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German Pages 390 Year 2015
Martin Pfleiderer Rhythmus
Für Benjamin und Niklas
Martin Pfleiderer (Dr. phil. habil.) ist Musikwissenschaftler und Musiker. Er lehrt Systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Popularmusikforschung, Musikpsychologie und Musiksoziologie.
MARTIN PFLEIDERER
Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik
[transcript]
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©
2006
transcript Verlag, Bielefeld
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INHALT 1 Einführung 7 2 Populäre Musik und Rhythmus: Fragestellungen, Forschungsansätze, Methoden 15 3 Psychologische Grundlagen der Rhythmuserfahrung 35 4 Rhythmustheorien 113 5 Rhythmus in der populären Musik Europas und Nordamerikas 165 6 Rhythmus im modernen Jazz 245 7 Rhythmus in Funk, Reggae, Electronic Dance Music und Rap Music
291 8 Zusammenfassung und Ausblick
329 Anhang Glossar
339 Tabelle zur Umrechnung von Tempoangaben 356 Literatur 357 Inhaltsübersicht 384
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EINFÜHRUNG
Rhythmus ist allgegenwärtig in populärer Musik. Vom regelmäßigen Schlag der Basstrommel in der Tanzmusik und den Walking Bass-Linien der Jazzbassisten bis zum Wechsel zwischen Hannoniegrundton und Akkorden in der Begleitung populärer Lieder oder zwischen Bass Drum- und Snare Drum-Akzenten in der Pop- und Rock-Musik: Rhythmus bestimmt die Struktur populärer Musik fast jeder stilistischen Couleur. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. "The reason why rhythm is particularly significant for popular music is that steady tempo and an interestingly pattemed beat offer the easiest ways into a musical event; they enable listeners without instrumental expertise to respond ,actively', to experience music as a bodily as weil as a mental matter" (Frith 1996, S. 143). In der Rhythmusgestaltung, so die These dieser Studie, liegen zentrale Voraussetzungen für die hohe Anziehungskraft der meisten Richtungen populärer Musik begründet. So erleichtert die rhythmische Prägnanz von melodischen Strukturen das Mitsingen und Nachsingen, und eine regelmäßige und einprägsame Rhythmusgestaltung ennöglicht es den Hörern, ihre Körperbewegungen mit den musikalischen Strukturen zu synchronisieren. Prägnanz und Regelmäßigkeit sind allerdings nur eine Seite des Rhythmus in populärer Musik. In vielen Stilbereichen entstehen durch eine unregelmäßige Gestaltung von Melodielinien und Begleitfiguren, durch abweichende Akzentuierungen und durch Schichtung zweier oder mehrerer divergenter Rhythmen bisweilen komplexe Rhythmusstrukturen, durch welche die Aufmerksamkeit und das Interesse der Hörer erhalten bleibt bzw. immer wieder neu erregt wird. Gerade das Zusammenwirken von Einfachheit und Komplexität ennöglicht eine ästhetische Erfahrung, die einen hohen Grad an Vertrautheit und Erwartungssicherheit mit Abwechslung und Überraschung verbindet. Wer sich mit Rhythmus in populärer Musik beschäftigt, muss versuchen, beide Seiten des Phänomens in den Blick zu bekommen. Unter populärer Musik versteht man laut Sach-Lexikon Popularmusik von Wieland Ziegenrückerund Peter Wicke ein "[ ... ] Ensemble sehr verschiedenartiger Genres und Gattungen der Musik, denen gemeinsam ist, dass sie massenhaft produziert, verbreitet und angeeignet werden [und] im
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Alltag wohl fast aller Menschen, wenn auch im einzelnen auf unterschiedliche Weise, eine bedeutende Rolle spielen" (Ziegenrücker/Wicke 1989, S. 288). 1 Der Ausdruck "populäre Musik" bezieht sich somit auf eine Ansammlung historisch gewachsener Stilentwicklungen. Der Bereich der populären Musik wird näher eingegrenzt, indem entweder verschiedene Stilrichtungen und Genres aufgezählt werden; so liefern Ziegenrückerund Wicke eine umfassende Liste der Genres und Gattungen populärer Musik (Ziegenrücker/Wicke 1989, S. 288, vgl. auch Wicke 1997, Sp. 1698f). Oder aber populäre Musik wird von vornherein als Gegensatz zu anderen Musikbereichen konstruiert, die eben nicht populäre Musik sind: zumeist als Gegensatz zur sog. ernsten Musik oder Kunstmusik (Adorno 1941 ), oder aber zur Kunstmusik und zur sog. Volksmusik, so etwa bei Philip Tagg ( 1982). Der Popularitätsgrad von Musik lässt sich heute über Stil- und Genregrenzen hinweg angeblich direkt messen. Die Zahl der verkauften Tonträger, die Sendehäufigkeit und die Einschaltquoten bei Rundfunk und Fernsehen sowie Konzertbesucherzahlen liefern einen relativ verlässlichen Eindruck von der Verbreitung verschiedener Stücke und Stile. Bei einer solchen rein quantitativen Bestinunung von musikalischer Popularität bleibt allerdings unklar, ob die Musik, die viel gekauft und gesendet wird, tatsächlich eine bedeutende Rolle im Leben der Menschen spielt. Was machen die Menschen mit der Musik, die sie hören? Welche Bedeutung haben bestimmte Musikstücke und Musikstile für sie? Zugleich bleibt das Klanggeschehen ausgeblendet- und damit die zentrale Fragestellung: Was genau mögen die Menschen an einem bestimmten Musikstil oder Musikstück? Welche klanglichen Faktoren tragen dazu bei, dass manche Musik von einem vergleichsweise großen Hörerkreis präferiert wird und andere nicht? Hierbei handelt es sich um Fragen, denen sich auch die Auseinandersetzung mit Rhythmus in populärer Musik zu stellen hat. Was genau zieht die Menschen am Rhythmus in populären Musikrichtungen an? Wie kommt es, dass die Rhythmusgestaltung so wichtig für deren Attraktivität und Popularität ist? Die vorliegende Untersuchung knüpft bei der Beantwortung dieser Fragen weniger an den historischen Bedingungen und Zusammenhängen der Produktion und Rezeption populärer Musik an - ein in der Populannusikforschung häufig beschrittener Weg - , sondern wählt als Ausgangspunkt das Klanggeschehen (vgl. hierzu Kapitel 2). Das Vorgehen umfasst dabei drei Schritte: Durch eine Erörterung der psychologischen Grundlagen von Rhythmuswahrnehmung und Rhythmuserfahrung wird zunächst der Blick sowohl auf mögliche anthropologische Gnmdgegebenheiten als auch auf die Rolle und Funktionsweise von kulturspezifischen und individuellen Die Definition von Ziegenrücker und Wicke ist allerdings in einer Hinsicht problematisch: Populäre Musik spielt nicht nur im Alltag der Menschen, sondern natürlich ebenso bei Festlichkeiten, Partys, Konzertbesuchen und anderen nichtalltäglichen Ereignissen eine bedeutende Rolle.
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EINFÜHRUNG
Schemata und Bezugssystemen der Rhythmuserfahrung gelenkt. Vor diesem Hintergrund werden sodann eine umfassende theoretische Konzeption des musikalischen Rhythmus sowie Möglichkeiten einer angemessenen Beschreibung von Rhythmusphänomenen erarbeitet. Dies sind Voraussetzungen für eine fundierte stilanalytische Untersuchung und adäquate Darstellung der Rhythmusgestaltung in populärer Musik. Rhythmen bestimmen zahlreiche Erfahrungsbereiche des menschlichen Lebens, so die Abläufe und Bewegungen in der natürlichen Umwelt, Körperbewegungen, die Organisation des sozialen Zusammenlebens, die zeitliche Struktur der gesprochenen Sprache und eben die Musik. Mit der Vielfalt der Rhythmusphänomene hängt wohl zusammen, dass innerhalb der Wissenschaften bislang keine allgemein akzeptietie Rhythmus-Definition vorliegt. Das griechische Wort "rhythmos" leitet sich von "rein", wörtlich: fließen, ab. Rhythmus wird seit der Antike als "Ordnung der Bewegung" (so bereits bei Platon) oder "Ordnung der Zeiten" (Aristoxenos) verstanden - also nicht als ein amorphes Dahinfließen der Zeit, sondern als die Strukturierung des Zeitflusses durch eine bestimmte Reihenfolge der Ereignisse sowie durch deren Dauer und Gewichtung (vgl. Seidel 1976, S. 15ft). Im Bereich der Musik verbinden sich mit dem Ausdruck "Rhythmus" Unklarheiten, die es notwendig erscheinen lassen, von vornherein weiter einzugrenzen, was in dieser Studie unter "Rhythmus" verstanden werden soll. Dass die Zeitdimension eine der zentralen Dimensionen der musikalischen Gestaltung darstellt, ist unbestritten. Da in Bezug auf längere zeitliche Einheiten der Begriff der "musikalischen Form" verwendet wird, ist es zunächst naheliegend, die Bedeutung von "Rhythmus" auf Phänomene in kleineren, unmittelbar überschaubaren Zeitdimensionen einzuschränken (vgl. Petersen 1986, Seidel 1976, Gabrielsson 1993, London 2001). Vergleicht man den Begriff "Rhythmus" sodann mit dem der "Melodie" oder der "melodischen Phrase", so tritt eine terminologische Unschärfe deutlich hervor. Wenn eine Folge von Klängen mit unterschiedlichen Tonhöhen, die als einheitliche Gestalt wahrgenommen wird, ,,Melodie" oder "melodische Gestalt" genannt wird, so wäre es denkbar, eine Folge von Klängen ohne Tonhöhen, z.B. Trommelklänge, als "Rhythmusgestalt" oder kurz: als "Rhythmus" zu bezeichnen. Allerdings stellt sich dann die Frage, worauf sich die Formulierung "der Rhythmus einer Melodie" bezieht. Damit ist offensichtlich keine tatsächliche Klangfolge gemeint, vielmehr wird von der Klangfolge eine zeitliche Struktur abstrahiert. "Rhythmus" bezieht sich dann auf die Abfolge von Zeitpunkten oder Zeitdauern - genauer: von den Zeitpunkten der Anfänge aller Klangereignisse und von den Klangdauern und Klangpausen, durch welche die betreffende Klangfolge zeitlich strukturiert wird-, sowie gegebenenfalls auf deren unterschiedliche Gewichtungen. Es gilt somit, zwischen zwei Begriffsverwendungen zu unterscheiden:
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Rhythmus als konkret erklingende Klanggestalt, deren Elementen im Unterschied zu einer Melodie die Tonhöhendimension fehlt, und Rhythmus als die Folge von Zeitpunkten bzw. Zeitdauem, die zur Beschreibung derzeitlichen Dimension einer Klangfolge - sei es einer Melodie oder einer anderen klanglichen Gestalt - herangezogen werden kann. Entgegen dem weit verbreiteten Wortgebrauch, den Melodien (Klanggestalten mit Tonhöhenverlauf) die Rhythmen (Klanggestalten ohne Tonhöhenverlauf) gegenüberzustellen, wird "Rhythmus" im Folgenden in der zweiten Bedeutung verwendet: als zeitliche Struktur einer Klangfolge. Dadurch wird es möglich, auch vom Rhythmus einer Melodie oder Harmoniefolge zu sprechen. Eng mit dem Rhythmusbegriff verknüpft und nicht minder vieldeutig ist der Ausdruck "Metrum". Ohne die Diskussion des Mettumbegriffs in den folgenden Kapiteln vorwegnehmen zu wollen, lässt sich "Metrum" einerseits auf den Aspekt der regelmäßigen, periodischen Ordnung von Klangfolgen beziehen und andererseits auf die Erwartungshaltung, die aufgrund dieser Regelmäßigkeiten entsteht. Ist "Metrum" auf diese Weise mit der Regelmäßigkeit, Geordnetheit und Einfachheit einer zeitlichen Struktur verbunden, so umfasst "Rhythmus" auch deren mögliche Vielschichtigkeit, Unregelmäßigkeit und Komplexität. Bereits durch diesen kleinen terminologischen Exkurs mag deutlich geworden sein, dass im Bereich der Rhythmustheorie mit einer Reihe von konzeptionellen Unschärfen zu rechnen ist. Eine Absicht der Untersuchung besteht darin, vor dem Hintergrund verschiedener rhythmustheoretischer Ansätze sowie musikpsychologischer Forschungsergebnisse eine einheitliche Konzeption und Terminologie des musikalischen Rhythmus zu entwerfen, die auch über populäre Musik hinaus Gültigkeit beanspruchen kann. Musiktheorie und musikpsychologische Forschung verbindet seit jeher ein gemeinsames Interesse an den Möglichkeiten der musikalischen Gestaltung und W ahmehmung, das allerdings nicht immer zu einer engen Zusammenarbeit der beiden Disziplinen geführt hat. Musiktheorie kann jedoch ihrem Ziel, Möglichkeiten der musikalischen Gestaltung zu reflektieren, heute nur dmm gerecht werden, wenn sie wahrnehmungspsychologisch fundiert ist. Umgekehrt bedarf die empirische Forschung in der Musikpsychologie präziser tenninologischer und theoretischer Werkzeuge, damit musikalische Wahrnehmungs- und Gestaltungsprozesse adäquat untersucht werden können. Der Prozess der wechselseitigen Befruchtung von Musikpsychologie und Rhythmustheorie befindet sich noch in einer Anfangsphase, in der es vielfach darum geht, Phänomene aus verschiedenen Musikbereichen angemessen zu beschreiben, wn sie auf dieser Weise einer musikpsychologischen Erforschung zugänglich zu machen. Da im musikalischen Handeln der Menschen populäre Musik sowohl quantitativ als auch qualitativ einen hohen Stellenwert einnimmt, besitzt die Berücksichtigung populä-
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EINFÜHRUNG
rer Musikbereiche eine besondere Relevanz für die musikpsychologische Forschung. Musik ist ein Phänomen des menschlichen Erlebens, dem zwar in der Regel akustische Stimuli zugrunde liegen (es sei denn, Musik wird erinnert oder vorgestellt), das sich allerdings nur zum Teil hierauf zurückführen lässt. Vielmehr entstehen erst im Prozess der Wahmehmung und kognitiven Verarbeitung der Sinnesreize jene Strukturen, die als Musik erfahren werden. Daher liegt es nahe, in einer Studie zum musikalischen Rhythmus der Sichtung jener Forschungsergebnisse großes Gewicht einzuräumen, die sich explizit auf Gesetzmäßigkeiteil der musikalischen Rhythmuswahrnehmung und Rhythmuserfahrung beziehen. Psychologische Theorien und empirische Untersuchungen zu den Grundlagen der musikalischen Rhythmuserfahrung, zur Funktion des musikalischen Metrums und der mikrorhythmischen Gestaltung sowie zum Zusammenhang von Musik, Rhythmus und Bewegung werden daher ausführlich diskutiert (Kapitel 3). Eine Rhythmustheorie, wie sie in Kapitel 4 erarbeitet wird, sollte die umfassende Beschreibung aller rhythmischen Charakteristika von musikalischen Strukturen ermöglichen - der zeitlichen Strukturen sowohl von einfachen Klanggestalten, z.B. einstimmigen Melodien, als auch von komplexeren klanglichen Texturen, z.B. polyphonen Sätzen. Dies setzt eine eindeutige Terminologie und eine schlüssige rhythmustheoretische Gesamtkonzeption voraus, die prinzipiell bei allen Arten von Musik anwendbar sein sollte. Zwar ist es sicherlich sinnvoll, Rhythmusphänomene weiterhin mit stilspezifischen Ausdrücken und Konzepten zu beschreiben, die innerhalb der Musikpraxis des jeweiligen Stilbereichs geläufig sind. Zugleich sollten diese stilspezifischen Konzepte jedoch mit einer übergreifenden Rhythmuskonzeption in Zusammenhang gebracht werden können. Denn nur so wird ein Vergleich zwischen der Rhythmusgestaltung in verschiedenen musikalischen Traditionen und Stilen möglich. Ein weiteres Ziel einer Rhythmustheorie ist deren Tauglichkeit für die Formulierung empirisch überprüfbarer Wahrnehmungsmodelle in der Musikpsychologie und für die stilanalytische Beschreibung von Phänomenen der Rhythmusgestaltung in ganz konkreten Musikstücken und Musikstilen. Die Darstellung der Rhythmusgestaltung in populärer Musik folgt im Groben der chronologischen Abfolge der Stile vom 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Bei der Auswahl der zu behandelnden Stilrichtungen werden zugleich inhaltliche Gesichtspunkte herangezogen, so etwa einschneidende Veränderungen in der rhythmischen Gestaltung und das Auftreten historisch einflussreicher Gestaltungsmittel und Rhythmuskonfigurationen. Zunächst werden die Ursprünge und die Entwicklung jener rhythmischen Gestaltungsprinzipien skizziert, die von den Anfängen populärer
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Musik im frühen 19. Jahrhundert bis zum Entstehen der Rockmusik in den 1950er und 1960er Jahren maßgeblich waren und die seither den überwiegenden Teil der populären Musik prägen (Kapitel 5). Den Wurzeln und der frühen Entwicklung der Rhythmusgestaltung in der populären Musik Europas werden Entwicklungen in den USA gegenübergestellt (im American Popular Song, Ragtime, New Orleans Jazz, Swing, Downhome Blues, Boogie Woogie und Rhythm'n'Blues), wobei afroamerikanische Einflüsse auf die populäre Unterhaltungsmusik zwischen 1900 und 1970 im Zentrum des Interesses stehen. Denn hier setzten sich jene Gestaltungsmittel durch, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts für die Rhythmusgestaltung in populärer Musik allgemein bestimmend geworden sind, u.a. das sog. BackbeatPattem, kurze, prägnante rhytlunische Muster in Melodie und Begleitung, sog. Riffs, sowie die Kombination von Patterns verschiedener Instrumente zu sog. Grooves. Darüber hinaus sorgten Einflüsse aus Lateinamerika, insbesondere aus kuhaniseher Musik, für weitere Anregungen. Aufgrund der überwältigenden Materialfülle erwies es sich als undurchführbar, die Rhythmusgestaltung in allen Stilrichtungen und Teilbereichen der populären Musik im 20. Jahrhundert detailliert zu untersuchen. Insbesondere seit den 1970er Jahren zeigt sich die populäre Musiklandschaft in einer Blüte und Vielfalt, deren umfassende Darstellung die Möglichkeiten dieser Studie bei weitem übersteigt. Daher müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Ausgewählt wurden zwei Bereiche populärer Musik, in denen sich ein relativ hoher Komplexitätsgrad der Rhythmusgestaltung entwickelt hat: der moderne Jazz (Kapitel 6) sowie verschiedene Spielarten der im weitesten Sinne afroamerikanisch geprägten Tanzmusik (Funk, Reggae, Disco, House, Techno, Rap Music und Drum'n'Bass, Kapitel 7). Im Vergleich zum Swing der 1930er Jahre gilt der moderne Jazz als eine eher unpopuläre Musik, was vennutlich auch mit seinen differenzierten rhythmischen, harmonischen und melodischen Gestaltungsweisen sowie mit den großen improvisatorischen Gestaltungsfreiheiten der Jazzmusiker zusammenhängt. Der moderne Jazz zeichnet sich durch sein spezifisches Bewegungsgefühl aus, das gerne mit den Ausd1ücken "Swing" und "Drive" umschrieben wird und dessen mögliche Ursachen nach wie vor ein Gegenstand der Diskussion unter Jazzhörern und -forschern ist. Neben einer "swingenden" Phrasierung haben sich im Jazz weitere rhythmische Gestaltungsmodelle etabliert, vor allem durch Einflüsse aus der lateinamerikanischen Rhythmik, aus Rhythm'n'Blues und Soul, aber auch durch die Rezeption von Gestaltungsmitteln aus asiatischen Musikkulturen. Im Free Jazz führt schließlich die Abwendung von Metrum und Grundschlag zu neuartigen, frei rhythmischen Gestaltungsweisen, was diese Musikrichtung allerdings zu einer eher unpopulären Minderheitenmusik werden lässt.
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EINFÜHRUNG
Die rhythmischen Gestaltungsmittel des Funk haben nachhaltigen Einfluss auf andere Stilbereiche der populären Musik ausgeübt und prägen insbesondere den Rhythmus in Disco Music, Rap Music und neuerem Rhythm'n'Blues. In der jamaikanischen Musik vollzogen sich im Laufe der 1960er Jahre Veränderungen der rhythmischen Gestaltung, die den Neuerungen im Funk vergleichbar sind und mit diesen in Verbindung stehen: eine Umstellung von der ternären Phrasierung auf eine binäre bzw. quaternären Grundschlagsunterteilung, eine Verlangsamung des Grundtempos, eine enge Verzahnung der einzelnen Instrumentalstimmen sowie eine flexiblere Gestaltung der Basslinien. Außerdem veränderte sich im Reggae bereits früh die Musikrezeption und Musikproduktion auf eine Weise, die für die nordamerikanische und europäische Tanzmusik seit den 1970er Jahren wichtig geworden ist. Die elektronische Produktion der Musik mit Hilfe von Synthesizern (im House und Techno) oder digitalem Sampling (in der neueren Rap Music und im Drum'n'Bass) eröffnet neue Möglichkeiten der klanglichen Gestaltung, durch die es zum Teil auch zu neuartigen Rhythmusstrukturen gekommen ist. Die Ergebnisse der stilanalytischen, musiktheoretischen und musikpsychologischen Untersuchungen werden im Schlusskapitel (Kapitel 8) resümiert. Eine ausführliche Inhaltsübersicht befindet sich am Schluss des Buches. Ein Glossar liefert zudem Kurzbeschreibungen der wichtigsten im Text verwendeten Fachtennini.
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POPULÄRE MUSIK UND RHYTHMUS:
fRAGESTELLU NGEN, fORSCHU NGSANSÄTZE, METHODEN
2.1 Popularität und populäre Musik Was ist populäre Musik? Die Ausdrücke "populär" und "Popularität" gehen bekanntlich auf das Lateinische zurück: "Popularis" und "popularitas" meint "volkstümlich, volksfreundlich, für das Volk bestimmt, dem Volke angenehm" ( vgl. Schwab 1965, S. 87). Popularität bezieht sich somit auf die Beliebtheit nicht nur bei einer kleinen Minderheit der Bevölkerung, sondern beim "Volk". Um 1800 gab es verschiedene Auffassungen davon, was unter "Volk" zu verstehen sei: Auf der einen Seite galt das "Volk" als die Gemeinschaft der selbstbewussten Bürger, denen etwa in der französischen "philosophie populaire" eines Diderot die Gedanken der Aufklärung nahegebracht werden sollten. Auf der anderen Seite wurde unter "Volk" das niedere oder "gemeine" Volk verstanden, die Menge der einfachen Menschen "auf den Straßen und Gassen und Fischmärkten", wie Johann Gottfried Herder schreibt (zit. nach Schepping 2001, S. 588). Im deutschen Sprachraum verbreitete sich der Ausdruck "populär" im 18. Jahrhundert nicht zuletzt durch die Diskussion um populäre Poesie und populäres Lied (vgl. Schwab 1965, Hügel 2001). Von Gottfried August Bürger, einem der wichtigsten Verfechter der Idee von Popularität und populärer Poesie, wurde das Volk als die Grundschicht der Nation angesehen. 1 Popularität wurde in diesem Zusammenhang zu einem normativen Kriterium der künstlerischen Gestaltm1g. So bildeten etwa populäre Lieder laut Wicke, "[ ... ] den Kern einer im Geist der Aufklärung formulierten Popularisierungsstrategie bürgerlicher Ethik-, Moral- und Kunstansprüche" (Wicke 1997, Sp. 1695).
Den Ideen von Bürger hat Schiller zum Teil widersprochen; die Debatte ist von Schwab (1965) und Hügel (2001) nachgezeichnet worden.
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Musik, die sich an die Einfachheit von Liedern anlehnte, genoss um 1800 allgemein hohe Wertschätzung. "Popularität der Kirchenmusik, der Oper, der Sinfonie", so die Einschätzung des Musikwissenschaftlers Heinrich W. Schwab, "besteht vornehmlich auf dem Einbezug liedhafter, aber auch tänzerischer Elemente. Wo von Popularität die Rede ist, meint man im Grunde die Eingänglichkeit des Liedes" (Schwab 1965, S. 97f). Musik sollte populär und somit fasslich und sangbar sein - eine Forderung, die durch eingängige melodische und rhythmische Strukturen mit klarer Dominanz der Melodie gegenüber einer stereotypisierten Begleitung eingelöst wurde; auch die formale Gliederung und die Harmonik waren einfach (vgl. Schwab 1965, S. 100ft). Angestrebt wurde"[ ... ] das im Grunde Vertraute, Anheimelnde, Nicht-Überraschende und daher Allgemeinverständliche und Allgemeinmenschliche" (Schwab 1965, S. 106). Zwischen neu komponierten Liedern und überlieferten Volksliedern wurde dabei nicht unterschieden. "Im Sprachgebrauch der Goethezeit herrscht eine völlige Gleichsetzung von ,Volkslied' und ,Lied im Volkston', ungeachtet unserer heutigen Unterscheidung, daß es sich einmal um ein umgangsmäßig gesungenes, älteres, in die Zeit hineingewachsenes und noch im Umsingeprozeß begriffenes Lied meist anonymer Verfasser handelt, zum anderen um eine in der eigenen Gegenwart zum Ziele der Volksläufigkeit nachahmend geschaffene Komposition [ ... ]" (Schwab
1965, 5. 119).
