 und Ribhegge, 1973.

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vergänglich. Der Boden ist Ruhe. Der Mensch ist Bewegung. Doch beide sind Träger kosmischer Kräfte.« In solchen bildmächtigen Sätzen drückte sich eine archaischtriebbedingte Vorstellung von Politik und Geschichte aus, die antirationalistisch und antimechanistisch, eben – wie Winnig sagte – »instinkthaft« sein wollte. Eine vitalistische Attitüde war damals bei vielen Menschen ›modern‹, aber rassistisch war sie nicht. Winnig ersetzte bewusst den marxistischen »Klassenkampf« als Movens der Geschichte durch einen »Kampf der Völker um Lebensraum«. Er verband mit »Blut« die »biologische Fruchtbarkeit« bzw. die »Zeugungskraft« eines Volkes und mit »Boden« nicht nur  – wie Spengler  – die Umweltbedingungen, sondern die Wirtschaftskraft eines Staates, d. h., über das rurale Potenzial zur Ernährung hinaus schloss er beispielsweise auch die Bodenschätze ein. Weil es »deutsches Schicksal« sei, »daß deutsches Blut fruchtbarer ist als deutscher Boden«, müssten Kredite aufgenommen werden, um Lebensmittel zu bezahlen, welche die eigene Landwirtschaft nicht erzeugen könne und welche deshalb importiert werden müssten. »Weil unsere Bevölkerung im Verhältnis zu unserem Siedlungsraum zu groß ist«, müsse es Ziel aller Politik sein, »durch die Hebung der Ertragskraft des deutschen Ackers die Einfuhr zu vermindern«. Winnig sprach – den Titel eines zeitgenössischen Romans von Hans Grimm aufgreifend, auf den auch Darré später Bezug nahm – im Hinblick auf diese »Lage des Volkes ohne Raum« von einem »organischen Leiden, das […] nicht nur die Landwirtschaft, sondern den ganzen Volkskörper bedroht«.493 Winnig plädierte also aus dem nationalen Interesse einer ökonomischen Unabhängigkeit vom Ausland für eine Stärkung der Landwirtschaft im Industriestaat Deutschland. Aber wenn er »den Menschen und die Wirtschaft des Ackers« als ein »unersetzliches Volksgut« bezeichnete, das man »hegen und hüten« müsse, dann wird deutlich, wie sehr Winnig auf einen dumpfen Konservatismus setzte, dem alles Liberale und Neumodische suspekt war. Ihm ging es eher um die »erdhafte Gebundenheit« des Bauern, die er gegenüber dem »Auflösungswerk der städtischen Zivilisation« bevorzugte. Für Winnig war, wie für alle, die in der fortschreitenden Urbanisierung der Gesellschaft ein Verhängnis sahen, die »Entwurzelung des ländlichen Menschen« und die »Abwanderung der Landarbeiter in die Städte« nichts anderes als verachtenswerte »Landflucht«, die der »Fahnenflucht« gleichkam. Aber von einer derartigen Überhöhung oder gar Mystifizierung des Bauerntums, wie Spengler sie zelebrierte, kann bei Winnig keine Rede sein. Und von einer Anbindung »deutschen und stammesgleichen Blutes« an einen »Erbhof« – wie bei Darré später – erst recht nicht.494 Es ist eine antiurbane, antimoderne, auch eine nationalistische Haltung, die aus Winnigs Worten spricht. Er wandte sich gegen den Nivellierungsprozess eines her493 Vgl. Darrés Auseinandersetzung mit Böhmer im März 1930 (in  : Darré, EuW, 1940, 131) und sein agrarpolitisches Manifest »Stelllung und Aufgaben des Landstandes in einem nach lebensgesetzlichen Gesichtspunkten aufgebauten Staat«, in  : Darré, BuB, 1941, 213. 494 Vgl. Dietze, 1941, 287 und Krenzlin, 2003, 126.

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aufziehenden Massenzeitalters ebenso wie gegen eine allzu rationale Interpretation des Staates als Ergebnis von Wille und Vernunft. Stattdessen sah er das »Wesen des Staates« aus der »Innerlichkeit des Volkstums« abgeleitet und auf »Führung« angewiesen. »Erst die Führung erhöht das Volkstum zur Nation, indem sie dem Volkstum Aufgaben setzt«, verkündete er. Von Rassismus, wie er von Darré vertreten wurde, kann bei August Winnig also nicht die Rede sein. Er machte zwar Gebrauch von dem Begriffspaar »Blut und Boden«, distanzierte sich aber vom Nationalsozialismus und zog sich nach 1933 aus der Öffentlichkeit zurück.495 Wenn der passionierte Volkstumskämpfer Max Hildebert Boehm (1891–1968) vom »Kampf der Sudetendeutschen um die Behauptung ihres Volksbodens« sprach, dann stand dahinter ein ähnliches Verständnis der Volksnation, wie es auch Winnig vertrat.496 Auch Boehm ging es – wie Maurice Barrès in Frankreich – um eine Rückbesinnung auf die »tiefsten Wurzelkräfte« des Volkstums zum »mütterlichen« Boden, der Erde. Seine Definition »Volksboden entsteht, wo zwischen Volk und Erde eine Bindung eintritt, die auf Überdauerung angelegt ist« zielte auf »Neugebärung des Vaterlandes aus dem Mutterland«. »Volk« war bei Boehm eher »Stamm« als »Staatsvolk«, das über seine politische Verfassung bestimmt. Und »Volksboden« wurde nicht als »Staatsgebiet«, sondern als angestammter, historisch tradierter Lebensraum eines Volkes oder Volksstammes verstanden.497 Rassismus im Darré’schen Sinne war auch das zunächst nicht. Und in welchem Kontext verwendete der »Nationalbolschewist« Ernst Niekisch (1889–1967), der auf den Strasser-Flügel der NSDAP Einfluss hatte, den Slogan »Blut und Boden«, den er 1931 benutzte  ? Der ehemalige Augsburger Volksschullehrer war – als Mitglied der SPD – 1918/19 Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates in München gewesen und verbüßte für diese »Beihilfe zum Hochverrat« eine eineinhalbjährige Haftstrafe. Ähnlich wie Arthur Moeller van den Bruck (Das dritte Reich, 1923) trat Niekisch für ein Bündnis von Arbeiterbewegung und konservativen Kreisen, von Sozialismus und Nationalismus ein, war aber auch zutiefst antiurban, antidemokratisch und antiwestlich eingestellt. Niekisch suchte ein diffuses Heil »im Osten«. Um die zunehmende »Verstädterung« zu bekämpfen, wollte er dem »germanischen Seinskern wieder Luft und Raum« verschaffen. Durch das »Heilserum slawischen Blutes« müsse der »germanische Mensch von der romanischen Ansteckung kuriert« werden, war Niekisch überzeugt.498 Niekisch, der 1937 verhaftet und – wiederum wegen Hochverrats – vom Volksgerichtshof zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sah in »Rassenmischung« ein positives 495 Vgl. Winnig, 1928, 263 f. und 281 ff. Vgl. auch H. Haushofer, 1958, 167 f.; Schüddekopf, 1960, 221 und Sontheimer, 1962, 65 f. 496 M. H. Boehm in  : Das Reich, Nr. 13 vom 18.8.1940, 21. 497 Boehm, 1932, 83  ; 1933, 34 und 57 sowie 1935. Vgl. auch Emmerich, 1971. 498 Vgl. Niekisch, 1930, 164 ff. und 184 ff. sowie »Das Gesetz von Potsdam«, 1931, in  : Widerstand, hg. von U. Sauermann. Krefeld 1982, 83 ff. (Zitat 91). Im Übrigen Rätsch-Langejürgen, 1997 und Breuer, 1993, 92 f. und 112.

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Element der Menschheitsentwicklung. Insbesondere meinte er, aus einer Kreuzung der »germanischen Grundsubstanz« mit »slawischem Blut« müsse eine »preußische Rasse« entstehen. Sie müsse die romanisierte bürgerlich-städtische Welt »durchdringen« und ihr einen »biologischen Unterbau« geben. Denn  : »Vorgänge und Wandlungen, die sich ausschließlich im geistigen Gebiet vollziehen, haben keinen Bestand  ; sie dauern nur, wenn sie an Blut und Boden haften.« Er träumte von einem »mächtigen germanischslawischen Weltreich«, das durch den »Geist preußischer Zucht, preußischer Entbehrung, preußischer Führerauswahl, preußischer Ordensregel und preußischen Kämpfertums« geprägt sein müsse. Niekisch verbrachte die Zeit bis 1945 unter schweren körperlichen Misshandlungen im Zuchthaus Brandenburg, wurde Mitglied der KPD/SED und Professor für Soziologie an der »Humboldt-Universität« in Ostberlin. Nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 trat er aus der Staatspartei der DDR aus und siedelte nach Berlin (West) um. Für Wolfgang Abendroth, einen der Mentoren linksradikaler Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, war Niekisch ein Vorbild und »Lehrer, von dem wir auch künftig viel zu lernen haben werden«. Von einer sozialistischen und nationalistischen Grundposition aus sog Niekisch offensichtlich Ideen und Ideologien auf, die den Zeitgeist in den 1920er Jahren bestimmten, und baute sie in sein »linkes« Weltbild ein.499 Auch seine Verwendung der Doppelmetapher »Blut und Boden« hatte nichts mit der zu tun, die R. Walther Darré in die »Hitler-Bewegung« einbrachte. Damaschkes Bodenreformbewegung und das Reichsheimstättengesetz

Es gab seit der Mitte des 19.  Jahrhunderts viele Bestrebungen, die Besitzrechte am Boden aus sozialpolitischen Gründen zu verändern, sei es – revolutionär – in Form von Enteignung, d. h. durch grundsätzliche Abschaffung des Privateigentums und seine »Vergesellschaftung«, sei es – als »Bodenreform« – durch Beseitigung des Zugewinns, der »Grundrente«, Enteignung gegen Entschädigung oder Ankauf und Ansiedlung Besitzloser zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts sowie Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Da Boden nicht – wie andere Waren – beliebig vermehrt werden kann, sollte er  – so die Reformvariante  – rechtlich vor Missbrauch geschützt werden und seine Wertsteigerung dem Volksvermögen zugeführt werden. Der US-amerikanische Sozialreformer Henry George (1839–1897) trat nicht nur für eine einheitliche Besteuerung von Grundbesitz ein, er kritisierte auch die »Grundrente«, also den Wertzuwachs des Bodens ohne aktive Arbeit, indem er von dem Grundsatz ausging  : Das Land gehört allen Menschen zu gleichen Teilen.500

499 Vgl. auch Niekisch, 1930  ; 1932 und 1957. Zum »nationalbolschewistischen« Kontext vgl. Schüddekopf, 1960 und Dupeux, 1985. 500 Vgl. Henry George, Progress and Poverty. 1879  ; ders., The Land Question. New York 1884 und ders.,

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Dass Darré ein entschiedener Gegner von Marxismus, internationalem Sozialismus oder Bolschewismus war, braucht nicht wiederholt zu werden. Seine Auseinandersetzung mit der Bodenreformbewegung und auch Henry George macht jedoch deutlich, dass rassistisches Denken bei ihm alle Überlegungen zu der Frage, wie mit Land rechtlich umzugehen sei, dominierte. Darré lehnte die Bodenreformbewegung, die in Deutschland von Adolf Damaschke propagiert und vorangetrieben wurde, als Ausdruck marxistischen Denkens und »jüdischen Schmarotzertums« radikal ab. Nachdem, so führte er 1931 in einem Aufsatz aus, »der Frankfurter Jude und Fabrikbesitzer Michael Flürscheim« 1888 den »Bund für Bodenbesitzreform« gegründet habe, sei diese präzise Zielangabe der Initiative aus Gründen der Tarnung von Damaschke als Vorsitzendem zehn Jahre später in »Bund deutscher Bodenreformer« umbenannt worden  ; denn Enteignung von Privatbesitz fand in Deutschland nur wenige Anhänger. In dieser Funktion habe Damaschke 1892 auch die Leitung der Wochenschrift Frei Land übernommen. Dabei habe er sich an dem »Juden Th. Hertzka, einem Wiener Journalisten«, orientiert, der 1890 ein Buch mit dem Titel Freiland. Ein soziales Zukunftsbild veröffentlicht habe, ließ Darré seine Leser im August 1931 wissen.501 Ziel dieses Zweiges der Bodenreformbewegung, betonte Darré, sei es nicht, wie im Falle des »Juden Franz Oppenheimer«, offen die Enteignung der Landbesitzer zu fordern, sondern der Bodenertragszuwachs sollte als Steuer dem »allgemeinen Volkswohl« zugeführt werden. Diesen ohne Arbeit am Grund und Boden erzielten Mehrwert habe der »jüdische Bankier Ricardo« anfangs des 19.  Jahrhunderts in England »Grundrente« genannt. Mit Hilfe dieser Einnahmen sollte die soziale Not insbesondere der Landarbeiter, aber auch der städtischen Lohnarbeiter gelindert bzw. überwunden werden. Weil Darré die nach außen dargestellten sozialpolitischen Absichten der Bodenreformer um Damaschke als »unehrlich« ansah, was er als gleichbedeutend mit »jüdisch« verstand, denunzierte er diesen als einen Agitator, der für seine Ziele erfolgreich in Vorträgen und Publikationen warb, und kennzeichnete den christlich motivierten Sozialreformer Damaschke als einen »modernen Rattenfänger von Hameln«. Die Idee einer Vergesellschaftung des Bodenertragswertes war natürlich von den sozialistischen Bewegungen aufgegriffen worden und hatte so auch im linken Flügel der NSDAP Fuß gefasst. Seine Mitglieder standen hinter Punkt 17 des für »unabänderlich« erklärten Parteiprogramms der NSDAP aus dem Jahre 1920  : »Wir fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepasste Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke, Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation.« Schon 1928, Fortschritt und Armuth. Eine Untersuchung über die Ursache der industriellen Krisen und der Zunahme der Armuth. Berlin 1881 (erstmal San Francisco 1879). 501 Vgl. Damaschke, 1923 und 1932 sowie Darré, »Damaschke, die Bodenreform und der Marxismus« (VB v. 1. und 4.8.1931), leicht gekürzt in  : Darré, EuW, 1940, 216–233 (Zitat  : 227). Der Aufsatz erschien 1932 auch als Broschüre im Franz Eher Verlag in München. Protestbriefe, die Darré – auch aus der linken NSDAP – erreichten  : BA, NS 26/949.

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also lange bevor Hitler und die NSDAP das Wählerpotential auf dem Lande entdeckt hatten und mit Darrés Hilfe zu mobilisieren sich anschickten, sah sich Hitler genötigt, in einer Erklärung zu »den verlogenen Auslegungen [dieser Forderung] von seiten unserer Gegner« festzustellen  : Da die NSDAP auf dem Boden des Privateigentums steht, ergibt sich von selbst, dass der Passus »unentgeltliche Enteignung« nur auf die Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten Bezug hat, Boden, der auf unrechtmäßige Weise erworben wurde oder nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohles verwaltet wird, wenn nötig, zu enteignen. Dies richtet sich demgemäß in erster Linie gegen die jüdischen Grundspekulationsgesellschaften.502

Was die NSDAP angeblich nicht forderte, stand in Art. 155 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) schon seit 1919  : »Grundbesitz, dessen Erwerb […] zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung […] nötig ist, kann enteignet werden.« Und im Agrarprogramm der NSDAP vom 6. März 1930, das Darré zwar nicht verfasst hatte, mit dem er aber »Wort für Wort« übereinstimmte, wurde das Eigentumsrecht am Boden »an die Bedingung geknüpft, den Boden zum Wohle des Volkes zu nutzen«. Gleichzeitig erhielt der Staat das »Recht der Enteignung« für den Fall »verantwortungsloser Mißwirtschaft seines Besitzers« zugesprochen. Auch »nicht selbst bewirtschafteter Großgrundbesitz« könne zur »Ansiedlung einer freien Bauernschaft« und »Land, das zugunsten der Volksgesamtheit für besondere staatliche Zwecke« benötigt werde, könne enteignet werden, hieß es im Agrarprogramm der NSDAP vom März 1930.503 Darrés Hinweis auf die personelle Verquickung von Marxismus und Judentum sowie seine offen antisemitische Polemik in dem Aufsatz gegen Damaschke richtete sich 1931 vor allem an den linken NSDAP-Flügel. Er wollte Damaschke nicht nur als verkappten Marxisten entlarven und denunzieren, er wollte ihn auch bei seinen »völkischen« Unterstützern als von Juden beeinflusst diskreditieren. Die »ganze Bodenreformbewegung« gehe »auf Juden als ihre geistigen Väter zurück«, die Idee einer Abschaffung des Privateigentums und auch die staatliche Abschöpfung des Bodenertragszuwachses sei »durch und durch kommunistisch-jüdisch« und »nackter Marxismus«, stellte der neue agrarpolitische Sprecher der NSDAP 1931 im Hinblick auf

502 O. Weber, 1929, 17 ff. Der Verf., der dem RLB nahestand, verwies auf Goebbels (Der Nazi-Sozi), der den Besitzer von Grund und Boden als »Verwalter von Volksgut« gekennzeichnet hatte, weil sein Eigentum eigentlich dem »Volk als Gesamtheit« gehöre. Bei »schlechter« Verwaltung habe, so Goebbels nach Weber, der Staat das »Recht, sie [die Güter] wieder in den Besitz der Gesamtheit zurückzuführen«. Diese Aussage, interpretierte Weber, sei »doppelzüngig«, denn im »Ernstfall« werde der Bauer als »Verwalter von Volksgut unter staatlicher Aufsicht« arbeiten, immer mit einer möglichen Enteignung vor Augen. Demgegenüber sei die Forderung des Landbundes eindeutig  : »Unbedingter staatlicher Schutz des Privateigentums. Erhaltung des freien Bauern auf freier Scholle«. 503 BA, NS 26/962 und Corni/Gies, 1994, 72.

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seine »linken« Parteigenossen Goebbels und Strasser in seinem Aufsatz fest, ohne natürlich ihre Namen zu nennen. Denn, so führte Darré aus, ein Gewinn am Bodenertrag komme doch nicht nur durch »die Zufälligkeit der Lage und die Güte des Bodens« zustande, sondern auch durch harte und intelligente Arbeit des »Landmannes«. Seinen Arbeitslohn und sein Besitzrecht an seiner Arbeitsgrundlage dürfe ihm niemand wegnehmen, betonte Darré. Henry Georges Kalkül, es sei nicht nötig, den Boden zu konfiszieren, es sei nur nötig, die Rente einzukassieren, rubrizierte Darré als »nach den Schmarotzergesetzen des Nomadentums« gedacht. Unter Aufgabe seiner bisherigen Tarnstrategie nannte er nun »die« Juden »ein nomadisches Schmarotzervolk«, das »nie Bauer«, d. h. Erzeuger, sondern immer nur Händler gewesen sei und sein werde. Juden lebten »wie Drohnen ausschließlich vom Ertrag des Landmannes«, teilte Darré mit und verwies zum Beweis auf sein Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse. Da sei es nur systemkonform, wenn George »dem Handel und seinen Vertretern restlose Steuerfreiheit verschaffen« wolle. Adolf Damaschke (1865–1935) konnte als Sohn eines Tischlers aus finanziellen Gründen kein Abitur machen und wurde auf dem Weg über eine christlich-freikirchliche Sonntagsschule Volksschullehrer. Gleichzeitig übernahm er 1893 die Schriftleitung der lebensreformerischen Zeitschrift Der Naturarzt, die sich mit Themen wie Licht, Luft, Wasser, Hygiene und gesunde Ernährung befasste. Dieses Engagement für die »Volksgesundheit« übertrug er auf die Frage, wie man mit Grund und Boden sozial gerecht und am »Volkswohl« orientiert umgehen sollte. 1898 bis 1935 war er Vorsitzender des »Deutschen Bundes für Bodenreform« bzw. des »Bundes Deutscher Bodenreformer«. Anfangs hatte die Organisation 150 Mitglieder, 1920 war ihre Zahl auf 60.000 angewachsen. Damaschkes Vorgänger als Gründer des »Deutschen Bundes für Bodenbesitzreform« waren übrigens Heinrich Wehburg, ein Arzt aus Düsseldorf, der sich im Kampf gegen Alkoholismus engagierte, und Heinrich Freese, ein Jalousienfabrikant, der in seinen Unternehmen in Hamburg und Berlin den Achtstundentag und eine Gewinnbeteiligung der Belegschaft einführte.504 Zu den Zeitgenossen Damaschkes gehörte auch Franz Oppenheimer (1864–1943), der 1894 als Gegenentwurf zu Theodor Hertzkas Vorschlag des Siedelns im »Niemandsland« überseeischer Kolonien sein Buch Freiland in Deutschland veröffentlichte. Er schlug vor, genossenschaftlich organisierte Siedlungsgemeinschaften zu gründen und so die kapitalistische Bodenspekulation zu bekämpfen. Der Volkswirtschaftler und Soziologe Oppenheimer war kein dogmatischer Sozialist, im Gegenteil, er wollte »den Kommunismus überwinden«. Er war der Meinung, dass die Ursache der sozialen Probleme im Monopol der Besitzrechte am Boden (»Bodensperre«) zu suchen sei. Deshalb forderte er die Beseitigung des Großgrundbesitzes und seine Ersetzung durch Siedlungsgenossenschaften. Er hatte festgestellt, dass die »Landflucht« dort am größten 504 Vgl. Meyer-Renschhausen/Berger, 1998, 265 ff. und Hugler/Diefenbacher, 2005.

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war, wo der Anteil des Großgrundbesitzes besonders hoch war. Und umgekehrt war die Abwanderung der Menschen vom Land in die Stadt am geringsten, wo der bäuerliche Anteil am Landbesitz hoch war. Oppenheimers Vorschlag sah vor, dass der Boden einer Genossenschaft gehören sollte, und alle, die den Boden bearbeiten, sollten Miteigentümer sein und ein Anrecht auf den Ertrag ihrer Arbeit und die »Grundrente« haben. Bei Investitionen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen profitiere die Genossenschaft von den Möglichkeiten eines Großbetriebes, stellte Oppenheimer fest.505 Bei allen diesen und ähnlichen, vor allem sozialistischen zeitgenössischen Initiativen ging es um Sozialpolitik auf dem Weg über Siedlungspolitik.506 Entweder sollte der Boden enteignet werden oder der als unverdient empfundene Wertzuwachs des Grundbesitzes sollte weggesteuert werden, um damit Landarbeitern zu einer »Heimstätte« zu verhelfen oder landlosen Städtern gesunden und menschenwürdigen Wohnraum zu finanzieren. Auch in den Programmen der meisten bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik wurden eine »Kräftigung des Bauernstandes« und eine »umfassende Siedlungspolitik« gefordert. Großgrundbesitzer sollten Land gegen eine angemessene Entschädigung zur Verfügung stellen, ja, es wurde sogar eine »Aufteilung unwirtschaftlich angehäuften Großgrundbesitzes« angemahnt.507 Das kam dem Verfassungsauftrag entgegen, der den bisher unbeschränkten Eigentumsbegriff des BGB dahingehend eingeschränkt hatte, dass neben einer Bestätigung des Rechtes auf Eigentum in Art. 153 WRV stand  : »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.« Rassistische Motive lagen auch hier nicht vor. Den größten Erfolg hatten Damaschkes Arbeit und die Bodenreformbewegung in Deutschland mit der Einführung des schon erwähnten Art. 155 in die WRV. Darin stand  : »Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeitsoder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen.« Es sei Aufgabe des Staates, Missbrauch des Bodens zu verhindern. Jeder Deutsche solle eine gesunde Wohnung erhalten. Für Familien, besonders kinderreiche, sei »eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte« zur Verfügung zu stellen. Und schließlich stand in diesem Verfassungsartikel  – horribile dictu –, Grundbesitz könne »enteignet« werden, wenn sein »Erwerb zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist.« Das war starker Tobak für alle, die Privatbesitz als sakrosankt ansahen. Aber Verfassungstext und politische Realität waren zweierlei. Dies lässt sich an zwei Beispielen erkennen  : dem »Reichsheimstättengesetz« (RHG) vom 10. Mai 1920 und 505 Oppenheimer, 1896 und 1898. Vgl. auch Frauendorfer, 1957, 406 f. 506 Vgl. Gustav Landauer, »Die Siedlung«, in  : Beginnen. Aufsätze über Sozialismus. o. O., o. J. (1977), 67–73 (zuerst 1909). 507 Vgl. H. Haushofer, 1958, 47 f.

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besonders dem Umgang mit den »Fideikommissen«, d. h. privatrechtlich abgesicherten Familiengütern in der Hand eines Nutzers. Was das RHG angeht, so sah es vor, das Eigentumsrecht an Immobilien zugunsten der Sicherheit eines »Heimstätters« und seiner Familie einzuschränken. Haus und Grundstück konnten nicht gepfändet, die Familie also nicht »heimatlos« gemacht werden. Die Durchführung des Gesetzes war den Ländern überlassen worden, die zum Teil sehr viel Zeit dafür brauchten. In Preußen dauerte es fünf Jahre, bis das erste Durchführungsgesetz erlassen wurde. Weil sich zur Finanzierung solcher Siedlungen aber zu wenige Investoren fanden, mussten Wohnungsbaugenossenschaften gegründet werden, was ebenfalls viel Zeit kostete. So blieb der Erfolg der Heimstättenbewegung hinter den Erwartungen zurück. Im ersten Jahrzehnt wurden nur ca. 20.000 Wohnungen bzw. Häuser auf der Basis des RHG errichtet. Trotzdem gelang es dank des sozialpolitischen Engagements mancher Städte, solche urbanen Siedlungen, die auch »Gartenstädte« genannt wurden, am Stadtrand zu errichten. Beispiele für damaliges modernes Bauen sind in Stuttgart (Weißenhofsiedlung), Frankfurt am Main-Praunheim oder in Berlin-Britz (Hufeisensiedlung) noch heute zu besichtigen. Auch die »Gartenstadt« Hellerau bei Dresden, in der viele »völkische« Lebensreformer – von Bruno Tanzmanns »Hakenkreuzverlag« und seiner »Deutschen Bauernhochschule« bis zum »Bund Kinderland«  – zu Hause waren, ist so nach der Jahrhundertwende entstanden. Das Gesetz war bis 1993 in Kraft. Das »Beamtenheimstättenwerk« (BHW), das Beamten mit Hilfe von Bauspardarlehen zu Wohneigentum verhilft, existiert noch bis in die Gegenwart.508 Ein wichtiges Argument bei der Schaffung des RHG war, den aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten, die eine Familie gründen wollten, eine Perspektive zu geben. Seit 1920 bestand auf Anregung des »Reichsverwesers« Horthy in Ungarn eine ordensähnlich aufgebaute »Heldengenossenschaft«, die es verdienstvollen ehemaligen Soldaten ohne Rücksicht auf Rangunterschiede ermöglichen sollte, sich auf Landgütern eine neue Existenz aufzubauen. Das Gut, das in den Besitz des Siedlers überging, sollte ungeteilt an den ältesten Sohn vererbt werden, so dass sich nach und nach aus »wurzellosen Frontsoldaten« eine mit dem Land verbundene neue Führungsschicht entwickeln könne. Nikolaus von Horthy (1868–1957) hatte es in der österreichisch-ungarischen Marine, die in Triest ihren Heimathafen hatte, zum Vizeadmiral gebracht. Im Vertrag von Trianon hatte Ungarn fast 70 Prozent seines früheren Staatsgebietes verloren. Weil es in Wien keinen Kaiser und in Budapest keinen König mehr gab, wurde Horthy am 1. März 1920 von der ungarischen Nationalversammlung zum »Regenten« bzw. »Reichsverweser« gewählt. Er regierte das Land in einer parlamentarisch verbrämten pseudomonarchischen autoritären Diktatur.509 508 RGBl. 1920, 962  ; vgl. auch Kunze, 1993, 24 ff. und Schinker, 2014. 509 Vgl. das Schreiben Horthys an Darrés Verteidiger in Nürnberg, Dr. Hans Merkel, v. 27.5.1948 (Fall XI, Vert. Dok. Buch I, Exh. 6, Dok. Nr. IA 6). Hindenburg hatte nach dem Ersten Weltkrieg ähnliche Pläne (H. Haushofer, 1958, 26 und 165).

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Darré erwähnte Horthys Konzept einer bäuerlichen Ansiedlung von Menschen, die sich als besonders leistungsfähig erwiesen hatten, in seinem zweiten Buch Neuadel aus Blut und Boden 1930 und er hatte sogar vor, nach Ungarn zu reisen, um die dortige »Neubildung von Bauerntum« in Augenschein zu nehmen. Als Darré 1929 sein Buchmanuskript, das damals noch den Titel »Adel aus Blut und Boden« trug, seinem Verleger Lehmann zur Publikation anbot und schmackhaft machen wollte, glaubte er allerdings, seine rassenideologische Zielsetzung herunterspielen zu müssen  : »Mein Buch ist weiter nichts als die Übertragung der von Horthy-Ungarn bereits durchgeführten Adels-Siedlung auf deutsche Verhältnisse, mit besonderer Berücksichtigung der Zuchtfragen und einiger anderer spezieller deutscher Imponderabilien.« Wegen der zum Teil abenteuerlichen Vorschläge, die er in Sachen »Züchtung« neuer – »nordischer« – Menschen machte, fügte der Autor an  : »Da ich ausdrücklich auf Ungarn hinzuweisen vermag, ist kaum zu befürchten, dass das Buch als reine Phantasterei abgelehnt werden wird.« Das konnte nur wider besseres Wissen so formuliert sein, denn mit dem Rassismus von Darrés »Hegehöfen« hatten Horthys staatliche Erbpachtlehen zur Ansiedlung von Soldaten nicht das Geringste zu tun.510 Mit dem Buch von Rudolf Böhmer, Das Erbe der Enterbten, das 1928 im Verlag J. F. Lehmnns in München erschienen war, hatte Darré im März 1930 Gelegenheit, seine Position zu siedlungspolitischen Fragen auch offen rassenideologisch zu beschreiben. Dabei ging es, ähnlich wie in Damaschkes Bodenreformbewegung, um »Arbeitersiedlung« und die »Notwendigkeit einer dezentralisierten Industrie mit Kleinsiedlungen auf dem Lande«. Mit dem Vorschlag, »den entwurzelten Städter im Sinne der ›Heimat‹, das heißt im Sinne eines ›Heimes‹ anzusiedeln«, erklärte sich Darré mit Böhmer einig, weil es gelte, das »Übel des Marxismus« zu überwinden. Nur – es müssten die richtigen Siedler, nämlich »nordische« Menschen sein, meinte Darré.511 Böhmer, dem von Hans Grimm in dessen Roman Volk ohne Raum ein Denkmal als Bezirksamtmann von Lüderitzbucht in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, gesetzt worden war, schlug vor, den sozialen Problemen, die mit der fortschreitenden Industrialisierung und dem Kapitalismus generell entstanden waren, durch »Rückkehr zur Scholle« zu begegnen. Aber Böhmer ging es nicht nur um die Nöte der Städter und Proletarier, er wollte auch den »Enterbten« auf dem Lande helfen. Sie entstanden durch das in manchen deutschen Regionen geltende Anerbenrecht, das den Hof ungeteilt an nur einen Erben weiterzugeben erlaubte. Böhmer wollte die »Not«, die »vom Asphalt her« komme, durch »Heimstättensiedlung« und die »Not«, die das An-

510 Darré an Lehmann, 2.11.1929 (StAG, NLD, Nr. 437). Vgl. auch Darré, Bauerntum, 1929, 177 f. und Neuadel, 1930, 48 f. sowie Gosztony, 1973 und Wippermann, 2009, 146 ff. 511 So hatte es Darré schon in seinem Aufsatz »Innere ›Kolonisation‹«, der im April 1926 in DE erschienen war, ausgedrückt  : Durch Binnensiedlung könne man zwar »mit Mühe Bauern« schaffen, »aber keine Nordischen Bauern« (Darré, EuW, 1940, 20).

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erbenrecht für die weichenden Erben auf einem Bauernhof mit sich brachte, durch »bäuerliche Siedlung und richtige Kolonialpolitik« lindern.512 Darré ging auf den für diesen Vorschlag nicht unwichtigen Aspekt, dass Deutschland seit 1919 keine Kolonien mehr besaß, nicht ein, sondern unterstellte Böhmer, marxistischem Denken aufgesessen zu sein.513 Im Übrigen wies er darauf hin, dass Böhmer den »Sippengedanken«, der dem altgermanischen Anerbenbrauch zugrunde liege, übersehen habe. Hierbei sei es darum gegangen, die »Keim- oder Erbmasse – das Blut in der Sprache der Germanen – in möglichster Reinheit […] an die Nachkommen weiterzureichen«. Dieser »Dienst an der Sippe« sei für die »Enterbten« dann unschädlich, meinte Darré, wenn sie »entweder irgendwo einheirateten oder Neuland rodeten oder sich mit der Waffe in der Hand Neuland eroberten«. Es komme also darauf an, »die germanische Vorstellung von der Ehe als einer Einrichtung zur Zucht, d. h. zur Weiterreichung des reinen Blutes« neu zu beleben und mit dem »alten deutschen Familienrecht dem Blut und der Bodenständigkeit der Geschlechter den Vorrang vor den Gesetzen der Wirtschaft, d. h. vor den Gesetzen des Geldes«, zurückzugeben. Wie »uns die Geschichte untergegangener – germanischer und indogermanischer – Kulturen beweist«, dozierte Darré, seien beide Positionen unvereinbar miteinander. »Wer dem Gelde und den hinter ihm stehenden Mächten den Vorrang einräumt, kann Blut und Bodenständigkeit der germanischen Geschlechter auf die Dauer nicht schützen.« Was mit dem Interesse dieser »Mächte« gemeint war, wird wenige Absätze später auf den Punkt gebracht  : das »Verwertungs- und Abgrasungsbedürfnis des jüdischen Nomaden«. Darré scheute sich nicht, in diesem Zusammenhang schon im März 1930 das Wort »Untermenschentum« zu verwenden. Auch hier, wie in den genannten anderen Fällen, in denen Darré sich mit bodenpolitischen Fragen auseinandersetzte, waren es rassistische Gründe und Gesichtspunkte, die für seine Positionierung maßgeblich waren.514 Fideikommisse und Großgrundbesitz

Die Privilegien der meist in adligem Besitz befindlichen Fideikommisse wurden schon in der Frankfurter Paulskirche 1848 diskutiert und ihre Abschaffung in den Verfassungsentwurf geschrieben. Und so stand auch in Art. 155 WRV lapidar  : »Die Fideikommisse sind aufzulösen.« Eine Ausweitung der Fideikommisse im Sinne einer 512 Darré, »Eine Auseinandersetzung mit Böhmers Werk ›Das Erbe der Enterbten‹« (DE, März 1930), in  : Darré, EuW, 1940, 118–134 und Neuadel, 1930, 72. Vgl. auch Böhmer an Kenstler, 9.5.1932 (StAG, NLK, Nr. 14) und M. Lehmann, 1935, 73. 513 Die antikoloniale Einstellung des Diplom-Kolonialwirts Darré blieb auch im »Dritten Reich« unverändert. Vgl. u. a. sein Vorwort zu Georg Fritz, Kolonien  ? Berlin 1934. 514 Darré, EuW, 1940, 126 f. Vgl. auch Darré an Kenstler, 27.9.1929 (StAG, NLD, Nr. 437), der ein Anhänger Böhmers war und den Darré davon überzeugen wollte, dass dessen Konzept aus rassenideologischen Gründen nicht unterstützt werden könne.

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entsprechenden Sicherung des gesamten Großgrundbesitzes, wie sie in Preußen noch 1916 versucht worden war, hatte in der Weimarer Republik keine Chance. So wurde auch in Preußen 1922 ein entsprechendes Auflösungsgesetz beschlossen. Es handelte sich bei Fideikommissen um Landgüter, die seit dem 17. Jahrhundert aus den allgemein geltenden Rechtsgrundsätzen herausgenommen worden waren, um sie ungeteilt und unbelastet im Familienbesitz zu behalten. Die Verfügungsgewalt und die Testier-, d. h. Vererbungsfreiheit des Besitzers waren insofern eingeschränkt, als das Gut nach festgelegten Regeln vererbt werden musste, nicht geteilt und nicht hypothekarisch belastet werden konnte. Ein »Fideikommiss« (»zu treuen Händen übertragen«) und sein Besitzer bzw. Nutzer wurden als Familienstiftung im Grundbuch eingetragen. Diese Regelung wurde als Festigung einer feudalen, aristokratischen und monarchischen Herrschaftsstruktur von dem gemäßigten Sozialisten Eduard David als »gemeinschädlich« und von dem Liberalen Friedrich Aereboe als »volksfeindlich« abgelehnt. 1919 gab es in Deutschland 2314 solcher »gebundenen Vermögen« mit einer Fläche von ca. 3,2 Millionen Hektar, wovon ca. 1,4 Millionen Hektar Waldbesitz war. Bis 1939 hat sich an diesen Zahlen bemerkenswerterweise nichts geändert.515 Was später bei der Realisierung des »Reichserbhofgesetzes« (REG) zu andauernden Diskussionen führte, war auch schon bei den Fideikommissen umstritten  : Das Teilungs- und Belastungsverbot hemmte die erfolgreiche Nutzung des Gutsbesitzes durch Grundstücksverkäufe und Kreditaufnahmen. Im Grunde hatte das Rechtsinsitut des Fideikommisses diese Familiengüter aus der zivilrechtlichen Kodifizierung eines liberalen Eigentums- und Erbrechtes freigestellt, um so die Solidarität der Besitzer dem Königshaus gegenüber zu festigen. Das Problem, dass ein Rechtsinstitut aus feudalistischen Zeiten nicht in demokratisch-republikanische staatliche Rahmenbedingungen passte, tangierte aber nicht nur den Großgrundbesitz, sondern Bauernland grundsätzlich. Denn auf diese Weise ging den Bemühungen um Binnensiedlung, die Darré »Neubildung deutschen Bauerntums« nannte, viel Land verloren. Trotz Darrés eindeutiger siedlungspolitischer Position und trotz des seit 1933 bestehenden REG konnte erst am 26. Juni 1935 ein Gesetz »zur Vereinheitlichung der Fideikommissauflösung« erlassen werden. Es dauerte weitere drei Jahre, bis das Gesetz »über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen« am 6. Juli 1938 zustande kam, welches das Ende des privilegierten Großgrundbesitzes zum 1. Januar 1939 vorsah. Zur Erinnerung  : Genau das hatte die WRV schon 1919 bestimmt. Diese bemerkenswerte Verzögerung hing auch damit zusammen, dass in den verschiedenen deutschen Ländern unterschiedliche Rechtsgrundlagen für Familienstammgüter bestanden. Es konnten auch Rechtsmittel eingelegt werden, in Preußen beim Landesamt für Familiengüter, das dem immer konservativ bestimmten Justizmi515 Merkel (1942, 20 f.) weist darauf hin, dass in Preußen der Anteil von fideikommissarisch gebundener Fläche von 1870 bis 1918 von 4,5 auf 7,3 Prozent der Gesamtfläche gestiegen sei  ; vgl. auch Schürmann, 1941, 82 ff. und 108  ; A. Weber/Meinhold, 1951, 160 ff. und H. Haushofer, 1958, 103 ff.

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nisterium angegliedert war. So konnte die fideikommissarische Bindung in Preußen erst mit dem Tode des letzten Besitzers beendet werden.516 Es waren aber noch andere Widerstände zu überwinden. Man erkennt es daran, dass Hitler und Darré wiederholt von Aristokraten und Großgrundbesitzern eingeladen und mit Eingaben bedacht wurden.517 Am 22. Juni 1933 besuchte beispielsweise der Fürst Adolf zu Bentheim-Tecklenburg, »Führer der Deutschen Adelsgenossenschaft« und Präsident des »Vereins deutscher Standesherren«, Hitler in der Reichskanzlei, um ihn der »unbedingten Gefolgschaft des historischen Adels« zu versichern.518 Diese Mischung aus Einfluss, Druck und Anbiederung kann erklären, warum erst am 20. März 1939 die erste Durchführungsverordnung zum Gesetz »über das Erlöschen der Familienfideikommisse« erlassen werden konnte. Schließlich verhinderte der Krieg das ganze Vorhaben, so dass erst ein Kontrollratsgesetz 1947 der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges die Fideikommisse endgültig beseitigte.519 Natürlich spielten der »Arierparagraph« – Darré sprach vom »jüdischen Webfehler in der Ahnentafel« – und die im REG festgelegte Höchstgrenze von 125 Hektar für »Erbhöfe« eine Rolle. Aber Letzteres war kein unüberwindliches Hindernis, wie die Realität des »Dritten Reiches« zeigt  – Ersteres schon. Da konnte auch der jagdbegeisterte Hermann Göring den immer noch einflussreichen Großgrundbesitzern nicht helfen. 516 Vgl. Darrés Rede vor der Akademie für Deutsches Recht am 27.2.1935 (Darré, BuB, 1941, 309 ff., Zitat 311) und Tornow, 1972, 43 f.; Eckert, 1992 und Malinowski, 2004, 517 ff. sowie BA, R 43 II/193, Bl. 280 ff. 517 Selbst der Reichsgrundbesitzer-Verband machte sich am 27.4.1933 beim RK für eine Revidierung der Fideokommissgesetzgebung einschl. Art. 155 Abs. 2 WRV stark. Hitler hielt sich zunächst bedeckt, machte aber dann den Eindruck, als befürworte er »gesetzliche Maßnahmen zur Erhaltung der Fideikommisse«. RJM Gürtner spielte auf Zeit (»sorgfältige Erhebungen über den volkswirtschaftlichen Nutzen« der Fideikommisse sollten angestellt werden) und sah die Frage nach der Verabschiedung des REG als »überholt« an (BA, R 43 II/192, Bl. 208 f. und 315 ff. sowie R 43 II/193, Bl. 2 ff.; teilweise in  : AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 398 ff.). 518 Bf. Bentheim-Tecklenburgs zur Vorbereitung des Gesprächs v. 22.6.1933 mit sechs Anlagen, in dem er sein Befremden darüber ausdrückt, dass Darré seine Organisation als »Gewerkschaft von einzelnen Adligen zur Vertretung ihrer Belange im Staat« bezeichnet habe. Gesprächsprotokoll und Bf. des »Adelsmarschalls« an Hitler v. 12.9.1933, in dem er von »dem großen Tag in Nürnberg« spricht, der »begeisterten Widerhall gefunden« habe. »So gelobt denn der Deutsche Adel Ihnen, dem Führer des Deutschen Volkes, als dessen untrennbares, durch Blut und Boden, Geschichte und Tradition verbundenes Glied sich der Deutsche Adel fühlt, die Treue […] Ich will eine Gemeinschaft des reinblütigen Deutschen historischen Adels zusammenführen, der aus Blut und Boden kommend […].« (BA, R 43 II/1554) In einem Bf. v. 18.10.1933 protestierte Bentheim-Tecklenburg gegen die Unterscheidung von »Bauer« und »Landwirt« im REG. Dadurch werde »die Ehre des Großgrundbesitzes, der ebenso viel Blut und Leistung für das Deutsche Volk vollbracht« habe wie der Bauer, berührt, und er warnte vor einer »Spaltung der Landwirtschaft« (ebd., R 43 I/1301). Vgl. auch RJM Gürtners Bf. an die Rklei, 17.6.1933, in dem er zum »Betreff  : Erhaltung der Fideikommisse« nicht nur auf das Mitwirkungsrecht der Länder und die WRV, sondern auch auf das BGB hinweist (BA, R 43 II/192, Bl. 364). 519 Greifenhagen, 1971, 154 ff. und Eckert, 1992, 740 ff.

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Dass Darré kein Freund des Großgrundbesitzes war, also von Gütern mit über 100 Hektar Land, stand bei seinen rassenideologischen Prämissen, die den bäuerlichen Familienbetrieb präferierten, außer Frage. Immerhin waren etwa 10 Millionen Hektar Land im Besitz von nur etwa 20.000 Besitzern. Darré hatte sich intensiv mit dem traditionellen Adel, zu dem ja viele Großgrundbesitzer gehörten, auseinandergesetzt und sein Urteil war im Hinblick auf deren »rassischen« Zustand wenig schmeichelhaft ausgefallen.520 Auch als aktiver Agrarpolitiker konnte er nicht erfreut darüber sein, wie die »Ostelbier« mit den Geldern der »Osthilfe« umgegangen waren.521 Es kann deshalb nicht verwundern, dass er schon 1934 öffentlich zum »Problem des ostelbischen Großgrundbesitzes« vor dem Hintergrund des gerade beschlossenen REG Stellung beziehen wollte. In einem Vortrag, den er auf einer Bauernversammlung am 10. Mai 1934 in Starkow (Pommern) hielt, über den am 12. Mai im Völkischen Beobachter berichtet und der am 1. Juni in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Odal veröffentlicht wurde, tat er das in der bei ihm üblichen »grundsätzlichen« Art und Weise.522 Wenn man seine langatmigen Darlegungen auf ihre Kernaussagen zurückführt, ergibt sich Folgendes  : Im Vergleich zur Entwicklung in Süddeutschland sei Pommern, aber auch Mecklenburg, kein »Bauernland« mehr, denn sie würden vom Großgrundbesitz beherrscht. Während im Westen der agrarische Strukturwandel landwirtschaftliche Vielfalt und Kleinstädte mit Handwerk, Gewerbe und Handel beibehalten habe, sei in »Ostelbien« eine Ödnis der Monokultur auf großen Gütern entstanden, weil die »nachgeborenen Söhne westdeutscher Freibauern« durch »Bauernlegen« zu Großgrundbesitzern geworden seien. Nach der Französischen Revolution, in der Zeit der »Ichsucht« und des Liberalismus, hätten sich also die »Rittergutsbesitzer auf Kosten der Bauern bereichert«. Dabei seien in den östlichen Provinzen Preußens fast eine Million Hektar Bauernland, d. h. etwa 50.000 Bauernbetriebe »verlorengegangen«.523 Darré sprach von »Landflucht durch Bauernlegen« und betonte  : »nirgendwo in ganz Deutschland trennt ein so scharfer Kastenschnitt Großgrundbesitzer und Bauern, wie gerade in Pommern und Mecklenburg.« Daher sei es Ziel seiner Politik, die soziale und wirtschaftliche Struktur Ostelbiens (»Getreide- und Kartoffelfabriken«) 520 In Neuadel, 1930, 163 spricht Darré ein »vernichtendes Urteil über die meisten Vertreter unseres heutigen Adels aus, da diese kaum noch so viel gutes Blut in sich haben, um einem vorwiegend nordrassischen Bauernjungen das Wasser reichen zu können.« 521 Zur Unterscheidung der »Osthilfe« (Subventionen) von der »Ostpreußenhilfe« (gezielte finanzielle Zuwendungen) vgl. die Besprechung von »Vertretern Ostdeutschlands« mit RK Hitler am 26.4.1933 und die Äußerungen Hitlers und des gerade ernannten GL Koch zum Oberpräsidenten von Ostpreußen auf einer Chefbesprechung am 5.7.1933 (AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 388 ff. und 618 ff.). Vgl. auch Mannes, 1999, 90 f. und Corni, 1990, 132 ff. 522 Darré, »Ostelbien«, in  : Odal, 2/1933/34, Heft 12 ( Juni 1934), wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 249–268 (Zitate  : 255, 259, 261 und 263 ff.), und VB v. 12.5.1934 sowie Schürmann, 1941, 142 und Corni, 1990, 116 ff. 523 Darré hatte seine Argumentation schon in einem Bf. an die Rklei v. 28.9.1933 mit zum Teil sehr vagen Zahlen unterlegt  : BA, R 43 I/1301, Bl. 100 ff. (abgedruckt in Corni/Gies, 1994, 122 ff.).

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zu verändern durch »Wiederauffüllung mit deutschen Bauern«. Eine weitere staatliche Subventionierung unwirtschaftlicher Landgüter komme nicht mehr in Frage. Aber alle »Rittergutsbesitzer« könnten mit ihrem »alteingesessenen Geschlecht auf ihrer Scholle verbleiben« und zu »Erbhofbauern« werden, wenn sie ihre Schulden durch Landabgabe zur »Neubildung deutschen Bauerntums« tilgen und nachweisen würden, dass ihre Ahnen »frei von jüdischem Blut« seien. Sie müssten nur einen Antrag bei den Anerbenbehörden stellen, die Größe ihres Hofes sei nicht entscheidend. Außerdem kündigte Darré an, er wolle »Landarbeiter zu Bauern« machen, wenn die Voraussetzungen des REG gegeben seien. Andernfalls stehe eine Möglichkeit entsprechend dem »nordwestdeutschen Heuerlingswesens« zur Verfügung  : Ansiedlung auf einem Stück Land mit eigenem Häuschen und als »Gegenleistung Arbeit auf den Ländereien des Gutes«. Die Antwort der Großgrundbesitzer auf diese Rede des »Reichsbauernführers« und Reichslandwirtschaftsministers ließ nicht lange auf sich warten. Abgesehen von Presseartikeln und einer Beschwerde bei dem nicht mehr geschäftsfähigen Reichspräsidenten Hindenburg erschien 1934 in einem kleinen, abseitigen Verlag in Berlin der Sammelband Großgrundbesitz im Umbruch der Zeit, herausgegeben von dem Berliner Rechtsanwalt Dr. Hans Olof von Rohr. Dass dieses Buch, das 1935 in dritter Auflage (6.–8. Tausend) erschien, überhaupt veröffentlicht werden konnte, war erstaunlich genug. Darré hatte, vorsichtig geworden durch die Erfahrungen mit dem REG, im Hinblick auf Klima und Bodenbeschaffenheit im Osten und angesichts des immer noch vorhandenen Einflusses der Betroffenen in seiner Starkower Rede betont, in Deutschland werde durchaus ein gewisser (»notwendiger«) Anteil Großgrundbesitz gebraucht, weshalb er keine »Frontstellung« zwischen Gutsbesitzern und Bauern schaffen wolle. Auch die Beiträger des Buches bemühten sich beflissen, durch Zitate von Darré und eine pauschal positive Einschätzung des Nationalsozialismus (»Die Zukunft unseres Volkes kann nur eine nationalsozialistische sein«) sich dem neuen Regime anzubiedern. Sie versuchten, aus dem aristokratischen Großgrundbesitzer einen »Volksgenossen« besonderer Art zu machen, einen »großen Bauern« quasi, der den »kleinen Bauern« als »landsässiger Führer« mit Rat und Tat behilflich sei. Sie machten aus Rittergutsbesitzern »Kulturträger der Volkheit«. Und sie gaben zu verstehen, keine Kritik äußern, sondern nur »Richtigstellungen« im Hinblick auf die Bedeutung des Großgrundbesitzes anbringen zu wollen. Der Herausgeber definierte Großgrundbesitz als »Herrschaft und Dienst an der Allgemeinheit zugleich«, ja er sprach sogar von »ostgermanischen Odalsbauern«. Und er erklärte, die Frage, ob ein preußisch-sozialistischer Staat einen traditionsgebundenen Großgrundbesitz [brauche, ewachse] aus »Blut und Boden«  : Wer von den Beziehungen beider zueinander weiß, für den steht außer Frage, daß die Eigenart des preußischen Menschen und die Besonderheit des östlichen Landes in ihrer Verbindung eigene und fein abgestimmte Gesetze haben.

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Da war es wieder  : das Phänomen, die Doppelmetapher »Blut und Boden« aus ihrem rassistischen Kontext zu lösen und ihr einen allgemeinen Sinn – Mensch und Land – zu geben.524 Das Buch ist von der Absicht durchzogen, den Großgrundbesitz von dem Vorwurf des »Bauernlegens« zu entlasten und die These »Adel ist auch Volk« zu bestätigen. Dabei hatte der Anteil der Gutsbesitzer 1860 in Pommern fast 60 Prozent betragen. In Ostelbien habe es – so führte von Rohr aus – nicht wie in Niedersachsen und Dithmarschen »Frei- oder Adelsbauern« gegeben, sondern Grundherren und Erbzinsbauern, die Pachtland bewirtschaftet hätten. Das »Bauernlegen« sei nichts anderes gewesen »als die Zurücknahme von Land, das an Bauern verpachtet war«, sie seien schlicht »aus dieser Pacht durch den Grundeigentümer« freigesetzt worden. Deren Verhältnis zueinander wird als »generationslange Schicksalsverbundenheit« beschrieben, als ein »patriarchalisch-traditionelles und rein menschliches Verhältnis«, als »jahrhundertealte Schicksalgemeinschaft aus Blut und Boden«. Es habe im 19.  Jahrhundert im Osten keine »Adelsbauern mit Herrenstolz und Eigenbewußtsein« gegeben, sondern Grundbesitzer und Pächter, welch Letztere allenfalls Vieh, Gebäude und Inventar, nicht aber Land besessen hätten. Ihre Tätigkeit wird als »Arbeit der Dienstbauern an Herrenland« gekennzeichnet.525 So seien »nach Ablauf der Pachtzeit« aus relativ frei wirtschaftenden Bauern »Instleute gegen bare Lohnzahlung, Naturaldeputate und Zuweisung von Deputatland« geworden. Das sei sogar eine gute Tat der Grundeigentümer an den Bauern gewesen, denn sie hätten ihnen »die Existenz und wenigstens die alte Heimstätte« gesichert. Es habe also kein »Bauernlegen um schnöder Habgier willen« gegeben, sondern eine Anpassung an die neuen Rechts- und Wirtschaftsbedingungen. So hätten sich etwa die Dreifelderwirtschaft und die Absatzlage wegen neuer Düngemethoden und Transportmöglichkeiten verändert. Die »bäuerliche Blutsgemeinschaft zwischen Großgrundbesitz und Bauerntum« sei von außen (Kommunismus, Liberalismus, »Novemberstaat«) gestört worden. Man solle nicht von »feindlichen Brüdern« sprechen, wo doch das Bild vom »größeren Bruder« besser der Realität entsprochen hätte, »an den sich der Bauer in seinen alltäglichen Wirtschaftsnöten und -sorgen immer wieder mit der Bitte um kleine Ratschläge und Hilfeleistungen wenden kann und auch wendet.« Die adligen Großgrundbesitzer seien eher »Vorbild und landsässiges Führertum« gewesen als herzlose Ausbeuter. Interessant ist der Beitrag des ehemaligen Staatssekretärs in dem von Hugenberg geleiteten Agrarministerium der Regierung Hitler, Hansjoachim von Rohr. Er betont die Verdienste der Großgrundbesitzer und deren Söhne in Militär- und Staatsdienst und ihre ehrenamtliche Tätigkeit auch in der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung, 524 »Rechtsanwalt Dr. von Rohr«, 1935, 9, 12, 29, 60 ff., 147, 154 f. und 160. 525 Ebd., 21 ff. Vgl. auch Paul Lorenz, »Abwehrversuch des Großgrundbesitzes im Dritten Reich«, in  : Festschrift H. v. Rohr, 1968, 31 ff.

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die nur möglich gewesen sei auf der Basis »wirtschaftlicher Unabhängigkeit« mit einem Landsitz im Hintergrund. Von Rohr selbst hatte sich im »Pommerschen Landbund« engagiert und in dem halben Jahr seiner Regierungszeit habe er sich mit den Folgen der unverantwortlichen Politik beschäftigen müssen, »den deutschen Markt« von »ausländischen Zufuhren« abhängig gemacht zu haben. Im »marxistisch-liberalen System« sei die »Schere« zwischen Industrie- und Landarbeiterlöhnen, aber auch die »Schere« zwischen Kosten und Erträgen in der Landwirtschaft immer größer geworden – zulasten der Landwirtschaft. Insofern begrüßte von Rohr sogar Darrés »Reichsnährstand«, der mit seiner »Marktordnung« dieser fatalen Entwicklung Einhalt gebieten wolle.526 Aber was bedeutete ein Buch, das zwar gedruckt werden konnte, das aber nur wenige lasen, gegen die Position eines, der über die Macht verfügte, seinen Ansichten Gesetzeskraft zu geben  ? Anders als bei den traditionellen Familiengütern, den Fideikommissen, wurden bei den »Erbhöfen«, den neuen Familienbetrieben im »Dritten Reich«, geradezu revolutionsartig Fakten geschaffen. »Anerbenrecht« und »Erbhöfe«

Ein anderes agrarpolitisches Problem, das im Zusammenhang mit der »Blut und Boden«-Ideologie zu beachten ist, war das ländliche Erbrecht. Mit dem Code civil Napoleons war die Teilung bäuerlichen Grundbesitzes im Erbgang in den Rheinbundstaaten eingeführt worden. Das geschah in Preußen durch das Landeskulturedikt von 1811 gegen den Willen des Freiherrn vom Stein, der ein erklärter Befürworter des »Anerbenrechts«, d. h. der ungeteilten Vererbung eines Bauernhofes, war. Darré lastete Steins Nachfolger Hardenberg an, den »Boden zur Ware« gemacht zu haben  – und befand sich damit im Einklang mit dem »unabänderlichen« Parteiprogramm der NSDAP von 1920, das in Punkt 19 »Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht« forderte. Auch Friedrich Wilhelm III. wollte, wie eine Kabinettsordre aus dem Jahre 1834 ausweist, »daß die Bauernhöfe nicht durch Teilung und Verkleinerung aufhören, selbständige Bauernhöfe zu bleiben.« Besonders in den Regionen, in denen die Anerbensitte in Deutschland Tradition war, taten sich viele Bauern schwer mit der gesetzlich verordneten Realteilung im Erbgang. So gab es u. a. in Bayern (1855), Oldenburg (1873), Westfalen (1882), Brandenburg (1883), Schleswig-Holstein (1886) und Baden (1888) gesetzliche Regelungen, die dem Anerbenbrauch – fakultativ – Gesetzeskraft verliehen. Die Grundeigentümer konnten sich in ein spezielles Register (»Höferolle«) eintragen. Diese Regelung gab der Überzeugung vieler Bauern Ausdruck, »daß der Hof beim Blute bleiben muß.« Aber, das 526 Ebd., 44 ff. (Zitate  : 56 und 60 f.). Natürlich waren es die römischen Latifundien, die Darré als historischen »Beweis« für seine Argumentation heranzog. Darré, Neuadel, 1935, 81 und Fried, 1938a.

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»Anerbenrecht« konnte durch Testament umgangen werden und umgekehrt galt das Gleiche  : Durch ein Testament konnte die Teilung verhindert und die wirtschaftliche Einheit eines landwirtschaftlichen Betriebes gesichert werden. Diese relativ liberale Praxis – im heutigen Niedersachsen sprach man vom »Meierrecht« bzw. »Meierhof« – hatte den Vorteil, auf familiäre oder wirtschaftliche Notlagen flexibel eingehen zu können. Besonders in der Agrarkrise der 1870er Jahre, als die fallenden Agrarpreise und die zunehmende Verschuldung viele Bauernhöfe in Existenznot brachten, zeigte sich der Nutzen dieser allerdings nur regional geltenden Regelung. Ein reichseinheitliches Erbrecht für die Landwirtschaft hat es vor 1933 nicht gegeben, aber Darré konnte mit dem REG sowohl an die Fideikommisse als auch an die Anerbensitte anknüpfen.527 Auch in der Wissenschaft führte die Frage des ländlichen Erbrechts zu heftigem Meinungsstreit, etwa zwischen Lujo Brentano und später Friedrich Aereboe einerseits, die für die freie Verfügbarkeit des Grundbesitzers über sein Eigentum waren (»Wanderung des Bodens zum besseren Wirt«), und andererseits etwa Max Sering und Constantin von Dietze, die sich für das »Anerbenrecht« starkmachten.528 Das führte immerhin dazu, dass empirische Untersuchungen über die Erbsitten und ihre Folgen in den verschiedenen Regionen Deutschlands durchgeführt wurden. Auch Kompromisslösungen zwischen beiden Positionen wurden in Form von »Rentengütern« gefunden, die Abfindungen im Erbfall an Mutter, Brüder und Schwestern als regelmäßig zu zahlende »Renten« vorschlugen, die aus dem laufenden Betrieb zu erwirtschaften waren.529 Als das BGB zur Jahrhundertwende in Kraft getreten war, wurden die im 19. Jahrhundert schon existierenden Spannungen unterschiedlicher Erbgewohnheiten in Deutschland weiter verschärft. Die in den nord- und nordwestlichen Regionen praktizierte Anerbensitte, wonach ein Hof ungeteilt an den ältesten Sohn vererbt wurde (Majorat), mancherorts an den jüngsten (Minorat), vermied Zerstückelung oder finanzielle Schwächung des Hofes durch Landverkauf zur Abfindung der »weichenden« Erben oder durch hypothekarische Belastung mit fortlaufenden Zins- und Tilgungsdiensten. 527 E. H. Meyer, 1898, 38  ; Pesl, 1932a  ; Stoll, 1935/1944, 11 ff. und 39  ; Muth, 1967, 345 ff. und 362  ; Frauendorfer, 1957, 249  ; H. Haushofer, 1958, 104 ff. sowie Grundmann, 1979, 16 ff. 528 M. Sering, Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen (Im Auftrage des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten). 14 Bde., Berlin 1897–1907. Es wurde festgestellt, dass damals in etwa vier Fünfteln des Reichsgebietes die Anerbensitte galt (Frauendorfer, 1957, 400). Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg  : Dietze/Sering, 1930 und 1933, 873 ff. Dabei wurde herausgefunden, dass immer noch in drei Vierteln des Reiches die geschlossene Vererbung mit einer Ausstattung der Miterben nach der Leistungsfähigkeit des Hofes durch Testament oder Übergabevertrag praktiziert wurde. Aereboe (1928, 260) argumentierte dagegen  : »Die Bodenteilung ist ein ungeheurer Ansporn für alle Menschen, welche durch sie die Möglichkeit haben, in der Landwirtschaft selbständig zu werden. Die geschlossene Vererbung überantwortet dagegen die Arbeitskraft und Tatkraft der meisten nachgeborenen Bauern- und Gutsbesitzersöhne an die Stadt oder an das Ausland.« Vgl. hierzu u. a. Frauendorfer, 1957, 397 ff. und Grundmann, 1979, 18 f. 529 Vgl. Sering, 1911 und 1934 sowie Schürmann, 1941, 76 ff. und 143 f.

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Ebendies geschah in den Realteilungsgebieten des Südwestens, wo die Teilung bzw. finanzielle Belastung des landwirtschaftlichen Besitzes seine ökonomische Lebensfähigkeit gefährdete. Das BGB vermied ein Sondererbrecht für ländlichen Grundbesitz, gab aber den Ländern die Kompetenz, eigene bäuerliche Erbgesetze zu erlassen. Entsprechende Initiativen gab es – meist auf Druck der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen – 1922 in Bayern, 1925/1930 in Württemberg und im Mai 1933 in Preußen zugunsten des »Anerbenrechts« bei gleichzeitiger Testierfreiheit des Erblassers. Der »Reichslandbund« erarbeitete sogar in den 1920er Jahren den Entwurf für ein Reichsanerbenrahmengesetz, der auch von der »Vereinigung christlicher Bauernvereine« und vom »Deutschen Landwirtschaftsrat« unterstützt wurde. Er sah vor, in Regionen mit Anerbensitte eine gesetzliche Grundlage hierfür zu schaffen, die aber durch Testament umgangen werden konnte. Der Gesetzentwurf wurde entsprechend der Rechtslage allen Landesregierungen zur Stellungnahme vorgelegt. Er scheiterte, weil keine Reichsregierung bereit war, sich gegen den Widerstand Preußens und Bayerns, denen die vorgesehene Regelung zu weit ging, dafür einzusetzen. Ein reichseinheitliches Anerbengesetz kam also bis zum REG im September 1933 nicht zustande.530 Darré hatte schon in seinen beiden Büchern die Hardenbergschen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhundert, die nur pro forma eine »Bauernbefreiung« hervorgebracht hätten, ätzender Kritik unterzogen. In Wirklichkeit seien die von feudalistischer Hörigkeit befreiten Bauern in die kapitalistische Falle finanzieller Abhängigkeit geraten – viele seien also vom Regen in die Traufe gekommen und zum Landproletariat verkommen oder in die Städte abgewandert. In der Tat war die römisch-rechtliche Grundeigentumsauffassung schon im gesamten 19. Jahrhundert heftig diskutiert worden und es wurde nach Auswegen gesucht, die den »Warencharakter« (Darré) des ländlichen Bodens vermied und ihm, als Existenzgrundlage aller landwirtschaftlicher Betätigung, eine Sonderstellung im Rechtssystem einräumen würde.531 Einer der frühen Kritiker am zu Beginn des 19. Jahrhunderts veränderten Bodenrecht war Otto von Gierke (1841–1921), Professor für deutsches Recht in Breslau, Heidelberg und Berlin. Gierke, der auch ein Freund des Genossenschaftsgedankens 530 Vgl. Pesl, 1932a, 55 und 61 ff. Der Professor für Nationalökonomie in Würzburg trat – »in einer Zeit katastrophaler Not unserer Landwirtschaft« – entschieden für eine Neuregelung des »Anerbenrechts« ein. Dies müsse, wegen der Vielfalt der Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche, durch die Länder geschehen und dürfe die Testierfreiheit des Erblassers nicht antasten. Eine reichsgesetzliche Regelung würden die Länder »nie und nimmer« akzeptieren, war Pesl überzeugt. Im Übrigen war er – »im volkswirtschaftlichen Interesse« – für ein Teilungs- und Veräußerungsverbot wie bei den Fideikommissen. 531 Darré an Kenstler, 27.9.1929  : »Noch nirgends ist durch Siedlung oder Landromantik ein durch den Kapitalismus ins Abrutschen geratener Staat am Leben erhalten worden. Das ist ganz und gar nicht eine Frage der Siedlung, sondern eine Angelegenheit des Familienrechts. Siedlung ohne familienrechtlichen Schutz des Siedlers in einem kapitalistisch aufgezogenen Staat ist weiter gar nichts als verschleiertes Versuchen, wieder den Stand schollengebundener Höriger zu schaffen. Rom hat das klar bewiesen.« (StAG, NLD, Nr. 437) Vgl. auch Darrés Mitteilung an die Presse anlässlich der Verkündung des REG v. 29.9.1933, in  : Darré, BuB, 1941, 287 ff. und sein Aufsatz »Unser Weg« (ebd., 69 ff.).

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in der Landwirtschaft war, trat dafür ein, die Privilegien der Fideikommisse auch für mittelgroße Betriebe einzuführen.532 Dies entsprach sowohl der Anerbensitte als auch der Regelung, die später für »Erbhöfe« im »Dritten Reich« galt. Gierke vertrat zwar die Meinung, »die dauernde Erhaltung des deutschen Bauernstandes« sei »das stärkste Bollwerk gegen äußere und innere Feinde«. Aber vor Darré hatte niemand – auch Gierke nicht – die allgemeinverbindliche Einführung der Anerbensitte und eine rechtliche Sonderstellung des ländlichen Grundbesitzes in Deutschland durch Zwang und mit rassenideologischen Argumenten und Motiven gefordert – auch nicht mit bevölkerungspolitischen. Darré warf Hardenberg vor, den »Wirtschaftsgedanken zum ersten Grundsatz erhoben und alles übrige ihm untergeordnet« zu haben. Die fortschreitende Industrialisierung habe dann zu einer »galoppierenden Entnordung« auf dem Lande geführt, stellte Darré fest.533 Darrés Unterscheidung von »Bauer« gleich »nordrassischer Erbhofbauer« und »Landwirt« gleich »Bewirtschafter eines landwirtschaftlichen Betriebes« machte diese rassistische Motivation ebenfalls schon vor dem REG offenkundig. Deshalb forderte er auch die »Überführung des Siedlungsgedankens in den Grundgedanken, daß Siedlung nur einen völkischen Sinn macht, wenn sie ›Neubildung deutschen Bauerntums‹ bedeutet«.534 Die Einschätzung Frauendorfers, man habe außerhalb »völkischer« Kreise und vor den Nationalsozialisten die »ländliche Sozialfrage letzten Endes [als] Landfrage« angesehen und sie daher über Siedlungspolitik bzw. »innere Kolonisation‹« lösen wollen, ist sehr plausibel.535 Aber Sozialpolitik ist nicht gleich Rassenpolitik.536 Die Implementierung von Darrés Vorstellungen eines »Hege-« bzw. »Erbhofes« im »Dritten Reich« begann schon zu einer Zeit, als er noch nicht Minister war. Zunächst wurde auf Initiative des preußischen Justizministers Hanns Kerrl (NSDAP) am 15. Mai 1933 ein »Bäuerliches Erbhofrecht« für Preußen geschaffen  – das »Preußische Erbhofgesetz« (PrEG) –, welches das, was Darré beabsichtigte, unter dem Gesichtspunkt, was möglich sei und was nicht, quasi experimentell einführte. Es sollte nur in den Regionen Preußens, in denen die Anerbensitte galt, obligatorisch sein, in den Realteilungsgebieten aber nur fakultativ gelten. Es beließ dem Hofeigentümer das Recht, 532 Vgl. O. von Gierke, »Fideikommisse«, in  : Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl. Jena 1909, Bd. 4, 104 ff. 533 Darré, »Blut und Boden als Lebensgrundlagen der nordischen Rasse«, 1930, wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 24 f. 534 Darré, »Bauer und Landwirt«, in  : DA, 1932/33, Heft 2 (1.8.1932), wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 177 ff. (Zitat 208). 535 Frauendorfer, 1957, 398. 536 Schon Albrecht Thaer hatte den Begriff »Landwirt« als Alternative zum als »tumb« diskreditierten »Bauern« ins Spiel gebracht, was von Adam Müller prompt abgelehnt worden war, weil es »das Geschäft des Landbaus […] zum Gewerbe herabwürdigen und zum Mechanismus der Industrie einverleiben« würde. Friedrich List brachte die Sache eher auf den Punkt, als er 1842 vorschlug, das Wort »Bauernstand« lieber zu vermeiden, weil es mit Elend und Erniedrigung konnotiert werde. (W. Conze, 1972, 426 f.).

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durch Testament seinen Willen im Erbfall durchzusetzen. Und es tastete auch nicht die Möglichkeit des Betriebsleiters an, seinen Hof durch die Aufnahme von Hypothekenkrediten finanziell flexibel zu halten.537 Aber es enthielt schon Darrés Abwertung des »Landwirtes« gegenüber dem »Bauern«. In § 1 hieß es lapidar  : Bauer ist, wer in erblicher Verwurzelung seines Geschlechts mit Grund und Boden sein Land bestellt und seine Tätigkeit als eine Aufgabe an seinem Geschlecht und an seinem Volk betrachtet. Landwirt ist, wer ohne Verwurzelung seines Geschlechts mit Grund und Boden sein Land bestellt und in seiner Tätigkeit nur eine rein wirtschaftliche Aufgabe des Geldverdienens erblickt.

Hier wurde die ökonomische Tätigkeit auf einem Hof abschätzig (»nur«) bewertet, während die »blutliche« Bedeutung des Besitzers und der selbstgenügsame Hof in den Vordergrund gestellt wurden. Diese gesetzliche Unterscheidung, die den »Erbhofbauern« »adeln« sollte, wurde auch in das REG (§ 11) übernommen. Darré hatte sie schon 1932 formuliert und veröffentlicht. Diese Prioritätensetzung (»Aufnordung« geht vor Wirtschaftlichkeit), die ihn später ins Abseits manövrierte, war ganz Ausdruck seiner rassenideologischen Sichtweise.538 Wie beim Berufsbeamtengesetz wurde auch im PrEG von »deutschem oder stammesgleichem Blut« gesprochen und von der »deutschen Staatsbürgerschaft« als Voraussetzung dafür, Bauer auf einem »Erbhof« zu sein. »Jüdisches oder farbiges Blut« bei Vorfahren »bis ins zweite Glied« wurde also ausdrücklich ausgeschlossen. Dies galt auch für den Fall einer Heirat und für alle Nachkommen aus dieser Ehe. Im Hinblick auf die Erbregelung war das PrEG, das nur irrelevant kurze Zeit in Kraft war, gegen537 PrGS, Nr. 34 v. 17.5.1933, 165. Zu den Verhandlungen über das Vorhaben in einer Arbeitsgruppe vgl. Backe an Darré, 15.4.1933 (BA, BDC, RNSt-Backe und BA, NLD, AD 66). An den Gesprächen, die am 10.4.1933 begannen und als vertraulich deklariert wurden, waren neben Kerrl, der dafür von Darré später in den RBR berufen wurde, auch Roland Freisler, später Präsident des »Volksgerichtshofes«, sowie der MinR Gustav Wagemann (federführend) vom Justizministerium beteiligt (Wagemann an Darré, 13.6.1933, BA, NS 26/952 und Darré an Kerrl, 20. »Hornung [Febr.]« 1934, BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 71). Für die NSDAP neben Backe noch Willikens. ZUMPE (1964, 110) kommt, aus ideologischen Gründen, zu einer völlig falschen Annahme einer Beteiligung von Hugenberg und von Rohr am PrEG. Strittig waren insbesondere die Themen Majorat, männliche Erbfolge, Größe des Hofes und Abfindung der Geschwister des Erben. Dass Darré nicht direkt aktiv war, erklärt sich aus seinem gleichzeitigen Engagement bei der Gleichschaltung und Eroberung des landwirtschaftlichen Organisationswesens. Wie engagiert er aber bei der Sache war, zeigt sich auch daran, dass er am 20.7.1933 in einem Interview auf die Notwendigkeit eines »Reichsrahmengesetzes« hinwies und betonte  : »[…] es ist meine Überzeugung, dass ohne ein Erbhofgesetz der biologische Bestand des deutschen Blutes nicht erhalten werden kann.« In den beiden Sitzungen des PrStMin v. 11. und 15.5.1933 wurde von Hugenberg und Popitz die Anerbensitte besonders in den Vordergrund gestellt und der »Arierparagraph« von Popitz hinterfragt (GStA, Rep. 84a/2013 und AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 440 ff.). 538 Darré, »Bauer und Landwirt«, in  : Darré, BuB, 1941, 177 ff. und Wagemann, 1933. Vgl. auch Farquharson, 1976, 107 f. und besonders Grundmann, 1979, 33 ff.

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über dem bald folgenden REG weitaus liberaler. So konnten auch weibliche Erben, sei es die Ehefrau, sei es eine Tochter, »Bauer« werden. Die Zielsetzung wurde in der Präambel zum Ausdruck gebracht. Da war von der »unlösbaren Verbundenheit von Blut und Boden« die Rede und es hieß, die Höfe sollten »vor Überschuldung und Zersplitterung geschützt werden« und »als Erbe der Familie erhalten bleiben«. Kleine und mittlere Höfe seien notwendig, um eine »gesunde Verteilung landwirtschaftlicher Besitzgrößen« zu erreichen, und zur »Gesunderhaltung von Volk und Staat« würden sie auch gebraucht. Mindest- und Höchstgrenzen bei der Größe eines »Erbhofes« wurden wegen der unterschiedlichen Boden- und Klimagegebenheiten, aber auch wegen der jeweils vorhandenen Absatz- und Betriebsverhältnisse nicht festgelegt. Es wurde lediglich betont, der »Erbhof« müsse »zur Ernährung und Erhaltung einer bäuerlichen Familie« ausreichen (»Ackernahrung«). Das heiße Eisen Großgrundbesitz wurde nicht angefasst. Das REG, das am 29. September 1933 beschlossen wurde, am 1. Oktober 1933 in Kraft trat und von Darré am gleichen Tag auf dem Erntedankfest auf dem Bückeberg bei Hameln als »Grundpfeiler der neuen deutschen Bauernpolitik« verkündet wurde, war nicht nur klarer, sondern auch rigoroser auf der rassenideologischen Linie Darrés, obwohl er es seinen Kabinettskollegen als »in erster Linie [von] bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten veranlasst« zu verkaufen versuchte hatte.539 Reichsjustizminister Gürtner traf den Nagel auf den Kopf, als er bei der Beratung des Entwurfs im Kabinett am 26. September 1933  feststellte, der Bauernhof werde, wenn nichts geändert würde, »zur res extra commercium«.540 Das REG war von allen agrarpolitischen Gesetzen, die 1933 in bemerkenswert kurzer Zeit erlassen wurden, dasjenige, das vom Gedankengut der »Blut und Boden«-Ideologie am meisten inspiriert war. Seine Akzeptanz wurde begünstigt durch die in Deutschland weit verbreitete, aber unterschiedlich angewandte Anerbensitte. Es wurde mit Recht als »Grundgesetz« der neuen Agrarpolitik verstanden, das eine neue Landaristokratie schaffen sollte.541 539 In einem Interview hatte Darré erklärt, es sei seine »unbedingte innerste Überzeugung, daß ohne ein Erbhofgesetz der biologische Bestand des deutschen Blutes nicht erhalten werden kann.« (Deutsche Tageszeitung v. 19.7.1933, PA d. RLB, 76/36) Vgl. auch die Rede Darrés vor der Presse am 5.10.1933 (Sonderdruck, hg. v. AfA d. RL d. NSDAP). 540 Obwohl RK Hitler eine »Weiterberatung des Entwurfes« zusagte, gleichzeitig aber einen »grundsätzlichen Wandel hinsichtlich der Rechtsgestaltung für den Bauern für erforderlich« erklärte und damit seine Herauslösung »aus dem freien Wirtschaftsleben« meinte, wurde das REG sofort im RGBl. veröffentlicht und damit wirksam (BA, R 43 I/1465, Bl. 311 ff. und AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 829 ff.). 541 Stoll, 1935, 18. Es war daher schon erstaunlich, dass einer von Darrés Vorgängern im Amt, Magnus Frhr. von Braun (1955, 296 f.), das REG als »sehr vernünftiges Gesetz« bezeichnete, das er »begrüßt« habe. Offensichtlich verstand Braun unter »Blut« Mensch und unter »Boden« Land – wie so viele damals und sogar heute. In einer Stellungnahme v. 26.4.1933 begrüßte ein Landsyndikus aus Stade das PrEG, weil es für die Bauernhöfe »grundsätzliche Unveräußerlichkeit, Unverschuldbarkeit und Unteilbarkeit« vorsehe (BA, NLD, Darré-NS, 57). Rassistische Gesichtspunkte hatten für ihn offenbar keine Bedeutung oder er übersah sie geflissentlich. 1966 schrieb Fritz Posch in der Einleitung des Katalogs

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Die wichtigsten, reichsweit geltenden Festlegungen des REG waren  : »Der Erbhof ist grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar.« (§ 37) »Der Erblasser kann die Erbfolge kraft Anerbenrechts durch Verfügung von Todes wegen nicht ausschließen oder beschränken.« (§ 24) Der Hof wird als »besonderer Teil der Erbschaft« aus der Zuständigkeit des BGB herausgenommen und »geht ungeteilt an den Anerben über« (§ 19). Als Erbfolge wurde folgende »Ordnung« festgelegt (§ 20)  : 1. Söhne (bzw. deren Söhne)  ; 2. Vater  ; 3. Brüder (bzw. deren Söhne)  ; 4. Töchter (bzw. deren Söhne)  ; 5. Schwestern (bzw. deren Söhne). Diese starre Fixiertheit auf männliche Erben gab dem Erblasser nur noch die Freiheit, zwischen Majorat (ältester Sohn) und Minorat (jüngster Sohn) zu wählen. Empfohlen wurde das Minorat, um den Erbfall und die damit verbundenen Belastungen möglichst lange hinauszuziehen. Eine davon abweichende Entscheidung des Erblassers musste allerdings vom Anerbengericht bestätigt werden.542

Diese Zwangsregelung, die auch in Realteilungsgebieten zu praktizieren war, bedeutete nichts anderes als einen »radikalen Bruch mit dem Bestehenden« (Grundmann). Betroffen waren potentiell fast 700.000 Höfe mit mehr als 15 Millionen Hektar Nutzfläche, d. h. deutschlandweit drei Fünftel. Selbst Darré sprach von der »Umwertung aller Werte« durch die Ablösung eines »ichsüchtigen, gegen Volk und Staat verantwortungslosen Eigentumsbegriffs«, der ersetzt werde durch einen »blutmäßig gebundenen Eigentumsbegriff«. Aus dem Eigentümer bzw. Besitzer eines »Erbhofes« wurde quasi der Treuhänder einer »Sippe« unter den Bedingungen eines totalitären Staates. Sicherheit wurde eingetauscht gegen Freiheit. Im Grunde ist das REG Ausdruck einer nationalsozialistischen Tendenz, das Privatrecht und Individualismus favorisierende BGB nach dem Motto »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« durch ein von staatlichen Interessen bestimmtes Rechtssystem zu ersetzen.543 Da es im REG nur einen Erben, den »Anerben« gab, waren andere, vor allem in Süd- und Westdeutschland vorhandene Eigentumsformen wie Gütergemeinschaften von Eheleuten und Erbengemeinschaften nur für eine Übergangszeit zugelassen, der Landesausstellung Der steirische Bauer (Graz 1966, XXIV)  : »Da der Bauer […] wie eine Pflanze im Boden wurzelt, wäre er ohne den Besitz des Bodens und ohne diese Bindung an den Boden kein Bauer mehr, sondern nur noch Landarbeiter. Dann wäre auch der Landbewohner wie der Großstädter nur mehr ein Nomade, und es wäre niemand mehr da, der die Beständigkeit der Räume und Grenzen und damit auch den Bestand von Volk und Staat garantieren würde.« 542 RGBl. 1933 I, 685 ff., abgedruckt in  : Darré, Neuadel, 1935, 229 ff. und, mit den DVOn, Saure, 1933/35/41  ; Schürmann, 1941, 109 ff. und Tornow, 1972, 38 ff. sowie Corni/Gies, 1994, 103 ff. Vgl. auch A. Weber/Meinhold, 1951, 39 ff.; Schubert, 1993, 1009 ff. und Bf. Darrés an Backe v. 5.8.1933, BA, NLD, Nr. 20 sowie Darrés grundsätzliche Überlegungen zum »Bauernrecht und zur männlichen Erbfolge auf einem ›Hegehof‹« in Neuadel, 1930, 80 und 159 ff. 543 Grundmann, 1979, 44 sowie Darré, »Zur Neuadelsfrage«, a. a. O., 551 (StAG, NLD, Nr. 378) und seine Rede v. 5.10.1933 vor Pressevertretern (Ms. im Besitz d. Verf., 13). Vgl. auch Sigmundt, 2005.

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Abb. 15 Hitler auf der Rednerbühne anlässlich des Reichserntedankfestes, 1933.

nicht aber für die Zukunft. Kirchen- und Gemeindeland kam als »Erbhof« überhaupt nicht in Frage. Jede Form der testamentarischen Verfügung am REG vorbei war ausgeschlossen, es sah nur einen Übergabevertrag des »Bauern« an einen Anerbenberechtigten vor, der sich am REG zu orientieren hatte.544 Die »Bäuerin« war für ihre Altersversorgung auf das Wohlwollen des Anerben angewiesen. Die Rechte der miterbberechtigten Kinder (Ausbildung, Ausstattung bzw. Mitgift und »Heimatzuflucht« im Notfall) waren auf das Privatvermögen des Erblassers beschränkt und mussten an die »Kräfte des Hofes« angepasst werden (§§ 33–35). Damit war ein angemessener nachträglicher Ausgleich für die geleistete Arbeit der »weichenden« Erben auf dem Hof kaum mehr möglich.545 544 Das Kalkül, das dieser Regelung zugrunde lag, wird von einem Kommentator klar zum Ausdruck gebracht, steht aber im Widerspruch zum favorisierten Jüngstenrecht  : »Wenn der Altbauer die Herrschaft auf dem Hof zu lange in der Hand hält, wird der Nachfolger daran gehindert, rechtzeitig zu heiraten und für gesunden Nachwuchs zu sorgen.« (Vogels, 1937 zu § 37 REG). Stoll, Professor in Tübingen, 1935, 8 f. kennzeichnete den »Bauern« als »Treuhänder des Familiengutes« und den »Erbhof« als »Eigentum der Sippe, der Keimzelle des Volkes und Staates«, und führte ihn – wie Darré – auf das germanische Odal = »Gottes Lehen, Sonnengut« zurück. Vgl. auch Ehringhaus, 1935  ; Hipfinger, 1939 und Pacyna, 1934a, 4 ff., der auch – wie Darré – auf den spartanischen »Bauernadel« als Vorbild hinweist. Dazu auch Hartmann Lempp, »Welche Bedeutung hat das Bodenrecht Spartas für den Aufstieg und Niedergang des Staates  ?«, in  : Odal, 1936, 569 ff. und Losemann, 1977, 24 f. und 193. 545 Neben der grundlegenden Arbeit von Grundmann, 1979 vgl. Farquharson, 1976, 109 ff., der das REG wesentlich freundlicher (»rather less restrictive, than might at first sight appear«) beurteilt als alle anderen  ; Corni, 1990, 143 ff. sowie Corni/Gies, 1994, 34 ff.

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Es war abzusehen, dass diese Regelung die weitere Abwanderung vom Land befördern würde. Im Sinne der »rassen«-politischen Pläne Darrés war dies insofern beabsichtigt, als die »weichenden Erben« Soldaten, Juristen, Beamte oder Neusiedler werden und als Hefe im Sauerteig der Gesellschaft wirken und das »nordische« Erbgut dort vermehren sollten. Die Eintragung in eine »Erbhofrolle« war eine reine Formalität, welche die herausgehobene Bedeutung eines »Erbhofes«, seines »Adelsbauern« und seiner »Sippe« unterstreichen sollte. Nach dem Vorbild des alten Adels sollten Ahnentafeln bzw. Geschlechterverzeichnisse (»Sippenbücher«) angelegt werden, ein Ahnenkult, der vor allem Traditionsbewusstsein und »Ahnenstolz« hervorbringen s­ ollte.546 Ganz offensichtlich war eine Diskriminierung der Frau, die den üblichen Erbsitten und auch dem Gleichheitsprinzip der Weimarer Verfassung widersprach. Die Regelung, welche die Ehefrau als Erbin ausschloss, entsprach dem Wunsch Darrés, den »Erbhof« in einer »Sippe« zu halten und ihn nicht an eine andere »Blutsgemeinschaft« gelangen zu lassen. Die Witwe konnte nach § 26 REG allenfalls die »Verwaltung und Nutznießung« des Hofes erhalten, bis der männliche Erbe 25 Jahre alt geworden war. Blieb die Ehe kinderlos, wurde das Land, das die Ehefrau aus ihrer Familie eingebracht hatte, dem »Erbhof« des Mannes und seiner »Sippe« zugeschlagen. In der Frage nach der »Blutsgemeinschaft«, in der sich ein »Erbhof« befinden durfte, ersetzte das REG die »Familie« im PrEG durch die anachronistische »Sippe«. Jedes Ehepaar, das einen »Erbhof« besitzen wollte, musste die »Reinheit« seines Stammbaumes von »jüdischem oder farbigem Blut« bis zum 1. Januar 1800 nachweisen.547 Letzteres »Blut« war auf dem Lande kaum relevant und »jüdisches Blut« war nur über die Religionszugehörigkeit erkennbar. Aber auch Darrés und Günthers »nordisches oder fälisches Blut« konnte nicht erwähnt werden, weil es nicht justiziabel war. Noch weniger rechtsrelevant war der Anteil »nordischen Blutes« im in Deutschland vorhandenen »Blutgemisch«, den Günther auf 10 Prozent schätzte.548 Die rassistische 546 Darré, »Unser Weg«, in  : Odal, 2. Jg. 1933/34, wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1940, 69 ff. (insbes. 102 f.). Vorläufer solcher rassistischer Ahnenverehrung gab es schon in der »Völkischen Bewegung«. Otto Schmidt-Gibichenfels war 1924/25, als die Zs. noch nicht ganz auf Günther’scher Linie war, Hg. der Sonne. 1907 hatte er die Broschüre Wen soll ich heiraten  ? in Berlin publiziert. Hentschel hatte 1910 entsprechende Vorschläge zum »aufsteigenden Leben« gemacht und der »Deutschbund« hatte 1913 ganz im Sinne der »germanischen Rasse-Rein- und Hochzucht« (Gerstenhauer, 1913, 47) einen »Arbeitsplan in der Rassenfrage« vorgelegt (Puschner, 2001, 175 f.) Auch Günther (RkdV, 1926, 306, 398 und 405  ; Nord. Gedanke, 1925, 28, 58 und 120) sprach von »Wiedervernordung«, wollte den »Sippengedanken« gefördert sehen und der »nordischen Rasse die Umwelt schaffen, in welcher sie sich mehren kann«. Vgl. dazu auch Hitler, 1932, 275 f. und 279  : »Auch die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muß dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse dienen. Nur das ist ihr Sinn und ihre Aufgabe.« »Das Recht der persönlichen Freiheit tritt zurück gegenüber der Pflicht der Erhaltung der Rasse.« 547 Baumecker, 1934  ; Butterwege, 1935  ; Saure, 1941 und Merkel, 1942a, 16 ff. sowie Grundmann, 1979, 39 ff. (Zitat  : 44) 548 Vgl. Hitler, »Die Blutsvermischung und das dadurch bedingte Senken des Rassenniveaus ist die al-

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Zielsetzung des REG blieb allerdings, trotz solcher terminologischer und faktischer Probleme, unberührt, Darré sprach sogar vom »strengsten Rassengesetz, das es bisher gibt«. Gleichwohl hatte er seinen Gesetzentwurf im Kabinett mit »in erster Linie bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten« begründet. Doch diese Camouflage seiner antisemitischen Position wird an einem Detail erkennbar, das ein Kommentator klar zum Ausdruck brachte  : »Wenn der Bauer eine Jüdin geheiratet hat, so sind seine Kinder nicht rassenrein. Sie können nicht Anerben werden.«549 Ein solcher Hinweis darf allerdings nicht dazu verführen, die nationalsozialistische »Rassen«-politik auf ihren antisemitischen Aspekt zu verkürzen. Es ging – daran sei nochmals erinnert – beim REG nicht »negativ« um »Ausmerzung«, sondern und vor allem »positiv« um »Aufartung« bzw. »Aufnordung«  ; denn der Bauernhof sollte im »Dritten Reich« Ausgangspunkt für einen »Blutreinigungsprozess« werden. Die neue bäuerliche »nordische Führungsschicht« sollte durch ihre Nachkommen »fortdauernd in den Blutkreislauf des Volkes eingegliedert« werden, um sie auf diese Weise an dem »rassenhygienischen Reinigungsprozess in Deutschland, der gleichzeitig ein Aufnordungsprozess« sei, zu beteiligen. Es war der Arzt und spätere Leiter des »Rassenpolitischen Amtes der NSDAP«, Dr. Walter Groß, der Darré schon 1931 auf die lange Zeitspanne aufmerksam machte, die sein Konzept der »Blutreinigung« erfordern würde  : Wir können aus dem deutschen Volke heute nicht Millionen ausschalten, die zweifellos nur geringe nordische Anlagen in ihrer Gesamterbmasse haben. Wir können auch nicht ihre Fortpflanzung verhindern, werden also auf lange Zeit hinaus einen erheblichen Bestand weitgehend unnordisch bestimmter Menschen im Volke haben. Bis hier durch die Herrschaft eines streng nordischen Schönheitsideals, durch staatlich begünstigte quantitative Geburtsverschiebung zugunsten des nordischen Bestandteils usw. eine entscheidende Änderung im Sinne der Gesamtaufnordung erreicht ist, nimmt m. E. unendlich viel Zeit in Anspruch.550 leinige Ursache des Absterbens alter Kulturen  ; denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute eigen ist.« (1932, 324). 549 Corni/Gies, 1994, 103 f.; Vogels, 1937 zu § 21 REG  ; Darré, Bauerntum, 1929, 366 ff. (Zitat 370)  ; »Vertrauliche Stellungnahme des RBF zu der Frage ›RNSt und Juden‹« v. 19. »Wonnemond (Mai)« 1935 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1988) und Saure, 1941, 29. 550 Dr. Groß an Darré, 19.12.1931, StAG, NLD, Nr. 87. Darrés Aufsatz »Zur Neuadelsfrage« (a. a. O., 546 f.) war eine Entgegnung auf verschiedene Einwände gegen sein entsprechendes Konzept. So hatte der in Braunschweig als Assistenzarzt tätige Dr. Walter Groß, seit 1925 Mitglied der NSDAP und 1932 Mitglied des NS-Ärztebundes, 1933 Gründer des »Aufklärungsamtes für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege«, aus dem im Mai 1934 das »Rassenpolitische Amt der NSDAP« hervorging, Darré darauf hingewiesen, dass »eine gewisse Spannung zwischen nordischer Oberschicht und dem Volksdurchschnitt« unvermeidlich sei. Weil die »Aufnordung des Gesamtvolkes mit der des Hegehof-Adels« nicht Schritt halten könne und unendlich viel Zeit erfordere, trat Groß für eine konsequente »Reinzucht« ein, d. h., die Hegehof-Erben sollten nur Hegehof-Töchter heiraten dürfen.

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Es ging Darré bei seinem Projekt der »Aufnordung« darum, bei der vorhandenen Mischung unterschiedlicher »rassischer« Komponenten die beste, d. h. den »nordischen« Anteil, »herauszuzüchten«. Er sah für die ehefähigen Männer seines »neuen« Adels zur Aufrechterhaltung und Festigung ihres Führungsanspruches die Notwendigkeit, »die Auswahl ihrer Ehegattinnen immer aus den Besten unter den Mädchen des ganzen deutschen Volkes treffen zu können.« Der Grad der Reinheit der »nordischen Rasse« von »minderwertigen Blutbestandteilen« galt ihm als Unterpfand für Leistungsfähigkeit und Adelsprädikat. Auf diese Weise kam Darré zu seinem Plan einer »staatlichen Aussortierung der heiratsfähigen jungen Mädchen« und ihrer Staffelung nach Ehetauglichkeit. »Adel hat für den Nationalsozialismus nur dann einen Sinn, wenn er Leistung und einwandfreie Abstammung aus deutschem oder dem ihm gleichen germanischen Blut verbürgt.«551 Weil er Deutschland »fünf Minuten« vor dem »Rassentod« sah und diese »Entwicklung herumwerfen« wollte, nannte Darré die Regeneration der »Nordischen Rasse« vor 1933 »Aufnordung« und – weil das nicht justiziabel war – nach 1933 »Aufartung«. Wenn auch Darré mit der Günther’schen Terminologie der »ostischen«, aber auch der »westischen Rasse« jeglichen Bezug zum sesshaften Bauerntum absprach, so konnte er derartige Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft als »Bauern« nicht ausschließen. Die Lösung des Problems hatte er in der Tierzucht gefunden. Schon 1929 hatte er den Eugenikern empfohlen, tierzüchterische Erfahrungen wie das »eiserne Gesetz der Leistungshochzucht« zu berücksichtigen. Der verhinderte Tierzuchtinspektor forderte schon damals, dass »nicht nur auf Reinzucht, sondern auch auf Hochzucht zu achten« sei, weshalb man den »nordischen Bauernhof und sein Erbrecht, welches diesen Bauernhof von Geschlecht zu Geschlecht ungeteilt weiterreicht«, unbedingt brauche. Die Normierung zwischenmenschlicher Beziehungen nach dem Herdbuchverfahren in der Pferdezucht war für Darré angesichts der bevölkerungspolitischen Situation »fünf Minuten vor zwölf« kein Problem.552 Im Hinblick auf den Faktor »Boden« gab es im REG ebenfalls eine Reihe Unklarheiten und Probleme. Die NSDAP-Programmatik von 1920 bis 1930 hatte immer wieder einen Gundsatz genannt  : »Die gesunde Mischung von Klein-, Mittel- und 551 Darré, »Zur Neuadelsfrage«, a. a. O., 550 f. und Darré, »Germanen, wahret eure heiligsten Güter«, in  : NSL v. 29.1.1933. Auch in seinem Aufsatz »Adelserneuerung oder Neuadel« (Darré, BuB, 1941, 41 ff.), der im August 1931 erschien, betonte er, dass sein »Neuadel des Dritten Reiches« bewusst vom Nationalsozialismus erstrebt werde. 552 Darré, »Die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes«, Rede vor Studenten am 9.1.1931, in  : Darré, BuB, 1941, 58 f. und VB v. 10.1.1931. Wegen der unklaren Terminologie sprach Darré schon in der Rede, mit der er das REG ankündigte, von »deutschem Blut« (VB v. 20.7.1933), was freilich die Sache nicht klarer machte. In seiner eigenen Ahnentafel wurde sein nicht ideologiekonformer Vater (Außenhandelskaufmann) durch den schwedischen Familienhintergrund seiner Mutter und »die Erbmasse artgleichen nordisch-germanischen Bauerntums« aus Pommern zu kompensieren versucht (Reischle, NSL v. 10.5.1935).

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Großbetrieben des wirtschaftlichen Lebens, also auch in der Landwirtschaft, bleibt aufrechterhalten.« Aus »bevölkerungspolitischen« Gründen sollten allerdings die Klein- und Mittelbetriebe besonders gefördert werden.553 Darrés »Entwurf« zum »Aufbau einer agrarpolitischen Abteilung« bei der Reichsleitung der NSDAP vom 15. August 1930 betonte nun, dass – wenn »der Bauer Blutserneuerungsquell« werden solle – dafür gesorgt werden müsse, »daß die Geschlechter wirklich wurzeln können«. Dazu sei »ein gewisser Familien- oder Geschlechterschutz« nötig. Es waren rassenideologische Gründe, die ihn den bäuerlichen Familienbetrieb bevorzugen ließen, keine betriebswirtschaftlichen. Wenn aber, so betonte Darré, der Staat dem Bauerntum auf diese Weise entgegenkomme, »dann wird er auch als Gegenleistung gesunde Eheschließungen verlangen dürfen.« Und schließlich gab Darré seine Absicht einer »Wiederauffüllung Ostelbiens mit deutschen Bauern« kund. Das bedeutete eine klare Präferenz für den bäuerlichen Familienbetrieb welcher Größe auch immer.554 Hierzu hatte das PrEG den Begriff »Ackernahrung« benutzt, was aber keine wirkliche Klarheit im Hinblick auf die Mindestgröße eines »Erbhofes« brachte. Auch das REG blieb in dieser Frage vage  : »mindestens eine Ackernahrung« und »höchstens 125 Hektar« solle ein »Erbhof« groß sein. Als »Richtwert« dafür, was unter einer »Ackernahrung« zu verstehen sei, wurden noch im Jahre 1933 exakt 7,5 Hektar festgelegt. Hinzugepachtetes Land gehörte nicht zu einem »Erbhof«, auch Besitzungen, die ständig verpachtet waren, konnten nicht »Erbhof« werden. Zur Obergrenze von 125 Hektar hatte Darré schon am 20. Juli 1933 festgestellt  : Er werde »keinen Besitz antasten, mag er so groß sein, wie er will, wenn er wirtschaftlich gesund ist und sich aus eigener Kraft zu erhalten vermag«. Er werde auch »keinen verschuldeten Großbetrieb antasten, wenn er sich nicht mit dem Erbhofgesetz befreunden will«, sondern es der »Privatinitiative« dieses »Landwirtes« überlassen, sich im Wirtschaftsleben durchzuschlagen. Aber bei einem »jüdischer Webfehler in der Ahnentafel«  – »bis zu allen Urgroßeltern« – da gab es keine Kompromisse.555 Das galt selbstverständlich auch für Betriebe unter 7,5 Hektar. Es klang eher wie eine Drohung als eine Beruhigung für die Betroffenen. Aber immerhin ließ § 5 REG für Großbetriebe gewisse Ausnahmen zu, wenn folgende Voraussetzungen vorlagen  : Schlechte Böden und raues Klima machten es wegen der Wirtschaftlichkeit erforderlich  ; ein »wirtschaftlich in sich geschlossener« Hof war mehr als 150 Jahre »im Eigentum des Bauerngeschlechts«  ; wenn die Erhaltung von Kunstwerken und Bau553 Feder, 1927, 31 f. und die »Kundgebung« der NSDAP »zum Landvolk und zur Landwirtschaft« vom März 1930 (BA, NS 26/962  ; Corni/Gies, 1994, 71 ff.). 554 BA, All. Proz. Dok. NG 448 und Grundmann, 1979, 131. 555 Die Kameralisten hatten im 18.  Jahrhundert von einer »gespannfähigen Ackernahrung« und einer Hofgröße von fünf bis 40 Hektar gesprochen, je nach Bodenqualität und Klima (Finckenstein, 1960). Zum Großgrundbesitz  : Darré in einem Interview, Deutsche Tageszeitung v. 19.7.1933 (PA d. RLB), zum »jüdischen Webfehler« vgl. Darrés Rede vor der Akademie für Deutsches Recht am 27.2 1935, in  : Darré, BuB, 1941, 311 sowie Corni/Gies, 1994, 112.

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denkmalen eine größere wirtschaftliche Potenz des Hofes erforderte  ; und »wenn ein um das Gesamtwohl des Deutschen Volkes besonders verdienter Deutscher in eigener Person oder in seinen Nachkommen geehrt werden soll«.556 Den »Anerbenbehörden« gab das REG erhebliche Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten  : Jede wichtige Entscheidung musste genehmigt werden. Ob ein landwirtschaftlicher Betrieb »Erhof« werden konnte, ob einem Betriebsleiter oder einem ins Auge gefassten Erben die »Bauernfähigkeit« zugesprochen werden konnte, ob er »ehrbar« sei, bei der Bemessung der Versorgungs- und Abfindungsmodalitäten der »weichenden Erben« – immer, bei jedem den Hof betreffenden Rechtsgeschäft, waren die Funktionäre des »Reichsnährstandes« (RNSt) und die Anerbengerichte (AeG) involviert (§§ 41–47 REG).557 Es gab drei Instanzen  : das Amtsgericht auf Orts- und Kreis-, das Oberlandesgericht auf Landesebene – in Preußen im Schloss in Celle – und das Reichserbhofgericht in Berlin als letzte Instanz. An jedem AeG gab es neben dem professionellen Vorsitzenden bäuerliche Beisitzer, die von RNSt-Funktionären bestimmt wurden. Die AeG mussten auch hinzugezogen werden, wenn »Erbhof«-Land für Straßen- und Autobahnbau, Stadtrandsiedlungen, für Flug- und Truppenübungsplätze zur Verfügung gestellt werden musste. Das finanzielle Belastungsverbot für »Erbhöfe« erfolgte mit der Absicht, »den Bauern aus der liberalistischen Kreditwirtschaft heraus[zu]lösen, ihn des Kredites [zu] entwöhnen«. Es beeinträchtigte aber die Geldbeschaffung der Bauern im Falle von Naturkatastrophen, Missernten, Wetterschäden, Viehseuchen und dergleichen Nöten, aber auch Investitionen für Saatgut, Maschinen und Neubauten wurden behindert  ; denn sie mussten über Personalkredite oder staatliche Subventionen beschafft werden. Ein totales Vollstreckungsverbot in einen »Erbhof« und seine Erzeugnisse war zwar 556 § 2 Abs. 2 REG und § 34 der 1. DVO v. 19.10.1933, RGBl. 1933 I, 749  ; VB v. 20.7.1933 sowie Grundmann, 1979, 39. Wie sehr es Darré auch in der Frage der Größe eines »Erbhofes« um rassenideologisch gesteuerte Vorstellungen ging, zeigen zeitnahe Äußerungen. Er stellte eine »Abhängigkeit der nordischen Rasse von einer gewissen arteigenen Bodenständigkeit« fest und die Bearbeitung des Bodens auf einem Bauernhof bezeichnete er als »Dienst am Geschlecht«. Als Ziel nannte er, »die Verwurzelung des Geschlechts mit der Scholle, die Einheit von Blut und Boden in bezug auf die nordische Rasse wiederherstellen« zu wollen (»Blut und Boden als Lebensgrundlage der nordischen Rasse«, 22.6.1930, Darré, BuB, 1941, 20 ff. und 28). Dann definiert er »Ackernahrung« als »die Möglichkeit, auf dem Hof die Sippe gegebenenfalls aus wirtschaftseigener Kraft und Mitteln zu erhalten, wenn die Marktverhältnisse außerhalb des Hofes einmal versagen sollten.« (»Unser Weg«, 1.4.1934, ebd., 102). 557 Die »Bauernfähigkeit« (§ 15) war daran gebunden, dass der Hof effizient (»ordnungsgemäß«) bewirtschaftet wurde, aber auch Trunksucht, Geisteskrankheit oder Homosexualität und eine Lücke im »Abstammungsnachweis« waren Ausschlusskriterien, weil Bauerntum »wieder eine Angelegenheit der Zucht« werden sollte (Darré, BuB, 1941, 102). »Ehrbarkeit« lag vor, wenn der »Bauer« nicht straffällig wurde  ; denn »das Bauerntum als wertvollste und reinste Blutsquelle des deutschen Volkes bildet im Dritten Reich einen neuen Adel. Adel verpflichtet.« (DÖLLE, 1939, 77) Lag ein entsprechender Fall vor, drohte die »Abmeierung« entweder auf Zeit oder dauerhaft. Der Hof blieb aber weiterhin »Erbhof«.

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beabsichtigt, konnte aber gegen die gemeinsame Phalanx von Finanz-, Justiz- und Wirtschaftsressort sowie Reichsbank nicht durchgesetzt werden.558 Die §§ 38, 39 und 59 REG ließen nur eine Vollstreckung »in die auf dem Erbhof gewonnenen Erzeugnisse« durch öffentlich-rechtliche, aber auch privatrechtliche Gläubiger zu. Freilich hatten die AeG vorher zu prüfen, ob die Schulden nicht vom RNSt übernommen werden konnten. Darrés Experte für das REG, Wilhelm Saure, versuchte dieses Zugeständnis an die Kreditwirtschaft den Betroffenen schmackhaft zu machen, indem er feststellte  : »Nicht der fremde Kapitalist, sondern die eigene Gemeinschaft bürgt für die Ausmerzung der Ehrlosen und die Auslese der Besten.«559 Dass auf diese Weise für Fehler und für die Unfähigkeit Einzelner die Allgemeinheit in Anspruch genommen, die Befriedigung der Gläubiger auf eine unter Umständen sehr lange Bank geschoben und zukünftige Konflikte mit der Kreditwirtschaft heraufbeschworen wurden, stand außer Frage. Nur die in § 55 vorgenommene Befreiung der Anerben von Erbschafts- und Grunderwerbssteuern dürfte unstrittig aufgenommen worden sein. Einen schweren Rückschlag musste Darré bei der Schuldenregelung für »Erbhöfe« hinnehmen  : Er konnte – wie beim Vollstreckungsschutz – keine Sonderregelung zur Entschuldung der Erbhöfe durchsetzen, obwohl er wenige Tage nach Amtsantritt im Juli 1933 das »Reichskommissariat für die Osthilfe« aufgelöst und es – wie es schon in der Ära Hugenberg beschlossen worden war – in das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (RMEL) eingegliedert hatte. Damit waren alle Institutionen, die sich mit der Entschuldung der Landwirtschaft befassten, im RMEL zusammengefasst. Schon im Dezember 1931 und im Februar 1933 hatten Notverordnungen des Reichspräsidenten für die gesamte deutsche Landwirtschaft einen generellen Vollstreckungsschutz bis Ende Oktober 1933 und eine Reduzierung der Zinsbelastung gebracht. Mit dem Gesetz »zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse« vom 1. Juni 1933, das seit April im Kabinett beraten worden war, wurde noch unter der Ägide von Darrés Vorgänger, Reichwirtschafts- und Reichslandwirtschaftsminister Hugenberg, eine groß angelegte Entschuldung für die deutsche Landwirtschaft eingeleitet. Die Verschuldung sollte bis an die Grenze der »Mündelsicherheit«, d. h. zwei Drittel des Hofwertes, zurückgeführt werden. Die Betriebsleiter sollten in die Lage versetzt werden, die Verbindlichkeiten aus den Erträgen zu finanzieren. Dazu sollten bei den Amtsgerichten Entschuldungsämter eingerichtet werden, die mit den Kreditanstalten entsprechende Regelungen auszuhandeln hatten.560 558 Zu ihrer Argumentation vgl. das Kabinettsprotokoll v. 26.9.1933  : AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 829 ff.; BA, R 43 II/224 und IfZ-München, FA 199/19 sowie Corni/Gies, 1994, 103 f. 559 Saure in NSL v. 29.6.1934, Saure, 1941, 89 ff. und Saure im VB am 7.7.1933 sowie Grundmann, 1979, 46 ff. und die Rede Darrés auf dem bayerischen Bauerntag am 22.4.1934 (Zitat nach Schulthess, 1934, 109). 560 Vgl. RGBl. 1933 I, 331  ; BA, R 43 II/192 und 1142  ; AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 534 ff. sowie Harmening/Pätzold, 1935  ; Jähning, 1938  ; Merkel, 1942a, 53 f. sowie Tornow, 1972, 21 ff. und Corni, 1990, 150 f.

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Darrés Entwurf eines Gesetzes »zur Entschuldung der Erbhöfe« wurde zusammen mit dem REG am 26. September 1933 im Kabinett verhandelt, scheiterte aber am gemeinsamen Widerstand des Preußischen Finanzministeriums (Popitz) und des Reichsfinanzministeriums (Schwerin von Krosigk), des Wirtschaftsressorts (Schmitt, ehem. Generaldirektor der Allianz-Versicherung), des Vizekanzlers von Papen sowie des Reichsbankdirektoriums unter Führung Hjalmar Schachts. Darrés Entwurf sah die Übernahme aller Schulden, die auf einem »Erbhof« lagen, aber auch die persönlichen Schulden eines zuküftigen »Bauern« durch die Rentenbank-Kreditanstalt vor, so dass die Landwirtschaft »mit einem Schlag die Schuldfessel« abgeworfen hätte. Als Gegenleistung sollten alle »Bauern«, auch die schuldenfreien, nach dem Grundsatz »alle für einen« eine jährliche Rente von 1,5 Prozent des Einheitswertes ihres Hofes entrichten. Diejenigen, die unverschuldet diesen Solidaritätsbeitrag zu zahlen hatten, sollten Siedlungsgutscheine »für ihre nicht als Anerben berufenen Söhne« erhalten, womit man Anreize zur »Neubildung deutschen Bauerntums« geben wollte. Die Gläubiger mussten zusehen, wie sie sich mit ihren Forderungen gegenüber einer mächtigen Bank durchsetzen konnten.561 Die Gegner einer solchen Regelung sahen das Leistungsprinzip gefährdet zugunsten einer Solidar- und Haftungsgemeinschaft aller und wiesen auf schwere Eingriffe nicht nur in Gläubigerrechte, sondern in die geltende Rechtsordnung überhaupt hin. Max Sering stellte – aus Sicht des Erbganges – sogar fest  : »Das Prinzip der absoluten Schuldenfreiheit widerspricht einer siebenhundertjährigen […] Abfindungspraxis.« Es gab Eingaben Betroffener, die nicht einsehen wollten, warum sie als weniger verschuldete Bauern für höher verschuldete Höfe anderer einstehen sollten. Nach der Vorstellung von Darrés Staatssekretär Backe sollten sogar die sehr niedrig veranschlagten Zinsen, welche die Gläubiger bekommen sollten, durch die Reichskasse, d. h. alle Steuerzahler, ausgeglichen werden. Die Verhandlungen der beteiligten Ressorts zogen sich bis in den Sommer 1934 hin. Als sich auch noch Hitlers »Wirtschaftsbeauftrager« Wilhelm Keppler mit einem eigenen Entwurf einschaltete, zogen Darré und Backe entnervt ihren Entwurf eines »Erbhofentschuldungsgesetzes« zurück und ordneten die Erbhofentschuldung in die Hugenberg’sche allgemeine Entschuldungsregelung für die Landwirtschaft ein.562 Das war eine herbe und folgenschwere Nieder561 Vgl. den Bf. des Reichsbankdirektoriums an die Rklei v. 29.9.1933, in  : Corni/Gies, 1994, 11 und AdRk, Reg. Hitler, 1983, 875 ff. sowie BA, R 43 I/1301 und 1465 sowie R 2/13899. Vgl. auch Corni, 1990, 150 f. sowie Darrés Presseerklärung v. 5.10.1933, das Entschuldungsgesetz sei »fertig« und »nur zurückgestellt« (Ms. im Besitz d. Verf.), und den lapidaren Text, mit dem Saure in seinem »Leitfaden« zum REG das Thema abhandelt  : Saure, 1941, 100. 562 Vgl. BA, R 43 I/1301, Bl. 133 f.; R 43 II/192, Bl. 78 ff.; R 53/26, Bl. 24 ff. und AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 871 ff. und 1014 f. sowie Grundmann, 1979, 50 ff. Noch auf dem 1. RBT in Weimar sprach Darré im Januar 1934 davon, der Kampf um die »Brechung der Zinsknechtschaft« für »Erbhöfe« sei noch nicht entschieden, bezeichnete die »Entschuldung der Erbhöfe« aber als »entscheidende Maßnahme«, die noch nicht gelungen sei (Darré, Aufbruch, 1941, 22).

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lage. Trotzdem stilisierte sich Darré im Zusammenhang mit dem REG als »Retter des deutschen Bauerntums«. Als solcher ließ er sich im westlichen Taunus, oberhalb seines Wiesbadener Elternhauses, an der »Rentmauer«, ein Denkmal in Form eines Findlings setzen, das er selbst einweihte.563 Binnensiedlung als »innere Kolonisation« oder »Neubildung deutschen Bauerntums«

Ein ähnliches Schicksal wie das »Reichsheimstättengesetz« hatte das am 11. August 1919 von einer sozialdemokratisch geführten Reichsregierung initiierte »Reichssiedlungsgesetz« (RSG), das erstaunlicherweise am selben Tag beschlossen worden war wie die neue Reichsverfassung. Dabei waren die Voraussetzungen für die ländliche Siedlung viel günstiger als bei den »Heimstätten«  : Viele aus dem Krieg zurückkehrende Soldaten waren auf der Suche nach einer neuen Existenzgrundlage. So hat es auch der gemäßigt sozialistische preußische Abgeordnete Eduard David gesehen, als er zum »volkswirtschaftlichen Gebot der Stunde« feststellte  : Die weltwirtschaftliche Zwangslage, in die sich Deutschland durch Krieg und Blockade, Niederlage und Gewaltfrieden versetzt sah, bedeutete eine Verschiebung unserer ganzen Wirtschaftsgrundlage nach der landwirtschaftlichen Seite hin. Es galt, die Umbildung unserer Wirtschaft in der Richtung intensiver Ausnützung des heimischen Bodens so rasch und energisch wie möglich zu fördern.

Das RSG, das als »Lex Sering« galt, sah vor, in jedem Land gemeinnützige »Siedlungsunternehmen« zu gründen. Sie hatten die Aufgabe, für »neue Ansiedlungen« und »zur Hebung bestehender Kleinbetriebe« bis zur Größe einer »Ackernahrung« Land aufzukaufen. Dazu sollten Staatsdomänen, Moor- und Ödland herangezogen werden. Außerdem sollten Großgrundbesitzer in Gebieten mit mehr als 10 Prozent Über100-Hektar-Betrieben zu »Landlieferungsverbänden« zusammengeschlossen werden und insgesamt ein Drittel ihrer Fläche für Siedlungszwecke abgeben. Dabei solle darauf geachtet werden, dass nur Güter herangezogen wurden, die nicht von landsässigen Besitzern betrieben wurden. Bevorzugt sollten auch solche Höfe rekonstruiert werden, die aufgekauft und großen Gütern einverleibt worden waren. Landarbeitern sollte mit Pachtverträgen zur Selbstständigkeit verholfen werden.564 563 Presseerklärung Darrés anlässlich der Verkündung des REG, Darré, BuB, 1941, 290 und das »Geleitwort« Darrés in  : Saure, 1941, 12. Der Personenkult, der in der Setzung eines Gedenksteines zum Ausdruck kam, wurde alsbald gedämpft, indem Darré in Rundschreiben an alle Spitzenfunktionäre des RNSt v. 24.11. und 14. »Dezember ( Julmond)« 1933 wegen entsprechender Berichte in der ausländischen Presse untersagte, »dass vor meinem Tode auf ein derartiges Denkmal oder Mahnmal mein Name gesetzt wird« (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991). 564 RGBl. 1919 I, 1429 und Eduard David, Sozialismus und Landwirtschaft. Leipzig 1922, zit. n. H. Haushofer, 1958, 50. Es war Generalfeldmarschall Hindenburg, der den Soldaten für die Nachkriegszeit

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Schon 1912 war auf Anregung Serings und anderer eine »Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation« gegründet worden. Ihr erster Vorsitzender war Friedrich Ernst von Schwerin, der ganz im Sinne des Zeitgeistes die Bedeutung der Siedlung für die »Wehrfähigkeit Deutschlands« hervorgehoben hatte. Ihm folgte 1925 bis 1932 Wilhelm Freiherr von Gayl, Direktor der ostpreußischen Landgesellschaft, der später für die DNVP als Innenminister der Regierung Papen angehörte und die »Abwehr der linken und slawischen Gefahr« in den Vordergrund stellte. Hauptaufgabe der Fördergesellschaft war Öffentlichkeitsarbeit, um den Siedlungsgedanken populär zu machen. Dazu übernahm sie das von Heinrich Sohnrey 1909 gegründete Archiv für Innere Kolonisation als Publikationsorgan, das 1934 unter der Regie Darrés in Neues Bauerntum umbenannt wurde.565 Noch früher, 1886, war ein Gesetz »über die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen« erlassen und dort eine »Königliche Ansiedlungskommission« gebildet worden, deren Aufgabe es war, die weitere Ausdünnung der Provinzen durch Abwanderung der Landbevölkerung nach Westen zu verhindern. Es ging selbstverständlich auch darum, »die Überflutung […] mit polnischen Elementen zu verhindern« (Schürmann). Es war nicht so sehr die jährliche Beschäftigung polnischer Saisonarbeiter, die zu solcher nationalistisch-»völkisch« motivierter Reaktion führte, sondern vielmehr das Einsickern polnischer Bauern in die östlichen Provinzen Preußens, das als Bedrohung empfunden wurde und so eine Aufsiedelung überschuldeter Güter als »Volkstumskampf« herausforderte. Diese antipolnische Politik war nicht rassistisch, sondern zunächst nationalistisch motiviert, weil sie Staatsangehörigkeit und Sprache im Auge hatte. Aber sie wurde zunehmend »völkisch« akzentuiert und war deshalb gefährdet, rassistisch aufgeladen zu werden.566 »Ansiedlungskommissionen«, die auch in den anderen preußischen Ostprovinzen gebildet wurden, waren Behörden, die dem Finanzministerium unterstanden und mit staatlichen Fördermitteln ausgestattet wurden. Sie kauften Siedlungsland auf und führten alle weiteren Aufgaben (Planung, Siedlerauswahl, Finanzierung usw.) selbst durch, indem sie bäuerliche Siedlungen zu Eigentum gegen Kapital, Rente oder in Hoffnung auf eine neue Existenz auf dem Lande gemacht hatte. In einem Aufruf vom November 1918 hieß es  : »Kameraden  ! Die Vorarbeiten für ein großzügiges Ansiedlungswerk sind im Gange  ; die Ausführung wird unverzüglich beginnen. […] Die heimkehrenden Krieger sind die ersten, diesen Dank des Vaterlandes zu empfangen. Auf billig erworbenem Land mit billigem öffentlichen Gelde werden für Landwirte, Gärtner und Handwerker Hunderttausende von Stellen errichtet.« (zit. n. Schürmann, 1941, 146 f.). 565 Im Archiv ( Jg. 1929, 171) war übrigens Darrés Bauerntum außerordentlich positiv besprochen worden. Trotz einiger »recht kühner Schlußfolgerungen« sei das Buch »zweifellos außerordentlich anregend«. Der Verfasser habe »mit unerbittlicher Klarheit« gezeigt  : »Nur so lange bleiben die nordischen Völker gesund und halten ihre Rasse rein und unvermischt, als sie in enger Verbindung mit der Natur und Mutter Erde bleiben«, hieß es da. 566 Schürmann, 1941, 143 ff.; Smit, 1983, 30 ff. und Broszat, 1972.

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Zeitpacht schufen. Weil der Staat als Siedlungsunternehmer relativ unbeweglich und erfolglos war, wurden 1913  – auch in anderen Ostprovinzen Preußens (Ostpreußen, Pommern, Brandenburg)  – mehr privatwirtschaftlich strukturierte »Ansiedlungsgesellschaften« eingerichtet, die mehr die seit 1890 gesetzlich verankerten »Rentengüter« im Auge hatten. Sie konnten nicht hypothekarisch belastet werden, sondern zahlten ihre finanziellen Verpflichtungen über Rentenbanken zurück. Aber auch die privat organisierte Binnensiedlung war nicht effektiver als die staatliche. Das lag an der Komplexität der Vorgänge, den Finanzierungsmodalitäten und vor allem am Fehlen von Siedlungsland, weil die Abgabe von Land aus Großgrundbesitz freiwillig erfolgen musste und so auf den Unwillen der »Junker« stieß. So war das Ergebnis der Siedlungsbemühungen vor dem Ersten Weltkrieg »recht mager« (Schürmann). Bis Kriegsbeginn wurden in den preußischen Ostprovinzen knapp 22.000 Siedler angesetzt auf 450.000 Hektar Land. Für Landkäufe musste eine Milliarde RM aufgewendet werden. Trotzdem nahm ab 1896 der deutsche Besitz in Posen/Westpreußen ständig ab, das Wachstum der deutschen Bevölkerung konnte mit dem der polnischen nicht Schritt halten und an der Besitzstruktur des Grundbesitzes in Preußen änderte sich auch nichts Wesentliches. Um das zu ändern, sollte 1919 durch das RSG, gestützt auf die Verfassung, die Bereitstellung von Siedlungsland notfalls durch Zwang (»Enteignung«) ermöglicht werden. Einer der Verfasser des RSG war der Nationalökonom Max Sering (1857– 1939). Er hatte Rechts- und Staatswissenschaften studiert, in Leipzig promoviert und sich in Bonn habilitiert. Seit 1889 war er in Berlin tätig. Sering war Mitglied des einflussreichen »Vereins für Socialpolitik« und der »Gesellschaft für innere Kolonisation«. Er hatte zunächst die Getreideschutzzölle befürwortet und 1896 an einer vom preußischen Landwirtschaftsministerium initiierten Studie über das Erbrecht und die Agrarverfassung in Preußen einschließlich ihrer historischen Hintergründe teilgenommen. Darin wies er nach, dass der Anerbenbrauch in den Geestgebieten Schleswig-Holsteins nicht aus feudaler Zeit stammte, sondern weit in vorchristliche Zeiten zurückreichte – eine Feststellung, die Darré sicherlich gerne las.567 Sering hatte im Ersten Weltkrieg seinen Sohn verloren, es wurde kolportiert, seine Mutter sei die Tochter eines jüdischen Lehrers gewesen und – so hatte es Darré herausfinden lassen – er war mit einer ab 1933 als Jüdin stigmatisierten Frau verheiratet. Als Sering, mit seinem 1921 gegründeten renommierten »Institut für Agrar- und Siedlungswesen« im Rücken, die nationalsozialistische »Erbhof«-Gesetzgebung einer umfassenden und wohlbegründeten Kritik unterzog, wurde er, der als Wissenschaftler ein hervorragendes Ansehen und internationale Reputation genoss, von Darré zur per567 Das Sammelwerk Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen war in insgesamt 14 Bänden von 1897 bis 1905 von Sering herausgegeben worden. Schon 1927 hatte sich Darré überzeugt gezeigt, dass alle Bemühungen um »innere Kolonisation« und »Bodenreform« ohne ein neues Erbrecht aussichtslos seien (Bf. v. 3.2.1927 an Dr. E. Liek, StAG, NLD, Nr. 84a).

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sona non grata erklärt, seine Schrift zum REG beschlagnahmt und die finanzielle Unterstützung seines Instituts eingestellt. Sering wurde fachlich und persönlich öffentlich attackiert, aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen und aus allen seinen Ämtern, auch als Repräsentant Deutschlands in der internationalen Agrarforschung, verdrängt.568 Der Begriff »innere Kolonisation« war im Zusammenhang mit der als »Landflucht« bezeichneten massenhaften Abwanderung der Menschen aus ländlichen Regionen entstanden. Deren Ursachen waren nicht nur die fortschreitende Industrialisierung und attraktivere Arbeitsplätze in den Städten, sondern auch die unsoziale Verteilung des Grundbesitzes und die ausbeuterische und patriarchalische Haltung der »Junker«. In manchen ostelbischen Regionen besaßen sie mehr als die Hälfte des Bodens. 1907 gab es im Deutschen Reich etwa 23.500 Großbetriebe über 100 Hektar mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von insgesamt etwa sieben Millionen Hektar Land. Das waren 22 Prozent der Gesamtfläche. In Mecklenburg (Schwerin und Strelitz) waren es 60 Prozent, in Pommern 51, in Posen 44, in Ostpreußen 37, in Westpreußen 36, in Schlesien und in Brandenburg jeweils immer noch knapp 33. Im Deutschen Reich gab es 369 Latifundien (über 1000 Hektar Land einschl. Wald) mit einer Gesamtfläche von 700.000 Hektar, wovon allein auf Preußen 340 mit insgesamt 650.000 Hektar Land entfielen.569 Anfangs der 1890er Jahre hatte der »Verein für Socialpolitik« eine groß angelegte Untersuchung zur Lage der Landarbeiter angeregt, an der auch Max Weber beteiligt war. Darin beschrieb der nationalliberale Sozialwissenschftler die polnischen Wanderarbeiter, auf welche die landwirtschaftlichen Großbetriebe im Osten Deutschlands angewiesen waren, als »den gefährlichsten Feind unserer Nationalität«, als »unseren größten Polonisator«. Weber trat deshalb für eine Veränderung der Grundbesitzverhältnisse im Osten Deutschlands und für »innere Kolonisation« auf Kosten der Großgrundbesitzer ein.570 Aber sozialpolitische Ziele wie Abwehr einer Proletarisierung der Landbevölkerung und Aufbau eines bäuerlichen Mittelstandes oder nationalistische Siedlungsmotive wie Schutz vor Überfremdung und Erhaltung einer deutschen Identität, auch ernährungswirtschaftliche Absichten einer deutschen Unabhängigkeit von ausländischen Einfuhren – alles das war meilenweit entfernt von dem, was Darré mit Siedlung verband. An den meisten siedlungspolitischen Aktivitäten zur »inneren Kolonisation« in der Weimarer Republik war Sering als geschätzter Fachmann beteiligt. Er war nach dem verlorenen Krieg der Meinung, im Sinne der Aufrechterhaltung einer nationa568 Darré, »Stellungnahme des RBF zu der Frage ›RNSt und Juden‹« v. 19. Wonnemond (Mai) 1935 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1988). Vgl. – auch für das Folgende – Dietze, 1962, 335 ff.; H. Beyer, 1965, 64  ; Frauendorfer 1957, 386 ff. und H. Haushofer, 1958, 50 ff. und 110. 569 Dierkes, 1927, 22 f.; vgl. auch Carsten, 1988  ; Buchsteiner, 1991, 105 ff. und Achilles, 1996, 77 ff. 570 M. Weber, »Die ländliche Arbeitsverfassung«, in  : Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 58 (1893), 62 ff.

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len Identität nach den Landverlusten durch den Versailler Vertrag und zur Abwehr von Umsturz- und Sozialisierungsplänen sollten die Großgrundbesitzer ein Drittel ihrer Ländereien für Siedlungszwecke zur Verfügung stellen. So wurde in der Begründung des RSG als Ziel eine moderate Reagrarisierung Deutschlands dahingehend genannt, dass keine weitere Industrialisierung zuungunsten der Landwirtschaft angestrebt werde. Außerdem solle der landwirtschaftliche Klein- und Mittelbetrieb gefördert werden, um so eine dichtere Besiedelung der östlichen Provinzen Preußens zu erreichen, die mittlerweile als »Raum ohne Volk« gekennzeichnet wurden. Dahinter stand nicht nur die Absicht einer Kompensation des Verlustes ostdeutscher Agrargebiete im Versailler Vertragswerk durch eine intensivere Landbewirtschaftung, sondern auch das volkstumspolitische Trauma einer zunehmenden »Polonisierung« dieser Gebiete durch »slawische« Bauern, Wander- und Saisonarbeiter. Das war zwar nationalistisch-»völkisch« motiviert, nicht aber rassistisch im Sinne der »Nordischen Bewegung« Darrés. Der damalige Vorsitzende des »Bundes der Landwirte« (BdL), Freiherr von Wangenheim, gehörte – wie Sering – 1912 zu den Initiatoren der Gründung der »Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation«. Auch die »Studienkommission zur Erhaltung des Bauernstandes« ging aus diesen Kreisen konservativer, auch »völkischer« Politiker hervor. Sie hatte 1914 den Namen »Studienkommission zur Erhaltung des Bauernstandes, für Kleinsiedlung und Landarbeit« erhalten, wodurch das Ziel, die »Vermehrung der Existenzen auf dem platten Lande« deutlicher wurde. Es ging darum, durch »teilweisen Ersatz der Großbetriebe durch menschenreiche Bauernkolonien […] das überstürzte Anwachsen der Industrie hintan[zu]halten, die Bevölkerung auf dem Lande [zu] verdichten und damit die Basis der Volksvermehrung [zu] verbreitern.« Denn, so erklärte der Geschäftsführer der Studienkommission, das Land sei die »Quelle der Volkskraft«.571 So argumentierte auch Dr. Johannes Dierkes Mitte der 1920er Jahre  : Seßhaftmachung ist nicht nur der beste Schutz gegen einen fortschreitenden Proletarisierungsprozeß, sondern auch das tauglichste Mittel gegen die körperliche und seelische Verelendung und Verkümmerung, die unsere modernen Großstädte und Industriezentren mit unheimlicher Gewalt an dem Menschenmaterial unseres Volkes vornehmen.

Wie Fichte, Stein und andere vor ihm wies er darauf hin, dass »Seßhaftmachung« einen »staatserhaltenden Sinn« erzeuge, und gab deshalb die Parole aus  : »Siedlung 571 Vgl. u. a. Sering, 1893  ; »Die Verteilung des Grundbesitzes und die Abwanderung vom Land«. Rede vor dem Kgl. Preuß. Land- und Ökonomie-Kollegium, Berlin 1910 und 1911 (Landwirtschaftliche Jahrbücher, 623 ff.)  : »Die große, im Osten von Deutschland zu lösende Aufgabe ist […] in erster Linie eine populationistische. Es gilt Menschen zu schaffen, das Land so dicht wie es möglich ist zu besiedeln, und zwar vor allem mit Deutschen.« (zit. n. Seraphim, 1936, 58).

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tut not  !« Aber das Wort »Rasse« kommt in seinem Buch von 1927 kein einziges Mal vor.572 Warum engagierten sich gerade Agrarlobbyisten vom katholischen Milieu bis zu den »Junkern« für ländliche Sozial- und Siedlungspolitik  ? Der pommersche Rittergutsbesitzer Conrad Freiherr von Wangenheim (1849–1926) war 1893 Mitbegründer und von 1898 bis 1920 Vorsitzender des »Bundes der Landwirte« (BdL). Er hatte diesen konservativen landwirtschaftlichen Interessenverband 1921 in den »Reichslandbund« (RLB) überführt. Wangenheim war als Deutschkonservativer später für die »Deutsche Vaterlandspartei« zeitweise Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstages, er war zeitweise Vorsitzender der Landwirtschaftskammer in Pommern und Vorsitzender des Provinziallandtages, zugleich aber war er auch Anhänger einer modernen, den Fortschritt der Technik nutzenden Landwirtschaft. Es sind vor allem bevölkerungspolitische, parteipolitische und ethnopolitische Gründe, die dieses Phänomen eines sozialpolitischen Engagements auch ostelbischer Großgrundbesitzer erklären  – nicht aber rassenideologische. Selbst der Vorsitzende des »Alldeutschen Verbandes« (AdV), der 1913 ein Bündnis mit dem BdL Wangenheims zur Förderung der »inneren Kolonisation« geschlossen hatte, Heinrich Claß, bestätigte diesen Agrariern, die Binnensiedlung sei als eine »unendlich wichtige Frage« anzusehen und es sei auf eine »zweckmäßige Verteilung zwischen großem, mittleren und kleinem Besitz Wert [zu] legen«. Seine Begründung war  : Die Ausbreitung der Sozialdemokratie auf dem Lande und die »Polonisierung des Ostens« müssten eingedämmt werden. Auch die Folgen der immer dramatischer werdenden »Landflucht« und der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft trieben die konservativen Agrarpolitiker um. Zwischen 1840 und 1910 hatten die östlichen Provinzen Preußens etwa 2,75 Millionen Menschen verlassen, die es in die westlicheen Industriegebiete gezogen hatte. Sie wurden von Arbeitskräften aus Polen ersetzt. Dass der völkische AdV, teilweise auch mit rassistischen Argumenten, für eine aggressive »Ostraumpolitik« warb, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, es versteht sich von selbst.573 Aber in der Praxis fehlte nach dem Krieg zunächst das Privatkapital für erfolgreiche Binnensiedlung, wie ja auch der als junger Soldat von der Westfront zurückgekehrte Darré während seiner Zeit als Praktikant auf verschiedenen Gütern hatte feststellen müssen. In der Hyperinflation war dann an Aktivitäten in Siedlungsfragen nicht zu denken. Die Konjunkturjahre von 1924 bis 1929 brachten erst ab 1927 einen nennenswerten Aufschwung in der Binnensiedlung, weil der Reichstag 1926 mit den Stimmen von rechts bis links jährlich 50 Millionen RM zur Belebung der Binnensiedlung 572 Dierkes, 1927, 83. Im Vorwort weist er darauf hin, von Heinrich Brüning, dem späteren RK, und Heinrich Lübke, dem damaligen Geschäftsführer des »Reichsverbandes landwirtschaftlicher Kleinund Mittelbetriebe« und späteren Bundeslandwirtschaftsminister und Bundespräsidenten, beraten worden zu sein. 573 Vgl. Hans von Wangenheim, »Conrad Freiherr von Wangenheim«, in  : Pommersche Lebensbilder, Bd. 1, Stettin 1934  ; Frymann (Class), 1914, 262  ; Boyens, 1959/60 und Wunderlich, 1961, 24 ff.

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bewilligte. Dieses Geld wurde gebraucht für die Errichtung und Instandsetzung von Gebäuden, für Inventar (Maschinen, Vieh) und für Betriebsmittel. Um zu verhindern, dass Neusiedler aus finanziellen Gründen aufgeben mussten, wurde 1931 nochmals ein Gesetz zur Förderung der ländlichen Siedlung beschlossen, obwohl das Reich für die Siedlung gar nicht zuständig war. Da ging es allerdings schon nicht mehr um strukturelle Fragen wie Beschleunigung der Verfahren oder die optimale Größe eines Neusiedlerhofes in einer geschlossenen oder offenen dörflichen Umgebung. In der Wirtschaftskrise ging es nicht mehr um Rentabilität, sondern um die bloße Existenz. Das RSG war nur ein Rahmengesetz, das dem Reich allenfalls Planungsmöglichkeiten erlaubte, die praktische Ausführung der ländlichen Siedlung – sei es Neusiedlung, Anliegersiedlung zur Weiterentwicklung von Nebenerwerbsbetrieben oder Pachtsiedlung – war Sache der Einzelstaaten, ihrer Landlieferungsverbände und Siedlungsgesellschaften. Was die WRV in ihrer Präambel feststellte – »Das deutsche Volk, geeint in seinen Stämmen […]« –, war ein frommer Wunsch, denn von Einheit oder gar Zentralismus konnte in Siedlungsfragen damals keine Rede sein. Insbesondere in Preußen gab es anhaltende Widerstände  : bei der Parzellierung großer Güter, der Akquirierung von Land und dessen Finanzierung (Enteignung bei »angemessener« Entschädigung), der Größe (»Ackernahrung«) und der Kreditierung des laufenden Betriebs. Art. 10 Abs. 4 WRV erklärte zwar »das Bodenrecht, die Bodenverteilung, das Ansiedlungs- und Heimstättenwesen, die Bindung des Großbesitzes, das Wohnungswesen und die Bevölkerungsverteilung« zur Reichssache. Das aber war eine »Kann«-Feststellung im Hinblick auf »Grundsätze«. Und insofern war das mehr Programmatik als Vorschrift, wie etwa auch die Formel vom »Eigentum«, das »verpflichte« und dessen »Gebrauch zugleich Dienst sein [soll] für das gemeine Beste«, wie es in Art. 153 WRV hieß. Ähnliches galt für Art. 155, in dem es hieß  : »Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft.« Die »Überwachung« der »Verteilung und Nutzung des Bodens« wurde zwar als staatliche Angelegenheit bezeichnet, um »Missbrauch [zu] verhüten«. Wie dies in der Realität ausgestaltet werden könne, blieb aber offen. Das Ziel, nämlich »jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern«, war wohlmeinend, aber wenig konkret. Und es war leichter gesagt als getan, dass »Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung und zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, enteignet werden kann«. Johannes Dierkes schildert ausführlich die Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung dieser hehren Verfassungsartikel im Hinblick auf »innere Kolonisation« zu überwinden waren. Das waren nicht nur bürokratische Hemmnisse und verfahrensrechtliche Mängel, sondern auch interessenpolitische Aktivitäten. Wenn z. B. die »Landlieferungsverbände« von unwilligen Großgrundbesitzern dominiert wurden, waren sie nicht sehr effektiv in ihren Unternehmungen zur Gewinnung von Siedlungsland. Wenn die »Landeskulturämter«, welche die staatliche Aufsicht im Siedlungswesen praktizierten,

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mehr von Verwaltungs- als von Förderungsdenken beseelt waren, konnte ihre Arbeit das Siedlungsvorhaben nicht positiv beeinflussen. Dierkes rechnete vor, dass bei dem gleichen Tempo wie bis 1927 das Ziel des § 13 RSG, nämlich Verminderung des Großgrundbesitzes (Betriebe über 100 Hektar) um ein Drittel seiner Fläche, in Ostpreußen erst in 137 Jahren erreicht werden würde. Nach einem Vergleich zwischen der Vorkriegszeit (jährlich etwa 1000 Neubauernsiedlungen) und der Nachkriegszeit (jährlich etwa 700 Neubauernstellen) sowie dem Effekt der Jahre von 1919 bis 1926 (4800 Siedlungen mit 2–20 Hektar Land) plädierte Dierkes unter Hinweis auf Erzbergers Steuer- und Finanzreform für eine Zentralisierung des gesamten Siedlungswesens unter Reichshoheit, so wie sie dann unter Darrés Ägide vorgenommen wurde.574 Dementsprechend verlief die ländliche Siedlungspolitik nach dem Ersten Weltkrieg ähnlich unbefriedigend wie davor. Gründe waren Mangel an Siedlungsland, nicht ausreichende Kompetenz der Siedler und Finanzierungsprobleme, vor allem aber bürokratische Hemmnisse, Kompetenzstreitigkeiten und Fehler bei der Durchführung der Siedlungsaktivitäten. Das von Sering genannte Siedlungsziel von jährlich rund 10.000 Stellen wurde nie erreicht. In den frühen 1920er Jahren wies die Tätigkeit der »Landlieferungsgesellschaften« in den preußischen Ostprovinzen nur einen becheidenen Erfolg bei der Landbeschaffung aus. Von den 1,15 Millionen Hektar Land, die die Großgrundbesitzer in Ostelbien nach dem RSG hätten zur Verfügung stellen müssen, waren tatsächlich bis Ende 1930 aber nur knapp 700.000 bereitgestellt worden. Erst die Agrarkrise seit 1929, als viele Güter wegen Überschuldung Grundstücke verkaufen mussten, verschaffte den »Landlieferungsgesellschaften« nennenswerte Kapazitäten. Von 1919 bis 1932 wurden im gesamten Reichsgebiet nach Angaben der »Deutschen Siedlungsbank« knapp 57.000 Neusiedlerstellen (Preußen  : 50.000) geschaffen, mit ca. 600.000 Hektar Fläche (Preußen  : 550.000). Hinzu kam die Anliegersiedlung mit 57.000 Fällen und 144.000 Hektar Fläche. Die »Heimstättensiedlung«, die mit der ländlichen Siedlung um Boden und Geld konkurrierte, zählte unter der Verantwortung des Reichsarbeitsministeriums knapp 105.000 Fälle mit einer Fläche von etwa 160.000 Hektar. Am erfolgreichsten war man 1931 mit 9238 Neusiedlerstellen auf 101.222 Hektar Land. Am schlechtesten war die Bilanz 1925  : 1785 Stellen auf 15.785 Hektar Fläche. Was die Betriebsgrößen angeht, so fällt der hohe Anteil von 38 Prozent bei Höfen von 0,5 bis 5 Hektar auf, die sicherlich weder krisenfest noch lebensfähig waren, gegenüber 53 Prozent mit einer Größe von 5 bis 20 Hektar. In den preußischen Ostprovinzen war das Verhältnis der Betriebsgrößen noch unausgewogener  : 0,5–20 Hektar  : 34 Prozent, 20–100 Hektar  : 28 Prozent und über 100 Hektar  : 38 Prozent.575 574 Dierkes, 1927, 42 ff. Dierkes empfahl, den offiziellen Statistiken zu misstrauen, weil sie natürlich Erfolge vorzeigen wollten dadurch, dass sie kleine und kleinste Siedlerstellen (0 bis 2 Hektar) einbezögen. Das waren dann Gartenhaus- (»Lauben«-) und »Heimstätten«-Kolonien am Stadtrand, aber keine Bauernhöfe. Vgl. auch Boyens, 1959/60 und Schultz-Klinken, 1973. 575 StDR, Bde. 212, 226 und 324  ; Statistisches Reichsamt, 1934  ; Länderrat, 1949 und RMEL von Braun, Rundfunkrede v. 23.7.1932 (WTB-Meldung in  : BA, R 43 I/1287, Bl. 244 ff.).

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Dass für die Kosten der Ansiedlung von Neubauern nicht nur Land, sondern auch Geld (Eigenkapital) fehlte, bekamen selbst die idealistischen »Artamanen« zu spüren, die ihr Ziel »Heimkehr der Jugend aufs Land« unter den obwaltenden Umständen kaum mehr verfolgen konnten, sondern von den Gutsbesitzern als billige Arbeitskräfte missbraucht wurden. Aber die »Artamanen« waren nicht nur idealistische Schwarmgeister wie Hentschel mit seinem »Mittgart«-Projekt oder Hunkel (»Donnershag«). Die »Artamanen« hatten auch Mitglieder in ihren Reihen, die Bodenreform als Sozialpolitik verstanden, und andere, die eine schollengebundene neue Adelsschicht im Sinn hatten. Es waren zunächst durchaus nicht diejenigen, die rassenideologisch begründete und nur gewaltsam durchführbare Ostraumsiedlung anstrebten, die das Sagen hatten. A. Georg Kenstler träumte von einer Bauernrevolution, Fritz Hugo Hoffmann wollte die »Verstädterung« bekämpfen, den Menschenstrom von der Stadt wieder auf das Land, vom Westen in den Osten umleiten.576 Zu denjenigen, die »völkisch«-rassistisch argumentierten, gehörte der »Artamane« Hans Hohlfelder, zeitweilig deren Geschäftsführer. Er hatte nicht nur eine »Verbäuerlichung des deutschen Volkes« im Sinne, er wollte nicht nur die »Arbeit an der Scholle« wieder zu einem »Volksdienst« machen, er sah in der Reagrarisierung Deutschlands vor allem eine »völkische Notwendigkeit«. Hohlfelder, wie Hitler ein aus Österreich stammender Nationalsozialist, setzte »Bauernadel« mit »Blutsadel« gleich und wollte die »Raumleere des Ostens« mit »jugendfrischen Bauernleibern« auffüllen, ja, er war sogar der Meinung, »der Pflug [müsse] dem Schwert folgen«, mit dem »lebensnotwendiger Raum im Osten« erobert werden müsse. Das war mehr als »innere Kolonisation« oder Binnensiedlung. Darré hat Hohlfelder mit seinem Buch Neuadel aus Blut und Boden 1930 ein Denkmal gesetzt und schon in seinem ersten Buch gefragt  : »[…] steigt nicht heute wieder die alte Schicksalsaufgabe  : ›Volk ohne Raum‹ von neuem drohend am Horizont der Deutschen auf  ?«577 Die Agrarkrise ab 1929 mit ihrem Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zeitigte schließlich eine so dramatische Situation sowohl für die deutschen Bauern als auch für die Großgrundbesitzer, dass auch in der ›großen‹ Politik 576 Vgl. hierzu die zeittypische Anklage gegen eine städtisch geprägte Zivilisation  : »Die wesenlose, marktschreierische Afterkultur der großen Städte lockt Jahr um Jahr Hunderttausende in ihren Bann. Sie verlieren dort alle naturgegebenen Beziehungen des Menschen zur heiligen Mutter Erde, zu dem Boden, aus dem ihre Vorväter in harter Arbeit Kraft und Nahrung schöpften. Sie veröden seelisch, verrotten moralisch und verkommen körperlich.« (C. Bickhardt, Rassenhygiene und Bodenreform, in der Reihe Der vökische Sprechabend 3/1927, Heft 43, 24) Vgl. auch die Aussagen des 1925 zum Führer des »Bundes der Artamanen« berufenen Friedrich Schmidt in der Zs. Deutsche Bauernhochschule, zit. n. Proksch, 1939, 16 ff. Wenn in Kenstlers Zs. Blut und Boden, Heft 7, 1930, 324 f. vom »Ostlandfeldzug der deutschen Jugend« die Rede war, konnte damit durchaus »innere Kolonisation« gemeint sein. 577 Hohlfelder in  : die kommenden. Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewußter Jugend v. 11.1.1929 (StAG, NLK, Nr. 8) und Darré, Bauerntum, 1929, 69. Zu den »Artamanen« vgl. Proksch, 1942a, 453 ff. und Briefwechsel des Verf. mit diesem ehemaligen »Artamanen«.

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die allgemeine Not in der Landwirtschaft in den Vordergrund trat. Nun waren es nicht nur die Großgrundbesitzer in Preußen, die sich gegen die Aufsiedelung ihrer Güter auflehnten. In Schleswig-Holstein wehrten sich die Bauern damals teilweise sogar gewaltsam gegen die Zwangsversteigerung ihrer überschuldeten Betriebe. Und der »Artamane« Kenstler versuchte, diese regionalen Unruhen für eine deutschlandweite »Bauernrevolution« zu instrumentalisieren. In den ostelbischen Regionen konnten auch die »Junker« die Zinsen für ihre Schulden nicht mehr aufbringen. Wegen der besonderen politischen und strukturellen Verhältnisse in der Exklave Ostpreußen waren seit 1926 schon ca. 300 Millionen RM Hilfsgelder aus preußischen und Reichsmitteln dorthin geflossen. Während es im Reichsdurchschnitt ca. 40 Prozent Betriebe bis 20 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und ca. 20 Prozent Betriebe von 20 bis 100 Hektar Nutzfläche gab, war es in Ostpreußen fast umgekehrt  : das Verhältnis war etwa 28 zu 39. Auf den großen Gütern wurden hauptsächlich Roggen und Kartoffeln angebaut und ihre Produktivität war gegenüber 1913 im Jahr 1919/20 um 40 Prozent zurückgegangen. Hinzu kamen erhöhte Transportkosten zu den Absatzmärkten im Westen durch den »Korridor«. So sank die Rentabilität der Agrarbetriebe bei gleichzeitig steigender Zinsbelastung durch Überschuldung immer mehr. Um ihnen das Überleben zu sichern, setzte der im »junkerlichen« Interesse geführte »Reichslandbund« 1928 die »Ostpreußenhilfe« durch. Durch Ent- und Umschuldung gefärdeter Betriebe, durch Steuererleichterungen und Subventionierung der Frachtkosten sollte den Mittel- und Großbetrieben geholfen werden, die von Agrarkrise und Importkonkurrenz bei Getreide besonders hart betroffen waren. Auch die Aufsiedelung nicht mehr sanierungsfähiger Betriebe, die vom Staat aufgekauft werden sollten, war damals schon vorgesehen. Mit Gesetz vom 31. März 1931 »über Hilfsmaßnahmen für die notleidenden Gebiete des Ostens« wurde die »Ostpreußenhilfe« in die weitergehende und vom Reich mit einem Kommissar mit Kabinettsrang gelenkte »Osthilfe« überführt. Direkte staatliche Zuwendungen für Umschuldungs- und Entschuldungsmaßnahmen waren vorgesehen, aber auch nicht mehr sanierungsfähige Großbetriebe sollten zwangsversteigert und in bäuerliche Familienbetriebe umgewandelt werden. Die Reichsverfassung von 1919 lieferte hierfür die gesetzliche Grundlage.578 Aber diese »Osthilfe« war im Hinblick auf die Siedlungsaktivitäten eher kontraproduktiv, weil Umschuldung natürlich attraktiver war als Land für Siedlung zur Verfügung zu stellen. Die Subventionierung überschuldeter Großbetriebe half mit zu verhindern, dass eine nicht mehr haltbare Agrarstruktur in Ostelbien verändert wurde, und sie trug zur weiteren »Schwächung des Deutschtums« in den Grenzgebieten bei. Außerdem waren Unregelmäßigkeiten, Korruption und Misswirtschaft zu beklagen. Die Hilfsmaßnahmen, die von den großagrarisch und deutschnational beherrschten Landwirtschaftskammern betrieben wurden, waren ein »Fass ohne Boden«. 578 W. G. Hoffmann, 1965, 280 f.; Muth, 1967, 317 ff.; Gies, 1974, 598 f. und Gömmel, 1996, 253 ff.

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Die schon seit 1891 erfolgende staatliche Förderung Ostpreußens hatte nach den Grenzregelungen des Versailler Vertrages noch eine besondere Brisanz erhalten. Nun ging es nicht nur um »Stärkung des Deutschtums«, sondern um die nationale Aufgabe, eine ganze, vom ›Festland‹ abgetrennte Provinz zu retten. Dort lebten 45 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft (Reich  : 23 Prozent), mehr als die Hälfte der Berufstätigen war in der Landwirtschaft tätig (Reich  : 31 Prozent). Schon im September 1930 hatte die NSDAP bei der RT-Wahl in Ostpreußen die meisten Stimmen errungen. Ihr wichtigstes Wählerreservoir waren die Bauern. Die Einsetzung eines Staatskommissars im Juni 1929, der für eine gerechtere Beteiligung der mittleren Bauernbetriebe an der »Osthilfe« sorgen sollte, hatte nichts daran geändert, dass die Gelder effektlos versickert und die Umschuldungsmaßnahmen unter skandalösen Umständen erfolgt waren. Und es waren die Initiativen des Osthilfekommissars SchlangeSchöningen, der selbst Gutsbesitzer war, die den Sturz der Regierung Brüning mit herbeiführten. In Schleswig-Holstein und Ostpreußen setzte die »Nazifizierung der Landbevölkerung« (Martin Schumacher) am frühesten und nachhaltigsten ein.579 Hinzu kam, dass die Gegenwehr der von »Zwangsabgaben« betroffenen Großgrundbesitzer gegen die als »Agrarbolschewismus« diffamierte Politik der Sanierung der großen Güter in Preußen – von der »Ostpreußenhilfe« bis zur »Osthilfe« – so groß war, dass sie bei der Entlassung der Reichskanzler Brüning 1932 und Schleicher 1933 eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Einer derjenigen, die mit dem Rechtsruck der einflussreichen DNVP nicht einverstanden waren, war der »Osthilfekommissar« in der Regierung Brüning, Hans Schlange-Schöningen (1886–1960). Er benutzte das Begriffspaar »Blut und Boden« zwar nicht expressis verbis, konnte aber so verstanden werden. Schlange hatte Agrarwissenschaften in Greifswald studiert, am Ersten Weltkrieg teilgenommen und danach das elterliche Rittergut in Schöningen/Pommern bewirtschaftet. 1921 bis 1928 war er Mitglied des Preußischen Landtages und saß ab 1924 für die DNVP im Deutschen Reichstag. Er verließ die Partei nach ihrer Entwicklung nach rechts unter Hugenberg Anfang 1930 und errang – nun für die »Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei« (CNBLP) – erneut ein Reichstagsmandat. Von Oktober 1931 bis Juni 1932 war Schlange-Schöningen in der Regierung des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning Reichsminister ohne Geschäftsbereich und »Reichskommissar für die Osthilfe«. Als die CNBLP in den Reichstagswahlen im Juli und November 1932 – von der NSDAP zerrieben – bedeutungslos geworden war, zog er sich aus der aktiven Politik zurück, bewirtschaftete wieder sein Gut in Pommern und schrieb zwei Bücher. Darin war 1932/33 zu lesen  :

579 Heinrich/Otto, 1933  ; Schulz, 1967, 141 ff.; Muth, 1965, 739 ff. und 1967, 317 ff.; Kitani, 1966  ; Hertz-Eichenrode, 1969  ; Brüning, 1970, 639 ff.; Gessner, 1976 und 1977 sowie Wengst, 1979  ; Mannes 1999, 154 ff. und Wehler, Bd. 4, 2203, 529 ff. Zu Schleswig-Holstein Heberle, 1963  ; Stoltenberg, 1962  ; H. Beyer, 1962 und 1965, 62 ff.