Es war nicht ungewöhnlich, Melodien aus bereits erfolgreichen Liedern als Vorlage neuer Liedkompositionen und Textvertonungen zu verwenden. Auf diese Weise erklärt sich der "Schein des Bekannten", der von den Komponisten der "Volkslieder" oder "Lieder im Volkston" angestrebt wurde. Schwab (1965, S. 107-113) verdeutlicht dies am Beispiel eines Melodiemodells, das bereits um 1760 in verschiedenen Liedern zu finden ist, dann aber vor allem in Friedrich Silchers Lorelei-Lied (1838) bekannt geworden ist. Charakteristisch für dieses Melodiemodell ist der Sprung von der Quinte zur Oktave gefolgt von einem schrittweisen Zurückgleiten zum Grundton oder zwnindest zur Quinte. 2 "Im ,Volkston' zu komponieren", so Schwabs Fazit, "heißt letztendlich, das Prinzip der Variation auf eine engbegrenzte Themenauswahl anzuwenden. Das Ziel sind eingängige Melodien. An Themen wählt man altbekannte Modelle oder gewinnt neue dadurch, was einfachste harmonische Funktionen und Muster
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Das gleiche Melodiemodell findet sich auch in irischen Melodien, die Charles Hamm in seiner Geschichte des populären Liedes in den USA anführt (Hamm 1979, s. 55f).
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POPULÄRE MUSIK UND RHYTHMUS
gleichtaktigen und gleichperiodischen Tanzes zulassen. Alles Neue, bislang Un· gehörte und damit Überraschende ist verpönt" (Schwab 1965, S. 115).
Obwohl bereits um 1800 synomym zum "Volkslied" und zum "Lied im Volkston" auch vom "populären Lied" gesprochen wurde, setzte sich der Ausdruck "populäre Musik" in Deutschland erst relativ spät gegenüber den gebräuchlicheren Ausdrücken "Unterhaltungsmusik" oder auch "leichte Musik" durch. Der englische Ausdruck "popular music" lässt sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen3 , erlangte jedoch erst in den 1930er und 1940er Jahren weitere Verbreitung, nicht zuletzt im akademischen Bereich. Die Bezeichnung "populäre Musik" - zeitweise auch das Wortungetüm "Populannusik" als allzu wörtliche Übersetzung von "popular music" - wurde zunächst synonym mit " Unterhaltungsmusik" und "leichte Musik" verwendet und bezeichnete bald alle neueren Musikstile, die nicht der sog. ernsten Musik oder "Kunstmusik" zugerechnet wurden. Auch in jüngerer Zeit wird populäre Musik noch gerne als Gegensatz zu anderen Musikbereichen konstruiert: als Gegensatz zur ernsten oder Kunstmusik oder als Gegensatz zur Volksmusik (vgl. z.B. Tagg 1982). Dass eine Entgegensetzung von populärer Musik und Volksmusik zumindest problematisch ist und daher gerade von Volkslied- und Volksmusikforschern grundsätzlich in Frage gestellt wird (vgl. Schepping 2001, Braun 1999, S. 89-104), wurde bereits erwähnt. Denkbar wäre freilich, populäre Musik als die Volksmusik der modernen Industriegesellschaften aufzufassen, die sich im Vergleich zu älteren Formen der Volksmusik in erster Linie durch ihre industrielle Produktion und mediale Verbreitung unterscheidet. Ob bestimmte Musikrichtungen der Volksmusik oder der populären Musik zuzuordnen sind, wäre dann in erster Linie eine Frage der musikalischen Produktions- und Distributionsbedingungen. Von der Volksmusikforschung wird jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass das vielleicht zentrale Kriterium von Volksmusik und Volksliedern nicht so sehr in der Art ihrer Herstellung, sondern in den Eigenheiten ihrer Rezeption und Verwendung liegt. Entscheidend für das Konzept des Volks- oder Gruppenliedes4 sind weniger die Herkunft des musikalischen Materials oder die Umstände der Produktion und Verbreitung, als vielmehr die Umfonnung, Umgestaltung und Aneignung der Musik durch die Hörer, das "Umsingen" und "Zurechtsingen", wodurch sich die Rezipienten aktiv am musikalischen Schaffensprozess beteiligen (vgl. Schepping 2001). 3 4
Shuker (1998, S. 226) nennt die Publikation Popular Music of the Olden Time von William Chapple aus dem Jahre 1855. Der Volksliedforscher Ernst Klusen (1967) vermeidet bezeichnenderweise den Ausdruck "Volkslied" und ersetzt ihn durch "Gruppenlied", da es seiner Meinung nach das entscheidende Merkmal dieser Lieder ist, in Gruppen gesungen zu wer· den.
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Aber auch der Gegensatz von populärer Musik und Kunstmusik ist weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Ist etwa Tafelmusik aus der Zeit des Barock, um nur ein Beispiel zu nennen, Kunstmusik oder aber funktionelle Musik, die der Sphäre des populären Musikschaffens zuzurechnen wäre? War sie damals populäre Gebrauchsmusik und erhielt dann erst nachträglich die Weihen der Kunstmusik, sodass sie heute eben gerade nicht (mehr) als populäre Musik rezipiert wird? Ob Musik als Kunstmusik oder als populäre Musik einzustufen ist, wäre dann weniger an den klanglichen Strukturen festzumachen, sondern in erster Linie eine Frage unterschiedlicher Rezeptionsweisen und Funktionen. Der Ausdruck "populäre Musik" sperrt sich somit gegen eine eindeutige inhaltliche Definition (vgl. Middleton 1990, S. 3ff, Rösing 2001). Natürlich lässt sich die Genese populärer Musik historisch an einer Reihe von Veränderungen in der Musikproduktion festmachen. So erfolgte bereits im 19. Jahrhundert eine zunehmende Einbindung der Musikproduktion in neue technologische und ökonomische Zusammenhänge, z.B. im Falle der fortschreitenden Kommerzialisierung der Notenverbreitung nach der Einführung des lithographischen Druckverfahrens. Laut Wicke findet populäre Musik seither ihre Basis in den Bedingungen kommerzieller Musikproduktion, worunter er "die an geeignete technische und finanzielle Apparate gebundene Umwandlung des Musikprozesses in einen gewinnorientiert organisierten Investitionszusammenhang" (Wicke 1997, Sp. 1699) versteht. Der Prozess der schrittweisen Umstellung auf eine kommerziell orientierte Musikproduktion erstreckte sich vom 19. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Dabei war Popularität zunächst noch nicht an bestimmte musikalische Genres, Gattungen und Stile gebunden - auch klassisch-romantische Konzert- und Kammermusik richtete sich im 19. Jahrhundert nicht nur an Kenner und Eliten, sondern wollte allgemein verständlich und somit populär sein. Vielmehr bezog sich die Bezeichnung "populär" auf all jene Musik, mit der kommerzielle Etfolge erzielt werden konnten. Dies schloss Opernarien und Sätze aus Symphonien ebenso ein wie Märsche, Walzer und Polkas. Eine wertende Polarisierung zwischen Unterhaltungsmusik und "ernster" Musik, die ja ebenfalls immer wieder Anregungen aus der Tanz- und Volksmusik aufgegriffen hat, entwickelte sich im 19. Jahrhundert erst allmählich. Vor dem Hintergrund einer Krise der Kunstmusik und Kunsterfahrung wurde populäre Musik im 20. Jahrhundert jedoch zu einem abwertend gebrauchten Gegenbegriff zur elitären "Tonkunst". Im englischsprachigen Raum trägt der Terminus "popular music" dagegen weniger ideologisch wertende lmplikationen. Er bezieht sich hier laut Wicke nicht nur auf die kommerziellen Aspekte, sondern auf den gesamten Funktions- und Wirkungszusammenhang der Musik. "Fortan fungiert er [der Ausdruck popular music/populäre Musik] als ein diskursi-
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ves Instrument kultureller Auseinandersetzungsprozesse auf dem durch die kommerzielle Musikproduktion abgesteckten Territoriwn" (Wicke 1997, Sp. 1696). In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts veränderte sich die Musikproduktion aufgrundeiner Reihe von Erfindungen. Nachdem der Notendruck auf eine industrielle Grundlage gestellt worden war, revolutionierten nun mechanische Pianos (Player Pianos), Phonograph, Grammophon, elektrisches Mikrophon, Rundfunk und Tonfilm das Musikleben. Bereits Mitte der 1920er Jahre übertrafen die Verkäufe von Platten in vielen Fällen diejenigen der entsprechenden Notendrucke. Es bildete sich eine intensive und äußerst fruchtbare Zusammenarbeit von Tonträgerindustrie, Musikverlagen, UrhebetTechtsgesellschaften, Filmindustrie und Rundfunkanstalten, die bis heute die Produktion und Distribution der zahlreichen neu entwickelten Sende- und Tonträgerfonnate (Langspielplatte, Rundfunk, Musikfilm, Fernsehen, Magnettonband, Compact Disc, Musikvideo-Clip usw.) organisiert. Durch diese neuen Medien und Institutionen haben sich auch die Rezeptionsweisen von populärer Musik nachhaltig verändert. Es entstanden eine Vielzahl von Hörkontexten, Rezeptionsformen und Prozessen der musikalischen Aneignung, die sich vom Ideal des passiven Nachvollziehens klanglicher Strukturen, wie es sich im Kontext der Kunstmusik des 19. Jahrhunderts allmählich herausgebildet hatte, abwenden.
Die Rezeption populärer Musik Nach Wicke haben sich in der Sphäre der populären Musik drei spezifische Gebrauchsweisen herausgebildet: "a) praktisch vermittelte Gebrauchsansprüche wie die musikalische Organisation körperlicher Bewegungsabläufe beim Tanzen oder Marschieren, b) geistig vermittelte Ansprüche wie die Erfahrung individueller Subjektivität, von Genuss- und Erlebnisfähigkeit, die Betätigung und Bestätigung des eigenen Selbst, [ ... ] c) reproduktive Ansprüche wie Erholung, Entspannung, Geselligkeit [ ... ] mit besonderen Aneignungsweisen wie einer vorwiegend zerstreuten , als begleitendes Moment für andere Formen der Lebenstätigkeit organisierten Rezeption [ ... ]. Realisiert ist das durch die Häufung und Bevorzugung einzelner musikalischer Gestaltungsmittel, ohne dass dies angesichts der realen Verschiedenartigkeit der in diesen Zusammenhang geratenen Musikformen, ihrer jeweiligen Traditionsbezüge, der sich verändernden Funktions- und Wirkungsbedingungen, der sich entwickelnden Produktions- und Verbreitungsformen auf einen Katalog von musikalischen Techniken und Verfahrensweisen festzuschreiben wäre" (Wicke 1997, Sp. 1700).
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Die rhythmische Gestaltung ist bei allen drei Gebrauchsweisen populärer Musik von großer Bedeutung. Soll Musik der Synchronisation von Körperbewegungen mehrerer Individuen dienen, wie es beim Paar- und Gruppentanz, beim Marschieren und bei manchen Arbeitsprozessen angestrebt wird, so muss sie die entsprechenden regelmäßigen und in ihrer Regelmäßigkeit vorhersehbaren Strukturen bereitstellen. Außerdem kann die rhythmische Struktur der Musik erregen, Energie erzeugen und auf diese Weise den Menschen als eine Art Motor für verschiedene Aktivitäten dienen. Die geistig vermittelten Gebrauchsweisen können darüber hinaus, ähnlich wie die praktisch vermittelten, reproduktiven und unterhaltenden Gebrauchsweisen, prinzipiell an alle Aspekte der gehörten Musik anknüpfen, so auch an deren zeitlich-rhythmische Gestaltung. Die von Wicke auf einer recht allgemeinen Ebene fonnulierten Gebrauchsmöglichkeiten und Funktionen populärer Musik müssen allerdings weiter konkretisiert werden. So kam die englische Musiksoziologin Tia DeNara (2000) bei ihren Hörerbefragungen in England und den USA zu der Erkenntnis, dass sowohl die gewählten Hör- und Umgangsweisen und die konkrete Hörsituation als auch die individuelle Hörbiographie zur musikalischen Erfahrung beitragen und den erfahrenen Wirkungen der Musik zugrunde liegen. Der Begriff der "Bereitstellung" oder "Gewährleistung" ("affordance", DeNora 2000, S. 38ft) ist bei DeNora zentral: Musik übt nicht automatisch bestimmte Wirkungen aus, vielmehr stellt sie Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten bereit, die von den Hörern mehr oder weniger bewusst und reflektiert genutzt werden - Möglichkeiten sowohl des Fühlens und der körperlichen Bewegung als auch des sozialen Handeins in privaten und öffentlichen Situationen. DeNora stieß bei ihrer Befragung auf eine Reihe von Funktionen, die Musik im alltäglichen Gebrauch bereitstellt: Musik wird zur gezieHen Veränderung der momentanen Stimmung und des aktuellen körperlichen und mentalen Energielevels eingesetzt. Sie bietet zugleich einen ästhetischen Rahmen für Handlungsmöglichkeiten insbesondere in als "unsicher" erlebten sozialen Situationen. Darüber hinaus stellt Musik aufgrund ihres Vennögens, Erinnerungen und Assoziationen zu "speichern", Ressourcen der Identitäts- und Biografiearbeit bereit und dient dem alltäglichen Prozess der reflexiven Selbstvergewisserung. "Music", so DeNora, "is a material that actors use to elaborate, to fill out and fill in, to themselves and to others, modes of aesthetic agency and, with it, subjective stances and identities. This, then, is what shou/d be meant when we speak of the cultural construction of subjectivity - and this is much more than the idea that culture underwrites generic structures of feeling or aesthetic
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agency as implied in so many post-structuralist writings and by musicologists trained in semiotic analysis of texts" (DeNora 2000,
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Auch im Zeitalter der Massenmedien ist der Umgang mit Musik nicht ausschließlich passiv. Viele Musikhörer konsumieren nicht einfach nur die Fülle der Musik, die ihnen von den Plattenfirmen, Radiostationen und Konzertveranstaltern angeboten wird, sondern gehen aktiv mit der von ihnen präferierten Musik um. So singen sie etwa in Gedanken Melodien oder Melodiephrasen nach- "Ohrwürmer", die bei ihnen "hängen geblieben" sindoder summen diese Melodien laut vor sich hin. Dabei gestalten sie die Melodien nicht selten um, d.h. sie passen die Musik ihren momentanen Allsdrucksbedürfnissen und ihren eigenen stimmlichen Fähigkeiten an. Rhythmus ist laut Simon Frith (1996, S. 143) in populärer Musik deshalb so wichtig, weil er sowohl die körperliche als auch die mentale Einbindung der Hörer in das Klanggeschehen erleichtert. Auch ohne musikalische Ausbildung oder Vorwissen können sich Hörer ohne weiteres mit einem regelmäßigen Rhythmus synchronisieren. Dabei kommt es nicht nur bei den mehr oder weniger konventionalisierten Formen des Tanzens zu einer körperlichen Aktivität der Hörer. Neben dem Tanz gibt es weitere Formen der Körperbewegung, mit denen Hörer musikalische Strukturen aufgreifen oder ergänzen. Sie klopfen den Rhythmus der Musik, die sie gerade hören oder sich vorstellen, bei einer Autofahrt aufs Steuerrad oder lassen ihn in ihre Körperbewegungen einfließen, z.B. wenn sie sich in rhythmischen Bewegungen durch die Wohnung bewegen. Tia DeNora hat bei ihrer Untersuchung von Musik in Fashion-Boutiquen, in denen heutzutage laute Musik vielfach zur Innenausstattung gehört, kurze körperliche Begegnungen der Kunden mit Musik ("brief body encounters with music") beobachtet, "( ... ] where shoppers could be seen to ,fall in' with the music's style and rhythm and where music was visibly profiling consumers' comportment, where it had an impact on the mundane choreography of in-store movement. Some of the ,brief encounters' we witnessed consisted of snapping the fingers or nodding the head (to jazz) , waving the hands, palm outwards (to show tunes), slowing movement, making it more fluid and putting the body in balletic postures and subtly raising the chin and head (to slow-paced languorous music)" (DeNora 2000, S. 144). 5
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Für DeNara (2000, S. 145) stellt die Erforschung einer "alltäglichen Choreographie" ein Desiderat der Alltagssoziologie dar.
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Im Kontext der musikpsychologischen Überlegungen und stilanalytischen Untersuchungen (Kapitel 3 bzw. 5, 6 und 7) sollen auch immer wieder Fragen einer möglichen Verbindung von Eigenheiten der musikalischen Struktur (Tempo, Grad der rhythmischen Kohärenz oder Divergenz, Lautstärke u.a.), dem empfundenen Bewegungscharakter (z.B. ,,Drive") sowie der Art und Intensität des Tanzverhaltens thematisiert werden. Aus der Beobachtung, dass Hörer aktiv und produktiv mit Musik umgehen, ergibt sich ein möglicher Definitionsansatz von "Popularität" und "populärer Musik", welcher der quantitativen Bestimmung - populär ist, was viel gekauft, gesendet und konsumiert wird - gegenübergestellt werden kann. Demnach hängt der Grad der Popularität unmittelbar damit zusammen, in welchem Maße die Musik den Hörern Möglichkeiten bereitstellt, sie aktiv in den Lebensalltag einzugliedern und ihr bei der Lebensgestaltung eine wichtige Rolle zuzuweisen. Rhythmus spielt bei diesem aktiven musikalischen Aneignungsprozess, so meine These, eine entscheidende Rolle.
2. 2 Ansätze und Methoden der Popu larm usi kforsch u ng Produktion von populärer Musik: Kultursoziologie und Ethnographie Wichtige Ansätze der Populannusikforschung konzentrieren sich auf die Rahmenbedingungen und Prozesse der musikalischen Produktion. Nach Richard A. Peterson (1990) beeinflussen eine Reihe von Faktoren die Musikproduktion: juristische Rahmenbedingungen, z.B. die Durchsetzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten, technologische Entwicklungen, industrielle Strukturen der Musikproduktion, Organisationsstrukturen innerhalb der Produktionsunternehmen, Berufskarrieren im Produktionssektor sowie Vorstellungen der Musikproduzenten von den Absatzmärkten für ihre Produkte. Während Petersons Ansatz eher größere soziale und institutionelle Zusammenhänge im Blick hat und z.B. Konjunkturzyklen innerhalb der Tonträgerproduktion untersucht (Peterson/Berger 1975), befasst sich der Soziologe Howard S. Becker mit den Interaktionsprozessen zwischen den am Produktionsprozess beteiligten Personen (Becker 1982). Nach Becker entsteht Kunst in einer arbeitsteiligen Gesellschaft aufgrund des kollektiven Handeins einer Reihe von Spezialisten, die an eine soziale Ordnung mit bestimmten normativen Mustern, Konventionen und Institutionen gebunden sind. Diese Muster und Konventionen geben vor, wie ein Gemälde, ein Roman, ein Film oder ein Musikstück auf angemes-
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sene Art und Weise produziert wird. Da verschiedene Menschen ihr Wissen über die in einem historischen Kontext gültigen Konventionen teilen, können sie als Teil von kooperativen Netzwerken zusammenarbeiten. Diese Netzwerke nennt Becker "Kunstwelten" ("art worlds"), wobei er seinen Kunstbegriff über den hochkultureilen Bereich hinaus auf Comics, Musicals und andere Bereiche der populären Kunstproduktion ausdehnt. Eine "Kunstwelt" besteht aus einem"[ ... ] network of people whose cooperative activity, organized via their joint knowledge of conventional means of doing things, produces the kind of art works that art world is noted for" (Becker 1982, S. x). In vielen Kunstwelten kann man zwischen mehreren Gruppen von Akteuren unterscheiden: den Kunstschaffenden, die als Referenzgruppen für die Entscheidungsfindung der einzelnen Künstler fungieren, dem sog. unterstützenden Personal ("supporting personal"), das innerhalb des Produktionsprozesses verschiedene Ressourcen bereitstellt, den verschiedenen Instanzen der Kunstvermittlung und Kunstkritik und schließlich dem Publikwn. Besonders wichtige Personen innerhalb dieses Prozesses sind sog. Meinungsführer und Gatekeeper, deren Akzeptanz oder Ablehnung von Elementen und Gestaltungsweisen für ein kulturelles Feld maßgebend ist, z.B. Buchherausgeber und Kritiker, aber auch die Freunde eines Pop-Stars. Becker rekonstruiert die Prozesse der Gestaltung eines Kulturprodukts als Entscheidungs- und Handlungsketten, die von einer Reihe von Bestätigungen, Umdeutungen und Ablehnungen geprägt werden. Von der Idee bis zum fertigen Produkt werden von den Akteuren eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen. Die Entscheidungsprozesse werden allerdings von den Beteiligten nicht immer explizit reflektiert oder gar fonnuliert, sondern oftmals als Handlungen und Handlungsabfolgen erlebt. Aufgrund der Handlungen von Individuen und Gruppen, die jeweils eigene Interessen verfolgen, z.B. Geld, Ruhm, Autorität oder Macht zu erlangen oder zu verteidigen, und sich zugleich an den Erwartungen der Anderen orientieren, entstehen typische Handlungsweisen und Konventionen. Der Künstler vollzieht, so Becker weiter, bei vielen bewussten Entscheidungen im Prozess der Kunstproduktion eine Art "inneren Dialog" mit den anderen Mitgliedern der eigenen Referenzgruppe, dem unterstützenden Personal sowie mit den Instanzen der Kunstvennittlung und dem potentiellen Publikum. Hieraus folgt allerdings nicht, dass er immer gemäß derer Erwartungen handelt, vielmehr kann er sich auch gegen die Erwartungen der Anderen entscheiden. Die Kunstproduktion geht nicht immer olme Konflikte vonstatten; künstlerische Innovation wäre ohne Konflikte undenkbar. "[... ] the institutional and cultural patterns which develop within and between ,art worlds'", so der Kunstsoziologe James P. Martin, "are the outcome of a perpetual struggle among groups ofindividuals [... ]" (Martin 1995, S. 181).
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Diese handlungsorientierte Perspektive führt bei Becker zu einem interaktionistischen Stilbegriff: "[ ... ] the essence of a style [...] is not that which may be defined by the musicological analyst, or the historian, but the particular set of conventions and values which the participants in a particular musical ,world' orient themselves to" (Becker 1982, S. 195). Ein musikalischer Stil umfasst demnach bestimmte Konventionen und Werte, die sich die beteiligten Kulturschaffenden in langwierigen Lernprozessen aneignen und an denen sie sich bei ihren Entscheidungs- und Handlungssequenzen orientieren. Das Ziel einer Stilgeschichte populärer Musik bestünde demnach darin, die Konventionen und Werte der Musikschaffenden, die sich in bestimmten expliziten oder impliziten Produktionsästhetiken, aber auch ganz konkret in musikalischen Gestaltungsmitteln und musikalischen Produkten äußern, in ihrer historischen Abfolge und in ihren sozialen und kulturellen Kontexten zu rekonstruieren. Die internalisierten Konventionen und Gestaltungsregeln, die innerhalb einer Kunstwelt gelten, können durch ethnographische Forschung, d.h. durch Befragung der beteiligten Personen und durch teilnehmende Beobachtung, ermittelt und beschrieben werden. Für verschiedene Bereiche populärer Musik ist dieses Forschungsprogramm inzwischen durchgeführt worden, so u.a. für den modernen Jazz durch eine groß angelegte Befragung New Yorker Jazzmusiker in den 1980er Jahren (Berliner 1994), für lokale Szenen von Amateur- und semiprofessionellen Musikern (Finnegan 1989), für regionale Jazz- und MetalSzenen in den USA (Berger 1999), für die Rap Music-Produktion mithilfe von digitalen Samplem (Schloss 2004) sowie für Amateunnusiker, die am heimischen Computer Musik produzieren (Menzel 2005). Allerdings beinhalten diese ethnographischen Studien leider nur in Ausnahmefallen, so etwa bei Berliner ( 1994), eine detaillierte Analyse der musikalischen Gestaltungsmittel und klanglichen Strukturen.
Forschungsansätze zur Rezeption populärer Musik Im Zentrum einer an den Rezeptionsprozessen orientierten Populannusikforschung standen bislang vielfach jene Gebrauchsweisen und Funktionen, die Wicke als die "geistig vennittelten Ansprüche" bezeichnet (Wicke 1997, Sp. 1700). Dabei geht es nicht nur um die Erfahrung individueller Subjektivität im musikalischen Erleben und Genießen. Vielfach rückt die Rolle von Musik bei Prozessen der sozialen Distinktion und der Erfahrung von Gruppenidentität in den Mittelpunkt des Interesses. Die Konstruktionsund Distinktionsprozesse erfolgen, so eine Prämisse der musiksoziologisch orientierten Rezeptionsforschung, nicht allein durch das gemeinsame musikalische Verhalten bestimmter Hörergruppen, sondern durch aktive Prozesse der Bedeutungsbildung und Bedeutungszuschreibung, bei denen den
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klanglichen Gebilden bestimmte Bedeutungsgehalte zugewiesen werden. Wenn mit dem Klanggeschehen nicht nur individuelle Erfahrungen und Assoziationen, sondern Bedeutungen verknüpft werden, die innerhalb einer Gruppe verbindlich sind, müssen bestimmte Konventionen und Regeln der Bedeutungszuschreibung existieren. Die Forscher richten ihr Augenmerk dann darauf, diese Regeln- sog. Codes- zu ermitteln und zu beschreiben. Richard Middleton (1990) unterscheidet hierbei"[ ...] between the roles of individual effects, privileging mechanisms of connotation, and of synthesized syntactic structures, privileging primary types of signification" (Middleton 1990, S. 237). Die "primary types of signification" richten sich auf die fonnalen und syntaktischen Beziehungen musikalischer Einheiten untereinander - Beziehungen, die vielfach mit einer musiktheoretischen Terminologie beschrieben werden können. Hierauf bauen sekundäre Bedeutungsbildungsprozesse auf, die über die musikalische Struktur hinaus auf Inhalte und Konnotationen aus anderen Erfahrungsbereichen verweisen. Dies beinhaltet etwa Anspielungen auf andere Musikstücke oder andere Stilrichtungen, emotionale Konnotationen und mannigfaltige semantische Verweise ebenso wie Bewertungen durch die Rezipienten. Damit diese Konnotationen tatsächlich von mehreren Menschen geteilt und verstanden werden, müssen bestimmte musikalische Codes bestehen, über die musikalisch kompetente Hörer verfügen und durch die sie bestimmte Bedeutungen auf musikalische Einheiten beziehen. Gino Stefani (1981), auf den auch Middleton Bezug nimmt, hat vorgeschlagen, fünf Ebenen der musikalischen Code-Kompetenz zu unterscheiden: 1. Allgemeine Codes, die allen Menschen aufgrund ihrer perzeptiven, emotionalen und kognitiven Ausstattung zugänglich sind und die somit zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen gehören; 2. bestimmte gesellschaftliche Praktiken, die an soziale Institutionen gebunden sind und die viele Menschen aufgrund ihrer Sozialisation miteinander teilen; 3. musikalische Techniken, d.h. mehr oder weniger exklusive musikalische Praktiken und Gestaltungsweisen, die sich ausschließlich auf das Klanggeschehen beziehen; 4. Stile einer Epoche, Gattung oder eines Autors als besondere Konkretisierungen allgemeiner musikalischer Techniken, gesellschaftlicher Praktiken und allgemeiner Codes; und schließlich 5. konkrete, individuelle musikalische Äußerungen, die als bestimmte Musikwerke zu erkennen, ebenfalls Kompetenz erfordert. Verschiedene Hörergruppen unterscheiden sich voneinander aufgrundihrer unterschiedlichen Code-Kompetenzen. Nach Stefani unterscheidet sich eine populäre von einer hochkulturellen Kompetenz vor allem dadurch, dass ers-
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tere sich mehr auf die generellen Codes und sozialen Praktiken richtet, letztere stärker auf die individuellen Musikwerke. Dabei bieten gerade die nur sehr allgemein kodierten bzw. "unterkodierten" Stücke populärer Musik in hohem Maße Möglichkeiten, neue Codes - und damit neue soziale Stile und Bedeutungen - entstehen zu lassen. Auf welche Codes verschiedene Hörergruppen tatsächlich zurückgreifen und wie sich die Codes historisch entwickeln und verändern, müsste empirisch untersucht werden. In der Popularmusikforschung hat sich dieser Aufgabe insbesondere der semiotische Ansatz von Philip Tagg (1979, 1982) angenommen. Durch das Verfahren der "hypothetischen Substitution", bei dem verschiedene Parameter und Elemente ("Museme") eines Musikbeispiels verändert werden und sodann nach den Auswirkungen dieser Veränderungen auf den Bedeutungsgehalt der Musik gefragt wird, soll ermittelt werden, welche Bedeutungen mit welchen musikalischen Parametern und Elementen verknüpft sind. Allerdings hat Tagg diesen im Grunde experimentellen Ansatz erst in jüngster Zeit in einer empirischen Untersuchung umgesetzt (Tagg 2003); in älteren Veröffentlichungen orientiert er sich dagegen vorwiegend an musikgeschichtlichen Bedeutungszuschreibungen, deren Relevanz für Hörer, die in anderen historischen und kulturellen Kontexten sozialisiert sind, jedoch fragwürdig erscheint. Bei den musiksemiotisch orientierten Ansätzen besteht generell die Tendenz, persönliche Interpretationen und Spekulationen über mögliche Bedeutungen an die Stelle einer empirisch abgesicherten Beschreibung jener musikalischen Bedeutungsgebungsprozesse zu setzen, mit denen ganz bestimmte Hörergruppen in konkreten Hörsituationen tatsächlich bestimmten Klanggebilden Bedeutungen zuschreiben. DeNora kritisiert diese subjektiven Interpretationen als Teil eines "theoretischen Kurzschlusses": "This short cut consists of substituting an analyst's understanding of music's social meanings for an empirical investigation of how music is actually read and pressed into use by others, how music actually comes to work in specific situations and moments of appropriation" (DeNora 2000, S. 31).6 Bei einem an der Rezeption orientierten Ansatz besteht darüber hinaus die Gefahr, dass sich die klanglichen Gebilde in ihrer sinnlich wahrnehmbaren Fonn klammheimlich aus den Diskursen um Bedeutungen und soziale Identitäten verabschieden. Denn von der Erkenntnis, dass bei der Musikrezeption je nach musikalischer Kompetenz und musikalischem Code unterschiedliche Musikerfahrungen entstehen können, ist es nur ein kleiner Schritt zur Annahme, es handle sich je nach Rezeptionsweise und Musiker6
DeNara kritisiert diesen ,.semiotischen" Interpretationsansatz u.a. am Beispiel der Musikwissenschaftlerin Susan McCiary, einer Vertreterin der amerikanischen "New Musicology" (DeNora 2000, S. 24-32).
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fahrung auch um unterschiedliche Musik. Dann enthielte populäre Musik, wie Wicke (1992, 2003) schreibt, keine kohärenten Ganzheiten, die sich als "Texte" analysieren lassen; vielmehr werden die klanglichen Strukturen immer nur fragmentarisch wirksam. Nach Wicke ist, je nach Hörkontext und Aneignungsstrategie, "[ ... ] innerhalb des Klanggeschehens niemals nur mit einer, sondern stets mit mehreren strukturellen Konfigurationen von prinzipiell gleicher Gültigkeit zu rechnen. Derselbe Song unter Kopfhörern zu Hause gehört, als Bestandteil einer 90-minütigen Bühnenperformance erlebt oder aber im Club als Tanzvorlage genommen, ist nur dem Namen nach derselbe Song. Wird er beim Tanz von der Basslinie her erschlossen, ergibt sich ein anders strukturiertes Gebilde als beispielsweise bei der subjektzentrierten ästhetischen Wahrnehmung unter Kopfhörern entlang des Wort-Ton-Verhältnisses" (Wicke 2003, S. 118).
Die Grundlagen dieser Umdeutungsmöglichkeiten sieht Wicke in den spezifischen Eigenschaften des klanglichen Materials von populärer Musik begründet: "Gerade weil das Material des Musizierens hier [im Falle populärer Musik] durch technologische, kommerzielle, aber auch soziale Prozesse ( . .. ] begrenzt (oder besser geprägt) bleibt, ist seine permanente Umdeutung durch die (sub)kulturelle Produktion neuer klangstruktureller Bezugssysteme, die auch begrenzten klanglichen Mitteln immer wieder neue Möglichkeiten abgewinnen kann, naheliegend" (Wicke 2003, S. 110).
Den scheinbaren Widerspruch zwischen der Begrenztheit des musikalischen Materials und der Vielfalt möglicher Deutungen versucht Wicke aufzulösen, indem er sich gegen eine "ebenso unfruchtbare wie unhaltbare" Gegenüberstellung von Klanggeschehen, der "Musik selbst", und den kulturellen Prozessen wendet, "in denen dieses allein als Musik funktioniert, bedeutsam wird und Sinn erhält" (Wicke 2003, S. 122). Dabei übernimmt er von Stan Hawkins (2002) die Metapher von Musik als einem gitterartig aufgebauten Netz, in dem das Klanggeschehen Knotenpunkte darstellt, das aber zugleich in andere, nicht-klangliche kulturelle Räume hinauszuweisen vermag. "Werden die klangstrukturellen Konfigurationen als Knotenpunkte eines sich ausdehnenden Netzwerkes von Beziehungen verstanden, dann sind die Klanggestalten kontextabhängig vorstellbar, ohne ihre internen strukturellen Determinanten deshalb an eine Konstellation aus situationsund wahrnehmungsabhängigen Beliebigkeiten zu überschreiben" (Wicke 2003, s. 122).
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Auf diese Weise treten die klanglichen Gebilde und ihre strukturellen Eigenschaften als Knotenpunkte des "Netzwerkes Musik" zurück ins Blickfeld der Populannusikforschung.
Die Analyse des Klanggeschehens Während in der Popularmusikforschung lange Zeit Prozesse der Produktion und Rezeption von populärer Musik ins Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gerückt wurden, wächst inzwischen die Zahl der Untersuchungen, die sich nicht nur mit den Rahmenbedingungen und Kontexten von klanglichen Gebilden, sondern in erster Linie mit dem Klanggeschehen selbst auseinandersetzen. Der hierbei zum Tragen kommende methodische Ansatz der musikalischen Analyse steht in der Tradition sowohl der historischen Musikwissenschaft als auch der musikethnologischen Forschung. Dabei wird der Rückgriff auf herkömmliche musikwissenschaftliehe Analysemethoden entweder verteidigt, indem deren Angemessenheit begründet wird, oder aber diese Methoden werden unter Hinweis auf deren Unangemessenheit modifiziert und erweitert. Bereits Wilfried Meilers äußert in der Einleitung zu seiner frühen Studie der Musik der Beatles ein Misstrauen gegenüber herkömmlichen Analysekonzepten: "[ ... ] it may be not only inadequate but also misleading: for written notation can represent neither the improvised elements nor the immediate distortions of pitch and flexibilities of rhythm which are the essence (not a decoration) of a music orally and aurally conceived" (zit. nach Wicke 2003, S. 112). Allerdings bleibt für Mellers unbestritten: "lf one attempt analysis [... ] one has no choice but to start from the musical facts; and has no means of describing them except in the accepted terminology" (zit. nach Wicke 2003, S. 112). Gerade im unhinterfragten Verwenden der akzeptierten Tenninologiegemeint ist das begriffliche Instrumentarium der europäischen und nordamerikanischen Musiktheorie - sieht Wicke jedoch einen Grund dafür, dass es die Analysen populärer Musik vielfach nicht vermögen, tatsächlich das zu beschreiben, was für Hörer und Musiker wichtig und für die Erfahrung populärer Musik zentral ist. "Bleibt ungeklärt, auf welche Weise Klang in den kulturellen Zusammenhängen des Musizierens jeweils als Musik funktioniert, in welchem sozial, kulturell und diskursiv organisierten Bezugssystem Klang zum Medium des Musizierens ge· macht wird, besteht die Gefahr, aus dem Klanggeschehen musikalische Sach· verhalte zu extrapolieren, die in den kulturellen Zusammenhängen, in denen die entsprechenden Klanggebilde als Musik funktionieren, keine oder zumindest doch keine relevanten Entsprechungen haben, auch wenn sie innerhalb der
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klanglichen Parameter selbst durchaus aufzugehen scheinen" (Wicke 2003, 5. 109).
Beispielsweise kommt eine Analyse der harmonischen Struktur eines Techno-Tracks nicht unbedingt zu falschen, aber vor dem Hintergrund der Musikerfahrung der Techno-Fans zu eher marginalen oder gar zu irrelevanten Ergebnissen. Voraussetzung einer adäquaten Analyse populärer Musik ist es vielmehr, vorab zu klären, welche klanglichen Dimensionen für die Musikerfahrung von Bedeutung, welche dagegen für die Hörer unerheblich sind. Auch David Brackett sieht die entscheidende Frage der Validität popmusikalischer Analyse darin zu ermitteln,"[ ... ] what guarantees the ,fit' between the song, the audience, and the analytical discourse" (Brackett 1995, S. 20). Entscheidend hierfür ist eine Orientierung an den Kontexten, aus denen die Musik stammt und in denen sie rezipiert wird. "The more we lmow about how people listen to a piece of music, how they evaluate it, what they do with it, and the type of meanings they attribute to it, the clearer the idea we can get of what is pertinent in the text" (Brackett 1995, S. 18). Die analytische Fragerichtung ergibt sich somit im Idealfall aus den kulturellen Diskursen und sozialen Verhaltensweisen, in die ein Musikstück, ein Stil oder ein Genre eingebettet ist. Diese Diskurse spiegeln sich in historischen Dokumenten, Biographien, Zeitschriftenartikeln und Interviews, in Musikvideos, Musikfilmen und Pressetexten und können durch direkte Befragung von Musikern und "Fans" vertieft werden. Dabei verwischt möglicherweise die Grenze zwischen der auditiven Erfahrung klanglicher Gebilde, den visuellen Komponenten der Musikrezeption bei Konzerten und Video-Clips und der körperlichen Erfahrung eines durch hohe Lautstärkepegel "gefühlten" Klangs. Zwar ist es nicht die Absichten der vorliegenden Untersuchung, eine Sozialgeschichte der Produktion und Rezeption von populärer Musik zu verfassen. 7 Vor dem Hintergrund der geschilderten Überlegungen gilt es jedoch, bei der Untersuchung des Klanggeschehens den Umstand zu berücksichtigen, dass die Produktions- und Rezeptionskontexte entscheidend mitprägen, welche Klangstrukturen entstehen und was jeweils als Musik erfahren wird. Der Stand der technologischen Entwicklung von Musikinstrumenten, Beschallungstechnik, Aufnahmetechnik und Tonträgermedien hat direkten Einfluss darauf, was zu einer bestimmten Zeit musikalisch geschaffen und erfahren werden kann. Zugleich gewinnt die Analyse des Klanggeschehens ihre Fragerichtung innner aus den sozialen Praktiken,
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Hierzu existiert bereits eine umfassende Forschungsliteratur, vgl. etwa Jost 1982, George 1988, Friedlander 1996, Ward 1998, Wicke 1997, 1998, 2001.
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Bedürfnissen, Funktionen und Bedeutungszuschreibungen, welche die Produktion und Rezeption von Musik prägen. Trotz einer zunehmend fruchtbaren Methodenreflexion innerhalb der Popularmusikforschung besteht noch immer eine Kluft zwischen der angestrebten Orientierung an den konkreten Kontexten und Strategien der Musikrezeption und der tatsächlichen Ausführung einer musikalischen Analyse, die sich vielfach nach wie vor an Notentexten und an der "Diktatur des funktional-harmonischen Systems" (Wicke 2003, S. 123) orientiert. Wicke weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Auseinandersetzung einer neuen Generation amerikanischer Musiktheoretiker mit populärer Musik weitgehend auf den Bereich des sog. Progressive Rock beschränkt, da in dieser Stilrichtung aufgrund einer Kontinuität zu Gestaltungsmitteln in klassisch-romantischer Musik mit herkömmlichen Analysemethoden durchaus zu Ergebnissen zu gelangen ist. Ganz im Sinne der Schenkersehen Tradition der Musiktheorie in den USA wird dabei der Blick in erster Linie auf die tonal-hannonischen und auf die formalen Struktureigenschaften der Stücke gerichtet - also auf jene Parameter, auf die zu hören die Wissenschaftler geschult wurden und bei denen die herkömmlichen Analysewerkzeuge am besten greifen. Laut Wicke ist dieses Verfahren jedoch zirkelschlüssig, da es darauf hinaus läuft, "den Gegenstand so zu konstruieren, dass der Analysierende selbst zum idealtypischen Hörer dafür wird" (Wicke 2003, S. 114). Dagegen gilt es laut Wicke zunächst, die musiktheoretischen Grundannahmen zu hinterfragen, an denen sich die musikalische Analyse orientiert. "Solange es [... ] nicht gelingt, musikalische Praxis und musikalische Analyse in ein angemessenes, theoretisch begründetes und begrifflich schlüssiges Verhältnis zueinander zu bringen, so lange wird die Kluft zwischen musikanalytischen und kulturanalytischen Zugängen sich nicht schließen lassen" (Wicke 2003, S. 124). Genau dies soll in den beiden folgenden Kapiteln für das Phänomen Rhythmus geleistet werden: eine musiktheoretische Begründung und terminologische Klänmg, die von den psychologischen Grundlagen der Rhythmuswahrnehmung und Rhythmuserfahrung ihren Ausgang nimmt und Voraussetzung ist für eine adäquate Untersuchung des Rhythmus in der Geschichte populärer Musik.
Transkribieren als analytischer Prozess Für die stilanalytischen Untersuchungen in den Kapiteln 5-7 mussten aus dem riesigen Fundus populären Musikschaffens eine Reihe von Musikbeispielen ausgewählt werden. Die Auswahl erfolgte auf der Grundlage des Hörens vieler hundert Musikaufnahmen, aufgrund zahlreicher informeller Gesprächen mit Kennern verschiedener Stilrichtungen populärer Musik
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sowie aufgrund der Sichtung von Literatur zur populären Musik. Wichtig erschien mir, die eigene Hörerfahrung durch die Zeugnisse Anderer, wie sie in historischen Quellen und wissenschaftlichen Texten dokumentiert sind, zu stützen bzw. zu erweitern. Konkrete Auswahlkriterien für die untersuchten Klangdokumente waren zudem die Bekanntheit und Popularität von Aufuahmen, wie sie sich u.a. im konunerziellen Erfolg und in Chart-Platzierungen der Stücke äußert, sowie der Stellenwert, der bestimmten Künstlern und Musikstücken innerhalb der Geschichte populärer Musik zugesprochen wird. Die musikalische Analyse stützt sich im Falle populärer Musik nicht auf Notentexte, sondern auf Klangdokumente. Anders als die Musik der europäischen Kunstmusiktradition zirkuliert populäre Musik spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts in erster Linie als Klangaufnahmen. Für eine präzise Beschreibung und Analyse der musikalischen Strukturen ist allerdings eine Übersetzung des zeitlichen Nacheinanders des Klanggeschehens in das räumliche Nebeneinander von graphischen Darstellungsfonneu vorteilhaft. Das Übersetzen des Hörerlebnisses von klanglichen Gebilden in graphische Symbolsysteme wird Transkription (wörtlich: Umschrift) genannt (Stockmann 1998, Sp. 730). Transkriptionen erleichtern Vergleiche zwischen verschiedenen Stücken und Stilbereichen und machen musikalische Details greifbar, die dem einmaligen Hören mitunter verborgen bleiben. Sie dienen außerdem dazu, die im Analyseprozess gewonnenen Erkenntnisse zu belegen und den Lesern anschaulich und nachvollziehbar zu vermitteln. "Das Hauptziel einer Transkription besteht darin, die für ein Stück und für die Träger einer Musikkultur wesentlichen musikalischen Faktoren präzise und in überschaubarer Fonn darzustellen; sie soll einerseits leicht les- und verstehbar sein und darf andererseits den musikalischen Sinn nicht verzerren oder verfälschen" (Stockmann 1979, S. 214). Die Musikethnologin Doris Stockmann definiert das Transkribieren als "musikalisches Hören unter erschwerten Bedingungen" (Stockmann 1979, S. 21 0), da subjektive Hörinhalte so in einem Schriftsystem zur Darstellung gebracht werden müssen, dass ein Anderer sie adäquat nachvollziehen kann. "Die Niederschrift", so Stockmann weiter, "ist ein Prozess der Abstraktion, in dem von der sinnlichen zur rationalen Erkenntnis übergegangen wird. Hierbei muss der Transhiptor die in ihm ablaufenden psychophysischen Prozesse in konkrete Details des Notationssystems umdenken; er muß das mehr oder weniger integrierend Erfaßte wieder in Bestandteile zerlegen" (Stockmann 1998, Sp. 728). Nach Stockmann durchläuft ein Transhiptor während des Transkribierens einen Lernprozess, bei dem sich seine Hörerfahrung und dadurch in vielen Fällen auch seine Notationsweise verändern kann. Dabei geht es allerdings nicht nur um eine Umsetzung von psychakustischen Prozessen in
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graphische Symbole. Vielmehr gilt es, sich weiterer Faktoren, die das eigene Musikerleben unmittelbar prägen, - Einflüsse der eigenen Hörerfahrung und der schematischen Wahrnehmung, körperliche und emotionale Reaktionen u.a. - bewusst zu werden. Der Zugang zu den klanglichen Strukturen und zu den verschiedenen Dimensionen der eigenen Musikerfahrung wird im Prozess des Transkribierens oftmals erweitert und vertieft. Peter Winkler (1997) geht sogar so weit, den Nutzen von Transkriptionen für den Musikforscher weniger im Produkt, dem transkribierten Notentext, als im Transkribieren selbst zu sehen: im Prozess des wiederholten aufmerksamen Hinhörens und der (nicht immer befriedigenden) Versuche, die relevanten Aspekte des Gehörten in eine graphische Darstellung zu überführen.
Zu den Notenbeispielen und Spektraldarstellungen Auch im Falle der Untersuchung populärer Musik werden Darstellungsweisen benötigt, die über eine pauschale Beschreibung des Klanggeschehens hinausgehen, die den analytischen Fragestellungen angemessen sind und die zugleich einen Nachvollzug des Analyseprozesses sowie die Überprüfung der Analyseergebnisse durch den Leser ennöglichen. Die Notenbeispiele in den folgenden Kapiteln beruhen auf Transkriptionen, die vor dem Hintergrund ganz bestimmter analytischer Fragestellungen zur gezielten Darstellung bestimmter Merkmale der untersuchten Musik angefertigt worden sind. Sie lassen sich daher nur im Zusammenhang mit den sie begleitenden Erläuterungen und den entsprechenden Klangbeispielen angemessen verstehen. Ihr Zweck ist es, die Aufmerksamkeit auf je unterschiedliche Aspekte der rhythmischen Struktur zu lenken. In mehrerer Hinsicht handelt es sich um unvollkommene Repräsentationen der tatsächlich erklingenden Musik: Die Notenbeispiele geben nur zeitlich begrenzte Ausschnitte aus längeren Stücken wieder. In vielen Fällen isolieren sie einzelne Instrumentalstimmen aus dem Zusammenspiel mehrerer Musiker. Zudem können die Transkriptionen manche klanglichen Besonderheiten der Musik nur ansatzweise wiedergeben. Ein Rückgriff auf die abendländische Notenschrift ist aus mehreren Gründen naheliegend. Zum einen ist sie nach wie vor dasjenige Notationssystem, das von vielen Musikinteressierten gelesen und mit der gehörten Musik in Verbindung gebracht werden kann. Zum anderen vermag die europäische Liniennotation neben den Tonhöhen zugleich die Ereignisdauern bzw. die Abstände zwischen den Anfangen von Klängen (Interonsetintervalle) graphisch abzubilden. In den Kapiteln 5-7 werden die herkömmlichen Notenwerte auch dann verwendet, wenn nur Tonanfange und Interonsetintervalle dargestellt werden sollen - etwa dann, wenn die tatsächlichen Dauern der Klänge sehr kurz (wie bei zahlreichen Perkussionsinstrumen-
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ten) oder nur schwer zu bestimmen sind. Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurden bei der Darstellung kurzer, perkussiver Klängen auf Pausenzeichen zugunsten längerer Dauernwerte der Noten verzichtet. Die Dauer des Grundschlags bzw. des Grundtempos wird in der Regel in Schlägen pro Minute (beats per minute, bpm) angegeben. In den meisten Fällen wird der Grundschlag - abhängig von der vorherrschenden Grundschlagsunterteilung - als Viertelnote (J) oder punktierte Viertel (.J) notiert, seltener als Achtel oder halbe Note. Durch die Wahl von Notenwerten und Pausen sowie durch Balken (bei Achtelnoten) können zusätzlich Gruppierungen oder Akzentuierungen verdeutlicht werden. Grundlegend ist eine parallele, also partiturartige Anordnung der Stimmen. Um auch bei rhythmisch komplexen Texturen die Darstellung halbwegs übersichtlich zu gestalten, werden verschiedene Stimmen mitunter in einem Notensystem zusammengefasst. Taktvorzeichnungen und durchgehende Taktstriche werden nur bei der Transkription von Melodien verwendet, die sich im Sinne der abendländischen Musiktheorie als eindeutig taktmetrisch organisiert verstehen lassen. Bei Stücken, die sich auf konventionelle Formmodelle- z.B. die 32taktige Song-Form oder die 12taktige Blues-Form- beziehen, werden ebenfalls die in diesen Stilbereichen üblichen Taktvorzeichnungen und Taktstriche verwendet, um eine Orientierung des Lesers zu erleichtern. Da eine Gliederung des Notentextes generell dessen Lesbarkeit erleichtert, werden in vielen Notenbeispielen Einheiten, die der Länge einer metrischen Einheit (in der Regel vier Grundschläge) oder eines zyklisch wiederholten Patterns entsprechen, durch Häkchen markiert. Anders als beim europäischen Taktmetrum impliziert diese Kennzeichnung jedoch nicht automatisch eine Akzentuierung des Beginns der Einheit. Bei der Notation der Komponenten des modernen Schlagzeug-Sets wird noch immer nicht ganz einheitlich verfahren. Ich folge weitgehend den Vorschlägen von Paul Berliner (1994, S. 514, vgl. Abb. 1). Weitere Schlagzeugkomponenten und besondere Schlagtechniken sind in den Notenbeispielen vennerkt.