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Das Zeitalter der Vermassung, der schimmernde Oberflächenglanz der großen Städte gehen ihrem Ende entgegen. Instinktiv hat das Volk begriffen, daß wir am Kreuzweg unseres Schicksals stehen, der zu neuem Aufstieg oder zu endgültigem Niedergang führen kann, am Wendepunkt, an den eines Tages alle großen Völker kommen, wo die Zivilisation der Massenhaftigkeit der großen Städte zur Todesgefahr für die Nation wird, wenn sie nicht von der naturnahen Kultur des stillen Dorfes getragen und immer wieder erneuert wird. Stärker und stärker setzt sich die Erkenntnis durch, daß diese Erneuerung des Volkes nur kommen kann aus einem lebensfähigen und bodenständigen Bauerntum  ; und wehe dem Volk, das diese Quelle der nationalen Wiedergeburt versiegen läßt.

Der Autor dieses Textes, der als »Reichskommissar« eine aktive Siedlungspolitik im Osten des Reiches betrieben hatte, auch um den Großgrundbesitz zu sanieren, war zutiefst davon überzeugt, dass eine »bäuerliche Besiedelung des Ostens« die einzige Möglichkeit sei, die dortige Landwirtschaft zu retten. Dieser Politikansatz brachte ihm bei seinen Standesgenossen den Vorwurf des »Agrarbolschewismus« ein. Dabei verband Schlange-Schöningen seine siedlungspolitischen Ziele sogar mit dem nationalen Argument der Grenzbefestigung  : Ein »Wall von deutschen Menschen« solle aufgebaut werden, eine erdverwurzelte und lebendige Grenzwacht  : nicht eine Überzahl von Latifundien, die, um sich die Öde des wirtschaftlichen Schlachtfeldes, fern vom Pulsschlag des lebendigen Lebens dahinkümmern und jeder Erschütterung zu erliegen drohen  ; sondern massenhaftes Bauerntum, in dessen Mitte leistungsfähigste, selbstbewirtschaftete Großbetriebe, ausgestattet mit den neuesten Errungenschaften der Wissenschaft und Technik […]. Zu allen Zeiten und bei allen Nationen ist es schließlich über alles politische Augenblicksgeschehen hinweg doch immer die ewige Frage nach Mensch und Erde, nach Volkstum und Bauerntum.580

Diese Worte, so pathetisch sie auch klingen und so sehr sie an Spengler orientiert waren, hätten inhaltlich auch von Darré stammen können, wenn er seine rassistische Zielsetzung zu verbergen sich bemühte. Klangen »Mensch und Erde« oder »Volkstum und Bauerntum« nicht wie »Blut und Boden«  ? Seit den Zeiten des BdL war »Deutschlands Erneuerung aus der Scholle« das Credo eines jeden agrarischen Lobbyisten gewesen und dieser Tenor prägte auch die Interessenpolitik des RLB. Es ging immer darum, die sektoralen Interessen der Landwirtschaft als allgemeine Bedürfnisse von Staat und Bevölkerung erscheinen zu lassen. Schlanges Credo hatte aber nichts mit der Aufzucht »nordischer« Menschen oder alternativen Methoden der Nahrungsmittelerzeugung zu tun, auch nichts mit dem Vordringen der Agrochemie in die landwirtschaftlichen Produktionsprozesse, sondern es hatte mit dem Bedeutungs580 Schlange-Schöningen, 1932, 36 und 1933, sowie Wengst, 2007  ; Muth, 1970, 394 ff. und H. Haushofer, 1958, 110 ff.; Trittel, 1987, 25 ff. und Mannes, 1999, 142 ff.

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verlust ländlicher Lebenskonzepte, mit der Verdrängung der Landwirtschaft durch die Industrie und mit Großstadtfeindschaft und »Landflucht« zu tun. Wer aber so von »Mensch und Erde« sprach wie Schlange-Schöningen, war sehr gefährdet, das zweifache Sprachbild »Blut und Boden« misszuverstehen und seine rassistische Zielsetzung zu übersehen. Das traf zwar für Schlange-Schöningen nicht zu, der sich der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises anschloss, es traf aber für viele andere führende Funktionäre der Landwirtschaft und für viele, vor allem evangelische Wähler in den ländlichen Regionen zu. Selbstverständlich musste Darré, als er Mitte 1930 in die politische Arena trat, zu aktuellen agrarpolitischen Fragen Stellung nehmen – und dazu gehörte die Siedlungsfrage. Auch hier argumentierte er verdeckt rassenideologisch, d. h. bevölkerungspolitisch, wenn er 1932 forderte  : »Wir müssen die Landwirtschaft wieder menschenreich machen.« Damit wollte er sich und die NSDAP von der Politik der »Grünen Front« abgrenzen, eines informellen Zusammenschlusses aller Agrarlobbyisten in der Endphase der Weimarer Republik. Er unterstellte ihr, »die Landwirtschaft aus Gründen ihrer schwindenden Kaufkraft immer rationeller, d. h. […] immer menschenarmer zu machen.« Um »eine möglichst zahlreiche neue Bauernschaft ins Leben [zu] rufen«, d. h. »wieder zu kaufkräftigen Verbrauchern zu machen«, sei »bis auf weiteres« die »Binnensiedlung (innere Kolonisation)« zu forcieren, stellte Darré harmlos klingend heraus. Dabei komme es darauf an, »Bauernstellen zu schaffen und nicht Siedlerstellen mit zu geringer Ackernahrung, wie es heute üblich ist.«581 Aber seine Äußerungen in den Fällen Böhmer 1930 und Damaschke 1931 lassen keinen Zweifel an seinen rassistischen Zielvorstellungen in Siedlungsfragen zu. So auch beim Gesetz »zur Neubildung deutschen Bauerntums« (GNdB), das am 14. Juli 1933, also noch vor dem REG, erlassen wurde. Es war zwar nicht das wichtigste, aber das erste von Darrés Agrargesetzen. Nur wenige Tage nachdem er Reichs- und Preußischer Landwirtschaftsminister geworden war, brachte er am 6. Juli 1933 einen Gesetzentwurf »über die Förderung der Schaffung von Bauernhöfen« ins Kabinett ein, der alle ländlichen Siedlungsaktivitäten der Zuständigkeit seines Ministeriums einverleiben sollte. Die Vereinheitlichung und Zentralisierung des Siedlungswesens war angesichts der wenig effektiven Arbeit der regionalen Siedlungsbemühungen ein politisch kaum umstrittenes Vorhaben. RMEL von Braun schätzte 1932, dass bei einem Siedlungsvorhaben etwa 25 behördliche Genehmigungen einzuholen seien. Darrés Gesetzentwurf wäre eine Art Ermächtigungsgesetz für das RMEL gewesen, mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten in die bisherige Rechtsordnung rund um das Siedlungswesen. Außerdem war es viel zu kurzfristig als Kabinettsvorlage eingebracht worden, so dass der preußische Finanzminister Johannes Popitz dagegen Einspruch 581 Darré, »Wir haben kein ›positives‹ Wirtschaftsprogramm«, in  : NSL, Folgen 18–21, 1932, wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 344 ff. (Zitate  : 353 ff.). Zum Ziel Darrés der »Schaffung lebensfähiger Siedlerstellen« mit einer entsprechenden Größe vgl. auch  : BA, R 22/2128.

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erheben konnte. Die Sitzung des Reichskabinetts war sowieso mit 43 Tagesordnungspunkten völlig überfrachtet. So wurde Darrés Entwurf zwar grundsätzlich – ländliche Siedlung ist Reichssache  – zugestimmt, er aber wegen einzelner Formulierungen in den Geschäftsgang zurückverwiesen.582 Auch hier vermied Darré jeden rassenideologischen Zungenschlag, sondern begründete seinen Gesetzentwurf mit unumstrittenen Floskeln  : Aus lebensgesetzlichen Gründen der Volkserhaltung und -vermehrung ist die Stärkung eines gesunden Bauerntums im ganzen Reichsgebiet eine zwingende Notwendikeit. Diese für die Erhaltung des Volkstums lebenswichtige Aufgabe kann unter Beseitigung der bisherigen Hemmungen erfolgreich nur gelöst werden, wenn die bisher zersplitterten Zuständigkeiten in einer Reichsinstanz zusammengefaßt werden, die mit der Befugnis ausgestattet ist, den sämtlichen auf diesem Gebiet tätigen Stellen Weisungen zu erteilen.

Da das Reich sowieso »die finanzielle Last der landwirtschaftlichen Siedlung fast vollständig« trage, müsse auch »die Durchführung der gesamten Maßnahmen zur Schaffung von Bauernhöfen einheitlich in der Hand des Reiches zusammengefasst werden, das sich dazu der zuständigen Siedlungsbehörden der Länder bedienen kann, die bei der Durchführung an die Weisungen des Reichs gebunden sind.« Das Ergebnis der ressortübergreifenden Beratungen von Darrés Gesetzentwurf war, dass nicht mehr vom RMEL, sondern vom »Reich« die Rede war, das für die Aufgabe der »Neubildung deutschen Bauerntums« zuständig war und den Siedlungsbehör­ den in den Ländern Weisungen erteilen konnte. Darrés überfallartiger Coup war also misslungen, er musste sich in seiner Siedlungspolitik mit anderen betroffenen Ministerien abstimmen. Es ging dabei um Planung, Finanzierung und Durchführung, aber auch um die Auswahl der Siedler und die Landbeschaffung. Und es ging um die Abgrenzung zur Stadtrandsiedlung, die der Zuständigkeit des Reichsarbeitsministeriums (RAM) oblag. Diese Unklarheit über Zuständigkeiten hing auch mit den unterschiedlichen politischen Zielen zusammen, die mit »Siedlung« verfolgt wurden  : Es waren soziale, gesundheitliche, demoskopische, volkswirtschaftliche, nationalistische, »völkische« und rassistische. Zu Beginn der 1930er Jahre trat neben die Existenzkrise in der Landwirtschaft die Massenarbeitslosigkeit, die von der Politik zu bewältigen war. Siedlungsaktivitäten und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren eng miteinander verbunden, weniger in der ländlichen als in der »Heimstätten«- und Stadtrandsiedlung mit ihren kleinen Landflächen zur Selbstversorgung. Diese Art der Siedlung war zwar ebenso langwierig, kompliziert und uneffektiv wie die ländliche, sie trat aber in der Wirtschaftskrise 582 RGBl. 1933 I, 517 f. und Protokoll der Kabinettssitzung in  : BA, R 43 I/1301 und 1464 sowie R 43 II/207 (Auszüge in  : AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 679 ff.) sowie RMEL Brauns Rundfunkrede v. 23.7.1932 (BA, R 43 I/1287, Bl. 245).

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immer mehr in den Vordergrund. Schon Schlange-Schöningen hatte als »Reichkommissar für die Osthilfe« mit dem Zentrumspolitker Adam Stegerwald unerquickliche Kompetenzstreitigkeiten um Siedlungsfragen. Es gab ja auch noch »Reichskommissare« für »Arbeitsbeschaffung« und für »die vorstädtische Kleinsiedlung«. Der Reichsarbeitsminister schickte der Reichskanzlei am 21. September 1931 einen langen Brief zum Thema »Landwirtschaftliches Siedlungsprogramm 1932«. Stegerwald (Zentrum) betonte zwar die Bedeutung der Siedlung für Arbeitsmarkt und Arbeitsbeschaffung auch für Handwerk und Handel. Seine Vorstellungen präferierten aber – im Gegensatz zum RMEL – eher die Kleinsiedlung (»durchschnittlich 20 Morgen«). Dabei konnte er sich auf den »Deutschen Gewerkschaftsbund« stützen, der sich selbstverständlich ebenfalls mit siedlungspolitischen Eingaben an der Entscheidungsfindung beteiligte und dafür warb, »dass die Familien der Arbeiter einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb weiterführen« sollten  – mit »Kleintierzucht«, versteht sich. Und ebenso selbstverständlich beteiligte sich auch Sering als Siedlungsexperte an dieser Diskussion. Er warnte vor zu großen Erwartungen, mit Siedlungsaktivitäten die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen zu können, und plädierte dafür, »den ganzen Komplex an einer zentralen Stelle, am besten im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft« zu bündeln.583 Auch Darré hatte innerhalb der NSDAP schon Probleme mit der Unterscheidung der verschiedenen Siedlungsarten gehabt, so dass er im Februar 1933 seinem »Reichsorganisationsleiter« zum Thema »Arbeitersiedlung« eine Klarstellung zukommen ließ. Anlass war ein Satz in einer Parteipublikation zur »Arbeitersiedlung«. Dort war zu lesen, die NSDAP müsse »auf eine freiwillige Umsiedlung der Bauern, die heute im nächsten Umkreis der Städte wirtschaften, hinarbeiten«. Dem setzte der agrarpolitische Amtsleiter bei der Reichsleitung entgegen, ein Bauer, der freiwillig seiner Umsiedlung zustimme, sei gar kein Bauer, sondern ein »Bearbeiter der Scholle«. Bauern dagegen kennzeichne »die Verwurzelung mit der Scholle«. Außerdem sei es »propagandistisch außerordentlich unklug«, Parolen zu veröffentlichen, »die unsere Bauern verprellen, den städtischen Arbeiter aber auf einen ganz falschen Weg verlocken […].«584 Im Juli 1932 hatte Darré Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser gar vorgeschlagen, weil »die Unklarheit der Terminologie anfängt, uns Schwierigkeiten im politischen Kampfe zu bereiten«, das Wort Siedlung »ausschließlich für die Bauernsiedlung anzuwenden«. Denn bei der Stadtrandsiedlung gehe es doch »garnicht um siedeln«, sondern nur darum, »hygienisch [zu] wohnen«. Und dafür müsse »irgendein anderes Wort erfunden« werden. Ein halbes Jahr später war dem »Amt für Agrarpolitik« 583 RAM an StS in d. Rklei v. 21.9.1931 (BA, R 43 I/1287, Bl. 62 ff.)  ; DGB an RK von Schleicher, 17.12.1932 (ebd., Bl. 332 ff.) und Sering an RMEL von Braun, 26.8.1932 (ebd., Bl. 270 ff.). Vgl. auch H. Köhler, »Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen in der Schlussphase der Regierung Brüning«, in  : VfZ 17/1969, 287 ff. 584 Darré an d. ROL II, 9. »Hornung (Febr.)« 1932 und an Gregor Strasser, 22. »Heumond ( Juli)« 1932  : BA, Darré-NS, Nr. 57 und NS 22/360.

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in der Reichsleitung der NSDAP von »großen Stadtrand-Siedlungsplänen« im Gau Berlin im Auftrage des Gauleiters Dr. Goebbels berichtet worden. Nun teilte Darrés »Fachbearbeiter für Siedlungswesen« mit, dafür sei – als Ergebnis »langwieriger Verhandlungen« – auch in Berlin der »Gausiedlungsreferent« Dr. Kurt Kummer zuständig. Es sei nicht richtig, wenn »Pg. Feder« in einem Brief an »Pg. Darré« behauptet habe, Stadtrandsiedlung habe »mit der Landwirtschaft nichts zu tun«. Im Gegenteil  : »Jeder Versuch, Volksgenossen mit dem heimatlichen Boden zu verwurzeln, ist letzten Endes eine Frage nach Blut und Boden«.585 Es waren zunächst zwei Argumente, die Darré bei seiner überraschenden Gesetzesinitiative Anfang Juli 1933 in den Vordergrund stellte. In einem Interview mit dem Völkischen Beobachter nannte er als wichtigstes Ziel seiner Bemühungen die »Sicherung der Rentabilität« auch in der ländlichen Siedlung. Es komme nicht, wie in der Vergangenheit, auf eine möglichst große Zahl von Neubauern auf zu kleinen Stellen mit schlechten Böden an, sondern die Überlebensfähigkeit der Höfe müsse im Vordergrund stehen. Für ihn seien nicht die Rendite und privatwirtschaftliche Gesichtspunkte wichtig, entscheidend seien »öffentliche Notwendigkeiten« wie u. a. die Sicherung der Grenzlandregionen. Auch das zeittypische und unverfängliche bevölkerungspolitische Idiom von der bäuerlichen Quelle deutschen Volkstums spielte, neben sozialem Aufstieg (Landarbeiter), bei der Bündelung aller Siedlungsbemühungen eine Rolle. Entscheidend aber war für Darré, dass die Neusiedlerstelle wie der »Hege«- bzw. »Erbhof« der »Aufnordung« diente. Dieses Ziel verlor er, trotz aller verbalen Camouflage, nie aus den Augen.586 Um sich von »Siedlung« oder »innerer Kolonisierung« abzusetzen, kam Darré die Bezeichnung »Neubildung deutschen Bauerntums« gerade recht, womit sich die rassistische Zielsetzung, die sich in nichts vom REG unterschied, leicht verstecken ließ.587 Schließlich wurde das Gesetz gleichzeitig mit dem Gesetz »zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« erlassen. Jeder Bewerber um eine »Neubauernstelle« musste einen »Neubauernschein« vorlegen, in dem ihm die »Bauernfähigkeit« attestiert wurde. Es ging dabei nicht nur um die fachlich-landwirtschaftliche Befähigung des Bewerbers, sondern auch um seine politische Zuverlässigkeit und seine »rassische Eignung«. Letzteres Kriterium wurde selbstverständlich auch auf seine Ehefrau und deren »Sippe« ausgedehnt. Schließlich sei, so drückte es der im RMEL zuständige Ministerialrat Dr. 585 Bf. des »Fachbearbeiters f. Siedlungswesen« i. d. RL d. NSDAP, Karl Jurda, an das AfA i. d. RL d. ­NSDAP, 1.2.1933 (ebd., Darré-NS, Nr. 57). 586 VB v. 2./3.7.1933  ; BA, R 22/2128. In einer Rundfunkrede am 24.9.1934 sprach Darré vom »Einsatz der rassisch und erbgesundheitlich besten deutschen Bauernjugend«, für die 130.000 Hektar Land zur Besiedlung zur Verfügung stünden (Scheda, 1935, 14). Vgl. auch Farquharson, 1976, 141 ff.; Smit, 1983, 97 ff. sowie Corni/Gies, 1994, 40 f. und 118 ff. 587 In einem Interview erklärte Darré, er habe das »Wort ›Siedlung‹ bewußt vermieden, da ›Siedlung‹ sowohl Wohnheimstätten wie ländliche Siedlung meint, d. h. Stadtrandsiedlung ist nicht gemeint.« (Deutsche Tageszeitung v. 19.7.1933, BA, PA d. RLB, 76/36).

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Kurt Kummer aus, »nicht so sehr das Tempo […] und die Zahl der Bauernsiedlungen ausschlaggebend, als vielmehr der Wert der einzelnen, neu angesetzten Bauernfamilien für das Volksganze.« Siedlung müsse nämlich »in Verbindung mit den Darréschen Gedanken von Blut und Boden, Rasse und Bevölkerungspolitik gesetzt« werden.588 Garantiert wurde diese Zielsetzung der »Aufnordung« auf dem Weg über Siedlung durch Dr. Horst Rechenbach, Stellvertretender Chef des »Rasseamtes« der SS und dort zuständig für die Aufnahme der »richtigen« SS-Leute. Er war auch Hauptabteilungsleiter für »Rassefragen« im »Stabsamt des Reichsbauernführers« und Leiter der im November 1933 neu gegründeten »Reichstelle für die Auswahl deutscher Bauernsiedler« im RNSt, die aus einer entsprechenden Beratungseinrichtung der »Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation« hervorgegangen war. Die Einbeziehung in den RNSt hieß konkret, dass »Orts-, Kreis- und Landesbauernführer« in allen Bereichen der ländlichen Siedlung ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht hatten. In einem Fazit »Sechs Jahre Neubauernauslese« wurden Ausgangslage und Zielsetzung 1939 so beschrieben  : Unser deutsches Volk stellt eine Mischung verschiedener Rassen dar, von denen die nordische Rasse am stärksten vertreten ist. […]. Die rassische Auslese muß die Aufartung des Volkes und nicht nur die Erhaltung seiner rassischen Kräfte zum Ziel haben. Daher wird vor allem auf Familien zurückgegriffen, die sowohl erscheinungsbildlich als auch rassenseelisch unserem Ideal am nächsten kommen, also auf die vorwiegend nordischen Menschen.589

Darré war unter Hinweis auf Sparta der Meinung, dass die »Nordische Rasse« nicht durch Kriege dezimiert worden sei, sondern durch die »Herauslösung des Bodens aus dem Familienrecht.« Deshalb forderte er, die Eheschließung müsse wieder eine »völkische Tat« werden, so dass sich das deutsche Volk »mit jeder Eheschließung aufnorden könne«. Er war überzeugt, dass alle Betrebungen zur Ansiedlung von Neubauern »von vorneherein auf Sand gebaut« seien, wenn nicht das Boden- und das Erbrecht geändert würden. Es dürfe nicht zur »Neuansiedlung zweifelhafter Rasseelemente« kommen, sondern um eine »nordisch bedingte Bauernschaft« zu schaffen, müsse die »Nordische Rasse arteigene Lebensbedingungen« erhalten. Insbesondere sollte dort gesiedelt werden, »wo die Gefahr fremdblütiger Unterspülung unseres Grenzraumes vorliegt«, schrieb Darrés oberster Siedlungsbeamter Kummer.590 588 K. Kummer, 1933, 459 und 1934, 348 ff. 589 Erlasse des RMEL vom 25.11.1933 und 18.1.1935 (Hopp, 1938, IV, 27 ff.)  ; Kummer, in  : W. Clauss, 1935, 80 f. sowie Benz, 1939, 12. 590 Zu Sparta als Vorbild für Boden- und Erbrecht vgl. auch Pacyna, 1934, 9. Darré, »Innere ›Kolonisation‹« (1926) und »Entnordung durch Kriege und Artprägung durch Bauerntum« (1930), in  : Darré, EuW, 1940, 22 f. und 139  ; »Blut und Boden als Lebensgrundlage der nordischen Rasse« (1932), in  : Darré, BuB, 1941, 28 sowie »Bauer und Landwirt«, ebd., 208 und Bf. Darrés an Lammers v. 28.9.1933

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Insbesondere bei der Landbeschaffung spielte Darré seine ideologische Fixierung einen unangenehmen Streich. Es ging ihm, wie er immer wieder betont hatte, darum, dass »Boden« nicht »Ware« sein könne, weil er eine existentielle Bedeutung für das Bauerntum habe. Am 25. September 1933 brachte er einen Gesetzentwurf »über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken« ein, der ebenfalls so kurzfristig vorgelegt wurde, dass es Beschwerden der involvierten Ministerien hagelte. Um »eine nach bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten gesunde Bodenverteilung« zu erreichen, sollte das Eigentumsrecht erheblich eingeschränkt, der gewerbliche Grundstückshandel beschränkt und Makler, die »nicht deutschen oder stammesgleichen Blutes« waren, gänzlich ausgeschaltet werden. Reichswirtschaftsminister (RWM) Dr. Schmitt hatte in einem Schreiben an Darré zwar Verständnis dafür, dass Boden nicht als Handelsware »herabgewürdigt« werden dürfe, die negativen Folgen der vorgeschlagenen Regelung seien aber nicht tragbar. Schon das REG habe einen großen Landanteil dem Handelsverkehr entzogen und nun drohe eine Erstarrung, ja Lähmung des gesamten Grundstückshandels in der Landwirtschaft. Das führe zu einer Wertminderung mit der Folge einer weiteren Herabsetzung der Beleihungsgrenze, was für die Landwirtschaft kontraproduktiv sei. Die beabsichtigte Regelung könne nur mit polizeistaatlichen Mitteln durchgesetzt werden, was er keinesfalls gutheißen könne.591 Da auch das Reichsjustizministerium (RJM) Bedenken erhob, musste weiterverhandelt werden. Im November 1933 legte Darré den »Entwurf eines Gesetzes über die Beschaffung von Land für die Neubildung deutschen Bauerntums« vor, der ebenfalls nie Rechtskraft erhielt, weil er zu revolutionär in die Eigentums- und Finanzrechtsordnung eingriff. In der Begründung des Gesetzentwurfes wurde auf das inzwischen erlassene REG verwiesen, das es notwendig mache, für die Sesshaftmachung der zweiten und weiteren Bauernsöhne Land bereitzustellen, um »diesen Boden ebenfalls in blutmäßiger Verbundenheit« mit dem Bauerntum zu erhalten. Der vorgelegte Gesetzestext sah vor, dass diejenigen, die »aus bevölkerungspolitischen oder sozialen Rücksichten unerwünscht« seien, keine landwirtschaftlichen Grundstücke erwerben dürften und dass die »Länder, Gemeinden, Kreditinstitute usw. […] auf Verlangen des RMEL Land für Siedlungszwecke abzugeben« hätten. Außerdem sollten die Rechte der Gläubiger bei Hypothekendarlehen erheblich eingeschränkt werden und im Falle zu hoher Kaufpreisforderungen für Grundstücke sollte der RNSt die Möglichkeit erhalten, einen »angemessenen Preis« festzulegen.592 Das war immer noch nicht mit der geltenden Rechtsordnung vereinbar und konnte im Wege weitere interministerieller Beratungen nur abgelehnt werden. RWM Schmitt (BA, R 43 I/1301, Bl. 100) sowie Kummer, in  : W. Clauss, 1935, 79 und Runge, 1935, 163 ff. sowie Rechenbachs Beitrag in W. Clauss, 1935, 65 ff. 591 Gesetzentwurf  : BA, R 43 I/1301, Bl. 79 ff. sowie Dr. Schmitt an Darré, 31.10.1933 (BA, R 43 I/1301, Bl. 158 ff. und AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 930 ff.). 592 BA, R 43 I/1301, Bl. 138 ff.; R 43 II/207, Bl. 11 ff.; R 2/19069  ; R 53/27 und AdRk, Reg. Hitler, 1983, 989 f.

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wollte »die ausdrückliche Nennung nichtarischer Personen« vermeiden, weil er sich »mit der Aufrollung der Nichtarierfrage in der Wirtschaft im Interesse deren ungestörten Aufbaues nicht einverstanden erklären« könne. Und selbst RAM Seldte konnte nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass mit einem solchen Gesetz der »gesamte Gründstücksmarkt lahmgelegt« werde. Auch das Gewinnstreben vor allem der privaten Siedlungsgesellschaften war Darré ein Dorn im Auge, war doch die »endgültige Abkehr von einer 150jährigen liberalistischen Entwicklung« in der Landwirtschaft sein erklärtes politisches Ziel. Dazu hatte das RMEL schon im Dezember 1933 (»vorbehaltlich einer endgültigen Regelung«) viele »rein kapitalistisch eingestellte« Siedlungsunternehmen ausgeschaltet und nur noch 35 für das ganze Reich zugelassen.593 Am 22. Juni 1934 machte Darré den dritten Versuch, sein Ziel zu erreichen, den Handel mit Grundstücken zu eliminieren. Diesmal hatte er im Vorfeld dafür gesorgt, dass aktenkundig geworden war, dass die Bemühungen des RMEL um die Bereitstellung von Siedlungsland »durch Landankäufe des Großkapitals stark behindert« würden. Außerdem hatte er Berichte aus den »Landesbauernschaften« veranlasst, die für Neusiedler nicht mehr tragbare Renditeforderungen der Geldgeber meldeten. Und in einem Schreiben an Hitler fragte Darré an, »ob Sie gegen die Einbringung dieser Gesetze im jetzigen Augenblick Bedenken hätten«. Doch auch dieser Versuch, ein Gesetz »über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken« und eines »zur Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes« in seinem Sinne zustande zu bringen, scheiterte. Die Entwürfe wurden nicht einmal ins Kabinett eingebracht, sondern stillschweigend zu den Akten genommen, weil selbst Hitlers »Wirtschaftsbeauftragter« Wilhelm Keppler davon abgeraten hatte.594 Um sich einen institutionellen Vorteil zu verschaffen – schließlich hatte er auch die Interessen so einflussreicher »linker Parteigenossen« wie der »Gauleiter« Kube (Brandenburg), Koch (Ostpreußen), Hildebrandt (Mecklenburg) und Brückner (Schlesien) im Auge zu behalten, die radikal die Aufsiedelung aller großen Güter, Arbeitsplätze sowie sozialen Aufstieg für die Landarbeiter einforderten –, hatte Darré am 17. Juli 1933 Walter Granzow als »Sonderbeauftragten für die Neubildung deutschen Bauerntums« und am 1. August 1933 zum »Reichssiedlungskommissar« berufen. Granzow (1887–1952) war Sohn eines Landwirtes in Schönhagen/Ostprignitz, hatte nach der Mittleren Reife eine landwirtschaftliche Ausbildung, insbesondere als Pflanzenzüchter absolviert und 1910 den väterlichen Hof in der Altmark übernom593 Besprechung v. 16.1.1934 in der Deutschen Siedlungsbank, die 1930 zur Zwischenfinanzierung der ländlichen Siedlung aus öffentlichen Mitteln gegründet worden war. Die Sitzung fand auf Einladung der Abteilung »Siedlung und Osthilfe« im RMEL statt und sollte die privaten Siedlungsträger und die Siedlungsbehörden der Länder mit den Vorstellungen der nationalsozialistischen Regierung und den gesetzlichen Rahmenbedingungen der »Neubildung deutschen Bauerntums« bekannt machen (AdRk, Reg. Hitler, 1983, 1085 ff.). 594 BA, R 43 I/1301, Bl. 157 ff.; R 43 II/207, Bl. 120 ff. und 148 ff. sowie AdRk, Reg. Hitler, 1983, 1343 f. Vgl. auch Kummer an Eggeling, 19.2.1934, BA, Darré-NS, Nr. 57.

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men. Er hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und ihn als Oberleutnant beendet. Granzow, der seit 1922 ein Gut in Severin (Parchim) bewirtschaftete, war im März 1931 in die NSDAP eingetreten und im Mai des gleichen Jahres mecklenburgischer »Landwirtschaftlicher Gaufachberater« (LGF) in Darrés »Agrarpolitischem Apparat« (ApA) geworden. Als Freund der »Artamanen«-Bewegung wurde er ein enger Kampfgenosse Darrés. Granzow hatte sich mit seinem »Gauleiter« Friedrich Hildebrandt, einem ehemaligen Landarbeiter, arrangiert, so dass er nach einem überwältigenden Wahlsieg der NSDAP von Juni 1932 bis Juli 1933 Ministerpräsident des Landes MecklenburgSchwerin geworden war. 1932 legte er einen detailliert ausgearbeiteten Siedlungsplan vor, der sowohl den Landarbeitern als auch den verschuldeten Großgrundbsitzern zugutekommen sollte. Und seitdem Joseph Goebbels im Dezember 1931 auf Granzows Gut Severin Magda Quandt geheiratet hatte, die von dem Rüstungsindustriellen Günther Quandt geschieden war, gehörte Granzow auch privat zu den einflussreichsten Nationalsozialisten. Hitler hatte als Trauzeuge fungiert. Der Kontakt war über die Schwester von Granzows Ehefrau geknüpft worden, die mit Quandt in erster Ehe verheiratet gewesen war.595 Granzow war mit Fragen der Siedlungsfinanzierung gut vertraut, aber so umtriebig und machtbewusst, dass eine Zusammenarbeit mit dem im RMEL für die »Neubildung deutschen Bauerntums« zuständigen Referenten Dr. Kurt Kummer, der über die Entwicklung der landwirtschaftlichen Siedlung in Posen-Westpreußen promoviert hatte, kaum zustande kam. Der Pg. Granzow wurde lieber Präsident der »Deutschen Rentenbank Kreditanstalt«, Vorsitzender des Verwaltungsrates der »Deutschen Siedlungsbank« und nahm verschiedene Aufsichtsratsmandate in der Kredit- und Getreidewirtschaft wahr. Der Ministerialbeamte Dr. Kummer, 1933 gerade mal 39 Jahre alt und ohne parteipolitischen Stallgeruch, aber ehrgeizig und beflissen, fühlte sich nicht ernst genommen, was auch für seinen unmittelbaren Vorgesetzten, Staatssekretär Willikens, zutraf. Eine solche Konstellation war wenig geeignet, Darrés Siedlungsaktivitäten auf der Basis des Gesetzes vom 14. Juli 1933 zu befördern. Die Rechtsgrundlage für die ländliche Siedlung blieb rudimentär und war auch im »Dritten Reich« noch auf die Bestimmungen des RSG von 1919 angewiesen. Aber auch im totalitär regierten »Dritten Reich« setzten sich die partei- und regierungsinternen Kompetenzstreitigkeiten in Siedlungsfragen unvermindert fort.596 Kein Wunder, dass auch die »Neubildung deutschen Bauerntums« – ähnlich der »inneren Kolonisation« in der Weimarer 595 Granzow an Meinberg, 7.8.1933 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 2016). Zu Granzow  : VB v. 29.9. und 4.10.1932  ; AdRk, Reg. Hitler, Bd. I, 1983, 923  ; BA, BDC, Personalakte Granzow  ; R 43 I/1301 und R 16, Zg. 1971, Nr. 2016  ; Granzow an Hildebrandt, 5.3.1931 (BA, NS 22, Bd. 1059). Stockhorst, 1967  ; Lilla, 2006, 95 f.; Pyta, 1996, 373 ff.; Behrens, 1998, 105 ff., 173 und 188 f. sowie Niemann, 2000, 287 f. und Rüdiger Jungbluth, Die Quandts. Frankfurt/M. 2002. 596 Vgl. Darrés Bf. an Willikens, 27. »Brachmond ( Juni)« 1934, in dem er einen »Arbeitsplan und Bericht« zu der Frage einfordert, ob die ländliche Siedlung »auf dem richtigen Wege« sei. Zu Kummer  : Smit,

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Republik – wenig erfolgreich war. Das lag sicher auch daran, dass Kolonisation außerhalb deutscher Grenzen im Horizont Hitlers und Darrés eine bedeutende Rolle spielte. Geopolitik, Kolonien und »Lebensraum im Osten«

Eine völlig andere Dimension erreicht die Metapher »Boden«, wenn damit Raum, Lebensraum im machtpolitischen Sinne, gemeint ist. Wir verstehen, daß die Welt des Mittelmeeres eine andere Geschichte erlebt als die Welt der Ostsee, dass sich in den Ebenen Rußlands eine andere Geschichte vollzieht als in der norddeutschen Tiefebene, daß Gebirge und Flüsse, Ebenen und Küsten, Bodenbeschaffenheit und Bodenschätze geschichtlich formende Kräfte sind, die infolge der Einmaligkeit ihrer Natur zu Wirkungen und Ergebnissen führen, die ihrerseits ebenfalls einmalig sein müssen.597

August Winnig, der dies 1928 feststellte, hatte genau begriffen, was mit dem noch nicht sehr lange existierenden Begriff »Geopolitik« gemeint war. Beide Begriffe, sowohl »Lebensraum« als auch »Geopolitik«, wurden im Zusammenhang mit der wilhelminischen Weltpolitik vor 1914 und der anschließenden Katerstimmung nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg erfunden. Friedrich Ratzel (1844–1904), der die Beziehung zwischen Mensch, Erde und Natur, zwischen Staat und Boden in der Geographie zum Gegenstand seiner Arbeit machte, und Rudolf Kjellén (1864–1922), schwedischer Staatswissenschaftler, der die »Geopolitik« als Wissenschaftsdisziplin begründete, bereiteten den Weg. Ratzel lehrte in München und Leipzig Geographie und fasste diese Tätigkeit sehr politisch auf. Er war aktiv im »Verein für Flottenpolitik« und Gründungsmitglied des »Alldeutschen Verbandes«, er war mit dem Psychologen Wilhelm Wundt befreundet und der Historiker Fritz Kern hatte ihm sein Buch Stammbaum und Artbild der Deutschen (1927) gewidmet, das Darré zum Anlass für die Veröffentlichung seines ersten Buches Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse (1929) genommen hatte. Ratzel hatte den Begriff »Lebensraum« aus der Biologie übernommen.598 Dabei interessierte ihn die Wechselbeziehung zwischen Raum und Lebewesen, die diesen Raum bevölkern, überhaupt nicht. Auch die Abhängigkeit des Lebens von den Raumbedingungen, das, was heute »Umweltbewusstsein« genannt wird, beschäftigte den Sozialdarwinisten nicht. Er übertrug Darwins »Kampf ums Dasein« auf die Anthropogeographie als »Kampf von Leben mit Leben um Raum«. Raum sei, so seine These, 1983, 97 ff. und 340  ; BA, NS 26/942 und 943 sowie R 43 I/1301. Zu den Spannungen zwischen Granzow und Kummer  : BA, NS 26/946. 597 Winnig, 1928, 3. 598 Vgl. Buttmann, 1977  ; W. D. Smith, 1980, 51 ff.; Faber, 1982, 389 ff. und Korinman, 1990.

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»allererste Lebensbedingung«, also sei »Raumbewältigung«, d. h. »Eroberung und Erobertwerden« das, was Geschichte ausmache. Die Leistungsfähigkeit eines Volkes zeige sich erst im Krieg, Frieden dagegen sei wachstumshemmend und lebensfeindlich. Deshalb gelte es, so war Ratzel überzeugt, »die unablässige geschichtliche Bewegung zum Besten des Wachstums des eigenen Staates« zu nutzen und »dem wachsenden Volke den unentbehrlichen Boden für die Zukunft« zu sichern.599 Für Ratzel war Kampf um Macht vor allem Kampf um Raum bzw. Boden, der »Expansionstrieb« eines Staates sei »Merkmal der höchsten Kultur«, meinte er. Und in der Territorialpolitik sah er den eigentlichen Kern der von ihm begründeten »Politischen Geographie«. Dabei kam dem »Raum« eine besondere Bedeutung zu  : »Im Kampf ums Dasein ist dem Raum eine ähnliche Bedeutung zugewiesen wie in jenen entscheidenden Höhepunkten der Völkerkämpfe, die wir Schlachten nennen.« Das Verhältnis zwischen »Staat« und »Boden« war also bei Ratzel auf das räumliche Wachstum des Staates reduziert. Das allein bedeutete für ihn »Machtpolitik«. Dabei waren Kriege für ihn »Experimente«, die über die Zukunft der Völker und ihre Rolle in der Geschichte entscheiden. »Der Staat kann ohne Schwächung seiner selbst keinen zweiten oder dritten auf seinem Boden dulden«, stellte er fest. 600 So wie Ratzel den Begriff »Lebensraum« aus der Biologie übernommen hatte, so hatte sein chauvinistischer geographischer Determismus vieles mit Lamarcks Annahme gemeinsam, dass die ethnischen Eigenschaften einer Population von bestimmten geographischen Umständen bestimmt würden. Wenn behauptet wird, dass eine Persönlichkeit, ein Volk, eine »Rasse« nur unter bestimmten Raumbedingungen ihre Eigenschaften, ihr »Wesen« entfalten könne, dann stehen »Blut und Boden« in einem unaufhebbaren Wechselverhältnis zueinander  ; denn auch der Mensch wirkt auf den Boden, seine »Umwelt« verändernd ein.601 Aber Ratzel ging es nicht um eine bestimmte »Rasse« im Sinne Günthers und Darrés, er beschrieb nur ganz allgemein das Verhältnis zwischen »Mensch und Erde«, »Staat und Raum« bzw. »Volk und Land« und machte daraus ein »Gesetz der wachsenden [politischen] Räume«.602 Kjellén lehrte in Uppsala, publizierte jedoch auch in deutscher Sprache, vielleicht weil weltpolitische Fragen im imperialistischen Deutschland ein interessiertes Publikum fanden.603 Sein Anliegen war es, »Geopolitik« als anwendungsorientierte Wissenschaftsdisziplin zu etablieren. Das Fatale daran war, dass in seiner »Geopolitik« – wie bei Ratzel – ein Hang zum Determinismus steckte, was bedeutete, dass Deutschlands Großmachtambitionen als »naturgegeben« angesehen und legitimiert werden konnten. 599 Ratzel, 1903, 37 f., 85 und 134  ; 1909, Bd. 1, 48 sowie »Der Lebensraum. Eine biogeographische Studie«, in  : Festgabe für Albert Schäffle. Tübingen 1901 (auch  : Darmstadt 1966). 600 Ratzel, 1903, 33. Vgl. auch H.-D. Schultz, 2000, 39 ff. 601 Zur Theorie des Raumes als schicksalsbestimmendem Faktor vgl. Rupert von Schumacher, »Zur Theorie des Raumes«, in  : Zeitschrift für Geopolitik, 1934, 573–580. 602 Vgl. Fahlbusch, 2000, 103 ff.; Parker, 1985  ; Sprengel, 1996  ; Kost, 1988. 603 Kjellén, 1914  ; 1916 und 1917.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Das war selbstverständlich in »völkischen« Kreisen sehr populär und klang dann bei Ernst Hunkel 1904 so  : Es gehe darum, »die deutsche Rasse und den deutschen Boden zu verteidigen und […] für unsere Kinder und Enkel neue Fluren und eine neue Heimat zu gewinnen.« Ratzel und Kjellén hatten großen Einfluss auf die Diskussion um die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg. Auch die »völkisch« gesinnten Geographielehrer beriefen sich in der Weimarer Republik auf sie, wenn es um die Forderung ging, die territorialen Beschlüsse von Versailles zu revidieren.604 Schon während des Ersten Weltkrieges wurde der »Zug vom Lande« (Heinrich Sohnrey), d. h. die Bevölkerungsbewegung in die Städte, von denen, die dies bedauerlich fanden, in die Diskussion um die Kriegsziele eingebracht. In der von Sohnrey gegründeten Zeitschrift Archiv für Innere Kolonisation wurde 1914 für eine »Ostmarkenpolitik« geworben anstelle einer Kolonialpolitik in fernen Kontinenten. Erich Keup, Schriftleiter dieser einflussreichen Zeitschrift, stellte fest, es sei ein Motiv der »Landflüchtigen«, dass »sie daheim kein eigenes Land finden […], weil das Land bei uns zu rar geworden ist.« Dieser »Mangel an Land« – speziell »für den Nichtbauern« – wurde dort ein Jahr später »Lebensraum für die Jugend« genannt. Der Verfasser setzte einen weiteren »alldeutschen« Akzent, indem er forderte, das »deutsche Neuland« müsse selbstverständlich »frei gemacht werden von einer unserem nationalstaatlichen Charakter abträglichen Bevölkerung«. Die beabsichtigte »Massenaussiedlung unerwünschter Volksfremder« wurde natürlich mit der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung begründet  : »Naer Oostland willen wy ryden  !«, lautete das Motto.605 Auch der Geograph und zeitweilige Rektor der Friedrich-Wihelms-Universität in Berlin, Albrecht Penck, hatte sich in seiner Antrittsrede im Herbst 1917 noch Gedanken zu der Frage gemacht, was zu tun sei, um einem wachsenden Volk wie dem deutschen den nötigen »Raum« zu verschaffen. In seinen Vorstellungen von der »zukünftigen Gestaltung Europas« wollte er Russland nach Osten zurückdrängen bis auf eine Linie vom Weißen Meer über den Peipussee bis zur Dnjeprmündung. Westlich davon stellte er sich Satellitenstaaten unter deutschem Einfluss vor. Über Jahrhunderte hätten die Germanen, so argumentierte Penck, »den Osten« kulturell erschlossen, wozu »die Slawen unfähig« seien. Diese Einstellung entsprach exakt der einer Vielzahl von reaktionären Scharfmachern, konservativen Imperialisten und »Alldeutschen«, die zusammen mit vielen Professoren für den Fall eines »Siegfriedens« die Annexion von »Lebensraum« in Osteuropa und ein »großgermanisches Mitteleuropa« forderten.606 Es war Ernst Jünger, der in seinem Kriegstagebuch Feuer und Blut 1925 geschrieben hatte  : 604 Vgl. H.-D. Schultz, 1980 und 1989a. Außerdem  : Ernst Hunkel, »Deutsch-völkische Arbeit«, in  : Heimdall. Zeitschrift für reines Deutschtum und All-Deutschtum 9/1904, 122 ff. (Zitat  : 128). 605 Keup, »Neue Wege deutscher Kolonialpolitik«, in  : Archiv für Innere Kolonisation 7/1914/15, 117 und 10/1917/18, 144 sowie »Die innere Kolonisation und der Krieg«, in  : Das Land 24/1915/16, 191 f. und 25/1916/17, 204 (alle Zitate nach K. Bergmann, 1970, 169 ff.). 606 Vgl. F. Fischer, 1977 und H.-D. Schultz, 2011, 99 ff.

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Den Drang ins Weite und Grenzenlose, wir tragen ihn als germanisches Erbteil im Blut, und wir hoffen, daß es sich dereinst zu einem Imperialismus gestalten wird, der sich nicht wie jener kümmerliche von gestern auf einige Vorrechte, Grenzprovinzen und Südseeinseln richtet, sondern wirklich aufs Ganze geht.

Und der Agrargeograph an der Technischen Hochschule Hannover, Erich Obst, Mitherausgeber der Zeitschrift für Geopolitik, sah die Anwendung geopolitischer Erkenntnisse auf eine deutsche Großraumpolitik auf europäischer Ebene »als absolute Voraussetzung für die Rückgewinnung deutscher Kolonien« an. Darrés Staatssekretär und Nachfolger im Amt des Reichsernährungsministers, Herbert Backe, war bei Obst 1923/24 Assistent gewesen.607 Das führte direkt zu Hitlers selbstverständlich nur gewaltsam möglicher »Eroberung von Lebensraum im Osten« als Beginn einer deutschen Weltpolitik, die – danach wohlgemerkt – natürlich auch bei Hitler die »Rückgewinnung deutscher Kolonien« vorsah.608 So sah es auch Darré. Im September 1930 veröffentlichte er einen Artikel in der Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, in dem er die Möglichkeiten diskutierte, in Deutschland »Raum und Volk in Einklang« zu bringen. Das Ergebnis war ein Plädoyer dafür, »den fehlenden Raum im Osten zu gewinnen«.609 1931 äußerte er sich in zwei Aufsätzen ganz unzweideutig, die vom Völkischen Beobachter bis zu den nationalsozialistischen Provinzblättern verbreitet wurden, aber bezeichnenderweise in keinem der Sammelbände seiner Veröffentlichungen, die Darré später herausgeben ließ, wieder abgedruckt wurden. Da wollte er offenbar schon nichts mehr mit dem gerade angezettelten Krieg um »Lebensraum im Osten« zu tun haben. Der erste Aufsatz befasste sich mit dem Thema »Volk ohne Raum«, von dem der Verfasser annahm, es sei ein »Urproblem aller Geschichte«. Der Artikel war ein Textauszug aus seinem ersten Buch Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse und spekulierte über die »Neulanderoberung« bei den Indogermanen und Germanen in der Völkerwanderungszeit und danach. Dabei sah es der Verfasser als ganz selbstverständlich an, dass für den Fall, dass der »Ernährungsuntergrund« für einen Stamm oder ein Volk »zu eng geworden« war, neues Land mit Gewalt erobert werden musste, weil »die dortigen Bewohner gar nicht daran dachten, ihr Land herzugeben«. Sie mussten also »besiegt und unterworfen« werden.610 607 Erich Obst, »Ostbewegung und afrikanische Kolonisation als Teilaufgaben einer abendländischen Großraumpolitik«, in  : Zeitschrift für Erdkunde 9/1941, 266 ff.  – Obst war auch Mithg. des Sammelbandes Bausteine zur Geopolitik (K. Haushofer/Obst/Lautensach/Maull, 1928). 608 Vgl. K. Hildebrand, 1969 und Kletzin, 1996, 5 ff. 609 Darré, »Stellung und Aufgaben des Landstandes in einem nach lebensgesetzlichen Gesichtspunkten aufgebauten Staate«, in  : DE, 14/1930, Heft 9, 535 ff.; wieder abgedruckt in  : Darré, EuW, 1940, 160–166. 610 Darré, »Volk ohne Raum«, in  : Schleswig-Holsteinische Tageszeitung v. 16.1.1931 und Darré, Bauerntum, 1929, 197 ff.

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Im zweiten Aufsatz gab Darré eine klare und eindeutige Antwort auf die Frage »Ostraumgedanke oder Rückforderung unserer Kolonien  ?«611 Nach Abwägung aller bündnis-, außen- und interessenpolitischen Gesichtspunkte Englands, Frankreichs, Polens und Deutschlands kam der Verfasser zu dem Ergebnis, dass der »deutsche Ostraumgedanke« wiederbelebt werden müsse, um so »den deutschen Raum nach Osten hin [zu] erweitern, um dort zu siedeln«. Das war für jemanden, der an der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen als »Überseefarmer« ausgebildet worden war und gerade erst Wert darauf gelegt hatte, das zunächst versäumte Zertifikat und den Titel »Diplom-Kolonialwirt« doch noch zu erhalten, eine erstaunliche Position. Aber Darré sah angesichts der englischen und französischen Interessenlage in Afrika keine Möglichkeit, die einstmals deutschen Kolonialgebiete in Ost- und Südwestafrika zurückzugewinnen. Eine Rückforderung Deutsch-Ostafrikas würde »England an seiner empfindlichsten Stelle seines afrikanischen Kolonialreiches« treffen und für Deutschland die »Todfeindschaft Englands« nach sich ziehen, resümierte er seine Überlegungen. Und die Forderung nach dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika würde Deutschland in den »Streit zwischen England und Südafrika« hineinziehen, sei also ebenfalls nicht erstrebenswert. Auch ein »Zusammengehen mit Frankreich« schloss Darré ebenso kategorisch aus wie eine »unbedingte Bejahung Polens«. Denn das führe zu einem »Paneuropa recht unvölkischer Struktur«, in dem »das deutsche Wesen [sich] in der Minderzahl« befinde. Das sei schon die falsche Außenpolitik Stresemanns gewesen, räsonierte Darré wie zu Zeiten seines Studiums in Halle. Nein, wenn Deutschland an einer »unabhängigen Eigenstaatlichkeit« interessiert sei, müsse es Land im Osten gewinnen und dazu England an seiner Seite haben, das schon immer eine Machtbalance der europäischen Festlandsmächte angestrebt habe. Wie sehr das Denken des Autors von rassenideologischen und »völkischen« Gesichtspunkten beherrscht wurde, zeigt auch seine Ablehnung einer eventuell möglich werdenden Öffnung Südwestafrikas für deutsche Kolonisten  ; denn dadurch werde ja ein »nichtdeutscher Staat« mit »deutschen Menschen bevölkert«, was zweifellos zu einer Schwächung des deutschen »Volkskörpers« führen müsse. Am Ende seines Artikels zog Darré 1931 ein unmissverständliches Fazit  : »Für mich steht es fest, dass man sich heute n u r [sic] für den Ostraumgedanken entscheiden kann, wenn man ernsthaft die Erhaltung einer deutschen Eigenstaatlichkeit erstrebt.« Damit lag Darré ganz auf der Linie, die sein »Chef« Adolf Hitler schon 1924 in einem Aufsatz dargelegt hatte, der in Deutschlands Erneuerung im Lehmanns Verlag erschienen war. Darin wurde die Forderung nach »Grund und Boden«, nach »Lebensraum« schon erhoben, noch bevor er seine Festungshaft antrat und sie in Mein Kampf ausführlich darlegte. Hitler stellte schon damals die außenpolitische Lage Deutschlands in eindeutigen Varianten dar, so wie es Darré sechs Jahre später tat  : 611 Darré, »Ostraumgedanke oder Rückforderung unserer Kolonien  ?«, in  : Schleswig-Holsteinische Tageszeitung v. 21.6.1931 und VB v. 9.5.1931 (Landwirtschaftliches Beiblatt Nr. 2).

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Außenpolitisch hatte […] Deutschland zu wählen   : entweder man entschloß sich unter Verzicht auf Seehandel und Kolonien, unter Verzicht auf Überindustrialisierung usw., Bauernland zu gewinnen, dann mußten die deutschen Regierungen erkennen, daß dies nur im Bunde mit England gegen Rußland zu erreichen war  ; oder man wollte Seemacht und Welthandel, dann konnte aber auch nur ein Bündnis mit Rußland gegen England in Frage kommen, selbst um den Preis eines rücksichtslosen Aufgebens des gänzlich unmöglichen Habsburgerreiches.612

Es war Karl Haushofer (1869–1946), der das Verbindungsglied zwischen der »Geopolitik« als Wissenschaftsdisziplin und dem Nationalsozialismus bildete. Er hatte 1924 die Zeitschrift für Geopolitik gegründet und gab sie bis zu seinem freiwilligen Tod 1946 heraus.613 Haushofer war Generalstabsoffizier und Lehrer für Kriegsgeschichte an der Bayerischen Kriegsakademie gewesen. Am Ersten Weltkrieg hatte er als Artilleriekommandeur teilgenommen. Sein Vater war Professor für Nationalökonomie und Handelsgeographie am Politechnikum gewesen, der Sohn Karl wurde später Professor für Politische Geographie und Geopolitik an der Universität in München. Einer von Karl Haushofers Schülern und Assistenten war Rudolf Heß, der sowohl eine persönliche Beziehung zu Hitler herstellte als auch seine schützende Hand über die Familie hielt, bis er im Mai 1941 nach Schottland verschwand. Haushofer war seit 1923 Mitglied des »Vereins«, von 1938 bis 1941 sogar Vorsitzender des »Volksbundes für das Deutschtum im Ausland« – NSDAP-Mitglied jedoch war er nicht. Er war mit einer Frau jüdischer Herkunft verheiratet. Ihr Sohn Albrecht hatte sich vom Einfluss seines Vaters befreit, war seit 1940 Professor für politische Geographie in Berlin und wurde im Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 in Plötzensee hingerichtet. Ihr zweiter Sohn, Heinz Konrad, war ein ziemlich einflussloser, aber geschätzter Mitarbeiter Darrés, der beruflich weitgehend auf diplomatischem Parkett in Südosteuropa unterwegs war. Später, in der Bundesrepublik Deutschland, wurde er ein einflussreicher Agrarhistoriker und Chronist der offiziellen zeitgenössischen Agrarpolitik, insbesondere in Bayern.614 Karl Haushofer war bayerischer Royalist nationalliberaler Gesinnung gewesen. Mehrere Reisen nach Ostasien, insbesondere nach Japan beeinflussten sein Weltbild, das zunächst eher von seinem Hartschimmelhof bei Pähl in Oberbayern geprägt war. Er 612 Jäckel/Kuhn, 1980, 773 und Hitler, »Warum musste ein 8. November kommen  ?«, in  : DE, 8/1924, 199 ff. 613 Vgl. Arbeitsgemeinschaft für Geopolitik (Hg.), »Denkschrift  : Geopolitik als nationale Staatswissenschaft«, in  : Zeitschrift für Geopolitik 10/1933 und K. Haushofer, 1940. Vgl. auch Ebeling, 1994 sowie Wolter, 2003, 21 ff. 614 Vgl. Jacobsen, 1979 und – kontrovers dazu – Diner, 1984, 1 ff.; außerdem Hipler, 1996  ; Sprengel, 1996 und 2000, 147 ff.; Wehler, 2003, Bd. 4, 494 sowie Schriftwechsel zwischen H. Haushofer und Darré 1945 bis 1953 (BA, Darré-NS 1, Nr. 19) und Gespräch und Briefwechsel d. Verf. mit Herrn Professor H. Haushofer.

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träumte von einer Allianz Deutschland/Russland/Japan, um dem britischen Weltreich Paroli bieten zu können, aber er hatte weder eine »völkische« noch gar eine rassistische Gesinnung. Er war der Meinung, das in den Pariser Vorortverträgen »verstümmelte« Deutsche Reich leide – wie Japan und Italien – an »Volksdruck und Raumenge«. Die drei Staaten seien »Mächte der Erneuerung« im Gegensatz zu den »Mächten der Beharrung« wie Großbritannien, Frankreich und andere den Völkerbund tragende Staaten. Diesen, den Völkerbund, hielt er für einen »Friedhof des Gewesenen«.615 Nach Haushofers Meinung hatte Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg »eine so furchtbare Zerstörung seiner Lebensform, eine so wahnwitzige Zerschneidung und Verstümmelung seines Lebensraumes« erfahren, dass eine Revision des Versailler Vertrages nichts als ein Gebot der Gerechtigkeit sei. Er geißelte die Politik der seegestützten Kolonialmächte, sein Idealbild war ein Kontinentalblock unter deutscher Ägide. Wenn Haushofer von »Boden« sprach, dann meinte er in der Regel »Volksboden«, also nicht »Staatsgebiet«, sondern den kulturell und sprachlich definierten »Lebensraum« eines Volkes. Mit Rassismus im Sinne der Nationalsozialisten hatte das nichts zu tun, obwohl sich Haushofer selbstverständlich auf Ratzel berief, wenn er den »Kampf um Lebensraum« als das tragende Prinzip in der Geschichte ansah. Und  : Im »Dritten Reich« stimulierte der Blick auf das Verhältnis von »Mensch und Erde« in der Tat eine Verbindung zu der Formel »Blut und Boden« im nationalsozialistischen Sinne. Diese Einschätzung wird u. a. durch die Schulgeographie belegt. Da konnte man – als Beispiel – vom »Lebenswillen der nordisch bestimmten Völker« lesen, die nicht bereit seien, sich den Bedingungen des Raumes unterzuordnen.616 Wenn aber Haushofer vom Recht der »höher kultivierten« Völker auf Erweiterung ihres »Lebensraumes« sprach, dann machten die Nationalsozialisten daraus die »besten« aller »Rassen«, die »arische« oder »nordische«. Aber Haushofer bescheinigte den »Völkischen« einschließlich den Nationalsozialisten auch, das »Recht der Deutschen auf Raum und Selbstbehauptung wachgehalten« zu haben. In der Schrift Der nationalsozialistische Gedanke in der Welt befürwortete er 1934 den deutschen Führungsan615 K. Haushofer, 1928, 30 und 1934, 56 ff. 616 H. Siemann, »Ist Lage Schicksal  ? Ein Unterrichtsbeispiel«, in  : Lebensnaher Volksschulunterricht 40/1936, 1 ff. sowie H.-D. Schultz, 1980 und ders., »›Wachstumswille ist Naturgebot‹  ! Der Beitrag der Schulgeographie zum Versagen der Staatsbürgerkunde in der Weimarer Republik«, in  : R. Dithmar (Hg.), Schule und Unterricht in der Endphase der Weimarer Republik. Neuwied 1993, 21 ff. Bei den Geschichtslehrern war es vor allem der auch als Schulbuchautor hervorgetretene Walther Gehl aus Berlin, der als Leiter einer auf »Anregung des Ministers Darré« gegründeten »Arbeitsgemeinschaft für Geopolitik« mit einem »Aufruf  : Geopolitik im Unterricht  !« bekannt wurde (Deutsches Philologen-Blatt, 1933, 396  ; VuG 23/1933, 587 f. und 31/1941, 35 f. sowie Reichszeitung der deutschen Erzieher, 8/1934, 77). Vgl. auch Johann Thies, »Geopolitik in der Volksschule«, in  : Deutsche Erziehung im neuen Staat, 1936, 321 ff. und Johann U. Folkers, »Grenzen und Möglichkeiten der Geopolitik im Geschichtsunterricht«, in  : Nationalsozialistisches Bildungswesen 9/1937, 516 ff. sowie ders., »Volk und Raum im Geschichtsunterricht«, in  : VuG 28/1938, 558 ff. Folkers war Leiter des »Reichsarbeitskreises für Geopolitik im NS-Lehrerbund«.

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spruch in Europa »in einem dem Blut und der Rasse kongenialen Raum« und auch Krieg als Ultima Ratio im Kampf um »gerechten Lebensraum« schloss er nicht aus. Damit hat Karl Haushofer mitgeholfen, den Nationalsozialisten den Weg zu einem »Großgermanischen Deutschen Reich« zu zeigen bzw. für dieses nur gewaltsam zu erreichende Ziel Akzeptanz zu generieren. Es war sicherlich auch aus dem Gefühl der moralischen Mitschuld am Desaster des Zweiten Weltkrieges heraus, dass Karl Haushofer zusammen mit seiner stets loyalen Frau Martha 1946 freiwillig aus dem Leben schied.617 Ob auch die »Mitteleuropa«-Konzepte großgermanische Ambitionen im Sinn hatten mit einem »Großlebensraum« als geopolitischer Alternative zur europäischen Nachkriegsordnung und weltwirtschaftlichen Verflechtung in der Zwischenkriegszeit, ist nicht eindeutig feststellbar. Der Begriff geht auf Friedrich Naumann zurück, der 1915 ein Buch mit diesem Titel veröffentlicht hatte.618 Der evangelische Pastor nationalliberaler Gesinnung, der 1896 den »Nationalsozialen Verein« gegründet hatte, strebte eine Annäherung von Sozialdemokraten und Linksliberalen an. Seine »Mitteleuropa«Vorstellungen sahen aus ökonomischen Gründen einen freiwiligen Zusammenschluss von Staaten – wie beim »Deutschen Zollverein« – zu »Großbetrieben« vor. Gedacht war an eine gemeinsame Handelspolitik unter dem Dach einer gemeinsamen Rechtskultur  – mit Deutschland als Vormacht. Dieses »Mitteleuropa«-Konzept setzte sich von nationalistisch-antisemitischen Bestrebungen à la Stoecker ebenso ab wie von »alldeutsch«-chauvinistischen und »völkischen« Konzepten à la Heinrich Claß. Eines aber machen diese unterschiedlichen Konzepte deutlich  : den Konstruktcharakter solcher Raumfigurationen wie »Mitteleuropa« oder auch »Paneuropa«.619 Auch der Katholik und Historiker Martin Spahn (1875–1945), der unter sehr umstrittenen Umständen mit 26 Jahren 1901 auf einen Lehrstuhl nach Straßburg berufen worden war, wollte die Versailler Nachkriegsordnung Europas und die »Ohnmacht und Schwäche des jetzigen Deutschlands« überwinden.620 Sein »Reichsgedanke« knüpfte an das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« und an den »Deutschen Bund« an. 1920 erhielt er einen Ruf nach Köln, gründete aber gleichzeitig als Gegenpol zur 617 H.-A. Jacobsen, »›Kampf um Lebensraum‹. Karl Haushofers ›Geopolitik‹ und der Nationalsozialismus«, in  : APuZ, 34/35/1979, 17 ff. und Gespräche d. Verf. mit Professor H. Haushofer. 618 F. Naumann, Mitteleuropa. Berlin 1915. Der Geograph Joseph Partsch (Mitteleuropa. Die Länder und Völker von den Westalpen und dem Balkan bis an den Kanal und das Kurische Haff. Gotha 1904), der von 1875 bis 1922 an den Universitäten in Breslau und Leipzig tätig war, hatte den Begriff schon 1904 benutzt, aber ausschließlich geographisch definiert. Zu Naumann vgl. u. a. auch Bruch, 2000 und Fesser, 2002, 399 ff. 619 Vgl. Guido Müller, »Jenseits des Nationalismus  ? Europa als Konzept grenzübergreifender adlig-bürgerlicher Elitediskurse zwischen den beiden Weltkriegen«, in  : Reif, 2000/2001, Bd. 2, 235 ff.; H.-D. Schultz, 1987, 147 ff.; 1989a, 289 ff. und 2011, 99 ff. und Stirk, 1994. Im Übrigen  : Kritische Geographie, 2001, Frommelt, 1977 und – positiver – K. Schmitt, 2002. 620 Spahn, 1918 und 1936, 34 ff.; Hans Delbrück, »Die katholische Geschichtsprofessur in Straßburg«, in  : Preußische Jahrbücher 106/1901, 384 ff. und Clemens, 1983.

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republikanisch ausgerichteten »Hochschule für Politik« in Berlin das »Berliner Politische Kolleg für nationalpolitische Schulungs- und Bildungsarbeit«. Seine politische Orientierung hatte nur eine Richtung  : nach rechts, vom Zentrum (MdR von 1910 bis 1912) über die DNVP (MdR von 1924 bis 1933) zur NSDAP (MdR von 1933 bis 1939). Als Leiter eines »Instituts für Raumpolitik« in Köln unterstützte er die nationalsozialistische »Volkstumspolitik« insbesondere an der deutschen Westgrenze. Das verband ihn mit Max Hildebert Boehm, der ähnliche Aktivitäten entfaltete und für eine »großräumliche Völkerordnung« warb. Wo andere von »Mitteleuropa« sprachen, sprach er von »Zwischeneuropa«. Sie alle waren mehr oder weniger »völkisch« orientiert, aber Rassisten waren sie nicht.621 Das traf zunächst auch für die Mitglieder des Tat-Kreises zu, benannt nach der gleichnamigen »Monatszeitschrift für Politik und Kultur«, die – 1909 gegründet – immerhin bis 1938 im Eugen Diederichs Verlag in Jena erschien. Der Verlag hatte übrigens sein Verlagsprogramm schon 1927/28 mit der Überschrift »Bindung in Blut und Boden« überschrieben – ein weiterer Hinweis darauf, dass die Doppelmetapher schon lange auf der Straße lag, bevor Darré sie aufgriff. Die beiden Redakteure der Tat, Ferdinand Friedrich Zimmermann (Pseudonym  : Ferdinand Fried) und Giselher Wirsing waren studierte Nationalökonomen. Sie kritisierten den Kapitalismus, setzten sich für Ständestaat, nationale Autarkie ein und favorisierten den Begriff »Zwischeneuropa« für einen europäischen Großwirtschaftsraum. Sie waren zwar Karrieristen und Propagandisten des NS-Staates, ihre Konzepte jedoch wurden zunächst weder sozialdarwinistisch noch rassistisch begründet, allenfalls geopolitisch.622 Dass Boden bzw. Land als Produktionsmittel im Zeitalter der Nationalstaaten eine große Bedeutung hatte für die Sicherstellung der Volksernährung, ist eine Binsenwahrheit. Dies umso mehr, wenn diese Nationalstaaten Wert auf ihre Unabhängigkeit auch in Ernährungsfragen legten. Solche Autarkiebestrebungen waren in Deutschland nach dem Verlust landwirtschaftlicher Überschussgebiete im Versailler Vertrag völlig illusorisch, wurden aber von Nationalisten immer wieder eingefordert. Um den Grad der Abhängigkeit von Einfuhren zu reduzieren, gab es zwei Alternativen  : die vorhandenen Anbauflächen intensiver zu nutzen oder neues Kulturland durch Eingriffe in die Natur (Ödland- und Moorflächenkultivierung, Landgewinnung am Meer) zu erschließen. Zu diesen innerstaatlichen Siedlungsbemühungen, die in der Weimarer Republik – wie dargelegt – eine Rolle spielten, gehörten auch außenhandelspolitische Aktivitäten und die Möglichkeit, mit Hilfe von Machtpolitik neuen »Lebensraum« außerhalb der Staatsgrenzen zu erobern. Fried, der u. a. bei Max Sering in Berlin studiert hatte, warb zunächst für einen wirtschaftlichen Großraum, in den die agrarisch geprägten Länder Südosteuropas als 621 Vgl. M. H. Boehm, Der Bürger im Kreuzfeuer. Göttingen 1933 und Kettenacker, 1974. 622 Vgl. Sontheimer, 1968, 233 ff. und 1959, 229 ff. sowie Hecker, 1974  ; Fritzsche, 1976 und Frei/ Schmitz, 1999.

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ideale Ergänzung zum industriell geprägten Deutschland eingegliedert werden sollten. Statt für weltwirtschaftliche Verflechtung argumentierte er unter Hinweis auf Fichtes Geschlossenen Handelsstaat für Autarkie im Großwirtschaftsraum und dem Kapitalismus und Liberalismus setzte er den »Ständestaat« entgegen.623 Wirsing unterstützte Ernährungsminister Darré in seinem Kampf gegen den als »liberalistisch« verschrienen Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht.624 Zurück zur Tragik Karl Haushofers. Er hatte Geopolitk als »Lehre von der Erdgebundenheit der politischen Vorgänge« definiert. Sie solle »Rüstzeug zum politischen Handeln« liefern und »Wegweiser im politischen Leben« sein. Damit war freilich der Instrumentalisierung dieser ›Wissenschaft‹ Tür und Tor geöffnet. Und so war es auch Haushofer selbst, der in diese Falle tappte  : In dem gewaltigen Bogen, der sich über den beiden Pfeilern zusammenwölbt, die jene untrennbare Inschrift Blut und Boden als Widerlager tragen, ist es die Pflicht der Geopolitik, das Recht des Bodens im weitesten Sinn, nicht nur des Reichs- und Staatsbodens, sondern auch des viel weiter gespannten Volks- und Kulturbodens, zu wahren,

schrieb er 1935. Dabei ging es Haushofer doch um eine »gerechte Verteilung des Lebens- und Atemraumes auf der Erde«. Und wenn er davon sprach, dass nördlich der Alpen durchschnittlich nur 100 Menschen pro Quadratmeter ernährt werden könnten, »nicht aber die vorhandenen 133«, dann wird deutlich, dass er nicht in rassistischen Kategorien à la Günther und Darré dachte, gleichwohl aber von »Blut und Boden« sprach. Karl Haushofer konnte die Vulgarisierung und Instrumentalisierung der Geopolitik zu imperialistischer Großraumpolitik, vor allem ihre Vermischung mit der Rassenpolitik in der Zwischenkriegszeit, nicht verhindern. Ebenso erging es dem »Mitteleuropa«- und dem »Zwischeneuropa«-Konzept. Nach dem Verlust besonders ertragreicher Ländereien Deutschlands im Versailler Vertrag benutzte Hitler zwar nicht das Motiv der Machterweiterung, sondern das Konstrukt des »Volkes ohne Raum«, um die Eroberung von »Lebensraum im Osten« ins politische Visier zu nehmen. Schon 1921 hatte der spätere »Führer« den ungerechtfertigten »Raub« deutschen Territoriums als Ursache dafür angeprangert, dass es in Deutschland eine Nahrungsmittellücke gebe  ; 623 Vgl. Fried, 1931  ; 1932 und 1938a sowie Barkai, 1988, 144 f. und Tooze, 2008, 227. 624 Wirsing, 1932 und 1933. Es klang wie bei Wirsing abgeschrieben, wenn Hitler auf dem Reichsparteitag »des Sieges« am 1.9.1933 erklärte  : »Ein antikapitalistisches Deutschland kann nur seine Ergänzung in den antikapitalistischen Bauernländern des Ostens finden.« Auf Vermittlung Himmlers gelangte Fried 1933 in den Stab Darrés, wurde SS-Mitglied und arbeitete im »Stabsamt des Reichsbauernführers«, d. h. in dessen ›Braintrust‹, und im »Rasse- und Siedlungshauptamt« (RuSHA) der SS. Auch Wirsing war ein Himmler-Protegé, SS-Mitglied seit 1933 und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SD) im Reichssicherheitshauptamt. Nach dem Krieg arbeitete Wirsing bis 1970 bei der evangelischen Wochenzeitung Christ und Welt, während Fried bis zu seinem Tod als leitender Wirtschaftsredakteur bei der Tageszeitung Die Welt tätig war.

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denn gerade diese Gebiete seien für die Versorgung des Landes mit Lebensmitteln unabdingbar gewesen.625 Das war zwar stark übertrieben, macht aber deutlich, welche propagandistische Kraft darin steckte, dass Deutschland 1919 ein Drittel seines Territoriums inbesondere im Osten Preußens verloren hatte. Nur so ist auch der Erfolg des Slogans »Volk ohne Raum« zu erklären, der auf den Titel eines Romans zurückgeht, den Hans Grimm 1926 veröffentlicht und den auch Darré gelesen hatte. Der völkische Schriftsteller Hans Grimm (1875–1959) hatte aber nicht etwa den im Osten verlorenen oder zu erobernden Raum zurückgefordert, seine Phantasie hatte ihn im Gegenteil in die weite Welt der Kolonien entführt. Der Roman war mit etwa 165.000 Exemplaren eines der meistverkauften Bücher in der Weimarer Republik. 1927 erhielt sein Verfasser die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen.626 Aber Kolonialbesitz war den Deutschen in Versailles mit als entwürdigend empfundenen moralisierenden Gründen untersagt worden. Trotzdem war Kolonialrevisionismus auch in der Zwischenkriegszeit immer ein Thema im öffentlichen Diskurs. Böhmer stand in engem Kontakt mit dem Sohn des Hamburger Reeders Adolph Woermann und auch Erich Duem, Generalsekretär der »Deutschen Kolonialgesellschaft«, der 1930 eine »Jungkoloniale Arbeitsgemeinschaft« gründete, nahm Einfluss auf Aktivitäten, für die »Überwindung der deutschen Raumnot« und die Schaffung kolonialen »Lebensraums« die Werbetrommel zu rühren. Auch die NSDAP hatte in ihrem Programm von 1920 die Forderung nach »Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses« erhoben. 1932 wurde ein »Kolonialreferat« eingerichtet, um dieser in Bevölkerung und Wirtschaft populären Forderung eine organisatorische Basis zu geben.627 Von einer Beteiligung des seit 1. Mai 1930 mit dem Titel »Diplom-Kolonialwirt« geschmückten R. Walther Darré an diesen Aktivitäten ist jedoch nichts bekannt. Auch nicht, als 1934 Franz Ritter von Epp Leiter des »Kolonialpolitischen Amtes« der NSDAP wurde. Im »Dritten Reich« löste sich die »Deutsche Kolonialgesellschaft« auf und wurde durch den »Deutschen Reichskolonialbund« ersetzt. Er war vollkommen gleichgeschaltet und wurde von Ribbentrop und Goebbels dominiert – auch da ist eine Anteil- und Einflussnahme des Diplom-Kolonialwirts Darré in den Quellen nicht nachweisbar. Im Gegenteil  : In seiner Geheimrede im Januar 1936 in Weimar bestä625 Vgl. Stichworte zu einer Rede Hitlers am 31.5.1921 in München ( Jäckel/Kuhn, 1980, 423). 626 Vgl. Wolter, 2003, 46 ff. 627 Parteiprogramm der NSDAP  : Mommsen/Franz, 1931, 91. Zu den Aktivitäten des »Deutschen Kolonialvereins« beim Machtantritt Hitlers und zur Presseanweisung des Propagandaministeriums zur »Behandlung der Kolonialfrage« v. 4.12.1933 (»Der Nationalsozialismus kennt nur eine Heimat  : Deutschland  ; nur ein Volk aus einem Blut, auf heimischem Boden.«) vgl. AdRk, Kab. Hitler, Bd. I, 999 f. Zur Instrumentalisierung der »Kolonialfrage« in den Abrüstungsverhandlungen mit Großbritannien in den 1930er Jahren vgl. Hillgruber, 1982  ; K.Hildebrand, 1969  ; Jäckel, 1986 und Graichen/ Gründer, 2005, 399 ff.

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tigte Darré die Zielsetzung eines deutschen Kontinentalimperialismus, als er »nach dem Gesetz, daß das fähigere Volk immer das Recht hat, die Scholle eines unfähigeren Volkes zu erobern und zu besitzen«, präzise feststellte  : Der natürliche Siedlungsraum des Deutschen Volkes ist das Gebiet östlich unserer Reichsgrenzen bis zum Ural, im Süden begrenzt durch Kaukasus, Kaspisches Meer, Schwarzes Meer und die Wasserscheide, welche das Mittelmeerbecken von der Ostsee und Nordsee trennt.628

Eine Möglichkeit, »Lebensraum«, verstanden als Produktionsmittel für Nahrungsgüter, innerhalb der deutschen Staatsgrenzen zu gewinnen, bestand in der Erweiterung und intensiveren Bewirtschaftung des zur Verfügung stehenden Bodens, d. h. Urbarmachung von Mooren und anderer Brachflächen sowie Landgewinnung an den Küsten. Hierfür standen in der Weimarer Republik nur wenige Mittel zur Verfügung. Das änderte sich auch im »Dritten Reich« – trotz aller Propaganda – nicht wesentlich, was sicherlich damit zusammenhing, dass eine expansive Veränderung der Staatsgrenzen bei Hitler schon frühzeitig absolute Priorität hatte, wobei er den im »unabänderlichen« Programm der NSDAP aus dem Jahre 1920 noch geforderten Kolonialrevisionismus souverän ignorierte. Die zentrale Aussage in Hitlers Bekenntnisbuch Mein Kampf von 1925 lautete  : Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein. Zur Weltmacht aber baucht es jene Größe, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt. Damit ziehen wir Nationalsozialisten einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.629

Schon 1922 hatte sich Hitler bei Abwägung der Interessen der europäischen Großmächte ähnlich geäußert  : Außenpolitisch müsse sich Deutschland »auf reine Kontinentalpolitik unter Vermeidung der Verletzung englischer Interessen« einstellen. Zunächst käme es auf »eine Zertrümmerung Rußlands mit Hilfe Englands« an. Dort, in Russland, gebe es »genügend Boden für deutsche Siedler und ein weites Betätigungsfeld für die deutsche Industrie«. Bei einer »Abrechnung mit Frankreich« würde 628 BA, NLD, Nr. 47b (auch D’Onofrio, 2001)  ; Hitler, 1932, 726 ff. und Thies, 1976. Vgl. auch den Aufsatz von Darrés engem Mitarbeiter Karl Motz, »Aufgaben der Agrarpolitik im Rahmen der Ostraumidee«, in  : DA, 1/1931/32, 136–143. 629 Hitler, 1932, 742. Vgl. Lange, 1965, 426 ff. In Hitlers »zweitem Buch«, dessen Text 1928 fertig war, das aber erst 1961 veröffentlicht wurde, waren die Passagen, die sich mit der Lösung der deutschen »Raumnot« befassten, noch eindeutiger und drastischer formuliert. Vgl. Weinberg, 1961 und Hitler, Mein Kampf, Krit. Ed., Bd. II, 1627 ff. (insbes. 1657).

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sich England heraushalten, meinte er. Mitte der 1920er Jahre hatte er sich also schon entschieden, Deutschland müsse »zu einer grundsätzlichen Neuorientierung kommen, die den See- und Handelsinteressen Englands nicht mehr widerspricht«. Es müsse sich durch Bodenpolitik (zunächst) auf »kontinentale Ziele« konzentrieren und könne erst danach Weltmachtpolitik betreiben. Nach außen  – in den diplomatischen Verhandlungen mit den Westmächten  – wurde von den Nationalsozialisten zwar immer noch die Revisionismus-Karte gespielt und Friedfertigkeit behauptet, was auch innenpolitisch durchaus populär war, intern jedoch hatte sich Hitler mit seinem »Lebensraum«-Imperialismus in zwei Stufen vollkommen durchgesetzt  : zunächst Vormachtstellung eines »Großgermanischen Reiches Deutscher Nation« in Europa, dann Weltmachtstreben mit einem kolonialen kontinentalen »Ergänzungsraum« im Rücken. Und Darré hatte sich – wie dargelegt – 1931 teilweise mit denselben Argumenten und im gleichen Duktus damit identifiziert. Danach war zuerst in Mittel- und Osteuropa ein von Deutschland beherrschter, wirtschaftlich autarker und stark agrarisch orientierter Kontinentalblock aufzubauen, der dann stark genug wäre, Großbritannien als Weltmacht herauszufordern und in ferner Zukunft die kommende Weltmacht USA im Ringen um die »Weltherrschaft« zu besiegen. Der Verzicht auf Kolonialbesitz war also bei Hitler nur Verhandlungsmasse und ein Zwischenstadium, zur Weltherrschaft waren Kolonien als Rohstofflieferanten selbstverständlich unabdingbar. Aber dieses »Endziel« sah selbst Hitler als erst in weiterer Zukunft erreichbar an.630 Das Territorium, das Hitler also zunächst im Auge hatte, lag östlich der deutschen Staatsgrenze. Abgesehen davon, dass dort Polen und die Sowjetunion einschließlich des Baltikums existierten, die alle besiedelt waren, konnte nicht übersehen werden, dass diese Gebiete nur gewaltsam zu erobern waren. Da hier aber in Hitlers und Darrés Vorstellung slawische »Untermenschen« lebten, sollte es ein Leichtes sein, sie zu verdrängen. Moralische Bedenken gab es da nicht  ; denn »Staatsgrenzen« würden »von Menschen gemacht« und konnten von Menschen, wenn sie stärker und durchsetzungsfähiger waren, geändert werden. Hitler sah die Erde als »Wanderpokal« an, der immer in die Hand des Stärksten komme. Dieses sozialdarwinistische Weltverständnis kannte keine Skrupel, sondern nur Triebe  : bei Hunger, bei der Fortpflanzung und bei Machtfragen. Darauf hatte sich der »Diplom-Kolonialwirt« Darré bei seinem Eintritt in die Dienste Hitlers längst eingestellt. In einem programmatischen Aufsatz, der im September 1930 in Deutschlands Erneuerung erschien, hatte er unmissverständlich festgestellt  : »Raum und Volk müssen in Einklang zueinander stehen, wenn das Volk gesund bleiben soll. Wir sind heute das ›Volk ohne Raum‹. Also besteht bei uns in dieser Angelegenheit kein Einklang sondern ein Mißklang  : Wir haben zu wenig Raum  !« Darré spielte nun die verschiedenen Möglichkeiten durch, »um diesen Mißklang abzustellen«  : 630 Vgl. u. a. Kuhn, 1970  ; Jäckel, 1969 und 1991  ; Zitelmann, 1998 und K. Hildebrand, 1969a.

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1. »Verringerung« des Volkes wäre »Ausdruck einer Kastratenmoral« – sei also abzulehnen. 2. Abgabe des Bevölkerungsüberschusses an andere Völker wäre »Riesendummheit«  – aus »nationalbiologischen« und machtpolitischen Gründen also auch abzulehnen. 3. Besiedelung von Kolonien  : Abgesehen davon, dass Deutschland keine Kolonien mehr habe, empfehle sich der Kolonialgedanke »deshalb nicht, weil überseeische Siedlungen eines Volkes keine Gewähr dafür bieten, daß die Volkskräfte solcher Volkspflanzungen auch tatsächlich dem Heimatlande wieder zugute kommen«. 4. »Wir versuchen, den uns fehlenden Raum dort zu gewinnen, wo er sich unserem Heimatlande in der natürlichsten Weise anbietet, nämlich im Osten.« Da dort aber immer weitere, ehemals deutsche Städte und Regionen an »die Slawen« verloren gegangen seien, müsse man sich auf »einen Kampf auf Leben und Tod mit dem vordringenden Osten« einstellen. Dabei könne »die Losung« nur sein  : »Siegen schlechthin  ! Darüber hinaus gibt uns der Gedanke von Blut und Boden das sittliche Recht, uns so viel Land im Osten wiederzuholen als notwendig ist, um zwischen unserem Volkskörper und dem geopolitischen Raume einen Einklang herzustellen«, folgerte Darré mit unmissverständlicher Klarheit. 631

In Hitlers Absichten und Plänen, die Darré 1930 in ihren Grundzügen bekannt waren und zu denen er sich 1936 nochmals dezidiert bekannte, lag eine unerbittliche Logik. Darré hat mit seiner »Blut und Boden«-Ideologie zu ihrer konzeptionellen Grundlegung, rassenideologischen Rechtfertigung und propagandistischen Verwertung bzw. Verbreitung einen erheblichen Beitrag geleistet. Dass er dies nach 1945 abstritt, ist nur mit Verdrängung und Selbstschutz zu erklären. Auch in dieser katastrophalen Hinsicht der Begleiterscheinungen des Zweiten Weltkrieges hatte die »Völkische Bewegung« den Weg geebnet. Max Robert Gerstenhauer hatte diese Position eines kontinentaleuropäischen Imperialismus der »Völkischen« 1933 zusammengefasst, als er für eine »Siedlung in den Ostmarken des europäischen deutschen Siedlungsgebietes« plädiert hatte.632 Von vielen wurde dem »deutschen Drang nach Osten« quasi naturgesetzliche Validität zugesprochen und »Pflug« und »Schwert« spielten dabei eine herausgehobene Rolle. Das wird in einem Gedicht besonders eindrucksvoll ausgedrückt, das Adolf Bartels kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges verfasst hatte  : 631 Darré, »Stellung und Aufgaben des Landstandes in einem nach lebensgesetzlichen Gesichtspunkten aufgebauten deutschen Staat«, in  : DE, Heft 9, 1930, wieder abgedruckt in  : Darré, EuW, 1940, 160 ff. und Darré, BuB, 1941, 210 ff. Wenn Darré gewusst hätte, dass Gott/Jahwe dem Volk Israel nicht nur das »sittliche Recht«, sondern das »Gebot« aufgegeben hatte, das »gelobte« Land (den »Lebensraum«), das er ihm versprochen hatte, mit »Feuer und Schwert« gegen »Männer und Frauen, Kinder und Greise« zu erobern ( Jos 6  : Die Eroberung Jerichos), hätte er dies sicher zitiert. Warum der 4. Punkt (Land im Osten erobern) 1940 noch zitierfähig war (Darré, EuW, 1940, 164 f.), ein Jahr später aber unterdrückt wurde (Darré, BuB, 1941, 214) – diese Frage wird uns später noch beschäftigen müssen  ; denn Darré wollte bei seinem Prozess in Nürnberg nichts mehr mit einem Eroberungskrieg zu tun haben. 632 Gerstenhauer, 1933, 28

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Vorwärts, Deutsche, auf nach Osten, Vorwärts, auf, dem Morgen zu  ! Lasset Schwert und Pflug nicht rosten, Laßt dem Polen keine Ruh  ! Dürft ihr auch das Schwert erst schwingen, Wenn es blinkt in Feindesland, Mit dem Pflug lässt sich bezwingen Dauernd jedes fremde Land.633

Bartels und seine »völkischen« Gesinnungsfreunde konnten sich bei solchen politischen Zielen u. a. auch auf Paul de Lagarde berufen, der schon Mitte des 19.  Jahrhunderts die deutschen Siedlungsgebiete »nicht in fremden Weltteilen«, sondern »im Westen von Luxemburg bis Belfort, im Osten von Memel bis zum alten Gotenland am Schwarzen Meer« gekennzeichnet hatte.634 So wurde es dann ja auch ab 1939 bzw. 1941, als Darré längst keinen Einfluss mehr auf die operative Politik hatte, zu exekutieren versucht. Die Eroberung Polens und der anschließende Russlandfeldzug wurden siedlungspolitisch vom »Generalplan-Ost« begleitet, der in Himmlers, von Darré mitgegründetem »Rasse- und Siedlungshauptamt« der SS von einem Team um Professor Dr. Konrad Meyer, einem engen Mitarbeiter von Darrés Nachfolger in allen seinen Ämtern, Herbert Backe, erarbeitet wurde. Auftraggeber war Heinrich Himmler, der seit dem 7. Oktober 1939 als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« den für Siedlungsfragen eigentlich zuständigen RMEL Darré verdrängt hatte. Immerhin konnte Darré seine Zuständigkeit vom Gesetz »zur Neubildung deutschen Bauerntums« ableiten. Er hat sich als Reichsminister, als »Reichsbauernführer«, als Reichsleiter der NSDAP und als SS-Obergruppenführer (General) auf das Heftigste, aber erfolgslos gegen diese Beschränkung seiner Aufgabengebiete durch Himmler gewehrt. Darüber ist ihre Freundschaft endgültig zerbrochen. Von nun an also wurde Heinrich Himmler zum Vollstrecker von Darrés »Blut und Boden«-Ideologie. Boden als Existenzgrundlage in der Landwirtschaft Derjenige, der die Tätigkeit der Bearbeitung des Bodens, der »Scholle«, zur Nahrungsmittelerzeugung ausübt, ist der Landmann, der Ackerbauer (lat. agricola  ; lat. ager  : Land, Feld, Gebiet, Grundbesitz). Er gilt als bodenständig und erdverbunden, als traditionsbewusst (»bodentreu«) und allem Neuen gegenüber skeptisch bis abgeneigt (lat. 633 Bartels, Deutschvölkische Gedichte aus dem Jubeljahr der Befreiungskriege 1913. Leipzig 1914, 10 f. (zit. n. Puschner, 2001, 153 f.). 634 Lagarde, 1934, 131 (zit. n. Puschner, 2001, 151 und 154). Vgl. auch Wippermann, 1981.

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agrarius  : zu den Äckern gehörig). Der »Landstand« galt seit der Antike neben dem Wehr- und dem Lehrstand als Basis von Staat und Gesellschaft. Dieses Ansehen, das den »Nährstand« schon immer begleitete  – Darré benutzte zunächst beide Begriffe, wenn er die Landwirtschaft und die in ihr Tätigen meinte  –, hatte aber auch eine Kehrseite. Im Vergleich der drei »schaffenden Stände«  – Bauern, Handwerker und Kauf- bzw. Handelsleute – galt der Bauer als schlicht und einfach, linkisch und ungeschliffen, ja dumm und primitiv – eben rustikal (lat. rusticus  ; Lümmel, Grobian), »bäurisch«, roh, rückständig und einfältig. Diese negative Konnotation setzte sich nach den verheerenden Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts im allgemeinen Bewusstsein immer mehr durch, man sprach abschätzig vom »Verbauern«. Aber Grund-Besitz steht nicht nur für Nahrungsgewinnung, sondern auch für Einfluss und Macht, Prestige und Reichtum (»Bodenschätze«). Wer Land besaß, übte Herrschaft aus – auf diesem Prinzip beruhten über viele Jahrhunderte Bedeutung und Ansehen sozialer Eliten. Wer Land besaß, war aber auch reich. Denn zur Nutzung des Acker- und Weidelandes, von Forst- und Waldwirtschaft kam noch die Hebung von Bodenschätzen, durch die ebenfalls Bedeutung und Reichtum generiert werden konnten – auch für Bauern, wenn sie Land besaßen. Für diese freilich war das Land, das sie bewirtschafteten, zunächst einmal nichts anderes als der existentielle Teil ihrer Identität.635 Die Zeit der Grundherrschaft

Adlige waren im Mittelalter in der Regel »Grundherren«, die den Boden für sich bearbeiten, »bebauen« ließen. Dafür garantierten sie den Bauern, ob sie nun »Leibeigene«, »Hörige«, »Kossäten« oder »Eigenzinser« waren, Schutz und Schirm in den Unbilden des Lebens. »Wir sullen den herren darumbe dienen, daz sie uns beschirmen. Beschirmen sie uns nit, so sind wir in nit dienstes schuldig nach rechte«, stand 1275 im Schwabenspiegel. Als Gegenleistung hatten die Bauern und Landbearbeiter ihren kirchlichen oder fürstlichen Grundherren bzw. Landbesitzern »Frondienste« zu leisten und Abgaben (»Zehnt«) zu deren Lebensunterhalt zu entrichten. Die Leibeigenschaft war an den Grundbesitzer und seinen Boden gebunden und weil dieses ein erbliches Rechtsverhältnis war, wurde es auch als bluts-, d. h. naturbedingt verstanden. Wer vom Land in die Stadt abwanderte, ließ diese rechtsverbindliche Abhängigkeit hinter sich, wie es in dem Slogan »Stadtluft macht frei  !« ihren sprichwörtlichen Niederschlag fand. »Landflucht« und »Entwurzelung« sind in diesem Zusammenhang Sachverhalte, die in ihrer pejorativen Begrifflichkeit und Sinngebung der abwertenden und negativen Beurteilung einer konservativen Grundhaltung Ausdruck verleihen. Das Bild vom Bauern, der mit seinen Wurzeln fest und unbeweglich in der Erde verankert ist – »schollengebunden«, »bodenverwurzelt« –, wurde in den verlustreichen 635 Vgl. – auch für das Folgende – W. Conze, 1972, 407 ff. (Zitate 408, 412 und 416).

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Bauernkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts verfestigt. So hieß es bei Grimmelshausen im Lied des Simplicius Simplicissimus 1669  : Du sehr verachter Bauernstand, bist doch der beste in dem Land. Wie stünd es jetzt und um die Welt, hätt Adam nicht bebaut das Feld  ? Mit Hacken nährt sich anfangs der, von dem die Fürsten kommen her. Drum bist du billig hoch zu ehrn, weil du uns alle tust ernährn.

Diese beiden Topoi bäuerlicher Lebenswirklichkeit – Hochschätzung einerseits und Geringschätzung andererseits – begleiteten die Landbevölkerung bis weit ins 19. Jahrhundert, als die unaufhaltsam fortschreitende Industrialisierung den »primären Sektor« der Wirtschaft immer mehr an den Rand von Bedeutsamkeit und Einfluss abdrängte. 1766 hatte der »Große« Friedrich II. in Preußen den Nutzen der Landwirtschaft für den Staat noch anerkannt und dadurch unterstrichen, dass er die Bauern als diejenige »Klasse von Leuten« bezeichnete, »welche die mehreste Achtung verdienen«, weil sie für Lebensmittel und die Befriedigung der Ernährungsbedürfnisse der Menschen, seiner Untertanen, sorgten, wie es der Preußenkönig in seinen Instruktionen für Landräte formulierte. Außerdem lieferte die Landbevölkerung der Armee Rekruten, weil sie wegen ihrer hohen Geburtenrate für Bevölkerungszuwachs sorgte. Die adligen »Grundherren« sorgten für Offiziere und Verwaltungsjuristen.636 Schon Kant wusste in seiner Metaphysik der Sitten (1785/1797), dass die gebundene Agrarverfassung bzw. die Erbuntertänigkeit der Bauern nicht mit der Menschenwürde im modernen Verständnis vereinbar war. Für die Verbreitung dieser Erkenntnis sorgten Aufklärung und Französische Revolution. Feudalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen, die wesentlich zu dem pejorativen Image der Bauern beigetragen hatten, widersprachen auch der Einsicht, »dass nur das eigene Interesse die Triebfeder des Fleißes ist«, wie Johann Georg Schlosser 1786 wusste. Auch der Frankfurter Jurist und Schwager Goethes sprach von den »Ackerleuten« als »Sklaven«. Deshalb glaubte der Jurist Justus Möser (1720–1794) die politische Aufwertung der Bauern dadurch erreichen zu können, dass er die staatsbürgerlichen Mitwirkungsrechte an »Landeigentum« festmachen wollte. Möser, einflussreicher Staatsmann im Fürstbistum Osnabrück und viel gelesener Literat, trat für die Übernahme altgermanischer Rechtsinstitute, die sich in seiner Heimat erhalten hatten, ein, insbesondere für die Bedeutung des »Landeigentums« für jedes staatliche Gemeinwesen. So wurde er im »Dritten Reich« 636 Vgl. G. Heinrich, 1984, 235 ff. und C. Clark, 2006, 196 ff.

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als einer der »Ahnen des Erbhofgedankens« angesehen bzw. vereinnahmt, obwohl er weit davon entfernt war, in rassenideologischen Kategorien zu denken.637 Stein-Hardenbergsche Reformen

Die »Bauern-Befreiung« (Georg Friedrich Knapp, 1887), d. h. die Abschaffung der Leibeigenschaft und der Erbuntertänigkeit in Preußen durch den Reichsfreiherrn vom Stein 1807, war schon 1794 im Preußischen Landrecht angebahnt worden, wo in §§ 147 und 148 von Bauern zwar als »Untertanen« im Hinblick auf ihr Verhältnis zu den »Grundherren« die Rede war, sie aber gleichzeitig als »in ihren Geschäften und Verhandlungen als freie Bürger des Staates« angesehen werden sollten. Der Wandlungsprozess hin zu diesen Agrarreformen hatte schon lange vorher begonnen, ohne dass freilich substantielle Veränderungen erzielt worden waren. Dazu bedurfte es erst der Umwälzungen, die das Zeitalter mit sich brachte, das durch Napoleon Bonaparte geprägt wurde. Die zunächst als »Regulierungen« bezeichneten Veränderungen bedeuteten einmal die Abschaffung aller personalen Abhängigkeiten und Abgabendienste der Bauern, zum anderen die Übertragung von Eigentum am Boden an sie durch Landabtretungen der Grundherren gegen Ablösegelder.638 Karl Freiherr von und zum Stein (1757–1831) kam aus dem hessischen Nassau an der Lahn und trat 1780 in den preußischen Staatsdienst ein. Bevor er 1804 nach Berlin berufen wurde und für den Staatshaushalt verantwortlich war, hatte er sich in der preußischen Provinz Westfalen und in der Grafschaft Mark (Kleve) in Wirtschaftsfragen (Berg-, Wasser- und Straßenbau) bewährt. Anfang 1807 wurde er in Ungnaden entlassen, wobei Friedrich Wilhelm  III. ihn als »widerborstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener« tadelte. Doch noch im gleichen Jahr wurde er als Staatsminister nach Preußen zurückgerufen und mit der Reform des gesamten Staatswesens beauftragt. Steins Vorbild war die altständische Verfassung, wie er sie in Westfalen kennengelernt hatte. Stein war zeitlebens ein Gegner wirtschaftsliberaler Ideen und setzte lieber auf korporative politische und ökonomische Strukturen. Das Oktoberedikt von 1807, in dem »Hörigkeit« und »Frondienste« der Bauern in Preußen abgeschafft wurden, war in seinen wichtigsten Teilen von Steins Mitarbeiter Theodor von Schön erarbeitet worden. Nach seiner neuerlichen Entlassung 1808 wegen Selbstherrlichkeit und Schroffheit im Umgang mit anderen lebte der auch von Napoleon Geächtete im österreichischen Exil.639 637 Vgl. Frauendorfer, 1957, 100 ff. und 184 ff.; W. Conze, 1972, 413 ff. sowie K. Meyer, »Justus Möser, ein Vorkämpfer des deutschen Bauerngedankens«, in  : Odal, 4/1936, 967 ff. 638 Vgl. – auch zum Folgenden – F.-W. Henning, 1978, Bd. 2, 44 ff. und Nipperdey, 2013 (erstmals 1983), 145 ff. und Duchhardt, 2007. 639 Text in Hopp, 1938, VIII, 5, 14 ff. Vgl. u. a. Ritter, 1958 und Duchhardt, 2007a. Außerdem  : Frauendorfer, 1957, 250 ff.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Stein hatte sich schon in den rheinisch-westfälischen Landesteilen Preußens für die Beseitigung der Abhängigkeit der Bauern von ihren Grundherren eingesetzt. Vollends zum Gegner der ostelbischen adligen Grundherrschaft machte Stein eine Reise durch Mecklenburg, wo er die extremen Auswüchse der feudalen Gutsherrschaft kennenlernte. Stein, der kein Freund der Ideen war, die von der Französischen Revolution ausgingen, setzte nach dieser Reise die »Junker« mit »Raubtieren« gleich, die »ihr gesamtes Umfeld veröden« ließen. August Georg Kenstler, der »Artamane«, zeitweilige Mitstreiter und Förderer Darrés, zitierte ihn 1930 in seiner Zeitschrift Blut und Boden  : »An sich handelt es sich nicht um den Boden und sein Recht, sondern um die Menschen. Ganz freies Bodeneigentum führt zwangsläufig zum Bodenschacher, macht die Scholle zum Triebsand  ; rechtlich gesichertes Bodeneigentum schafft freie Menschen auf festem Grund.«640 Insbesondere das »Bauernlegen«, d. h. die Art, wie kleine und mittlere Bauernwirtschaften durch potentere Großgrundbesitzer um ihre Existenz gebracht wurden, empörte Stein. Nach seinen Vorstellungen brauchte ein Landwirt Fachwissen, Geld und unbelastetes Land, um seine Produktivkräfte entfalten zu können. »Soll die Landwirtschaft in einem blühenden Zustand sein«, wusste er, »so muß dem Landmann der Besitz von Kenntnissen seines Geschäfts, von Kapital zur Anlage im Betrieb und von Freiheit in Benutzung seiner Kräfte und seines Grundeigentums verschafft und gesichert sein.«641 Stein wünschte, »daß die Landwirtschaft von vermögenden Besitzern betrieben würde«, er hatte ein Bauernideal vor Augen, das durch Selbstständigkeit und Freiheitsbewusstsein geprägt war, weil er überzeugt war, dass dieser Bauer auch ein staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein entwickeln werde. Er trat für den Erhalt des Besitzstandes eines rentablen landwirtschaftlichen Betriebes ein, war also gegen die »Zerstückelung« im Erbgang (Realteilung) oder durch Landverkauf, der durch Verschuldung verursacht wurde und die Rentabilität des Betriebes gefährdete. Kein Wunder, dass Stein für Darré eine Referenzfigur war, deren Ansehen er für seine eigenen Zwecke instrumentalisierte. Auch Ernst Moritz Arndt (1769–1860), ein großer Verehrer des Freiherrn vom Stein und 1812 kurzzeitig sein Privatsekretär in St.  Petersburg, befürwortete eine »auskömmliche Ackernahrung« in der Landwirtschaft. Der patriotische Dichter einer nationalen Einheit aller Menschen »deutscher Zunge« und Agitator gegen »fremdherrschaftliche Bevormundung Deutschlands« durch Napoleon wurde nicht müde, seine These »Wo das Bauerntum stirbt, stirbt auch das Vaterland  !« zu verbreiten. Er war auf einem Bauernhof auf Rügen aufgewachsen und seit 1806 als Professor für Ge640 Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesenheit und nationale Freiheit, Heft 7, 1930, 100 (StAG, NLK, Nr. 3). Anlässlich v. Steins 100. Todestag erschien 1931 in DE (15. Jg., Heft 7, 385 ff.) auch ein von Hochachtung geprägter Beitrag. 641 Zit. n. G. Ritter, 1958, Bd. 1, 98 und Steins Denkschrift »Über die Verleihung des Eigentums-Rechts an die Immediatbauern«, Königsberg 1808. Vgl. auch Duchhardt, 2008 und Duchhardt/Teppe, 2003.

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schichte und Philologie an der Universität in Greifswald tätig, die heute  – wenn auch umstritten wegen seines Antisemitismus‹  – seinen Namen trägt. Arndts Vater hatte sich schon 1769 aus der Leibeigenschaft des Grafen Malte Friedrich zu Puttbus freikaufen können und ermöglichte seinem Sohn eine Gymnasialausbildung in Stralsund. 1803 veröffentlichte Arndt die Schrift Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen, in der er persönliche Erfahrungen sowie empirische Studien verarbeitete und seine Empörung über die brutale Gutsherrschaft, das »Bauernlegen«, die ohnmächtige Abhängigkeit und Unterdrückung der Bauern zum Ausdruck brachte. Dass die Gutsbesitzer ihn wegen übler Nachrede verklagten, hielt ihn nicht davon ab, aus humanitären, naturrechtlichen und ökonomisch-fiskalischen Gründen für die Aufhebung der Leibeigenschaft und der Unfreiheit der Bauern zu plädieren.642 Darré verehrte Ernst Moritz Arndt – wie den Freiherrn vom Stein – in seinen agrarpolitischen Ansichten als Vorbild und sorgte dafür, dass seine Schriften im »Dritten Reich« neu aufgelegt wurden.643 Arndt war – wie Stein und Darré – kein Freund der ostelbischen Großgrundbesitzer. Er gab ihnen mit dem Begriff »Junker« schon jenen negativen Beigeschmack, den sozialistisch-kommunistische Agitatoren später damit verbanden. Arndt war ein Freund mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe in der Größe, wie sie später das »Reichserbhofgesetz« festlegte. Und Arndt schrieb auch gegen die Behandlung des Bodens als Ware an, er war gegen die Zerstückelung durch Abverkäufe aus Liquiditätsgründen und gegen Realteilung im Erbgang, wodurch die Bauernhöfe zu klein und unrentabel würden. Auch hier lag er ganz auf der Linie Darrés – genauso wie bei seinen Bemühungen um die Anerbensitte im Sinne des »Majorats« und für eine Aufwertung des Bauerntums im Staate, wenn er formulierte  : Die Erde und die Geschäfte, welche sich zunächst und unmittelbar auf ihren Anbau beziehen, sind das Ruhende und Bleibende im Staate, das Bild des Festen und Ewigen  ; sie sind dem Wandelbaren und Unruhigen entgegengesetzt, was das Leben der Städte und städtischen Gewerbe ist. An dem festen und sichern Besitz des Bodens durch lange Geschlechter von dem Urahn bis zum letzten Enkel hinab befestigt sich die Sitte, das Gesetz, die Ehre, die Treue, die Liebe  : der Bauer ist des Vaterlandes erster Sohn  ; wann er ein Knecht wird, wann sein Herz kalt und sein Arm schlaff wird für das Vaterland, dann ist es wahrhaft untergegangen. Wer also ein festes und glorreiches Vaterland will, der macht festen Besitz und feste Bauern. Die Erde muß nicht wie eine Kolonialware aus einer Hand in die andere gehen, des

642 Arndt, 1803  ; 1810  ; 1815 und 1820. Vgl. außerdem Alvermann/Garbe, 2011 und Frauendorfer, 1957, 273 ff. 643 So zitierte Darré Arndt ausführlich in einer Rede v. 5.10.1933 anlässlich des Inkrafttretens des REG vor der Presse als »Verkünder bäuerlicher Ideen, besonders des Erbhofgedankens« (Ms., 2, im Besitz d. Verf. und BA, Darré-NS, AD 32). Vgl. auch Wilhelm Saure (»Alle großen Gesetze eines Volkes sind Agrargesetze.«) in  : Runge, 1935, 93 und Paul Hermann Ruth, »Ernst Moritz Arndt als Vorkämpfer einer deutschen Bauernpolitik«, in  : Odal, 3/1935, 649–667.

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Landmanns Haus muß kein Taubenschlag sein, woraus mit leichtfertigem Herzen aus- und eingeflogen wird. Wo das ist, da stirbt Sitte, Ehre und Treue, da stibt zuletzt das Vaterland.644

1806 wurden die Leibeigenschaft und die Patrimonialgerichtsbarkeit in Vorpommern und auf Rügen vom schwedischen König abgeschafft. Gleiches geschah ab 1808 auch in Süddeutschland. Aber es dauerte lange, bis die auf den Ländereien liegenden Lasten, die Frondienste und gutsherrlichen Abgaben abgelöst und die entsprechenden Gesetze und Verordnungen vollzogen worden waren. Überhaupt waren die strukturellen Bedingungen für die Landwirtschaft in den deutschen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich. Zwischen der östlichen Getreidewirtschaft und der westlichen Viehund Veredelungswirtschaft, zwischen der Gutswirtschaft in den preußischen Ostprovinzen und den von der altgermanischen Gemeinfreiheit geprägten Großbauernhöfen im Norden und Westen, zwischen den Regionen, in denen traditionell Realteilung im Erbgang galt, und solchen, in denen die Anerbensitte praktiziert wurde, lagen Welten. Was hatten ein ostelbisches Rittergut, ein Marschbauernhof, ein Gebirgsbauernhof, ein Pfälzer Winzer und ein schwäbischer Einödbauer gemeinsam  ? Gleichwohl hatte Preußen wegen seiner Größe und des politischen Einflusses, den die »Ostelbier« ausübten, eine besondere Bedeutung im damaligen »Deutschland« – ob zur Zeit des »Deutschen Bundes« oder, ab 1871, im preußisch dominierten »Deutschen Reich«. Die Katastrophe der Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 hatte Preußen aufgerüttelt, durch Reformen im Innern den Staat zu erneuern und zu festigen sowie den Lebensstandard der ländlichen Bevölkerung zu heben. Aber die zunächst akzeptierte Unantastbarkeit des bäuerlichen Grundbesitzes wurde unter dem Einfluss einer liberalen Wirtschaftsgesinnung immer mehr zugunsten der Interessen der Großgrundbesitzer verwässert. Die Bauern mussten für die Ablösung der Hand- und Spanndienste oder anderer Verpflichtungen hohe Summen bezahlen, die sie sich in der Regel mit den entsprechenden Zins- und Tilgungsleistungen bei Banken liehen. Die Mobilisierung des Bodens bei gleichzeitiger Lösung aller Bindungen machte viele mittelgroße und kleine landwirtschaftliche Betriebe existenzunfähig, so dass sie an die großen Güter zurückfielen, was die Bauern zu Landarbeitern machte, zur Abwanderung in die Stadt oder – später – ins überseeische Ausland zwang. Als in den 1820er Jahren die Allmende, d. h. die Fläche in einer Gemeinde, die allen Bürgern zur Nutzung zur Verfügung stand, aufgehoben und in Privateigentum umgewandelt wurde, waren Kapitalbesitzer wie Gutsherren oder Spekulanten diejenigen, die den ärmeren Bauern ihren Anteil abkaufen konnten. 644 Arndt, »Über künftige ständische Verfassungen in Teutschland«, 1814, 115 (zit. n. Ruth, 1935, 662) und Arndt, 1815. Vgl. auch Ehringhaus, 1935  ; G. Hagemann, »Der Erbhofgedanke bei Ernst Moritz Arndt«, in  : Odal, 7/1938, 734 ff. sowie O. Terstegen, Ernst Moritz Arndts Kampf für das deutsche Bauerntum. Bonn 1942, der auch dessen Agrarpolitische Schriften 1942 im Blut-und-Boden-Verlag in Goslar neu herausgab.

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Aber auch die großen Güter wechselten nun häufiger den Besitzer als früher. Zwischen 1835 und 1864 wechselte statistisch jeder landwirtschaftliche Betrieb mehr als zwei Mal den Besitzer – und zwar nur in 37,7 Prozent der Fälle im Erbgang, aber in 60,2 Prozent der Fälle durch Verkauf und in 5,1 Prozent der Fälle durch Konkurs. Diese »Verfälschung der ursprünglichen Bauernbefreiungsidee« (Frauendorfer) war, nach dem Ausscheiden des Reichsfreiherrn vom Stein aus dem preußischen Staatsdienst, ab 1810 das Werk des Grafen und späteren Fürsten Karl August von Hardenberg (1750–1822). Stein war hauptsächlich am Widerstand der Großagrarier gegen seine Absicht gescheitert, das Adelsprivileg der Patrimonialgerichtsbarkeit abzuschaffen. Es dauerte noch weitere 40 Jahre, bis dieses Relikt aus feudalistischen Zeiten auch in Preußen beseitigt werden konnte. Für Darré waren die Hardenbergschen Reformen der Agrarverfassung weder »Regulierung« noch gar »Bauernbefreiung«, sondern eine neuerliche »Versklavung«, diesmal unter der »Knute des Kapitals«. Denn den Gutsherren wurden als Entschädigung für die Aufgabe von Diensten und Privilegien Landabtretungen zugebilligt, wodurch massiv in den Betriebsorganismus der Bauernwirtschaften eingegriffen wurde. Durch das »Edikt zur Beförderung der Landeskultur« vom September 1811 wurde jeder Grundbesitzer befugt, über seinen Boden frei zu verfügen. Er konnte Grundstücke verkaufen, tauschen, erwerben, verschenken und beleihen, ohne um Genehmigung nachzusuchen. Jeder landwirtschaftliche Betrieb konnte durch Zukäufe von Land vergrößert, durch Abverkäufe verkleinert oder durch Hypotheken belastet werden, um auf diese Weise an Betriebskapital zu gelangen. Diese Beweglichkeit des Umganges mit dem Boden lieferte Grundbesitz schonungslos den Marktmechanismen des kapitalistischen Wettbewerbs aus, ohne dass die daran Beteiligten über entsprechende Erfahrungen verfügten. Diese Freizügigkeit im Umgang mit Boden hatte Albrecht Thaer (1752–1828), der Verfasser und Initiator des Edikts von 1811 und seiner Durchführungsverordnungen, die sich bis in die 1820er Jahre hinzogen, durchaus beabsichtigt. Denn so sollte die »Landeskultur« in wirtschaftsliberalem und »rationellem« Sinne »gehoben« werden. Es konnten neue landwirtschftliche Betriebe gegründet werden, ganze Güter konnten von bürgerlichen Kapitalbesitzern erworben und von Verwaltern oder Pächtern bewirtschaftet werden. Auch betriebswirtschaftliches Denken und Effektivitätskriterien hielten Einzug in die Landwirtschaft und neue Behörden und Vereine kümmerten sich zukünftig vor Ort und in den Provinzen um die neue Aufgabe der Verbesserung der »Landeskultur«. Für Thaer, den Sohn eines Arztes und ausgebildeten Mediziner, war Landwirtschaft ein »Gewerbe«, in dem man »Gewinn erzeugen und Geld verdienen« kann und will – das Gegenteil von dem, was Darré darunter verstand.645

645 Albrecht Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirtschaft. 4 Bde. Berlin 1809–1812 und Leitfaden zur allgemeinen landwirtschaftlichen Gewerbs-Lehre. Berlin 1815.

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Thaer war Begründer der ersten deutschen landwirtschaftlichen Akademie in Möglin/Brandenburg. Er leitete dort – wie zuvor schon in der Nähe von Hannover – einen Musterbetrieb, der dem Prinzip der Rentabilität verpflichtet war. Er stellte  – Darré genau entgegengesetzt – dem erfolgreichen und modernen »Landwirt« den rückständigen und rückwärtsgewandten »Bauern« gegenüber. 1810 wurde er an die Universität in Berlin zum ersten Professor für Agrarwissenschaften berufen. In Thaers Fußstapfen gingen so einflussreiche Wissenschaftler wie Johann Heinrich von Thünen (1783– 1850), der auch für die Landwirtschaft die Bedeutung der Entfernung des Produktionsstandortes vom Absatzgebiet (»Thünensche Kreise«) betonte, und Justus Liebig (1803–1873), der die Beeinflussung der »Bodenkraft« durch künstliche, d. h. chemische Düngung nachwies und so für eine Explosion der Produktivität sorgte.646 Pauperisierung, Ständeordnung und autarker Staat

Weil bäuerliche Selbstständigkeit (»Bauernfreiheit«) im frühen 19.  Jahrhundert in einer Wettbewerbswirtschaft noch nicht flankiert wurde von Selbsthilfemaßnahmen, Kredithilfen, wirtschaftlicher Beratung und anderen fördernden Maßnahmen wie z. B. der Vermittlung von dringend benötigtem Fachwissen, blieben die Schwachen in der Landwirtschaft auf der Strecke und wurden die Starken noch stärker. Damals, bei der Durchführung der »Regulierung« des ländlichen Grundbesitzes, wurde neben der »Spannfähigkeit« auch der Begriff »Ackernahrung« eingeführt. Stein befürwortete Bauernhöfe, »die ihren Inhaber als selbständigen Ackerwirt ernähren« und nicht Kleinbetriebe mit Grundstücken, aber ohne Zugvieh. Beide Kriterien für die Existenzfähigkeit eines Bauernhofes – »Ackernahrung« und »Spannfähigkeit« – spielten im »Reichserbhofgesetz« eine große Rolle. Die »Regulierung« der ländlichen Arbeitsverhältnisse und die Einführung der Gewerbefreiheit, die Steins Nachfolger Hardenberg in Preußen 1811 realisierte, brachte die Bauern – nach der festen Überzeugung Darrés durch die »Gleichsetzung des Bodens mit einer Ware«  – in eine neue Abhängigkeit, in der er das Grundübel aller zukünftigen Probleme der Landwirtschaft sah. Er nahm sich daher vor, diesen »liberalistischen« und »kapitalistischen Sündenfall« rückgängig zu machen, der die Bauern zwar frei von den bisherigen Landeigentümern, aber abhängig von denjenigen machte, die ihnen das benötigte Betriebskapital zur Verfügung stellten. Darrés Vorbild war die altgermanische Freibauerntradition, wie sie noch in den norddeutschen Regionen fortlebte, in denen die Anerbenrechtssitte galt. Auch Friedrich List (1789–1846), der Vorkämpfer des »Deutschen Zollvereins« und Eisenbahn-Pionier, plädierte in der Frage der Pauperisierung der freigesetzten Bauern 1842 gegen »Zwergwirtschaft« und für eine ausreichende Landausstattung 646 Vgl. Franz/Haushofer, 1970, 59–78  ; Frielinghaus/Dalchow, 2006 und Frauendorfer, 1957, 206 ff.

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der Bauernhöfe, weil nur so die Bauern auch Verantwortung für Staat und Nation übernehmen könnten. List trat für eine »gesunde Mischung« von großen, mittleren und kleinen landwirtschaftlichen Betrieben ein. Als leidenschaftlicher Patriot betonte List – gegen Adam Smith und David Ricardo, der von Darré mit der Kennzeichnung als »Jude« disqualifiziert werde sollte  – die Nation als die wichtigste Rahmenbedingung einer Volkswirtschaft. Weil die Volkswirtschaft jeder Nation ein lebendiges Ganzes sei, weil alle ihre Bestandteile ineinander verwoben und aufeinander angewiesen seien und weil sowohl Landwirtschaft als auch Industrie und Handel die Wohlfahrt und Unabhängigkeit einer Nation garantierten, habe der Staat die Verpflichtung, sich in Wirtschaftsfragen zu engagieren. Nichteinmischung des Staates, so wie Smith sie vertrete, sei eine frevelhafte Versündigung an der Nation, stellte List fest.647 Er war überzeugt, dass nicht alles zu einer käuflichen und verkäuflichen Ware gemacht werden dürfe und nicht das Kapital, sondern die Arbeit das Grundmovens der Ökonomie sei. Er plädierte zwar für Schutzzölle, aber nur als Vorstufe für einen Freihandel, der nur aus einer starken Position der Wettbewerbsfähigeit heraus zu empfehlen sei. Gegen den »krassen Materialismus« und den »schrankenlosen Individualismus« liberalen Denkens, die zum Primat der Wirtschaft über die Politik führten, setzte er den Primat der Politik über die Wirtschaft. Nicht »Eigennutz« und »Weltbürgertum« passe in die Zeit der Nationwerdung, sondern »Gemeinwohl« und »Nationalwirtschaft«, betonte List. In Darrés Worten 1930  : »Das ›Ich‹ hat unbedingt hinter den Erfordernissen des ›Wir‹ zurückzutreten.« Es gab also zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch Gegner des wirtschaftsliberalen Denkens im Agrarsektor, ohne dass es dazu rassistischer Motive bedurfte. An diese Tradition konnte Darré anknüpfen, als er seine »Hegehofidee« in eine »Erbhof«Gesetzgebung umzusetzen hatte und aus dem »Landstand« den »Reichsnährstand« machte, der eine »Regelung« des gesamten Nahrungsmittelmarktes im »Dritten Reich« einführte. Doch seine rassistische Motivation zur Stärkung der Landwirtschaft auf dem Markt war weit entfernt von den genannten Überlegungen im 19. Jahrhundert, die alle um den Nationalstaat kreisten. Stein distanzierte sich in seinen Memoiren von den Reformen seines Nachfolgers, insbesondere trat er für die Wiedereinführung der Unteilbarkeit der Bauernhöfe im Erbgang ein, so wie es in den Regionen gehandhabt wurde, in denen das »Anerbenrecht« galt. Zu denjenigen, die Bauern bzw. Landwirte wieder zu »Königen auf ihrem Hof« machen wollten, gehörten auch der Jurist Justus Möser und der Historiker Johann Stüve aus Osnabrück. Möser wollte, nach altgermanischer Freibauerntradition, dass »jeder deutsche Ackerhof mit einem Eigentümer besetzt« sei, und forderte, dass das Landeigentum konstitutiv sein müsse für eine »organische« Staatsordnung, in der Landbesitzer mehr als andere in die politische Verantwortung zu nehmen seien. Auch Johann Carl Bertram Stüve (1798–1872), Bürgermeister von Osnabrück und 647 Vgl. List, 1841 und 1842. Im Übrigen Friedrich Lenz, 1936 und Darré, EuW, 1940, 128.

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Abgeordneter der Ständeversammlung des Königreichs Hannover, war von den Verhältnissen in seiner Osnabrücker Heimat geprägt. Er setzte 1833 die hannoversche Gesetzgebung zur Bauernbefreiung durch. Stüve kennzeichnete den »Charakter des Landmannes« als »durchaus aristokratisch« und knüpfte dabei an das Idealbild des altgermanischen Freibauern – »auf freier Scholle« – an, das auch Darré mit dem »Erbhofbauern« im Auge hatte. Rassistische Ideen allerdings spielten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bei den genannten Personen überhaupt keine Rolle.648 Es ging Möser, Stüve und dem Reichsfreiherrn von und zum Stein um die Neubegründung einer herausgehobenen Stellung der Bauern im Staat, aber eine bevölkerungspolitische oder gar rassenideologische Begründung lag ihnen völlig fern. Auch Adam Müller (1779–1829) lehnte die Übertragung der Marktgesetzlichkeiten einschließlich der weltwirtschaftlichen Verflechtungen auf die Landwirtschaft entschieden ab. Er plädierte für einen »Landbau« in einem Staat, der sowohl den Gutsherrn als auch den Bauern als »ersten Bürger und Diener« des Gemeinwesens verstand. Müller war der Meinung, der »nationale Wiederaufbau« müsse belebt werden im Sinne eines »heiligen Bündnisses eines Volkes mit seinem Boden«.649 Auch dies entsprach Darrés agrarpolitischen Zielen, die im »Reichsnährstand und seiner Marktordnung« mehr als 100 Jahre später realisiert wurden. Aber Müller wurde von ihm ignoriert, weil er nicht rassenideologisch, sondern katholisch-konservativ argumentiert hatte. Gleichwohl haben sie alle, ohne dass sie auch nur im Traum daran gedacht hätten, im Bewusstsein der Menschen auf dem Lande den Boden für die Agrargesetzgebung des »Dritten Reiches« bereitet. Indem an die Tradition ihres Denkens angeknüpft werden konnte, konnte deren Akzeptanz befördert werden.650 Das italienische Wort stato für »Ordnung« oder »Zustand« wurde zwar in der Renaissance geprägt, ist in Deutschland als Kennzeichnung für ein politisches Gemeinwesen aber erst im 18. Jahrhundert heimisch geworden. Für Adam Müller, einen der Begründer der politischen Romantik in Deutschland, der sowohl im preußischen Berlin als auch im habsburgischen Wien gelebt hat, war der Staat die »höchste Form«, in der Menschen ihr Zusammenleben organisieren können. Für den konservativen Staatsphilosophen war der Staat ein Organismus, in dem alles zu allem naturhaft und der traditionellen Überlieferung entsprechend passen sollte. So befürwortete Adam Müller nicht nur die Monarchie als Staatsform, er trat auch für eine Wiederbelebung der Ständeordnung als Strukturprinzip von Wirtschaft und Gesellschaft ein.651 Seinem Ansehen verdankte es Darré auch, dass 1933 die Etablierung des »Reichsnähr648 Vgl. Heese/Siemsen, 2013 und Vogel, 1959, Bd. I, 116. Außerdem Frauendorfer, 1957, 332 f. und W. Conze, 1972, 419. 649 A. Müller, 1922  ; im Übrigen  : Wuthenow, 1975 und Hanisch, 1978. 650 Vgl. G. F. Knapp, Die Bauern-Befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens. Leipzig 1867  ; A. Trende, »Barthold Georg Niebuhr – ein Leben für das Bauerntum«, in  : Odal, 8/1939, 811 ff. und A. Müller, 1921, 71 ff. 651 Vgl. Tautscher, 1980 und Köhler, 1980.

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standes« (RNSt) innerhalb des totalitären NS-Staates möglich war und besonders bei katholisch geprägten Zeitgenossen Akzeptanz fand. Müller, der zum katholischen Glauben konvertiert war, hatte vehement gegen Materialismus, Individualismus und das moderne liberale Wirtschaftskonzept à la Adam Smith gefochten. Er trat dafür ein, Eigentum, d. h. auch Grundbesitz, an ethische und soziale Grundprinzipien zu binden. In Müllers Vorstellung sollte ein »autarker« Staat die individuelle Bedarfsdeckung dirigistisch organisieren. Die Politik bestimme den »gemeinen Nutzen« und die Landwirtschaft sei der Kern der Volkswirtschaft. Er sah »für die Erhaltung eines Staates […] die innere Bindung eines Volkes mit dem Boden, auf dem es lebt«, als unabdingbare Voraussetzung an. Kein Wunder, dass er ein strikter Gegner der Hardenbergschen Reformen in Preußen war  ; denn – so war er überzeugt – »am Ende« gebe es nur noch »Kaufleute, Handwerker und Juden.«652 Alle diese konservativen, antiliberalen Positionen vertrat, wie gezeigt wurde, auch Darré. Aber Adam Müller war kein »völkischer« Rassist. Auch der Historiker Barthold Georg Niebuhr (1776–1831), den Stein aus dem dänischen in den preußischen Staatsdienst geholt hatte, leitete aus seiner Kenntnis der römischen Geschichte ein Staatsideal ab, das einen »festangesessenen wohlhabenden Bauernstand« als »Stütze und Hauptkraft des Landes« vorsah. Friedrich List wollte 1842 sogar das Wort »Bauernstand« wegen seiner Konnotation mit Erniedrigung und Elend durch »Stand der Landwirte« ersetzen.653 Überhaupt waren diejenigen, die noch immer für »ständische« Eigenheiten und Abgrenzungen eintraten, gegen die »gleichmacherischen« Tendenzen allgemeiner staatsbürgerlicher Rechte eingestellt. Sie wollten zwar keine Restauration der feudalen, kastenmäßigen »Abschottung« der »Stände«, warben aber für eine Berücksichtigung besonderer zeit- und regionsbedingter Traditionen, Sitten und Lebensweisen. Sie alle, auf die Darré teils missbräuchlich, teils missverständlich zurückgriff und deren Positionen bei der Landbevölkerung tief verwurzelt waren, beriefen sich auf historische Autoritäten. Da waren die Physiokraten, etwa der französische Wirtschaftswissenschaftler und Leibarzt Ludwigs XV. François Quesnay, die im 18. Jahrhundert einen Staat beschrieben hatten, in dem das Wirtschaftsleben ohne Außenhandelsbeziehungen als »Blutkreislauf« eines menschlichen Körpers funktioniere. Nach dieser Theorie, die eine Gegenbewegung gegen den Dirigismus des merkantilistischen Staatsverständnisses war, ist es allein die Natur, die Werte hervorbringt. So sind Grund und Boden und die, die ihn bewirtschaften, allein für die Wertschöpfung in einem Staat von Bedeutung. Der Landwirtschaft als »classe productive«, gefolgt von den Grundbesitzern (Adel und Klerus) kam die höchste ökonomische und damit auch 652 A. Müller, 1921, 73 ff. und 1931. Außerdem W. Roscher, »Die romantische Schule der Nationalökonomie in Deutschland«, in  : Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1870, 51 ff. und Baxa, 1930. 653 List, Die Ackerverfassung, Schriften, Bd. 5, 478  ; vgl. auch Theo Sommerlad, »Friedrich List, ein deutscher Seher und Kämpfer«, in  : Odal, 5/1936, 437–446.

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politische Wertschätzung zu. Händler und Handwerker dagegen wurden als »classe stérile« beschrieben, also als unproduktiv, weil sie mit ihrer Arbeit keine neuen Werte hervorbrächten, sondern lediglich die Erzeugnisse der Bauern umformten oder transportierten.654 Auf eine solche Sichtweise zurückzugreifen tat zweifellos dem bäuerlichen Ego, seinem Selbstbewusstsein und, heute würde man sagen, seinem Image gut, ging aber an der Realität vorbei. Und die Abwertung von Handel und Handwerk war damals schon nicht mit den Tatsachen vereinbar, wie englische Ökonomen um Adam Smith bewiesen. Aber mit Hilfe des antisemitischen Vorurteils konnte sie wiederbelebt werden. Und die Aufwertung der Landwirtschaft kam auch all jenen zupass, die einen autarken, wirtschaftlich unabhängigen Staat anstrebten. Ihnen lieferte Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), der einflussreiche Erzieher zu nationaler Unabhängigkeit, mit seinem Geschlossenen Handelsstaat ein theoretisches Modell. Darin standen im Jahre 1800 Sätze wie  : »Die Erde ist des Herrn, des Menschen ist nur das Vermögen, sie zweckmäßig zu gebrauchen und zu benützen.« Fichte lehnte das merkantilistische Wirtschaftsdenken ab, weil es das eigene Land zulasten der anderen Handelspartner bevorteile. Er war aber auch gegen liberale Wirtschaftsgrundsätze, weil der Freihandel zum »Krieg zwischen Käufern und Verkäufern« führe. Um beides zu vermeiden, trat er für einen selbstgenügsamen Staat ein, der handelspolitisch ein geschlossenes Wirtschaftssystem darstellt. Eine solche »Autarkie« ließe sich natürlich am besten in großen Territorialstaaten verwirklichen, die, umgeben von natürlichen Grenzen, alle ökonomischen Bedürfnisse der Bevölkerung aus eigener Kraft befriedigen können. Fichte glaubte, dass es in einer solchen internationalen Ordnung saturierter Staaten, die sich ihren jeweiligen Besitzstand gegenseitig garantieren, keinen Konkurrenzkampf mehr gäbe. Und für die Abschaffung von Kriegen seien auch Opfer wie die Einschränkung der Reisefreiheit und der Verzicht auf unerfüllbare Konsumwünsche durchaus zu rechtfertigen, meinte Fichte.655 Eigentum am Boden im liberalen Sinne gab es in dem System Fichtes nicht, sondern nur eine Art Belehnung, so wie Darré den »Erbhof« nicht als persönlichen Besitz verstand, sondern als staatliches Lehen, das  – nun aber anders als bei Fichte  – zur »Hege« einer »Sippe« der »nordischen« bzw. »arischen Rasse« dienen sollte. Wie die Physiokraten, so war auch Fichte der Meinung, dem Ackerbau gehöre der erste Platz im Gefüge der Wirtschaft, dem alles andere unterzuordnen sei. Im Übrigen vertrat Fichte in seinem Modell eines »geschlossenen Handelsstaates« ein Staatsverständnis, das perfekt zum Nationalismus passte, in dem die politische Willensbildung von oben nach unten verläuft und die Produktion und die Distribution von Waren dirigistisch organisiert ist. Es ist ein Staat der Bevormundung und der Kontrolle, eine »Utopie staatssozialistischen Charakters« (Frauendorfer). Entscheidend und Voraussetzung 654 Vgl. Immler, 1985, Bd. 2 und Holub, 2006. 655 Vgl. Fichte, 1800 und 1977.

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dafür waren die Ablehnung internationaler Handelsbeziehungen und damit verbundene Wohlstandsbeschränkungen.656 Industrialisierung, »Landflucht« und Urbanisierung

Es war der Nationalökonom Georg Hanssen (1809–1894), der 1889 erstmals publikumswirksam auf die große bevölkerungspolitische Bedeutung des Bauerntums hinwies. Es seien die »Grundbesitzer«, die sowohl das Bürgertum als auch die Arbeiter in den Städten »fortwährend erneuern und ersetzen« würden, stellte der »eigentliche Ahnherr der deutschen Agrargeschichte« (Frauendorfer), geprägt von den Verhältnissen in seiner Heimat Schleswig und Holstein mit ihren kulturellen und politischen Bindungen an Dänemark, fest. Damit, durch seine »überschüssige Lebenskraft«, erhielt das Land in den Augen Hanssens, auch nationalpolitisch, nicht nur ernährungswirtschaftlich, eine deutlich herausgehobene Bedeutung. 1922 war der Geburtenüberschuss in Preußen auf dem Land noch mehr als doppelt so groß wie in der Stadt (12,5 gegenüber 5). In Berlin war er 1924 sogar mit minus 4,5 rückläufig.657 Das kam dem »völkischen« Zeitgeist am Ende des 19.  Jahrhunderts entgegen und konnte von Darré aufgegriffen werden, um seine rassistische Akzentuierung des Themas zu verschleiern. Aus dem »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse« konnte propagandistisch ohne Umschweife das »Bauerntum als Blutsquelle des Volkes« gemacht werden. Es galt, wie Darré es 1932 formulierte, die Landwirtschaft »wieder menschenreich [zu] machen«.658 Hanssens Hinweis auf eine bevölkerungspolitische Bedeutung des Bauerntums tat dem gefährdeten Selbstbewusstsein der Landbevölkerung gut und förderte die Interessenvertretung des Landvolks – hier konnte auch Darré anknüpfen. Aber Hanssens »überschüssige Lebenskraft« des Landes war eher Wunsch als Wirklichkeit. Zwar gab es nach der Bauernbefreiung zu Beginn des 19. Jahrhunderts dort einen erheblichen Arbeitskräftezuwachs, aber viele der freigesetzten Kleinbauern verließen bald ihre bisherige Heimat in Richtung Stadt oder Übersee, weil sie dort eine Zukunftsperspektive sahen und, vor allem, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen vorfanden. Dieser »Sog in die Städte« (Frauendorfer), den man – in Analogie zur »Fahnenflucht« – abwertend »Landflucht« nannte, wurde durch die fortschreitende Industrialisierung noch verstärkt.659 1871 lebten im Deutschen Reich nur etwa zwei Millionen Menschen in Großstädten, 1910 waren es etwa 14 Millionen. Die Zahl der Städte über 100.000 Einwohner versechsfachte sich in 40 Jahren von 1871 = 8 auf 1910 = 48. Während sich die Ge656 Vgl. den Artikel über Fichte von Iring Fetscher, 1986, 174 ff. sowie Batscha, 1970 und Kühn, 2012. 657 Hanssen, 1889, 31 und 1880/1884 sowie August Skalweit, Georg Hanssen (1809–1894). Ein Zeit- und Lebensbild. Breslau 1930  ; Frauendorfer, 1957, 433 ff. und W. Conze, 1972, 436 f. 658 Darré, »Wir haben kein ›positives‹ Wirtschaftsprogramm«, Mai 1932, in  : Darré, BuB, 1941, 353. 659 Vgl. Frauendorfer, 1957, 386 f. sowie Hanisch, 1978 und Quante, 1933.

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samtbevölkerung in Deutschland zwischen 1800 und 1900 etwa verdoppelte, nahm der Anteil der Landbevölkerung rapide ab  : Zu Beginn des 19.  Jahrhundert betrug er ca. 90 Prozent, zum Ende hin war er auf 50 Prozent gesunken und 1910 waren es weniger als 30 Prozent. Die Auswanderung insbesondere aus den Realteilungsgebieten West- und Süddeutschlands nach den USA oder nach Kanada schwoll insbesondere in den 1880er Jahren an, weil sie durch die damalige Agrarkrise noch verstärkt wurde. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die ländliche Sozialstruktur schon grundlegend und dramatisch verändert und diese Entwicklung setzte sich beschleunigt bis zur Jahrhundertwende fort. Die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung gab dem durch die Hardenbergschen Reformen in Gang gebrachten Prozess noch einen besonders kräftigen Schub.660 Dieser Bedeutungsverlust der Landwirtschaft wird auch durch ihren immer weiter schrumpfenden Anteil an den Erwerbstätigen verdeutlicht  : von 51,5 Prozent 1867 über 50 Prozent 1870 und 42 Prozent 1895 auf etwa 35 Prozent 1913. Demgegenüber stieg der Erwerbstätigenanteil des »sekundären Sektors« (Industrie, Handwerk, Bergbau) im gleichen Zeitraum von 27,1 Prozent auf 37, 8 Prozent und der des »tertiären Sektors« (Verkehr, Handel, Dienstleistungen) von 21,4 Prozent auf 27,6 Prozent. 1907 hatte der tertiäre Sektor bei der Zahl der Beschäftigten den Agrarsektor überholt. Während die Landwirtschaft zwischen 1867 und 1913 bei den Beschäftigten nur um 28,4 Prozent zulegte, waren es bei Handel und Dienstleistungen 147,2 Prozent und bei der Industrie sogar 167,6 Prozent. Zwischen der Jahrhundertwende und 1913 stieg zwar die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten um eine Million auf 10,7 Millionen, gleichwohl sank ihr Anteil an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen um etwa 20 Prozent. Und auch der Anteil des »primären Sektors« der Wirtschaft (Landwirtschaft, Forsten, Fischerei) am Nettoinlandsprodukt sank von ca. 46 Prozent im Jahre 1850 über 38 Prozent 1874 und 23,4 Prozent 1913 auf ca. 20 Prozent im Jahre 1933. Alle zeitgenössischen politischen Kräfte wollten diesen bevölkerungspolitischenTrend im Zuge eines rapide fortschreitenden Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft stoppen. Folgeerscheinungen der Industrialisierung waren aber nicht nur eine Strukturverlagerung in der Wirtschaft, sondern auch »Landflucht« und Urbanisierung, Arbeitskräftmangel und Bedeutungsverlust für die Landwirtschaft.661 Dass damit ein Modernisierungseffekt auch im Agrarbereich einherging, etwa Erleichterung in den Arbeitsabläufen und Produktionssteigerung, wurde von den Protagonisten konservativen Denkens schlicht übersehen. Der Wunsch nach Selbstversorgung (Autarkie) in der Nahrungsmittelversorgung geisterte durch die Reihen der um nationale Selbstständigkeit Besorgten. Nicht nur in den landwirtschaftlichen Interessenvertretungen wurden Reagrarisierungsutopien artikuliert, der Ruf »Zurück zum Agrarstaat« 660 Vgl. Nipperdey, 2013a, Bd. I, 192 ff.; Matzerath, 1985 und Rolfes, 1976, 753. 661 Über die zeitgenössische Aufarbeitung der »Landarbeiterfrage« in und vor den 1890er Jahren vgl. Achilles, 1996, 77 ff.

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erscholl auch außerhalb der Agrarlobby. Der Nationalökonom Werner Sombart z. B. plädierte 1932 für eine »Zähmung der Technik« auch in der Landwirtschaft, was einer Ablehnung von Traktoren, Selbstbindern und Motorpflügen gleichkam. Das ging selbst Darré zu weit, der später unter dem Diktat der notwendigen Produktionssteigerungen einen stärkeren Maschineneinsatz in der Landwirtschaft befürworten musste  : »Ohne verstärkten Maschineneinsatz keine Leistungssteigerung  !«, war die Losung des RNSt in den jährlichen »Erzeugungsschlachten« ab 1935. Selbst in der Zeit nach 1945, in der Bauernhöfe gefördert und »Agrarfabriken« (Günther Pacyna) abgelehnt wurden, war eine Modernisierung der agrarischen Produktionsmethoden unvermeidbar.662 Einflussreicher als technikfeindliche Argumente waren die bevölkerungspolitischen Hinweise. Das war das Arbeitsfeld von Friedrich Burgdörfer (1890–1967), der die Forderung nach Reagrarisierung Deutschlands am nachhaltigsten beeinflusste. Er forderte, den ländlichen Bevölkerungsanteil »möglichst vollständig auf dem Land festzuhalten, ihn in der Scholle zu verwurzeln«, und lehnte die Forderung Sombarts als »verhängnisvoll« ab. Burgdörfer war auf einem Bauernhof in der Nähe von Kaiserslautern aufgewachsen. Nach einer praktischen Ausbildung im Bayerischen Statistischen Landesamt studierte er Staatswissenschaften in München und promovierte 1916, weil er als Kriegsfreiwilliger schon 1914 schwer verwundet worden war. Als Mitglied einer »Kommission zur Beratung von Fragen der Erhaltung und Vermehrung der Volkskraft« geriet er schon 1918 in die Nähe gesundheitspolitischer Aktivitäten. 1925 war Burgdörfer an der Volkszählung beteiligt, die erstmals in Deutschland die körperlich und geistig Behinderten erfasste. Sein eigentliches Arbeitsgebiet seit 1921 war aber am Statistischen Reichsamt in Berlin die Bevölkerungsstatistik. Burgdörfer fielen die Verwerfungen im demographischen Aufbau der Bevölkerung auf, die eine zuverlässige Prognose der Fortpflanzungsraten immer schwerer machte. Schließlich war schon Robert Malthus mit seiner Theorie einer zu erwartenden Überbevölkerung der Erde von 1798 (An Essay on the Principle of Population) widerlegt worden. Demographie wurde Burgdörfers Lebensthema und die Grundlage für seine Karriere im »Dritten Reich«. Hinzu kamen sein außerordentlicher Arbeitseifer und seine Produktivität sowie seine Fähigkeit, sich an die Zeitumstände anzupassen. 1937 erhielt er eine Honorarprofessur in Berlin, 1939 wechselte er nach München und wurde auch Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes.663

662 W. Sombart, Die Zukunft des Kapitalismus. Berlin 1932 und Appell des RBF am 12.12.1937 im Rundfunk  : »Erzeugungsschlacht und Ernährungswirtschaft. Der Reichsbauernführer an das Landvolk«. Vgl. auch das Lob, das W. Sombart (Deutscher Sozialismus. Berlin 1934, 264 und 293 ff.) Darrés Agrargesetzgebung zollt. Er nannte die Sicherung des Bodens für die Bauern im REG »Auflandung« (nicht Reagrarisierung) und hoffte, dass Arbeiter und Kapitalisten als Hauptträger der Volkswirtschaft durch Bauern und Handwerker abgelöst würden. 663 Burgdörfer, 1929, 1932, 1933 und 1933a (Zitate, 95 ff.) sowie Bryant, 2010. 1949 nahm er seine Tätigkeit an der Universität München im Bereich Statistik und Bevölkerungspolitik wieder auf.

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Burgdörfer plädierte  – immer auf der Grundlage statistischen Materials  – nicht nur für eine Rückkehr aufs Land, sondern für eine konsequente Ansiedlung im Osten als Damm gegen die »slawische Flut«. Er legte den Finger auf die zu niedrigen Geburtenraten in den Städten, die er als »Saugpumpen« für die immer noch gebärfreudigere Landbevölkerung ansah. Zwar musste auch Burgdörfer feststellen, dass die Geburtenrate auf dem Lande immer mehr zurückging, sie war aber immer noch größer als in der Stadt. Zusammen mit der »Landflucht« werde aber – so Burgdörfer – die Landbevölkerung derart geschwächt, dass von dort her kein Ausgleich des Bevölkerungsschwundes in der Stadt mehr zu erwarten sei. Sein Buch Zurück zum Agrarstaat  ? Stadt und Land in volksbiologischer Betrachtung von 1933 war ein von der FriedrichList-Gesellschaft in Auftrag gegebenes Gutachten. Selbstverständlich zog auch Darré aus den Forschungen und Publikationen Burgdörfers rassenideologischen Gewinn. Der Agrarexperte der NSDAP sprach von »Bauernvernichtungen im 19. Jahrhundert« und von der »Unfruchtbarkeitsmaschine, genannt Stadt«. Er nannte die Stadt ein »rein schmarotzendes Gebilde«, das er immer mit »Nomadentum« in Verbindung brachte. Er nannte das »Germanentum« eine »Siedlerrasse« und stellte ihm das »Judentum polar gegenüber«. Er sah »die Erfahrungstatsache der deutschen Geschichte« bestätigt, »daß die in eine Stadt verziehenden germanischen Geschlechter sehr bald aussterben, während die auf dem Land verbleibenden Seitenzweige ungeschwächt fortblühen«. Und »diesen verhängnisvollen Einfluß der Stadt auf das germanische Geschlecht« machte er dann gleich zu einem »Gesetz von der Schädlichkeit der Stadt für den Germanen.«664 Protektionismus und Selbsthilfeaktivitäten

Trotz aller durch den Selbstbehauptungswillen der Bauern motivierten Fortschritte in der Modernisierung und Rationalisierung der Produktionsverhältnisse, trotz der besseren Verkehrserschließung des Landes durch den Eisenbahn- und Straßenbau, trotz verbesserter Konservierungs- und Absatzbedingungen etwa bei Milch und Milchprodukten in Molkereien – die Rentabilität der Landwirtschaft nahm kontinuierlich ab. Und das, obwohl der Kunstdüngerverbrauch um ein Vielfaches anstieg, Fortschritte bei der Mechanisierung der Bodenbearbeitung und der Verarbeitungsprozesse stattfanden, eine Ausweitung der Acker- und Wiesenflächen sowie eine Intensivierung der Bodennutzung und eine qualitative Verbesserung des Saatgutes einen Zuwachs bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln herbeiführten. Dass diese Steigerung der Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft, die sich auch in höheren Hektarerträgen niederschlug, nicht zur Verbesserung ihrer Rentabilität führte, hing mit den immer höheren Kosten der Nahrungsmittelproduktion, mangelndem 664 Darré, Bauerntum, 1929, 78 f.; Darré, EuW, 1940, 129 (Aufsatz März 1930)  ; Darré, BuB, 1941, 17 f. (Rede Juni 1930) und 55 (Vortrag Januar 1931).

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Investitions- und Betriebskapital, mit der steigenden Bevölkerungszahl und dem Anstieg des Lebensstandards in den städtischen Industriegebieten zusammen. Allein der Fleischverbrauch  – ein wichtiger Indikator des Lebensstandards im damaligen Deutschland  – stieg zwischen 1871 und 1913 um gut zwei Drittel  : von 25,2 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung auf 42,1 Kilogramm. Schon im Kaiserreich konnte die deutsche Landwirtschaft den steigenden Nahrungsmittelbedarf nicht decken. Hinzu kam ein Preisverfall durch den Druck ausländischer Konkurrenz insbesondere auf dem Getreidemarkt. Immerhin wurde in Deutschland auf ca. 32 Prozent der Ackerfläche Getreide angebaut. Außerdem hing die Rentabilität der Landwirtschaft neben den genannten Faktoren auch von den Handelsbedingungen ab.665 In der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts wurde der Warenaustausch über die Grenzen hinweg nur geringfügig durch Zölle beeinträchtigt. Das entsprach durchaus den Interessen der Großgrundbesitzer im preußischen Osten, denn sie wollten ihre Überschussprodukte über die Ostseehäfen in den Westen bringen, ohne die Abnehmer mit deutschen Einfuhrzöllen für ihre Produkte zu sehr zu ärgern. Noch 1847 hatte Bismarck einen »freien Handel« als durchaus im Interesse der Landwirtschaft bezeichnet.666 Als sich der Gründerkrise von 1873 eine schwere Agrarkrise anschloss, änderte sich die Lage vollkommen. Aus Russland bzw. der Ukraine und den USA wurde nun Getreide zu Preisen auf den Weltmarkt gebracht, mit denen die deutschen Produzenten nicht konkurrieren konnten. Das hing auch mit den enorm gesunkenen Transportkosten durch die Revolution im Verkehrswesen durch Dampfschiff und Eisenbahn zusammen. Dies führte in Deutschland zur handelspolitischen Wende des Jahres 1879. Durch Eisen- und Getreidezölle sollten einheimische Produzenten vor der ausländischen Konkurrenz geschützt werden. Das hatte für den Zentralstaat den Vorteil länderunabhängiger Einnahmen, für die Verbraucher aber erhöhten sich die Lebenshaltungskosten. Man sprach damals von einem Bündnis der »Schlotbarone und Junker«. Bis 1890 hat sich der Zollschutz von 5 Prozent des Wertes von 1880 auf 46 Prozent für Roggen und 33 Prozent für Weizen erhöht. Diese protektionistische Steigerung sollte unter der Ägide des Reichskanzlers Caprivi durch entsprechende Handelsverträge in den frühen 1890er Jahren korrigiert werden. Der Preis für Getreide sank immerhin um etwa 30 Prozent. Das führte nicht nur zu einem geballten Protest der Betroffenen, der 1893 in die Gründung des Interessenverbandes des »Bundes der Landwirte« (BdL) mündete.667 Auch Darré wurde später nicht müde, Caprivi als Sündenbock in der neuen Agrarkrise an den Pranger zu stellen. Während in dieser Zeit in Großbri665 Vgl. Mütter/Meyer, 1995 und Wottawa, 1985, 12 ff. und 21 ff. sowie Achilles, 1993. 666 Vgl. Kempter, 1985 und den Vortrag von Knut Borchardt »Warum geht wissenschaftlicher Rat ins Leere  ? Das Beispiel des Protektionismus« auf der Jahresversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1987 in Berlin  : forschung – Mitteilungen der DFG 3/87, III. 667 Stürmer, 1970, 154 ff.; Stegmann, »Wirtschaft und Politik nach Bismarcks Sturz«, in  : I. Geiss/B. J. Wendt (Hg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Fs. Fritz Fischer. Düsseldorf 1973, 161 ff. und Corni/Gies, 1997, 47 ff.

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tannien und Dänemark ein schmerzhafter Anpassungsprozess an die veränderte Lage einsetzte, wurde in Deutschland eine Behebung der Strukturprobleme in der Landwirtschaft vermieden – mit schlimmen Folgen. Die um die Jahrhundertwende einsetzende Grundsatzdebatte um eine »Reagrarisierung« begleitete die Wirtschaftspolitik im gesamten 20. Jahrhundert  : Sollte das Reich in Zukunft ein »Agrarstaat« oder ein »Industriestaat« sein  ?, wurde gefragt. Als ob man zwischen diesen Extremen hätte wählen müssen. Da wurden wehrpolitische, strategische, volkshygienische, kulturphilosophische, sozialpolitische Gesichtspunkte aller Art eingebracht. Es ging verhältnismäßig wenig um die Geltung dieser oder jener Theorie, sondern um Präferenzen, ja geradezu um absolute Werte, Gewissensfragen, die bekanntlich nicht kompromissfähig sind. Man denunzierte sich gegenseitig als »Wachstumsfanatiker«, die um des Profits willen über die Auswirkungen auf Natur und Kultur hinwegsehen, und als Verteidiger des politischen und ökonomischen Status quo, als »Agrarromantiker«, die blind den möglichen Wohlstand der Massen aufs Spiel setzen und die veränderte Weltlage nicht wahrnehmen wollen. Auch Darré wurde später – etwa von Goebbels – mit diesem Vorwurf, er sei ein »Romantiker«, belegt. Bei der dritten großen Agrarkrise ab 1929 fiel der Politik das Problem ›Protektionismus oder Freihandel‹ wieder auf die Füße, das den Streit der Minister Darré (Landwirtschaft) und Schacht (Wirtschaft) Mitte der 1930er Jahren vorwegnahm. Am 5. Januar 1933 drohte Landwirtschaftsminister Freiherr von Braun seinen Rücktritt für den Fall an, dass Wirtschaftsminister Warmbold weiter die beschlossenen Zollerhöhungen für Agrarprodukte »hintertreibe«. Hier ging es nicht mehr nur um Getreide, sondern auch um die »bäuerliche Veredelungswirtschaft«, genauer um »die katastrophale Lage auf dem Buttermarkt«.668 Auch die »Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft« (DLG), die 1885 von Max Eyth gegründet wurde, um die Bauern durch Beratung und Fortbildung zu fördern, konnte am zunehmenden Bedeutungsverlust der Landwirtschaft nichts ändern. Der Maschinenbau-Ingenieur Max Eyth (1836–1906) kam aus der schwäbischen Provinz und sammelte Berufserfahrung in einer Fabrik in England, die Dampfmaschinenpflüge herstellte. So erhielt die DLG die Aufgabe, die Technisierung und Mechanisierung der landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnisse und Produktionsprozesse zu fördern, was sie bis heute tut. Weil die DLG im Februar ihre Jahrestagung in Berlin abhielt, wurde dort 1926 zur gleichen Jahreszeit erstmals die »Grüne Woche« durchgeführt, die seitdem jährlich stattfindet. Sie war – wie es auf einem Werbeplakat 1926 hieß – eine Messe »für den Bedarf der Landwirtschaft und verwandter Betriebe« und eine für den Leistungsstand der Landwirtschaft repräsentative Ausstellung zugleich. Unter der Ägide Darrés wurde die »Grüne Woche« zu einer Propagandaveranstaltung für die »Blut-und-Boden«-Ideologie. Ihr Symbol waren zwei Ähren, die auch wieder im Logo 668 Ebd., V (Zitat Borchardt) und BA, R II/193, Bl. 16 ff.