Becken
D
J
SnareDrum
J
j
J BassDrum
hohe Tom-tom
Hi-Hatmit Fußpedal
• tiefe Tom-tom
Abb. 1: Notation der Komponenten des modernen Drumsets (nach Berliner 1994, S. 514).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Audio-Software erleichtert vielfach den Transkriptionsprozess, schon indem sie einen schnelleren Zugriff auf alle Teile eines digitalisierten Klangdokuments ermöglicht. Mit Audio-Editoren lassen sich zudem kurze Töne isoliert abtasten, bestimmte Passagen verlangsamt abspielen sowie einzelne Frequenzbänder durch Bandpassfilter isolieren. Dies erleichtert den Transkriptionsprozess insbesondere bei hohen Tempi, dichten Klangtexturen und bei schlechter Aufnahmequalität der Klangdokumente. Durch die Umsetzung in einen Notentext vermittels Notations-Software mit MIDIAnbindung können die Transkriptionen auditiv mit dem Original abgeglichen werden. 8 In einigen Fällen konnte die eigene Transkription zudem mit der Darstellungsweise anderer Autoren verglichen werden. Bei der Untersuchung der mikrorhythmischen Gestaltung wurden Spektrogramme mit der Methode der schnellen Fourieranalyse (Fast Fourier Transformation, FFT) erstellt. 9 Dabei werden die Spektraldarstellungen direkt auf die entsprechenden Notenbeispiele bezogen. In Spektrogrammen wird die Stärke des Energieanteils bestimmter Frequenzbänder mit dem zeitlichen Verlauf eines Klangdokuments in Beziehung gesetzt. Da bei mikrorhythmischen Fragestellungen eine hohe zeitliche Auflösung entscheidend ist, wird zumeist eine relativ kleine Fensterbreite mit geringer Überlappung der Analysefenster gewählt. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass bei kleiner Fensterbreite die Frequenzauflösung relativ grob ist. Die Fensterbreite von 256, 512 bzw. 1024 Sampies (Signalabtastungen) und der üblichen Sampling-Frequenz von 44.1 kHz entspricht einer zeitlichen Auflösung von 5.8, 11.6 bzw. 23.2 ms (Anzahl der Sampies geteilt durch Sampling-Frequenz) und einer Frequenzauflösung von 172, 86 bzw. 43 Hz (Sampling-Frequenz geteilt durch Anzahl der Samples). Grundsätzlich entspricht der relative Schwärzegrad im Spektragramm der relativen Stärke, mit der Frequenzbereiche zu einem bestimmten Zeitpunkt im Gesamtklang vertreten sind. Geräuschartige Klänge, z.B. Beckenklänge oder Snare Drum-Schläge, zeichnen sich durch ein sehr breites Frequenzspektrum und somit im Spektragramm durch vertikale Linien aus, die sich mitunter über den gesamten hörbaren Frequenzbereich (ca. 20 Hz bis ca. 16 kHz) erstrecken. Klänge mit festen Tonhöhen werden dagegen vorwiegend im unteren Frequenzbereich durch mehrere parallel übereinander liegende horizontale Linien dargestellt, die den einzelnen Partialtönen des Klanges entsprechen.
8
9
Für die Untersuchung wurden die Audio·Editoren Cool Edit 2000 der Syntrillium Software Corporation und Adobe Audition 1.5 der Adobe Systems lnc. sowie das Notationsprogramm Finale 2001c.r1 der Firma Coda Music Technology verwendet. Die Druckfassung der Spektrogramme wurde mit der Klanganalyse-Software STx 3.6.1 des akustischen Forschungsinstituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erstellt.
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3
PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER RHYTHMUSERFAHRUNG
3.1 Grundkonzepte der psychologischen Rhythmusforschung Rhythmus - eine Begriffsklärung aus musikpsychologischer Perspektive In der Psychologie wird bekanntlich das Verhalten des Menschen untersucht - sein äußeres, direkt beobachtbares Verhalten ebenso wie die inneren, psychischen Vorgänge, u.a. Wahrnehmen, Denken, Erkennen, Fühlen, Erinnern, Vorstellen, Lernen und Motivation. Befassen sich Psychologen mit Rhythmusphänomenen, so stehen die inneren und äußeren Verhaltensweisen im Blickpunkt, mit denen Menschen zeitlich strukturierte Ereignisfolgen erzeugen oder auf zeitliche Strukturen in ihrer Umwelt reagieren. Rhythmen begegnen dem Menschen in vielen Lebensbereichen, so bei Abläufen und Bewegungen in der natürlichen Umwelt und im sozialen Zusammenleben, bei Körperbewegungen, beim Sprechen - und eben in der Musik. Dennoch gibt es in der Psychologie bislang keine griffige, allgemein anerkannte Rhythmusdefinition (vgl. Spitznagel 2000). Vielmehr hängt das jeweilige Rhythmusverständnis vom untersuchten Phänomenbereich sowie von den theoretischen und methodologischen Ansätzen ab, die bei der Erforschung dieser Phänomene angewendet werden. In den vergangeneu Jahrzehnten ist Rhythmusphänomenen innerhalb der musikpsychologischen Forschung große Aufmerksamkeit zuteil geworden (vgl. Gabrielsson 1986, 1993, Handel 1989, S. 382-459, Clarke 1999, Bruhn 2000, Schulze 2005). Innerhalb der musikpsychologischen Forschung dient "musikalischer Rhythmus" vielfach als Überbegriff für eine Reihe von Phänomenen der Wahrnehmung und Gestaltung von musikalischen Strukturen in unmittelbar überschaubaren Zeitdimensionen. Der Musikpsychologe Alf Gabrielsson schlägt folgende Definition vor: "[ ... ] the experience of rhythm includes some kind of grouping, accents, and
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
regularity within the Iimits of the psychological present" (Gabrielsson 1993, S. 97). Die musikalische Rhythmuserfahrung stützt sich demnach auf die Gruppierung von Klangereignissen1 innerhalb enger zeitlicher Grenzen, auf die unterschiedlichen Gewichtungen oder Akzentuierungen der einzelnen Klänge sowie auf eine gewisse Regelmäßigkeit in der zeitlichen Struktur der Klänge.2 Wohlgemerkt spricht Gabrielsson nicht von "Rhythmus", sondern von "Rhythmuse~fahrung" ("rhythm experience"). Dies kommt nicht von ungefahr. In der Musikpsychologie stehen weder die physikalischen Strukturen des Schalls noch die extern kodierten Informationen (Notenschrift, mechanische oder elektronische Speichermedien) im Mittelpunkt des Interesses, sondern vielmehr die inneren und äußeren Verhaltensweisen der Menschen. Rhythmus wird daher als Phänomen des Gestaltens und Wahmehmens betrachtet. Die Angemessenheit der psychologischen Perspektive erweist sich unter anderem daran, dass sich in manchen Fällen die wahrgenommenen rhythmischen Strukturen anband der akustischen Stimuli nicht eindeutig bestimmen oder vorhersagen lassen. Bedenkt man weiter, dass in Musik nonnalerweise mehrere Klangfolgen, deren rhythmische Strukturen womöglich voneinander abweichen, simultan erklingen, so ergeben sich mehrere bzw. mehrdeutige Möglichkeiten der musikalischen Rhythmuswahmehmung. Es genügt somit nicht, rhythmische Strukturen allein anband von akustischen Daten oder Notentexten zu beschreiben. Vielmehr gilt es, die psychologischen Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen, auf deren Grundlage Rhythmus wahrgenommen und erfahren wird. Wie bereits im Einführungskapitel angedeutet, kann zwischen zwei Verwendungsweisen des Begriffs "musikalischer Rhythmus" unterschieden werden. In einer ersten Bedeutung ist jede Klangfolge zugleich ein Rhythmus bzw. eine Rhythmusgestalt In diesem Sinne ist auch jede Melodie oder melodische Gestalt zugleich eine Rhythmusgestalt; umgekehrt sind jedoch nur jene Rhythmusgestalten, die Tonhöhenverläufe aufweisen, zugleich Melodien. Aufgrund der sich ergebenden tenninologischen Unschär-
2
Mit "Klang" und "Klangereignis" sind im Folgenden alle elementaren Einheiten der auditiven Wahrnehmung gemeint; dies beinhaltet auch Geräusche oder Ge· räuschereignisse. "Klang" wird somit nicht auf die enge physikalische Bedeu· tung eines Gemisches aus Sinustönen eingeschränkt, sondern wird eher im Sinne des engl. Ausdrucks "sound" verwendet; ausgeschlossen bleibt allerdings kontinuierliches Rauschen ("noise"). Ich ziehe "Klang" und "Klangereignis" dem Ausdruck "auditives Objekt" vor, für den Herbert Bruhn (2000) plädiert; andere Autoren wählen die Bezeichnungen "auditory event" oder "auditory image" (vgl. Bruhn 2000, S. 44). Klangfolgen, die nicht als geordnet oder strukturiert erfahren werden, könnten dagegen als unrhythmisch oder arhythmisch - analog zum Begriff der Atonalität - bezeichnet werden (vgl. Seidel 1976, S. 3) . Gabrielsson schreibt hierzu: "We would thus experience non-rhythm if these conditions are not met, that is, if there were no perceived grouping, accent or regularity, or exceeding the temporal limits for what we can perceive as belanging tagether at once" (Gabrielsson 1993, S. 97).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
fe wird der Rhythmusbegriff im Folgenden jedoch vorwiegend in einer zweiten Bedeutung verwendet, nach der jede Klangfolge (so auch jede Melodie) einen Rhythmus bzw. mehrere Rhythmen oder Rhythmuskomponenten besitzt- im Sinne einer oder mehrerer aus der Klangfolge abstrahierten zeitlichen Struktur(en). Dabei fließen in die wahrgenommene Rhythmusstrukturen immer auch nicht-zeitliche Informationen über die Klangereignisse (z.B. Unterschiede der Lautstärke, Klangfarbe oder Tonhöhe) mit ein. In der Psychologie werden Folgen von Klängen, deren Reihenfolge sich beschreiben lässt, in einem allgemeinen Sinne als auditive Sequenzen, sequenzielle Muster oder Patterns bezeichnet (vgl. Michon 1978, S. 90). Bezieht sich die Beschreibung nicht nur auf die Reihenfolge der Klänge, sondem auf die genaue zeitliche Struktur von Klangdauern und Pausen, so handelt es sich um zeitliche Sequenzen oder Patterns (vgl. Michon 1978, S. 90±). Die zeitlichen Eigenschaften der Klangfolgen - Reihenfolge, Dauern und Pausen- werden unter dem Begriff "Timing"3 zusammengefasst (vgl. Handel 1989, S. 384). Zentral für das Timing sind die Abstände zwischen den Anfangspunkten (Onsets) zweieraufeinander folgender Ereignisse, die als lnteronsetintervalle (101) bezeichnet werden. Eine Reihe von musikpsychologischen Untersuchungen (z.B. Povel/Essens 1985, Parncutt 1994, Handel 1998) befassen sich aus Gründen der experimentellen Kontrollierbarkeit ausschließlich mit den lnteronsetintervallen in Sequenzen klanglich identischer Ereignisse und lassen andere Faktoren, z.B. die zeitliche Strukturen des Tonhöhenverlaufs oder der Klangfarben, außer acht. Möglichen Rückschlüssen auf die musikalische Rhythmuserfahrung sind bei diesen Untersuchungen daher Grenzen gesetzt.
Die zeitliche Struktur der Aufmerksamkeit Musikhören ist eine Tätigkeit, die Aufmerksamkeit erfordert. Das Wahrnehmen von Musik ist kein passives Entgegennehmen von Reizen, sondern ein aktiver Prozess der lnfonnationsverarbeitung. Der aktive, konstruktive Charakter der menschlichen Wahrnehmung spiegelt sich im psychologischen Konzept der Aufmerksamkeit wider. Damit werden in der Psychologie alle Prozesse der Auswahl und aktiven Zuwendung beim Aufnehmen von Informationen aus der Umwelt beschrieben (Goldstein 2002, S. 131±). Aufmerksamkeit ist ein zentraler Aspekt der Informationsverarbeitung, der nicht nur dem Wahrnehmen, sondern ebenso dem Erinnern und Denken sowie zahlreichen praktischen Tätigkeiten zugrunde liegt. Aufmerksam3
Abweichend hiervon verstehen Clarke (1999) und Bruhn (2000) unter Timing die mikrorhythmischen Abweichungen von einer isochronen Pulsfolge; hierfür verwende ich den Ausdruck "Mikrotiming" .
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
keitsprozesse sind in der Regel bewusst. Allerdings gibt es auch viele automatisierte und unbewusst gewordene Abläufe. Dadurch wird möglich, dass gleichzeitig verschiedenen kognitiven Prozessen Aufmerksamkeit zuteil werden kann. Die Aufmerksamkeitsressourcen, über die der Mensch verfügt, sind jedoch beschränkt. Die Kapazität der Aufmerksamkeitsressourcen wurde in der Psychologie in zahlreichen Studien vorwiegend anband der visuellen und auditiven Wahrnehmung untersucht (vgl. Anderson 2001, s. 75-106). Während bei der visuellen Wahrnehmung hauptsächlich Auswirkungen der räumlichen Anordnung bestimmter Reize erforscht wurden, ist für die auditive Wahrnehmung deren zeitliche Struktur besonders wichtig (vgl. Jones 1986, Jones/Yee 1993). Das Modell der dynamischen Aufmerksamkeit ("dynamic attending"), das die amerikanische Psychologin Mari Riess Jones entwickelt hat, setzt die zeitliche Struktur von Aufmerksamkeitsprozessen mit der zeitlichen Struktur der Umweltereignisse in Verbindung. In ihrem programmatischen Aufsatz Time, Gur Lost Dimension. Towards a New Theory of Perception, Attention, and Memory (Jones 1976) beklagt Jones, dass in der psychologischen Forschung zu Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis die zeitliche Struktur der verwendeten Stimuli nur ungenügend berücksichtigt wird. Zwar wird die zeitliche Abfolge von Ereignissen, z.B. die äußerst komplexen Abfolgen von Phonemen beim Sprechen, ansatzweise reflektiert (z.B. bei Martin 1972). Die Wahrnehmung und mentale Repräsentation der Ereignisdauern und der zeitlichen Abstände zwischen Ereignissen wird dagegen kaum problematisiert. Eine zeitliche Struktur ist jedoch fast allen Abläufen im Verhalten wie auch in der Umwelt des Menschen eingeschrieben und ist somit "one of the defining properties of our world and so of ourselves" (Jones 1976, S. 352). Die Bestimmung der zeitlichen Ordnungen, in denen Menschen leben, wird allerdings in der Regel der Physik und deren Zeitverständnis überlassen. Der physikalische Zeitbegriff ist jedoch, so Jones, dem menschlichen Erleben zeitlicher Strukturen nicht angemessen und vennag nicht, die Eigenheiten der menschlichen Zeitwahrnehmung zu erklären. Isaac Newton hat die Zeitvorstellung der modernen Naturwissenschaften in seinen Mathematischen Prinzipien der Naturphilosophie paradigmatisch formuliert: "Die absolute, wahre mathematische Zeit fließt gleichmäßig an sich und ihrer Natur nach, ohne Beziehung auf irgend etwas Äußerliches. Sie wird mit einem anderen Ausdruck als ,Dauer' bezeichnet: relativ, augenscheinlich und gewöhnlich ist ihr beliebiges, sinnliches und durch Bewegung gegebenes äußeres Maß (sei es nun exakt oder ungleichmäßig), das man gewöhnlich anstelle der wahren Zeit verwendet: wie z.B. die Stunde, der Tag, der Monat, das Jahr" (zit. in: Cramer 1996, S. 37).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Die Vorstellung einer absoluten Zeit, bei der ausdehnungslose Zeitpunkte auf eine Art Zeitstrahl aufgereiht sind, ennöglichte zwar die Entwicklung der Differentialrechnung, mit der Bewegungen physikalischer Objekte mathematisch exakt als eine Folge von Zuständen oder Zeitpunkten minimaler Dauer beschrieben werden können. Dabei wird jedoch die menschliche Erfahrung von Gegenwart ignoriert und die Erfahrung von Zukunft und Vergangenheit als gleichwertig beschrieben, da der Zeitstrahl prinzipiell umkehrbar ist und daher die Zeit in beide Richtungen verlaufen kann. Die Vorstellung eines reversiblen Zeitpfeils hat jedoch wenig mit der psychologischen Erfahrung von alltäglichen Ereignissen und Abläufen gemeinsam. Die von Newton angesprochene relative Zeit, die ja auch im Alltag zur Zeitmessung und zur Koordination sozialen Handeins verwendet wird, nutzt die Dauer bestimmter Bewegungen - z.B. der Pendelbewegung einer Turmuhr- als eher zufällige Maßeinheit, mit der die Dauer bestimmter Ereignisse und Abläufe losgelöst von deren realen zeitlichen Strukturen gemessen werden kann.
Zeitliche Kohärenz, Erwartung, Synchronisation Der Konzeption der Zeit als einer Linie von Zeitpunkten sowie als Dauern mit zufälligen Anfangs- und Endpunkten stellt Jones die dynamische Ereigniszeit gegenüber, bei der Zeit ein konstitutiver Teil der Ereignisse und Abläufe der alltäglichen Umwelt ist: 4 "Time periods play an intrinsic rote in the relational structure of everyday events. Not only do we find characteristic markers that identify commonplace events, but these markers often outline characteristic time periods, ones of constrained lengths, that also go along with these events. That is, conversations, turntaking times, symphonies, and so on cannot take on any value; there are Iimits to the tempi found in action patterns, in speech, and in music and there are naturallimits to whole event durations as well" (Jones 1990, S. 208).
Ereignisse und Abläufe in der Erfahrungswelt des Menschen besitzen demnach charakteristische Zeitdauem; ihre Anfänge und Schlüsse sowie Einschnitte innerhalb der Abläufe sind in der Regel durch bestimmte Markierungen gekennzeichnet. 4
Jones (1990) prägt für die beiden entgegengesetzten Zeitvorstellungen der Physik und der Alltagserfahrung die Ausdrücke "high church time" (physikalische Zeit) und "garden variety time" (alltägliche Ereigniszeit). Diese Unterscheidung steht quer zur Subjektivierung der Zeit, wie sie von Philosophen wie Kant und Bergson vorgenommen wurde. Denn Zeit ist nach Jones keine bloße Wahrnehmungskategorie, die sich an die physikalische Zeit (Kant) oder die Phänomene (Bergson) anlehnt, sondern ist den Ereignissen und Abläufen der realen Welt eingeschrieben (vgl. Jones/Boltz 1989, 5. 487).
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Die zeitlichen Ereignisstrukturen können nun unterschiedliche Grade an zeitlicher Kohärenz aufweisen. Ein hoher Kohärenzgrad besteht bei all jenen zeitlichen Ereignisstrukturen, die hierarchisch organisiert sind - Jones spricht von "nested time Levels", von ineinander geschachtelten Zeitebenen. Die hierarchische Organisation bezieht sich dabei auf"[ . .. ] a time structure, in which the temporal distribution of markers reveals nested time Levels that are consistently related to one another at a given Level by ratio or additive time transformations" (Jones/ Boltz 1989, S. 465). Nach Jones und Boltz lassen sich zwei Arten der hierarchischen Zeitstrukturierung unterscheiden. Bei der sog. Verhältniszeittransformation ("ratio time transformation", "vertikale" Zeitverhältnisse) können die Zeitintervalle auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen durch einfache Multiplikation oder Division mit einer kleinen ganzzahligen Konstanten ineinander überführt werden. Mathematisch lässt sich dieser Transformationstyp durch folgende Exponentialfunktion beschreiben: f'..T,, = f'..T0 · C1" (mit n = 1, 2, 3 ...). Die Zeiteinheiten ( f'..T,,) der n-ten hierarchischen Ebene ergeben sich, indem die kleinste Zeiteinheit ( 1'1T0 ) n Mal mit einer Konstanten (C,) multipliziert wird (daher C1" ) . So führt z.B. die Konstante C, = 2, ein bei musikalischen Strukturen weit verbreiteter Fall, zu einer jeweiligen Verdopplung der Zeiteinheit f'..T" einer Ebene gegenüber der Einheit der vorhergehenden Ebene f'..T,,_, . Bei der additiven Zeittransformation ("horizontale" Zeitverhältnisse) werden Dauern der tieferen hierarchischen Ebene (kürzere Zeitintervalle) durch Addition von Konstanten in Dauern der höheren Ebene (längere Zeitintervalle) überführt: f'..Tn = 1'1T0 + n · C, (mit n = 1, 2, 3 ...). Allerdings sind nicht alle Abläufe in der menschlichen Erfahrungswelt streng hierarchisch organisiert. Nichthierarchische Ereignisstrukturen weisen jedoch einen weit geringeren Grad an zeitlicher Kohärenz aufund sind daher schwerer kognitiv zu verarbeiten. Jones und Boltz (1989, S. 466f) nennen eine Reihe von alltäglichen Ereignissen und Abläufen, die hierarchisch organisiert sind und daher eine relativ hohe zeitliche Kohärenz besitzen, darunter verschiedene Fonnen der Körperbewegung (Gehen, Gesten, Tanz), Sprechen und Musik. Viele dieser Abläufe, z.B. die regelmäßigen Bewegungen der Gliedmaßen bei der Fortbewegung, lassen sich als Kombination der beiden Zeittransfonnationstypen beschreiben. Aus diesen Kombinationen entstehen, so Jones und Boltz, die typischen ,,rhythmischen Stile" bestimmter Abläufe: "( ... ] categories of rhythmic styles exist and can be formalized by particular combinations of ratio and additive time invariants. Both time transformations have meaning: The ratio base offers predictability for coordinative gestures, whereas additive time changes not only characterize an individual's style but they can also signal underlying velocity properties" (Jones/Boltz 1989, S. 466).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Zur Veranschaulichung der beiden Zeittransfonnationstypen, die der zeitlichen Struktur von alltäglichen Bewegungsabläufen zugnmde liegen, verweisen Jones und Boltz auf das Beispiel einer streng metrisch organisierten Melodie, bei der sich die hierarchischen Ebenen aus der kleinsten Zeiteinheit (200 ms, Achtelnote) durch mehrmalige Multiplikation mit dem Faktor C, = 2 ergeben, sowie auf die Fortbewegung einer Katze, die sich zwar auf den höheren Zeitebenen als Verhältniszeittransfonnation beschreiben lässt, bei der jedoch der Feinstruktur des Bodenkontaktes der vier Gliedmaßen auf der untersten hierarchischen Ebene (n = 0) eine additive Zeittransformationen (mit einer Konstanten von 50 ms) zugrunde liegt (Abb. 2).
o)
b)
Melodie Phrase
Locomol ion in Col
Trol
i ..
E ~! to~.~.~.~~~t~~~~..~~~R' T1m~
-
-
r"..(oml---
(nllll001ft1il
'
Birtary Temporot NtsHng
'
Binory Tem,-porol
'
Ne51~
w.th (Additive) Vorfotions
Abb. 2: Zwei Beispiele für hierarchische Zeitstrukturen mitfiinfbzw. vier Ebenen; a) Verhältnistransformation, Beispiel einer Melodiephrase; b) Kombination von Verhältnistransformation (Ebenen 2 bis 4) und additiver Transformation (Ebene 0), Beispiel der Fortbewegung einer Katze (aus Jones/Boltz 1989, S. 463).
Der psychische Prozess der dynamischen Aufmerksamkeit vermag sich nun, so die Kernthese von Jones' Modell, mit der zeitlichen Struktur der wahrgenommenen Ereignisse zu synchronisieren. Bei der Synchronisation zwischen Aufmerksamkeit und Ereignisstruktur beginnt das Aufmerksamkeitssystem ("the attender") bestimmte Aktivierungsmuster mit der Zeitstruktur der Ereignisse zu teilen, wobei sich ein oder mehrere Aufmerksamkeitsrhythmen in ihrer Frequenz und Phase den entsprechenden Zeitspannen innerhalb des externen Ereignisablaufs anpassen. Der Aufmerk-
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samkeitsfokus kann dabei auf verschiedene zeitliche Dimensionen mit unterschiedlich langen Zeitdauern gerichtet werden. Gerade die Flexibilität der zeitlichen Aufmerksamkeitsfokussierung ist ein zentrales Charakteristikum der menschlichen Wahrnehmung. Jones und Boltz unterscheiden zwischen einem zukunftsorientierten und einem analytischen oder detailorientierten Aufmerksamkeitsmodus: "[ ... ] future·oriented attending is particularly functional when Iongerterm pre· paratory attending and real time extrapolations of an unfolding event are involved. A future-oriented extrapolation is termed an expectancy. Analytic attending is more functional when relatively short-term activities are involved. Because relevant focal periods are usually less than that of the referent period , expectancies as such are not supported, although attending to local detail and grouping with respect to the referenttime span" (Jones/Boltz 1989, S. 471).
Die Verschiebungen des Aufmerksamkeitsfokus ("attending shift") können bewusst von bestimmten Zielen und Interessen geleitet werden. So kann z.B. ein Musikhörer seine Aufmerksamkeit auf größere fonnale Strukturen, auf den Bau melodisch-rhythmischer Phrasen oder auf Details der Klanggebung oder Artikulation richten. Bei zeitlich inkohärenten Ereignisstrukturen und bei überraschenden Ereignissen - etwa einem Hustenanfall des Sitznachbarn im Konzert - erfolgt in Ermangelung hierarchisch gegliederter Zeitstrukturen ein "Umschalten" auf einen analytischen Aufmerksamkeitsmodus mit einer relativ kurzen Zeitdimension. Je nach Grad der zeitlichen Kohärenz der Ereignisse kommt es demnach zu unterschiedlichen Typen der Aufmerksamkeit. Hohe zeitliche Kohärenz aufgnmd einer hierarchischen Ereignisstruktur ermöglicht eine zukunftsorientierte Aufmerksamkeit und den Aufbau von Erwartungen. Jones und Boltz setzen daher die Kohärenz zeitlicher Strukturen auch mit deren Vorhersehbarkeit gleich (vgl. Jones/Boltz 1989, S. 461). Dagegen dominiett bei nicht-hierarchischen und daher zeitlich inkohärenten Ereignissen ein analytischer Aufmerksamkeitsmodus, der sich auf Details in relativ kurzen Zeitspannen richtet. Der hohe Stellenwert eines verlässlichen zeitlichen Erwartungsrahmens für die Musikwahrnehmung zeigt sich darin, dass die klanglichen Strukturen der meisten Musikrichtungen so gebaut sind, dass sich ein Grundschlag (s. unten) und eine regelmäßige Gliederung der Klangfolgen unmittelbar mitteilt. Natürlich kann die Synchronisation zwischen Aufmerksamkeit und Ereignisstruktur auch scheitern, insbesondere bei relativ inkohärenten Ereignisstrukturen. Oder aber eine zeitlich kohärente, hierarchische Struktur führt zunächst zu Erwartungen (zukunftsorientierter Aufmerksamkeitsmodus), die dann aber von dem tatsächlichen Ablauf nicht eingelöst werden.
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Jones und Boltz sprechen von Erwartungsverletzungen und einem Überraschung erzeugenden zeitlichen Kontrast ("temporal contrast") (Jones/Boltz 1989, S. 473). In der Musik haben diese Überraschungen u.a. den Nebeneffekt, dass die bewusste Aufmerksamkeit erhalten bleibt und sich Musikhören nicht zu einem automatisierten Prozess der Informationsverarbeitung verselbständigt, dem keine bewusste Aufmerksamkeit mehr geschenkt werden muss. In der musikalischen Gestaltung bestehen zahlreiche Möglichkeiten, mit Erwartungen zu spielen, sie erst aufzubauen und dann mitunter zu enttäuschen, oder aber mehrere divergente, einander widersprechende Erwartungen zu initiieren. Die Theorie der dynamischen Ereignisstruktur und der dynamischen Aufmerksamkeitsprozesse hat lmplikationen für die Zeitpsychologie, so bei der Frage der Einschätzung von unterschiedlichen Zeitdauern. Zahlreiche Experimente zur Einschätzung von Zeitdauern haben bislang zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt, die sich nur schwer durch eine einheitliche Theorie erklären lassen (vgl. Block 1990, S. 9-27, Jones/Boltz 1989, S. 459-461). Jones und Boltz weisen nun daraufhin, dass sowohl der Grad der zeitlichen Kohärenz der Ereignisse, deren Dauern von Versuchsteilnehmem geschätzt werden sollen, als auch der damit verbundene Aufmerksamkeitsmodus sowie die gewählte zeitliche Bezugsebene des Aufmerksamkeitsfokus (kurze oder längere Struktureinheiten) nachhaltigen Einfluss auf die Einschätzung von Zeitintervallen haben. Bei der analytischen Aufmerksamkeit stehen kürzere zeitliche Ebenen im Vordergrund; die entsprechenden Strategien bei der Dauemschätzung nennen Jones und Boltz mnemotechnische Strategien ("mnemonic strategies"). Mit diesen Strategien versuchen Versuchsteilnehmer, aufeinander folgende Elemente zu Gruppen zusammenzufassen (Gruppieren) oder den Ereignisfolgen bestimmte zufällige Zeitintervalle und Zeitverhältnisse überzustülpen (Zählen, Uhren). Dabei kommt es zum bekannten Phänomen der als länger empfundenen Dauer eines Zeitintervalls, das mit einer größeren Zahl von Ereignissen gefüllt ist. Dagegen kann sich die Zeitdauernschätzung bei zeitlich kohärenten Ereignissen an strukturellen Markierungspunkten und einfachen Dauerverhältnissen orientieren. Dies fuhrt zu weit gerraueren Dauemschätzungen. Die Leichtigkeit und Genauigkeit der Zeitschätzung hängt somit unmittelbar vom Grad der zeitlichen Kohärenz der präsentierten Ereignisse ab. Da sich Menschen jedoch nur selten über die gerade fokussierte Zeitebene und den gerade verwendeten Aufmerksamkeitsmodus bewusst sind, kann es zu beträchtlichen Unterschieden in der Dauernschätzung kommen. Dass die zukunftsorientierte Erwartung bei hierarchischen Zeitstrukturen tatsächlich weit verbreitet ist und die Dauernschätzung beeinflusst, weisen Jones und Boltz experimentell an der Längeneinschätzung von Variationen einer Melodie nach, deren symmetrischer Phrasenbau durch Stauchen
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und Auseinanderziehen von zwei Phrasen in der Mitte und am Ende der Melodie - bei unveränderter Länge der gesamten Melodie - beeinträchtigt ist (vgl. Jones/Boltz 1989, S. 478-485). Tatsächlich traten die erwarteten Fehleinschätzungen beim Vergleich von ursprünglicher und variierter Melodie in signifikantem Maße auf. Dieses experimentelle Ergebnis stimmt mit den Vorhersagen des sog. Kontrast-Modells von Jones und Boltz überein, das davon ausgeht, "[ ... ] that time judgements are biased by the style of attumement failure (temporal contrast or mnemonic refinements) associated with a given attending mode (future-oriented or analytic)" (Jones/Boltz 1989, S. 474).
Exkurs: Zeit in psychologischer und soziologischer Perspektive Die Fähigkeit, aufgrund wahrgenommener zeitlicher Regelmäßigkeiteil zukunftsorientierte Erwartungen über den regelmäßigen Fortgang von Ereignisfolgen aufzubauen, ist Grundlage jeglicher Synchronisierungsleistung. Für alle biologischen Systeme ist es lebensnotwendig, die Vielfalt ihrer Abläufe und Zyklen von Moment zu Moment untereinander abzustimmen und mit den zyklischen Veränderungen in ihrer natürlichen Umwelt zu synchronisieren: mit dem periodischen Wechsel von Tag und Nacht, den Gezeiten und Jahreszeiten. Vielfach greifen Organismen hierbei aufbiochemische Prozesse, sog. biologischen Uhren, zurück (vgl. Birbaumer/Schmidt 2003, S. 542-550). Der biologische Tag des Menschen korrespondiert - genau wie auch der biologische Monat und das biologische Jahr - in etwa mit astronomischen Zyklen (Tag-Nacht und Gezeiten, Mondzyklus, Jahreszeiten).5 Im menschlichen Zeiterleben wird die unmittelbare Synchronisierung des biologischen Organismus mit den zeitlichen Strukturen der Umwelt durch ein Bewusstsein dieser Strukturen erweitert. Aufgrund dieser Überlegungen schlägt der Zeitpsychologe John A. Michon folgende Definition von Zeit vor: "Time is the conscious experiental product of the processes which allow the (human) organism to adaptively organize itself so that its behavior remains tuned to the sequential (order) relations in its environment" (Michon 1985, S. 20). Die bewusste Synchronisierung bezieht sich beim Menschen nicht mehr nur auf die vergleichsweise langen Zyklen in der natürlichen Umwelt, sondern ebenso auf die Koordination von Handlungen im sozialen Zusammenleben. In evolutionstheoretischer Sicht erlangt eine Spezies durch die
5
Allerdings wurde experimentell nachgewiesen, dass der Tag des Menschen (Wach·Schlafrhythmus, Zyklus der Körpertemperatur) ca. 25 Stunden lang, also länger als der astronomische Tag ist; daher spricht man von einer zirkadianen Periodik (vgl. Birbaumer/Schmidt 2003, S. 542f).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Synchronisation der Handlungen ihrer Mitglieder eine Reihe von Entwicklungsvorteilen. Der Musikbiologe Bjöm Merker sieht in der Befähigung zur Synchronisation beim Singen und Trommeln einen Selektionsvorteil, der in der Entwicklungsgeschichte des Menschen eine zentrale Rolle gespielt haben könnte (vgl. Merker 2000). Obwohl einige Insekten ihre Rufe miteinander zu synchronisieren vermögen, fehlt diese Fähigkeit bei allen höheren Säugetieren, den Menschenaffen eingeschlossen. Gruppen von Männchen, die - wie beim Menschen - ihre Rufe untereinander synchronisieren und damit in der Lautstärke verstärken, so Merkers These, haben jedoch weit bessere Chancen, herumziehende Weibchen auf sich aufmerksam zu machen, und erlangen dadurch Fortpflanzungsvorteile. Weitere Beispiele für den funktionellen Einsatz von regelmäßigen Klangfolgen für die Handlungssynchronisation finden sich in der Menschheitsgeschichte zuhauf, so z.B. bei der Koordination von körperlicher Arbeit (Bücher 1909) und bei der gemeinsamen Fortbewegung (McNeill 1995). Um Synchronisationsvorteile zu sichern, wurden im Laufe der Menschheitsgeschichte immer gerrauere Zeitmesseinrichtungen entwickelt, durch die soziales Handeln koordiniert werden kann (vgl. Wendorff 1985). Die Grundlage von Zeitmesseinrichtungen oder Uhren ist ein Vergleich der Dauern der zu messenden Vorgänge mit Zeitdauern von regelmäßigen zeitlichen Vorgängen (z.B. einer vollständigen Pendelbewegung), wobei die Anzahl dieser Zeiteinheiten durch einen Zähler notiert wird.6 Die verwendeten zeitlichen Bezugseinheiten stehen nonnalerweise in einem nur zufälligen Verhältnis zu den gemessenen Ereignisstrukturen. Die Kehrseite der immer präziseren Zeitmessung ist daher eine sinkende Natürlichkeit jener Handlungsstrukturen, die sich aufgrund sozialer Vereinbanmgen den Zeitstrukturen der Messeirrrichtungen anpassen müssen. Handlungszyklen lösen sich zunehmend von den biologisch vorgegebenen Zyklen wie etwa Schlafen und Wachen, Essensbeschaffung und -Zubereitung, Säen und Ernten usw. Vielmehr wird in künstlichen Zeitplänen, z.B. Terminkalendern, festgelegt, wer wann was zu tun hat. Nach Julius T. Fraser (1987, S. 190t) bestehen soziale Zeitpläne aus einer Folge von sozialen Gegenwarten, deren Dauer durch die Möglichkeit gemeinsamen Handeins bestimmt wird. Je weniger Zeit benötigt wird, um Unkenntnis und Handlungsunfähigkeit zu überwinden, um so kürzer wird die Dauer der sozialen Gegenwart. Parallel zur Verfeinerung der Zeitmesseinrichtungen hat sich die Dauer der sozialen Gegenwart im Laufe der Neuzeit immer weiter verkürzt. So haben z.B. Verkehrsmittel und Nach6
Ein zweiter Uhrentyp (z.B. Feueruhren, Wasseruhren, Sanduhren, Räderuhren, Federuhren) basiert auf der Unterteilung eines geeichten Vorganges in gleiche Einheiten, die wiederum gezählt werden . Unterschiede zwischen verschiedenen Uhren bestehen in der Länge der zeitlichen Vorgänge, die zur Zeitmessung herangezogen werden, und in ihrer Exaktheit (vgl. Wendorff 1985).
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richtentechnologien, die eine schnellere Infonnationsvermittlung ermöglichen und somit Phasen der Unkenntnis verkürzen, die soziale Gegenwart stark schrumpfen lassen. Musikalisches Handeln ist als eine Fonn des sozialen Handeins in die Zusammenhänge der sozialen Organisation eingebunden. Zugleich vennag die Musikerfahrung jedoch, die alltägliche Zeitorientierung zumindest vorübergehend aufzuheben. Auf diese Weise entführt sie, so die Formulierung des Musikwissenschaftlers Hans Heinrich Eggebrecht, aus der Zeit - gemeint ist hier die soziale "Wirklichkeitszeit" des alltäglichen Lebens: "Diese Entführung wird bei der Musik noch dadurch verstärkt, dass das Hinhören auf das musikalische Spiel zugleich ein Hinhören ist auf ein Zeitspiel, eine ge· spielte Zeit: eine dem musikalischen Spiel eigene musikalische Zeit. [ ... ] Die musikalische Zeit ist als Erlebniszeit weitgehend im Objekt, in der Musik selbst fixiert: Sie ist ,komponiert' (,zusammengesetzt'), das heißt bis ins Detail durchorganisierte Zeit, ,komponierte Erlebniszeit', die im Prozess der ästheti· sehen Identifikation die Wirklichkeitszeit zu sich hin auszulöschen vermag [ ... ]" (Eggebrecht 1996, S. 552).
Zeitliche Referenzebene, bevorzugter Tempobereich und Mikrotiming Jones und Boltz gehen in ihrem Modell von einer zentralen Zeitebene aus ("anchor or referenttime Ievel", Jones/Boltz 1989, S. 470), mit der sich das Aufmerksamkeitssystem bevorzugt synchronisiert. Diese zentrale Zeitebene dient zugleich als Referenzebene, mit der kleinere und größere Zeitspannen verglichen werden. Die Annahme einer zeitlichen Referenzebene deckt sich mit experimentellen Befunden zum bevorzugten Tempobereich. Werden Versuchsteilnehmer aufgefordert, eine ihnen angenehme Schlagfolge zu klopfen, so ist diese Schlagfolge fast immer annähernd isochron und das gewählte "persönliche" Tempo7 variiert zwischen Interonsetintervallen von ca. 330 und 880 ms, was 182 bzw. 68 Schlägen pro Minute (beats per minute, bpm) 8 entspricht (vgl. Fraisse 1982). Nur selten wird langsamer oder schneller geklopft (bis zu 1,4 s bzw. bis zu 200 ms pro Interonsetintervall). Ein repräsentativer Wert liegt nach Fraisse bei 600 ms (100 bpm). Während die Tempounterschiede zwischen den Versuchsperso7
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Fraisse (1982, S. 154f) weist auf den Unterschied zwischen "persönlichem" und "bevorzugtem" Tempo hin; allerdings stimmen beide Tempobereiche weitge· hend überein. Eine Vergleichstabelle von Tempoangaben in den Maßeinheiten Schläge pro Minute (bpm), Dauer der lnteronsetintervalle in Millisekunden (ms) und Häufigkeit pro Sekunde (Hz) sowie Formeln zum Umrechnen zwischen diesen Maßeinheiten finden sich im Anhang.
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nen sehr groß sind, variieren sie bei wiederholten Messungen bei den einzelnen Versuchpersonen erstaunlich wenig (mit einer Reliabilität von r = .75 bis r = .95). In einem Versuch von Richard Pamcutt, bei dem Versuchspersonen isochron zu vorgegebenen Klickmustern, die in verschiedenen Tempi vorgespielt wurden, mitklopfen sollten, war der bevorzugte Tempobereich etwas langsamer bei einem Mittelwert von 710 ms oder ca. 85 bpm; zwei Drittel der geklopften Pulsfolgen lagen in einem Bereich von 420 bis 1190 ms (vgl. Parncutt 1994, S. 419). Die Zeiteinheit, die mit dem musikalischen Tempo (von lat. tempus: Zeit) gemeint ist, wird seit dem 18. Jh. in Zeiteinheiten oder Schlägen pro Minuten (M.M. nach Mälzels Metronom oder beats per minute, bpm) ausgedrückt.9 Diese Zeiteinheit ist in der neuzeitlichen abendländischen Notenschrift zugleich der Bezugswert der Notensymbole und der Taktangaben (z.B. Viertelnote, Achtelnote oder halbe Note); alle anderen Notenwerte sind auf die Dauer dieses Zeitwertes bezogen. Der Bereich des musikalischen Tempos deckt sich weitgehend mit dem experimentell ennittelten bevorzugten Tempobereich. In einem Experiment von van Noorden und Moelants sollten Versuchsteilnehmer zu kurzen Musikausschnitten aus verschiedenen europäischen Musikepochen und aus populärer Musik mitklopfen. Es ergab sich ein durchschnittliches Klopftempo von knapp 500 ms (120 bpm) (van Noorden/Moelants 1999, S. 57ft). Köhlmann (1985) ermittelte in einem vergleichbaren Experiment (Mitklopfen zu Musikausschnitten verschiedener Stile einschließlich populärer Musik) ein Klopftempo, das in etwa doppelt so hoch war und bei ca. 250 ms (240 bpm) lag. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass gerade beim Musikhören mehrere Referenzebenen möglich sind - etwa ein langsamerer Grundschlag und eine Grundschlagunterteilung im doppelten Tempo (ausgedrückt etwa in den Notenwerten einer Viertel- und einer Achtelnote). Vermutlich hängt das bevorzugte Referenztempo von 500-700 ms oder 85-120 bpm mit den körperlichen Bewegungen des Menschen zusammen. Hierzu gehören vor allem die grundlegenden Arten der menschlichen Fortbewegung, das Gehen und Rennen, wiederhohes Nicken, aber auch Saugbewegungen, Kaubewegungen sowie der menschliche Herzschlag (vgl. Abschnitt 3.5). Aber auch die Grenzen des Kurzzeitgedächtnisses und die Dauer der psychologischen Gegenwart spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle (vgl. 3.2). Nach Jones und Boltz (1989) wird das Tempo der Referenzebene sowohl vom Wahrnehmungskontext (Sinnesmodalität, Tempo) als auch von biologischen und psychologischen Faktoren (Alter, Grad der Erregung usw.) beeinflusst (Jones/Boltz 1989, S. 470). 9
Das subjektive Tempoempfinden hängt allerdings nicht nur mit dem metronomischen Tempo des Grundschlags, sondern zusätzlich mit der Ereignisdichte und der Art der musikalischen Bewegung zusammen.
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Beim Wahrnehmen zeitlicher Strukturen wird freilich eine große Flexibilität und Dehnbarkeit der metronomischen oder isochronen Regelmäßigkeit akzeptiert. Rhythmische Strukturen - etwa in Aufführungen klassischer Musik oder beim Sprechen- werden auch dann als regelmäßig wahrgenommen, wenn das lokale Tempo starken Schwankungen unterliegt und wenn von einer strikten Regelmäßigkeit abgewichen wird. Jones (1986) versucht das Phänomen der Timing-Schwankungen in ein Zwei-Komponenten-Modell einzubauen. Dieses Modell berücksichtigt sowohl die oben beschriebenen Hierarchien der relativen Zeitverhältnisse als auch lokale Beschleunigungen und Verlangsamungen. Die hieraus resultierenden Geschwindigkeitsprofile ("velocity or flow structure") werden von Jones mit der Erfahrung von Bewegungen im Raum in Zusanunenhang gebracht. Die Aufgabe des Musikers besteht dann darin, in der musikalischen Aufführung zwei Aspekte künstlerisch sinnvoll zusammen zu bringen: "[ ...] a perfonner ,uses', in a generative fashion, both rhythrnic and motional relative time information that are suggested by the composer. But because this information can raise conflicting timing goals, the successful artist is one who resolves the conflict in creative ways" (Jones 1990, S. 229). Die Frage nach der Messbarkeit und möglichen Regelmäßigkeit sowie nach Funktionen und Wirkungen der kleinen Abweichungen von einer metronomisch exakten Periodizität, das sog. Mikrotiming, wird in Abschnitt 3.4 näher beleuchtet.
Zeitliche Regelmäßigkeiten und kognitive Schemata Nach dem Modell der zukunftsorientierten Aufmerksamkeit führen zeitliche Regelmäßigkeiteil von Ereignisfolgen zu Erwartungen bezüglich ihrer regelmäßigen Fortsetzung. Dies lässt sich als der besondere Fall eines kognitiven Skriptes oder Schemas beschreiben (Snyder 2000, S. 177ft). Ein kognitives Schema 10 ist ganz allgemein eine mentale Struktur, durch welche die Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung von Objekten, Situationen und Ereignissen auf gleichermaßen stabile wie flexible Weise ennöglicht wird. Nach Snyder gleicht ein Schema einem Bündel von Erwartungen, das es dem Menschen ermöglicht, sich durch eine Situation zu bewegen, ohne jedem Detail dieser Situation allzu große Aufmerksamkeit schenken zu müssen (vgl. Snyder 2000, S. 263). Aufgrund der schematischen Wissensbestände wird vielmehr die Aufmerksamkeit auf wenige besondere Eigenschaften von Ereignissen gelenkt, und w1genaue oder fehlende Beobachtungen werden durch die Standardwerte ("default values") ersetzt, welche das Schema vorgibt. 10 Zu Geschichte und Verwendung des Schemabegriffs in der Psychologie vgl. An· derson 2001, S. 153ff; zur Verwendung innerhalb der Musikpsychologie vgl. Sny· der 2000, S. 95-105, und Louven 1998, S. 31-65.
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Ein kognitives Schema lässt sich auch als ein Bündel von Leerstellen (sog. Slots) beschreiben, die durch feste Verknüpfungsvorschriften miteinander verbunden sind. Erklingen auditive Ereignisse nun mehrmals im gleichen Zeitabstand, so entsteht die Erwartung, dass zukünftig im gleichen Abstand weitere Klangereignisse auftreten werden. Die Leerstellen des Schemas, d.h. bestimmte Zeitpilllkte, sind durch die Verknüpfungsvorschrift der Addition konstanter Zeitabstände miteinander verbunden. So entsteht ein schematisches Zeitraster, auf dass sich der Hörer stützen kann, wenn er seine Aufmerksamkeit auf die kommenden Ereignisse richtet. Kleinere Abweichungen der Ereignisse von diesem Raster werden in einem gewissen Rahmen toleriert, größere Abweichungen fuhren jedoch zu einer Veränderung oder Anpassung des Schemas. Abschnitt 3.3 widmet sich dieser zentralen Fähigkeit der menschlichen Rhythmuswahmehmung: der Bildung von Zeitrastern oder metrischen Erwartungsschemata aufgrund der wahrgenommenen Regelmäßigkeiteil in der zeitlichen Struktur von Klangfolgen. Die Erwartung von zeitlichen Regelmäßigkeiten ist nur ein Spezialfall von zahlreichen kognitiven Schemata bei der Musikwahrnehmung. Laut Thomas H. Stofferbesteht "( ... ] die Funktion kognitiver Schemata ( .. . ] im Bereitstellen organisierter Gedächtnisinhalte, mit deren Hilfe die physikalischen Merkmalsstrukturen gehörter Musik bei ihrer Identifikation auf Korrespondenzen untersucht werden kann; zudem zielt die Verarbeitung auf eine systematische Einordnung neuer Inhalte in die bestehende Wissensstruktur, und bei Bedarf bewirkt sie deren Umorganisation (Assimilation/Akkomodation)" (Stoffer 1998, Sp. 1859).
Das Konzept des kognitiven Schemas ist ein psychologisches Konstrukt, mit dem die Wahrnehmung und Klassifikation von Objekten und somit der gesamte Wissensbestand eines Individuums sowie dessen individuelle Konstruktion der Wirklichkeit beschrieben werden kann. Vergleichbare psychologische Konzepte sprechen von sog. Bezugssystemen und Prototypen (vgl. Stoffer 2005, S. 615 u. 632). Musikalische Bezugssysteme beziehen musikalische Merkmale auf einen aus dem vorangegangenen Kontext zu erschließenden musikalischen Vergleichsmaßstab. So werden etwa Tonhöhen in Bezug zu einem Grundton oder zur diatonischen Tonleiter wahrgenommen, oder eben die zeitliche Position von Klängen in Bezug auf ein periodisches Zeitraster. Ein musikalischer Prototyp ist eine idealtypische Repräsentation fiir vage definierte Kategorien von musikalischen Objekten oder Sachverhalten; Objekte lassen sich als unterschiedlich typische Vertreter einer Kategorie identifizieren. So lassen sich etwa bestimmte Schlagmuster als prototypisch für einen 4/4-Takt verstehen. Bei der Musikwahr-
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nehmung spielen zahlreiche Bezugssysteme, Prototypen und Schemata eine wichtige Rolle: Tonale Bezugssysteme strukturieren die Wahrnehmung der einzelnen Tonhöhen, z.B. innerhalb der diatonischen Tonskala und des funktionshannonischen Bezugssystems. Fonnschemata organisieren die Wahrnehmung größerer Einheiten und Abschnitte von Musikstücken. Klanggestalten werden zudem aufgrund von Ähnlichkeiten miteinander in Beziehung gesetzt - auch dann, wenn sie an voneinander entfernten Zeitpunkten eines Stückes auftauchen (vgl. Louven 1998, S. 58ft). Werden ähnliche rhythmische oder rhythmisch-melodische Gestalten in verschiedenen Stücken eines Stilbereichs verwendet, so können sich beim Hörer stilspezifische Schemata herausbilden.