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des »Reichsnährstandes« als Symbol auftauchten, dort allerdings wurde eine Äre durch ein Schwert ersetzt.669 Und dann gab es, neben unzähligen Fachvereinigungen wie z. B. für die Zuckeroder die Spirituosenfabrikation, die Tierzucht und die Schweinemast, noch die »Landwirtschaftskammern« (LKn), die aus regionalen Vereinen (in Preußen seit 1842 das »Landesökonomiekollegium«) hervorgingen. Sie nahmen hoheitliche Aufgaben in der Agrarverwaltung und -administration wahr und waren öffentlich-rechtliche Körperschaften mit einer obligatorischen Mitgliedschaft aller in der Landwirtschaft Tätigen. Ihre Aufgaben waren vielfältig, oft wurden sie auch für die Verwirklichung staatlicher Interessen instrumentalisiert, wie Darré 1928/29 in Ostpreußen feststellen konnte, als er im Hinblick auf die besonderen Beziehungen Deutschlands zu den neu entstandenen baltischen Staaten zwischen die Räder des Reichs- und des preußischen Landwirtschaftsministeriums einerseits und der ostpreußischen LK mit ihrer Ein- und Ausfuhrgesellschaft »Außenost« andererseits geriet. Schon 1931 sah Darré die LKn als »Vorstufen für den berufsständischen Aufbau des Staates« an und sie wurden 1933 die Legitimation für den Status des RNSt.670 Der damalige Präsident der LK in Königsberg, Ernst Brandes, war Mitglied und in den frühen 1930er Jahren Präsident des 1872 gegründeten »Deutschen Landwirtschaftsrates« (DLR), der als Spitze der gesetzlichen landwirtschaftlichen Berufsvertretungen die regionalen LKn als partei- und verbandsunabhängige Institution in Berlin gegenüber der Reichsregierung vertrat. Diese lobbyistische Konstruktion war insbesondere nach der Gründung des BdL 1894 von Bedeutung, als es galt, dessen regierungskritische Politik glaubwürdiger und damit effizient zu ergänzen. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges bestand der DLR aus 74 Persönlichkeiten, 25 davon aus Preußen. Sein Präsident hatte jederzeit Zugang zum Reichskanzler. In der Weimarer Republik kam dem DLR angesichts der Vielfalt sowie der interessen- und allgemeinpolitischen Zerstrittenheit der deutschen Landwirtschaft eine zunehmend wichtigere, weil glaubwürdig unabhängige Rolle zu. 1929 bildete der DLR zusammen mit den anderen Bauernverbänden und Bauernvereinen die »Grüne Front«. Sie alle wurden 1933 in den RNSt übernommen, in dem sich – insbesondere in der von ihm beherrschten »Marktordnung« – viele Elemente landwirtschaftlicher Interessenpolitik, wie sie sich im Industriezeitalter entwickelt hatten, wiederfanden.671 Es dauerte lange, bis sich die Bauern darauf besonnen hatten, die für sie ungünstigen Rahmenbedingungen durch Selbsthilfemaßnahmen auszugleichen.672 Wichtige Protagonisten dieser Bewegung waren Hermann Schulze-Delitzsch, Wilhelm Haas 669 Vgl. Eyth, 1899 und Theisen, 2006. 670 SRs. Darrés, August 1931, zu den LK-Wahlen als »politischen Wahlen« (StAG, NLD, Nr. 142). 671 Zu den Größenverhältnissen  : Der RLB hatte ca. 1,7 Millionen Mitglieder, die Bauernvereine 560.000, die »Deutsche Bauernschaft« 60.000, die »Freie Bauernschaft« 40.000 und der kommunistische Bauernbund 10.000 Mitglieder. Vgl. H. Neumann, 1928  ; W. Peters, 1932 und Kretschmar, 1933. 672 E. Klein, 1973 und Achilles, 1993.

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und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, die aber nicht aus der Landwirtschaft kamen, sondern aus gutbürgerlichen Elternhäusern. Sie wuchsen allerdings im ländlichen Raum auf, kannten deshalb die Sorgen und Nöte der Menschen dort aus eigenem Erleben. Sie führten in Deutschland das Genossenschaftswesen ein, das die Zurückdrängung des Zwischenhandels durch Direktvermarktung anstrebte. 1883 gab es 1050 landwirtschaftliche Genossenschaften, 1914 waren es schon 28.318 und 1930 gab es knapp 40.000 mit mehr als vier Millionen Genossenschaftsmitgliedern in Deutschland. Sie wurden, einschließlich ihres Dachverbandes, des »Reichsverbands der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen«, von Darré in den RNSt überführt.673 Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) war unter den Gründervätern des sozialreformerischen Genossenschaftswesens in Deutschland der Protagonist der gewerblich orientierten Richtung. Er war zu der Erkenntnis gelangt, dass Landwirtschaft und Gewerbe im Vergleich zur Industrie nur durch genossenschaftlich organisierte Zusammenschlüsse bestehen könnten. Das machte er zu seiner Lebensaufgabe. Er propagierte und schuf Spar- und Konsumvereine sowie Handelsgenossenschaften. Die heutigen Volksbanken gehen auf seine Initiative zurück. Als Mitbegründer der »Deutschen Fortschrittspartei« und Mitglied des Deutschen Reichstags gelang es ihm zusammen mit Wilhelm Haas (DNVP), 1889 ein Genossenschaftsgesetz zu etablieren, das dieser Idee der Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Unabhängigkeit von staatlicher Förderung eine rechtliche Grundlage verschaffte.674 Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888), ebenfalls Sohn eines Bürgermeisters, wuchs im westfälischen Hamm auf, war kurzzeitig in der preußischen Armee, dann in der rheinischen Kommunalpolitik tätig. Der überzeugte evangelische Christ, der nach dem Bibelwort von der Nächstenliebe als »Christenpflicht« lebte, wurde durch die Hungersnot 1846 zu seinen genossenschaftlichen Aktivitäten motiviert. Er gründete einen »Brotverein« und weitere landwirtschaftliche »Hilfsvereine« in seiner Heimatregion im Westerwald, um im Falle von Missernten den Bauern Geld zum Ankauf von Vieh und Gerätschaften zur Verfügung zu stellen. Mit solchen »Darlehenskassenvereinen« wurde Raiffeisen zum Begründer der später nach ihm benannten landwirtschaftlichen Genossenschaftsbanken. Als Zusammenschluss der vielen örtlichen und regionalen Institute, die mit Krediten den Einkauf von Saatgut, Düngemitteln und Maschinen ermöglichten, fungierte der »Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband«. Mindestens sieben Mitglieder konnten eine Genossenschaft gründen. Neben »Darlehenskassen« gab es z. B. auch Milch- bzw. Molkerei-, Tierzucht- und Schweinemastgenossenschaften. Sie hatten die Aufgabe, nicht nur den Einkauf landwirtschaftlicher Produktionsmittel zu ermöglichen, sondern auch den Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu bewerkstelligen. Nach dem Motto 673 Faust, 1977 und Bludau, 1968. 674 Vgl. Raiffeisen, 1866  ; Arnold/Lamparter, 1985  ; Faust, 1977 und Hainbuch/Tennstedt, 2010, 145 f.

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»Einer für alle, alle für einen  !« hafteten alle gemeinsam etwa bei der Vorfinanzierung der Kosten und ihrer Verrechnung mit den Einnahmen aus dem Ernteertrag. Der dritte Gründervater des deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens war Wilhelm Haas (1839–1913). 1872 hatte er im hessischen Friedberg eine landwirtschaftliche Bezugsgenossenschaft gegründet und seit 1883 stand er als Präsident an der Spitze der »Vereinigung«, ab 1903 »Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften«. Ende der 1920er Jahre gelang es unter Vermittlung des Präsidenten der »Preußischen Zentralgenossenschaftskasse« Otto Klepper, beide großen Genossenschaften – »Reichsverband« und »Raiffeisen« – zum »Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften  – Raiffeisen« zusammenzuschließen. Zum Vorsitzenden wurde Andreas Hermes gewählt. In einer Stellungnahme der Reichskanzlei zu einer seiner Eingaben hieß es 1931 zur Notlage der Landwirtschaft treffend  : Der Staat kann diese Mängel nicht durch zwangswirtschaftliche Maßnahmen beseitigen, wenn er nicht die Initiative der einzelnen Berufsstände weiter lähmen will. Die Not muß eben in dieser Richtung der Lehrmeister sein und kann nicht überall Stützungen durch die Staatsgewalt zur Folge haben. […] Die Grundeinstellung erheblicher Teile der Landwirtschaft gegen die Regierung und ihr Bestreben, alle Schuld an ihrem Niedergang behördlichen Unterlassungen und Maßnahmen zuzuschreiben und entsprechend Forderungen zu stellen, […] ist ein starkes Hemmnis gegen wirklich durchgreifende und umfassende Selbsthilfe.675

Neben den Genossenschaften, deren Aufgaben hauptsächlich Kredithilfen und der Landhandel waren, gab es unzählige Vereine und Vereinigungen auf dem Land, die für sozialen Zusammenhalt, Beratung und Fortbildung in allen Fragen der Modernisierung sorgen und zur Verbreitung neuen Wissens und Könnens – etwa in Winterschulen – beitragen sollten. 1862 gründete beispielsweise der westfälische Adlige Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst (1825–1895) den »Westfälischen Bauernverein«. Er hatte als Sohn eines Rittergutsbesitzers, der, weil nachgeboren, preußischer Offizier geworden war, erlebt, wie Bauern, Kleinbauern und Heuerlinge in der Revolutionszeit 1848 Adelssitze gestürmt hatten. Nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst 1852 engagierte er sich, von katholischem und altständischem Denken geprägt, im ländlichen Genossenschaftswesen. In der Denkschrift, die zur Gründung eines Bauernvereins in Wettringen 1862 führte, wird seine antidemokratische, antiliberale und antikapitalistische Haltung deutlich  : Er wolle, so formulierte er es, »den Bauernstand in einer auf religiöser Grundlage basierende Korporation zusammenfassen, und damit zugleich den weiteren Zweck erreichen, dem Gift und Despotismus der modernen sogenannten Freiheit einen neuen, gesunden Organismus entgegenzustellen.« 675 BA, R 43 I, /1298, Bl. 147. Vgl. auch Frauendorfer, 1957, 353 ff.; Puhle, 1975  ; Faust, 1977, 420 f. und M. Klein, 1999.

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Schorlemer, selbst Adliger, prägte den Satz »Ein westfälischer Bauer fühlt sich besser als irgendein Freiherr  !«  – und nahm damit Darrés Einschätzung vorweg, allerdings ohne dessen rassenideologischen Hintersinn. Auch Schorlemers Beschreibung des Verhältnisses des Adels und der Bauern zum Boden war kaum zu widersprechen  : Ohne Grundbesitz sei Adel bloß ein Titel, der vergänglich sei. Noch bedeutsamer sei der Boden für den Bauern, war der westfälische Freiherr überzeugt  ; denn ohne Grundbesitz gebe es keine Bauern. Letztlich ging es Schorlemer um die Förderung der Besitzer mittelgroßer Bauernhöfe, aber nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und wirtschaftlichen Interessen. Schon die Zersplitterung der Höfe in den Realteilungsgebieten drohe, so war Schorlemer überzeugt, den Bauernstand ins »Proletarierelend« zu stürzen. 1871 wurden alle bis dahin entstandenen örtlichen Bauernvereine im »Westfälischen Bauernverein« zusammengefasst. Von 1874 bis 1885 saß Schorlemer, natürlich für das katholische »Zentrum«, im Reichstag in Berlin.676 In Hessen war es Otto Böckel, der durch seine Agitation in zahllosen Versammlungen und Kundgebungen zwischen 1885 und 1894 eine Bauernbewegung in Gang brachte, die mit Hilfe eigener Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften jüdische Geldverleiher und Viehhändler ausschalten wollte. Der promovierte Bibliothekar, der sich mit bäuerlicher Alltagskultur und dem Volkslied beschäftigte, wurde als »hessischer Bauernkönig« von 1887 bis 1903 im Wahlkreis Marburg mehrfach direkt in den Reichstag gewählt. Sein 1890 gegründeter »Mitteldeutscher Bauernverein« trat grundsätzlich für die Abschaffung des Finanzkapitalismus (Wucherzinsen, Handelsspannen, Bodenspekulation) ein – aus vorwiegend antisemitischen Gründen. Über den BdL und den RLB wurde Böckels Phobie gegen alles Jüdische bis in die 1930er Jahre tradiert. Darré konnte daran anknüpfen, als es darum ging, mit der »Marktordnung des Reichsnährstandes« den Zwischenhandel in der Ernährungswirtschaft einzuschränken.677 Die Zersplitterung des landwirtschaftlichen Verbandswesens, die den Ruf nach »Einheit« schon lange provoziert hatte und die Sehnsucht nach straffer Führung und effektiverer Interessenvertretung immer größer werden ließ, je mehr die Krisenstimmung um sich griff, war konfessionell, regional und spartenspezifisch begründet. Sie erklärt die Hoffnungen, die in den 1920er Jahren und zu Beginn der 1930er Jahre in alle Initiativen gesetzt wurden, Zusammenschlüsse einzelner landwirtschaftlicher Organisationen zustande zu bringen. Am bekanntesten sind die »Reichsbauernfront« oder auch »Grüne Front« und die »Einheitsfront des deutschen Bauerntums« oder »Reichführergemeinschaft des deutschen Bauerntums«, an deren Spitze Darré im Frühjahr 1933 gelangte. Aber die Tendenz, die Kräfte zu bündeln, gab es schon früher. Nach der Jahrhundertwende wurden alle regionalen katholischen Bauernvereine, die vornehmlich im Rheinland, in Westfalen, in Schlesien und in Bayern entstan676 Vgl. Jacobs, 1957 (Zitat Schorlemer  : 19 f.) und Wenger, 1997  ; Barmeyer, 1971. 677 Schmahl/Seipel, (1933).

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den waren, in der »Vereinigung der deutschen Bauernvereine« zusammengefasst, einer Dachorganisation, die sich 1931 treffender in »Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine« umbenannte und dem »Zentrum« nahestand. Hermes war auch seit 1928 Präsident des »Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften« und fusionierte ihn 1930 mit dem »Generalverband« zum »Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften  – Raiffeisen«. Beide Organisationen – die »christlichen Bauernvereine« und die Genossenschaften – fielen 1933 dem RNSt zum Opfer. Andreas Hermes (1878–1964) stammte aus kleinen Verhältnissen im bürgerlichkatholischen Milieu Kölns, hatte Landwirtschaft in Bonn-Poppelsdorf studiert und mit einer Dissertation über die Fruchtfolge in Jena promoviert. Er war Mitarbeiter bei der DLG und vor dem Ersten Weltkrieg Abteilungsleiter im Internationalen Landwirtschaftsinstitut in Rom gewesen, bevor er Ministerialdirektor im Reichswirtschaftsministerium wurde. Dort entwickelte er einen Plan zur Ausgliederung seiner landwirtschaftlichen Abteilung und zur Gründung eines »Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft« (RMEL). Im Frühjahr 1920 übernahm er dessen Leitung, die er im März 1922 wieder abgab. Von 1921 bis 1923 war er Reichsfinanzminister im Kabinett Cuno. Seit 1924 war er für das »Zentrum« im Preußischen Landtag, von 1928 an saß er im Reichstag. Im März 1933, noch vor dem Beschluss des Reichstages zum »Ermächtigungsgesetz«, legte Hermes unter Berufung auf sein christliches Weltbild sein Mandat nieder und machte damit seine Gegnerschaft zum neuen Regime deutlich. Hermes wurde mit tätiger Mithilfe Darrés unter Korruptionsverdacht gestellt und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.678 Den »Bauernvereinen« nahestehend war der »Deutsche Bauernbund« (DBB), der 1909 gegründet wurde und die Interessen der verschiedenen regionalen »Bauernbünde« z. B. aus Sachsen, Thüringen und Franken bündelte. Er hatte 40.000–50.000 Mitglieder, vertrat die Interessen hauptsächlich der Klein- und Mittelbetriebe und stand nach 1919 der »Deutschen Demokratischen Partei« (DDP) nahe, die für die Abschaffung der Fideikommisse zugunsten der Binnensiedlung eintrat. Als sich die DDP gegen die Schutzzölle positionierte und immer mehr an Einfluss verlor, rückte der DBB ab 1924 nach rechts zur »Deutschen Volkspartei« (DVP). Unter dem Druck der Agrarkrise zerfiel er ab 1927, weil seine Mitglieder zum RLB oder – gemeinsam mit dem »Bayerischen Bauernbund« – der »Deutschen Bauernschaft« beitraten.679 Diese »Deutsche Bauernschaft« war aus einem Zusammenschluss von »Bayerischem Bauernbund«, »Deutschem Bauernbund« und »Reichsverband landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe« 1927 entstanden. Ihr Vorsitzender wurde Anton Fehr vom »Bayerischen Bauernbund« und ihr Generalsekretär war Heinrich Lübke, 678 Vgl. F. Reichardt, 1953  ; Hermes, 1971  ; Barmeyer, 1971  ; Schumacher, 1973  ; Faust, 1977, 420 ff. und Morsey, 2003, 129 ff. 679 Vgl. Schumacher, 1978, 433 ff. und Schwab, 1983, 415 ff.

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der spätere Landwirtschaftsminister (1953–1959) und Bundespräsident (1959–1969). Lübke (1894 – 1972) gehörte zu den wenigen, die durch die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges nicht nach rechts radikalisiert wurden. Diese Haltung wurde sicherlich durch seine religiöse Bindung an die katholische Kirche bewirkt, denn Lübke hatte den Krieg als Freiwilliger von 1914 bis 1918 sowohl an der West- wie an der Ostfront erlebt. Lübke war Geschäftsführer des »Reichsverbandes landwirtschaftlicher Kleinund Mittelbetriebe« und führendes Mitglied des »Westfälischen Pächter- und Siedlerbundes«. Als solches sympathisierte er mit der Bodenreformbewegung Damaschkes und wurde deswegen vom »Westfälischen Bauernverein« zeitweilig heftig angegriffen. Im April 1932 wurde Lübke Zentrumsabgeordneter im Preußischen Landtag. Auch er ist, wie Hermes und Fehr, von den Nationalsozialisten wegen angeblicher Korruption verfolgt worden und saß 20 Monate in Untersuchungshaft, bevor sein Verfahren mangels Beweisen eingestellt wurde. Wie die »Bauernvereine« und die »Bauernbünde« so hatten auch die »Bauernschaften« eine positive Einstellung zur Weimarer Republik. So bedauerte Lübke in einem Schreiben an den Reichskanzler vom 5. August 1931 »die immer rapider um sich greifende Radikalisierung der Bauern nach links und rechts.«680 Alle Selbsthilfeaktivitäten und interessenpolitischen Bemühungen der Landwirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts halfen nichts gegen den demographischen und wirtschaftsstrukturellen Wandel zuungunsten des »primären Sektors« der Wirtschaft und der von Bauern abhängigen Betriebe des Handwerks und Handels.681 Auch Karl Marx und Friedrich Engels boten da keinen Ausweg – im Gegenteil. Sie wollten das Privateigentum abschaffen und den Bauern zum »Genossenschaftsbauern«, de facto zum Landarbeiter machen. Denn ein Bauer ohne Land ist nicht vorstellbar, es sei denn, er ist Landarbeiter. So wurden alle Marxisten zum roten Tuch und Schreckgespenst für die Bauern und der Marxismus für sie zur Gefahr für Leib und Leben. Die Sozialisten sahen überhaupt eine allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land voraus, was bei der anschwellenden »Landflucht« nur auf eine tendenzielle Beseitigung der Landbevölkerung hinauslaufen konnte. Marx hatte vom »Idiotismus des Landlebens« gesprochen und eine Horrorvision für jeden heimatverbundenen Bauern und jede brauchtumsbewusste Bäuerin entworfen. Und die Sozialisten vertraten die »Verstaatlichung« nicht nur von Grund und Boden, sondern des gesamten Wirtschaftslebens, eine Vorstellung, die ebenfalls keine nennenswerte Anhängerschaft in der Landbevölkerung generieren konnte. Im Gegenteil  : Jeder Angriff auf das Privateigentum forderte den gemeinsamen Widerstand aller Grundbesitzer, insbesondere der Bauern 680 Vgl. H. Haushofer, 1977, 562 ff.; Gessner, 1976, 255 und R. Morsey, Heinrich Lübke. Eine politische Biographie. Paderborn 1996 sowie BA, R 43 I/1301. Professor Fehr hatte ein »Institut für Milchwirtschaft« in Weihenstephan aufgebau und war im 2. Kabinett Wirth 1922 acht Monate RMEL gewesen. 681 In Franken beispielsweise überflügelte das Bevölkerungswachstum der kreisfreien Städte das der Landkreise in der Zeit von 1840 bis 1939 um das Zweieinhalbfache (Michael Peters, Geschichte Frankens. Hamburg 2013, Teil II, 74 ff.).

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heraus. So gab der Marxismus ein Feindbild her, von dem die nationalsozialistische Agitation in den Wahlkämpfen der frühen 1930er Jahre vortrefflich profitierte.682 »Bund der Landwirte« und Ruhland

Trotz der skizzierten Anstrengungen zur Selbsthilfe schien der Bedeutungsverlust der Landwirtschaft unaufhaltsam zu sein, obwohl Reichskanzler Bismarck noch 1878 bei der Einführung von Schutzzöllen auf industrielle und agrarische Auslandsprodukte verkündet hatte  : »Der Landwirtschaft schuldet der Staat die gleiche Beachtung wie der Industrie. Wenn beide nicht Hand in Hand gehen, wird keine ohne die andere stark genug sein, sich zu helfen.«683 So griff man in der Landwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu knallharter Interessenpolitik, der jedes Argument und jedes Mittel recht war. Jeder Strohhalm wurde ergriffen, um die eigene Haut zu retten. Dazu gehörten die antisemitische Aversion der Landbevölkerung gegen den »Vieh- und Bankjuden« und das bevölkerungspolitische Argument, an das sich leicht das rassistische Vorurteil, das die Aufwertung des Bauerntums als »Blutsquelle« der Nation propagierte, andocken ließ. Zu dieser Art Interessenvertretung gehörte auch, gemeinsame Sache mit der Industrie und ihren Verbänden zu machen. Diese Taktik hatte, mindestens in der Außenhandelspolitik, durchaus Erfolg. Der »Bund der Landwirte« (BdL) sah in den »Bühlow-Tarifen« von 1902, als die Getreidezölle im Zuge einer neuerlichen protektionistischen Handelspolitik wieder angehoben wurden, einen seiner größten Erfolge. So titelte die konservative, vom BdL herausgegebene Deutsche Tageszeitung am 2. Januar 1911  : »Industrie und Landwirtschaft Hand in Hand.« Und die Handelskammer in Essen stellte in ihrem Jahresrückblick für 1910 fest  : »Die Landwirtschaft ist und bleibt […] der Jungbrunnen für unser Volk und unsere Volkswirtschaft. Die Erzeugung der Nahrungsmittel wird und muß für Deutschland immer in vorderster Linie aller wirtschaftlicher Tätigkeit stehen.«684 Basis dieses Interessensausgleichs zwischen Industrie und Landwirtschaft  – man sprach auch von einer Allianz der »Junker und Schlotbarone«  – war konservatives, nationalistisches und protektionistisches Denken. Für die Bauern hieß dies  : Die Agrarzölle sollten vor billiger Einfuhr von Getreide (Weizen) und Futtermitteln (Mais, Gerste) aus Russland, Südosteuropa und Übersee schützen, wurden also nicht nur von den ostelbischen Großgrundbesitzern, sondern auch von den westdeutschen Rinderund Schweinemästern gefordert. Als die Regierung Caprivi 1891 während eines rapiden Preisverfalls für Agrarprudukte bei einer weltweiten Getreideschwemme diese

682 Vgl. Kommunistisches Manifest von 1848 (in  : Marx/Engels, Werke, a. a. O., Bd. 4 [1959], 481)  ; David, 1922 und Baade, 1933. 683 Zit. n. Kiesenwetter, 1918, 14. 684 Zit. n. Stegmann, 1970, 203 f. und 236.

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Schutzzölle absenkte, war der Protest unter Hinweis auf die Priorität »nationaler Arbeit« und nationaler Unabhängigkeit (»Autarkie«) groß.685 Der Nachfolger Bismarcks, Leo von Caprivi, ein preußischer General »ohne Ar und Halm«, wie ihn die Agrarkonservativen schmähten, wollte den Export ankurbeln, der durch die deutsche industrielle Produktionssteigerung und den Agrarprotektionismus in anderen Ländern notwendig erschien. Der von ihm zu verantwortende Handelsvertrag mit Russland sorgte zwar für eine außenpolitische Entspannung, schlug aber in der Innenpolitik hohe Wellen. Industrie und Handel unterstützten Caprivi zwar, wobei das in den 1870er Jahren geschmiedete Bündnis zwischen »Roggen und Eisen« auf der Strecke blieb, aber als Reaktion auf den Einbruch freihändlerischen Denkens in die operative Politik wurden 1893 in München der »Bayerische Bauernverein« und in Berlin der »Bund der Landwirte« (BdL) gegründet. Insbesondere der BdL wurde zur Plattform einer sich immer mehr radikalisierenden landwirtschaftlichen Interessenpolitik.686 Einer der Initiatoren zur Gründung des BdL war Conrad Freiherr von Wangenheim (1849–1926), der in der Nähe von Stettin ein Rittergut betrieb. Aber dass der BdL mehr war als ein Interessenverband des adligen Großgrundbesitzes, wird daran erkennbar, dass mit Gustav Roesicke der Sohn eines Berliner Wäschefabrikanten, der allerdings ein Rittergut von 1000 Hektar Größe in der Nähe von Luckenwalde erworben hatte, jahrelang als 2. Vorsitzender fungierte. Seit der Gründung des BdL war das »Landbundhaus« in der Dessauer Straße 26 in Berlin-Kreuzberg, das in der Nähe des damaligen Regierungsviertels lag, die Adresse der Agrarlobby in der Reichshauptstadt. Dort wurde im April 1933 auch die »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes« gebildet, an deren Spitze sich R. Walther Darré als »Reichsbauernführer« setzte, der Druck auf den noch amtierenden RMEL Alfred Hugenberg ausübte, der gleichzeitig Reichswirtschaftsminister war.687 Der BdL wuchs bis 1914 auf über 350.000 Mitglieder an und bündelte die unterschiedlichen Interessen der deutschen Landwirtschaft zu einer mächtigen und einflussreichen Agrarlobby. Es gelang ihm, Reichskanzler von Bülow zu einem neuerlichen Schwenk in der Zollpolitik zu bewegen und – später – 1909 sogar zum Sturz dieses Reichskanzlers wegen seiner Finanzreform beizutragen. Der Einfluss der Agrarlobby war so groß, dass sie nicht nur im Kaisereich die Regierungsbildung beeinflusste, sondern auch in der Weimarer Republik beim Sturz des Reichskanzlers Brüning im Mai 1932 und der nachfolgenden Präsidialregierungen Papen und vor allem Schleicher ihren Beitrag leistete. Als Schleichers Nachfolger stand bekanntlich Hitler bereit. Conrad Freiherr von Wangenheim war von 1898 bis 1920 Vorsitzender des BdL, den er 1921 in den »Reichslandbund« (RLB) mit Sitz in der Dessauer Straße in Berlin 685 Vgl. Weitowitz, 1978. 686 Hundhammer, 1926. Zum BdL vgl. Puhle, 1966 und 1971, 145 ff.; Nipperdey, 2013a, Bd. II, 583 ff. und Wehler, 1995, 855 ff. 687 Vgl. Gies, 1968a, 210 ff.

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überführte und der zehn Jahre später von der NSDAP so erfolgreich unterwandert werden konnte, dass er Darré, dem Leiter des »Amtes für Agrarpolitik« (AfA) in der Reichsleitung der NSDAP, im Frühjahr 1933 wie eine reife Frucht in die Hände fiel. Wangenheim war Präsident der Pommerschen Landwirtschaftskammer und Mitglied des DLR gewesen, er saß von 1898 bis 1903 als Abgeordneter der Deutschkonservativen im Reichstag und trat 1917 zur »Deutschen Vaterlandspartei« über. Im März 1920 beteiligte er sich – aus »vaterländischem Pflichtgefühl« – am Kapp-Putsch und sollte im Erfolgsfall Reichslandwirtschaftsminister werden.688 Dass der Grundzug bäuerlicher Mentalität eher stabilisierend-konservativ als mobilisierend-fortschrittlich ist, sollte unstreitig sein. Dass diese soziale Beharrungskraft sich aber derart radikalisieren würde, wie das am BdL/RLB sichtbar wird, ist nur mit der Unsicherheit und der Existenzangst zu erklären, die in den Agrarkrisen in der zweiten Hälfte des 19. und in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts die gesamte ländliche Gesellschaft erschütterten. Denn dem BdL gelang es, nach außen das Bild einer »Einheit der Landwirtschaft« (Nipperdey) zu vermitteln, die nicht nur affirmativ »Thron und Altar« stützen wollte, sondern auch antikapitalistisch, antisozialistisch und antiliberal, antidemokratisch und antiparlamentarisch sei. Sowohl BdL als auch RLB versuchten, die vormoderne korporative Gedankenwelt zur Förderung eines Wir-Gefühls in der Landwirtschaft zu instrumentalisieren. Diese Solidarisierungs- und Integrationsbemühungen führten in Kooperation mit dem »Alldeutschen Verband« sogar dazu, chauvinistische und rassistisch-»völkische« Tendenzen des gesamten deutschen Bauerntums zu suggerieren.689 Die Mitgliedschaft des BdL bestand nur zu ca. einem Prozent aus Großgrundbesitzern, etwa 20 Prozent waren Landwirte, 75 Prozent Kleinbauern, der Rest waren ländliche Gewerbetreibende. Auch Gutsbeamte, Pächter, ja Land- und Tierärzte, Lehrer und Pfarrer zählten zu seinen Mitgliedern. Trotzdem bestimmten die Großagrarier seine Politik, die hauptsächlich darin bestand, »gegen die Regierung Front zu machen«. Der BdL wurde zu einer Massenorganisation ausgebaut, mit einem großen Agitationsapparat mittels Wanderrednern, er bot ökonomische Vorteile (Rabatte, Kredithilfen, Unterstützung bei Steuer- und Versicherungsangelegenheiten) an und er betrieb eine professionelle Lobbyarbeit und Propaganda nach dem Prinzip, branchengebundene Interessen als allgemeine Bedürfnisse erscheinen zu lassen. Oder, wie es in einem Gründungsdokument des BdL hieß, er agierte nach dem Motto  : »Durch das Blühen und Gedeihen der Landwirtschaft [wird] die Wohlfahrt aller Berufszweige gesichert.« Wenn die Agrarier von »Selbsthilfe« sprachen, meinten sie Staatshilfe. Ihre wirtschaftspolitische Agitation entsprach ihren gesellschaftspolitischen Aspirationen.690 688 Vgl. Frauendorfer, 1957, 370 f. sowie Merkenich, 1998, 57 ff. und 158 f. 689 Diese Zielrichtung wird in dem Dreiklang »Landbund, Schutzbund, Trutzbund« von 1925 besonders deutlich. Merkenich, 1998, 53, 60, 83 und 114 ff. (Zitat 115). 690 Puhle, 1975 und Corni/Gies, 1997,

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Strukturelle Veränderungen zur Verbesserung der Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe war nicht das Thema des BdL, sondern er wollte den agrarischen Einfluss in Staat und Gesellschaft erhalten in einer Zeit, in der die ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft faktisch immer geringer wurde. Dabei radikalisierte sich deren politische Agitation immer mehr. Als Kitt, der die unterschiedlichen Interessen innerhalb der deutschen Landwirtschaft zusammenhielt, diente auch der Antisemitismus, der sich nicht nur aus Vorbehalten gegen jüdische Geldverleiher und Viehhändler vor Ort speiste, sondern auch aus Erfahrungen mit der Produktbörse, speziell dem Getreideterminhandel. Auch die mit der Butter konkurrierende Margarine wurde beispielsweise als »Judentalg« diffamiert.691 Und wie die Anträge des Abgeordneten der »Deutschkonservativen Partei«, Graf Kanitz, zeigen, die 1894 die Einführung eines staatlichen Handelsmonopols zur Regulierung der Getreideimporte und des Getreidepreises mit einem garantierten Mindestpreis für Inlandsprodukte zum Ziel hatten, gab es wegen der misslichen Lage auch schon frühzeitig etatistische Tendenzen in der deutschen landwirtschaftlichen Interessenpolitik. Davon versprachen sich nicht nur die ostelbischen Großgrundbesitzer Vorteile, sondern auch die Vieh- und Veredelungswirtschaft in Nord- und Westdeutschland  ; denn das Deutsche Reich war vor 1914 der größte Futtermittelimporteur der Welt. Der Ruf nach dem Staat, der innerhalb der Wirtschaftsprozesse eine regulierende Rolle spielen solle, wurde damals zwar mehrfach im Reichstag abgelehnt, aber 1933/34, als sich die Lage weiter zugespitzt hatte, wurde Darrés dirigistische »Marktordnung des Reichsnährstandes«, die auch der Landwirtschaft erhebliche Zwänge auferlegte, widerspruchslos akzeptiert, ja sogar als Rettungstat gefeiert.692 Für die Ausarbeitung einer Alternative zum spekulativen Terminhandel an den Getreidebörsen, der als »frevelhaftes Spiel mit dem Lohn der landwirtschaftlichen Produzenten« angesehen wurde (Frauendorfer) und die Preisbildung für Agrarprodukte ungünstig beeinflusste, gewann der BdL Gustav Ruhland. Auf dessen Anregung gründete der preußische Finanzminister Johannes von Miquel 1895 die »Preußische Zentralgenossenschaftskasse (Preußenkasse)«, um eine Verbilligung des landwirtschaftlichen Personalkredits zu erreichen. Auf Drängen des BdL, der sich auf die Expertise Ruhlands berief, wurde der Börsenterminhandel schon 1896 vom Reichstag verboten. Die Idee, den Kreditbedarf der Bauern zu erträglichen Konditionen zu befriedigen, hatte auch etwas mit Ruhlands Lebensweg zu tun, in dem Geldnot eine wichtige Rolle gespielt hatte. Gustav Ruhland (1860–1914) war im bayerischen Spessart mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Seine Absicht, einen Hof zu pachten oder zu kaufen, scheiterte entweder an mangelndem Geld oder an der nicht gewährleisteten Renta691 Zitate nach W. Fischer, 1972, 194 ff.; W. Mommsen, 1951, 28 und Nipperdey, 2013a, Bd. II, 583 ff. Vgl. im Übrigen Puhle, 1975  ; Flemming, 1978 und Eley, 1991, 202 ff. 692 Zu Maßnahmen der staatlichen Marktbeeinflussung zugunsten der Landwirtschaft vor 1933 vgl. Teichmann, 1955 und Pacyna, 1938 sowie Gies, 1986 und Corni/Gies, 1997, 43 ff.

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bilität der in Frage kommenden Objekte. Auch die Möglichkeit, den elterlichen Hof in Rheinhessen zu übernehmen, war nicht zu verwirklichen. So sammelte Ruhland praktische Erfahrungen nicht nur auf dem elterlichen Anwesen, sondern auch in Thüringen und in Österreich. Immer handelte es sich um Realteilungsgebiete und auch der elterliche Hof musste 1910 verkauft werden, um die Ansprüche der »weichenden Erben« zu befriedigen.693 Ruhland war immer neugierig, neue Ideen auszuprobieren, die gemachten Erfahrun­ gen zu analysieren und darüber zu schreiben. Er beschäftigte sich zunächst als Autodidakt mit wirtschafts- und agrarpolitischen Theorien, veröffentlichte seine Arbeiten – u. a. über die »landwirtschaftliche Kreditfrage« – in verschiedenen Zeitschriften und schloss sein Studium der Nationalökonomie in Tübingen 1887 mit einer Dissertation ab. 1888 – da war Ruhland 28 Jahre alt – schickte ihn Bismarck mit einem Stipendium für fast drei Jahre auf eine Weltreise, um in der heiß umstrittenen Schutzzollfrage Informationen zu sammeln und nach Alternativen zu suchen. Immerhin sah der Reichskanzler selbst in den Bauern das »Rückgrat der Nation«, das geschützt werden müsse.694 Als Ruhland zurückkehrte, war Bismarck entlassen und Caprivi praktizierte mit dem deutsch-russischen Handelsvertrag eine freihändlerische Außenhandelspolitik. Ruhland ging wieder in die praktische Landwirtschaft, diesmal auf ein Gut im Salzburger Land, das aus vielen überschuldeten Bauernhöfen bestand. 1893 wurde er an der Universität in Zürich Privatdozent, aber mit seinen antifreihändlerischen Positionen und seinem Hang zur Polemik machte er sich damals tonangebende Nationalökonomen wie Gustav Schmoller und Lujo Brentano zu Feinden, was seiner akademischen Karriere nicht förderlich war.695 1894 engagierte ihn der BdL als Berater. Der »Kathedersozialist« (H. P. Oppenheim) Adolph Wagner, der staatliche Interventionen in den Wirtschaftsablauf befürwortete, hatte Ruhland empfohlen  ; denn er war zunächst auch – wie die Agrarier – für den Schutzzoll. Aber Ruhland suchte nach einer besseren Lösung. Als Exempel für seine Erforschung des Problems ›Schutzzoll oder Freihandel  ?‹ benutzte er das weltweite Geflecht von Getreideproduktion, Getreidehandel und Preisbildung, das er auf seiner Weltreise mehr als zwei Jahre lang studiert hatte. Am Beispiel des Müller- und Bäckergewerbes untermauerte er seine These, der Mittelstand müsse sich zu »Syndikaten« zusammenschließen, um der Industrie gewachsen zu sein. Wenn es aber um die Brotversorgung der Bevölkerung ging, musste neben Landwirtschaft und Landhandel auch das Handwerk (Bäcker) in dieses »Syndikat« einbezogen werden  : Erzeuger, Ver693 Vgl. Scheda, 1935, 399 ff.; Tippelskirch, 1952  ; Frauendorfer, 1957, 372, 380 ff., und 427 ff. sowie H. Haushofer, 1958, 201 ff. und 284 ff. 694 Bismarck, 1927, 40. 695 Als Beispiele vgl. Ruhland, »Der ›hochberühmte‹ Professor Lujo Brentano«, 1895, in  : bund der landwirte, 1910, 129 ff. und »Professor Schmoller und sein Agrarprogramm«, 1895, ebd., 133 ff. Im Übrigen  : Winkel, 1977.

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arbeiter und Verteiler also. Das war das Modell für die spätere »Marktordnung des Reichsnährstandes«.696 Von 1898 bis 1901 war Ruhland als Professor für Nationalökonomie an der Universität Freiburg in der Schweiz tätig und baute dort sofort eine »Getreidepreiswarte« auf, die den gesamten internationalen Getreidemarkt beobachten sollte. Die Idee wurde vom DLR 1911 übernommen ohne allerdings die Steuerungsfunktion des gesamten Getreidemarktes, die Ruhland beabsichtigt hatte. Gleichzeitig war Ruhland in Vorträgen und Publikationen in den Kampf des BdL um die Schutzzollpolitik involviert. 1914 ist er nach einem Schlaganfall mit nur 54 Jahren gestorben. Bezeichnend für sein immer auf die Praxis bezogenes Denken war, dass Ruhland – wie berichtet wurde – seine Vorträge häufig mit einem Zitat aus Adelbert von Chamissos Gedicht »Das Riesenspielzeug« abschloss  : »Der Bauer ist kein Spielzeug, das walte Gott«. Ruhland hinterließ ein dreibändiges Werk mit dem Titel System der politischen Ökonomie, das 1903 bis 1908 in Berlin veröffentlicht worden war, das aber erst bekannt wurde, als Darré 1930 darauf aufmerksam gemacht worden war. Der neue Agrarexperte der NSDAP ließ es von seinem Mitarbeiter Hermann Reischle auswerten und machte es zur Grundlage für die »Marktordnung des Reichsnährstandes«.697 Daran, dass Ruhland ignoriert worden war, hatte auch die »Ruhland-Gesellschaft« nichts ändern können, die 1915 gegründet worden war, um die zahlreichen Ideen und Vorschläge ihres Protagonisten zu verbreiten. Sie entsprachen eben nicht dem damals vorherrschenden Mainstream der deutschen Nationalökonomie. Oder, in den Worten Darrés, die er dem unveränderten Neudruck des Werkes im Juli 1933 vorausschickte  : »Weil der Liberalismus zu Lebzeiten Ruhlands die Macht besaß, besaß er auch die Macht, das Werk Ruhlands totzuschweigen.«698

696 Vgl. u. a. Ruhland, »Das Syndikat – die Innung der Zukunft«, 1900, in  : bund der landwirte, 1910, 49  ; darin auch  : »Die Lehre von der Preisbildung bei Getreide«, 1904, und »Der freihändlerische Individualismus und die organische Auffassung der Volkswirtschaft«, 1909. 697 Die Frage, wer Darré auf Ruhland aufmerksam machte, ist nicht ganz zu klären, vieles spricht für den zweiten Vorsitzenden der Ruhland-Gesellschaft, Karl Scheda. So stellt es Erwin Metzner in einer Mitteilung an den Verf. dar. (Vgl. auch die Publikationen Schedas  : »Die Agrartheorie Ruhlands«, in  : DA, 2/1933, 16 ff.; »Ein lehrreicher Vortrag Ruhlands«, in  : Odal, 2/1934, 793 ff.; »Zu Ruhlands Gedächtnis«, in  : Odal, 2/1934, 917  ; »Ruhland über die argentinische Weizenkonkurrenz«, in  : Odal 3/1935, 145 ff. und »Gustav Ruhlands Werdegang«, in  : Odal 4/1936, 63 ff. Es könnte aber auch der Sohn des ehemaligen BdL-Präsidenten von Wangenheim gewesen sein. Dass Dr. Hermann Reischle das Werk für Darré aufbereitete, so dass er es seinem Verleger Lehmann als »die Volkswirtschaftslehre des Nationalsozialismus« zu einem Neudruck empfehlen konnte, ist gut belegt (Bf. Darrés an Lehmann v. 30.7.1931, StAG, NLD, Nr. 87  ; vgl. auch Darrés Geleitwort zu Reischle, 1940, 6). 698 Ruhland, System, 1903–1908  ; 1933 und 1938. Vgl. außerdem  : Darré, »Warum würdigen wir Gustav Ruhland  ?« (im Januarheft 1933 der Zeitschrift DA, das Ruhland gewidmet war), wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 356 f. sowie Bülow, 1936 und Frost, 1936. Außerdem H. Haushofer, 1958, 284 ff. und Corni/Gies, 1997, 23 ff.

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Ruhland entwickelte aus »pathologischen Symptomen« im Leben der Völker und Staaten ein »Krankheitsbild« und eine »Therapie« des Kapitalismus, den er – wie später auch Darré – im Orient beheimatete und den er – wie Darré – beschuldigte, den Niedergang von Staaten und Kulturen herbeizuführen. »Es liegen genug Völkerleichen auf dem Seziertisch der Geschichte, um die wissenschaftliche Erkenntnis unserer ökonomischen Lage und der Zukunft, welcher wir damit entgegengehen, zu ermöglichen«, war Ruhland überzeugt. Er war ein Gegner liberaler, freihändlerischer Prinzipien, weil zum Zeitalter der Nationalstaaten nur die Nationalwirtschaft passe. Freihandel aber beruhe auf internationaler Arbeitsteilung, womit das Wohlergehen der eigenen Volkswirtschaft vom Wohlwollen eines anderen Staates abhängig gemacht und nationale Unabhängigkeit damit unmöglich gemacht werde.699 Ruhlands Diagnose der Folgen, die der Kapitalismus in Wirtschaft und Gesellschaft verursacht habe und welche die »liberalistische« Behandlung des Bodens als »Ware« hinterlasse, stimmte in frappierender Weise mit Darrés Ansichten überein. In bewusster Anlehnung an die physiokratische Schule des 18. Jahrhunderts und Fichtes »geschlossenem Handelsstaat« entwarf Ruhland eine Nationalökonomie, in der die »Lösung der Agrarfrage« zum Kernstück erklärt wurde. Er verstand  – wie später auch Darré – den Staat als »Organismus«, in dem die Erkrankung eines Gliedes die des gesamten »Volkskörpers« zur Folge habe. Insofern sei »Heilung« keine Frage von Einzelinteressen verschiedener Wirtschaftsbereiche, sondern eine Prinzipienfrage  : Kapitalismus oder Nationalwirtschaft  ? Voller Misstrauen gegenüber dem Handel, von dem er meinte, er müsse wieder ein »dienendes Mitglied der Volkswirtschaft« werden, waren für Ruhland nicht das Kapital, sondern der Grund und Boden und die Arbeitskraft der Menschen Garanten des Wohlstandes.700 Ruhland setzte an die Stelle des freien Grundstücksverkehrs gebundene Bodenpreise, die nach ihrem »Äquivalenzwert« für die Gesellschaft festgelegt werden sollten. Zur Vermeidung von Bodenspekulation sollte eine gesellschaftliche Institution geschaffen werden, welche die Vermittlung im Grundstücksverkehr übernehmen sollte. »Es gibt keinen landwirtschaftlichen Übelstand, der nicht von der fälschlichen Behandlung des Grundbesitzes als Ware seine eigentliche Nahrung erhielte.« Zu diesen »Übelständen« gehörte nach Ruhlands Meinung auch die Beleihbarkeit von Grund und Boden. Diese Einschätzung, die Darré vollumfänglich teilte, sollte für die weitgehende Ersetzung des Realkredits durch den Personalkredit im »Reichserbhofgesetz« maßgeblich sein.701 Im Binnenmarkt glaubte Ruhland, ein gerechtes und stabiles Preisgefüge durch die Ersetzung des Mehrwertes durch einen »gesellschaftlichen Kostenwert« zu erreichen. Zur »Beseitigung der Wucherfreiheit« sollte eine Marktorganisation geschaf699 Ruhland, System, Bd. I, 97 ff., 144 ff., 159 und Bd. III, 59 ff., 118 f., 333. 700 Vgl. ebd., Bd. I, 8, 147 und Bd. III, 63, 241 sowie Willi Meinhold, »Einflüsse der Lehren J. G. Fichtes auf das Werk Gustav Ruhlands«, in  : Odal, 1936, 648 ff. 701 Vgl. Ruhland, System, Bd. III, 326, 375 f. und Pacyna in der Einleitung zu Ruhlands System, 1938, 26.

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fen werden, die für »gebundene Preise« sorgen sollte. Durch Ausgleichsmaßnahmen bei landwirtschaftlichen, betriebswirtschaftlichen, klimatischen und wetterbedingten Schwankungen der Produktionskosten und durch planvolle Vorratswirtschaft sei – so war Ruhland überzeugt – dauerhaft ein mittleres Preisniveau zu erreichen. Als Organisationsform dieser Steuerungsbehörde schlug Ruhland ein »Syndikat« vor, das Produktion, Verarbeitung und Handel in gleichartige Sparten zusammenschließen sollte  : Wenn ein Getreideverkaufssyndikat der deutschen Landwirte gebildet ist, das in organischer Verbindung steht mit einem Ein- und Verkaufssyndikat der deutschen Müller, das wieder Anschluß gefunden hat an eine Mehleinkaufsorganisation der deutschen Bäcker, dann ist es möglich, die gleichen mittleren Preise, welchen den gesellschaftlichen Produktionskosten entsprechen, das ganze Jahr hindurch ohne Schwankungen festzuhalten.702

Die Etablierung einer solchen Marktorganisation habe, so Ruhland, auch eine Reform der Handelspolitik zur Folge. Schutzzölle würden überflüssig, die »Syndikate« würden alle maßlosen Überangebote auch aus dem Ausland und jede ungesunde Spekulation ausschalten und die »Vereinigung aller Geldinstitute zu einem nationalen Syndikat der deutschen Banken« würde der zum Wucher neigenden Kreditierung ein Ende bereiten. Der Geldverkehr sollte auf der persönlichen Vertrauenswürdigkeit des Schuldners aufgebaut und durch die Solidarhaftung einer landwirtschaftlichen Pflichtgenossenschaft abgesichert werden.703 Vieles, was Ruhland »diagnostiziert« hatte, trat für Deutschland mit ganzer Schärfe erst zur Zeit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre ein. Aus Ruhlands »Syndikaten« wurden schon in der Weimarer Republik »Zusammenschlüsse«, ein Begriff, der in Art. 156 der WRV stand, der dann aber erst in § 38 des »Reichsmilchgesetzes« im Jahre 1930 wieder vorkam. Ruhland erhielt durch die immer umfassenderen Eingriffe des Staates in den Markt, die von der Agrarlobby angesichts der Wirtschaftskrise gefordert und durchgesetzt wurden, anschauliche Glaubwürdigkeit, er wurde für Darré zum Propheten.704 Reichsministerium für Ernährungs und Landwirtschaft und »Reichslandbund«

Dass die »Marktordnung des Reichsnährstandes«, d. h. massive Eingriffe auch in die Produktion, zu Beginn des »Dritten Reiches« von der deutschen Landwirtschaft widerspruchslos akzeptiert, ja begrüßt wurde, hing damit zusammen, dass man im Ersten Weltkrieg fürchterliche Erfahrungen mit einer auf die Verhältnisse einer Blockade völ702 Ruhland, System, Bd. III, 372. 703 Ebd., 361. 704 Vgl. Corni/Gies, 1997, 45 f.

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lig unvorbereiteten Ernährungswirtschaft gemacht hatte. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln erfolgte 1914 zu etwa 80–85 Prozent aus einheimischer Produktion und zu etwa 15–20 Prozent aus Einfuhren, die nach Kriegsbeginn wegen der britischen Seeblockade weitgehend wegfielen. Deutschland war 1914 der größte Futtermittelimporteur der Welt und 1913 wurden für den Ernährungssektor etwa 38 Prozent vom gesamten deutschen Einfuhrvolumen ausgegeben. Die Importlücke konnte nicht geschlossen werden, im Gegenteil  : Der Ausfall von Futtermitteln wurde durch Getreide substituiert, das dann in der Brotversorgung fehlte.705 Die Agrarier forderten, anstelle von Weizenbrot sollten die Verbraucher mehr Roggenbrot essen, eine staatlich erzwungene Konsumlenkung, die selbst im »Dritten Reich« später kaum funktionierte. Auch die Einfuhr von Kunstdünger war unterbrochen, was natürlich zusammen mit dem Arbeitskräfte- und Zugpferdemangel zu starken Produktionseinbußen führte. Die Schweinehaltung, die allein in Oldenburg von 1900 = 177.000 auf 1913 = 575.000 explosionsartig angestiegen war, musste aus Mangel an Kraftfutter reduziert werden, um Kartoffeln, die für den menschlichen Verzehr gebraucht wurden, zur Verfügung zu haben. In einer überstürzten Aktion wurden im Frühjahr 1915 Schweine aus der Produktion genommen. Man sprach damals von neun Millionen geschlachteten Schweinen, was etwa 35 Prozent des gesamten Bestandes bedeutete. Das veranlasste Darré 1937 in seiner Kontroverse mit Reichswirtschaftsminister Schacht um die Einfuhrquoten für die Ernährungswirtschaft dazu, von einem »Schweinemord« zu sprechen, der auf keinen Fall wegen Futtermittelmangels wiederholt werden dürfe.706 Im Januar 1915 mussten eine Brotrationierung und ein Zwang zur Beimischung von 30 Prozent Kartoffelmehl zum Brotgetreide verordnet werden. Hungersnot nach einer Kartoffelmissernte und der »Steckrübenwinter« von 1916/17 mit Hamsterkäufen waren also allen Verbrauchern im Gedächtnis, als ab 1933 der gesamte Markt für Ernährungsgüter unter staatlicher Regie reguliert und 1939 ein lückenloses System der Rationierung von Lebensmitteln durch den RMEL Darré eingeführt wurden. Solche umfassenden Bewirtschaftungsmaßnahmen bei Nahrungsmitteln wie vor dem Zweiten Weltkrieg gab es im Ersten Weltkrieg noch nicht. Es gab zwar schon 1915 die »Brotkarte« und »Reichstellen«, die zunächst für Getreide, dann sukzessive für Futtermittel, Kartoffeln, Vieh und Fleisch, Zucker, Obst und Gemüse, Speisefette und Eier zur Erfassung und Verteilung der einheimischen Ernte eingerichtet wurden. Aber schon die Festlegung von Höchstpreisen führte in der Endphase des Ersten Weltkrieges umgehend zum Schwarzhandel mit raren Produkten. Und ein Ministerium, das sich – auch vorausschauend – mit den Problemen der Ernährungswirtschaft befasste, gab es auch noch nicht. Erst im Mai 1916 wurde ein »Kriegsernährungsamt« eingerichtet, dessen Wirksamkeit aber durch

705 Vgl. Collingham, 2012 und Scriba, 2014 sowie Wehler, 4. Bd. 2003, 57 ff. 706 Darré, 1937. Insgesamt verringerte sich die Anzahl der Schweine von ca. 25 Millionen 1914 auf ca. 6 Milllionen 1918. Vgl. Nipperdey, 2013a, Bd. I, 193.

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die Zuständigkeiten der deutschen Einzelstaaten und ein mangelndes Weisungsrecht gegenüber militärischen Dienststellen stark eingeschränkt war.707 Damals konnten die Probleme der Versorgung Deutschlands mit Nahrungsmitteln, verursacht durch die Wirtschaftsblockade und den Niedergang der Produktion, nicht gelöst werden. Auf Betreiben des Ministerialdirektors im Reichswirtschaftsministerium, Andreas Hermes, wurde erst im März 1919 ein eigenständiges Ministerium eingerichtet. Aber zur Zustimmung, die »Landwirtschaft« durch »Ernährung« zu ergänzen und damit die Zuständigkeit des neuen Ministeriums auch für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung zu deklarieren, bedurfte es erheblichen Druckes, galt es doch, die Interessen der Verbraucher im Auge zu haben. Aber auch das Streben nach nationaler Unabhängigkeit (»Nahrungsfreiheit«) in konservativen Kreisen erhielt durch das ernährungswirtschaftliche Trauma im Ersten Weltkrieg weitere Plausibilität. Das neue »Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft« (RMEL) entstand aus dem »Kriegsernährungsamt« und wurde in der Wilhelmstraße 72 in Berlin installiert. Dort gab es schon seit 1848 das »Ministerium für landwirtschaftliche Angelegenheiten«, das aus dem Ministerium für »Handel und Gewerbe« herausgelöst worden war. Es hieß seit 1878 »Preußisches Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten« und ging am 1. Januar 1935 im »Reichs- und Preußischen Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft« (RMEL) auf. Beide Ministerien verstanden sich weniger als neutrale staatliche Behörden, sondern als Sachwalter landwirtschaftlicher Interessen und Bedürfnisse. Schon 1934 wurde die Zuständigkeit für Forsten aus dem RMEL ausgegliedert und dem preußischen Ministerpräsidenten Göring unterstellt, der sich in der Rolle des »Reichsjägermeisters« gefiel. Darré hatte diesem Zuständigkeitsverlust seines Ministeriums nichts entgegenzusetzen. Das »Reichsforstamt« war oberste Reichsbehörde für alle Fragen der Holz- und Forstwirtschaft, des Jagdwesens, des Naturschutzes und des Naturdenkmalschutzes.708 Das RMEL zwischen Britischer Botschaft und dem Reichspräsidentenpalais auf der Westseite der Wilhelmstraße war bis zum 23. Mai 1942 Darrés und bis zur Kapitulation 1945 der Dienstsitz seines Nachfolgers Herbert Backe, allerdings mit mehreren Dependancen in der näheren und weiteren Umgebung. Andreas Hermes von den katholischen »Bauernvereinen« stand, damals 41 Jahre alt, von 1920 bis 1922 an der Spitze des RMEL. Von Januar bis Juni 1928 im Kabinett des Zentrumspolitikers Marx und von März 1930 bis Mai 1932 im Kabinett Brüning war 707 Vgl. Skalweit, 1927  ; A. Lefèvre, »Lebensmittelunruhen in Berlin 1920–1923«, in  : Gailus/Volkmann, 1994, 346 ff. und Corni/Gies, 1997, 44 f. und 399 ff. sowie Corni, »Ernährung«, in  : Hirschfeld/Krumeich/Renz, 2004, 461 ff. und Dornheim, 2011, 14 ff. 708 Vgl. Emig, 1939  ; Haushofer/Recke, 1969 und Dornheim, 2011. Heute wird angesichts der Agonie der bäuerlichen Familienbetriebe über ein mögliches Ende eines »Landwirtschaftsministeriums« nachgedacht, dessen Aufgaben eher dem Natur-, Tier-, Landschafts- und Umweltschutz zuzuordnen seien. »Ernährung« freilich, so wird argumentiert, sei als staatliche Aufgabe zwar weiterhin relevant, könne aber im Wirtschaftsministerium angesiedelt werden (Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.5. und 2.6.2016).

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Martin Schiele (1870–1939), der Bruder des die »Artamanen« unterstützenden Arztes Dr. Georg Schiele. Sein parteipolitischer Weg hatte ihn von der »Deutschkonservativen Partei« über die DNVP zur CNBLP geführt und er war zwei Jahre Präsident des RLB gewesen. Ihm folgte 1932 sowohl im Kabinett von Papen als auch in dem von Reichskanzler von Schleicher der Jurist Magnus Freiherr von Braun (DNVP). Er war, ein »Junker« von ›altem Schrot und Korn‹, nach dem Krieg in verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden tätig, zuletzt als Direktor der Raiffeisengenossenschaften in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Posen-Westpreußen. Mit von Brauns Amtsantritt erhielt das RMEL insofern einen bemerkenswerten Kompetenzzuwachs, als es vom Reichsarbeitsministerium (RAM) die Siedlungszuständigkeit übernahm. Auch die Aufgaben des »Reichskommissars für die Osthilfe« mit ihrem Siedlungspotential gingen im Juli 1933 an das RMEL.709 Diese Kompetenzerweiterung um den Bereich der »Siedlung« bezog sich aber nicht nur auf die »Ostsiedlung« und führte zu Reibereien mit dem RAM um die Stadtrandsiedlung. Sie spielte auch später im Verhältnis Darrés zu Himmler eine wichtige Rolle, als dieser 1939 von Hitler zum »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF) im eroberten Osten ernannt wurde und der RMEL dabei übergangen wurde. Darrés Vorgänger als RMEL in der Regierung Hitler war von Februar bis Ende Juni 1933 Alfred Hugenberg, der Vorsitzende der DNVP. Als Nachfolgeverband des BdL wurde 1921 durch eine Verschmelzung mit dem erst seit Juli 1919 existierenden »Deutschen Landbund« (DLB) der »Reichslandbund« (RLB) gegründet. Der DLB fasste die relativ selbstständig agierenden regionalen Landbünde zusammen und hatte 1920 fast 700.000 Mitglieder – gegenüber knapp 400.000, die der BdL in den RLB einbrachte. Für den DLB kam Karl Hepp (DVP), der spätere (1928) Mitbegründer der »Christlich-Nationalen Bauern- und Landvolkpartei« (CNBLP), ins Präsidium des neuen Verbandes. Der RLB war mit etwa fünf Millionen Mitgliedern (davon etwa 1,5 Millionen Land besitzende) die weitaus größte landwirtschaftliche Organisation in Deutschland. 1923 erreichte der Verband mit etwa sechs Millionen Mitgliedern seinen Höchststand, wobei zu den 1,6 Millionen Vollmitgliedern 4,2 Millionen »assoziierte« Einzelmitglieder, hauptsächlich Familienangehörige, hinzukamen. Daneben gab es noch die dem katholischen Zentrum nahestehende »Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine« mit 600.000 und die linksliberale »Deutsche Bauernschaft« mit ca. 200.000 Land besitzenden Mitgliedern. Beide Verbände hatten sich 1921 in den zweijährigen Verhandlungen um eine Fusion dem Ruf nach einer Bündelung aller Kräfte, nach einer »Einheitsfront« aller landwirtschaftlichen Interessenvertretungen verweigert, weil sie sich nicht von den »Junkern« an der Spitze des RLB, der weiterhin in der BdL-Zentrale in der Dessauer Straße in Berlin residierte, dominieren lassen wollten.710 709 BA, R 2/17925  ; Boyens, 1959/60 sowie Corni/Gies, 1994, 40 f. und 126 ff. 710 In Bayern gab es seit den 1890er Jahren den »Bayrischen Christlichen Bauernverein« (kath.), den

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Der RLB übernahm vom DLB dessen dezentrale Organisationsstruktur – 1924 gab es schon ca. 500 Kreisgeschäftsstellen – sowie vom BdL dessen effektive Lobby- und Pressearbeit. Die Länder- und Provinziallandbünde hatten eine eigene Finanzhoheit, was die Zentrale abhängig machte von der finanziellen Unterstützung der etwa 30 Provinzial- und Landbünde. Erwin Topf nannte den RLB denn auch einen »Bund der Bünde«.711 Diese starke Position der Regionalbünde machte die Eroberung des RLB durch die Nationalsozialisten nicht einfacher, aber der von Darré aufgebaute ApA, der sich an die Organisationsstruktur der NSDAP (vom Ort bis zum Gau) anlehnte, war hierfür ein probates, ja ideales Mittel. Das Deutsche Reich hatte 1919 mehr als 13 Prozent seines Territoriums – vor allem Agrargebiete – verloren. Dem Bevölkerungsverlust von ca. 10 Prozent stand ein Verlust von knapp 15 Prozent landwirtschaftlicher Nutzfläche gegenüber. 1924 lag die Nahrungsmittelproduktion in Deutschland mengenmäßig noch unter dem Wert von 1912/13. Erst 1929 konnte der Vorkriegsstand wieder erreicht werden.712 Die ernährungspolitischen Probleme, die daraus entstanden, machten die Interessenpolitik für die Landwirtschaft nicht leichter. Ganz in der Tradition des BdL standen beim RLB nicht strukturelle Maßnahmen zur Verbesserung der Rentabilität der Landwirtschaft im Vordergrund, sondern Forderungen nach Vergünstigungen, Subventionen und Hilfen vom Staat. 1925, als Deutschland seine Handelssouveränität wiedererlangt hatte, wurden auf agrarischen Druck hin sofort wieder Importzölle und Einfuhrkontingente für Getreide erlassen. Nach den Jahren relativ gemäßigter Interessenpolitik in der Ära Martin Schieles führte die sich verschärfende Agrarkrise zu einer immer radikaleren Agitation des RLB. Das Strickmuster war seit der Zeit des BdL immer gleich  : Eigenwohl wurde als Gemeinwohl ausgegeben  : Die Landwirtschaft ist das Fundament eines Staates, mit dem alle anderen Wirtschaftszweige auf Gedeih und Verderb verbunden sind. Ein Staat ist zu vergleichen mit einem Baume  : Zweige, Blätter und Blüten des Baumes sind Industrie, Handel und Gewerbe, die Wurzel aber ist die Landwirtschaft. […] Geht die Landwirtschaft zu Grunde, dann geht der Staat als Ganzes zu Grunde. […] Es gibt kein Deutschland der Bürger oder Bauern, der Beamten oder Arbeiter, wir alle gehören zusammen, es gibt nur ein deutsches Volk und ein deutsches Vaterland. In der Ackerscholle aber ruht die Kraft, die das deutsche Volk zu neuem Aufstieg führen wird.713 »Bayerischen Landbund« (evang. Franken) und den »Bayrischen Bauernbund«. Ersterer war der größte und stabilste Interressensverband, der erst ab 1932 in die Defensive geriet und im Juli 1933 aufgelöst – nicht in den RNSt integriert – wurde (Kirchinger  ; 2016, 191 ff.). Vgl. – auch für das Folgende – Gies, 1974, 674 f.; Flemming, 1978 und Merkenich, 1998, 69 ff. 711 Topf, 1933 sowie Pomp, 2011  ; Jungcurt, 2016 und Wehler, 4. Bd. 2003, 382 f. 712 Vgl. Dietze, 1964, 200 ff. und Burchardt, 1974, 74. 713 H. Uhl, »Bauernot ist Volksnot«, in  : Schleswig-Holsteinischer Bauernbund v. 25.1.1931, 3 f. (zit. n. Merkenich, 1998, 116).

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Der RLB stand von Anfang an der DNVP nahe, hatte aber in vielen Ländern bzw. preußischen Provinzen eigene Parlamentarier auf »Landbund-Listen«. 1925 rief er zur Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten auf, 1929 unterstützte er das von Hugenberg initiierte Volksbegehren gegen den Young-Plan, durch den die Reparationszahlungen Deutschlands neu geregelt werden sollten. Dieses »Freiheitsgesetz« sah aber auch eine strafrechtliche Verfolgung derjenigen Regierungsmitglieder als »Landesverräter« vor, die den Young-Plan befürworteten. Das Vorhaben scheiterte zwar, aber es zeigte, dass der RLB den Rechtsruck der Hugenberg-DNVP mitmachte. Es wurde zwar festgestellt, dass das Vorhaben auf dem Land weitaus erfolgreicher befürwortet worden war als in städtischen Regionen, aber führende RLB-Politiker wie Schiele und Hepp warnten in einer Bundesvorstandssitzung am 1. November 1929 vor einer Politisierung der Organisation zulasten ihrer wirtschafts- und interessenpolitischen Aufgaben. Es wurde sogar vor einer »Abhängigkeit gegenüber den Nationalsozialisten« gewarnt. Anlass dafür gaben die Aktivitäten des Hugenberg-Freunds Graf Kalckreuth. Schiele, der eine Stärkung der »Grünen Front« befürwortete, scheiterte mit seinem Plan, vor der RT-Wahl im September 1930 eine eigene Bauernpartei aus RBL und CNBLP zu gründen. Dagegen hatte Hugenberg mobilgemacht, der in der Idee mit Recht eine existentielle Gefährdung seiner DNVP sah.714 Noch mehr machte dem RLB die Interessenkollision der östlichen großagrarischen und der westlichen mittel- und kleinbäuerlichen Klientel zu schaffen. Das Problem führte im Juli 1928 zu einer Vertrauenskrise im RLB-Präsidium, woraufhin der bisherige Kopräsident, Graf Kalckreuth, zugunsten von Martin Schiele zurücktrat, der gerade als RMEL abgelöst worden war. Martin Schiele (1870–1939) war im Kabinett Luther 1925 Innenminister gewesen und im Kabinett Marx hatte er 1927 das RMEL übernommen. Das RLB-Präsidium bestand nun aus Martin Schiele, dem weiter amtierenden Karl Hepp von der CNBLP und dem Vorsitzenden des brandenburgischen LB, Albert Bethge. Im März 1930 wurde Schiele wieder RMEL, nun im Kabinett Brüning, und Eberhard Graf von Kalckreuth (1881–1941), erzkonservativer schlesischer Rittergutsbesitzer, konnte im Oktober 1930 wieder ins RLB-Präsidium zurückkehren, wurde nun sogar mit der Geschäftsführung betraut. Weil er nun keine Möglichkeit mehr sah, bäuerliche Interessen im RLB erfolgreich zu vertreten, resignierte Karl Hepp und trat im November 1930 als Kopräsident zurück. An seine Stelle trat Heinrich Lind (1878– 1941), Landwirt aus der Nähe von Hanau. Er war von 1920 bis 1930 für die DNVP im Reichstag gewesen, trat dann in die CNBLP ein, für die er bis 1932 MdR war. Da er aber nicht sehr durchsetzungsfähig war, überwogen die großagrarischen Interessen im RLB wie eh und je.715

714 Gessner, 1977, 236 ff. und 1981, 110 ff. sowie Merkenich, 1998, 300 ff. 715 Gessner, 1977, 240 ff. und Merkenich, 1998, 300 ff. Hepp wurde, wie viele andere landwirtschaftliche Interessenvertreter, im Frühjahr 1933 in »Schutzhaft« genommen. M. Müller, 2001, 203 ff.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Im März 1929 hatten sich der RLB (Schiele) mit dem DLR (Brandes), der »Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine« (Hermes) und der »Deutschen Bauernschaft« (Fehr) zusammengetan und ein Zweckbündnis gegründet, das »Grüne Front« genannt wurde, aber nur ein Jahr andauerte. Der Begriff »Grüne Front« wurde in der Publizistik erfunden, um das Bedürfnis der Agrarlobby, die landwirtschaftlichen Interessen zu bündeln, ›auf den Punkt‹ zu bringen. Die Protagonisten sprachen lieber von einer »Reichsbauernfront«. Aber im Streit um eine protektionistische Handelspolitik konnten die Interessen der Veredelungs- und die der Getreidewirtschaft nicht ›unter einen Hut‹ gebracht werden. Noch dazu verärgerte man die exportorientierte Industrie. Die Agrarkrise radikalisierte den RLB und seine Haltung gegenüber den wechselnden Reichsregierungen immer mehr. Er trat 1931 mit einer großen Delegation in Bad Harzburg auf, als Schacht und Hugenberg mit Hitler gemeinsame Sache gegen die Regierung Brüning machten. Und bei der Reichspräsidentenwahl 1932 rief der RLB im zweiten Wahlgang sogar zur Wahl Hitlers auf, weil sich Hindenburg von der SPD abhängig gemacht habe.716 Die zunehmenden Akzeptanzprobleme bei den Mitgliedern des RLB führten zu einer Austrittswelle in Thüringen, Hessen und Schlesien und im Zusammenhang mit der zunehmenden Distanz des RLB zu den Bestrebungen, eine »Reichsbauernfront« zu schaffen, sowie mit der Bauernrevolte in Schleswig-Holstein trennten sich mehrere Landbundfunktionäre, u. a. auch Martin Schiele, von der unter Hugenberg immer mehr nach rechts rückenden DNVP. Im Februar/März 1928, als der erste landwirtschaftliche Nothilfeplan (»Schiele-Programm«) aufgelegt worden war, wurde die »ChristlichNationale Bauern- und Landvolkpartei« (CNBLP) gegründet. Ihr ersterVorsitzender war der Thüringer Landbundpolitiker Erwin Baum, später Ministerpräsident einer Koalition mit der NSDAP, der Wilhelm Frick angehörte. Er verhalf Schultze-Naumburg und Günther, Darrés Freunden im Geiste, zu nicht unumstrittenen Professuren. Auch Karl Hepp, damals noch Mitglied des RLB-Präsidiums, engagierte sich in der CNBLP. Er war Sohn eines Landwirts und RT-Abgeordneten aus Hessen-Nassau, hatte Jura und Agrarwissenschaften studiert, war Kriegsfreiwilliger gewesen und hatte 1919 den väterlichen Hof in der Nähe von Weilburg übernommen. Hepp war von 1920 an kontinuierlich RT-Abgeordneter, zunächst für die DVP, nun für die CNBLP. Er war gleichzeitig Präsident der LK Hessen-Nassau in Wiesbaden. Baum, Hepp und auch Anton Fehr vom Bayerischen Bauenbund sorgten dafür, dass die neue Partei eine weitgehend klein- und mittelbäuerliche Interessenpolitik betrieb und so die vom Großgrundbesitz dominierte Politik des RLB ergänzte. Sie bekämpfte Sozialismus, Kapitalismus und Liberalismus (das »internationale Finanzkapital«) und trat für einen national-autarken, ständisch organisierten Bauernstaat mit dem Landvolk als »Jungbrunnen der deutschen Volkskraft« ein.717 716 Vgl. Das RLB-ABC. Berlin 1921  ; Topf, 1933  ; Kitani, 1966, 54 ff.; Schumacher, 1971  ; Gies, 1974, 674 f.; Gessner, 1976, 260 f. und 1981, 115 sowie Merkenich, 1998, 256 ff. 717 Vgl. Pyta, 1996, 311 ff.; Merkenich, 1998, 289 ff. und insbesondere M. Müller, 2001.

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Im Mai 1928 beteiligte sie sich erstmals an einer RT-Wahl. Etwa 550.000 Wähler gaben der neuen Partei ihre Stimmen, das waren 1,8 Prozent. Ihre neun Abgeordneten bildeten zusammen mit einem Kollegen des »Württembergischen Bauern- und Weingärtnerbundes« die Fraktion des »Deutschen Landvolkes«. Sie hatte in 25 von 31 Wahlkreisen eigene Kandidaten aufgestellt, fand bei den mitteldeutschen Landbünden besondere Unterstützung und nahm der DNVP prompt mehrere Mandate ab. Nach der Spaltung der DNVP 1929 schlossen sich deren Agrarexperten Schlange-Schöningen und Martin Schiele der Fraktion des »Deutschen Landvolkes« an. Die CNBLP war besonders in Hessen und Thüringen stark – woher auch ihre Gründer Baum und Hepp kamen –, weil sie dort ein Bündnis mit der jeweiligen regionalen »Landbundliste« eingegangen war. Dies traf auch für Sachsen, Franken und Württemberg zu. 1930 errang die CNBLP 19 Mandate, die RT-Fraktion des »Deutschen Landvolkes« umfasste 22 von insgesamt 577 Abgeordneten. Das entsprach 1,3 Millionen Stimmen oder 3,8 Prozent Wähleranteil. Es waren – wie auch bei der noch erfolgreicheren NSDAP – vornehmlich bisherige Nichtwähler sowie Unzufriedene, die vorher DNVP und DVP gewählt hatten. Danach allerdings wurde die CNBLP als Partei ausschließlich landwirtschaftlicher Interessen, in der viele den verlängerten Arm des RLB sahen, ein erstes Opfer der Agitation der NSDAP auf dem Lande, die von Darré und seinem »Agrarpolitischen Apparat« (ApA) entfesselt wurde. Bis Ende 1932 war die CNBLP völlig zerrieben, ihre Wähler von der NSDAP aufgesaugt worden. 718 Die Präsidenten des RLB hatten weitgehend die Funktion, die Interessen ihrer jeweiligen Klientel zu repräsentieren. Die Tagesarbeit wurde von vier Direktoren und ihren Mitarbeitern in der Zentrale des RLB in Berlin geleistet. In diesem Direktorium wiederum spielte Arno Kriegsheim eine herausragende Rolle, ein ehemaliger Generalstäbler im Range eines Majors, der 1919 aus der Reichswehr ausgeschieden war. Sein Kollege Heinrich von Sybel, Rittergutsbesitzer aus der Nähe von Köln und ebenfalls Offizier im Ersten Weltkrieg, wechselte schon im Dezember 1931 als MdR von der CNBLP zur NSDAP. Auch Kriegsheim und Kalckreuth gerieten zunehmend unter den Einfluss der Nationalsozialisten.719 Auf dem Weg in die staatliche Marktregelung für Nahrungsmittel

Wegen des fortschreitenden Bedeutungsverlustes der Landwirtschaft riefen die Betroffenen schon frühzeitig nach dem Schutz des Staates. Erstmals wurde dieser verständliche Reflex in der Agrarkrise der späten 1870er Jahre sichtbar, als sich bis 1887, d. h. innerhalb fast eines Jahrzehnts, die Agrarzölle verfünffachten. So sollte – zunächst bei Getreide – die billigere Produktion aus dem Ausland vom deutschen Markt fern718 Vgl. Barmeyer, 1971, 113 ff.; Schulz, 1975, 679 ff.; Jasper, 1986, 123  ; Gies, 1974, 143 und insbesondere M. Müller, 2001, 217 ff. 719 Gessner, 1976, 235  ; 239 ff. und 247 sowie Merkenich, 1998, 300 ff.

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gehalten und das Einkommen der heimischen Landwirtschaft auf Kosten der Verbraucher gesichert werden. Doch die Spirale staatlicher Interventionen in die Ernährungswirtschaft drehte sich fortan nicht nur immer schneller, es wurden auch weitere Bereiche einbezogen. Aus der monopolisierten Regulierung der Einfuhr wurde eine solche des Handels und eine staatlich gelenkte Preisstützung, der wiederum die Kontingentierung und Normierung der Produktion folgten. Auf diesem bereits bestehenden Instrumentarium aufbauend, etablierte Darré mit seinen Mitarbeitern im RMEL von 1933 bis 1938 die »Marktordnung des Reichsnährstandes« (MO des RNSt), ein immer geschlossener werdendes System der Reglementierung der Ernährungswirtschaft von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Verteilung und schließlich auch zum Verbrauch von Nahrungsmitteln.720 Eine Schlüsselrolle spielte dabei Gustav Ruhland. Er hatte die Mechanismen des internationalen Handels und der Preisbildung bei Getreide studiert und daraus in den 1890er Jahren die Idee eines »Syndikats« entwickelt, das Produzenten, Verarbeiter und Verteiler (Händler) zusammenschließen sollte zur Steuerung des Getreidemarktes mit dem Ziel einer »gerechten« Preisbildung. Diese »gebundenen Preise« sollten keinen jahreszeitlichen Schwankungen unterliegen, sie sollten sich auf einem mittleren Niveau bewegen und nicht durch Spekulanten beeinflusst werden können. So glaubte Ruhland, Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht halten zu können und die unpopulären Schutzzölle überflüssig zu machen. Ihm schwebte eine »organische« Organisation der Nationalwirtschaft vor, mit der Landwirtschaft im Zentrum. Kein Wunder, dass der BdL und Ruhland eng zusammenarbeiteten.721 Die ersten Herstellungs-, Verarbeitungs- und Vertriebsmonopole entstanden in der Kartoffel-, Zucker- und Getreidewirtschaft. Das Branntweinsteuergesetz von 1887 sollte die landwirtschaftlichen gegenüber der Konkurrenz der gewerblichen Brennereien schützen. 1899 hatte die »Zentrale Spiritusverwertung« alle Erzeuger, Verarbeiter und Händler unter agrarischer Führung zusammengefasst. So sollte der Einfluss der Börse auf die Preisbildung verhindert werden. 1918 folgte das Branntweinmonopolgesetz und 1922 wurde auch die Einfuhr der Rohstoffe staatlich reguliert. Als 1930 ein Zwang zur Beimischung von Spiritus zum Benzin beschlossen wurde, argumentierten die Befürworter des Gesetzes mit dem Hinweis, dadurch könne das Land wirtschaftlich unabhängiger werden. Zur Durchsetzung agrarischer Interessen war der Autarkiegedanke, der ja das nationale Allgemeinwohl im Auge zu haben vorgab, ein stereotyp angewandtes Argumentationsmuster. Es spielte auch bei der Durchsetzung der MO des RNSt eine wichtige Rolle.722

720 Vgl. – auch zum Folgenden – Reischle/Saure, 1. Aufl. 1934, 2. Aufl. 1936 u. 3. Aufl. 1940  ; Teichmann, 1955 und Corni/Gies, 1997, 43 ff. und 145 ff. 721 Vgl. Stegmann, 1974 und Corni/Gies, 1997, 23 ff. 722 Vgl. u. a. Puhle, 1975  ; Flemming, 1978 und Schumacher, 1978.

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Der Zuckerkontingentierung zum Schutze der Rübenbauern von 1896 folgte 1900 die Monopolisierung des Zuckermarktes durch ein Kartell, das auch nach dem Ersten Weltkrieg fortlebte. 1928 sollte eine Erhöhung des Zuckerzolls für eine Vergrößerung der Anbaufläche für Zuckerrüben und eine Erhöhung des Erzeugerpreises sorgen, was natürlich auf Kosten der Verbraucher ging, die wiederum durch eine Senkung der Zuckersteuer entlastet werden mussten. 1931 wurde das Zwangssyndikat der Zuckerindustrie zu einer »Wirtschaftlichen Vereinigung« fortentwickelt, weil der Druck der auswärtigen Rohrzuckerproduktion auf die Preisbildung immer größer wurde. Die Institution ging unverändert in die MO des RNSt ein. Ähnlich verlief die Entwicklung in der Getreidewirtschaft. Nach der kurzen »liberalistischen« Episode der Regierung Caprivi wurde von der Agrarlobby sofort wieder nach staatlicher Einfuhrreglementierung gerufen (Anträge von Kanitz im Reichstag 1894, 1895 und 1902). Dem folgte die Forderung nach einem Handelsmonopol zur Regulierung der Getreidepreise. Um deren jahreszeitliche Schwankungen zu vermeiden und den Absatz zu steuern, war die Magazinierung von Getreide der nächste Schritt. Die alsbald etablierte »Reichsgetreidestelle« wurde 1926 durch die »Deutsche Getreide-Handelsgesellschaft« ersetzt, die im Auftrag des Staates, der natürlich auch die Kosten trug, durch Aufkäufe, Einlagerung und Ausfuhren die Erzeugerpreise künstlich hoch hielt. Dabei zeigte sich nicht nur eine »tastende, schrittweise Hinwendung zur Planwirtschaft«, sondern auch ein »Zwang zu immer umfassenderen Eingriffen« in Produktion, Verarbeitung, Verteilung und Verbrauch von Getreide.723 Constantin von Dietze, ein Schüler Serings, war einer der wenigen aus dem Agrarsektor, der frühzeitig, aber vergeblich davor warnte, die Bauern würden »durch eine starke Unterstützung des Staates […] in eine bedenkliche Abhängigkeit vom Staat gelangen«. Denn es sei in einer parlamentarischen Demokratie unumgänglich, so der Experte, der es mit der Landwirtschaft gut meinte, dass der Gesetzgeber vorwiegend nichtlandwirtschaftlichen Einflüssen zugänglich sein wird. In Deutschland ist diese Gefahr noch besonders brennend, weil jeder Kampf gegen landwirtschaftliche Belange nach alter Gewohnheit den Wählern unter dem Schlagwort eines Kampfes gegen »Brotwucher« und »Junkertum« mundgerecht gemacht wird.724

Erst als ähnliche Konzepte von »links« auftauchten, entdeckte die Agrarlobby die Gefahr des »Staatssozialismus«. Das geschah 1927 beim Monopolprojekt der SPD. Auf einem Parteitag in Kiel hatte die Partei auf Vorschlag Fritz Baades ein Agrarprogramm beschlossen, das zum Schutz der Verbraucher vor steigenden Brotpreisen die Schaffung eines Getreidemonopols vorsah. Dabei war das Monopolprogramm der »Grünen Front« von 1929 noch umfassender, weil es nicht nur Einfuhr und Handel, 723 Programm der »Grünen Front«, am 20.3.1929 der Regierung zugeleitet (BA, R 43 I, Bd. 2541). 724 Dietze, 1929, 5 und 22 f. und H. Haushofer, 1958, 185 f.

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sondern auch die Verarbeitung von Getreide einbeziehen wollte. Die Agrarfunktionäre Brandes (DLR), Schiele (RLB), Hermes (Bauernvereine) und Fehr (Bauernschaft/Bauernbund) führten die »unerträglich gewordene Not« der Landwirtschaft ins Feld, die vermittels »durchgreifender staatlicher Maßnahmen« behoben werden müsse. Solange die Preisstützung durch Monopolisierung des Angebots, Regulierung des Absatzes und der Verarbeitung in der Hand der Erzeuger war, glaubte man vor einem staatlichen Preisdiktat gefeit zu sein.725 Beide Interessenvertretungen konnten sich auf Art. 156 WRV stützen, der die »Vergesellschaftung« von privaten wirtschaftlichen Unternehmen in »Gemeineigentum« ermöglichte. Im Falle dringenden Bedürfnisses zum Zwecke der Gemeinwirtschaft [sollte der Staat] durch Gesetz wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammenschließen [können] mit dem Ziele […], Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.

Die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland erreichte erst 1928 wieder das Niveau von 1912/13. Trotzdem gab es schon ab 1925 wieder Importzölle und Einfuhrkontingente bei Getreide, weil die deutsche Getreidewirtschaft gegenüber ausländischen Anbietern nicht konkurrenzfähig war. Die Weltwirtschaftskrise ging mit einem rapiden Preisverfall für Agrarprodukte einher, so dass die Getreideverarbeiter in das Reglementierungssystem durch Vermahlungsquoten und Beimischungszwang einbezogen werden mussten. Der Staat musste Roggen aufkaufen, einfärben und als Futtermittel verlustreich und auf Kosten der Steuerzahler in den Markt zurückführen. Und schließlich wurde auch das Konsumverhalten der Verbraucher z. B. bei den Brotsorten (weg vom Weizen, hin zum Roggen) zu steuern versucht. Aber der Ruf der Agrarlobby nach Hilfe des Staates wurde Ende der 1920er Jahre immer lauter. Doch Staatseingriffe  – wie etwa »Ostpreußenhilfe« und »Osthilfe«  – verhinderten dringend nötige Strukturveränderungen in der deutschen Landwirtschaft. Auch dieser Wirtschaftszweig hatte sich in der Inflation fast völlig entschuldet, versäumte es aber, nach der Währungsreform neu aufgenommene Kredite zur Modernisierung der Betriebe sowie zur Rationalisierung und Mechanisierung der Arbeitsabläufe zu verwenden.726 In der Weltwirtschaftskrise sanken die Einnahmen der deutschen Landwirtschaft weiter, während die Schulden größer wurden. Betriebliche 725 Baade, 1933 und Barmeyer, 1971, 89 f. 726 Ein zeitgenössischer Beobachter der Szene stellte 1930 dazu lakonisch fest  : »Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die bisherige deutsche Agrarpolitik mit allen ihren direkten und indirekten Hilfs- und Stützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft sich viel zu sehr die Erhaltung der Landwirtschaft mit ihrer bisherigen Betriebsweise, dem bisherigen Können und Wissen der Betriebsleiter und mit ihren bisherigen Produktionskosten zum Ziel gesetzt hat, anstatt vor allem schöpferische Kräfte

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Zusammenbrüche und Zwangsversteigerungen waren die Folge mit den entsprechenden Protesten der Landbevölkerung, insbesondere in Schleswig-Holstein. Darrés Mitstreiter, A. Georg Kenstler von den »Artamanen«, sah – wie gezeigt werden konnte – schon einen zweiten Bauernkrieg in Deutschland voraus. Die von BdL und RLB geforderten Interventionen des Staates konnten den Preisverfall der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht verhindern, sie wirkten sich aber negativ auf den industriellen Export aus, der für die Finanzierung der Reparationen und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen dringend gebraucht wurde. Zu Schutzzöllen kamen staatliche Kontingentierung, Normierung, Monopolisierung und Preisregelung für Nahrungsmittel, so dass das Netz des Staatsdirigismus immer enger wurde. Die »Deutsche Getreide-Handelsgesellschaft« (DGH) konnte durch staatlich finanzierte Aufkäufe, Einlagerungen und Ausfuhren einen völlig überhöhten Roggenpreis zugunsten der ostelbischen Großagrarier erwirken. Das kostete die Steuerzahler viel Geld und verfeindete die bevorteilten Großagrarier im Osten weiter mit den mittelständischen Bauern im Westen. Schon 1928 hatte Fritz Steding zur Beseitigung der »Störung des Gleichgewichts zwischen den Preisen der landwirtschaftlichen und denen der Industrieerzeugnisse« – andere sprachen von »Preisschere«  – ein Kartell »von Staats wegen durch Gesetz« gefordert und ein anderer Fachmann hatte eine »tastende, schrittweise Hinwendung zur Planwirtschaft […] und den Zwang zu immer umfassenderen Eingriffen« festgestellt.727 Denn der Überschuss an Roggen, der im Inland produziert wurde, aber keinen Absatz fand, musste vom Staat aufgekauft und mit Verlust zu Futterzwecken weiterverkauft werden. Außerdem mussten die Mühlen zum Kauf, zur Einlagerung, Beimischung und Vermahlung bestimmter Mengen gezwungen werden. Schließlich musste auch in die Tätigkeit der Bäcker und die Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher eingegriffen werden, indem Brotsorten deklariert und promotet werden mussten. Und das alles im Interesse der Landwirtschaft durch den Staat. Der Markt für Nahrungsgüter war schon reguliert, lange bevor die MO des RNSt eingeführt wurde. Darré brauchte sich als RMEL im Arsenal staatlicher Lenkungsmaßnahmen in der Agrarwirtschaft nur noch zu bedienen, die vorhandenen Instrumente mit den Ideen Ruhlands zu kombinieren und zu koordinieren – und die »Marktordnung« in der Ernährungswirtschaft war in ihren Grundzügen geschaffen. Die Nationalsozialisten übernahmen freilich auch ein Dilemma, das der deutschen Ernährungswirtschaft immanent war  : Was den ostdeutschen Getreideproduzenten frommte, schadete der westdeutschen Vieh- und Veredelungswirtschaft, die auf die Einfuhr billiger Futtermittel angewiesen war. Doch auch in diesem Sektor der Landwirtschaft zeigte es sich, dass eine Regulierung der anderen auf dem Fuße folgte. Für und das Eindringen wirtschaftlichen und technischen Fortschritts in die Landwirtschaft zu fördern.« (Wilbrandt, 1930, 87 f.). 727 Steding, 1928  ; Neuling, 1949, 88  ; H. Haushofer, 1958, 215 f. und Corni/Gies, 1997, 43 ff.

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diese Entwicklung zum Staatsdirigismus war die Errichtung eines Einfuhrmonopols für Mais am 1. April 1930 ein Markstein. Künftig durfte Mais nur durch die »Reichsmaisstelle«, die dem RMEL unterstand, eingeführt werden. Damit wollte man nicht nur eine Schutzzolllücke schließen, sondern auch die einheimische Kartoffel als Futtermittel fördern. Durch die Festlegung des Verkaufspreises für Mais und die Möglichkeit, das Maisangebot auf dem Markt zu regulieren, war so über ein Einfuhrmonopol ein staatliches Instrument auch zur Produktionslenkung und zur Fesselung des Handels geschaffen worden. Versuche, mit Ersatzfuttermitteln wie Hirse oder Dari die »Reichsmaisstelle« zu umgehen, musste der Staat mit einer weiteren Ausdehnung des Futtermittelmonopols begegnen. So wurde diese »Reichsmaisstelle« per Gesetz zu einem allgemeinen Futtermittelmonopol weiterentwickelt – über das Jahr 1933 hinaus. Zunächst Ölfrüchte, Ölsaaten sowie Ölkuchen, dann – am 30. April 1933, als das RMEL noch in deutschnationaler Hand war – wurde die »Reichsmaisstelle« umgewandelt in eine »Reichsstelle für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse«. Sie war eine staatliche, d. h. öffentlich-rechtliche Einrichtung, in die auch die privatrechtlich konstruierte DGH einging. Die Kosten überhöhter Futtermittelpreise hatten die Viehmäster in Nordwestdeutschland zu bezahlen. Um sie bei Laune zu halten, musste der Staat für Subventionen wiederum in die Steuerkasse greifen.728 Zwischen 1930 und 1932 halbierten sich die Erzeugerpreise für Fleisch- und Milchprodukte. Dazu kam eine rückläufige Nachfrage durch den Kaufkraftverfall der Verbraucher wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Durch den Einfluss der Ostelbier war das Verhältnis der Preise zwischen Getreide- und Vieherzeugnissen zuungunsten der Letzteren derart verändert worden, dass auch die Veredelungswirtschaft in das System staatsdirigistischen Agrarschutzes einbezogen werden musste. Die »Neuordnung der Fettwirtschaft«, die von dem deutschnationalen Staatssekretär im RMEL Hansjoachim von Rohr im Frühjahr 1933 durchgeführt wurde, gab vor, den Preis als »Mittel der Produktionsumlenkung« und »Überwindung der Fehlproduktion und Anpassung der Erzeugung an den Verbrauch« ernst zu nehmen. Allerdings übertrug der großagrarisch sozialisierte ehemalige RLB-Funktionär nur eine Politik, die in der Getreidewirtschaft seit Jahrzehnten praktiziert worden war, auf die Vieh- und Veredelungswirtschaft  : die Preismanipulation durch staatlichen Dirigismus.729

728 Es war der Präsident des DLR, Dr. Brandes, der auf der Jahrestagung seines »Verbandes der Deutschen Landwirtschaftskammern« am 5.4.1933 zustimmend das Instrumentarium staatlicher Marktbeeinflussung auflistete  : »Monopole, Verwendungs-, Abnahme-, Beimischungszwänge, verschiedene Besteuerungsarten, Kennzeichnung, Kontingentierung der Erzeugung […]«. (WTB-Pressedienst v. 5.4.1933, BA, R 42 II, Bd. 203, Bl. 26). 729 RGBl. 1933 I, 93  ; ebd., 143 ff.; ebd., 166 f.; ebd., 206  ; ebd., 242  ; ebd., 313 und ebd., 662. Rede von Rohrs v. 21.2.1933, WTB-Pressedienst, BA, R 43 I, Bd. 1301, abgedruckt bei Corni/Gies, 1994, 128 f. Außerdem  : Berliner Börsen-Zeitung v. 12.7.1933  ; H. von Rohr, 1933 und die Durchschrift von von

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Von Rohrs »Fettplan« sah eine »Verlagerung der deutschen Bedarfsdeckung von fremder auf heimische Grundlage« durch staatlich geförderten Ausbau der Grünfutter-, Hackfrucht- und Ölsaatenflächen sowie Silobau vor. Durch eine »Politik der planmäßigen Preisgestaltung« sollten auf Kosten der Verbraucher, von denen viele arbeitslos waren, und mit Steuergeldern die »Rettung der Bauern« und die »Unabhängigkeit unserer Versorgung« – andere sprachen von »Nahrungsfreiheit« – erreicht werden. RMEL Hugenberg brachte in einer Kabinettssitzung am 11. März 1933 das Dilemma auf den Punkt  : »Der Getreidebau sei nicht länger zu schützen, wenn die Fettproduktion nicht geschützt würde.« Hugenberg konnte sich gegen Einwände (genereller Einfuhrstopp und Schonung der Verbraucher, Bedenken wegen Bruchs von Handelsverträgen und außenpolitischer Isolierung) auch deshalb durchsetzen, weil er das RMEL und das RWM in Personalunion führte.730 Was das agrarpolitische Ziel anbetrifft, den Butterkonsum anzukurbeln und den Butterpreis zugunsten der Erzeuger anzuheben, sah der deutschnationale »Fettplan« eine Kontingentierung der Erzeugung vor und eine Steuer, die verschämt »Ausgleichsabgabe« genannt wurde, weil sie die Erhöhung der Verkaufspreise abmildern musste. Um die Belastung der Verbraucher weiter zu kompensieren, wurden »Reichsverbilligungsscheine« für Geringverdiener ausgegeben. Denn der Butterabsatz war zugunsten der billigeren Margarine stark zurückgegangen. Diese »Kunstbutter« war in den 1860er Jahren in Frankreich von einem Chemiker erfunden worden zur Verpflegung des Militärs mit haltbarem und preiswertem Streichfett. In den 1880er Jahren gab es in Deutschland schon mehr als 40 Margarinefabriken, auch, weil die ausländischen Erzeuger der Ersatzbutter den 30-prozentigen Importzoll umgehen wollten, indem sie binnenländische Produktionsstätten bauten. Die Margarine war immer Objekt landwirtschaftlicher Hetze. In agitatorischer Absicht wurde von einer »Surrogatindustrie« gesprochen, die Einfuhr der Rohstoffe, die zu ihrer Herstellung nötig waren, wurde bekämpft, ihre Gesundheit wurde angezweifelt, ja es wurde der Vorschlag gemacht, Margarine blau zu färben, um die Verbraucher davon abzuhalten, sie zu kaufen. Die Zurückdrängung der Margarine zugunsten der Butter zog eine Reihe weiterer Eingriffe in deren Produktions- und Vermarktungsprozess nach sich  : Kennzeichnungspflicht, Differenzierung der Verbraucher (Privathaushalte, Geringverdiener, Gaststätten und andere gewerbliche Betriebe) und regional unterschiedliche Lieferungsvorschriften beispielsweise. Schon das »Reichsmilchgesetz« von 1930 schuf auf Grundlage des Art. 156 WRV ein Instrumentarium, das, um der deutschen Milchwirtschaft zu helfen, den Staat ermächtigte, »Erzeugerbetriebe sowie Milch bearbeitende und verarbeitende Betriebe Rohrs, »Beitrag zur Deutschen Agrarpolitik«, 1934, die v. Verf. in einem Gespräch mit Hansjoachim von Rohr eingesehen wurde. 730 Protokoll d. Kabinettssitzungen vom 2. und 11. 3.1933, AdRk, Reg. Hitler, Teil I, Bd. 1, 1983, 151 ff. und 197 ff., teilw. abgedruckt bei Corni/Gies, 1994, 130 ff.

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zur Regelung der Verwertung von Milch und Milcherzeugnissen zusammenzuschließen«. Sein § 38, der »marktordnende Maßnahmen« wie die Ausschaltung unrentabler Molkereien ermöglichte, war auf Initiative der Agrarlobby eingefügt worden. Zur Förderung des Milchabsatzes konnten die »regionalen Zusammenschlüsse« als »Marktverbände« Erzeugerpreis und -menge sowie das Sammeln, Befördern, Bearbeiten von Milch einschließlich der Verkaufsmodalitäten festlegen. Dies war zunächst nur eine Option, auch die Einbeziehung des Handels war zunächst nicht vorgesehen, wurde aber schon 1932 in einigen Regionen (Bayern, Baden, Württemberg und in den Ballungszentren Berlin und Ruhrgebiet) praktiziert.731 Mit Hilfe des »Reichsmilchgesetzes« von 1930 konnten Anzahl der Milchkühe, Eigenverbrauchsquoten und Qualitätskriterien der Verarbeitung festgelegt werden. Im Mai 1933 wurde auf Initiative der NSDAP auf einer Tagung des »Deutschen Milchwirtschaftlichen Reichsverbandes« in einer Entschließung gefordert, dass auch die Handelsbetriebe Mitglied des agrarisch dominierten Zusammenschlusses werden sollten. Eine Gesetzesinitiative des deutschnational besetzten RMEL vom 11. Mai 1933 übertrug dann die Zuständigkeit für die Milchmarktregelung von den Ländern auf das Reich. Auf dieser Basis konnte ein Reichskommissar, mit staatlicher Zwangsgewalt ausgestattet, im Auftrage des RMEL Darré die gesamte deutsche Milchwirtschaft in die MO des RNSt überführen.732 Auch der deutschnational inspirierte »Fettplan« des ersten Halbjahres 1933 stand in der langen Tradition agarischer Interessenpolitik. Aber diesen Abwehr- und Schutzmaßnahmen zur Krisenbewältigung in der Ernährungswirtschaft lag kein »System«, keine wirtschaftspolitische, auch keine rassenideologische »Weltanschauung« zugrunde. Sie waren – wie überall in der Welt – improvisiert und ihr Zwangscharakter wurde erst im Laufe der Verschärfung der Probleme intensiver. Aber sie erleichterten es den Nationalsozialisten, die »Rettung des Bauernstandes« durch Knebelung des »verjudeten« Handels in Angriff zu nehmen  – und das mit umfassenden Zwangsmitteln und ohne Proteste. So war aus dem Ruf der Agrarlobby nach dem Staat als Helfer in der Not Staatsinterventionismus geworden, der schließlich zum Staatsdirigismus in der Ernährungswirtschaft weiterentwickelt werden musste, sollte das System funktionieren. Und das, bevor auch nur ein Nationalsozialist im RMEL das Sagen hatte. Freilich konnte das totalitäre Regime im »Dritten Reich« die Alimentierung der Landwirtschaft auf Kosten der Verbraucher und des Handels nur mit großer Vorsicht betreiben, wollte es ihre Akzeptanz bei den Betroffenen nicht aufs Spiel setzen.733

731 Corni/Gies, 1997, 53 ff. und Ottenjann/Ziessow, 1996. 732 BA, R 43 II, Bd. 199, Bl. 114  ; RGBl. 1933 I, 261 sowie Zweites Gesetz zur Änderung des Milchgesetzes v. 20.7.1933, RGBl. I, 527 und BA, R 43 I, Bd. 1464. 733 Vgl. u. a. – auch für das Folgende – Reischle/Saure, 1934 und 1936  ; Meinhold, 1937  ; Mehrens, 1938, 231 ff. und Schiller, 1940.

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Ab Spätsommer 1933 wurde die »Marktordnung« in der Ernärungswirtschaft realisiert. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis sie am Ende einer Reihe legislativer und organisatorischer Maßnahmen in ihren Grundzügen etabliert war. Dabei spielte der Druck, die Folgen einer Rekordernte 1933 zu meistern, den Nationalsozialisten vorzüglich in die Hände  : Um einen Rückgang der Getreidepreise zu verhindern, wurden gleichzeitig mit dem Beschluss über staatliche Stützungskäufe und deren Einlagerung bei den Mühlen die gesetzlichen Grundlagen für den »Reichsnährstand« (RNSt) gelegt.734 Schon am 15. Juli 1933 war ein Gesetz »über die Errichtung von Zwangskartellen« beschlossen worden und das RWM sowie das RMEL ermächtigt, »zum Zwecke der Marktregelung Unternehmungen zu Syndikaten, Kartellen […] zusammenzuschließen oder an bereits bestehende Zusammenschlüsse […] anzuschließen« und ihre Arbeit – notfalls mit Polizeigewalt – zu lenken. Doch während das RWM diese Ermächtigung weitgehend ignorierte, weil der neue Minister Dr. Kurt Schmitt von der Allianz-Versicherung und einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Bankwesen daran kein Interesse hatten, machte Darré in extenso davon Gebrauch. Die §§ 2 und 3 des Gesetzes vom 13. September 1933 (RNStG) gaben dem RNSt die Ermächtigung »zur Regelung der Erzeugung, das Absatzes sowie der Preise und Preisspannen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen«. Die entsprechenden Institutionen, die »Reichsstellen« (RStn) zur Steuerung des Importes von Lebensmitteln und die »Wirtschaftlichen Vereinigungen« (WV), denen Produzenten und Verarbeiter von Nahrungsgütern angehörten, gab es bereits. Aber was bei Getreide und Futtermitteln relativ schnell und reibungslos aufgebaut werden konnte, brauchte in der Vieh- und Veredelungswirtschaft mehr Zeit. Entscheidend war, dass sich Darré nicht nur auf die Landwirtschaft beschränkte, sondern Be- und Verarbeiter von Nahrungsmitteln, ja auch den entsprechenden Handel unter seine, d. h. die Kontrolle der Landwirtschaft bringen konnte. Dass bei den Verkaufspreisen die Belastbarkeit der Verbraucher stets beachtet werden musste, machte Hitler schon in der Kabinettssitzung vom 12. September 1933 klar  : »Eine Verteuerung des Brotes müsse unter Einsatz der Staatsautorität verhindert werden.«735 Die RStn waren Körperschaften des öffentlichen Rechts und wurden vom Staat finanziert. Sie überwachten nicht nur den Lebensmittelimport, sie steuerten auch die binnenländische Produktion, inden sie die auf dem heimischen Markt überschüssige Erzeugung aufkauften und einlagerten. Auf diese Weise wurden die Preise heimischer Produkte geschützt, die in der Regel über den Preisen auf dem Weltmarkt lagen. Bei Bedarf konnten dann Kontingente mit festgelegten Preisen in den Binnenmarkt eingeschleust werden. Solche RStn wurden in allen wichtigen Produktsektoren eingerich734 Vgl. das Kabinettsprotokoll v. 12.9.1933, AdRk, Reg. Hitler, Teil I, Bd. 2, 1983, 727 ff. 735 AdRK, Reg. Hitler, Teil I, Bd. 2, 1983, 729. Mit der 4. DVO zum RNSt-Gesetz v. 4.2.1935 war die Regulierung der ernährungswirtschaftlichen Märkte weitgehend abgeschlossen. Zu den Einzelbereichen – in der Viehwirtschaft dauerte es etwas länger – vgl. Mehrens, 1938.

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tet  : Die »RSt für Getreide, Futtermittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse« gab es schon aus der Ära Hugenberg/von Rohr. Sie wurde ergänzt durch eine »RSt für Öle und Fette«, die im Dezember 1933 umgewandelt wurde in eine »RSt für Milcherzeugnisse und Fette«, und im Dezember 1933 wurde eine »RSt für Eier« etabliert. Im März 1934 kamen eine »RSt für Tiere und tierische Erzeugnisse« und im September 1936 eine »RSt für Garten- und Weinbauerzeugnisse« dazu, die auch den Import von Südfrüchten regelte. Unnötig zu betonen, dass die RStn die Handlungsmöglichkeiten des Importgroßhandels erheblich einschränkten. Interessanter war die Begründung  : Genau so wenig wie die innere Marktordnung eine Ausschaltung des Handels bedeutete, sondern […] ihn lediglich aus seiner beherrschenden Stellung in die dienende Rolle gedrängt hat, aus dem Spekulanten und Händler wieder den Kaufmann im guten alten Sinne gemacht hat, genau so wenig bedeutet auch die Ordnung unserer Außenwirtschaft eine Ausschaltung der Außenhandelskaufleute. Im Gegenteil […]. Sie bestimmen freilich das Geschäft nicht mehr, es wird ihnen bestimmt – aber sie machen das Geschäft auch.736

Die »Wirtschaftlichen Vereinigungen« (WVn) gingen aus den schon bestehenden kartellartigen Zusammenschlüssen in der Nahrungsmittelindustrie hervor. Sie kamen nun unter den Einfluss des RNSt bzw. unter die Aufsicht des RMEL. Die WVn waren im »Dritten Reich« Zwangskartelle, ihre Mitglieder konnten sich einer Zugehörigkeit nicht entziehen. Sie hatten weitreichende Befugnisse zur Steuerung von Herstellung, Verarbeitung, Absatz und Preisgestaltung von Nahrungsmitteln bei ihren Mitgliedsbetrieben. Sie nahmen Einfluss auf die Produktion bestimmter Warensorten, legten Qualitätsnormen, Lieferbeziehungen und -wege fest und nahmen Einfluss auf die Verkaufsförderung durch Werbung. Die WVn genehmigten die Errichtung und Erweiterung von Betrieben oder deren Stilllegung. Sie bestimmten über Einlagerungsmodalitäten und Verarbeitungskontingente (z. B. Beimischungsquoten). Und das alles durch Funktionäre des RNSt und zur Entlastung der Landwirtschaft. Darrés enger Mitarbeiter Dr. Hermann Reischle sprach mit Recht von der Abschaffung der Gewerbefreiheit.737 Doch die WVn waren nur Übergangseinrichtungen zur Bindung der Nahrungsmittelindustrie an die Interessen der Landwirtschaft. Das eigentlich Neue in der Organisation der MO des RNSt waren die »Hauptvereinigungen« (HVn) in Berlin mit ihrem regionalen Unterbau, den »Marktverbänden« (MVn). Sie übernahmen alle bisherigen WVn. Es wurden nun ganze Produktionsbereiche von der Herstellung über die Verarbeitung bis zum Handel syndikatähnlich zusammengefasst. Dabei konnte man auf Erfahrungen insbesondere in der Milchwirtschaft zurückgreifen und für diesen Bereich 736 Fried, 1934, 72 und – auch für das Folgende – Corni/Gies, 1997, 150 ff. 737 Reischle/Saure, 1934, 123.

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wurde im März 1934 auch die erste HV geschaffen, die ab 1936 als »HV der deutschen Milchwirtschaft« firmierte. Sie umfasste alle Produktionsstufen von der Kuh über die Molkerei und Käserei bis zum Handel mit Milch und Milchprodukten. Unterhalb der HV als Zentrale wurden aus ca. 70 »Milchversorgungsverbänden« 15 regionale »Milchwirtschaftsverbände« gebildet. 1938 erhielt diese HV auch die Zuständigkeit für die Fettwirtschaft.738 Der Aufbau der »HV der deutschen Viehwirtschaft« war 1935 abgeschlossen. Sie umfasste alle Bauern und Landwirte, Viehhändler, Agenten, Makler, Schlächter, Metzger und auch solche Betriebe, die tierische Fette für die menschliche Ernährung verarbeiteten. Die »HV der deutschen Eierwirtschaft« wurde im November 1935 um die Schlachtgeflügel- und die Honigwirtschaft erweitert. Die »WV der Roggenund Weizenmühlen« ging 1934 in die regionalen »Getreidewirtschaftsverbände« über, die in ihrer Zuständigkeit an die »Landesbauernschaften« gebunden waren, so dass der RNSt über den »Landesbauernführer« die landwirtschaftlichen Interessen direkt durchsetzen konnte. Ihre Zentrale war die »HV der deutschen Getreidewirtschaft«. 1937 wurde sie mit der »WV der Futtermittelhersteller« vereinigt zur »HV der deutschen Getreide und Futtermittelwirtschaft«. Hinzu kamen HVn für die Zucker-, die Kartoffel-, die Garten- und Wein-, die Brau- und schließlich die Fischwirtschaft, so dass es insgesamt zehn Syndikate für Agrarprodukte gab. Selbstverständlich wurde im RNSt betont, die Zusammenschlüsse seien »nicht zum Zwecke der Marktbeherrschung« geschaffen worden, sie hätten vielmehr »den sozialistischen Charakter der Marktversorgung«. Alle MVe und HVn waren formal selbstständige Körperschaften, die nur der Staatsaufsicht des RMEL unterstanden. Im Unterschied zu den RStn war ihnen jedoch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit untersagt. Die Mitgliedschaft der ihnen angehörenden Betriebe konnte nicht erworben werden, sie beruhte auf gesetzlichem Zwang. HVn und MVe konnten ihre Anordnungen mit Hilfe der staatlichen Polizeigewalt durchsetzen.739 Die von der nationalsozialistischen Propaganda betonte Autonomie dieser Einrichtungen zur Lenkung des Marktes für Nahrungsmittel war eine Chimäre, weil der RNSt als ihr Träger nur formal ein »korporativer« Zusammenschluss der Landwirtschaft war, in Wirklichkeit aber auch Verarbeiter und Verteiler von Nahrungsmitteln zwangsweise inkorporiert hatte. Da Darré gleichzeitig als »Reichsbauernführer« an der Spitze des RNSt stand und als Minister das RMEL leitete, war durch diese Personalunion der Einfluss des Staates auf die »bäuerliche Selbstverwaltung« gewährleistet. Aber mit der MO des RNSt entstand ein gewaltiger bürokratischer Apparat, der seinesgleichen suchte. Seine Mehrstufigkeit allerdings bewirkte, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt werden konnten. Dadurch aber, dass die Zuständigkeit der MVe an die Grenzen der »Landesbauernschaften« gebunden waren, gab es teilweise nur Er738 Mehrens, 1938, 18 ff. und 230 ff.; Schürmann, 1941, 323 ff. und Corni/Gies, 1997, 157 ff. 739 Reischle/Saure, 1934, 79 ff. (Zitat  : 90).

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zeugungs- oder nur Verbrauchsregionen. Dieses Handicap einzelner MVe stärkte die Zentrale und das »Führerprinzip« und sorgte dafür, dass ihre Aktivitäten nach BefehlGehorsam-Mechanismen funktionierten. Von »Selbstverwaltung« konnte angesichts der staatlichen Dirigier- und Eingriffsbefugnisse keine Rede sein. Ständestaat im 20. Jahrhundert? Der »Reichsnährstand«

Constantin von Dietze hatte für das Genossenschaftsprinzip der Selbsthilfe plädiert, um die Unabhängigkeit der Landwirtschaft vom Staat zu gewährleisten. Schließlich war sein Idealbild der »freie Bauer auf freier Scholle«. Hierfür stand im Arsenal der Ideengeschichte das Modell des »Ständestaates« zur Verfügung. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 war »Stand« als Gemeinschaft von Menschen mit besonderen Rechten und Pflichten definiert worden und aus der mittelalterlichen Gesellschaftsstruktur mit Adel, Klerus, Bauern und (Stadt-)Bürgern abgeleitet. Sie hatten nicht nur rechtliche und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten, sondern entwickelten auch gemeinsame moralische und ethische Maßstäbe, z. B. in der Lebensführung (»Standesehre«). Seit der Antike war »Stand« mit einer als »gottgegeben« angesehenen Ordnung verbunden, in der eine ganzheitliche Harmonie und Eintracht herrscht und in welcher der Einzelne auf festem Grund und Boden »steht«. Der meist monarchisch-autoritäre Staat ruhte auf dieser sozialen Ordnung, die eher statisch als dynamisch, eher auf Beharrung als auf Bewegung hin orientiert war – wie das Bauerntum. Daneben gab es aber auch Berufsstände als »Lebensgemeinschaften« (Zünfte, Gilden), die mehr sein wollten als Interessenvertretungen im modernen Sinne. Auch sie strebten – unter dem Dach des Staates – nach Autonomie.740 Viele derjenigen, die gegen die Ideen der Aufklärung und gegen die Errungenschaften der Französischen Revolution waren und vor allem der katholisch geprägten politischen Romantik angehörten, griffen im 19. und 20. Jahrhundert auf den Ständestaatgedanken zurück. Im Wesentlichen waren es drei Lager, die, von Wunschdenken geleitet, Modelle in diese rückwärtsgewandte Richtung entwickelten  : die antimoderne katholische Soziallehre, die antiliberale Wirtschafts- sowie die antidemokratische und antimarxistische Gesellschaftstheorie. Es war die Sehnsucht nach der »Harmonie« vorindustrieller Zeiten, als es – angeblich – noch keine antagonistische Entwicklung in Gesellschaft und Wirtschaft sowie keine »Zerstückelung« der Arbeitsprozesse und keinen »Klassenkampf« gegeben habe. Es war das irrationale Verlangen nach Ganzheit, Gemeinschaft, ja nach »organischer« Einheit auch des Staatsaufbaues, das im »Ständestaat« ein politisches Leitbild gefunden zu haben glaubte. Der allen diesen Richtungen gemeinsame Anti-Affekt führte dazu, dass die recht gegensätzlichen politischen 740 Vgl. Herrfahrdt, 1921, der »Berufsstände« als »öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaften mit Selbstverwaltung« forderte (»Die Formen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung«, in  : Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1922, 32 ff.)  ; J. H. Kaiser, 1962 und W. Conze, 1990.

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Bewegungen auch Schnittmengen hatten, die Gemeinsamkeiten vortäuschten, welche die realpolitischen Gegensätze überlagerten und zu Unschärfen in der Zuordnung führten, die Missverständnissen Tür und Tor öffneten.741 Diese antiaufklärerischen, antimaterialistischen, antikapitalistischen, antiindustriellen, aber auch antimarxistischen, antiliberalen und antiindividualistischen Affekte wurden in der Weimarer Republik ergänzt durch eine Demokratie-, Parteien- und Parlamentsverdrossenheit, die der reaktionären Illusion ständestaatlicher Ordnungsvorstellungen Vorschub leistete. Und es waren jene mittelständischen Wirtschaftsbereiche aus Gewerbe, Handwerk und insbesondere aus der Landwirtschaft, die – wettbewerbsmüde und modernisierungsunwillig  – durch die fortschreitende Industrialisierung in ihrer Existenz gefährdet waren. Theodor Geiger vertrat die Meinung, das Ständestaatmodell sei für sie insofern eine »messianische Verheißung« gewesen, als sie davon mehr Geltung und Prestige erwarten konnten. Für die Landwirtschaft, den »Nährstand«, d. h. die Ernährer des Volkes, bedeutete dies, eine privilegierte Position an der Spitze der Gesellschaft zurückzugewinnen, die längst verloren gegangen war. So erklärt sich die Attraktivität, die eigentlich reaktionäre und atavistische »ständische« Ordnungsformen bei den Bauern noch in den 1930er Jahren hatten. Es war eine Art Vergangenheitsbeschwörung aus Verzweiflung gegenüber einer unaufhaltsamen Marginalisierung ihres einstmals »primären Sektors« in Wirtschaft und Staat. Es war pure Existenzangst, aber auch eine gewisse Prädisposition in der Mentalität der ländlichen Bevölkerung, wenn es etwa um Abgrenzung von der »Klassen«-Gesellschaft ging, dürfte eine Rolle gespielt haben.742 In konservativen Kreisen sah man im autoritären »Ständestaat« eine Möglichkeit zu retten, was nicht mehr zu retten war  : ihren materiellen Besitzstand, ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihr soziales Ansehen. So suchten sie gegen wirtschaftlichen »Liberalismus«, gegen »zügellosen Individualismus«, gegen »sozialistische Gleichmacherei« und demokratischen Parlamentarismus eine Alternative – und fanden sie im »Ständestaat«. Um die »Herrschaft der Minderwertigen« (E. J. Jung) abzuschaffen, waren sie sogar bereit, einen »Führerstaat« in Kauf zu nehmen. Sie übersahen, dass der Machtanspruch einer »neuen Elite«, das »Führerprinzip« und der Totalitarismus eines Einparteienstaates die »berufsständische« Selbstbehauptung und Selbstverwaltung im Keim ersticken würden. An dieser Quadratur des Kreises ist auch Darré schließlich mit seinem »Reichsnährstand« (RNSt) im »Dritten Reich« gescheitert.743 Die katholische Soziallehre unterstützte die Ständestaatbestrebungen und im katholisch geprägten ländlichen Milieu konnten die päpstlichen Enzykliken »Rerum Novarum« von 1891 und »Quadragesimo anno« von 1931 mit großer Akzeptanz rechnen. Darin wurden die »Handwerkerzünfte« als Alternative und Beispiel zur Über741 Vgl. – auch zum Folgenden – Corni/Gies, 1994, 24 ff. und 103 ff. sowie Corni/Gies 1997, 62 ff. 742 Vgl. Geiger, 1932, 121 und Sontheimer, 1962. 743 Vgl. u. a. Mayer-Tasch, 1971 sowie P. Nolte, 2003, 233 ff. und zur Typologie der ständischen Verfassungen in Europa  : Hintze, 1941.

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windung des »Klassenkampfes« angeführt. Die Bildung ständisch strukturierter Gemeinschaften galt als naturbedingt (»organisch«) und »wahr«, d. h. »gottgegeben«. Ziel war ein wohlgeordnetes Gemeinwesen, das durch »Vereinigungen« strukturiert werde, die nach dem »Subsidiaritätsprinzip« öffentlich-soziale Aufgaben in Solidarität wahrzunehmen hätte. Diese »wohlgeordneten Glieder am sozialen Körper« wurden in der orthodox-katholischen Soziallehre »Stände« (ordines) genannt und der Staat wurde als »gewachsener Organismus« verstanden.744 Solche Zielvorstellungen waren – wie dargelegt wurde – durch die politische Romantik, etwa durch Adam Müller, gut vorbereitet oder wurden  – zeitnaher  – durch Othmar Spann publikumswirksam begleitet. Spann war es auch, der Müller nach 100 Jahren wieder bekannt machte. Müller war gegen die liberale Wirtschaftslehre der englischen Schule um Adam Smith angegangen, d. h. gegen den freien Wettbewerb und die Preisbildung nach Angebot und Nachfrage, gegen Arbeitsteilung und gegen die Gleichsetzung mobiler und immobiler Dinge, wie z. B. des Bodens, des Grundbesitzes, im Code Napoléon von 1813. Müller hatte alles abgelehnt, was durch die Französische Revolution und den technischen Fortschritt verändert worden war. Er hatte die »unorganische« Geldwirtschaft und jede materialistische und technizistische Gesinnung verabscheut – obwohl das »Maschinenzeitalter« zu seinen Lebzeiten gerade erst in England begonnen hatte. Stattdessen hatte er »das heilige Bündnis eines Volkes mit seinem Boden« gepriesen.745 Müller hatte schon vom »Nährstand« gesprochen und deutete jene Doppeltypologie bäuerlich und landwirtschaftlich geprägter Betriebe an, die später auch Darré vornahm. Aber Müller sprach von dem einen Hof, der in sich ruhend (»autark«) und marktfern wirtschafte, und dem anderen Hof, der marktnah (»merkantil«) und gewinnorientiert arbeite – von rassenideologischen Kriterien, die für Darré bei der Unterscheidung von »Bauer« und »Landwirt« maßgeblich waren, kann bei Adam Müller keine Rede sein. Der katholische Konvertit favorisierte das ständisch gegliederte mittelalterliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, er protestierte gegen »das unverhältnismäßige Übergewicht des Handels und der Manufaktur über den Ackerbau« und er pries die »natürlichen« Abhängigkeitsverhältnisse in der alten Agrarverfassung und das ständische Mitbestimmungsrecht. Beides, so meinte er, sei »aus dem Geiste des deutschen Volkstums« erwachsen. Zu seiner Zeit gab es noch keine Industrialisierung und Urbanisierung.746 Man muss nicht an eine »Geburt des deutschen Nationalismus aus dem Geist der Romantik« (Eva Reichmann) glauben, denn ein Jahrhundert später war es ein österreichischer Soziologe, der einen »wahren Staat« auf einer ständisch strukturierten 744 Vgl. Lindgens, 1987 (Zitat  : 90). Links-katholische Sozialwissenschaftler wie Oswald von Nell-Breuning setzten andere Akzente. 745 Frauendorfer, 1957, 278 ff. Vgl. auch Baxa, 1930. 746 G. v. Busse, 1928  ; F. Schnabel, 1964, Bd. 2, 48 f. und 237 sowie Langner, 1975.

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Gesellschaft aufbauen wollte.747 Othmar Spann (1878–1950) konnte sich mit seinem antimarxistischen und antidemokratischen Alternativmodell zwar auf Adam Müller berufen, es gibt sogar direkte Anleihen, aber dies dürfte eher einer konservativ-katholischen als einer völkisch-nationalistischen Grundhaltung geschuldet sein. Der Professor für Nationalökonomie und Gesellschaftslehre an der Universität Wien war 1903 in Tübingen promoviert worden, hatte sich 1907 in Brünn für Volkswirtschaftslehre und Statistik habilitiert, bevor er 1919 nach Wien berufen wurde. Nach der »Heimholung« Österreichs in das »Reich« 1938 wurde er mit 60 Jahren in den Ruhestand versetzt, weil seine Auffassungen mit dem »totalen Staat« der Nationalsozialisten nicht vereinbar waren. Dabei hatte er zeitweilig mit ihnen, u. a. mit Rosenberg, zusammengearbeitet  ; er gilt heute noch bei vielen als geistiger Vater des »Austrofaschismus«, aber Spanns katholisch-klerikale, »universalistische« Grundausrichtung hatte schon frühzeitig für getrennte Wege gesorgt.748 Spann ging von der Annahme aus, dass das Ganze den Teilen übergeordnet sei, und konnte sich dabei auf Platon berufen. Für den Staat folgerte er daraus, nicht den Individuen, sondern dem »Volksganzen« gebühre die oberste Priorität. Dieses »Volksganze« werde von einem Herrscher repräsentiert, der aber seine Souveränität an die Berufsstände weiterleite. Denn  : »Die Herrschaft kann ihrer Natur nach nur von oben nach unten gehen.« Spanns »wahrer Staat« war ein autoritärer, kein totalitärer Staat. Nicht Quantität (Masse, Mehrheit), sondern Qualität (Leistung, Befähigung) sollte das entscheidende Kriterium sein. Um die Herrschaft der Besten zu ermöglichen, müssten die Kompetenzen der Menschen, die sich in ihren Berufen offenbarten, über den Grad der Einflussnahme im Gemeinwesen entscheiden. So erhielten die Berufsstände in Spanns Staatsmodell eine herausgehobene Stellung  : Sie gaben ihm Struktur, sie sollten ihre Angelegenheiten in Selbstbestimmung regeln und sie erhielten staatliche Hoheitsrechte, um für das »Volksganze« zu wirken.749 Wie Edgar Jung lehnte auch Spann die parlamentarische Demokratie ab, weil sie »die Mehrheit in den Sattel« setze und damit »das Niedere herrschend mache über das Höhere.«750 Er wollte die Stimmen nicht, wie in der Demokratie, zählen, er wollte sie wiegen, um ihnen nach dem Grad der Kompetenz Einfluss zu ermöglichen. Menschen seien nicht gleich kompetent und dürften deshalb nur da mitreden, wo sie durch gleiche Fähigkeiten dazu instand gesetzt würden. Die Wahrheit werde weder durch Mehrheitsentscheidungen gefunden noch gar bestimmt – sie sei »gottgegeben«. Aber von Adam Müller über Oswald Spengler zu Othmar Spann und Edgar Jung – die vom Katholizismus geprägten Sozialromantiker waren keine Rassisten. Ihr 747 Reichmann, o. J., 219 sowie Spann, 1921, 1926 und 1930a. 748 Vgl. Schneller, 1970  ; Siegfried, 1974  ; Alemann, 1981  ; Becher, 1985  ; Pichler, 1988 und J. Beyer, 1941. 749 Spann, 1931, 164 sowie Schneller, 1970. 750 Spann, 1923, 110 und Siegfried, 1974.

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Staats- und Gesellschaftsmodell orientierte sich an der Natur, dem »Organischen« und Ganz­heitlichen, nicht an der »Rasse«. Aber es war elitär, rückwärtsgewandt, demokratiefeindlich und dieser Korporatismus wurde als dritter Weg neben den liberalen und den marxistischen Gesellschafts- und Staatsmodellen verstanden. Eine Vielzahl hierarchisch aufgebauter Gemeinschaften, nach Berufsgruppen geordnet, sollte die liberale Gesellschaft, die kapitalistische Wirtschaft und die von Parteien beherrschte parlamentarische Demokratie respektive den republikanischen Staat ersetzen. Wenn Spengler betonte, nur »die großen Einzelnen« seien es, »die Geschichte machen, was ›in Masse‹ auftritt, kann nur ihr Objekt sein«, traf er sich mit dem Ressentiment Jungs von der »Herrschaft der Minderwertigen«. Spann setzte dagegen als Alternative den autoritären Ständestaat, in dem die (berufliche) Kompetenz die Wertigkeit des einzelnen Staatsbürgers bestimmen sollte – aber nicht ein »rassisches« Konstrukt.751 Am längsten hielt sich der »berufsständische Gedanke« als Strukturprinzip der Gesellschaft im »Mittelstand«, beim Handwerk und vor allem beim Bauerntum. Hier war auch der Wunsch nach Rückgewinnung verloren gegangener ökonomischer und politischer Bedeutsamkeit, nach wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit, nach Harmonie und Integration besonders groß. In einem eigenen »Stand« konnte man sich geborgen fühlen – und dazu noch die eigenen Interessen nach außen vertreten. Besonders im katholischen Milieu des Rheinlandes und seinen »Bauernvereinen« war noch zu Beginn der 1930er Jahre vom »organischen ständischen Aufbau des Staates« die Rede. Von Proletarisierung bedroht, griffen die Bauern – vor allem als Wähler – in ihrer Existenznot nach jedem Strohhalm.752 Das ist so verständlich wie die Nähe des alten Adels als »Geburtsstand« zum »ständischen«Aufbau des Staates und zur »berufsständischen« Gliederung der Wirtschaft. Nicht nachvollziehbar dagegen ist der fahrlässige Umgang vieler konservativer Intellektueller in der Weimarer Republik mit den Begriffen »Rasse« und »Elite«. Wenn Heinrich von Gleichen, der 1924 den »Deutschen Herrenclub« mitbegründet hatte, einen »Adel nordischer und christlicher Gesinnung« und »freie deutsche Herrenmenschen« an der Spitze der Gesellschaft sehen wollte, dann wird deutlich, wie sehr der Blick dieser Zeitgenossen getrübt war. Es ist einzig der »Wille, sich gegen die bestehende organisierte Massenherrschaft, gegen Parlamentarismus und Demokratie […] durchzusetzen«, der dieses Tohuwabohu im Kopf zu erklären vermag. Darré, der Klerikalismus und auch Freimaurerei radikal ablehnte und beide in einer Art Misstrauenssyndrom hinter jeder politischen Ecke lauern sah, wollte wirklich nichts mit einer katholischen Soziallehre zu tun haben, die von »Rom« inspiriert war, im Gegenteil. Außerdem war sein »Reichsnährstand« eine leistungsorientierte Arbeitsgemeinschaft,

751 Spengler, 1933, 171. 752 Vgl. Gessner, 1976, 253 und G. Gundlach, Art. »Stand, Ständewesen«, in  : Staats-Lexikon der GörresGesellschaft, Freiburg 5. Aufl. 1932, Bd. 5, Sp. 45 ff. sowie ders., »Ständestaat«, ebd., Sp. 67 ff.

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aber kein »Berufsstand« wie in der konservativ-katholischen Soziallehre eines Gustav Gundlach.753 Darrés Korrespondenzpartner Edgar J. Jung, der zu den Mitbegründern des »Juni-Klubs« gehörte, suchte nach »Maßnahmen zur Hebung rassisch wertvoller Bestandteile des deutschen Volkes zur Verhinderung minderwertigen Zustromes« und er wollte »die Parteien mit Feuer und Schwert austilgen«. Der Redenschreiber des Reichskanzlers Franz von Papen trat – in Anlehnung an Spanns Universalismus – für eine »ständische« Struktur von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat ein. Jung stellte sich Berufsstände als »organische« Arbeits- und Produktionsgemeinschaften vor, die in einer »Reichsständekammer« mit weitreichenden Selbstverwaltungsrechten zusammengefasst sein sollten. Ob diese »Selbstverwaltung« in der Praxis eines »autoritären« Staates, dem die »Aufsicht« über die »Stände« zugesprochen wurde, Bestand haben würde, fragte sich Jung zunächst nicht.754 Darré gab 1933 die Antwort, indem die Ämter des RMEL und des RBF in einer, nämlich seiner Hand vereinigt wurden. Aber selbst diese Personalunion von »ständischem« und staatlichem Amt hatte in der totalitären NS-Diktatur Hitlers keine Chance. Auch einige Vertreter des Tat-Kreises strebten eine weitgehend autonome berufsständische Organisation der Wirtschaft an, mit einem »Reichswirtschaftsrat« an der Spitze. Sie konnten sich sogar auf Art. 156 der WRV berufen. Aber auch die Journalisten der Tat, Wirsing und Fried, stellten sich nicht die Frage, wie diese »Selbstverwaltung« in einem »autoritären« oder gar »totalitären« Staat funktionieren könne. Jugendbewegte Nostalgie – waren die »Bünde« nicht so etwas wie »Stände«  ? – und antikapitalistische Affekte – »Der Kapitalismus ist tot  !« (Fried, 1931) – verdrängten wohl solche Bedenken. Wichtiger war ihnen, die »Wende«, den »Zusammenbruch der bürgerlichen Parteien«, das »Ende des Parlamentarismus« und an deren Platz sollte eine »ständische« Staats- und Wirtschaftsstruktur herbeigeschrieben werden.755 Angesichts der Weltwirtschaftskrise und des Zusammenbruchs des Weltmarktes ging es ihnen um einen starken Staat mit einer formierten Gesellschaft und mit einer autarken Großraumwirtschaft, die sich am Bedarf der Bevölkerung orientieren sollte. Wie eine solche antiliberale, staatlich gelenkte »Bedarfsdeckungswirtschaft« ohne Zwang funktionieren könnte, einer solchen Frage entzogen sie sich. Die »Marktordnung« des RNSt gab darauf eine Antwort  : Von der »Erzeugungsschlacht« (Produzenten) bis zum »Kampf dem Verderb« (Verbraucher) musste der heimische Bedarf mit dem gedeckt werden, was vorhanden war und auf dem Weltmarkt gekauft werden 753 H. von Gleichen, »Adel, eine politische Forderung«, in  : Preußische Jahrbücher 197/1924, 143 f., zit. n. Breuer, 1993, 101 ff. Vgl. auch Gerstenberger, 1969. 754 Jung, 1930, 126, 246 und 299 f. Vgl. auch Mohler, 1989, Bd. 1, 141. 755 Vgl. F. Fried, »Wende in der Wirtschaft«, in  : Die Tat, 1931, 848 ff.; H. Herrfahrdt, »Verwaltungsreform und berufsständische Bewegung«, in  : Die Tat, Okt. 1925, 546 ff. und W. Zehrer, »Zusammenbruch der bürgerlichen Parteien«, in  : Die Tat, 1930, 401 ff.

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durfte/konnte – eine entsprechende Anpassung des Lebensstandards nach unten inklusive. Schon in den frühen 1920er Jahren hatte Arthur Moeller van den Bruck gewusst  : »Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde«. Auch der RLB, die CNBLP und Hugenbergs DNVP hatten in ihren politischen Programmen das Ziel eines autoritären Staates »auf berufsständischer Grundlage« verankert. Im Juli 1929 hatten sie mit der NSDAP das Volksbegehren gegen den Young-Plan in Gang gesetzt, das dann aber im Dezember scheiterte. Immerhin hatten 5,8 Millionen Bürger (13,8 Prozent) zugestimmt. Auch bei den linken Nationalsozialisten sprach man von der »antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes« (Gregor Strasser). Aber nach Hitlers Konzept einer Machteroberung mit »legalen« Mitteln und durch sein Bündnis mit dem konservativen Establishment hatten deren sozialistische Lösungsvorstellungen keine Chance mehr. Stattdessen bot sich manchen Nationalsozialisten der »Ständestaatgedanke« als Alternative an. Baldur von Schirach hoffte, die »Klasse« durch das »Erlebnis des Standes« vergessen machen zu können. So rückten die faschistisch regierten Staaten in Europa als Anschauungsobjekte in den Vordergrund  : der »stato corporativo« in Mussolinis Italien, der »Austrofaschismus« der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg in Österreich sowie der »estado nuevo« in Francos Spanien.756 Es war Moeller van den Bruck, der schon 1922, also kurz nach Mussolinis »Marsch auf Rom«, einen Aufsatz mit dem Titel »Italia docet« veröffentlicht hatte. Auch Edgar Jung fuhr im Juli 1930 nach Italien, um sich von Mussolini Illusionen und Wunschdenken in Hinsicht der Frage bestätigen zu lassen, wie autonome Körperschaften öffentlichen Rechts (»Stände«) in einem autoritären Staat mit einem charismatischen Führer funktionierten. Und eine »Arbeitsgemeinschaft für den Berufsständischen Aufbau« um den konservativen deutschnationalen Landbundfunktionär Hansjoachim von Rohr aus Pommern, später Staatssekretär im RMEL unter Hugenberg und kurze Zeit auch unter Darré, reiste schon 1928 nach Italien, um die in der »Carta del Lavoro« von 1927 grundgelegte syndikalistisch-korporative Sozialverfassung zu studieren. Die Überlagerung des korporativen Selbstverwaltungsprinzips durch den autoritären Staat wurde in dem Arbeitskreis durchaus nicht als anstößig empfunden. In der syndikalistischen Periode des italienischen Faschismus hatten die Korporationen noch die Aufgabe, den Arbeitsfrieden herzustellen. In der »Carta del Lavoro« aber waren sie zu Staatsorganen geworden. In der entsprechenden Gesetzgebung ab 1934 wurden sie vollends Instrumente des Staates zur Regulierung der gesamten Wirtschaft. Schon 1925 war in Italien die »battaglia del grano«, die »Weizenschlacht« ausgerufen worden, um die Eigenproduktion anzukurbeln. Auch die »bonifica integrale«, die Bodenkul756 Moeller van den Bruck, 1923, 119  ; Franz, 1963, 529 und Schirach 1930 in einem Vortrag bei den »Artamanen«, abgedruckt in  : Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit, Heft 7/1930, 326 sowie L. Baudin, Le corporatisme. Italie, Portugal, Allemagne, Espagne, France. Paris 1941.

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tivierung von 1928, hatte das Ziel, der Nahrungsmittelautarkie näherzukommen. Im Gesetz von 1934 gab es acht agrarische »Korporationen«, die nach Branchen (Getreide, Obst/Gartenbau, Wein, Öle, Zucker, Viehwirtschaft/Fischerei, Holz und Textilien) sortiert Erzeuger, Be- und Verarbeiter, ja sogar Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenfassten. Alles das hatte bei vielen konservativen Zeitgenossen in Deutschland Vorbildcharakter.757 Hansjoachim von Rohrs »Arbeitsgemeinschaft für den Berufsständischen Aufbau«, die vornehmlich aus ostelbischen Großgrundbesitzern bestand und 1925 gegründet wurde, legte im März 1933 eine Denkschrift vor, die den Titel trug  : »Der Reichsbauernstand. Vorschlag zur Einordnung des Nährstandes in den berufsständisch gegliederten Staat«. Dieser »Vorschlag« unterschied sich nur in Nuancen und in mancher Formulierung von dem, was wenig später im RNStG stand, wurde aber von Darré abgelehnt, weil er aus dem falschen politischen Lager kam. Ein zeitgenössischer Beobachter traf den Nagel auf den Kopf, wenn er meinte, in der politischen Rechten habe »die liberale Gedankenwelt ausgespielt« und ein »ständischer Aufbau« sei nur »unter Anwendung des Führergefolgschaftsprinzips gespeist aus dem nationalen Gedanken« möglich.758 Engelbert Dollfuß, Sohn einer Bauerntochter und aufgewachsen in einem katholischen Priesterseminar, zunächst Sekretär, ab 1927 Direktor des »Österreichischen Bauernbundes«, 1931 Landwirtschaftsminister, suchte als Bundeskanzler ab 1932 ein Bündnis mit »Duce« Mussolini. Sein Ziel war ein »sozialer, christlicher, deutscher Staat Österreich auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung«, wie er in einer Rede am 11. September 1933 in Wien sagte. Dabei berief Dollfuß sich ausdrücklich auf die Enzyklika von Papst Pius  XI., »Quadragesimo anno«. Zur Erhaltung der Selbstständigkeit Österreichs verbot Dollfuß die NSDAP und gründete eine »Vaterländische Front« zur Abwehr nationalsozialistischer Umtriebe. Nach einem erfolglosen Putschversuch und seiner Ermordung durch Nationalsozialisten – im Hintergrund wirkte Theo Habicht mit, der Darré im Mai 1930 in Wiesbaden als »Ortsgruppenleiter« in die NSDAP aufgenommen hatte – setzte Kurt Edler von Schusch757 Vgl. B. Mussolini, L’Agricultura e i Rurali. Discorsi e scritti. Rom 1931 (dt. Köln 1936) und A. Serpieri, La legge sulla Bonifica integrale. Rom 1931. Außerdem Mayer-Tasch, 1971, 108 ff. und H. Haushofer, 1958, 157 f., 185 und 214 f. sowie Rössle, 1934, 6 ff. 758 Die Denkschrift der »Arbeitsgemeinschaft«, ihr gehörten etwa 250 Mitglieder an, befindet sich mit anderen ähnlichen Eingaben in  : StAG, NLD, Nr. 143 und Nr. 144. Außerdem  : Eberhard Majert, »Die Berufsständische Arbeitsgemeinschaft der deutschen Landwirtschaft«, in  : Festschrift H. v. Rohr, 1968, 28 ff. und Otto Friedländer, »Die ideologische Front der nationalen Opposition«, in  : Sozialistische Monatshefte 35/1929, 211 (Zitat). Als StS von Rohr am 19.4.1933 den gerade zum Vorsitzenden der RFG bestimmten Darré zu einem Gespräch über den »ständischen Aufbau« einlud, lehnte dieser ab, indem er darauf hinwies, durch eine solche Staatsnähe würden »wir die Selbstverwaltung in Deutschland aufheben«. Als er RMEL und RBF geworden war, fiel das Argument auf ihn zurück. (Briefentwurf, StAG, NLD, Nr. Nr. 421a).

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nigg die antidemokratische und antiparlamentarische Politik seines Vorgängers in einem »Bundesstaat auf ständischer Grundlage« (Verfassung vom 1. Mai 1934) bis zum »Anschluss« Österreichs 1938 fort. Danach wurde Schuschnigg von der Gestapo verhaftet und verschwand im Konzentrationslager.759 Dass innerhalb der NSDAP der Ständestaatgedanke Fuß fassen konnte, ist nur ein Beleg dafür, welche propagandistische Zugkraft er in den 1920er Jahren hatte. Das Parteiprogramm von 1920 sprach in seinem Punkt 25 von »Stände- und Berufskammern«  ; Hitler erwähnte »Ständekammern« in Mein Kampf  ; Rosenberg gab »Ständekammern« eine beratende Funktion der staatlichen »Zentralgewalt« und Feder erklärte sich zum Anhänger der »universalistischen Ordnung der Gesellschaft« Othmar Spanns. Die »Parteiamtliche Kundgebung über die Stellung der NSDAP zum Landvolk und zur Landwirtschaft« vom März 1930 stellte die Forderung nach einer berufsständischen Organisation so demonstrativ heraus, dass die propagandistische Absicht besonders deutlich wird. Denn Ständestaatideen waren in der Landwirtschaft immer populär gewesen, weil dort die sozialen Gegensätze nicht sehr, dafür aber die traditionellen Bindungen (»Hofgemeinschaft«) besonders ausgeprägt waren. Auch Darré hatte schon in seinem Neuadel-Buch eine staatliche Beteiligung an der ständischen Selbstverwaltung befürwortet und das Agrarprogramm der NSDAP, das er vorfand, ließ keinen Zweifel daran, dass dem Staat »das Aufsichtsrecht und das oberste Schiedsrichteramt« zuzustehen habe. Es gab in der Reichsleitung der NSDAP zunächst ein »Amt für ständischen Aufbau«, dessen Leiter, Max Frauendorfer, 1932 schon den »Primat des Staates« und dessen »Oberaufsicht über jede ständische Tätigkeit« betonte. Auch Otto Wagener, Leiter der »Wirtschaftspolitischen Abteilung« bei der Reichsleitung der NSDAP, und Adrian von Renteln, der Anfang Mai 1933 mit dem »Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand« die »Bildung von Ständen und Berufskammern« forderte, versuchten sich an ständestaatlichen Staats- und Gesellschaftsmodellen. Doch korporative Tendenzen im Nationalsozialismus »verloren […] in demselben Maße an praktischer Bedeutung wie der ›Antikapitalismus‹ der NSDAP selbst.« Die Aktionen des »Kampfbundes« gegen Warenhäuser wurden verboten und nicht Wagener, sondern der Chef der Allianz-Versicherung, Kurt Schmitt, wurde nach Hugenberg an die Spitze des RWM berufen. Nur Darré gelang es, »vorläufig« den RNSt und seine an Ruhland angelehnten »Syndikate« durchzusetzen. Aber außer dem missverständlichen Namen ließen »totaler Staat«, Einparteienherrschaft und das »Führerprinzip« keine Selbstverwaltung im RNSt zu.760 Der Weg in die staatlich gelenkte Ernährungswirtschaft, die unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges schon ansatzweise praktiziert worden war, schien zu Be759 Vgl. Bayer, 1935 und Wippermann, 2009, 72 ff. 760 Hitler, 1932, 677  ; Feder, 1927, 23 und 28  ; Frauendorfer, 1932, 26  ; Heinrich, 1932  ; Rosenberg, 1930, 46 und Bülow, 1934. Im Übrigen  : J. Beyer, 1941  ; Winkler, 1969, 358 (Zitat)  ; Broszat, 1969, 225 ff. und Höhne, 1991, 116 f.

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ginn der 1930er Jahre, als Darré in die Politik eintrat, zwar vorgezeichnet, nicht zuletzt, weil sie von der Agrarlobby selbst gefordert wurde, um ihr Ziel, die Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft, zu erreichen. Doch der Ruf nach einer »Reichsbauernfront«, der damals schon erhoben wurde, konnte noch nicht verwirklicht werden, weil es 1929/30 eher um die »Einheit in der wohlgegliederten Vielheit« ging, wie Andreas Hermes meinte. Er lehnte eine »schematische Uniformierung des gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesens« ab. Gemeinsam war den verschiedenen Bauernorganisationen damals allenfalls der Wunsch, den besten Platz an der staatlichen Futterkrippe zu ergattern. Aber in der sich zuspitzenden Agrarkrise wurden Anzeichen eines zunehmenden berufsständischen Solidaritätsbewusstseins immer deutlicher sichtbar.761 Schon vor seinem Eintritt in die Dienste Hitlers und der NSDAP hatte Darré einen »Entwurf zum ständischen Aufbau der Edelleute« entwickelt, d. h., sein Rückgriff auf das Relikt der »Stände« stand in direktem Zusammenhang mit seinen Überlegungungen zum »Neuadel aus Blut und Boden«. Hier machte er sich auch Gedanken zu einer »engen Zusammenschweißung aller landischen Stände [sic] zu einem geschlossenen Landstand«. Es galt – aus »blutlichen« Gründen natürlich –, den »Hegehofbauern« gegenüber der größeren Zahl von Landwirten, Landarbeitern, Pächtern und Gutsbeamten in den »Landstandskammern« einen Primat zu sichern. Beim Aufbau des »Agrarpolitischen Apparates« (ApA) der NSDAP und bei der Übernahme des gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesens in der »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes« passte sich Darré dem »Führerprinzip« Hitlers und dem Totalitarismus der NSDAP derart an, dass es für ein echtes Selbstverwaltungsprinzip in der deutschen Landwirtschaft keinen Raum mehr gab, obwohl davon immer die Rede war.762 Nach einer Analyse der Wirtschaftsprogrammatik der NSDAP kam ein zeitgenössischer Beobachter 1932 zu dem zutreffenden Fazit  : »In dem nationalsozialistischen Programm ist der allmächtige ›totale‹ Staat Wirklichkeit, die wirtschaftliche Selbstverwaltung eine Form.« Und symptomatisch dafür, dass sich 1933 kapitalistische Organisationsprinzipien in der Wirtschaft durchsetzten, war die Berufung Schmitts zum Reichswirtschaftsminister, dem es in Zusammenarbeit mit Reichbankpräsident Hjalmar Schacht gelang, den Einfluss der Ständestaattheoretiker in der NSDAP zurückzudrängen  : Sie verloren ihre Ämter (Wagener), wurden auf unbedeutenden Posten ruhiggestellt (Feder, von Rentelen) oder versuchten, wie Frauendorfer, in der »Deutschen Arbeiterfront« eine Anpassung ihrer Vorstellungen an die neuen Gegebenheiten. Für Robert Ley aber waren »Stände« sowieso nur Strukturelemente der Wirtschaft, er wollte mit seiner »Arbeitsfront« die »neue Gesellschaftsordnung formieren«.763 761 Vgl. die Eingabe der »Grüne Front« an die Reichsregierung v. 29.3.1929 (BA, R 43 I/2541) sowie Topf, 1933  ; Gessner, 1976  ; Gies, 1967 und Pyta, 1996, 203 ff. 762 Darré, 1930, 107 ff. (Zitate  : 113 f.) und Gies, 1968a 763 Rieker, 1933, 70  ; Rämisch, 1957, 80  ; Rössle, 1934  ; Mayer-Tasch, 1971, 230 und Broszat, 1989

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Am 6. Juli 1933 erklärte Hitler  : »Die Revolution ist kein permanenter Zustand«, womit der ständische Aufbau der Wirtschaft sistiert war, und sein Stellvertreter Rudolf Heß verbot alle parteiinternen Diskussionen über das Thema. Zu wichtig war der sich anbahnende Wirtschaftsaufschwung, um ihn durch solche Debatten zu gefährden. Aus den »Reichsständen« für Industrie und Handwerk wurden »Reichs-« bzw. »Wirtschaftsgruppen« als reine Unternehmerverbände. So kam es, dass im Februar 1934 mit dem Gesetz »zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der Wirtschaft« der »ständische Aufbau« von Staat und Gesellschaft im »Dritten Reich« auf die lange Bank geschoben wurde. Alles, was im Staat Hitlers unter ständischem Etikett firmierte, war Camouflage, »kaum mehr als ein Umbau der bestehenden Berufsverbände zu einem Medium der politischen Erfassung sämtlicher Gesellschaftsschichten« (MayerTasch).764 Einzig im Agrarsektor wurde in der Realität des »Dritten Reiches« aus dem auch nur »vorläufig« etablierten »Reichsnährstand« eine Dauereinrichtung. Unter »ständischer« Fahne wurden Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Be- und Verarbeiter von Agrarprodukten sowie deren Preisbildung und auch der Vertrieb von Nahrungsmitteln auf Initiative und unter der Aufsicht des Staates zusammengefasst. Von einem »Bauernstand« konnte allerdings keine Rede mehr sein und aus dem »Landstand« wurde – expressis verbis – der »Nährstand«. Allerdings stand dieser »Reichsnährstand« (RNSt) auf dem Fundament von Darrés Version der »Blut und Boden«-Ideologie, so dass die Produzenten von Nahrungsmitteln über den RNSt alle Machtmittel erhielten. Denn schon in seinem Aufsatz »Stellung und Aufgaben des Landstandes in einem nach lebensgesetzlichen Gesichtspunkten aufgebauten deutschen Staate«, der am 1. September 1930 in der Zeitschrift Deutschlands Erneuerung erschienen war, hatte Darré festgestellt  : Wer einen Staat als organisches Gebilde aufbauen will, muß ihn vom Gedanken Blut und Boden aus aufbauen. Dies erfordert, daß der Landstand zum Eckstein des Staatsaufbaues gemacht wird, denn ihm kommt die Bewältigung der vornehmen Doppelaufgabe zu  : 1. Lebensmotor für das ganze Volk zu sein, 2. des Volkes Bluterneuerungsquell zu sein.765 (12. Aufl.), 226 ff. sowie Ley, 1933, 388 ff. Dass Fritz Thyssen bis 1935 in einem Düsseldorfer »Institut für Ständewesen« den Spannianern ein Betätigungsfeld geben konnte, ist nur als Akt der Pietät gegenüber dem Parteisympathisanten und -financier zu bewerten. 764 Bullock, 1960, 279 ff. Justus Beyer kam (1941, 234) zu dem Schluss  : »Eine Ständeordnung, in der die Stände in sich selber einen kleinen Staat mit eigener Herrschergewalt, Selbstregierung, Steuergewalt und wehrhaften Körperschaften bilden und nach der universalistischen Kategorienlehre als Glieder ›in ihrem eigenen Reiche als Könige bestehen‹ (Spann), ist mit einem völkischen Einheitsstaat der Gegenwart nicht zu vereinen.« (Vgl. auch ebd., 325 ff.). 765 Wieder abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 211 f. und Corni/Gies, 1997, 79 ff. Aus dem theoretischen »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse« machte Darré für die politische Praxis nun das

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Auf dieser Basis und mit dieser Zielsetzung, die Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten, ließ Darré seit 1931 in seiner »Abteilung Landwirtschaft in der Reichsleitung der NSDAP« in München einen »Grundplan« erarbeiten. Dabei stand die Frage, »wie der Landstand im Staatskörper einzugliedern ist«, ganz im Vordergrund. Hierfür gewann er Hermann Reischle, einen diplomierten und promovierten Volkswirt, der sich auf Darrés Anregung hin mit Ruhlands System der politischen Ökonomie auseinandersetzte. In dem längst vergessenen Buch, das im Auftrag des BdL entstanden war, hatte der damalige akademische Außenseiter am Beispiel der Preisbildung beim Getreide ein »Syndikat« der Erzeuger (Landwirte) mit den Verarbeitern (Müller) und Verteilern (Bäcker) vorgeschlagen. Darrés bzw. Reischles »Grundplan« wurde im Mai 1933 in der Nationalsozialistischen Landpost (NSL) veröffentlicht und basierte auf den bisherigen Organisationsstrukturen des ApA der NSDAP, dessen Aufgaben Agitation auf dem Lande und Unterwanderung der bestehenden landwirtschaftlichen Organisationen gewesen waren.766 Hermann Reischle war ein Glücksfall für Darré. Mehr Theoretiker als Praktiker und von unerschütterlicher Loyalität, wurde er im Laufe der wenigen Jahre des »Dritten Reichs« für den in seinen vielen Ämtern überforderte RBF und RMEL zu einer ›Allzweckwaffe‹, die er immer dann einsetzen konnte, wenn es konzeptionelle und personelle Probleme zu lösen gab. Reischle kam aus Heilbronn in Württemberg, der Vater besaß eine Gärtnerei. Er war Kriegsfreiwilliger gewesen und hatte dem »Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten« angehört. Nach dem Studium der Staatswissenschaften, das er als Diplomvolkswirt und mit einer Dissertation über ein finanzpolitisches Thema der Inflation 1922/23 abgeschlossen hatte, war er 1924 in eine leitende Position in die Dienste des »Reichsverbandes des deutschen Gartenbaus« eingetreten. Nach ­einer fristlosen Entlassung wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten hatte Darré ihm im November 1931 in sein AfA nach München geholt. Reischle wurde sofort Partei- und SS-Mitglied.767 Nachdem der RLB reichsweit vom ApA der NSDAP unterwandert worden war und die »Christlichen Bauernvereine« ihres Vorsitzenden durch unzutreffende Korruptionsvorwürfe beraubt worden waren, hatte sich Darré an die Spitze einer »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes« (RFG) gestellt. Seitdem nannte er sich »Reichsbauernführer« (RBF). Er ernannte umgehend seinen engen Mitarbeiter Wilhelm Meinberg, »Landwirtschaftlicher Gaufachberater« (LGF) in Westfalen, der »Bauerntum zur Blutsquelle des ganzen Volkes«. Das war zwar eine propagandistisch gut nutzbare Aufwertung, es bedeutete aber auch, dass den Bauern eine bevölkerungspolitische Aufgabe überantwortet wurde, die nicht zu bewältigen war. 766 Richtlinien Hierls, Leiter der Org.Abt. II i. d. RL, für d. Abt. Landwirtschaft, 30.1.1931, BA, Slg. Schumacher, Nr. 214  ; NSL v. 28.5.1933  ; Rs. Darrés als Vors. d. RFG an die LBF v. 23.6.1933 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991) und Rs. Meinbergs v. 16.8.1933 (ebd., Nr. 2016). 767 Darré selbst bezeichnete Reischle am 19.3.1934 bei dessen Berufung in den RBR als seine »rechte Hand« (BA, BDC, Personalakte Reischle)  ; außerdem Gespräch d. Verf. mit Herrn Dr. Reischle.

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Abb. 16 Hermann Reischle (1898–1983).

inzwischen im Präsidium des RLB saß, zum »Reichsobmann für die bäuerliche Selbstverwaltung« (RO). Er hatte den Auftrag, den ApA der NSDAP in die Organisation des »Landstandes« zu überführen. Als Darré dann Ende Juni 1933 Hugenberg als RMEL abgelöst hatte, war der Weg frei, von oben, d. h. »von Staats wegen durch Gesetz« (Steding), einen von landwirtschaftlichen Interessen dominierten »Reichsnährstand« zu etablieren. Aus den »Fachberatern« des ApA der NSDAP auf Gau-, Kreisund Ortsebene wurden »Reichs-, Landes-, Kreis- und Ortsbauernführer« des RNSt.768 Zunächst, zwei Wochen nach Darrés Ernennung zum RMEL, wurde, am 15. Juli 1933, ein Gesetz »über die Zuständigkeit des Reiches für die Regelung des ständischen Aufbaues der Landwirtschaft« erlassen. Darin wurde das legalisiert, was die nationalsozialistische »Bewegung« an Tatsachen schon längst realisiert hatte  : Das »Reich« übernahm »die ausschließliche Gesetzgebung über die Neuregelung des Aufbaues des Standes der deutschen Landwirtschaft« und entzog so den Landesregierungen die Kompetenz zum Organisationsrecht, das sie u. a. über die regionalen »Landwirtschaftskammern« (LKn) wahrgenommen hatten. Außerdem erhielt der RMEL das Recht, »besondere Beauftragte« mit der Durchführung auf regionaler Ebene »zu betrauen«. Diese Sonderbeauftragten existierten bereits als »Landwirtschaftliche Gaufachbera768 Rs. Darrés v. 23.6.1933, BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991. Vgl. auch Corni, 1990, 66 ff. und Farquharson, 1976, 13 ff. sowie Gies, 1967 und 1968a.

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ter«, die mittlerweile »Landesbauernführer« geworden waren. Gleiches galt auf Kreisund Ortsebene. Auf dieser Basis erhielt RO Meinberg den Auftrag, entsprechende Maßnahmen »ein[zu]leiten und durch[zu]führen«, womit etwaigen Initiativen bei der Neuregelung des landwirtschaftlichen Organisationswesens ohne oder gar gegen die Nationalsozialisten der Boden entzogen war. Vor allem aber wurde der Einfluss der regionalen LKn ausgeschaltet.769 Am 12. September 1933 brachte Darré – zusammen mit Gesetzentwürfen zur Beherrschung der zweiten Getreide-Rekordernte in Folge  – den »Entwurf eines Gesetzes über den ständischen Aufbau der deutschen Landwirtschaft und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse« ins Kabinett ein. Der RMEL benutzte also eine Drucksituation, die kurzfristige Verhinderung eines Preisverfalls für Getreide durch Einlagerung auf Kosten der Mühlen, dazu, seine standespolitischen Vorstellungen durchzusetzen. Ein kluger Schachzug war es auch, dass es Darré kurz nach dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg gelang, für sich und seine engsten Mitarbeiter am 1. September 1933 bei Hitler auf dem Obersalzberg einen Gesprächstermin zu erhalten, um seine Pläne zu erläutern und vorab das Einverständnis des Reichskanzlers zu bekommen. So vorbereitet, wurden die Vorlagen des RMEL zu Getreide und »Landstand« mit einer grundsätzlichen Zustimmung der überrumpelten Ministerkollegen in interministerielle Beratungen weitergeleitet, die schon am folgenden Tag stattfanden und mit zwei ebenso typischen wie bedeutsamen Änderungen verabschiedet wurden  : Der Titel lautete nun »Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse« (RNStG vom 13. September 1933). Immerhin konnte ein Paragraph, der eine Preisregelung für landwirtschaftliche Bedarfsgüter vorsah, auf Intervention des RWM gestrichen werden.770 In den unter einem enormen Zeitdruck durchgeführten Beratungen wurde aus einem »Landstand« – treffender formuliert – der »Reichsnährstand« und sein »Aufbau« musste mit Rücksicht auf die anderen Wirtschaftsbereiche, in denen ständestaatliche Vorstellungen noch nicht durchsetzbar gewesen waren, als »vorläufig« gekennzeichnet werden. In einem Vermerk stellte ein Ministerialbeamter richtig fest, dass die »völlige Abkehr von den Gesetzen von Angebot und Nachfrage« in der Getreidewirtschaft »nur denkbar« sei mit einer Organisation wie dem RNSt, der auch Zugriff auf die 769 BA, R 43 I, Bd. 1464 und RGBl. 1933 I, 495 (Hopp, 1938, I, 1)  ; Rs. Meinbergs v. 16.8.1933 (BA, R16, Zg. 1971, Nr. 2016). Es ist bezeichnend, dass ein Satz in der Begründung der Gesetzesvorlage, die im Kabinett beraten wurde, in der offiziellen Pressemitteilung fehlt  : »Als diese Sonderbeauftragte sind die Landesbauernführer in Aussicht genommen.« (BA, R 43 I, Bd. 1464, Bl. 56  ; R 43 II, Bd. 2003, Bl. 50 und R 2/17988). 770 Protokoll der Kabinettssitzung v. 12.9.1933, in  : AdRK, Reg. Hitler, Teil I, Bd. 2, 1983, 726 ff. und StAG, NLD, Nr. 421b (Gesetzentwurf ). Eine »Eingabe« der Handels-, Handwerks- und Industrieverbände, die bei der Beratung des RNStG nicht gehört worden waren, kam viel zu spät. Sie wurden mit dem Hinweis auf die »Vorläufigkeit« der Regelung abgespeist (StAG, NLD, Nr. 421d).

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Verarbeiter des Getreides hatte. Und er hielt eine »sehr bestimmte« Intervention Wilhelm Kepplers, Kommissar für Wirtschaftsangelegenheiten in der Reichskanzlei, fest, wonach die Regelung für die Landwirtschaft auf die übrige Wirtschaft nicht übertragbar sei. Dann werde nämlich »jede Unternehmerinitiative totgeschlagen und der Unternehmer zum Buchhalter herabgewürdigt«. Der Kompetenzzuwachs, den die Landwirtschaft erzielt hatte, wurde in § 2 des Gesetzes klar zum Ausdruck gebracht  : Die öffentlich rechtlichen und die freien wirtschaftlichen Berufsvertretungen der Landwirtschaft, die Verbände, landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Vertretungen des Landhandels haben bei der Durchführung der Vorarbeiten [für die Neuregelung des Aufbaues des Standes der deutschen Landwirtschaft] auf Erfordern des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Hilfe zu leisten.771

Das RNStG vom 13. September 1933 bestimmte außerdem  : Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wird ermächtigt, über den Aufbau des Standes der deutschen Landwirtschaft (Reichsnährstand) eine vorläufige Regelung zu treffen. Die deutsche Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzes umfasst auch Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei und Jagd  ; zum Reichsnährstand gehören auch die landwirtschaftlichen Genossenschaften, der Landhandel (Groß- und Kleinhandel) und die Be- und Verarbeiter landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann den Reichsnährstand oder einzelne seiner Gruppen ermächtigen, die Erzeugung, den Absatz sowie die Preise und Preisspannen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu regeln, wenn dies unter Würdigung der Belange der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls geboten erscheint.

Weiterhin wurde bestimmt, dass der RMEL »Unternehmungen und Einrichtungen zusammenschließen oder an bestehende Zusammenschlüsse anschließen« könne und in ihnen »Aufsichts- und Eingriffbefugnisse« habe. Und der RMEL konnte den RNSt beauftragen, alle genannten und als erforderlich angesehenen Maßnahmen wahrzunehmen. Bei Nichtbefolgung konnte der RNSt Geldstrafen verhängen und die Schließung des Betriebs anordnen.772 Nach dieser bahnbrechenden Grundsatzentscheidung folgte die Ausgestaltung der Ermächtigungen Schlag auf Schlag  : Mit »Verfügung« vom 19. September 1933 »be771 AdRK, Reg. Hitler, Teil I, Bd. 2, 1983, 737 ff. Die »Sonderregelung für die Landwirtschaft« wird auch in der amtlichen Begründung des RNStG mit der aktuellen Agrarwirtschaftslage erklärt und damit, dass »die Regelung des Aufbaues der übrigen Stände noch nicht entscheidungsreif« sei. (Deutscher Reichsanzeiger v. 20.9.1933, zit. n. Hopp, 1938, I, 4 f.). 772 RGBl. 1933 I, 626  ; Corni/Gies, 1994, 84 ff. (Gesetzestext) und Tornow, 1972, 31 ff. sowie Corni/ Gies, 1997, 101 ff.

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stätigte« Darré als RMEL alle »vom Reichsbauernführer bisher auf der Grundlage der freien Selbstverwaltung getroffenen Einrichtungen« (einschließlich ihres Leitungspersonals), als da waren  : der RBF, sein »Stabsamt«, ein »Reichsbauernrat« (RBR) und ein »Reichsbauerntag« (RBT)  ; der »Reichsobmann der bäuerlichen Selbstverwaltung« (RO) mit vier Verwaltungs-Hauptabteilungen  : HA I mit der »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes und [den] sich hieran anschließenden Verbände[n]«  ; HA II mit dem DLR und allen regionalen Landwirtschaftskammern  ; HA III mit dem »Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen«  ; und HA IV mit dem Landhandel und allen Be- und Verarbeitern landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Was auf der Reichsebene »bestätigt« wurde, sollte auch auf Landes- und Kreisebene eingerichtet werden. Trotz aller Vorläufigkeit  : Die beiden ersten HAen blieben erhalten, die beiden letzten wurden 1935 zu einer zusammengefügt, die »Der Markt« genannt wurde.773 Aber es war bezeichnend für Darré, dass er selbst in unmittelbarem Zusammenhang mit dem RNStG und der »Marktordnung« seine rassenideologischen Zielsetzungen betonte, die er freilich hinter bevölkerungspolitischen verbarg  : Wir brauchen den Bauern als Blutsquell des deutschen Volkes und wir brauchen ihn als den Ernährer des deutschen Volkes. Darum kommt es auch nicht so sehr darauf an, daß der Bauer für seine Erzeugnisse einen möglichst hohen Preis erzielt, […] sondern es kommt darauf an, daß der Bauer durch ein deutsches Bauernrecht mit seinem Grund und Boden fest verwurzelt wird und für seine Arbeit einen gerechten Lohn, d. h. auskömmliche, gerechte Preise erhält. Der Bauer muß seine Tätigkeit immer als eine Aufgabe an seinem Geschlecht und seinem Volk betrachten und niemals nur als eine rein wirtschaftliche Aufgabe, mit der man Geld verdienen kann.774

Dem RNStG folgten vier »Verordnungen über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes« (Durchführungsverordnungen, DVO), die der RMEL erließ  :775 Die erste DVO vom 8. Dezember 1933 definierte den RNSt als »Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts«, deren Zuständigkeit weit über den Bereich der landwirtschaftlichen Produktion hinausreichte, also Handel sowie Be- und Verarbeitung von Nahrungsmitteln einbezog. Offensichtlich ist das Bedürfnis, möglichst alles en détail aufzuzählen, was in seine Zuständigkeit aufzunehmen war  : auch Familienangehörige von »Bauern« und »Landwirten« (»Klein- und Großlandwirte«), Nutznießer landwirtschaftlicher Grundstücke (Pächter), Forstwirte, Jäger und Fischer, Imker, 773 Hopp, 1938, I, 5 ff. und 27 ff.; »Anordnung« v. 4.2.1935 (RNVbl., 70 und Reischle/Saure, 1934 u. 2. Aufl. 1936 [graphische Übersicht  : 26 f.]). 774 Rede Darrés vor der Presse am 19.9.1933, in  : Darré, BuB, 1941, 359 f. 775 RGBl. 1933 I, 1060  ; RGBl. 1934 I, 32 und 100 sowie RGBl. 1935 I, 170 und (Zitate) Hopp, 1938, I, 7 ff. sowie Mehrens, 1938, 17. Auch für das Folgende  : Corni/Gies, 1997, 88 ff.

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Gärtner und Winzer, auch Kleinhändler. Da die Aufzählung nicht vollständig sein konnte, erhielt der RMEL eine Generalvollmacht zur »Zugehörigkeit im einzelnen«. Alle »Einrichtungen« – Kammern, Vereine, Verbände, Vereinigungen, Genossenschaften – wurden als »aufgelöst« erklärt, das Personal konnte übernommen oder gekündigt werden, was auch durch das rassistische »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 5. April 1933 mitbestimmt wurde, und ihr Vermögen wurde vom RNSt übernommen. Außerdem konnten Einrichtungen angegliedert werden, »wenn eine Eingliederung oder Auflösung nicht tunlich erscheint«. »Bauernführer« konnte nur sein, »wer deutschen oder stammesgleichen Blutes« im Sinne des REG sei. Für die Binnenstruktur des RNSt galt das Führerprinzip  : vom RBF über die LBF, KBF bis zum OBF. Für seine Finanzierung konnte der RNSt – entsprechend einer von ihm zu erlassenden »Beitragsordnung« – von seinen Mitgliedern Gebühren verlangen, die »wie öffentliche Abgaben von den Finanzämtern eingezogen« werden sollten. Die zweite DVO vom 15. Januar 1934 unterstellte alle landwirtschaftlichen Genossenschaften einschließlich ihrer leitenden Organe und Revisionsverbände dem RBF. Entsprechend § 3 der 1. DVO, in dem der RNSt beauftragt wurde, »über die Standesehre seiner Angehörigen zu wachen«, was eine lange Reihe von Querelen und lang dauernde Verfahren vor »Ehrengerichten« zur Folge hatte, waren auch für die Genossenschaften »Standesgerichte zur Wahrung der Standesehre« einzurichten. Die dritte DVO vom 16. Februar 1934 holte das nach, was die 1. DVO im Bereich des Landhandels sowie der Be- und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse noch nicht geleistet hatte  : die genaue Aufzählung aller Betriebe aus dem »Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bedarfsstoffen« und aller Betriebe, die mit der Verarbeitung von Getreide und Futtermitteln befasst waren (u. a. Mühlen, Bäcker, Lagerhäuser). Ebenso genannt wurden die Betriebe in der Viehwirtschaft, der Brauwirtschaft, der Zuckerwirtschaft, der Stärke- und Branntweinwirtschaft, der Fischwirtschaft, der Fett- und Milchwirtschaft, des Handels mit Lebens- und Genussmitteln (u. a. Obst, Gemüse, Tabak, Honig, Wein, Mineralwasser und Limonaden, Beeren und Pilze sowie – aus der »Nährstandindustrie« – Fabriken für Backhilfsmittel, Nährmittel, Suppen, Senf und Essig, Schaumwein und Kunsteis). Auch der Lebensmittel-Einzelhandel wurde zum Mitglied des RNSt erklärt. Aus »Händlern« waren »Verteiler« geworden, deren Augenmerk nicht auf Gewinn, sondern auf Dienst ausgerichtet sein sollte – eine im ländlichen Raum im Hinblick auf Erfahrungen mit Viehhändlern sehr populäre Entscheidung. Dass bei dieser allumfassenden Gefräßigkeit des RNSt das RWM nicht übergangen werden konnte, wird daran deutlich, dass der RWM zusammen mit dem RMEL die VO erließ. Beide konnten nur im gegenseitigen »Einvernehmen Änderungen und Ergänzungen der vorstehenden Liste vornehmen«. Hier war viel Potential für Kompetenzkonflikte, zumal wenn Doppelmitgliedschaften (Wirtschaftsverbände, Innungen usw.) mit Beitragsverplichtungen einhergingen. Bei »gemischten Betrieben« musste festgestellt werden, wie hoch ihr ernährungswirtschaftlicher Anteil war. Immerhin konnte das »Gast- und Her-

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bergsgewerbe« aus der Zugehörigkeit zum RNSt herausgehalten werden. Alle betroffenen Betriebe erhielten knapp acht Wochen Zeit, sich bei »der zuständigen Kreisbauernschaft« anzumelden. Andernfalls drohte Geldstrafe oder gar Betriebsschließung. Diese »Meldepflicht« musste um sechs Wochen verlängert werden, was auf erhebliche Schwierigkeiten schließen lässt. Die vierte DVO vom 4. Februar 1935 ermächtigte den RNSt, in den »Geschäftsverkehr, das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen« sowie die Personalangelegenheiten aller mit der Marktregelung befassten »Zusammenschlüsse« einzugreifen und sie zu steuern. »Unberührt« hiervon erklärte die DVO die »Aufsichts- und Eingriffsrechte« des RMEL. Und der mit diesem personell identische RBF gab  – »mit Zustimmung« des RMEL – diesen »Zusammneschlüssen« eine Satzung. Auch die Vorsitzenden der »Hauptvereinigungen« der Ernährungswirtschaft, unter deren Dach die »Zusammenschlüsse« arbeiteten, wurden ebenfalls vom RBF »mit Zustimmung« des RMEL bestellt und abberufen. Die regionalen »Marktverbände« erhielten einen »Bauernführer« zum Vorsitzenden, mit Weisungsrecht dem Geschäftsführer gegenüber.776 Wie war es Darré möglich, vom Reichskabinett eine Rechtsgrundlage zu erhalten, bei der es sich nicht nur um ein »berufsständisches Ermächtigungsgesetz« (Saure) allein für die Landwirtschaft handelte, sondern ganz allgemein um ein Ermächtigungsgesetz, das sich »auf alle mit dem Ernährungswesen und der Nahrungsmittelversorgung des deutschen Volkes zusammenhängenden Fragen erstreckt«, wie es in einer zeitgenössischen Publikation zutreffend beschrieben wurde  ?777 Mehrere Gründe dafür sind zu nennen. Da war zunächst die Agrarkrise, insbesondere die Gefahr eines Preissturzes bei Getreide. Nachdem Hitler – ganz im Sinne der »Blut und Boden«-Ideologie – die Bedeutsamkeit der Bauern und der Landwirtschaft für seine Politik im Frühjahr 1933 mehrmals öffentlich bekräftigt hatte, wäre ein Einkommensverlust im Herbst nicht zu akzeptieren gewesen. In diesem Zusammenhang spielte auch das zeittypische Streben nach Autarkie eine Rolle  – Reischle sprach vorsichtig von »möglichst weitgehender Selbstversorgung«, d. h. Unabhängigkeit von Einfuhren  ; Darré sprach von »Nahrungsfreiheit« – eine machtpolitische Zielsetzung, die zentralistische und dirigistische Strukturen begünstigte. Vor allem aber waren es die organisatorische Vorbereitung im ApA und die theoretischen Vorarbeiten im AfA der NSDAP, die diese überfallartige Gesetzesinitiative möglich und erfolgreich machten. In der anschließenden Kabinetts776 Vgl. hierzu auch Merkel, 1935, 667 ff.; Reischle/Saure, 1934, 9 ff. und 1936, 351 ff.; Hopp, 1938, I, 1 ff.; Mehrens, 1938, 5 ff. sowie Lovin, 1969, 447 ff.; Tornow, 1972, 31 ff.; Gies, 1973 und C. Frank, 1988. 777 Häberlein, 1938, Bd. 2, 23. Vgl. auch Reischle/Saure, 1934 und 1936. Es ist bemerkenswert, dass der Architekt des RNStG, Dr. Hermann Reischle, der sich an Ruhland orientierte, zunächst nur ein »Vollsyndikat der Erzeuger« und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den »ständischen Körperschaften« von Handel und Handwerk im Auge hatte (Reischle, »Der Weg«, in  : DA, Heft 1 ( Juli 1932), zit. n. Reischle, 1940, 10 ff.). Auch RO Meinberg hatte sich in einem Rs. noch am 12.8.1933 auf die Bereiche beschränkt, für die das RMEL bisher zuständig war (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 2016).

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sitzung wurde der neue Reichswirtschaftsminister offensichtlich nicht nur überrascht, er war auch gegenüber Darrés Politik der vollendeten Tatsachen überfordert.778 1934 gab es 19 »Landesbauernschaften«, etwa 500 »Kreisbauernschaften« und ca. 55.000 »Ortsbauernschaften«. Dem RNSt gehörten zwangsweise 17 Millionen Mitglieder an. Seine Verwaltungsbehörde bestand aus mehr als 20.000 Beamten, Angestellten und Arbeitern. Hinzu kamen ca. 115.000 »ehrenamtliche Bauernführer«, die eine Aufwandsentschädigung erhielten. Der Haushaltsplan des RNSt sah für 1934 ein Volumen von 106 Millionen RM vor, das bis 1937 auf fast 130 Millionen anstieg.779 Das Mammutgebilde, zweifellos das größte Zwangskartell, das es je gegeben hatte, machte die gesamte Ernährungswirtschaft in Deutschland zur Beute der Landwirtschaft  – so konnte es jedenfalls zunächst verstanden werden. Die landwirtschaftliche Sammlungsbewegung schien ihr politisches Ziel erreicht zu haben  : Alle Betriebsgrößen, vom kleinsten Nebenerwerbsbetrieb bis zum Groß-, ja Gutsbetrieb, waren vereinigt und auch die konfessionellen Gegensätze in der landwirtschaftlichen Interessenvertretung schienen überwunden zu sein. Entstanden aber war auch ein bürokratischer Apparat, der – vom Weizenkorn, das auf dem Acker ausgesät und später geerntet wurde, bis zum Brötchen, das am Küchentisch verspeist wurde – alles, was mit Ernährung zu tun hatte, begleitete, bewegte und beherrschte. Boden als rurale Idylle, Sehnsuchtsort und Naturreservat Darrés »Blut und Boden«-Ideologie war – das haben die bisherigen Darlegungen zu ihrer Entstehung, ihrer Zielsetzung und ihrer Umsetzung unmissverständlich ergeben – eine reine Rassenideologie. Gleichwohl enthielt sie aber auch ruralistische Elemente, was sich allein schon darin manifestiert, dass Darré das Begriffspaar unmittelbar aus der »Artamanen«-Bewegung aufgegriffen hatte, die sich einer seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert weit verbreiteten lebensreformerischen Vision einer Rückkehr aufs Land verschrieben hatte. Es war weniger bedeutsam, dass sich Darré dabei als schamloser Aus778 Erst als sich zeigte, dass es keine »ständischen Körperschaften« für Handwerk und Handel gab, gingen die Agrarstrategen um Darré aufs Ganze. Sie stellten bei ihrem Besuch bei Hitler übrigens auch die Weichen für das REG auf ›Grün‹, das Ende September beschlossen wurde. Als der RWM am 17.10.1933 einen Gesetzentwurf »über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks« einbrachte, reklamierte Darré die Müller, Bäcker und Fleischer entsprechend RNStG für sich (Corni/Gies, 1997, 81 ff. und 90). Zur »Selbstversorgung« bzw. »Nahrungsfreiheit«  : Reischle/Saure, 1936, 11 und Mehrens, 1938, 1. Das Gespräch mit Hitler fand nach einer eidesstattlichen Erklärung Meinbergs v. 5.8.1948 und einer Zeugenaussage Darrés v. 27.8.1948 am 7.9.1933 statt (Wilhelmstraßen-Prozess vor dem IMT in Nürnberg, Dok. Buch VI, 21 ff., Exh. 19  ; IfZ, Zeugenschrifttum 18677), nach einer Meldung der Reichspressestelle der NSDAP erst am 9.9.1933 (BA, Darré-NS 24). Im »Tagebuch« Darrés, Version Deetjen, wird es nicht erwähnt. 779 Mehrens, 1938, 8 und ausführlich  : Corni/Gies, 1997, 115 ff.

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beuter und Nutznießer seines allzu idealistischen Weggefährten A. Georg Kenstler offenbarte, als vielmehr, dass auch die »Artamanen« teilweise vom »völkischen« Selbstbehauptungswahn im ostelbischen Raum angesteckt worden und in den Sog der NSDAP geraten waren. Hier lag der Grund für ihre Spaltung 1929  ; denn die Lebensreformer unter ihnen, die es seit Beginn (Tanzmann  : »Wir müssen ein Bauernvolk werden«) gab und die durchaus nicht rassistisch dachten, wollten diese Parteibindung nicht mitmachen. Sie vertraten eine vage Zurück-zu-Natur-und-Natürlichkeit-Empfindung und ihre antiurbanen und antiindustriellen Affekte führten zu einer idealisierten und romantisierenden Vorstellung vom Leben auf dem Lande. Diese Wunschvorstellung von einer Landidylle, die an eine seit Rousseau gepflegte Mythisierung der Natur und des Typus des »edlen Wilden« anknüpfte, hatte zwar nichts mit der harten Lebenswirklichkeit in der Landwirtschaft zu tun, gleichwohl entsprach sie aber einer antizivilisatorischen Gemütsverfassung, die insbesondere aus der bürgerlichen Jugendbewegung hervorgegangen war und mit der fortschreitenden Industrialisierung immer weitere Verbreitung vor allem in der städtischen Bevölkerung gefunden hatte. Sie stand für eine Lebenshaltung, für die der Begriff »Stadtflucht« zutreffen würde. Die Idealisierung des Landlebens war nichts anderes als eine rückwärtsgewandte Utopie, mit der Darré im »Dritten Reich« von Gegnern wie Goebbels, Göring oder Schacht gleichgesetzt wurde und die sein Ansehen schwer beschädigte. Denn Darré sah sich mitnichten als »Agrarromantiker« und ein Großstadtfeind war er nur aus rassistischen Gründen. Und die irreale Vorstellung einer möglichen oder gar wünschenswerten »Reagrarisierung« Deutschlands gehörte auch nicht zu seinen politischen Zielen. Er wollte nicht mehr und nicht weniger als eine neue Elite »nordrassischer« Menschen, die ihren Ausgang vom Bauernhof nehmen sollte. Aber dass diese agrarromantischen und großstadtfeindlichen Assoziationen überhaupt mit Darré in Verbindung gebracht werden konnten, macht einmal mehr deutlich, wie sehr ruralistische und lebensreformerische Vor- und Einstellungen als Einfallstore für die »Blut und Boden«-Ideologie geeignet waren. Schon Victor Klemperer war aufgefallen, wie man im »Blubokult« des »Dritten Reiches« die städtische und die ländliche Lebenswelt als Gegensätze auffasste  : Man »stellt den Boden dem Asphalt gegenüber«, erkannte Klemperer. »Der Asphalt ist die künstliche Decke, die den Großstadtbewohner vom natürlichen Boden trennt.«780 Das Land als Gegenbild zur Stadt

Ob »Verstädterung« (negativ) oder »Urbanisierung« (neutral)  – der damit gemeinte Prozess der Bevölkerungswanderung vom Land in die Stadt war kein »rassisches«, wie Darré meinte, nicht einmal ein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen im 19. 780 Klemperer, 1996, 255.

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und 20. Jahrhundert.781 1871 lebten in Deutschland noch ca. 64 Prozent der Menschen in Orten mit weniger als 2000 Einwohnern, nach dem Ersten Weltkrieg lebten mehr als 64 Prozent in Gemeinwesen über 2000 Einwohnern. Um 1800 hatten nur Berlin und Hamburg mehr als 100.000 Einwohner, 1871 waren in Deutschland aus zwei solchen »Großstädten« acht und 1910 sogar 48 geworden. Am größten war der Zuwachs in Berlin  : Von 1870 bis 1910 wuchs die Stadt von 800.000 auf zwei Millionen  ; in den 1920er Jahren kamen nochmals 300.000 Einwohner hinzu. Hamburg und München verdreifachten sich, Leipzig vervierfachte sich im Kaiserreich. 1871 lebten erst 4,8 Prozent der Deutschen in Städten über 100.000 Einwohner, 1910 waren es schon 21,3 Prozent. Dabei wuchs die deutsche Bevölkerung von 41 Millionen im Jahre 1871 auf knapp 50 Millionen 1890 und fast 65 Millionen im Jahr 1910. 1914 lebten in mittelgroßen Städten (20.000–100.000 Einwohner) schon mehr als ein Drittel der Deutschen. In Europa verlief diese Entwicklung ebenso rasant. Um 1700 lebten 17 Millionen Menschen in Städten über 5000 Einwohnern, um 1800 waren es 19 Millionen und um 1900 schon mehr als 108 Millionen. Bis 1980 verdreifachte sich diese Zahl. Um 1800 gab es 21 Städte in Europa mit mehr als 100.000 Einwohnern, ein Jahrhundert später waren es 147.782 Gründe für diesen Zuwachs waren nicht nur Eingemeindungen  – wie in Berlin 1921 – und ein natürliches Bevölkerungswachstum auch in den Städten, sondern vor allem Wanderungsbewegungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Industrialisierung. Obwohl die Urbanisierung in den 1920er Jahren in Deutschland – mit der Ausnahme Berlin – wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr so stürmisch verlief wie vorher, beschwor man in »völkischen« Kreisen das Gespenst der »Landflucht« als »Volkstod«. Denn zusammen mit den Kriegsverlusten und einer reduzierten städtischen Geburtenrate sah man die »Lebenskraft« der Nation in Gefahr und forderte massive bevölkerungspolitische Anstrengungen einschließlich eugenischer Maßnahmen. Dabei konnte man auf alte Klischees, Argumentationsmuster und Ängste zurückgreifen.783 781 Darré sprach davon, es sei »eine Erfahrungstatsache der Geschichte, daß die in eine Stadt verziehenden germanischen Geschlechter sehr bald aussterben, während die auf dem Lande verbleibenden Seitenzweige ungeschwächt fortblühen.« Natürlich kam auch ein antisemitischer Zungenschlag dazu. Vgl. seine Vorträge »Blut und Boden als Lebensgrundlagen der nordischen Rasse« vom 22.6.1930 und »Blut und Boden, ein Grundgedanke des nationalsozialistischen Rechts« vom 27.2.1935, abgedruckt in  : Darré, BuB, 1941, 17 ff. und 295 ff. 782 Chatellier, 2002, 567 ff. und Wehler, Bd. 4, 2003, 234 f. Heute sind drei von vier Menschen in Deutschland Stadtbewohner. Mit den Problemen für die Lebensqualität (Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr) und Psyche (Stress, Angststörungen, Depressionen) der städischen Bevölkerung befasste sich 1965 Alexander Mitscherlich mit seiner Streitschrift Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Frankfurt/M. 1971. Vgl. auch Lees, 1985 und Reulecke, 1985. 783 Vgl. Hainisch, 1924. Der erste Präsident der Republik Österreich war einer der Ersten, die die Abwanderung der Landarbeiter und der nachgeborenen Kinder von Hofbesitzern nicht als »Flucht aus

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Die abschätzige Kennzeichnung der Binnenwanderung vom Land in die gewerblichen und industriellen Ballungsgebiete, in denen sich dann »Massenelend in Mietskasernen« breitmache, als »Landflucht« ist – parallel zur Fahnenflucht – von Anfang an abwertend gemeint gewesen. Georg Oertel, Schriftleiter der Deutschen Tageszeitung des »Bundes der Landwirte« hatte 1893 von »Landflüchtigkeit« gesprochen, der »ein heilsamer Riegel vorgeschoben werden« müsse, damit »das Land nicht ganz in der Stadt aufgezehrt und entvölkert« werde. Heinrich Sohnrey sah, neutraler, eher einen »Zug vom Lande«, gegen den etwas unternommen werden müsse. Im Ersten Weltkrieg sprach man in Kreisen, die der Agrarlobby nahestanden, expressis verbis von »Fahnenflucht« und brandmarkte die Menschen, die den Weg zu den neuen, besser bezahlten und angenehmeren Arbeitsplätzen gegangen waren, als »Vaterlandsverräter«. Auch Otto Ammon hatte eine »Blutsauffrischung« der Stadt durch das Land festgestellt.784 Ähnlich war es bei vielen anderen, die »völkischem« Denken und nationalsozialistischer Politik  – gewollt und ungewollt  – den Weg ebneten. Gobineau hatte den »Rassenniedergang« mit dem Großstadtleben in Verbindung gebracht. Bartels war der Meinung  : »Der Germane verträgt die Großstadt nicht.« Und Langbehn, für den Bauerntum und Volkstum identisch waren, hatte festgestellt  : »Solange der eingeborene Erdcharakter des deutschen Volkes gepflegt und erhalten wird, wird auch dieses selbst gedeihen.« Der Typus des Bauern war in ihren Augen mit der Erde verwurzelt, charakterfest, unverbildet und gesund – das Gegenteil des Städters. Der Mensch könne – so war der »Rembrandt-Deutsche« überzeugt – »sich den Einflüssen des Landes und Bodens, auf dem er erwuchs, nicht entziehen.« Da seine »körperlichen, geistigen und sittlichen Gaben angeboren« seien, könnten sie nur »geschult, gebildet werden.« Denn  : »Es ist die Macht des Blutes, um welche es sich in allen diesen Fällen handelt.«785 Langbehn hat bei den Lebensreformern und Naturverehrern Eindruck gemacht, weil er eine nationalromantische und naturnahe Kulturerneuerung eingefordert hatte. Er hatte von der »heiligen Kraft der Scholle« gesprochen, aus der das Bauerntum seine Vitalität beziehe. Deshalb forderte er eine »Verbauerung« der Gesellschaft, einen ständisch gegliederten »Volksorganismus«, der von einer Aristokratie regiert werde, deren Legitimation in der »Macht des Blutes« liege. Reagrarisierung war für Langbehn vor allem Stärkung der bäuerlichen Mentalität und des ländlichen Lebensstils. Langbehn war, mit den Worten des Kulturhistorikers Fritz Stern, »ein Beispiel für die Heilssuche jener Menschen, welche die Gegebenheiten des modernen Lebens weder ertragen noch überwinden können.« Wie Spengler so ging es auch Langbehn um Kultur, nicht der Landwirtschaft«, sondern als »Landflucht« geißelten. Vgl auch H. Haushofer, 1958, 117 f.; K. Bergmann, 1970 und C. Zimmermann, 1996, 13 ff. 784 G. Oertel, »Das Land, ein Kraftquell und Jungbrunnen für das gesamte Volk«, in  : Das Land. Zeitschrift für die sozialen und volksthümlichen Angelegenheiten auf dem Lande, 2. Jg. 1893/94, 290 f. und Das Land, 24/1916, 380 sowie Weipert, 2006, 83 ff. 785 Langbehn, 1893, 41, 50 ff., 146 und 250 f. Vgl. auch Mendlewitsch, 1988, 78 ff. und 206  ; sowie Sieferle, 1984, 162 f. und Puschner, 2001, 114 ff.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

um »Rasse«. Auch Kenstler sah seinen »radikalen Konservatismus« wachsen »aus der Wurzel unseres Volkstums«  – nicht aus einer »Rasse« oder gar »Nordischen Rasse«. Dementsprechend stellte er fest  : »Damit stehen wir von allen politischen Willensbildungen im Volke am festesten auf unserem Heimatboden und sind am tiefsten verwurzelt mit der Eigenart unseres Blutes« – und er forderte eine »sittliche Neuordnung aus dem Wesen unseres Blutbewußtseins.«786 Aber alle, die das Land als Idylle und nostalgischen Sehnsuchtsort sahen, konnten den Widerspruch nicht erklären, der in der Gleichzeitigkeit von »Landflucht« und der von ihnen praktizierten bukolischen Verschönerung des Landlebens, zwischen Großstadtfeindschaft und Großstadtattraktivität bestand. Es ist nicht verwunderlich, dass man bei den Interessenvertretern der Landwirtschaft, die ja für die »Erhaltung des Bauernstandes« kämpften, den Begriff »Landflucht« aufgriff. Das war einerseits verständlich, andererseits aber auch fatal, weil es von den Kriterien der Rentabilität und Modernisierung der Landwirtschaft ablenkte und stattdessen allgemeine bevölkerungs- und gesundheitspolitische Aufgaben des Staates ins Spiel brachte. Dabei wurden sie von Bevölkerungswissenschaftlern wie Otto Ammon, Georg Hanssen und später Friedrich Burgdörfer mit argumentativer Munition gefüttert  ; denn sie wiesen mit Zahlen darauf hin, dass der »Bauernstand« nicht nur »Nährstand« der Nation sei, sondern auch eine bevölkerungspolitische Funktion habe. Parallel zu Hans Grimm (Volk ohne Raum) konnte man durchaus einen »Raum ohne Volk« voraussehen. Burgdörfer machte 1932 auf ein »Volk ohne Jugend« aufmerksam  ; denn der Zusammenhang von Geburtenrückgang und Urbanisierung war unübersehbar. Übrigens war die Widersprüchlichkeit beider Feststellungen offensichtlich – ohne freilich von vielen Zeitgenossen gesehen zu werden.787 Dabei ging der Unterschied zwischen ruralen und rassistischen Akzenten verloren, ja die Rassisten übernahmen mehr und mehr die Meinungsführerschaft. Urbanisierung war schon seit Babylon umstritten, sie wurde mit Moralverlust und zivilisatorischer Degeneration in Verbindung gebracht. Hatte der Statistiker Georg Hanssen noch schlicht darauf hingewiesen, dass die Stadt vom Bevölkerungsüberschuss des Landes lebe, so stellte Otto Ammon mit Hinweis auf die Mortalitätsrate und die abnehmende Wehrtauglichkeit der Stadtbewohner eine biologische Degeneration fest, der mit eugenischen Maßnahmen entgegengearbeitet werden müsse. Edgar Jung sprach vom »Friedhof der Völker«, in Deutschlands Erneuerung war 1933 vom »Mas786 Stern, 1963, 321 und Kenstler, »Im Geist der Landvolkbewegung zur deutschen Revolution«, in  : Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, für deutsche Wesensart und nationale Freiheit, 1930, 295 ff. (StAG, NLK). 787 Vgl. Ammon, 1893/94, 194 ff. und Burgdörfer, 1932 sowie Hanssen, 1889, 329 f., der eine »sozialbiologische Verstädterungstheorie« (Mackenroth) entwickelt und daraus den Schluss gezogen hatte, dass der Bauernstand die »eigentliche Grundlage des Staates« sei, da er »die städtische Bevölkerung nicht bloß mit Butter und Käse, sondern vor allem auch mit Menschen zu versorgen hat.« Vgl. auch Mackenroth, 1953, 262 ff.

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sengrab des Volkes« die Rede und in einer Werbebroschüre für Kenstlers Zeitschrift Blut und Boden von einem »Moloch«. Eine Diskussion, die mit demographischen Argumenten begann, wurde mit sozialbiologischen fortgesetzt, um bei rassistischen und antisemitistischen zu enden. Davon profitierte Darrés Konzept zugunsten eines »nordrassischen« Bauerntums. Wenn mit dem Leben in der Stadt Rastlosigkeit, Entfremdung, soziale Kälte, Einsamkeit und Werteverlust identifiziert werden konnten, dann lag es nahe, das Leben auf dem Land zu fördern, die ländliche Lebensqualität zu verbessern und das Selbstwertgefühl der Bauern zu stärken. Denn dort glaubte man, die positiven Merkmale der Ruhe, Stetigkeit bzw. des Traditionsbewusstseins, des Gemeinsinns bzw. der Solidarität und Menschlichkeit vorzufinden – oder, wie die »Artamanen« sangen  : »Hinter uns der Städte Tand, vor uns heil’ges Bauernland  !« Diese rurale Sichtweise war weit davon entfernt, rassistisch zu sein, ebenso wie die Wandervogelbewegung, die sich um Vermittlung zwischen Stadt und Land bemühte. Aber diese Haltung war im rassenideologischen Sinne missbrauchbar. Die Alternativen waren auch anderweitig klar umrissen  : Statt den »Schmutz« einer libertinen städtischen Kunstszene interessant zu finden, wurde die »bodenwüchsige Heimatkunst« gepriesen und die preiswert industriell produzierte Massenware wurde als »Schund« diffamiert, während die für viele unerschwingliche Qualitätsarbeit des »bodenständigen« Handwerks gelobt wurde.788 Max Robert Gerstenhauer sprach – exemplarisch für die ganze »Völkische Bewegung«  – 1913 von der »tödlichen Krankheit der Landflucht« und verkündete  : »Die Großstadt ist das große Grab der Volkskraft«. Im Bauerntum dagegen sah er den »unerschöpflichen Quell unserer Volkskraft«. 1929 stellte der Nationalökonom Friedrich Falke in seiner Rede zur Übernahme des Rektorats der Universität Leipzig zum wirtschafts- und sozialpolitischen Wandel in Deutschland fest  : »Die Städte reißen […] die Fülle von Blut und Lebenskraft« an sich, um sie »in freiwilliger Unfruchtbarkeit zu vernichten.« Und in den Mitteilungen des Kampfbundes für deutsche Kultur konnte man im gleichen Jahr lesen  : Millionen unselig Entwurzelter sind auf den Asphalt geworfen, arm an Raum, entnationalisiert, richtungslos, preisgegeben jeglichen schillernden Volksverführern, die heute in der sog. Weltpresse Mulatten- und Negerkultur als die höchsten Errungenschaften der Jetztzeit aufzutischen wagen.789

Es mutet wie ein Vorläufer des Morgenthau-Plans nach dem Zweiten Weltkrieg an, wenn man das utopisch-skurrile Wunschbild eines der aktivsten Wortführer »völkischer« Lebensreformer, Max Robert Gerstenhauer, von 1933, liest  :

788 Vondung, 1976 und Braukmann, 2012, 39. 789 Zitate nach K. Bergmann, 1970, 33 ff. und 205 ff.

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Die Deutschen werden wieder ein vorwiegend agrarisches, ackerbautreibendes Volk werden. Als solches werden sie rassisch gesünder und kräftiger sein als jetzt. Und das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, obwohl die etwa 10 bis 20 Millionen Menschen, die […] zur Auswanderung gezwungen sind, dem deutschen Volkstum verloren zu gehen drohen. Aber es kommt ja in erster Linie nicht auf das Material, nicht auf den angesammelten Besitz eines Volkstums an, sondern auf seine innere Kraft.790

Diese deutschtümelnd-ruralistischen Ansichten zur extremsten Form einer Reagrarisierung Deutschlands schienen vieles gemeinsam zu haben mit den Vorstellungen, die Darré in die NS-Bewegung einbrachte – wenn man eben »deutsch« durch das rassistische »nordisch« austauscht. Gerstenhauer wies darauf hin, dass es bei der Aufgabe, das »Deutschtum« von allen fremden Einflüssen zu »reinigen«, darauf ankomme, auf das »Landvolk« zurückzugreifen, weil beim »Bauerntum noch ungebrochenes, ursprüngliches deutsches Volkstum« vorhanden sei. Es sei nämlich, schrieb der »Großmeister« des »Deutschbundes«, die »deutsche Bauernschaft, die politisch, rassisch und geistig der feste Kern des deutschen Volkes ist.«791 Bemerkenswert ist allerdings, welchen Preis Gerstenhauer bereit war, für ein »ackerbautreibendes« Deutschland zu zahlen. War es nicht näherliegend, statt 10 bis 20 Millionen »Volksgenossen« zur Auswanderung zu zwingen, sie durch Eroberung von »Lebensraum« zum Bleiben zu bewegen  ? Schließlich hatte es 1925 in der von den Mitgliedern vieler »Jugendbünde« gelesenen Zeitschrift die kommenden. Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewußter Jugend geheißen, es müsse »neues Siedlungsland im Osten« erkämpft werden, auch um einen »rechten Ausgleich zwischen Stadtund Landvolk« zu erreichen, in dem Industrie und Technik »nicht mehr alles andere überwuchern, sondern dem Land dienen.« Der Beitrag betonte ausdrücklich, man habe sich das Ziel gesetzt, »einer neuen Bindung des deutschen Menschen an Blut und Boden den Weg zu bereiten«.792 Selbst Riehl war 1854 schon weiter als Gerstenhauer gewesen, indem er zwar im Bauerntum einen »natürlichen Damm […] gegen das Überfluten der französischen Revolutionslehren« gesehen hatte, aber doch das »moderne Fabrikwesen […] als notwendig« anerkannt wissen wollte. Und auch Otto Ammon hatte 1906 zur »Bedeutung des Bauernstandes« nüchtern festgestellt  : Die Masse der Menschheit […] muß auch Fabrikarbeiter haben, die mittels mechanischer Vorrichtungen Güter erzeugen, da diese der Kulturmenschheit nun einmal Bedürfnis geworden sind. Ein Zurück gibt es in der Weltentwicklung nicht. […] So wenig als im Ein790 Gerstenhauer, 1933, 51. 791 Gerstenhauer, »Die Zukunft der völkischen Bewegung«, in  : Deutschland-Blätter 29/1924, Nr. 7 und Gerstenhauer, 1927, 123. 792 Zit. n. Pross, 1964, 345 ff.

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zelleben der Hochgebildete einfach wieder zum Pflug greifen und ein echter Bauer werden kann, nachdem er erkannt hat, daß das Bauernleben für ihn gesünder wäre, so wenig kann die Menschheit als Ganzes sich auf den Stand der ackerbauenden Urzeit zurückschrauben.

Auch der studierte Chemiker Willibald Hentschel, der die Idee mit einer »rassischen Zuchtkolonie Mittgard« hatte, mahnte, man solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten  : Wir dürfen nicht vergessen, daß wir im Wettbewerbe mit den anderen Völkern, im Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität leben, und daß unser Schicksal in gesteigertem Maße durch technische Erfolge bedingt und bestimmt wird  ; ein reines Bauernvolk könnte sich an unserer Stelle nimmer halten.793

Diese Erkenntnis hielt Hentschel nicht davon ab, an seinem rassistischen »Zuchtziel« festzuhalten. Ob Darré als verantwortlicher Politiker im »Dritten Reich« ein Befürworter der Reagrarisierung Deutschlands war, wie ihm mancher unterstellte, wird zu untersuchen sein. Jedenfalls hat er sich heftig dagegen gewehrt, als »Romantiker« gesehen zu werden. Eigentlich konnte »Reagrarisierung« nicht sein politisches Ziel sein, weil sie nicht mit dem anderen großen Fixpunkt in Hitlers »Weltanschauung«, der »Eroberung von Lebensraum«, vereinbar war, einem politischen Ziel, das  – wie wir gesehen haben – auch von Darré für richtig und erstrebenswert angesehen wurde. Sie war weder mit der Technikbegeisterung der Nazionalsozialisten vereinbar noch mit der Notwendigkeit, im »Dritten Reich« den Lebensstandard der Bevölkerung im Hinblick auf die Akzeptanz des Regimes zu erhalten und zu steigern. Das war eben das Dilemma des Ideologen und des Politikers Darré, dass zeitgemäße »städtische« Lebensbedingungen – der Natur entfremdet, wurzellos und damit wie jede Pflanze nicht lebensfähig, hilflos fremden Einflüssen ausgeliefert – als dem »nordischen« Idealmenschen, wie ihn sich Günther vorstellte, nicht zuträglich und nicht zumutbar angesehen wurden. Aber es gab auch andere Argumente gegen die Stadt als unmenschlichen Lebensraum. Wegen der höheren Sterblichkeit durch ungesunde hygienische Verhältnisse und der geringeren Geburtenrate u. a. als Folge der beengten Wohnverhältnisse konnte die »Verstädterung« als selbstzerstörerischer Vorgang angeprangert werden. Diejenigen, die eine biologisch unterstützende Erklärung für soziale Prozesse suchten, wurden im Lamarckismus fündig, wonach Umweltbedingungen, mit denen ein Mensch aufwächst, direkten Einfluss auf sein Erbgut haben. Damit konnte Degeneration oder »Entartung« den städtischen Lebensbedingungen angelastet werden. 793 Riehl, Naturgeschichte, Bd. 2, 1854, 41 und 109, sowie Riehl, Die deutsche Arbeit, Stuttgart 1862, 106  ; Ammon, 1906, 24 f. und 36 f. (zit. n. Rohkrämer, 1999, 44 f.) und Hentschel, zit. n. Breuer, 2008, 108 f.

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Wenn […] anzunehmen ist, dass es immer die fähigeren, vitaleren und intelligenteren Bevölkerungselemente sind, die in die Stadt ziehen, um dort ihr Glück zu versuchen, so werden gerade sie hoher Sterblichkeit und entartenden Einflüssen ausgesetzt werden. Die unhygienische Stadt wirkt somit im soziallamarckistischen Kontext als Ort der genetischen Verderbnis und der Verschlechterung der Bevölkerungsqualität, wobei diese Degeneration generationsübergreifend wirkt.794

Lamarcks These wurde zwar schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert durch den statistisch festgestellten Rückgang der städtischen Mortalitätsrate (u. a. durch weniger Typhusfälle und weniger Säuglingssterblichkeit) falsifiziert, wie überhaupt der Lamarckismus naturwissenschaftlich nicht haltbar war. Aber die Vorstellung der Stadt als »Bevölkerungsgrab« hielt sich unverdrossen, weil sie auch durch sozialdarwinistische Argumente, wonach in der städtischen Zivilisation die »Minderwertigen« gegenüber den »Höherwertigen« die Oberhand gewinnen, scheinbar bestätigt wurde. Das hatte Auswirkungen auf die Debatte, ob Deutschland ein »Agrar- oder Industriestaat« sein solle und inwieweit die »Verstäderung« Deutschlands »Wehrkraft zersetze« und die »Landflucht« die »Leutenot« auf den ostelbischen Gütern herbeiführe, die wiederum durch Arbeiter aus Polen kompensiert werden musste. Die Debatte darüber, ob Deutschland ein Agrar- oder ein Industriestaat sein bzw. werden solle, wurde seit den 1890er Jahren immer heftiger geführt. Selbst diejenigen, die, wie Daniel Frymann alias Heinrich Claß, für einen »Ausgleich der Interessen« eintraten, plädierten für eine »durchgreifende Agrarreform«, weil sie die Binnenwanderung hauptsächlich von Ost nach West und die »Verödung des flachen Landes, besonders im Osten« für nicht akzeptabel hielten. Denn die »Polenfrage im Osten« wurde durch den Arbeitskräftemangel und seine Kompensation durch »Herbeiholen fremder, besonders slawischer Arbeiter« als eine politische Gefahr für das »Deutschtum« empfunden und die »polnische Überflutung« erhielt einen Stellenwert »von allergrößter Bedeutung«. Der einflussreiche Vorsitzende des »Alldeutschen Verbandes« kam angesichts dieser Misere zu erstaunlichen Forderungen  : »Es muß […] über das ganze Land möglichst gleichmäßig verteilt ein gesunder, leistungsfähiger deutscher Bauernstand angesiedelt werden.« Der Staat müsse Großgrundbesitz, der nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden könne, aufkaufen und »Latifundien« müssten in »richtig bemessene Bauernstellen« aufgeteilt werden. Selbst Enteignung schloss Frymann/ Claß nicht aus. Schließlich stand für ihn die »Unentbehrlichkeit der Landwirtschaft« außer Frage und die Landbevölkerung hielt auch er für »höherwertiger« als die Stadtbewohner. Wie alle »Völkischen«, so nahm auch Claß an, dass die Landbevölkerung im »Moloch« der Großstadt verschlungen werde. Es gehe um »Volksgesundheit, Wehrkraft, Nachwuchs und Unabhängigkeit vom Ausland in der Ernährung«, begründete er seine 794 Sieferle/Zimmermann, 1992, 57.

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Prioritätsetzung zugunsten des Landes. Ähnliches stand, zum Teil wörtlich, später in der Agrarprogrammatik der NSDAP und förderte die Akzeptanz der »Blut und Boden«-Ideologie im Sinne Darrés.795 Kultur und Zivilisation

Die geschilderten Einschätzungen und Einstellungen wurden durch Veröffentlichungen wie Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes nicht unerheblich verstärkt. Denn die Vorstellung, Industrialisierung und Zivilisation seien ein biologisch selbstzerstörerischer Prozess schien nun durch kulturgeschichtliche Erkenntnisse im Weltmaßstab bestätigt zu werden.796 Darré hatte den nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges immer populärer werdenden Kulturphilosophen schon anfangs der 1920er Jahre gelesen. Wie bei so vielen aus der »Völkischen Bewegung« setzte der Autor mit seiner »Morphologie der Weltgeschichte« auch bei dem Studenten in Halle nicht Fatalismus, sondern Trotz und Aktivismus frei. Der missverständliche, aber dafür umso griffigere Titel provozierte nicht nur die »Völkischen«, sondern auch von so gut wie jeder lebensreformerischen Sekte wurde Spenglers Manifest der Antimoderne dazu benutzt, ihre Heilsidee gegen den vermeintlich drohenden Niedergang als Problemlösung zu verstehen bzw. anzubieten. Denn Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg, eine bis dahin unvorstellbare Zahl von Toten und Versehrten, der Zusammenbruch der Habsburger- und der Hohenzollernmonarchie, die Abdankung aller Duodezfürsten in der deutschen Provinz, der Niedergang des Adels als Elite und die Aussicht auf einen revolutionären Sieg des »Bolschewismus« auch in Deutschland – all das schien eine bis dahin vertraute Welt aus den Angeln zu heben. »Nur die Tat kann uns retten«, schrieben 1922 Bruno Tanzmann und Wilhelm Kotzde »an die gesamte völkische Jugendbewegung«. Viele, die in Tanzmanns Zeitschrift Deutsche Bauernhochschule publizierten, bezogen sich auf Spengler. So schrieb der Sanitätsrat Dr. Alfred Seeliger  : »Wir wissen seit geraumer Zeit, dass die Großstädte die Gräber der Menschheit sind, dass sie in wenigen Geschlechtern rettungslos aussterben.« Oder  : Hellmuth von Müller-Berneck schlug folgenden Ausweg vor  : »Deutschland übernimmt die Führung des arischen Volkstums der ganzen Welt mit dem Entschluß  : Zurück zum Bauerntum als Bollwerk gegen die internationale Weltunkultur jüdischer Herkunft und gegen den Untergang des Abendlandes.« Und A. Georg Kenstler von den »Artamanen«, Darrés Ideengeber, fand und verehrte in Tanzmann geradezu »den Gegengeist von Spenglers Untergang des Abendlandes«.797 795 Frymann (Class), 1914, 94 f. und 126 f. Zur Agrar-Industriestaat-Debatte vgl. Wehler, 2003, 618 ff. und Weipert, 2006, 75 ff. 796 Vgl. u. a. Falken, 1988  ; Sieferle, 1989 und Rohkrämer, 1999. 797 Deutsche Bauernhochschule, 3/1923/24, 38  ; 4/1924, 122 und 7/1927, 386 sowie Kenstler, »Sendboten in

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Oswald Spengler (1880–1936) war in seiner Schulzeit in Halle (Saale), die er nur im Zusammenhang von »Kopfschmerzen« und »Lebensangst« erinnerte, vom Pietismus der Francke’schen Pädagogik geprägt worden. Wegen eines Herzfehlers vom Militärdienst freigestellt, schrieb er seine philosophische Dissertation über Heraklit und ließ sich als Gymnasiallehrer für Naturwissenschaften ausbilden. Den Beruf erlebte er als unerträgliche Belastung und gab ihn nach wenigen Jahren auf. Seit 1911 lebte er als Privatgelehrter, eher als Sonderling und Einsiedler, vom Erbe seiner Mutter in München-Schwabing. Nach dem phänomenalen Erfolg seines Hauptwerkes – der erste Band war noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden und erschien 1918 in Wien, der zweite Band 1922 in München  – begleitete er zwar den Aufstieg der »Hitler-Bewegung«, seine Distanz zum Nationalsozialismus war jedoch unübersehbar. Die geschichtsphilosophischen Spekulationen des »Untergangs-Magiers« (Gründel) intensivierten die Misere, deren Reflex sie waren, und gossen Wasser auf die Mühlen derer, die sich mit archaischen Rezepturen dagegenstemmten. Spenglers Distanz zum »Dritten Reich« wurde aber umso deutlicher, je mehr sich die nationalsozialistische Diktatur festigte. Drei Jahre nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland errungen hatten, ist er an Herzversagen gestorben.798 Spengler dachte in großen Linien und beschrieb Prozesse von langer Dauer. Er verglich den westeuropäisch-amerikanischen Kulturkreis mit anderen Hochkulturen (u. a. Ägypten, China, Babylon, Indien und Mexiko) und kam zu dem Ergebnis, dass sich das »Abendland« in einer absteigenden Periode befinde, die in einer »FellachenUnkultur« enden werde. Für ihn war jede Hochkultur ein lebendiger Organismus mit einem Lebenszyklus von Geburt, Jugend, Reife, Alter und Tod. »Das Abendland hatte seiner Meinung nach die Phase des hohen Alters erreicht. Weil daran nichts zu ändern sei, sollten sich die Zeitgenossen in einem Akt des amor fati darauf einstellen«, findet Rohkrämer. Spengler sah »Kultur« grundsätzlich positiv, weil echt und bodenständig, im Gegensatz zur »Zivilisation«, die er als unecht und importiert ansah, als degenerierte Kultur quasi, eine »Unkultur« in ihrem Endstadium  : »Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur«, schrieb er.799 Spengler sah in seinen Erkenntnissen das Resultat eines objektiven Blicks »aus zeitloser Höhe« und er sah es als seine Pflicht an, dass jeder Leser »vom Kommenden erfahre, was geschehen kann und also geschehen wird, mit der unabänderlichen Notwendigkeit eines Schicksals.« Diese fatalistische und lähmende Sicht auf Gegenwart und Zukunft machte Spengler für seine Zeitgenossen zum Kulturpessimisten par exder Windjacke«, in  : K. A. Findeisen (Hg.), Handschrift des Pfluges. Ehrenbüchlein für Bruno Tanzmann. Denker und Dichter zu seinem 60. Geburtstag. Berlin o. J. (1938), 57. 798 Vgl. Koktanek, 1968  ; Ludz, 1980  ; Merlio, 1982  ; Felken, 1988  ; Demandt/Farrenkopf, 1994  ; Sieferle, 1995 und Vollnhals, 2005. Dazu, wie abschätzig Spengler von den Nationalsozialisten gesehen wurde, vgl. Leers, 1934 und Gründel, 1934. 799 Rohkrämer, 1999, 285 ff. (dort die Zitate). Vgl. auch H. Haushofer, 1958, 29 ff., Sontheimer, 1962, 68 und Bickel, 1987, 173 ff.

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cellence, obwohl es ihm doch eher darum ging, ihnen historische Grundlagen für ein realitätsnahes Handeln zu geben. Und, er »vertrat seine Meinung mit dem Pathos und der Arroganz des Sehers, der als einziger das vorherbestimmte und unausweichliche Schicksal gekannt habe«, wie Rohkrämer urteilt. Diesen Dogmatismus übertrug Spengler auch auf seine antidemokratischen, antiurbanen und antimodernen bzw. technikfeindlichen politischen Ansichten. Alles, so war er überzeugt, was »Zivilisation« als »mechanisch-materialistisch« präge, war gegenüber der »organisch« gewachsenen »Kultur« abzulehnen, weil es zum Tode verurteilt sei. So glaubte er, die »Heraufkunft des Cäsarismus«, für den er in Mussolini ein Beispiel sah, besiege die »Diktatur des Geldes und ihrer politischen Waffe, die Demokratie«. Und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen grauenhaften Folgewirkungen schrieb er, offensichtlich vor dem Hintergrund der Antike  : »Krieg ist die ewige Form höheren Daseins, und Staaten sind um des Krieges willen da  ; sie sind Ausdruck der Bereitschaft zum Krieg.« Auch das tat der Popularität seiner Veröffentlichungen keinen Abbruch.800 Kultur war für Spengler biologisch-organisch bestimmt und damit eine anthropologische Konstante wie das Land. Zivilisation hingegen war eine historisch-degenerative Entwicklung. Darré konnte daraus problemlos und apodiktisch den Satz machen  : »Der Nomade [ Jude] wird immer nur Zivilisation verbreiten können.« Auch einer Art Reagrarisierung redete Spengler das Wort, wenn er formulierte  : Das Bauerntum gebar einst den Markt, die Landstadt, und nährte sie mit seinem besten Blute. Nun saugt die Riesenstadt das Land aus, unersättlich, immer neue Ströme von Menschen fordernd und verschlingend, bis sie inmitten einer kaum noch bevölkerten Wüste ermattet und stirbt.

Wie schon bei Chamberlain, der im Blutserbe eine »gesetzgebende Naturmacht« gesehen hatte, so konnte sich Darré auch durch Spengler bestätigt sehen, wenn der Geschichtsphilosoph den Menschen als »Schöpfer der Natur« pries  : »Die Züchtung erlesener Wein-, Obst- und Blumenarten, die Züchtung von Pferden reinen Blutes i s t Kultur.«801 Es ist nicht verwunderlich, dass auch Spengler das Begriffspaar »Blut und Boden« benutzte  : Im zweiten Band seines Buches Der Untergang des Abendlandes gab er einem kleinen Kapitel diese Überschrift. Er sprach vom »Kampf zwischen Blut und Boden« und verband damit die Frage, welchen Anteil diese widerstreitenden »Merkmale« – ererbte und umweltbedingte – an der Bildung und Festigung einer Persönlichkeit, eines Individuums haben. Spenglers Bild vom Menschen war an organischen Phänome800 Spengler, 1923, Bd. 2, 446, 522 ff., 534 ff. und 545 ff. 801 Darré, Bauerntum, 1929, 68  ; Chamberlain, 1907, 822 und Spengler, 1980, 676, 679 f. und 967. Vgl. auch Eidenbenz, 1993, 197 ff.

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nen orientiert  : »Der Mensch wird wieder Pflanze, an der Scholle haftend, dumpf und dauernd. Das zeitlose Dorf, der ›ewige‹ Bauer treten hervor, Kinder zeugend und in die Mutter Erde versenkend«, beschrieb er die ruralistische Entwicklungsphase einer Kultur. Das ist vitalistisch gemeint wie auch die von Spengler festgestellte »dauernde und innige Verbundenheit von ewigem Land und ewigem Blute«. Sozialdarwinistisch dagegen klang er, wenn er schrieb  : »Die Mächte des Blutes, die urwüchsigen Triebe alles Lebens, die ungebrochen körperliche Kraft treten ihre alte Herrschaft wieder an. Die Rasse bricht rein und unwiderstehlich hervor  : der Erfolg des Stärksten und der Rest als Beute.« 802 Aber für Spengler war »Blut« nicht das Bestimmungsmerkmal einer »Rasse«, sondern das von Erbanlagen, »Sinnbild des Lebendigen«, eine »rätselhafte kosmische Kraft«. Blut »kreist ohne Pause durch den Leib« und »das Blut der Ahnen fließt durch die Kette der Geschlechter«. Als paradigmatisch dafür sah Spengler den Adel an, den er als »Inbegriff von Blut und Rasse, ein Daseinsstrom in denkbar vollendeter Form« kennzeichnete. Auf den Punkt gebracht  : »Adel ist eben damit höheres Bauerntum.« Denn  : »Adel und Bauerntum sind ganz pflanzenhaft und triebhaft, tief im Stammlande verwurzelt, im Stammbaum sich fortpflanzend, züchtend und gezüchtet.«803 »Rasse« dagegen sei, so führte Spengler weiter aus, weder wissenschaftlich noch biologisch fassbar. In einer eindeutigen Ablehnung des rein körperlich orientierten Rassebegriffs, den er als »flach, plump und mechanistisch« bezeichnete, glaubte Spengler, dass erst der lebendige Körper einen Ausdruck der »Rasse« vermittle  : »Nicht im Bau der Teile, sondern in ihrer Bewegung, nicht im Gesichtsschädel, sondern in der Miene« zeige sich echte »Rasse«. Die bisherigen »Rassenkundler« verdürben – so gab sich Spengler überzeugt – »durch eine seelenlose Kausalverkettung von Oberflächenzügen, was hier der Ausdruck des Blutes und dort die Macht des Bodens über das Blut ist, Geheimnisse, die man nicht sehen und messen, sondern nur von Auge zu Auge erleben und fühlen kann.« Für Spengler waren »Rassen« Merkmale, »die keiner wissenschaftlichen Methode zugänglich sind«, wie z. B. Sprechen, Geruch und Gestik. Es sind drei Komponenten, die nach Spengler »Rasse« ausmachen  : »Energie des Blutes, das durch Jahrhunderte immer wieder die selben leiblichen Züge prägt«, und »Macht des Bodens«, womit schlicht Umwelteinflüsse gemeint waren. Beides zusammen mache einen »Menschenschlag« aus. Hinzu kämen schließlich noch »jene rätselhafte Kraft des gleichen Taktes eng verbundener Gemeinschaften« und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit eines »Volkes«. Letztlich war »Rasse« für Spengler identisch mit »Natur«, denn auch Pflanzen hätten »Rassemerkmale«, stellte er fest. Das »Ideal des ›reinen Blutes‹« war für ihn nichts Reales oder Realisierbares, sondern ein theoretisches Konstrukt. Es ist unübersehbar, dass Spenglers Vorstellung von »Rasse« nichts, aber auch gar nichts mit dem gemein hatte, was Günther und Darré darunter 802 Spengler, 1923, Bd. 2, V, 134 und 146 ff. Vgl. dagegen H. Haushofer, 1980, 141 ff. 803 Spengler, 1923, Bd. 2, 412.

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verstanden. Gleichwohl operierte der Geschichtsphilosoph mit dem Begriffspaar »Blut und Boden« und sein Bild vom Bauern, »der von Urzeiten her auf seiner Scholle sitzt, von ihr Besitz ergriffen hat, um dort mit seinem Blut zu haften«, konnte durchaus mit dem »Erbhof«-Gedanken Darrés verwechselt werden.804 Spengler ging aus von einer statischen und mythologisierenden Charakterisierung des Bauerntums. »Der Bauer ist geschichtslos«, er habe eine »mystische Seele«, verkündete er. »Der Bauer ist der ewige Mensch […] von Geschlecht zu Geschlecht sich fortzeugend, auf erdverbundene Berufe und Fähigkeiten beschränkt, […] der Ausgang und die immer fließende Quelle des Blutes, das in den Städten die Weltgeschichte macht.« Spengler suchte für die »Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen« eine Erklärung nicht nur auf sozialem und biologischem, sondern auch auf metaphysischem Gebiet  : Man versenke sich in die Seele eines Bauern, der von Urzeiten her auf seiner Scholle sitzt oder von ihr Besitz ergriffen hat, um dort mit seinem Blute zu haften. Er wurzelt hier als der Enkel von Ahnen und der Ahn von künftigen Enkeln. Sein Haus, sein Eigentum  : das bedeutet hier nicht ein flüchtiges Zusammengehören von Leib und Gut für eine kurze Spanne von Jahren, sondern ein dauerndes und inniges Verbundensein von ewigem Land und ewigem Blute  : erst damit, erst aus dem Seßhaftwerden im mystischen Sinne erhalten die großen Epochen des Kreislaufes, Zeugung, Geburt und Tod, jenen metaphysischen Zauber, der seinen sinnbildlichen Niederschlag in Sitte und Religion aller landfesten Bevölkerung findet.

Spengler sah im Bauerntum die Grundlage aller Kultur, auch der abendländischen. Wie eine Pflanze wurzele der Bauer »in dem Boden, den er bestellt«, in der »Mutter Erde«. »Zwischen Säen und Zeugen, Ernte und Tod, Kind und Korn entsteht eine tiefgefühlte Beziehung.« Dieses »organische Lebensgefühl« gehe im Entwicklungsstadium der »Zivilisation« verloren. Beim »Sieg der Stadt über das Land« verschwinde der »erdhafte Bauer« und  – »sein Blut verbrauchend«  – gehe die Kultur  – auch die westeuropäisch-abendländische – ihrem Untergang entgegen. 805 Spengler sah in der Großstadt ein Merkmal der »Zivilisation«, im Bauerntum dagegen ein Charakteristikum der »Kultur«. Er sah im Bauern einen colonus, der den Boden kultiviert, im Städter dagegen einen »geistigen Nomaden«, ja er scheute sich nicht, von »Parasiten« zu sprechen. Apodiktisch stellte er fest  : »Es gibt keinen Bauernstand, es gibt eine Bauernkultur, die sich durch alle Zeiten gleich bleibt  : wenn diese Kultur zugrunde geht, schwindet auch das bestkultivierte Volk dahin.« Demgegenüber ziehe 804 Spengler, 1923, Bd. 2, 6, 148 f., 406, 432 und 546 f. Vgl. auch H. Haushofer, 1958, 29 ff., 127 ff. und 195 f.; K. Bergmann, 1970, 179 ff.; Swassjan, 1998 und Krenzlin, 2003, 124. Dagegen aus rassenhygienischer Sicht  : F. Lenz, »O. Spenglers Untergang des Abendlandes im Lichte der Rassenbiologie«, in  : Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 18/1925. 805 Spengler, 1923, Bd. 1, 449 sowie Bd. 2, 104 f., 113, 123 und 543.

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»die Geburt der Stadt ihren Tod nach sich. Anfang und Ende, Bauernhaus und Häuserblock, verhalten sich wie Seele und Intelligenz, wie Blut und Stein.«806 Der »Sieg der Weltstadt über das Bauerntum« bedeute Bevölkerungsschwund und das Versiegen kulturschöpferischer Kräfte, meinte der Geschichtsphilosoph. Und auch Spenglers Kennzeichnung des Handels als »reiner Parasitismus, vollkommen unproduktiv und deshalb landfremd und schweifend, ›frei‹, auch seelisch unbeschwert von Sitten und Bräuchen der Erde, ein Leben, das von anderem Leben sich nährt«, musste Darré gefallen, auch wenn bei Spengler jede Assoziation mit dem Judentum fehlte.807 Spengler benutzte das Wort »Blut« im Sinne von »Mensch« als Teil der Natur, der im städtischen Milieu verkümmert, buchstäblich ausblutet. Und er benutzte das Wort »Boden« als Synonym für »Erde«, in welcher der Mensch verwurzelt ist, als Scholle, die ererbt und vererbt wird. Für ihn war der Mensch eine »Pflanze«, »an der Scholle haftend, dumpf und dauernd«. Er stellte dem »Land« die »Stadt« gegenüber, der »Kultur« die »Zivilisation«. Nur hier bot Spengler für Darré einen Anknüpfungspunkt und eine Plattform für seine agrarpolitische Konzeption  : bei seiner Abneigung gegenüber der Großstadt, bei seiner Skepsis gegenüber allem Mechanisch-Technischen und vor allem bei seiner Bauernmystik. Der technische Fortschritt gerät in dieser Sichtweise in die Nähe zur Blasphemie, weil die göttlich-natürliche Ordnung untergraben wird. Dass solche technik- und industriefeindlichen Affekte im Hinblick auf die Modernisierung der Landwirtschaft schwerwiegende Folgen hatten, hing Darré noch nach, als er als Minister autarkistische Anforderungen an die Landwirtschaft zu erfüllen hatte  ; denn sie hemmten chemische Düngemethoden und die Einführung von Landmaschinen, die zur Produktivitätssteigerung und Erleichterung der Landarbeit unabdingbar waren.808 Spenglers antimoderne, antiurbane und antidemokratische Ansichten boten Darré Gelegenheit, dem als Provokation empfundenen pessimistischen Titel vom Untergang des Abendlandes mit einer optimistischen Perspektive entgegenzutreten – auch für das angeblich dem Untergang geweihte Bauerntum. Bei Spenglers »organischem« Men806 Vgl. hierzu Hitler in einer Rede am 10.2.1930, also noch vor Erscheinen von Darrés Neuadel aus Blut und Boden und bevor er in die Dienste des »Führers« eintrat  : »Indem ich für die deutsche Zukunft kämpfe, muß ich kämpfen für die deutsche Scholle und muß kämpfen für den deutschen Bauern. Er gibt uns die Menschen in die Städte. Er ist die ewige Quelle seit Jahrtausenden gewesen, und er muß erhalten bleiben  !« (zit. n. Siebarth, 1935, 112). 807 Spengler, 1923, Bd. 2, 595 f. In der Einleitung des 1. Bandes (1923, Bd. 1, 43) hatte er geschrieben  : »Statt einer Welt eine Stadt, ein Punkt, in dem sich das ganze Leben weiter Länder sammelt, während der Rest verdorrt  ; statt eines formvollen, mit der Erde verwachsenen Volkes ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit einer tiefen Abneigung gegen das Bauerntum (und dessen höchste Form, den Landadel), also ein ungeheurer Schritt zum Anorganischen, zum Ende […].« 808 Nicht nur Darré (Neuadel, 1930, 60 und 189 f.), sondern auch Günther (Nord. Ged., 1925, 25) nahm Spengler in Anspruch. Vgl. auch Rosenberg, »Oswald Spengler«, in  : NS-Monatshefte 1/1930, 180–184.

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schen- und Geschichtsbild brauchte man nicht einmal rassenideologisch zu argumentieren. Denn nicht nur Pflanze, Tier und Mensch, sondern auch Völker unterliegen in Spenglers Sicht dem Naturgesetz von Wachsen, Blühen, Altern und Sterben. Und »Fremdkörper« oder »Schädlinge« aus einer »Volksgemeinschaft« zu entfernen entspricht ebenfalls dem »Willen der Natur«, so wie eine gewachsene, durch »Blut« geheiligte und durch Tradition, Sitten und Religion gefestigte Gemeinschaft einer künstlich konstruierten Gesellschaft vorzuziehen sei.809 Aber Spengler hatte Völker im Visier, nicht »Rassen«. Sein lebensphilosophischer, anthropologischer und kulturhistorischer Ansatz hatte überhaupt nichts mit der Idee zu tun, im Bauerntum einen Lebensquell der Nordischen Rasse zu sehen. Was Spengler aus einer kulturell-biologistischen Sichtweise beschrieb, meinten Günther und Darré hingegen rassistisch.810 Ein missverstandener Spengler hat der nationalsozialistischen »Blut und Boden«-Ideologie allenfalls das Terrain geebnet  ; mit dem, was Darré und die Nationalsozialisten darunter verstanden, hat Spengler nichts zu tun. Spengler interpretierte die enge Beziehung zwischen Mensch und Erde als kulturelles Phänomen, Darré als existentiell enges Aufeinander-angewiesen-Sein von bäuerlichem Boden und »nordrassischem Blut«. Mit Darrés »Odal« als »Lebensgesetz eines ewigen Volkes« (Leers) hatte Spengler nichts gemeinsam.811 Aber dass man »Kultur« in damaliger Zeit auch anders sehen konnte als S ­ pengler und viele »Völkische«, beweist der deutsch-amerikanische Ethnologe Franz Boas. Er sah »Kultur« nicht als eine Etappe in der Menschheitsgeschichte, von der an es bergab gehe, wie Spengler, und auch nicht als »positiv« in wertender Abgrenzung zur nega­tiv konnotierten »Zivilisation«, für Boas war »Kultur« etwas, das Völker, Stämme oder Ethnien in »reicherem« oder »ärmerem« Maße besitzen. Für den anerkannten Ethnologen, der sich wissenschaftliches Ansehen mit seinen Feldforschungen bei den Eskimos und der nordamerikanischen Urbevölkerung erworben hatte, gab es nur eine »Gleichartigkeit der Kulturmerkmale«, die er hauptsächlich von geographischen Gegebenheiten wie Klima, Vegetation sowie Bodenform- und -beschaffenheit abhängig sah. Franz Boas (1858–1942) war in einer jüdischen Familie in Minden aufgewachsen, hatte dort Abitur gemacht und in Heidelberg und Bonn Mathematik, Physik und Geographie studiert. In Kiel wurde er mit einer Arbeit aus der Meeresphysik promo809 Zur Bedeutung von Spenglers Bauernverständnis für die agrarpolitische Diskussion in der Weimarer Republik vgl. Sontheimer, 1962, 322 ff. und Muth, 1965, 739 ff. 810 Nach dem angesehenen Münchener Historiker Karl Alexander von Müller, der unter Hinweis darauf, dass in Bayern noch 35 Prozent der Bevölkerung, in Deutschland aber nur noch 9 Prozent auf dem Land lebten, konnte Hermann Reischle (DA, Heft 6, Dezember 1932, 416 f.) feststellen  : »Das deutsche Bauerntum ist das letzte große Bollwerk der Natur in dem überkünstelten und überfeinerten gesellschaftlichen Gebäude von heute.« Dass hinter »Natur« die viel problematischere »Rasse« versteckt werden sollte, ist offenkundig. 811 Das wusste übrigens Johann von Leers, Darrés Experte für die Geschichte des Bauerntums, schon 1934. Vgl. auch Koktanek, 1968.

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viert. 1883 nahm er an einer Expedition in die Arktis teil, arbeitete am VölkerkundeMuseum in Berlin und wurde nach seiner Habilitation an der Friedrich-WilhelmsUniversität dort Privatdozent. 1886 folgte er seiner Frau nach New York und begann eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere an US-amerikanischen Universitäten. 1911 veröffentlichte er eine Schrift mit dem Titel The Mind of Primitive Man, die er 1914 neubearbeitet herausgab und die 1922 unverändert in deutscher Sprache unter dem Titel Kultur und Rasse veröffentlicht wurde. Dieser Titel war nicht nur eine Konzession an den Zeitgeist, der Verfasser setzte sich auch mit aktuellen Fragen um »Völker«, »Rassen« und »Rassenhygiene« auseinander.812 Boas stellte fest, dass Kulturleistung von Kulturfähigkeit abhängt, die aber nicht erblich, sondern von Umweltgegebenheiten abhängig sei.813 Er setzte sich ausführlich mit der Frage auseinander, ob man von Körpermerkmalen auf Veranlagungen oder Charakterzüge schließen könne, und verneinte sie. Er lehnte eine wertende Hierarchie von Kulturleistungen ab und verneinte auch einen Zusammenhang von Kulturfortschritt und »Rassen«. Ethnien seien »höchstens ein unterstützendes Element der Kulturentwicklung, sicher nicht als ihre bestimmende Ursache anzusehen«. Boas behauptet nicht nur, er argumentiert, fragt nach der Plausibilität der Aussagen, greift auf seine empirischen Forschungsergebnisse zurück und kommt zu dem Ergebnis  : »Erbliche Rasseneinflüsse« auf den Kulturfortschritt seien »relativ belanglos« im Verhältnis zu individuellen und sozialen Faktoren. Boas’ sehr vorsichtig aber klar geäußerte Einschätzungen sind von einer – für damalige Verhältnisse – stupenden Plausibilität. So stellt er zur Frage nationaler Identität fest  : »Was die Nationalität ausmacht, ist offenbar nicht die Blutsgemeinschaft innerhalb der europäischen Rassen, sondern die Gefühlsgemeinschaft, die aus den Gewohnheiten des täglichen Lebens, aus den Formen des Denkens und Fühlens eine objektive Einheit schafft.« Als weitere Faktoren des Nationalbewusstseins nennt er Sprache, Geschichte, Interessen und »gemeinsame Erfahrungen gegenüber dem Fremden.« Es sei zwar »psychologisch zu verstehen, aber nicht wissenschaftlich zu begründen«, wenn »Versuche zur Identifikation von Rasse und Nation« unternommen würden, insbesondere wenn damit eine »Überlegenheit der eigenen Nation« verbunden sei. Ihnen liege ein Mechanismus zugrunde, »gefühlsmäßig gewonnene Anschauungen verstandesmäßig zu rechtfertigen und zu erklären.« Und mit leider zu großem Optimismus zog Boas das Fazit  : »Die maßlose Selbstüberhebung der einzelnen Nationen« werde »als unhaltbar fallen«, allein schon wegen der unaufhaltsamen Globalisierung und weil »rationales Denken« dem »gefühlsmäßigen« langfristig überlegen sei.814 812 Dürr/Kasten/Renner, 1993 und Pöhl/Tilg, 2009. 813 Die Frage »Erblichkeit oder Milieuabhängigkeit  ?« war im »Dritten Reich« natürlich unerwünscht. Auch die »Blut und Boden«-Ideologie ging von einem biologischen Determinismus aus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Boas’ Buch Kultur und Rasse (Boas, 1922) zu den Werken gehörte, die 1933 öffentlich verbrannt wurden. 814 Boas, 1922, 3, 7, 88, 124, 141 ff., 169 ff. und 224 ff.

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Boas befasste sich auch mit dem zeittypischen Interesse an »Rassenhygiene« und praktischen Aufgaben der Eugenik, weil »die europäischen Völker unter dem Eindruck der drohenden Degeneration« nach Hilfe Auschau hielten. Er äußerte zwar erhebliche Zweifel, ob die Diagnose des Abstiegs oder gar Verfalls den Realitäten entspreche, konzedierte aber, es sei »wichtig, erbliche pathologische Tendenzen zu bekämpfen«. Leider sähen die Eugeniker in der »Beseitigung der Nachkommenschaft der Schwachen« das »Allheilmittel«, statt mitzuhelfen, die sozialen und arbeitstechnischen Verhältnisse in den Industriestaaten zu ändern. Denn so würden immer neue »Schwache« produziert werden. Selbst wenn »gewisse pathologische Zustände erblich« seien, gab Boas zu bedenken, »so ist damit doch nicht bewiesen, daß sie sich auch bei geeigneten Verhältnissen spontan entwickeln«. Es komme also – neben der Verhinderung der Fortpflanzung erblich Belasteter – »vor allem auf Beseitigung der Verhältnisse an, welche die massenhafte Zucht der Schwachen begünstigen«. Von einer – er formulierte sehr vorsichtig – »künstlichen Auslese« hielt er gar nichts. Im Gegenteil  : Boas hatte »schwerste Bedenken«  ; denn dafür müsse eine »Unterordnung der Persönlichkeit unter Gesellschaftsinteressen« in Kauf genommen werden – von der Frage der »Durchführbarkeit einer solchen Idee« ganz abgesehen.815 Der Tierzuchtexperte Darré hatte solche Bedenken nicht. Volkskunde und Heimat

Auch diejenigen, die um bäuerliche Kultur, Brauchtumspflege und ländliche Sozialpolitik besorgt waren – die bedeutendsten waren Riehl und Sohnrey –, standen am Beginn einer Traditionslinie, an der die Nationalsozialisten und ihr »Reichsbauernführer« Darré anknüpfen konnten und angeknüpft haben, weil sie das bäuerliche Identitätsbewusstsein stärken wollten.816 Bei dieser Sichtweise spielte ein nostalgisches Kultur-, Volkstums- und Heimatbewusstsein eine zentrale Rolle. Riehl sprach von den vier ›S‹  : Stamm, Siedlung, Sprache und Sitte. Stellvertretend für viele, die sich auf Riehl beriefen, soll hier eine Stimme aus dem Jahr 1926 zitiert werden  : Der Bauer ist keine verächtliche oder lächerliche Gestalt, das ist er nur in den Augen des Großstädters, der keine Kultur mehr hat. Der Bauer hat Kultur […] Ein Volk, das keine echten Bauern hat, wie etwa die Vereinigten Staaten, ist ein gewaltiges, doch künstliches Gewächs und hat auch politisch einen kurzen Atem, sein Auftakt ist schon sein Ende.817

815 Ebd., 230 ff. 816 Zur Riehl-Rezeption vgl. Zinnecker, 1996, der allerdings zu stark die »pathogene Substanz« Riehl’­ scher Ansichten betont und auf die Übereinstimungen mit dem Nationalsozialismus fixiert ist. Dabei kommt der Missbrauch leider zu kurz. 817 Spemann, 1926, 12 f.

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Es war Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897), der sich in der Nachfolge von Justus Möser aus Osnabrück der »Volkskunde« und der regionalen Brauchtumspflege verschrieben hatte. Er kam aus dem rheinhessischen Nassau, hatte Theologie mit Abschlussexamen studiert, sich danach aber der Kulturgeschichte zugewandt und u. a. bei Ernst Moritz Arndt in Bonn studiert. Riehl wurde nicht Pfarrer, sondern arbeitete als Schriftsteller und Journalist, bevor er 1854 an den Hof der Wittelsbacher nach München berufen wurde, um sich um deren »Preßangelegenheiten« zu kümmern. 1859 wurde Riehl Professor für »Kulturgeschichte und Statistik« und kümmerte sich ab 1885 als Direktor des Bayerischen Nationalmuseums und »Generalkonservator« um die »Kunstdenkmäler und Altertümer« Bayerns. Riehl dachte und arbeitete empirisch-soziologisch, was in seiner Zeit »volkskundlich« genannt wurde. Er beschrieb das und sprach vom »Bauerntum«, das er von der »bürgerlichen Gesellschaft« (Beamten, Kaufleuten, Handwerkern und Arbeitern) abgrenzte, als »Macht des Beharrens«. 1851 stellte er fest  : »In dem Bauernstande allein noch ragt die Geschichte alten deutschen Volkstums leibhaftig in die moderne Welt hinüber.« Es war das Bild des selbstbewussten, traditionsverwurzelten und knorrigen Bauern, der Sitten und Brauchtum pflegt, das Riehl zeichnete, ein Bauer, der mit seiner Familie und seinem Hof im Dorf und in seinem »Stand« verankert war und der als »konservative Macht im Staate« das eigentlich stabilisierende politische Element bildet. »Der Bauer ist die erhaltende Macht im deutschen Volke  : so suche man denn auch, sich diese Macht zu erhalten«, war Riehls Empfehlung. Dieses Bild vom Bauern im Staat wollte auch Darré pflegen  : Auf seinem »Erb«-Hof, einem Familienbetrieb, der dem »Sippengedanken« verpflichtet ist, und eingebettet in seine »Standes«-Organisation sollte er ein stabilisierendes Element im »Dritten Reich« sein.818 Riehls Bild von Bauerntum und Bauernstand war als radikales Gegenmodell zu modernen liberalen, demokratischen und sozialistischen Bestrebungen gedacht. Städtische Zivilisation, staatliche Verwaltung und liberales Rechtsdenken waren Riehl suspekt. In sozialistischer »Gleichmacherei« sah er eine schädliche Neuerung in der traditionellen Gesellschaft. Er war, wie Sieferle es ausdrückt, zutiefst davon überzeugt, dass, »solange der Bauer mit seinem Land verschmolzen ist, nichts seinen tiefverwurzelten Konservatismus brechen [kann].« Selbst der deutschen Nationalbewegung misstraute Riehl  ; denn »die bewußte Idee der Nationalität« sei dem »deutschen Bauersmann […] so gewiß noch nicht aufgegangen, als er sie in seiner Beschränkung in der Tat auch nicht nötig hat«, schrieb er 1851. Riehl sah im »bodenverwurzelten« Bauerntum und auch im Adel »Kräfte des socialen Beharrens«, die der ständischen Gesellschaftsstruk818 Riehls wichtigstes Werk war Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik. 4 Bde. Stuttgart/Tübingen 1851–1869  : Bd. 1, Land und Leute, 1854 (Zitat, 110)  ; Bd. 2, Die bürgerliche Gesellschaft, 1851 (Zitate, 63 und 119)  ; Bd. 3, Die Familie, 1855 und Bd. 4, Wanderbuch, 1869. Außerdem schrieb er Romane und Novellen, die inhaltlich und stilistisch auf die gesamte Bauerndichtung ausstrahlten (Gesamtausgabe  : Geschichten und Novellen, 7 Bde., 1898–1900). 1930 erschien sein Gesamtwerk in 11. Auflage.

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tur Stabilität verleihen würden – im Gegensatz zum »geschichts- und traditionslosen Proletariat«.819 Gleichwohl erhielt das Bauerntum in Verbindung mit der deutschen Nationalbewegung durch Riehls positiv gezeichnetes Bauernbild eine neue Sinngebung und Bedeutsamkeit, ein Argument, das natürlich auch von der landwirtschaftlichen Interessenvertretung aufgegriffen wurde. Schon in der Zeit der Romantik galt der Bauer als Repräsentant des »Volkstums«, aus dem sich die Nation immer wieder erneuert. Deshalb wurde es als unerträglich angesehen, wenn seine Existenz gefährdet war, wenn die »Früchte der Erde« und des Bauernhofes nach schnöden Marktprinzipien, mechanisch nach Angebot und Nachfrage, behandelt werden oder  – in Form von Kapital  – der Spekulation anheimfallen sollten. Vielmehr müsse ein »Stand« freier und unabhängiger Bauern auf jeden Fall dem Staat und der Nation als Stabilisator erhalten bleiben wie auch als Garant einer ernährungswirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Ausland. Hauswirtschaft statt Marktwirtschaft war die Losung, auch bei Riehl. Es war diese radikal modernisierungskritische und antiaufklärerische Einstellung eines Justus Möser, eines Adam Müller oder des Kreises der Jenaer Romantiker, die sich an Novalis orientierten mit ihrer naiven Vorstellung vom Mittelalter, die von Riehl tradiert wurde.820 Es war also nicht nur ein Gebot »organischer«, d. h. »gesunder« Sozialpolitik, den Bauernstand zu schützen und zu fördern, sondern auch das einer interessegeleiteten und patriotischen Wirtschaftspolitik. Wenn die Kaufkraft der Landbevölkerung gestärkt werde, wenn die Landwirtschaft prosperiere, komme das auch Handwerk, Gewerbe und der sich gerade entwickelnden Industrie zugute, der gesamte Binnenmarkt werde gestärkt. Auch der Schutz der Landwirtschaft vor Konkurrenz aus dem Ausland sei im nationalen Interesse, stellte Riehl fest. Für ihn konnte sogar die Ungleichheit vor dem Gesetz gerechtfertigt werden etwa, wenn im Erbfall die besonderen Gegebenheiten auf dem Bauernhof zu berücksichtigen waren. Unrentable Zwergbetriebe in den Realteilungsgebieten galten Riehl als anschauliche Beispiele. Der Bauernhof sei vor den zerstörerischen Mechanismen des kapitalistischen Liberalismus und der Bodenspekulation ebenso zu schützen wie vor gleichmacherischem und besitzfeindlichem Sozialismus. Riehl favorisierte aus bevölkerungspolitischen Gründen kleine, quasi mittelständische Familienbetriebe und lehnte eine industrialisierte Landwirtschaft mit Großbetrieben ab. Rein ökonomisches Denken, Materialismus und auf das rein Technische fokussierter Fortschritt galten Riehl als verwerflich. Riehl hatte sich in München sofort an eine umfassende bayerische Landeskunde gemacht, sein Interesse galt grundsätzlich den Beziehungen zwischen »Land und Leuten«. Er pries das einfache, naturnahe Landleben, ganz so, wie es Vergil im alten Rom 819 Sieferle, 1984, 149 ff. 820 Ebd., 44 ff. Vgl. auch Bausinger, 1965, 125 ff.; Frauendorfer, 1957, 444 ff. und K. Bergmann, 1970, 38 ff.; zu seiner Biographie Altenbockum, 1994 und zu Riehls wissenschaftlicher Bedeutung Jacubeit/Lixfeld/Bockhorn, 1994.

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getan hatte. Symptomatisch für Riehls kulturhistorische Sichtweise ist, dass er immer häufiger das Wort »Bauernstand« durch »Bauerntum« ersetzte. Riehl hatte und vermittelte ein Bauernbild in deutlichem Kontrast zum Städter. Er sprach in klar abwertender Weise vom »Verstädteln« der Dörfer und er interessierte sich besonders für die Mentalität der Menschen, die er geprägt sah von ihrer unmittelbaren Umgebung. Für die Bauern bedeute das  : Sie seien von der Natur abhängig und auf die Natur angewiesen. Die Natur ist zugleich fremd und nah, unheimlich und vertraut, unverfügbar und existenznotwendig, unberechenbar und doch auch regelhaft und verstehbar. Dieses Wissen mache Bauern demütig und schicksalsergeben, aber auch selbstbewusst, war Riehl überzeugt.821 Diese größere Naturnähe unterscheidet, so beschrieb es Riehl, den Bauern fundamental vom Städter. Hier die Kräfte der Beharrung, dort die der Bewegung, hier eine traditionsgeleitete, dort eine veränderungsorientierte Lebenshaltung. Die individuelle und die familiäre Existenz und die soziale Position auf dem Land sind vom Grundbesitz, dem Boden, abhängig. Bauern sind vergleichweise immobil und traditionsbewusst  ; denn auf dem Land haben Besitzen, Erben oder Teilen eine andere Wertigkeit als in der Stadt. Bauern sind beständiger und verlässlicher als die beweglicheren und unsteteren Stadtbewohner. Die Familie, so wie Riehl sie beschrieb, war als Fundament der Gesellschaft unbedingt zu bewahren, sie war zugleich Lebens- und Produktionsgemeinschaft, in der Kinder auch eine Altersversicherung waren. Deshalb ist das Heiraten von besonderer Bedeutung  : Mit der Hochzeit kommen Arbeitskraft und Besitz, meist Landbesitz, auf den Hof. Außerdem erweitern sich die Familienverhältnisse, aus Verwandtschaft wird »Sippe«, deren Zusammenhalt und sozialer Vernetzung, selbst wenn sie sich unterentwickelt oder gar kontrovers darstellt, existentielle Bedeutung zukommen kann. In der bäuerlich-dörflichen Lebenswelt spielen Tradition, Sitten und christlich geprägte Moral, Brauchtum und Rituale eine wichtige Rolle. Das macht die Menschen altmodisch, konservativ und instinkthaft skeptisch gegenüber allem Neuen – so beschrieb Riehl das Lebensgefühl und die Mentalität der »Leute auf dem Land«. Es sind diese materiellen und mentalen Bedingungen, welche die Bauern in den Augen Riehls nicht ausschließlich zum Nahrungsmittelproduzenten machen. Ihr Selbstverständnis sei eher »ständisch« ausgerichtet, meinte Riehl, exklusiv und elitär sei diese »Bauernkultur«. Wie Ernst Moritz Arndt vor ihm und Oswald Spengler nach ihm, so war auch Riehl der Meinung, im Bauerntum habe sich das deutsche Volkstum »artrein« erhalten und ihm gebühre eine »blutsmäßige« Vorzugsstellung in der 821 Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes. Deutscher Volkscharakter, hg. von W. Rößle. Leipzig 1939, 21  ; Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft. Stuttgart 1851, 53, 136 und 177 und sein Artikel »Bauernstand« in  : Bluntschli/Brater, Deutsches Staatswörterbuch. 11 Bde., Stuttgart 1857–1870, Bd. 1, 1857. Riehl gab ein fünfbändiges Sammelwerk Bavaria heraus als Beispiel für die Eigenart der deutschen Landschaften und »Stämme«, denn er sah in Stammesbesonderheiten die Grundlage der Kultur, die unbedingt erhalten und gepflegt werden müsse.

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Gesellschaft. Selbstverständlich wusste Riehl, dass zwischen einem Einödbauern im Schwarzwald und einem pommerschen Gutsbesitzer Welten lagen, aber das entsprach ja auch seinem Ansatz, dass Mensch und Kultur immer in einer Landschaft, einer Region existieren, dass beide eine Einheit bilden. Zwar wurde Riehls »romantisches« Bild vom Bauerntum mit fortschreitender In­ dus­ trialisierung und Modernisierung der Landwirtschaft immer mehr zu einem nostalgischen Wunschbild. Riehl galt als rückwärtsgewandt, ein Reaktionär, der in Vergessenheit geriet. Erst die »Völkischen« und die Nationalsozialisten entdeckten ihn neu und priesen ihn als »Vater der Volkskunde«. Gerade für Darré boten sich Anknüpfungspunkte, in die sich seine rassistischen Ziele gut integrieren ließen. So unterschied Riehl zwischen dem »Bauern von guter Art«, dem »entarteten Bauern« und dem »Bauern in den Bewegungen der Gegenwart«.822 Daraus machte Darré die Unterscheidung des Bauern vom Landwirt. Auch Riehls Idealbild eines bäuerlichen Familienbetriebes ließ sich auf den »Erbhof« übertragen und auch die Einheit aller in und von der Landwirtschaft Lebenden im »Reichsnährstand« war bei Riehl angelegt. Sogar die ländliche Brauchtumspflege in den deutschen Stammesgebieten (Sagen, Märchen, Sprache/Dialekt, Liedgut, Hausbau, Trachten usw.) konnte der »Reichsbauernführer« aufgreifen und auf den »Reichsbauerntagen« pflegen. »Volkstum« konnte leicht durch »Rasse« ausgetauscht werden, der »gesunde Urgrund des Volkstums« war leicht als »Lebensquell der Nordischen Rasse« zu verstehen. Hitler sprach 1923 vom Bauerntum als »Fundament der gesamten Nation«, als »Blutsquelle und Nährstand zugleich«. Kein Wunder, dass Riehl in den 1920er und 1930er Jahren eine wahre Renaissance erlebte.823 Darré griff gerne auf ihn zurück. Wenn Riehl z. B. die phänotypischen Merkmale des »echten deutschen Bauern« als den »historische[n] Typus des deutschen Menschenschlages« beschrieb, der nach Regionen – Riehl sprach von »Gauen« – zu spezifizieren sei, so war das leicht rassistisch umzudeuten. Ein anderes Beispiel für die subtile Art, wie Darré den renommierten »Volkskundler« aus dem 19. Jahrhundert als Bestätigung eigener Ansichten missbrauchte, findet sich in seinem erstem Buch 1929  : Wenn Riehl sagt, »Im Bauern liegt Deutschlands Zukunft«, so meint er damit nicht nur die Wichtigkeit, die der Landbau im volkswirtschaftlichen Sinne für das Reich bedeutet. Er 822 Riehl, Bürgerliche Gesellschaft, 1851, 33 ff. 823 Hitler, 1932, 151. Vgl. Paul Zaunert (Hg.), Riehl. Vom Deutschen Land und Volke. Jena 1922, aus dem Darré zitierte und Georg Halbe, »Volkskunde, Wald und Bauerntum in der ›Naturgeschichte des deutschen Volkes‹ von Wilhelm Heinrich Riehl«, in  : Odal, 5/1936, 318 ff. mit dem ausdrücklichen Hinweis (320), der Nationalsozialismus vermisse den »Rassegedanken« bei Riehl. Trotzdem wurde seine Naturgeschichte in den 1930er Jahren in verschiedenen Ausgaben neu aufgelegt. Im Übrigen  : H. Merkel, »W. H. Riehl als Künder deutschen Bauerntums«, in  : Odal, 4/1935/36, 22 ff.; H. Gädeke, Wilhelm Heinrich Riehls Gedanken über Volk und Staat. Berlin 1937  ; K. Trenz, Wilhelm Heinrich Riehls »Wissenschaft vom Volke«. Berlin 1937 und R. Müller-Sternberg, W. H. Riehls Volkslehre. Leipzig 1939.

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zeichnet damit den Bauern auch als Hort der Sitte, als Bewahrer der alten guten Tradition, als Reserve der Kraft in sittlicher und religiöser Beziehung. […] Was wir Volkstum, Volkskunst, Volksweisheit nennen, ist zum guten Teil Bauerntum, Bauernkunst, Bauernweisheit.

Darré sprach von »Gediegenheit« und »unverwüstlicher Lebenskraft« und führte »sexuelle Fragen und Reformen« an, die dem »gesunden Sinn des Bauern« und der »Natur zur Probe vorzulegen« seien. »Der grelle Gegensatz, in dem heute bäuerliche echte Kultur und städtische oberflächliche Zivilisation stehen, wird damit am besten beleuchtet«, schrieb Darré und hob Riehls Diktum hervor  : »Im Bauern liegt Deutschlands Zukunft.«824 So wurde, quasi klammheimlich, die »Nordische Rasse«, die Darré existentiell mit dem Bauerntum verbunden sah, aufgewertet. Eine zivilisationskritische Haltung, wie Riehl sie vertrat, erhielt mit fortschreitender Industrialisierung eine neue Dimension. Dieser Prozess der Modernisierung rief Gegner auf den Plan, die zunächst die soziale Struktur gefährdet sahen, wie Riehl, und später, wie Gobineau und Spengler, die menschliche Gattung überhaupt. Aus Abneigung gegen »Vermassung« wurde  – bei Lagarde und Langbehn  – »Entartung« aus Entwurzelung. Und von da war es nicht mehr weit zum »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse«. Aber Riehls »organische« Einheit von Mensch und Land, von Volk und Landschaft war alles andere als Rassismus. Deshalb fehlt bei Riehl auch jeder Anflug von Antisemitismus. Das hätte durchaus nahegelegen  ; denn Juden galten auch zu Riehls Zeiten, wie Städter, als ruhelos, unstet und als Repräsentanten der modernen Zivilisation. Der jüdische Vieh- und Getreidehändler, der Geldverleiher und Bankier, der den Bauern von Haus und Hof, von Hab und Gut vertreibt, war bekanntlich zu allen Zeiten ein gängiges Stereotyp antisemitischen Denkens auf dem Lande.825 Im Gefolge von Riehls »Volkskunde« erwachte – besonders in bürgerlichen Kreisen – eine bukolische Schwärmerei von einer naturnahen Lebensweise auf dem Land. Dort waren die Verhältnisse aber keineswegs so, wie sich mancher Städter das vorstellte. »Volkskunde« wurde aus Sorge um die »Kulturlandschaft« und die in ihr tätigen Menschen betrieben, als Pflege traditioneller, folkloristischer Lebensweisen, von Brauchtum, Sitte, Sprache (Dialekt) und Kleidung (Trachten). Die harte Arbeit in der Landwirtschaft spielte eine untergeordnete Rolle – im Gegenteil  : Im Gefolge dieser Verklärung ruralen Lebens wurden Armut, harte Arbeit und die demütige Hinnahme der Not eines harten Lebens als Schicksal dargestellt und als Haltung verfestigt, die Entbehrung und Duldsamkeit als »gottgegeben« hinnimmt.826 824 Darré, Bauerntum, 1929, 60 ff., 74, 289, 345 und 423. In Neuadel, 1930, 150 stellte er im Hinnblick auf die Rolle der »Hausfrau« fest, sie sei auf einem Bauernhof unabdingbar, während sie in einem städtischen Haushalt zunehmend entbehrlich werde. 825 Sieferle, 1984, 11 f. und 149 ff. 826 Vgl. Weber-Kellermann, 1987 und Wirsching, 1990, 415 ff.

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Durch die Anregungen Riehls waren regionale Museen gegründet worden, um Relikte und Artefakte zu bewahren, die zu verschwinden drohten. Die »Heimat« wurde als schützenswert erachtet vor den Begleiterscheinungen von Industrialisierung, Urbanisierung und Modernisierung. Je unübersichtlicher und undurchschaubarer der Wandel in der Welt »draußen« wahrgenommen wurde, umso stärker wurde das Bedürfnis nach einer Welt »drinnen«, die Geborgenheit versprach, die nahe, vertraut und übersichtlich erschien, wo man sich »beheimatet« fühlen konnte. Heimatbwusstsein ist identitätsstiftend. Sieferle kennzeichnet Heimat als »gewachsenes und sinnerfülltes Geflecht von Volk und Land (was auch mit ›Blut und Boden‹ umschrieben wurde)«.827 Der Begriff »Heimat« weist auf eine enge Beziehung zwischen Mensch und Region, eine »organische«, d. h. naturbedingte Verbindung, auch eine kulturelle Verwurzelung in einem konkreten Ort, einer Landschaft. Heimatbewusstsein und Schollenverwurzelung gehören in dieser Sicht zusammen. Wer »bodenlos« ist, hat keinen Grund unter den Füßen, keinen Halt und keine Heimat. Als »Heim« wird in der Regel das »Zuhause« verstanden, das Elternhaus, das als geschützter und schützender Ort erinnert wird, wo man sich in seiner Jugend »geborgen« fühlte. »Heimisch« fühlt man sich dort, wo man ein historisch und kulturell vertrautes Umfeld vorfindet. Das ist mehr als ein gut und reibungslos funktionierendes Sozialsystem. »Heimat« ist eng mit persönlicher Herkunft verbunden, bedeutet emotionale Bindung, die Erfahrung des Gewordenseins und Geprägtseins, der persönlichen und regionalen Identität. 828 Heimat ist etwas Gewachsenes, oft an Geburt und Kindheit gebunden, aber auch eine sentimentale und nostalgische Vorliebe für das Frühere im Leben, für das Altertümliche und Traditionelle. Das meint etwas anderes als Lokalpatriotismus, bei dem Zusammenhalt empfunden wird, Zugehörigkeit, Nähe und Anhänglichkeit an eine vertraute Umgebung. Auch Nationalismus sollte nicht mit Heimatbewusstsein verwechselt werden. Wenn Fontane König Jakob zu seinem Jugendfreund Archibald Douglas sagen lässt  : »Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du«, ist eher eine emotionale landsmannschaftliche Verbundenheit gemeint, die  – bei Verlust – als Sehnsucht nach den eigenen Wurzeln erlebt, erinnert und erlitten wird. Über viele Jahre haben die »heimatvertriebenen« Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland bei den Treffen ihrer »Landsmannschaften« ihr Zusammengehörigkeitsgefühl demonstriert. Die politische Absicht, Rückkehr oder Entschädigung für den Heimatverlust, geriet dabei im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund. Rassistische Aspekte spielten keine, allenfalls eine marginale Rolle im Unterbewusstsein.829 827 Sieferle, 1984, 167 ff. und 188 sowie Bausinger, 1961  ; Moosmann, 1980 und Applegate, 1990. 828 Vgl. Hermand/Steakley, 1996  ; Rollins, 1997 und Rohkrämer, 2007. 829 Dass Heimatgefühle und -bedürfnisse oft genug auch verkitscht missbraucht wurden, braucht hier nur mit einem Hinweis auf Lederhosen- und Kuckucksuhrfolklore für Touristen sowie die Heimatfilme etwa der 1950er Jahre angedeutet zu werden. Als seriöses Gegenbeispiel mag das Filmepos Heimat

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Heimatliebe und Schollenverbundenheit wurden im noch ländlich geprägten 19.  Jahrhundert mit sinnlicher Erfahrung, mit dampfender und frisch umbrochener Ackerkrume assoziiert. Das Gemüt wird angesprochen durch Düfte und Essgewohnheiten, Lieder und Melodien, durch Baustile und Trachten. Die Pflege eines bodenständigen, an »Volksstämme« gebundenen Brauchtums hat nicht nur eine reaktionär-romantische Attitüde, sondern auch eine identifikatorische und programmatische Funktion. Sie stärkt das persönliche Zusammengehörigkeitsgefühl, sie gibt Halt und spricht die emotionale Seite des Menschen an. Um sich »heimisch« zu fühlen, braucht es »Geblüt« und »Blutsverwandtschaft«. Ist »Boden« als »Heimaterde« eine Metapher für regionale Verbundenheit, so ist »Blut« eine Metapher für Familien- und Stammeszugehörigkeit. Insofern spielt  – neben der individuellen  – auch eine überindividuelle Verbundenheit eine Rolle, wenn es um Heimatbewusstsein geht. Beides, »Blut« und »Boden«, sind die zwei Seiten einer Medaille, auf welcher der Schriftzug »Heimat« steht. »Heimat« tritt insbesondere dann ins Bewusstsein, wenn man sie zu verlieren droht oder schon verloren hat. In Zeiten heftiger sozialer, wirtschaftlicher und technologischer Umbrüche, eines beschleunigten Wandels der Lebensumstände und einer als bedrohlich empfundenen Gegenwart meldet sich eine nostalgische Sehnsucht nach Sicherheit und Zusammenhalt, wird »Heimat« zu einem idyllisierten Konzept rückwärtsgewandter Nostalgie. Die »gute alte Zeit« wird verklärt und zurückgewünscht. Diese Stimmung herrschte in der Landbevölkerung, seitdem Industrialiiserung und Urbanisierung auf dem Vormarsch waren und die Bedeutsamkeit der Landwirtschaft immer weiter zurückgedrängt wurde. Hier wurde »Fortschritt« als Bedrohung empfunden und erlebt – mit der entsprechenden Gegenwehr. Aber auch diejenigen, welche aus ihrer Heimat abgewandert oder ausgewandert sind, fühlen sich oft besonders innig mit ihr verbunden. Das trifft im 19. Jahrhundert sowohl auf das städtische Bürgertum als auch auf diejenigen zu, die ausgewandert waren, um sich in einer »neuen Welt« eine neue Existenz aufzubauen. Solche »Auslandsdeutsche« pflegten  – »in der Fremde«  – mit besonderer Hingabe ihre kulturellen Traditionsbestände. »Little Italy« und das Warschauer »Ghetto« sind Beispiele für Abschottung und mangelnde Integration. Denn zum Heimatbewusstsein gehören sowohl Inklusion als auch Exklusion. Dem »Wir« entspricht das »die Anderen«, Ab- und Ausgrenzung befestigen Identität, Ausschluss stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und hemmt Integrationsbemühungen. Auch hier stellt sich das Bild der Medaille ein, die zwei Seiten hat. Und  : Einerseits wird »Heimat« idealisiert als »heile Welt« und Idylle, andererseits wird sie verächtlich als »Provinz« und »Hort der Reaktion« gekennzeichnet. Dieser Befund macht auf die große Deutungsvielfalt, aber auch auf den Wandel und die Veränderung des Sinngehaltes des »Heimat«-Begriffs aufmerksam. »Heimat« hat auch eine ideologische Dimension – als Illusion und rückwärtsgewandte Utopie, aber von Edgar Reitz gelten, in dem die Geschichte einer Familie aus dem Hunsrück im 20. Jahrhundert dargestellt wird.

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auch als Zukunftsentwurf, wie das Beispiel des zionistischen »Eretz Israel« zeigt. Erst mit zunehmender Mobilität und Globalisierung stellte sich die Vorstellung ein, ein Mensch könne im Laufe seines Lebens mehrere »Heimaten« erlebt haben. Das können dann nicht nur Örtlichkeiten und Landschaften sein, das kann auch ein Ensemble aus Verhaltensweisen, Stilen, Überzeugungen und Einstellungen, die unterschiedliche Lebensphasen geprägt haben, sein – eben alles, was man als Erinnerung im Innersten mit sich trägt. Auch diese Sichtweise hat sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Dimension des Bedürfnisses nach Vergewisserung bzw. Identität.830 Wenn die »Völkische Bewegung« aus Patriotismus und Nationalismus einen ausschließenden und expansiven Chauvinismus machte, hatte das mehr mit Machtstreben als mit Heimatbewusstsein zu tun. Die »Völkischen« wussten die Melange aus »Blut« und »Boden« politisch-propagandistisch nutzbar zu machen. Volkstumsideologen wie u. a. Wilhelm Stapel oder Max Hildebert Boehm ließen bei ihrer vergröbernden Gegenüberstellung von Fremdem und Eigenem genug Raum dafür, dass »Rassen«-Theoretiker wie Günther, Schultze-Naumburg oder Darré Platz für ihre »nordischen« Inhalte fanden. Denn aus der Forderung nach »Reinhaltung« der »völkischen« Substanz und aus dem Mythos des »deutschen Volkstums« waren leicht die nach »Reinhaltung« der »arteigenen Rasse« und der rassistische Mythos vom »Blut« zu machen.831 Die Verklärung und Idealisierung des ländlichen Lebens entstand im bürgerlich-städtischen Milieu, nicht im bäuerlich-ländlichen. Im städtischen Bürgertum wurden »Stammbäume« erforscht und Familienchroniken angelegt. Auch Darré interessierte sich als Student schon für Genealogie, konnte dieses Hobby, das auch sein Vater in Wiesbaden pflegte, aus Geldmangel zunächst nicht intensivieren. Immerhin trat er 1924 der »Zentralstelle für Deutsche Personenund Familiengeschichte« bei und bezog bis 1926 deren Familiengeschichtliche Blätter.832 Auch im »Dritten Reich« lassen sich solche Mechanismen, die den Heimatbegriff umdefinieren und umfunktionieren, allenthalben finden. Hitler führte »die Saar heim ins Reich«, die Sudetendeutschen auch und seine österreichische Heimat sowieso. Darré regte eine Publikationsreihe »Die Ahnen deutscher Bauernführer« an, mit rassenideologisch motivierten Manipulationen selbst bei ihrem Protagonisten im ersten Band.833 830 Dass eine solche »moderne« Version von Heimatbewusstsein zur Tabuisierung althergebrachter Sinngebungen von »Heimat« geführt hat, wurde erst auffällig, als auf bayerische Initiative hin Regierungspolitik sich unter dem Begriff »Heimat« um Belange der sträflich vernachlässigten ländlichen Regionen kümmern sollte. Vgl. dazu u. a. C. Schüle, Heimat  : Ein Phantomschmerz. München 2017 und R. Faber/O. Briese, Heimatland – Vaterland – Abendland. Über alte und neue Populismen. Würzburg 2018. 831 Stapel, 1928, 14 sah in Juden und Deutschen keine »Rasse«, sie seien »aus mehreren Rassen hervorgegangen«, meinte er. Statt »Rasse«, bevorzugte Stapel den Begriff »Volkstum«. Außerdem Boehm, 1932 sowie Sontheimer, 1962, 308 ff. und H. Haushofer, 1959. 832 Darré, »Professor Frölich als Lehrer und Wissenschaftler«, in  : Festschrift für Prof. Dr. Gustav Frölich zum 60. Geburtstag. Berlin 1939 (Kühn-Archiv, Bd. 52), XIII. 833 Diese Manie konnte so weit gehen, Hitler als »Bauernsohn und Bauernkanzler« und »Sprößling baju-

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Auch die Familienchroniken, die Erbhofbauern anzulegen hatten, gehören in dieses rassenideologisch motivierte Bedürfnis nach Vergewisserung in der »blutsbedingten« Vergangenheit im ländlichen Raum. Gerstenhauer, der Gründervater des »Deutschbundes«, sprach von »artgemäßer Verwurzelung« in der Heimat, von der »Wurzelhaftigkeit« des Volkes, von seinem »Eingewurzeltsein in Familie und ererbtem Landbesitz«, von einer »Tradition«, die »das Wichtigste für den Bestand und die Gesundheit des Volkes« sei. Im Gegensatz dazu beschrieb er die Großstadt als »Tingeltangelkultur«, die »sittlich minderwertig, verdorben und für die Erhaltung der Rasse nicht mehr zu gebrauchen« sei, weil dort die »entwurzelten, entschollten [sic], flugsandähnlichen Massen« lebten. »Bodenständigkeit« galt den »Völkischen« als Garant für »Rassereinheit«. Dem »entwurzelten« städtischen stellte Gerstenhauer das »gesunde Landleben« gegenüber, wo »der deutsche Bauernstand den unerschöpflichen Boden deutscher Volkskraft« bilde. Deshalb liege hier die »Zukunft der Nation«  ; denn die zukünftige »arische Lebensordnung« der Deutschen müsse vom Bauerntum her gestaltet werden, war er schon 1920 überzeugt.834 Der deutsche Begriff »Heimat« sei singalär und nicht übersetzbar, wird gesagt. Aber Heimatgefühl ist kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern ein humanes  ; denn die Heimat ist der unmittelbare Lebensraum des Menschen. Kann das nicht auch die Stadt oder ein Stadtviertel (»Kiez«) sein  ? Im 19. Jahrhundert offenbar nicht. Maurice Barrès (1862–1923) z. B., der Lothringer, schöpfte seine schriftstellerische und politische Kraft aus seinem Regionalismus und seinem Nationalismus. In seiner Romantrilogie Le Roman de l’énergie nationale verschlägt es einen jungen Lothringer nach Paris, er kehrt aber bald wieder heim, weil er sich dort »entwurzelt« fühlt. Als glühender Patriot kämpfte Barrès nach 1871 für die Rückeroberung seiner vom Deutschen Reich annektierten Heimat. Er sah das Heil Frankreichs in einer Wendung zum mütterlichen Boden, zur Erde des französischen Bauern. Tradition, Familie, Provinz und Heimat waren Kernbegriffe seines Weltbildes, allesamt positiv besetzt. Die Sentenz »ubi bene, ibi patria« war für Barrès, den notorischen Antisemiten, ein Ausdruck »nomadischen« Denkens.835 In den 1920er Jahren galt in Deutschland in der Pädagogik die »Provinz« als idealer Ort für gute Erziehung, viele reformpädagogische Schulen, auch »Landschulheime« und Internate, wurden hier gegründet. Damal wurde »Heimatkunde« als Unterrichtsfach in der Volksschule eingeführt. Noch bis in die 1970er Jahre gab es in der Bundesrepublik Deutschland »Landeszentralen für Heimatkunde«, die später in »Landeszenwarischer Freibauern« zu kennzeichnen  ! (Darré in einem Aufsatz mit dem Titel »Auf dem Kanzlerstuhl Bismarcks«, handschriftliches Manuskript, Februar 1933, StAG, NLD, Nr. 159). 834 Gerstenhauer, 1913, 52 ff. sowie Puschner, 2001, 146 f. und Sieferle, 1984, 194. 835 Vgl. Ernst Robert Curtius, Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich. Potsdam 1920, Vajda, 2000 und Kamenka, 1986, 614.

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tralen für politische Bildung« umbenannt wurden. In einer Rede zur Gründung einer »Studiengesellschaft für wissenschaftliche Heimatkunde« in der »Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen«, deren Leiter Walter Schoenichen war, erklärte der renommierte Pädagoge Eduard Spranger am 21. April 1923  : Der Mensch hat, wo er auch lebe, immer eine Umwelt, ein für ihn und seinen Lebensvollzug bedeutsames »Milieu«, nicht aber eine Heimat. Eine Heimat hat er nur da, wo er mit dem Boden und allem Naturhaft-Geistigen, das diesem Boden entsprossen ist, innerlich verwachsen ist. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, daß man schon in eine Heimat hineingeboren werde. Zur Heimat wird diese gegebene Geburtsstätte erst dann, wenn man sich in sie hineingelebt hat. […] Das tiefe Verwachsensein aller Lebensenergien mit dem Boden lässt ihn erst zur Heimat werden. Oder deutlicher gesagt  : Von Heimat reden wir, wenn ein Fleck Erde betrachtet wird unter dem Gesichtspunkt seiner Totalbedeutung für die »Erlebniswelt« der dort lebenden Menschengruppe. Heimat ist erlebbare und erlebte Totalverbundenheit mit dem Boden. Und noch mehr  : Heimat ist geistiges Wurzelgefühl.

Gerade nach dem Desaster des Ersten Weltkrieges schien vielen die Einführung eines neuen Schulfaches mit dem Namen »Heimatkunde« von stabilisierender Wirkung zu sein. Aber musste es gerade das Menschenbild sein, das der philosophierende Pädagoge vermittelt sehen wollte  ? Der Mensch bedürfe, so war Spranger überzeugt, eines »Wurzelns in der Erde« und es mache das »Elend des Großstädters« aus, »dass er nicht mehr tief einwurzeln kann in den Boden und die umfangenden, seelisch schützenden Kräfte des Bodens.« Solche Erziehungsziele suggerierten eine »heile Welt« auf dem Lande und förderten völlig unzeitgemäße agrarromantische Vorstellungen.836 Das positive rurale Heimatverständnis hatte eine lange Tradition, die  – wie gesehen – bis an den Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichte. Seit Beginn den 20. Jahrhunderts gab es die von Adolf Bartels und Friedrich Lienhard, der im französischen Elsass geboren worden war, herausgegebene Zeitschrift Heimat. Sie wurde noch im Erscheinungsjahr in Deutsche Heimat umbenannt. Sie wollte die Provinz gegenüber der Metropole stärken (»Los von Berlin  !«, war die Devise), das Landleben gegen die Welt der Großstadt, das »volksnahe« gegenüber dem »intellektualistischen« Denken unterstützen.837 Es ging darum, ein naturnahes, ganzheitliches, einfaches und archaisch akzentuiertes Leben zu führen, die vorindustriell-agrarische Kultur gegen die von Nervosität und Entfremdung geprägte Zivilisation zu unterstützen und ein land- und volksnahes Deutschtum gegen einen »entwurzelten« Kosmopolitismus zu stärken. 836 Spranger, 1923, 14 und 21. Schoenichen hatte auch ein Handbuch der Heimaterziehung. Berlin 1923 vorgelegt. 837 Lienhard hatte 1900 einen Aufsatz »Die Vorherrschaft Berlins« veröffentlicht, der wieder abgedruckt wurde in  : Neue Ideale nebst Vorherrschaft Berlins. Gesammelte Aufsätze. Stuttgart 1923, 129 ff. Auch in der Zs. Die Tat (11/1920, 896 ff.) hatte ein Artikel die Überschrift »Los von Berlin  !«

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Paul de Lagarde knüpfte an Riehl an, wenn er Heimat als Heilmittel gegenüber den Verwerfungen der wilhelminischen Gesellschaft ins Feld führte. Langbehn kennzeichnete die »entfesselte Moderne« als krank, das »Bodenständige« als gesund. Auch er maß dem Bauerntum, der Scholle, einen hypostasierten Heilungswert in einer als »aus den Fugen geraten« empfundenen Welt zu.838 Die Bandbreite eines solchen Weltbildes reichte von romantisch über konservativ bis »völkisch« und rassistisch  – manchmal sogar in einer Biographie. Paul SchultzeNaumburg, der Architekt und Kulturwissenschaftler, der den stellungs- und mittellosen Schriftsteller Darré 1930 als Gast in seinem Haus aufnahm, war 1904 maßgeblich an der Gründung des »Bundes Heimatschutz« in Dresden beteiligt gewesen. Er sah nicht nur im Bauernhaus den Prototyp eines Wohnhauses auch für Städter, seine Bauten waren auch nostalgisch und stammesbezogen (z. B. Cecilienhof in Potsdam).839 In den 1920er Jahren schloss er sich dem »Nordischen Ring« an, der die »Rassenkunde« Hans F. K. Günthers vertrat, und wurde Nationalsozialist. Von 1904 bis 1913 war er Vorsitzender des »Bundes Heimatschutz« gewesen.840 Der Begriff »Heimatschutz« war von Ernst Rudorff 1897 geprägt und von Robert Mielke sofort mit »völkischem« Gedankengut angereichert worden. Sie wollten, auf Riehls »Volkskunde« und Sohnreys ländliche »Wohlfahrtspflege« zurückgreifend, das Heimatbewusstsein in der preußisch-deutschen Nationsbildung nach 1871 bewahren und das Wissen um die regionalen Besonderheiten in die Bestrebungen, eine »nationale« Identität zu begründen, integrieren. Heimatliebe galt nun als Voraussetzung für Vaterlandsliebe oder – wie es in einer etwas schief geratenen Bildsprache hieß  – »Heimaterde ist die Wurzel der Vaterlandsliebe.«841 Zu den »völkischen« Aktivisten der »Heimatschutz«-Bewegung gehörte der Münsteraner Volksschullehrer Karl Wagenfeld. Er war Vorsitzender des dortigen »Plattdeutschen Vereins« und Geschäftsführer des »Westfälischen Heimatbundes«. Sein gesellschaftliches Ideal war ein sesshafter, bodenverbundener »Volksorganismus«, der sich aus vielen »Volkstümern« zusammensetzt. Mit Schultze-Naumburg war er sich einig, man müsse sich abgrenzen von »solchen, denen unser echt deutsches Erbe fremd ist« und denen es »ein Dorn im Auge« sei. »Mit ihnen gibt es nur Kampf, […] mögen 838 Lagarde, 1920, 289 ff. und Langbehn, 1890 sowie Nipperdey, 2013a, Bd. I, 787 ff. 839 Klueting, 1991, 228  ; R. Pfister, Bauten Schultze-Naumburgs. Weimar o. J. (1940) und Lane, 1986. 840 Zu Schultze-Naumburgs rassenideologischer Wende in den 1920er Jahren vgl. Sieferle, 1984, 193 ff. und Bausinger, 1982, 215 ff. 841 Schultze-Naumburgs Rede ist nachzulesen in Mitteilungen des Bundes Heimatschutz, 1. Jg. 1904/05, 3 ff.; vgl. auch seinen Beitrag »Heimatschutz« in  : G. Albrecht (u. a. Hg.), Handwörterbuch des Wohnungswesens. Berlin 1930, 354 ff. und Ferdinand Avenarius, »Heimatschutz«, in  : Der Kunstwart, 17. Jg. 1903/04, 653 ff. Rudorff hatte 1897 im Grenzboten zwei Aufsätze publiziert, die 1901 unter dem Titel Heimatschutz gemeinsam veröffentlicht wurden. Vgl. Knaut, 1991, 20 ff. Als regionales Beispiel  : Karl Ditt, »Vom Heimatverein zur Heimatbewegung. Westfalen 1875–1915«, in  : Westfälische Forschungen 39/1989, 232 ff.

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sie außerhalb unserer Grenzen sitzen oder als Fremdrassige das deutsche Gastrecht missbrauchen.« Ein solches Heimatverständnis wollte Identität auf Kosten dessen, was als fremd oder anders empfunden wurde. Ziel war eine »arteigene« nationale und heimatbewusste »Volksgemeinschaft«. Mehr noch  : Von hier aus führte ein direkter Weg zur »Lebensraum«-Erweiterung, der sich ab 1939 Heinrich Himmler als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« annahm. Seine Aufgabe war die »Rücksiedelung« der »Volksdeutschen« in die eroberten Ostgebiete und die Um- und Ansiedelung Reichsdeutscher im »Ostland«, aber auch die Verdrängung und Ausrottung aller dort ansässigen »Fremdvölkischen«. In einer Broschüre mit dem Titel Bauerntum, die vom SS-Hauptamt herausgegeben wurde, hieß es  : »Ihre Höfe, ausgebreitet über alle Gebiete des neuen Raumes, werden Kraftquellen deutschen Blutes und deutscher Gesittung sein. Und dort, wo der letzte Wehrbauer auf eigener Scholle seinen Pflug in die Erde senkt, da ist die durch deutsche Lebenskraft gesicherte Grenze des Reiches.«842 1902 gab es erste Bestrebungen, einen Verein zu gründen »zur Abwehr der die deutsche Heimat schädigenden Einflüsse«. Dieser »Bund Heimatschutz« von 1904 mit seinen zahlreichen Landesgruppen wurde 1914 in »Deutscher Bund Heimatschutz« als Dachverband vieler regionaler Aktivitäten umbenannt. Das Wort »Schutz« suggerierte eine Gefährdung, und so hatte es auch der Musikwissenschaftler Ernst Rudorff gemeint, als er eine Art nationales Genesungsprogramm gegen Industrialisierung und Technisierung aller Lebensbereiche eingefordert hatte. Die Weimarer Reichsverfassung wies ausdrücklich darauf hin, dass das kulturelle Eigenleben seiner Stämme und Landschaften das Einheitsgefühl im Deutschen Reich nicht beeinträchtige. In Art. 150 wurden Schutz und Pflege der »Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft« zur Aufgabe des Staates erklärt. Der »Deutsche Bund Heimatschutz«, dem es auch um Selbstvergewisserung und die Bekämpfung einer diffusen Zukunftsangst ging, hatte zeitweilig 30.000 Mitglieder, die vornehmlich dem städtischen Bildungsbürgerum angehörten. Nach seiner Satzung von 1904 machte er es sich zur Aufgabe, »die deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart [zu] schützen.« Als »Arbeitsfelder« wurden festgelegt  : Denkmal- und Landschaftspflege, Erhaltung alter Hausbautechniken und Dorfbilder, um so »Zersiedelung« und Ökonomisierung der Landschaft durch Verkehrserschließung und Tourismus zu verhindern, Schutz des Tier- und Pflanzenbestandes, Volkskunst und Brauchtum. Ausgangspunkt war in allen Fällen die Überzeugung, »dass der Mensch ein Produkt seiner Scholle« sei. 843 842 Klueting, 1991 (Zitat, 193) und – als Beispiel – M. Kahle, Westfälische Bauern im Ostland. Berlin 1940 sowie Bauerntum. Erarb. u. hg. v. Reichsführer SS, SS-Hauptamt. Berlin o. J. (1942), 93. 843 A. Tecklenburg, »Volks- und Mittelschule und Heimatschutz«, in  : G. F. Konrich (Hg.), Hannoverland. Ein Buch der Heimatpflege. Hannover 1910, 68 (zit. n. Klueting, 1991, 115). Ein Faksimile der Ziele und Arbeitsfelder des »Deutschen Bundes Heimatschutz« ist abgebildet in Linse, 1986, 22. Vgl. außerdem  : »Der Deutsche Bund Heimatschutz und seine Landesverbände«, in  : Der deutsche Heimat-

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Hier manifestierte sich vor allem eine Reaktion auf die Veränderungsängste, die mit der technischen, urbanen, sozialen und industriellen Entwicklung einhergingen. Um 1900 lebte jeder zweite Deutsche an einem anderen Ort als dem seiner Geburt. Das Spannungsverhältnis zwischen ländlicher Herkunft und neu erfahrener städtischer Lebenswelt führte oft zu Desorientierung, Verunsicherung und Identitätskrisen. Das Gefühl von »Heimatlosigkeit« und »Sittenverfall« galt als Folge von »Entwurzelung«. Der Rückgriff auf das »ewige Volkstum« und die »geordnete Welt« früherer Zeiten verwies natürlich auf Bauerntum und Landleben. Das Alte, Bewährte, Gehaltvolle und Traditionelle, die überkommene »Volkskultur« wurde gegen flüchtige »Genusssucht«, »Kirmesrummel«, »Modetand«, Lichtreklame und architektonischen Bauhaus-Purismus in Stellung gebracht. Althergebrachter Volkstanz, bodenständige Mundartdichtung, Spinnstubenromantik, ritualisierte Dorffeste, »Weihespiele« und Volkstheater, Volkslied, Chorgesang und Wandern in der Gemeinschaft, eben alles, was »unverfälschtes Brauchtum« zu bieten hatte, sollte revitalisiert und erhalten werden. Zur Kennzeichnung dieser Aktivitäten hatte Adolf Bartels 1897 den Sammelbegriff »Heimatkunst« verwendet. Das Erziehungsziel der »Heimatschützer« war eine sittlich-kulturell gemeinte »Reinigung des Deutschtums«. Der Kunstwart, eine Zeitschrift für »Dichtung, Theater, Musik und Angewandte Kunst«, erschien erstmals 1887 und hatte 1904 mit über 20.000 Abonennten, die weitgehend aus dem Bildungsbürgertum kamen, seine größte Verbreitung. 1902 wurde der »Dürerbund« gegründet, um den »Lebensreformern«, die den Kunstwart lasen, eine institutionalisierte Verankerung zu geben. Er hatte 1912 mehr als 300.000 Mitglieder. Auch in dieser Organisation spielte Darrés Freund und Förderer Paul Schultze-Naumburg eine führende Rolle. Die »Heimatschutz«-Bewegung transportierte aber auch eine oppositionelle Haltung zu wilhelminischem Protz und war eine Protestbewegung »von unten« gegen das trendsetzende politische und kulturelle Establishment – so wie sich der jugendbewegte »Wandervogel« selbst verstand. Diese Protesthaltung schlug sich in Zivilisationskritik und Innerlichkeitspathos nieder. Das alles war zwar »völkisch« durchwirkt, aber rassistisch war es nicht, erst recht nicht »nordisch« – konnte aber so verstanden bzw. umgemünzt werden.844

schutz. München 1930, 187–205. Im Übrigen  : Andersen, 1987, 143 ff.; Wolschke-Bulmahn, 1996, 533–545  ; Puschner, 2001, 148 f. mit dem Bild des Titelblattes von Adolf Bartels, Der Bauer in der Vergangenheit. Leipzig 1900 und K. Bergmann, 1970, 121 ff., dessen Kennzeichnung des Heimatschutzes als »romantisches Ästhetentum« und Ideologie eines irrationalen und präfaschistischen Bürgertums Rollins (1993, 152 f.) vehement widerspricht, der den »Bund Heimatschutz« eher als erste bürgerliche Naturschutzbewegung sieht. 844 Nipperdey, 2013a, Bd. I, 692 ff.; K. Bergmann, 1970, 85 ff. und 102  ; Kratzsch, 1969 und Rollins, 1994 und 1997. Auch anderswo gab es ähnliche Phänomene  : Zum Beispiel formierte sich in Dänemark Grundtvigs Heimvolkshochschul-Bewegung, in den USA sprach man von »rootlessness« und »loneliness«.

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Natürlich wurde dieser nostalgische Konservatismus auch literarisch aufgenommen. Heinrich Sohnrey (1859–1948) war nicht nur 1896 der Begründer des »Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege«, sondern auch ein sehr erfolgreicher Schriftsteller. Er war der »uneheliche« Sohn eines Aristokraten und kurzzeitig als Volksschullehrer in seiner Heimat, dem Weserbergland, tätig. Gleichzeitig arbeitete er als Journalist bzw. Schriftsteller und galt bald als »Solling-Dichter«. 1894 zog er mit Frau und fünf Kindern nach Berlin, war 1901 an der Begründung des »Steglitzer Wandervogels« beteiligt und Verlagsgründer für seine vielfältigen publizistischen Aktivitäten. Sein Anliegen galt der Heimatkunst, der Heimatkunde und der Heimatpflege. Aber es ging ihm nicht nur um die Stärkung des bäuerlichen Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls, Sohnrey wollte auch die sozialen Probleme auf dem Land verbessern. So wies er in seinen Publikationen konkret auf die Wohnungsnot der Landarbeiter, die vernachlässigte Krankenfürsorge, die mangelnde Hygiene und die vernachlässigte Bildungarbeit auf dem Lande hin.845 Dabei war er immer dem ländlichen Alltagsleben zugewandt und praxisnah. In seiner Zeitschrift für die sozialen und volkstümlichen Angelegenheiten auf dem Lande. Organ für die gesamte ländliche Wohlfahrtspflege. Das Land wurde 1894 die Anfertigung von Dorf- und Familienchroniken folgendermaßen begründet  : Die moderne wirtschaftliche Entwicklung lockert mehr und mehr die Bande der Familien und Verwandtschaft, und, indem die Kinder schon früh dem Elternhause entfremdet werden, erzeugt sie ein gefährliches Gefühl der Heimatlosigkeit und Haltlosigkeit. Auch die ländliche Bevölkerung ist von diesem Zersetzungsprozeß nicht frei geblieben.

Mitgeliefert wurden methodische Anleitungen einschließlich möglicher Hilfen durch Lehrer und Pfarrer (Kirchenbücher). Die Bekämpfung der »Landflucht«, die Sohnrey »Zug vom Lande« nannte und keineswegs verteufelte, sondern zur Kenntnis nahm, wollte er durch »innere Kolonisation«, also Siedlungsaktivitäten, ergänzen. Er wollte Landarbeiter »durch Seßhaftmachung auf die erste Stufe des Bauerntums heben«, denn es ging ihm um die »Vermehrung und Erhaltung einer gesunden, heimfesten Landbevölkerung«. Aber Sohnrey sah – zunächst – in der urbanen Entwicklung kein »rassisches« Problem, sondern eine Gefahr für die Nation, ihre Wehrfähigkeit und ökonomische Unabhängigkeit. »Jeder Staat«, so war Sohnrey überzeugt, »der sich vor Entartung und Verderben bewahren will, muß seine erste Aufgabe darin sehen, den Bauernstand groß und kräftig zu erhalten.« Aber der einflussreiche Schriftsteller sprach auch – wie Hanssen und später Burgdörfer – davon, die Landbevölkerung 845 Vgl. Busse, 2009 und Stöcker, 2011. Frauendorfer, 1957, 446 ff. weist darauf hin, dass es um die Jahrhundertwende auch in anderen europäischen Ländern ähnliche ruralistische Aktivitäten gegeben hat  : in Frankreich (»retour à la terre«), in England (»rural welfare«) und in Belgien (»embellissement de la vie rurale«) z. B.

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sei der »ewige Jungbrunnen der körperlichen, sittlichen und geistigen Kraft unseres Volkes.«846 Sohnrey gab eine Reihe einflussreicher Periodika heraus, u. a. Archiv für Innere Kolonisation, Deutsche Dorfzeitung und Zeitschrift für ländliches Fortbildungswesen. Aber, bei allem Engagement für die »ländliche Wohlfahrtspflege«, Sohnrey ist ein treffendes Beispiel für Anpassung an den Zeitgeist, sei er nun »völkisch« oder nationalsozialistisch geprägt. Er wollte »die Gefahr, die Deutschland vom Osten her droht, bannen« und er unterzeichnete mit anderen Schriftstellern im Herbst 1933 »ein Gelöbnis treuester Gefolgschaft« für Adolf Hitler. Die von ihm 1909 gegründete Zeitschrift Archiv für Innere Kolonisation hieß ab 1934 Neues Bauerntum und wurde von Darrés Ministerium unterstützt. Anlässlich seines 75. Geburtstages 1934 wurde er von der Universität Göttingen zum »Ehrenbürger« ernannt und 1939 von Hitler »als Dichter und Erzieher des deutschen Landvolks« mit dem »Adlerschild des Deutschen Reiches« ausgezeichnet, obwohl er kein Mitglied der NSDAP war. Für Sohnrey war es 1939 selbstverständlich, dass das eroberte Land im Osten nach dem Krieg deutschen Siedlern, vornehmlich Soldaten, zur Verfügung gestellt werden müsse.847 Als »Volksschriftsteller« veröffentlichte Heinrich Sohnrey Werke, die seine immer weiter nach rechts driftende Entwicklung besonders deutlich machen. In Wulf Alke. Roman einer Jugend, der 1932 veröffentlicht wurde, wünscht sich der Schäfer einen »scharfen Hund« für Deutschland, der wie sein eigener »die Herde zusammenhält«. Damit sprach er sicherlich den meisten seiner Zeitgenossen aus der Seele. Sein Roman von 1928 Fußstapfen am Meer geißelte die Polen als »geistig arg zurückgebliebenes« Volk, das den »rassischen Verfall« der »Grenzland-Deutschen« zu verantworten habe. Er sprach von »Unkraut, das der Teufel in den deutschen Weizen gesät hat«. Sein Fazit lautete  : »Was deutsch ist, muß deutsch bleiben, was deutsch war, muß es wieder werden.« Seine 1927 erstmals erschienene Erzählung Die Geschichte vom schwarzbraunen Mädelein wurde 1938 umgearbeitet und unter dem Titel Das fremde Blut wieder veröffentlicht. Darin ging es um »Rassenschande«, um den »Schutz deutschen Blutes« und um »Zigeuner«, die »mehr Kinder als Ferkel« haben. So wurden die NS-Rassengesetze anschaulich erläutert, wie Sohnrey schon 1899 den Antisemitismus in seinem Roman Wie die Dreieichenleute um ihren Hof kamen plastisch zu illustrieren gewusst hatte. So leistete der »Solling-Dichter« seinen Beitrag zur Akzeptanz der »Blut und Boden«-Ideologie.848 846 Zitate  : Sohnrey in  : Das Land 1. Jg. 1892/93, 3 und 2. Jg. 1893/94, 201 f. (zit. n. Weiss, 2001, 420) und 1894, 75. Im Übrigen  : Sohnrey, 1900 und seine Rede vor dem BdL in Berlin  : »Die Bedeutung der Landbevölkerung im Staate und unsere besonderen Aufgaben auf dem Lande«, in  : Das Land 4. Jg. 1895/96, 193 ff. sowie seine Autobiographie Zwischen Dorn und Korn. Berlin 1934. 847 »Landflucht ist Volkstod«. Für die Lehrer zur Schulentlassung der Landjugend, hg. von den Reichsministerien für Erziehung und Volksbildung. Berlin 1939. 848 Weitere einschlägige Erzählungen Sohnreys waren  : Der Bruderhof (1897)  ; Die hinter den Bergen (1900)  ; Herzen der Heimat (1919). Dazu kamen »Volksstücke« wie Die Düwels (1909)  ; Die Dorfmusikanten (1902)  ; Die Sollinger (1924) und Gewitter (1929).

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Auch diejenigen, die vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Modernisierung das Leben auf dem Lande zum Gegenstand ihrer literarischen Imaginationen gemacht haben, bereiteten – gewollt oder unbeabsichtigt – der nationalsozialistischen »Blut und Boden«-Ideologie den Weg. Gemeint sind nicht die Sammlungen von Märchen, Sagen und Volksliedern, auch nicht die Schäferidyllen, Kalendergeschichten und bukolischen Mundartdichtungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern die Heimat- und Bauernliteratur in dessen zweiter Hälfte.849 Es ist hier nicht möglich und auch nicht nötig, alle diese »Heimatdichter« ins Auge zu fassen, zumal sie längst vergessen sind. Für eine Auswahl können aber die Kriterien landsmannschaftliche Verbundenheit und Nähe zum bäuerlichen Milieu erkenntnisfördernd sein im Hinblick auf die sich anschließende »Blut und Boden«-Literatur im »Dritten Reich«.850 Schon bei dem Schweizer Jeremias Gotthelf (Bauernspiegel, 1836) war das Dorf eine Art Welt für sich, eine intakte Festung, die es galt gegen das vordringende städtische Leben zu verteidigen. Noch deutlicher wurde die antiurbane Grundhaltung bei Karl Immermann (Der Oberhof, 1838), der das bäuerliche und naturnahe Dorf als gesund und unversehrt der kranken und zerrütteten Stadt gegenüberstellte. Es war schon bemerkenswert, dass der jüdische Schriftsteller Berthold Auerbach (Schwarzwälder Dorfgeschichten, 1843–1854), zum Chronisten idyllisch-bäuerlichen Lebens wurde. Aber sein Versuch, den schroffen Gegensatz Stadt–Land abzumildern und zwischen einem agrarischen und einem industriellen Weltbild zu vermitteln, lag quer zum allgemeinen Trend einer Idealisierung und Romantisierung des Landlebens. Diese erlangte in der »Heimatkunst«-Bewegung seit den 1890er Jahren eine immense Popularität. Der Begriff »Heimat« wurde hier sentimental mit einer Verklärung des Landlebens verbunden, war aber auch gefährdet, von »völkischem« Denken überlagert zu werden. Der Germanist August Sauer erklärte 1907 in seiner Prager Rektoratsrede mit dem Titel »Literaturgeschichte und Volkskunde«  : »Im Grunde« sei »der Mensch […] ein Produkt des Bodens, dem er entsprossen ist, ein Angehöriger des Volksstammes, der ihn hervorgebracht hat, ein Glied der Familien, aus deren Verbindung er entsprungen ist.« Einer seiner Schüler, Joseph Nadler, der aus dem Sudetenland stammte, stellte in seiner vierbändigen Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (1911– 1927), die in den weiteren Auflagen immer »völkischer« wurde, einen direkten Bezug zum Schlagwort »Blut und Boden« her, wenn er auch zunächst von den »Kräften des Blutes und der mütterlichen Erde« gesprochen hatte.851 Als die bekanntesten und erfolgreichsten Autoren in diesem Zusammenhang sind zu nennen  : Wilhelm von Polenz (Der Büttnerbauer, 1895), Peter Rosegger (Jakob der Letzte, 1888  ; Erdsegen, 1900) und Ludwig Ganghofer (Der Unfried. Ein Dorfroman, 1888  ; Der Dorfapostel, 1900). Polenz schildert das Schicksal eines sächsischen Klein849 Vgl. H.-P. Zimmermann, 2001. 850 Nadler, 1912–1932  ; See, 2001 (Zitate 156) und J. Hein, 1976. 851 Greverus, 1972  ; Rossbacher, 1975  ; J. Hein, 1976  ; Mecklenburg, 1982.

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bauern, der den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen ist. Sein Hof muss wegen der Erbanteile der Geschwister hypothekarisch belastet werden und wird durch skrupellose jüdische Kapitalisten ruiniert. Sie verkaufen das Land an einen Industriellen, der eine Fabrik darauf baut. Der Bauer muss sich als Hausmeister in der Stadt verdingen und erhängt sich schließlich, den Blick auf sein früheres Land gerichtet  : »Die weit aus ihren Höhlen hervorquellenden Augen starren die Scholle an, die Scholle, der sein Leben gegolten, der er Leib und Seele verschrieben hatte.« Das Buch war »Dem deutschen Nährstand gewidmet« und es war Adolf Bartels, der Polenz’ gesammelte Werke in zehn Bänden (1909–1911) herausgab. Das hing sicherlich auch damit zusammen, dass Polenz »den Juden« als »gerissenen Bauernleger« ohne Heimatbewusstsein typisierte, als »Nomaden«, der durch »Blut« bzw. »Rasse« geprägt sei. Das Schicksal, das dem »Büttnerbauern« widerfährt, sollte durch das »Reichserbhofgesetz« ausgeschlossen werden. Rosegger beschrieb in seinen Dorfromanen düstere Untergangsszenarien mit Bauern aus der Steiermark in auswegloser Lage. An Heinrich Sohnrey soll er geschrieben haben  : »Vom Land zur Stadt gehts abwärts  ; von der Stadt zum Land stets aufwärts  ; zurück aufs Land heißt – vorwärts  !«852 In Ganghofers Heile-Welt-Inszenierungen aus dem Berchtesgadener Land werden den »edlen Naturen« die »minderwertigen« gegenübergestellt. Das war durchaus biologistisch gemeint  ; denn über den Wert oder Unwert des Menschen entscheidet bei Ganghofer sein »Blut«. Neben das Lob des »Blutes« stellt er die Verherrlichung der Scholle, der Erde, des Bodens. Seine teilweise rührseligen und sentimentalen Fortsetzungsromane erschienen in der Gartenlaube, die vornehmlich in bürgerlichen Kreisen gelesen wurde. Er war der erfolgreichste Heimat- und Bauerndichter seiner Zeit. Vielseitig interessiert, war er mit vielen zeitgenössischen Literaten vernetzt und gehörte, auch als Bühnenautor, zu den Lieblingsdichtern Kaiser Wilhelms II. Aber Ganghofer, Rosegger und Polenz waren keine »völkischen« oder gar rassistischen Ideologen. Wohl aber zeichneten sie ein idyllisiertes Bild von bäuerlicher Existenz und ländlichem Leben, das die Realität völlig verfehlte. Die nämlich bestand aus schwerer, mühseliger und lang dauernder Arbeit, feudaler Unterdrückung, aus Armut, Hunger, Krankheit und täglichen Sorgen, aus Angst, Aberglaube und Inzucht, aus technischer und mentaler Rückständigkeit. Aber sie vermittelten auch eine Zukunftsvision, von der selbst Rilke Wörter und Wortbilder lieh  : Alles wird wieder groß sein und gewaltig. Die Lande einfach und die Wasser faltig, die Bäume riesig und sehr klein die Mauern  ; und in den Tälern, stark und vielgestaltig, ein Volk von Hirten und von Ackerbauern.853 852 Niedersächsischer Erzieher, 1934, 316, zit. n. K. Verhey, 1965, 71. 853 Rainer Maria Rilke, Stundenbuch, 1901, zit. n. Sieferle, 1984, 185 f.; Mulot, 1937  ; Schonauer, 1961  ; 82 ff.; P. Zimmermann, 1975  ; Ketelsen, 1976  ; Schweizer, 1976 und Wilpert, 1979.

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Bei den Bauerndichtern stand die ländliche Idylle einer gefährlichen und feindlichen städtischen Zivilisation gegenüber. Sie zeichneten wortkarge, knorrige, instinktgesteuerte und vitale Bauerntypen, die sich einer als destruktiv geschilderten Zivilisation schutzlos ausgeliefert und im Nachteil fühlen, eben Verlierer sind. Wenn, wie bei Polenz oder Rosegger, Optimismus vermittelt wird, ist meist Kitsch nicht weit. Bei ihrer Gott- und Sinnsuche werden sie meist in der Natur fündig, die so zu einem nostalgischen Sehnsuchtort wird. Es ist nicht verwunderlich, dass »völkisches« Gedankengut hier leicht eindringen und die Verklärung des Bauerntums überlagern konnte. Der Bauernroman war – gerade in seiner »völkischen« Version – in den 1920er und 1930er Jahren die meistgelesene Literaturgattung. Das lag u. a. auch daran, dass bei der unumkehrbar gewordenen Industrialisierung und Urbanisierung die Sehnsucht nach der »guten alten Zeit« ländlicher Idylle im städtischen Bürgertum besonders stark empfunden wurde. Das war ein Ausdruck von Zivilisationsflucht – zumindest in der Imagination.854 Der Verfasser des Entwicklungsromans Jörn Uhl (1901), Gustav Frenssen aus Dithmarschen, hatte zusammen mit Adolf Bartels das Gymnasium in Meldorf besucht und war zum Pastor ausgebildet worden. Er gilt als Ahnherr der »Blut und Boden«Literatur. Der Erfolg seines Romans Jörn Uhl, 1920 erschien das 265.000. Exemplar, ermöglichte es ihm, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Nipperdey weist darauf hin, dass Frenssens Roman im ersten Jahr eine Auflage von 130.000 Exemplaren erzielte, während Thomas Manns Buddenbrooks zunächst nur 1000-mal verkauft wurde. Frenssens Werke erreichten eine Gesamtauflage von etwa drei Millionen Exemplaren. Er wurde zum Befürworter eines deutschen Kolonialerwerbs und hatte schon 1898 vom »Volk ohne Raum« gesprochen. Und er geriet folgerichtig immer mehr ins Fahrwasser der Nationalsozialisten einschließlich ihrer Rassenideologie. So unterschied er »händlerisch veranlagte rundköpfige« und »bodenabhängige, mit ihrem Hof verwachsene, rein nordisch gezeichnete langköpfige« Menschentypen.855 Heinz Haushofer, dessen Karriere im »Reichsnährstand« wegen einer »halbjüdischen« Mutter ins Stocken geriet und der gleichwohl in seiner Ideengeschichte 1958 sehr wohlwollend mit den Bauernromanen im Vorfeld des »Dritten Reiches« umgeht, stellt fest, sie hätten einen »nicht zu unterschätzenden Antrieb für die nationalsozialistische Agrarpolitik« geleistet, um »dieses Idealbild zu verwirklichen«.856 Wie sah dieses »Idealbild«, diese Illusion aus  ? Es waren Bauern, die in Harmonie mit ihrer Umwelt lebten, sittenstreng und gläubig einem gnädigen oder strengen Gott vertrauten und ihm bzw. seiner Kirche in unerschütterlicher Treue verbunden waren. Es war eine rückwärtsgewandte Utopie, in der das bäuerliche Individuum seine Identität, definiert als Glied in der Kette einer »Sippe«, findet, die in der Tradition einer Einheit 854 Sengle, 1963  ; Dohnke, 1996. 855 Nipperdey, 2013a, Bd. I, 787 ff. und Eidenbenz, 1993, 36 f. 856 H. Haushofer, 1958, 146 ff. (Zitat  : 150) und H. Haushofer, 1982.

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von Volk und Heimat existiert. Hier wurde ein intakter »Bauernstand« beschworen, den es so nie gab, aber dessen Lebensform als Vorbild dienen konnte und im Falle der Unzufriedenheit mit der Gegenwart als Zielvorstellung für eine zufriedenstellendere Zukunft dienen konnte. Die Frage, wie das in einer industriell geprägten modernen Gesellschaft funktionieren könne, wurde damals nicht gestellt und Darré stellte sie später erst recht nicht, weil er seiner Utopie vom »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse« absolute Priorität gab. Hermann Löns (Der letzte Hansbur, 1909  ; Dahinten in der Heide, 1910  ; Die Häuser von Olenhof. Roman eines Dorfes, 1917), dessen Landschaftsideal die Heide war und dessen Tierliebe und Naturnähe zum Mythos wurden, konnte sich nicht mehr dagegen wehren, von den Nationalsozialisten vereinnahmt zu werden. Er war als Kriegsfreiwilliger schon 1914 gefallen. 1935 erhielt er am Erinnerungstage des Kriegsbeginns in Walsrode post mortem ein pompös ausgestattetes Begräbnis, nachdem man seine angeblichen Gebeine aus Frankreich dorthin überführt hatte. Das Stück Land hierfür hatte ein Bauer zur Verfügung gestellt, nachdem lange nach einem angemessenen Platz in der Lüneburger Heide gesucht worden war. Löns war von 1906 bis 1909 in Bückeburg, dem späteren Ort des jährlich festlich begangenen zentralen deutschen Erntedanktages, Chefradakteur der Schaumburg-Lippischen Landes-Zeitung gewesen. Der Titel seines Romans Der Wehrwolf (1910), in dem das Schicksal eines niedersächsischen Dorfes im Dreißigjährigen Krieg im Kampf gegen Marodeure, Landstreicher und die schwedische Soldateska geschildert wird, spielte noch am Ende des Zweiten Weltkrieges eine unrühmliche Rolle. Literaten, die Bauerntrilogien publizierten, die heute niemand mehr kennt, waren  : Wilhelm Weigand (Der Frankenthaler, 1889  ; Die ewige Scholle, 1927  ; Die Gärten Gottes, 1930) und – ebenfalls aus seiner fränkischen Heimat – Leo Weismantel (Das alte Dorf, 1928  ; Das Sterben in den Gassen, 1932  ; Die Geschichte des Hauses Herkommer, 1932), Hermann Stehr aus Schlesien (Heiligenhof-Trilogie, 1909–1924), Hermann Eris Busse (Schwarzwälder Bauerntrilogie, 1929/30), Peter Dörfler (Apolonia-Trilogie, 1930–1932  ; Allgäu-Trilogie, 1934–1936). Sie alle vertraten ein nostalgisches, reaktionär verstocktes Heimatverständnis und gaben der Sehnsucht nach einem unwandelbaren Rückzugsort und der »naturnahen Kultur des stillen Dorfes« (Schlange-Schöningen) anschaulichen Ausdruck. Zu ihnen gehörte auch Ludwig Finckh aus dem Schwäbischen (Mutter Erde, 1917). Sie alle unterscheiden sich nur in Nuancen. Sie ließen ihre Bauern mit lehmverklumpten Stiefeln über den Heimatboden stapfen und ihr Geist war von nichts anderem als vom Schollendunst umnebelt. Ihre literarischen Hervorbringungen gaben sich unpolitisch – waren es aber natürlich nicht.857 Die »völkisch« infizierten Autoren hatten sich die »Läuterung deutscher Dichtkunst im Volksgeiste« (Ernst Wachler) auf die Fahne geschrieben. Sie wollten eine »Kunst der vollsten Hingabe, des innigsten Anschmiegens an die Heimat«, wie es 857 Wegener, 1964  ; Sieferle, 1984, 182 ff.