Dimensionen der Rhythmuserfahrung Im Mittelpunkt der musikpsychologischen Forschung stehen vielfach die kognitiven Aspekte der Rhythmuserfahrung. Die Prozesse der kognitiven Verarbeitung von Klangfolgen stellen allerdings nur eine der Verhaltensdimensionen im Zusammenhang mit dem musikalischen Rhythmus dar. Nach Gabrielsson (1982, S. 159f) lassen sich drei Arten von Reaktionen auf musikalische Rhythmen ("rhythm responses") unterscheiden: 1. Physiologische Reaktionen, z.B. Veränderungen der Atem- oder Herzschlagfrequenz, der Muskelaktivität, des Hautwiderstandes oder bestimmter elektrischer Gehirnströme; 2. körperliches Verhalten, z.B. Klopfen des Fußes, Händeklatschen, Kopfbewegungen und Tanzen; 3. die musikalische Rhythmuserfahrung, die sowohl kognitive Aspekte als auch Bewegungsempfindungen und das emotionale Erleben umfasst. "Rhythm experience", so Gabrielsson, "refers to such things as perceived grouping, accents, pulse and tempo, various motion characters (such as swinging, dancing, walking, etc.), feeling of excitement, tension, calmness, release etc." (Gabrielsson 1986, S. 140). Was umgangssprachlich als "rhythmisch" bezeichnet wird, bezieht sich zwar in erster Linie auf das Vorhandensein einer regelmäßigen, leicht zu erfassenden zeitlichen Klangstruktur. Oftmals ist mit "rhythmisch" jedoch zugleich die körperlich und emotional empfundene Intensität der ausgelösten Bewegungsempfindung gemeint. Zu Beginn der 1970er Jahre versuchte Gabrielsson durch eine Reihe von explorativen Studien die Dimensionen der Rhythmuserfahrung näher zu bestimmen (Gabrielsson 1973a, b, c, d, vgl. auch Gabrielsson 1986, 1988). Er verwendete zwei Untersuchungsmethoden: Ähnlichkeitseinschätzungen zu zahlreichen paarweise dargebotenen Rhythmen (einstimmige und mehr-
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stimmige Rhythmen, Tanzrhythmen einer synthetischen Rhythmusmaschine und Musikausschnitte) wertete er mit statistischen Methoden der multidimensionalen Skalierung aus; Adjektiv-Einschätzungen der Rhythmen unterzog er einer Faktorenanalyse. Zugleich spielten verbale Beschreibungen der Rhythmen durch die Versuchspersonen bei der Interpretation der Ergebnisse eine wichtige Rolle. Die Anzahl und die Art der ennittelten Dimensionen oder Faktoren der Rhythmuserfahrung fiel in jedem Experiment unterschiedlich aus - abhängig von den verwendeten Rhythmen, aber auch in Abhängigkeit von der verwendeten Untersuchungsmethode, z.B. der Zusammensetzung der Adjektivliste. Darüber hinaus gab es große individuelle Unterschiede zwischen den Versuchsteilnehmem. Bei den Paarvergleichen ergaben sich Dimensionen, die sich vorwiegend auf strukturelle Eigenschaften der Rhythmen beziehen lassen. Bei den mehrstimmigen Rhythmen handelte es sich um die Dimensionen: Metrum, Schnelligkeit (metronomisches Tempo und Ereignisdichte), Einfachheit/Einheitlichkeit bzw. Komplexität/Variiertheit der Rhythmen, unterschiedliche "Basis-Pattern" - ein Ausdruck der Versuchsteilnehmer, der sich auf Ähnlichkeiten in der Grundstruktur der Rhythmen bezieht. Bei den einstimmigen Rhythmen kamen weitere strukturelle Dimensionen ins Spiel: die gerraue Timing-Struktur (kurze bzw. lange Tondauern), der Grad der Auftaktigkeit und der damit verbundenen Vorwärtsbewegung, der Grad der Synkopierung und der Akzentuierung des Taktanfanges. Gabrielsson stellte allerdings fest, dass die Dimension des Metrums (3er- oder 4er-Periodizitäten) bei der Verwendung komplexerer Stimuli (z.B. begleiteter Melodien) in den Ähnlichkeitseinschätzungen seiner Versuchsteilnehmer bisweilen unwichtig wurde. Bei den polyrhythmischen Patterns aus der Rhythmusmaschine wurde die klangliche Gestaltung (helle Beckenklänge, Tonhöhen der Trommeln, dumpfer Klang der Basstrommel) zu einer eigenständigen Dimension. Bei den Musikausschnitten ergab sich eine weitere Dimension, die Gabrielsson als Bewegungscharakter interpretierte, da einige Versuchspersonen mit starker individueller Gewichtung in dieser Dimension davon sprachen, sie würden aufgrund vorgestellter Tanzbewegungen, die zu diesen Rhythmen passen, zu ihren Einschätzungen gelangen. Die Untersuchungen mit Adjektiv-Ratings erweiterte das Bild der Rhythmuserfahrung zusätzlich. Während einige der bereits genannten Dimensionen (Einfachheit/Einfönnigkeit, Schnelligkeit sowie Instrumentierung- nun spezifiziert als klangliche Härte/Aggressivität gegenüber klanglicher Weichheit) wieder auftauchten, fehlten andere strukturelle Dimensionen völlig, so etwa die Metrums-Dimension. Zugleich wurden die Düneosionen des Bewegungscharakters differenzierter. Da die ermittelten Dimensionen sehr stark von der Art der verwendeten Adjektive abzuhängen schie-
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nen, errechnete Gabrielsson Faktorenanalysen für drei unterschiedliche Gruppen von Adjektiven, die sich entweder auf kognitiv-strukturelle Aspekte, auf den Bewegungscharakter, oder aber auf emotionale Qualitäten beziehen. Für den kognitiv-strukturellen Aspekt ergaben sich nun nur noch zwei Dimensionen: Einförmigkeit/Einfachheit versus Variation/Komplexität und Grad der Klarheit oder Akzentuiertheit. 11 Für die Aspekte des Bewegungscharakters und der Emotionen ergaben sich dagegen jeweils mehrere Dimensionen. Bei den Adjektiven, die Bewegungscharaktere zum Inhalt haben, ermittelte Gabrielsson folgende Dimensionen: "[... ] ,uniform' versus ,ununiform, limping, wavering'; ,solemn' vs. ,swinging, pulsating'; ,rapid, agile, springy' vs. ,crawling, stopping, hesitating'; ,floating, graceful, rocking, dancing' vs. ,rugged, tense, stuttering, knocking, thumping'; and ,rocking, dancing' vs. ,walking'" (Gabrielsson 1973c, S. 258). Ergänzt man die Dimension der Schnelligkeit und der Vorwärtsbewegung, so bestehen denmach in der musikalische Rhythmuserfahrung reichhaltige Möglichkeiten der Bewegungserfahrung. In den verbleibenden, emotional geprägten Adjektiven ergaben sich vier weitere Dimensionen, deren Pole sich durch die folgenden Adjektive beschreiben lassen: "[ ... ] ,playful, lively, vital' vs. ,dull, heavy, restrained'; ,excited, violent, aggressive, tense, restless, hard' vs. ,calm, soft, smoothed out, restrained'; ,free' vs. ,mechanical, steady, monotonous'; and ,solemn' vs. ,playful"' (Gabrielsson 1973c, S. 258). Gabrielsson wendet sich zwar ausdrücklich gegen eine Verallgemeinerung seiner Ergebnisse. Andere Rhythmen und andere Adjektivvorgaben würden, so vemmtet er, zu anderen Ergebnissen führen; außerdem sind die Unterschiede im Urteilsverhalten zwischen den verschiedenen Versuchspersonen teilweise beträchtlich. Dennoch belegen die Untersuchungsergebnisse eindeutig, dass die kognitiv-strukturellen Dimensionen durch motionale und emotionale Dimensionen ergänzt werden müssen, will man der tatsächlich vorhandenen Vielschichtigkeit der Rhythmuserfahrung gerecht werden. In Abschnitt 3.5 sollen daher Überlegungen und empirische Untersuchungen zur Bewegungsdimension der Rhythmuserfahrung und deren Zusammenhang mit körperlichen und emotionalen Reaktionen diskutiert werden.
11 Gabrietssan mutmaßt, die geringe Zahl an kognitiven Dimensionen sei vielleicht auch darauf zurückzuführen, dass sich nur relativ wenige Adjektive direkt auf kognitiv-strukturelle Aspekte beziehen.
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3.2 Grundlagen der auditiven Rhyth m uswah rneh m u ng Das menschliche Gehör ist ein äußerst differenziert arbeitendes Sinnesorgan, durch dessen Fähigkeiten eine Orientierung in der Umwelt erleichtert wird. In den akustischen Signalen, die in Fonn von schnellen Luftdruckschwankungen auf das Ohr treffen, überlagern sich fast immer eine Reihe von Klangereignisse unterschiedlicher Klangquellen. Es ist erstaunlich, mit welcher Genauigkeit das Gehör diese komplexen Schallsignale in auditive Einheiten, in verschiedene simultane, einander überlappende oder aufeinander folgende Klangereignisse und Klangströme aufzugliedern vermag. Die Gliedemng der auditiven Szenerie in verschiedene Ereignisse und Ereignisströme ist Gtundlage der räumlichen Orientietung in der akustischen Umwelt, der sprachlichen Kommunikation und der Musik. Die gmndlegenden Mechanismen der auditiven Wahrnehmung sind auch bei der musikalischen Rhythmuserfahmng von zentraler Bedeutung, da hierdurch bestimmte Klangereignisse zu Segmenten, Gtuppen oder Gestalten mit einem Anfang, einem Ende und einer inneren Stmktur, zusammengefasst werden. ln der im vorherigen Abschnitt zitierten Definition bestimmt Gabrielsson (1993, S. 97) Gruppiemng, Akzentuierung, Regelmäßigkeit und die Grenzen der psychologischen Gegenwart als die zentralen Aspekte der musikalischen Rhythmuserfahmng. Unter Gtuppiemng versteht man die Gliedemng von Klangfolgen in Klanggestalten, die als Ganzheiten wahrgenommen werden und gegenüber dem, was davor und danach erklingt, abgegrenzt sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die auditive Szenerie aufgrund bestimmter Kriterien in verschiedene Klangströme unterteilt wird, denen die einzelnen Klangereignisse zugeordnet werden. Zur Struktur einer Klanggestalt trägt nicht nur die zeitliche Abfolge der sie konstituierenden Elemente bei. Vielmehr erhalten einzelne Klangelemente im Vergleich zu den sie umgebenden Elementen aufgrund verschiedener Faktoren ein größeres Gewicht, sie werden als akzentuiert wahrgenommen. Regelmäßigkeiteil der zeitlichen Sttuktur von Rhythmen erleichtern die Wahrnehmung der Klanggestalten, indem sie den Aufbau von Erwartungen und eine Synchronisation der Aufmerksamkeit mit den Klangstmkturen ermöglichen (vgl. hierzu Abschnitt 3.3). Schließlich lassen sich musikalische Rhythmen von der musikalischen Form durch ihre kleinere, überschaubare zeitliche Dimension abgrenzen. Bei dieser Abgrenzung kann auf das Konzept der sog. psychologischen Gegenwart zmückgegriffen werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse aus der musikpsychologischen und psychoakustischen Forschungsliteratur zur zeitlichen Wahrnehmung und Gruppiemng von Klängen, zur psychologischen Gegenwart, zur Akzentwahrnehmung sowie zu Wechselwirkungen zwischen Akzen-
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tuierung und Gruppierung zusammengefasst. Obwohl die einfachen Klangfolgen, die vielen dieser musikpsychologischen Untersuchungen zugrunde liegen, keinen Musikstücken entnommen wurden, sind die hierbei gewonnenen Erkenntnisse auch für die Wahrnehmung von Rhythmen in musikalischen Kontexten relevant, da sie grundlegende und allgemein gültige Wahrnehmungsmechanismen beschreiben.
Die zeitliche Wahrnehmung von Klangereignissen Obwohl der Strom der im Gehör eintreffenden Schallinformationen kontinuierlich ist, werden innerhalb dieser auditiven Szenerie ("auditory scene", Bregman 1990) zumeist klar gegeneinander abgrenzbare Ereignisse wahrgenommen. Die Identifikation und Abgrenzung der Klangereignisse erfolgt aufgrund von Pausen zwischen den Ereignissen, aber auch aufgrund von Lautstärkeunterschieden und Eigenheiten der spektralen Energieverteilung. Nach psychoakustischen Untersuchungen, die bei Zwicker und Fastl (1999, S. 274f) zusammengefasst sind, muss das Lautstärkemaximum eines Ereignisse mindestens 120 ms hinter dem Maximum des vorherigen Ereignisses liegen, um als neues Ereignis wahrgenommen zu werden. Näher beieinander liegende Ereignisse verschmelzen dagegen zu einem gemeinsamen K1angereignis. Außerdem muss die Lautstärke der einzelnen Ereignisse mindestens 43 % der innerhalb des klanglichen Kontextes, z.B. einer Phrase, vorherrschenden maximalen Lautstärke betragen; die Lautstärkedifferenz, die zur Unterscheidung zweier Klangereignisse erforderlich ist, muss mindestens 12% des Lautstärkemaximums betragen (Abb. 3).
time
Abb. 3: Der Lautstärkeverlauf in einer akustischen Szenerie; NM ist das lokale Lautstärkemaximum. Nur bei den drei mit Pfeilen gekennzeichneten Lautstärkemaxima werden separate Klangereignisse wahrgenommen (aus Zwicker/Fastll999, S. 275).
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Justin London (2002, S. 535) führt weitere Belege aus der psychoakustischen Forschungsliteratur an, die alle dafür sprechen, dass die untere zeitliche Grenze für die Wahrnehmung und Produktion von rhythmisch relevanten Klangdauern bzw. Interonsetintervallen ca. 100-120 ms beträgt. 12 Ein weiterer Kennwert für die zeitliche Auflösungsgenauigkeit des Gehörs ist die kleinste noch wahrnehmbare zeitliche Deplatzierung eines Klangereignisses innerhalb einer isochronen Klangfolge (vgl. im Überblick Friberg/Sundberg 1995). Friberg und Sundberg ennittelten diese Größe in Abhängigkeit vom Tempo der Klangfolge (60 bis 600 bpm). Dabei sollte in verschiedenen Tempi jeweils das vierte Element einer Folge von sechs gitarrenartigen Klängen (C4 mit einer extrem kurzen Einschwingzeit von 0,5 ms) zeitlich möglichst exakt justiert werden. Die durchschnittliche Genauigkeit dieser Einstellungen betrug bei Tempi unter 250 bpm jeweils ca. 2,5 % der Interonsetintervalle zwischen den Ereignissen; bei schnelleren Tempi jedoch konstant ca. sechs Millisekunden. Der kleinste wahrnehmbare Abstand zwischen zwei auditiven Ereignissen hängt allerdings stark von deren akustischen Eigenschaften ab. Sehr kurze klickartige Impulse werden bereits bei einem Abstand von nur 2 ms als nicht mehr gleichzeitig erlebt, sondern voneinander unterschieden. 13 Die Reihenfolge zwischen zwei Klicks kann allerdings erst dann verlässlich bestimmt werden, wenn zwischen ihnen ein Abstand von mindestens 20 ms besteht (Hirsh 1959, Warren 1993). 14 Werden in Hörexperimenten statt kurzer, klickartiger Impulse etwas längere Klangereignisse (sog. "tone 12 Nach van Norden und Moelants (1999, S. 54) muss das lnteronsetintervall zwi· sehen zwei Klangereignissen allerdings mindestens 200 ms betragen, damit bei· de Klänge "being perceived as fully independent, without influencing each others loudness" . Neben Belegen aus psycheakustischen Experimenten führen sie Beobachtungen an, nach denen Versuchspersonen unterhalb dieser Tempo· schwelle Schwierigkeiten haben, kontrolliert isochrone Ereignisfolgen zu klop· fen (vgl. hierzu auch London 2002, S. 536). 13 Diese sog. Gleichzeitigkeitsschwelle ergibt sich aufgrund von Vorgängen bei der Reiztransduktion im Innenohr sowie aufgrund der Übertragungseigenschaften der Hörnerven. Die Gleichzeitigkeitsschwelle ist bei den verschiedenen Sinnes· modalitäten unterschiedlich groß (vgl. Grüsser 1989, S. 114ff), bei auditiven Reizen jedoch mit Abstand am kleinsten. 14 Die Schwelle der Reihenfolge ist vermutlich von Übertragungseigenschaften der Nervenzellen nicht der Hörbahn, sondern des Gehirns abhängig, da festgestellt wurde, dass sich diese Schwelle bei bestimmten Gehirnverletzungen erhöht (Snyder 2000, S. 26). Folgen isochrone Klangimpulse mit einer Frequenz größer als 20 Hz (also maximal 50 ms Abstand zwischen den Impulsen) aufeinander, so lösen sie Tonhöhenempfindungen aus. Bei einer allmählichen Beschleunigung des Tempos werden zunächst Folgen von Klicks und kurzen Pausen gehört. ln ei· nem kritischen Übergangsbereich ist ein raues Geräusch hörbar, das ab einer Frequenz von 20 Hz (also 50 ms Abstand zwischen den einzelnen Impulsen) in einen tiefen Ton übergeht. Diese Tonfusionsschwelle beruht laut Grüsser (1989) auf Eigenheiten der Hörnerven. Beim Sehen spricht man von einer Flimmerfusi· onsschwelle, die bei 50 Hz oder 20 ms Abstand zwischen Licht und Dunkelheit liegt (vgl. Grüsser 1989, S. 96).
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bursts") verwendet, so zeigt sich, dass der empfundene Anfangspunkt nicht immer mit dem physikalischen Beginn des Schallereignisses übereinstimmt. Vielmehr wird der Beginn zumeist wenige Millisekunden später wahrgenommen. Bei Justierungsversuchen, bei denen verschiedenartige Klänge innerhalb einer isochronen Klickfolge so platziert werden sollten, dass die Abstände zwischen den Ereignissen als genau gleich lang oder isochron empfunden werden, ergaben sich die in Abbildung 4 dargestellten Resultate.
temporal envelope
TA
Ts
ms
ms
llt ms
20
400
20
20
100
16
20
200
34
20
100
37
20
100
100
100
27
20
100
60
100
100
35
20
100
0
20
llt ~-
20 12
®
L
~
A bb. 4: Unterschiede t:.t zwischen physikalischen und wahrgenommenen Anfängen von Klangereignissen mit unterschiedlichen Lautstärkehüllkurven; TA und T8 bezieht sich aufdie Dauern der Klangereignisse (aus Zwicker und Fastll999, S. 272).
Joos Vos und Rudolf Rasch (1981 , 1982) kamen bei psychoakustischen Experimenten zu dem Ergebnis, dass der wahrgenommene Anfangspunkt eines Tones in einem moderaten Lautstärkebereich generell etwa 6 bis 15 dB unterhalb des größten Amplitudenausschlags liegt: "(a) the perceptual onsets of successively presented tones can be defined as the times at which the envelopes pass a relative threshold level; (b) within a range of 20 to 70
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dB above masked or absolute threshold, the relative threshold for the perceptual onset lies about 6 to 15 dB below the maximum level of the tones" (Vos/Rasch 1982, S. 316). 15 Bei allen Schallereignissen, deren Lautstärkemaxima nicht schlagartig einsetzen, sondern allmählich anwachsen, liegt der wahrgenommene Anfangspunkt demnach zwischen dem Beginn des Einschwingvorgangs und dem Amplitudemnaximum. Einschwingvorgänge von Musikinstrumenten erstrecken sich abhängig von der Art der Klangerzeugung über 50 Millisekunden und mehr. Wie Rasch (1979, 1988) betont, ist bei Musikinstrumenten aufgrund der langen Einschwingzeiten ein weit größerer Abstand zwischen den Einsätzen der einzelnen Stimmen als bei kurzen Klicks möglich, bevor eine Asynchronizität der Einsätze empfunden wird. Wie Messungen an Aufnahmen klassischer Musik zeigten, sind hier Asynchronizitäten von 30-50 ms (bei langsamen Sätzen noch darüber hinaus) zwischen den Einsätzen mehrerer Stimmen durchaus üblich und werden nicht als störend oder ungleichzeitig empfunden (Rasch 1979, S. 129). Die Asynchronizität der Toneinsätze erleichtert in vielen Fällen die Wahrnehmung der verschiedenen Stümnen, da auf diese Weise Verdeckungen der Instrumentalklänge untereinander vermieden werden.
Gliederung in Klangströme Komplexe Schallinformationen, wie sie in der menschlichen Umwelt, beim Sprechen und in der Musik auftreten, werden vom Gehör als einzelne, gegeneinander abgrenzbare auditive Ereignisse wahrgenommen. Zugleich werden die Ereignisse in Klangströme aufgegliedert, die parallel erklingen und zumeist unterschiedlichen Schallquellen zugeschrieben werden. Hierdurch lassen sich verschiedene Umweltgeräusche gegeneinander abgrenzen, es wird möglich, in lauten Umgehungen einem Sprecher zuzuhören oder die Linien verschiedener Musikinstrumente voneinander zu unterscheiden. Seit den 1970er Jahren wurden die grundlegenden Prozesse der Aufgliederung oder Aufspaltung einer auditiven Szenerie in Klangströme ("auditory stream segregation") und die klanglichen Faktoren, die diesen Gliederungsprozessen zugrunde liegen, Gegenstand ausgiebiger Forschungen. Im Folgenden sollen die zentralen Ergebnisse dieser Untersuchungen dargestellt werden (vgl. van Noorden 1975, Bregman 1990, 1993, Handel 1989, S. 189-21 7, Goldstein 2002, S. 453ft).
15 Ashley (2002, 5. 315) schlägt unter Hinweis auf Messmethoden der Phonetik vor, den Beginn eines Klanges mit dem Beginn von dessen stationären Teil gleichzusetzen. Dies hätte jedoch zur Folge, dass sich die Anfänge von perkussiven und geräuschhaften Klängen mangels eines stationären Teils nicht bestimmen ließen.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
In der menschlichen Umwelt ist der wichtigste Faktor, der zur Gliederung der auditiven Szenerie in verschiedene Klangströme beiträgt, die räumliche Ortung aufgrund von Laufzeit- und Intensitätsunterschieden des Schalls, die zwischen den beiden Ohren auftreten. Schallereignisse, die aus einer bestimmten Richtung des Raumes und daher mit konstanten Laufzeitunterschieden auf beide Ohren treffen, stammen in der Regel von ein und derselben Schallquelle. Bei fehlenden oder nur schwach ausgeprägten Rauminfonnationen stützt sich die Gliederung in Ereignisströme zudem auf Ähnlichkeiten im Klangspektrum der Klänge. Zeitliche Faktoren spielen bei der Gliederung in Klangströme ebenfalls eine Rolle. So werden Klänge, die in rascher Folge nacheinander erklingen, derselben Klangquelle und demselben Klangsstrom zugeordnet. Beginnen oder enden mehrere Klänge oder Klangkomponenten gleichzeitig, so ist dies ein Indiz dafür, dass sie von derselben Klangquelle stammen. Eine besondere Fähigkeit des Gehörs besteht in der Rekonstruktion von Klängen und Klangströmen, die durch einen anderen, lauteren Klangstrom verdeckt werden. Ähnlich wie bei der Anordnung visueller Objekte im Raum, bei der die Objekte einander teilweise verdecken und dennoch in der visuellen Wahrnehmung zu vollständigen Gestalten ergänzt werden können, werden Klangströme auch dann als kontinuierlich erlebt und in der Wahrnehmung ergänzt, wenn sie zeitweise durch lautere Klänge oder Geräusche verdeckt werden. Bereits kleine Verzögerungen zwischen dem Einsatz des maskierten und des maskierenden Klanges reichen aus, um auch den maskierten Klang durchgängig wahrnehmbar werden zu lassen. Bei Klangfolgen mit einheitlicher Klangfarbe, Lautstärke, jedoch unterschiedlichen Tonhöhen kommt es in rascherem Tempo zur spontanen Bildung zwei er (oder mehrerer16) Klangströme. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit auf einen der Klangströme, der sich als Figur vor dem Hintergrund der restlichen Klänge abhebt. Allerdings ist bei der künstlichen Mehrstimmigkeit- wie bei aller Mehrstimmigkeit- eine willentliche Verlagerung der Aufmerksamkeit auf andere Klangströme und somit eine Umkehrung des Figur-Grund-Verhältnisses möglich. Außerdem kann die Aufmerksamkeit in bestimmten Grenzen zwischen den Klangströmen geteilt werden, sodass beiden Klangströmen simultan Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Phänomen der Aufspaltung einer Klangfolge in zwei Klangströme aufgrund von Tonhöhensprüngen wird in verschiedenen Musikkulturen zur
16 Auch wenn eine Aufspaltung in mehr als drei Klangströme unwahrscheinlich ist und bislang experimentell nicht untersucht wurde, hält sie Bregman (1990, S. 464f) durchaus für möglich.
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Schaffung einer sog. künstlichen Mehrstimmigkeit genutzt 17, so etwa in Johann Sebastian Bachs Partita für Violine Solo (Abb. 5).
Abb. 5: Ausschnitt aus dem Präludium der Partitafilr Violine Solo, No. 3 in E-Dur, BWV 1006, von Johann Sebastian Bach (T. 1-12). in den Takten 3, 5 und 9ffwird die Linieaufgrund der Intervallsprünge als zweistimmig wahrgenommen.
Bei der künstlichen Mehrstimmigkeit ist die Wahrnehmungzweier Klangströme sowohl vom Tempo der Tonfolge als auch von der Größe der Intervalle zwischen den einzelnen Tönen abhängig. Van Noorden (1975, S. 2ff) stellte experimentell fest, dass bei Klangfolgen mit zwei altemierenden Tonhöhen erst ab einem Tempo von ca. 300 bpm (oder fünf Tönen in der Sekunde) und bei Intervallen, die größer als eine Oktave sind, die Spaltung in zwei Klangströme automatisch erfolgt; bei schnelleren Tempi (> 600 bpm) sinkt die hierzu erforderliche Intervallgröße auf ca. eine kleine Terz. In einem Zwischenbereich mit einem Tempo der Tonfolge von weniger als ca. 300 bpm kann jedoch der Hörer in Abhängigkeit von der Intervallgröße seine Aufmerksamkeit bewusst so lenken, dass er entweder einen kohärenten Klangstrom oder aber zwei Klangströme wahrnimmt (vgl. Abb. 6). Eine Aufgliederung in zwei Klangströme kann auch aufgrund anderer klanglicher Eigenschaften der altemierenden Töne erfolgen, so etwa aufgrund unterschiedlicher Klangfarben und unterschiedlicher Lautstärken jeweils in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der Klangfolge (Bregman 1990, S. 478ft). Die Mechanismen der Gliederung in Klangströme wirken auch dann, wenn Klangsequenzen aus mehr als zwei altemierenden Klangtypen bestehen. Wiederum werden aber zumeist nur zwei Klangströme -
17 Van Noorden (1975, S. 2ff) spricht von "rhythmic fission" ; vgl. auch Bregman 1990, S. 461ft, und Wegner 1993.
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Figur und Hintergrund - wahrgenommen, in denen ähnliche Klänge zusammengefasst werden.
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Abb. 6: Wahrnehmungzweier Klangströme bei einer Folgezweier alternierender Töne in Abhängigkeit vom Tempo (horizontale Achse) und der Intervallgröße (vertikale Achse). Im Bereich I wird keine Aufspaltung, im Bereich III eine automatische Aufspaltung in zwei Klangströme vorgenommen; im Bereich II ist abhängig von der Hörstrategie sowohl eine Aufgliederung als auch eine kohärente Wahrnehmung möglich (nach van Noorden I975, aus Wegner I993, S. 211).