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Adolf Bartels ausdrückte, der aus Dithmarschen stammte und seiner Heimat mit dem Roman Die Dithmarscher (1898) ein Denkmal gesetzt hatte. Viele der hier zu nennenden Literaten, die eine verklärte Heimat als rückwärtsgewandte Utopie besangen, waren keine Rassisten oder Antisemiten, sie konnten aber so missverstanden werden und  – wie die Beispiele Sohnrey und Bartels zeigen  – sie verstärkten zunächst ein rückwärtsgewandtes Lebensgefühl, gerieten immer mehr in »völkisches« Fahrwasser und landeten schließlich bei den Nationalsozialisten. Denn »völkisches« Denken war eine Art Katalysator der nationalsozialistischen Rassenlehre. Auf sie, die der »Blut und Boden«-Literatur des »Dritten Reiches« unmittelbar den Weg ebneten und ihren jeweiligen Beitrag dazu leisteten, die Doppelmetapher rassistisch zu verstehen, soll jetzt ein Schlaglicht geworfen werden.858 Am Anfang steht zweifellos der Norweger Knut Hamsun mit seinem Roman Markens Gröde (1917). Dieser Hymnus auf das bäuerliche Leben in einer Einöde fernab der Zivilisation, deren »Handel« dem »Pflug« diametral entgegengestellt wird, war besonders in Deutschland populär – bis 1933 wurden hier mehr als 200.000 Exemplare verkauft. Segen der Erde wurde 1920 mit dem Nobelpreis für Literatur gewürdigt und war ein Lobgesang auf den Bauern, der Wildnis urbar macht und Land kultiviert. Dieses Urbild des »ewigen Bauern« war literarisches Vorbild für viele Autoren, die in den 1920er und 1930er Jahren Bauernepen verfassten. Das hatte Hamsun mit dem Franzosen Barrès gemeinsam  : Sie gaben dem Gefühl der Entfremdung in der komplizierten und komplexen modernen Welt eine Stimme und sie konnten der Suche des städtischen Bürgertums nach dem »einfachen Leben« (Ernst Wiechert) in Worte fassen.859 Was bei den »Blut und Boden«-Literaten »der Jude« war, war bei Hamsun »der Lappe«, ein »Nomade«, der dem sesshaften Landmann zum Verhängnis wird. Eine an Gegensätzen orientierte Bildlichkeit (alt–neu, fremd–eigen, Ordnung–Chaos, Scholle– Asphalt) gehörte zu den Markenzeichen ihrer Prosa. Auch Karl Heinrich Waggerl (Brot, 1930) beschreibt einen irrationalen und dumpfen  – »urwüchsigen«  – Bauerntypus als Einzelgänger, der gleichwohl »dem Volk« einen großen Dienst erweist. So wie es Baldur von Schirach 1930 in einem Vortrag bei den »Artamanen« ausdrückte  : »Wenn Blut und Boden nicht die Quellen des Volkstums sind, welche dann  ?« Der »Führer« des NS-Studentenbundes und spätere »Reichsjugendführer« nannte den »Dienst an der Scholle« eine »Kulturtat«.860 Friedrich Griese (1887–1975) machte in seinen Romanen (Das Korn rauscht, 1923  ; Die letzte Garbe, 1927  ; Winter, 1927  ; Der ewige Acker, 1930  ; Der Saatgang, 1932) den Zusammenstoß von gewachsener dörflicher Ordnung und zerstörerischer Großstadt 858 Vgl. Krenzlin, 2003 im Gegensatz zu Bensch, 1995 859 Zu Hamsuns merkwürdigem Verhältnis zum Nationalsozialismus vgl. Tore Rem, Knut Hamsun. Die Reise zu Hitler. Berlin 2016. 860 Blut und Boden. Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit 2/1930, 326.

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zu seinem Thema. Sein Drama Mensch aus Erde gemacht (1932) erlebte 1933/34 in Stuttgart und Berlin viel beachtete Inszenierungen. Griese erhielt 1934 den renommierten Lessing-Preis mit der Begründung, er sei ein »wegweisender« Dichter, »der aus Blut und Boden schafft«. Der ehemalige Volksschullehrer aus Mecklenburg formulierte 1934 in seiner Autobiographie Mein Leben. Von der Kraft der Landschaft als sein literarisches Ziel, er wolle die »Einheit zwischen dem Blut und dem Boden« veranschaulichen. Nach dem Krieg wollte er damit nichts mehr zu tun haben – ganz wie Darré.861 Die von Will Vesper herausgegebene Zeitschrift Die neue Literatur feierte Griese 1938 als »Dichter des ewigen Bauerntums, nordischen Schicksalsgefühls und nordischer Formgebung«. Anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft 1940 durch Hitler pries ihn Rosenberg als Künder »von der Unvergänglichkeit der mythischen Kräfte der Erde und des Blutes«. Im Übrigen einte die »Blut und Boden«-Literaten – man könnte auch noch Max Halbe (Mutter Erde, 1897  ; Scholle und Schicksal, 1933) oder Hans Friedrich Blunk (Dörfliches Leben, 1934  ; Die Urvätersaga, 1934  ; Rund um den Hof, 1941  ; Möven hinterm Pflug, 1943) nennen – und den Nationalsozialismus die Entthronung der Vernunft, die Animalisierung des Menschen als Raubtier (Nietzsches »blonde Bestie« lässt grüßen) und die Verherrlichung der Macht. Auch Konrad Beste (Das heidnische Dorf, 1933), der zusammen mit Griese 1934 den Lessing-Preis erhielt, bemühte sich, die Hoffnung auf ein bäuerliches Leben in einer städtisch geprägten feindlichen Welt zu stärken. Er beschwor hierzu das »geduldige und gelassene Blut« und das »heilige Mysterium des Bodens«. Es genügt hier, nur ein Beispiel schwülstiger NS-Poesie zu zitieren  : »Mit wuchtigen Knien / von Krähen umschrien, / im Dienst seiner Pferde, / die Fäuste am Sterz, / samt Pflugschar und Rossen / selbst bodenentquollen, / stampft er die Schollen / und zwingt in die Erde / sein reißendes Erz.«862 Leben im Einklang mit der Natur

Selbstverständlich bot auch der Bereich der Natur einen Zugang für die »Blut und Boden«-Ideologie. Schon im frühen 19.  Jahrhundert wurde in der Nachfolge Rousseaus die Gleichsetzung von »Boden« und »Natur« zu einer »heilen Welt« stilisiert. Natur und Natürlichkeit galten als edel und gut, als ursprünglich, heil und rein, als harmonisch und in sich ruhend – unverstellt und ungestört von technisch-zivilisatorischen Eingriffen von außen. Dieses ästhetisch-sentimentale und idyllisierte Bild von der »unberührten« Natur war zwar unrealistisch und ein Wunschbild, aber von großer Wirksamkeit und in der Weimarer Republik hochmodern. So schrieb einer der dama861 Krenzlin, 2003, 133 ff. und Busch, 1998  ; Die Zeit vom 24.7.1964. 862 Vgl. Ahrens, 1936  ; Schonauer, 1961  ; Loewy, 1966, 120 ff. (Zitat  : Ina Seidel, »Der Pflüger«)  ; P. Zimmermann, 1975 und Wilpert, 1979, 101 ff.

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ligen »Aussteiger« 1924  : »Die Natur erschien uns in dem Sumpf der Überzivilisation als das schlechthin Vollkommene, Reine, Große und Schöne.«863 Natur muss – ganz so, wie es Alexander von Humboldt schon vor 200 Jahren getan hat – als Ganzheit, in der alles mit allem zusammenhängt, verstanden werden. In der Natur als Lebensraum und Lebensgemeinschaft von Pflanzen, Tieren und Menschen spielt der Mensch als Wesen aus Körper und Geist eine besondere Rolle  : Er ist zugleich Teil und Gestalter seiner natürlichen Umwelt. Als Geistwesen hat er die Freiheit, »sich der Herrschaft der Natur weitgehend zu entziehen und Tatsachen zu schaffen, die aus der Einheit der Natur hinausführen und neben ihr und gegen sie wirken.« So begründet sich die besondere Verantwortung des Menschen für den Kosmos der Natur.864 Seit den Zeiten der Jäger und Sammler war die Natur für den Menschen ein Ausbeutungsobjekt, ja das Alte Testament machte die Natur sogar zum Feind des Menschen  : Man müsse sie beherrschen, zähmen, unterwerfen und erobern. Zu der biblischen Aufforderung »bevölkert die Erde, unterwerft sie euch« (Gen 1,28) sagt der Biologe August Friedrich Thienemann  : »Der Mensch ist nicht nur eingegliedert in die Natur, er steht in gewissem Sinne auch über ihr. Nicht, dass er ihr Beherrscher wäre  : das ist zuviel gesagt  ! Aber er ist ihr Gestalter  !« Und der ausgewiesene Experte begründet diese Feststellung damit, dass »die ›Herrschaft‹ des Menschen über die Natur naturgesetzte, naturgesetzliche Grenzen« habe.865 Solche Eingriffe, welche die Natur umgestalten, liegen z. B. vor, wenn Wasser reguliert, Wald gerodet, Moor trockengelegt wird, wenn Straßen, Siedlungen und Städte gebaut werden, kurz, wenn aus Naturlandschaft Kulturlandschaft wird. Diese Handlungen können zerstörerische Folgen für Flora und Fauna haben und, im Hinblick auf den Menschen, auch selbstzerstörerisch wirken. Wenn der Mensch seinen Lebensraum umgestaltet, muss er die Folgewirkungen verantworten. Also gilt es, die Grenzen solcher Eingriffe in den »Haushalt der Natur« zu erkennen, zu markieren sowie Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen, bevor man verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen kann. Notfalls muss das Gleichgewicht der Organismen in der Natur wiederhergestellt werden  ; denn Verstöße gegen die Gesetze der Natur werden gnadenlos bestraft. Als Industrialisierung und Urbanisierung in Deutschland so weit fortgeschritten waren, dass die Auswirkungen dieser Entwicklung besonders deutlich sichtbar, hörbar, spürbar und riechbar geworden waren, ließ auch die Gegenbewegung nicht auf sich warten. Ihr Leitspruch hieß mit Rousseau  : »Zurück zur Natur  !« Schon Riehl hatte den Raubbau an der Natur angeprangert, wollte die Natur schützen, »weil sich in ihr das Pendant einer organisch gewachsenen Gesellschaft anschauen« lasse. Er sprach vom »Recht der Wildnis«, das gegen das »Recht des Acker863 Küppers, 1924, 24 zit. n. Wedemeyer-Kolwe, 2017, 34. Vgl. auch Brednich/Schneider/Werner, 2001. 864 Thienemann, 1956, 132 ff. (Zitat von Karl Friederichs  : 32) und Wulf, 2016. 865 Thienemann, 1956, 26 und 131.

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landes« zur Geltung zu bringen sei. Damit glaubte Riehl, den industriellen Fortschritt und die Nivellierung der Gesellschaft bremsen zu können. Schon für ihn war das Wort »organisch« von zentraler Bedeutung gewesen. Alle »organischen« Gliederungen eines Volkes, so predigte er, seien schon der Familie im »Keim« vorgegeben – »wie der Eichbaum in der Eichel steckt«. »Organisch« wurde auch von Darré immer wieder gegen das moderne »mechanisch« in Stellung gebracht. Es ist auf das griechische orgo = schwellen, keimen zurückzuführen, bezeichnet also das naturhaft Gewachsene.866 Weil alles Organische Naturnähe suggeriert, war es besonders im städtischen Bürgertum sehr populär. Die Sehnsucht nach der »Harmonie des Organischen«, nach der »freien Natur« kennzeichnete dieses Lebensgefühl im »Zeitalter der Nervosität zwischen Bismarck und Hitler« ( Joachim Radkau). In Sohnreys Zeitschrift Das Land war 1907 von der Natur als »Werkstatt Gottes« die Rede.867 Diese Mythisierung der Natur wurde durch die politische Romantik theoretisch unterfüttert, weil sie das Individuum als Glied eines Ganzen gesehen hatte. In der »organischen« Staatsauffassung war der Einzelne in die Traditionsreihe der Vorfahren oder der Standesgenossen eingebunden oder in das Volk als die Gemeinschaft aller Staatsangehörigen. »Du bist nichts, Dein Volk ist alles  !«, hieß es im »Dritten Reich«. Auch Darrés »Reichserbhofgesetz« stellte den einzelnen Bauern in den Dienst seiner »Sippe« und die wiederum in den der »Volksgemeinschaft«. Die zivilisationskritische Sichtweise auf die »unberührte Natur« registrierte auch Herbert Marcuse, eine der Leitfiguren der studentischen Revolte in den 1960er Jahren. Unter Hinweis auf Gunther Ipsens »soziologischen Versuch« von 1933, das »Landvolk« zu beschreiben, sprach Marcuse von »heroisch-völkischem Realismus«, in dem den naturhaften Kräften des »Blutes« und des »Bodens« die Entscheidung über Menschenglück und Menschenwürde ausgeliefert worden sei. Die Doppelmetapher, so stellte Marcuse richtig fest, führe »zurück in die Sphäre der ewigen und unwandelbaren Natur«. Sie stehe für »das Unzerstörbare gegen alles der geschichtlichen Veränderung Unterworfene«. Diese Art Naturalismus setze Natur mit dem »Echten, Gesunden, Wertvollen, ja Heiligen, Ewigen« gleich. Volk sei hier »blutsbedingt«  ; aus dem Boden, der Heimat schöpfe es seine »unverwüstliche Kraft« und die »Reinhaltung« der »Rasse« sei »Bedingung seiner Gesundheit«. Für Marcuse war die Verklärung des Bauernstandes bei Ipsen als »schöpferischer Urquell« und ewiges Fundament der Gesellschaft und als einziger, noch dazu »naturgebundener Stand« in diesem Zusammenhang nur folgerichtig.868 Im Einklang mit der Natur zu leben hatte schon zum Idealbild der Stoa in der griechischen Antike gehört. In der Nachfolge Rousseaus und Langbehns wurde die Wirklichkeit der Natur und des Landlebens überhöht, verklärt und als Ideal mystifiziert. 866 Riehl, Land und Leute, 4. Aufl. 1857, 56  ; Emmerich, 1971, 59 und Blackborn, 2008. 867 Sieferle, 1984, 150 und Das Land 16/1907/08, 125 f. 868 Marcuse, 1965, 19 ff. und 36 ff. sowie Ipsen, 1933 und 1933a.

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Die Gleichsetzung von »Boden« und »Natur« wurde zu einer »heilen Welt«, ja sogar »heiligen Welt« stilisiert. Wer »bodenlos« ist, hat keinen Grund mehr unter den Füßen, keinen Halt und keine Heimat. Natur und Natürlichkeit galten als in sich ruhend, edel und gut, als ursprünglich und gesund, als rein und ursprünglich – unverstellt, ungestört und unverdorben von technisch-zivilisatorischen Eingriffen von außen. Dieses Naturverständnis war eher geprägt durch die Utopien Rousseaus und Nietzsches als durch die Gesetze, die Darwin entdeckt hatte. Es war ästhetisch-sentimental und idyllisiert, als ein Bild von der »unberührten« Natur war es zwar unrealistisch, eine Fiktion und ein Wunschbild, die Heiligsprechung der Natur war zwar weltfremd, aber die rückwärtsgewandte Utopie der Naturschwärmer war trotzdem seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von großer Wirksamkeit, insbesondere bei der bürgerlichen Jugend um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In seinem Grußwort zum »Ersten Freideutschen Jugendtag« auf dem Hohen Meißner in Nordhessen 1913, einer patriotischen Erinnerungsveranstaltung an die »Völkerschlacht« bei Leipzig und zugleich einer Protestveranstaltung gegen die Einweihung des dortigen protzigen Denkmals, prangerte Ludwig Klages (1872–1956) unter dem Titel »Mensch und Erde« die »Verwüstungsorgie« und »entfesselte Mordlust« an, mit der die »modernen« Menschen und ihre »Wut der Vertilgung« die »Fülle der Erde« ausbeuten, verdorren und vernichten würden. Und es stecke »Methode im Wahnwitz der Zerstörung«, sagte und schrieb der damals populäre Philosoph. Unter den Vorwänden von ›Nutzen‹, ›wirtschaftlicher Entwicklung‹, ›Kultur‹ und ›Fortschritt‹ gehe der moderne Mensch »in Wahrheit auf Vernichtung des Lebens aus.« Klages’ Aufzählung von Bestandteilen der Tier- und Pflanzenwelt, die gefährdet und ausgestorben seien, wollte damals schon nicht enden. Auch seine Liste der »Selbstzersetzung des Menschentums« war eindrucksvoll und lang  : Vieles ist aus dem Bereich des Brauchtums und von »Maschinen gemacht«, aber er sprach auch vom Menschen als »Sklaven des Berufs« und »Sklaven des Geldes«. Dafür machte Klages die (Natur-)Wissenschaften, Technik (Maschinen) und Konsum (Kapitalismus) verantwortlich.869 Mit seiner Kritik an Fortschrittsglaube, Intellektualismus und Rationalität (Der Geist als Widersacher der Seele) war Klages in den 1920er und 1930er Jahren geradezu ein Modephilosoph. Der Vertreter einer »biozentrischen Metaphysik« mit seiner Vision einer Einheit von Leib und Seele, von Mensch und Natur gilt heute noch als einer der ersten in der Reihe der Ahnen ökologischen Denkens  – wenn da nicht seine rassistischen Anwandlungen und sein Antisemitismus wären, die ihn zunächst bei den Nationalsozialisten attraktiv machten. Nach 1936 fiel er allerdings, insbesondere auf Veranlassung Rosenbergs, in Ungnade. Aber seine Ansichten übten gerade auf die Jugendbewegung und die Lebensreformer um die Jahrhundertwende eine große Faszination aus.870 869 Kindt, 1963, 98–104  ; Klages, 1929a, 9–41. Vgl. auch Mogge/Reulecke, 1988  ; Schneider, 2001 und R. Falter, 2003. 870 Schnädelbach, 1983  ; Brüggemeier, 1987  ; Mogge/Reulecke, 1988  ; Rohkrämer, 1999.

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Wie die Jugend-»Bünde«, die sich auf dem Hohen Meißner trafen, ihre Veranstaltung als Alternative zum Hurrapatriotismus der Hundertjahrfeier der »Völkerschlacht« bei Leipzig verstanden, so war auch die »Wandervogel«-Bewegung keine bloße Vereinsmeierei, sondern Ausdruck eines alternativen Lebensentwurfes aus Protest gegen die als heuchlerisch empfundene Realität des städtischen Bürgertums. Den Slogan »Zurück zur Natur  !« ergänzte sie durch die Parole »Hinaus ins Freie  !«, als Fluchtbewegung vor Lärm und Trubel der Städte in die »stille« und »authentische« Natur. Aus dem winzigen »Ausschuß für Schülerfahrten« mit dem Wandervogelgreif als Emblem, der zwischen 1896 und 1901 in Steglitz bei Berlin entstand, wurde eine reichsweite »Jugendbewegung«. Die jungen Leute sangen zur Gitarre »Aus grauer Städte Mauern« und suchten in der vermeintlich »freien« und »heilen« Natur ein neues, »alternatives« Weltverständnis. Es sollte in Tagesausflügen (»Wandertagen«), Wochenendausflügen und bald auch größeren »Fern-Fahrten« entwickelt werden. Nicht nur naturverbunden statt statusfixiert wollte man sein, auch frei statt angepasst, schlicht statt protzig, echt statt repräsentativ und individuell statt uniform. Das mittelalterliche »Stadtluft macht frei  !« wurde in ein »Landluft macht frei  !« umgewandelt.871 Zwar gab es schon seit 1905 den »Bund deutscher Wanderer« in Hamburg, der sich die Erschließung der Lüneburger Heide als Naturerlebnis zum Ziel gesetzt hatte. Auch in Berlin und anderswo gab es ähnliche Initiativen, die beispielsweise das Umland der deutschen Metropole für die städtische Bevölkerung als Erholungsgebiet erschließen wollten. Auf die »Schrebergärten«, die sich, nach dem Ideengeber, dem Leipziger Arzt Moritz Schreber benannt, seit den 1860er Jahren als Kleingartenanlagen mit »Laube« und Vereinsstatut in Stadtnähe deutschlandweit verbreiteten, kann nur hingewiesen werden. Ihnen lag eher ein gesundheitspolitisches Motiv zugrunde  : Den ärmeren Bevölkerungsschichten sollte ein Stückchen Erde (kurioserweise »Eisenbahner-Landwirtschaft« genannt), als Freizeit- und Erholungsraum preiswert und naturnah zur Verfügung gestellt werden, mit dem Zusatzaspekt, dass man mit einem Gemüsebeet zur Ergänzung der kärglichen Nahrung beitragen konnte, was besonders im und nach dem Ersten Weltkrieg große Bedeutung hatte.872 Selbstverständlich war »Siedlung« ein großes Thema in der »Zurück zur Natur«Bewegung. Die mehr sozial- als lebensreformerisch orientierten »Bodenreformer« im Umkreis Adolf Damaschkes wurden schon behandelt, weil sich Darré mit ihnen explizit auseinandergesetzt hatte. Stellvertretend für viele lebensreformerische Siedlungsinitiativen soll hier »Sonnenberg« im Wietzetal bei Müden in der südlichen Lüneburger Heide erwähnt werden. Dort ließ sich Gustav Küppers, der 1915 sein Kriegserlebnis schwer verletzt und beinamputiert beenden musste, als Zivilisationsgegner auf einem eigenen Stück Erde (»Eigen Land«) nieder. 1925/26 schrieb er  : 871 Pross, 1964  ; Kindt, 1968 und 1974  ; Hermand, 1993, 212 f. und Abb. 4–6  ; Linse, 2001 sowie Germanisches Nationalmuseum, 2013. 872 Conti, 1984 und Stein, 2000.

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Die Siedlung ist die umfassende Gesundungsbewegung unserer Tage. Alle Teilreformbestrebungen gehen ideenmäßig in ihr auf. Die Siedlung ist der Weg zum gesunden, starken Menschen der Zukunft, zu einer gänzlich neuartigen, organischen Lebensauffassung und schließt so alle Fragen der Zeit in sich. Wir kehren zur Scholle und damit zu den Urbeziehungen und Urbedingungen des Daseins zurück. Wir wollen unser Leben nicht fürderhin auf Raub stellen, wir haben die Unsittlichkeit ausbeuterisch kolonialer oder industrieller Tätigkeit erkannt.

1933 wurde Küppers mit einer Arbeit über die verschiedenen Siedlungsformen zur »Entflechtung« der Großstädte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin promoviert und nach dem Zweiten Weltkrieg machte er als Züchter einer neuen Sonnenblumenvariante (»Topinambur«) von sich reden.873 Auch bei der aus England importierten Idee der »Gartenstädte« spielten sozial- und gesundheitspolitische Gesichtspunkte die Hauptrolle. Hier ging es nicht darum, die städtischen »Mietskasernen« wenigstens am Wochenende gegen eine »Laubenkolonie« einzutauschen, sondern man wollte unter der Devise »gesunder Wohnen« eine architektonische Alternative zur großstädtisch »verdichteten« Bauweise menschlicher Behausungen entwickeln. Ihre Pioniere, die meist aus dem städtischen Bürgertum kamen, strebten eine »Vermählung von Stadt und Land« an, sahen sich aber mit dem Hinweis konfrontiert, ihre »Stadtrandsiedlungen« seien »nicht organisch gewachsen«, sondern »künstlich« am Reißbrett entworfen worden. Beispiele sind heute noch in Frankfurt am Main, Stuttgart und Hellerau bei Dresden zu besichtigen.874 Ein letztes Beispiel dafür, wie das Verhältnis von Mensch und Erde sozio-kulturell und nicht rassistisch gesehen werden konnte  : Edgar Jung, einer der führenden Köpfe der Jungkonservativen in der Weimarer Republik, brachte in seinem Buch Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung Gedanken zur Reform von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck, die in diesem Sinne leicht missverstanden werden konnten. Ausgehend von einer kritischen Analyse der Gegenwart forderte Jung einen »neuen Menschen«, der »aus dem wiedererwachenden Seelentum erstehen« solle und aus dem Bauerntum, dem »erhaltenden Grundstock aller Staaten und Zeiten«, erwachsen müsse. Niedergangsphantasien, die sich aus Spenglers Untergangsszenario entwickelten, förderten – so Jung – den Ruf nach einer neuen »Führungselite«, einer Adelserneuerung vom Lande her. Aber das war eher sozialpolitisch-kulturell motiviert als rassistisch – wie bei Darrés »Neuadel« aus »nordrassischem Blut«.875 Der von Intellektualismus und Individualismus beherrschten »entseelten Welt« der »Zivilisa873 Vgl. Wedemeyer-Kolwe, 2017, 124 ff. und 143 f. (dort auch die Zitate). 874 Vgl. u. a. K. Bergmann, 1970, 135 ff. und Hartmann, 1976. 875 In einer Rezension von Darrés Neuadel in der Münchener Medizinischen Wochenschrift (Nr. 47 v. 21.11.1930) hieß es  : »Der Adel hat versagt, der Gebildete nicht weniger. Deshalb herrscht zur Zeit der Gewerkschaftssekretär.« Vgl. Gerstner, 2008 und Malinowski, 2004.

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tion« stellte Jung eine »Kultur« gegenüber, in der alle »westlich undeutschen Einflüsse« ersetzt würden durch das Prinzip der »völkischen Gemeinschaft« als den »höchsten diesseitigen Wert«. Mit dieser Zielsetzung müsse die Frage nach Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit alleinige Richtschnur dieses Staates sein, in dem auch die Wirtschaft wieder eine dienende Rolle zu spielen habe. Für die Landwirtschaft bedeute dies, so Jung, die Verhinderung einer »liberalistischen« Mobilisierung von Grund und Boden.876 Darré korrespondierte mit dem katholisch geprägten Münchener Anwalt, der später in der ›Bartholomäus-Nacht‹ des 30. Juni 1934, der sogenannten »Röhm-Revolte«, sein Leben verlor. Darré sah sogar in ihm, auch wegen seines Antiliberalismus, zunächst einen Gesinnungsfreund und Mitstreiter, obwohl sich Jung ausdrücklich von rassenideologischen Vorstellungen und ihren politischen Auswirkungen distanzierte. Denn auch Edgar Jung betonte die zentrale Bedeutung des Bauerntums für die Zukunft Deutschlands, und sein Mittel zur Erreichung einer erfolgversprechenden Zukunft Deutschlands war – wie bei Spengler oder Langbehn – rural akzentuiert. Denn auch für Jung war die Stadt ein Moloch und Hort der Gottlosigkeit, wo selbst Familien individualisiert würden, was sich an einem willkürlichen Erbrecht, der Scheidungsrate und dem ungebundenen Privateigentum ablesen lasse. Und auch Jungs Ruf nach einer neuen Elite, nach einem neuen Adel war an Land und Bauerntum orientiert, also rural akzentuiert.877 1893 hatte der Fabrikantensohn Bruno Wilhelmi mit Gleichgesinnten aus kaufmännischen, medizinischen und journalistischen Berufen bei Oranienburg eine Vegetarier-Kolonie als »gelebte Utopie« und »nur für Arier« gegründet. Sie trug den Namen »Eden«, wuchs bis 1914 auf 80 Häuser, die 1923 etwa 17 Familien mit ca. 450 Mitgliedern beherbergten, und wurde zum Vorbild vieler weiterer lebensreformerischer Projekte in einer Zeit, die viele im Gefühl der Orientierungslosigkeit und mit Zukunftsängsten erlebten. Einer davon, Karl Bartes, formulierte das Lebensgefühl dieser »Lebensreformer« treffend so  : »Zurück, o Mensch, zur Mutter Erde  !« Bei 876 Jung, 1927, 4, 29 ff., 39 ff., 169, 269 und 357. 877 Wie verführerisch das scheinbar naturwissenschaftlich gefestigte »Wissen« um wertvolle oder minderwertige »Rassen« in seiner letzten Konsequenz war, zeigt sich auch bei Jung, der in einem Brief an Darré v. 16.1.1929 (StAG, NLD, Nr. 437) »für eine Erweckung des Rassenbewußtseins mit Leidenschaft« eintrat. Auf Seite 50 f. seines Buches, das in seinem Titel Die Herrschaft der Minderwertigen keineswegs rassenbiologisch verstanden werden wollte, meinte er trotzdem, »daß weniger wertvolle Rassenbestandteile geschwächt werden müssen oder zum mindesten keine Stärkung erfahren dürfen, ist wohl selbstverständlich. Angesichts des Standes der heutigen Erkenntnis und der Möglichkeit von Trugschlüssen ist jedenfalls aber Vorsicht geboten. Der deutsche Mensch ist kein Haustier, das ›national gezüchtet‹ werden soll. Auf den Schutz des Wertvollen kommt es an.« Wenn Jung auch jeden »Vorschlag zur staatlichen Regelung der Rassenfrage« als »verfrüht« bezeichnete, so stellte er trotzdem die Forderung auf  : »Maßnahmen zur Hebung rassisch wertvoller Bestandteile des deutschen Volkes und zur Verhinderung minderwertigen Zustroms müssen aber eher heute als morgen getroffen werden.« Zu dem vergeblichen Versuch Darrés, Jung für sich zu vereinnahmen, vgl. auch seinen Brief v. 10.5.1928 an Jung (StAG, NLD, Nr. 84).

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den alteingesessenen Oranienburgern wurden sie als »Krautfresser aus der Marmeladenrepublik« geschmäht. Der nährstoffarme sandige Boden in der Mark wurde bald nicht nur mit Mist und Kompost gedüngt, sondern auch mit Stickstoff und auch den Vegetarismus nahm man in »Eden« bald nicht mehr so ernst. Dafür wurde die Genossenschaft in den 1920er Jahren zu einem der größten »Reformwaren«-Hersteller in Deutschland.878 Bruno Tanzmann hatte Hellerau als »Märchentraum« gepriesen, wo in der Tanzschule des Schweizer Musikpädagogen Jacques Dalcroze auch »rhythmische Tanzgymnastik« gepflegt wurde, etwas, das  – rassistisch abgewandelt  – Darré später auf Burg Neuhaus aufgriff.879 1902 organisierte man sich in der »Deutschen Gartenstadtgesellschaft« und natürlich gab es seit 1908 ein Periodikum namens Gartenstadt. Die »Gartenstadt«-Bewegung wurde von Darré mit ähnlichen Argumenten wie im Falle von Damaschkes »Bodenreform«, nämlich mit rassenideologischen, abgelehnt. Auch die völkisch-rassistischen Siedlungen »Klingberg« nahe Scharbeutz an der Ostsee (gegründet 1903), »Heimland« bei Rheinsberg (gegründet 1909), »Donnershag« bei Sontra in Hessen (gegründet 1919) sollten »Pflanzschulen deutschen Lebens« (Theodor Fritsch) werden. Sie gingen – wie »Eden« – alle wegen innergenossenschaftlichem Zwist, Geld- und Personalmangels sowie enttäuschter Erwartungen ihrer Mitglieder in den 1920er Jahren ein.880 Hier soll nicht nochmals von den »völkischen« Lebensreformern die Rede sein, die, wenn nicht von Anfang an, so doch sehr bald Rassisten wurden. Denn aus der Forderung nach Reinhaltung der »völkischen« Substanz und dem Mythos vom »deutschen Volkstum« waren leicht die Forderung nach Reinhaltung der »arteigenen Rasse« und der Mythos vom »nordischen Blut« zu machen. Trotz des allen »völkischen« Richtungen und Zirkeln gemeinsamen Zieles einer »Wiedergeburt des deutschen Volkstums« war diese »Lebensreform-Bewegung«  – wie wir gesehen haben  – kein geschlossenes Ganzes, sondern ein heterogenes und zerstrittenes Sammelsurium verschiedener Sekten, Gesinnungsgemeinschaften auf Zeit, von Suchern, Sehern, Spekulanten und Spinnern, deren Ideen und Vorurteile von der NSDAP eingesammelt und in eine eigene politische Richtung gelenkt wurden. An Darré und Kenstler konnte das vorgeführt werden.881 878 Vgl. Baumgartner, 1992  ; Barlösius, 1997, 98 ff. und Wedemeyer-Kolwe, 2017, 68 f. und 136 f. 879 Zu Hellerau vgl. Schmitz/Schneider/Ulbricht, 2001  ; Heinold/Grosser, 2007  ; Nitschke, 2009 und Schinker, 2014. 880 Seit 1906 gab es auch eine Zeitschrift Körperkultur, die sich solcher Themen wie Gesundheits-, Schönheits- und Körperpflege, Gymnastik, Turnen, Tanz, Sport und Spiel annahm. Vgl. Kampfmeier, 1908, 18 und 52 ff.; Mogge, 1913 sowie Hartmann, 1976  ; Baumgartner, 1992  ; Meyer-Renschhausen/ Berger, 1998, 282 f.; Heinold/Grosser, 2007  ; Barz, 2015 sowie Wedemeyer-Kolwe, 2001, 385 ff., 2004 und 2017, 130 ff. und 138 ff. 881 Es waren der antisemitische Propagandist Theodor Fritsch und Hitler selbst, welche die Partei expressis verbis als Repräsentantin und Teil der »völkischen Bewegung« bezeichneten  : Fritsch, »Völkisch oder

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Die Lebensreform-Stimmung der Jahrhundertwende war missbrauchbar, von rechts, von links, von Anarchisten und Chaoten, auch von kapitalistischen Geschäftemachern. Alle wollten das Leben verändern, einen »neuen Menschen in einer anderen Welt« verwirklichen, die naturnah und naturbelassen sein sollte. Gemeinsam war ihnen allen die Sehnsucht nach Rückkehr zur Natur, nach einem »natürlichen« Leben. Selbst der bildliche Ausdruck »Blut und Boden« passte hier hinein, wie die Zeitschrift der »bündischen« Jugend, die kommenden, 1925 dokumentierte, als sie von »unserem Willen zu neuer Bindung an Blut und Boden« sprach. Denn was ist ›naturgemäß‹  ? Was ist ›gesund‹, ›gut‹ und ›heil‹  ? Vielen galt Schönheit, Gesundheit oder Vitalität als »germanisch«, »arisch« oder »nordisch«. Schwaches, Krankes oder Hässliches war für viele »undeutsch« und »fremdländisch«. Und Körperkult, Regeneration oder »Veredelung« waren leicht »völkisch« oder rassistisch zu verstehen, wie Willibald Hentschels Idee einer menschlichen Zuchtanstalt gezeigt hat. Hier konnte jeder und jede eigene und »alternative« Ideen und Lebensentwürfe unterbringen – und mancher konnte damit auch Profit machen.882 Das dürfte weniger für die vielen »Reformhäuser« zutreffen, die seit der Jahrhundertwende in Deutschland aus den neuen Ernährungsbedürfnissen der Menschen ein Geschäft zu machen versuchten.883 Es galt wohl aber für Friedrich Eduard Bilz aus dem sächsischen Radebeul, einen Selfmademan, der das Weberhandwerk gelernt hatte, Kolonialwarenhändler wurde und sich zum Heilpraktiker fortbildete. Bilz verfasste eine leserfreundlich geschriebene umfassende »Naturheilkunde«, die unter dem Titel Das menschliche Lebensglück. Ein Wegweiser zu Gesundheit und Wohlstand durch die Rückkehr zum Naturgesetz (Selbstverlag Dresden 1888) zum Bestseller wurde. Das »BilzBuch« erreichte unter dem Titel Das neue Heilverfahren. Lehr- und Nachschlagebuch zur naturgemäßen Heilweise und Gesundheitspflege 1894 die 20. Auflage. 1902 erschien davon eine »Million-Jubiläums-Ausgabe«. Bis 1925 waren 2,5 Millionen Exemplare verkauft, ein unglaublicher Erfolg, der nur deutlich macht, wie verbreitet schon 120 Jahre bevor es »Bio, Bio« gab, Gesundheitsbewusstsein und lebensreformerische Bedürfnisse der Menschen waren.884 Bilz wusste, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn auch das Wohlfühlbedürfnis der Menschen berücksichtigt wird. 1892 gründete er eine Naturheilstätte (Sanatorium) und 1905 oberhalb von Lößnitz ein »Licht-Luft-Bad«, in dem die erste WellenbadMaschine Deutschlands eingesetzt wurde. Aber sein größter Erfolg war die gemeinsam mit dem Detmolder Getränkefachmann Franz Hartmann 1902 entwickelte und vermarktete alkoholfreie »Bilz-Brause«, heute noch besser bekannt als »Sinalco« (sine nationalsozialistisch  ?«, in  : Hammer, 24/1925, 544 und Hitler, 1932, 514. Im Übrigen  : Buchholz u. a., 2001 und Wedemeyer, 2015, 115 ff. 882 Frecot, 1976, 138 ff.; Krabbe, 1974  ; Barlöning, 1997  ; Buchholz/Latocha/Peckmann, 2001. 883 Vgl. u. a. Helfricht, 2012 und Wedemeyer-Kolwe, 2017, 66 ff. 884 Regin, 1995 und Wedemeyer-Kolwe, 2017, 70 ff.

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alcohole). Weniger Geld verdient haben dürfte er an seinem Science-Fiction-Roman In hundert Jahren, in dem Bilz 1907 ein paradiesisches irdisches Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beschrieb  : Spiel und Sport in freier Natur, lebenslange finanzielle staatliche Grundversorgung bei täglich nur drei Stunden Arbeit für alle glücklichen und zufriedenen Menschenkinder. Bilz wurde 1922 neben seinem Freund Karl May beerdigt, sein Grabmal trägt die Inschrift »Die Natur war mein Leitstern«. Auch Adolf Just wusste aus der damals trendigen Idee, das Leben an der Natur auszurichten, ein florierendes Geschäftsmodell zu machen. 1895 hatte er ein Buch mit dem Titel Kehrt zur Natur zurück  ! Die wahre nuturgemäße Heil- und Lebensweise. Wasser, Licht, Luft, Erde, Früchte und wirkliches Christentum veröffentlicht, das zu einem Bestseller wurde, in viele Sprachen übersetzt wurde und sogar auf Ghandi Eindruck gemacht haben soll. Als Verfechter einer »streng fleischlosen Kost« gründete Just bei Stapelburg im Harz eine Kuranstalt »Jungborn« und betrieb einen Versandhandel, in dessen Katalog von der Heilerde (bis heute als »Luvos« auf dem Markt) über Fruchtsäfte, Weizenschrotbrot, die »Adolf-Just-Nußbutter« bis zur »naturgemäßen« Unterwäsche alles angeboten wurde, was der Naturanbeter, die Naturanbeterin zum Leben brauchte.885 Da waren  – ein weiteres Beispiel  – die »Naturfreunde«, ein Touristenverein, den der Sozialdemokrat und spätere österreichische Bundespräsident Karl Renner 1895 mitgegründet hatte.886 Es ging ihm darum, Industriearbeiter und Großstädter zur Erholung an den »Busen der Natur« zu legen, »Mutter Natur« quasi den »Proletariern« zugänglich zu machen. Das Vorhaben war gut gemeint und auch erfolgreich, seine Wirkung aber für Natur- und Landschaftsschutz war kontraproduktiv. Das wurde auch so empfunden und dementsprechend dagegen protestiert. Ludwig Klages z. B. prangerte nicht nur die »Ausbeutung der Natur« an, er wetterte auch gegen das »heuchlerische Naturgefühl der sogenannten Touristik«, das in der Schweiz zu besichtigen sei, »wo man vom Eisenbahnwagen« die Berge nicht mehr vor Werbeplakaten sehe und »die Zahnradbahn ein Reisegesindel« auslade, damit es Alpenglühen und Sonnenuntergänge »begaffen« könne.887 Was für die Heimat galt, galt auch für die Landschaft und erst recht generell für die Natur  : Sie waren durch die Moderne gefährdet und mussten vor deren Auswirkungen geschützt werden. Das hatte Ernst Rudorff schon 1880 in seinem Aufsatz »Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur« aufgeschrieben. Er plädierte darin u. a. für die Beibehaltung der Hecken, nicht nur aus landschaftsästhetischen Gründen, sondern als Lebensraum der Vögel und Kaninchen sowie als Windschutz gegen die Bodenerosion. Und er machte auf die Nachteile der landwirtschaftlichen »Verkoppelung« oder »Flurbe885 Schrickel, 2016. 886 Wunderer, 1977 und Zimmer, 1984. 887 Klages erlebte seine Gegenwart als »Zeitalter des Unterganges der Seele«. Im Übrigen  : Mogge/Reulecke, 1988, 179.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

reinigung« für das Landschaftsbild aufmerksam, wenn kleine, oft aus der Realteilung im Erbgang entstandene Flächen zur effektiveren Bewirtschaftung zusammengelegt wurden. Es ging also von Anfang an nicht nur um Schönheit und Harmonie, die vor Nützlichkeit und Ökonomie rangieren müssten, sondern auch um Landschaftsgestaltung im Einklang mit den Bedürfnissen aller Lebewesen, um das also, was man heute »Nachhaltigkeit« nennt. Rassistische Motive lagen dem allen nicht zugrunde.888 Auf die ästhetischen Gesichtspunkte hatte sich Paul Schultze-Naumburg im Namen des »Bundes Heimatschutz« 1905 beschränkt, indem er eine »harmonische Kultur« einforderte, welche »die Nutzbarmachung der Erde und die Ehrfurcht vor ihr vereinigt« sehen wollte  : In alten Büchern und Reisebeschreibungen findet man oft gesagt, dass Deutschland ein unendlich schönes Land sei und daß es eine Lust wäre, durch seine Städte, Dörfer und Wälder zu wandeln. Ein solches Wort wird unseren Kindern nur noch ein Traum aus vergessenen Tagen sein. Wir stehen vor dem Schicksal, daß Deutschland sein Gepräge als unser trautes Heimatland verlieren und zu einer Stätte der ödesten Nüchternheit werden wird. Geht es so weiter, so werden in kurzer Zeit Stadt und Land in uniforme Proletariervorstädte verwandelt sein, deren Bauten ihren Stil vom Zuchthaus entlehnt haben. […] Anstelle unserer Buchenund Eichenwälder werden nur noch dürre Nutzholz-Kiefernpflanzungen in geraden Reihen dastehen. Es wird keinen Garten mehr geben, der von wirklichem Behagen zu erzählen weiß, keine Kirche, keine Brücke, die die Landschaft zum harmonischen Bilde rundet. Die einstige Schönheit unseres Landes wird für immer zerstört sein.

An anderer Stelle betonte der spätere Rassist und Förderer Darrés  : Denn wenn der Mensch alles gewonnen hätte, was sich mit seiner Technik gewinnen läßt, dann würde er zu der Erkenntnis kommen, daß das so maßlos erleichterte und einfach gemachte Leben auf der entstellten Erde eigentlich nicht mehr lebenswert ist, daß wir zwar alles an uns gerissen, was unser Planet herzugeben hatte, dass wir aber bei dieser Wühlarbeit ihn und damit uns selbst zerstört haben.889

Noch deutlicher wurde die Spannung zwischen »freier« Natur und ihrer Veränderung bzw. ihrer Eroberung und Ausbeutung mit Hilfe des technischen Fortschritts beim »Naturschutz«. Nachdem der Direktor des Naturkunde-Museums in Danzig, Hugo Conwentz, 1904 ein entsprechendes Gutachten vorgelegt hatte, existierte seit 1906 in Preußen eine »Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege«. 1919 wurden »Naturdenk888 Vgl. Rudorff, 1901 sowie Schoenichen, 1954 und Knaut, 1991, 20 ff. 889 Schultze-Naumburg, Die Entstellung unseres Landes (Flugschrift des Bundes Heimatschutz), Halle (Saale) 1905 (zit. n. Linse, 1986, 23) und Schultze-Naumburg, 1916, Teil I, 164, sowie Teil III, 1917, 330 (zit. n. Hermand, 1993, 108 und 181).

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mäler« sogar  – zusammen mit »Denkmälern der Landschaft« in der Verfassung der Weimarer Republik in den »Schutz und die Pflege« des Staates übernommen, nachdem sich besonders die »Heimatschützer« für sie eingesetzt hatten. Beides, Natur- und Landschaftsschutz, aber auch Tierschutz wurden wegen der unklaren Zuständigkeiten allerdings erst im »Dritten Reich« gesetzlich konkretisiert und geregelt  : im »Reichstierschutzgesetz« (November 1933) und im »Reichsnaturschutzgesetz« im Jahre 1935, das als das »fortschrittlichste« in der Welt gekennzeichnet wird.890 Es wird interessant sein zu verfolgen, wie sich der dafür auch zuständige Minister Darré – z. B. beim Autobahnbau und in Siedlungsfragen – hier einbrachte.891 Denn Eingriffe des Menschen in die Natur mittels der Technik und Ausbeutung der Naturkräfte z. B. aus machtpolitischen Gründen oder um Konsumbedürfnisse zu befriedigen, stehen quer zu Natur- und Landschaftsschutz sowie zum Traum vom Frieden des Menschen mit der Natur. Das mussten auch jene »Naturapostel« im späten wilhelminischen Kaiserreich erfahren, Menschen mit einem esoterischen Selbstverwirklichungsdrang und Utopisten mit religiös anmutendem Selbst- und Sendungsbewusstsein, die man heute »Gurus« nennt. Sie boten denjenigen eine Chance, die »anders leben«, d. h. wilder lieben, gesünder essen, grüner wohnen und reinere Luft atmen wollten, die ihre Kinder nicht »dressieren«, sondern »frei« aufwachsen, selbstständig, auch »spielerisch« lernen lassen wollten, kurz, die einen Weg suchten, sich und ihre Vorstellungen von einem »guten« Leben zu verwirklichen. Es waren Vegetarier, Liebes- und Sexualreformer, Nudisten (»Licht – Luft – Freiheit«), Theosophen, germanophile Rassisten, Menschen, die Drogen (Alkohol, Tabak) ablehnten und statt dessen Naturkost und anstelle der Schulmedizin »Naturheilkunde« bevorzugten oder die Zwänge der bürgerlichen Mode und Kleiderordnung abwerfen wollten, wie Darrés Freund und Gastgeber Paul Schultze-Naumburg es vorlebte. Sie alle suchten in ihren »Bünden«, Vereinen und »Kommunen« gänzlich unterschiedliche Auswege aus der als Lebenskrise empfundenen Gegenwartsmisere. Selbst ein Vertreter der »Nacktkultur« wie Richard Ungewitter dachte an ein »neues Menschentum« und wollte, dass die Ehe, jenseits »selbstsüchtiger Zwecke«, lieber »planmäßiger Züchtung schöner, rassereiner, gesunder Menschen« dienen solle. Aber Rassisten im Sinne Darrés waren sie alle nicht.892 Beispielhaft sei auf einen der ersten dieser »Aussteiger« hingewiesen  : auf Arthur Gustav (»Gusto«) Gräser. Er gehörte zu den »Ökopazifisten«, die auf dem Monte Verità bei Ascona am Lago Maggiore eine Art Landkommune gegründet hatten, die bald 890 Rudorff in  : Preußische Jahrbücher 45/1880, 262 ff.; Conwentz, 1904 sowie Schoenichen, 1954  ; Sieferle, 1984, 161 ff.; Wolschke-Bulmahn, 1990  ; Hermand, 1993, 16 f. und 165 f. und Wettengel, 1993  ; Uekötter, 2006, 63 und ders., in  : Radkau/Uekötter, 2003, 459 ff. sowie Gerhard ebd., 263. 891 Dass Hitler tierlieb war und sich vegetarisch ernährte und dass Heß Anthroposoph war und sich schon 1937 bei Darré darüber beschwerte, dass diese Lebenshaltung staatlich verfolgt und drangsaliert werde, ist nur am Rande erwähnenswert. Vgl. auch Staudenmaier, 2013. 892 Ungewitter, 1905 und Hartung, 1996, 35.

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zu einem Luftkurort mutierte. Der Belgier Henri Oedenkoven und seine Partnerin Ida Hofmann hatten zunächst an eine Art »vegetarisches Naturheilsanatorium« gedacht, das von seinen Eltern finanziert wurde.893 Das Experiment scheiterte schon sehr bald zu Beginn der 1920er Jahre, weil immer mehr Weltverbesserer, Schwadroneure, Sinnsucher, Traumtänzer, Müßiggänger und Sektierer die »Naturmenschenkolonie« auf dem »Berg der Wahrheit« aufsuchten und ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe zu realisieren versuchten. Gusto Gräser wollte ein Zeichen dafür setzen, dass wir die Mutter Erde  – so lange geschändet, entweiht, entheiligt, ausgebeutet, missbraucht, vergiftet und in jeder Stunde und Sekunde von tödlicher Zerstörung bedroht –, dass wir diese uns allen gemeinsame, uns allen heilige Mutter Erde, den Grund und die Heimat unseres Lebens, wieder ehren, schützen und pflegen wollen.

Die einen verehrten den ehemaligen Siebenbürger Sachsen als Europas Gandhi, die anderen belächelten ihn als »Kohlrabi-Apostel«. Seine Lehrgedichte »Freund, komm heim« und »Menschen, Heimat braucht die Erde« von 1916 predigten gegen Militärdienst und Autoritarismus und für die »innere Stimme« als alleinige moralische Instanz. Zur Zeit der Münchener Räterepublik predigte Gräser einen »Kommunismus des Herzens«, so ähnlich, wie Heinrich Vogeler in seinem Barkenhoff in Worpswede vom »Kommunismus der Liebe« schwärmte. Gräser wurde von Hermann Hesse, der 1907 am Lago Maggiore seine Depressionen und seine Alkoholsucht besiegt hatte, mit dem Roman Das Glasperlenspiel ein literarisches Denkmal gesetzt. Max Weber hingegen war von dem »Vegetarierfraß«, den er dort vorgesetzt bekam, gar nicht angetan, wie auch Erich Mühsam, der von einem »Salatorium« sprach. Ansonsten blieb das Experiment wirkungslos, der Monte Verità verkam zur exotischen Touristenattraktion.894 Und  : Mit Darrés »Blut und Boden«-Ideologie hatte dieser Ökopazifismus, hatten diese »Barfußpropheten« überhaupt nichts zu tun. Neben den schon erwähnten »völkischen« Siedlungsaktivitäten mit rassistischen »Zuchtzielen«, die zur Regeneration des »Germanentums« dienen sollten, gab es auch solche, die sich »links«, also kommunistisch, sozialistisch oder anarchosyndikalistisch, verstanden. Sie waren mit Karl Marx der Meinung, Boden sei keine »Parzelle im Hy893 Vgl. u. a. Linse, 1986, 161 ff.; Schwab/Lafranchi, 2001 und Wedemeyer-Kolwe, 2017, 137 f. 894 Ein anderes Beispiel ist Gustav Nagel, der »Wanderprediger und Tempelwächter« vom Arendsee, wie er sich selbst nannte. Sein Erscheinungsbild mit einem ausgezehrten Körper, weil er sich ausschließlich aus Obst- und Gemüsespenden ernährte, langen Haaren und einer Fahne in der Hand, auf der stand  : »Ich komme zu euch in friden«, sah so aus, wie manche sich Jesus Christus vorstellten. Als er sich am Arendsee bei Wittenberge eine Wohnhöhle grub, wurde ein Entmündigungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Der Sohn eines Gastwirtes wurde u. a. von dem Berliner Sexualforscher Magnus Hirschfeld unterstützt, ging auf Wanderschaft, die ihn bis nach Jerusalem führte, und kandidierte mehrmals erfolglos für den Reichstag. Er wurde schließlich in der DDR in eine Heilanstalt eingewiesen, wo er 1952 starb. (Barz, 2015, 63 ff.).

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pothekengrundbuch«, sondern eine Scholle in der Heimat. Deshalb kämpften sie für eine »Neuordnung« der Besitzverhältnisse an Grund und Boden durch Enteignung, notfalls auch durch Landbesetzung. So geschah es 1921 in der Siedlung »Freie Erde« bei Düsseldorf, die sich an dem Pazifisten und Anarchokommunisten Gustav Landauer orientierte. Von dort ist folgendes Gedicht überliefert  : Wir lieben den Wald, wir lieben die Flur, wir lieben die Erde, die Mutter Natur. Wir lieben den Menschen, vom Wahn befreit, der großmäuligen Phrasen Besessenheit. Wir lieben die Tat, die Arbeit, die Kraft, die aus dem Chaos ein Neuland schafft. Drum helft uns und schützt die erstehende Welt Und schont uns den Wald, die Flur und das Feld.895

Auf Vogelers Barkenhoff in Worpswede fand 1912 eine »deutsche ­Siedlungskonferenz« derer statt, die sich die »Befreiung des Volksbodens« auf die Fahne geschrieben hatten und »Stadtmenschen« auf erobertem Domänenland oder Großgrundbesitz zu »Erdmenschen« machen wollten. Der Leiter der »Siedlerschule Worpswede«, der Gartenarchitekt Leberecht Migge, hatte 1919 Das grüne Manifest veröffentlicht und es mit »Spartakus in Grün, an dem der rote sterben soll« unterzeichnet. Er wollte »die alte Idee Stadt« ersetzen durch »die Generalidee des 20. Jahrhunderts  : Land  !« Auch Paul Robien, ein »Naturrevolutionär« mit abenteuerlichem Lebenshintergrund, der bei Stettin schließlich eine »Naturwarte« betrieb, war Motor einer erfolglosen Initiative zur revolutionären Landenteignung, um »die Scholle, die Allmutter Erde« für die Arbeiterschaft zu erobern. Diese Siedlungswilligen verstanden sich als »Freilandsucher« und »Natursiedler«, die nicht vor den Mühen zurückschreckten, auf dem »Urboden« eines »Bergödlandes« als »Kolonisatoren« zu arbeiten.896 Migges Konzept einer Selbstversorgung auf eigener Scholle durch gärtnerische Intensivierung der Bodennutzung wurde von so manchen lebensreformerischen Idealisten zu praktizieren versucht. Ihre »Philosophie« war es zu zeigen, dass »das Sein, nicht das Haben  ; das Ideelle, nicht das Materielle« von Bedeutung sei. Eine solche »neue Lebensqualität« sollte durch familienwirtschaftliche Selbstversorgung und genossenschaftliche Organisation erreicht werden, wobei weder Rentabilität noch gar Profit eine Rolle zu spielen hatten. Im Gegenteil  : Naturverbundenheit sollte der 895 Linse, 1983 und 1986, 61 ff. sowie 76 f. und Feuchter-Schawelka, 1998. 896 Heinrich Vogeler, »Das neue Leben. Ein kommunistisches Manifest« (1919), in  : Das neue Leben. Schriften zur proletarischen Revolution und Kunst. Darmstadt 1993, 55–70  ; Fachbereich Stadt- und Landschaftsplanung der Gesamthochschule Kassel, 1981 sowie Linse, 1986, 78 ff., 103 und 115.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Abb. 17 Alternative Landwirtschaft in den 1920er Jahren.

Konsumorientierung vorgezogen werden. Aus »Rädersklaven« sollten Bauern werden, dem »Mammonismus« wurde der Kampf angesagt, »Freiland«, »Freigeld«, »Freiwirtschaft« – das stand auf dem Banner, hinter dem sie hergingen. Es gab in den 1920er Jahren solche naive Idealisten wie die Eltern von Gudrun Pausewang, welche die Sehnsucht nach einem anderen, »wahrhaftigeren« Leben dazu trieb, ein Stück Naturland mit primitivsten Mitteln zu kultivieren. Sie wollten sich eine »Existenz auf dem Lande« aufbauen, »unfruchtbares Land in fruchtbares umwandeln«, sie wollten »siedeln«, wie dieses Bedürfnis, im Einklang mit der Natur sich selbst zu versorgen und zu verwirklichen, damals genannt wurde. Unter unsäglichen Entbehrungen – das Photo mit den einen Pflug führenden und ziehenden Familienmitgliedern, das Pausewang ihrem Erfahrungsbericht beigibt, ist in seiner archaischen Aussagekraft erschütternd – scheiterte das Vorhaben einer »alternativen« Lebensform auf dem Land an der arbeitsteiligen modernen Wirtschaft und an den Realitäten der modernen Welt  : Es gibt keine absolute Autarkie. Manche notwendigen Bedürfnisse können aus den Erzeugnissen des eigenen kleinen Landstücks nicht befriedigt werden. Man ist gezwungen, den überschüssigen Teil der eigenen Erzeugnisse einzutauschen, beziehungsweise in Geld als Tauschmittel umzuwandeln. Dies aber darf nicht dazu führen, daß der Geldwert zum Selbstzweck wird.

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Aber die Autonomie, so stellt Pausewang ernüchtert fest, werde nicht nur durch die Abhängigkeit der Eigenproduktion vom Wetter eingeschränkt, auch die Ausbildung der Kinder, Krankheiten, Kleidung, Reparaturen und Investitionen zur Arbeitserleichterung seien ohne Geld nicht zu bewerkstelligen. Schließlich musste die Familie in den 1930er Jahren »Abschied von unserem Traum einer Lebensreform, deren Voraussetzung eine autarke Siedlung hätte sein sollen«, nehmen. Ja, im Zuge der Entstehung der ČSSR mussten sie als Deutsche ihre geliebte Heimat sogar verlassen.897 Um zu verstehen, warum Darrés »Blut und Boden«-Ideologie nichts mit Bemühungen zu tun hat, die Umwelt vor menschlichen Zudringlichkeiten zu schützen, ist noch ein Wort zur Ökologie nötig. Der Begriff »Ökologie«, der übrigens von dem schon mehrfach genannten Zoologen und Sozialdarwinisten Ernst Haeckel 1866 erstmals verwendet worden ist, meinte das Verhältnis der Lebewesen (Planze, Tier, Mensch) zu ihrer Umwelt. Er war zwar in den 1920er Jahren noch nicht weit verbreitet, das Verhältnis des Menschen zu »Mutter Natur« aber wurde damals – wie gezeigt werden konnte – schon längst problematisiert und war ein starkes Movens im Protest der Jugendbewegung gegen die Moderne seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ökologie (gr. oikos = Haus, Haushalt) wird heute als Wissenschaft von den Beziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt verstanden. Nicht Naturbeherrschung ist ihr Thema, sondern Leben im Einklang mit der Natur. Es geht um die Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und gegenseitigen Einflüsse, die Pflanzen, Tiere und Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt haben. Kurz  : Ökologie ist die Lehre vom Haushalt der Natur.898 Aber mit solchen Überlegungen beschäftigte sich der ausgebildete Tierzüchter und bekennende Rassist R. Walther Darré überhaupt nicht. Sie kamen in der »Blut und Boden«-Ideologie, so wie er sie 1930 in die NSDAP einbrachte, nicht vor. Auch im Denken und im Weltbild des österreichischen »Lebensphilosophen« Rudolf Steiner (1861–1925), der von der Theosophie her die Anthroposophie begründet hatte, spielt die Natur eine wesentliche Rolle. Steiners Weltsicht gründet auf den drei Zweigen am »Baum des Lebens«  : dem medizinischen (Naturheilkunde), dem pädagogischen (Waldorfschulen) und dem ökologischen (biologisch-dynamischer Landbau). Anthroposophen glauben an Reinkarnation, an Karma, an Astralleiber und leiten die Entwicklung der Menschheit von »Pflanzenzeitaltern« ab. Dieser Okkultismus der Lehre Steiners, des »Sehers«, der wie ein ›Guru‹ von seinen Anhängern verehrt wurde und wird – er sprach selbst davon, die Gabe der »Hellsicht« zu besitzen –, bezog auch die Herstellung von Nahrungsmitteln ein. »Keine Chemie  !«, lautete die Parole, alles sollte »natürlich« und »organisch« hergestellt werden und damit gesund und bekömm897 Pausewang, 1983, Zitate  : 11, 18, 73, 102 f. und 110 sowie Wedemeyer-Kolwe, 2017, 144 ff. 898 Ernst Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen FormenWissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformierte Descendenz-Theorie. Berlin 1866, Bd. 2, 286. Vgl. auch Trepl, 1987  ; Knaut, 1993  ; Bick, 1998 und Radkau, 2011.

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lich sein. Konkret bedeutet das u. a. ein striktes Mineraldüngerverbot im Pflanzenbau.899 Steiner hatte 1924/25 auf dem Gut des Grafen Keyserlingk in Koberwitz bei Breslau vor ca. 130 Personen acht Vorträge über »Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft« gehalten, die als »Landwirtschaftlicher Kursus« zum Grundstein des »biologisch-dynamischen Landbaus« wurden. Zunächst wurde ein »Versuchsring anthroposophischer Landwirte« gebildet, ab 1927 existierte eine »Verwertungsgenossenschaft für Produkte der Biologisch-Dynamischen Wirtschaftsmethode«, die sich ein Jahr später das Markenzeichen »Demeter« zulegte. So hieß auch das Periodikum des »Versuchsringes«, das seit 1930 erschien. Bald gab es einen »Reichsverband« anthroposophischer Landwirte und Gärtner und der »Demeter«-Anbauverband wurde 1931 in eine »Versorgungs-Genossenschaft Demeter« umgewandelt. Geschäftsführer war der Steiner-Schüler Dr. Erhard Bartsch, der auch 1928 das Mustergut »Marienhöhe« am Scharmützelsee bei Bad Saarow in der Mark Brandenburg gegründet hatte und leitete. Es wurde im »Dritten Reich« von Heß geschützt und von Darré, als er längst einflusslos war, interessiert beobachtet. Er hat Bartsch auch einmal besucht, obwohl die Anthroposophie, nachdem Heß nach England geflogen war, offiziell geächtet war. Darré auf dieser Basis zu einem Anthroposphen zu machen, ist nicht zu akzeptieren.900 Es ist ein Merkmal esoterischen Denkens, Wörtern und Begriffen eine andere als die allgemein gebräuchliche Bedeutung zu unterlegen. Aus diesem Phänomen erhalten Ideologien ihre dynamische Wirksamkeit. Die Selbstverständlichkeit, dass der Mensch Teil der Natur ist, steht auch am Anfang des rassistischen Denkens. Von diesem Ansatz her, dass »Menschen« durch die »Erde« geprägt sind, wurde die Züchtungsutopie für eine »germanische«, »arische« oder »nordische Rasse« entwickelt. Oder, wie es Darrés Überzeugung war, »nordische« Menschen brauchen den »Boden«, um ihr Leben »artgemäß« zu gestalten. Dieses rassistische Denken, das der nationalsozialistischen »Blut und Boden«-Ideologie zugrunde liegt, hat aber nichts mit Naturschwärmerei oder der Frage zu tun, wie man die Natur vor umweltzerstörerischen Eingriffen des Menschen schützen kann. Es konnte und kann – weil die Doppelmetapher so vieldeutig ist – allerdings missdeutet und missverstanden werden  – bis in die heutige Zeit. Darré als Anführer einer ökologischen Fraktion innerhalb des Nationalsozialismus (»Hitler’s ›Green Party‹«) zu sehen, ist ein Beispiel einer solchen missweisenden Fehlinterpretation.901 Denn das Sinnbild »Boden« hat bei Darré nichts mit einer Verherrlichung der Natur zu tun. Der nationalsozialistische »Reichsbauernführer« sah »Boden als Hüter des Familiengedankens« bei »nordrassischen« Menschen an, »Boden« war für ihn mit einem entsprechenden Erbrecht Garant für »blutliche« Tradition auf einem Bauernhof. 899 Vgl. Ullrich, 2011 und deutlich kritischer Gebhardt, 2011 sowie Staudenmaier, 2013 und 2014. 900 Das tut nur Bramwell, nicht aber Hermand, 1981 und 1991  ; Farkas, 1998 und 2015 sowie Koepf/ Plato, 2001. 901 Rollins, 1997 und vor allem Bramwell, 2002, 380 ff.

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Ein letztes Beispiel  : Der hoch angesehene Zoologe und Ökologe August Friedrich Thienemann (1882–1960), Leiter eines Kaiser-Wilhelm-, später Max-Planck-Instituts, bezog sich 1956 ausdrücklich auf das »leider zum Schlagwort degradierte Begriffspaar ›Blut und Boden‹« und kennzeichnete den »Gesamthaushalt der Natur« folgendermaßen  : Die Tatsache, daß das Leben in all seinen Einzelerscheinungen abhängig ist vom Raum, d. h. der Umwelt, in der es sich entfaltet, ist beinahe eine Binsenwahrheit  ! In Zeiten, wie den gegenwärtigen, empfindet unser Volk diese Abhängigkeit wieder besonders stark  ! Und doch ist es nicht überflüssig, auf die Abhängigkeiten der Lebensgemeinschaften und ihrer Einzelglieder von den äußeren Lebensbedingungen hinzuweisen, vor allem deshalb auch, weil man, aus leicht begreiflichen Gründen, in der letzten Zeit immer besonders stark auf die ausschlaggebende Rolle der im Organismus liegenden, auf Vererbung beruhenden Eigenart hingewiesen hat, und dabei kam gegenüber der Vererbung die Anpassung an die Lebensverhältnisse oft etwas zu kurz. Was hier gemeint ist, ist in dem  – leider zum Schlagwort degradierten  – Begriffspaar »Blut und Boden« ausgedrückt, dessen Glieder untrennbar zusammengehören. Und wenn das lebendige Wesen auch nicht mehr leisten kann, als ihm sein »Blut«, d. h. seine ihm überkommene Konstitution [seine genetische Ausstattung] erlaubt, es kann auf der anderen Seite auch nur so viel leisten, wie ihm der »Boden«, d. h. die äußeren Verhältnisse [seine Umwelt], an die es gebunden ist, gestatten  !

Und nach einem langen Kapitel über »Lebensgemeinschaft und Lebensraum« aus Sicht der Biologie mit vielen Beispielen kommt Thienemann zu dem Ergebnis  : »Erst die Einsicht in die absolute Zusammengehörigkeit von Lebensstätte und Lebenserfüllung, von ›Blut‹ und ›Boden‹, gibt dem Begriffspaar ›Lebensgemeinschaft und Lebensraum‹ seinen tiefen Sinn.« Eine solche Umdeutung der »idiomatischen Redensart« (Krenzlin) »Blut und Boden« ist völlig blind für das, was sie im Staat Hitlers bedeutete und was sie angerichtet hat. Sie war keine, wie dann Heinz Haushofer meinte, »nachträgliche Richtigstellung des eigentlichen, wissenschaftlich faßbaren Gehalts des Wortes ›Blut und Boden‹«.902 Es war eine eigenständige Sinngebung, die nichts mit dem zu tun hatte, was Darré, der zwar nicht der Urheber (»Schöpfer«, Kroll) der formelhaften Wendung »Blut und Boden«, wohl aber ihr Vermittler in die Politik war, damit meinte und was im »Dritten Reich« daraus gemacht wurde. Insofern war es nur plausibel, dass der konservative CDU-Politiker und zeitweilige Vorsitzende des »Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands. BUND«, Herbert Gruhl (Ein Planet wird geplündert), und der »biologisch-dynamisch« arbeitende Landwirt Baldur Springmann, der eine NS- und SS-Vergangenheit hatte, schon zu Beginn der »grünen Bewegung« in der Bundesre902 Thienemann, 1956, 17 f. und 61 sowie H. Haushofer, 1958, 175.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Abb. 18 »Lichtgebet« von Fidus.

publik Deutschland ausgeschlossen wurden. Sie galten als von »völkischem« Denken infiziert bzw. – in der Sprache »linker« Grüner – als »ökofaschistisch«.903 Am Ende dieser skizzenhaften Revue lebensreformerischer zeitgenössischer Ideen und Bewegungen rund um die »Bekenntnisformel« (Klemperer) »Blut und Boden«, die man nicht verwechseln sollte mit dem Thema »Volk und Erde« bzw. »Mensch und Natur«, bleibt festzuhalten, dass R. Walther Darré auf seinem Weg zur NSDAP davon völlig unberührt blieb – mit einer Ausnahme  : In der relativ dichten Quellenüberlieferung bis 1930 findet sich eine Postkarte aus dem Jahre 1920 an seine Braut mit dem bekanntesten Bild der »Jugendbewegung«, dem Lichtgebet, das der Maler Hugo Höppener, damals besser bekannt als »Fidus«, seit 1890 in vielen Varianten vermarktete. Es stellt einen nackten, blonden Jüngling dar, der von einem Felsen aus mit ausgebreiteten Armen die Sonne begrüßt. Die Botschaft ist offensichtlich  : Ins Licht, ins Freie, in die Natur  ! Es drückt Hoffnung, Aufbruch, Heils- und Erlösungserwartung aus, ein Lebensgefühl, das viele, insbesondere junge Menschen im möchtegern-imperialen Mief des wilhelminischen Kaisserreichs empfanden. Und was machte Darré daraus  ? Er sah

903 Zu ihren rechtsökologischen Vorgängern vgl. Linse, 1986. Im Übrigen  : R. van Hüllen, Ideologie und Machtkampf bei den Grünen. Bonn 1990 und S. Mende, »Nicht rechts, nicht links, sondern vorn«. Eine Geschichte der Gründungsgrünen. München 2011.

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darin eine frivole erotische Herausforderung, lobte seine eigenen sportlichen Betätigungen und mahnte seine Partnerin, auch auf ihre Fitness zu achten.904 Fazit Metaphern sind Sprach- und Sinnbilder, die einen komplexen Bedeutungszusammenhang vereinfachen und veranschaulichen. Ein metaphorischer Ausdruck wird als festgefügte Wortprägung in der Literatur und der Rhetorik, aber auch im Alltagsleben als Stilmittel benutzt, um einem bestimmten Sinngehalt einen bildhaften Ausdruck zu geben. Dabei findet eine Sinnübertragung statt, die einen weiten Spielraum für neue, kreative Anfüllungen mit eigenen Vorstellungen, Wünschen und Interessen bereitstellt. Eine Metapher ist wie ein Passepartout, das man unterschiedlich ausmalen kann. Nicht von ungefähr spricht man von »dunklen« oder »kühnen« Metaphern. Solche von Ernst Robert Curtius auch »Topoi« genannten formelhaften Wendungen haben den Hang, zur Phrase, zum Klischee zu werden, das Uneigentliche wird zum Eigentlichen umgedeutet. Dabei verdrängen Emotion und Imagination häufig Rationalität und Realität.905 Metaphern sind mehr-, ja vieldeutig und deshalb ein ideales Terrain für Deutungen und Interpretationen, aber auch für Manipulationen und Täuschungen. Mit Sprachbildern kann man seine wahren Absichten vertuschen und Erwartungen wecken – wie mit jedem Gleichnis. Metaphern müssen deshalb entschlüsselt werden, indem man sie in ihren Kontext, in ihren Verwendungszusammenhang stellt und analysiert. Dies gilt sowohl für ihren Gebrauch durch einen Autor wie für ihr Verständnis bei einem Rezipienten.906 Auch Darré gab dem längst in Umlauf befindlichen bildlichen Ausdruck »Blut und Boden« eine eigene, rassistische Deutung. Er hatte die Doppelmetapher nicht einfach vom Zeitgeist übernommen, er hat sie vielmehr seinem politischen Mitstreiter A. Georg Kenstler entwendet und ihren rassistischen Sinngehalt beim Publikum bewusst unklar gehalten oder verschleiert. So konnte aus dem Schlagwort ein ideales Instrument zur Irreführung von Menschen, die auf dem Land und von der Landwirtschaft lebten, gemacht werden. Darré machte aus einem vieldeutigen Topos in den frühen 1930er Jahren eine Kampfparole. Die »Blut«-Metapher ließ eine äußerst verschwommene Deutung in einem Spektrum von »Leben« bzw. »Mensch« bis »Rasse« zu. Bei vielen zeitgenössi904 Darré an seine Braut und Frau Alma, 24.11.1920 und 30.10.1923 (IfZ-München, NLD, Bd. 6 und Bd. 8) sowie Frecot/Geist/Kerbs, 2001. 905 Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1961 (Stichwörter »Metapher«  : 368 f. und »Topos«  : 641 f.)  ; Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. München 1973 und Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher. Darmstadt 1996. 906 Vgl. auch Robert J. Fogelin, Figuratively Speaking. New Haven 1988 und Andrew Ortony (Hg.), Metaphor and Thought. Cambridge 1993.

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schen Autoren, die damit hantierten, wurde sie mehr oder weniger metaphysisch, philosophisch und biologistisch verwendet. Das trifft auch für die Metapher »Boden« zu, deren interpretatorische Bandbreite von »Erde«, »Scholle« und »Raum« über »Landschaft«, »Heimat« bis »Staatsgebiet« und »Lebensraum« reichte, wobei hier noch eine ökologische Komponente im Zusammenhang mit »Natur« hinzukommt. Bei Darré hingegen stand »Blut« eindeutig für »Rasse«, für »Aufartung« als »Aufnordung« und »Züchtung« eines entsprechenden »Nordischen Blutsadels«. Und »Boden« wurde von ihm im Sinne von Lebensgrundlage einer »Sippe« und »Lebensraum« eines Volkes verstanden. Auch das Begriffspaar »Blut und Boden« konnte im Zeithorizont Darrés und der Nationalsozialisten im öffentlichen Kommunikationsprozess je nach Interessen, Wertvorstellungen oder politischen Absichten für sehr unterschiedliche Bedeutungszusammenhänge und Sinngehalte stehen. Es gab einen Rahmen her für sehr unterschiedliche Bilder. Die Doppelmetapher konnte, wie gezeigt wurde, bedeuten und gedeutet werden als Leben und Kultur (Spengler) Mensch und Erde (Klages, Spengler, Freyer, M. H. Boehm) Mensch und Natur (Klages) Mensch und Lebensraum (Ratzel) Mensch und Landschaft (Winnig) Leute und Land/Landschaft (Riehl) Volk und Territorium/Land (Wundt, Winnig, M. H. Boehm) Volk und Raum, Staat/Vaterland (Ratzel, E. Jung, H. Grimm) Staatsvolk und Staatsgebiet (Ratjen bzw. »Alldeutscher Verband«, Hitler) Volkstum/Leute und Land/Heimat (Agrarromantiker 1. Hälfte 19. Jh., Riehl, Freyer) Volksstamm und Heimat/Mutterland (Riehl, Boehm, Barrès, Heidegger) Bauer und Boden/Acker/Feld/Scholle (Schlange-Schöningen, Kenstler) »Rasse« und Reich (Niekisch) »Nordrassische«/»Arische« Elite und »Erbhof«/«Lebensraum« (Darré, Himmler) »Germanische Wehrbauern« und »Lebensraum im Osten« (Darré, Himmler, Hitler) Diese Aufstellung ist weder vollständig noch gibt sie die zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten wider. Die Zuordnung der Begriffe ist nicht trennscharf und die Zuordnung der Benutzer ebenfalls nicht, so dass Doppelungen unvermeidlich sind. Au-

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ßerdem sind Entwicklungen zu beachten, die, wie etwa beim »Alldeutschen Verband«, immer rassistischer wurden. Selbst Hitler verwandte die Begriffe »Blut« und »Boden« zunächst keineswegs so, wie Darré sie von Anfang an verstand, sondern man konnte ihn eher im »alldeutschen« Sinne verstehen, wenn Hitler formulierte  : Haltet das Reich nie für gesichert, wenn es nicht auf Jahrhunderte hinaus jedem Sprossen [sic] unseres Volkes sein eigenes Stück Grund und Boden zu geben vermag. Vergeßt nie, daß das heiligste Recht auf dieser Welt das Recht auf Erde ist, die man selbst bebauen will, und das heiligste Opfer das Blut, das man für diese Erde vergießt.907

Die nationalsozialistische »Weltanschauung«, zu der auch die »Blut und Boden«-Ideologie gehörte, war nichts Neues, sondern der »eklektizistische Abklatsch« (Kurt Bauer) nationalsozialistischer und chauvinistischer, »völkischer« und rassistischer Vorstellungen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Sie waren fixiert auf die beiden Kernelemente »Rassenfrage« bzw. Antisemitismus und Vergrößerung des Lebensraumes für ein deutsches Volk, das von einer »arischen« bzw. »nordischen« Elite geführt werden sollte. Da aber Lebensraumeroberung nur mit einem militärisch starken Staat möglich war, musste der weiteren Industrialisierung Priorität vor Reagrarisierung eingeräumt werden. Und dass »Blut« bei Hitler mit »Rasse«, genauer »arischer Rasse« gleichgesetzt wurde, braucht nicht wiederholt zu werden. Zweifellos war Darrés Version der »Blut und Boden«-Ideologie eine rückwärtsgerichtete Utopie. Denn sie bedeutete Rückkehr zu einer vormodernen, agrarisch geprägten Lebenswelt, zu »unverdorbener« Naturverbundenheit, wodurch – zum Vorteil der »Nordischen Rasse«  – die durch Industrialisierung, Technisierung und Urbanisierung »verdorbenen« Arbeits- und Lebensweisen »geheilt« werden sollten. Und sie war eine Utopie insofern, als sie den Widerspruch nicht aufzulösen vermochte, der darin bestand, dass ein Agrarstaat, ein »Bauernreich« in Darrés Sprache, nicht in der Lage war, in der modernen Welt »Eroberung von Lebensraum« zu bewerkstelligen, der notwendig war, um »arteigene« Lebensverhältnisse für die »Nordische Rasse« bereitzustellen. An diesem Widerspruch – und eigenem Unvermögen – ist Darré letztlich im »Dritten Reich« gescheitert. Das Diktum, das von dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, dessen Politikverständnis durch Realismus und Pragmatismus bestimmt wurde, kolportiert wird  : »Wer eine Vision hat, soll zum Psychiater gehen  !« ist sicherlich auch durch Erfahrungen mit der verbrecherischen NS-Ideologie und -Politik zu erklären. Dass ein so kluger und gebildeter Agrarhistoriker wie Heinz Haushofer in seiner monumentalen Ideengeschichte den rassistischen Kern der »Blut und Boden«-Ideologie herunterzuspielen bzw. ignorieren zu können glaubte, ist nur aus seiner persönlichen Befangenheit zu erklären. 907 Hitler, 1932, 754 f.

»Boden«: Nationalistische und ruralistische Bestrebungen

Ebenso erstaunlich ist es, dass britische Historiker wie Farquharson nahezu und Bramwell völlig übersehen, dass mit der »Blut und Boden«-Ideologie, insbesondere mit dem »Reichserbhofgesetz«, rassistische Ziele verfolgt wurden, genauer  : die Förderung des Konstrukts einer »Nordischen Rasse« bewerkstelligt werden sollte. Diesem Ziel diente auch der Lebensraum-Imperialismus Hitlers, zu dessen Legitimation Darré mit seiner »Blut und Boden«-Ideologie ganz bewusst beitragen wollte und beigetragen hat. Festzuhalten bleibt auch  : Die Formel »Blut und Boden« ist kein genuin deutscher, sondern ein nationalsozialistischer »Erinnerungsort«, der allerdings in der Tradition unterschiedlichster Konnotationen zu sehen ist, die dem Begriffspaar unterlegt waren. Wenn das »Tausendjährige Reich« tatsächlich so lange existiert hätte, wie Hitler und die Nationalsozialisten sich das vorstellten, dann hätten die Rassisten um Günther, Darré und Himmler mit ihrem langfristig angelegten Konzept der Züchtung eines idealen »nordischen« Menschen in einem »Großdeutschen Reich« eine Chance auf Realisierung gehabt – so konstruiert die Festlegung dessen, was »nordisch« meinte, auch gewesen ist. Insofern war die »Blut und Boden«-Ideologie keine »agrarromantische« Marotte.908 Derartige langfristig angelegte Visionen, denen in der Regel Wunschvorstellungen zugrunde liegen, gab und gibt es realiter viele. Bis 1989 glaubten Generationen von »Linken« im Gefolge von Marx und Engels, die Zukunft gehöre »gesetzmäßig« den »neuen Menschen« im Sozialismus/Kommunismus. Auf der Genfer Atomkonferenz 1962 sagten Atomwissenschaftler aus über 70 Ländern eine Ära der universalen zivilen Nutzung der Kernenergie, das »Atomzeitalter«, voraus. In Tschernobyl und Fukushima sind heute die Ruinen dieser naturwisenschaftlich begründeten Vision zu besichtigen. So viele Zukünfte, so viele Irrtümer – das kann das Schicksal von Prognosen, Visionen oder Utopien sein, selbst wenn sie wissenschaftlich begründet wurden.909 Das, was der Zukunftsforscher Robert Jungk 1970 über die Funktionen von Religionen feststellte, lässt sich auch für Zukunftsentwürfe sagen  : Sie dienen zur Erbauung, sie verpuffen als Predigt, sie erwecken Hoffnungen auf eine »bessere« Welt, wo Realitätssinn und Entschlossenheit zur Änderung der als unakzeptabel empfundenen Gegebenheiten vordringlicher wären.

908 Hempe, 2002, 159. 909 Vgl. u. a. Radkau, 2017.

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TEIL III DARRÉS BEITRAG ZUR MACHTEROBERUNG HITLERS UND DER NSDAP

1 Die Eroberung der Macht auf dem Lande 1930–1933

Als der 35-jährige stellungslose Schriftsteller und Familienvater R. Walther Darré im Mai 1930 endlich eine Anstellung bei der NSDAP gefunden hatte, war nicht abzusehen, welche berufliche Perspektive damit verbunden war. Mit dem Bruch der Koalition im März 1930 war die Wirtschafts- und Sozialkrise der Weimarer Republik in eine Staatskrise übergegangen. Es folgte nämlich der erdrutschartige Wahlerfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930, wodurch im Parlament eine Majorität von Abgeordneten saß, die das bestehende politische »System« ablehnten.1 Es war also dieser nicht vorhersehbare Wahlsieg der Partei Hitlers, der sichtbar machte, dass der »Referent für landwirtschaftliche Fragen bei der Reichsleitung der NSDAP« aufs richtige Pferd gesetzt hatte. Die Geschichte der »Hitler-Bewegung« trat 1930 in die entscheidende Phase der Machteroberung mit legalen Mitteln. Obwohl Darré erst spät zu Hitler und der NSDAP kam, kam er doch zur rechten Zeit, um seinen Beitrag zu leisten und, im Falle des Erfolges, davon zu profitieren. Wie schon einmal von 1926 bis 1929 in Ostpreußen und im Baltikum, stürzte er sich in seine neue Tätigkeit mit außergewöhnlichem Elan und großem persönlichen Einsatz, wobei ihm seine neue Partnerin und spätere Frau als Sekretärin zur Seite stand. Darrés Version des Schlagwortes »Blut und Boden« mit seiner rassistischen Akzentuierung spielte dabei eine herausragende Rolle, weil sie von der Landbevölkerung missverstanden wurde als »Bauer und Landbesitz«. Was qualifizierte Darré für diese politische Tätigkeit  ? Schon als Soldat und während seiner Studienzeit hatte er sich lebhaft für Politik interessiert. Der briefliche Gedanken- und Meinungsaustausch mit seinem Vater, der völlig andere Positionen vertrat, verlief allerdings in der Regel so kontrovers und hitzig, dass der Sohn häufig beschloss, solche Diskussionen zu meiden. In dem »völkischen« Umfeld, das er sich in den 1920er Jahren geschaffen hatte, gab es schließlich andere Gelegenheiten, sein rassistisches Weltbild bestätigt zu bekommen. Nun, 1930, hatte er die Möglichkeit, seine Ansichten in die politische Tat umzusetzen. Aber, Darré war weder ein guter Schauspieler noch ein überzeugender Redner, von agitatorischen oder gar demagogischen Fähigkeiten ganz zu schweigen. Also blieben Programmatik und Organisation. Sein politisches Leitbild, das in der Formel »Blut und Boden« seinen Ausdruck gefunden hatte, war nicht von ihm erfunden, sondern von seinem damaligen Freund und Mitstreiter A. Georg Kenstler übernommen – man könnte auch sagen gestohlen – worden. Im Mai/Juni 1930, als Darré noch in Saaleck bei seinem Freund SchultzeNaumburg lebte, weil noch nicht entschieden war, ob er in Weimar oder München für die NSDAP arbeiten würde, war genügend Zeit, um im Austausch vor allem mit 1 Vgl. H. Mommsen, »Das Jahr 1930 als Zäsur«, in  : Ehrlich/John, 1998, 1 ff.

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Kenstler und Ziegler, einem NS-Kulturfunktionär in Thüringen, ein Konzept für seine neue Tätigkeit zu entwickeln. Die Koalitionsregierung rechtskonservativer Parteien in Weimar, mit dem »Thüringer Landbund« an der Spitze und dem Nationalsozialisten Frick als Bildungsminister, hatte Darré die Gelegenheit verschafft, sich bei weiteren einflussreichen »Parteigenossen« wie Goebbels und Göring bekannt zu machen. Der mittelständische Unternehmer Albert Pietzsch aus Höllriegelskreuth, der auch Darrés Scheidungskosten mitfinanzierte, zahlte für die NSDAP Darrés Monatsgehalt in Höhe von 600,– RM, das ihm regelmäßig bar durch Boten zugestellt wurde, seitdem er am 1. August 1930 seine Arbeit in München in der »Organisations-Abteilung II« der NSDAP aufgenommen hatte, die von Konstantin Hierl geleitet wurde. Hierl (1875–1955), ein Berufssoldat, der als Oberst nach dem Krieg die Reichswehr verlassen hatte, kämpfte in Bayern gegen die Räterepublik, unterstützte den Hitler-Ludendorff-Putsch und leitete bis 1927 den »Tannenberg-Bund« Ludendorffs. 1929 war er NSDAP-Mitglied und Leiter der »Org.Abt. II« in deren Reichsleitung geworden. Himmler half Darré, in der Amalienstraße, d. h. in unmittelbarer Nähe zur NSDAPHauptgeschäftsstelle in der Schellingstraße (Nr. 50, Hinterhaus), ein möbliertes Zimmer zu finden, ehe dieser  – ebenfalls mit Himmlers Hilfe  – im Juni 1932 in Solln eine Wohnung für sich und seine zweite Ehefrau fand. Ihr gemeinsamer Arbeitsplatz befand sich seit Jahresbeginn 1931 in der Brienner Straße 45, wo – in der Nähe des »Braunen Hauses« (Nr. 34, ehem. Palais Barlow) – die »Org.Abt. II« der NSDAP untergebracht war. Über dem Portal der Parteizentrale stand die Inschrift »Deutschland erwache  !«2 Die Ausgangsbedingungen von Darrés agrarpolitischer Arbeit für die NSDAP Die Lage in der Landwirtschaft

Die materielle Not, welche die Anfälligkeit der Landbevölkerung für den Nationalsozialismus erhöhte, was erstmals in der Reichstagswahl vom 14. September 1930 sichtbar wurde, hatte ihre Ursache nicht allein in der Weltwirtschaftskrise. Die Gründe, warum die deutsche Landwirtschaft seit 1929 schwerer betroffen wurde als andere Wirtschaftszweige, waren vielschichtiger Art. Schon im Ersten Weltkrieg hatte sich herausgestellt, dass die Erzeugungsleistungen in der Ernährungswirtschaft die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnten. Zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern von Nahrungsmitteln war durch die Enttäuschung der Lebensmittelknappheit während des Krieges und des Zusammenbruchs der Ernährungswirtschaft an seinem 2 Lilla/Döring, 2004, 239 f. und Heusler, 2008  ; StAG, NLD, Nr. 88  ; Nr. 91 und Nr. 437b  : Darré an Lehmann, 19., 26., 31.5, 3.7. und 19.7.1930  ; Darré an Fircks, 24.4.1931 (Nr. 158b)  ; Lehmann an Darré, 6., 14. und 24.5.1930  ; Darré an Rechenbach, 1.7.1930 (BA, NS 22) sowie VB v. 29.8.1930 (Hitler IfZ, Bd. III/3, 1995, 367).

Die Eroberung der Macht auf dem Lande 1930–1933

Ende ein großer Vertrauensverlust entstanden. Durch die Landverluste Deutschlands im Friedensvertrag, es waren mehr als 13 Prozent, wurde die Landwirtschaft noch mehr belastet, weil die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln im Nationalstaat den Nimbus einer Unabhängigkeitsgarantie (»Nahrungsfreiheit«) besaß.3 Allerdings schien die deutsche Landwirtschaft in den ersten Jahren der Weimarer Republik eine glänzende Perspektive zu haben. Sie fand bei der ausgehungerten Bevölkerung einen offenen Absatzmarkt vor und die Inflation tilgte nicht nur ihre verhältnismäßig hohen Schulden, sie brachte die Erzeuger von Nahrungsmitteln gegenüber den Verbrauchern auch in eine komfortable Lage, die aber – wie schon gegen Ende des Krieges – nicht selten aus Habsucht zu Vorteilsnahme, Wucher und Bereicherung ausgenutzt wurde. Aber der Krieg hatte auch einen Raubbau an der Bodenqualität, den Viehbeständen und am Maschinenpark mit sich gebracht. Hinzu kam ein eklatanter Mangel an Investitionskapital. Um gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähig zu sein, mussten neue Kredite aufgenommen werden, die dann aber aus mangelnder betriebswirtschaftlicher Kompetenz nicht produktiv genug investiert wurden. Die deutsche Landwirtschaft mit ihrem hohen Anteil an Kleinstbetrieben unter fünf Hektar Anbaufläche war für eine Mechanisierung der Produktionsprozesse nicht gut vorbereitet. Nur jeder zehnte Bauernhof besaß eine für Maschineneinsatz geeignete Größe von mehr als 20 Hektar. Die Produktivität stagnierte und so ist es nicht verwunderlich, dass erst 1928 die Durchschnittserträge der letzten Vorkriegsjahre wieder erreicht werden konnten. Nach den Jahren der Hyperinflation und der Währungsstabilisierung waren erhebliche Steuerzahlungen, die für die Bauern ungewohnt waren, zu begleichen. Die schlechte Ernte 1924/25 traf mit einer solchen Geldnot in der Landwirtschaft zusammen, dass die Bauern ihre Ernte zu rasch auf den Markt bringen mussten mit der Folge, dass die Preise unter Weltmarktniveau sanken. »Wir sind einfach außerstande, im Augenblick noch Zahlungen zu leisten, wir können sie auch in absehbarer Zeit nicht leisten, wenn man die Rentabilität unserer Betriebe nicht wiederherstellt«, stellte der »Brandenburgische Landbund« im April 1926 fest. Die überhöhten Zinssätze und die umfangreichen kurzfristigen Personalkredite machten die neue Verschuldung weit gefährlicher als in der Vorkriegszeit mit ihren langfristigen Realkrediten. Plötzliche Preisstürze konnten einen auf nur ein Produkt festgelegten Betrieb in eine existentielle Notlage bringen. Die Intensivierungsbemühungen mit neuen Düngemitteln hatten oft katastrophale Folgen, weil man vom Kunstdünger Wunder erwartete, aber mit der falschen Dosierung den Boden verdarb.4 3 Es wurde damals ausgerechnet, dass es sich bei Landverlusten um 20 Prozent Wiesen und 15,8 Prozent Ackerland (17 Brotgetreide, 13,3 Futtergetreide, 13,9 Zuckerrüben und 18,2 Kartoffeln) handelte (Seving u.a, 1934, 70). Vgl. auch Bechtel, 1967, 405 ff.; F.-W. Henning, 1974, 117 ff. und 1978, Bd. 2, 175 ff.; Kluge, 2005, 4 ff. und Knortz, 2010, 123 ff. sowie – auch für das Folgende – Gies, 1966, 9 ff. 4 Der Brandenburgische Landbund, 3.4.1926, zit. n. Pyta, 1996, 195 f. Vgl. auch Bissing, 1930, 189  ; Preller, 1949, 303  ; Lütge, 1952, 410 f. und H. Becker, 1990.

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Da man für einen solchen Zusammenstoß der Landwirtschaft mit Methoden moderner Bodenbearbeitung und den liberal-kapitalistischen Marktmechanismen keine oder nur unzureichende Vorkehrungen getroffen hatte, waren bei vielen Bauern moderne produktionsfördernde Maßnahmen (»neumodischer Kram«) und die freie Marktwirtschaft gleichermaßen diskreditiert und die Forderung nach Rückkehr zum alten Schutzzollprinzip stellte sich wieder ein, als dies außenpolitisch möglich war. Auf diese Weise wurde aber gerade der reaktionärste Zweig der Landwirtschaft, der Getreide produzierende ostelbische Großgrundbesitz, durch den Weimarer Staat unterstützt, was die Begleitumstände der 1927 beschlossenen »Ostpreußenhilfe« schlaglichtartig sichtbar machten. Dort mussten hohe Transportkosten aufgebracht werden, um die Erzeugnisse überhaupt auf den Markt zu bringen. Hinzu kam mangelnde Disziplin vieler Gutsbesitzer, die ihren aufwendigen Lebensstil durch Kreditaufnahmen finanzierten und so in eine immer tiefere Verschuldung gerieten, aber, um davon abzulenken, auf die »polnische Gefahr« hinwiesen. Reichspräsident Hindenburg hatte sich nach der Einweihung des TannenbergDenkmals im September 1927 vom ostpreußischen Landadel, der wiederum von der Schwerindustrie finanziell unterstützt wurde, das ostpreußische Gut Neudeck schenken lassen. Als er dann die Initiative für eine »Ostpreußenhilfe« ergriff, geriet er in Verdacht, eigene Interessen zu verfolgen. Beschlossen wurden verbilligte Kredite und Eisenbahntarife sowie Steuererleichterungen, die natürlich auch dem Besitzer von Neudeck zugutekamen. Das roch nach »Edelkorruption« (Theodor Eschenburg) und machte »die da oben« in ihrem Handeln bei der Landbevölkerung nicht glaubwürdiger.5 Mit der gleichzeitigen Vernachlässigung der Veredelungswirtschaft verstärkte man die Interessengegensätze in der deutschen Landwirtschaft und eine Anpassung an die veränderten weltwirtschaftlichen Marktbedingungen wurde auch versäumt. Im Gegenteil  : Während die Kosten für die Erzeugung der Bedarfsgüter an Nahrungsmitteln stiegen und die Verschuldung der Landwirtschaft zunahm, kam es durch die Einfuhr von billigerem ausländischen Getreide zu einem Preisverfall auf dem deutschen Markt. Von 1929 bis 1933 halbierte sich der Preis bei Getreide von 206 RM/Tonne auf 123 und bei Schweinefleisch von 202 auf 98 RM/Doppelzentner. In dieser Situation glaubte die Regierung wieder auf das Instrument des Schutzzolles zurückgreifen zu müssen  : 1925 schon war ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren für Zölle auf Agrarprodukte eingeführt worden, das nun exzessiv angewandt wurde. Aber die weltweite landwirtschaftliche Überproduktion überschwemmte den Markt und die niedrigen Transportkosten kompensierten die Einfuhrabgaben. Zunächst bei Getreide, dann auch bei Veredelungsprodukten entstand so für einheimische Erzeugnisse eine ernsthafte Konkurrenz.6 5 Vgl. Hertz-Eichenrode, 1969  ; Schulz, 1987, 51 ff., 149 ff. und 167 ff.; Ders., 1992, 24 ff. und 209 ff.; Pyta, 1996, 180 ff. und Merkenich, 1998, 234 ff. 6 RGBl. 1925 I, 231 und Zahlen nach W. G. Hoffmann, 1959, 554 ff. und Wehler, Bd. 4, 2003, 274 ff. Vgl. Aereboe, 1929  ; Preller, 1949, 95  ; Bechtel, 1967, 408 ff. und Frost, 1932, 34 ff. und 91. Der

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In der Weltwirtschaftskrise ging der Wert der Agrarproduktion in Deutschland von 1928 bis 1932 um fast 40 Prozent zurück. Die Preise, welche die Landwirtschaft für ihre Erzeugnisse erzielte, reduzierten sich zwischen 1929 und 1931 um mehr als 30 Prozent. Die Folge dieses Einnahmeschwundes für die deutsche Landwirtschaft war ein weiteres Ansteigen der Verschuldung. Die Verschuldung stieg von 1925/26 bis 1931/32 von 8 auf 12,4 Millionen RM. Die Zinsbelastung verschlang 1930 über 10 Prozent der Verkaufserlöse. Hinzu kamen auf der Kostenseite Steuer- und Sozialabgaben sowie Verbandsbeiträge. Zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe, deren Schulden den Wert von Hof und Land überstiegen, brachen unter dieser finanziellen Belastung zusammen. Die Betriebskosten waren durch die Verkaufserlöse nicht mehr zu decken. Hatte es 1926 bis 1928 noch zweier Jahre bedurft, bis die Zahl der Zwangsversteigerungen landwirtschaftlicher Betriebe 4890 erreichte, so waren es im Jahre 1931 allein knapp 20.000 Betriebe mit ca. 420.000 Hektar Land, gegen die eine Zwangsversteigerung eingeleitet wurde. Etwas weniger als 5800 Betriebe mit etwa 180.000 Hektar Land gingen in Konkurs. Betroffen waren ca. 1230 Großbetriebe (20 bis 200 und mehr Hektar) und ca. 4600 Klein- und Mittelbetriebe (unter 2 bis 20 Hektar). Von 1924 bis 1932 kamen 800.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche unter den Hammer, was etwa der in ganz Thüringen gleichkam. Durch die dramatisch ansteigenden Arbeitslosenzahlen – 1930 schon mehr als vier Millionen – und den damit verbundenen Kaufkraftverlust fanden die Bauern keine Abnehmer mehr für ihre Erzeugnisse.7 Wie schon Heinrich Brüning im Mai 1930 bei seiner Antrittsrede als Reichskanzler von einer »Agrarkatastrophe« gesprochen hatte, so sah auch August Winnig die deutsche Landwirtschaft damals als »so gut wie erledigt« an. Es sei dahin gekommen, »daß der Landwirt, der große und kleine, der in Ostpreußen und der in Dithmarschen, vor Steuern, Schulden und Schuldzinsen nicht mehr aus und ein weiß.« In dieser Situation aber galt die Aufmerksamkeit der offiziellen Agrarpolitik – unter dem Druck der einflussreichen »Junker« – hauptsächlich den ostdeutschen Getreideproduzenten. Nicht die Förderung einer strukturellen Umstellung der Landwirtschaft und die Reform des sozialen Gefüges der Landbevölkerung wurden betrieben, sondern der Staat half mit Entschuldungsmaßnahmen, gezielten Preisstützungen und einer verschärften Zollpolitik, die bestehenden untragbaren Verhältnisse zu erhalten. Die Republik unterstützte  – mit »Ostpreußenhilfe« sowie ab 1930 mit der »Osthilfe« und einem Insider Hans Schlange-Schöningen (1932, 38) weist darauf hin, der adlige Großgrundbesitz habe dem Staat vor 1914 viele Offiziere und Beamte zur Verfügung gestellt. »Man fühlte sich als Stand dem Thron am nächsten, man war der Meinung, daß der Staat durch das preußische Königtum deshalb auch zur besonderen Fürsorge für den Landmann verpflichtet sei.« Nach dem Krieg seien diese Kreise verständlicherweise »zum absoluten Verneiner des Staates«, der keine Monarchie mehr war, geworden. 7 Harms, 1929, Bd. 1, 116, 169 ff. und 200  ; W. Fischer, o. J., 13  ; StJb 1932, 376 f.; Vierteljahreshefte zur Konjunkturforschung 9/1934, Heft 1, Teil A, 25 sowie Bennecke, 1968, 36 ff. und 172 ff. Wie sehr Verschuldung und wirtschaftliche Not die Landbevölkerung in die Arme der NSDAP trieben, belegt der Wahlforscher J. Falter, 1991, 314 ff.

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Zwangsvollstreckungsschutz  – im preußischen Landadel einen ihrer verstocktesten Gegner und schürte mit ihren einseitigen Maßnahmen die Unzufriedenheit in den anderen Teilen der deutschen Landwirtschaft.8 Schon ab 1926 gab es Protestaktionen der Landwirtschaft gegen Preisverfall und Abgabendruck in Ostfriesland, Oldenburg, Hannover, Hessen, Mecklenburg und Brandenburg.9 Sie weiteten sich auch auf Süddeutschland aus und erreichten mit der »Landvolkbewegung« in Schleswig-Holstein 1929 ihren Höhepunkt. Der Dachverband nordwestdeutscher Betriebe der Veredelungswirtschaft hielt 1930 der Agrarpolitik der Regierung vor, seine Bauern müssten die Kosten für die Sanierung des ostdeutschen Großgrundbesitzes tragen. Schutzzölle und Roggenstützungsmaßnahmen hätten eine Verteuerung der Futtermittel und damit die Schädigung der Vieh- und Veredelungswirtschaft zur Folge, auf die aber zwei Drittel der Einnahmen der deutschen Landwirtschaft entfielen  : »Überschuldete und an veralteten Wirtschaftsformen festhaltende Großbetriebe immer weiter mit durchzuschleppen, kann nicht Aufgabe der deutschen Agrarpolitik sein und trägt in keiner Weise den Interessen der siedlungswilligen nachgeborenen Bauernsöhne Rechnung.«10 1925 lebten noch etwa 14 Millionen, d. h. knapp ein Viertel der Menschen in Deutschland von der Landwirtschaft. 1985 waren es 5,5 Prozent und heute sind es weniger als ein Prozent. Mitte der 1920er Jahre hatten 90 Prozent der ca. drei Millionen landwirtschaftlichen Betriebe eine Nutzfläche von 0,5 bis 20 Hektar, die restlichen 10 Prozent bewirtschafteten mehr als 20 Hektar, auf sie entfiel aber ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Etwa ein Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe (34.000) bearbeiteten 20 Prozent der gesamten Nutzfläche, darunter etwa 1700 Güter, die größer als 1000 Hektar waren. Sie lagen vornehmlich in Ost- und Norddeutschland und beschäftigten saisonal unterschiedlich viele Landarbeiter, während die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe, es waren ca. 77 Prozent, hauptsächlich in West-, Mittel- und Süddeutschland lagen und weitestgehend von mitarbeitenden Familienmitgliedern getragen wurden.11 Entsprechend den strukturellen, sozialen und auch konfessionellen Unterschieden in der deutschen Landwirtschaft war auch ihre berufsständische Vertretung  : uneinheitlich, vielfältig und damit unterschiedlich effektiv. Selbst innerhalb des »Reichs  8 Brüning in Michaelis/Schraepler, Bd. VIII, 1964, 107 ff.; Winnig, 1933, 121  ; Bergnann/Megerle, 1989, 222 ff. und NotVO des RP »zur Sicherung der Ernte und der landwirtschaftlichen Entschuldung im Osthilfegebiet« v. 17.11. und v. 8.12.1931.  9 Osmond, 1993  ; Hempe, 2002, 242 ff.; Wehler, 2003, Bd. 4, 335 ff. und Pomp, 2011. 10 Der Bauer im Kampf gegen den Landbund. Bauernarbeit in Nordwestdeutschland. Hg. v. Wirtschaftsverband bäuerlicher Veredelungsarbeit. Bremen o. J. (1930). Im Vergleich zum staatlicherseits subventionierten Getreide war der Preisverfall bei Schlachtvieh besonders groß  : In Berlin ging der Preis für 50 Kilogramm Lebendgewicht bei Rindern von 55 RM im Oktober 1930 auf 36 RM ein Jahr später zurück, bei Schweinen von 58 auf 45 RM (StJb 1930/33). 11 StDR Bd. 461, 10 ff. und J. Falter, 1991, 256 f.

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landbundes« gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen der Zentrale einerseits und den Kreis- und Provinziallandbünden andererseits über das richtige Vorgehen. Einige »Landbünde« riefen zu Boykott- und Sabotageaktionen, aber auch zu Streiks beim Kauf von Produktionsmitteln wie Kunstdünger und Maschinen auf und schadeten damit der eigenen Produktivität, was von der Zentrale korrigiert werden musste. Die Bewegung von unten aber zu einer geschlossenen Interessenvertretung (»Schafft die Reichsbauernfront  !«) mündete im März 1929 in der »Grünen Front«, einem  – im Gegensatz zu dem plakativen und militaristischen Schlagwort – lockeren Bündnis der Spitzen von »Reichslandbund«, »Vereinigung christlicher Bauernvereine«, »Deutscher Bauernschaft« und »Deutschem Landwirtschaftsrat«. Doch die Agrarverbände arbeiteten, entsprechend ihren heterogenen Interessen, weiter mehr gegen- als miteinander, so dass die »Grüne Front« schon ein Jahr später ihre wirtschaftspolitische Gestaltungskraft wieder verloren hatte.12 Doch hier war erstmals das Bedürfnis nach einer berufsständischen Bündelung aller Kräfte zum Ausdruck gekommen. Der Vorsitzende des »Schleswig-Holsteinischen Bauernvereins«, Thyge Thyssen, hatte es 1928 schon so formuliert  : »Wir müssen lernen, daß die Standesgemeinschaft die erste Voraussetzung für die Erhaltung der Scholle ist, da heute in der Zeit der Massenorganisationen der Einzelne sich nicht mehr verteidigen kann.« Aber konnte man in einer derartigen Notlage alle Unterschiede zwischen katholischen Selbstvermarktern in Westfalen und evangelischen Genossenschaftsbauern in Hessen oder zwischen württembergischen Gärtnereien und Rindermastbetrieben in Dithmarschen vergessen  ? Sicher nicht. In den Worten Wolfram Pytas  : »Die Agrarkrise war der wichtigste Geburtshelfer für die Stiftung einer berufsständischen Identität, um die sich die Agrarverbände lange Zeit vergeblich bemüht hatten.« Dieses zunehmende Standesbewusstsein in der Not erleichterte später die Gleichschaltung des gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesens durch Darré und die Akzeptanz des »Reichsnährstands« über alle Interessengegensätze hinweg.13 Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen, vor allem das erschütterte Vertrauen in die eigene Interessenvertretung, führte ab 1926 zu einer zunehmenden Radikalisierung in der Landbevölkerung. Ihre Entfremdung von den bestehenden demokratischen Institutionen der Weimarer Republik  – war sie je dort »zu Hause« gewesen  ? – verfestigte sich durch Not und Verzweiflung zu einer radikalen staats- und verbandsfeindlichen Haltung, die ihre erste sichtbare Aufgipfelung in der »Landvolkbewegung« in Schleswig-Holstein fand. Hier hatte sich die Zahl der Konkurse und 12 Hempe, 2002, 258 ff. sowie Topf, 1933  ; Thyssen, 1958, 381  ; Barmeyer, 87  ; Gessner, 1976 und 1977, 258 und Pyta, 1996, 206 ff. 13 Pyta, 1996, 201 ff. (dort auch das Zitat von Thyge Thyssen vom 28.1.1928) sowie Merkenich, 1998, insbes. 226 f. Einige LB-Politiker, besonders im »links« regierten Preußen, nutzten schon damals jede Gelegenheit, das politische »System« zu attackieren  : So rief der pommersche LB-Vorsitzende Hansjoachim von Rohr-Demmin in der ostpreußischen Presse 1929 zur Zerstörung des »Weimarer Systems« auf, »das sterben muß, wenn Deutschland leben soll« (Hertz-Eichenrode, 1969, 80).

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Zwangsversteigerungen 1928 innerhalb eines Jahres verdoppelt. Den Bauern, die ihre Steuern direkt zahlten, denen sie also nicht vom Lohn bzw. Gehalt abgezogen wurden wie Arbeitern und Angestellten, war der Zugriff des Staates auf ihren Verdienst natürlich viel bewusster, zumal dann, wenn ihr Einkommen durch Steuern und Abgaben »aufgefressen« wurde oder gar »aus der Substanz« aufgebracht werden musste.14 Aus einer »Bauernnotbewegung«, die sich seit Herbst 1929 von Ostpreußen aus als »Notgemeinschaft ostelbischer Landbünde« auch auf Pommern, Mecklenburg, wo sogar schwarze Fahnen mit Totenkopf geschwenkt wurden, und Brandenburg ausbreitete, wurde eine gesamtdeutsche Bewegung auch im Westen, Südwesten und Süden. Existenzangst schlug nun in Aggression um. In dem »Erwachen eines ganzen Standes« (Armin Mohler), das mit militanten Protestveranstaltungen gegen die Regierung, Steuerstreiks, Bombenanschlägen auf Finanzämter und anderen gewalttätigen Aktionen gegen Viehhändler und Gläubiger, die einen Pfändungsanspruch besaßen, in Schleswig-Holstein begonnen hatte, deutete sich ein Denk- und Verhaltensumschwung an, der direkt zu dem Aufsehen erregenden Wahlerfolg der NSDAP vom September 1930 führte. Zu den genannten Aktionen kam noch ein nicht zu unterschätzendes psychologisches Druckmittel hinzu  : die »gesellschaftliche Ächtung« für den Fall, dass jemand es bei Zwangsversteigerungen wagte, einen Bauern zu schädigen oder gar von seiner Scholle zu vertreiben. Bei den Gutsbesitzern, die Landarbeiter beschäftigten, wurden außerdem die Sozialabgaben nicht mehr entrichtet. Claus Heim, einer der Bauernführer in Schleswig-Holstein, den auch Darrés damaliger Freund Kenstler unterstützte – sogar noch, als Heim seine siebenjährige Haft im Gefängnis absaß –, fasste die Haltung der Rebellen eindrucksvoll zusammen  : Tatsache ist, daß Staat, Parteien und landwirtschaftliche Spitzenorganisationen, die Landwirtschaftskammern und Genossenschaften versagt haben. Tatsache ist, daß der Bauer seit Jahren überall seine Beiträge zahlt und seit Jahren hört, was für ihn alles erreicht worden ist, und sieht, daß es ihm dabei immer schlechter geht.15

Als die »Landvolkbewegung«, die sich in Schleswig-Holstein unter einer schwarzen Fahne mit silbernem Pflug und Schwert gesammelt hatte und damit an die Bauernkriege im 16. Jahrhundert erinnern wollte, 1930 an ihrer eigenen Radikalität gescheitert war, hatten sich die in ihr zum Ausdruck gekommenen Empfindungen und Ressentiments in der ländlichen Bevölkerung ganz Deutschlands verbreitet. Aus kleinen 14 Zur Uneinigkeit im RLB  : AdRk, Kabinett Marx III und IV, 1988, 1379. Außerdem H. Beyer, 1957, 1962, 1964 und 1965  ; Thyssen, 1958  ; Stoltenberg, 1962  ; Heberle, 1963  ; Thamer, 1992, 163  ; Pyta, 1996, 195 und Merkenich, 1998, 247 ff. 15 Heim, zit. n. Salomon, 1951, 271. Vgl. außerdem W. Peters, 1932  ; Topf, 1933  ; Jacobs, 1957  ; Bracher, 1960, 314 ff.; Pyta, 1996, 203 und Merkenich, 1998, 229 ff., aber auch den Roman von Hans Fallada  : Bauern, Bonzen und Bomben, Berlin 1931.

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dörflichen »Notgemeinschaften« war eine reichsweite »Protestbewegung« gegen das Weimarer »System« geworden.16 Genau so hatte sich der »Artamane« Kenstler das vorgestellt, als er 1929 einen Plan entwickelte zur »Förderung und Verbreitung der aktiven national-revolutionären Bauernbewegung der Nordmark über das Reich«. Als sich im Mai 1930 eine Anstellung Darrés bei der NSDAP abzeichnete, stellten sich Kenstler, der eine reichsweite »Bauernrevolution« im Auge hatte, und Ziegler, der den Standort Thüringen seiner Partei im Kampf mit dem »Thüringer Landbund« stärken wollte, vor, in Weimar eine agrarpolitische Zentrale zu etablieren mit Darré als Geschäftsführer.17 Aus der Idee wurde zwar nichts, aber Darré konnte Aspekte, die im Frühjahr 1930 in Thüringen diskutiert wurden, mit nach München nehmen.18 Hitler und die Reichsleitung der NSDAP hatten mittlerweile das machtpolitische Potential, das in der Unzufriedenheit der Landbevölkerung lag, erkannt. Man brauchte die Protestbewegung nur aufzugreifen und hinter der eigenen Fahne einzusammeln. Da kam ihnen Darré mit seiner »Blut und Boden«-Ideologie, die mehr soziales Prestige und eine neue Sinngebung des harten bäuerlichen Daseins versprach, gerade zur richtigen Zeit. Die agrarpolitische Programmatik der NSDAP

Die NSDAP war, als Darré im Sommer 1930 nach München kam, in ihren agrarpolitischen Zielen durchaus kein unbeschriebenes Blatt. In der Parteizentrale traf er mit dem Diplom-Landwirt Heinrich Himmler einen Kollegen, der über Erfahrungen als Agitationsredner auf dem niederbayerischen Land verfügte und dafür schon seit 1926 an einem agrarpolitischen Konzept der Partei arbeitete. Er war aktives Mitglied der »Artamanen« und als Sekretär und Stellvertreter Gregor Strassers eigentlicher Geschäftsführer der Reichsorganisationsabteilung I in der Reichsleitung der NSDAP. Himmler half Darré bei der Wohnungssuche, woraus sich eine enge Freundschaft entwickelte (»Lieber Heini  !« – »Lieber Richard  !«). In Berlin agierte der Reichstagsabgeordnete Werner Willikens, der im Parlament die Agrarpolitik der jeweiligen Regierung mit diversen Eingaben und Anträgen begleitete.19 16 Zu den vordemokratisch-autoritären Bewusstseinsstrukturen bei der Landbevölkerung und ihren irrationalen Wunschbildern einer längst vergangenen Zeit vgl. Gerschenkron, 1969 und Moore, 1974. Vgl. auch die luzide und quellengesättigte Darstellung des Verhältnisses der evangelischen Landbevölkerung Norddeutschlands zur ‚großen Politik‘ außerhalb des dörflichen Gemeinschaftslebens: Pyta, 1996, 83 ff. und 163–203. 17 Böhmer an Kenstler, 9.5.1932 (StAG, NLK, Nr. 14) und vertr. Rs. Kenstlers, 1.6. und 22.9.1929 (ebd., NLD, Nr. 437). 18 Briefwechsel Darré/Kenstler/Ziegler/Lehmann v. Februar bis Mai 1930 (StAG, NLD, Nr. 94 u. Nr. 437)  ; Gies, 1967, 343 f. 19 Himmlers agrarpolitische Arbeit schlug sich in Pressebeiträgen (»Die Lage der Landwirtschaft«, in  : Nationalsozialistische Briefe, 1.4.1926) und einem Papier mit dem Titel »Völkische Bauernpolitik« nieder

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Gleichwohl war die NSDAP für die Landbevölkerung anfänglich eher abstoßend als anziehend. Sie war als »Arbeiterpartei« in städtischem Milieu entstanden und ihr »unveränderliches« Programm aus dem Jahre 1920 enthielt in Punkt 17 eine Forderung, die für die mit der Unantastbarkeit des Privateigentums existentiell verbundene Landwirtschaft ein rotes Tuch war. Dort wurde nämlich eine »unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform« gefordert und  – horribile dictu  – die »Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke«. Der allseitigen Empörung über eine angeblich privatbesitzfeindliche »verlogene Auslegung, böswillige Mißdeutung und häßliche Unterstellung« begegnete die NSDAP im April 1928, als Wahlen bevorstanden, mit einer Gegendarstellung  : »Da die N.S.D.A.P. auf dem Boden des Privateigentums steht«, gehe es ihr nur um die »Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten […], Boden, der auf unrechtmäßige Weise erworben wurde, oder nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohls verwaltet wird, wenn nötig, zu enteignen.« Mit dem Hinweis auf »jüdische Grundspekulations-Gesellschaften«, die gemeint seien, segelten Hitler und seine Propagandisten mit dem immer frischen Wind bäuerlicher antisemitistischer Ressentiments.20 Hitler hatte schon in Wien von Karl Lueger gelernt, man müsse »das Hauptgewicht seiner politischen Tätigkeit auf die Gewinnung von Schichten [legen], deren Dasein bedroht« sei, denn das führe »eher zu einem Ansporn als zu einer Lähmung des Kampfwillens«. Es war deshalb naheliegend, dass die »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei« nach Beginn der Agrarkrise 1926 verstärkt auch das Wählerpotential auf dem Lande ins Visier nahm. »In solch einer Situation«, stellte schon Alan Bullock fest, »sind die Menschen für Vernunftargumente nicht mehr zugänglich. Sie geben sich Wahnvorstellungen, extremen Haßgefühlen, aber auch überspannten Hoffnungen hin.« Im Übrigen interessierte sich Hitler nur insoweit für Wirtschaftspolitik, als Machtfragen tangiert wurden.21 Wenn binnenwirtschaftliche Unabhängigkeit (»Autarkie«) und »Eroberung von Lebensraum«, um die »Ernährung des deutschen Volkes von eigener Scholle« (»Nahrungsfreiheit«) sicherzustellen, ins Spiel kamen, war freilich die Landwirtschaft unabdingbar  :22

(BA, NS 19/1789). Vgl. Ackermann, 1970, 29  ; Farquarson, 1976, 1 ff.; Corni, 1990, 18 ff. und – auch für das Folgende – Gies, 1966, 21 ff. 20 Feder, 1930, 4  ; Pesl, 1932 und Corni/Gies, 1994, 71 f. Vgl. die Erwiderung aus deutschnationaler Sicht in O. Weber, 1929, 17 und zur Vieldeutigkeit, Unbestimmtheit und Phrasenhaftigkeit des »25-Punkte-Programms«, das genügend Raum für heterogenste politische, wirtschaftliche und soziale Interessen und Wünsche ließ, u. a. Bracher, 1960, 108 ff. 21 Hitler, 1932, 108 f.; Bullock, 1960, 148  ; W. Fischer, o. J., 10  : Jäckel, 1991 und Zitelmann, 1987, 327 ff. 22 Alle folgenden Zitate  : Hitler, 1932, 149 ff.; 317  ; 362  ; 448 f.; 740 ff. und 782 sowie Hitlers Zweites Buch, 1928/1961, 58 f. und 62.

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Abb. 19 Werbeprospekt, undatiert.

Ein fester Stock kleiner und mittlerer Bauern war noch zu allen Zeiten der beste Schutz gegen soziale Erkrankungen, wie wir sie heute besitzen. Dies ist aber auch die einzige Lösung, die einer Nation das tägliche Brot im inneren Kreislauf einer Wirtschaft finden läßt. Industrie und Handel treten von ihrer ungesunden führenden Rolle zurück und gliedern sich in den allgemeinen Rahmen einer nationalen Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft ein. Beide sind damit nicht mehr die Grundlage der Ernährung der Nation, sondern ein Hilfsmittel derselben. Indem sie nur mehr den Ausgleich zwischen eigener Produktion und Bedarf auf allen Gebieten [zur Aufgabe] haben, machen sie die gesamte Volksernährung mehr oder weniger unabhängig vom Auslande, helfen also mit, die Freiheit des Staates und die Unabhängigkeit der Nation in besonders schweren Tagen sicherzustellen.

Hinzu kamen bevölkerungspolitische, rassistische und imperialistische Gesichtspunkte. Wie Darré, so sah auch Hitler »innere Kolonisation« als eine »jüdische« Idee an, denn es sei »immer der Jude, der solche todgefährlichen Gedankengänge in unser Volk hineinzupflanzen versucht«. Es kann nicht scharf genug betont werden, daß jede deutsche innere Kolonisation in erster Linie nur dazu dienen kann, soziale Mißstände zu beseitigen, vor allem den Boden der allgemeinen Spekulation zu entziehen, niemals aber genügen kann, etwa die Zukunft der Nation ohne neuen Grund und Boden sicherzustellen.

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Hitler sah das Verhältnis Stadt–Land in Deutschland als »ungesund« an und machte seine antiurbane Einstellung dadurch deutlich, dass er Städte als »Brutstätten der Blutsvermischung und Bastardisierung« bezeichnete. Sie seien »jene eitrigen Herde, in denen die internationale jüdische Volksmade gedeiht und die weitere Zersetzung endgültig besorgt.« In der Frage, wie man die Bevölkerungszahl und die territoriale Größe eines Staates in ein adäquates Verhältnis bringen könne, schloss Hitler, wiederum wie Darré, Kolonien ebenso aus wie Arbeitsteilung durch internationale Handelsbeziehungen  : Die Erwerbung von neuem Grund und Boden zur Ansiedelung der überlaufenden Volkszahl besitzt unendlich viele Vorzüge […]. Schon die Möglichkeit der Erhaltung eines gesunden Bauernstandes als Fundament der gesamten Nation kann niemals hoch genug eingeschätzt werden. Viele unserer heutigen Leiden sind nur die Folgen des ungesunden Verhältnisses zwischen Land- und Stadtvolk.

Wie aber sollte die »Erwerbung von neuem Grund und Boden« vonstattengehen  ? Hitler hatte da klare Vorstellungen. »Nicht etwa in Kamerun«, sondern »nur mehr in Europa« liege der »uns zum Leben nötige Boden«. Wenn dieser »Boden«, wie zu erwarten, nicht freiwillig bereitgestellt werde, müsse »das Recht der Selbsterhaltung in seine Wirkung [treten]  ; und was der Güte verweigert wird, hat eben die Faust sich zu nehmen.« Staatsgrenzen werden durch Menschen geschaffen und durch Menschen geändert. Die Tatsache des Gelingens eines unmäßigen Bodenerwerbs durch ein Volk ist keine höhere Verpflichtung zur ewigen Anerkennung derselben. Sie beweist höchstens die Kraft der Eroberer und die Schwäche der Dulder. Und nur in dieser Kraft allein liegt dann das Recht. Wenn das deutsche Volk heute, auf unmöglicher Grundfläche zusammengepfercht, einer jämmerlichen Zukunft entgegengeht, so ist dies ebenso wenig ein Gebot des Schicksals wie ein Auflehnen dagegen eine Brüskierung desselben darstellt. Genau so wenig wie etwa eine höhere Macht einem anderen Volke mehr Grund und Boden als dem deutschen zugesprochen hat oder durch die Tatsache dieser ungerechten Bodenverteilung beleidigt wird. So wie unsere Vorfahren den Boden, auf dem wir heute leben, nicht vom Himmel geschenkt erhielten, sondern durch Lebenseinsatz erkämpfen mußten, so wird auch uns in Zukunft den Boden und damit das Leben für unser Volk keine völkische Gnade zuweisen, sondern nur die Gewalt eines siegreichen Schwertes. […] Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein. Zur Weltmacht aber braucht es jene Größe, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt. Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handels-

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politik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.

Was die »Besiedelung gewonnener Neuländer« angeht, so forderte Hitler die Bildung »staatlicher Rassekommissionen«, die unter dem Gesichtspunkt der »Rassereinheit des arischen Menschen« ein »Siedlungsattest« ausstellen sollten. »So können allmählich Randkolonien begründet werden, deren Bewohner ausschließlich Träger höchster Rassenreinheit und damit höchster Rassentüchtigkeit sind.« Da ausschließlich »Arier« kulturschöpferische Fähigkeiten besäßen, seien sie es, die einen »germanischen Staat deutscher Nation« zum »Herrn der Erde« machen würden. Alle diese Aussagen und Positionen seines »Führers« stimmten – wie dargestellt worden ist – mit Darrés eigenem Weltbild überein. Wenn er von »Blut und Boden« sprach, meinte Hitler »Volk ohne Raum« und die Metapher »Blut« stand bei beiden für den »arischen/nordischen« Menschentypus. In der ersten Phase der Bemühungen der NSDAP um die Belange der Landwirtschaft finden sich einzelne Bausteine agrarkonservativer Positionen wie der Schutzzoll, vor allem aber Floskeln, die seit jeher von Agrarlobbyisten verbreitet wurden, und agitatorische Schlagwortpolemik. So war die Rede von der Landwirtschaft als »letztem Bollwerk nationalpolitischer und nationalwirtschaftlicher Selbständigkeit«, als »wichtigstem Stand« im Staate und »Ernährer des Volkes aus eigener Scholle«23. Aber auch Versatzstücke aus dem Arsenal »völkischen« Denkens kamen vor, wenn vom »jüdischen Finanzkapitalismus«, der die »Erdrosselung der deutschen Landwirtschaft« betreibe, vom Land, aus dem die Stadt »immer neue Blutzufuhr« erhalte, oder gar vom Landvolk als »Quellborn des rassischen Erbgutes« gesprochen und geschrieben wurde.24 1929 verstärkte die NSDAP insbesondere in Schleswig-Holstein ihre Agitation 23 So plädierte Gregor Strasser in zwei Aufsätzen (»Wir und die Agrarzölle«, 1925, und »Triumph der Börse«, 1926) dafür, »die deutsche Landwirtschaft in den Stand zu setzen, das deutsche Wirtschaftsgebiet selbst zu versorgen und von der Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte zu befreien.« Die dadurch zu erwartende höhere finanzielle Belastung der Verbraucher sollte durch »Verminderung des Zwischengewinns«, also auf Kosten des Handels, kompensiert werden (»Der Wucher liegt beim Handel  !«). Strasser, 1932, 51 ff. und 152 ff. Im NS-Jahrbuch 1928, 142 wird erstmals auf Bildhandzettel und Flugblätter (»Bauer, wach’ auf  !« und »Rettungsweg des Landvolks«) hingewiesen. Im Übrigen Dorner, 1930  ; Schneider, 1930  ; Hildebrandt, 1931  ; Willikens, 1931  ; Backe, 1931 und Schmahl-Seipel, 1933. 24 Himmler kennzeichnete den Bauern als »Lohnsklaven des raffenden Kapitals […] jüdischer Aasgeier«. Wenn »deutscher Boden« in »jüdischer Hand« sei, werde auf diesem Boden »kein Halm Getreide mehr wachsen« und Deutschland sei dann »bedingungslos auf die Lebensmittelbörse angewiesen« (NS-Briefe, 1.4.1926). Auch für den späteren LGF in Südhannover-Braunschweig, Hartwig von Rheden-Rheden, war die »Reinhaltung der Rasse« im Bauerntum von entscheidender Bedeutung  : »Ich bin lieber zehnmal mit Bauern verwandt als einmal verjudet  ! Ein Bauer ist jeder, der aus Liebe zum Hof, zur Heimat, zum Volk und im Glauben an Bauerntum, Volkstum und Gott die heilige deutsche Erde bebaut […]« (Rheden-Rheden, 1927, 3 ff.; vgl. auch ders., 1927a, 36 f.).

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in der Presse, auf Kundgebungen und dörflichen Versammlungen. Selbst Hitler trat in Dithmarschen anlässlich eines Begräbnisses von SA-Männern auf, die bei einer Straßenschlacht mit Kommunisten ums Leben gekommen waren. Die strikte Einhaltung des taktisch motivierten Legalitätskurses hinderte die NSDAP freilich, sich mit der gewaltsamen »Landvolkbewegung« zu solidarisieren.25 Auch Werner Willikens gehörte zu den frühesten Autoren agrarpolitischer Programmatik der NSDAP. Er war nach dem Abitur in Goslar 1914 in den Krieg gezogen und hatte es bis 1918 zum Oberleutnant gebracht. Nach einem Landwirtschaftsstudium in Halle (Saale) hatte er das Gut der Eltern seiner Frau in Groß Flöthe in der Nähe von Goslar übernommen, aber schon im Mai 1928 war er als MdR für die NSDAP im Wahlkreis Südhannover-Braunschweig nach Berlin gegangen. Der Hitler-Partei war er schon unmittelbar nach deren Neugründung 1925 beigetreten, er hatte auf seinem Gut Gleichgesinnte um sich versammelt und war in Goslar Ortsgruppenleiter gewesen. Im Reichstag setze er sich für die Sicherung des Bauernhofes »gegen übermäßige Zersplitterung« durch Realteilung ein und für ein »rigoroses Verbot jedweder Beleihung von Grund und Boden, Verschuldung oder hypothekarischer Belastung«, insbesondere im Erbgang.26 Auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg im August 1929 fand ein Arbeitskreis unter Willikens’ Leitung statt, mit den Referenten Heinrich Himmler von der »Reichsleitung der NSDAP« in München, dem »Gauleiter« von Mecklenburg und ehemaligen Landarbeiter Friedrich Hildebrandt sowie dem »Gauleiter« von Schleswig-Holstein, Hinrich Lohse, der dann im Januar 1930 eine »eigene Bauernorganisation« der NSDAP forderte. Immerhin waren die Bauern damals mit etwa 14 Prozent unter den Parteimitgliedern, bei einem Anteil von etwa 10 Prozent an der Erwerbsbevölkerung, deutlich überrepräsentiert. 1931 veröffentlichte Willikens eine Broschüre Nationalsozialistische Agrarpolitik, ein Text, der »Anfang 1930« verfasst wurde und zu dem Darré im Februar 1931 ein zustimmendes »Geleitwort« beisteuerte.27 Darin setzte sich Willikens mit Argumenten von »links« (Verbraucherinteressen) und »rechts« (Industrie, Handel) auseinander, so wie er es auch im Reichstag tat. Für die Industrialisierung und Weltmarktvernetzung machte er die deutschen Regierungen vor und nach dem Krieg verantwortlich und stellte dem das »Agrarprogramm der Nationalsozialisten« entgegen  : »Bevölkerungspolitisch  – durch deutsches Bodenrecht 25 Lohse, 1927  ; Salomon, 1951, 285 und Thyssen, 1958, 296. 26 NS-Jahrbuch 1929, 144  ; Kenstler an Darré, 10.2.1930 (StAG, NLD, Nr. 94)  ; Rs. Darrés an die LGF, 22.8.1931 (ebd., Nr. 142) und VB v. 22./23.5.1932, 6. Folge d. Landw. Beiblattes  ; VB v. 25./26./ 27.12.1932  ; Stockhorst, 1967, 448  ; Döring, 2001, 289 ff. und Lilla/Döring, 2004, 730 sowie Willikens, 1929 und 1930. 27 Matthiessen, 1980, 90 f. und Willikens, 1931. Darré betonte die »Erhaltung der Lebensfähigkeit der Landwirtschaft« als Garant für die »unbedingte Sicherstellung der Ernährungsgrundlage des Volkes« und als »Lebensmotor im Volkskörper«. Alle weiteren Zitate  : Willikens, 1930, 6, 12, 14, 45 f., 48, 54 f. und 58 f.

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Abb. 20 Werner Willikens (1893– 1961).

und Siedlung zum Sozialismus« und »Ernährungstechnisch  – durch Ernährung aus eigener Scholle zum Nationalismus«. Die Frage »Können wir uns selbst ernähren  ?« bejahte Willikens unter der Voraussetzung, sich an das, was möglich ist, anzupassen (»mehr Roggen, weniger Fleisch«) – wenn nötig auch durch »staatliche Zwangsmaßnahmen«. Die Lücke in der »Fleischund Fett-Versorgung« rechnete und redete er klein und verwies im Übrigen auf die Fähigkeiten, zu »entbehren« und zu »ersetzen«, sowie auf die Möglichkeiten der Produktionssteigerung – wie es von Mussolini in Italien vorgemacht werde. Zur Gewährleistung der Rentabilität in der Landwirtschaft forderte Willikens Preiserhöhungen, Verhinderung einer weiteren Auseinanderentwicklung der finanziellen Belastung der Landwirtschaft und ihren Einnahmen. Die Spanne (»Preisschere«) zwischen Erzeugerpreisen und Kosten für Produktionsmittel müsse geschlossen werden. Freihandel lehnte er ab, er bedeute Abhängigkeit, und Schutzzoll befürwortete er, weil im nationalen Interesse geboten, nach dem Motto  : »Freies Volk auf freier Scholle  !« In der »Raumfrage« plädierte Willikens für ein Recht auf Expansion (»den Boden nehmen«, der gebraucht werde), wobei er darauf hinwies, man dürfe dabei »nicht einseitig den Blick nach Osten richten«, auch »im Westen« liege »schönes Ackerland«. Daneben wird sogar eine aktive Kolonialpolitik befürwortet – beides Positionen, die nicht auf der offiziellen Parteilinie lagen, die auch Darré vertrat. Während Darré »Kleinsiedlung im Sinne Rudolf Böhmers« aus rassenideologischen Gründen ablehnte,

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sah Willikens darin in der Nähe von Großstädten kein Problem. Dafür lehnte er, wie Darré, die »Damaschkeschen Bodenreformbestrebungen« ab. Er forderte ein »deutsches Bodenrecht«, denn der Boden dürfe »nicht zur Ware herabgewürdigt« werden, war auch Willikens überzeugt. Nur »deutsche Volkgenossen« dürften Grund und Boden besitzen, nicht aber »Volks- und Rassefremde«. Willikens trat für eine »berufsständische Vertretung aller Berufsstände« ein und appellierte an die Landwirtschaft, endlich zur »Bildung einer wahren ›Grünen Front‹« zu kommen, um die »völlige Zersplitterung der berufsständischen Kraft des Landvolkes« zu beenden. In dieser Publikation war weitestgehend alles gesagt, was dann in der »Parteiamtlichen Kundgebung über die Stellung der NSDAP zum Landvolk und zur Landwirtschaft« stand. Sie wurde  – von Himmler miterarbeitet und von Hitler unterzeichnet – am 6. März 1930 veröffentlicht und war in Aufmachung, Stil und Sprache als Instrument im Wahlkampf konzipiert.28 Der Text strotzt von den üblichen Klischees  : das »Landvolk« als »Jungbrunnen der Nation«, als »Hauptträger völkischer Erbgesundheit« und »Rückgrat der deutschen Wehrkraft«. Die »überragende Bedeutung des deutschen Bauernstandes für unser Volk« wurde betont und die Bedeutung der Landwirtschaft für die Unabhängigkeit eines Staates herausgestellt. Eine »Steigerung der Leistung der heimischen Landwirtschaft« wurde zur »Lebensfrage für das deutsche Volk« erklärt und für möglich gehalten, damit sich »das deutsche Volk im wesentlichen vom eigenen Grund und Boden ernähren kann«. Um dies zu erreichen, müsse »der Bauernstand wirtschaftlich und kulturell gehoben werden«. Die heimische Landwirtschaft müsse durch Zölle und Einfuhrreglementierung sowie vor »Zinswucher« und »Ausbeutung durch den Großhandel« geschützt werden. Natürlich fehlten die üblichen antisemitischen Ressentiments nicht (»jüdische Weltgeldmacht«  ; der Handel sei »größtenteils in der Hand der Juden«  ; es war auch von »jüdischen Besitzern des Leihkapitals« mit seinen »Wucherzinsen« die Rede). Die Kreditgeschäfte gehörten in die Hand »berufsständischer Genossenschaften«, die auch für die Lieferung von Maschinen, Düngemitteln, Saatgut usw. verantwortlich sowie für die Fortbildung der Bauern zuständig sein sollten. Dabei habe der Staat sie zu unterstützen durch »eine wesentliche Verbilligung der künstlichen Düngemittel und der elektrischen Kraft«. Selbst an die Landarbeiter war gedacht, die »durch sozial ge28 BA, NS 26/962  ; Hopp, 1938, VIII, 10, 31 ff.; Franz, 1963, 535 und Corni/Gies, 1994, 72. Die »Kundgebung« wurde in allen nationalsozialistischen Presseorganen (VB, 7.3.1930) und als Flugblatt in Umlauf gebracht. Sie wurde in der Org.Abt. II der RL der NSDAP in München erarbeitet. Ihr Sprachduktus deutet auf Himmler als Hauptautor hin, der offensichtlich auf die Publikationen von Willikens zugegriffen hat (Hierl, 1954, 64 und Rs. Darrés an die LGF v. 24.9.1931, in dem er den RF-SS als seinen »Vorgänger bei der Reichsleitung als landwirtschaftlicher Reichsleitungsfachberater« bezeichnete [StAG, NLD, Nr. 142]). Es ist erstaunlich, dass Longerich (2008, 88 ff. und 109 ff.) zwar Himmlers Kompetenz (Diplom-Landwirt und »Artamane«) erwähnt, auch seine Aktivitäten in agrarpolitischen Fragen (»Bauernagitator« in Niederbayern) darstellt, die »Kundgebung« vom 6.3.1930 aber völlig ausblendet. bzw. übersieht.

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rechte Arbeitsverträge in die bäuerliche Berufsgemeinschaft einzugliedern« seien und die eine »Aufstiegsmöglichkeit zum Siedler« erhalten sollten. Wie von Willikens, so wurden auch in dieser »Kundgebung« ein »deutsches Bodenrecht« und eine »deutsche Bodenpolitik« gefordert. Das Privateigentum als »erbliches Eigentum« wurde »anerkannt«, mit der Einschränkung, »den Boden auch zum Wohle des Gesamtvolkes zu nützen«. Ein »Recht auf Enteignung gegen angemessene Entschädigung« wurde eingeräumt, aber eingegrenzt 1. auf Land, »das nicht im Besitze deutscher Volksgenossen sich befindet«  ; 2. im Falle »verantwortungsloser Mißwirtschaft«  ; 3. auf Siedlungsland aus Großgrundbesitz in »Teilen«, die vom Besitzer nicht selbst bewirtschaftet werden  ; und schließlich 4. auf Land für besondere staatliche Zwecke wie »Verkehrseinrichtungen und Landesverteidigung«. Der Staat werde »in dem von uns erstrebten zukünftigen Reiche« ein Vorkaufsrecht auf Grund und Boden erhalten, dessen Verpfändung »an private Geldgeber verboten« sein werde. »Durch eine Bodenertragssteuer wird eine weitere staatliche Besteuerung des landwirtschaftlichen Bodens und Betriebes hinfällig.« In der Frage landwirtschaftlicher Besitzgrößen nahm die »Kundgebung« – wie auch Hitler selbst – eine neutrale Position ein  : Kleine und mittlere Höfe wurden aus bevölkerungspolitischen Gründen für notwendig gehalten, Großbetriebe aus ernährungswirtschaftlichen. Sie seien »im gesunden Verhältnis zum Mittel- und Kleinbetrieb berechtigt«. Die »Grenzlandsiedlung im Osten« wurde in der »Kundgebung« als »vor allem wichtig« erklärt und genügend Land für ein rentables Wirtschaften solle den Siedlern als »Erblehen« zur Verfügung gestellt werden. Von Kolonien war nicht die Rede, wohl aber wurde auf die Zuständigkeit »der deutschen Außenpolitik« hingewiesen, »Ernährungs- und Siedlungsraum im großen für das wachsende deutsche Volk zu schaffen«. Wenn sich »landwirtschaftliche Arbeit wieder lohne«, werde die »Landflucht beseitigt« werden können, auch deshalb, weil einer »weiteren Verschuldung der Landwirtschaft« durch »gesetzliche Herabsetzung des Zinsfußes […] Einhalt getan werde«, gab sich die »Kundgebung« überzeugt. Schließlich wurde noch eine Breitseite gegen die bisherige landwirtschaftliche Interessenpolitik abgefeuert  : Es sei ein »Verbrechen« an der »deutschen Schicksalsgemeinschaft, […] Landvolk und Städter gegeneinander zu hetzen, die beide doch auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind«. Deshalb  : »Berufsständische Wirtschaftsorganisationen können dem Bauernstand nicht durchgreifend helfen, sondern nur die politische deutsche Freiheitsbewegung der N.S.D.A.P.« Dafür, dass dieses Agrarprogramm der NSDAP die Interessen von Schweinemästern in Oldenburg und rheinhessischen Winzern, Roggen anbauenden Gutsbesitzern in Mecklenburg und Bauern von der Schwäbischen Alb, bäuerlichen Mischbetrieben in Thüringen und auf Kartoffeln spezialisierten Höfen in Brandenburg, Milch-, Butter- und Käsebauern in Bayern und fränkischen Waldbaronen berücksichtigen musste, war es bemerkenswert konkret. Es war geschickt auf die Bedürfnisse, Hoffnungen und Wünsche des »Landvolkes« zugeschnitten  – einschließlich bedeutsamer Steuerprivi-

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legien und Subventionen. Auffallend ist, dass der Begriff »Bodenreform« nicht vorkommt und dass auf ein rassistisches Vokabular völlig verzichtet wird  – von antisemitischen Seitenhieben abgesehen. Das konnte auch bei Willikens schon beobachtet werden. Obwohl sie nie mehrheitsfähig war, bot die agrarpolitische Programmatik der NSDAP bis 1930 für Darré trotzdem einen glänzenden Anknüpfungspunkt, um seine rassistische »Blut und Boden«-Ideologie in die »Hitler-Bewegung« einzubringen. Deshalb konnte er der »Kundgebung«, nachdem sie ihm von Kenstler besorgt worden war, auch »Wort für Wort« zustimmen. Eigentlich sprang er auf einen fahrenden Zug auf. Aber das, was Darré ab Juni 1930 von München aus aufzog, erreichte doch eine andere agitatorische, organisatorische und programmatische Dimension. Fast zur gleichen Zeit, als Otto Strasser mit der NSDAP brach und der Stern Gottfried Feders zu sinken begann, trat Darré in den Beraterkreis Hitlers ein. Damit wurde die Konzeption des »nationalen Sozialismus« in der NSDAP entscheidend geschwächt und weiter Stück für Stück abgebaut. An ihre Stelle trat – neben der Annäherung an marktwirtschaftliche Strukturen einer Industriegesellschaft – eine Bauerntumsideologie, die wesentlich rassenideologisch motiviert war.29 Darrés »Agrarpolitischer Apparat« und seine Bedeutung für die Machteroberung Hitlers und der NSDAP Die »Parteiamtliche Kundgebung« der NSDAP vom März 1930 war zwar eine gute Voraussetzung für seine Arbeit, aber Darré hatte weitere Pläne. Sie waren in der Zeit entstanden, als er noch mit Kenstler und Ziegler in Weimar darüber beraten hatte, ob er seine Tätigkeit für die NSDAP von Thüringen oder von München aus gestalten sollte. Da man in München noch nicht wusste, wo man den neuen Mitarbeiter unterbringen sollte – Organisationsabteilung I unter Gregor Strasser oder II unter Konstantin Hierl –, neigte Darré zunächst mehr nach Weimar. In Sachsen war demnächst mit einem Wahlerfolg der NSDAP zu rechnen, wofür allerdings die Strategie der »Landvolkpartei« durchkreuzt werden musste, die NSDAP als eigentums- und bauernfeindlich hinzustellen. Außerdem warben Kenstler, der Pläne für eine reichsweite »Bauernrevolte« verfolgte, und Ziegler für Weimar, schließlich lag die Stadt zentraler als die bayerische Hauptstadt und ihre Bedeutung für die »Hitler-Bewegung« konnte aufgewertet werden. Darré sah mit beiden zunächst Mitteldeutschland als »geopolitisches Zentrum« des völkischen Lagers an und wollte von dort aus Schulung und Agitation von Propagandisten auf dem Lande steuern. Aber nach einer weiteren Unterredung mit Hitler in Gera anlässlich eines Gauparteitages und als die Finanzierung seiner Stelle gesichert 29 Darré an Ziegler, 16.3.1930 (StAG, NLD, Nr. 87) und Kenstler an Darré, 11.4.1930 (ebd., Nr. 94).

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war, stand sein Arbeitsplatz in der Reichsleitung der NSDAP in München fest. »Damit sitze ich in agrarpolitischen Fragen tatsächlich an der maßgeblichen Stelle der Partei«, fand er.30 Rückblickend schilderte Darré die bescheidenen Arbeitsbedingungen in der Schellingstraße 50 mit leicht ironischem Unterton, weil sie so gar nicht dem Bild entsprachen, das die Partei damals verbreitete.31 Auf einer Wohnungsetage habe er eher das Büro eines Provinzvereins vorgefunden als die Zentrale einer reichsweit agierenden »Bewegung«, von der Hitler gesprochen hatte. Die beiden »Reichsorganisationsleiter« der NSDAP residierten in einem einzigen Zimmer. Während Strasser selten da war, habe Hierl, dem Darré zugeordnet wurde, alle Hände voll zu tun gehabt mit dem Kleinkram seiner Zuständigkeiten bei Mitzeichnungen, Unterzeichnungen, Vorträgen etc. […]. In Ordnung war eigentlich nur das Kassen- und Personalkarteiwesen, das der alte Schwarz [Schatzmeister der Partei] zwar sehr selbstherrlich aber mit der Genauigkeit des alten Militär-Zahlmeisters fest in der Hand hatte. Alles übrige schwamm völlig.

Sein Vorgesetzter Hierl habe sich ausgezeichnet durch »einen hausbackenen Verstand, dem jeder höhere Geistesflug fehlte […]«. Es war in doppelter Hinsicht eine beschränkte Atmosphäre, die Darré in der Reichsleitung der NSDAP vorfand. Noch war nichts zu spüren von dem äußeren Glanz, mit dem sich die Zentrale der Partei in der Brienner Straße 34, dem »Braunen Haus«, seit 1931 umgab. Über dem Eingang des ehemaligen Palais Barlow prangte die Inschrift »Deutschland erwache  !« Aufbau und Struktur der Organisation

Schon in Weimar hatten Darré und Kenstler an eine Organisation gedacht, »die jederzeit einen Überblick über die Lage ermöglicht und sofortige Maßnahmen gegebenenfalls möglich macht«. Am 15. August 1930 legte der neue Agrarexperte der NSDAP zwei Denkschriften vor, in denen er Vorstellungen und Vorschläge seiner weiteren Arbeit zusammenfasste  : 1. »Entwurf für einen Plan für das Arbeitsgebiet einer agrarpolitischen Abteilung bei der NSDAP« und 2. »Entwurf für den Plan  : Ausbau eines agrarpolitischen Netzes über das Reichsgebiet«.32 Darré stellte zwei Fragen  : 30 Darré an seine Frau, 25.5.1930 (IfZ, NL-Bauer)  ; an Ziegler und Kenstler, 28.5.1930 (StAG, NLD, Nr. 94) und an Lehmann, 3. und 19.7.1930 (ebd., Nr. 437). Außerdem Darré an Reischle, 23.10.1938 (BA, BDC, Ordner Reichsnährstand B–D) und KühnL, 1966, 64 ff., 248 ff. 31 Aufzeichnungen, die Darré 1948 in Untersuchungshaft in Nürnberg zu Papier brachte und »Drehbühne« nannte  : Kopie des Originals, das der Verf. bei Frau Darré einsehen konnte und ein weiteres Exemplar (IfZ, NLD, ED 110) sowie Darré an Konopath, 27.8.1930 (StAG, NLD, Nr. 87). 32 Darré an Kenstler, 2.3.1930 (StAG, NLD, Nr. 94)  ; BA, NLD Darré, AD 45 und Nürnberger Dok., Fall XI, Ankl. Dok. Buch 101, NG-448, Exh. 999 sowie – auch für das Folgende  : Gies, 1966, 37 ff.; Gies,

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Wie ist der Bauer im zukünftigen Reiche in den Volkskörper einzugliedern, so daß seine zwei Hauptaufgaben am Volkskörper gewährleistet sind, nämlich a) Ernährer des Volkes zu sein b) Lebensquell in blutswertlicher Hinsicht für das Volk zu sein. Wie ist die heutige Lage der Bauern dem jetzigen Staate gegenüber zu beurteilen  : a) im Hinblick auf seinen Schutz bzw. Selbstschutz b) im Hinblick darauf, wie der Bauer zum Sturze des heutigen Systems einzusetzen ist.

Zur »Stellung des Landstandes in einem organisch gegliederten Staate« führte Darré näher aus  : »Ein Staat, der in seiner Ernährung vom Ausland abhängig ist, ist kein in sich ruhender und von seinem eigenen Willen abhängiger Volkskörper.« Die Notwendigkeit einer Ernährungsautarkie aber bedinge, im Landstand »den Lebensmotor für den Volksorganismus«, die Voraussetzung aller Wirtschaft überhaupt und den »Eckstein des Staatsaufbaus« zu sehen. Dies werde auch an der zweiten Aufgabe des Landstandes im Staate sichtbar  : »Blutserneuerungsquell für das ganze Volk« zu sein. Die bevölkerungspolitische Statistik zeige, dass die Städte »Blut- und Rasseverbraucher« seien und dass der »Blutstrom des Volkes vom Land zur Stadt« fließe. Aus beiden Feststellungen, die den »Bauernstand« sowohl auf ernährungswirtschaftlichem wie auf bevölkerungspolitisch-rassenhygienischem Gebiet als »Lebensmotor des Volkskörpers« verstanden, folgerte Darré vier Aufgaben  : 1. seine staatsrechtliche Sicherung als »Urstand des Volkes«  ; 2. eine betriebswirtschaftliche, handwerkliche und ideologische Schulung und Ausbildung der Bauern durch den Staat  ; 3. Familien- und Geschlechterschutz mit Hilfe eines »deutschen« Familien- und Erbrechtes, das »gesunde Eheschließungen« und »Schollenverwurzelung« des Bauerntums gewährleiste  ; 4. die Sicherung von Grund und Boden in außenpolitischer Hinsicht. Es ist offensichtlich, dass hier ein Ideologe sprach, der seine Argumente – trotz mancher sachlicher Übereinstimmungen mit dem Praktiker Willikens und der propagandistischen »Kundgebung« vom März 1930 – mit einem biologistischen Vokabular vortrug, das seine rassistische Motivation nicht verbergen wollte. Und selbst bei der vierten Aufgabe, die sich an Hitlers Position, »Lebensraum« im Osten Europas zu erobern, anlehnte, kam Darré nicht ohne rassenideologische Begründung aus  : »Nur von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus, dem der Gedanke von Blut und Boden gleichgültig ist und der sich nur für Rohstofferzeugung interessiert, können Kolonien zur Hauptsache werden.« Demgegenüber komme es aber bei einem »organischen« Staatswesen einzig und allein auf »nationalbiologische« und »geopolitische« Gesichtspunkte an. Das Ostproblem in seinem ganzen Umfange ist die Schicksalsfrage der Zukunft für unser Volk […]. Im Osten schicken sich zwei ganz große Völker an, einen Kampf auf Leben und 1967, 341 ff. und Corni/Gies, 1994, 71 ff. sowie Farquharson, 1976, 13 ff.; Thamer, 1986, 163 f. und Pyta, 1996, 353 ff.

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Tod […] auszufechten  : Slawen und Germanen. […] Auf diesen Kampf hin muß unser Volk geschult werden. […] Der Gedanke von Blut und Boden bedingt den Gedanken von Blut und Schwert.33

Darrés zweite Leitfrage bezog sich auf Möglichkeiten, wie der »Landstand im heutigen Kampf um den Staat im revolutionären Sinne eingesetzt werden« könne. Hier konnte er auf einen Gedanken zurückgreifen, den er schon mehr als ein Jahr früher seinem Verleger Lehmann mitgeteilt hatte, dass nämlich ein »rücksichtslos geführtes, frondierendes Bauerntum in kurzer Zeit jeden städtischen Marxismus lahmzulegen vermag.« Nun ergänzte er diese Einschätzung noch um den »Nahrungszufluß durch Warenbeförderungsmittel und Verkehrsnetz«. Wer diese Gegebenheiten in der Hand habe, beherrsche die Stadt (und wohl auch den Staat), indem er »jederzeit mittelbar (Streik) oder unmittelbar (Verkehrssperre) die Ernährung der deutschen Städte unterbinden« könne. Es nütze der NSDAP nichts, wenn sie nur die Städte beherrsche, erst wenn sie die Nahrungsmittelerzeuger, also die Bauern, unter ihrer Kontrolle habe, sitze sie machtpolitisch am längeren Hebel. Daher müsse die NSDAP das »Landvolk« gewinnen. »Zum eigenen Schutz, um sich beim Kampf um den Staat keine […] tödliche Blöße zu geben«, und »als Waffe gegen eine verstädterte Republikregierung. […] Denn einem Nahrungsmittelboykott, der Hand in Hand mit städtischen Nationalsozialisten organisiert wird, ist auf die Dauer kein Maschinengewehr der Schutzpolizei oder Reichswehr gewachsen.« Im August 1930, als dieser Gedanke geäußert wurde, erwartete Darré in den Septemberwahlen höchstens etwa 60 Reichstagsabgeordnete für die NSDAP.34 Die Möglichkeit einer legalen Eroberung der Macht, wie sie Hitler öffentlich bekundete, erschien ihm mehr als utopisch. Als die Partei aber 107 statt der bisherigen zwölf Reichstagsmandate erhalten hatte, schien der legale Weg einer Lähmung und Unterwanderung der bestehenden staatlichen Institutionen gangbar und Erfolg versprechend zu sein. Er wurde von Darré in strikter Loyalität zu Hitler auch beschritten, obwohl er die Idee eines putschistischen Nahrungsmittelboykotts nicht aus den Augen verlor. In der zweiten Denkschrift machte sich Darré Gedanken, wie »die Bauernschaft Deutschlands so zu organisieren [sei], daß sie zu einer Waffe von einschneidender Bedeutung im innenpolitischen Kampf um den Staat wird«. Dabei seien die »heimatund blutsbewußten« regionalen Mentalitäten zu berücksichtigen, die sich städtischen Agitationsrednern verweigerten. Darré schlug der Partei eine Organisation vor, »die sich einmal der entlegensten Sonderheiten landständischen Lebens anzuschmiegen 33 Vgl. auch Hitler  : »Raumpolitische Nationen sind zu allen Zeiten Bauern- und Soldatenvölker gewesen. Das Schwert schützte den Pflug und der Pflug ernährte das Schwert.« (Hitler, 1939, 96). 34 Darré an Lehmann, 15.12.1929 (StAG, NLD, Nr. 437) und an Frau von Quast, 27.8.1930 (StAG, NLD, Nr. 85).

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versteht, aber andererseits doch wieder so fest in der Hand der Parteileitung bleibt«, dass deren »programmatische Richtlinien […] bis in den entlegensten Winkel des Reiches einheitlich propagiert« werden. Deshalb sollte die neue Organisation eng an die der NSDAP angelehnt werden  : »Landwirtschaftliche Fachberater« sollten »vom Gau bis zum Ort« den politischen Leitern an die Seite gestellt werden. Sie sollten eine doppelte Aufgabe erfüllen  : einmal ihren unmittelbaren Vorgesetzten im politischen Tageskampf helfen, gleichzeitig aber auch mit ihrer Reichsleitung in Kontakt bleiben, zur beiderseitigen Information und Koordination der Arbeit. Dort werde das »einlaufende Erfahrungsmaterial gesichtet und als agrarpolitische Erfahrungstatsache des innenpolitischen Kampfes allen landwirtschaftlichen Fachberatern im Reiche« als »einheitliche Richtlinien« mitgeteilt werden. Ein solches Netz von Funktionären, die für den »landwirtschaftlichen Reichsleitungsfachberater« gleichzeitig Informanten waren und von ihm Instruktionen entgegennahmen, war nicht nur eine Erfolg versprechende Idee, sondern erklärt auch den zunächst eigenartig anmutenden Namen der Organisation  : »Agrarpolitischer Apparat« (ApA) der NSDAP. Er sollte im Kampf um die Macht »eine Waffe [sein], um im agrarpolitischen Angriffs- und Abwehrkrieg schnell und nachdrücklichst verwandt zu werden«. Mit dieser militaristischen Sprache glaubte Darré sowohl bei seinem »Büroobersten« Hierl als auch bei Hitler Eindruck zu machen. Dies gelang offenbar so gut, dass Darré kaum eine Woche später mit dem Aufbau der Organisation beginnen konnte. Am 21. August 1930 erging von der »Organisationsabteilung II der Reichsleitung der NSDAP, Abt. Landwirtschaft« eine Aufforderung an die Gauleiter, entsprechende Initiativen zu ergreifen. Auch auf Kreis- und Ortsebene solle geeignetes Personal rekrutiert werden. So sollte ein »Netz von Vertrauensleuten« aufgebaut werden, das aus dem »Landwirtschaftlichen Reichsleitungsfachberater« (LRF), »Gaufachberatern« (LGF), »Kreisfachberatern« (LKF) und »Ortsgruppenfachberatern« (LOF) bestehen sollte. Es war eine ebenso einfache wie naheliegende Idee, die Parteiorganisation zu benutzen, um einen schlagkräftigen agrarpolitischen Funktionärsapparat – nach 1945 sprach Darré von einer »Wahlkampfmaschine« – aufzubauen.35 Der ApA der »Fachberater« solle 35 »Drehbühne des Dritten Reiches«. Aufzeichnungen 1945–1948. IfZ, NLD, ED 110, Bd. 1, Bl. 149 ff. Von Fall zu Fall wurden noch »Landes-, Provinz-, Bezirks- und Abschnittsfachberater« bestellt (für mehrere Gaue oder wenn ein Gau in einzelne Provinzen aufgeteilt war [Westfalen, Hessen] oder wenn in einem Gau die Bevölkerung zu heterogen war [Konfession, Mentalität usw.]). Außerdem sollten »Vertrauensleute« (LVL) auf Gütern, in Vereinen oder Verbänden tätig werden (Rs. Darrés v. 13.10.1931, StAG, NLD, Nr. 142). Als in der PO »Landesinspektoren« zur Koordination der GL eingerichtet wurden, musste auch im ApA (Rs. Darrés v. 26.9.1932, StAG, NLD, Nr. 145) die Stelle eines Landschaftlichen »Landesfachberaters« geschaffen werden. Es wurde aber sofort betont, sie seien keine Vorgesetzten der GL sondern nur Koordinatoren in einem Land, in dem es mehrere Gaue gab (SRs. Darrés, 19.1.1933, StAG, NLD, Nr. 140). Auch für Österreich gab es schon ab 1931 mit Anton Reinthaller einen LLF (Rs.

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wie ein fein verzweigtes Wurzelsystem in alle ländlichen Verhältnisse eindringen, sich in ihnen so festsaugen […], daß im Reichsgebiet schließlich nichts mehr […] geschehen kann, was wir nicht übersehen und […] beherrschen. Es darf keinen Hof, kein Gut, kein Dorf, keine Genossenschaft, keine landwirtschaftliche Industrie, keinen Landbundkreis, keinen ländlichen Reiterverein usw. usw. geben, wo wir nicht unsere Vertrauensleute derart maßgeblich hineingebracht haben, daß wir nicht sofort das ganze Leben dieser Gebilde lahmzulegen vermöchten.

Weniger die Begründung, es gelte, »die Ernährungsgrundlagen des deutschen Volkes« zu sichern und »Hungerblockaden schnell und sicher parieren« zu können, wird die Adressaten überzeugt haben, als der Hinweis, es gehe um Agitation und Propaganda zur Gewinnung ländlicher Wähler.36 Jeder regional aktive Parteigenosse war an einer Unterstützung seiner Arbeit interessiert und ein Instrument aufzubauen, das der Partei im politischen Kampf mit den Agrarverbänden zur Verfügung stehen würde, konnte auch nicht schaden. Darrés »idealer Lösung« allerdings, in jedem Gau einen »hauptamtlich angestellten« Fachberater zu installieren, wurde – wohl aus finanziellen Gründen – nicht entsprochen. Die Gauleiter wurden angewiesen, sich einen »zuverlässig erscheinenden Landwirt« zu suchen und ihn als »ehrenamtlich wirkenden Fachberater« zu gewinnen. Durch Rundschreiben ergingen die Informationen und Weisungen vom LRF an die LGF, die ihrerseits die Untergliederungen im Gau zu unterrichten hatten. Ein hauptamtlich eingestellter Geschäftsführer, Diplom-Landwirt Richard Arauner, den Darré während seines Studiums in Gießen kennengelernt hatte, leitete das Zentralbüro des ApA in der Reichsleitung der NSDAP in München.37 Darré versäumte nicht, »Richtlinien« für die Auswahl der neuen agrarpolitischen Mitarbeiter der NSDAP zu benennen. Sie sollten »Bodenständigkeit nachweisen« und sowohl das Vertrauen ihrer regionalen Vorgesetzten besitzen als auch das ihrer Berufskollegen. An »alte Kämpfer« war nicht gedacht, sondern an erfahrene Praktiker aus der Landwirtschaft, Dorfautoritäten eben, die Teil des jeweiligen sozialen Milieus waren.38 »Geistige Regsamkeit« und »Gewandtheit des Auftretens« müssv. 24.10.1931, StAG, NLD, Nr. 142). Und Anfang 1933, als die Machteroberung in ihrer entscheidenden Phase war (Darré  : »Die Stunde der nationalen Revolution ist da«), wurde in Bayern am 20. »Lenzing (März)« 1933 mit dem LGF Luber ein LLF berufen (StAG, NLD, Nr. 138). Außerdem Rs. Darrés an die LGF v. 27.11.1930 (BA, NS 26/951)  ; 24.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142)  ; Rs. v. 13. und 28.2.1933 sowie AO Darrés v. 20.3.1933 (ebd., Nr. 138). 36 Hierl und Darré an die GL, 21.8.1930 (BA, NLD, AD 45). 37 Arauner (1902–1936) hatte als Mitglied im »Bund Oberland« am Hitler-Ludendorff-Putsch teilgenommen und war bei seiner Einstellung arbeitslos (Arauner an Darré, 9.3.1926 [StAG, NLD, Nr. 81] und Dornheim, 2011, 77). Für das militant revolutionäre Kalkül spielten natürlich auch die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg eine Rolle  : »[…] soll diese Organisation dazu dienen, daß Hungerblockaden, die von außen- oder innenpolitischer Seite versucht werden, durch eine nationalsozialistische Landwirtschaft schnell und sicher pariert werden.« (BA, NLD, AD 45 und Slg. Schumacher/214, ebd.). 38 Ein besonders gutes Exempel für das, was sich Darré als LGF wünschte, war Johann Deininger. Er war

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ten es ermöglichen, dass sie »sowohl Standesgenossen gegenüber die Parteifragen, wie Parteigenossen gegenüber Landwirtschaftsfragen vertreten« könnten. Auch »schriftstellerische« Fähigkeiten für die Pressearbeit sollten sie mitbringen. Nach dem unerwarteten RT-Wahlausgang im September 1930 verschob sich das Aufgabengebiet der LGF, LKF und LOF in Richtung Unterwanderung der etablierten agrarischen Interessenvertretungen  : Jeder Fachberater muß sich als eine Art von »Auge und Ohr der Reichsleitung« fühlen, d. h. zu erforschen suchen, welche Nöte und Sorgen die ländliche Bevölkerung seines Arbeitsgebietes bedrücken, welche Hoffnungen und Wünsche diese Bevölkerung erfüllen, welche örtlichen, stammesmäßigen und landschaftlichen Besonderheiten bei der agrarpolitischen Propaganda der NSDAP berücksichtigt sein wollen. Eine wichtige Aufgabe entsteht jedem Fachberater dadurch, daß er unbedingt jede nichtnationalsozialistische Organisation, gleichgültig welcher Art, als eine zu erobernde Festung betrachten muß, sodaß sie eines Tages als nationalsozialistisches Gebilde dasteht. Jeder Fachberater muß sich in seinem politischen Arbeitsgebiet die diesbezügliche Lage klarmachen und sich über Angriffsziel und Angriffsweg klar werden. Er hat seinem zuständigen Gaufachberater seinen Plan darzulegen, und letzterer hat dann die Aufgabe, im einheitlichen Zusammenspiel aller Fachberater seines Gaues und gegebenenfalls mit Unterstützung des landwirtschaftlichen Fachberaters bei der Reichsleitung und der Nachbargaue die Eroberung anzusetzen und durchzusetzen.39

Vergegenwärtigt man sich, dass Ende 1930 die politische Organisation der NSDAP 35 Gaue umfasste, deren Grenzen an den RT-Wahlkreisen orientiert waren, werden die Dimensionen der Aufgabe Darrés und die Größe des Funktionärskaders des ApA deutlich. Man kann annehmen, dass 1932, als der ApA aufgebaut war, ihm mehr als 5000 ehrenamtlich tätige Mitarbeiter angehörten. Umso erstaunlicher ist es, dass Darré schon am 9. Januar 1931 berichten konnte, es sei gelungen, den ApA »in allen Gauen weitgehend auszubauen«. Das mag aus Zweckoptimismus übertrieben gewesen sein, aber Darré war mit dem ApA zweifellos eine außergewöhnliche organisatorische Leistung gelungen. In diesem »Rechenschaftsbericht«, der an alle maßgeblichen Stellen in der Partei verschickt werden sollte, vergab Darré für alle Gaue Noten in sechs Rangstufen, vom höchsten Lob bis zum härtesten Tadel. Das war sicherlich als Anreiz mit 25 Jahren schon Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Burtenbach im schwäbischen Landkreis Memmingen (Bayern), gehörte zunächst der DNVP an und sympathisierte mit dem »Bayerischen Bauernbund«. Deininger war Mitglied der Bezirksbauernkammer, wurde LKF, dann LGF in Schwaben und MdR (Zofka, 1979, 111 u. 117 f. sowie Gespräch mit d. Verf. mit Deininger). Vgl. auch Pyta, 1996, 359. 39 »Der nationalsozialistische landwirtschaftliche Fachberater«, Merkblatt, hg. v. d. Org.Abt. II, Abt. Landwirtschaft, 17.11.1930 (BA, Slg. Schumacher/214)  ; SRs. Darrés an die LGF, 12.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 142)  ; AO Strassers, 23.6.1932 (ebd., Nr. 159)  ; SRs. Darrés, 27.7.1932 (ebd., Nr. 142)  ; Rs. Darrés v. 3.8.1932 (ebd., Nr. 145)  ; Rs. Darrés v. 26.9.1932 (ebd.) und AO Darrés v. 5.1.1933 (ebd., Nr. 138).

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gedacht, dürfte dem »jungen Mann« in München bei den »alten Kämpfern« in den Gauleitungen aber kaum Sympathien eingebracht haben, besonders in den Gebieten nicht, die angeprangert wurden, noch nicht zu einer »agrarpolitischen Tätigkeit« gekommen zu sein.40 Mit dem Gau Sachsen konnte Darré auf die besonders erfolgreiche Arbeit seines LGF Helmut Körner hinweisen. Er beschäftigte 1932 sieben Sachbearbeiter (für die Themen  : LK, LB, Genossenschaften u. a.) und neun Hilfsreferenten (u. a. für Pressearbeit). Sein ApA umfasste 34 KBF, es gab etwa 40 Agitatoren (»Redner«) und mehr als 1000 LVL. Sie arbeiteten eng mit den 22 NS-Vertretern in der Landwirtschaftskammer und den Parlamentariern im Landtag und im Reichstag zusammen. Körner berichtete »[…] ich kann wohl sagen, daß agrarpolitisch nichts in Sachsen geschieht, von dem ich nicht sofort Kenntnis erhalten würde. Der Gegner wird also vollkommen überwacht.« Es sei ihm »natürlich auch möglich, die gesamte Landwirtschaft Sachsens binnen 24 Stunden mit einer bestimmten Meldung zu versehen und entsprechende Pfeile zu verschießen.«41 So wollte es Darré haben. Der LRF sah in seiner Funktion im ApA insbesondere auch eine »Erziehungsaufgabe«. In seinen Rundschreiben, von denen manchmal mehrere täglich verschickt wurden, verteilte er Lob und Tadel. Er spornte seine Mitarbeiter durch Hinweise auf Vorbilder sowie Mittel und Wege an, die sich woanders bewährt und zum Erfolg geführt hatten. Er appellierte an ihren Ehrgeiz und machte sie auf ihre Verantwortung für Hitler und die »Bewegung« aufmerksam. Er formulierte orientierende Zielvorgaben, rief zur Wachsamkeit auf und gab Ratschläge und Argumentationshilfen in tagespolitischen Fragen. Er verschickte Bücher, Broschüren, Informations- und Diskussionsmaterial. Er gab Literaturhinweise und appellierte an Solidarität und Kameradschaft. Er munterte auf und verwies bei Problemen auf Lösungen, die anderswo gefunden worden waren. Und er machte sich selbst ein Bild ›vor Ort‹ auf »Inspektionsreisen« und in den Wahlkämpfen. Auch »Bauernschulungskurse« wurden – besonders im Winter – vom ApA angeboten.42 40 Rechenschaftsbericht Darrés v. 9.1.1931 (StAG, NLD, Nr. 148, BA NS 22/449 und BA, Slg. Schumacher/214). Schon am 27.11.1930 stellte Darré fest, alle Gaue hätten nun »ihren LGF« (BA, NS 26/951). Gelobt wurden 15 Gaue (u. a. Brandenburg, Mecklenburg, Hannover, Pommern, Schlesien, Thüringen, Weser-Ems und Westfalen). Getadelt wurden neun Gaue (u. a. Ostpreußen und Schleswig-Holstein). Von Juli bis September 1931  führte Max Luyken, Landwirt/Geflügelzüchter aus Wesel/Niederrhein, LGF in Essen und MdR für die NSDAP seit 1930, Inspektionsreisen im Rheinland durch, über die er Darré berichtete (BA, R 16 I, 2028 und NS 22/450 sowie Rs. Darré v. 11. »Hartung« 1932, ebd., Nr. 360). Eine Liste der LGF (Stand  : Juni 1932  : BA, NS 26/953). 41 Tätigkeitsbericht Körners für 1932 (StAG, NLD, Nr. 140). Vgl. auch den Monatsbericht des LGF Hessen-Darmstadt, Dr. Wagner, der von Darré in Rs. v. 13.10.1931 als beispielhaft bekannt gemacht wurde (StAG, NLD, Nr. 142), und dessen Jahresbericht für 1931 (BA, NS 22/1053). Liste aller LGF, Stand Juni 1932  : BA, NS 26/953. 42 »Einige LGF glauben der Aufgabe des Angriffs auf den Landbund dann enthoben zu sein, wenn sie mir die örtlichen Schwierigkeiten in ihrem Gaubezirk in dieser Hinsicht darlegen. Hätte Adolf Hitler […]

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Aber auch »Auslese« gehörte zum Repertoire von Darrés »Erziehungsarbeit« an seinem ApA. Zwar wurden das Führerprinzip strikt durchgehalten und Dienstanweisungen und Anordnungen zentral gesteuert. Aber vieles musste wegen regionaler, ja örtlicher Besonderheiten den Funktionären ›vor Ort‹ überlassen werden. Mit kritischen Bemerkungen zur geleisteten Arbeit, bei Trägheit, mangelnder Flexibilität im Handeln und Verständnisblockaden, bei Nachlässigkeiten oder gar Interesselosigkeit wurde keineswegs gespart.43 Mehrfach betonte Darré die »Notwendigkeit der Auslese und der Ausmerzung ungeeigneter Kräfte«. »Fachberater« auf allen Ebenen und andere Funktionäre wurden gefeuert und ausgewechselt, weil es Unstimmigkeiten, Intrigen, unsolidarische Verhaltensweisen und persönliche Unzulänglichkeiten gegeben hatte.44 Als krönenden Abschluss der Aufbauphase des ApA plante Darré, mit einer großen Bauernkundgebung an die Öffentlichkeit zu treten. Er dachte dabei an eine Tagung aller LGF mit den agrarpolitisch interessierten Abgeordneten der NSDAP in den Landtagen und im Reichstag. »Das Ziel der Tagung muß sein, mit einem Schlag in der Öffentlichkeit das Märchen zu zerstören, die NSDAP treibe alle landwirtschaftlichen Fragen nur lau vorwärts.« Außerdem wollte der LRF seine neuen Mitarbeiter so gedacht, dann […]. Widerstände sind dazu da, um überwunden zu werden. Wir kämpfen nirgends gegen Götter. Wo aber Menschen im politischen Kampf miteinander ringen, entscheidet der härtere Wille. Wer diesen harten Willen nicht hat und Widerständen lieber aus dem Weg geht, der sei bitte wenigstens so anständig und trete als LGF rechtzeitig ab, damit er den Siegeslauf unserer Bewegung nicht unnötig aufhält.« (Rs. Darrés an die LGF, 16.12.1930, BA, NS 26/951). Einen guten Eindruck davon, wie Darré seine Eindrücke auf diesen Inspektionsreisen festhielt, kann man in seinem Bericht v. 8.9.1931 erhalten (BA, NS 22/360). Zu den »Bauernschulungskursen« vgl. Rs. Darrés v. 15.12.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). 43 Der LGF in Württemberg wurde gerügt, weil zur LT-Wahl 1932 keine eigene Liste zustande gekommen war  ; ein LKF in Hessen-Nassau erhielt einen ›Anpfiff‹, weil dort eine zu schlechte Verbreitung der NSL festgestellt wurde. 44 Rs. Darrés an d. LGF v. 21.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Zwei Beispiele  : Darré legte sich mit Walther von Corswant-Cuntzow ( Jg. 1886) an, weil der angesehene Gründer der NSDAP in Pommern (Pg. seit 1925) und GL (1927–1931) auf seinem Gut bei Greifswald polnische Saisonarbeiter beschäftigte und nicht deutsche Landarbeiter bzw. »Artamanen«. Und er feuerte seinen Mitarbeiter Dietrich von Stetten, weil er in ihm einen »Verräter« in der Strasser-Krise sah. Stetten, seit April 1932 Fachreferent für Geflügelwirtschaft bei Darré in München, war als »Verbindungsmann« bzw. »Nachrichten-Offizier« nach Berlin geschickt worden. Beim Wechsel der Regierung von Papen zu Schleicher habe er Gerüchte gestreut, Darré wolle RMEL werden. Dies hätte eine Zusammenarbeit mit Strasser vorausgesetzt – eine absurde Konstruktion. Nun sah Darré – immer misstrauisch – in Stetten auch eine »undichte Stelle«, über die unangenehmes Material über ihn an die Presse gelangt sei. Er wurde sofort entlassen. (SRs. Darrés v. 19.1.1933, StAG, NLD, Nr. 140 und Nr. 159 sowie Reibnitz [LGF Schlesien] an Darré, 21.1.1933, BA, BDC, RNSt Re-Ri). Weitere Beispiele  : Gies, 1966, 106 f. und Korrespondenz Darrés mit verschiedenen Parteidienststellen wg. Fehlbesetzungen und anderen Personalproblemen im ApA  : BA, NS 22/360 und 851. Einmal musste der LRF selbst in die Bresche springen, als in Thüringen der LGF vom politischen Gegner so unter Druck gesetzt wurde, dass seine wirtschaftliche Existenz gefährdet war. Im Juli 1931 übernahm Darré den Posten selbst, legte sich mit der Gauleitung an, fand aber mit Rudolf Peukert dauerhaften Ersatz (Hitler IfZ, Bd. IV/1, 1994, 293  ; Darré an Hierl, 14.4.1931 [BA, NS 22/1212] und 4.7.1931 [ebd., 449] sowie Darré an Strasser, 25.1.1932, ebd., 450 sowie Pyta, 1996, 365 f.).

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im Lande persönlich kennenlernen und ihnen in programmatischer Weise den agrarpolitischen Kurs der NSDAP verkünden. Im persönlichen Kontakt der LGF untereinander sollten Kampfeswillen und Solidarität gefördert werden. Dadurch verstärkte er zwar die Schlagkraft seiner Organisation, festigte allerdings auch den Status des ApA als Sondereinrichtung innerhalb des Parteigefüges, wodurch natürlich der Machtinstinkt der »Politischen Leiter« der NSDAP herausfordert wurde.45 So wurde am 8. Februar 1931 in Weimar die erste von mindestens fünf Zusammenkünften aller Fachberater und Agrarpolitiker der NSDAP in der »Kampfzeit« veranstaltet. Sie alle dienten dem Kennenlernen, zur Bildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls (»Corpsgeist«), zum Informationsaustausch und zur Abstimmung der Aktivitäten, zur Koordination der Tagespolitik, zur Klärung offener oder kontroverser Positionen, zur Schulung und zur »Paroleausgabe«. 1931 stand die Zusammenkunft unter der Leitung Hierls und der Geschäftsführung Darrés. Den Abschluss bildete eine öffentliche Bauernkundgebung, an der führende Vertreter der Partei teilnahmen und bei der eine Rede Hitlers im Mittelpunkt stand. Sie war eine Ansammlung weitschweifiger Banalitäten über Volkswirtschaft, zu »kommenden Hunger- und Weltkatastrophen«, die durch Kapitalismus und Bolschewismus heraufbeschworen würden, und die Bedeutung einer ausreichenden Ernährungsgrundlage für Volk und Staat. Fazit  : »Abkehr von der Weltwirtschaft« und »Aufrichtung einer eigenen, sich selbst in vollstem Umfange genügenden nationalen Volkswirtschaft«. Weil »in unserem eigenen Boden die Zukunft liegt«, sei die Landwirtschaft in einem nationalsozialistischen Staat von herausragender Bedeutung. Das wollte sein Publikum im Weimarer Deutschen Nationaltheater hören. Auch die bisherige Arbeit Darrés wusste der »Führer« zu würdigen. Der Völkische Beobachter drückte in gewohnt pathetischer Weise die Erwartung aus, welche die Partei an dessen neue Organisation knüpfte  : »Von dieser Tagung wird ein neuer Strom frischen und lebendigen Blutes, getragen von nationalsozialistischem Geist, in das deutsche Bauerntum hinausgehen und die Grundlage schaffen für ein neues und größeres Drittes Reich.« Nachdem man vor allem in den »Gauen« der Partei Darrés Pläne zunächst mit Skepsis aufgenommen hatte, knüpfte man nun große Hoffnungen an das neue Instrument im Kampf um die Macht.46 Auch die Zentrale des ApA in München wurde entsprechend den wachsenden Aufgaben ausgebaut. Eine Systematik agrarpolitischer Themen ist allerdings nicht zu erkennen, eher Zufälligkeiten je nach Aktualität und dem Steckenpferd des vorhande45 Rs. Darrés, 9.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Planungsunterlagen zur Tagung  : ebd., Nr. 149. 46 Darré an die LGF, 13.12.1930 (BA, NS 26/951) und an Hierl, 2.1.1931 (StAG, NLD, Nr. 148)  ; VB v. 11.2.1931. Die Schlagzeilen der NS-Presse, die breit über den »Reichsbauerntag in Weimar« berichtete, lauteten  : »Nicht in der Weltwirtschaft liegt unsere Zukunft, sondern in unserem Boden« oder »Rückkehr zur Nationalwirtschaft« (Hitler IfZ, Bd. IV/1, 1994, 186 ff.). Schmidt-Pauli (1932, 148) urteilte  : »Die Organisation der verhältnismäßig so jungen Abteilung (Landwirtschaft) ist einfach vorbildlich. Ihr Leiter einer der begabtesten Persönlichkeiten im Kreis um Hitler.«

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nen Personals. Es gab bis 1932 Referenten für Presse, Markt, Ostkolonisation47 und die Landwirtschaftskammern  ; hinzu kamen im letzten Jahr der »Kampfzeit« noch Abteilungen für »innere Kolonisation« sowie für Werbung. Im Januar 1932 wurde der bisherige LGF für München-Oberbayern, Erwin Metzner, für die agrarpolitische Propaganda zuständig, die natürlich im Einvernehmen mit der von Goebbels dirigierten Reichspropagandaleitung zu erfolgen hatte. Ihm zur Seite stand der »journalistisch begabte« Diplom-Landwirt Hanns Deetjen.48 Neben Personalproblemen gab es wichtigere, nämlich strukturelle Probleme im ApA der NSDAP. Unübersehbar war die doppelte Abhängigkeit der agrarpolitischen Funktionäre, ein Problem, das später auch im »Reichsnährstand« zu Konflikten führte, als die Funktionäre des ApA übernommen wurden und aus diesen »Fachberatern« des ApA »Bauernführer« des RNSt wurden. Darrés »Abt. Landwirtschaft« war 1930 Hierls »Org.Abt. II« zugeordnet worden, die als »Aufbauabteilung« politische Konzepte für das »Dritte Reich« entwickeln sollte. Er war zunächst Hierls erster und einziger »Referent«, später kamen u. a. Wagener (Wirtschaft), Feder (Technik), Hans Frank (Recht) und von Renteln (Mittelstand) hinzu. Aber der ApA gehörte eigentlich in die »Angriffsabteilung« Gregor Strassers, die »Org.Abt. I«. Dieses Problem wurde zwar etwas kleiner, als im Juni 1932 in der Reichsleitung beide Organisationsabteilungen unter Gregor Strassers Leitung zusammengelegt wurden. Nun wurde Darré Leiter der »Hauptabteilung V (Landwirtschaft)« und er hatte nichts Eiligeres zu tun, als seine LGF darauf hinzuweisen, »daß kein Gauleiter das Recht hat, von sich aus in seinem Gaubereich agrarpolitische Organisationen, Referate usw. anzuordnen und durchzuführen, welche nicht meine ausdrückliche Billigung haben«. Als 1932 die zweite RT-Wahl bevor stand, sah sich Darré, wie er rückblickend Hitler mitteilte, »in einer unmöglichen Lage […], weil meine eigenen Leute nicht mehr wußten, wem sie eigentlich gehorchen sollten«. Unter dem Druck der näherrückenden Wahl und um die Schlagkraft der NSDAP nicht zu gefährden, gelang es, rechtzeitig eine versöhnliche Einigkeitsbekundung zustande zu bringen  : Auf einer LGF-Tagung Ende September/Anfang Oktober 1932, die der Wahlvorbereitung (»Paroleausgabe«) galt, gab auch Strasser ein »Bekenntnis zum Bauerntum sowie zu Blut und Boden« ab.49 47 Ihr Leiter, Dipl.-Ing. Karl Motz ( Jg. 1906), sollte »den Ostraumgedanken systematisch bearbeiten, propagieren und fördern«. Wenn sich Darré um ein Freiexemplar der Rigaer Zeitung bemühte, wird klar, dass mit »Ostraum« nicht etwa Ostpreußen gemeint war (Darré an Baron Wilh. von Fircks in Riga [Lettland], 24.4.1931, StAG, NLD, Nr. 158b). 48 Rs. Darrés v. 18.3.1931 (BA, Slg. Schumacher/124)  ; v. 7.1.1932 (StAG, NLD, Nr. 145) und SRs. v. 11.1.1932 (ebd.). 49 Rs. Darrés v. 6.6. (»Brachmond«) 1932 (BA, NS 22/360)  ; v. 13.6.1932  ; v. 21.9. und SRs. v. 12.10.1932 (StAG, NLD, Nr. 145) sowie weitere Gesprächsprotokolle und Organisationspläne (ebd., Nr. 159). Darré an Hitler, 25.7.1934 (BA, NLD, AD 24)  ; VB, 4.10.1932 und Rs. Darrés an die LGF, 14.10.1932 (StAG, NLD, Nr. 145).

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Erst Ende 1932, als Gregor Strasser an seinen Ambitionen, mit Schleicher eine Koalitionsregierung zu bilden, gescheitert war und am 8. Dezember alle Parteiämter niederlegte, gelang es Darré, sich mit seinem Zuständigkeitsbereich »selbständig zu machen«. Er schlug sich bedingungslos auf die Seite Hitlers und schickte zum »Verrat« und »Abfall« des Landshuter Apothekers einen flammenden Artikel (»Vom Führertum und der Treue«) an die LGF, der auch in der Nationalsozialistischen Landpost erschien. Das zahlte sich aus  : Es wurde in der Reichsleitung der NSDAP ein eigenständiges »Amt für Agrarpolitik« (AfA) geschaffen, das Hitler unmittelbar unterstand. Dadurch war Darré den »linken« Vorgesetzten Strasser los und gleichzeitig erhielt er als Amtsleiter in der Reichsleitung eine Position ›unmittelbar zu Gott‹. Der ApA war – ähnlich wie die SA – eine selbstständige Parteigliederung und Darré war von nun an ausschließlich Hitler verantwortlich. Er sah in dieser Beförderung sicherlich zu Recht eine ehrenvolle Anerkennung seiner bisherigen Leistungen. Ob es aber auch ein Zeichen dafür war, dass »das Bauerntum im ›Dritten Reich‹ Grundlage des Staates« sein werde, wie Darré euphorisiert meinte, musste sich erst erweisen.50 Unterhalb der Reichsebene mussten die mangelnde Abgrenzung der Zuständigkeiten und die doppelte Abhängigkeit der Funktionäre des ApA, einerseits von den »Politischen Leitern« ihrer Region und andererseits von ihren Vorgesetzten im ApA bzw. später im »Reichsnährstand«, zu Loyalitätskonflikten und Machtkämpfen führen. Die dienstliche Unterstellung der landwirtschaftlichen Fachberater unter ihren jeweiligen »Politischen Leiter« begründete Darré damit, dass diese so etwaigen »Sonderbestrebungen« ihres Fachberaters »sofort einen Riegel vorschieben« könnten. Damit glaubte der LRF, die machtbewussten »Gauleiter« beschwichtigen zu können. Um aber eine einheitliche agrarpolitische Linie und eine im Hinblick auf die Schlagkraft der 50 Ernennung Darrés zusammen mit Ley zum »Amtsleiter der N.S.D.A.P.« am 14.12.1932 durch Hitler (Hitler IfZ, Bd. V/2, 1998, 266) und Darré an die LGF, 14.12.1932 (StAG, NLD, Nr. 145)  ; NSL v. 25.12.1932 und Rs. Darrés an d. LGF v. 19.12.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). Nach Verlusten der NSDAP bei der RT-Wahl am 19.11.1932 hatte Schleicher Gregor Strasser die Ämter des Vizekanzlers und des stellv. Preuß. MP angeboten. Da Hitler auf seinem Alles-oder-nichtsStandpunkt beharrte, drohte eine Spaltung der NSDAP. Man rechnete damit, dass eine Mehrheit der RT-Fraktion der NSDAP und auch der GL sich hinter Strasser stellen würde (Bracher, 1960, 678 ff., Horn, 1972, 381 und Kissenkoetter, 1978, 164 ff.). Darré schlug sich, als er erfuhr, dass Ley Strassers Nachfolger in der ROL werden sollte, demonstrativ auf die Seite Hitlers und intervenierte bei Heß, dem er die entsprechenden Formulierungen in der »Verfügung« Hitlers v. 14.12.1932 vorschlug. Danach wurde ein »Amt für Agrarpolitik« gebildet und Darré mit seiner Leitung beauftragt. Ihm sollten sich »alle irgendwie landw. oder agrarpolit. gearteten Organisationen, Verbände und Vereine der N.S.D.A.P.« unterordnen. Auch die »gesamte agrarpolitische Presse« einschl. der »Beilagen« sollte »inhaltlich« zu seiner Zuständigkeit gehören. Zum »Neuaufbau der Politischen Organisation der Partei« sprach Hitler im Hinblick auf »die inneren Gründe für die Verfügungen zur Herstellung einer erhöhten Schlagkraft der Bewegung« von einer notwendigen Trennung von Verwaltung und politischer Führung. (Darré an Heß, 12. »Julmond (Dez.)« 1932 [BA, NS 22/912]  ; VB v. 16./17.12.1932  ; Hitler IfZ, Bd. V/2, 1998, 261 ff. und 313 f. sowie StAG, NLD, Nr. 128).

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neuen Organisation unbedingt erforderliche »straffe Zügelführung« zu ermöglichen, wollte Darré auf eine direkte Anweisungsbefugnis mit entsprechenden Abstufungen innerhalb des ApA – und damit an den jeweiligen »Politischen Leitern« vorbei – nicht verzichten. Darré brachte das Problem selbst auf den Punkt  : »Der Apparat mußte so in die bestehende politische Gliederung der Partei eingebaut werden, daß kein ›Staat im Staate‹ entstand, d. h. daß die Oberhoheit der politischen Leitung gewahrt blieb und keine ›Nebenregierung‹ gebildet werden konnte.« Gleichwohl verursachte die doppelte Verantwortlichkeit Unruhe in manchen Gauen der Partei. Missverständnisse, wirkliche oder vorgetäuschte Missdeutungen von Anweisungen, Interessenkonflikte und persönliche Animositäten drohten lähmende Auswirkungen und Auseinandersetzungen hervorzurufen. So musste Darré schon im November 1931 die »Gauleiter« erneut besänftigen, bei denen es offensichtlich wegen »fortdauernden Überschneidungen zwischen den Arbeitsgebieten« der Organisationsabteilungen I und II »Verwirrungen und Irrtümer« gegeben hatte. Die landwirtschaftlichen Fachberater seien »Berater ihres Gauleiters und damit verantwortlich für die gesamte agrarpolitische Arbeit«, versuchte Darré zu beschwichtigen. Die LGF würden vom »Gauleiter« dem LRF vorgeschlagen, nach dessen Bestätigung durfte der LGF nicht mehr ohne Einverständnis Darrés von einem »Gauleiter« abgesetzt werden. Dies und die Befehlshierarchie innerhalb des ApA erwähnte Darré nicht.51 Es muss schon hier festgehalten werden, dass die später vom »Reichsnährstand« für sich beanspruchten bzw. behaupteten Selbstverwaltungsambitionen schon bei der Entstehung des ApA preisgegeben wurden. Die neue Bauernorganisation der NSDAP kam – vom Gesichtspunkt eines vom Staat unabhängigen Selbstverwaltungsprinzips – mit einem eklatanten Geburtsfehler zur Welt. Im Herbst 1932 tat sich ein anderes Problem auf. In einigen Gauen gab es seit Jahresbeginn Initiativen, eine eigene Parteiorganisation aufzubauen, die als Konkurrenz zu den etablierten landwirtschaftlichen Verbänden um Mitglieder werben sollte. »Reichsorganisationsleiter« Strasser stand diesen Initiativen, die Darrés Unterwanderungsstrategie konterkariert hätten, positiv gegenüber. Im Frühjahr 1932 hatte Darré solchen Überlegungen noch eine strikte Absage erteilt und die »neue Bauern-Romantik« in der NSDAP ironisiert. Nun entschloss er sich, wenn auch nur widerwillig (»soweit die Herren Gauleiter es für zweckmäßig erachten«), das Vorhaben nicht rundweg abzulehnen, sondern zu versuchen, diese »Bauernzellenorganisation« in den ApA »einzugliedern«, was nichts anderes bedeuten konnte, als sie seiner »Hauptabteilung V« zu unterstellen. Das betraf auch die Landarbeiter, die einige »linke« »Gauleiter« 51 Rs. ROL Strassers v. 12.10.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). Darré und Strasser an die GL, 3.11.1931 (BA, NS 22/851und StAG, NLD, Nr. 142) sowie Rs. Darrés v. 8.12.1931 (ebd.). Im Bf. Darrés und Hierls v. 21.8.1930 hatte es geheißen  : »Diese Fachberater verbleiben dienstlich ihrem politischen Leiter unterstellt, sind aber für die in ihrem Bereich getriebene Agrarpolitik nicht nur ihrem politischen Leiter, sondern auch demjenigen landw. Fachberater verantwortlich, der den nächst höheren politischen Bezirk berät.«

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und auch Gregor Strasser lieber bei der »Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation« (NSBO) sahen, während Darré eher an »seinen« ApA dachte.52 In Ostpreußen war »Gauleiter« Koch vorgeprescht und hatte in seinem Machtbereich die Gründung eines »NS-Landvolkes« betrieben, sich dabei auf einen »Befehl Strassers« berufen und Darrés Zuständigkeit völlig ignoriert. Das Thema, einschließlich der Namensgebung – aus »Bauernzellen« wurden »NS-Bauernschaften« –, wurde auf einer Tagung aller LGF in Weimar Anfang Oktober 1932 diskutiert und auch Strasser hatte sich in einer Umfrage bei den »Gauleitern« nach deren Meinung erkundigt. Das Ergebnis war eine »Anordnung« Strassers und Darrés vom 12. September 1932, wonach in einigen Gauen vor allem Süddeutschlands die »Gründung von NSBauernschaften freigegeben« wurde, wenn die dortigen politischen und agrarpolitischen Funktionäre das wollten. In allen »Gauen« bzw. Ländern, in denen es regionale Landbünde gab (genannt wurden Preußen, Sachsen, Oldenburg, Anhalt, Braunschweig und Mecklenburg), sollte in München eine Genehmigung eingeholt werden. »Wo vor der parteiamtlichen Genehmigung im Reichsgebiet bereits NS-Bauernschaften gegründet wurden, gelten diese hiermit als aufgelöst.«53 Dass die NSDAP in »Landbund«-Regionen zurückhaltend sein musste mit dem Aufbau einer Konkurrenzorganisation, hing damit zusammen, dass Darrés Unterwanderungsstrategie bis Mitte 1932 dazu geführt hatte, dass »Vertrauensleute« des ApA in den Vorständen von »Landes«- und »Provinziallandbünden« saßen und sein Parteifreund Werner Willikens mittlerweile dem Präsidium des »Reichslandbundes« angehörte. Er war es auch, der Darré auf die Situation in Ostpreußen hinwies und einen »Be52 Rs. Darrés an d. LGF v. 9.3. und 11.5.1932 (StAG, NLD, Nr. 145)  ; Rs. des ROL Strasser an die »Gauleiter aller reichsdeutschen Gaue  !«, 15.9.1932 (BA, NS 22/851)  ; Darré an Strasser, 3.9. (»Scheiding«) 1932 (BA, NS 22/360)  ; Rs. Darrés v. 20.9. (mit Satzung der »NS-Bauernschaften«, diese auch Nr. 158 a) und v. 26.9.1932 (StAG, NLD, Nr. 145) sowie (zur Betriebsgruppe Landwirtschaft in der NSBO) Jacobsen/ Jochmann, 1961, Dok. VIII, 1931. 53 Die Diskussion um das Für und Wider zieht sich seit Januar 1932 durch Darrés Rs. an die LGF. Dass Strassers bzw. Leys »Nationalsozialistische Betriebszellen Organisation« (NSBO) bei diesem Vorhaben Pate stand, ist unübersehbar. Insbesondere sollten diejenigen Bauern, die aus finanziellen Gründen nicht in die NSDAP eintreten könnten, eine Organisation erhalten, die ihnen – wie die »Landsbünde« – für einen geringen Mitgliedsbeitrag Beratung in steuerlichen, wirtschaftlichen und juristischen Fragen zur Verfügung stellen werde. Die »NS-Bauernschaften« sollten in den ApA »eingegliedert« werden »dergestalt, dass ihre Leitung ausschließlich und grundsätzlich in den Händen« der Hauptabteilungsleiter V auf Reichs-, Gau- und Kreisebene liege (Darré an die LGF, 20.9. [»Scheiding«] 1932, BA, NS 22/360 und Rs. der ROL v. 12.10.1932, von Darré gegengezeichnet, ebd., 1064). Als Strasser von seinen Ämtern zurückgetreten war, ließ der Geschäftsführer des ApA, Arauner, im Auftrag Darrés die LGF wissen, »daß von Seiten der Reichsleitung die schärfste Gegnerschaft gegen die Gründung von NS-Bauernschaften besteht. Der Führer ist entschlossen, alle diesbezüglichen Disziplinlosigkeiten […] mit den schärfsten Mitteln zu ahnden« (Arauner an die LGF, 20.12.1932, StAG, NLD, Nr. 145). Obwohl die »NS-Bauernschaften« lt. einer Verfügung Hitlers v. 2.1.1933 in den ApA »eingebaut und von diesem geführt« sein sollten und nochmals zu bestätigen waren, ansonsten als aufgelöst zu gelten hatten (StAG, NLD, Nr. 128 und Hitler IfZ, Bd. V/2, 1998, 314 f.), existierten sie vor allem in Süddeutschland weiter.

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fehl« Strassers verlangte, »dass die Bildung von ›NS-Bauernschaften‹ nicht ohne Wissen und Anweisung der Reichsleitung weder durchgeführt noch vorbereitet werden dürfen«. Willikens ließ keinen Zweifel daran, dass ein weiteres »eigenmächtiges Verhalten irgendwelcher Dienststellen [der NSDAP] dem Rlbd. gegenüber die selbstverständliche Konsequenz meines Rücktrittes als Landbund-Präsident« nach sich ziehen werde.54 Wie war es gelungen, dass die NSDAP die mächtigste und wichtigste agrarpolitische Interessenvertretung Deutschlands personell derart infiltrieren und damit auch ihr politisches Handeln beeinflussen konnte  ? Wahlerfolge und Unterwanderung des »Reichslandbundes«

Bei den RT-Wahlen am 20. Mai 1928 hatte die NSDAP 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Die von Himmler aus München geführte Wahlkampagne in den ländlichen Regionen führte dort, wo sich die Vorboten der Agrarkrise zeigten und besonders aktive Nationalsozialisten agierten, zu exorbitanten Erfolgen, z. B. in Ostfriesland und Oldenburg-Land. Die NSDAP schickte nun zwölf statt sieben Abgeordnete in den Reichstag, erreichte aber immer noch nicht die für eine Fraktion benötigten 15 Mandate. Schon auf dem Parteitag 1927 hatten die Gauleiter Lohse (Schleswig-Holstein), von Corswant (Pommern) und Hildebrandt (Mecklenburg) mehr agrarpolitisches Engagement von ihrer Partei verlangt und im April war Punkt 17 des Parteiprogramms mit seiner Androhung einer Verstaatlichung von Land entschärft worden. Nach einer Auswertung des Wahlergebnisses auf einer Führertagung der NSDAP Ende August/Anfang September 1928 in München wurde eine Verstärkung der agrarpolitischen Aktivitäten der Partei beschlossen.55 54 Willikens an Darré, 24.10.1932 (BA, NS 22/360). Darré hatte mit dem selbstherrlich agierenden GL Koch von Anfang an Schwierigkeiten. So musste er Hierl am 4.2.1931 darum bitten, Koch aufzufordern, »endlich in seinem Gau Ostpreußen klare Verhältnisse mit seinem LGF« zu schaffen (StAG, NLD, Nr. 148). Nun setzte er Koch dadurch unter Druck, dass er ihm mitteilte, er habe dessen LGF Burkhard Frhr. von Buttlar-Venedien aufgefordert, von seinem Amt zurückzutreten, weil sein »Vertrauen zu ihm restlos erschüttert« sei. Darré begründete dies mit dem Verhalten des LGF in einem Prozess, den Darré mit dem früheren LK-Präsidenten Brandes, der gleichzeitig Präsident des DLR war, führte. Darré hatte nicht vergessen, dass seine Weiterbeschäftigung im Staatsdienst 1929 auch an einer negativen Stellungnahme des LK-Präsidenten Brandes gescheitert war (Darré an Wangenheim, StAG, NLD, Nr. 95). Nun warf er Brandes stellvertretend für andere Bedienstete der LK Misswirtschaft und Korruption vor, wobei er auf Erfahrungen zurückgriff, die er persönlich in der Zeit seiner Anstellung bei der LK in Königsberg gemacht hatte (Korrespondenz betr. Saatgutgeschäfte der LK in  : StAG, NLD, Nr. 158 c sowie Darré an Brandes, 19.1.1932 [Entwurf ], ebd., Nr. 159 und NSL v. 8.11.1931 und BA, NS 26/949). Dieses Insiderwissen hatte zwar zu einem Erfolg in den LK-Wahlen geführt und von Buttlar am 5.4.1932 ins Amt als Präsident der LK gebracht, der Prozess war aber in erster Instanz für Darré verloren gegangen. Buttlar empfahl einen Vergleich, den Darré aber, der sich von dem LGF im Stich gelassen fühlte, rigoros ablehnte. (SRs. Darrés [»Vertraulich«], 20.11.1931 (StAG, NLD, Nr. 142), Rs. Darrés Nr. 51 v. 14.11.1932 [ebd., Nr. 145] und Darré an Koch, 26.10. [»Gilbhart«] 1932 [ebd., Nr. 148]). 55 Besonders in ländlich geprägten Regionen wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen-Nassau,

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Zu den Neulingen als MdR gehörte Werner Willigens aus Goslar, der als praktizierender Landwirt in Groß Flöthe agrarpolitische Interessen glaubhaft vertreten konnte. Seine Redebeiträge betonten die Notwendigkeit der »Ernährung aus eigener Scholle«, die Bedeutung der Landbevölkerung als »Quellborn des rassischen Erbgutes« sowie die »rassenmäßige Erhaltung des deutschen Volkes«. Das war eine allgemeine Paraphrasierung dessen, was ab Mitte 1930 mit dem Begriffspaar »Blut und Boden« von Darré viel schlagkräftiger und zielgenauer in der NS-Bewegung eingesetzt, von ihm aber ganz anders verstanden wurde als etwa von Willikens. Im Übrigen arbeitete dieser mit seinem Kollegen Stöhr im Reichstag gut zusammen, der auch dem »Bauerntum« eine »Schlüsselstellung in unserer Volkswirtschaft« einräumen wollte und es als »Urzelle und den Jungborn der Nation« bezeichnete. Beide setzten sich für eine protektionistische Agrarpolitik ein, d. h. ein generelles Importverbot für alle Lebensmittel, die in Deutschland hergestellt werden konnten, oder mit den Worten von Willikens  : »kein Gefrierfleisch, keine dänische Butter, keinen Zucker aus Java«.56 Natürlich gab es in der NSDAP schon vor 1930 agrarpolitische Äußerungen – nicht nur im Reichstag, sondern auch in der Provinz. Es wäre angesichts der einsetzenden Agrarkrise sehr erstaunlich, wenn sich z. B. nicht Himmler in Niederbayern und Lohse in Schleswig-Holstein werbend an die Landbevölkerung gewandt hätten, um sie für die NSDAP zu gewinnen. Aber damals war die »Hitler-Bewegung« noch eine unbedeutende Sekte am Rande des Parteienspektrums und ihre agrarpolitischen Aktivitäten blieben marginal. Erst ab 1930 wurde sie zu einem ernst zu nehmenden Massenphänomen und Darrés Verständnis von »Blut und Boden« erhielt eine die Politik der NSDAP prägende Bedeutung.57

Schwaben, Franken und der Pfalz begann schon damals die »Nazifizierung der Landbevölkerung« (Martin Schumacher). Vgl. Herlemann, 1977, 566 ff. und Stachura, 1978, 79 f. und 89 ff. 56 BA, BDC, Akte Willikens. Zu seinen Reden am 13.7.1928, 16.5.1929 und 11.4.1930 im RT vgl. Döring, 2001, 249 ff. sowie Stachura, 1978, 76 ff. Wie Willikens (»Bauern-Not – Volkes-Not«, in  : Der Angriff, 25.4.1930), so verstanden auch Himmler (u. a. »Die Lage der Landwirtschaft«, NS-Briefe, 1.4.1926, und »Bauer wach auf  !«, in  : VB, 1.8.1926) sowie Backe (»Vom völkischen Blutsadel«, in  : VB, 15.10.1926) die Metaphern »Boden« und »Blut« damals noch viel allgemeiner (»Boden« als Landwirtschaft, »Blut« als Volk oder »Rasse«) als Darré, der – wie dargelegt – von einer naturbedingten Verbindung von »Bauerntum« und »Nordischer Rasse« überzeugt war. 57 Vgl. die Überbewertung der damaligen agrarpolitischen Aktivitäten der NSDAP bei Grill, 1982, 149 ff. Hinrich Lohse ( Jg. 1896), der eine kaufmännische, keine landw. Ausbildung hatte und seit 1925 GL von Schleswig-Holstein war, hatte schon frühzeitig in seiner landwirtschaftlich geprägten Region mit unzufriedenen Bauern zu tun und war entsprechend agitatorisch unterwegs. So gab er 1926 – zusammen mit Gregor Strasser – das Blatt Völkische Bauernschaft heraus, dem er 1928 im Zusammenhang mit den Bauernunruhen in seinem Gau den Namen Der Bundschuh gab. Vgl. auch Lohses Artikel im VB v. 3.7.1926 und im NS-Jahrbuch 1927, 140 ff. (»Nationalsozialismus und Landwirtschaft«). Vgl. auch Noakes, 1971, Pridham, 1973, Grill, 1983, Zoffka, 1979, Holmes, 1991, Osmond, 1993 u. a. Regionalstudien zur Frühzeit der NSDAP.

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Die Reichstagswahl 1930 Der Erdrutschsieg der NSDAP bei der RT-Wahl am 14. September 1930 war ebenso unerwartet wie erstaunlich. Mit der Regierung Hermann Müller (Franken) war die letzte Regierung der Weimarer Republik, die eine Mehrheit im Parlament hatte, an der Frage gescheitert, ob der Beitrag für die Arbeitslosenversicherung von 3,5 auf 4 Prozent erhöht werden sollte. Bei der danach unter der Regierung Brüning durchgeführten RT-Wahl eroberte die NSDAP mit dem neuen »Reichspropagandaleiter« Joseph Goebbels 18,3 Prozent aller Wählerstimmen (1928  : 2,6), insgesamt gaben 6,4 Millionen Wahlbürger(innen) der NSDAP ihre Stimme (1928  : 800.000). Zum Vergleich  : KPD = 13,1, SPD = 24,5 Prozent. Mit 107 Abgeordneten (1928  : 12) war die NSDAP nun die zweitstärkste Fraktion im Reichstag geworden. Fragt man, woher diese Stimmen kamen, aus vornehmlich städtischen oder aus ländlichen Wahlkreisen, so ergibt sich ein eindeutiges Übergewicht bei der Landbevölkerung. Damals lebten etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung in Gemeinden und Städten unter 100.000 Einwohnern.58 Eine Gegenüberstellung von drei vorwiegend städtischen Wahlkreisen (Berlin, Hamburg, Westfalen-Süd) und drei vorwiegend ländlichen (Ostpreußen, Pommern, Schleswig-Holstein) ergibt folgendes Bild  : Während städtische und ländliche Wahlkreise 1928 nur um zwei zehntel Punkte unter bzw. über dem Reichsdurchschnitt lagen, wurde daraus 1930 ein deutlicher Unterschied zugunsten der Landbevölkerung. Von 100 Wählern erhielt die NSDAP auf dem Lande etwa vier Stimmen mehr als in der Stadt. Der Zuwachs betrug von 1928 nach 1930 in Schleswig-Holstein 27, in Pommern 24,3 und in Ostpreußen 22,5 Prozent – in Hamburg 16,6, in Westfalen-Süd 12,3 und in Berlin 11,4 Prozent. Im Deutschen Reich erhielt die NSDAP 1930 vom Land im Vergleich zur Stadt etwas mehr als 15 Prozent Stimmen zusätzlich gegenüber 1928.59 Die neuere wahlanalytische Forschung stellt die Anfälligkeit der evangelisch-protestantisch geprägten Landbevölkerung in Nord- und Ostdeutschland für die NSDAP und die Reserviertheit in den katholisch geprägten Regionen in West- und Süddeutschland besonders heraus. Dort dominierten »Zentrum« und »Bayerische Volkspartei« die Parteienlandschaft und die »Bauernvereine« die Berufsstandsvertretung. Erst bei den RT-Wahlen 1932 holte die NSDAP auch in den katholisch geprägte Regionen auf. Im September 1930 wurde die »Hitler-Bewegung« von einer sektiererischen Splitterpartei zu einem Massenphänomen. Damals begann der Weg, an dessen Ende sie von einer bürgerlichen Mittelstandspartei von sozial abstiegsbedrohten Protestwählern zu einer »Volkspartei« wurde, welche die Integration aller sozialen Schichten bewerkstelligte. Außerdem zeigte sich schon bei dieser Wahl 1930, dass die NSDAP ein Sammelbe58 StJb 1928, 25  ; J. Falter, 1991, 259 ff. und Evans, 2005, Bd. 1, 357 ff. 59 StDR, Bde. 454–457  ; J. Falter, 1991, 256 ff.; Pyta, 1996, 217 f. und Gies, 1986, 124 ff.

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cken der nachwachsenden Generation wurde  : 43 Prozent der zwischen 1930 und 1933 in die Partei eingetretenen Mitglieder waren zwischen 18 und 30 Jahre alt, 63 der 107 NSDAP-Mandate im Reichstag eroberten 30- bis 40-jährige junge Männer.60 In Schleswig-Holstein, dem Land mit dem höchsten NSDAP-Anteil in Deutschland überhaupt, wurden 1930 von 100 abgegebenen Stimmen 14,2 mehr für die Partei Hitlers gezählt als in Berlin. Hier kommt klar zum Ausdruck, wie sehr die NSDAP vom Scheitern der »Landvolkbewegung« profitierte und ein politisches Sammelbecken der Unzufriedenen und Enttäuschten in der Landbevölkerung geworden war. Außerdem entschieden sich viele Nicht- und Jungwähler für die Hitlerpartei. Die Frankfurter Zeitung sprach von »Erbitterungs- und Protestwahlen«. Dass die Wahlergebnisse vom 14. September 1930 eine vorzügliche Ausgangsposition für Darrés Arbeit in der »Hitler-Bewegung« war, steht außer Frage. Er hatte sich im Wahlkampf noch nicht engagiert, sondern in München an Konzept und Aufbau des ApA gearbeitet. Auch ein RT-Mandat stand für ihn noch nicht zur Debatte.61 Der »Agrarpolitische Apparat« in Aktion Die Hauptaufgabe des ApA der NSDAP war zunächst rein agitatorischer Art. Es kam weder auf Redlichkeit der Forderungen noch auf Sachlichkeit der Argumentation an. Betriebsamkeit, Propaganda und emotionale Aufstachelung von Enttäuschung und Unzufriedenheit waren die Parole. Es ging darum, die günstige Ausgangssituation, die der RT-Wahlerfolg vom September 1930 geschaffen hatte, zur Sammlung der Landbevölkerung hinter der Hakenkreuzfahne auszunutzen. Die wachsende wirtschaftliche Notlage der Landwirtschaft, ihre Entfremdung vom republikanischen Staat, den demokratischen Parteien und den »Berliner« Regierungen, der Ärger der Bauern über ihre zerstrittenen Berufsorganisationen, deren selbstmörderische Interessenkämpfe und undurchsichtigen agrarpolitischen Aktivitäten  – alles das war Öl für das Feuer, das von Darré und seinen »Fachberatern« nun auf dem Lande angezündet wurde. Zunächst bewegte sich die nationalsozialistische Agitation auf den alten, eingefahrenen Gleisen »völkischer« Propaganda im ländlichen Raum  : Hass gegen »Vieh- und Bankjuden« sowie Angst vor Bolschewismus, Kapitalismus und Liberalismus. Hinzu kam die wachsende Hilflosigkeit der Bauern, mit den Verhältnissen eines modernen Wirtschaftssystems und den Anforderungen des technischen Fortschritts fertigzuwerden. Diese Abneigung verband sich mit dem Antisemitismus zu einem kaum mit rationalen Mitteln zu überwindenden Gemisch aus Ressentiments und Vorurteilen. 60 Insgesamt kamen nach einer Aufstellung des Westdeutschen Beobachters v. 12.11.1930 von 577 MdR 88 aus der Landwirtschaft (15,3 Prozent). Beim Zentrum waren es 19 und bei der DNVP 31 Prozent. StJb 1924/25, 390 ff.; 1928, 580 ff. und 1931, 546 ff. sowie J. Falter, in Michalka, 1984, 47 ff. Außerdem Bracher, 1969, 166  ; S. Neumann, 1973, 133 und Broszat, 5. Aufl. 1975, 50. 61 Darré an Frau von Quast, 27.8.1930 (StAG, NLD, Nr. 85) und an Frau Konopath, 7.8.1930 (ebd., Nr. 87).

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Auf unzähligen Versammlungen, Diskussionsabenden, Stammtischen und in der ländlichen Presse agitierten die Funktionäre des ApA, um das bisher in verheißungsvolles Halbdunkel gehüllte Verhältnis der NSDAP zur Landwirtschaft in den hellsten und verlockendsten Farben zu zeichnen.62 Seit September 1931 gab Darré ein eigenständiges agrarpolitisches Presseorgan der NSDAP heraus  : die Nationalsozialistische Landpost (NSL), deren Bezug ab Januar 1932 für jedes Mitglied des ApA bis zum LOF herab »Pflicht« war. Die NSL war sowohl organisatorisches Mitteilungsblatt als auch agitatorischer Schulungsbrief für die Propagandisten und Versammlungsredner, die für den ApA im Lande unterwegs waren. Neben dieser Wochenzeitung gab es in allen nationalsozialistischen Gau-Zeitungen landwirtschaftliche Beilagen, die sich mit den spezifischen Verhältnissen in der Region befassen sollten, während die NSL »die große kämpferische Linie« der NS-Agrarpolitik »herausschälen und den deutschen Landstand für das Dritte Reich schulen« sollte. Sie hatte Anfang 1933 eine Auflage von etwa 20.000 Exemplaren. Auch der Völkische Beobachter (VB) reservierte schon seit April 1931 14-täglich eine Seite für Fragen der Landwirtschaft.63 Hinzu kam im Juli 1932 eine Zeitschrift, die von Darré zunächst unter dem Namen Deutsche Agrarpolitik. Monatsschrift für Deutsches Bauerntum, ab April 1934 unter dem Titel Odal. Monatsschrift für Blut und Boden unter der »Hauptschriftleitung« von Dr. Hermann Reischle herausgegeben wurde. Sie widmete sich nicht so sehr tagespolitischen und agitatorischen Themen, sondern weltanschaulich-ideologischen, agrarpolitisch-konzeptionellen und agrarwirtschaftlichen Fragen. Autoren aus Darrés Mitarbeiterstab wie Herbert Backe, Dr. Hermann Reischle, Ferdinand Fried. Zimmermann, Dr. Horst Rechenbach, Dr. Hans Merkel, Dr. Heinz Konrad Haushofer, Dr. Konrad Meyer, Erich Winter und Dr. Kurt Kummer schrieben anspruchsvollere Artikel, die sich mit der zukünftigen und, ab Mitte 1933, der aktuellen NS-Agrarpolitik befassten.64 62 Über die nationalsozialistische Agitation auf dem Lande informieren anschaulich u. a. Schmahl-Seipel, 1933 und 1934. Vgl. – auch zum Folgenden – Gies, 1966, 51 ff. 63 Rs. Darrés an d. LGF, Nr. 70 v. 12.8. und Nr. 83 v. 24.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) sowie Verfügung Hitlers v. 2.1.1933 (Hitler IfZ, Bd. V/2, 1998, 315). Versuche einiger GL, mit der erfolgreichen NSL als Beiblatt ihre schwächelnde Gauzeitung zu sanieren, empfand Darré als »Auslieferung der NS-Landpost an Gauzeitungen« und lehnte das Ansinnen kategorisch ab (Darré an die ROL d. NSDAP, 14.9.1931, BA, NS 22/360). Das erste landwirtschaftliche Beiblatt im VB erschien am 28.4.1931 unter dem Titel »Im Kampf um Blut und Boden« und mit einem Text von Darré (»Blut und Boden«). Das Pressearchiv des RLB (früher Berlin [Ost], dann Potsdam, jetzt BA, Re 8034) enthält eine Fülle von Material aus der Provinzpresse der damaligen Zeit. 64 Schon im Mai 1931 hatte sich Darré zur Notwendigkeit einer Monatsschrift »Im Kampf um Blut und Boden« geäußert. Das Projekt scheiterte zunächst daran, dass ihm damals noch nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung standen (Darré an Hartmut von Rheden, 6.5.1931, StAG, NLD, Nr. 87). Sichtbar wurde dieses Bemühen um eine Konzeptualisierung der Agrarpolitik einer nationalsozialistischen Regierung erstmals auf einer Tagung der LGF am 2./3.10.1932 in Weimar, als Referate zu

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Es war die gleiche Argumentationsweise, die Darré auch schon in seinen beiden Denkschriften vom 15. August 1930 erfolgreich angewandt hatte, die nun, in der »Kampfzeit«, praktiziert wurde  : Das »Dritte Reich« als »organisch« aufgebautes Staatsgebilde sei angewiesen auf den »Nährstand« als »Grundlage des Volkskörpers« und »Voraussetzung der Volkswirtschaft«. Auch Banalitäten (»Der Mensch kann essen, ohne zu arbeiten, aber nicht arbeiten, ohne zu essen  !«) dienten dazu, die verbreitete Meinung von einer bauernfeindlichen NSDAP zu zerstreuen, wobei auch der Hinweis nicht fehlte, dass allein schon aus bevölkerungspolitischen Gründen ein nationalsozialistischer Staat nicht auf einen »gesunden und lebensfähigen Bauernstand« verzichten könne. »Blut und Boden« als »richtungweisender Grundgedanke im Bauplane eines die Gesetze der Rasse bejahenden und sinnvoll gegliederten deutschen Staatsaufbaues« bürge allein schon dafür, dass Bauern und Landwirtschaft »Eckpfeiler« des künftigen Staates und seiner Wirtschaft sein und den vornehmsten Rang im »ständischen Aufbau« des »Dritten Reiches« einnehmen würden.65 Es wurden Zukunftsvisionen verbreitet, die in den Bauern Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachrufen sollten, als Bauern und Landwirtschaft ›noch etwas galten‹. Sie verfehlten ihre Wirkung sicherlich nicht, zumal sie mit einem deutlichen Appell an das Ehrgefühl der Adressaten vorgetragen wurden. Die Regierungen des »Systems« hätten mit ihrer ausschließlich industriell und städtisch orientierten Politik eine Diffamierung und Isolierung des »Landstandes« betrieben, in deren Gefolge sich ein Verlust bäuerlichen Ansehens und materielle Not in der Landwirtschaft eingestellt hätten. Die »Götzen« Industrie und Finanzkapital hätten zu einer Deklassierung der Landwirtschaft und zu einer Feindschaft zwischen Stadt und Land geführt. Dem wurde als Ideal das Phantom der »Volksgemeinschaft« gegenübergestellt, ein Gesellschaftsmodel freilich, das gleichwohl eine Hierarchie vorsah mit dem »Bauerntum« und der »arischen« bzw. »nordischen Rasse« an erster Stelle. Es fiel Darré und seinen Agitatoren nicht leicht, die NSDAP auf dem Lande gegen den Vorwurf des städtisch orientierten Sozialismus zu verteidigen. Zu groß war die historische und programmatische Hypothek der Partei auf diesem Gebiet. Sie selbst, aber auch ihre Vorläuferin, die »Deutsche Arbeiterpartei«, trug das Menetekel schon im Namen und sozialrevolutionäres Gedankengut hatte sich auch in das »unveränderliche« Parteiprogramm von 1920 eingenistet. Es gab noch anfangs der 1930er Jahre viele überzeugte Anhänger eines »deutschvölkischen« Sozialismus in der NSDAP, wie Themen gehalten wurden wie  : Organisation des landwirtschaftlichen Marktes, Siedlungsfragen, Aufbau und Organisation der Wirtschaft und Vereinfachung der landwirtschaftlichen Verwaltung (Rs. Darrés v. 22.8.1931, StAG, NLD, Nr. 142). Über die Referate Darrés, Reischles, Granzows und Willikens’ berichtete u. a. der VB v. 2./3. und 4.10.1932 sowie die NSL v. 9.10.1932. 65 Darré, Vorwort (»Auf den Weg«) zur ersten Ausgabe der NSL, September 1931 (auch Darré, EuW, 1940, 211 ff.). Außerdem  : Darré, Landvolk in Not. Wer hilft  ? Adolf Hitler  ! München 1932 (Zitat  : 30)  ; Darré, »Stellung und Aufgaben«, 1930  ; »Wiedergeburt«, 1931  ; »Ostraumgedanke«, 1931 sowie H. Backe, Deutscher Bauer erwache  ! Die Agrarkrise, ihre Ursachen und Folgerungen. München 1931.

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sich bei den Themen Binnensiedlung und Bodenreform zeigte.66 Unterschiedliche und widersprüchliche Äußerungen in der Partei zum Eigentumsbegriff nahmen auch nach der Distanzierung Hitlers vom »Enteignungsartikel« 17 des Parteiprogramms kein Ende.67 Die »Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei« als erstes Opfer Es war insbesondere die »Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei« (CNBLP), die versuchte, die NSDAP als privatbesitzfeindlich an den Pranger zu stellen. »Der Bauer und seine gesamte Existenz ist nun einmal so eng mit dem Eigentum verbunden, daß er über diese Frage eine klipp und klare, eindeutige Auskunft verlangen muß, bei der es keine Ausrede und keine Hintertürchen, durch die man entwischen kann, gibt.« Die Gründer der CNBLP hatten eine reichsweit operierende Partei im Auge, welche die Interessen der landwirtschaftlichen Klein- und Mittelbetriebe vertreten sollte. Im Gegensatz zur CNBLP, die ausschließlich auf bäuerliche Interessen fixiert war, stellte sich die NSDAP als »Partei über den Parteien« (Heß) dar, die nicht Einzelinteressen vertreten wolle, sondern die »ideale Volksgemeinschaft« postulierte. In seinen Anweisungen an die Funktionäre des ApA »draußen im Lande« schrieb Darré  : Notwendig für diesen Kampf ist […], daß unsererseits durch gewisse Begriffe dem Landmann der Unterschied der Ziele der einzelnen Parteien sozusagen schlagwortartig eingehämmert wird. Es erweist sich z. B., daß unsere Gegenüberstellung von »Bauer« und »Farmer« […] durch die regelmäßige Wiederholung jetzt bereits zum selbstverständlichen Ausdruck zweier 66 Um seine »linken« Pg. zu überzeugen, setzte Darré allein auf deren Antisemitismus. Zunächst, am 22.4.1931, distanzierte sich die NSDAP nur von der Person Damaschke, nicht von dessen politischer Zielsetzung. Schon da gab es Proteste, die auch Hitler erreichten. Damaschke selbst rätselte über die neuen Erklärungen aus der NSDAP  : Sie seien »in einer Form und in einem Tone [verfasst], wie sie sich sonst keiner der alten Führer wie etwa Stöhr und Strasser, Frick und Feder abzugeben bisher herausnahmen. Und nicht nur der Inhalt, sondern auch die Art seiner Erklärungen läßt auf einen Mann in ganz besonderer Stellung schließen.« (Bodenreform, Nr. 24/1931, zit. n. Pesl, 1932, 7 f.). Ab dem 1.8.1931 erschien die Artikelserie Darrés im VB, »Damaschke, die Bodenreformer und der Marxismus«, in der nun auch inhaltlich (»marxistischer Kerngehalt der Lehre«) gegen Bodenreformbestrebungen argumentiert wurde. Darin ›entlarvte‹ er Damaschke und seine Anhänger als ›Handlanger des Judentums‹ und warf ihnen vor, »hemmungslos gegen meine Person« herzuziehen und einen Gegensatz »zwischen Führern der NSDAP und mir« nachweisen zu wollen (Darré, EuW, 1940, 216 ff.). Darrés Mitarbeiter K. F. Jurda legte im 9. Landw. Beiblatt des VB v. 12.9.1931 nach  : »Marxismus  : Des Bauern Not – Nationalsozialismus  : Des Bauern Zukunft«. Darré hatte schon in einem Rs. v. 18.11.1930 für »Raumgewinn« im Osten geworben, statt sich Gedanken über Binnensiedlung zu machen. 67 Zum Beispiel schrieb Ernst Graf Reventlow, 1908–1914 Chefredakteur der Alldeutschen Blätter, Hg. d. Zs. Reichswart. Wochenschrift für nationale Unabhängigkeit und deutschen Sozialismus, Mitbegründer der »Deutschvölkischen Freiheitspartei« und MdR für die NSDAP seit 1927, am 13.12.1930 im Reichswart  : »Eine Heiligkeit des Privateigentums existiert für uns nicht.« (zit. n. Seipel, 1932, 15).

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grundverschiedener Auffassungen über Landwirtschaft geworden ist, die sich wie Feuer und Wasser scheiden.

Die »Landvolkpartei« müsse verfemt werden als die »Verräterin am deutschen Bauerntum«, die um einen Judaslohn das deutsche Bauerntum dem System auslieferte, es einer hemmungslosen kapitalistisch-liberalen Verfarmerung preisgab. Dem gegenüber ist die NSDAP als »Vorkämpferin im Kampf um Blut und Boden« hinzustellen.68

Bei der RT-Wahl 1930 hatte die CNBLP etwa 1,1 Millionen Stimmen (3,2 Prozent) erhalten, was ihr 19 Abgeordnete einbrachte. Dies war gegenüber 1928 zwar ein großer Erfolg, bei zu großen Erwartungen aber auch eine Enttäuschung. Zu sehr erwies sich ihr Parteimitglied Martin Schiele als wenig erfolgreicher RMEL in der Regierung Brüning als Belastung. In den vielen Wahlkämpfen in den frühen 1930er Jahren ging den Nationalsozialisten der Agitationsstoff nie aus  : Darré wies auf die »verheerenden Folgen eines liberalistischen Denkens« hin, wodurch der »deutsche Landstand zu einem wirtschaftlichen Interessentenhaufen herabgewürdigt« worden sei. Von den Genossenschaften über die berufsständischen Vertretungen (»Bauernvereine«, »Landbünde«, »Bauernschaften«) und die Landwirtschaftskammern in den Ländern und preußischen Provinzen bis hin zu den Ministerien wurden mangelnde Transparenz der Entscheidungsprozesse, bürokratischer Leerlauf und unfruchtbare Parallelarbeit angeprangert, welche »die Dinge verwirren, statt sie zu klären«, und dazu noch »auf Kosten der Bauern« teuer zu finanzieren seien.69 Korruption, überhöhte Gehälter, Bestechlichkeit und die »Osthilfeskandale« – all dies wurde in entsprechender Aufmachung und propagandistischer Verzerrung, oft genug auf frei erfundener Basis, wie sich dann vor Gericht herausstellte, der Landbevölkerung als symptoma68 Rudolf Heß im VB v. 31.7.1931 sowie Rs. Darrés, 18.11.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Er brachte dies wenig später in seinem Aufsatz »Bauer und Landwirt« (August 1932) ausführlich zum Ausdruck (in  : Darré, BuB, 1941, 177 ff.). In einem Bf. v. 14.7.1932 weist er darauf hin, dass die Empfehlung, den Begriff »Bauer« zu benutzen, keineswegs einfach sei. »Im Freistaat Sachsen wollten die Bauern es sich zuerst verbieten [sic] als ›Bauern‹ bezeichnet zu werden  : den Ausdruck ›Landwirt‹ fanden sie vornehmer  !« (StAG, NLD, Nr. 87) Im Übrigen  : M. Müller, 2001 und Gies, 1966, 60 ff. und 1967, 352 f. 69 »Im Kampf um Blut und Boden überwindet der Nationalsozialismus die westlerischen Ideen von 1789 ebenso wie die asiatisch-tatarisch bedingten Ideen des Bolschewismus.« (Darré, Landvolk in Not, 1932, 32) Vgl. auch eine Rede Darrés im Okt. 1932 in  : Stahn/Bojano, 1934, 56 f. und VB v. 4.10.1932 sowie das Vortragsmanuskript für eine Wahlkampfreise im Okt./Nov. 1932 (StAG, NLD, Nr. 159). Es ist erstaunlich, dass in Gerhard Pauls Darstellung der NS-Propaganda vor 1933 (1990) die Aktivitäten des ApA überhaupt nicht vorkommen. Mit Verwunderung liest man das Vorwort von Jürgen Falter, in dem er die Forschungsergebnisse Pauls rühmt  : »Angestellte, Bauern oder Frauen spielten als Zielgruppe der Wahlkampfstrategie in der NSDAP immer nur eine geringe Rolle.« Vgl. demgegenüber auch Farquharson, 1976, 36 ff. und Corni, 1990, 26 ff.

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tische Erscheinung im republikanisch-demokratischen »System« vorgeführt. Dabei scheuten die Funktionäre des ApA auch vor persönlichen Verunglimpfungen, Beleidigungen, perfiden Unterstellungen und Drohungen nicht zurück  – auch Darré nicht.70 Ein weiteres Leitprinzip nationalsozialistischer Propaganda auf dem Lande war es, eine allgemeine Untergangspsychose zu schüren. Es erschien kaum ein Presseorgan der NSDAP, in dem nicht über Preiszusammenbrüche auf dem Agrarmarkt und Zwangsversteigerungen bäuerlichen Besitzes berichtet wurde. Unter dem Motto »Die Landwirtschaft vor dem Ruin  !« wurde die durch Agitation in Gärung gehaltene »Stimmung auf dem Lande« geschürt. Es wurden »Notschreie« und »Notrufe«, Protestresolutionen und Entschließungen »der deutschen Landwirtschaft« auf Kundgebungen und Versammlungen gefasst und mit Hilfe von Presseartikeln veröffentlicht sowie als Telegramme gezielt an Regierungen und Agrarpolitiker geschickt.71 Als würde ein apokalyptischer Reiter durch die Lande ziehen, so wurden die Sorgen der Gegenwart in den schwärzesten Farben gemalt. Auch ein Aufruf wie »Der Bauer steht auf  !« wurde nicht als Widerspruch zur Taktik einer »legalen« Machteroberung empfunden, denn die auf solche Weise provozierte und verstärkte Unzufriedenheit der Bauern war Wasser, das bei den Wahlen leicht auf die Mühlräder der NSDAP geleitet werden konnte. So dachte die NSDAP überhaupt nicht daran, etwa die Hinweise aus der CNBLP auf »zutage tretende Gemeinsamkeiten in agrarpolitischen Forderungen« aufzunehmen oder ihre »Zeichen der Friedensbereitschaft« ernst zu nehmen – sie wurden als plumpe Anbiederung strikt zurückgewiesen.72 Natürlich versäumten die Agitatoren des ApA nicht, der Not leidenden Landwirtschaft weitreichende Versprechungen zu machen. Darré machte es selbst vor, wenn er für Bauern und Landwirtschaft gerade das forderte, was propagandistische Zugkraft besaß  : 1. Verbot von Zwangsversteigerungen  ; 2. Steuer- und Zinssenkungen  ; 3. Zahlungsmoratorium bis zu einer befriedigenden Schuldenregelung  ; 4. »Schutz der Scholle gegen verbrecherische Beleihungsmöglichkeiten« und das »spekulative Spiel der Börse mit Milliardenverlusten«  ; 5. Einschränkung der Einfuhr zur Vermeidung des ausländischen »Schleuderwettbewerbes«   ; und 6. Beseitigung der »ungerecht70 Beispielsweise schrieb Darré in der NSL vom 31.10.1931  : »Die deutschen Bauern haben eigentlich viel Geduld oder vielleicht auch nur viel Sinn für Humor, weil es so schön zum Anschauen ist, wie euer christlichnationaler Parteiladen platzt. Denn sonst müßten sich die deutschen Bauern einige Haselstecken so richtig handgerecht zuschneiden, sie schön und liebevoll glätten und dann euch Häuptlingen von der Landvolkpartei samt euren Kreaturen den Hintern derart vollhauen, daß ihr vermeint, die Engel im Himmel jubilieren zu hören. Ihr gottverdammten Bauernführer, ihr  !« 71 Pars pro toto  : »Notruf der ostpreußischen Landwirtschaft«, in  : Georgine. Wochenblatt der LK-Ostpreußen v. 27.10.1931, 592 (PA d. RLB) 72 Der Thüringer Landbund. Organ des Thüringer Landbundes, der dort eng mit der CNBLP verbunden war, Nr. 95 v. 28.11.1931 (PA d. RLB, 492 L/3, Bl. 107) sowie Goebbels, NS-Monatshefte, 1930, 221 ff. und Willikens, 1931, 60 f.

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fertigten (wucherischen) Verdienstspannen des Zwischenhandels«.73 In Abgrenzung von der CNBLP und den regionalen Landbünden, die teilweise wie Parteien LT-Abgeordnete stellten, betonte die NSDAP, nicht ausschließlich »Standesinteressen« zu verfolgen, sondern für sie sei die Not der Bauern eine »grundsätzliche deutsche Lebensfrage«. Von dieser Position aus war es plausibel zu machen, dass ein »Stand«, dessen Geburtenüberschuss das »Volkstum« erhalte und dessen Nahrungsmittelproduktion »Ernährungsautarkie« ermögliche, besonderer staatlicher Pflege bedürfe, ja eine Vorzugsstellung im zukünftigen Staate erhalten müsse. Dass eine Eigenbedarfsdeckung Deutschlands mit Nahrungsmitteln völlig illusorisch war, spielte keine Rolle. Und dass Darré mit »bevölkerungspolitisch« eigentlich »rassisch« meinte, konnte nur verstehen, wer mindestens von seinem Antisemitismus Kenntnis genommen hatte. Darré wies seine Mitarbeiter im ApA an, Abb. 21 Wahlplakat der NSDAP, »heiße Eisen« wo möglich zu meiden, um so nicht 1932. »einen Wechsel auf Zukunft« zu ziehen, der dann eventuell nicht eingelöst werden könne. In der Sprachregelung der Nationalsozialisten hieß das, die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern »auf weltanschaulicher Basis« zu führen  : Der Kampf für den Bauern ist nur zu gewinnen, wenn auf der weltanschaulichen Ebene den übrigen Volksschichten eingehämmert werden kann, daß das Dasein der Deutschen als Volk schlechthin abhängt von der völkischen Wiedererneuerung vom Bauerntum her. Das Ringen des Nationalsozialismus um den Bauern ist ebenfalls nur zu gewinnen, wenn den Bauern klar wird, daß die Erhaltung des Bauerntums im deutschen Raum im letzten Grunde gar keine wirtschaftliche, sondern eben eine weltanschauliche Grundfrage ist und daß eben darin die grundlegende Verschiedenheit in den Auffassungen des Nationalsozialismus gegenüber allen anderen Parteien liegt.

73 Rs. Darrés an die LGF, 22.7.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) und 14.10.1932 (ebd., Nr. 145) sowie Bericht über eine Rede Darrés auf einer Bauernkundgebung in  : Schleswig-Holsteinische Tageszeitung v. 22.9.1931 (PA d. RLB, 492 L/3, Bl. 56).

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In einer beispiellosen Kampagne ging Darrés ApA seit Herbst 1931 gegen die C ­ NBLP vor, obwohl es durchaus Gemeinsamkeiten wie »Aufbau des Staates auf berufsständischer Grundlage« und Ernährung des »deutschen Volkes aus eigener Kraft« gab.74 Die NSDAP erklärte eine agrarpolitische Interessenpartei für überflüssig und ihren Sammlungsversuch bäuerlicher Wähler als weltfremd  : »In einem kranken Staat kann niemals eine Wirtschaftsgruppe allein gesunden.« Die nationalsozialistische Agitation fuhr aber noch schärfere Geschütze auf  : Die Gegnerin wurde als »jüdisch, liberalistisch« und »Knecht der roten Volksverderber« gekennzeichnet und unter der Parole »Zertrümmert die Landvolkpartei  !« das Ziel, »der restlose Zerfall der Landvolkpartei«, offen anvisiert. Ein allgemeines Kesseltreiben setzte ein, bei dem es nicht bei verbalen Entgleisungen blieb. »Für alle Fälle« ließ Darré die Vertreter des politischen Gegners wissen, »daß ihr bisheriges Verhalten ihnen bei einem immerhin vorauszusehenden Regierungswechsel wenig Aussicht auf Fortkommen im Dritten Reich gewährleistet.«75 Ab Februar 1931 hatten sich drei wichtige MdR des »Landvolkes« bzw. der CNBLP, darunter der Direktor des »Reichslandbundes« (RLB) Heinrich von Sybel, in Richtung NSDAP abgesetzt und mit der Wahl des Hugenberg-Freundes Graf Kalckreuth zum Geschäftsführenden RLB-Präsidenten resignierten die Kopräsidenten Hepp und Schiele von der CNBLP, so dass die Partei aus der RLB-Zentrale keine Unterstützung mehr erhielt. Dies wurde besonders deutlich am »Fall« Wilmowsky in der preußischen Provinz Sachsen. Dort war im September 1931 der LB-Vorsitzende Tilo von Wilmowsky nicht wiedergewählt worden, weil die RLB-Zentrale und der ApA des Gaues Halle-Merseburg gemeinsame Sache machten. Darré kennzeichnete den KruppSchwager als »Großindustriellen, Vorstand der Danatbank und Mitglied des Reichseisenbahnrates« und sah in ihm einen »Nichtlandwirt und üblen Landvolkparteiler«. Wilmowsky hatte sich 1929 vom Hugenberg-Kurs der DNVP distanziert und war im Oktober aus dem »Reichsausschuß«, der das Volksbegehren gegen den Young-Plan vorbereitet hatte, ausgetreten. 1931 schied er auch aus dem Präsidium des RLB aus, wegen einer Kontroverse um Zollerhöhung und Kontingentierung der Lebensmitteleinfuhr durch die Regierung, für die sich der RLB mit Kalckreuth starkmachte. Wilmowsky gehörte zu den aufgeklärten, modern denkenden Agrariern, die auch die Interessen der Exportwirtschaft und ihre Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft im Auge hatten. Er war seit 1920 LB-Vorsitzender gewesen und hatte 1922 ein »Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft« gegründet, dessen Vorsitzender 74 Rs. Darrés, 1.12.1932 (StAG, NLD, Nr. 145) und Satzung der CNBLP, zit. n. Mommsen/Franz, 1931, 116. 75 Willikens im 4. Landw. Beiblatt des VB v. 6.6.1931 und R. Peukert, »Die Politik der Landvolkpartei – eine Tragödie«, VB, 1.8.1931 (7. Landw. Beiblatt)  ; VB v. 6./7.12.1931 sowie Der Thüringer Landbund, Nr. 95 v. 28.11.1931. An die Schriftleitung der Zs. schrieb Darré am 18.11.1931  : »Für alle Fälle mache ich ihre Funktionäre darauf aufmerksam, daß sie die Quittung für ihr Verhalten bekommen werden, und daß sie, wenn sie so weiter machen, im 3. Reich auswandern können.« (Deutsches Landvolk, Nr. 48 v. 26.11.1931, PA d. RLB, 492 L/3, Bl. 106 f.).

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er bis 1933 war. Darré sah im Sturz Wilmowskys in der preußischen Provinz Sachsen eine Bestätigung seiner »Politik der Eroberung der Landbünde in den Ländern und Provinzen von unten her, d. h. über die Kreislandbünde«.76 Bei den verwirrenden Wechseln und Rochaden landwirtschaftlicher Interessenvertreter in Führungspositionen in RLB, DNVP und CNBLP konnte Darré sein Ziel leicht erreichen  : Schon bei der Wahl zum Preußischen Landtag am 24. April 1932 konnte die CNBLP kein Mandat erringen und auch die RT-Wahl im Juli 1932 wurde für sie ein Desaster. Sie erhielt nur noch wenig mehr als 90.000 Stimmen (0,3 Prozent). Im November 1932 konnte sie mit 46.000 Wählerstimmen kein einziges RTMandat mehr erringen. »In gewaltigem Ausmaße holte das platte Land, das bis dahin in den Erfolgsziffern weit hinter den Städten zurückgeblieben war, Boden auf, und bald stellten die Bauern nicht nur die ziffernmäßig stärksten, sondern auch die politisch sichersten Bataillone für Adolf Hitler«, wie es schon in einer zeitgenössischen Darstellung hieß.77 Das ›Superwahljahr‹ 1932 Am 5. April 1933 erklärte Reichskanzler Hitler in einer Rede vor dem »Deutschen Landwirtschaftsrat« (DLR), der Spitzenvertretung aller Landwirtschaftskammern (LKn) in Deutschland  : […] die Erhebung, die hinter uns liegt, sie wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht immer ein Teil des Volkes auf dem Lande in unseren Reihen gestanden hätte. Es wäre unmöglich gewesen, in den Städten allein jene Ausgangsstellungen zu erobern, die uns auch in unserem Handeln das Gewicht der Legalität gegeben haben. Das deutsche Volk verdankt darum die Erneuerung, die Erhebung und damit auch den Umschwung, der zur allgemeinen Gesundung der deutschen Verhältnisse führen wird, den deutschen Bauern.78

Der hier zum Ausdruck gebrachte Erfolg der NSDAP bei der Landbevölkerung wird durch die Wahlergebnisse zwischen 1930 und 1933 eindrucksvoll belegt. Allein im Jahre 1932 wurden die Staatsbürger fünf Mal zur Urne gerufen, von den Kommunalwahlen ganz abgesehen. Dabei zeigte sich durchgehend, dass je höher der Anteil der Agrarbevölkerung war, umso erfolgreicher die NSDAP abschnitt. Auch in den 76 Darré über Wilmowsky  : Bf. a. d. ROL I, 21.9.1931 (BA, NS 22/449)  ; SRs. Darrés v. 2.7. und Rs. v 23.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142)  ; Bf. des RLB-Direktors Sybel an Darré, 20.10.1931 (ebd., Nr. 87)  ; Bf. Wilmowkys an Hugenberg, 11.10.1929 (abgedruckt bei Gessner, 1981, 115 f.)  ; SRs. Darrés v. 11.4.1933, in dem er den Sturz Wilmowskys als »Todesstoß« für die »Landvolk-Richtung« bezeichnete (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991) sowie Merkenich, 1998, 334 ff.; Zollitsch, 1999, 254 ff. und Gies, 1967, 354. 77 PA d. RLB, 492 L/2, Bl. 118 (BA, R 8034)  ; Stahn/Bojano, 1934, 50  ; Seipel, 1932 sowie Gies, 1974, 143  ; Schumacher, 1977, 42 ff.; Pyta, 1996, 311 ff. und insbesondere M. Müller, 2001, 185 ff. 78 VB vom 6.4.1933, zit. n. Domarus, 1973, Bd. 1, 253.

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Kammerwahlen 1931/32 zeigte sich, wie neue wahlstatistisch basierte Analysen bestätigt haben, dass dort, wo kleine Nebenerwerbsbetriebe und mittelgroße Höfe, also bäuerliche Familienbetriebe, vorherrschten, der Anteil der NSDAP-Wähler besonders hoch war.79 Zur Wahl des Reichspräsidenten am 19. März 1932 trat auch Hitler an. Allerdings konnte er erst kandidieren, nachdem er sich bei der Gesandtschaft Braunschweigs in Berlin zum Regierungsrat hatte ernennen lassen und sich damit die deutsche Staatsbürgerschaft quasi erschlichen hatte. Die NSDAP eröffnete schon sehr früh den Wahlkampf, indem Gregor Strasser am 1. Januar 1932 – sicherlich nicht ohne Darrés Einfluss – vor einem Ausfall der Ernte im Herbst warnte, was »jeder Regierung fast unlösbare Schwierigkeiten« machen werde. Schon 1930 und 1931 waren schlechte Ernten zu beklagen gewesen und nun spekulierte man in Landbundkreisen über einen Ertragsausfall von 2 bis 5 Millionen Tonnen Getreidewert. Daraufhin arbeitete Darré einen »Aufruf« Hitlers aus, um ihn als Protektor vor einer »Hungersnot« bekannt zu machen und ihn als Staatsmann, der das Wohl des Volkes im Auge habe, zu empfehlen. Der Text »Deutsche Ernte 1932 in Gefahr  !« erschien, nachdem Darrés Entwurf mehrfach geändert worden war, am 18. Februar 1932 in allen nationalsozialistischen Presseorganen, natürlich auch im Völkischen Beobachter und in der Nationalsozialistischen Landpost. Es ging um die Frühjahrsbestellung und die Kreditierung von Saatgut- und Düngemittelkäufen.80 Die Reichsorganisationsleitung (ROL) der NSDAP gab die Parole aus  : »Hinweg mit dem System  ! Dem Nationalsozialismus die Macht  !« Der Amtsinhaber und neualte Kandidat Hindenburg war also zu schonen. In einer »Denkschrift« der ROL vom 4. Februar hieß es  : »Es muß den Menschen eingehämmert werden, daß dieses System zwangsläufig zum bolschewistischen Chaos führen muß, daß es in Wirklichkeit um Sein oder Nichtsein des gesamten deutschen Volkes geht.« Nur mit einem Votum für Hitler sei es möglich, mit »einem nationalsozialistischen Staat die Volksgemeinschaft aller schaffenden Deutschen zu begründen«. Angesichts der Kandidaten Hindenburg, Duesterberg (»Stahlhelm«) und Hitler, die  – neben Thälmann (KPD)  – zum ersten Wahlgang antraten, konnte der Zerfall der »Harzburger Front« nicht mehr verschleiert werden.81 79 Zunächst Loomis/Beegle, 1946  ; Heberle, 1963, 111  ; Gies, 1966, 82 ff. und Childers, 1976. Dann Gies, 1986, 132 ff.; J. Falter, 1991, 258 ff. und Pyta, 1996, 324 ff. 80 Strasser, 1932, 315 sowie Rs. Darrés Nr. 12 v. 24.2. und Nr. 14 v. 29.2.1932 (STAG, NLD, Nr. 145). Dem »Aufruf« war eine Besprechung Darrés mit den GLn Koch (Ostpreußen), Hildebrandt (Mecklenburg), Brückner (Schlesien), Schlange (Brandenburg) und Karpenstein (Pommern) am 13.2.1932 in Berlin vorausgegangen (Entwurf eines Berichtes Darrés an Hitler, StAG, NLD, Nr. 159). Wortlaut des Aufrufs  : Hitler IfZ, Bd. IV/3, 1997, 127 ff. Zu den Aktivitäten RMEL Martin Schieles zur Kreditsicherung für Saatgut und Düngemittel  : AdRk, Reg. Brüning, Bd. 3, Dok. 641, 654 u. 656 sowie die entsprechende VO des RP v. 23.1.1932 (RGBl. 1932 I, 32 f.). Zum Kontext  : Gies, 1966, 102 ff. und 1967, 369 f. 81 Darré nannte die DNVP »Schwanzstück des Nationalsozialismus« und schrieb  : »Und was soll der Un-

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Nachdem es im Dezember 1931 gelungen war, Werner Willikens für die NSDAP in das RLB-Präsidium zu lancieren, hatte die DNVP ihre uneingeschränkte Unterstützung durch die größte Standesorganisation der Landwirtschaft verloren. Im Gegenteil  : Unter der Führung des Grafen Kalckreuth wandte sich der RLB immer mehr der NSDAP zu. Am 8. Januar 1932 konnte der Völkische Beobachter von schweren Vorwürfen berichten, die der Geschäftsführende Präsident des RLB gegen Reichspräsident Hindenburg erhoben hatte. Er bezichtigte ihn mangelnder Verantwortungsfreudigkeit und Entschlusskraft, denn sonst hätte Deutschland eine Regierung, »die den Willen und die Kraft aufbringt, die Gestaltung des Geschickes des deutschen Volkes selber in die Hand zu nehmen, die nicht die schweren Folgen eigener Unterlassungssünden als unentrinnbare Fügung des Schicksals betrachtet.«82 Obwohl verschiedene Provinzial- und Landbünde in Mitteldeutschland sich für Hindenburg bzw. Duesterberg aussprachen, erteilte der RLB seinem Ehrenmitglied und Amtsinhaber als »jetzigem Kandidaten des Systems« eine Absage und stellte seinen Mitgliedern die Entscheidung zwischen Hitler und dem »Stahlhelm«-Führer Duesterberg frei. Nach der Wahl gratulierte Graf Kalckreuth für das RLB-Präsidium Hitler zu seinem Erfolg und forderte ihn für den zweiten Wahlgang auf zu »einer entschlossenen Weiterführung unseres [  !] Kampfes bis zum endgültigen Siege«. Der Geschäftsführende RLB-Präsident bestätigte hier Goebbels, der nach einem Tefefonat mit Darré schon vor der Wahl triumphiert hatte  : »Der Reichslandbund hat sich für uns entschieden.«83 Darré führte den Wahlkampf im Stile ›alles oder nichts‹. Unter möglichst weitgehender Berücksichtigung der gerade auf dem Lande vorhandenen ehrerbietigen Gefühle für den greisen »Helden von Tannenberg« und »Befreier Ostpreußens« griff die Agitation des ApA besonders heftig die Hindenburg unterstützenden »Parteien des Systems« an. »Hinter der deutschen Reckengestalt […] versteckt sich das System der schwarz-roten Herrschaft  !«, schrieb Darré.84 sinn, daß die Deutschnationalen sich nicht dem parteipolitischen Diktat der NSDAP beugen wollten  ? Wer hat die ›Nationale Front‹ zu einem wirklichen Machtfaktor gegen dieses System werden lassen  : Hitler oder die Deutschnationalen  ? Ich denke doch wohl Hitler  !« (Manuskript eines Wahlkampfartikels, STAG, NLD, Nr. 159). 82 Die Frankfurter Zeitung beklagte in einem Leitartikel am 1.1.1932 (»Bedrohte Bauern – Drohende Bauern«) die durch Darrés ApA herbeigeführte Radikalisierung auf dem Lande. Das Berliner Tageblatt (Nr. 306) brachte im Juli 1932 seine Sorge zum Ausdruck, dass das aufgestachelte Dorf zum »gefährlichsten Gegner des Staates« geworden sei. Der Artikel wurde von Darré seinen Mitarbeitern in einem Rs. v. 10.7.1932 bekannt gemacht (StAG, NLD, Nr. 159). 83 Im Rs. v. 29.2.1932 teilte Darré seinen LGF mit, die LBe Thüringens, Sachsens und Anhalts weigerten sich, die Erklärung des RLB zu veröffentlichen, und forderte sie auf, die Publizierung zu erzwingen (StAG, NLD, Nr. 145). Veröffentlichung des Wortlautes der Erklärung des RLB im VB v. 19.2.1932. Vgl. auch den Wahlaufruf »Landvolk, auf zur Hitlerwahl  !« im VB v. 12.3.1932 und Telegramm des RLB in NSL v. 20.3.1931 sowie Goebbels, 1934, 64 und Gessner, 1977, 182 f. Zur Schonung Hindenburgs im ersten Wahlgang vgl. Pyta, 2007, 671 f. 84 Vgl. u. a. Rs. Darrés v. 29.3.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). In seinem Ms. eines Zeitungsartikels kommen

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Er malte seinen Mitarbeitern eine Niederlage Hitlers in den schwärzesten Farben aus und trieb sie mit aller Energie zu immer neuen Anstrengungen. Er sprach von einer »Entscheidungsschlacht«, machte Druck auf die nationalsozialistischen »Landbündler«, ihren »Führer« und nicht Duesterberg zu wählen, und startete eine Flugblatt-Aktion unter dem Motto »Was hat das Landvolk vom Nationalsozialismus zu erwarten  ?«85 Umso enttäuschter war er von dem Wahlergebnis am 16. März, wenn er auch das stolze Gefühl nicht verbergen konnte, dass der ApA wenigstens die »Ehre der NSDAP gerettet« habe. Immerhin hatte Hitler in den ländlichen Regionen Schleswig-Holstein, Thüringen, Osthannover und Ostpreußen eine klare Mehrheit erhalten. Tatsächlich erhielt Hitler als »Führer des jungen Deutschland« – er war 43, Hindenburg dagegen 84 Jahre alt – im ersten Wahlgang 30,1, Hindenburg dagegen 49,6 Prozent der Wählerstimmen.86 In Regionen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil Landbevölkerung votierten für Hitler durchschnittlich 37,1, für Hindenburg 43,6 Prozent. In Städten bzw. überdurchschnittlich städtisch geprägten Regionen war das Verhältnis 27,7 zu 44,1 Prozent. Hitler erhielt im Vergleich mit dem Gesamtergebnis im Reich in den hier herangezogenen ländlichen Regionen etwa sieben Stimmen vom Hundert mehr, während er im städtischen Milieu etwa 2,4 vom Hundert weniger erdie Denkweise und der Propagandastil Darrés und des ApA konzentriert zum Ausdruck. Es sei, so führte Darré aus, eine bittere Erfahrung für einen Soldaten, sich in Hindenburg getäuscht zu haben. Aber  : »Hindenburg wandte dem nationalen Deutschland den Rücken, ihm waren die jüdischen Genossen eines Barmat und Kutisker, eines Roggenstützungs-Baade, eines Preußenkassen-Klepper zuverlässige Berater. Damit hat Hindenburg öffentlich gezeigt, wo er auch die bisherigen sieben Jahre gestanden hat. Und wir deutschen Bauern wundern uns jetzt nicht mehr über das Ergebnis der sieben Jahre Präsidentschaft Hindenburgs.« (ebd., Nr. 159). 85 Versprochen wurde in der NSL v. 3.4.1932 u. a. sofortiger Vollstreckungsschutz und ein einjähriges Moratorium für alle Schuldverpflichtungen und Steuerzahlungen  ; Regulierung, d. h. Drosselung der Einfuhr für Agrarprodukte  ; Verstaatlichung der Banken und Abschaffung langfristiger Kredite. Vgl. auch Rs. Darrés v. 22. und 31.3.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). Während des Wahlkampfes beschimpfte Darré den Kandidaten Duesterberg, der im Krieg als Offizier schwer verwundet worden und als 2. Vorsitzender des »Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten« als RP-Kandidat aufgestellt worden war, »rassisch minderwertig« zu sein. Es war bekannt geworden, dass er einen jüdischen Großvater hatte. Als der Vorstand des »Vereins der Offiziere des ehem. Feldartellerie-Regiments von Scharnhorst (1. Hannov.) Nr. 10« jüdische Mitglieder für satisfaktionsfähig erklärte, trat Darré demonstrativ aus. Er verweigerte die geforderte »Satisfaktion« mit der Begründung, es widerspreche »der nationalsozialistischen Weltanschauung, einem Juden oder Judenstämmling mit der Waffe Genugtuung zu geben«. In einem Bf. an d. Vors. d. Vereins v. 6.12.1932 definierte er sein »rassisches« Ideal »deutschblütiger bezw. germanischer (weil deutsches und germanisches Blut gleich und verwandt sind) Abstammung« (BA, OPG-Akte Darré). Seine Duellforderung lehnte Darré mit der von Hitler gedeckten Begründung ab, er sei – auch als angeblicher Freimaurer – nicht »satisfaktionsfähig« (BA, OPG-Akte Darré  ; Rs. Darrés v. 14.10. und 14.11.1932, StAG, NLD, Nr. 145 und Nr. 159 sowie NSL v. 22.1.1933 und Berghahn, 1966, 245 ff.). 86 Die anderen Kandidaten erhielten  : Thälmann 13,2 und Duesterberg 6,8 Prozent (2,5 Millionen). Zur Wahl vgl. NSL v. 27.3.1932 und Evans, 2005, Bd. 1, 378 ff. Zur Enttäuschung Darrés  : SRs. v. 16.3.1932 (StAG, NLD, Nr. 145) und Gies, 1966, 83 f. sowie Schulze, 1982, 365 ff.

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hielt. Der Unterschied betrug 9,4 Prozentpunkte zugunsten des Landes. Das war in der Tat ein deutlicher Erfolg für die Arbeit Darrés und seines ApA.87 Im zweiten Wahlgang am 10. April 1932, als nur noch zwischen Hindenburg, Hitler und Thälmann zu entscheiden war, konnte sich der Amtsinhaber mit 53 gegen 36,8 Prozent, die für Hitler votiert hatten, durchsetzen. Für Thälmann (KPD) stimmten 10,2 Prozent. Hitler erhielt etwa zwei Millionen Stimmen mehr als im ersten Wahlgang. Der RLB hatte seinen Mitgliedern empfohlen, wieder nicht Hindenburg, wohl aber Hitler zu wählen. Das Ergebnis des Vergleichs zwischen Stadt und Land lautete diesmal  : 47,3 (Hindenburg) zu 45,4 (Hitler) in den hier herangezogenen sechs ländlichen Regionen, 47,5 (Hindenburg) zu 34,9 Prozent (Hitler) im städtischen Milieu. Im Vergleich zum Ergebnis im Reich wählten im zweiten Wahlgang Hitler etwa 8,6 Prozent mehr in den hier herangezogenen ländlichen und 1,9 Prozent mehr in den städtischen Gebieten. Der Unterschied hatte sich also mit 10,5 Prozentpunkten nochmals leicht zugunsten des Landes verstärkt. In Schleswig-Holstein, Pommern und Thüringen hatte Hitler sogar mehr Stimmen als Hindenburg erhalten. Darré konnte also trotz der Niederlage Hitlers zufrieden sein. Der Rücktritt des Reichskanzlers Brüning am 30. Mai 1932 kam nicht unerwartet. Er hatte nach den RT-Wahlen im September 1930 ohne parlamentarische Mehrheit, lediglich toleriert von der SPD regiert. Der im November 1931 berufene »Reichskommissar für die Osthilfe«, Hans Schlange-Schöningen, hatte die Aufgabe erhalten, alle nicht sanierungsfähigen Güter aufkaufen und besiedeln zu lassen. Sein Siedlungsprogramm, das er mit Arbeitsminister Stegerwald erarbeitet hatte, sah vor, die zur Verfügung stehenden Landgüter Landarbeitern und Bauernsöhnen, die sich »um die Ansiedlung auf Gütern der bankrotten Junker bewarben«, freizugeben. Weil in dem Plan auch von Zwangsversteigerung die Rede war, wurde er von RLB-Präsident Graf Kalckreuth mit »Methoden der Volksbeauftragten von 1919« auf eine Stufe gestellt. Für Hindenburg, den »Rächer« der Niederlage des Deutschritterordens 1410 und Verteidiger des »deutschen Ostens« in der Schlacht bei Tannenberg (Grunwald), kam eine Strukturveränderung der ostelbischen Besitzverhältnisse zulasten der Großagrarier – »Raum ohne Volk« hin oder her – nicht in Frage. Aber der Reichspräsident war auch selbst involviert, seitdem er 1927 zum 80. Geburtstag das ostpreußische Gut Neudeck zum Geschenk erhalten hatte, das mit Spenden finanziert und von der Steuer befreit worden war. Hindenburg war also kein »Feldherr« mehr, sondern ein »Junker« geworden. Aber auch der Einfluss der »Ostelbier« auf ihn war so groß, dass es ihnen gelang, dem »Katholiker« Brüning das Vertrauen zu entziehen, um so der »siedlungsbolschewistischen Schöninger Schlange den Kopf zu zertreten«. Natürlich war diese

87 Herangezogen wurden die Ergebnisse in Ostpreußen, Pommern, Schleswig-Holstein, Osthannover, Hessen-Darmstadt und der Pfalz einerseits und in Berlin, Chemnitz-Zwickau, Merseburg, DüsseldorfOst, Westfalen-Süd und Hamburg andererseits. Vgl. Gies, 1986, 127 ff.

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Siedlungsfrage nicht die alleinige Ursache für den verhängnisvollen Sturz Brünings, aber sie sollte auch nicht unterschätzt werden.88 Für Darré läutete Brünings Abgang »eine Wende« und »eine völlig neue Arbeit« ein. »Denn die N.S.D.A.P. ist heute nicht mehr verfolgte Partei, außerhalb aller politischen Geschehnisse stehend, sondern hat von nun an mittelbar und unmittelbar Teil am deutschen Geschick.« Für alle agrarpolitischen Verhandlungen, die in Berlin stattfinden würden, erklärte Darré von München aus seinen Stellvertreter Werner Willikens für allein zuständig.89 Bei der Ablösung Brünings stand auch eine Militärdiktatur Schleichers zur Disposition, sie wurde aber von Hindenburg abgelehnt. Aber der »alte Herr« konnte Brüning nicht verzeihen, ihn von der SPD abhängig gemacht zu haben. Brünings Nachfolger Franz von Papen, Repräsentant des »Westfälischen Bauernvereins« und ebenfalls vom katholischen »Zentrum«, sorgte auf Druck Hitlers für vorzeitige Neuwahlen, die am 31. Juli 1932 stattfanden und zu einem überwältigenden Sieg der NSDAP führten. Darré hatte mit seiner Einschätzung insofern recht, als der Übergang von einer parlamentarischen Demokratie zu einem Präsidialsystem nun Fahrt aufnahm. Bei einer normal verlaufenen Legislaturperiode bis Herbst 1934 wäre die Staatskrise durch eine wirtschaftliche Erholung vielleicht gemildert worden, wodurch ein Wahlerfolg der rechts- und linksextremen Parteien hätte verhindert werden können. Das Wahlergebnis am 31. Juli 1932 brachte der Hitler-Partei 13,75 Millionen Stimmen. Mit 37,4 Prozent verdoppelte sich die Wählerschaft der Nationalsozialisten gegenüber 1930. Nur das katholische und das kommunistischer »Lager« blieben einigermaßen stabil, während die NSDAP bei allen anderen Parteien – auch bei der SPD  – Wählerstimmen abfischte. In den hier herangezogenen ländlichen Regionen lag die NSDAP 9,7 Prozent über dem Ergebnis im Reich, während sie im städtischen Milieu 2,9 Prozent darunter lag. In ostpreußischen Wahlkreisen hatte sie 42 bis 52 Prozent der Stimmen erhalten, in fränkischen und hessischen sogar zwischen 76 und 83 Prozent. Mit 230 MdR (gegenüber bisher 107) stellte sie nun die stärkste Fraktion im Reichstag. Sie war auf dem Höhepunkt ihres Ansehens bei den Wählern und ihrer parlamentarischen Macht. Aber Reichspräsident Hindenburg weigerte sich beharrlich, den »böhmischen Gefreiten« als möglichen Kanzlerkandidaten zu akzeptieren. Darré trat als Nr. 14 der Reichsliste der NSDAP an, wurde erstmals MdR und blieb es.90

88 Muth, 1965, 739 ff. und 1967, 352 f.; Stolper, 1964, 130 sowie Otto Braun, 1949, 167 f. und 241. Vgl. außerdem Gessner, 1976 und 1977  ; Wengst, 1979, 538 ff.; Petzold, 1981, 1128 ff.; Winkler, 1993, 578 ff.; A. Müller, 2003  ; Pyta, 2007 und Gies, 1967, 354 f. 89 SRs. Darrés v. 24.3.1932 mit »Richtlinien für den Wahlkampf auf dem Lande« und Rs. Darrés v. 6. »Brachmond« ( Juni) 1932. Vgl. auch Evans, 2005, Bd. 1. 90 StDR, Bd. 434, 1935, 43  ; J. Falter, 1986, 350 ff.; Ders./Lindenberger/Schumann, 1986a, 133  ; Kolb/ Pyta in  : Winkler, 1992, 155 ff.; Pyta, 1996, 338  ; Turner, 1996, 225 f. und Evans, 2005, Bd. 1, 394 sowie M. Schwarz, 1965.

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Nachdem die Regierung Papen im Reichstag am 12. September 1932 auf Antrag der KPD und mit freundlicher Unterstützung des RT-Präsidenten Göring mit 512 gegen 42 Stimmen das Misstrauen ausgesprochen bekommen hatte, begann ein Wahlkampf gegen die »Bonzen« und »Barone« der »Herrenklubs«. Er wurde von der NSDAP als »Gerichtstag« über das Kabinett der »Novemberverbrecher« von 1918 und der Adligen aufgezogen.91 Auch der Reichsernährungsminister Freiherr von Braun, früher Generaldirektor des »Reichsverbandes« der landwirtschaftlichen Genossenschaften, stammte aus altem ostpreußischem Landadel. Hitler absolvierte seinen vierten »Deutschlandflug«, mit dem er das ganze Land – auch die ländlichen Regionen – erreichte.92 In dieser Wahl hatte sich Darré vorgenommen, die DNVP, die im Juli schon erhebliche Verluste erlitten hatte, besonders ins Visier zu nehmen.93 Die Partei war 1924 zweitstärkste Fraktion im Reichstag geworden, hatte sich zur Teilnahme an der Regierung Luther durchgerungen und die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 unterstützt. Diese positive Haltung zum Staat war aber mit der Wahl Hugenbergs 1928 zum Vorsitzenden vorbei. Die DNVP radikalisierte sich nach rechts, reihte sich in die »nationale Opposition« ein und inszenierte sich als »Feind des [Weimarer] Systems«. Seit dem Volkbegehren gegen den Young-Plan hatten DNVP und NSDAP an einem Strang gezogen  : Kampf gegen das Versailler »Diktat«, grundsätzliche Ablehnung der Weimarer Republik, des »Parteienstaates« und des Parlamentarismus, Errichtung einer autoritären Staatsführung  – das waren genug gemeinsame Ziele, die durch den rechtslastigen Hugenberg-Kurs in der DNVP noch verstärkt wurden. Diese zeitweilige Zusammenarbeit mit Hitler und der NSDAP wurde nun gekündigt. Darré gab für den ApA die Losung aus, die DNVP, insbesondere Hugenberg, »mit der Reaktion zu identifizieren« und als »verkalkten Führer der DNVP« anzugreifen. Die »Hugenberg-Presse« sei »als Sprachrohr eines verkalkten Klüngels« darzustellen und die NSDAP dagegen auf dem Lande als Alternative »jüngerer Kräfte« herauszustellen.94 Obwohl das Verhältnis der NSDAP zur Hugenberg-Partei bisher recht gut gewesen war, hatte Darré die Partei, mit der die NSDAP im Reichstag gemeinsam eine rigide Obstruktionspolitik betrieb, immer misstrauisch im Auge, auch 91 Vgl. die »Denkschrift« der Reichspropagandaleitung (BA, NS 26/289) und Goebbels, »Zur Reichstagswahl am 31.7.1932«, in  : Unser Wille und Weg 2/1932, Heft 7, 189). 92 Die vier »Deutschlandflüge«, die Hitler 1932 absolvierte, wurden als ein reichsweites Spektakel unter dem Motto »Hitler über Deutschland« inszeniert. Wie ein Heilsbringer, ein Erlöser, ein Messias, schwebte der »Führer« mit einer Junkers D-1720 zu seinen Kundgebungen ein  – es waren zwischen April und November insgesamt 148. 93 Vgl. Thimme, 1969. Der dritte ernst zu nehmende Gegner der NSDAP auf dem Lande, das »Zentrum« bzw. die »Bayerische Volkspartei«, schied wegen der Konstanz seiner Anhänger bzw. Wähler als mögliches Angriffsziel aus (Manuskript einer Rede Darrés vor GL und LGF am 3.2.1932 [StAG, NLD, Nr. 159]). 94 Rs. Darrés v. 17. »Gilbhardt (Okt.)« 1932 (BA, NS 22/360) und weitere Rs. Darrés an die LGF v. 7. und 8.9. sowie v. 12., 14. und 17.10.1932 (StAG, NLD, Nr. 145).

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als im Oktober 1931 in Bad Harzburg eine »Nationale Front« zusammen mit dem »Stahlhelm« und dem »Reichslandbund« geschmiedet wurde. Das Dilemma bestehe darin, schrieb Darré nun an seine Mitarbeiter, daß wir uns bei Koalitionen einerseits den Deutschnationalen gegenüber als Verbündete aufführen müssen, während wir auf der anderen Seite ein Verwischen der Grenzen im Bewußtsein der ländlichen Bevölkerung zwischen Deutschnationalen und uns unter allen Umständen verhindern müssen.

So blieb nur eine doppelbödige Taktik gegenüber der DNVP  : »zum Schein nach außen hin«, wie es Darré ausdrückte, gemeinsame Opposition, realiter aber kompromissloser Kampf. Darré handelte sicher nicht ohne Rückendeckung seines »Führers«, wenn er zu der Zeit, als in Bad Harzburg eine »nationale Front« geschmiedet wurde, betonte  : »Ich gebe mich den Deutschnationalen gegenüber nicht den geringsten Täuschungen hin und weiß auch weltanschaulich-agrarpolitisch ganz genau, wo die Grenze verläuft.«95 Die Verluste der DNVP in den Wahlen seit 1930 waren vorzüglich dazu geeignet, Darré in seinem zunächst verdeckt geführten Wahlkampf zu bestätigen. Zwischen 1928 und 1932 verlor die DNVP in den Wahlkreisen an der deutschen Ostgrenze sowie in Schleswig-Holstein etwa 50 Prozent Wählerstimmen. Um sich von Hugenberg »nicht ausbuttern zu lassen«, gab Darré nun im Herbst 1932 die Parole aus  : »NSDAP  : Im Kampf um Blut und Boden – DNVP  : Im Kampf um nationalen Wirtschaftsliberalismus  !« Schon seit August 1932 hatte die NS-Landpost ihre offene Agitation gegen die Partei Hugenbergs verstärkt und im Oktober übermittelte Darré seinen Mitarbeitern im ApA einen detaillierten »Propagandaplan« gegen die DNVP mit verschiedenen »Angriffswellen«, Parolen und Aktionen.96 Am 8. September 1932 hatte Darré Landwirtschaftsminister von Braun ein Telegramm geschickt, in dem er ihn »im Auftrag von Millionen deutscher Bauern« zum Rücktritt aufforderte. »Das deutsche Bauerntum« sei »sich zu gut, um in der Fron des internationalen Leihkapitals zu sterben«, und er könne durch seinen »Rücktritt den Weg zur Rettung des deutschen Bauerntums freigeben«. Das »händlerische Leihkapital und seine Gebieter« seien »Todfeinde jedes bodenständigen Volkstums« und der »Wirtschaftsliberalismus« sei die »tiefste Wurzel aller heutigen Bauernnot«, schrieb 95 In seinem Rs. Nr. 89 v. 10.10.1931 forderte Darré von den LGF Informationen über die DNVP an, die er zu »unseren Gegnern« rechne (StAG, NLD, Nr. 142). Vgl. auch Darrés Rs. v. 18.11. und 19.12.1931 (ebd.). Außerdem Schulz, 1992, 819 ff.; Winkler, 1992 und 1993, 444 ff. sowie – auch zum Folgenden – Gies, 1966, 79 ff. 96 Rs. Darrés Nr. 42 (10.10.1932) bis Nr. 50 (StAG, NLD, Nr. 145). Am 16.10.1932 hielt Darré eine Rede auf einer Kundgebung in Münster/Westf., über die der VB am 23./24. mit der Überschrift berichtete  : »Die jüdischen Börsenherren im Hintergrund  : Katastrophaler Zusammenbruch der Agrarpolitik des Kabinetts von Papen. Das Ultimatum von Pg. Darré abgelaufen«. Vgl. auch Frankfurter Zeitung v. 1.11.1932. Im Übrigen  : Gessner, 1977a. und Corni, 1990, 25 und 32.

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Darré. Am 2. Oktober habe er ihn in Weimar »gelegentlich des großen nationalsozialistischen Reichsbauerntages« – tatsächlich war es eine Tagung der LGF des ApA mit anschließender »Kundgebung« – ultimativ aufgefordert, eine »autonome Kontingentierung« der Einfuhr von Agrarprodukten durchzuführen. Dieses »dem Kabinett v. Papen gestellte Ultimatum« sei abgelaufen, die Herrschaft des »vorwiegend jüdischen Kapitals« sei ungebrochen und deshalb hätten »das deutsche Bauerntum und die deutsche Landwirtschaft nichts, aber auch rein nichts mehr zu erwarten« von dieser Regierung, schrieb Darré unter dem 24. »Gilbhardt« 1932 an den Minister.97 Aber die NSDAP hatte offensichtlich bei den bürgerlichen Wählern ihr Mobilisierungspotential ausgeschöpft und ihren Nimbus der Unwiderstehlichkeit verloren. Sie büßte am 6. November 1932 mit etwa zwei Millionen Stimmen gegenüber der JuliWahl 4,2 Prozent ein. Aber sie hatte immer noch 33,1 Prozent Wählerstimmen für sich gewonnen. Ihre RT-Fraktion schrumpfte von 230 auf 196 Mitglieder. Aber die KPD hatte mehr als 600.000 Stimmen dazugewonnen, was bei allen Konservativen, insbesondere bei den Agrarpolitikern die Alarmglocken zum Läuten brachte  : Stand eine kommunistische Machteroberung bevor  ? Das erklärte Wahlziel der NSDAP, die DNVP zu zerschlagen, wurde verfehlt, im Gegenteil  : Hugenberg ging gestärkt aus dieser Wahl hervor (8,8 gegenüber 5,9 Prozent im Juli). Auch eine gewisse Wahlmüdigkeit mag den neuerlichen Urnengang beeinflusst haben. Gleichwohl hatte Hermann Reischle, Darrés erster Biograph, nicht unrecht, wenn er 1933 schrieb, »daß das Bauerntum nicht nur die ziffernmäßig stärksten, sondern auch die politisch sichersten Bataillone hinter Adolf Hitler« gestellt habe. Zwar ging auch auf dem Land der Vorsprung gegenüber dem Gesamtergebnis leicht zurück (von 9,7 auf 9,3 Prozent), während in den städtisch geprägten Regionen die NSDAP von 2,9 unter dem Reichsdurchschnitt auf 3,2 Prozentpunkte leicht zulegte, so dass der Unterschied zwischen Stadt und Land minimal von 12,6 auf 12,5 gesunken war. Aber 1930 hatte der Unterschied nur 4,7 Prozentpunkte betragen, ein deutlicher Beleg für die Nazifizierung der Landbevölkerung durch die Arbeit des ApA. Gleichwohl war Darré tief enttäuscht vom Wahlergebnis der NSDAP und beruhigte sich erst, nachdem Hitler ihm und dem ApA ausdrücklich Dank und Anerkennung ausgesprochen hatte.98 97 Darré an RMEL von Braun, 24. »Gilbhardt (Okt.)« 1932 (BA, NS 22/360). In weiteren Rs. an die LGF v. 7. und 8.9.1932 forderte Darré seine Mitarbeiter dazu auf, den RMEL mit »Entschließungen von Bauernversammlungen« und Telegrammen ebenfalls zum Rücktritt aufzufordern (StAG, NLD, Nr. 145). 98 Reischle, 1935, 50. In den Gemeindewahlen am 4.12.1932 verlor die NSDAP in Thüringen sogar 40 Prozent. Göring soll damals gesagt haben, die NSDAP sei nur durch das Votum der Landbevölkerung »gerettet« worden (Treue, 1967, 370). In Rs. Nr. 52 v. 16.11.1932 listete der enttäuschte Darré die Wahlergebnisse in den ländlichen Regionen nach Verlusten gestaffelt auf, von Mecklenburg 24 bis Schleswig-Holstein 14 Prozent. Die Zahlen waren zwar nicht korrekt, der Eindruck reichte aber aus, seinen Mitarbeitern eine Rüge zu erteilen. Erst in Rs. Nr. 54 v. 19.12. und SRs. v. 20.12.1932 übermittelte er dem ApA das Lob Hitlers (StAG, NLD, Nr. 145). Vgl. auch Winkler, 1987, 774 ff. sowie Gies, 1966, 87 ff. und 1986, 125 f.

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Auch bei den Landtagswahlen, die 1932 stattfanden, konnte die NSDAP insbesondere in ländlichen Gebieten außergewöhnliche Erfolge verbuchen, So erreichte sie in Mecklenburg im Juni 1932 die absolute Mehrheit. Schon im November 1929 hatte die »Hitler-Bewegung« in Schleswig-Holstein mit 10,3 Prozent weit vor dem Gesamtergebnis im Reich (2,6) abgeschnitten. Nur in Thüringen waren es mit 11,3 Prozent mehr. 1931 lagen Oldenburg mit 37,2 und Hessen mit 37,1 Prozent weit vor dem Reichsergebnis von 1930 (18,3). In Hamburg erzielte die NSDAP 1931 dagegen »nur« 26,3 Prozent. Die NSDAP stilisierte sich in ihren Plakaten, Versammlungen und Kundgebungen, die neben der Pressearbeit in Landgemeinden besonders wichtig waren, gezielt als Anti-Partei, als »Bewegung«, die einen starken Staat verlangte und allen alles versprach. Sie stellte sich als letztes »Bollwerk gegen den Bolschewismus« dar, was natürlich in landwirtschaftlich geprägten Regionen besonders gut ankam. In Thüringen gab es 1930 schon eine Regierung unter Führung des »Landbundes« und mit Beteiligung der NSDAP und in Braunschweig war 1931 Dietrich Klagges sogar Ministerpräsident geworden. Im Juli 1932 folgten ihm »Gauleiter« Röver in Oldenburg (am 28. Mai hatte die NSDAP 24 von 46 LT-Sitzen erobert) und der »Landwirtschaftliche Gaufachberater« Granzow in Mecklenburg-Schwerin (am 5. Juni hatte die NSDAP mit 49 Prozent die absolute Mehrheit im Landtag gewonnen) sowie Gauleiter Sauckel im August in Thüringen nach.99 Auch in Anhalt, Oldenburg und Thüringen übernahm die NSDAP als stärkste Partei die Regierung. Die LT-Wahlen 1932 sahen für die NSDAP folgendermaßen aus  : in Hamburg 31,2 Prozent, aber 49,0 in Mecklenburg-Schwerin, 48,4 in Oldenburg, 44,0 in Hessen, 42,5 in Thüringen, 36,3 in Preußen und 32,5 Prozent in Bayern.100 Über ein besonderes Ereignis in Hessen ist deshalb noch zu berichten, weil sich Darrés Überlegungen zur Bedeutung der Volksernährung in machtpolitischen Fragen dort 1931/32 materialisierten und er indirekt involviert war. So war in seiner Denkschrift vom 15. August 1930, mit der er die Notwendigkeit eines ApA begründete, von einem »Nahrungsmittelboykott« die Rede, dem, »mit städtischen Nazis organisiert, kein Maschinengewehr gewachsen« sei. Im Sommer 1931 entwickelte er einen Plan zur ernährungswirtschaftlichen Sicherung eines im Herbst eventuell stattfindenden innenpolitischen Umschwungs zugunsten der NSDAP. Im Herbst 1931 veröffentlichte er mit Hierl einen Aufruf zur Erntesicherung und im Februar 1932 schrieb er seinem ›Sponsor‹ Albert Pietzsch, er wisse »aus genauen Quellen, daß die Preußenregierung jede Düngerkreditierung der Reichsregierung unterbindet oder wertlos macht, um im kommenden Herbst einer eventl. Nazi-Reg. durch Hungerunruhen Schwierigkeiten zu bereiten«.101  99 Es kam nicht von ungefähr, dass nach dem überwältigenden Erfolg der NSDAP am 28.5.1932 in Oldenburg RP Hindenburg einen Tag später seinem RK Brüning den Laufpass gab. 100 Heberle, 1963, 97 u. 103 f.; Kuropka, 1979, 52 ff.; Broszat/Frei, 1983  ; Dressel, 1998  ; Rudolph, 1995 sowie Evans, 2005, Bd. 1, 383. 101 BA, NLD, AD 45  ; VB v. 4.8.1931  ; Rs. Darrés v. 23.7.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) und Bf. Darrés an Pietzsch, 18.2.1932 (ebd., Nr. 87).

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Rechtzeitig zur LT-Wahl in Hessen am 15. November 1931 veröffentlichten der hessische Innenminister Leuschner, sein Mitarbeiter Carlo Mierendorff und sein Kollege Carl Severing in Preußen (alle SPD) ein Dokument, das »Blutpläne« für eine gewaltsame Machtübernahme der NSDAP in Hessen öffentlich machte. Es wurde von der Presse sofort als »Hochverratspläne der Nazis« verbreitet und zu einer »Staatsaffäre« aufgebauscht. Dabei handelte es sich  – wie sein Verfasser, Dr. Werner Best, 28-jähriger Amtsrichter im Volksstaat Hessen-Darmstadt und Justitiar der dortigen NSDAP, später meinte – um einen »Diskussionsentwurf«, den er anlässlich einer Besprechung auf dem Boxheimer Hof den anwesenden Parteigenossen am 5. August 1931 ausgehändigt hatte. Pächter des Hofes einschließlich Gasthaus in der Nähe von Bürstadt bzw. Lampertheim war der aus dem Elsass stammende 39-jährige »Landwirtschaftliche Gaufachberater« (LGF) Hessen-Darmstadt Dr. Richard Wagner.102 Es handelte sich um eine Ausarbeitung für eine Situation, in der nach einem kommunistischen Putsch gegen Staat und Regierung ein Machtvakuum entstehen würde und ein Bürgerkrieg zu befürchten wäre. Es war also eine Art Planspiel für eine staatliche Notstandssituation. So stellte Best es jedenfalls im Nachhinein dar. Das Papier konnte aber durchaus auch als Vorarbeit für einen nationalsozialistischen Aufstand verstanden werden. In der durch den Wahlkampf aufgeheizten Atmosphäre, in der es fast täglich gewaltsame Aktionen und Straßenterror von »brauner« SA einerseits und »roter« KPD andererseits gab, waren beide Versionen durchaus plausibel.103 Bests Text macht freilich den Eindruck einer juristischen Fingerübung für den Fall eines gesetzlichen Notstandes, bei der – scheinbar kompetent – staats-, kriegs- und völkerrechtliche Gesichtspunkte miteinander verwoben wurden. Der Verfasser stand am Anfang seiner Karriere, er war ehrgeizig, verfolgte aufmerksam die aktuellen Ereignisse, war leidenschaftlicher Nationalsozialist und voller Tatendrang. Das zeigte sich auch daran, dass Best die Reichsleitung der NSDAP einen Monat nach der Zusammenkunft im Boxheimer Hof in einem nassforschen Brief um eine Stellungnahme zu seinem als privat deklarierten Arbeitspapier ersuchte.104 Damit hatte er freilich eine Grenze überschritten, welche geeignet war, die Legalitätsbeteuerungen Hitlers zu desavouieren. Heß sprach von einem »Dummenjungenstreich«, Hitler führte Bests Aktion auf dessen jugendliche und unbedachte »Kampffreudigkeit« 102 Best, 1932  ; Gies, 1966, 104 f.; H. Mommsen, 1989, 421 f. Schulz, 1992, 604 f. und Herbert, 1996, 112 ff. 103 Schon 1918 und 1923 hatte es solche zugespitzte Situationen gegeben und in der Banken- und Wirtschaftskrise anfangs der 1930er Jahre war – nicht nur aus nationalsozialistischer Sicht – ein Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen. Auch in der Reichswehr wurde zur »Fürsorge für die Bevölkerung« über einen Ausnahmezustand nachgedacht. Für viele war Hitler das geringere Übel als ein Bürgerkrieg. Zur Bankenkrise seit dem Frühsommer 1931 vgl. Born, 1967  ; zur Bürgerkriegsangst und -gefahr Pyta, 1992, 385 ff.; Strenge, 2006, 27 f. und Blasius, 2008. 104 Best an d. RL d. NSDAP, 6.9.1932 (BA NS 22/1053). Vgl. auch das Rs. Darrés v. 11.5.1932 (StAG, NLD, Nr. 145).

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und seinen Geltungsdrang zurück. Gegen den Verfasser der »Boxheimer Dokumente« wurde ein Untersuchungsverfahren wegen »Hochverrats« eingeleitet, er wurde vom Staatsdienst suspendiert (»mit Frau und Kind ohne Existenzgrundlage«) und empfand das, was nun mit ihm in der Öffentlichkeit geschah, als »maßlose Hetze« des politischen Gegners. Nach einem halben Jahr wartete er immer noch auf seine Anklage. In dieser Zeit bereitete er sich auf den Prozess vor, wobei eine Verteidigungsschrift entstand, die er im Mai 1932 im Selbstverlag veröffentlichte. Er widmete sie »in unwandelbarer Verehrung und Treue« Adolf Hitler. Dies empfand er wohl deshalb als nötig, weil er seinen »Führer« und die ganze Partei offensichtlich in Schwierigkeiten gebracht hatte. Die Glaubwürdigkeit der Legalitätstaktik stand auf dem Spiel.105 Zu seiner Rechtfertigung und »öffentlichen Klarstellung« verwies Best auf theoretische Überlegungen kommunistischer Revolutionäre und praktische Aktivitäten von Bolschewisten in Russland und Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg und in der Gegenwart. Dazu gehörte auch eine »Proklamation« des »Arbeiter- und Bauernrates« in Mainz vom November 1918, unter der die Unterschrift des hessischen SPD-Politikers und Ministerpräsidenten Adelung stand. Auch ein Staatsbankrott in der Folge des unerfüllbaren Young-Plans wurde u. a. mit dem Eingeständnis der Regierung Brüning, es sei nicht mehr möglich, den Reparationsverpflichtungen nachzukommen, für das Jahr 1931 als realistisch dargelegt. Denn für den Fall, dass ein »Zusammenbruch der Reichsfinanzen« nicht abzuwenden sei, würde die Erwerbslosenfürsorge gefährdet sein, was einen kommunistischen »Staatsstreich« zur Folge haben werde. Auch die eskalierenden Aktivitäten 105 Dabei hatte Wilhelm Frick schon unmittelbar nach der Neugründung der NSDAP öffentlich bekannt  : »Unsere Beteiligung am Parlament bedeutet nicht Stärkung, sondern Unterhöhlung des parlamentarischen Systems, nicht Verzicht auf unsere antiparlamentarische Einstellung, sondern Bekämpfung des Gegners mit seinen eigenen Waffen und Kampf für unsere nationalsozialistischen Ziele auch von der Parlamentstribüne aus.« (»Die Nationalsozialisten im Reichstag 1925/26«, in  : NS-Jahrbuch 1927, 123) Im Oktober 1930 zeigte der Fraktionsvorsitzende der NSDAP im RT, wie diese Grundhaltung in der praktischen Parlamentsarbeit aussah. Die von ihm eingebrachte Interpellation lautete  : »Wir fragen  : Ist die Reichsregierung bereit, […] eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Zoll- und Handelspolitik feierlich auszusprechen«. Damit wurden Forderungen wie »Abdrosselung der ausländischen Schundkonkurrenz« verbunden, die Hilfe für Deutschlands Osten solle »frei von marxistischen Einflüssen« sein, die Beseitigung der »untragbaren Zins- und Kreditknechtschaft« sowie die Aufhebung der »untragbaren Steuerlast« der Landwirtschaft und die Senkung der Düngemittelpreise wurden gleich mit in diese »Interpellation« einbezogen. Am Ende stellten die Nationalsozialisten, zu denen auch Werner Willikens gehörte, die Frage  : »Ist die Reichsregierung gewillt und befähigt, die vorstehend geforderten Maßnahmen in allerkürzester Frist durchzuführen  ?« Hier ging es nicht um sachliche Mitarbeit an der Lösung agrarpolitischer Probleme, sondern um Propaganda, Polemik und agitatorische Ausnutzung der parlamentarischen Bühne. Zur Begründung des Abstimmungsverhaltens und zu den mehrmaligen Auszügen der gesamten Fraktion aus dem Parlament vgl. den Bf. Willikens’ an Rechtsanwalt Böttger, 5.12.1931 (StAG, NLD, Nr. 161) und das Rs. Darrés v. 1.3.1932 (ebd., Nr. 145), in dem er seinen Mitarbeitern mitteilt, als RP werde Hitler sowieso »alles hinwegfegen«, was das Parlament beschlossen habe, einschließl. des Parlaments selbst.

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der »Selbstschutzformationen«  – SA, »Rotfrontkämpferbund«, »Eiserne Front« und »Stahlhelm«  – deuteten durchaus auf die Gefahr eines Bürgerkrieges hin. Für diesen Fall, dass die Regierung nicht mehr Herrin der Lage sei, müsse man gewappnet sein, führte Best als Motiv seiner Arbeit an. Der Katalog der Maßnahmen, die er sich für den konstruierten staatlichen Notstand ausgedacht hatte, war umfassend und sah für »Widerstand und Sabotage« die Todesstrafe vor. In den »Richtlinien für die ersten Notverordnungen« hatte Best auch an die »Ernährung der Bevölkerung« gedacht. Vorgesehen waren  : Erfassung aller zu ernährenden Menschen sowie Erfassung und Rationierung aller Lebensmittel einschließlich ihrer Verteilung (»Ernährungsstellen«, »Kollektivspeisungen«, »Lebensmittelkarten«). Im Zuge der Ermittlungen gegen Best wurden im Büro der NSDAP in Karlsruhe Akten beschlagnahmt, zu denen auch die Rundschreiben gehörten, die im ApA kursierten. Darin ging es unter der Devise »Wer die Ernte eines Volkes beherrscht, beherrscht das Volk« darum, »den Bolschewismus hinwegzufegen«. Der LGF-Baden, Plesch, wurde verhaftet und Darré als für den gesamten ApA verantwortlich im Dezember einem Verhör unterzogen.106 Angenommen wurde, der ApA sei eine geheime Parteiorganisation, die sich als »einzige politische Organisation innerhalb der NSDAP […] in realpolitische Machtpositionen (Landbünde und Landwirtschaftskammern) einzunisten« versuche und damit den parlamentarisch-demokratischen Staat gefährde. Ihm drohte damit ein ähnliches Verbot, wie es bei SA und SS praktiziert wurde. Dazu kam es freilich nicht. Nach einem Jahr Ermittlungsarbeit wurde das Verfahren gegen Best vom Reichsgericht eingestellt mit der Begründung, sein Maßnahmekatalog habe sich nicht gegen die legal existierende Regierung gerichtet, sondern gegen ein mögliches kommunistisches Revolutionsregime. Hochverrat liege folglich nicht vor. Auch Darré und sein ApA blieben unbehelligt. Derjenige allerdings, den Best als »Verräter« seines »Diskussionspapiers« ausgemacht hatte, wurde im Juli 1933 unter ungeklärten Umständen umgebracht. Natürlich waren auch die Wahlen zu den Landwirtschaftskammern (LKn) für die Machteroberung der NSDAP auf dem Lande bedeutsam und im Fokus von Darrés ApA. LKn waren öffentlich-rechtliche Körperschaften in den Ländern und preußischen Provinzen, die Aufgaben der Agrarverwaltung wie Betreuung und Förderung der Landwirtschaft einschließlich Forstwirtschaft, Garten-, Obst- und Weinbau sowie Fischerei wahrnahmen. Die LKn wurden von ihren Mitgliedern finanziert und waren ein willkommenes Vorbild, besser Feigenblatt für die Rechtskonstruktion des späteren »Reichsnährstandes«, weil sie ihre Willensbildung und ihr Verhältnis zum Staat im Sinne der demokratischen Selbstverwaltung regelten. Gerade die Wahlen zu den regionalen LKn waren ein Einfallstor für die NSDAP in die »Landbünde« und führten 106 Plesch hatte – wie Darré an anderer Stelle auch – u. a. in einem Rs. v. 19.10.1931 an seine Mitarbeiter im ApA u. a. damit gedroht, man werde diejenigen, die sich bei Zwangsversteigerungen unloyal verhalten hätten, dann, »wenn wir die Macht haben«, zur Verantwortung ziehen und »enteignen«.

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im Agrarsektor zur Machtübernahme »von unten«. Besonders im Visier hatte Darré die LK-Wahlen in den preußischen Provinzen im Herbst und Winter 1931/32, die er schon ab Sommer mit aller Sorgfalt vorbereitete und zu »politischen Kampfwahlen« erklärte, um die LKn »in unsere Hand zu bekommen«.107 Souverän schob Darré die bisherige Gepflogenheit, die LKn als unpolitische bzw. überparteiliche Institutionen zu betrachten, beiseite  : »Wir wollen […] alle Landwirtschaftskammerwahlen zu politischen Kampfwahlen machen, um diese Kampfinstrumente der Landwirtschaft in unsere Hand zu bekommen«, schrieb er an seine Mitarbeiter. Seit September 1931 ließ er sich von einem Insider, dem Rechtsanwalt Ernst Böttger, beraten. Der Verwaltungsjurist war nicht nur Mitglied des »Bundes nationalsozialistischer Juristen«, sondern auch Justitiar beim »Bund der Landwirte« und bis 1931 Syndikus beim »Reichslandbund« gewesen, bevor er Anwalt beim Kammergericht in Berlin wurde. Böttger riet Darré davon ab, mit den LBn Listenverbindungen einzugehen. Dadurch würden die wirklichen Kräfteverhältnisse verschleiert, es sei also ungünstig  – auch im Hinblick auf die bevorstehenden preußischen Wahlen  –, das Ansehen der NSDAP bei den Bauern nicht bekannt werden zu lassen. Solche Listenverbindungen seien »ausschließlich günstig für den Landbund« und würden deshalb auch von diesem angestrebt. Obwohl sich einige »Gauleiter« auf Einheitslisten mit dem jeweiligen LB einlassen wollten, sah Darré darin eine »Umarmungstaktik« und lehnte sie strikt ab.108 Wie die Steuerbelastung, so waren auch die Kammerbeiträge ein ständig für Diskussion sorgendes Thema in der Landwirtschaft. Ein zeitgenössischer Kommentator stellte dazu fest  : Der Landwirt sieht in den Landwirtschaftskammern, wenn er auch ihre Tätigkeit anerkennt, […] eine Steuern fordernde Behörde, mit der er selbst keine Fühlung hat, und in den Organisationen, die sonst seinen Berufsstand vertreten, teuer arbeitende und im Vergleich zu den Kosten wenig leistende Gebilde.

Organisatorischer Leerlauf, mangelnde Koordination der Interessenvertretung, Bürokratie und »Parteipolitik« sorgten dafür, dass »Kräfte zersplittert und verpulvert« würden. Dieses schlechte Ansehen nutzte Darrés ApA natürlich aus, um Wähler zu gewinnen. Seine Funktionäre sorgten dafür, dass das Haushaltsgebaren der LKn ein107 Rs. Darrés v. 15.7.1931 und SRs. v. 16.7.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Seit August 1931 beschäftigte er einen »Fachreferenten für Kammerwesen« zur Vorbereitung der LK-Wahlen (Rs. v. 7.8.1931, ebd.). Und er machte die LK-Wahlen auch zum Testfall dafür, wie erfolgreich seine Funktionäre des ApA ›vor Ort‹ arbeiteten (Rs. v. 25.9.1931, ebd.). 108 SRs. Darrés v. 20.8.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Briefwechsel Darré–Böttger, Sept./Okt. 1931 (StAG, NLD, Nr. 161). Darré konnte Böttger auch für rechtliche Auskünfte und Beratung in der NSL gewinnen und in Genossenschaftsfragen erhielt er von dem Experten ebenfalls wertvolle Hinweise in taktischen Fragen.

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schließlich der Gehälter der Kammerbediensteten durchleuchtet und Unregelmäßigkeiten und Cliquenwirtschaft schonungslos an den Pranger gestellt wurden.109 Darré selbst nutzte seine internen Kenntnisse aus seiner Zeit in Königsberg und dem Baltikum, als die ostpreußischen LK-Wahlen anstanden. Er legte sich dabei mit Vorwürfen wegen Geldverschwendung und Korruption mit dem Kammerpräsidenten Dr. Ernst Brandes an, der gleichzeitig Präsident des »Deutschen Landwirtschaftsrates« (DLR), der Spitzenvertretung aller deutschen LKn war. Als solcher hatte Brandes stets unmittelbaren Zugang zum Reichspräsidenten und damit ungewöhnlich großen Einfluss. Darré erklärte in internen Briefen im November 1931, es gehe darum, den »verkalkten« Brandes »aus dem politischen Leben verschwinden zu lassen«. Sein Sturz in Königsberg sei gleichbedeutend mit dem als Präsident des DLR in Berlin. Er nutzte das Forum der Preußischen Zeitung, deren »Schriftleiter« Hans Bernhard von Grünberg sich damit brüstete, in allen Abteilungen der LK Kontaktleute zu haben. Nach einem spektakulären Erfolg der NS-Liste bei der ostpreußischen LK-Wahl stellte die NS-Fraktion am 15. Dezember 1931 in der Hauptversammlung einen Antrag, in dem der Rücktritt von Reichsregierung und Reichspräsident gefordert wurde. Mit der Annahme der Resolution, die von Präsident Brandes nicht verhindert worden war, überschritt die LK ihre Kompetenzen. Sie wurde daraufhin am 20. Dezember 1931 von der preußischen Regierung aufgelöst. Aus der Neuwahl im April 1932 ging die NSDAP mit einer klaren Mehrheit hervor, weshalb Kammerpräsident Brandes im April 1932 von dem Großgrundbesitzer und Nationalsozialisten Freiherr von ButtlarVenedien abgelöst wurde.110 Auch in anderen Ländern und preußischen Provinzen erbrachten die LK-Wahlen im Winter 1931/32 überwältigende Erfolge für die NSDAP. In der Provinz Sachsen errang sie 16 von 38 neu zu vergebenden Sitzen. In Oldenburg waren es 23 von 36, in Hannover 26 von 36, in Brandenburg 34 von 58 und in der Rheinprovinz 10 von 40. Selbst in Westfalen wurde der LK-Präsident Engelbert von Kerckerinck zur Borg (Zentrum) durch Ferdinand von Lüninck (DNVP) ersetzt, der für die Nationalsozialisten ein »offenes Ohr« hatte und später auch der NSDAP beitrat. 111 109 Vgl. W. Peters, 1932, 68 f. Vgl. u. a. die Schlagzeile in der NSL v. 22.11.1931  : »Der große Skandal um die rheinische Landwirtschaftskammer«. Im Übrigen  : Gies, 1966, 73 ff.; 1967, 365 f. und 1973, 216 ff. 110 Briefwechsel Darrés mit Grünberg im November 1931  : StAG, NLD, Nr. 160  ; zur Auflösung der LK  : BA, P 135/1964, Bl. 78 ff. und VB v. 24.12.1931  ; Georgine, Amtsblatt der LK d. Provinz Ostpreußen, v. 18.12.1931 und 6.5.1932  ; NSL v. 17.4. und 22.5.1932  ; GStA-Berlin, Rep. 240  ; Topf, 1933, 142 ff.; Bergmann/Megerle, 1989, 265  ; Gessner, 1976, 249 und Merkenich, 1998, 338 f. Als Buttlar Darré in seinem Prozess gegen Brandes nicht vorbehaltlos unterstützte, wurde er durch seinen Stellvertreter, Pg. Hermann Bethke, ersetzt, obwohl dieser keine landwirtschaftliche Qualifikation besaß. 111 Childers, 1983, 216 ff. Der Erfolg der NSDAP wurde insofern beeinträchtigt, als in allen preußischen Provinzen nach den LK-Statuten nur jeweils die Hälfte der Mitglieder neu gewählt wurde und nur Hofbesitzer, nicht aber die radikaleren Jungbauern wahlberechtigt waren. Gleichwohl berichtete die NS-Presse von »Siegen der nationalsozialistischen Bauern bei den Kammerwahlen  !« Zu den Wahlergebnissen  : Der Angriff v. 23., 27. u. 28.10.1931 (Ostpr.)  ; 18. u. 21.11.1931 (Brandenbg.)  : VB v. 27.

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Im Dezember 1932 standen in Schlesien, Brandenburg, Grenzmark Posen-Westpreußen und Ostpreußen Nationalsozialisten an der Spitze der LKn. Nur in Pommern gelang es dem umtriebigen LB-Vorsitzenden Hansjoachim von Rohr-Demmin, seinen Kontakt zu »Gauleiter« Wilhelm Karpenstein, der Walther von Corswant 1931 nachgefolgt war, zu nutzen, eine gemeinsame Liste mit der regionalen NSDAP zustande zu bringen – gegen den Willen Darrés, der auf den Rat Böttgers eine eigene Liste bevorzugte, um im Erfolgsfall eine Machtbeteiligung im Vorstand des jeweiligen regionalen Landbundes einzufordern.112 Die Infiltration des »Reichslandbundes« und die Machtübertragung an Hitler Der ApA war nicht nur eine ausgesprochen effektive Wahlkampfmaschine, er war auch ein erfolgreiches Instrument zur Unterwanderung des »Reichslandbundes« (RLB). Diese größte und einflussreichste landwirtschaftliche Interessenvertretung präsentierte sich Darré 1930 in einem Zustand, der mit zunehmender Verschärfung der Agrarkrise immer radikaler wurde. Diese Entwicklung einer Annäherung an die NSDAP personifizierte sich vor allem in der Politik des Geschäftsführenden Präsidenten Eberhard Graf Kalckreuth. Die zunehmende Einflussnahme der NSDAP auf die Politik des RLB hing aber auch eng mit ihren Wahlerfolgen, insbesondere bei den LK-Wahlen zusammen. Das zeigte sich schon Ende 1931, als es gelang, Werner Willikens, MdR und Stellvertreter Darrés im ApA, ins RLB-Präsidium zu lancieren und damit direkten Einfluss auf den politischen Kurs dieses größten und einflussreichsten landwirtschaftlichen Interessenverbandes zu nehmen. u. 28.10.1931 (Ostpr.), 15., 16. u. 20.11.1931 (Ostpr., Sachsen, Brandenbg. u. Pommern), 28.11., 1. u. 3.12.1931 (Thür.), 3. u. 9.12.1931, 1. u. 12.1.1932 (Niedersachsen)  ; 12.2.1932 (Rheinland), 13.1. u. 18.3.1932 (Schlesien) und NSL Nr. 15 v. 13.12.1931. Vgl. auch Erich Winter, »Die politischen Auswirkungen der bisherigen Landwirtschaftskammerwahlen«, im VB v. 10.12.1931 und »Wir erobern die Landwirtschaftskammern«, NSL v. 22.5.1932. 112 Im Gau Hessen-Nassau-Nord (Kassel) war es nicht gelungen, eine NSDAP-Liste zur LK-Wahl aufzustellen, weil zwar viele Jungbauern und Landarbeiter der Partei beigetreten waren, nicht aber die allein wahlberechtigten und wählbaren Altbauern. Darré beschwerte sich daraufhin bei dem Leiter der ROrg.Abt. I, Gregor Strasser, und bat um Anweisung an alle GL, Listenverbindungen, die »entgegen den Anordnungen der Reichsleitung […] zugesagt oder eingegangen« worden seien, zu melden. Der betroffene GL Weinrich wehrte sich gegen den Vorwurf, versagt zu haben. (Darré [ROrg.Abt. II] an ROrg.Abt. I, 16.10. und 9.11. sowie GL Weinrich an Darré, 13.10.1931, BA, NS 22/360) Zu Westfalen  : Rs. Darrés v. 30.1.1932 (StAG, NLD, Nr. 145). Zu Pommern  : Rs. Darrés v. 25.9.1931  ; Darré an Böttger, 6.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 161) und Briefwechsel Darrés mit ROrg.Abt. I sowie GL Karpenstein im Herbst 1931 (BA, NS 22/450 und 1212) sowie Rede des ostpr. LK-Präsidenten Bethke v. 8.12.1932 (Georgine. Amtsblatt der LK d. Provinz Ostpreußen v. 13.12.1932, GStA-Berlin, Rep. 90/1079) sowie Pyta, 1996, 376 ff. und Merkenich, 1998, 339 f. Zu anderen Regionen  : Noakes, 1971, 125 ff.; Pridham, 1973 und Zofka, 1979  ; Reinhold, 1990, 188 ff.; M. Müller, 2001, 416 und Hempe, 2002.

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Es war Hans Schlange-Schöningen, der die Interessenvertreter der Landwirtschaft insbesondere im RLB 1932 erfolglos dazu aufrief, Agrarpolitik nicht zur Sache von Agitation und Propaganda zu machen  : »Es ist nicht richtig, dem Landwirt fortwährend zu predigen, er sei ständig durch den bösen Willen der anderen Berufsstände bedroht und alles habe sich gegen ihn verschworen.« Mit dem Hinweis, man könne nicht einerseits Freiheit von staatlicher Bevormundung verlangen, andererseits aber »als verdammte Pflicht und Schuldigkeit vom Staat fordern, bereitzustehen, wenn irgendwie mit Mitteln der Allgemeinheit eine Hilfe erwünscht erscheint«, drang Schlange ebenso wenig durch, wie seine Befürchtung geteilt wurde, die einseitige Politik der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen habe zu der beklagenswerten Isolierung dieses Berufsstandes geführt. Hätte man sich, statt Tagespolitik und auf weite Sicht berechnete Wirtschaftspolitik in völliger Verkennung der Sachlage ständig durcheinander zu rühren, lieber auf praktische Aufgaben geworfen  ! Hätte man sich doch lieber stärker der kaufmännischen Organisation der Landwirtschaft zugewandt, die so sehr im argen liegt  ! Hätte man sich doch eingehender mit der Regulierung des Absatzes befaßt […]. Hätte man doch lieber versucht, die Landwirtschaft zu einer einigermaßen geregelten, gleichmäßigen Produktion zu bringen, die den Marktbedürfnissen einigermaßen entspricht  !113

Doch dieser Aufruf zur Selbstbescheidung und politischen Zurückhaltung, hinter dem praktische und politische Erfahrung stand, verhallte im Kampfgetümmel der frühen 1930er Jahre ungehört. Schon in seinem Exposé vom 15. August 1930 am Beginn seiner Tätigkeit in München hatte Darré seine Einschätzung eines zukünftigen Verhältnisses der NSDAP zum RLB so umrissen  : Der »Landbund« sei zwar eine machtvolle Organisation […], aber eine Organisation, dazu geschaffen, um jedes Aufbegehren des Bauerntums rechtzeitig im Keime ersticken zu können. Soll der Einfluß des Landbundes ausgeschaltet werden, so kann dies nur so geschehen, daß der Landbund weltanschaulich bekämpft wird (er ist nämlich liberalistisch), und zum anderen dorthin abgedrängt wird, wohin er eigentlich gehört, nämlich auf das Gebiet berufsständiger [sic  !] Wirtschaftsfragen.114

Die hier entworfene Taktik der politischen Neutralisierung des RLB wurde in der folgenden »Kampfzeit« zunächst konsequent eingehalten. Seit 1929 war es allen Nationalsozialisten verboten, Mitglied des RLB zu werden. Aber schon 1930 wurde diese Anweisung Hitlers gelockert, denn nach der Septemberwahl wurden 19 LB-Mitglieder 113 Schlange-Schöningen, 1932, 38 f. und 56  ; Gies, 1966, 127 f. und 131 ff. sowie – zu Willikens – Megerle, 1982, 235 ff. 114 Nürnb. Dok., Fall XI, Ankl. Dok. Buch 101, NG 448, Exh. 999  ; Merkenich, 1998, 300 ff.; Pyta, 1996, 361 ff. und – auch für das Folgende – Gies, 1966, 65 ff. und 1967, 354 ff.