Gruppierung von Klangfolgen Die menschliche Wahrnehmung tendiert dazu, die auditiven Ereignisfolgen innerhalb eines Klangstromes in Einheiten (Segmente, Gruppierungen oder Gestalten) zu unterteilen, die eine Art organisches Ganzes darstellen und als gegenwärtig wahrgenommen werden. Grundlegend hierfür sind vor allem zwei Gestaltbildungsprinzipien: Das Prinzip der zeitlichen Nähe und das Prinzip der Ähnlichkeit. Klänge, die nahe beieinander liegen, werden zu Gestalten oder Gruppierungen zusannnengefasst; bei vergleichsweise großen Abständen zwischen zwei aufeinander folgenden Klangereignissen entsteht dagegen eine Gruppierungsgrenze. Das Prinzip der Ähnlichkeit kann sich auf mehrere Merkmale beziehen: auf Ähnlichkeiten in der Tonhöhe, der Klangfarbe, der Lautstärke, der Tondauer, der Artikulation oder der räumlichen Position der Schallquelle. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
werden aufeinander folgende Klangereignisse zu Gestalten zusammengefasst; aufgrund von Veränderungen in einem oder mehreren dieser Parameter entstehen Gruppierungsgrenzen. Allerdings ist das Prinzip der zeitlichen Nähe für die Gestaltwahrnehmung wichtiger als Ähnlichkeitskriterien der Tonhöhe oder Klangfarbe. Während bei der regelmäßigen Tonfolge in Abb. 7a die Gruppierungsgrenzen aufgrund der Tonhöhe wahrgenommen werden, ist die zeitliche Nähe ausschlaggebend, sobald zwischen den Tönen Pausen eingefügt werden (Abb. 7b).
Abb. 7: Gruppierung einer Tonfolgeaufgrund a) der Ahnliehkeil der Tonhöhe und b) der zeitlichen Nähe.
Erstaunlicherweise erfolgt eine Gruppierung selbst dann, wenn die Klangfolgen aus völlig identischen Ereignissen bestehen, die in einem identischen zeitlichen Abstand, also isochron erklingen (Abb. 8) .
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Abb. 8: "Subjektive Rhythmisierung" einer isochronen Klangfolge (aus Handell989, S. 387).
Die experimentellen Untersuchungen zur Segmentietung isochroner Klangfolgen, der "subjektiven Rhythmisienmg", führten zu folgenden Ergebnissen:18 Es werden vorwiegend Gruppierungen von zwei oder drei, seltener von vier Elementen wahrgenommen. Tempo-Effekte sind bei den spontanen Gruppierungsprozessen relativ gering, bei höherem Tempo vergrößert 18 Bereits Wilhelm Wundt (1911) entdeckte einen spontanen Gruppierungsmechanismus einheitlicher, isochroner Klangfolgen in Gruppen von mehreren Klängen; weitere Untersuchungen hierzu wurden von Bolton (1894) und Woodrow (1909) durchgeführt. Die Kenntnis des Phänomens ist natürlich älter, vgl. z.B. Sulzer 1794, Bd. 4, S. 92-96. Die Bezeichnung "subjektive Rhythmisierung" wird von Handel (1989, S. 386) mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass wahrgenommene Rhythmen immer "subjektiv" sind, da sie sich nicht eindeutig und zwingend aus der physikalischen Struktur der Schallereignisse ergeben.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
sich die Anzahl der Elemente in den Gruppierungen nur geringfügig. Das erste Element jeder Gruppe erscheint als akzentuiert, z.B. als lauter. Die Abstände zwischen Elementen innerhalb der Gruppen erscheinen kürzer als zwischen verschiedenen Gruppen. Bei der Musikwahrnehmung lässt sich eine spontane Gruppierung in kleinere Einheiten ("primitive Gruppierung") von einer Gruppierung in Phrasen unterscheiden, deren maximale Länge der Dauer der psychologischen Gegenwart entspricht (Snyder 2000, S. 31-39). 19 Die elementaren oder "primitiven" Gruppierungen werden innerhalb der Dauer der psychologischen Gegenwart zu längeren Einheiten, den musikalischen Phrasen, zusammengefasst. Die Grenzen von Phrasen und größeren musikalischen Einheiten entstehen durch simultane Veränderungen mehrerer klanglicher Parametern, z.B. Klangdauer bzw. Interonsetintervall, Tonhöhe und Lautstärke, aber auch durch gelernte Regeln der Phrasenbildung.
Psychologische Gegenwart und Arbeitsgedächtnis Das Gehör fasst die Klangereignisse innerhalb eines Klangstromes zu Einheiten oder Gruppen zusammen, die als gegenwärtig erlebt werden. Wenn eine geschlossene rhythmische Gestalt immer weiter verlangsamt wird, so fallt sie in Einzelklänge auseinander, sobald der Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Klangereignissen größer als anderthalb bis zwei Sekunden wird. Dieses Phänomen steht in Zusammenhang mit der sog. psychologischen Gegenware0 , das bereits 1890 von William James in seinen Principles of Psychology beschrieben wurde: "The practically cognized present is no knife-edge, but a saddle-back with a certain breadth ofits own on which we sit perched, and from which we look into two directions in time" (zit. nach Dowling/Harwood 1986, S. 179). Innerhalb der Zeitspanne der psychologischen Gegenwart sind alle Bewusstseinsinhalte direkt verfügbar, sodass keinerlei Erinnerungsleistungen erforderlich sind (Michon 1978, S. 92). Das Zeitfenster der Gegenwart verschiebt sich nicht kontinuierlich auf einer abstrakten Zeitachse. Wir hören das Ticken einer Uhr nicht in einem Augenblick als "tick-tack" und im nächsten als "tack-tick", sondern als eine Wiederholung von identischen Einheiten ("tick-tacks" oder "tack-ticks"). Das Gegenwartsfenster verschiebt sich jedoch mit Überlappungen, sodass der Eindruck eines kontinu19 Ein Computermodell der Gruppierung von Klangfolgen aufgrundvon Tonhöhen· und Lautstärkeunterschieden der Klangereignisse hat Neil P. Todd entworfen (Todd 1994, vgl. Clarke, 1999, 5. 480f). 20 Für die psychologische Gegenwart finden sich in der Literatur auch die Bezeichnungen "psychische Gegenwart", "bewusste Gegenwart" (Michon 1978), "Wahrnehmungsgegenwart" ("perceptual present" , Fraisse 1978) und " psychische Präsenzzeit" (Stern 1897).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
ierlich verstreichenden Zeitflusses, eines Bewusstseinstroms entsteht. Hierdurch wird sowohl eine Orientierung in die unmittelbare Vergangenheit als auch eine Orientierung in die Zukunft (Antizipieren) ermöglicht (Michon 1978, s. 93). Die exakte Dauer der psychologischen Gegenwart lässt sich nicht eindeutig bestimmen; in der psychologischen Literatur finden sich Angaben zwischen anderthalb und drei Sekunden (vgl. Michon 1978, Block 1990, S. 5ff). Nach Richard A. Block (1990) besitzt die psychologische Gegenwart eine Obergrenze der zeitlichen Kapazität, die bei ca. fiinf Sekunden liegt, wobei diese Grenze von der inneren Struktur der wahrgenommenen Ereignisse abhängt. Auch Michon betont, dass die zeitliche Ausdehnung der psychologischen Gegenwart nicht nur von psychischen Eigenschaften abhängt, sondern ebenso von der zeitlichen Struktur und Segmentierung der wahrgenommenen Ereignisfolgen (Michon 1978, S. 89). Zur Dauer der psychologischen Gegenwart bei der Musikwahrnehmung gibt es in der Literatur ebenfalls widersprüchliche Angaben (vgl. Berz 1995, S. 354). Manche Autoren beziehen die Obergrenze auf die Anzahl der erklingenden Töne und kommen hier aufFolgen von sieben bis fünfzehn Tönen. Vor dem Hintergnmd von Jones' Unterscheidung zwischen einem analytischen und einem zukunftsorientierten Aufmerksamkeitsmodus (vgl. 3.1) ist es nicht verwunderlich, dass experimentell gewonnene Angaben zur Dauer der psychologischen Gegenwart beträchtlich variieren - abhängig von der Bestimmungsmethode und den Bewusstseinsinhalten innerhalb dieser Zeitspanne. Eine zeitliche Kapazität von ca. anderthalb Sekunden ist sicherlich einem detailorientierten, analytischen Aufmerksamkeitsmodus angemessen. In musikalischen Kontexten mit einer kohärenten, stark hierarchischen Organisation der zeitlichen Struktur treten jedoch vermutlich auch längere Ausdehnungen der psychologischen Gegenwart auf. 21 Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass nach Cowan (1984) der unmittelbare auditmische Sinnesspeicher nur akustische Reize, die maximal 20 Sekunden zurückliegen, speichern kann. Block bringt die Dauer der Gegenwart des Wahrnehmensund Erlebens ebenfalls mit der Kapazität der menschlichen Informationsverarbeitung in Verbindung: "The perception and production of rhythm, as in a piece of music or in a series of coordinated movements, depends on structural and dynamic properties of information-
21 So schreibt etwa der Psychologe Edward G. Boring 1933 in The Physical Dimensions of Consciousness: .,[...] conscious present can certainly include a rhythmic grouping that occupies a second or a second and a half, and that with somewhat less ,immediacy' [ ... ] may extend to include a rhythm of a quarter or perhaps even half a minute" (zit. nach Block 1990, S. 5). Kauffman und Carlsen (nach Berz 1995) nennen sogar eine zeitliche Ausdehnung der psychologischen Gegenwart bei der Musikwahrnehmung von über drei Minuten.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
processing systems underlying the psychological present [ .. .]"(Block 1990, s. 6). Nach dem verbreiteten Gedächtnismodell von Atkinson und Shiffrin (1968) wird bei der Infonnationsverarbeitung zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis unterschieden. Da es als erwiesen gilt, dass das Kurzzeitgedächtnis über Komponenten sowohl der Speicherung als auch der Verarbeitung von Infonnationen verfiigt, sollte nach Berz (1995) die Bezeichnung Arbeitsgedächtnis vorgezogen werden. 22 Berz nennt Hinweise darauf, dass für verschiedene Sinnesmodalitäten unterschiedliche Arbeitsgedächtnisse existieren. So wurde experimentell beobachtet, dass instrumentale Hintergrundmusik die Leistungen der sprachlichen Verarbeitung nicht beeinträchtigt, wohl aber Vokalmusik oder im Hintergrund abgespielte Sprachaufnahmen (Salame/Baddeley 1989). Berz postuliert aufgrund dieser Beobachtung die Existenz eines musikalischen Arbeitsgedächtnisses neben einem sprachlich-phonologischen Arbeitsgedächtnis. Berz weist außerdem darauf hin, dass sich die Kapazität des musikalischen Arbeitsgedächtnisses durch Bekanntheit des musikalischen Materials und durch Verarbeitungsstrategien des Langzeitgedächtnisses vergrößem lässt. So wächst die momentane Erinnerungsleistung für Melodien durch die wiederholte Präsentation der Stimuli stark an (Pembrook 1986). Die Vermutung liegt nahe, dass sich im Langzeitgedächtnis sehr schnell interne Repräsentationen der Melodien aufbauen. Die bessere Erinnerungsleistung von musikalisch trainierten Hörem kann damit in Verbindung gebracht werden, dass diese von einem reichhaltigeren Erinnemngsschatz an melodischen Schemata profitieren können (Berz 1995, S. 354). Wissensstmkturen des Langzeitgedächtnisses, seien es nun konkrete musikalische Erinnerungen oder aber schematisch aufgebaute Erwartungen über einen regelmäßigen zeitlichen Verlauf, haben demnach direkten Einfluss auf die musikalische Wahrnehmung, auf die Kapazität des musikalischen Arbeitsgedächtnisses und damit auf die Dauer der psychologischen Gegenwart.
Akzentuierung von Klängen Innerhalb von Klangfolgen erhalten manche Klangereignisse ein größeres Gewicht als andere, sie erscheinen im Vergleich zu den sie umgebenden Klängen als akzentuiert. Die Akzentuierung von Klängen hat u.a. zur Folge, dass sie besser wahrgenommen und leichter erinnert werden als weniger akzentuierte Ereignisse. Verändemngen der akzentuierten Ereignisse werden in stärkerem Maße bemerkt und haben einen größeren Einfluss auf die wahrgenommene Struktur einer Klanggestalt als Veränderungen weniger akzentuierter Klänge. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Klangereig22 Berz beruft sich hierbei auf den Gedächtnispsychologen Alan Baddeley (1990).
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
nisse zu akzentuieren. In zahlreichen Hörexperimenten wurde versucht, mögliche Akzentuierungsarten zu ennitteln (vgl. Monahan/Caterette 1985, Monahan 1993, Jones 1993, Müllensiefen 2004). Hier die wichtigsten Faktoren, die zur Akzentuierung eines Klangereignisses beitragen: 1. Ein lauteres Ereignis erscheint akzentuiert. 2. Ein längeres Ereignis erscheint akzentuiert; nach längeren Ereignissen entstehen vielfach Gruppierungsgrenzen. 3. Ein Ereignis, das in Klangfarbe oder Artikulationsweise von den umgebenden Ereignissen abweicht, erscheint akzentuiert. Für Ereignisfolgen mit wahrnehmbarem Tonhöhenverlauf gilt außerdem: 4. Das Klangereignis nach einem Tonhöhensprung erscheint akzentuiert. 5. Die Klangereignisse an den Extrempunkten des Tonhöhenverlaufs (tiefster oder höchster Ton) erscheinen akzentuiert. In Musik, die metrisch oder tonal organisiert ist, tragen zwei weitere Faktoren zur relativen Akzentuierung von Klangereignissen bei. Fällt ein Ereignis auf einen metrisch betonten Zeitpunkt oder besitzt es eine harmonisch wichtige Tonhöhe, so erscheint es als besonders gewichtet. Allerdings setzt dies voraus, dass beim Hörer aufgrund des vorherigen Klanggeschehens oder aufgrund parallel erklingender Begleitstimmen ein metrisches bzw. tonales und harmonisches Wahrnehmungsschema aktiviert ist. Musikalisch wenig trainierte Hörer oder Hörer aus anderen Musikkulturen werden diese Akzentuierungsweisen vermutlich nicht bzw. schwächer empfinden. Da es sich bei den genannten Akzentuierungsmöglichkeiten jeweils um relative Akzentuierungsgrade handelt, muss zunächst offen bleiben, wie stark die jeweiligen Unterschiede zu den umgebenden Tönen sein müssen, um eine bestimmte Stärke der Akzentwahrnehmung zu erreichen. Reicht eine Verdoppelung der Tondauer oder ein Sprung von einer kleinen Terz aus, damit eine Akzentuierung wahrgenommen wird? Ebenfalls abhängig vom musikalischen Kontext und von der musikalischen Erfahrung des Hörers ist die Frage, welche der aufgeführten Akzentuierungstypen flir die musikalische Wahrnehmung entscheidend sind, wie die Akzentuierungen zusammenwirken und wie sich die Akzentuierungstypen untereinander gewichten lassen. Daniel Müllensiefen (2004) hat aufgrund der statistischen Auswertung eines Hörexperiments ein kombiniertes Akzentuierungsmaß vorgeschlagen. In seinem Hörversuch sollten musikalische Experten, d.h. sehr reliabel urteilende Hörer, die Ähnlichkeit zwischen je zwei Versionen von einstimmig präsentierten Pop-Melodien einschätzen. Anband der Daten seines Experiments überprüfte er die zahlreichen in der musikpsychologischen Literatur genannten Akzentuierungsregeln auf ihre empirische Stichhaltigkeit. Mül-
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lensiefen (2004, S. 311-319) kommt aufgrund statistischer Auswertungsmethoden zu dem Schluss, dass sich die Urteile seiner Versuchsteilnehmer mit einer Kombination der folgenden fünf Akzentuierungsregeln optimal in Übereinstimmung bringen lassen: 23 1. Ein Klangereignis, das mindestens doppelt so lange dauert, wie der vorhergehende Klang, wird als akzentuiert empfunden; 2. ein Klangereignis nach einem Intervallsprung, der größer als eine große Terz ist, wird als akzentuiert empfunden; 3. Klangereignisse nach einer Umkehr der Tonhöhenkontur erscheinen als akzentuiert; 4. Klangereignisse an Phrasenenden werden als akzentuiert wahrgenommen, wobei Phrasenenden durch Interonsetintervalle gebildet werden, die mindestens viermal so lang sind wie der vorherrschende Notenwert (Modalwert) der Melodie; 5. Klangereignisse, deren Tonhöhe im Dreiklang der implizierten Hannonie enthalten ist, erscheinen als akzentuiert. Für die Stärke des Akzentuierungsgrads sind demnach neben der Klangdauer und der Position innerhalb einer Gruppierung mehrere tonale Kriterien wichtig: die Stellung einer Tonhöhe in der melodischen Kontur (Intervallsprung und Extrempunkte des Tonhöhenverlaufs) sowie im harmonischen Kontext. Da die Melodien in einer einheitlichen Lautstärke und Klangfarbe gespielt wurden, konnten Akzentuierung durch diese beiden Parameter nicht betücksichtigt werden.
Wechselwirkungen zwischen Akzentuierung und Gruppierung Die Akzentuierung bestimmter Klangereignisse steht mit der wahrgenommenen Gruppierung in enger Wechselwirkung. Einerseits haben Unterschiede im Akzentuierungsgrad der Klangereignisse - sei es in der Lautstärke, der Tondauer, der Tonhöhe oder in der Stellung innerhalb der melodischen Kontur - Rückwirkungen auf die Gruppenbildung. Andererseits wird durch die Gruppierung der wahrgenommene Grad der Akzentuierung, vor allem die wahrgenommene Lautstärke, beeinflusst. Handel hat die wichtigsten experimentellen Ergebnisse zu diesen Interaktionen zusammengestellt und graphisch veranschaulicht (Handel 1989, S. 386ft). Beim Phänomen der sog. subjektiven Rhythmisierung isochroner Klangfolgen fuhrt, wie bereits erwähnt, die Gruppenbildung zugleich zur 23 Aufgrund des experimentellen Paradigmas der Ähnlichkeitsurteile ließ sich eine Gewichtung zwischen den fünf Regeln nicht ermitteln, vgl. Müllensiefen 2004,
5. 319.
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Akzentuierung des Elements nach der wahrgenommenen Gruppengrenze. Umgekehrt kann eine höhere Lautstärke einzelner Klangelemente die Gruppenbildung und sogar die wahrgenommenen Timing-Eigenschaften beeinflussen. Bei einer Erhöhung der Lautstärke jedes zweiten oder dritten Klangereignisses einer isochronen Klangfolge wird das Intervall vor dem lauteren Element als verlängert wahrgenommen, nach dem lauteren Klang dagegen als verkürzt. Das lautere Element erscheint als akzentuiert und steht am Beginn einer Gruppierung (Abb. 9). Wird jedes zweite oder dritte Ereignis der Klangfolge verlängert, so erscheint das Intervall vor dem längeren Element als verkürzt, das Intervall nach dem Element dagegen als verlängert. Das längere Element wird als akzentuiert empfunden und steht am Ende der Gruppierung (Woodrow 1909, vgl. Abb. 10). Verändert man die Zeitintervalle zwischen den Elementen einer Klangfolge, so werden die verlängerten Intervalle zu Gruppierungsgrenzen. Bei kurzen Pausen zwischen den Klangpaaren wird das Element nach der Pause als akzentuiert empfunden und steht am Beginn einer Gruppe. Bei längeren Pausen erscheint jedoch das Element vor dem verlängerten Pausenintervall als akzentuiert; es steht am Ende der Gruppierung (Povel!Okkennan 1981 , vgl. Abb. II).
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Abb. 9: Wechselwirkungen zwischen Akzentuierung durch Lautstärke und wahrgenommener Gruppierung (nach Hande/1989, S. 387).
--... --. -. ·-·-·. .. .. .. ...
Abb. 10: Wechselwirkungen zwischen Tondauer, Lautstärkeempfinden und wahrgenommener Gruppierung (nach Handel 1989, S. 387).
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.... .... ..·--·. . . ·-. . .
Abb. 11: Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen lnteronsetintervallen und Lautstärkeempfinden (nach Hande/1989, S. 387).
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Tonhöhenveränderungen können die Wahrnehmung isochroner Klangfolgen auf mehrere Weisen beeinflussen. Erklingen zwei alternierende Tonhöhen, so wird zumeist der höhere Ton als der akzentuierte Ton zu Beginn einer Gruppe wahrgenommen. Die Gruppengrenzen werden durch eine subjektive Verlängerung der entsprechenden Zeitintervalle betont. Treten die beiden Tonhöhen unterschiedlich häufig auf, so steht der seltenere Ton am Anfang einer Gruppierung (Abb. 12).
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Abb. 12: Gruppierung und Lautstärkeempfinden bei isochronen Klangfolgen mit wechselnden Tonhöhen (nach Handel 1989, S. 387).
Bei isochronen Klangfolgen mit mehreren unterschiedlichen Tonhöhen werden aufgrund der Tonhöheninformationen Gruppierungen gebildet. Handel (1989, 408f) nennt hierfür eine Reihe von Präferenzregeln: 1. Elemente mit der gleichen Tonhöhe werden zu Gruppierungen zusammengefasst; 2. Tonfolgen mit Schritten in gleicher Richtung werden bevorzugt zu Gruppierungen zusammengefasst; 3. Wechselnoten ("Triller") werden zusammengruppiert; 4. Gruppengrenzen entstehen durch Tonhöhensprünge. Außerdem können Strukturähnlichkeiten und Parallelismen zwischen den einzelnen Gruppierungen wichtig für die Gruppenbildung sein (z.B. Transpositionen oder Umkehrungen). Am Beginn der Gruppierungen entsteht vielfach eine subjektiv stärkere Akzentuierung, die sich in einem Anstieg der wahrgenommenen Lautstärke sowie der Länge der Gruppengrenzen äußert (sog. strukturale Akzentuierung). In vielen Fällen gibt es mehrere Möglichkeiten, die Gruppierung von Klangfolgen mit unterschiedlichen Tonhöhen wahrzunehmen. So führen im folgenden Beispiel Regel 2 (Tonhöhenbewegung in gleicher Richtung) und Regel 3 (Wechselnoten) zu unterschiedlichen Gruppierungen (Abb. 13). Dieselben Klangfolgen können demnach als unterschiedliche Klanggestalten wahrgenommen werden.
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Abb. 13: Alternative Möglichkeiten der Gruppierung einer isochronen Klangfolge mit unterschiedlichen Tonhöhen.
Die wahrgenommene Gruppierung und Akzentuierung von Klangereignissen wird somit von einer Vielzahl von klanglichen Variablen beeinflusst. Nicht nur Dauer und Interonsetintervalle, sondern auch Unterschiede einzelner Klangelemente in puncto Lautstärke, Tonhöhe (Stellung in der melodischen Kontur und tonal-hannonische Gewichtung) und Klangfarbe spielen hierbei eine Rolle. Durch die Veränderung einer der genannten Variablen kann sich die wahrgenommene Organisation der gesamten Klangfolge komplett verändern bzw. neu strukturieren. Veränderungen an einem bestimmten Element der Klangfolge (z.B. Veränderungen der Akzentuierung oder des Interonsetintervalls) können die Wahrnehmung aller anderen Elemente beeinflussen. "Given the restructuring of the sequence", so Handels Schlussfolgerung, "we must conceptualize rhythm as relative timing. The timing and accentuation of any single element is determined relative to the timing and accentuation of all other elements, adjacent ones as well as nonadjacent ones" (Handell989, S. 390). Stellt man in Rechnung, dass zudem eine willentliche Steuerung der Aufmerksamkeit möglich ist, so erweist sich die Rhythmuswahrnehmung bereits auf einer grundlegenden Ebene als ein aktiver und konstruktiver Prozess. Hinzu kommen gelernte Gruppierungsmechanismen, die aufgrund von Strukturähnlichkeiten, Parallelismen (z.B. parallele Tonbewegungen auf geänderter Tonstufe) oder der exakten Wiederholung von rhythmischmelodischen Mustern die W ahmehmung lenken. Wenn Klangmuster oft wiederholt werden, können sie als Ganzes memoriert werden und bei erneutem Auftreten die spontane Segmentierung beeinflussen, auch wenn dies mit anderen "primitiven" Gruppierungsmechanismen im Widerstreit steht. Bei den auf Wiederholung basierenden Gruppierungsprozessen, bei denen Lernprozesse (Memorieren, Erinnern und Wiedererkennen) und somit Verarbeitungsstrategien des Langzeitgedächtnisses involviert sind, unterscheidet Snyder (2000, S. 45) zwischen stückspezifischen Gruppierungseffekten ("objective sets") und stilspezifischen Gruppierungseffekten ("subjective sets"). Stückspezifische Gruppierungseffekte entstehen aufgrund von Prototypen oder Schemata, die beim Hören eines bestimmten Stückes entstehen und durch welche die Wahrnehmung gleicher oder ähnlicher Strukturen an späterer Stelle des Stückes geprägt wird. So werden etwa prägnante melodische oder rhythmische Motive auch an anderen Stellen
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innerhalb eines Stückes wiedererkannt - selbst dann, wenn sie in einem völlig anderen Kontext oder mit leichten Variationen wiederholt werden. Stilspezifische Gruppierungseffekte entstehen aufgrund von Erwartungen, die sich durch Hören der Stücke eines bestimmten musikalischen Stiles aufbauen.