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in der Fraktion der NSDAP gezählt. Darré ließ nun auf »weltanschaulicher« Ebene die regionalen »Landbünde« (LBe) und ihre Spitzenvertretung in Berlin, den RLB, über die »Landvolkpartei« angreifen, ihre Eroberung erfolgte dann in zwei parallel geführten Schritten  : Neutralisierung, um den Einfluss der DNVP und der CNBLP zurückzudrängen, und mit einer Infiltration durch NSDAP-Mitglieder sowohl in den Ländern und preußischen Provinzen als auch an der Spitze in Berlin.115 Es gab zwar in der NSDAP Stimmen, die eine offene Kaderbildung (»Bauernzellen«) innerhalb der »Landbünde« befürworteten, Darré konnte sich aber mit seinem Konzept der verdeckten Unterwanderung durchsetzen.116 Auch eine Verschmelzung mit den LBen wurde diskutiert, doch ließen sich weder Darré noch die LBe darauf ein. Vielmehr schauten die Landbündler dem Trommelfeuer der NS-Agitation gegen die CNBLP (»Landvolkpartei«) zu und vertrauten im Übrigen der eigenen vermeintlich gefestigten Position  : »Die Landbundführer glaubten nicht daran, daß es den Nationalsozialisten gelingen werde, den Landbundturm zu erschüttern. Man verhielt sich defensiv«, urteilte ein Zeitgenosse.117 Dabei konnte von einer starken Position der LBe einschließlich ihrer Zentrale in Berlin überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil  : Sie war eher wankelmütig als fest und klar. Ein Beobachter der damaligen Situation schrieb  : Erst waren die Deutschnationalen und, in Mitteldeutschland, die Landvolkpartei im Kartell mit dem Landbund, jahrelang ging der Kampf, als die »linken Abweichungen« von der Hugenberg-Partei begannen, ob man mit Hugenberg oder mit den Sezessionisten gehen oder ob man unter eigener Flagge wahlkämpfen sollte  ; später tat man das eine, das andere und das dritte, und zuletzt schuf man auch »Querverbindungen« zur Hitlerpartei.118 115 VB v. 1.8.1929. Ernst Böttger, Darrés Ratgeber mit Insiderwissen, schlug vor, »sämtliche der NSDAP angehörende Bauern anzuweisen, dem Landbund beizutreten, eine außerordentliche Versammlung einzuberufen, dem Vorsitzenden aufgrund der Mißerfolge der Landvolkpartei und der schlechten Lage des Landbundes ein Mißtrauensvotum auszustellen. Legt der Vorsitzende sein Amt nieder, wird ein der NSDAP angehörender Landwirt gewählt und sobald die Partei stark genug ist, tritt der Kreislandbund aus dem Provinziallandbund und dem RLB aus und unterstellt sich der Partei.« Diesem Rat zur Etablierung eigener »NS-Bauernbünde« folgte Darré nicht, sondern setzte auf Infiltration und Steuerung der Politik der LBe von innen und von unten nach oben. (Briefwechsel Böttger–Darré 1931, StAG, NLD, Nr. 161). 116 Darüber wurde insbesondere im Frühjahr 1932 in der NSDAP diskutiert (LGF-Tagung Anfang Februar in München und Rs. Darrés v. 9.3.1932, StAG, NLD, Nr. 145). 117 So hieß es im Niedersachsen-Stürmer vom 14.11.1930  : »Hatte nicht der Landbund, wenn er seine Aufgabe richtig erfaßte, die Pflicht, die geeigneten Kräfte freizumachen, sich einzuordnen in eine gewaltige, alles mitreißende Bewegung  ? Er tut es nicht. Der deutsche Bauer im Osten und Norden ist aufgewacht […]. Doch in den einzelnen Landbundorganisationen schläft man noch. Man ist stolz, man will sich Adolf Hitler nicht unterordnen.« (PA d. RLB, 492 L/2, Bl. 106) Außerdem Schmahl/ Seipel, 1933, 151. 118 Topf, 1933, 9 und Gies, 1967, 359 ff. Vgl. auch Gessner, 1981, 110 ff. und Schulze, 1982, 57 f. Zur Geschichte einzelner LBe in der Weimarer Republik vgl. Hempe, 2002 und Pomp, 2011.

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In Thüringen, wo der »Landbund« nicht nur eine eigene Partei war, sondern auch von der CNBLP dominiert wurde, hatte man schon früher als anderswo die Strategie der NSDAP erkannt  : »[…] auf die Landvolkpartei wird gehauen und der Landbund als selbständige von den Nazis unabhängige Organisation für die Landwirtschaft ist gemeint.«119 In Baden gab der »Landwirtschaftliche Gaufachberater« die Anweisungen Darrés präzise weiter, wenn er an seine Mitarbeiter im April 1931 etwas unbeholfen schrieb  : Es besteht für uns heute nicht mehr die Forderung auf Zertrümmerung des Landbundes, sondern in der Erhaltung seiner Organisation. Aber hieraus entsteht unweigerlich die logische Folgerung in der Notwendigkeit, durch Parteigenossen Einfluß im Landbund zu gewinnen, ihn von unten her aufzurollen, um ihn später durch Besetzung der Führerstellen durch Parteigenossen fest in unserer Hand zu haben.120

Dank der Passivität der LBe und der Rivalität der DNVP und der CNBLP um die Führungspositionen im RLB hatte es Darré relativ leicht, mit seinem Unterwanderungskonzept erfolgreich zu sein. Die Deutschnationalen sahen es nicht ungern, wie die »Landvolkpartei« von der NSDAP zerrieben wurde. Es störte sie daher wenig, dass die LBe, in denen die CNBLP den Ton angab, die schärfste Agitation über sich ergehen lassen mussten. Werner Willikens versuchte beispielsweise, die Politik der NSDAP gegenüber dem Thüringer LB mit der Bemerkung zu erklären  : »Wir erkennen den Landbund vollkommen an, müssen aber gegen ihn kämpfen, wenn er seine Aufgabe mißachtet, um sich irgendwelchen Parteien zuzuwenden.« Gemeint war dort

119 Thüringer Landbund v. 14.1.1931. In dem Artikel hieß es weiter  : »Für den Landbund als berufsständische Organisation wollen die Nationalsozialisten angeblich eintreten, aber sein Programm lehnen sie ab. Da haben sie ein eigenes. Gegen die Agrarvorschläge Schieles, des RLB-Präsidenten, haben sie gestimmt. Aber gegen den Landbund haben sie angeblich nichts. Es ist die Verlogenheit selbst  !« (PA d. RLB, 492 L/2, Bl. 125 und 45 N/2, Bl. 114) Nur in Thüringen und Pommern gelang es, die Unterwanderung des LB durch den ApA einigermaßen in Grenzen zu halten bzw. zu verhindern. 120 Pleschs Rs. wurden im Zusammenhang mit der »Boxheimer Hof«-Affäre sichergestellt und im Badischen LT wurde daraus zitiert (Verhandlungen d. Bad. LT, 18. Sitzung am 26.4.1932). Der LBF setzte die Anweisungen seines LRF eins zu eins um, wenn er seinen Mitarbeitern im regionalen ApA am 24.7.1931 »vertraulich  !« schrieb  : »Wenn wir uns zur Aufgabe gemacht haben, den LB von unten her zu erobern, so dürfte der beste Weg in der Erfassung und der Erringung der Kreis- bzw. der Bezirksgeschäftsstellen [zu suchen] sein.« Auf diese Weise sollte in der Hierarchie nach oben Druck ausgeübt werden. »Besonders muss darauf hingewiesen werden, daß es falsch ist, die gegnerisch eingestellten Beamten und die Vorsitzenden des Landbundes gleichmäßig zu behandeln. Es empfiehlt sich, den Beamten mehr oder minder deutlich mit dem Zaunpfahl zu winken, daß sie künftig im Landbund nichts mehr zu melden haben, wenn sie ihren Kampf gegen uns nicht einstellen, und wenn wir einmal die Macht in Händen haben.« Zum Erfolg des ApA in Baden  : Pyta, 1996, 361 f.; Merkenich, 1998, 329 f. und M. Müller, 2001, 477 f.

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die »Landvolkpartei«, woanders wäre es die DNVP, was sie aber im Vertrauen auf die eigene Stärke offensichtlich übersah.121 Darré versuchte, die RLB-Zentrale in Berlin in Sicherheit zu wiegen, indem er im September 1931 auf eine entsprechende Anfrage wolkig erklärte  : Die NSDAP erstrebt einen Staat, in dem unter der Staatsleitung neben einem in politischen Angelegenheiten beratenden Volksrat ein Wirtschaftsrat als beratendes Organ in Volkswirtschaftsangelegenheiten steht. […] Im Reichslandbund sieht die NSDAP die geeignete zentrale Stelle, die bei entsprechendem Ausbau die Spitzenvertretung der berufsständischen Vertretung der Landwirtschaft im Wirtschaftsparlament abgibt.

Tatsächlich ging es Darré darum, die Organisation »von den unerwünschten Elementen und Widerstandsnestern [zu] säubern«. Dazu ließ er sich von seinen ApA-Mitarbeitern Namen und Informationen übermitteln und gab ihnen den Hinweis, zunächst die Mitarbeiter der Organisation »anzuknabbern, dann fallen die großen Steine mit diesem Mörtel von selbst heraus.« Genau so verhielt er sich selbst gegenüber der RLBZentrale in Berlin, indem er engen Kontakt zu den Direktoren Sybel und Kriegsheim pflegte.122 Während also Darré die CNBLP mit einer immer rigoroseren Agitation angriff und den RLB in die »neutrale« Ecke einer rein »berufsständischen« Organisation abdrängte, gab er über Hitler für seine bäuerlichen Parteigenossen im Juni 1931 die Devise aus  : »Tretet ein in den Landbund  !« Er machte den Mitarbeitern »dieser großen Organisation« sogar Hoffnung, »im Dritten Reich gebraucht« zu werden, »wenn sie an richtiger Stelle eingesetzt werden«. Während er den Opportunisten im RLB und den regionalen LBn so einen deutlichen Wink gab, stellte er gleichzeitig in der »marxistischen Pest« den gemeinsamen Feind heraus und beschwor die Notwendigkeit einer gemeinsamen Kampffront gegen Links. »Daher geht der Ruf an alle nationalsozialistischen Bauern  : Hinein in den Landbund  !«123 121 Thüringer Landbund v. 23.6.1931 (PA d. RLB, 492 L/2, Bl. 198). Von einem damals aktiven Mitglied des regionalen ApA ist die Einschätzung überliefert, Darrés Anweisung, in den LBn »Position für Position von innen her zu erobern«, sei »überall dort verhältnismäßig leichter [umzusetzen gewesen], wo die Landbünde keine parteipolitische Einstellung hatten […]. Wo die Landbünde sich mit der Landvolkpartei identifizierten  : Hessen und Thüringen, dort war der Kampf viel schwerer, denn hier stand Partei gegen Partei, von denen jede vorgab, die Bauern am besten zu vertreten.« (Schmahl/ Seipel, 1933, 149 f.). 122 NSL v. 11.10.1931. Schon in der NSL v. 20.9.1931 war ein Bf. abgedruckt worden, den Darré und Hierl am 30.7.1931 an die LBe und LKn geschickt hatten, in dem sie ein Bekenntnis zu einer berufsständischen Ordnung ablegten und betonten  : »Der anständige und fähige Fachbeamte hat vom Nationalsozialismus nichts zu befürchten.« Rs. Darrés v. 1.7. und (»Vertraulich  !«) v. 20.7.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) sowie Bfe. Hierls u. Darrés v. 21. u. 26.9.1931 (BA, NS 22/449). 123 Hitlers Aufruf zit. n. Der Landbund Sachsen v. 6.6.1931 (PA d. RLB, 45 N/2, Bl. 14). Vgl. auch Heberle, 1963, 164 und Gies, 1967, 362 ff. In einem Rs. v. 6.8.1930 hatte RLB-Direktor Kriegsheim

Die Eroberung der Macht auf dem Lande 1930–1933

Es bereitete manchen NS-Agrarfunktionären und ihrer politischen Leitung in der Provinz offenbar Schwierigkeiten, die gleichzeitige Neutralisierung und Unterwanderung der LBe als konsequent durchdachte Politik zu begreifen. Daher hatte Darré den Parteiführer Hitler klugerweise als Autor des Aufrufes in den Vordergrund gestellt. Nun erläuterte er ihnen, mit der Parole »Hinein in den Landbund  !« habe Hitler nicht gemeint, »daß der Landwirt zum Landbund (als politischer Organisation) gehöre und nicht zur NSDAP.« Ausführlich erklärte er seinen Parteigenossen seine Taktik, verwahrte sich gegen den Vorwurf der Ziellosigkeit und Unehrlichkeit. Er handle mit diesem Konzept »nicht ehrlicher und nicht unehrlicher als unsere ganze Bewegung es diesem Staat gegenüber tut«, schrieb er den Funktionären im ApA. Obwohl die NSDAP »das System« ablehne, besetze sie doch alle erreichbaren Ämter und Ministerposten. Er betreibe also keine »seichte Kompromisspolitik«, sondern der »Landbund« werde nur für nationalsozialistische Ziele dienstbar gemacht. Darré argumentierte so, wie es auch Goebbels im Hinblick auf die Arbeit der NSDAP in den Parlamenten tat  : »Die NSDAP ist keine Partei, sondern eine Bewegung, die sich parteipolitischer Mittel bedient, um zum Ziel zu gelangen.« Es komme also darauf an, »mit der Zeit eine Machtposition nach der anderen zu erobern«. Ein »Landwirtschaftlicher Gaufachberater« solle, so schrieb Darré, »eine verabredete Neutralität mit einem Landbund peinlichst einhalten bis zu dem Augenblick, wo er die Macht besitzt, einen Schädling im Landbund auszubooten oder sonstwie schachmatt zu setzen.« Durch die regionale Finanzhoheit konnten die LBe durchaus Druck auf die Zentrale, etwa durch die Einbehaltung der Mitgliederbeiträge, ausüben.124 Die NSDAP besaß damals schon viele personelle Stützpunkte auf Kreis- und Landes- bzw. Provinzebene im RLB. Sie schürten dort Enttäuschung und Unmut über die schwankende politische Haltung ihrer Zentrale. Auch lenkte Darré die Aufmerksamkeit seiner Mitarbeiter im ApA auf die »Beamten«, die oft eine wichtigere Rolle spielten als die gewählten Vorsitzenden. Es gab RLB-Mitarbeiter wie Direktor Sybel in der Zentrale, welche »die Rettung […] in einem Übergang zur NSDAP« sahen. Auf solche Opportunisten setzte Darré, wenn er darauf hinwies, dass »das Beamtentum der Berufsverbände an dem Tage unser bester Helfer [… ist], wo es merkt, daß seine eigene wirtschaftliche Zukunft am besten beim Nationalsozialismus gesichert sein wird«.125 die Wahlkampfagitation der NSDAP als »Zersetzung der nationalen Kräfte des deutschen Volkes« angeprangert. »Die NSDAP wird dadurch unfreiwillig zum besten Helfershelfer der Sozialdemokratie. Die beste Abwehr gegen diese Zersetzungsarbeit ist die Geschlossenheit des Berufsstandes.« (PA d. RLB, 492 L). 124 Rs. Darrés v. 1.7. und SRs. (»Vertraulich  !«) v. 22.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) sowie J. Bargenhusen, »Grüner Tisch und grünes Feld«, in  : Weltbühne v. 13.1.1931. 125 Rs. Darrés, 13.8.1931 (BA, NS 22/1212). Um bei den RLB-Beamten das »unbehagliche Gefühl loszuwerden, nach geleisteten Diensten von uns später einen Eselstritt zu bekommen«, erwog Darré sogar eine entsprechende Erklärung der RL der NSDAP (Bf. an die ROL v. 21.9.1931, ebd., NS 22/449). Beide leitenden Direktoren des RLB sind gute Beispiele dafür, wie Darrés Kalkül, bei den »Land-

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Mit der Strategie, die LBe »von unten her« zu infiltrieren und so zu neutralisieren, hatte Darré sehr bald Erfolg.126 So wurde beispielsweise zwischen dem Badischen LB und der regionalen NSDAP schon im April 1931 eine Vereinbarung ausgehandelt, in der festgeschrieben wurde  : Der LB gebe jede parteipolitische Tätigkeit auf und betrachte sich lediglich als Organisation zur Wahrung landwirtschaftlicher Interessen. Die Zeiten gegenseitigen Kampfes seien vorbei, die politischen Forderungen des LB würden künftig von der NSDAP vertreten. Jedem nationalsozialistischen Bauern stehe der Eintritt in den LB frei und dieser mache seinen Mitgliedern keine Schwierigkeiten, wenn sie in die NSDAP eintreten wollten.127 Einer der Direktoren des RLB, Heinrich von Sybel, hatte im Spätsommer 1931 die Fraktion der CNBLP verlassen und im Oktober 1931 erste Kontakte zur NSDAP geknüpft, was Darré die Möglichkeit bot, über ihn und seinen Kollegen Kriegsheim auf das RLB-Präsidium Einfluss zu nehmen. Und dessen Geschäftsführender Präsident, Graf Kalckreuth, war nach Einschätzung Darrés sowieso »für Einflüsterungen offen«. Seine politischen Aktivitäten radikalisierten sich in dem Maße, wie die Agrarkrise sich verschärfte. Kalckreuth ließ das Verhältnis des RLB zur Regierung Brüning/ Schiele immer mehr erkalten. Schon im Juli 1931 hatte er sich an beiden vorbei direkt an Hindenburg gewandt mit der Forderung einer »nationalen Opposition« gegen den »internationalen Marxismus«, zu dem er auch die preußische SPD-Regierung Braun/Severin zählte.128 bundbeamten« größere Einflussmöglichkeiten zu haben, zutraf  : Sybel wurde 1932 NSDAP-Mitglied und behielt sein RT-Mandat bis 1945  ; Kriegsheim wurde 1933 NSDAP-Mitglied und ergatterte eine Position im RNSt  : Er war von 1934 bis 1937 Reichskommissar z.b.V. im RMEL und beim RBF für Fragen der Ernährungssicherung zuständig, bevor er 1938 in den Ruhestand geschickt wurde. (Lilla/ Döring, 2004, 660 und HoppE, 1997, 629 f.). 126 Rs. Darrés v. 24.9. und SRs. v. 19.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Schon im Dezember 1930 hatte Darré selbst Gelegenheit erhalten, die bauernfreundliche Einstellung der NSDAP im Kreislandbund Bitterfeld zu erläutern. Der LGF Pommern, Bloedorn, war im Mai 1931 Vors. d. LB-Kreisgruppe Cammin und Mitgl. d. Bundesausschusses d. Pomm. LB geworden. Als der LB-Vorsitzende von Rohr versuchte, Bloedorn aus dem LB-Vorstand zu verdrängen, drohte Darré mit dem Austritt aller Nationalsozialisten aus dem LB. Diese Schwächung seiner Machtbasis konnte von Rohr nicht riskieren. (PA d. RLB, 492 L/2, Bl. 171 und Bl. 187  ; VB v. 25., 26. und 27.12.1930 und NSL v. 29.1.1933 sowie Merkenich, 1998, 340 f. u. Gespräch d. Verf. mit Herrn von Rohr). 127 Badische Bauernzeitung v. 12.6.1932 (PA d. RLB, 45 N/2, Bl. 125). Von einer ähnlichen Abmachung zwischen den LBn des Freistaates und der preußischen Provinz Sachsen war schon Ende 1930 die Rede gewesen (Rs. Darrés v. 16.12.1930, BA, NS 26/951) und über eine solche Vereinbarung zwischen dem fränkischen LB und dem ApA berichtete Darré in einem SRs. v. 28.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Vgl. auch Ritsu Ijuin, Die NSDAP und die regionale Herrschaft des Landbundes 1930–1932. Japanischer Sonderdruck 1988. 128 Rs. Darrés v. 24.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142). Am 20.10.1931 schrieb Sybel an Darré, sein offizieller Übertritt zur NSDAP müsse aus »gewissen Rücksichten« noch etwas verschoben werden. Im Dezember 1931 war er dann »Gast«, ab 1932 Mitglied der NSDAP-Fraktion im RT (Briefwechsel Sybel–Darré, StAG, NLD, Nr. 87a und Döring, 2001, 285 ff.). Zu Kalckreuth und Kriegsheim (»Graf

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Darrés Kalkül, daß wir uns auf Grund der Wahlergebnisse für die Landwirtschaftskammern mit einer getarnten Neutralität des Landbundes nicht mehr begnügen werden, sondern entsprechend dem Zahlenverhältnis auf dem Lande unseren Anspruch auf Einräumung von Einfluß im Landbund anmelden und diesen ganz rücksichtslos auch verwirklichen werden,

ging voll auf. Schon Anfang November 1931 traf er sich mit dem RLB-Direktor Arno Kriegsheim, bei dem in Berlin alle Informationen aus den LBn zusammenflossen und der die Fäden der Lobbyarbeit des RLB in der Hand hielt. Darré versicherte ihm, die NSDAP stehe loyal zu den in Bad Harzburg getroffenen Vereinbarungen und sei nach wie vor bereit, den »Landbund« als »berufsständische« Organisation anzuerkennen. Doch müsse er leider feststellen, dass von den beiden Parteien der »nationalen Opposition« nur die DNVP in der RLB-Führung vertreten sei. Gerade aber die bisher bekannt gewordenen LK-Wahlergebnisse zeigten, dass die »Mitglieder des Landbundes weit über die Hälfte der NSDAP angehörten«, ohne dass dies in der Verbandsführung berücksichtigt werde.129 Den Einwand Kriegsheims, der RLB könne sich der wandelnden Stimmung bei seinen Mitgliedern nicht so schnell anpassen, ließ Darré nicht gelten, vielmehr drohte er unverhohlen mit dem Austritt der nationalsozialistischen Mitglieder aus den LBen, der Abhängigkeit der Zentrale von deren Beiträgen und der Möglichkeit, eine eigene Landwirtschaftsorganisation der NSDAP aufzubauen. Er sehe sich »über kurz oder lang nicht mehr in der Lage, die rebellierenden Bauern davon abzuhalten, eine Landbundorganisation fallen zu lassen oder zu sprengen, welche ihnen nicht den gewünschten Einfluß in der Führung zubilligt«. Auch auf die Satzung des RLB, die nur drei Präsidentenposten vorsah, könne keine Rücksicht genommen werden. Im November 1930, als der Landvolkmann Hepp aus dem RLB-Präsidium ausgeschieden war, hatte Darré die Nachfolge von dessen Parteifreund Lind noch nicht verhindern können.130 Nun sicherte ihm Kriegsheim zu, sich für die Installierung eines vierten RLB-Präsidenten einzusetzen, eines Postens, der »in der allernächsten Zeit« mit einem Nationalsozialisten besetzt werden könne. Am 18. Dezember 1931 war es so weit  : Werner Willikens wurde für die NSDAP auf Vorschlag des Chefpräsidenten Graf Kalckreuth ins RLB-Präsidium zugewählt. Damit konnte Darrés ApA nach nur wenig mehr als einem Jahr seinen größten ErKalckreuth sagt zu allem, was insbesondere Direktor Kriegsheim gut heißt, ja und amen.«)  : Bf. an Willikens, 5.12.1931 (StAG, NLD, Nr. 161), Notiz Darrés (BA, NS 22/1211) und Gies, 1968a, 216. 129 Rs. Darrés v. 25.9.1931 (StAG, NLD, Nr. 142)  ; Bf. Darrés an Kriegsheim v. 6.11.1931 (BA, NS 22/1212)  ; Rs. Darrés v. 9.11.1931 (StAG, NLD, Nr. 142) und Gedächtnisprotokoll v. Rechtsanwalt Böttger über eine Besprechung mit Darré am 5.12.1931 (ebd., Nr. 161). Im Übrigen  : Gessner, 1976, 247 ff.; Pyta, 1996, 371 und Merkenich, 1998, 300 ff. 130 Vgl. Rs. Darrés, 22.11.1930 (BA, NS 22/951).

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folg verbuchen. Denn der »Landbund« war nun als potentieller politischer Gegner der NSDAP neutralisiert und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei war von der größten landwirtschaftlichen Organisation als »Bauernpartei« anerkannt worden. Nachdem Darré »den Länder- und Provinziallandbünden ein Beispiel« gegeben hatte, wurde auch auf regionaler Ebene so verfahren, wie das Beispiel Hessen-Darmstadt zeigt. »Mit dieser Rückenstärkung« auf der obersten Ebene konnte auch dort die »Erstürmung der Landbundfestung« von unten praktiziert werden – eben durch die Erzwingung einer Neuwahl der Vorstände unter Hinweis auf die in Wahlen sichtbar gewordenen veränderten Machtverhältnisse.131 1932 war es dem »Landbund« nicht mehr möglich, bei Wahlkämpfen »der N.S.D.A.P. in den Rücken zu fallen«.132 Darré und sein ApA hatten nicht nur die regionalen LBe und die RLB-Zentrale in Berlin als gegnerische politische Kraft ausgeschaltet, sie konnten im Gegenteil nun deren Potential zur Eroberung der Macht im Staate für ihre Zwecke instrumentalisieren. Noch bevor die »nationalsozialistische Revolution« nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler beginnen konnte, saßen Darré und die Nationalsozialisten mit der größten und einflussreichsten landwirtschaftlichen Organisation immer am Tisch, wenn es um wichtige machtpolitische Fragen ging. Auch die DNVP konnte den RLB nicht mehr als Pressure-Group benutzten. Bei allen Regierungswechseln, die Darré und sein ApA begleiteten, waren Agrarpolitik und der RLB indirekt oder sogar direkt beteiligt. Beim Sturz der Regierung Brüning war es das Osthilfeprogramm, in dem eine Sanierung bankrotter Güter durch Landverkauf für Siedlungszwecke vorgesehen war. Papen scheiterte u. a. am Dauerzwist zwischen Reichsernährungsminister von Braun und Reichswirtschaftsminister Warmbold über die Priorität von Ernährungs- oder Exportwirtschaft.133 Kurz bevor Hindenburg General von Schleicher zum Reichskanzler ernannte, am 19. November 1932, beteiligte sich der RLB an einer Eingabe wichtiger Repräsentanten der Wirtschaft unter Führung des ehemaligen Reichsbankpräsidenten Schacht an den Reichspräsidenten zugunsten einer Berufung Hitlers. Aber obwohl Hitler in den anschließenden Verhandlungen von seinem Alles-oder-nichts-Kurs abrückte und eine

131 Als dort bei den LT-Wahlen am 15.11.1931 der LB sieben Mandate verlor, die NSDAP dagegen 26 gewann, führte der LGF Dr. Richard Wagner im April 1932 eine Vereinbarung herbei, die den LB zur politischen Neutralität verpflichtete und die NSDAP als eine Partei anerkannte, die »eine tatkräftige Unterstützung der Landwirtschaft im Staate ermöglicht.« Selbstverständlich traten damals zwei führende Mitglieder des ApA, Wagner und Willi Seipel, in den LB-Vorstand ein. (Rs. Darrés v. 9.11. und 19.12.1931 sowie SRs. v. 11.4.1933, StAG, NLD, Nr. 140 u. 142  ; NSL v. 1.5.1932  ; Schmahl/Seipel, 1933, 163 ff. und Pyta, 1996, 363 f.). 132 Darré, »Der Landbund und wir«, NSL v. 20.12.1931  ; SRs. Darrés v. 11. »Ostermond (April)« 1933 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1919) und Gies, 1974, 674. 133 Schulz, 1975, 467 ff.; Megerle, 1982, 235 ff.; Bracher, 1984, 150 ff. sowie Turner, 1972 und die Eingaben der Interessenverbände in  : AdRk, Kab. Schleicher, 1986.

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Koalitionsregierung der »nationalen Konzentration« unter seiner Führung verlangte, war Hindenburg damals noch nicht dazu bereit.134 Der am 3. Dezember zum Reichskanzler ernannte General Kurt von Schleicher hatte schon bei der Bildung der Regierung Papen die Rolle des spiritus rector gespielt und sich als Protagonist eines »dauerhaft antiparlamentarisch-autoritären Präsidialregimes« (Kolb) betätigt. Er beschäftigte sich angesichts der Sperrmajorität von NSDAP und KPD im Reichstag sogar mit der Ausarbeitung von Plänen für die Ausrufung eines Staatsnotstandes und die Verhängung des Ausnahmezustandes. An seinem Sturz war der Einfluss von Darrés ApA indirekt über den RLB sogar maßgeblich beteiligt. Dass auch hier wieder siedlungspolitische Sachprobleme  – neben dem machtpolitischen Kalkül – eine Rolle spielten, kann am Protokoll einer Sitzung des Ausschusses, den die Regierung Schleicher eingesetzt hatte, verdeutlicht werden. Sie fand am 31. Dezember 1932 vormittags unter Schleichers Vorsitz und mit Beteiligung aller Fachminister statt. Der Reichslandwirtschaftsminister von Braun mahnte zunächst eine »Beschleunigung der Osthilfeverfahren« an, weil alle »Bestrebungen, Land für die Siedlung frei zu machen, nicht den gewünschten Fortgang nähmen«. Der Reichsfinanzminister machte unter Hinweis auf die Erfahrungen der Regierung Brüning darauf aufmerksam, dass »die Zwangsversteigerung von Reichs wegen einzuleiten, aus politischen Gründen ungangbar« sei. Der Reichskanzler betonte zwar, dass »die Siedlung im Osten eine nationale Frage erster Ordnung« sei, aber die Hemmnisse schienen übermächtig zu sein  : Die Landbesitzer sollten ihren Besitz zu »billig hergeben«, den Siedlern werde das Land »zu teuer und mit zu starken Lasten« übergeben, so dass sie nicht rentabel wirtschaften könnten, und die Siedlungsgesellschaften seien bei der »Frage der Siedlungsfähigkeit« der Bewerber zu nachlässig. Die Sitzungsteilnehmer gingen ohne Beschlüsse auseinander und in die Feiern zum Jahreswechsel. Knapp einen Monat später war Schleicher gestürzt und Hitler an der Macht.135 Wiederum war es der RLB und sein Chefpräsident Graf Kalckreuth, die zum Sturm gegen den Reichskanzler Schleicher bliesen, der in einer Rundfunkrede am 15. Dezember 1932 seine Pläne verkündet hatte  : Die Einfuhrbeschränkungen zum Schutz der Landwirtschaft sollten gelockert und das Siedlungsprogramm im Osten sollte forciert werden. In einer Vorstandssitzung am 11. Januar 1933 sahen sich die Repräsentanten des RLB von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt. Aus West- und Süddeutschland trafen immer mehr Proteste gegen eine Politik zugunsten der Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben produzierenden ostelbischen Großbetriebe ein. Selbst von Braun, ein lupenreiner »Junker«, gestand ein, die landwirtschaftliche Veredelungs134 Die Eingabe mit der Unterschrift Kalckreuths ist abgedruckt in  : ZfG 4/1956, 366 ff. Vgl. außerdem Bracher, 1979  ; Kolb, 1993, 138 ff.; Evans, 2005, Bd. 1, 411 ff. sowie Pyta, 1996, 324 ff. und 2007, 755 ff. 135 BA, R 43 II/210, Bl. 4 ff. und Bracher/Sauer/Schulz, 1960  ; Beyer, 1965, 62 ff.; Schulz, 1980 sowie Gies, 1967, 341 ff. und 1968a, 210 ff.

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wirtschaft mit der von ihr zu bewältigenden »Überflutung aus dem Ausland« vernachlässigt zu haben. Er warf seinem Kollegen Warmbold vor, »getroffene Vereinbarungen [betr. Einfuhrkontingente] nicht eingehalten« zu haben. Die Forderung aus der Landwirtschaft, Vollstreckungsschutz und Zinsmoratorium zu verlängern, verhallte. Und dann gab es ja auch noch den Osthilfeskandal. Es waren Nationalsozialisten, die im preußischen Landtag bekannt machten, dass rund drei Millionen Kleinbauern keine Unterstützung erhalten hatten, die Mittelbetriebe nur etwa zwei Prozent, und über 80 Prozent der Gelder an die Großbetriebe geflossen und dort versickert waren.136 Innerhalb der Führung des RLB sorgten Kopräsident Willikens und die Direktoren Sybel und Kriegsheim dafür, dass die Interessengegensätze weiter eskalierten, und von außen trugen Darré und sein ApA »im Auftrag von Millionen deutscher Bauern« mit Telegrammen und Eingaben dazu bei, unter dem Motto »Fort mit Schleicher  !« den Druck im Kessel weiter zu erhöhen. Angesichts des Techtelmechtels Schleichers mit Gregor Strasser vermuteten viele in Schleicher zunehmend einen »Sozialisten in Generalsuniform« (Kolb) und im Hinblick auf die Siedlungspläne der Regierung sprach man im RLB sowieso von »Agrarbolschewismus«. Von den LBn im ganzen Reich trafen – auch bei Hindenburg – Telegramme und Resolutionen ein, die der Regierung Schleicher Versagen vorwarfen.137 Nun trat der RLB die Flucht nach vorne an  : Der Vorstand verabschiedete am 11. Januar 1933 eine Entschließung, die in ihrem demagogischen Ton an die Propaganda der NSDAP erinnert.138 Da Schleicher am gleichen Tag mit der RLB-Führung bei Hindenburg konferierte, ohne dass ihm der Inhalt der Entschließung bekannt gemacht worden war, verstand er diesen Affront als »Kriegserklärung« und lehnte weitere Kontakte mit dem RLB ab. So wendete sich Kalckreuth mit einem Brief am 27. Januar 1933 direkt an den Reichspräsidenten, um ihm die Forderungen des RLB mitzuteilen. Damit erhöhte er den Druck auf Schleicher und da Hindenburg nach wie vor Sympathie für die Interessen der Großagrarier hatte und die Siedlungspläne 136 Braun an Warmbold, 5.1., Kalckreuth an Schleicher, 6.1. und Entschließung d. »Dt. Bauernschaft«, 14.1. 1933 (BA, R 43 II, 192) sowie Eingaben und Protestschreiben zur Vernachlässigung der Veredelungswirtschaft (ebd., Nr. 196). Im Übrigen Bullock, 1960, 238 f.; Bracher, 1960, 697 f.; Fest, 1973, 498  ; Kolb, 1993, 115  ; Gessner, 1976, 240 ff. und 1977  ; Zollitsch, 1992, 253  ; Merkenich, 1998, 317 ff. und Gies, 1967, 373 ff. 137 Vgl. u. a. die Eingaben der LBe aus Hessen, Pommern und Sachsen-Anhalt (R 43 II/192 u. 196) sowie Deutsche Zeitung v. 12.1.1933  ; VB v. 13.1.1933 und PA d. RLB, 76/38. Offener Bf. Darrés an den RK in NSL v. 13.1. und die Darstellung v. Willikens und Sybel im VB v. 16.1.1933 sowie Reischle, 1934, 811 ff. Zu Schleicher  : VogelsANG, 1965. 138 In der Resolution des RLB vom 11.1.1933 war vom »Versagen der Reichsregierung in allen lebenswichtigen Fragen der Landwirtschaft« die Rede, von einem »Kampf um die nackte Existenz« und von »Ausplünderung der Landwirtschaft zugunsten der allmächtigen Geldbeutelinteressen der international eingestellten Exportindustrie und ihrer Trabanten« (Schulthess, 1933, 11 f. und AdRk, Regierung Schleicher, 1986, 208 ff. sowie Bf. Darrés an Schleicher, 13. »Hartung [ Jan.]« 1933 [BA, R 43 II, Nr. 142, Bl. 76 ff.]).

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Abb. 22 Hitler mit seinen Gefolgsleuten (Darré  : Dritter von rechts) im Hotel Kaiserhof in Berlin, Januar 1933.

Schleichers ablehnte, wurde die Stellung des Reichskanzlers immer prekärer, zumal Ex-Reichskanzler von Papen im Hintergrund die Fäden für eine »Einhegung« Hitlers in einer »Regierung der nationalen Konzentration« zog.139 Auch andere Vertreter des RLB – u. a. der Vorsitzende des Pommerschen LB, Hansjoachim von Rohr-Demmin  – waren daran beteiligt, Hindenburgs Bedenken gegen eine Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zu zerstreuen. Da Schleicher keine Mehrheit im Reichstag hatte und Hindenburg seine Notstandspläne ablehnte, musste der Reichskanzler die Waffen strecken  : Am 28. Januar 1933 erklärte er seinen Rücktritt. Nach einer Besprechung im Hause des Sekthändlers Joachim von Ribbentrop, an welcher der Sohn des Reichspräsidenten, Oskar von Hindenburg, Kanzleichef Meißner und Hitler teilnahmen und bei der Papen, der die Nationalsozialisten »zähmen« wollte, Hugenberg mit der Aussicht auf gleich vier Ministerien ködern konnte, wurde am Montag, dem 30. Januar vormittags, in hektischer Atmosphäre die Regierung HitlerHugenberg-Papen vereidigt. Weil, wie der französische Botschafter François-Poncet 139 Kalckreuth schickte seinen Bf. an Hindenburg vom 27. zwar auch am 31.1.1933 an den neuen RK Hitler (BA, R 43 II, 192), diesen dürften die Forderungen des RLB aber weniger gestört haben als seinen Vorgänger Schleicher. Vgl. auch Gessner, 1977, 186 ff.; Winkler, 1978, 74 ff.; H. Mommsen, 1989, 515  ; Turner, 1996 und Pyta, 2007, 800 ff.

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berichtet, wieder Angst vor einem Putsch der Reichswehr bestand, wurde um 8 Uhr die Vereidigung Blombergs als Wehrminister vorgezogen, ehe das übrige Kabinett einschließlich Hitler um 11.20 Uhr nachfolgte. Darré saß angespannt mit anderen führenden Nationalsozialisten währenddessen im Hotel Kaiserhof.140 Es ist keine Frage, dass der RLB wesentlich dazu beitrug, die Scheu Hindenburgs zu überwinden, den »böhmischen Gefreiten« Adolf Hitler zum Regierungschef zu machen. Die größte und einflussreichste Interessenvertretung der Landwirtschaft hatte – mit Einwirkung des ApA der NSDAP – einen großen Anteil an der »Ermöglichung« Hitlers. Der ApA Darrés mit seiner regionalen Orientierung und zentralen Ausrichtung hatte sich als eine der erfolgreichsten Formationen der NSDAP zur Machteroberung Hitlers erwiesen. Das, was die Nationalsozialisten »Machtergreifung« genannt haben, war in Wirklichkeit eine Kombination von Machtübertragung und Machteroberung. Es war eine Verzahnung von Planung und Improvisation, von Propaganda und Agitation einerseits und Organisation und politischer Aktion andererseits, von mehr oder weniger legalen Maßnahmen, die zur Machtübergabe an Hitler führten. Auch innerhalb der »HitlerBewegung« wurde Druck von oben ausgeübt und Druck von unten gemacht, um das Ziel der Machtübernahme zu erreichen. Die Führung forderte und die Gefolgschaft beförderte diese Ansprüche, um das gemeinsame Ziel – Macht und Karriere – zu erreichen. Erst nach dem 30. Januar 1933 begann der revolutionäre Prozess der NS-Machtentfaltung als »Machtergreifung«. Das ist die Erkenntnis, die auch aus der Politik des ApA der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik und ihrem Übergang zur Diktatur Hitlers gewonnen werden kann. Warum war die NSDAP für die Landbevölkerung attraktiv? Um zu erklären, warum die NSDAP von einer rechtsextremen Splitterpartei 1928 zur stärksten parteipolitischen Kraft bei den letzten freien Reichstagswahlen 1932 aufsteigen konnte, wurde zunächst von einer »Panik im Mittelstand« (Theodor Geiger) gesprochen und vom »Extremismus der Mitte« (Martin Lipset). Gemeint waren Bevölkerungsgruppen, die, von der Modernisierung verunsichert, von Abstiegsängsten und Verelendungsfurcht in die Fänge der NSDAP getrieben worden seien  : Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende, der »alte« Mittelstand. Das ist zweifellos richtig, heute aber wissen wir auf der Basis seriöser Mitglieder- und Wahlforschungen, dass die »Hitler-Bewegung« auch überproportional viele Angestellte und Beamte sowie »linke« Wähler aus der Arbeiterschaft anzog. Die NSDAP wurde so zur ersten »Volkspartei« in der deutschen Geschichte.141 140 Evans, 2005, Bd. 1, 419 ff.: Pyta, 2007, 790 ff.; Turner, 1996 und HoppE, 1997, 629 ff. 141 Winkler, 1972  ; Megerle, 1983  ; Kater, 1983 sowie J. Falter, 1979 und 1991.

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Zweifellos zog die Hitler-Partei als Protestbewegung bisherige Nichtwähler besonders an, sie profitierte vom Anstieg der Wahlbeteiligung, die von 1928 = 31 Millionen über 1932 = 37 Millionen auf 1933 = 39 Millionen anstieg. Sie sammelte auch die Wähler ein, die mit den bisherigen Regional- und Interessenparteien nicht zufrieden waren. Vor allem aber hatte sie Erfolg in rechtskonservativen, mittelständischen und evangelisch geprägten Bevölkerungskreisen. So nimmt man an, dass 1932 nur etwa 15 Prozent der wahlberechtigten Katholiken die NSDAP wählten, aber knapp 40 Prozent der Protestanten für die Partei Hitlers votierten. Es waren sozial verunsicherte, von Deklassierung bedrohte, an vorindustriellen und vordemokratischen Strukturen orientierte Menschen, welche die »Hitler-Bewegung« wählten, ihr beitraten oder sie anderweitig unterstützten.142 Auch Darré konnte seine Arbeit bei der NSDAP erst aufnehmen, nachdem ein mittelständischer Unternehmer die Zahlung seines Gehaltes übernommen hatte. Allein die NSDAP schien das Versprechen wahr machen zu wollen, die Krise des Mittelstandes ernst zu nehmen und seine Hoffnung erfüllen zu wollen, die organisierte Arbeiterschaft in ihre Schranken zu weisen, Parlament und Parteien und damit die Gefahr der Majorisierung der Besitzinteressen endgültig auszuschalten, die »ruinöse« Gewerbefreiheit zugunsten einer geordneten und befriedeten Berufstandwirtschaft aufzugeben.143

Wie die »Landvolkpartei«, so wurde auch die »Wirtschaftspartei« zur parlamentarischen Splittergruppe und in den Wahlen 1932 schließlich ganz zur Beute der NSDAP und ihrer überlegenen Organisationsstärke. Indem sich Hitlers Partei das Image einer jungen Volkspartei gab, die versprach, eine klassen- bzw. schichtübergreifende »Volksgemeinschaft« zu schaffen, war sie für Wähler aus dem protestantisch-bürgerlichen Milieu, wozu auch die Bauern in Norddeutschland zählten, besonders attraktiv. Zu den Motiven, die NSDAP zu wählen, gehörte auch der Antisemitismus, der einen ›Sündenbock‹ für die missliche wirtschaftliche Lage definierte und »Gemeinschaftsfremde« auszuschließen versprach. So wurde die Partei Hitlers zu einer politischen Massenbewegung, die Wähler aus allen Bevölkerungskreisen anzog.144

142 Nach Angaben des Statistischen Amtes bei der ROL der NSDAP waren im September 1930 mit 15,8 Prozent im Vergleich mit dem Bevölkerungsanteil überdurchschnittlich viele Bauern Parteimitglied. Der Anteil erhöhte sich bis Januar 1933 auf 19,8 Prozent. (NSDAP. Parteistatistik, Berlin 1935, nach Behrens, 1998, 98). 143 Winkler, 1972 (Zitat  : 178) und 1976, 97 ff.; Schumacher, 1972  ; Saldern, 1979  ; Broszat, 1983, 52 ff.; Kolb, 1993, 222 ff. und Pyta, 1997, 208 ff. 144 Schon in ihrer Frühphase setzte sich die Wählerschaft der NSDAP zusammen aus ca. 40 Prozent altem und ca. 20 Prozent neuem Mittelstand sowie ca. 40 Prozent Arbeitern. Dieser Befund wurde für die Zeit nach 1928 weiter ausdifferenziert und bestätigt. Vgl. Manstein, 1990 und Mühlberger, 2003.

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Katholiken wählten traditionell »Zentrum« und »Bayerische Volkspartei«, so dass die entsprechenden ländlichen Regionen in Süd- und Westdeutschland für die NSDAP zunächst fast völlig ausfielen. Erst ab 1932 wählte auch hier »eine breite bäuerliche Wählerschaft primär aus interessenpolitischen Motiven NSDAP«, wobei das »aktive Engagement angesehener und anerkannter Bauernführer in der Partei« – des ApA Darrés – eine »entscheidende Voraussetzung für die Erfolge bei der bäuerlichen Wählerschaft« war, wie Zdenek Zofka für den schwäbisch-bayerischen Kreis Günzburg festgestellt hat. Die frühzeitigen besonderen Erfolge der NSDAP bei der protestantischen Landbevölkerung werden auch durch die Zahl der Parteieintritte bestätigt  : 40 Prozent der neuen Parteimitglieder zwischen 1928 und 1930 stammten aus Gemeinden unter 5000 Einwohnern  ; 1932, als auch katholisch sozialisierte Bevölkerungsgruppen schwach geworden waren, stieg die Zahl sogar auf 50 Prozent.145 Fragt man nach den Gründen dieser Attraktivität des Nationalsozialismus auf dem Lande, so dürften materielle Not und Zukunftsangst von herausragender Bedeutung gewesen sein. Seit die Landbevölkerung ihren Bedeutungsverlust durch die unaufhaltsame Fortentwicklung Deutschlands vom Agrar- zum Industriestaat verkraften musste und die Landwirtschaft ihre Vorrangstellung als »primärer Sektor« der Wirtschaft eingebüßt hatte, war sie in eine Krisenspirale geraten, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer schneller drehte. Was hatte man seit 1913 nicht alles erlebt  ? Die Belastungen und Entbehrungen des Ersten Weltkrieges, das Trauma von Kriegsgeschehen und Niederlage, die Unruhen der unmittelbaren Nachkriegszeit mit der Gefahr für Haus und Hof durch den radikalen Sozialismus, die Erschütterung und Unsicherheit der Inflationsjahre – auch mit ihrer Bedrohung der Reichseinheit –, die Bemühungen um Selbstbehauptung in den keinesfalls so »goldenen« Jahren relativer Stabilität und dann die Weltwirtschaftskrise, die bei vielen, die in der Landwirtschaft tätig oder von ihr abhängig waren, wie ländlicher Handel und ländliches Handwerk, mit existenzbedrohlichen Folgen erlebt wurde.146 Nicht Arbeitslosigkeit oder Einschränkung des Lebensstandards trieb die Bauern in die Arme Hitlers und der NSDAP, sondern Erbitterung über das Ausbleiben eines lebensnotwendigen und gerechten Ertrags für ihre geleistete schwere Arbeit. Die Gefahr des Verlustes von ererbtem Land, ja des Hofes selbst, war nicht nur mental gravierender als der Verlust eines Arbeitsplatzes in Industrie oder Gewerbe. »Für den Landwirt ist der Grund und Boden nicht nur ein Mittel, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen, sondern zugleich Heimat.«147 Der Preisdruck vom Weltmarkt her und die Zinslast vom Kapitalmarkt brachten die Bauern in immer 145 Zofka, 1979, 115 ff. und Wildt, 2008, 63. 146 Zu den Statusansprüchen der Bauern  : Childers, 1976 und 1983, 218. Im Übrigen Th. Schnabel, 1982, 116 ff.; Fritsche, 1999 und Gies, 1966, 98 ff. und 1986, 124 ff. 147 Rieker, 1933, 47. Zum Einfluss der ländlichen sozialen Lebenswelt und der Mentalität der Bauern auf ihr Wahlverhalten vgl. Merkenich, 1998, 319 ff. im Anschluss an Pyta, 1996.

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ausweglosere Notlagen. Die drohende Zwangsversteigerung von Vieh, Ernte, Haus und Hof, d. h. des geerbten Familienbesitzes, trieb die Bauern scharenweise in die Hände der NSDAP. Diese existentielle Gefährdung erklärt auch die Blindheit, mit der die Landbevölkerung die »Blut und Boden«- Ideologie als vermeintlich letzten Strohhalm ihres beruflichen Lebens missverstand. Schon Rudolf Heberle wies in seiner wegweisenden zeitgenössischen Studie über Landbevölkerung und Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein darauf hin, dass die Gründe für die werbende Kraft der NSDAP nicht nur in ihrer unerbittlichen Gegnerschaft zum herrschenden politischen »System«, ihrer agrarpolitischen Programmatik und ihrer das Gemeinschaftserlebnis fördernden Struktur als »Kampfverband« und »Bewegung« zu suchen sind. »Vor allem aber war es keiner der um die Bauern werbenden Parteien gelungen, einen Mythos von ›elan‹-bildender Kraft zu schaffen.« Im Gegenteil  : Ihre Interessenvertretung war heillos zerstritten und ihre parlamentarischen Repräsentanten griffen auf althergebrachte, nicht mehr zeitgemäße Forderungen zurück. Das Ergebnis war nicht nur mangelnde Durchsetzungskraft, sondern Erfolglosigkeit aufgrund antiquierter Konzepte. Missstimmung, Hoffnungslosigkeit und Existenzangst äußerten sich nicht nur in Schleswig-Holstein im Protest als kollektive Triebabfuhr, in gewaltbereiter Verweigerung und gewaltsamem Aufruhr  – und zwar bei allen ländlichen Bevölkerungsgruppen in allen ländlichen Regionen.148 Die Enttäuschung über die Ineffizienz ihrer Interessenvertretungen und die Unsicherheit ihrer Lebensverhältnisse schweißte sogar Landarbeiter, Klein- und Großbauern sowie ostelbische »Junker« zusammen als Notgemeinschaft frustrierter Leidensgenossen aus unterschiedlichsten Sozialmilieus. Dass sie selbst mit ihrer Aversion gegen Modernisierungsmaßnahmen und mit ihrem Überfordert-Sein von den Partizipationsansprüchen der Demokratie ein Teil ihres Problems waren, wurde verdrängt. Es waren affektgeladene, psychodynamisch sehr komplexe Ursachen, welche die politisch frustrierenden Erfahrungen und kollektive Unzufriedenheit zu immer radikaleren Haltungen und Handlungen werden ließen. Erst habe ich Stresemanns DVP gewählt, und als es nicht besser wurde, die Landvolkpartei. Aber die wirtschaftliche Lage wurde immer schlimmer. Also habe ich Hugenbergs DNVP gewählt. Die Lage verbesserte sich trotzdem nicht. Warum sollte ich nicht auch mal die NSDAP wählen  ? Es war die letzte Hoffnung.149 148 Heberle, 1963 (Zitat  : 169 f.) und J. Bergmann/Megerle, 1989, 200 ff. Dabei war doch SchleswigHolstein vor dem Ersten Weltkrieg eine Hochburg des Liberalismus gewesen und hatte zu Beginn der 1920er Jahre linksliberal und republikfreundlich gewählt. Auch strukturell war Schleswig-Holstein ein gutes Spiegelbild der ländlichen Verhältnisse in Deutschland insgesamt  : Es gab Gegenden mit schroffen Gegensätzen zwischen Proletariat und Gutsbesitzern (Ostholstein), es gab die großbäuerliche Marsch und die Gebiete der Geest, wo es enge Besiedelung und Dorfgemeinschaften gab – und auch Interessengegensätze zwischen Getreideproduzenten und Vieh- bzw. Veredelungsbetrieben. 149 Ein bäuerlicher Zeitzeuge aus Hessen im Gespräch mit dem Verfasser. Vgl. auch Broszat, 1970, 392 ff.

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In der Landwirtschaft herrschte eine Art Erlösungserwartung im Hinblick auf die Hitler-Bewegung, der nur schwer mit rationalen Mitteln beizukommen war. Hinzu kam die Anfälligkeit der Landbevölkerung für autoritäre Führung. Sie drückte sich nicht nur als Enttäuschung über die Führungsschwäche ihrer Repräsentanten, als Erbitterung über Parteienzersplitterung und ineffektive Parlamentsdebatten aus, sondern auch im Verlangen nach einem starken Staat und einer charismatischen Herrschaft. Der Hitler-Biograph Ian Kershaw hat auf das Charisma des »Führers« hingewiesen und der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler ist ihm gefolgt. Gerade bei der Landbevölkerung gab es eine Anfälligkeit für ein solches Führertum, das sich auf die suggestiven Reden eines Volkstribuns, das Sendungsbewusstsein und Glaubenspathos eines Demagogen, seinen ideologischen Fanatismus, seine Willensstärke und seinen programmatischen Opportunismus stützte. Hitlers Wahlveranstaltungen waren gekennzeichnet durch Emotionalisierung, populistische Vereinfachungen, agitatorische Durchschlagskraft, ein einschüchterndes Ordnungszeremoniell und die hypnotische Wirkung pseudomilitärischer Aufmärsche. Dieses ritualisierte Gehabe, das die Wahlkampfauftritte und Parteitage der NSDAP prägte, setzte sich später auf den von Reichspropagandaminister Goebbels organisierten Erntedanktagen fort, zu denen Tausende aus allen Regionen Deutschlands zum Bückeberg bei Hameln strömten. Dort wurde in diesen Führerkult um Hitler auch Darré einbezogen, obwohl er über vieles andere verfügte, nur nicht über demagogische oder gar charismatische Fähigkeiten. Dem »entschlossenen Führer« korrespondiert eine  – in den Worten Götz Alys  – »willige Gefolgschaft«. Kershaw war es auch, der die Wortprägung von Werner Willikens, Darrés Stellvertreter an der Spitze des ApA, mit ihrer aktiven Akzentuierung aufgegriffen hat, die Parteigenossen seien überzeugt gewesen, man müsse »dem Führer entgegenarbeiten«.150 Denn Verführung und Faszination waren zwei Seiten einer Medaille, dem Heilsbringer korrespondiert die Heilserwartung und beide Phänomene benötigen eine als apokalyptisch empfundene Wahrnehmung von Realität, um Wirksamkeit zu entfalten. Diese Begriffe aus der Theologie werden oft herangezogen, wenn es um die Erklärung der Anziehungskraft des Nationalsozialismus geht.151 Wenn es im Nationalsozialismus Phänomene einer »politischen Religion« gab, dann war die »Blut und Boden«-Ideologie für die Bauern eine Glaubensangelegenheit, zu deren Anmutungen sie durch ihre traditionellen religiösen Bindungen einen vertrauten Zugang hatten. Auch hierin liegt eine Erklärung für die Wirkungsmacht und Mobilisierungsfähigkeit der »Blut und Boden«-Ideologie. 150 Kershaw, 2000, 345 ff.; Lepsius, 1993, 95 ff.; Wehler, 2003, 623 ff. und Dirk van Laak, in  : Möller, 2004, 149 ff. Die Typisierung »charismatische Herrschaft« geht auf Max Weber (»Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft«, in  : ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1988, 475 ff.) zurück. 151 Vgl. Vondung, 1971 und 1997, 33 ff.; Ley/Schoeps, 1997  ; Brokoff, 2001 sowie Bärsch, 2002.

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Jürgen Kocka hat die Anziehungskraft des Nationalsozialismus mit dessen »Zwittercharakter« erklärt, »zugleich antimodern und dynamisch, antikapitalistisch und antisozialistisch, reaktionär und revolutionär zu sein«.152 Besonders der Teil der »Janusköpfigkeit der NS-Bewegung«, der sich antielitär, rebellisch und zukunftsorientiert gab, zog gerade junge Menschen an, die sich nicht resignierend mit ihrer desolaten Situation abfinden wollten, sondern gegen Zukunftsangst und Hoffnungslosigkeit Abwehrkräfte mobilisieren konnten. Sie sahen den sozialen und ökonomischen Niedergang des Agrarsektors, sie sahen, wie Bauernhöfe, die meist eine Ewigkeit in Familienbesitz gewesen waren, versteigert wurden. Sie wollten sich mit diesem Schicksal nicht abfinden und erblickten in der »Hitler-Bewegung« eine Zukunftshoffnung, für die sich zu engagieren sich lohnt. Schließlich verhieß sie sozialen und nationalen Wiederaufstieg und eine »Volksgemeinschaft«, die keine Klassen, Religionen oder Parteien kennen wollte.153 An diese »junge Generation«, deren »Sendung« es sei, die »Herrschaft der Greise« abzulösen, appellierte die NSDAP bewusst, wenn sie mit Gregor Strasser zur »Revolution der Jugend« mit dem Slogan »Macht Platz, ihr Alten  !« aufrief. Mit der Kampfparole »Blut und Boden« wurden diejenigen in der Landbevölkerung angesprochen, die nicht zur Selbstaufgabe bereit waren, die gegen das Honoratiorengehabe in den landwirtschaftlichen Verbänden, gegen Beharrungskraft und Verkrustungen aufbegehrten, die aus den Normen des Althergebrachten und den daraus abgeleiteten Hierarchien ausbrechen wollten. Sie waren offen für Protestparolen und Aufrufe, sich in den Dienst nationaler und sozialer Erneuerung zu stellen.154 Und in der Tat  : Die NSDAP war eine Partei mit bemerkenswert jungen Mitgliedern  : 1930 waren 37 Prozent jünger als 30 Jahre und 70 Prozent jünger als 40 Jahre. Bei den Parteifunktionären war die Quote der unter 40-Jährigen rund 65 Prozent, unter 30 waren rund 26 Prozent von ihnen. Der Altersdurchschnitt der NSDAP-Mitglieder lag sieben Jahre unter dem der Gesamtbevölkerung. 1930 war Hitler 41, Strasser 38, Göring 37, Goebbels 33, Himmler 30 und Darré 35 Jahre alt. Auch Darrés engste Mitarbeiter waren damals unter 40  : Willikens war 37, Backe 34, Meinberg und Reischle waren beide erst 32 Jahre alt.155 Joachim Fest und Ernst Nolte haben darauf aufmerksam gemacht, dass Emotionen, insbesondere das Phänomen Angst, ein entscheidendes Antriebsmotiv der faschistischen Gefolgschaft in ganz Europa gewesen seien. Für die Landbevölkerung in Deutschland ist dies offensichtlich. Das Gefühl der gegenwärtigen Ausweglosigkeit paarte sich hier mit dumpfer Zukunftsangst, so dass es plausibel erschien, auf obrigkeitsstaatliche, feudale und ständische Modelle aus der Vergangenheit zurückzugreifen. 152 Kocka, 1980, 10 f. 153 Zur Attraktivität des ApA und später des RNSt gerade für junge Bauern und in der Landwirtschaft tätige Menschen  : Gies, 1975. 154 Strasser, 1932, 171 ff. und E. G. Gründel, Die Sendung der jungen Generation. München 1932 sowie Broszat, 1983, 66 ff. 155 Zur Altersstruktur der NSDAP u. a. Bracher, 1969, 299  ; Kater, 1983 und Kolb, 1993, 117 f.

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Die Befindlichkeit auswegloser Verzweiflung rief Abwehrmechanismen gegen alles »Moderne« und Ignoranz gegenüber offensichtlichen Realitäten hervor. Die Vergangenheit wurde idealisiert, sie wurde als Idylle imaginiert und das »einfache Leben« als Ausflucht aus einer komplizierten, amorphen und undurchsichtigen Gegenwart mit einer positiven Konnotation versehen. Das kleine Dorf ist eben übersichtlicher als die große Stadt, der bäuerliche Familienbetrieb vertrauter als »Agrarfabriken« (Pacyna), ein »Herr im Hause«-Standpunkt attraktiver als ein abhängiges Arbeitsverhältnis. Die obsessive Abneigung gegen Demokratie (»Westimport«, komplizierte, oft undurchsichtige politische Willensbildung, »faule« Kompromisse) und Kapitalismus (»Zinsknechtschaft«, Profitorientierung) war die sozialpsychologische Ursache für Angst vor Liberalismus (»zügellose« individuelle Freiheit), Parlamentarismus (»Parteienstaat«) und Bolschewismus (Gefahr für Privatbesitz, Enteignung). Die existenzbedrohende Krisensituation beförderte auch eine traumatische Furchtsamkeit, deren Ursachen weit zurückreichten. Der technischen und kulturellen Modernisierung war auf dem Lande ein Verlust von »Wir-Gefühl« gefolgt, einer in Jahrhunderten gewachsene Bindungskraft von hergebrachten Lebensmustern und kulturellen Traditionalismen. Skepsis gegenüber Neuem, Fremdem und Sehnsucht nach dem Hergebrachten, Vertrauten korrespondieren. Sie produzieren eine Mentalität des Restaurativen, anachronistischen Wunschdenkens und der Nostalgie. Je mehr sich kapitalistisches Wirtschaftsdenken und liberaler Individualismus durchsetzten, umso lauter wurde der Ruf nach Geborgenheit in der »Dorfgemeinschaft« früherer Zeiten. Das hat Wolfram Pyta überzeugend herausgearbeitet. Protestantisch geprägter Konservatismus und bäuerlicher Traditionalismus bildeten eine Mentalität in einem Sozialmilieu, das dem Nationalsozialismus mit seinem »völkisch« aufgeladenen Rassismus wenig Widerstand entgegenzusetzen in der Lage war.156 Im Gegenteil  : Darré konnte sich, die NSDAP und ihren »Führer« Adolf Hitler als »Retter aus Not und Verzweiflung«, als Garanten eines »ständischen« Sonderstatus der Bauern inszenieren, ohne dass Fragen zur Glaubwürdigkeit einer solchen Illusion gestellt wurden. Schließlich die »Blut und Boden«-Ideologie. Worin lag ihre Überzeugungskraft für die Bauern  ? Was machte sie attraktiv für die Landbevölkerung  ? Wenn man sich nicht resignativ in das Unvermeidliche fügen wollte, konnte man durchaus eine Rassenideologie attraktiv finden, die Aufmerksamkeit und Bedeutungszuwachs, Anerkennung und Wertschätzung versprach. Hatte nicht die Bevölkerungswissenschaft mit Statistiken den Geburtenüberschuss des Landes gegenüber der Stadt und damit eine Verbindung von Bauerntum und nationalem bzw. volklichem Überleben nachgewiesen  ? Bei der Kennzeichnung des Bauerntums als »Lebens- und Erneuerungsquell« des Volkes konnte leicht übersehen werden, dass Darré nur die »Nordische Rasse« im Auge hatte und fördern wollte. Aber selbst wenn man dies erkannte  : Einer überlegenen »Rasse« anzugehören und als Vorbild für andere Bevölkerungsgruppen zu gelten konnte dem 156 Pyta, 1996 sowie Kaschuba, 1990 und 1990a, 202 ff.

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Abb. 23 Werbeplakat aus den 1930er Jahren zur Tradition von »Blut und Boden«.

geschundenen Identitätsbedürfnis der Bauern nur guttun. Viele waren bereit, dafür auch die negativen Begleiterscheinungen der nationalsozialistischen Rassenpolitik, d. h. die Ausgrenzung »Volksfremder«, in Kauf zu nehmen, im Falle der Juden sogar zu begrüßen. Aber dies dürfte wohl nur für eine Minderheit zutreffen. Die moderne Kognitionswissenschaft hat mit dem Begriff »politisches Framing« wesentlich dazu beigetragen, das Phänomen zu erklären bzw. verstehen zu helfen, dass Menschen Meister im Verdrängen unangenehmer Wahrheiten sind. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Macht der Sprache oft und gern unterschätzt wird. Aber Sprache bestimmt unser Denken, konstruiert Wirklichkeit, steuert deren Wahrnehmung und mit Sprache wird Politik gemacht. Wenn es gilt, Wörter oder Ideen zu begreifen, aktiviert unser Gehirn Deutungsrahmen, die Fachleute, die sich mit den neuro-kognitiven Voraussetzungen unseres Denkens befassen, »Frames« nennen. Deren Inhalt und Struktur werden bestimmt durch unsere Lebenserfahrung. Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal

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über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unsren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten.157

»Frames« (Deutungsrahmen) geben einzelnen Begriffen, auch Sätzen eine Bedeutung, die durch Vorwissen und Erfahrungen bestimmt wird und dadurch unsere Wahrnehmung steuert. Bei der Einordnung von Wörtern und Sätzen in Deutungsraster werden komplexe Informationen selektiert und strukturiert, d. h. aufbereitet und in den eigenen Erfahrungshorizont integriert. Das gilt besonders für Metaphern. Sie wirken auf unsere Wahrnehmung, unser Entscheidungsverhalten und unser Sozialverhalten. Und  : »Metaphorischer Sprachgebrauch aktiviert eine ganze Heerschar von Ideen und Inferenzen, die im ›eigentlichen‹ Wort nicht stecken. Und diese Schlussfolgerungen bedingen dann unsere Wahrnehmung von Fakten ebenso wie unser Handeln.«158 »Framing« ist die Operationalisierung dieser Erkenntnis bei politischer Überzeugungsarbeit, z. B. in Wahlkämpfen. Sprache ist hochpolitisch. Erfahrene Wahlkampfmanager wissen  : »Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Macht  !« (Heiner Geißler) Mit »politischem Framing« kann unser Denken und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflusst, ja gesteuert werden. Dabei geht es immer um Wertungen  : gut – schlecht, im eigenen Interesse – nicht im eigenen Interesse, richtig – falsch. Besonders die »Frames« von Schlüsselwörtern mit einer komplexen Bedeutungsstruktur prägen unsere »moralische Weltsicht« (Wehling). Menschen, so haben Kognitionswissenschaftler herausgefunden, treffen – entgegen landläufigen Annahmen – ihre politischen Entscheidungen nicht aufgrund der Faktenlage, sondern aufgrund individueller sinngebender »Frames«. In Begriffen, besonders in Metaphern, verbirgt sich mehr an Bedeutung, als man zunächst annimmt. Sprachbilder spielen auch im Alltag eine große Rolle. Auch hier bestimmen präfaktische Weltbilder die Bewertung und Einordnung des Faktischen  : als wahr oder unwahr, als bedeutsam oder nicht bedeutsam, als relevant oder weniger relevant. Gegen solche Voreinstellungen und Vorbeurteilungen kommen keine Fakten an, was man besonders am Phänomen des Antisemitismus festgestellt hat.159 Es ist eine Fehlannahme, dass Menschen mit Fakten rational umgehen. Es sind vielmehr die »Frames«, die über die Wahrnehmung der Fakten bestimmen. Gegen bestimmte »Frames« in den Köpfen haben Fakten keine Chance, selbst dort nicht, wo wahre und falsche Informationen gegenübergestellt werden. Wenn Patriotismus nur im »Rahmen« von Protektionismus gedacht wird, dann wird nicht nur Schutz, sondern auch Begrenzung, Eindämmung und Abschottung damit verbunden, so dass bürgerliche 157 Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet  – und daraus Politik macht. Köln 2016, 17 f.; die folgenden Zitate  : 34, 36, 42, 44 f. und 61 ff. 158 Zum Thema »Metaphern«  : ebd., 68 ff. (Zitat  : 72). 159 Aber auch gegenläufig zu dem hier Dargestellten kann immer wieder erlebt werden, dass im öffentlichen Diskurs eine Atmosphäre geschaffen wird, die Angst macht, als »Antisemit« an den Pranger gestellt zu werden. So kann Meinungsfreiheit eingeschränkt und ehrliche politische Äußerungen können so unterdrückt werden.

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Freiheit oder der Schutz der menschlichen Würde oder die finanzielle Belastbarkeit von Mitbürgern bei Lebensmitteln nur eine untergeordnete Rolle spielen – wohl aber wirtschaftliche Hilfe und soziale Bevorzugung, etwa der Landwirtschaft. Metaphern wie die von »Blut und Boden« sind geradezu prädestiniert dafür, missverstanden zu werden, weil sie ihren Inhalt nicht klar und eindeutig, sondern verklausuliert und verdeckt, eben unklar transportieren. Werden wir mit einer Information konfrontiert, für die wir keinen oder einen unpassenden Bedeutungsrahmen zur Verfügung haben, so reagiert unser Gehirn »wie ein bockiges Pferd  : Es weigert sich, die abweichende Information als Teil der Realität aufzunehmen.« (Wehling) Neue Informationen werden dann besonders leicht in unser Bewusstsein aufgenommen, wenn sie in einen aktivierten »Frame« passen, und sie werden abgeblockt, wenn dies nicht der Fall ist. Das Faktum, dass die »Blut und Boden«-Ideologie für Darré und die Nationalsozialisten eine Rassenideologie war, wurde nicht wahrgenommen, weil der Deutungsrahmen, den die Bauern und die Landbevölkerung im Zusammenhang mit der Doppelmetapher aktivierten, »Bauer und Land« oder »Mensch und Heimat« war. Das Faktum »Förderung der Nordischen Rasse« geriet mit dem vorhandenen »Frame« in Kollision und das Begreifen der Information wurde verhindert. Bei der Metapher »Blut« wurde z. B. jede Form von exogener Beeinflussung menschlichen Verhaltens wie Sozialisation, Erziehung oder Bildung gedanklich ausgeblendet, dagegen der endogenen Ausstattung absolute Priorität eingeräumt. Die Doppelmetapher aktivierte einen »ideologischen Frame«, der beide Komponenten gegenseitig aufeinander bezogen sah. »Blut und Boden« verstanden als »Mensch und Erde«, die zusammengehören, ist ein Sprachbild, welches das Alltagsleben auf einem Bauernhof exakt beschreibt. Wenn das Sinnbild »Blut und Boden« im Bewusstsein auf den Deutungsrahmen »Landmann und Landschaft« trifft, wurde in den 1920er Jahren unvermeidlich und unversehens, besonders bei Bäuerinnen, die Pflege des Brauchtums evoziert. Auch in solchen Assoziationen bestand der »emotionale Mehrwert« (Wehling) der »Blut und Boden«-Ideologie für die Bauern und Landwirte, nicht nur im materiellen Sinne. Es kann nicht verwundern, dass die Bauern, deren Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein derart angeschlagen waren, diesen ›letzten Strohhalm‹ ergreifen wollten, den ihnen die »Blut und Boden«-Ideologie zu reichen schien. Das wurde ihnen umso leichter gemacht, als die vielen Möglichkeiten, wie die Doppelmetapher »Blut und Boden« verstanden werden konnte, und die Art, wie verschiedenste zeitgenössische Autoren mit der idiomatischen Redensart umgingen – sie wurden hier dargestellt –, eine Aufnahmefähigkeit dieser Metapher signalisierte, die mehr durch Wunschdenken als durch Realitätssinn gekennzeichnet war. Ob »Blut und Boden« als »Volk und Raum«, »Volk und Staat«, »Leute und Land«, »Stamm und Heimat«, »Mensch und Landschaft« verstanden wurde  – alle Versionen hatten nichts mit dem zu tun, was Darré in den Slogan hineininterpretiert hatte  : die Idee nämlich, die Menschen »Nordischer Rasse« seien zur Selbstverwirklichung auf die Bebauung von Land angewiesen

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und ihre kulturschöpferische Leistungsfähigkeit hänge von dieser Symbiose ab. Aber Darrés Auslegung der Redensart »Blut und Boden« war nur eine Variante des Begriffspaares. Es konnte – wie jedes Sprachbild – leicht missdeutet oder missverstanden werden, auch noch, als Darré daraus ein politisches Programm machte, das nach 1933 verwirklicht wurde. Die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen man die Formel »Blut und Boden« operationalisieren konnte, waren eine vorzügliche Voraussetzung dafür, sie für Propagandazwecke zu instrumentalisieren, ohne ihre rassistische Zielsetzung preiszugeben. Die vielen Möglichkeiten ihrer Ausdeutung ermöglichten es, mit ihr viele Menschen zu erreichen bzw. hinter der eigenen Parteifahne zu versammeln – auch Städter. In der Version ›Mensch und Erde‹ etwa konnten sich die bürgerlichen Stadtbewohner angesprochen fühlen, die sich nach Naturnähe sehnten  ; aber mit dem Nationalsozialismus hatte diese Sichtweise, die in der Tradition Riehls und Freyers stand, wenig zu tun.160 In der Version ›Volk und Staat‹ konnten sich die gesamte Nation und ihre Staatsbürger angesprochen fühlen, vor allem aber die Landbevölkerung, die ihren Beitrag zur zahlenmäßigen Auffüllung des Volkes leistete. Rassismus aber war das nicht. Besonders in der Version »Bauer und Boden« konnten sich die in der Landwirtschaft Tätigen wiederfinden. Ihre Desorientierung und Existenznot machte sie blind und aufnahmefähig für eine Chimäre, die eine Rückkehr zu vorindustriellen Verhältnissen vorgaukelte, in Wirklichkeit aber einen erbarmungslos harten rassenideologischen Kern hatte. In ihrer »Einäugigkeit aus existentiellem Interesse« (H. Haushofer) sahen sie nur das Versprechen sozialer Aufwertung und eines Zuwachses von ökonomischer Bedeutsamkeit, der mit der Metapher »Boden« verbunden war. Hier ging es auch um eine Perspektive für Siedlung von Landarbeitern und Jungbauern. Und es ging um die nationale Bedeutung der Landwirtschaft für die Sicherung der Ernährung des eigenen Volkes. Auch dieses Verständnis von »Blut und Boden« hatte wenig mit dem Nationalsozialismus und seiner Rassenideologie zu tun. In der Vieldeutigkeit des Slogans lag eben die große und suggestive Überzeugungskraft der »Blut und Boden«-Ideologie. Jeder konnte seine Wunschvorstellungen, Sehnsüchte und Illusionen, auch seine Interpretation in dem Begriffspaar unterbringen und sie – im Hinblick auf die Realität des Nationalsozialismus – missverstehen. Es waren die Bauern in den frühen 1930er Jahren, die hierfür ein Beispiel lieferten, wie man den Nationalsozialisten auf den Leim gehen konnte. In krisenhaften Situationen erhalten auch außergewöhnliche, ja irrationale Versprechungen den Anschein von Plausibilität.

160 Ipsen, 1933 und 1933a  ; Marcuse, 1965, 19 ff. und 36 ff. und Sehestedt, 2008. Außerdem Sengle, 1963  ; Dohnke, 1996 und Mackensen, 2004.

2 Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister Für R. Walther Darré war die Ernennung Hitlers zum Reichsregierungschef ein großer Erfolg, hatte er doch mit seiner Loyalität in der Strasser-Krise und mit seinem ApA nicht unwesentlich dazu beigetragen. Gleichwohl musste er persönlich eine herbe Enttäuschung verkraften, als nicht er, sondern Alfred Hugenberg Reichs- und Preußischer Landwirtschaftsminister wurde  – und das gleichzeitig mit den entsprechenden Wirtschaftsressorts. Damit war der Vorsitzende der DNVP und »Pressezar« der eigentlich ›starke Mann‹ in der Regierung Hitler. Nicht einmal ein Staatssekretärsposten fiel für die NSDAP ab, denn Hugenberg berief für die Landwirtschaft den Vorsitzenden des Pommerschen Landbundes und Intimfeind Darrés Hansjoachim von Rohr-Demmin in dieses Amt.161 Für Darré und seinen Stellvertreter an der Spitze des ApA, Werner Willikens, blieb nur eine undankbare Wartestellung. Also machten sie weiter wie bisher – Wahlkampf und Eroberung der landwirtschaftlichen Organisationen. Außerdem gewann Darré Zeit, mit seinen Mitarbeitern  – allen voran Herbert Backe, Hermann Reischle und Wilhelm Meinberg – die Gesetze vorzubereiten, die sein Lebenswerk krönen sollten  : zum »Reichsnährstand« und seiner »Marktordnung« sowie zur Etablierung von »Erbhöfen«. Zunächst war eine weitere Reichstagswahl zu bestehen und da gab es ja auch noch den Ruf aus der Landwirtschaft nach einer gemeinsamen Interessenvertretung unter einer starken Führung. Allerdings hatten sich die Rahmenbedingungen für Darré und seinen ApA insofern geändert, als nun gegen einen RMEL Hugenberg und einen »Landbündler« von Rohr zu agieren war, die beide einer Regierung unter Führung Hitlers angehörten, also schwer massiv angreifbar waren.162

161 Im Juli 1931 hatte Darré einen Bf. an Hitler geschrieben, in dem er für den Fall, dass es zu Verhandlungen über eine »Rechtskoalition mit dem Zentrum und den Deutschnationalen« kommen würde, dem Preuß. Landwirtschaftsministerium eine »Schlüsselrolle« zumaß, während er das RMEL als »reine Dachorganisation mit repräsentativer Bedeutung« kennzeichnete. Er argumentierte mit der machtpolitischen Relevanz (»Sicherstellung und Beherrschung der Ernährung des Volkes«) und der Gefahr, dass die bisherigen Erfolge der NSDAP bei der Landbevölkerung gefährdet seien, wenn das Preuß. Landwirtschaftsministerium in andere als nationalsozialistische Hände falle. (Darré an Hitler [»Vertraulich«], 24.7.1931, BA, NS 22/360). 162 Um besser auf die aktuelle Politik einwirken zu können, errichtete Darré schon am 1.2.1933 ganz in der Nähe des Landbundhauses in Berlin eine Nebenstelle seines Sekretariats in München (StAG, NLD, Nr. 159).

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Gleichschaltung aller landwirtschaftlichen Organisationen Die RT-Wahl am 5. März 1933 stand ganz unter dem Einfluss des Reichstagsbrandes, der sich nur eine Woche vorher ereignet hatte und eine Notverordnung zeitigte, durch welche die Grundrechte der Verfassung außer Kraft gesetzt wurden. Weil die Linksparteien nahezu ausgeschaltet waren, erhielt die NSDAP 43,9 Prozent, die »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« (DNVP und »Stahlhelm«) 8 Prozent, was eine Mehrheit von 51,9 Prozent für die Regierung Hitler/Hugenberg ergab. Angesichts des propagandistischen Trommelfeuers auch über den Rundfunk und der dadurch stimulierten Aufbruchstimmung war das Wahlergebnis mit einem überwältigenden Erfolg der »Hitler-Bewegung« nicht überraschend. Bei einer außerordentlich hohen Wahlbeteiligung von fast 90 Prozent, welche die Parole von der »nationalen Erhebung« nur bestätigte, hatte die NSDAP einen Zuwachs von 5,5 Millionen Wählern gegenüber der Wahl im November des Vorjahres. Auf dem Lande erzielte die Partei Hitlers sogar mit durchschnittlich 52,4 Prozent eine absolute Mehrheit, während sie in den Städten selbst mit der DNVP nicht die 50-Prozent-Marke erreichte. Den größten Wahlerfolg überhaupt erzielte die NSDAP in Ostpreußen mit 56,5 Prozent.163 Mit dieser Rückenstärkung ging Darré nun daran, mit seinem ApA das landwirtschaftliche Organisationswesen auf seine Linie zu bringen. Er begründete den Führungsanspruch des ApA mit dem seinen Machtanspruch kaschierenden, aber populären Ruf nach Einheit des landwirtschaftlichen Berufsstandes. Damit appellierte er geschickt an ein Gefühl, das in der deutschen Landwirtschaft weit verbreitet war. Die katastrophale Wirtschaftskrise und die erfolglose Politik der landwirtschaftlichen Interessenvertreter hatten bei manchen von diesen, wie den bereits zitierten Schlange-Schöningen oder Wilmowsky, zu der Einsicht geführt, »daß die jetzige Form unserer Berufsstandsorganisation der Einheitlichkeit und der Unabhängigkeit entbehrt.«164 Anders als bei den »Landbünden« und beim RLB war es bei den »Christlichen Bauernvereinen« nicht möglich, sie »von unten nach oben aufzurollen«, wie es Darré angeordnet hatte. Hier musste mit staatlicher Gewalt nachgeholfen werden. Erst als ihr Vorsitzender, Andreas Hermes, am 21. März 1933, kurz bevor er am 27. März wiedergewählt werden sollte, anlässlich der Wiedereröffnung des Reichstages in der Krolloper verhaftet und wegen angeblicher Korruption, Veruntreuung und Fluchtge163 In Gunzenhausen (Mittelfranken) erhielt die NSDAP 67,1 Prozent, dort wurde auch schon 1933 das erste Hitlerdenkmal in Deutschland errichtet. In seiner rückblickenden Bilanz, mit der sich Darré bei seinen »Freunden und Mitkämpfern« im ApA bedankte, gehörte der »gewaltige Erfolg unter der Landbevölkerung« zu den herausgehobenen Leistungen seiner »Kanpfgemeinschaft« (SRs. Darrés v. 11. »Ostermond« [April] 1933, BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991). Außerdem  : Loomis/Beegle, 1946  ; Bracher, 1984, 568 ff.; Falter, 1991, 188 und Pyta, 2007, 817 f. sowie Gies, 1966, 93 ff. 164 Topf, 1933, 45 ff. und Jacobs, 1957, 41 sowie Wilmowsky im Vorwort zu W. Peters, 1932.

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fahr in Moabit eingesperrt worden war, konnte auch bei den »Bauernvereinen« nationalsozialistischer ›Geist‹ einziehen.165 Hermes’ Nachfolger an der Spitze der »Bauernvereine«, Hermann Freiherr von Lüninck, Jesuitenzögling und Jurist, war Geschäftsführer des »Rheinischen Bauernvereins«. Seit 1925 Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland, war er seit 1930 auch Vorsitzender des dortigen landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbandes gewesen. Er hatte – in der Einschätzung Darrés vom Januar 1932 – »für den Nationalsozialismus ein offenes Ohr«. Lüninck war ein Freund ständestaatlicher Vorstellungen und – im Gegensatz zu Hermes – Befürworter einer Vereinheitlichung des landwirtschaftlichen Organisationswesens. Auch auf Empfehlung seines älteren Bruders Ferdinand, der seit 1931 Präsident der Landwirtschaftskammer der preußischen Provinz Westfalen war und auch im dortigen »Bauernverein« Einfluss hatte, wurde nach einem Beschluss des Vorstandes der »Bauernvereine« Hermann von Lüninck, Koblenz/Bonn, beauftragt, sofort Verhandlungen mit dem RLB aufzunehmen mit dem Ziel, »die Verschmelzung beider Spitzenverbände der deutschen Landwirtschaft baldmöglichst zu erreichen«.166 Die Fusionsverhandlungen begannen am 31. März 1933 im Landbund-Haus in der Dessauer Straße 26 in Berlin und gerieten damit sofort in den Einflussbereich der NSDAP. In den Ländern und preußischen Provinzen hatten sich die Machtverhältnisse im landwirtschaftlichen Organisationswesen ähnlich wie an der Spitze verändert. Dort, wo die Nationalsozialisten noch keinen bestimmenden Einfluss hatten, »geschah dies auf dem mehr revolutionären Weg« der Einschaltung eines »Kommissars«, wobei auch das Mittel der »Schutzhaft« oder die Einschaltung der Justizbehörden wegen angeblicher 165 VB v. 27.3.1933  ; Reichardt, 1953, 118 ff. und 138 ff.; Jacobs, 1957, 50 ff. und 1958  ; Barmeyer, 1971, 123 ff. und 145 ff.; Schumacher, 1973, 99 f. Vgl. – auch für das Folgende – Gies, 1965, 366 ff. und 1966, 131 ff. 166 Jacobs, 1957, 77 f. und 105 f.; Stockhorst, 1967, 279  ; Rs. Darrés v. 30.1.1932 und Frankfurter Zeitung v. 29.3.1933. Zwischen den Lüninck-Brüdern und Hermes gab es offensichtlich eine langjährige Rivalität, die ihnen nach Hermes’ Verhaftung zu Oberwasser verhalf. Hermann Baron Lüninck war 1932 als RMEL im Gespräch gewesen, lehnte aber in einem Bf. an StS Meissner von der RPKlei am 3.6.1932 ab. Begründung  : Es gebe keine »völlig einheitliche Willensbildung« bei den politisch Verantwortlichen, die aber unabdingbar sei. Er schlug Neuwahlen vor und, dass danach »jener Gruppe der nationalen Front die Führung« gebühre, welche die Mehrheit erkämpft habe. In einem Bf. an d. Bankier K. v. Schroeder v. 15.11.1932 hielt er die »Übertragung der Kabinettsführung an die nationalsozialistische Bewegung im Interesse einer gesunden wirtschaftlichen und nationalen Entwicklung [für] unbedingt notwendig«. Im gleichen November allerdings verweigerte er seine Unterschrift zu eine Eingabe an den RP, Hitler zum RK zu ernennen (Czichon, 1971, 62 ff. und 68 f.). Beide LüninckBrüder engagierten sich später im Widerstand. Einer, Ferdinand, der den Rittergutsbesitzer Engelbert Frhr. von Kerckerinck zur Borg als LK-Präsident in Westfalen abgelöst hatte, nachdem der vom ApA (LGF Meinberg) gestürzt worden war (Rs. Darrés v. 30.1.1932, StAG, NLD, Nr. 145), sich noch im Mai 1933 zum Oberpräsidenten der Provinz Westfalen hatte machen lassen und Hitler einen »Retter« genannt hatte, dem »alle Berufsgenossen als Schirmherr des deutschen Bauerntums folgen« sollten, wurde sogar im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 hingerichtet ( Jacobs, 1957, 105 f.).

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krimineller Delikte der bisherigen Mandatsträger (»Korruption«) angewandt wurde.167 Nun wurde mit Resolutionen, Presseartikeln und Telegrammen nach Berlin Druck gemacht, dem Leiter des ApA der NSDAP »als selbstverständliches Recht die Führung der gesamten Bauernschaft« zu übertragen. Und weil der Chefpräsident des RLB, Graf Kalckreuth, gerade eine emphatische Begrüßungsadresse an Reichskanzler Hitler abgegeben hatte, war es nicht verwunderlich, dass Darré am 4. April 1933 von den Vertretern des RLB und der »Bauernvereine« einstimmig gebeten wurde, den Vorsitz einer »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes« (RFG) zu übernehmen. In Darrés Einschätzung war dies nur möglich geworden durch die Arbeit des ApA  : »Wenn je Geschlossenheit der Organisation, blitzschnelles Zusammenarbeiten und zusammengefasster Wille einen Erfolg bedingte, so diesmal«, schrieb Darré rückblickend. Beschlossen wurde auch, dass die RFG bis zum 1. Januar 1934 (!) eine einheitliche Standesvertretung der gesamten deutschen Landwirtschaft zustande bringen sollte.168 Die revolutionäre Dynamik in der ersten Hälfte des Jahres 1933 sorgte allerdings dafür, dass es nicht so lange dauerte. Erleichtert wurde die Fusion der beiden größten Bauernverbände auch dadurch, dass nach dem Stimmenzuwachs bei der RT-Wahl mit Wilhelm Meinberg am 23. März 1933 ein weiterer Nationalsozialist ins Präsidium des RLB gewählt worden war. Schon einen Tag bevor Meinberg ins RLB-Präsidium eintrat, hatte das Gremium in einer Entschließung pathetisch die Notwendigkeit betont, »das Landvolk sämtlicher deutscher Stämme und Gaue zu der alle Teile des Vaterlandes umfassenden freien Kampforganisation der deutschen Bauern im neuen Reich zu sammeln«.169 Wilhelm Meinberg war klein von Wuchs, aber ehrgeizig und  – im Gegensatz zu Darré  – mit einem guten rhetorischen Talent ausgestattet. Er bewirtschaftete einen Familienbetrieb in Wasserkurl bei Unna bzw. Dortmund in Westfalen. Nach dem Notabitur 1916 an einem Realgymnasium hatte er am Krieg teilgenommen, war mit dem EK II dekoriert worden und hatte fast ein Jahr in englischer Gefangenschaft verbracht. Danach schloss er sich dem »Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund« und dem »Stahlhelm« an. 1923 übernahm er, nach einer landwirtschaftlichen Lehrzeit in Brandenburg und Mecklenburg, den väterlichen Hof, blieb aber weiter politisch aktiv. 1929 schloss er sich der SA an und wurde im März 1930 NSDAP-Mitglied. Er war LGF in Westfalen-Süd und wurde 1931 Mitglied des Vorstandes der LK Westfalen. Als er in das Präsidium des RLB gewählt wurde, war Meinberg auch schon Mitglied der NSDAP-Fraktion im Preußischen Landtag.170 167 Westdeutsche Bauernzeitung v. 13.5.1933 (PA d. RLB, 7 f/4, Bl. 75) sowie NSL v. 26.2., 19.3., 9.4. und 23.4.1933. 168 VB v. 5.4.1933 und SRs. Darrés v. 11.4.1933 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991), in dem er »die deutsche Bauerneinigung« als »großes historisches Geschehnis« bezeichnete, sowie – auch für das Folgende – Gies, 1966, 132 ff. und 1968a, 214 ff. 169 Frankfurter Zeitung v. 29.3.1933  ; VB v. 15.2.1933 und NSL v. 2.4.1933 (»Wilhelm Meinberg. Ein Bauernführer aus Blut und Boden«). 170 Lilla/Döring, 2004, 408 f.; Klee, 2003, 400 und Gespräch d. Verf. mit Herrn Meinberg.

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Abb. 24 Wilhelm Meinberg (1898–1973).

Darré hatte seine Mitarbeiter im ApA Ende März über die Fusionsverhandlungen informiert, eine Einheitsorganisation zwar als »Gebot der Stunde« begrüßt, aber betont, sie werde nur dann verwirklicht, wenn der ApA »maßgeblich beteiligt wird«. Sein »Endziel«, die Eroberung des gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesens, werde sich nicht verändern, schrieb er an seine Mitstreiter und betonte  : »Auf welchen Wegen ich dieses Ziel erreiche, muß ich mir meiner Taktik vorbehalten.« Trotzdem war offenbar – zur Beruhigung der Mitarbeiter – eine Besprechung nötig, die am 31. März 1933 in Berlin und München stattfand. Die in Berlin unter der Leitung von Willikens versammelten »Landwirtschaftlichen Gaufachberater« betonten in einer Entschließung »als selbstverständliches Recht« für Darré, »die Führung der geeinten Bauernschaft zu verlangen«.171 Bevor die Vertreter von RLB und »Christlichen Bauernvereinen« zusammenkamen, um über die Bildung einer »Einheitsfront des deutschen Bauerntums« zu verhandeln, konnten sie im Völkischen Beobachter lesen, unter welchen Bedingungen Darré zur Zusammenarbeit bereit war. Der Leiter des ApA der NSDAP wies nicht nur auf die parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse in der Landbevölkerung hin, er deutete auch die realen Machtverhältnisse im Staat an. »Auf Grund dieser Tatsachen kann das na171 Vertr. SRs. Darrés v. 29.3.1933 (StAG, NLD, Nr. 140) und die Entschließung v. 31.3.1933 (ebd., Nr. 421).

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tionalsozialistische Bauerntum an der gemeinsamen Aufgabe nicht nur beteiligt sein, sondern es muß ihm die verantwortliche Führung eingeräumt werden.« Konkret heiße das  : Dem Präsidium der neuen Organisation dürfe keine Person angehören, »die mit dem Kampf gegen das erwachende Deutschland im Zusammenhang steht«, und bei einer Einbeziehung der NSDAP, »ohne die dieser Zusammenschluß nicht denkbar ist«, stehe dem Leiter des ApA der Vorsitz zu.172 Der am 4. April 1933 beschlossenen »Reichsführergemeinschaft« unter Vorsitz Darrés gehörten vier Vertreter der beteiligten Organisationen an. Da aber vom RLB mit Willikens und Meinberg zwei Nationalsozialisten die Vertreter des ApA (Darré, Backe, Luber und Deininger) ergänzten, war deren Dominanz auch personell gesichert.173 Für die Regierung Hitler/Hugenberg gab es von nun an keine Opposition aus der Landwirtschaft mehr. Auf Antrag des Grafen Kalckreuth vom RLB sollte Reichskanzler Hitler sogar gebeten werden, die »Schirmherrschaft« der RFG zu übernehmen, um das »Einigungswerk unter den besonderen Schutz des Staates« zu stellen. Außerdem wurde damit die Absicht verbunden, der »große Einigungsgedanke des gesamten Bauernstandes« solle »durch die unmittelbare und eindeutige Verknüpfung mit der Person des Staatsführers klar und offen aus den Niederungen des überwundenen Parteiendenkens herausgehoben werden«. Das war kein gutes Zeichen für die immer wieder und noch weiter betonte »Selbstverwaltung« der bäuerlichen Interessen – auch später im »Reichsnährstand« nicht.174 Dieser in der Geschichte des ständischen Gedankens einmalige Anschluss einer Berufsvertretung an den Staat deutete auch in den verwandten Formulierungen eindeutig auf den vorherrschenden nationalsozialistischen Einfluss hin. Daran änderte auch nichts, dass mit der »Federführung« der Bildung einer landwirtschaftlichen Einheitsorganisation Graf Kalckreuth beauftragt wurde. Schon allein die personelle Zusammensetzung der RFG und der Zeitgeist im Frühjahr 1933 garantierten, dass alles im Sinne der NSDAP verlaufen werde.175 Es ging Kalckreuth wie dem ehemaligen 172 VB v. 2./3.4.1933 (»Einigung des deutschen Bauerntums unter dem Hakenkreuz. Interview mit Darré«) und Der Angriff v. 3.4.1933 (PA d. RLB, 7/F4, Bl. 98). 173 Für den RLB saßen Kalckreuth, Lind, Willikens und Meinberg in der RFG. Die »Christlichen Bauernvereine« waren mit Lüninck, Schill, Hundhammer und Stewes vertreten (Schulthess, 1933, 83). 174 Hitler hatte seine Sympathie und Unterstützung für Darré schon bei einem Empfang der Führung des ApA in der RKlei am 2.2.1933 zum Ausdruck gebracht (NSL v. 5.2.1933). 175 Dokumentiert ist dieser Prozess in einem Bf., den der Geschäftsführer der »Deutschen Bauernschaft«, Heinrich Lübke, am 11.5.1933 an das »Amt für Agrarpolitik« der NSDAP, das mittlerweile am Monbijouplatz in Berlin ansässig war, geschrieben hat. Darin hieß es  : »Wir wollen von uns aus die Auflösung unserer Organisation und das Hineinwachsen in die Einheitsorganisation so sehr wie möglich beschleunigen.« Die beigefügten Berichte aus den Ländern und Provinzen zeigen, wie dominant die LGF mit den »Bauernschaften« und »Bauernbünden« umgingen, die beinahe unterwürfig ihre »Loyalität« und »restlose Bereitschaft, in der Einheitsorganisation aufzugehen«, bekundeten (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991).

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Reichskanzler von Papen – beide verkalkulierten sich. Hitler und seine »Bewegung« konnte man sich nicht »engagieren«, geschweige denn »zähmen«. Angesichts der realpolitischen Gegebenheiten – am 23. März war das »Ermächtigungsgesetz« mit der Aufhebung der rechtstaatlichen Gewaltenteilung beschlossen worden  – ist der Optimismus kaum zu erklären, mit dem die Initiatoren des Einigungswerkes im RLB und den »Bauernvereinen« in die Zukunft blickten – zwei Tage nachdem vor und in der Potsdamer Garnisonskirche die »Versöhnung von Vergangenheit und Zukunft« inszeniert worden war. Ist bei Lüninck die Fehleinschätzung der Lage noch mit Opportunismus deutbar, nun, nachdem mit Hermes der Gegner eines Zusammenschlusses außer Gefecht gesetzt worden war, die eigenen Pläne zu verwirklichen, so kann das Verhalten Kalckreuths nur mit nationalsozialistischen Einflüsterungen erklärt werden. Das geht auch aus der Mitteilung hervor, die nach der ersten Besprechung am 31. März 1933 veröffentlicht worden war. Darin hieß es, »daß diese neue ständische Organisation gegenüber dem Staat völlig selbständig sein, also durch die Bauern freiwillig von unten herauf begründet werden müsse […], und daß die Provinzialverbände selbständig sein« sollten. Unbeirrt und unberührt von den wirklichen Machtverhältnissen im Staat und dem Totalitätsanspruch der Nationalsozialisten verfocht Hermann Frh. von Lüninck seine Vorstellungen von einer berufsständischen Ordnung »in Selbstbestimmung und Selbstverwaltung« weiter, in welcher »der Bauernstand, ausgestattet mit den Rechten und Pflichten einer öffentlich-rechtlichen Korporation, die nur ihn berührenden Angelegenheiten kraft eigenen Rechts selbst gestaltet und verwaltet«.176 Auch im RLB hatte man unter der Ägide Kalckreuths noch nicht begriffen, wie die Machtverhältnisse in der RFG aussahen und welchen politischen Ambitionen diejenigen ›Geister‹ nachgingen, die man selbst gerufen hatte. In der Entschließung, mit der sich Kalckreuth vom Bundesvorstand des RLB seine Initiative bestätigen ließ, wurde darauf hingewiesen, »daß das Einigungswerk nicht auf Kosten des bisherigen klaren nationalpolitischen Kampfcharakters des Reichslandbundes erkauft werden« dürfe. In heroisierender Selbstbespiegelung wurde die RFG beschworen  : »An dem bauerntrotzigen, eigenwüchsigen, unabhängigen Wesen unseres in schweren Notzeiten des deutschen Bauerntums in Bismarcks Geist geborenen und seitdem geführten Kampfbundes darf nicht gerüttelt werden.« 177

176 Zitate nach Jacobs, 1957, 77 ff.; Lüninck, »Der Weg zum Reichsbauernstand«, in  : Deutsche Bauernkorrespondenz v. 12.4.1933. Am gleichen Tag hatte er an Hitler, den »Schirmherrn des deutschen Bauernstandes«, ein Telegramm geschickt, in dem er die »Einigung aller standespolitischen bäuerlichen Verbände« des Rheinlandes meldete und ihm Gefolgschaft gelobte (BA, R 43 II, 196, Bl. 178). 177 Hannoverscher Landbund v. 29.4.1933 (PA d. RLB 7 F/4, Bl. 142 und 7 Ka/3, Bl. 198)  ; vgl. auch die Glückwunschadresse, die der RLB Hitler am 21.4.1933 zusandte, abgedruckt in Merkenich, 1998, 363 und 344 f., wo auf eine »Hitler-Spende des RLB« im Juni 1933 hingewiesen wird, welche der viel beklagten Entfremdung zwischen Stadt und Land entgegenwirken sollte  : Über 50.000 Mitglieder

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Welche Motive die agrarkonservativen Mitglieder hatten, die RFG als »Aktionsausschuß für berufsständische Sammlung« zu begrüßen, brachte Graf Kalckreuth in seiner ganzen, für die politische Einstellung des RLB in der Zeit der Weimarer Republik symptomatischen Tragweite zum Ausdruck178  : »Was wir heute haben ist das, was der Reichslandbund und der Bund der Landwirte seit Jahrzehnten erstrebt haben, nämlich eine Reichsführung, die den Bauernstand in seiner ganzen Bedeutung würdigt, und die unser Volk auf dem Bauernstand aufbauen will.« Er glaubte, die Stunde sei gekommen, »den deutschen Bauern von jeder Bevormundung auf politischem und vor allem auch wirtschaftlichem Gebiet freizumachen.« Blind für die wahren machtpolitischen Kräftegruppierungen, die ihnen längst das Gesetz des Handelns aus der Hand genommen hatten, gaben sich die führenden Repräsentanten des RLB Illusionen hin  : »Wir können die Zukunft nur dann so gestalten, wie es uns vorschwebt, wenn zunächst im ganzen Reichsgebiet eine Gleichschaltung des agrarpolitischen Apparates und der Bauernschaften der NSDAP mit [sic] den Landbünden herbeigeführt wird.« Graf Kalckreuth erfuhr sehr bald in eigener Person, wie man bei den neuen Machthabern über seine »Verdienste um die deutsche Landwirtschaft und die nationale Erneuerung« dachte. Anfang Mai 1933 wurden gegen ihn schwere Vorwürfe (Börsenspekulationsgeschäfte mit Getreide) in der NS-Presse erhoben, die ihn in bewusst »ehrabschneidender Form« der persönlichen Bereicherung bezichtigten. Am 5. Mai 1933 trat er als Chef-Präsident des RLB zurück, um sich »in voller Handlungsfreiheit« verantworten zu können. Seine Position übernahm Meinberg und ein weiteres Mitglied des ApA der NSDAP trat ins Präsidium des RLB ein.179 Andreas Hermes war auch Vorsitzender des »Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen«. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften förderten und steuerten den Absatz der Agrarproduktion sowie die Versorgung der Landwirtschaft mit Produktionsmitteln wie Dünger und Maschinen. Auch die Bereitstellung von Krediten gehörte zu ihren Aufgaben. Deshalb war man bei den Genossenschaften vielerorts auch der Meinung, sie seien »unpolitisch«. Aber wenn man weiß, dass die Nationalsozialisten der Meinung waren, »Nationalsozialismus und Gevon NSDAP, SA, SS und »Stahlhelm« sollten zu einer mehrwöchiger Erholung von LB-Mitgliedern eingeladen werden. 178 Hannoverscher Landbund v. 29.4.1933 (PA d. RLB, 7 Ka/3). 179 Kalckreuth an Hitler, 9.5.1933 (BA, R 43 II, 203). Darré ließ es sich nicht nehmen, bei dieser Gelegenheit vom RLB als Vors. d. RFG so begrüßt zu werden, auf die »historischen Verdienste« der Organisation bei der »nationalsozialistischen Machtergreifung« hinzuweisen. Natürlich konnte er – deutlich extemporierend – seine eigene Leistung bei der Unterwanderung des RLB nicht verschweigen  : »[…] habe ich mit einer oft übermenschlichen Kraft es fertig gebracht, daß aus der vor drei Jahren noch hemmungslosen Gegnerschaft der meisten Landbund-Organisationen gegen meine Partei im Laufe der drei Jahre unter Überwindung mancher menschlicher Kleinlichkeiten jene Gemeinschaft des Kampfes geboren wurde, die Ihnen jetzt den historischen Augenblick zu Ihren Gunsten schreibt, in dem der letzte Kanzler des Liberalismus, von Schleicher, durch Sie gestürzt wurde. Man spricht sich nicht Dank aus im Kampf miteinander.« (Hannoverscher Landbund v. 29.4.1933) Außerdem Thamer, 1994, 295 f.

Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister

nossenschaftswesen« seien »zwei wesensgleiche Begriffe«, dann wird die Naivität einer solchen Ansicht mehr als deutlich. Als Beleg wurde ins Feld geführt, dass die Formel »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« für beide Organisationen gelte, aber wenn dann behauptet wird, die Genossenschaftsbewegung sei entstanden, »aus dem Bestreben heraus, den kleinen Landwirt vom Viehwucher, den deutschen Bauern aus den Krallen der zinswucherischen, aussaugenden jüdischen Händlern zu befreien«, dann entlarvt sich das Wort von den »unpolitischen« Genossenschaften als absurde Behauptung.180 Wegen ihrer regionalen Verankerung und strukturellen Vielschichtigkeit war es Darré trotz mehrfacher Ansätze bis 1933 nicht gelungen, einen direkten oder indirekten Zugriff seines ApA auf die Genossenschaften zustande zu bringen. Darré hatte 1931 schon beklagt, dass er »über den Gegner und den ganzen Genossenschaftsapparat« keine »Klarheit bekommen« könne und deshalb nicht in der Lage sei, »die Eroberung der Genossenschaften nach einem einheitlichen Plan anzusetzen«. Noch im August 1932 bat er seine Mitstreiter im ApA, ihm »zuverlässige Fachleute« zu nennen, um mit einer neu eingerichteten Unterabteilung »Ländliches Genossenschaftswesen« zusammenzuarbeiten.181 Erst am 28. Februar 1933 ergriff Darré eine neue Initiative, die aber immer noch von großer Unsicherheit gekennzeichnet war. Die »Landwirtschaftlichen Gaufachberater« erhielten detailliert ausgearbeitete »Richtlinien zur Eroberung der landwirtschaftlichen Genossenschaften«, die in ihrer zeitlichen Umsetzung bis ins Jahr 1934 ausgelegt waren. Angesichts der Tatsache, dass alle Genossenschaften, mit nur wenigen Ausnahmen, »in Händen von Führern liegen, die der nationalsozialistischen Bewegung wesensfremd, in sehr vielen Fällen feindlich gegenüberstehen«, wurde eine Eroberung »vom Unterbau nach oben« angeordnet, da »das Aufrollen der Front von oben […] schwierig und auch z. Zt. nicht zu empfehlen« sei. Vorgeschlagen wurde, den Weg über die Wahlen zu den Jahres-Generalversammlungen zu gehen – wie es schon bei den Landwirtschaftskammern erfolgreich praktiziert worden war. Wie bescheiden die Ansprüche und Erwartungen Darrés im August 1932 waren, bringt der Schluss der »Richtlinien« zum Ausdruck  : Wird sofort und planmäßig gearbeitet, wird die nationalsozialistische Opposition richtig organisiert, wird es bis zum Herbst nächsten Jahres gelungen sein, die Führung im Mittel- und Unterbau und dann im Oberbau (d. h. auf der Reichsebene) in nationalsozialistischen Händen zu haben.182 180 Schach, 1931, 1 ff. und Bludau, 1968, 61 ff. 181 Bf. Darrés an Böttger v. 6.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 161), der eine »Denkschrift betr. Die Eroberung der ländlichen Genossenschaften« verfasst hatte, deren Inhalt Darré seinen LGF in einem Rs. am 20.10.1931 zur Information zuschickte (ebd., Nr. 142 und Nr. 145). 182 Rs. Darrés v. 3.8.1932 (StAG, NLD, Nr. 145)  ; »Vertrauliches« SRs. Darrés v. 28.2.1933 (ebd., Nr. 140) und Gies, 1966, 139 ff.

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Die Situation änderte sich schlagartig, als Hermes  – wie übrigens auch Heinrich Lübke von der »Bauernschaft«, Anton Fehr vom »Bauernbund« und Karl Hepp von der »Landvolkpartei« – mit Hilfe der Gestapo am 21. März 1933 ungerechtfertigt, wie sich vor Gericht später herausstellte, aus dem politischen Verkehr gezogen worden war.183 Nun konnte Darré wegen dessen »kriminellen Vergehen« den gesamten ApA mobilisieren und durch Resolutionen, Presseartikel und Telegramme an die Verbandsspitze die Forderung der NSDAP nach »Teilhabe an der Verantwortung« entsprechend dem RT-Wahlergebnis vom 6. März 1933 unterstützen lassen. Außerdem wurden die »Mitkämpfer« im ApA aufgefordert, »Vorteilnahme, Korruption, Bestechung und Untreue aufzudecken, um so die »Gleichschaltung in den Genossenschaften« zu befördern. Während Darré auf Hinweis seines Beraters Arnold Trumpf Hitler ersuchte, einen »Reichskommissar« beim Reichsinnenministerium, nicht bei Hugenberg (!), zum »Durchfassen« zu bestellen, forderte Willikens den Reichskanzler auf, Walter Granzow, den Ministerpräsidenten und »Landwirtschaftlicher Gaufachberater« von Mecklenburg-Schwerin, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Aber Hitler wünschte offensichtlich keine übereilten Schritte, um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht zu gefährden. Als in der Reichskanzlei ein Ministerialrat aus dem Reichsfinanzministerium bestellt und die Stelle damit »nicht mit dem richtigen Mann« besetzt werden sollte, musste gehandelt werden. Um »die Gleichschaltungs- und Säuberungsaktion« im nationalsozialistischen Sinne durchzuführen, griff Darré zu einem anderen Mittel, sein Ziel zu erreichen.184 Am 16. April 1933 richtete die NS-Landpost einen unmissverständlichen Leitartikel an die Delegierten, die in einer Gesamtausschusssitzung am 19. April zu der Verhaftung ihres Präsidenten Hermes Stellung nehmen wollten  : »Wir wollen den Herren […] nicht den geringsten Zweifel darüber lassen, daß das revolutionäre Bauerntum jetzt kategorisch die Berufung von Nationalsozialisten als Führer der Genossenschaftsorganisation fordert.« Auch hier wurde mit den Mitteln der Einschüchterung und Drohung gearbeitet. Wieder wurde der gesamte ApA mobilisiert, mit Hilfe von Presseerklärungen und Telegrammen an die Zentrale der Genossenschaften in Berlin zu fordern, »durch unverzüglich zu ergreifende Maßnahmen« die nationalso183 Zu Hermes  : Faust, 1977, 426 ff. und zu Hepp  : Vossische Zeitung v. 24.3.1933. Zu den Opfern dieser »Terror-Maßnahmen« gehörte auch Alois Hundhammer vom »Bayerischen Christlichen Bauernverein«. Er wurde am 21.6.1933 verhaftet und nach Dachau gebracht. Sein »Bauernverein« wurde – wie alle anderen 27 auch – liquidiert. Die Zentrale der »Vereinigung« in Berlin wurde übrigens dem von Darré mitbegründeten RuSA der SS zur Verfügung gestellt. ( Jacobs, 1957, 83 ff. und 87). 184 Tel. Anweisung Darrés, 24.4.1933 (StAG, NLD, Nr. 159)  ; NSL v. 9.4.1933  ; Arnold Trumpf, Generalsekretär des Verbandes der ländlichen Genossenschaften Hannover-Braunschweig und »Reichsfachberater für ländliches Genossenschaftswesen« Darrés, an Pg. Walter Granzow, 30.3.1933  ; Granzow und Trumpf an StS Lammers in der RKlei v. 31.3.1933 und Vermerk Lammers v. 7.4.1933 (BA, R 43 II, 221) sowie Gies, 1968a, 219 ff. und 1986, 134 f. Vgl. auch Faust, 1977, 417 ff. und Hönekopp, 1977.

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zialistischen Forderungen zu erfüllen. Am 19. April 1933 nahm Darré »die Festung im Handstreich«  : Er erschien mit Gefolge in der Sitzung des »Gesamtausschusses«, des Führungsgremiums des Genossenschaftsverbandes, und erzwang ultimativ die Zustimmung zur Wahl von drei Nationalsozialisten ins Präsidium. Es gab keine Gegenwehr. Darré wurde einstimmig zum Präsidenten gewählt und ihm Granzow und Trumpf als weitere Mitglieder des Präsidiums an die Seite gestellt. »Als Geburtstagsgeschenk« konnte Darré daraufhin Hitler in einem Telegramm »die Übernahme der Führung von 40 000 ländlichen Genossenschaften« melden.185 Das neue Präsidium der Genossenschaften wurde ermächtigt, die Gleichschaltung der Genossenschaften auch in den Provinzen und Ländern durchzuführen. Wie sehr Darré Hitlers Forderung ernst nahm, keine Störung der Versorgungslage der Bevölkerung zu bewirken, geht daraus hervor, dass er das Bedürfnis hatte zu erklären, er habe keine »Kommissare«, sondern nur seine »Gaufachberater« als »Vertrauensleute« eingesetzt, um die regionale Gleichschaltung durchzuführen. In einer »Parteiamtlichen Bekanntmachung« verbot er am 27. April 1933 »eigenmächtiges Vorgehen« und »Eingriffe in die bestehenden genossenschaftlichen Einrichtungen im Lande sowohl als auch insbesondere auf den Märkten«. Gleichzeitig beauftragte er seinen engen Mitarbeiter Dr. Hermann Reischle, mit dem »Deutschen Landhandelsbund« zu verhandeln, um eine »straffe Führung der gesamten Ernährungswirtschaft sicherzustellen«. Das Ergebnis war, dass der ApA als »Treuhänder und Schlichter bis in die untersten Glieder der Organisation eingesetzt« wurde. Am 20. Mai 1933 nahm Darré »als oberster Treuhänder des gesamten Landstandes« auf dessen Reichstagung auch den »Deutschen Landhandelsbund« unter seine Fittiche.186 Die dritte »Säule der ständischen Selbstverwaltung« (Darré) – neben den Verbänden und Genossenschaften – waren die Landwirtschaftkammern (LKn) in den Ländern und preußischen Provinzen. Sie waren mittlerweile – eher mehr als weniger – in nationalsozialistischen Händen. Dafür hatten »Staatskommissare« gesorgt, die auf 185 »Eiliges« SRs. Darrés v. 13.4.1933 (StAG, NLD, Nr. 140). Der Artikel in der NSL vom 16.4. trug die Überschrift »Uns die Führung der Genossenschaft  !« Es wurde darin mit finanziellen Repressalien des Staates gedroht und festgestellt  : »Wenn man glauben sollte, diesen Ruf überhören zu können, so sei gesagt, daß wir die verantwortlichen Leute eines Tages zur Rechenschaft darüber ziehen werden, daß sie durch unverantwortliches Treibenlassen der Dinge die Interessen ihrer Genossen aufs gröbste gefährden.« WTB-Nachrichtendienst v. 19.4.1933 (BA, R 43 II, 221, Bl. 3 ff.)  ; Deutsches Landwirtschaftliches Genossenschaftsblatt v. 30.4.1933  ; Frankfurter Zeitung v. 20.4.1933 und Bericht Reischles über die Aktion  : NSL v. 30.4.1933, dort auch das Telegramm Darrés an Hitler. Vgl. auch Reichardt, 1953, 139 ff. 186 WTB-Nachrichtendienst v. 27.4. und 18.5.1933 (BA, R 43 II, 221, Bl. 9 und 14) und ebd., NLD, AD 54. Vgl. auch das Konzept eines Bfs. Darrés an die LGF v. 24.4.1933, in dem er sie zu seinen »Statthaltern zum Zwecke der Durchführung der Gleichschaltung« der Genossenschaften machen wollte. Sie sollten diese »Überprüfung und Gleichschaltung mit aller Energie in Angriff nehmen«. Das beste Mittel hierbei sei es, »schweren Korruptionen auf die Spur zu kommen« und jeden Fall »rücksichtslos dem Staatsanwalt zuzuleiten« (StAG, NLD, Nr. 159).

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Druck des regionalen ApA eingesetzt worden waren. Darré hatte im April 1933 von den LGF verlangt, zur »unbedingt notwendigen Organisationsbereinigung« den Vorsitz in allen drei Bereichen der »Gau-Führergemeinschaft«, die nach dem Vorbild auf Reichsebene eingerichtet wurde, zu übernehmen, also auch in den Genossenschaften und den Landwirtschaftskammern. Widerspenstige LKn wurden schon seit Februar unter Druck gesetzt, Neuwahlen anzusetzen, um sie den veränderten Mehrheitsverhältnissen und den »grundlegenden Umwälzungen der Staatsspitze« anzupassen. Es sei »undenkbar«, so wurde in der NSL argumentiert, »daß der Kammerpräsident eines Gebietes, das zu 80–90 Prozent nationalsozialistisch ist, erwiesenermaßen noch in der liberal-landvolkparteilichen Gedankenwelt steckengeblieben ist«.187 Mit diesem Argument war auch der Preußische Ministerpräsident Göring seinem Landwirtschaftsminister Hugenberg entgegengetreten, als dieser in einer Kabinettssitzung am 4. April die Verhaftung von führenden Mitarbeitern der LKn durch die SA monierte. Dessen Antrag, LKn, in denen »Störungen des Rechtszustandes und der Geschäftsführung« entstanden seien, gleich aufzulösen, wurde erst am 15. Juni 1933 vom Preußischen Staatsministerium zugestimmt. Ostpreußen konnte dabei ausgeklammert werden, weil dort durch Neuwahlen schon »richtige politische Verhältnisse« eingetreten waren. So leistete Hugenberg seinem Nachfolger Darré noch einen willkommenen Dienst bei der Vorarbeit zum Aufbau des »Reichsnährstandes«, denn dieser brauchte nur die interimistische Regelung seines Vorgängers zum permanenten Zustand zu erklären und seinen Vorstellungen vom »ständischen Aufbau der Landwirtschaft« anzupassen.188 Nun, im April 1933, ging es um den Dachverband der Landwirtschaftskammern, den »Deutschen Landwirtschaftsrat« (DLR). Hier traf Darré auf einen alten Bekannten aus seiner Zeit in Ostpreußen, den damaligen LK-Präsidenten Dr. Ernst Brandes, mit dem er immer noch wegen einer Verleumdungsklage vor Gericht stritt. Brandes hatte zwar sein Amt in Königsberg verloren, stand aber immer noch an der Spitze des einflussreichen DLR. Dieser hatte die »Regierung der nationalen Konzentration« am 31. Januar 1933 begrüßt, weil sie in »Führung und Zusammensetzung die Entwicklung der Wirtschaftspolitik in nationalwirtschaftlicher Richtung erhoffen« lasse. Einen Tag nachdem sich Darré an die Spitze der RFG gesetzt hatte, am 5. April 1933, fand die 63. Vollversammlung des Dachverbandes der LKn in Berlin statt.189 Auch Hitler hatte sein Kommen angekündigt, nicht nur als Reichskanzler, sondern auch als »Schirmherr der Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes«. Anwesend waren u. a. 187 SRs. Darrés v. 11. und 13.4.1933 (StAG, NLD, Nr. 140)  ; NSL v. 26.2.1933 und Gies, 1965, 384 ff. 188 Göring erklärte Hugenberg, die SA-Leute handelten lediglich auf Veranlassung des Staatsanwaltes und er könne sie auch deshalb nicht zurückhalten, weil die Zusammensetzung der betr. LKn in keiner Weise mehr den politischen Machtverhältnissen entspreche (BA, R 43 II, 203). Bf. Hugenbergs an Göring v. 7.4.1933 (ebd., P 135/1964, Bl. 115 f.). Protokoll der Sitzung des PrStMin v. 15.6.1933 (ebd., Bl. 124 f.). 189 BA, R 43 II, 203, Bl. 3 und WTB-Nachrichtendienst v. 5.4.1933 (ebd., Bl. 26 ff.).

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Vizekanzler von Papen, Minister Hugenberg und sein Staatssekretär von Rohr, Staatssekretär Lammers von der Reichskanzlei, Kalckreuth vom RLB und Lüninck-Koblenz von den »Christlichen Bauernvereinen«, Willikens, Meinberg und natürlich Darré als Vorsitzender der RFG. Präsident Brandes trug die bekannten Wünsche und Forderungen der Landwirtschaft vor und lobte die Politik der Reichsregierung, insbesondere die Hugenbergs und von Rohrs. Er bot Zusammenarbeit an und sprach von »Zuversicht«, damit »an Stelle von Resignation, dumpfer Verzweiflung, Verbitterung, Mißtrauen und Miesmacherei jetzt freudige Mitarbeit und volles Vertrauen herrscht.« Die Ansprache Hitlers war offensichtlich extemporiert, eine Ansammlung von weitschweifigen Gedanken und Füllwörtern, aber zu Teilen auch sehr konkret. So bedankte sich der Reichskanzler im Namen seiner »Regierung der nationalen Revolution, der nationalen deutschen Erhebung« bei den Bauern, die »vielleicht den größten Anteil« an ihrem Zustandekommen hätten. »[…] diese Erhebung, die hinter uns liegt wäre überhaupt nicht möglich gewesen, wenn wir nicht immer […] einen bestimmten Prozentsatz unseres Volkes auf dem Lande gehabt hätten.« Hitler betonte die Bedeutung des Bauerntums für die »Erhaltung des Volkstums«, ja für die »Zukunft der Nation« überhaupt, deren »Gesundung ihren Ausgang genommen [habe] vom Boden, von der deutschen Erde, vom deutschen Bauern«. Auf »Vorschlag des Oberpräsidenten Freiherr von Lüninck-Koblenz, des Präsidenten der Landwirtschaftskammer Bonn« nahm die Versammlung schließlich eine Entschließung an, in welcher der DLR »der Regierung der nationalen Erhebung rückhaltlose und geschlossene Gefolgschaft und Unterstützung gelobte«. Am 12. Mai 1933 teilte Brandes seinen Vorstandsmitgliedern mit, »daß bei der Reichsführung die Auffassung bestehe, daß der notwendige organisatorische Umbau des landwirtschaftlichen Berufsstandes dadurch erheblich erleichtert werde, daß die Führung der drei großen Gruppen des Berufsstandes in einer Hand vereinigt werde«. Daher sei der Rücktritt des bisherigen Vorstandes zu empfehlen. Nach dieser widerstandslosen Unterwerfung übernahm Darré am 15. Mai 1933 – bis zur endgültigen Bestätigung durch die Vollversammlung – kommissarisch auch den Vorsitz des DLR.190 Damit waren alle Berufsorganisationen der deutschen Landwirtschaft in der Hand des Führers des ApA der NSDAP.191 Am 29. Mai 1933 ließ sich Darré in einer Sitzung der RFG »uneingeschränkte Vollmachten« übertragen und den Titel »Reichsbauernführer« (RBF) geben, womit er den damals populären Führer-Gefolgschafts-Mythos mit seiner Heilserwartung aufgriff. Gleichzeitig wurde die RFG zur »zeitweiligen 190 VB v. 6.4.1933  ; Grüne Wochenschau v. 13.5.1933 (PA d. RLB 7 F/5, Bl. 40)  ; NSL v. 21.5.1933 und WTB v. 22.5.1933 (BA, R 43 II/203) und Gies, 1966, 141. 191 Die Gleichschaltung der wichtigsten Fachverbände geschah entweder so, dass Darré, wie im Falle des »Deutschen Landhandelsbundes«, selbst die Führung übernahm, oder durch die Einsetzung von zuverlässigen »Kommissaren« aus seinem Mitarbeiterstab. WTB v. 18.5.1933 (BA, R 43 II, 221)  ; VB v. 23.5.1933  ; NSL v. 28.5.1933. »Reichskommissare« wurden u. a. eingesetzt für  : Getreide- und Milchwirtschaft sowie Gartenbau (NSL v. 23.4.1933 und VB v. 14./15.4.1933) sowie Reischle, 1935, 53 f.

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Zweckorganisation« erklärt, denn Darré hatte mit seinen Mitarbeitern inzwischen weitere Pläne entwickelt, die auf den »Reichsnährstand« hinausliefen. Die alten Verbände wurden »eingegliedert«, wie der RLB und die Landwirtschaftskammern, oder »aufgelöst«, wie die »Bauernvereine« und die »Bauernschaften«, oder »angegliedert«, wie die »Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation«. Die »Federfürung« in der RFG, die Kalckreuth ergattert zu haben glaubte, um weitere Einheitsbestrebungen im Sinne des RLB zu verfolgen, war obsolet geworden. Von nun an konnte bei der landwirtschaftlichen Berufsvertretung, dem »Reichsnährstand«, von freiwilliger Mitgliedschaft, föderaler Struktur und Unabhängigkeit vom Staat keine Rede mehr sein.192 In einem Aufsatz mit dem selbstbewussten Titel »Viel Lärm um Nichts« belehrte der neue »Reichsbauernführer« Anfang Juni 1933 die offenbar Unbelehrbaren »von Gestern und Vorgestern«, man könne nicht einerseits Hitler zum »Schirmherrn« machen und andererseits den traditionellen »Kampfcharakter des Landbundes« gegen den Staat und andere Verbände beibehalten. Im »Dritten Reich« werde der Staat Befehle erteilen, welche die Verbände auszuführen hätten. Der Führer eines Berufsstandes sei lediglich Sachberater des Staatsführers und eine etwaige kämpferische Einstellung der Verbände sei nichts anderes als »Meuterei«. Und wer den »neuen Staat« immer noch nicht als das erkannt hatte, was er war, nämlich eine Diktatur, dem erklärte Darré nun in schulmeisterlicher Art  : »Oder glaubt man ernsthaft, gegen den Willen Adolf Hitlers eine wirtschaftspolitische Kampagne gegen andere Wirtschaftsverbände eröffnen und durchführen zu können  ? Die demokratische Herrlichkeit des wirtschaftspolitischen Faustrechts ist vorüber.« Nicht einmal den Opportunisten und Überläufern wollte Darré nun eine Chance einräumen. Denjenigen, die an ihre eigene Unentbehrlichkeit glaubten, stellte er nicht nur das Führungsrecht, sondern auch den Führungsanspruch der neuen Machthaber vom ApA der NSDAP entgegen  : »Alle die alten Führer des vergangenen Systems haben sich schuldig gemacht dadurch, daß sie die Bauern niemals gegen das kapitalistische Vampir-System jüdischer Börsenschieber geführt haben.« Am 22. Juni 1933 wurde Wilhelm Meinberg als »Obmann für die bäuerliche Selbstverwaltung« eingesetzt, der die Bereiche – Darré sprach von »Säulen« – Verbände, Landwirtschaftskammern, Genossenschaften und Landhandel  – zu koordinieren hatte. So konnte sich der »Reichsbauernführer« Darré ganz auf sein großes Ziel, die Eroberung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft konzentrieren.193 192 Erste Andeutungen in SRs. Darrés v. 11.»Ostermond (April)« 1933 (BA, R 16, Zg. 1971, Nr. 1991). Die Unterscheidung in drei Überleitungskategorien war nicht unwichtig, vor allem für die Mitarbeiter der betroffenen Verbände  : Die »Eingliederung« hatte eine Übernahme zur Folge, die »Auflösung« ihre Entlassung. Im Übrigen NS-Korrespondenz, Folge 431 v. 1.6.1933 (PA d. RLB, 7 F/5) und NSL v. 9.7.1933. Im SRs. v. 11.4.1933 wies Darré seine LGF an, in ihren Gauen und Provinzen ähnliche »Führergemeinschaften« zu bilden und darin den Vorsitz zu übernehmen. 193 »Viel Lärm um Nichts«, in  : NSL v. 4.6.1933 und »Vom Führungsrecht des agrarpolitischen Apparates

Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister

Darré hatte die Übergabe der Macht an Hitler als die »Stunde der nationalen Revolution« und als eine »nie wiederkehrende Möglichkeit« angesehen. Er hatte seine Enttäuschung darüber, dass ihm Hugenberg den Weg in die beiden wichtigen Landwirtschaftsministerien versperrte, schnell überwunden und sogar aus der Not eine Tugend gemacht. Denn durch die »organische« Übernahme der Führung des gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesens konnte die »Legalität« der nationalsozialistischen Machteroberung auch für den Agrarsektor beansprucht werden. Die teilweise gewaltsame Gleichschaltung brauchte nicht, wie im Falle der »Deutschen Arbeitsfront«, mit dem Mantel der »revolutionären Tat« verdeckt zu werden und sie war auch nicht »von oben«, vom Staat über ein Ministerium, dekretiert worden, sondern »spontan« aus dem Berufsstand selbst hervorgegangen. Die entscheidende Rolle, welche die ungerechtfertigte Verhaftung führender Vertreter des »alten Systems«, allen voran die von Andreas Hermes, gespielt hatte, wurde von nationalsozialistischer Seite natürlich übergangen.194 Und doch muss die enorme organisatorische und politische Leistung festgestellt werden, die Darré in weniger als vier Monaten vollbracht hatte  : die gesamte, bisher völlig zerstrittene landwirtschaftliche Berufsvertretung  – vom »Reichslandbund« bis zu den kleinsten »Bauernschaften«  – zu einen und das gesamte landwirtschaftliche Organisationswesen – von den Landwirtschaftskammern in den Ländern und preußischen Provinzen und dem »Deutschen Landwirtschaftsrat« bis zu den landwirtschaftlichen Genossenschaften und dem Landhandel  – unter seine Führung zu bringen. Diese ›Braune Front‹ war mehr als das, was die Protagonisten der »Grünen Front« jemals gewollt oder sich zugetraut hatten. Der Grundstein hierfür war in den Jahren seit 1930 gelegt worden mit dem Aufbau des ApA zu einer schlagkräftigen Wahlkampfmaschine und einem effektiven Instrument der Machteroberung. Die besonders eindrucksvollen Wahlerfolge der NSDAP auf dem Lande waren der Lohn. Hitler wusste diese Leistung zu würdigen, wie sein Dankesbrief an Darré am Ende des Jahres 1933 zeigt.195 Es war nur eine Frage von Zeit und Gelegenheit, bis Darré auch preußischer Landwirtschaftsminister und Reichsernährungsminister werden würde. der NSDAP«, in  : NSL v. 18.11.1933 (vgl. auch BA, R 43 I, Bd. 1301 und StAG, NLD, Nr. 421a) mit Überlegungen Darrés zur »Neugliederung des deutschen Landstandes«, die in die Struktur des RNSt eingingen  : Mensch, Hof, Genossenschaften, Handel, Geldwesen. Es ist schon erstaunlich, dass Darré glaubte, für den RNSt ein »Selbstverwaltungsrecht« in Anspruch nehmen zu können und sich damit im Machtkampf rivalisierender Kraftzentren im »Dritten Reich« durchsetzen zu können. 194 NSL v. 2.4.1933 und Hartwig von Rheden, Rittergutsbesitzer im Kreis Gronau, Wechsel von der DNVP zur NSDAP im April 1930, LGF im Gau Südhannover-Braunschweig und Darré auch weltanschaulich eng verbunden (Bfe. an Darré v. 16. und 17.3.1931, StAG, NLD, Nr. 87a), schreibt in seinen Erinnerungen an Darré (masch.schriftl. Manuskript, bei Frau Darré v. Verf. eingesehen) über »diese Zeit des abwartenden Übergangs«, in der Darré »scheinbar von der Führerschaft ausgeschaltet« war  : »[…] wir wissen um Freud und Leid, um Zustimmung und Ablehnung und um Neid und Mißgunst aus der Zeit.« Vgl. auch Pyta, 1976, 342. 195 Hitler an Darré, 31.12.1933 (BA, Darré-NS, 30). So sieht es auch der einzige US-Amerikaner, der sich

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Das Ministerium als Geschenk Hugenbergs Darrés Enttäuschung darüber, die Früchte seiner erfolgreichen Arbeit für Hitler nicht sogleich ernten zu können – nicht einmal das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten wurde Ende Januar 1933 mit einem Nationalsozialisten besetzt –, schlug sich in einer »persönlichen und vertraulichen Denkschrift an den Führer« vom März 1933 nieder. Unter Hinweis auf die Bedeutung des ApA als »Machtinstrument der Bewegung und bäuerliche Garde des Führers« und bei gleichzeitiger Hervorhebung der Erfolge dieser Organisation der NSDAP für die »Machtergreifung« Hitlers erhob Darré den Anspruch, an der so errungenen Macht aktiv beteiligt zu werden. Kampfwille und Energie des ApA, »geschaffen für den Kampf und erzogen zum Kampf«, vertrügen sich nicht mit dem augenblicklichen Zustand, »Gewehr bei Fuß den Kampfhandlungen zuzusehen«. Er sei jetzt, so wollte es Darré Hitler wissen lassen, in der Situation, vollkommen ausgeschaltet [zu sein] und politisch gesehen im luftleeren Raum [zu] hängen. Ein unmittelbares Kampfziel ist ihm [dem ApA] genommen, nachdem seine bisherigen Hauptgegner, die Deutschnationalen, im Kabinett sitzen und nicht angegriffen werden dürfen  ; auch als Träger der Verantwortung scheidet der Agrarpolitische Apparat aus, nachdem die Deutschnationalen in agrarpolitischer Beziehung alle Macht- und Hoheitsfaktoren in ihrer Hand vereinigen.196

Dies zielte ausschließlich auf die Ministerien in Preußen und im Reich  ; denn es gab im März 1933 noch keine »Reichsführergemeinschaft« und auch noch keinen »Reichsbauernführer«. Und so forderte Darré in seiner »Denkschrift« – um der Gefahr einer Radikalisierung, wie bei der unbeschäftigten Marine im November 1918, und der Rückentwicklung des ApA »zu einem besseren Verein« vorzubeugen  – unumwunden die Leitung des »Reichs- und Preußischen Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft«. Er räumte allerdings ein, dass diese »idealste Lösung« zurzeit gegen den Widerstand der DNVP nicht durchsetzbar sei, und schlug als »Behelfslösung« vor, »daß ich als derzeitiger Leiter des Agrarpolitischen Apparates irgendwie officiell oder officiös [sic] von der NSDAP aus dem Reichskanzler als agrarpolitischer Adjutant […] zugeteilt werde.« Darré gab seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, dass »diejenigen Kreise, die vor 2–3 Jahren den Aufstieg des Führers hinderten, aber mit dem Agrarpolitischen Apparat überwunden wurden, inzwischen alle wesentlichen Posten in den Händen mit dem Thema befasst hat  : »Although he is not one of the flamboyant leaders of Nazism, his organizational ability, his consistency, and his insight were of utmost importance in the success of the Hitler movement, both before and after the acquisition of power.« (Lovin, 1967a, 21). 196 Manuskript  : BA, NLD II, Nr. 54. Vgl. – auch zum Folgenden – Gies, 1966, 145 ff.

Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister

halten«. Er glaubte Hitler auf das Ziel der Deutschnationalen aufmerksam machen zu müssen, »den Führer von den Machtinstrumenten seiner Bewegung langsam und unauffällig auszuschalten«. Diese Gefahr bestehe so lange, argumentierte Darré, wie die Leitung der agrarpolitischen Organisation der NSDAP von den Schalthebeln in der Regierung ausgesperrt werde. Dem müsse dadurch entgegengetreten werden, »daß der Reichskanzler den Agrarpolitischen Apparat der NSDAP wenigstens mittelbar in die Verantwortung einspannt«. Diese bemerkenswerte »Denkschrift« Darrés, eine Mischung aus energischem Aufbegehren, offener Warnung und versteckter Drohung, verhallte – wenn sie denn abgeschickt worden ist  – natürlich ohne das erhoffte Echo. Sie war aber ein deutliches Zeichen der nervlichen Anspannung ihres Verfassers. Denn immerhin hatte ihm Hitler schon nach dem Sturz Papens das Reichsernährungsministerium (RMEL) »in Aussicht« gestellt und nun stand seine und des ApA Machtübernahme im gesamten landwirtschaftlichen Organisationswesen vor der Tür und in Preußen wurde zeitgleich ein »Erbhofgesetz« auf den Weg gebracht, das weitgehend in seinem Sinne war. Die Ambitionen Darrés auf die ganze Macht im Agrarsektor standen nicht auf tönernen Füßen, doch diesem Ziel standen Alfred Hugenberg und sein Staatssekretär Hansjoachim von Rohr-Demmin im Wege. Zwar hatte die NSDAP bei den Wahlen am 15. Januar in Lippe mit 39,5 Prozent ihre Überlegenheit erneut dokumentiert und bei den RT-Wahlen vom 5. März 1933 ihre Abgeordnetenzahl auch mit Hilfe der Erfolge auf dem Land von 196 auf 288 erhöhen können, während die DNVP mit 52 Sitzen nur einen Sitz mehr erringen konnte – doch blieb das RMEL weiter in deren Hand.197 Alfred Hugenberg (1865–1951) hatte Jura und Volkswirtschaft studiert und sich in seiner Dissertation mit »innerer Kolonisation« in Nordwestdeutschland befasst. 1890 hatte er den »Alldeutschen Verband« mitbegründet und war von 1894 bis 1899 Beamter bei der preußischen Ansiedlungskommission in Posen gewesen, die eine rigide Germanisierungspolitik betrieb. Er war dort Direktor der Raiffeisen-Bank gewesen und wurde – auf Serings Wunsch – auch Mitglied der »Gesellschaft für innere Kolonisation«. Nach einer zweijährigen Episode im Preußischen Finanzministerium und ausgestattet mit dem Titel »Geheimer Finanzrat« konnte Hugenberg von 1909 bis 1919 als Mitglied des Krupp-Direktoriums seine Beziehungen zur Industrie ausbauen und deren Spendengelder verwalten. Mit dem Kauf des fast insolventen »vaterländischen« Berliner Scherl-Verlages 1916 wollten Hugenberg und die, welche hinter ihm standen, der Beherrschung der Presselandschaft durch die Gebrüder Ullstein und Rudolf Mosse entgegenwirken. Dies war der Einstieg in ein Medienimperium, in dem es im Laufe der nächsten Jahre eine Nachrichtenagentur, zwei einflussreiche Tageszeitungen in Berlin, die ersten Boulevardblätter und zahlreiche Lokalzeitungen gab,

197 Goebbels, Tagebücher, Bd. 2, 217  ; SRs. Darrés v. 20.1.1933 (StAG, NLD, Nr. 140). Zum Folgenden  : Corni, 1989a, 204 ff. und Gies, 1968a, 211 ff.

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eine »Zeitungsbank«, eine Annoncenexpedition und schließlich, 1927, mit der Ufa (»Universum-Film AG«) die Filmproduktionsfirma Deutschlands. Am Zustandekommen der Denkschrift vom 10. März 1915, in der mehrere Verbände, darunter der »Bund der Landwirte«, Annexionen im Osten Europas gefordert hatten, war Hugenberg maßgeblich beteiligt. Nach dem Krieg ging er in die Politik und vertrat die DNVP im Reichstag. Als er 1928 ihr Vorsitzender geworden war, führte »Pressezar« Hugenberg die Partei immer weiter nach rechts in eine Position radikaler Opposition gegen das »Weimarer System«. Beim »Volksbegehren gegen den Young-Plan«, das er im Herbst 1929 zusammen mit dem »Stahlhelm-Führer« Seldte und Hitler organisierte, verhalf er dem »Trommler« der NSDAP erstmals zu reichsweiter Aufmerksamkeit und machte ihn als Partner der Rechtsparteien hoffähig. Bei der RT-Wahl 1930 schlug sich das im Wahlerfolg der NSDAP nieder. Auch in der Zeit der »Harzburger Front«, 1931, hatte er der »Hitler-Bewegung« zu wertvoller Publizität verholfen. Aber in Kreisen der Industrie war Hugenberg nicht unumstritten, galt vielen als Parvenü und – wegen seines bewusst bieder-bürgerlichen Erscheinungsbildes – als Einzelgänger.198 Am 3. Februar 1933 berief Hugenberg den einflussreichen pommerschen Landbündler von Rohr zu seinem Staatssekretär im RMEL. Mit ihm hatte Darré schon seit 1931 heftige Auseinandersetzungen gehabt, als von Rohr geschickt und listig das Eindringen von Nationalsozialisten in den »Pommerschen Landbund« zu behindern wusste.199 Hansjoachim von Rohr (1888–1971) wuchs auf dem elterlichen Gut in Demmin (Vorpommern) in protestantisch-konservativem Geist auf. Die Familie hatte dem preußischen Staat seit den Zeiten des »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm  I. zahlreiche Beamte und Soldaten zur Verfügung gestellt. Er hatte Jura studiert, war im Krieg verwundet worden und mit EK I und II dekoriert nach Hause gekommen. Nach einem kurzzeitigen Intermezzo im Preußischen Innenministerium übernahm von Rohr 1921 die Bewirtschaftung des elterlichen Gutes. Von 1924 bis 1932 saß er für die DNVP im Preußischen Landtag, von 1925 bis 1933 war er Vorsitzender des »Pommerschen Landbundes«. Es gelang ihm, ein gutes Verhältnis zur regionalen NSFührung aufzubauen, wodurch die Arbeit des ApA dort gegen den »Landbund« natürlich erschwert wurde. Entsprechend seiner berufsständisch orientierten Einstellung saßen neben ihm als Gutsbesitzer noch ein Bauer, zeitweise der »Landwirtschaftliche Gaufachberater« Bloedorn, und ein Landarbeiter im LB-Vorstand.200 198 »Ein kleiner Mann mit Säbelbeinen, einem Feldwebel-Schnurrbart, kurzem Bürstenhaarschnitt à la Hindenburg und einem bebrillten Fuchsgesicht …«, so beschrieb ihn ein Zeitgenosse (Peter de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Berlin 1959, 183). 199 Von Rohr revanchierte sich, indem er Gerüchte streute, Darré lasse sich von der Kali-Industrie, die am Düngemittelabsatz interessiert war, finanziell unterstützen (VB v. 3.10.1931). Außerdem Gessner, 1976, 261. 200 Zu den Auseinandersetzungen Darrés mit von Rohr wg. LGF Bloedorn in Pommern 1931 vgl. Darrés Beitrag »Der Fall von Rohr-Haus Demmin«, in  : NSL v. 11.10.1931 (StAG, NLD, Nr. 142 u. Nr. 159),

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Von Rohr war selbst- und machtbewusst und mit einer guten Portion Geschick in Personal- und Kommunikationsfragen ausgestattet. Seine Vorstellungen davon, wie die Struktur der Wirtschaft aussehen sollte, waren relativ nahe an denen, die auch Darré vertrat. Von Rohr forderte eine völlige »Erneuerung« des Wirtschaftssystems »auf organisch-konservativer Grundlage«. Das klang wie Edgar Jung aus katholischer Perspektive. Aber von Rohr war auch in der Lage, sich aus dem nationalsozialistischen Vokabular zu bedienen  : »Das Besinnen auf Blut und Boden findet in einer Politik, wie wir sie fordern, seine Erfüllung«, erklärte er im März 1933. Seine Nähe zu Nationalsozialisten in Pommern und solche Einlassungen trugen ihm den Verdacht ein, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. Doch Darré lehnte als »Vorsitzender der Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes« im April 1933 eine Einladung von Rohrs zu einem Gespräch über das Thema »Ständischer Aufbau des Staates« ab und dieser verweigerte seinerseits Verhandlungen mit Darré über agrarpolitische Fragen. Eine Rundfunkrede, in der von Rohr seine Politik einer breiten Öffentlichkeit erklären wollte, konnte Darré im Mai 1933 nur mit Hilfe des gerade zum Propagandaminister ernannten Joseph Goebbels verhindern. Der Unterschied beider agrarpolitischer Konzepte war unübersehbar  : Der Agrarpolitiker der NSDAP ließ sich von seiner rassistischen Ideologie leiten, die er allerdings, wenn es ihm opportun erschien, zu kaschieren suchte. Von Rohrs politische Ansichten waren durch die agrarische Interessenpolitik von DNVP und RLB geprägt.201 Darré – ante portas – konnte natürlich das Gespann Hugenberg/von Rohr und seine Politik in der Regierung Hitler nicht direkt angreifen. Er hatte es schon in Zeiten der »Harzburger Front« gehasst, sich als »Verbündeter aufführen« zu müssen, statt Unterschiede anzuprangern und Angriffsflächen der Deutschnationalen aufzuspüren und zu bekämpfen.202 Nun verkündete die Regierung Hitler/Papen/Hugenberg am 1. Februar 1933 einen »Aufruf an das Deutsche Volk«, in dem sie zwei Hauptaufgaben nannte  : 1. die »Rettung des deutschen Bauern« und 2. die »Rettung des deutschen Arbeiters«. Dies machte Hugenbergs Position so übermächtig – er wurde hier und da und Darrés Beitrag »Der Landbund Pommerns unter reaktionärer Diktatur«, in  : NSL v. 29.1.1933  ; Anordnung Darrés v. Januar 1933, in der er seinem LGF Bloedorn alle Vollmachten gab, »in Übereinkunft mit seinem Gauleiter das Verhältnis der NSDAP in Pommern zum Pomm. LB nach seinem Ermessen zu regeln« (StAG, NLD, Nr. 159). Außerdem Gespräch d. Verf. mit Herrn von Rohr. 201 Ebd., Nr. 421. Zitat von Rohr n. Gessner, 1977, 171 f., vgl. auch Pyta, 1996, 376 f.; VB v. 18.3.1933  ; AdRk, Reg. Hitler, 160 f., 418 f.; 470  ; 544 f. u. 603 ff. Im Frühjahr 1932 gab es einen Briefwechsel von Rohrs mit Georg August Kenstler. Dieser suchte finanzielle Unterstützung, bedeutsamer aber ist, dass von Rohr Kenstler mit seiner Zs. Blut und Boden nach Pommern locken wollte – zwar vergeblich, aber sicher nicht ohne Hintergedanken in Hinsicht Darré (ebd., NLK, Nr. 17). 202 Vgl. Darrés Bf. an Hitler v. 24.7.1931 (abgedruckt bei Petzold, 1981, 1133 ff.)  ; M. Müller, 2001, 224 und Rs. an d. LGF v. 14. (»Vertraulich«) und 17.2.1933 (StAG, NLD, Nr. 138).

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sogar als »Wirtschaftsdiktator« gekennzeichnet –, dass angesichts seiner Machtfülle große Zurückhaltung für Darré angesagt war. Schließlich vereinigte Hugenberg in seiner Person sowohl die Leitung des Reichslandwirtschaftsministeriums (mit dem entsprechenden Ressort in Preußen) als auch die des Reichswirtschaftsministeriums. Außerdem wurde er zum »Reichskommissar« für die Osthilfe und Siedlung berufen. Seine Politik einer grundsätzlichen Opposition, ja Feindschaft zum Weimarer Staat hatte sich insofern bezahlt gemacht, als er und seine Partei zur Bildung einer Regierung unter Hitlers Führung unabdingbar waren  ; denn sie gab Hitlers Kanzlerschaft im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament den Anschein von Legalität. Diese Schlüsselposition dürfte Hugenberg auch zum Eintritt in die Regierung Hitler bewogen haben, den er später als einen seiner größten Fehler ansehen sollte.203 Für Hugenberg war die Landwirtschaft nicht nur ein Bollwerk im nationalen und völkischen Denken, sie galt ihm auch als Voraussetzung allen wirtschaftlichen Lebens. Nicht von ungefähr hatte er sich einen landwirtschaftlichen Interessenvertreter aus dem »Landbund« als Staatssekretär ins Ministerium geholt. Damit machte er sich bei der exportorientierten Industrie natürlich keine Freunde, aber der Interessengegensatz in der Handelspolitik, der bisher alle Präsidialregierungen gelähmt hatte, war damit, und weil beide Ministerien in einer Hand waren, entschieden.204 Eine protektionistische Handelspolitik zuungunsten der Verbraucher sowie der Exportwirtschaft und die Entschuldung der Landwirtschaft auf Kosten der Gläubiger gehörten aber auch zum Repertoire Darré’scher Forderungen.205 »Hugenberg sah in der Funktionsschwächung der Landwirtschaft die Ausgangsstelle für die Kreislaufstörungen des volkswirtschaftlichen Organismus«, wie es einer seiner engsten Mitarbeiter ausdrückte. Sowohl aus nationalem Interesse als auch aus wirtschaftlichen Gründen trat er deshalb für eine vordringliche Sanierung der Landwirtschaft ein. Die »Gesundung der deutschen Wirtschaft« begann für ihn bei der »Rettung des deutschen Bauern«. Hugenberg favorisierte ein System der Nationalwirtschaft, in dem die Landwirtschaft die staatstreueste Bevölkerungsgruppe und zugleich – im physiokratisch-naiven Verständnis – die Grundlage der Volkswirtschaft bildet.206 203 Hiller von Gärtringen in Matthias-Morsey, 1960, 565. Vgl. auch Leopold, 1977  ; Holzbach, 1981 sowie Corni, 1990, 39 ff. 204 Vgl. Berliner Börsen-Zeitung v. 4.1. und 19.2.1933. 205 Das zeigte sich noch am 20.5.1933 bei der Eröffnung der 39. Wanderausstellung der DLG in Berlin, als beide diese Leistungsschau der deutschen Landwirtschaft eröffneten  : Hugenberg als RMEL und Darré als RBF. Während Hugenberg – in Anwesenheit RP Hindenburgs – seine Agrarpolitik beschrieb, betonte Darré, dass er »im Auftrage des geeinten deutschen Bauerntums« spreche, und erklärte, »daß ich das felsenfeste Vertrauen zur Regierung habe«, dass sie das Problem lösen werde, bei zu geringer Kaufkraft der Bevölkerung die Einnahmen der Landwirtschaft zu erhöhen. Eigene Vorschläge machte er nicht. (WTB-Nachrichtendienst, BA, R 43 II, 192). 206 »Im Anfange der wirtschaftlichen Entwicklung war die Landwirtschaft. Sie ist das A und O des wirtschaftspolitischen ABC. Bevor die Landwirtschaft nicht gesundet, wird nichts gesund. Wenn sie nicht

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Der Vorsitzende der DNVP verfolgte zwei Ziele  : Er wollte einerseits »die Selbsternährung unseres Volkes möglich machen« und andererseits »einen steigenden Absatzmarkt für Inlandsprodukte erreichen«. Ihm war natürlich bewusst, dass die Forderung nach »Autarkie« die Erweiterung des deutschen Wirtschaftsraumes, d. h. der deutschen Einflusszonen, ja sogar der Staatsgrenzen, zur Voraussetzung hatte. Aber das war seit den Zeiten des »Alldeutschen Verbandes« bei der deutschen Rechten communis opinio und drückte sich in Begriffen wie »Raumweite«, »Großraumwirtschaft« oder »Mitteleuropa« aus. Die Zitate stammen denn auch von Paul Bang, den Hugenberg zu seinem Staatssekretär im Wirtschaftsressort machte. Wie Hugenberg den Import/Export auf die Basis der Gegenseitigkeit beschränken wollte, so erhoffte er sich von der Hilfe für die Landwirtschaft die Hebung der Kaufkraft und damit die Belebung der gesamten Volkswirtschaft. Neben einer maßvollen Re-agrarisierung, für die das Siedlungsland zunächst durch »Entschuldung durch Landabgabe« vom Großgrundbesitz und dann vom Staat (Domänen) bereitgestellt werden sollte, stand für Hugenberg die Schließung der »Preisschere« zwischen landwirtschaftlicher und industrieller Produktion im Vordergrund. Es ging ihm darum, »die landwirtschaftlichen Preise mit denen der anderen Produktionszweige in einen einigermaßen gerechten Ausgleich zu bringen.«207 Es war offensichtlich, dass die Wirtschaftspolitik für die Regierung Hitler/Papen/ Hugenberg Priorität hatte. In den ersten Wochen befassten sich allein zwei Kabinettssitzungen nahezu ausschließlich mit wirtschaftspolitischen Themen. Hugenberg vertrat dabei Positionen, die ganz in »Landbund«- und DNVP-Tradition lagen und als »Hochziel« die »Nahrungsfreiheit« hatten. Weitere Subventionierung der Getreideproduzenten bei langsamer Verlagerung des Augenmerks auf die Bedürfnisse der Veredelungswirtschaft, Zollschutz und Handelskontingentierung für Agrarprodukte, vor allem aber Verbesserung der finanziellen Lage der Landwirtschaft durch Vollstreckungsschutz und Entschuldung  – das waren die Schwerpunkte der Politik Hugenbergs und von Rohrs.208 Zunächst – am 14. Februar 1933 – wurde der Vollstreckungsschutz für die Landwirtschaft, den es schon seit Dezember 1931 gab, bis 31. Oktober 1933 verlängert. Darré gesundet, stirbt Deutschland.« (Rede Hugenbergs in Ülzen am 8.7.1932, zit nach Borchmeyer, 1949, 88) Außerdem Petzina, 1967, 51 ff.; O. Schmidt-Hannover, Umdenken oder Anarchie, 1959, 345. 207 P. Bang, Deutsche Wirtschaftsziele. Langensalza 1926 und Rede Hugenbergs zur Eröffnung der 39. Wanderausstellung der DLG am 20.5.1933 (BA, R 43 II, 192). 208 Pfenning, 1933, 56 ff. weist dies am Beispiel »Zucker« eindrucksvoll nach. Im Dezember 1928 wurde der Zuckerzoll erhöht, um die heimische Zuckerproduktion zu fördern. Es fand eine Quersubventionierung statt, die zulasten des Staatshaushalts und der Verbraucher ging. Denn der Hackfruchtanbau war im Vergleich zur Vorkriegszeit um etwa 16 Prozent zurückgegangen, weil der Weltmarktpreis für Zucker wesentlich niedriger war als der deutsche, der die hohen Produktionskosten decken musste. Um die heimischen Verbraucher zu entlasten, musste die Zuckersteuer gesenkt werden. Das bedeutete eine Alimentierung der Rübenbauern und der Zuckerindustrie zugleich.

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verlängerte ihn später nochmals bis zum Ende des Jahres 1933. Entsprechende Schutzbestimmungen wurden auch für Pächter beschlossen.209 Am 1. Juni 1933  folgte eine gesetzliche Regelung der landwirtschaftlichen Schulden, die schon seit Februar im Kabinett diskutiert wurde, weil Hugenbergs Vorlage mit den Regeln des bisher geltenden Finanzwesens kaum vereinbar war und als »gesetzlich geschützter Vertragsbruch« gekennzeichnet werden konnte. Aber Hugenberg setzte sie gegen alle Widerstände, auch Bedenken Hitlers, durch. Landwirtschaftliche Schulden, die einen gewissen Höchstwert (die »Mündelsicherheit« wurde auf »2/3 des Betriebswertes« erhöht) überstiegen, wurden einfach gestrichen und der Zinssatz ganz allgemein auf 4,5 Prozent herabgesetzt. Zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse wurden »Entschuldungsstellen« eingerichtet, die das Verfahren bis hin zum Zwangsvergleich durchzuführen hatten. Der Staat stellte Mittel in Höhe von 600 Millionen RM zur Verfügung.210 Hugenbergs Position in der Frage der landwirtschaftlichen Schuldenregelung gab Darré erstmals eine Möglichkeit, seinen Rivalen offen anzugreifen, indem er noch radikalere Forderungen stellte. Sein Engagement machte aber auch Darrés ungünstige Lage außerhalb des Kabinetts deutlich. Wegen der angeblichen Geheimhaltung des Gesetzentwurfes »meldete« er in einem Telegramm an den Reichskanzler »starke Unruhe unter [der] Bauernschaft« und forderte, über die Absichten der Regierung informiert zu werden. Darré forderte in einer Unterredung mit Hugenberg am 11. Mai statt des geplanten und dann auch verwirklichten Zinssatzes von 4,5 Prozent nur eine Belastung der Kreditnehmer aus der Landwirtschaft mit 2 Prozent. Das hätte die auch von Hitler für notwendig erklärte Überbrückung des Gegensatzes von Stadt und Land als hohle Propaganda entlarvt und auch den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Während Hugenberg darauf hinwies, dass seine Unterstützung der Veredelungswirtschaft mit der Erhöhung des Milchpreises sowohl eine höhere Einnahmeverbesserung als auch eine stärkere Lastensenkung für die Landwirtschaft erbringe als die in jeder Hinsicht problematische Zinssenkung, betonte Darré, dass die Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft nicht gewährleistet sei, »wenn der Ertrag der Arbeit ausschließlich oder vorwiegend zur Zinsbefriedigung des Kapitals dient«, und sprach in Anlehnung an Feder von einer »Befreiung der Bauern aus der Zinsknechtschaft«.211 209 RGBl. 1931 I, 699  ; ebd., 63  ; ebd., 779  ; ebd., 221 und ebd., 719. Zur kontroversen Diskussion im Kabinett und zu entsprechenden Eingaben der Kreditwirtschaft  : BA, R 43 II, 196 und R 43 I, 1459. Die Kritik an dieser weiteren Umsetzung von RLB-Forderungen schlug sich in Artikeln wie »Erster Vierjahresschritt« im Berliner Börsen-Courier v. 2.2.1933 und »Zerstörung des Kredits« im Berliner Tageblatt v. 4.2.1933 nieder. 210 RGBl. 1933 I, 331  ; Tornow, 1972, 23 f. und Sering/Niehaus/Schlömer, 1934, 122 ff. 211 BA, R 43 II/192. Zur Unterredung Hugenberg–Darré  : WTB-Pressedienst v. 11.5.1933 (ebd.) und Gedächtnisprotokoll Darrés (StAG, NLD, Nr. 421a). Darré benutzte Berichte aus Ostpreußen, wo die Situation in der Landwirtschaft besonders schlecht war  : Wegen wetterbedingt großer Ernteausfälle 1932 musste der Staat zur Beschaffung von Saatgut finanzielle Hilfe leisten, weil die Betriebe völlig überschuldet waren. Die Zinsdienste konnten nicht aufgebracht werden, weshalb eine Senkung des

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Da die Verhandlungen zwischen DNVP und NSDAP erwartungsgemäß ergebnislos endeten, erhielt Darré Unterstützung von anderen NS-Wirtschaftspolitikern, die ebenfalls vor den Toren des Staates auf Einlass warteten  : Feder, dessen Leitthema ja »Brechung der Zinsknechtschaft« lautete, Wagener, der sich als »Reichskommissar für Wirtschaft« mit dem Widerstand der Industrieverbände gegen »berufsständische Gleichschaltung« konfrontiert sah, und Adrian von Renteln, »Führer des Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand«, der ein rigoroses Vorgehen gegen Großkaufhäuser und Filialbetriebsketten befürwortete, forderten ebenfalls und für die ganze Wirtschaft Darrés Zinsfuß von 2 Prozent.212 Doch die Zeit solchen revolutionären Aufbegehrens war vorbei. Hitler erstickte solche radikalen Forderungen in den eigenen Reihen, indem er am 6. Juli 1933 unmissverständlich erklärte  : »Die Revolution ist kein permanenter Zustand. […] Die Ideen des Programms verpflichten uns nicht, wie Narren zu handeln und alles umzustürzen, sondern klug und vorsichtig unsere Gedankengänge zu verwirklichen.« Feder wurde auf ein Abstellgleis im Wirtschaftsministerium abgeschoben, Rentelns »Kampfbund« wurde aufgelöst und Wagener konnte weder Krupp an der Spitze des »Reichsverbandes der Deutschen Industrie« verdrängen noch Wirtschaftsminister werden. Auch Darré zügelte seine finanzpolitischen Forderungen, um seine Perspektive in Richtung RMEL nicht zu gefährden. Als er sein Ziel erreicht hatte, und Hugenbergs Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse »vorfand«, wurden sofort vier weitere Durchführungsverordnungen erlassen. Die NS-Landpost verbreitete als offizielle Verlautbarung, »eine sofortige Umgestaltung des Gesetzes« sei »nicht möglich«. Damit war die 2-Prozent-Forderung erledigt.213 Hugenbergs »konservative« Agrarpolitik hatte keine revolutionäre Umgestaltung der deutschen Agrarverfassung, wie sie von den Nationalsozialisten angestrebt wurde, zum Ziel, wie Haushofer zu Recht betont. Aber Darrés Kennzeichnung »kapitalistischer konnte man das Problem wahrhaft nicht anpacken  !« ging an dem Tatbestand des Rechtsbruches völlig vorbei und erklärt sich nur so, dass die Nationalsozialisten eine generelle Entschuldung zulasten der Gläubiger noch lieber gesehen hätten. Es ging Darré, wie er Hugenberg wissen ließ, darum, »deutsches Bauerntum, welches vom rein kapitalistischen Standpunkt aus gesehen vielleicht nicht ›sanierungswürdig‹ ist, seines Blutswertes wegen doch auf der angestammten Scholle zu erhalten.« Realkredites von 6 auf 2 Prozent gefordert wurde. Einem diesbezüglichen Bericht des Oberpräsidenten Kutscher v. 24.1.1933 wurden Eingaben beigefügt, u. a. ein »Notruf« des »Ermländischen Bauernvereins«, der auf den »Preissturz« in der Viehwirtschaft hinwies. Andere Eingaben sprachen von einer »sterbenden Landwirtschaft« wegen mangelnder Rentabilität, was von den Präsidenten Brandes (DLR) und Bethke (LK) mit Zahlen untermauert wurde. (GStA-Berlin, Rep. 90/1079). 212 Bracher-Sauer-Schulz, 1960, 834 ff.; Barmeyer, 1971, 120 ff. und Hugenberg, »Die Rettung der Bauern«, in  : Berliner Börsen-Zeitung v. 20.5.1933 sowie PA d. RLB, 492/L. 213 Hitlers Rede  : Friedrich/SIX, 1942, Bd. 1, 74 und Bullock, 1960, 279 f.; Rähmisch, 1957, 76 ff.; Darré, »Um den deutschen Bauern«, in  : NSL v. 2.4.1933 und die »Verlautbarung« in NSL v. 9.7.1933

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Er belehrte den Minister Hitlers über den »für uns Nationalsozialisten grundsätzlichen Gesichtspunkt«, dass »die Lebensfähigkeit eines Volkes« nicht nur von der »Gesundheit seiner Wirtschaft, sondern in erster Linie von der Gesundheit seines Blutes, seines blutswertlichen Haushalts« abhänge. Unter Hinweis auf diese »auch vom Herrn Reichskanzler geteilte Ansicht« von der Bedeutung des Bauerntums als »Lebensquelle der Nation« meldete Darré starke Bedenken gegen Hugenbergs Schuldenregelungspläne an.214 Diese rassenideologisch begründete Forderung nach einer radikalen Umgestaltung des Eigentumsverständnisses und des Finanzwesens und eine Neugestaltung des bäuerlichen Familien- und Erbrechts waren es, die den Unterschied machten zu Hugenbergs »konservativer«, die Landwirtschaft fördernder Agrarpolitik. Außerdem war diese als zeitweilige Notmaßnahme konzipiert, während die Regulierungsmaßnahmen der NSDAP auf Dauer angelegt waren und systembedingt die Position des Staates stärken sollten. Sie standen sogar im Gegensatz zu dem nationalsozialistischen Leitmotiv »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«. Während die NS-Presse voll war vom Thema Schaffung der landwirtschaftlichen »Einheitsfront« unter nationalsozialistischer Führung, wies Darré seine Mitarbeiter im ApA an, »Angriffe auf Hugenberg, von Rohr usw. grundsätzlich zu unterlassen«, gleichzeitig aber den »kapitalistischen« Charakter ihrer Agrarpolitik zu betonen, der im Gegensatz zum Wollen der nationalsozialistisch geführten »Bauern-Front« stehe. Die Mitkämpfer im ApA sollten hierbei so vorgehen, »daß zwar alle Welt weiß, wer und was gemeint ist, das Kabinett als solches aber nicht angegriffen wird«.215 Diese Anweisung setzte ein »Parteigenosse« so um, dass er zugab, die Landwirtschaft sei durch Hugenbergs Agrarpolitik »zweifellos einen Schritt weiter gekommen«, gleichzeitig aber betonte  : »Grundlegend zum Aufbau und die Rentabilität der Betriebe wiederherstellend ist diese Hilfe jedoch noch nicht.« Darré forderte seine Mitarbeiter auf, ihm »Lücken« in der Agrargesetzgebung »sofort zu melden«, und »verdächtig erscheinende« agrarpolitische Meinungsäußerungen in der deutschnationalen Presse und besonders entstellende und aggressive Aussagen zur Gleichschaltung des landwirtschaftlichen Organisationswesens ihm bekannt zu machen. Es gehe u. a. um »Mängel bei der praktischen Durchführung des Vollstreckungsschutzes«, aber generell ließ er keinen Zweifel daran, »daß nicht früher ein durchgreifender Schutz für die Landwirtschaft möglich sein wird, ehe nicht das Kabinett rein nationalsozialistisch ist«. Dadurch, dass Darré das gesamte landwirtschaftliche Organisationswesen unter seinen Einfluss gebracht hatte, war Hugenberg zu einem Minister ohne Anhang und ohne Verankerung in der Basis und Unterstützung durch ihre Interessenvertreter geworden.216 214 SRs. Darrés v. 1.4.1933 (StAG, NLD, Nr. 140) und Darré an Hugenberg, abschriftl. in SRs. Darrés v. 29.3.1933 (ebd.) sowie H. Haushofer, 1958, 188 f. 215 SRs. Darrés v. 29.3.1933 (StAG, NLD, Nr. 140). 216 Vertr. Rs. des Geschäftsführers d. ApA, Richard Arauner, v. 14.2.1933 (StAG, NLD, Nr. 138) und SRs. Darrés v. 13.2.1933 (ebd., Nr. 140) sowie ebd., Nr. 421.

Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister

Hinzu kam, dass die Machtposition Hitlers nach den Märzwahlen, dem KPDVerbot, wodurch die DNVP die Rolle des »Züngleins an der Waage« im Parlament verlor, und dem Ermächtigungsgesetz, wodurch die Gewaltenteilung und die Rolle des Parlaments als Gesetzgeber aufgehoben wurde, angewachsen war. Hugenberg konnte Rücktrittsdrohungen nicht mehr mit den Mehrheitsverhältnissen im Parlament unterstreichen, seine politische Position war zunehmend schwächer geworden. Erstes Anzeichen hierfür war die selbstherrliche Überheblichkeit, mit der Ministerpräsident Göring und Justizminister Kerrl in Preußen den Parteiführer der DNVP übergingen. Bei der Entstehung des Preußischen Erbhofgesetzes hatte man den zuständigen Fachminister weder konsultiert noch nahm man seine Einwände besonders ernst.217 Auch die Proteste Hugenbergs gegen die Verhaftung führender Vertreter der preußischen Landwirtschaftskammern durch die SA blieben ohne Wirkung.218 Wie die finanzpolitischen Maßnahmen Hugenbergs auf Kosten der Gläubiger, so ging die Verbesserung der Einkommenslage in der Landwirtschaft auf Kosten der Verbraucher. Entsprechend seiner Devise »Stärkung des Binnenmarktes durch Schutz der heimischen Produktion« fand er in der bisher gegenüber der Getreidewirtschaft vernachlässigten Veredelungswirtschaft ein weites Betätigungsfeld. Das »Programm einer Neuordnung der deutschen Fettwirtschaft« (»Fettplan«), das insbesondere von Hugenbergs Staatssekretär von Rohr ausgearbeitet und implementiert wurde, sah eine Bevorzugung der deutschen Butterproduktion gegenüber der auf ausländische Rohstoffzufuhr angewiesenen Margarineherstellung vor. Die Margarineproduktion wurde auf 60 Prozent des bisherigen Volumens gesenkt und eine Margarinesteuer von 50 Pfennig pro Kilogramm erhoben. Diese Einnahmen sollten »Fettverbilligungsscheine« für Arbeitslose finanzieren. Außerdem sollte wegen des Zieles der »Nahrungsfreiheit« die Produktion von Futtermitteln (u. a. Mais) und Fetten (Ölpflanzen), die nur ca. 60 Prozent des inländischen Bedarfs deckten, erhöht werden.219 Einer Einnahmeerhöhung und Kaufkraftstärkung der Landwirtschaft zuliebe wurde die unpopuläre Erhöhung der Milch- und Fettpreise für die Verbraucher als unumgänglich angesehen  – und von Hitler akzeptiert. Hugenbergs Agrarpolitik bestimmte nicht nur neue und andere Produktionsziele, die vom Staat durch Beihilfen – z. B. bei den Futtermitteln – gefördert wurden, es wurden auch Zollerhöhungen zum Schutz der Veredelungswirtschaft, Einfuhrkontingentierung und Beimischungszwang 217 Prot. d. Sitzungen des PrStMin am 11. und 15.5.1933 (GStA-Berlin, Rep. 90, Nr. 93 u. 97)  ; VB v. 13. u. 17.5.1933  ; NSL v. 21.5.1933 und Bracher-Sauer-Schulz, 1960, 188 u. 572 ff. 218 In der Kabinettssitzung v. 4.4.1933 hatte sich Hugenberg über die Verhaftungen führender Mitglieder der Handels- und Landwirtschaftskammern durch die SA beschwert. Er wurde von Göring belehrt, dies sei auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft erfolgt und im Übrigen entspreche deren Zusammensetzung »in keiner Weise mehr den heutigen politischen Verhältnissen«. Hugenberg gestand zwar die Notwendigkeit von Neuwahlen ein, beanspruchte aber »mehr Zeit« zu ihrer Vorbereitung und Durchführung (BA, R 43 II, 203). 219 Neuling, 1949, 103 ff.; A. Weber, 1951, Bd. 2, 37 f. und Krosigk, 1977, 166.

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von Butter zur Margarine dekretiert. Sie bewirkten einen neuen Aufschwung auf dem Sektor der landwirtschaftlichen Veredelungswirtschaft  : Preis und Absatz von Milch, Butter und Schmalz stiegen, aber weitere massive Reglementierungen von Produktion, Vermarktung und Konsum mussten dafür in Kauf genommen werden. Schon damals gab es Proteste der Reichsbank, die sich fortsetzten und schließlich 1935 eskalierten.220 Lange bevor Darré RMEL wurde, war also der Zug einer staatsdirigistisch organisierten »Marktordnung« aufs Gleis gesetzt worden, er brauchte ihn nur um einige Wagen zu ergänzen und seine Geschwindigkeit zu erhöhen. Dabei fügte er Hugenbergs ökonomischen und nationalen Argumenten zur Bevorzugung der Landwirtschaft seine spezifisch ideologische Sichtweise auf das »Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse« hinzu. Die Stärkung der Position Darrés als »Reichsbauernführer« und die Einschränkung der Manövrierfähigkeit Hugenbergs, der – fast täglich, auch in Kabinettssitzungen – gedemütigt wurde und sich schließlich nur mehr auf Erfahrung und Sachverstand berufen konnte, ermutigten die Nationalsozialisten, ihre deutschnationalen Gegner im RMEL immer offener anzugreifen. Es wurde die Idee lanciert, das Preußische Landwirtschaftsministerium mit einem Nationalsozialisten zu besetzen, obwohl Darré in seiner Denkschrift im März 1933 diese Möglichkeit als »nicht akut« bezeichnet hatte  : »Denn die Beherrschung des Preußischen Landwirtschaftsministeriums schaltet ja die nichtpreußischen Teile des Agrarpolitischen Apparates nicht in die politische Verantwortung ein«, hatte er geschrieben.221 Seit April häuften sich nationalsozialistische Pressestimmen, welche die Frage nach einer neuen Führung des RMEL aufwarfen. Die »ablehnende Haltung gegenüber Hugenberg« wurde damit begründet, »daß der Minister nicht in der Lage ist, den Schwung der deutschen Revolution innerlich mitzuerleben und die neue Wirklichkeit mitgestalten zu helfen«.222 Die weitere Agitation gegen Hugenberg wurde begünstigt durch die Zuspitzung der landwirtschaftlichen Dauerkrise in Ostdeutschland. Dort hatten eine Unwetterkatastrophe und ungewöhnlich niedrige Ernteerträge 1932 zu Einkommensverlusten geführt, so dass die Unzufriedenheit leicht gegen die deutschnationale Führung der Landwirtschaftsministerien kanalisiert werden konnte. Alle Versuche von Rohrs, den »Reichslandbund« in seine Politik einzubinden, blieben aber erfolglos. Auch seine Sympathie für ein berufsständisches Gesellschaftsmodell verfing nicht. Vielmehr 220 Zu diesem Aspekt der Agrarpolitik Hugenbergs vgl. die programmatische Rede des RMEL zur Eröffnung der 39. Wanderausstellung der DLG am 20.5.1933 (BA, R 43 II, 192)  ; die Einwände der Finanzbehörden  : ebd., R 2, 18021. Außerdem  : Tornow, 1972, 25 ff.; Sering/Niehaus/Schlömer, 1934, 151 ff.; Mehrens, 1938, 231 ff. und Wegener, 1938, 7 ff. sowie Bracher-Sauer-Schulz, 1960, 187 sowie Corni/Gies, 1997, 53 ff. und 59 ff. 221 Deutsche Zeitung v. 26.4. und 24.5.1933  ; BA, NLD, Nr. 54. 222 Nassauische Bauernzeitung v. 23.4.1933 (zit. n. Borchmeyer, 1949, 78). Von dort kam in einem Telegramm vom 24.4.1933 an den preußischen Ministerpräsidenten Göring auch die Forderung, Willikens zum Landwirtschaftsminister zu ernennen ( Jasper, 1968, 255).

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musste er sich von dem von Darré am 22. Juni 1933 eingesetzten »Reichsobmann für die bäuerliche Selbstverwaltung« und RLB-Präsidenten Wilhelm Meinberg sagen lassen, dass er mit seinem »Verhalten bei der Behandlung der standespolitischen Fragen […] jeden Anspruch verwirkt [habe], als Vertrauensmann des deutschen Bauerntums zu gelten«. Da eine Zusammenarbeit »des organisierten Bauernstandes« mit dem Ministerium »unmöglich« sei, richtete der nationalsozialistische Agrarpolitiker als »Geschäftsführender Präsident des Reichs-Landbundes« aus dem »Landbund-Haus« in der Dessauer Straße 26 an von Rohr die »ausdrückliche Aufforderung«, seinen »Platz frei zu machen«. Auf Sachfragen ging Meinberg ebenso wenig ein wie auf die Vorhaltung des Staatssekretärs, seit das RLB-Präsidium in nationalsozialistischen Händen liege, sei diese landwirtschaftliche Interessenvertretung »aus der praktischen Mitarbeit« an der Agrarpolitik des Ministeriums »ausgeschieden«.223 Die Agitation aus dem ApA, die sich nicht nur in der Presse, sondern auch in Eingaben und Telegrammen aus der Provinz nach Berlin austobte, verwies auf mangelndes Vertrauen in die Führung des RMEL und die Unzulänglichkeit ihrer Politik, die »mit dem Wesen der nationalsozialistischen Revolution im Widerspruch« stehe. Nicht nur, dass sie als »untragbar« bezeichnet wurde, die Nationalsozialisten im Lande fanden es auch selbstverständlich, »wenn der deutsche Bauer fordert, daß Darré, der die Voraussetzungen für eine einheitliche Reichsbauernpolitik erst geschaffen hat, auch mit der agrarpolitischen Führung betraut werden muß«. Dabei wurde auch mit Unterstellungen gearbeitet, wie etwa im Fall von Rohr, dem man Bereicherung bei der Umschuldung seines Gutes im Rahmen der Osthilfe vorwarf. Es war schon bemerkenswert, dass die Funktionäre des ApA der NSDAP die Mitglieder einer Regierung unter Hitlers Führung derart angreifen konnten, ohne dass eine Abschwächung oder gar ein Widerruf der Rücktrittsforderungen erfolgte. Immerhin hatte Hinrich Lohse, der Gauleiter von Schleswig-Holstein, Hugenberg der »Unfähigkeit« bezichtigt.224 223 Telegramm d. Landrates von Wehlau (Ostpr.) an d. Reg.Präs. in Königsberg v. 3.5.1933  : »Viele hundert Bauern des Kreises Wehlau verlangen in machtvoller Kundgebung […] Abberufung Hugenbergs und von Rohrs und Übertragung des Reichsernährungsministeriums an Walther Darré und Preußisches Landwirtschaftsministeriums an Willykens [sic] mit der Begründung, daß Bauernschaft bei letzten Wahlen fast 100 Prozent für Hitler gestimmt hat. Erregung wächst täglich […]« (GStA-Berlin, Rep. 90, Nr. 877). Zu den Berichten über die Auswirkungen der schlechten Ernte 1932 auf die Stimmung der Landbevölkerung  : Bracher-Sauer-Schulz, 1960, 574 f. Zum Briefwechsel von Rohr–Meinberg v. 30.5. bis 21.6.1933, insbes. Meinberg an von Rohr v. 15.6. und von Rohr an Meinberg v. 21.6.1933 (GStA-Berlin, Rep. 90, 877). Schon am 26.4.1933 hatte Meinberg in einem Interview erklärt, »daß falls das REM sich weiterhin dem Wollen der nationalsozialistischen Revolution entgegenstemmt, der Druck der Bauern aus dem Lande so groß werden wird, daß die Stellung verschiedener Herren im REM bis in die höchsten Spitzen hinauf unaufhaltbar [sic] wird.« (ebd.). 224 Bf. von Rohrs an RMI Dr. Frick v. 29.7.1933, in dem der StS um »Rat und Hilfe« bat, weil sich zu seinem Schutze »keine Hand« rege. Er habe »21 national-sozialistische Zeitungen« verklagen müssen, die solche haltlosen Gerüchte veröffentlicht hätten (BA, R 18, 320, Bl. 31 ff.). Schleswig-Holsteinische Tageszeitung v. 21.5.1933 (PA d. RLB, 242/0)  ; Grüne Wochenschau v. 6.5. und 24.6.1933 (ebd., 492 L, Bl.

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Auf Kundgebungen wurde den Bauern erklärt, die für sie Erfolg versprechende »nationalsozialistische Revolution« werde durch die Tätigkeit der deutschnationalen Führung des RMEL gehemmt. So erklärte Darré als Vorsitzender der »Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauerntums« und »Reichsbauernführer« auf einem »Bauerntag des Landbundes« im thüringischen Meiningen am 14. Mai 1933  : Das »Bauerntum« habe »freiwillig und ohne staatliche Einmischung« die »Gleichschaltung vollzogen«. In dieser »Schicksalsstunde des deutschen Bauerntums« komme es »nicht darauf an, das Kapital zu retten, sondern es kommt einzig und allein darauf an, den Bauern und seinen Hof zu retten«. Er versprach seinen Zuhörern, seinen »Kampf«, der ihn »an die Spitze des Landvolkes« geführt habe, »zu Ende [zu] führen«, was nichts anderes bedeuten konnte, als auch das RMEL zu erobern. Daraufhin wurde beschlossen, ein Telegramm an Hindenburg, Hitler und Hugenberg zu schicken, in dem die Ersetzung Hugenbergs durch Darré gefordert wurde. Die Resolution wurde durch die Nachrichtenagenturen verbreitet und in der Presse reichsweit abgedruckt. Als Darrés Ansprache auch noch im Rundfunk »auf allen deutschen Sendern« übertragen werden sollte, legte Hugenberg bei seinem Kollegen Goebbels, der seit dem 13. März 1933 Minister »für Volksaufklärung und Propaganda« war, Einspruch ein. Nachdem sich Goebbels bei Hitler rückversichert hatte, wurde Hugenbergs Forderung immerhin entsprochen.225 Schon im Mai 1933 war die Position des deutschnationalen RMEL in der Regie­ rung Hitler derart unterminiert, dass über seine Ablösung offen spekuliert wurde. Die Nationalsozialistische Landpost veröffentlichte Kommentare schweizerischer Zeitungen, in denen Darré als »Kreuz und Leid« Hugenbergs bezeichnet und ein Bruch zwischen Hitler und seinem Doppelminister als »unvermeidbar« erklärt wurde. In der nationalsozialistischen Provinzpresse hieß es zum »Problem Hugenberg« zur gleichen Zeit selbstbewusst  : »Die Revolution hat längst jene innere Stärke, die es ermöglicht, jede Schwierigkeit und Hemmung, wo sie sich auch immer zeigen sollte, zu erkennen und an ihre Beseitigung heranzugehen.«226 Das Verschwinden Hugenbergs von der politi15 und 7 F/5, Bl. 87)  ; Gaertringen in Matthias/Morsey, 1960, 601  ; Husumer Zeitung v. 2.5.1933 (zit. n. Borchmeyer, 1949, 78) sowie Telegramme aus der preußischen Provinz (GStA-Berlin, Rep. 90/877 und 911). 225 Rede Darrés auf dem Bauerntag d. Thür. LB (»Liebe Bauern  ! Das Schicksal gibt Euch die letzte Chance, um zu dem Staat zu kommen, in dem Ihr wirklich die Grundlage der Nation seid.«) mit Entschließung  : Schulthess, 1933, 128 f.; BA, R 43 II/1143 und Michaelis/Schraepler, Bd. IX, 705. Hugenberg an Goebbels und Hitler, 15.5.1933 u. entsprechende Aktenvermerke (IfZ, FA 199/49, Bl. 125 ff.). Unter Hinweis auf eine existierende »Wachsplatte« der Rede Darrés sah sich der frühere RMEL Martin Schiele veranlasst, ihn wegen »übler Nachrede« zu verklagen. Darré hatte die »früheren Bauernführer« offenbar als »Verführer des deutschen Bauerntums« und »Verbrecher« bezeichnet, die es verdient hätten, »mit einem Haselnußstecken verprügelt« zu werden. Die Klage auf einstweilige Verfügung wurde am 24.6.1933 zurückgewiesen. (StAG, NLD, Nr. 438). 226 Neue Zürcher Zeitung. v. 25.5.1933 und Der Bund v. 22.5.1933, zit. n. NSL v. 11.6.1933  ; SchleswigHolsteinische Tageszeitung. v. 24.5.1933. Wenige Tage vorher, am 21.5., hatte diese Zeitung unmissver-

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schen Bühne war nur noch eine Frage von Zeit und Gelegenheit. Seine allseitige Isolierung war offenkundig  : Indem er den protektionistischen Interessen der Landwirtschaft Vorrang einräumte, wendeten sich Industrie und Handel, die freihändlerische Positionen vertraten, von ihm ab. Aber auch in der organisierten Landwirtschaft fand er keine Unterstützung mehr, weil sie sich in nationalsozialistischen Händen befand.227 Im Juni, als sich die in »Deutschnationale Front« umbenannte DNVP schon in innerer Selbstauflösung befand – u. a. traten die MdR Martin Spahn, Eduard Stadler und Hans Bernd Gisevius zur NSDAP über  –, gab sich Hugenberg auf einer Weltwirtschaftskonferenz in London die entscheidende Blöße, die zu seinem Rücktritt von allen Ämtern führte. Am 16. Juni 1933 legte er auf diesem internationalen Kongress ein Memorandum vor, in dem er in konsequenter Anwendung seiner nationalistischen Wirtschaftskonzeption als Voraussetzung einer Hebung der deutschen Zahlungsfähigkeit und einer allgemeinen Gesundung der deutschen Wirtschaft folgende Forderungen formulierte  : die Gewährung von Kolonialbesitz in Afrika, die Erweiterung des deutschen Siedlungsraumes nach Osten und die vollständige wirtschaftliche Selbstbestimmung Deutschlands. Damit glaubte er, dem wachsenden Verlangen der Westmächte nach freierem Handelsverkehr entgegenwirken zu können. Da aber die Mitglieder der deutschen Delegation aus dem Auswärtigen Amt eine Isolation Deutschlands im Sinne der Regierungserklärung Hitlers vom 17. Mai vermeiden wollten, verweigerten sie dem Memorandum des Doppelministers Hugenberg ihre Zustimmung. Es war vorher im Kabinett auch nicht abgestimmt worden. Auch Papen, Neurath, Krosigk und Schacht distanzierten sich. Als Hugenberg der Presse den Inhalt seines Memorandums bekannt machte, bot er auch den Nationalsozialisten die Möglichkeit, sich von dieser in einer »privaten Denkschrift« geäußerten »privaten Meinung« zu distanzieren. Damit war Hugenberg nicht nur bloßgestellt, er – und nicht Hitler – erschien der internationalen Öffentlichkeit nun als der radikalere Verfechter einer deutschen Revisionspolitik.228 Die missliche Lage seines »Wirtschaftsdiktators« ausnutzend, versuchte Hitler die machtpolitische Position der NSDAP weiter zu festigen. In einer Unterredung am 21. Juni forderte er, Hugenberg solle die »Deutschnationale Front« auflösen und von ständlich geschrieben  : »Wir geben der Erwartung Ausdruck, daß Hugenberg von sich aus die notwendigen Konsequenzen ziehen wird.« (PA d. RLB, 242/0). 227 Diese fatale Konstellation zeigte sich z. B. im Kabinett, als eine Vorlage zum Schutz der Gartenbaubetriebe Bedenken bei Neurath, Papen und Krosigk aktivierte, die negative Reaktionen in Holland, Italien und Ungarn befürchteten. Das deutsch-niederländische Handelsabkommen v. 10.5.1933 war ein Kompromiss zwischen dem protektionistischen und dem freihändlerischen Standpunkt. Vgl. von Rohr, »Grundsätze der Zollautonomie«, in  : Berliner Börsen-Zeitung v. 28.4.1932 und BA, R 43 I, 1459–1462 sowie die Materialien im Finanzministerium, ebd., R 2, 18021. 228 Documents on German Foreign Policy, Series C, Vol. 1, 562 ff. und VB v. 17.6.1933. Zu Hugenbergs Rücktritt  : Borchmeyer, 1949  ; Ritthaler, 1960, 193 ff.; Gaertringen in Matthias/Morsey, 1960, 609 f. und Heineman, 1969, 160 ff.

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Rohr als Staassekretär durch einen Nationalsozialisten ersetzen. Hitler war daran gelegen, einen Aufsehen erregenden Rücktritt seines Doppelministers zu vermeiden, da das Bündnis des 30. Januar an den Koalitionscharakter seiner Regierung gebunden war. Als Hugenberg aber am 23. Juni eine demütigende Abstimmungsniederlage im Kabinett erlitten hatte und auch die Jugendorganisation seiner Partei unter nationalsozialistischem Druck in Auflösung begriffen war, widerstand er Hitlers Bitte, der Regierung seine Expertise weiterhin zur Verfügung zu stellen, und fasste am 24. Juni 1933 den Entschluss zurückzutreten. Auch Reichspräsident Hindenburg versagte ihm in einem Gespräch am 26. Juni die Unterstützung. Allerdings glaubte Hugenberg, es mit seinem Patriotismus nicht vereinbaren zu können, das Bündnis mit Hitler offen aufzukündigen, und versprach, dessen Regierung weiterhin zu tolerieren.229 Derweil ging die Selbstauflösung der DNVP weiter. Sie wurde von den Spitzengremien, ohne ihren Vorsitzenden hinzuzuziehen, am 27. Juni mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Hugenberg seinerseits hatte seine Partei in seine Rücktrittsentscheidung nicht einbezogen. So wurde Hitler in dieser heiklen Angelegenheit zum Sieger auf der ganzen Linie. Der »Silberfuchs« Hugenberg unterlag weniger den Angriffen der NSDAP oder dem Geschick Hitlers als vielmehr der selbst verschuldeten Isolierung, eigenen politischen Fehlspekulationen, Ungeschicklichkeiten und der Illusion einer möglichen »Einrahmung« Hitlers. In seinem Rücktrittsschreiben an Hindenburg verwies Hugenberg auf die »Heftigkeit und die Formen des Kampfes draußen im Lande«, wodurch – »da nicht dagegen eingeschritten wird« – die »Staatsautorität gefährdet« werde. In seinem Entlassungsschreiben vom 29. Juni 1933 betonte der Reichspräsident Hugenbergs »wertvolle Dienste für die besonders notleidende Landwirtschaft« und dankte ihm für seine »langjährige vaterländische Arbeit«, insbesondere für seine Verdienste »um die nationale Erhebung«. Am gleichen Tag konnte der Völkische Beobachter in einer dem Anlass kaum entsprechenden kleinen Aufmachung, die aber das Bewusstsein einer Gefährdung des Koalitionscharakters der Regierung Hitler/Papen/Hugenberg erkennen ließ, die Selbstauflösung der »Deutschnationalen Front« und den Rücktritt Hugenbergs von allen seinen Regierungsämtern melden. Als Nachfolger im Reichswirtschaftsministerium wurde mit Dr. Kurt Schmitt, Generaldirektor der Allianz-Versicherung, ein weiterer »Fachminister« ins Kabinett aufgenommen.230 Auch im Agrarsektor lag nach Hugenbergs misslungenem Auftritt in London und seinem Rücktritt von allen Regierungsämtern die Macht quasi auf dem Tisch. Darré brauchte nur noch zuzugreifen. Am 29. Juni 1933 übernahm der »Reichsbauernführer« und Leiter des »Amtes für Agrarpolitik« in der Reichsleitung der NSDAP die Füh229 Hugenberg an Hindenburg, 27.6.1933 (abgedruckt bei Borchmeyer, 1949, 85). Vgl. auch BracherSauer-Schulz, 1960, 212 f. und AdRk, Reg. Hitler, Bd. 1, 1983, 544 u. 603. 230 Schon am 27.6.1933 hatte Hugenberg MP Göring seine preußischen Ämter zur Verfügung gestellt (GStA-Berlin, Rep. 90/877). IfZ, FA 199/49 und Krosigk, 1974, 182 und 202 ff.

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rung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Preußischen Landwirtschaftsministeriums. Am 7. Juli wurde er in Neudeck von Reichspräsident Hindenburg vereidigt. Es blieb ihm allerdings nicht erspart, den Staatssekretär Hugenbergs, Hansjoachim von Rohr, einstweilen als Mitarbeiter akzeptieren zu müssen. Doch wenige Monate später ergab sich auch in dieser Personalie eine Gelegenheit, den unbequemen Deutschnationalen aus dem Landbundlager auszubooten. Von Rohr hatte in einer Rede am 9. September 1933 in Essen die Agrarpolitik seines Ministers öffentlich kritisiert, so dass dieser die Zusammenarbeit mit ihm aufkündigen k­ onnte.231 Am 23. September 1933 beantragte Minister Darré, Herbert Backe, der schon seit dem 30. Juni als »Kommissar zur besonderen Verwendung« im RMEL auf die Übernahme des Postens als Staatssekretär wartete, zu von Rohrs Nachfolger zu berufen. Backes förmliche Ernennung zog sich dann aber noch bis Ende Oktober 1933 hin, weil Darré mit Willikens schon einen Staatssekretär hatte und ein zweiter im Stellenplan nicht vorgesehen war. Als Lösung wurde Willikens dem Preußischen Landwirtschaftsministerium und Backe dem RMEL zugeordnet.232 Herbert Backe war wie Darré Auslandsdeutscher. Der Vater war Kaufmann in der Landmaschinenbranche im damals russischen Batumi und in Odessa am Schwarzen 231 Darré versuchte vergeblich, die Rede von Rohrs zu verhindern (Bericht des OP der Rheinprovinz v. Lüninck an MP Göring v. 18.9.1933 [GStA-Berlin, Rep. 90/877]). Durch eine Intervention bei Goebbels konnte Darré aber verhindern, dass von Rohrs Rede im Rundfunk übertragen wurde. (Darré an Hitler, 12.9.1933  : »Er ist nicht nur anderer Meinung als ich, sondern tut dies auch noch in aller Öffentlichkeit kund. Auf der Grundlage eines solchen Verhaltens ist […] eine Zusammenarbeit nicht möglich.« AdRk, Reg. Hitler, 1983, 544 f. u. 726 f.) Die Rede wurde trotzdem bekannt und als grobe Illoyalität verstanden (IfZ, MA 28). Unmittelbar nach von Rohrs Ausscheiden aus dem Amt wurden die Akten der »Berufsständischen Arbeitsgemeinschaft«, die von Rohr geleitet hatte, »auf Ersuchen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft« beschlagnahmt. Versuche von Rohrs, sie zurückzubekommen, verliefen ergebnislos (Vermerke i. d. RKlei, BA, R 43 II, 228). Von Rohr machte nochmals von sich reden, als er im Spätsommer 1934 eine Denkschrift an Hitler, den Vizekanzler von Papen, den Preuß. Ministerpräsidenten Göring und Hugenberg schickte, in der er sich kritisch mit Darrés Agrarpolitik befasste. Sie wurde in der RKlei sehr ernst genommen. Am 22.8.1934 wurde eine achtseitige Zusammenfassung als »Vermerk« und am 10.9.1934, nach einer Überprüfung der Zahlen von Rohrs, nochmals eine handschriftliche Vorlage für Lammers angefertigt (BA, R 43 II, Bd. 193 und IfZ, FA 199/19, Bl. 37 ff.). Während des »Röhm-Putsches« konnte von Rohr sich mit Hilfe der Arbeiter auf seinem Gut einer Verhaftung durch ein SS-Kommando entziehen. Während des Krieges wurde er zu Gefängnis verurteilt, weil er sowjetischen Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter auf seinem Gut gestorben waren, zu einem christlichen Begräbnis verholfen hatte. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 saß er in Gestapo-Haft. (Vgl. das Porträt seiner Söhne  : Hans Joachim von Rohr, »Haus Demmin in Vorpommern«, in  : Bruno Sobotka, Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern. Stuttgart 1993, 123 und H. C. von Rohr, 2010 sowie Gespräch d. Verf. mit Herrn StS a. D. H. von Rohr). 232 Darré an Hitler, 11.9.1933 (BA, NLD, AD 24) und an die RKlei, 23.9.1933 (BA, R 43 II, 228). Hansjoachim von Rohr gab von 1947 bis 1971 einen Informationsdienst Stimmen zur Agrarwirtschaft heraus, in dem er die Agrarpolitik der Bundesrepublik Deutschland und ihre Repräsentanten kritisch begleitete.

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Meer, die Mutter Russlanddeutsche, deren Familie im frühen 19.  Jahrhundert aus Württemberg zugewandert war. Die revolutionären Unruhen veränderten ab 1905 die bürgerlich gesicherten Familienverhältnisse, der Vater beging 1907 Suizid, Sohn Herbert musste das Gymnasium in Tiflis zu Kriegsbeginn 1914 ohne Abschluss verlassen, die Familie – Mutter und fünf Kinder – wurde im Ural zwangsinterniert. Damals, so notierte es Backe später in seinem Lebenslauf, sei ihm »erstmals die tragische Lage des Volkstums außerhalb des eigenen Staates bewußt« geworden. Für die einst wohlhabende Familie war es ein bitterer sozialer Absturz. 1918 gelang ihnen eine abenteuerliche Flucht nach Deutschland. Herbert Backe schlug sich als Hilfsarbeiter durchs Leben, versorgte seine Familie und holte gleichzeitig das Abitur nach. Von 1920 bis 1923 studierte er Landwirtschaft in Göttingen und machte seinen Abschluss als Diplom-Landwirt.233 Danach verschafften ihm seine russischen Sprachkenntnisse eine Assistentenstelle bei dem Geographen Erich Obst an der Technischen Universität Hannover. Er plante eine Dissertation über die russische Getreidewirtschaft, die aber 1927 zurückgewiesen wurde. Das Projekt scheiterte offenbar daran, dass der Doktorand Ideen zu einer »Neuordnung Europas« vertrat, die nicht mehr und noch nicht zeitgemäß waren. Backe hatte  – unter ernährungswirtschaftlichen Gesichtspunkten  – einen Großwirtschaftsraum konzipiert, in dem agrarische Überschussgebiete, wie z. B. die Ukraine, industrialisierte Mangelregionen, wie z. B. deutsche Ballungszentren, versorgen sollten. Außerdem enthielt die Arbeit Textpassagen, die in einem rassistischen Zungenschlag verfasst waren, wonach z. B. die wirtschaftliche Rückständigkeit Russlands mit der »Minderwertigkeit« der »Slawen« allgemein begründet wurde.234 Backe war seit 1922 Mitglied der SA und seit 1925 der NSDAP. Nach dem Scheitern einer Universitätskarriere ging er 1927 als Gutsverwalter nach Pommern und hielt Propagandavorträge, in denen er Hitlers Lebensraum-Gedanken aufgriff, die ja mit seinen eigenen geopolitischen Vorstellungen und seinem Antibolschewismus übereinstimmten. Im Oktober 1928 heiratete er und wurde im November – mit finanzieller Unterstützung seiner Schwiegereltern  – Pächter der heruntergekommenen Domäne Hornsen im Kreis Alfeld/Leine, die er mit 950 Morgen (knapp 50 Hektar) Land in einer sehr schwierigen Zeit erfolgreich bewirtschaftete. Nachdem er im Jahre 1931 an zwei Kundgebungen der NSDAP in Braunschweig mit Hitler als Hauptredner teilgenommen hatte, war er so begeistert von dem Redner, dass er sich stärker in dessen 233 Zitat  : undatierter Lebenslauf Backes, bei Frau Backe eingesehen. Außerdem  : Alleweldt, 2011  ; Gerhard, 2015, 65 ff.; J. Lehmann, 1993, 1 ff.; Corni/Gies, 1997, 203 f. sowie Gespräch d. Verf. mit Frau Ursula Backe. 234 Die Schrift wurde 1941 privat und »nur für den Dienstgebrauch« überarbeitet und unter dem Titel Die russische Getreidewirtschaft als Grundlage der Land- und Volkswirtschaft Rußlands vervielfältigt. Im Vorwort verwies Backe auf die aktuelle Situation der deutschen Invasion in die Sowjetunion und die notwendige Ausbeutung der »Schwarzerderegion« für die Versorgung Europas mit Lebensmittel – er sah sich wohl als Prophet dieser Entwicklung.

Darré im Wartestand: Vom »Reichsbauernführer« zum Reichsernährungsminister

Abb. 25 Herbert Backe (1896–1947).

Partei engagierte  : Er wurde Ortgruppenleiter in Lamspringe, Kreisvorsitzender des »Landbundes« und schrieb Presseartikel über Agrarpolitik, die er in der Propagandabroschüre Deutscher Bauer, erwache  ! 1931 veröffentlichte. Darin forderte Backe eine europäische Großraumwirtschaft, in der das »Problem ›Volk ohne Raum‹ durch das Schwert, nicht durch Erwerb von Rohstoffkolonien, sondern durch Weitung des natürlichen Lebensraums im Osten« gelöst werden sollte. Binnensiedlung sei nur eine Zwischenlösung, gab sich Backe überzeugt, »um auf beschränktem Lebensraum die lebendige Kraft anzuhäufen, die nötig ist, um morgen die Fesseln des knappen Raumes zu sprengen«. Solche Aussagen und Backes Engagement für die NSDAP in Niedersachsen machten ihn natürlich auch Darré in München bekannt, der ihn zur Mitarbeit an der Entwicklung einer Konzeption nationalsozialistischer Agrarpolitik gewann. Wie Darré, so war auch Backe ein entschiedener Gegner von Liberalismus, Kapitalismus und Bolschewismus. In seinen Propagandareden für die »völkische Bewegung« sprach er schon in den 1920er Jahren vom »Blutsadel« als Führungselite und vom Juden als »Nomade[n], der keine Kultur kennt, denn er hat ja keine Heimat, keine Scholle, er lebt vom Saft des Wirtsvolkes […]«. Wie seine Redemanuskripte ausweisen, benutzte Backe schon anfangs der 1930er Jahre die Doppelmetapher »Blut und

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Boden« als Formel für seine politischen Ansichten, zu denen auch als »völkische Aufgabe« des Landvolkes »die Erhaltung und Aufartung der Erbmasse« gehörte.235 Trotz seiner antiparlamentarischen Affekte hatte sich Backe im April 1932 für die NSDAP in den Preußischen Landtag wählen lassen und war am Zustandekommen des Preußischen »Erbhof«-Gesetzes maßgeblich beteiligt. Obwohl realitätsbezogener im Denken und pragmatischer im Handeln als Darré, trug er dessen rassenideologische Motive voll und ganz mit. Beide verbanden nicht nur politische Absichten, sie wurden auch persönliche Freunde. So übernahm Darré die Patenschaft für einen Sohn Backes. Durch Realitätssinn, Fleiß, Zielstrebigkeit und Sachverstand war Backe nicht nur eine ideale Ergänzung zu Darré, er erwies sich bald als der eigentliche Kopf des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und wurde so zu einem Rivalen Darrés, der ihm schließlich in allen seinen Ämtern nachfolgte.

235 Zitate nach J. Lehmann, 1993, 4 und 2000, 514 sowie Alleweldt, 2011, 28 ff. und Briefen, die er seiner Frau schrieb (Abschriften Frau Backes im Besitz d. Verf.; Originale  : BA, NLB, Nr. 1).

Epilog

Darré musste nach der Machtübertragung an seinen »Führer« Adolf Hitler am 31. Januar 1933 zwar noch ein halbes Jahr warten, bis er Reichs- und Preußischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft wurde, danach aber galt er als Hitlers »BluboPrinz«. 1935 feierte er seinen 40. Geburtstag. Im »Dritten Reich« hatte Darré folgende Ämter inne  : – Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft – Preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten – Reichs- und Preußischer Minister für Ernährung und Landwirtschaft – »Reichsleiter« der NSDAP (Chef des Amtes für Agrarpolitik) – »Reichsbauernführer« – SS-Obergruppenführer und Chef des »Rasse- und Siedlungshauptamtes« der SS – Herausgeber der Nationalsozialistischen Landpost und der Zeitschrift Deutsche Agrarpolitik/Odal – Mitglied des Preußischen Staatsrates – Präsident des »Reichserbhofgerichtes« – Präsident des »Deutschen Landwirtschaftsrates« – Mitglied des Reichstages – Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP – Mitglied des Obersten Rates der »Nordischen Gesellschaft« – Ehrenpräsident der »Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft« – Ordentliches Mitglied der »Akademie für Deutsches Recht« – Senator der »Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften« Alle diese Ämter und Würden verlor Darré im Laufe des nur zwölf Jahre, drei Monate und acht Tage dauernden »Tausendjährigen Dritten Reiches« Adolf Hitlers. Schon 1933 verärgerte er den immer einflussreicher werdenden Propagandaminister Goebbels, indem er sich weigerte, dessen Idee eines »Winterhilfswerkes« für Bedürftige zu unterstützen. Als Ernährungsminister sah es Darré als Ehrenpflicht an, dafür zu sorgen, dass niemand in Deutschland hungern müsse. Ab 1934 hatte er Streit mit Finanzminister Schwerin von Krosigk wegen der hohen Kosten, die der »Reichsnährstand« verursachte. Den dadurch und durch innere Reibungsverluste entstehenden Ansehensverlust nutzte Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Schacht aus, um die hohen Einfuhrkosten zugunsten der Ernährungswirtschaft zu drosseln. Der eigentliche Niedergang von Ansehen, Einfluss und Macht, der auch auf persönliche Schwächen Darrés zurückzuführen war, wozu u. a. Eitelkeit, mangelndes Interesse und damit mangelnde Kompetenz im Bereich der Ernährungswirtschaft gehörten, begann mit einem Sportunfall. Im August 1936 zog er sich bei einer Prüfung

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Epilog

zum Sportabzeichen, die bei der SS zum Pflichtprogramm gehörte, einen Riss der Achillessehne zu. Das Ereignis führte zu einer sieben Monate dauernden Abwesenheit von der politischen Bühne in Berlin. In dieser Zeit versuchte sein Stellvertreter Wilhelm Meinberg im »Reichsnährstand«, ihn als »Reichsbauernführer« zu verdrängen. Die Revolte war zwar erfolglos, kostete Darré aber viel Reputation. Und im gleichen Maße, wie er an Einfluss verlor, stiegen Ansehen und Macht seines Staatssekretärs Herbert Backe. Nachdem der eskalierende Streit zwischen Schacht und Darré um Mittel für die Einfuhr in die Ernährungswirtschaft nicht zu lösen war, entschied sich Hitler im Hinblick auf die »Eroberung von Lebensraum im Osten« für verstärkte Aufrüstung im Rahmen eines 2. Vierjahresplanes. An die Spitze einer entsprechenden Behörde, welche an den Ministerien vorbei agieren konnte, stellte er Hermann Göring. Dieser übertrug die entsprechende Kompetenz für den Ernährungssektor nicht an Minister Darré, sondern an dessen Staatssekretär Backe. Dies war das erste Anzeichen für den machtpolitischen Niedergang des bisher gefeierten »Reichsbauernführers« und Landwirtschaftsministers. Er wurde von seinem Rivalen völlig ins Abseits manövriert und ausgeschaltet. Als Darré im Mai 1942 »aus gesundheitlichen Gründen« beurlaubt wurde, übernahm Backe »geschäftsführend« die Leitung des Ministeriums. Im April 1944 schließlich wurde Darré auch offiziell von seinen Aufgaben entbunden und Backe sein Nachfolger in allen wichtigen Ämtern  : Reichsernährungsminister, »Reichsbauernführer« und »Reichsleiter« des NSDAP-Amtes für Agrarpolitik. Parallel dazu scheiterte Darré auch als Rassenpolitiker. Himmlers Unzufriedenheit mit seiner Arbeit als Chef des »Rasse- und Siedlungshauptamtes« der SS führte 1938 zu Darrés Rücktritt »wegen Arbeitsüberlastung«. Völlig in die Brüche ging seine einstige Freundschaft mit dem »Reichsführer SS«, als Himmler sich von Hitler im Oktober 1939 zum »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« ernennen ließ. Damit hatte Darré auch jeden Einfluss auf die Siedlungsaktivitäten des »Ordens gutes Blutes« im eroberten osteuropäischen »Lebensraum« verloren. Alle Bemühungen des dafür eigentlich zuständigen Ministers, dies zu verhindern, blieben erfolglos. Darrés Weg im »Dritten Reich« war ab 1936 eine einzige Geschichte des Scheiterns.

Anhang Ungedruckte Quellen Archivmaterialien

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Charlotte Darré, geb. von Vietinghoff-Scheel  ; Elin Weidemann, geb. Darré  ; Alma Bauer gesch. Darré  ; Ursula Backe Hanns Deetjen  ; Johann Deininger  ; Günther Franz  ; Heinz Haushofer  ; Adelheid Konopath, geb. Prinzessin Reuß-zur Lippe  ;  ; Wilhelm Meinberg  ; Dr. Hans Merkel  ; Martin Matthiessen  ; Günther Pacyna  ; Rudolf Proksch  ; Dr. Horst Rechenbach  ; Dr. Hermann Reischle  ; Hansjoachim von Rohr-Demmin  ; Dr. Richard Wagner u. a. Zeitgenössische Publikationen Quelleneditionen

Akten der Reichskanzlei [AdRk], hg. vom Bundesarchiv, Boppard a. Rhein/München 1983 ff.: – Die Kabinette Marx III und IV, bearb. v. Günter Abramowski, 1988 – Die Kabinette Brüning I und II. 3 Bde., bearb. v. Tilmann Koops, 1982–1990

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Zeitgenössische Publikationen

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Zeitgenössische Publikationen

– : Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des deutschen Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft, der Sozialpolitik, der nationalen Zukunft. Berlin 1932 (3. Aufl. 1935) – : Stadt und Land in volksbiologischer Betrachtung. Dynamische Grundlinien künftiger deutscher Agrar-, Siedlungs-, Wohnungs- und Wirtschaftspolitik. Berlin 1933 – : Zurück zum Agrarstaat  ? Stadt und Land in volksbiologischer Betrachtung. Dynamische Grundlinien künftiger deutscher Agrar-, Siedlungs-, Wohnungs- und Wirtschaftspolitik. Berlin 1933a (2. Aufl. 1935) – : Deutsches Volk in Not. Berlin 1934 Busse, Gisela von  : Die Lehre vom Staat als Organismus. Kritische Untersuchungen zur Staatsphilosophie Adam Müllers. Berlin 1928 Butterwege, Karl  : Die Ehefrau im Anerbenrecht. Würzburg 1935 Chamberlain, Houston Stewart  : Arische Weltanschauung. Berlin o. J. (1905) – : Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. 2 Bde. München 1899 (8. Aufl. 1907, 11. Aufl. 1915, 14. Aufl. 1922) – : Rasse und Persönlichkeit. Aufsätze. München 1925 Clauß, Ludwig Ferdinand  : Rasse und Seele. Eine Einführung in die Gegenwart. München 1926 – : Die nordische Seele. Eine Einführung in die Rassenseelenkunde. München 1933 (8. Aufl. 1940) – : Rasse und Seele. Eine Einführung in den Sinn der leiblichen Gestalt. München 1934 (17. Aufl. 1941 mit 118 Abb.) – : Die nordische Seele. Rassenpsychologie ohne Rassismus. München 1937 Clauß, Wolfgang (Hg.)  : Der Bauer im Umbruch der Zeit. Berlin o. J. (1935) Conwentz, Hugo  : Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Berlin 1904 Curtius, Ernst Robert  : Maurice Barrès und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus. Bonn 1921 D’Alquen, Gunther  : Die SS – Geschichte, Aufgaben und Organisation der Schutzstaffeln der NSDAP. Berlin 1939 Damaschke, Adolf  : Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not. Jena 20. Aufl. 1923 (erstmals 1902) – : Die Bodenreform. Jena 1912 – : Die Bodenreform. Der Weg zur sozialen Versöhnung. Berlin 1919 – : Marxismus und Bodenreform. Jena 1922 – : Bodenreform und Landwirtschaft. Von der »Zinsknechtschaft« und ihrer Überwindung. Berlin 1932 Darré, Richard Walther  :236 Gedanken zur Geschichte der Haustierwerdung. 1926 (in gezählten Handexemplaren 1936 vom Reichsnährstands-Verlag Goslar gedruckt) – : Das Schwein als Kriterium für nordische Völker und Semiten. In  : VuR 2/1927, 138–151 – : Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse. München 1929 (9. Aufl. 1942) – : Neuadel aus Blut und Boden. München 1930 (29.–33. Tausend 1935)

236 Auf eine möglichst vollständige Bibliographie Darrés wird verzichtet. Sie wäre, bei Bedarf, zu finden in  : W. L. Heinrich, 1980, im BA, R 16 I, Nr. 20 und neuerdings in Kaden, 2016, 539 ff.

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Anhang

– : Erkenntnisse und Werden. Aufsätze aus der Zeit vor der Machtergreifung. Hg. von Marie Adelheid Prinzessin Reuß-zur Lippe. Goslar 1940 [EuW] – : Neuordnung unseres Denkens. Goslar 1940a – : Um Blut und Boden. Reden und Aufsätze. Hg. von Hanns Deetjen und Wolfgang Clauß. München 3. Aufl. 1941 (erstmals 1939) [BuB] – : Blut und Boden als Lebensgrundlagen der nordischen Rasse (1930). In  : BuB, 1941, 17–29 – : Stellung und Aufgaben des Landstandes in einem nach lebensgesetzlichen Gesichtspunkten aufgebauten deutschen Staate (1930). In  : BuB, 1941, 210–215 und EuW, 1940, 160–166 – : Ostraumgedanke oder Rückforderung unserer Kolonien  ? In  : VB vom 9.5.1931 (2. Landwirtschaftliche Beilage) – : Damaschke und der Marxismus (1931). In  : EuW, 1940, 216–233 – : Zur Wiedergeburt des Bauerntums (1931). In  : BuB, 1941, 60–68 – : Zur Neuadelsfrage. In  : Der Weltkampf, Heft 96 (Dezember 1931), 546 ff. – : Landvolk in Not. Wer hilft  ? Adolf Hitler  ! München 1932 – : Bauer und Landwirt. In  : DA, Heft 2, August 1932. Auch in  : BuB, 1941, 177–209 – : Rede im Auftrag A. Hitlers auf dem Parteikongress der NSDAP 1933 in Nürnberg. Hg. v. Amt f. Agrarpolitik der Reichsleitung der NSDAP. Berlin 1933 – : Im Kampf um die Seele des deutschen Bauern. (Reden und Zeitungsartikel). Berlin 1934 – : Blut und Boden. In  : Die Verwaltungs-Akademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat. Bd. I  : Die weltanschaulichen, politischen und staatsrechtlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Staates. Beitrag 3. Berlin (1934) – : Grundsätzliche Fragen nationalsozialistischer Bauernpolitik. In  : Archiv des Reichsnährstandes, Bd. 52, Berlin 1934, 5–20 – : Blut und Boden, ein Grundgedanke des nationalsozialistischen Rechts. Rede vor der Akademie für Deutschen Recht, 27.2.1935. In  : BuB, 1941, 295–312 – : Blut und Boden. In  : Lammers, H.-H./Pfundtner, Hans (Hg.)  : Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates, Bd. I, 1936 (2. Aufl. 1939) – : Der Schweinemord. München 1937 – : Aufbruch des Bauerntums. Reichsbauerntagsreden 1933 bis 1938. Berlin 1942 Darwin, Charles   : Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Halle 1892 – : Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl. Halle 1893 (6. Aufl. 1910) – : Die Abstammung des Menschen. Leipzig 1908 David, Eduard  : Sozialismus und Landwirtschaft. Leipzig 1903, 2. Aufl. 1922 Dierkes, Johannes  : Volk und Raum. Zum Problem der inneren Kolonisation. Jena 1927 Dietze, Constantin von  : Getreidemonopol  ? Berlin 1929 – : Preispolitik in der Weltagrarkrise. Berlin 1936 –  :Über Landflucht. In  : Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 154/1941, 287–310 – /Sering, Max (Hg.)  : Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes in der Nachkriegszeit. München 1930 – /Sering, Max  : Die Bedeutung des preußischen Erbhofrechts für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Bauerntums. In  : Soziale Praxis 42/1933, 873–877 und 897–900 Dölle, Hans  : Lehrbuch des Reichserbhofrechts. München 2. Aufl. 1939 Dorner, Johann  : Bauernstand und Nationalsozialismus. NS-Bibliothek, Heft 15. München 1930 Dühring, Eugen  : Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage. Karlsruhe 2. Aufl. 1881

Zeitgenössische Publikationen

Ehringhaus, F.: Ernst Moritz Arndt, ein Vorkämpfer für den deutschen Bauernstand und das Reichserbhofgesetz. In  : Neues Bauerntum 27/1935, 116–119 Eichenauer Richard  : Über nordische Melodik. In  : VuR 3/1930, 30–44 – : Darrés »Neuadel«. In  : DE, 14. Jg. 1930, 690 ff. – : Musik und Rasse. München 1932 – : Deutschunterricht und Rassenkunde. In  : Zeitschrift für Deutschkunde, 1933, 522–532 Eickstedt, Claus von  : Das berufsständische Gliederungsprinzip der pommerschen Landwirtschaft. In  : Pommern-Jahrbuch 5/1930/31, 49–59 Emig, Kurt  : Das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Berlin 1939 Eyth, Max  : Hinter Pflug und Schraubstock. Skizzen aus dem Leben eines Ingenieurs. 2 Bde. Stuttgart 1899 Fallada, Hans  : Bauern, Bonzen und Bomben. Roman. Berlin 1931 Feder, Gottfried  : Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken. München 1927/1930 Fichte, Johann Gottlieb  : Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik. 1800 – : Ausgewählte politische Schriften. Hg. von Z. Batscha und R. Saage. Frankfurt/M. 1977 Findeisen, Kurt Arnold (Hg.)  : Handschrift des Pfluges. Ehrenbüchlein für Bruno Tanzmann, Denker und Dichter zu seinem 60. Geburtstag. Berlin o. J. (1938) Fischer, Eugen  : Die Sozialanthropologie und ihre Bedeutung für den Staat. Freiburg 1910 – : Rasse und Rassenentstehung. Berlin 1927 – /Günther, Hans F. K.: Deutsche Köpfe nordischer Rasse. München 1927 Frauendorfer, Max  : Der ständische Gedanke im Nationalsozialismus. NS-Bibliothek, Heft 40. München 1932 (2. Aufl. 1933) Freyer, Hans  : Antäus. Grundlegung einer Ethik des bewussten Lebens. Jena 1918 – : Der Staat. Leipzig 1926 Fried, Ferdinand (Ferdinand Friedrich Zimmermann)  : Das Ende des Kapitalismus. Jena 1931 – : Autarkie. Jena 1932 – : Der Bauer im Dritten Reich. In  : Deutsche Agrarpolitik, 2. Jg. 1933/34, 558–567 – : Die Zukunft des Außenhandels. Durch innere Marktordnung zur Außenhandelsfreiheit. Jena 1934 – : Der Aufstieg der Juden. Goslar 1938 – : Latifundien vernichteten Rom. Eine Studie der römischen Verhältnisse und ihrer Auswirkungen auf Volk und Staat. Goslar 1938a Fritsch, Theodor  : Handbuch der Judenfrage. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes. 30. Aufl. Leipzig 1931 – : Die Stadt der Zukunft (Gartenstadt). Leipzig 1896 (2. Aufl. 1912) Frost, Julius  : Die aktuellen Fragen der Agrarpolitik. München 1932 – : Gustav Ruhland. Leben und Kampf. München 1936 Frymann, Daniel (Heinrich Claß)  : Wenn ich der Kaiser wär’. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten. Leipzig 5. Aufl. 1914 Fünfzig Jahre J. F. Lehmanns Verlag. München 1940 Geiger, Theodor  : Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Stuttgart 1932 (Neudruck 1967) Gerstenhauer, Max Robert  : Rassenlehre und Rassenpflege. Zeitz 1913 (2. Aufl. 1920) – : Der Führer. Ein Wegweiser zu deutscher Weltanschauung und Politik. Jena 1927

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Anhang

– : Der völkische Gedanke in Vergangenheit und Zukunft. Aus der Geschichte der völkischen Bewegung. Leipzig 1933 Glogau, Otto  : Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. Gesammelte und stark vermehrte Artikel der ›Gartenlaube‹. Leipzig 1876 Gobineau, Joseph Arthur Comte de  : Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen. Aus dem Französischen von Ludwig Schemann. 4 Bde. Stuttgart 1898–1901 (5. Auflage 1939/40) Goetz, Bruno  : Neuer Adel. Darmstadt 1930 Graf, Herbert  : Darré. Die Reihe der deutschen Führer, Heft 11. Berlin o. J. (1933) Grant, Madison  : Der Untergang der großen Rassen. Die Rassen als Grundlage der Geschichte Europas. München 1925 (zuerst  : The Passing of the Great Race or  : The Racial Basis of European History. New York 1916) Grimm, Hans  : Volk ohne Raum. Roman. München 1926 Grotjahn, Alfred  : Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung. Versuch einer praktischen Eugenik. Berlin 1926 Gründel, E. Günther  : Jahre der Überwindung. Umfassende Abrechnung mit dem »Untergangs«Magier. Breslau 1934 Günther, Hans F. K.: Ritter, Tod und Teufel. Der heldische Gedanke. München 1920 – : Rassenkunde des deutschen Volkes. München 1922 (16. Aufl. 1933) [RkdV] – : Deutsche Rassenbilder. Eine Tafel mit 32 Bildern. München 1924 – : Der nordische Gedanke unter den Deutschen. München 1925 (2. Aufl. 1927) [Nord. Ged.] – : Rassenkunde Europas. Mit besonderer Berücksichtigung der Rassengeschichte der Hauptvölker indogermanischer Sprache. München 1925 – : Kleine Rassenkunde Europas. München 1925a – : Rasse und Stil. München 1926 – : Adel und Rasse. München 1926 (2. Aufl.1927) – : Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes. München 1927 (3. Aufl. 1933) [Kl. RkdV] – /Fischer, Eugen  : Deutsche Köpfe Nordischer Rasse. München 1927 – : Platon als Hüter des Lebens. Platons Zucht- und Erziehungsgedanken und ihre Bedeutung für die Gegenwart. München 1928 (nochmals Pähl 1966  !) – : Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes. Mit einem Anhang  : Hellenische und römische Köpfe nordischer Rasse. München 1929 – : Paul Schultze-Naumburg und der Nordische Gedanke. In  : Die Sonne 6/1929, 269–278 – : Rassenkunde des jüdischen Volkes. München 1930 – : Darrés »Bauerntum« und der nordische Gedanke. In  : DE 14/1930, 135–142 – : Die Nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat und Rassenherkunft der Indogermanen. München 1934 – : Die Verstädterung. Ihre Gefahren für Volk und Staat vom Standpunkt der Lebensforschung und der Gesellschaftswissenschaft. München 1934 (Rosenberg gewidmet  ; 4. Aufl. 1942) – : Das Bauerntum als Lebens- und Gemeinschaftsform. Leipzig 1939 (Darré zugeeignet) Gürge, Wilhelm/Grotkopp, Wilhelm (Hg.)  : Großraumwirtschaft. Der Weg zur europäischen Einheit. Berlin 1931 Gütt, Arthur  : Die Bedeutung von Blut und Boden für das Deutsche Volk. Berlin 1935 – /Rüdin, Ernst/Ruttke, Falk  : Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. München 2. Aufl. 1936

Zeitgenössische Publikationen

Haack, Richard  : Das Reichssiedlungsgesetz nebst Ergänzungen und Ausführungsbestimmungen. Berlin 1935 Häberlein, Ludwig  : Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft mit besonderer Hervorhebung der Selbstverwaltung des Reichsnährstandes und der landwirtschaftlichen Marktordnung. 2 Bde. Berlin 1938 Haeckel, Ernst  : Natürliche Schöpfungsgeschichte. Gemeinverständliche Werke. Leipzig 1924 Hagemann, G.: Der Erbhofgedanke bei Ernst Moritz Arndt. In  : Odal 7/1938, 734–745 Hainisch, Michael  : Die Landflucht, ihr Wesen und ihre Bekämpfung im Rahmen einer Agrarreform. Jena 1924 Hamann, Kurt/Hartenstein, Hans  : Die Osthilfegesetze. Berlin 1931 Hansen, Johannes/Fischer, Gustav  : Geschichte der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Berlin 1936 Hanssen, Georg  : Die drei Bevölkerungsstufen. Ein Versuch, die Ursuchen für das Blühen und Altern der Völker nachzuweisen. München 1889 (2. Aufl. 1915) – : Agrarhistorische Abhandlungen. 2 Bde. Leipzig 1880/1884 Harmening, Rudolf/Pätzold, Erwin  : Die landwirtschaftliche Schuldenregelung. Berlin 1935 Harms, Bernhard (Hg.)  : Strukturwandlungen der deutschen Volkswirtschaft. 2 Bde. Berlin 1929 Haushofer, Heinz  : Baiern führt den Pflug nach Osten. Wie des Reichs älteste Ostmark entstand. Goslar 1938 Haushofer, Karl  : Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung. Berlin 1927 – : Wehr-Geopolitik. Geographische Grundlagen einer Wehrkunde. Berlin 1932 (5. Aufl. 1941) – : Der nationalsozialistische Gedanke in der Welt. München 1934 – : Weltpolitik von heute. Berlin 1934a – : Weltmeere und Weltmächte. Berlin 1938 – (Hg.)  : Macht und Erde. 3 Bde. Leipzig 1925–1934 – (Hg.)  : Friedrich Ratzel. Erdenmacht und Völkerschicksal. Eine Auswahl aus seinen Werken. Stuttgart 1940 – /Obst, Erich/Lautensach, Hermann/Maull, Otto  : Bausteine zur Geopolitik. Berlin 1928 Hausner, Alois  : Prof. Dr. Gustav Ruhland. Seine Umwelt, Familie und Jugend. Berlin 1935 Hedler, Adolf  : Rassenkunde und Rassenwahn. Wissenschaft gegen demagogischen Dilettantismus. Berlin 1932 Heim, Georg  : Bauer in Not. In  : Süddeutsche Monatshefte 22/1925, 1–35 Heinig, Kurt  : Der Osthilfe-Skandal. Berlin 1933 Heinrich, Walter  : Das Ständewesen mit besonderer Berücksichtigung der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Jena 1932 Hellpach, Willy  : Die geopsychischen Erscheinungen. Die Menschenseele unter dem Einfluß von Wetter und Klima, Boden und Landschaft. Leipzig 1911, 4. Aufl. 1935, 5. Aufl. 1939 und 7. Aufl. 1965 Hentschel, Willibald  : Varuna. Eine Welt- und Geschichtsbetrachtung vom Standpunkt des Ariers. Leipzig 1901 – : Mittgart. Ein Weg zur Erneuerung der germanischen Rasse. Leipzig 1904 (5. Aufl. 1916) – : Vom aufsteigenden Leben. Ziele der Rassen-Hygiene. Leipzig 1910 – : Was soll nun aus uns werden  ? In  : Blätter aus Niegard, Nebelung (November) 1923, 7–11 Hepp, Karl  : Ernährung und Landwirtschaft. Berlin 1922

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Anhang

Hermes, Andreas  : Stellung und Aufgaben der deutschen Landwirtschaft in der deutschen Wirtschaft. Berlin 1928 – : Um die Rettung der deutschen Landwirtschaft. Berlin 1929 Herrfahrdt, Heinrich  : Das Problem der berufsständischen Vertretung von der französischen Revolution bis zur Gegenwart. Stuttgart 1921 Hertz, Friedrich  : Rasse und Kultur. Eine kritische Untersuchung der Rassentheorien. Leipzig 1915 (3. Aufl. 1925) – : Hans Günther als Rassenforscher. Berlin 1930 Heuss, Theodor  : Hitlers Weg. Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozialismus. Stuttgart 1932 Hildebrandt, Friedrich  : Nationalsozialismus und Landarbeiterschaft. NS-Bibliothek, Heft 17. München 1931 Hintze, Otto  : Rasse und Nationalität und ihre Bedeutung für die Geschichte. Historische und politische Aufsätze, Bd. 4. Berlin 1919 – : Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte. Leipzig 1941 Hipfinger, Harald  : Vom Reichserbhofrecht. Ziel und Inhalt des Reichserbhofgesetzes. Berlin 1939 Hitler, Adolf  : Mein Kampf. München. 2 Bde. 1925/1927 (13. Aufl. 1932) – : Hitler. Mein Kampf. Eine kritische Edition, hg. von Christian Hartmann u. a. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte. München – Berlin 2016 [Krit. Ed.] – : Hitlers zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahre 1928. Hg. von Gerhard L. Weinberg i. A. des IfZ. Stuttgart 1961 – : Hitlers Wollen nach Kernsätzen aus seinen Reden und Schriften. Hg. von W. Siebarth. Berlin 1935 – : Adolf Hitler in Franken. Reden aus der Kampfzeit. Nürnberg 1939 Hoffmann, Fritz Hugo  : Ostland – Erneuerungsraum. In  : Blut und Boden 1/1929, 206 ff. –  : Volk ohne Raum  ? – Raum ohne Volk  ? In  : Neues Leben. Monatsschrift für nordisch-deutsches Wesen, 1/1930, 6 ff. Hoffmann, Herbert  : Blut und Boden, Wirtschaft und Politik. Wirtschaftserdkunde. Stuttgart 1936 Hohlfeld, Johannes  : Von der Genealogie zur Sippenkunde. Ein geistesgeschichtlicher Wandel in Deutschland. In  : Familiengeschichtliche Blätter 42/1944, 1–8 Hugenberg, Dr. Alfred  : Hugenberg und die Landwirtschaft. Berlin 1928 – : Entschuldung der Landwirtschaft. Das Hugenberg-Programm. Berlin 1931 Hundhammer, Alois  : Die landwirtschaftliche Berufsvertretung in Bayern. München 1926 Ipsen, Gunther  : Das Landvolk. Ein soziologischer Versuch. Hamburg 1933 – : Blut und Boden. Das preußische Erbhofrecht. (Kieler Vorträge über Volkstums- und Grenzlandfragen und den nordisch-baltischen Raum). Neumünster 1933a Jähning, Werner  : Osthilfe, landwirtschaftliche Entschuldung und ihre Auswirkungen. Kiel 1938 Jung, Edgar J.: Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung. Berlin 1927 (2. Auflage 1929, 3. Aufl. 1930) – : Die Tragik der Kriegsgeneration. In  : Süddeutsche Monatshefte 27. Jg. 1929/30, 511–534 Kalckreuth, Eberhard Graf von  : Zur Rentabilität der Landwirtschaft. In  : Preußische Jahrbücher 202/1925, 31–38

Zeitgenössische Publikationen

Kenstler, A. Georg  : Bericht der ersten Artamanenschaft Limbach bei Wilsdruff in Sachsen. In  : Deutsche Bauernhochschule 4/1924, 56 ff. – : Im Geist der Landvolkbewegung zur deutschen Revolution. In  : Blut und Boden, Heft 7 (»Heuert«) 1930 Kern, Fritz  : Stammbaum und Artbild der Deutschen und ihrer Verwandten. Ein kultur- und rassengeschichtlicher Versuch. München 1927 Kiesenwetter, Otto von  : 25 Jahre wirtschaftspolitischen Kampfes. Geschichtliche Darstellung des Bundes der Landwirte. Berlin 1918 – : Übersicht über die Entwicklung des Organisationswesens in der deutschen Landwirtschaft. Berlin 1922 Kjellén, Rudolf  : Die Großmächte der Gegenwart. Leipzig 1914 (10. Aufl. 1916) – : Die Ideen von 1914. Eine weltgeschichtliche Perspektive. Leipzig 1916 – : Der Staat als Lebensform. Leipzig 1917 Klages, Ludwig  : Mensch und Erde. Jena 1913 (1929a, 11–41, 5. Aufl. 1937) – : Handschrift und Charakter. Jena 1917 (29. Aufl. Bonn 1989) – : Der Geist als Widersacher der Seele. 3 Bände, Leipzig 1929–1932 (5. Aufl. Bonn 1972) Knapp, Georg Friedrich  : Die Bauern-Befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens. 2 Bde. Leipzig 1867 Knobelsdorff, Manfred von  : R. Walther Darré. Die Ahnen deutscher Bauernführer, Bd. 1. Berlin o. J. (1935) Konopacki-Konopath, Hanno  : Ist Rasse Schicksal  ? Grundgedanken der völkischen Bewegung. München 1926 Kummer, Bernhard  : Die deutsche Ehe. Begegnungen und Gespräche. Leipzig 1930 (3. Aufl. 1937) – : Herd und Altar. Leipzig 1934 – (Hg.)  : Germanenkunde im Kulturkampf. Leipzig 1935 – : Midgards Untergang. Germanischer Kult und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten. Leipzig 1935 – : Ahnenglaube – Zukunftsglaube. In  : Zucht und Sitte, Goslar o. J., 69–75 Kummer, Kurt  : Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Siedlung in der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. Diss. Berlin 1929 – : Das neue Siedlungswerk zur Neubildung deutschen Bauerntums. In  : Berliner Börsen-Zeitung v. 25.7.1933 und Archiv für Innere Kolonisation, 1933, 459–462 – : Rassische Zielsetzung bei der Neubildung deutschen Bauerntums. In  : Archiv für Bevölkerungswissenschaft und Bevölkerungspolitik 4/1934, 348–351 – : Die Neubildung deutschen Bauerntums. In  : Runge, 1935, 159–168 – : Die Neubildung deutschen Bauerntums. In  : W. Clauß, 1935, 79–105 Küppers, Gustav Adolf  : Eigen Land. Dresden 1918 – : Vom Akademiker zum Siedler. Abenteuer und Erlebnisse. Berlin 1924 – : Deutsche Siedlung. Idee und Wirklichkeit. Gesamtdarstellung des deutschen Siedlungswesens in allen Formen und Spielarten. Berlin 1933 Lagarde, Paul de  : Deutsche Schriften. Göttingen 1885 (2. Aufl. 1891, 4. Aufl. 1903, 5. Aufl. 1920) – : Schriften für das deutsche Volk. Bd. 1  : Deutsche Schriften, hg. von Karl August Fischer  ; Bd. 2  : Ausgewählte Schriften, hg. von Paul Fischer. München 2. Aufl. 1934

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Anhang

Lammers, Hans Heinrich /Pfundtner, Hans/Koellreutter, Otto (Hg.)  : Die Verwaltungs-Akademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat. Hg. von der Reichskanzlei und dem Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern. Bd. I  : Die weltanschaulichen, politischen und staatsrechtlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Staates. Bd. II  : Der Aufbau den nationalsozialistischen Staates). Bd. III  : Die Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates. Berlin 1934 ff. Langbehn, Julius  : Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig 1893 (50. Aufl. 1922, Neuaufl. 2017) – : Niederdeutsches. Ein Beitrag zur Völkerpsychologie. Buchenbach-Baden 1924 – : Der Rembrandtdeutsche. Von seinem Freunde Momme Nissen. Freiburg 1926 – : Deutsches Denken. Gedrucktes und Ungedrucktes vom Rembrandtdeutschen. Ein Seherbuch. Leipzig 1933 Leers, Johann von  : Spenglers weltpolitisches System und der Nationalsozialismus. Berlin 1934 – : Geschichte auf rassischer Grundlage. Leipzig 1934 – : Der Weg des deutschen Bauern von der Frühzeit bis zur Gegenwart. Leipzig 1935 – : Odal. Das Lebensgesetz eines ewigen Deutschland. Goslar 1935 (3. Aufl. 1939) – : Des deutschen Bauern 1000-jähriger Kampf um deutsche Art und deutsches Recht. Goslar 1935 Lehmann, Melanie  : Verleger J. F. Lehmann. Ein Leben im Kampf für Deutschland. Lebenslauf und Briefe. München 1935 Lenz, Friedrich  : List. Der Mann und das Werk. München 1936 Lenz, Fritz  : Die Rasse als Wertprinzip. Zur Erneuerung der Ethik. München 1917 – : Menschliche Auslese und Rassenhygiene. München 1931 Lester, Paul/Millot, Jacques  : Les Races Humaines, 1936, dt.: Grundriß der Anthropologie, 1948 Ley, Robert  : Vom Wesen des Ständischen Aufbaus. In  : NS-Monatshefte 4/1933, 388 ff. List, Friedrich  : Das nationale System der politischen Ökonomie. 1841 – : Die Ackerverfassung, die Zwergwirtschaft und die Auswanderung. 1842 Lohse, Hinrich  : Der Nationalsozialismus und die deutsche Landwirtschaft. In  : NS-Jahrbuch 1927, 140 ff. Marr, Wilhelm  : Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht confessionellen Standpunkt aus betrachtet. Bern 1879 Mehrens, Bernhard  : Die Marktordnung des Reichsnährstandes. Berlin 1938 Meinhold, Willy  : Grundlagen der landwirtschaftlichen Marktordnung. Berlin 1937 Merkel, Hans  : Der Reichsnährstand und seine Marktordnung. Wirtschaftliche Selbstverwaltung unter ständischer Führung und staatlicher Aufsicht. In  : Odal 3/1935, 667 ff. – : Agrarpolitik. Leipzig 1942 Merkenschlager, Friedrich  : Götter, Helden und Günther. Eine Abwehr der Güntherschen Rassenkunde. Nürnberg o. J. (1927) – : Rassensonderung, Rassenmischung, Rassenwandlung. Berlin 1933 – : Zwischen Hünengrab und Pfahlbau. Berlin 1934 – /Saller, Karl  : Ofnet. Wanderungen zu den Mälern am Wege der Deutschen Rasse. Berlin 1934 Meyer, Elard Hugo  : Volkskunde. Geschichte der deutschen Lebensweise und Kultur. Straßburg 1898 Meyer, Herbert  : Friedelehe und Mutterrecht. Weimar 1927

Zeitgenössische Publikationen

Mielke, Robert  : Siedlungskunde des deutschen Volkes und ihre Beziehung zu Mensch und Landschaft. München 1927 Miller, Hans Georg  : Die deutsche Bauernhochschule auf entwicklungsgeschichtlicher, weltanschaulicher und agrarpolitischer Grundlage. Stuttgart 1928 Moeller van den Bruck, Arthur  : Das dritte Reich. Berlin 1923 (3. Aufl. 1931) – : Das Recht der jungen Völker. Sammlung politischer Aufsätze, hg. von Hans Schwarz. Berlin 1932 Mogge, Leberecht  : Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts. Jena 1913 Motz, Karl  : Blut und Boden. Die Grundlagen der deutschen Zukunft. Berlin 1934 – : Einleitung zum Film »Blut und Boden«. In  : Archiv des Reichsnährstandes, Bd. 52  : Der 1. Reichsbauerntag in Weimar. Berlin 1934 Müller, Adam  : Ausgewählte Abhandlungen, u. a. Agronomische Briefe, 1812, hg. von Jakob Baxa. Jena 1921 – : Die Elemente der Staatskunst, Vorlesungen1808/09, hg. von J. Baxa. 2 Bde. Leipzig 1922 – : Vom Geist der Gemeinschaft. 1810, hg. von F. Bülow. Leipzig 1931 Mulot, Arno  : Das Bauerntum in der deutschen Dichtung unserer Zeit. Stuttgart 1937 Nadler, Josef  : Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. 3 Bde. Regensburg 1912–1932 Neumann, H.: Der Landwirt auf dem Wege zum Erfolg. Berlin 1928 Niekisch, Ernst  : Die Entscheidung. Berlin 1930 – : Hitler, ein deutsches Verhängnis. Berlin 1932 Nissen, Benedikt Momme  : »Der Verfasser und sein Werk« (Vorwort zu Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen.). Leipzig 1922 – : Der Rembrandtdeutsche. Freiburg 1926 Oppenheimer, Franz  : Freiland in Deutschland. Berlin 1895 – : Die Siedlungsgenossenschaft. Leipzig 1896 (3. Aufl. 1922) – : Großgrundeigentum und soziale Frage. Berlin 1898 (2. Aufl. 1921) Pacyna, Günther  : Gustav Ruhland. Ein Kämpferleben für eine bodengebundene Volksordnung. Leipzig o. J. (1934) – : Die lebensgesetzliche Bedeutung des Erbhofrechts im Spiegel der deutschen Geschichte. Berlin o. J. (1934a) – : Der Kampf um Blut und Boden. In  : Der Schulungsbrief, hg. vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP. 5. Jg. 1938, 10. Folge, 334–362 Pesl, Ludwig D.: Nationalsozialismus und Bodenreform. Berlin 1932 – : Das Anerbenrecht. Langensalza 1932a Peßler, Wilhelm (Hg.)  : Handbuch der deutschen Volkskunde. Potsdam o. J. (1935) Peters, Wilhelm  : Die landwirtschaftliche Berufsvertretung. Berlin 1932 Pfenning, Andreas  : Das Deutschnationale Agrarprogramm und seine Realisierung. Itzehoe 1933 (Diss. Köln 1932) Ploetz, Alfred  : Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum Socialismus. Berlin 1895 – : Ziele und Aufgaben der Rassenhygiene. Braunschweig 1911 – : Reden und Vorträge. Tübingen 1911a – : Sozialanthropologie. Leipzig 1923

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Anhang

Ponfick, Hans  : Die Siedlungsgesetzgebung im Reich und in Preußen. Berlin 1924 Preußisches Ministerium für Landwirtschaft und Forsten (Hg.)  : Die deutsche ländliche Siedlung. Formen, Aufgaben, Ziele. Berlin 2. Aufl. 1931 Preußische Zentralgenossenschaftskasse (Hg.)  : Lage und Entwicklung der landwirtschaftlichen Großbetriebe in den östlichen Landesteilen. 3 Bde. Berlin 1928–1930 Proksch, Rudolf  : Artamanen. Der Beginn einer Bewegung zur Heimkehr der Jugend aufs Land. In  : Wille und Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend, 7/1939, Heft 5, 16–28 – : Vorkämpfer für Blut und Boden  : das Lebenswerk Hans Hohlfelders. In  : Odal 11/1942, 9–17 – : »Im Osten vollendet sich das Reich«. In  : Odal 11/1942a, 453 ff. Quante, Peter  : Die Flucht aus der Landwirtschaft. Berlin 1933 Raiffeisen, Friedrich Wilhelm  : Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter. Neuwied 1866 Ratzel, Friedrich  : Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehrs und des Krieges. München 1897, 2. Aufl. 1903 – : Anthropogeographie. Die geographische Verbreitung des Menschen. 2 Bde. Stuttgart 1909 Rechenbach, Horst  : Bauernschicksal ist Volkes Schicksal. Blutsfragen des deutschen Volkes. Berlin 1935 – : Das Bauerntum als Träger des deutschen Blutes. In  : W. Clauß, 1935, 46–64 – : Die Beurteilung des menschlichen Körpers. Goslar 1940 Reinke, Helmut  : Der deutsche Landarbeiter. Sein Kommen und Werden. Berlin 2. Aufl. 1935 Reischle, Hermann  : Reichsbauernführer Darré, der Kämpfer um Blut und Boden. Eine Lebensbeschreibung. Berlin 1933 (2. Aufl. 1935) – : Agrarpolitischer Apparat und Reichsnährstand. In  : NS-Monatshefte 5/1934, 809–813 – : Die geistigen Grundlagen der Marktordnung. Sammlung von Presseartikeln von 1932–1940 (mit einem Geleitwort von R. Walther Darré). München 1940 – /Saure, Wilhelm  : Aufgaben und Aufbau des Reichsnährstandes. Berlin 1934 – / – : Der Reichsnährstand. Aufbau, Aufgaben und Bedeutung (mit einem Geleitwort von R. Walther Darré). Berlin 2. Aufl. 1936 (3. Aufl. 1940) Rheden-Rheden, Hartwig von  : Bauerntum und völkische Erneuerung. Berlin 1927 – : Das Werden des deutschen Bauernstandes. Berlin 1927a Riehl, Wilhelm Heinrich  : Die Naturgeschichte des deutschen Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik. 4 Bde. Stuttgart 1851–1869  : Die bürgerliche Gesellschaft (1851)  ; Land und Leute (1854)  ; Die Familie (1855) und Wanderbuch (1869). Rieker, Karl-Heinz  : Das Wirtschaftsprogramm des Nationalsozialismus. Berlin 1933 Ritter, Kurt  : Die Notwendigkeit von Agrarzöllen in neuer Beweisführung. Berlin 1925 – : Staatshilfe oder Selbsthilfe zur Linderung der Agrarnot  ? Berlin 1928 Rohr, Hansjoachim von  : Die Agrarlage. Umrisse eines Gesamtplanes. Sonderdruck 20. Juli 1933 – : Bauernpolitik der Nationalregierung. Leipzig 1933 Rohr, Hans Olof von (Hg.)  : Großgrundbesitz im Umbruch der Zeit. Berlin 3. Aufl. 1935 Rosegger, Peter  : Ist die Dorfgeschichte in der Literatur berechtigt  ? In  : Das Land, 3. Jg. 1894/95 Rosenberg, Alfred  : Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft. München 1927 – : Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP. München 1930

Zeitgenössische Publikationen

– : Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkräfte unserer Zeit. München 1930 – : Gestaltung der Idee Blut und Erde. Reden und Aufsätze von 1933 bis 1935, Bd. 2, hg. von Thilo von Trotha. München 6. Aufl. 1938 – : Das Parteiprogramm. Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP. München 1940 Rössle, Wilhelm  : Ständestaat und politischer Staat. Tübingen 1934 Rosten, Curt  : Das ABC des Nationalsozialismus. Berlin 3. Aufl. 1933 Rudorff, Ernst  : Heimatschutz. Leipzig 1901 Ruhland, Gustav  : System der politischen Ökonomie. 3 Bde. Berlin 1903–1908. Unveränderter Neudruck mit einer Einleitung von R. Walther Darré, Leipzig 1933. Neuauflage, bearb. von Günther Pacyna, Goslar 1938, 3. Aufl. 1941 Runge, Friedrich Wilhelm (Hg.)  : Das Buch des deutschen Bauern. Berlin 1935 Saller, Karl  : Der Weg der deutschen Rasse. Leipzig 1934 Saure, Wilhelm  : Das Reichs-Erbhof-Gesetz. Was jeder davon wissen muß. Ein Leitfaden zum Reichserbhofrecht nebst dem Wortlaut des Reichserbhofgesetzes vom 29.9.1933 und der 1. Durchführungsverordnung vom 19.10.1933. Berlin 1933. (3., erw. Aufl. mit 2. DVO vom 19.12.1933, 1934 und 5. Aufl. 1938) – : Das Reichserbhofgesetz. Leitfaden und Textausgabe des großdeutschen Reichserbhofrechts. Berlin 6. Aufl. 1941 (mit einem Geleitwort Darrés) – : Reichsnährstandsgesetze. Die Gesetze und Verordnungen über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes. Berlin 1935 : Nationalsozialismus und Genossenschaftswesen. NS-Bibliothek, Heft 32. Schach, Eugen   München 1931 Schacht, Hjalmar  : Außenhandelsfragen. Weimar 1934 Schallmayer, Wilhelm  : Über die drohende körperliche Entartung der Kulturvölker. Berlin 1891 – : Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker. Eine staatswissenschaftliche Studie auf Grund der neueren Biologie. Jena 3. Aufl. 1918 (erstmals 1903) – : Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen und politischen Bedeutung. Preisgekrönte Studie über Volksentartung und Volkseugenik. Jena 2. Aufl. 1910 – : Vererbung und Auslese. Grundriß der Gesellschaftsbiologie und der Lehre vom Rassedienst. Jena 3. Aufl. 1918 – : Beiträge zu einer Nationalbiologie. Jena 1905 – : Einführung in die Rassenhygiene. Ein Beitrag zur Therapie der nationalbiologischen Kriegsschäden. O. O. 1917 – : Grundriß der Gesellschaftsbiologie und der Lehre vom Rassendienst. Jena 1918 Scheda, Karl (Hg.)  : Deutsches Bauerntum. Sein Werden, Niedergang und Aufstieg. Konstanz 1935 Schemann, Ludwig  : Gobineaus Rassenwerk. Stuttgart 1910 – : Gobineau. Eine Biographie. 2 Bde. Straßburg 1913/16 – : Gobineau und die deutsche Kultur. Leipzig 1919 – : Paul de Lagarde. Ein Lebens- und Erinnerungsbild. Leipzig 1919, 3. Aufl. Leipzig 1943 – : Die Rasse in den Geisteswissenschaften. 3 Bde. München 1927–1931 – : Die Rassenfragen im Schrifttum der Neuzeit. München 1931 Schiele, Georg Wilhelm  : Völkische Agrarpolitik. Naumburg 1925 Schiele, Martin  : Die Agrarpolitik der Deutschnationalen Volkspartei 1925–1928. Berlin 1928

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Anhang

– : Der Schutz der deutschen Landwirtschaft. Berlin 1930 – : Umstellung des deutschen Getreidebaus. Berlin 1930 Schlange-Schöningen, Hans  : Rationalwirtschaft und Nationalwirtschaft. Betrachtungen eines praktischen Landwirts. Berlin 1927a – : Die Rettung der Landwirtschaft. Berlin 1927 – : Landwirtschaft von heute. Unternehmergeist und zeitgemäßer Betrieb. Berlin 1931 – : Acker und Arbeit. Oldenburg 1932 – : Bauer und Boden. Deutschlands Erneuerung aus der Scholle. Hamburg 1933 Schlund, P. Erhard  : Neugermanisches Heidentum im heutigen Deutschland. München 1924 Schmahl, Eugen/Seipel, Wilhelm  : Die antisemitische Bauernbewegung in Hessen von der Böckelzeit bis zum Nationalsozialismus. Gießen o. J. (1933) – /– : Der hessische Bauer im Kampf um Acker und Hof. Die völkische Bauernbewegung in Hessen von der Böckelzeit bis zum Nationalsozialismus. Gießen 1934 Schmidt, Paul  : Blut und Boden. Unsere Landwirtschaft im Dritten Reich für die deutsche Jugend dargestellt. Breslau 1933 Schmidt-Pauli, Edgar von  : Die Männer um Hitler. Berlin 1932 Schmitt, Carl  : Politische Romantik. München 2. Aufl. 1925 Schneider, Hermann  : Unser täglich Brot. Lebensfragen der deutschen Landwirtschaft. NSBibliothek, Heft 19. München 1930 Schoenichen, Walther  : Naturschutz im Dritten Reich. Einführung in Wesen und Grundlagen zeitgemäßer Naturschutz-Arbeit. Berlin 1934 Schreiber, Ernst Martin  : Kampf um den Rhein. Der Mittelrhein unter französischer Fremdherrschaft. Mainz 1940 Schrickel, Leonhard  : Weimar, eine Wallfahrt in die Heimat aller Deutschen. Weimar 1926 Schürmann, Artur  : Deutsche Agrarpolitik. Neudamm 1941 Schultz, Bruno Kurt  : Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege. München 1933 Schultze-Naumburg, Paul  : Die Gestaltung der Landschaft durch den Menschen. München 1916 (2. Aufl. 1922) – : Häusliche Kunstpflege. Leipzig 1902 – : Kulturarbeiten. 1. Bd.: Hausbau, 2. Bd.: Gärten, 3. Bd.: Dörfer und Kolonien, 4. Bd. Städtebau, 5. Bd.: Kleinbürgerhäuser, 6. Bd.: Das Schloß, 7. Bd.: Gestaltung der Landschaft. München 1902–1916 – : Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung. Leipzig 1903 – : Vortrag auf der konstituierenden Versammlung des Bundes Heimatschutz. In  : Mitteilungen des Bundes Heimatschutz, 1. Jg. 1904/05 – : Kunst und Rasse. München 1928 – : Der deutsche Heimatschutz. Ein Rückblick und Ausblick. München 1930 – : Kampf um die Kunst. NS-Bibliothek, Heft 36. München 1932 – : Rassengebundene Kunst. Berlin 1934 – : Die Bedeutung der Rasse in der Baukunst. In  : VuR 9/1934, 288–310 – : Kunst aus Blut und Boden. München 1934 – : Nordische Schönheit. Ihr Wunschbild im Leben und in der Kunst. München 1937 Seipel, Willi  : Landvolkpartei oder Hitler-Bewegung  ? München 1932 Seraphim, Hans-Jürgen  : Deutsche Bauernpolitik. Berlin 1936 Sering, Max  : Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland. Leipzig 1893

Zeitgenössische Publikationen

– (Hg.)  : Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen (Im Auftrage des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten). 14 Bde. Berlin 1897–1907 – : Vererbung des ländlichen Grundbesitzes und ländliches Erbrecht. In  : Wörterbuch der Volkswirtschaft, hg. von L. Elstner. Jena 3. Aufl. 1911 – : Agrarkrisen und Agrarzölle. Berlin 1925 – /Dietze, Constantin von (Hg.)  : Die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes in der Nachkriegszeit. 3 Bde. Schriften des Vereins für Socialpolitik, 178. Bd. Berlin 1930 – (Hg.)  : Die deutsche Landwirtschaft unter volks- und weltwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Berlin 1932 – : Die ländliche Siedlung in Deutschland. Ziele und Wege. Staatspolitische Bedeutung. Gutachten zur Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft in Bad Oeynhausen. 1933 – : Erbhofrecht und Entschuldung unter rechtsgeschichtlichen, volkswirtschaftlichen und biologischen Gesichtspunkten (als Manuskript gedruckt), 1934 – /Niehaus, Heinrich/Schlömer, Friedrich  : Deutsche Agrarpolitik auf geschichtlicher und landeskundlicher Grundlage. Leipzig 1934 Skalweit, August  : Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft. Stuttgart 1927 Sohnrey, Heinrich  : Der Zug vom Lande und die soziale Revolution. Leipzig 1894 – : Die Bedeutung der Landbevölkerung im Staate und unsere besonderen Aufgaben auf dem Lande. Berlin 1896 – : Wegweiser für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege. Berlin 1900 – : Das Glück auf dem Lande. Berlin 1905 – : Grete Lenz. Leben und Erlebnisse eines Großstadtkindes. Dresden 1909 Sombart, Werner  : Händler und Helden. Patriotische Besinnungen. München 1915 Spahn, Martin  : Die Großmächte. Richtlinien ihrer Geschichte, Maßstäbe ihres Wesens. Berlin 1918 – : Für den Reichsgedanken. Eine Aufsatzsammlung. Bonn 1936 Spann, Othmar  : Der wahre Staat. Leipzig 1921, 1923 und 1931 – : Ein ständisches Programm der Agrarreform. In  : Schmollers Jahrbuch 50/1926, 39–42 – : Hauptpunkte der universalistischen Staatsauffassung. Berlin 1930 – : Gesellschaftslehre. Leipzig 1930a Spemann, Franz  : Von Heinrich Riehl bis Oswald Spengler. Ein Beitrag zum Verständnis der Bibel in unserer Zeit. Berlin 1926 Spengler, Oswald  : Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. 2 Bde. Wien 1918, München 1922 und München 1923 – : Jahre der Entscheidung. München 1933 – : Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 1980 Spranger, Eduard  : Der Bildungswert der Heimatkunde. Mit einem Anhang »Volkstum und Erziehung«. Stuttgart 1923 (3. Aufl. 1952) Stapel, Wilhelm  : Volksbürgerliche Erziehung. Hamburg 1917 (1942 unter dem Titel  : Volk. Untersuchungen über Volkheit und Volkstum) – : Antisemitismus und Antigermanismus. Über das seelische Problem der Symbiose des deutschen und jüdischen Volkes. Hamburg 1928 Stavenhagen, Kurt  : Heimat als Grundlage menschlicher Existenz. Göttingen 1939 Steding, Fritz  : Die Kartellierung der Landwirtschaft. Berlin 1928

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Anhang

Steiner, Rudolf  : Landwirtschaftlicher Vortragszyklus, abgehalten bei Graf Keyserlingk in Koberwitz zu Pfingsten 1924 Stengel-von Rutkowski, Lothar  : Hans F. K. Günther, der Programmatiker des Nordischen Gedankens. In  : NS-Monatshefte 6/1935, 962 ff. Stoddard, Theodore  : Der Kulturumsturz. Die Drohung des Untermenschen. München 1925 (The Revolt Against Civilisation. 1922) Stoecker, Adolf  : Das moderne Judentum in Deutschland, besonders in Berlin. Berlin 2. Aufl. 1880 Stoll, Heinrich  : Deutsches Bauernrecht. Tübingen 1935 (5. Aufl. 1944) Strasser, Gregor  : Der Nationalsozialismus. Die Weltanschauung des 20.  Jahrhunderts. München 1930 – : Kampf um Deutschland. Reden und Aufsätze eines Nationalsozialisten. München 1932 Stuckart, Wilhelm/Schiedermair, Rolf  : Rassen- und Erbpflege in der Gesetzgebung des Dritten Reiches. Leipzig 1939 Tanzmann, Bruno  : Denkschrift zur Begründung einer deutschen Volkshochschule. Hellerau bei Dresden 1917 – : Die neue Bauernbotschaft. In  : Deutsche Bauernhochschule, Vorheft 1919, 1 ff. – : Die Sendung der deutschen Jugend. In  : Deutsche Bauernhochschule 3/1923, 8 f. – : Aufbruch der Artamanen. In  : Deutsche Bauernhochschule 4/1924, 1 ff. Terstegen, Otto  : Ernst Moritz Arndts Kampf für das deutsche Bauerntum. Bonn 1942 Tille, Alexander  : Volksdienst. Von einem Sozialaristokraten. 1893 (anonym erschienen) Topf, Erwin  : Die Grüne Front. Der Kampf um den deutschen Acker. Berlin 1933 Ungewitter, Richard  : Die Nacktheit in entwicklungsgeschichtlicher, gesundheitlicher, moralischer und künstlerischer Bedeutung. Stuttgart 1905 Vacher de Lapouge, Georges  : Les selections sociales. Paris 1896 – : L’Aryen. Son role social. Paris 1899 (Der Arier und seine Bedeutung für die Gemeinschaft. Frankfurt/M. 1939) Vierzig Jahre Dienst am Deutschtum (1890–1930). Festschrift für J. F. Lehmanns Verlag. München 1930 Vogels, Werner  : Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933. Kommentar. Berlin 4. Aufl. 1937 Wagemann, Gustav  : Bäuerliches Erbhofrecht vom 15. Mai 1933 nebst Ausführungsverordnung. Mit einem Geleitwort von Hans Kerrl und einem Beitrag von Roland Freisler. Berlin 1933 Wahrmund, Adolf  : Das Gesetz des Nomadentums und die heutige Judenherrschaft. Leipzig 1887 Weber, Otto  : Nationalsozialismus und Bauerntum. Ein Handbuch zur Klärung der nationalsozialistischen Frage. Weimar o. J. (1929) Wegener, W.: Nationale Fettwirtschaft. Fünf Jahre Fettplan. Kempten 1938 Weismann, August  : Die Allmacht der Naturzüchtung. Jena 1893 Wenzel, Fritz  : Unser Reichsbauernführer Richard Walther Darré und seine Mitkämpfer. Der Sieg von Blut und Boden. Dargestellt für Volk und Jugend. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Meinberg. Berlin 2. Aufl. 1934 Westarp, Kuno Graf von  : Bauernnot – Volkesnot. Das Arbeitsprogramm des Reichstages und das landwirtschaftliche Programm der Deutschnationalen Volkspartei. Berlin 1928 Wilbrandt, H  : Agrarkrise und Rationalisierung. Landwirtschaftliche Einkommenssteigerung durch Produktionsförderung. Berlin 1930

Sekundärliteratur

Willikens, Werner  : Nationalsozialismus und Landvolk. In  : NS-Jahrbuch 1929, 192 ff. – : Der Boden im Dritten Reich. In  : NS-Jahrbuch 1930, 197 ff. – : Nationalsozialistische Agrarpolitik. Mit einem Geleitwort von R. Walter [sic] Darré. München 1931 Winnig, August  : Befreiung. München 1926 – : Das Reich als Republik 1918–1928. Stuttgart 1928 (4. Aufl. 1930) – : Wir hüten das Feuer. Aufsätze und Reden aus zehn Jahren. Hamburg 1933 – : Aus zwanzig Jahren 1925–1945. Hamburg 1949 Wirsing, Giselher  : Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft. Jena 1932 – : Deutschland und die Weltpolitik. Jena 1933 Woltmann, Ludwig  : Politische Anthropologie. Jena 1903 Wundt, Max  : Staatsphilosophie. Ein Buch für Deutsche. München 1923 – : Was heißt völkisch  ? Langensalza 1924 (auch  : Volk, Volkstum, Volkheit) – : Deutsche Weltanschauung. Grundzüge des völkischen Denkens. München 1926 – : Aufstieg und Niedergang der Völker. Gedanken über Weltgeschichte auf rassischer Grundlage. München o. J. (1939) Ziegler, Hans Severus  : Praktische Kulturarbeit im Dritten Reich. Anregungen und Richtlinien für die künftige Volkserziehung. NS-Bibliothek, Heft 22. München 1930 – : Adolf Bartels, ein völkischer Vorkämpfer der deutschen Jugend. Erfurt 1943 – : Adolf Hitler, aus dem Erleben dargestellt. Göttingen 2. Aufl. 1964 Sekundärliteratur Abel, Wilhelm  : Die Geschichte der deutschen Landwirtschaft. Stuttgart 1962 Abelshauser, Werner/Faust, Anselm/Petzina, Dietmar  : Deutsche Sozialgeschichte, Bd. 3  : 1914– 1945. München 1985 Achilles, Walter  : Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der Industrialisierung. Stuttgart 1993 – : Landflucht oder Landvertreibung zwischen 1850 und 1914  ? In  : Günther Schulz, 1996, 77– 106 Ackermann, Josef  : Heinrich Himmler als Ideologe. Göttingen 1970 Adam, Uwe Dietrich  : Zur Entstehung und Auswirkung des Reichsbürgergesetzes. In  : APuZ, 48/1985, 14–27 Alemann, Ulrich von (Hg.)  : Neokorporatismus. Frankfurt/M. 1981 – /Heinze, Rolf (Hg.)  : Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus. Opladen 1981 Alleweldt, Bertold  : Herbert Backe. Eine politische Biographie. Berlin 2011 Altenbockum, Jasper von  : Wilhelm Heinrich Riehl 1823–1897. Sozialwissenschaft zwischen Kulturgeschichte und Ethnographie. Köln 1994 Altgeld, Wolfgang  : Volk, Rasse, Raum. Völkisches Denken und radikaler Nationalismus im Vorfeld des Nationalsozialismus. In  : Lill/Oberreuter, 1996, 95–119 Alvermann, Dirk/Garbe, Irmfried (Hg.)  : Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen. Köln 2011

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AfA Amt für Agrarpolitik in der Reichsleitung der NSDAP AO Anordnung ApA Agrarpolitischer Apparat der NSDAP Aus Politik und Zeitgeschichte APuZ BA Bundesarchiv, Koblenz und Berlin Berlin Document Center BDC BdL Bund der Landwirte BDM Bund Deutscher Mädel Bf. Brief BGB Bürgerliches Gesetzbuch Bl. Blatt BuB Um Blut und Boden (R. Walther Darré) BüL Berichte über Landwirtschaft Bayerische Volkspartei BVP CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CNBLP Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei DA Deutsche Agrarpolitik DAF Deutsche Arbeitsfront DAG Deutsche Adelsgenossenschaft DBB Deutscher Bauernbund Deutsche Demokratische Partei (ab 1930 Deutsche Staatspartei) DDP Deutschlands Erneuerung DE DGB Deutscher Gewerkschaftsbund (1919–1933) Deutsche Getreide-Handelsgesellschaft DGH Diss Dissertation DKS Deutsche Kolonialschule in Witzenhausen Deutscher Landbund DLB DLG Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft Deutscher Landwirtschaftsrat DLR DNVP Deutschnationale Volkspartei Deutschvölkische Freiheitspartei DVFP DVO Durchführungsverordnung DVP Deutsche Volkspartei EK Eisernes Kreuz EuW Erkenntnisse und Werden (R. Walther Darré) Fs. Festschrift Gestapo Geheime Staatspolizei Geschichte und Gesellschaft GG GL Gauleiter/Gauleitung GNdB Gesetz zur Neubildung deutschen Bauerntums GStA Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HA Hauptabteilung Hg. Herausgeber HJ Hitlerjugend

Abkürzungen

HV Hauptvereinigung HZ Historische Zeitschrift id est (das ist) i.e. IfZ Institut für Zeitgeschichte, München/Berlin IMG Internationaler Militärgerichtshof International Military Tribunal IMT KBF Kreisbauernführer Kl. RkdV Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther) KPD Kommunistische Partei Deutschlands Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften KWG KWI Kaiser-Wilhelm-Institut KZ Konzentrationslager LB Landbund LBF Landesbauernführer LBS Landesbauernschaft Landwirtschaftlicher Gaufachberater LGF LK Landwirtschaftskammer Landwirtschaftlicher Kreisfachberater LKF LOF Landwirtschaftliche Ortsgruppenfachberater LRF Landwirtschaftlicher Reichsleitungsfachberater LT Landtag LVL Landwirtschaftliche Vertrauensleute MdR Mitglied des Reichstags MinR Ministerialrat MO Marktordnung MP Ministerpräsident Ms. Manuskript MV Marktverband NL Nachlass Nachlass Backe NLB NLD Nachlass Darré NLK Nachlass Kenstler Nord. Ged. Der nordische Gedanke unter den Deutschen (Hans F. K. Günther) NPL Neue Politische Literatur NS Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSL Nationalsozialistische Landpost NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt OBF Ortsbauernführer OP Oberpräsident OPG Oberstes Parteigericht der NSDAP PA Pressearchiv Pg. Parteigenosse PO Politische Organisation der NSDAP

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PL Politischer Leiter der NSDAP PrEG Preußisches Erbhofgesetz PrGS Preußische Gesetzessammlung PrStMin Preußisches Staatsministerium RAM Reichsarbeitsminister(ium) Rasseamt der SS RAS RBF Reichsbauernführer RBR Reichsbauernrat RBT Reichsbauerntag REG Reichserbhofgesetz Rep. Repositur Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauernstandes RFG RFM Reichsminister(ium) der Finanzen Reichsführer SS RFSS RGBl. Reichsgesetzblatt RHG Reichsheimstättengesetz RJM Reichsjustizminister(ium) RK Reichskanzler, Reichskommissar RkdV Rassenkunde des deutschen Volkes (Hans F. K. Günther) RKF Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums Rklei Reichskanzlei Reichsleiter/ung der NSDAP RL RLB Reichslandbund RM Reichsmark RMEL Reichsminister(ium) für Ernährung und Landwirtschaft RMI Reichsminister(ium) des Inneren Reichsminister(ium) für Volksaufklärung und Propaganda RMVP RNSt Reichsnährstand RNStG Reichsnährstandsgesetz RNVbl. Verkündungsblatt des Reichsnährstandes Reichsobmann für die bäuerlichen Selbstverwaltung bzw. des Reichsnährstandes RO ROL Reichsorganisationsleiter/leitung der NSDAP RP Reichspräsident Rs. Rundschreiben RSG Reichssiedlungsgesetz RSHA Reichssicherheitshauptamt RSt Reichsstelle des RNSt RT Reichstag RuS Rasse und Siedlung RuSA Rasse- und Siedlungsamt der SS RuSHA Rasse- und Siedlungshauptamt der SS RWM Reichswirtschaftsminister(ium) SA Sturmabteilung der NSDAP SD Sicherheitsdienst der SS Slg. Sammlung

Abbildungsnachweis

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SRs. Sonderrundschreiben SS Schutzstaffel StAF Führer des Stabsamtes des Reichsbauernführers StAG Stadtarchiv Goslar Statistik des Deutschen Reiches StDR StGB Strafgesetzbuch Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich StJb StS Staatssekretär Untersuchungs- und Schlichtungsamt der NSDAP Uschla Völkischer Beobachter VB VDA Verein für das Deutschtum im Ausland VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VO Verordnung VSWG Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Vergangenheit und Gegenwart VuG VuR Volk und Rasse WHV Winterhilfswerk WRV Weimarer Reichsverfassung WTB Wolff ’s Telegraphisches Büro Wirtschaftliche Vereinigung des RNSt WV Z Zentrum(spartei) ZAA Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie zur besonderen Verwendung z.B.V. ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft zit. n. zitiert nach Abbildungsnachweis Archiv der deutschen Jugendbewegung  : 18, 12 Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv  : 21 Bundesarchiv  : Cover, 22 Kampf und Sieg in Thüringen. Im Geiste des Führers und in treuer Kameradschaft gewidmet den thüringischen Vorkämpfern des nationalsozialistischen Dritten Reiches von Fritz Sauckel. Zum Gauparteitag 1934 herausgegeben vom Gauleiter der NSDAP. Thüringen im Verlag der Thüringischen Staatszeitung Weimar. Weimar 1934, S. 61 und 69 Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar  : 6 (Foto  : Hermann Eckner), 10 (Foto  : Walter Hege. © VG Bild-Kunst, Bonn 2018), 11 (Foto  : Walter Hege. © VG Bild-Kunst, Bonn 2018) M. Lehmann (Hg.)  : Verleger J. F. Lehmann. Lehmanns Verlag, München 1935  : 7 G. Pausewang  : Rosinkawiese. DTV, München 1987  : 17 H. Reischle  : Reichsbauernführer Darré. »Zeitgeschichte«, Verlag und Betriebs-Gesellschaft, Berlin 1933  : 1, 2, 4, 5 Privatbesitz  : 3, 8, 9, 13, 14, 19 Sammlung Bernhard Gelderblom, Hameln  : 15 (Fotograf unbekannt)

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Karl Scheda (Hg.)  : Deutsches Bauerntum. Verlag Carl Ehlers, Konstanz 1935  : 16, 20, 24, 25 Süddeutsche Zeitung, 14./15.4.2012  : 23

Personenregister Abendroth, Wolfgang 357 Abramowitsch, Scholem Jankew 312 Adelung, Bernhard 604 Adorno, Theodor W. 169 Aereboe, Friedrich 365, 371 Alarich 203 Aly, Götz 310, 338, 624 Amira, Karl 194, 204 Ammon, Otto 272, 273, 283, 490, 491, 493 Arauner, Richard 573, 581 Arendt, Hannah 161, 164, 323 Ariovist 203 Arndt, Ernst Moritz 312, 313, 343, 345, 423 – 425, 505, 507 Arning, Wilhelm 37, 38, 46, 49 Astel, Karl 337 Auerbach, Berthold 520 August der Starke 275 Baade, Fritz 460 Backe, Herbert 21, 39, 172, 342, 374, 376, 384, 408, 419, 453, 583, 586, 625, 631, 636, 661 – 664, 666 Bacon, Francis 163 Bang, Paul 92, 651 Barmat, Julius 596 Barrès, Maurice 349, 350, 356, 513, 524, 545 Bartels, Adolf 106, 120, 121, 126 – 128, 131, 310, 418, 419, 490, 514, 517, 521, 522, 524 Bartes, Karl 531 Bartsch, Erhard 541 Baum, Erwin 457, 458 Baur, Erwin 93, 94, 288 – 290 Ben-Gurion, David 311 Bentheim-Tecklenburg, Adolf zu 366 Bergson, Henri 248, 250 Best, Werner 56, 172, 603 – 605 Beste, Konrad 525 Bethge, Albert 456 Bethke, Hermann 607, 608, 653 Bethmann-Hollweg, Theobald von 55 Bilz, Friedrich Eduard 533, 534

Binding, Karl 284, 328 Birt, Theodor 204 Bismarck, Otto von 73, 77, 189, 217, 319, 344, 436, 444, 445, 448, 513, 527, 637 Bloedorn, Wilhelm 614, 648 Blomberg, Werner von 620 Blunk, Friedrich 525 Boas, Franz 502 – 504 Böckel, Otto 319, 441 Boehm, Max Hildebert 142, 254, 255, 347, 356, 413, 512, 545 Böhmer, Rudolf 154, 301, 364, 565 Böll, Heinrich 16 Bormann, Martin 38, 172 Böttger, Ernst 604, 606, 608, 610, 615, 639 Bramwell, Anna 13, 259, 340, 350, 541, 547 Brandes, Ernst 46, 49, 50, 116, 438, 457, 461, 463, 582, 607, 642, 643, 653 Braun, Magnus von 375, 392, 397, 399, 437, 454, 599 – 601, 614, 616 – 618 Brecht, Bertolt 128 Brentano, Lujo 371, 448 Broszat, Martin 173 Bruckmann, Anton 150, 152 Brückner, Helmuth 403, 594 Brüning, Heinrich 390, 395, 399, 445, 453, 456, 457, 555, 556, 584, 589, 594, 597, 598, 602, 604, 614, 616, 617 Bühlow, Bernhard von 444 Bullock, Alan 560 Burgdörfer, Friedrich 293, 434, 435, 491, 518 Busse, Hermann Eris 216, 523 Busolt, Georg 204, 206 Buttlar-Venedien, Burkhard von 582, 607 Caprivi, Leo von 147, 319, 320, 436, 444, 445, 448, 460 Cäsar, Julius 203 Chamberlain, Houston Stewart 42, 68 – 74, 77, 78, 82, 88, 90, 93, 98, 100, 136, 178 – 181, 183, 192, 196, 207, 221, 224 – 226, 240, 255, 270, 291, 305, 315, 498

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Personenregister Chamisso, Adalbert von 449 Churchill, Winston 54 Clauß, Ludwig Ferdinand 105, 110, 198 Claß, Heinrich 92, 93, 106, 292, 317, 390, 412, 495 Conrad, Michael Georg 219, 349 Conrad-Martius, Hedwig 270, 276, 280 Conwentz, Hugo 535 Conze, Werner 166, 373 Corni, Gustavo 13, 14 Corswant-Cuntzow, Walther von 125, 576, 582 Coudenhove-Kalergi, Graf 222 Curtius, Ernst Robert 544 Dalcroze, Jacques 532 d’Alquen, Gunther 299 Damaschke, Adolf 307, 358 – 361, 363, 397, 443, 529, 532, 588 Darré, Alma geb. Staadt 24, 37, 39, 135 – 138, 544.  siehe auch Staadt, Alma Darré, Charlotte geb. Freiin von Vietinghoff 13, 25, 136, 138 – 140.  siehe auch VietinghoffScheel, Charlotte von Darré, Eleonore, geb. Lagergren 21, 24 Darré, Erich 302 Darré, Richard Oskar 21, 24 Darwin, Charles 40, 64, 69, 98, 197, 227, 228, 261, 262, 264 – 267, 269, 271, 273 – 277, 283, 325, 405, 528 David, Eduard 365, 385 Dawes, Charles G. 60, 67 Deetjen, Hanns 14, 487, 578 Deininger, Johann 573, 574, 636 Deniker, Joseph 77 Destutt de Tracy, Antoine 163 Dewitz, Jobst von 222 Dierkes, Johannes 390 – 392 Dietrich, Sepp 260 Dietze, Constantin von 371, 460, 469 Dinter, Artur 98, 126 Disraeli, Benjamin 97, 306 Dix, Otto 130 Dollfuß, Engelbert 150, 475, 476 Dörfler, Peter 523 Draper, John William 269 Drexler, Anton 113 Driesmans, Heinrich 226

Duem, Erich 415 Duesterberg, Theodor 594 – 596 Dühring, Eugen 315, 316 Dürer, Albrecht 76 Dürrenmatt, Friedrich 161 Ebert, Friedrich 34, 126 Eckart, Dietrich 113 Eichenauer, Richard 105, 183, 217, 301 Eichmann, Adolf 312, 324 Eidenbenz, Matthias 13, 172 Eisner, Kurt 319 Engels, Friedrich 163, 171, 443, 547 Epp, Franz Ritter von 415 Erzberger, Matthias 62, 392 Eschenburg, Theodor 174, 554 Eyth, Max 437 Fabarius, Ernst Albert 35, 36 Falke, Friedrich 492 Falkenhayn, Erich von 33 Falter, Jürgen 589 Farquharson, John E. 377, 547 Feder, Gottfried 113, 116, 204, 400, 477, 478, 568, 578, 588, 652, 653 Fehr, Anton 442, 443, 457, 461, 640 Feininger, Lyonel 130 Ferrero, Guglielmo 206 Fest, Joachim C. 161, 625 Fichte, Johann Gottlieb 145, 343, 345, 389, 414, 431, 432, 450 Finckh, Ludwig 523 Fircks, Wilhelm von 552, 578 Fischer, Eugen 76, 87, 93, 94, 131, 278, 284, 285, 288 – 294, 296, 306 Fischer, Fritz 219 Fontane, Theodor 218, 219, 510 Förster, Bernhard 320 Frank, Hans 113, 578 Franze, Paul 267 François-Poncet, André 619 Frauendorfer, Max 477 Frauendorfer, Sigmund 371, 373, 426, 431, 432, 447, 478 Freese, Heinrich 360 Freisler, Roland 374

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Personenregister Frenssen, Gustav 522 Freyer, Hans 253, 545, 630 Frick, Wilhelm 125, 126, 128 – 131, 134, 153, 156, 279, 293, 350, 457, 552, 588, 604, 657 Friedrich II. (der Große) 189, 354, 421 Friedrich Wilhelm I. 648 Friedrich Wilhelm III. 370, 422 Fritsch, Theodor 65, 106, 112 – 114, 142, 185, 186, 231, 306, 315, 532 Frölich, Gustav 39 – 44, 91, 100, 204 Frymann, Daniel.  siehe Claß, Heinrich Galton, Francis 283, 284 Gandhi, Mahatma 537 Ganghofer, Ludwig 520, 521 Gayl, Wilhelm von 386 Geiger, Theodor 163, 164, 470, 620 Geißler, Heiner 628 George, Henry 357, 358, 360 George, Stefan 250 Gersdorff, Wolfgang von 239 Gerstenhauer, Max Robert 105, 106, 109, 113, 121, 142, 144, 263, 286, 287, 378, 418, 492, 493, 513 Geulen, Christian 263 Gierke, Otto von 372, 373 Gilbert, Seymour P. 206 Gisevius, Hans Bernd 43, 659 Gisevius, Paul 43, 44 Glagau, Otto 314, 319 Gleichen, Heinrich von 473 Gobineau, Joseph Arthur Conte de 77, 82, 83, 93, 127, 130, 176, 183, 192, 200, 210, 225 – 227, 261, 262, 264, 270, 272, 283, 291, 292, 303, 315, 324, 490, 509 Goebbels, Joseph 95, 105, 126, 134, 153, 156, 172, 316, 359, 360, 400, 404, 415, 437, 488, 552, 578, 584, 595, 613, 624, 625, 649, 658, 661, 665 Goethe, Johann Wolfgang 126, 421 Goetz, Walter Wilhelm 82 Goldhagen, Daniel 313 Goltz, Günther von der 105 Göring, Hermann 25, 85, 126, 131, 134, 153, 156, 172, 366, 453, 488, 552, 599, 601, 625, 642, 655, 656, 660, 661, 666 Gotthelf, Jeremias 520 Gracchus, Tiberius 202

Grant, Madison 87, 273, 283 Granzow, Walter 125, 403 – 405, 587, 602, 640, 641 Gräser, Arthur Gustav 536, 537 Grebing, Helga 113, 269 Griese, Friedrich 524, 525 Grimm, Hans 101, 124, 154, 187, 355, 363, 415, 491, 545 Gropius, Walter 17, 129 Gross, Raphael 330, 338 Grosser, Alfred 312 Groß, Walter 110, 322, 379 Grotjahn, Alfred 278, 279, 282 Gruhl, Herbert 542 Grundmann, Friedrich 376, 382 – 384 Grundtvig, Nikolai Frederick Severin 120, 517 Gundlach, Gustav 474 Günther, Hans F. K. 42, 68, 75 – 88, 90, 93, 96, 100 – 104, 106, 107, 110, 111, 114, 115, 118, 119, 122, 123, 125, 130 – 135, 137, 142, 143, 145, 154, 156, 157, 175 – 178, 180 – 184, 188, 190, 192, 196 – 198, 204, 211, 212, 214 – 216, 219, 223 – 225, 228, 229, 240, 241, 243, 249, 251, 252, 259, 260, 262, 263, 270, 273, 280, 281, 283, 284, 287, 292 – 294, 302, 305, 325, 329, 335, 337, 351, 352, 378, 380, 404, 414, 457, 494, 499, 502, 512, 547 Gürtner, Franz 366, 375 Gütt, Arthur 293 Haas, Wilhelm 438 – 440 Habicht, Theodor 150, 476 Hadas-Handelsman, Yakov 312 Haeckel, Ernst 113, 130, 228, 265, 280, 284, 291, 540 Haecker, Valentin 40, 68, 74, 100, 269 Haffner, Sebastian 56 Halbe, Max 525 Hamkens, Wilhelm 147, 152 Hamsun, Knut 249, 524 Hanssen, Georg 432, 491, 518 Hardenberg, Karl August von 153, 204, 312, 319, 370, 372, 373, 426, 427, 430, 433 Hardt, Richard von 21 Hartmann, Franz 533 Haushofer, Albrecht 410 Haushofer, Heinz 248, 410, 412, 522, 542, 546, 586, 630, 653

740

Personenregister Haushofer, Karl 249, 339, 348, 410 – 412, 414 Havel, Vaclav 161 Heberle, Rudolf 623 Hedler, Adolf 263 Heidegger, Martin 347, 348, 545 Heim, Claus 147, 148, 155, 338, 558 Heim, Susanne 338 Heisenberg, Werner 164 Hellpach, Willy 339 Hentschel, Willibald 113, 114, 119, 120, 175, 231, 233, 265, 293, 306, 393, 494, 533 Hepp, Karl 454, 456 – 458, 592, 615, 640 Herder, Johann Gottfried 126, 325 Hermes, Andreas 440, 442, 443, 453, 457, 461, 478, 632, 633, 637, 638, 640, 645 Hertzberg-Lottin, Rüdiger von 228 Hertzka, Theodor 358, 360 Herzl, Theodor 311 Hesse, Hermann 537 Hessel, Stéphane 312 Heuss, Theodor 52, 328, 336 Heydrich, Reinhard 172, 297 Heß, Rudolf 21, 38, 113, 125, 151, 345, 410, 479, 536, 541, 579, 588, 589, 603 Hierl, Konstantin 480, 552, 568, 569, 572, 573, 576 – 578, 580, 582, 602, 612 Hildebrand, Klaus 51 Hildebrandt, Friedrich 403, 404, 564, 582, 594 Hilzheimer, Max 204 Himmler, Heinrich 23 – 25, 38, 76, 98, 104, 115, 118, 119, 125, 134, 140, 144, 152, 155, 171 – 174, 187, 198, 200, 202, 212, 231, 235, 239, 242, 260, 276, 277, 293 – 302, 329, 330, 334, 335, 337, 343, 348, 414, 419, 454, 516, 545, 547, 552, 559, 563, 564, 566, 582, 583, 625, 666 Hindenburg, Oskar von 619 Hindenburg, Paul 33, 34, 43, 77, 124, 322, 362, 368, 385, 456, 457, 554, 594 – 599, 602, 614, 616 – 620, 648, 650, 658, 660, 661 Hintze, Otto 227 Hirt, Hermann 204 Hitler, Adolf 11 – 13, 15, 16, 21, 25, 27, 30, 54, 57, 58, 65, 66, 68, 75, 79, 83, 84, 93 – 95, 102, 106, 116 – 118, 125 – 128, 130, 131, 134, 146, 147, 149 – 152, 155 – 157, 161, 163, 165, 167, 172 – 174, 187, 195, 200, 209, 211, 215, 222, 224,

242, 245, 248, 257, 258, 260 – 262, 273, 276, 282, 286, 288, 292 – 294, 296 – 298, 303, 307, 316, 320 – 322, 333, 335, 338, 339, 343, 348, 352, 357, 359, 366, 367, 369, 374, 375, 378, 384, 393, 403 – 405, 408 – 410, 414 – 418, 445, 454, 457, 466, 474, 475, 477 – 479, 482, 483, 486, 487, 494, 497, 501, 508, 512, 519, 525, 527, 532, 536, 541, 542, 545 – 547, 549, 551, 552, 559 – 564, 566 – 573, 575 – 579, 581, 583 – 586, 588, 593 – 599, 601 – 604, 609, 610, 612, 613, 616, 617, 619 – 622, 624 – 626, 631 – 634, 636 – 638, 640 – 655, 657 – 662, 665, 666 Hoche, Alfred 284, 328 Hoffmann, Fritz Hugo 122, 124, 143, 144, 146, 393 Hoffmann von Fallersleben 343, 346 Hofmann, Ida 537 Hofmann, Werner 164 Holfelder, Hans 118 – 120, 122, 125, 146, 216 Hölzle, Erwin 168 Horkheimer, Max 162, 164, 169 Horthy, Nikolaus von 234, 362, 363 Höß, Rudolf 119 Hugenberg, Alfred 117, 369, 374, 383, 384, 395, 445, 454, 456, 457, 464, 467, 475, 477, 481, 592, 593, 599 – 601, 610, 619, 623, 631, 632, 636, 640, 642, 643, 645, 647 – 661 Humboldt, Alexander von 526 Hundhammer, Alois 636, 640 Hundt-Radowsky, Hartwig von 313 Hunkel, Ernst 114, 231, 232, 393, 407 Ihering, Hermann von 194, 204, 206 Immermann, Karl 520 Ipsen, Günther 527 Jäckel, Eberhard 165 Jahn, Friedrich Ludwig 343, 345 Joffe, Josef 309 Johannes, Martin Otto i.e. Rädlein, Martin 114, 216, 229, 233 Jordan, Wilhelm 344 Josephus, Flavius 309 Judt, Tony 312 Jung, Edgar Julius 31, 50, 101 – 103, 181, 184, 197,

741

Personenregister 206, 209, 229, 230, 254, 335, 347, 470, 472, 474, 475, 491, 530, 531, 545, 649 Jünger, Ernst 30, 31, 33, 219, 249, 253, 348, 407 Jünger, Friedrich Georg 249 Jungk, Robert 547 Just, Adolf 534 Kahane, Meir 312 Kahr, Gustav Ritter von 58, 65 Kalckreuth, Eberhard von 456, 458, 592, 595, 597, 608, 614, 615, 617 – 619, 634, 636 – 638, 643, 644 Kaltenbrunner, Ernst 277 Kandinsky, Wassily 130 Kanitz, Graf 447, 460 Kant, Immanuel 323, 421 Kapp, Wolfgang 58, 76, 94, 124, 354, 446 Karl der Große (»Sachsenschlächter«) 203, 217, 275 Karpenstein, Wilhelm 594, 608 Kater, Michael 119 Kautsky, Karl 282, 319 Kennan, George F. 51 Kenstler, August Georg 107, 118, 121, 123, 125, 133, 134, 140 – 156, 216, 222, 226, 257, 302, 364, 372, 393, 394, 423, 462, 488, 491, 492, 496, 532, 544, 545, 551, 552, 558, 559, 564, 568, 569, 649 Keppler, Wilhelm 384, 403, 483 Kerckerinck zur Burg, Engelbert von 607 Kern, Fritz 77, 93, 175 – 178, 180, 182 – 192, 211, 405 Kerrl, Hanns 322, 373, 374, 655 Kershaw, Ian 167, 624 Keup, Erich 407 Keynes, John Maynard 54 Keyserlingk, Carl von 541 Kinkelin, Wilhelm 277 Kirchner, Ernst Ludwig 132 Kjellén, Rudolf 405 – 407 Klages, Ludwig 250, 340, 528, 534, 545 Klagges, Dietrich 602 Klee, Paul 130 Kleist-Schmenzin, Ewald von 222 Klemperer, Victor 161, 488, 543 Klepper, Otto 440 Klostermüller, Hanna 144 Kluge, Friedrich 204

Knapp, Georg Friedrich 422 Knobelsdorff, Manfred von 22, 23, 220 Koch, Erich 367, 403, 581, 582, 594 Kocka, Jürgen 625 Koerner, Bernhard 232, 233, 267 Kokoschka, Oskar 130 Kolb, Eberhard 617, 618 Konopacki-Konopath, Hanno 100, 104, 105, 107, 131, 133, 142 Konrád, György 312 Körner, Helmut 575 Kossinna, Gustav 77, 93, 105, 107, 115, 204 Kotzde, Wilhelm 120 – 122, 124, 496 Kraemer 43, 44, 100, 184 Krenzlin, Leonore 542 Krieck, Ernst 255, 328 Kriegsheim, Arno 458, 612, 614, 615, 618 Kroll, Frank-Lothar 13, 166, 172, 216, 246, 304, 542 Krupp, Friedrich Alfred 280, 291, 592, 647, 653 Kube, Wilhelm 403 Kuhlenbeck 206 Kühlmann, Richard von 33 Kummer, Bernhard 110, 198, 239 Kummer, Kurt 400, 401, 404, 586 Küppers, Gustav 529, 530 Kutisker, Iwan Baruch 596 Lagarde, Paul de, i. e. Bötticher, Paul 93, 218, 219, 270, 305, 306, 312, 315, 345, 419, 509, 515 Lamarck, Jean Baptiste de 40, 269, 406, 495 Lammers, Heinrich 246, 401, 640, 643, 661 Landauer, Gustav 538 Landmann, Salcia 312, 360, 419, 423, 425, 429, 524, 555, 588, 629 Langbehn, Julius 68, 72 – 74, 88, 100, 120, 196, 200, 219, 224, 225, 227, 240, 270, 305, 324, 490, 509, 515, 527, 531 Lapouge, Georges Vacher de 77, 78, 82, 227, 228, 263, 271, 272, 315, 326 Lassalle, Ferdinand 319 Lawrence, David Herbert 248 Leers, Johann von 502 Lehmann, Julius Friedrich 42, 46, 49, 50, 76, 86, 87, 89 – 97, 100, 101, 104, 110, 116 – 119, 130 – 132, 134, 135, 146, 150 – 152, 154, 155, 175,

742

Personenregister 177, 182 – 184, 186, 192, 206, 207, 214 – 218, 225, 234, 251, 286 – 288, 295, 297, 306, 363, 409, 449, 552, 559, 569, 571 Lemberg, Eugen 168 Lenin, Wladimir I. 165, 171 Lenk, Kurt 164, 166, 169 Lenz, Fritz 87, 93, 94, 176, 228, 285, 288, 290, 293 – 296, 335, 336, 500 Lettow-Vorbeck, Hans von 43 Lettow-Vorbeck, Paul von 37 Leuschner, Wilhelm 603 Ley, Robert 478, 579, 581 Liebenfels, Lanz von 73 Liebig, Justus 99, 427 Lienhard, Friedrich 127, 514 Lind, Heinrich 456, 615, 636 Lippe, Friedrich Wilhelm zur 105, 198 Lippe, Rudolf zur 105 Lipset, Martin 620 List, Friedrich 373, 427, 428, 430 List, Guido von 231, 232 Loesch, Karl Christian von 254 Lohse, Hinrich 149, 564, 582, 583, 657 Löns, Hermann 523 Lovin, Clifford R. 13, 172 Lübbe, Hermann 28 Luber, Georg 573, 636 Lübke, Heinrich 390, 442, 443, 636, 640 Lübkers, Friedrich 206 Ludendorff, Erich 33, 57, 66, 94, 127, 552, 573 Ludwig XV. 430 Lueger, Karl 560 Lüninck, Hermann von 633, 636, 637, 643, 661 Lüninck-Ostwig, Ferdinand von 607, 633 Luschan, Felix von 269, 311 Luther, Hans 203, 309, 316, 456, 599 Luther, Martin 313 Luxemburg, Rosa 319 Luyken, Max 575 Malthus, Robert 266, 267, 434 Man, Henri de 288 Mann, Thomas 522 Mao, Zedong 165, 171 Marc, Franz 51, 130 Marcuse, Herbert 527

Marr, Wilhelm 308, 314 Martin, Rudolf 76 Marx, Karl 78, 163, 165, 171, 319, 443, 453, 537, 547 Marx, Wilhelm 453, 456 Maurras, Charles 349 May, Karl 534 Mayer-Tasch, Peter C. 479 Meinberg, Wilhelm 404, 480, 482, 486, 487, 625, 631, 633, 634, 636, 638, 643, 644, 657, 666 Meinecke, Friedrich 345 Meiners, Christoph 324 Meissner, Otto 633 Mendel, Gregor 40, 262, 274 – 276, 326 Mengele, Josef 291, 294 Merk, Walther 107, 194 Merkel, Hans 47, 362, 365, 508, 586 Merkenschlager, Friedrich 85, 252, 263 Metzger, Carl 45 – 48, 195, 468 Metzner, Erwin 449, 578 Meyer, Konrad 172, 419, 586 Mielke, Robert 515 Mierendorff, Carlo 603 Migge, Leberecht 538 Miquel, Johannes von 447 Moeller van den Bruck, Arthur 215, 253, 356, 475 Mohler, Armin 253, 348, 558 Moltke, Helmuth von 33 Mommsen, Theodor 206 Mommsen, Wolfgang J. 51, 52, 218 Möser, Justus 421, 428, 429, 505, 506 Motz, Karl 416, 578 Muckermann, Hermann 285, 294 Müffling, Georg von 101 Mühsam, Erich 537 Müller, Adam 230, 373, 429, 430, 448, 471, 472, 480, 506 Müller, Hermann 584 Müller, Karl Alexander von 502 Müller-Berneck, Hellmuth von 496 Münchhausen, Börries von 225 Mussolini, Benito 475, 476, 498, 565 Muthesius, Hermann 132 Nadler, Joseph 520 Nagel, Gustav 537

743

Personenregister Napoleon Bonaparte 25, 31, 163, 348, 370, 422, 423 Naumann, Friedrich 412 Netanjahu, Benjamin 312 Neurath, Constantin von 659 Neurohr, Jean F. 288, 318 Niebuhr, Barthold Georg 430 Niekisch, Ernst 249, 356, 357, 545 Nietzsche, Friedrich 76, 219, 241, 320, 525, 528 Nipperdey, Thomas 446, 522 Nissen, Momme 72 Nolde, Emil 130, 132 Nolte, Ernst 51, 165, 171, 625 Noske, Gustav 37 Novalis, i. e. Georg von Hardenberg 506 Obendorfer, Georg 120 Obst, Erich 408, 662 Oedenkoven, Henri 537 Oertel, Georg 490 Oldenburg-Januschau, Elard 43 Oppenheim, Heinrich Bernhard 448 Oppenheimer, Franz 358, 360, 361 Ossietzky, Carl von 165 Otto III. 217 Pacyna, Günther 377, 401, 434, 626 Pancke, Günter 296 Papen, Franz von 102, 229, 230, 347, 384, 386, 445, 454, 474, 576, 598 – 601, 616, 617, 619, 637, 643, 647, 649, 651, 659 – 661 Paudler, Fritz 77, 175, 189 Paul, Gerhard 104, 589 Paul, Ina Ulrike 218 Pausewang, Gudrun 539, 540 Penck, Albrecht 407 Peukert, Rudolf 576, 592 Picasso, Pablo 132 Pietzsch, Albert 150, 152, 552, 602 Platon 142, 262, 472 Plesch, Walther 605, 611 Pleyer, Kleo 142 Plinius der Jüngere 202 Ploetz, Alfred 93, 279, 283 – 285, 288, 292, 293, 335, 337 Pohl, Oswald 277

Polenz, Wilhelm von 520 – 522 Popitz, Johannes 374, 384, 397 Pritzwald, Stegmann von 41, 89 Puschner, Uwe 109 Puttbus, Malte Friedrich 424 Pyta, Wolfram 557, 626 Quandt, Gerhard 117, 149, 215, 234, 287, 300, 303 Quandt, Günther 404 Quandt, Magda 404 Quesnay, François 430 Radbruch, Gustav 337 Radek, Karl 319 Radkau, Joachim 527 Raiffeisen, Friedrich Wilhelm 439 Ranke, Leopold von 11, 171 Rasumow, Anatolij Jakowlewitsch 170 Rathenau, Walther 96, 97, 100, 127, 134, 306, 317, 348 Ratjen, Hans 342, 545 Ratzel, Friedrich 176, 317, 348, 353, 405 – 407, 411, 545 Reche, Otto 236, 287, 291, 301, 302 Rechenbach, Horst 22, 111, 112, 272, 287, 301, 302, 401, 552, 586 Reichmann, Eva 318, 321, 471 Reinecke, Adolf 113 Reinthaller, Anton 572 Reischle, Hermann 22, 41, 45, 277, 380, 449, 467, 480, 486, 487, 502, 569, 586, 587, 601, 618, 625, 631, 641 Reitz, Edgar 511 Reitzenstein, Wilhelm von 239 Remarque, Erich Maria 101 Renan, Ernest 258, 308, 349 Renner, Karl 534 Renteln, Adrian von 156, 477, 478, 578, 653 Retzius, Alfred Anders 111 Reuß-zur Lippe, Marie Adelheid 96, 100, 104, 105, 134, 138, 227, 301 Reventlow, Ernst Graf 92, 588 Rheden, Hartmut von 586 Ribbentrop, Joachim von 415, 619 Ricardo, David 259, 358, 428 Riefenstahl, Leni 16

744

Personenregister Riehl, Wilhelm Heinrich 192, 340, 493, 504 – 509, 515, 526, 527, 545 Rilke, Rainer Maria 521 Robien, Paul 538 Rödiger, Fritz 143 Roemer, Wilhelm 40 Roesicke, Gustav 445 Rohe, Mies van der 132 Rohkrämer, Thomas 497, 498 Röhm, Ernst 102, 134, 230, 296 – 298, 531, 661 Rohr, Hans Olof von 368, 369 Rohr-Demmin, Hansjoachim von 369, 370, 374, 463, 464, 467, 475, 476, 557, 608, 614, 619, 631, 643, 647 – 649, 651, 654 – 657, 659 – 661 Röpke, Wilhelm 199 Rosegger, Peter 520 – 522 Rosenberg, Alfred 21, 25, 70, 113, 125, 126, 142, 152 – 154, 156, 157, 200, 208, 218, 320, 472, 477, 501, 525 Rosenzweig, Franz 311 Rothacker, Erich 212 Rousseau, Jean Jacques 226, 488, 525 – 528 Röver, Carl 602 Rüdin, Ernst 93, 284 Rudorff, Ernst 515, 516, 534 Ruhland, Gustav 107, 142, 447 – 451, 459, 462, 477, 480, 486 Saller, Karl 263 Salomon, Bruno 148 Salomon, Ernst 148 Sauckel, Fritz 134, 153, 156, 602 Sauer, August 520 Saure, Wilhelm 383, 384, 424, 486 Schabowski, Günter 165 Schacht, Hjalmar 384, 414, 437, 452, 457, 478, 488, 616, 659, 665, 666 Schallmayer, Wilhelm 278, 280 – 283, 293, 326, 337 Scheda, Karl 15, 400, 449 Scheffel, Viktor von 248 Scheidemann, Philipp 33, 53 Scheidt, Walter 287 Schemann, Ludwig 93, 113, 115, 210, 225 – 227, 270, 306 Scheurig, Bodo 222

Schiele, Georg 123, 124, 143, 454 Schiele, Martin 123, 454 – 458, 461, 589, 592, 594, 611, 614, 658 Schill, Lambert 636 Schirach, Baldur von 25, 125, 142, 153, 156, 475, 524 Schirach, Carl von 128 Schlange, Ernst 594 Schlange-Schöningen, Hans 395 – 397, 399, 458, 523, 545, 597, 609, 632 Schlegel, August Wilhelm 77 Schlegel, Friedrich 308 Schlemmer, Oskar 130 Schlözer, August Ludwig von 308 Schmidt, Friedrich 122, 124, 153, 393 Schmidt, Helmut 546 Schmidt-Gibichenfels, Otto 378 Schmitt, Kurt 384, 402, 466, 477, 660 Schmoller, Gustav 448 Schnee, Heinrich 37 Schoenichen, Walter 514 Schön, Theodor von 422 Schönerer, Georg 310 Schorlemer-Alst, Burghard von 440, 441 Schotten, Karl 149 Schreber, Moritz 529 Schroeder, Kurt von 633 Schuchhardt, Carl 89, 90, 178, 204 Schultz, Bruno Kurt 288, 302 Schultze-Naumburg, Margarete 134, 150 Schultze-Naumburg, Paul 117, 126, 129 – 134, 136, 138, 150 – 152, 156, 157, 197, 215, 288, 325, 457, 515, 517, 535, 536, 551 Schulze-Delitzsch, Hermann 438, 439 Schumacher, Martin 395, 583 Schürmann, Artur 386, 387 Schuschnigg, Kurt Edler von 475, 477 Schwarz, Franz Xaver 569 Schwencke, Thea 115 Schwerin-Spantekow, Friedrich Ernst von 43, 46, 386 Schwerin von Krosigk, Lutz Graf 384, 659, 665 Seeliger, Alfred 496 Segestes 203 Seidel, Ina 525 Seipel, Willi 588, 612, 616

745

Personenregister Seldte, Franz 403, 648 Sering, Max 371, 384 – 389, 392, 399, 413, 460, 647 Severin, Carl 614 Shaw, George Bernhard 248 Sieferle, Rolf Peter 274, 505, 510 Simmel, Georg 250 Smith, Adam 428, 430, 431, 471 Sohnrey, Heinrich 386, 407, 490, 504, 515, 518, 519, 521, 524, 527 Solschenizyn, Alexander 170 Sombart, Werner 185, 434 Sorel, George 250, 318 Spahn, Martin 412, 659 Spann, Othmar 101, 152, 230, 471 – 474, 477, 479 Speer, Albert 25, 134 Spencer, Herbert 98, 266 Spengler, Oswald 68, 69, 78, 127, 152, 188, 197, 202, 211, 224, 249, 250, 283, 355, 396, 472, 473, 490, 496 – 502, 507, 509, 530, 531, 545 Spranger, Eduard 168, 514 Springmann, Baldur 542 Staadt, Alma 24, 37, 39, 135 – 138, 544.  siehe auch Darré, Alma geb. Staadt Staadt, Jacob 39 Stadler, Eduard 659 Stalin, Josef W. 165, 170 – 172 Stammler, Georg 142 Stapel, Wilhelm 252, 253, 512 Steding, Fritz 462, 481 Stegerwald, Adam 399, 597 Stehr, Hermann 523 Stein, Karl von und zum 204, 370, 389, 422 – 424, 426 – 430 Stein, Shimon 312 Steinacher, Hans 346 Steiner, Rudolf 16, 540 Stengel-von Rutkowski, Lothar 76, 302, 337 Stern, Fritz 490 Sternheim, Carl 128 Stetten, Dietrich von 576 Stewes, Ferdinand 636 Stilicho 203 Stoddard, Lothrop 87, 273, 283 Stöhr, Willi 583, 588 Strasser, Gregor 104, 127, 144, 148, 296, 360, 399,

475, 559, 563, 568, 569, 576, 578 – 583, 588, 594, 608, 618, 625, 631 Strasser, Otto 148, 568 Streicher, Julius 98, 113, 321 Stresemann, Gustav 57, 60, 61, 63, 409, 623 Strousberg, Bethel Henry 313, 315 Stüve, Johann Carl Bertram 428, 429 Suchsland 287 Sybel, Heinrich von 458, 592, 593, 612 – 614, 618 Tacitus 31, 77, 99, 207 Tanzmann, Bruno 120 – 124, 142, 145, 362, 488, 496, 532 Thaer, Albrecht 373, 426, 427 Thälmann, Ernst 594, 596, 597 Thienemann, August Friedrich 526, 542 Thyssen, Fritz 479 Thyssen, Thyge 557 Tille, Alexander 282 Toller, Ernst 128, 319 Tonscheidt, Paul 121 Topf, Erwin 455 Troost, Paul Ludwig 134 Trotzki, Leo 319 Trumpf, Arnold 640, 641 Tugendhat, Ernst 330 Tüngel, Richard 16 Ungewitter, Richard 536 Vergil 506 Verschuer, Otmar von 291, 294 Vesper, Will 525 Vietinghoff-Scheel, Charlotte von 13, 25, 136, 138 – 140.  siehe auch Darré, Charlotte geb. Freiin von Vietinghoff Vietinghoff-Scheel, Leopold 139, 221 Vietinghoff-Scheel, Paul 139 Vietinghoff-Scheel, Rudolf von 139 Virchow, Rudolf 272 Vogeler, Heinrich 537, 538 Wachler, Ernst 127, 523 Wagemann, Gustav 374 Wagener, Otto 477, 478, 578, 653 Wagenfeld, Karl 515

746

Personenregister Waggerl, Karl Heinrich 524 Wagner, Adolph 448 Wagner, Dr. Richard 125, 575, 603, 616 Wagner, Richard 69, 127, 183, 616 Wahrmund, Adolf 186, 316 Wallace, Alfred Russel 265 Walser, Martin 13, 312 Walther, Johannes 74, 99 Wangenheim, Conrad von 49, 93, 116, 389, 390, 445, 446, 449, 582 Warmbold, Hermann 437, 616, 618 Weber, Max 168, 218, 219, 330, 359, 388, 537, 624 Wehburg, Heinrich 360 Wehler, Hans Ulrich 349, 624 Wehling, Elisabeth 628, 629 Weigand, Wilhelm 523 Weinrich, Karl 608 Weismann, August 98, 269, 270 Weismantel, Leo 523 Wells, Herbert George 324 Wentscher, Erich 23 Wiechert, Ernst 524 Wilhelm I. 257 Wilhelmi, Bruno 531 Wilhelm II. 25, 55, 220, 521 Willikens, Werner 374, 404, 559, 564 – 568, 570, 581 – 583, 587, 592, 595, 598, 604, 608, 609, 611,

615, 618, 624, 625, 631, 635, 636, 640, 643, 656, 661 Willrich, Wolfgang 82 Wilmowsky, Tilo von 592, 593, 632 Wilson, Woodrow 52 Winkler, Heinrich August 56 Winnig, August 249, 354 – 356, 405, 545, 555 Winter, Erich 586 Wippermann, Wolfgang 256, 345 Wirsing, Giselher 413, 414 Wirth, Joseph 443 Woermann, Adolph 415 Wolffsohn, Michael 312 Wolfskehl, Karl 250 Woltmann, Ludwig 281, 291 Wundt, Max 107, 251, 252, 545 Wundt, Wilhelm 405 Young, Owen D. 94, 124, 128, 147, 456, 475, 592, 599, 604, 648 Ziegler, Hans Severus 125, 128, 130, 131, 149 – 153, 156, 552, 559, 568, 569 Zimmermann, Ferdinand Friedrich i. e. Ferdinand Fried 413, 586 Zimmermann, Moshe 311, 312 Zoffka, Zdenek 583 Zuckmayer, Carl 128

DIE ÖSTERREICHISCHEN BISCHÖFE UND DER NATIONALSOZIALISMUS

Eva Maria Hoppe-Kaiser Hitlers Jünger und Gottes Hirten Der Einsatz der katholischen Bischöfe Österreichs für ehemalige Nationalsozialisten nach 1945 Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Band 63 2017. 422 Seiten, 68 s/w-Abb., gebunden € 30,00 D | € 31,00 A ISBN 978-3-205-20628-6

Auch wenn die katholische Kirche Österreichs heftig unter der Verfolgung durch das NS-Regime zu leiden hatte: Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit machten sich die Bischöfe für ehemalige Nationalsozialisten stark. Sie kämpften für die Milderung der Entnazifizierungsgesetze und forderten Amnestien für Kriegsgefangene. Nazis, die aus der Kirche ausgetreten waren, wurden mit offenen Armen wieder aufgenommen. Der Umgang der Bischöfe mit ihren Priestern war zwiespältig. Kollaborateure unter den Geistlichen mussten zwar ihre Ämter verlassen, doch heimgekehrten KZPriestern blieb eine Ehrung für ihr Heldentum verwehrt. Gerade sie fühlten sich durch die Anbiederung an die „Ehemaligen“ vor den Kopf gestoßen. Wollten die Bischöfe kaschieren, dass sie selbst während der NS-Zeit zu wenig mutig gewesen waren?

WEGBEREITER DES HOLOCAUST

Volker Koop Alfred Rosenberg Der Wegbereiter des Holocaust – Eine Biographie 2016. 346 Seiten, gebunden € 25,00 D | € 26,00 A ISBN 978-3-412-50549-3

Alfred Rosenberg gefiel sich in seiner Rolle als Intellektueller und Chefideologe der Nationalsozialisten. Gerade das aber machte ihn besonders unbeliebt innerhalb der NS-Führungselite. Intrigen und Konkurrenzverhalten nahmen zu, als Hitler ihn zum »Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP« ernannte und Rosenberg weitgehende Rechte auf nahezu allen Gebieten für sich reklamierte. Mit dem nach ihm benannten Einsatzstab und als »Reichsminister für die besetzten Ostgebiete« war er vor allem mit dem europaweiten Raub von Kunst- und Kulturgütern beschäftigt. Bis zu seiner Hinrichtung 1946 blieb er seinen antisemitischen Grundüberzeugungen treu.

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HITLERS TREUESTER VASALL

Volker Koop Martin Bormann Hitlers Vollstrecker 2012. 374 Seiten, gebunden € 35,00 D | € 36,00 A ISBN 978-3-412-20942-1

Martin Bormann (1900–1945) war einer der am meisten gehassten NS-Funktionäre. Als Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP im Rang eines Reichsministers und Privatsekretär Hitlers wurde er von Ministern, Gauleitern, Beamten, Richtern und Generälen gefürchtet. Bormann identifizierte sich mit Hitlers Vorstellungen von Rassenpolitik, Judenvernichtung und Zwangsarbeit und machte sich als sein Vollstrecker für die Detail- und Schmutzarbeit unentbehrlich. Nach Hitlers Selbstmord verlor sich zunächst Bormanns Spur. Im Oktober 1946 wurde er vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg in Abwesenheit schuldig gesprochen und zum Tod verurteilt. 1972 wurde in Berlin sein Skelett gefunden. Er wurde offiziell für tot erklärt. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass Bormann am 2. Mai 1945 zur Giftkapsel gegriffen hatte. Zahlreiche, erst seit Kurzem zugänglich gewordene Dokumente ermöglichen es jetzt, die Biographie von Hitlers treuestem Vasallen neu zu schreiben.

DIE BIOGRAPHIE DES AUSCHWITZ-KOMMANDANTEN

Volker Koop Rudolf Höß Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie 2014. 338 Seiten, 15 s/w-Abb., gebunden € 30,00 D | € 31,00 A ISBN 978-3-412-22353-3

Dreieinhalb Jahre lang befehligte Rudolf Höß das größte Vernichtungslager des ‚Dritten Reichs‘ und setzte als Himmlers Helfer die geplante ‚Endlösung der Judenfrage‘ um: Ab 1942 begann er mit der systematischen Ermordung von Menschen mit dem Giftgas Zyklon B und rühmte sich, Giftgas sei eine ‚vernünftige‘ und ‚hygienische‘ Verbesserung des Massenmordes. Höß war autoritätshörig, ehrsüchtig und seelisch abgestumpft. Er gehorchte Befehlen blind und bedingungslos, Unrechtsbewusstsein war ihm fremd. Seine Dienstbeflissenheit bei der Erteilung und Ausführung der unmenschlichen Befehle kontrastiert mit seiner Selbstwahrnehmung in seinen ‚Autobiographischen Aufzeichnungen‘, in denen er sich als durchaus sensiblen Menschen beschreibt. Nach Kriegsende wurde Höß zum Tode verurteilt und im April 1947 vor seiner früheren Dienstvilla auf dem Lagergelände von Auschwitz erhängt. Dieses Buch korrigiert eine Vielzahl von Lebenslügen des KZ-Kommandanten.