3. 3 Metrumswahrnehmung Musikalisches Metrum und metrische Hierarchie Ein zentrales Merkmal der musikalischen Zeitgestaltung ist die Regelmäßigkeit der Abstände zwischen den Anfangen (Onsets) der einzelnen Klänge (lnteronsetintervalle, 101). Gleich große lnteronsetintervalle gibt es nicht nur zwischen direkt nacheinander erklingenden, sondern auch zwischen weiter auseinander liegenden Klangereignissen. Außerdem können sich bestimmte Akzentuierungen und Akzentuierungsgrade der Klänge (durch Lautstärke, bestimmte Klangfarben oder Tonhöhen usw.) in regelmäßigen Zeitabständen wiederholen. Diese Regelmäßigkeiteil oder Periodizitäteil werden in der Musik gemeinhin mit dem Begriff des Metrums, wörtlich: Maß, in Verbindung gebracht, wobei sich das "Maß" hier auf die nonnierten Interonsetintervalle bezieht. Metrische Periodizitäteil erzeugen einen schematischen Erwartungsrahmen, der die Aufmerksamkeit auf bestimmte zukünftige Zeitpunkte bzw. auf die dann erklingenden Ereignisse lenkt. Durch diese zukunftsorientierte Aufmerksamkeitslenkung werden Prozesse der musikalischen lnfonnationsverarbeitung sowie der körperlichen und sozialen Synchronisation erleichtert. Dabei werden zumeist leichte Abweichungen der Klang-Onsets von den metrisch exakten Zeitpunkten toleriert. Versteht man unter einem Metrum ein zeitliches Bezugssystem oder kognitives Schema, so kann man dieses "Zurechthören" als eine Form der schemageleiteten kategorialen Wahrnehmung beschreiben (vgl. Abschnitt 3.4). Der einfachste Fall eines metrischen Bezugsrasters ist eine periodische, isochrone Folge von Zeitpunkten. In Musik liegt das Tempo dieser isochronen Folge von Zeitpunkten oder Schlägen innerhalb eines Bereichs von lnteronsetintervallen zwischen ca. 200 ms und 2 s (30 bis 300 bpm), bevorzugt jedoch in einem Bereich zwischen ca. 500 und 700 ms (85 bis 120 bpm) dem sog. Grundschlag oder Grundpuls (tactus) zugrunde (London 2002, S. 536). Normalerweise spricht man jedoch erst dann von einem musikalischen Metnnn, wenn mindestens zwei Periodizitäten oder Pulsfolgen unterschiedlichen Tempos miteinander kombiniert und aufeinander bezogen werden: "A metrical pattern", so die Musikpsychologen Caroline Palmer und Carol L. Krumhansl, "usually contains nested hierachicallevels, in
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
which at least two Ievels of pulsation are perceived at once, and one Ievel is an integer multiple of the other Ievel" (Palmer/Krumhansl 1990, S. 728). Wird z.B. jeder zweite, dritte oder vierte Zeitpunkt einer Pulsfolge akzentuiert, so entsteht ein zweites, langsameres Raster von akzentuierten Schläge, deren Tempo dann halb, ein Drittel oder ein Viertel so schnell ist; weitere langsamere Akzentuierungsebenen sind möglich. Auf diese Weise entsteht eine sog. metrische Hierarchie mit unterschiedlich schnellen Pulsfolgen, bei der die akzentuierten Zeitpunkte einer höheren hierarchischen Ebene zu den Elementen der nächsttieferen Ebene werden. 24 Den Fall eines streng hierarchisch organisierten Metrums zeigt Abb. 14.
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Abb. 14: Metrische Hierarchie mitfünfEbenen, wobei die lnteronsetintervalle jeder tieferen metrischen Ebene doppelt so lang sind wie die lnteronsetintervalle der j eweils höheren Ebene.
Mit der Zahl der periodisch organisierten, aufeinander bezogenen Ebenen wächst der Grad an metrischer Strukturiertheit oder metrische "Tiefe" eines Musikstückes. Besteht eine metrische Hierarchie aus nur wenigen Ebenen, so ist sie relativ "flach". Der Extremfall einer "flachen" metrischen Hierarchie wäre eine metrische Organisation, die z.B. neben der Referenzebene des Grundschlags nur noch periodische Grundschlagsunterteilungen aufweist. Existiert allerdings nur eine einzige periodische oder isochrone Ereignisfolge, z.B. der Grundschlag, so sollte nach der oben gegebenen Metrums-Definition nicht von einem musikalischen Metmm gesprochen werden. Natürlich gibt es in der Musik auch Regelmäßigkeiten, bei denen die in Abb. 14 dargestellte strikte Hierarchie der Dauerverhältnisse durchbrochen wird. So ist denkbar, dass die Einheiten auf einer bestimmten Hierarchieebene unterschiedlich lang sind und etwa durch Addition verschieden langer Zeiteinheiten erzeugt werden. Hierdurch verringert sich die Anzahl der streng periodischen Ebenen und damit der Grad der metrischen Organisa24 Allerdings gelangt die Metrumshierarchie bei Periodizitäten längerer Zeitintervallen in einen Übergangsbereich, in dem sich die Metrumserwartung mit bestimmten Formschemata deckt - so bei musikalischen Formmodellen, die sich aus regelmäßigen Taktgruppen zusammensetzen, z.B. der 32taktigen Standardform des American Popular Song (vgl. 5.2).
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tion. Werden solche Patterns, wie z.B. das Habanera-Pattern oder ein westafrikanisches Time Line-Pattern (Abb. 15), zyklisch wiederholt, so erklingen genau zwei streng periodische Ebenen: die Interonsetintervalle des schnellsten Pulses und die Länge des gesamten Zyklus.
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Abb. 15: Zwei Beispielefür eine flache metrische Organisation mit additiver Ebene (Ebene 2); oben: Habanera-Rhythmus (Tresillo, vgl. 5.6), unten: westafrikanisches Time Line-Pattern (vgl. 4.2).
Nicht jede Musik ist periodisch organisiert. Fehlt dem Hörer jedoch jegliches zeitliche Bezugssystem, auf das er die gehörten Klangfolgen beziehen könnte, so wird ein zukunftsorientierte Aufmerksamkeitsmodus und damit der Aufbau von Erwartungen über die Zeitpunkte zukünftiger Klangereignisse unmöglich. Stattdessen ist nur eine analytische, detailorientierte Aufmerksamkeit möglich, wodurch kognitive Leistungen, z.B. Erinnern oder Unterscheiden von Rhythmusgestalten, die Synchronisation von Körperbewegungen mit der Musik sowie eine Koordination der verschiedenen Stimmen innerhalb eines Ensembles, stark erschwert werden.
Metrische und figurale Verarbeitung von Rhythmen Dirk-Jan Povel und Peter Essens (1985) haben in mehreren Experimenten untersucht, inwieweit der Grad der metrischen Organisation einfacher Klangmuster eine Rolle bei der musikalischen Informationsverarbeitung spielt. Je besser ein rhythmisches Zeitmuster mit einem metrischen Schema übereinstimmt und je höher daher der Grad seiner metrischen Organisation ist, so ihre Hypothese, desto stärker werden kognitive Verarbeitungsprozesse erleichtert. In einem Hörexperiment erhielten die Versuchsteilnehmer die Aufgabe, einfache Rhythmen nachzuklopfen, die mehrmals hintereinander vorgespielt wurden. Gemessen wurde zum einen die Dauer, bis sie den jeweiligen Rhythmus auswendig gelernt hatten und mit dem Nachklopfen begannen, zum anderen der Grad der Übereinstimmung ihrer Repro-
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PSYCHOLOGISCHE GRUNDLAGEN
duktion mit der Vorlage. Lernzeit und Reproduktionsgenauigkeit wurden als Indizien für kognitive Gedächtnisleistungen angesehen. In ihrem Experiment wählten Povel und Essens 35 Rhythmen mit unterschiedlichen Graden an metrischer Organisation. Die Gesamtlänge jedes rhythmischen Patterns betrug 16 Zeiteinheiten in einem Tempo von 300 bpm, also insgesamt 3,2 Sekunden. Povel und Essens gingen davon aus, dass in einem 16er-Zyklus nur eine symmetrische Unterteilung in 4erGruppen (4/4-Takt) zu einem sinnvollen metrischen Schema führen kann. Der Grundschlag (Viertelnote) entspräche hierbei einem moderaten Tempo von 75 bpm. Von den 16 möglichen Zeitpunkten wurden acht mit kurzen Klangimpulsen belegt (830 Hz-Rechteckimpulse von 50 ms Dauer), die anderen acht Schläge waren Pausen. Bei den Schlägen 1 und 13 erklang immer ein Impuls; am Schluss aller Rhythmen entstand durch eine drei Zeiteinheiten dauernde Pause eine Gruppierungsgrenze. Die restlichen sechs Klänge verteilten sich auf die Schläge 2 bis 12, wobei Pausen maximal zwei Schläge lang waren. Da die Rhythmen aus identischen Klangereignissen bestanden, konnten Akzentnierungen nur aufgrund der TimingEigenschaften entstehen. Hierbei stützten sich Povel und Essens auf drei von Povel/Okkennann (1981) formulierte Akzentuierungsregeln, wonach ein isolierter Ton, der zweite Ton einer Zweitongruppe sowie der Anfangsund Schlusston einer Gruppierung von drei oder mehr Tönen als akzentuiert wahrgenommen werden. Aufgrund der Anzahl der akzentuierten Ereignisse, die mit dem Grundschlag des 4er-Metrums (auf 1, 5, 9 und 13) zusammenfallen, bestimmten Povel und Essens sodann in neun Abstufungen den Grad der metrischen Organisation der 35 Rhythmen (vgl. Abb 16). Die gemessenen Lernzeiten und Reproduktionsfehler korrelierten in hohem Maße mit dem Grad der metrischen Organisation der einzelnen rhythmischen Muster. Der positive Zusammenhang zwischen metrischer Ordnung und kognitiver Verarbeitung wurde in einem zweiten Experiment durch das Hinzufügen eines tiefen Tones auf die metrisch starken Zählzeiten 1, 5, 9 und 13, die das metrische Bezugschema der Rhythmen verdeutlichen sollte, wie zu erwarten weiter verstärkt. Povel und Essens räumen allerdings ein, dass sich aufgrund der künstlichen Natur des verwendeten Stimulus-Materials die Ergebnisse ihrer Versuche nur mit Einschränkungen auf einen musikalischen Kontext übertragen lassen. Werden Rhythmen von Musikern gespielt, so verdeutliche der Musiker seine Metrums-Interpretation zusätzlich durch weitere Akzentuierungsmöglichkeiten (Lautstärke, Artikulation, Klangfarbe) sowie durch die mikrorhythmische Gestaltung, wodurch Wahrnehmungsprozesse und Gedächtnisleistungen womöglich weiter erleichtert werden. Außerdem räumen die Autoren ein, dass vermutlich nicht alle Patterns von allen Versuchsteilnehmern automatisch mit einem metrischen Bezugsrahmen in Verbindung gebracht werden. Vielmehr können Muster auch auf
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Abb. 38: "The Charleston" von James P. Johnson und Cecil Mack, aus .,Running Wild" (1923), Beginn des Themas.
Der Charleston kombiniert charakteristische Beinbewegungen, abwechselnde X- und 0-Beine, mit den neuen Bewegungen des Shimmy: Zittern des Oberkörpers, Drehen der Hüfte, Schenkel und Hinterbacken usw. In Europa wurde der Charleston durch Josephine Baker bekannt, die 1925 in der Tanzmetropole Paris eintraf. Der Black Bottom (wörtl. "schwarzer Hintern") war der "afrikanischste" unter den neuen Tanzmoden. Charakteristisch waren Beckenkreisen, Hüftstoßen (linke Hüfte gegen Schritt von rechtem Bein) und das Absenken des Körpers bei starker Beugung der Knie. ",Jazz dance', therefore, embraced those ernerging new forms of social dancing that engaged the whole body, whose rhythms resonated with those of ragtime music and which united invention and execution through open-
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POPULÄRE MUSIK EUROPAS UND NORDAMERIKAS
ness to improvisation" (Crease 2002, S. 73). Die Körperbewegungen verselbständigen sich dabei gegenüber der Musik, die ihnen allerdings durch Metrum, Tempo und Bewegungscharakter Grenzen setzt.
5.3 New Orleans Jazz und Swing New Orleans Jazz Jazz entstand in New Orleans. Da fast alle bekannten Jazzmusiker der ersten Generation um 1890 in New Orleans geboren wurden, hat der Jazz wahrscheinlich frühestens in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts klarere Konturen angenommen und sich nicht in derselben Form in anderen amerikanischen Städten entwickelt (vgl. Porter/Ullman 1993, S. 19f). Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Aufhebung der Sklaverei arbeiteten afroamerikanische Berufsmusiker in verschiedenen Bereichen der Unterhaltungskultur in der Hafenstadt New Orleans. In Kneipen und Bars spielten Tanzensembles - sog. Fake-Bands, da die Musiker vielfach nicht über Notenkenntnisse verfügten - eine Musik mit starken Einflüssen des instrumentalen Blues'. Während im Rotlichtdistrikt von Storyville wahrscheinlich Piano-Ragtime erklang, spielten die sog. SocietyOrchester der kreolischen Musiker ausnotierte europäische Tänze (Marsch, Walzer, Tango, Mazurka u.a.), oft als synkopierte Ragtime-Bearbeitungen. Die neuen Rassentrennungsgesetze ab ca. 1894 verschlechterten den Status der Kreolen, der seit langem freien Afroamerikaner, die in die Schwarzenviertel umsiedeln mussten und deren Kultur sich dort der Kultur der ehemaligen Sklaven annäherte. Vermutlich im Zuge dieser kulturellen Annäherung entstand durch die gegenseitige Nachahmung und Verbindung der Musik der kreolischen Society Orchestras und der Musik der schwarzen Tanzensembles und Brass Bands der Jazz. Die meisten historischen Jazz-Aufnahmen entstanden in Chicago, später dann auch in New York. Während des ersten Weltkriegs wanderten Hunderttausende von Afroamerikanem aus dem Süden in den Norden und Westen der USA, wo sie Beschäftigung vor allem in Munitionsfabriken und in der Eisen- und Stahlindustrie fanden. Auch nach dem ersten Weltkrieg hielt die Abwanderung der Afroamerikaner in die Industriezentren an. Die vennutlich ersten Aufnahmen des New Orleans Jazz wurde 1917 von der Original Dixieland Jazz Band eingespielt - einer euroamerikanischen Band, die gerade auf Tournee war und in New York gastierte (vgl. Porter/ Ullman 1993, S. 29ft). Sie war eine der damals verbreiteten "Novelty"Bands mit schrillen Klarinetten-Glissandi (Larry Shields), PosaunenGlissandi der "Tailgate"-Posaune (Eddie Edwards) und einem abwechs-
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
lungsreichen und dynamischen Schlagzeugspiel von Tony Sprago (auf Becken, Pauken, Woodblocks, Glocke). Es wurden feste Arrangements ohne Improvisationen gespielt. Die Aufnahmen der Original Dixieland Jazz Band waren für mehrere Jahre die einzig verfügbaren Jazzplatten und schon deshalb sehr einflussreich auf Jazzbands in den ganzen USA. In den 191 Oer und 1920er Jahren wurden die Ausdrücke "Ragtime" und "Jazz" zunächst oft synonym für alle Formen der neuen, afroamerikanisch geprägten Musik verwendet - so auch für die leicht synkopierte Musik von Paul Whiteman oder Irving Berlin. "The most common and fundamental view", so berichtet Berlin über zeitgenössische Einschätzungen, "was that jazz was a later and more complicated phase in the development of syncopated music" (Berlin 1980, S. 16). Früher Jazz (New Orleans Jazz, Dixieland, Traditional Jazz) wird in einer kleinen Besetzung gespielt. Ein oder zwei Trompeten tragen die Hauptmelodie vor, die von der Klarinette umspielt wird. Die Posaune setzt eine tiefere, harmonisch akzentuierte Stimme dagegen. Auf diese Weise entsteht ein dichtes rhythmisch-melodisches Geflecht (vgl. Abb. 39).
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Abb. 39: Typische Rollenverteilung in einer New Orleans Jazz-Band (nach Schuller 1968, S. 20./).
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POPULÄRE MUSIK EUROPAS UND NORDAMERIKAS
time - als 4/4- bzw. 2/4-Takt mit einer Viertel- bzw. Achtelnote als Grundschlag notiert wird. Die Arrangements bestehen aus mehreren Teilen. Ein paraphrasierendes Improvisieren der Bläser erfolgt zumeist aus dem Ensemble heraus; außerdem gibt es kurze Solopassagen innerhalb von ein-, zwei-, selten mehrtaktigen Breaks (Pausen der Begleitung) sowie in sog. Stop-Time-Chorossen mit einer Abfolge mehrerer Breaks. Gegenüber der rhythmisch-melodischen Dichte der Melodieinstrumente ist die Begleitung relativ stereotyp: ein Banjo oder eine Gitarre spielt regelmäßig Akkorde; Kontrabass oder Tuba betonen den Harmonie-Grundton auf jeden zweiten Grundschlag, gelegentlich finden sich auch Linien in der schnelleren Bewegung des Grundschlags. Viele frühen Aufnahmen sind noch ohne Bass und Piano. Spielt ein Piano mit, so dominiert die stereotype "Oom-Pah"Figur (Hannoniegnmdton und Akkorde im Wechsel), wie sie auch im Marsch und im Ragtime verbreitet ist und die Grundlage des sog. Stride Piano-Stils darstellt; dieses rhythmische Begleitschema wird auch als "Two Beat" bezeichnet, da es sich jeweils nach zwei Grundschlägen wiederholt. Gelegentlich ist das Piano mit typischen Ragtime-Figuren in den Breaks zu hören. ln vielen Jazz-Aufnahmen der 1920er Jahre fehlt ein Schlagzeug oder das Schlagzeug ist nur ansatzweise zu hören. Es gab noch kein Drumset im modernen Sinne, sondern eine lose Zusammenstellung mehrerer Perkussionsinstrumente.1" Oft sind auf den Aufnahmen nur eine kleine Trommel (Snare Drum), Becken oder Woodblocks zu hören, während die große Trommel (Bass Drum) aufnahmetechnisch nur schwer erfasst werden konnte. Die Schlagzeuger im frühen Jazz orientierten sich spieltechnisch vielfach an den Trommlern der Marschkapellen. Einflussreich waren insbesondere die Rudiment-Schlagtechniken für die kleine Trommel (Snare Drum), die mit zwei Stöcken ausgeführt werden. Vor Einführung der Fußmaschine für die Bass Drum war das sog. " Double Drumming" verbreitet. Dabei werden Bass Drum und Snare Drum mit demselben Stock geschlagen. Der Gebrauch der Becken war noch begrenzt und hatte vorwiegend interpunktierende Funktion (vgl. Brown 1988). Das moderne Schlagzeug-Set entstand im Zeitraum zwischen 1925 und 193 5. Voraussetzung für das Spiel mehrerer Perkussionsinstrumente mit allen vier Gliedmaßen war die Entwicklung von Fußmaschinen für Basstrommel und Becken. Ab 1850 wurden Fußpedale mit drei unterschiedlichen Mechaniken entwickelt; erst 1909 wurde das heute gebräuchliche Zehen-Pedal (von Ludwig) patentiert. Hi-Hats mit Fußmaschine wurden ab Mitte der 1920er Jahre hergestellt und in den 1930er Jahren populär. Bei der Hi-Hat schließen sich zwei übereinander liegende Becken beim Treten 16 Die Geschichte des modernen Drum-Sets und des Schlagzeugspiels im frühen Jazz stellt Paczynski (1999) ausführlich dar; vgl. auch Brown 1988.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
des Fußpedals. Hierdurch erfolgt zugleich eine automatische Abdämpfung der Becken, die zuvor nach einem Schlag mit der Hand abgedämpft werden mussten. Im New Orleans Jazz spielen die Schlagzeuger vielfach eintaktige Figuren auf der kleinen Trommel oder den Woodblocks. Diese Figuren stehen oftmals im Zusammenhang mit den Melodielinien der Solisten. In den verschiedenen Abschnitten und Stücken werden unterschiedliche Patterns verwendet. Die Schlagzeuger in Chicago und New York spielen auf Snare Drum und Becken normalerweise den Grundschlag, die Basstronnnel wurde ebenfalls auf allen vier Schlägen des Taktes geschlagen, oder aber auf dem ersten von je zwei Grundschlägen, parallel mit Bass oder Tuba. Im Laufe der 1920er Jahre begannen Schlagzeuger wie Warren "Baby" Dodds in der Band von Louis Annstrong (vgl. Paczynski 1999, S. 86ft) durch Snare-Wirbel, sog. Stroke Rolls oder Press Rolls, den Backbeat (Schlag 2 und 4 im4/4-Takt, vgl. 5.5) zu betonen.
Swing: die populäre Musik der 1930er Jahre Viele Jazzhistoriker lassen den "wirklichen Jazz" erst im Jahre 1925 beginnen (vgl. Gushee 1977). Tatsächlich vollziehen sich ab Mitte der 1920er mehrere entscheidende Veränderungen in der musikalischen Gestaltung des Jazz: Der Solist tritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die BigbandBesetzung kristallisiert sich heraus und die Jazzrhythmusgruppe ninnnt allmählichjene Gestalt an, die seither für den Jazz typisch ist. Zentrale rhythmische Neuerung des Swing ist die ungleiche Unterteilung des Grundschlags in sog. Swing-Achteln, die in den folgenden Notenbeispielen (Abb. 41 und 42) ternär (Viertel plus Achtel) notiert sind. Sie ist Grundlage der "swingenden" Phrasierung im Swing und im modernen Jazz (vgl. 6.2). Frühe Jazzmusiker phrasieren dagegen noch vorwiegend gerade oder binär; die Musik "swingt" nicht, höchstens in langsameren Stücken. Stattdessen gibt es manche ungewöhnliche rhythmische Phrasierungseigenheiten, z.B. umgekehrt punktierte Rhythmen, wie sie in der irischen und schottischen Volksmusik verbreitet sind (z.B . .r. ). Während zuvor "Routines", d.h. komplette Arrangements (mit Introduktionen, Übergängen, Zwischenspielen usw.) gespielt wurden, setzt sich nun die Tin Pan AlleySong-Form durch. Virtuose Instrumentalsolisten wie z.B. Louis Armstrong oder Coleman Hawkins treten aus dem eher kollektiven Spiel der frühen Jazzensembles heraus. Allerdings lösen sich die Improvisationssolisten erst
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allmählich von einer Improvisationsweise, bei der in erster Linie die Themenmelodie variiert wird (vgl. Gushee 1977, 1981 ). 17 Durch Tourneen von Jazzmusikern und durch das Aufkommen von Rundfunk und Schallplatte breitete sich der Jazz in den 1920er Jahren allmählich in den ganzen USA aus. Dabei entwickelte sich New York zunehmend zum Ankerpunkt der populären Musik- und Unterhaltungskultur. 18 New York war Stammsitz der großen Orchester- und Theateragenturen (z.B. der Theater Owners Booking Association, TOBA). Von hier aus wurden landesweite Tourneen organisiert. Auch die Bands wurden aus in New York ansässigen Musikern rekrutiert. Die wichtigsten Rundfunk- und Schallplattengesellschaften hatten ebenfalls ihren Sitz in New York. Die Stadt verfügte über eine große Unterhaltungsszene, die zwar nach dem Börsenkrach 1929 kurzzeitig lahmgelegt war, in den 1930er Jahren dann aber zu neuem Leben erwachte. Harlem wurde zum neuen Zentrum der afroamerikanischen Kultur. Aufführungsorte und Verdienstmöglichkeiten für Musiker im Harlem der 1920er Jahre waren Show-Lokale wie der Cotton Club und Connie's Inn, Theater (Lincoln, Apollo), Ballsäle (Savoy, Alhambra), After Hours-Clubs als informelle Musikertreffpunkte mit Jam Sessions und sog. Speak Easys, in denen illegal Alkohol ausgeschenkt wurde. Im Savoy Ballroom in Harlem, der 1926 eröffnet wurde, entstand der Lindy Hop- ein nach Charles Lindbergh benannter Tanz (auch: Jitterbug, Jive oder Swing-Tanz), der binnen kurzem alle anderen Tänze ersetzte.19 Berühmt wurden die akrobatischen Luftfiguren des Lindy Hop, wie sie auch in den 1950er Jahren zum Rock'n'Roll getanzt wurden -laut Günther (1982, S. 215) entsprechen die Grundschritte des Rock'n'Roll-Tanzes denen des Lindy Hop oder Jitterbug. Der Beginn der Swing-Ära wird normalerweise mit dem überragenden Erfolg Benny Goodmans im August 1935 im Palomar Ballroom in Los Angeles angesetzt (vgl. Porter/Ullman 1993, S. 116). Ab Mitte der 1930er Jahre setzte sich die neue Musik der Swing-Bigbands überall in den USA in Tanzhallen und Hotelsälen, Kinopalästen und Nachtclubs durch. In den Jahren des wirtschaftlichen Wiederaufschwungs, der allmählich die Folgen der schweren Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929-33 vergessen ließ, kam es zu einer immensen Nachfrage nach Tanzmusik. Es entstand ein massen17 Gushee (1977) weist darauf hin, dass sich in den 1920er Jahren das Tempo der Tanzmusik allgemein verlangsamte. Stücke in langsamerem Tempo boten den Solisten mehr lmprovisationsmöglichkeiten. 18 Neben New York gab es wichtige Zentren städtischer afroamerikanischer Musik im mittleren Westen, so in Chicago und Kansas City, und an der Westküste (Los Angeles). 19 Die Grundschrittfolge des Lindy Hop (nach Günther 1982, 5. 147): seitwärts links, seitwärts rechts, rückwärts und vorwärts, jeweils mit Tap des anderen Fußes. Die Tänzer gehen ein wenig in die Knie, was der Beckenbewegung mehr Raum gibt.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
haftes Publikum, das alle Bevölkerungsschichten umfasste, wenngleich tanzbegeisterte Jugendliche sicherlich den aktivsten Teil dieses Publikums ausmachten. Mit dem Swing wurde Jazz zu der populären Musik der USA. In der Swing-Ära wurde Tanzmusik zugleich auf völlig neue Weise in die amerikanische Unterhaltungsindustrie eingebunden (vgl. DeVeaux 1997, S. 116-131). Der Swing-Boom wurde von den Medienzentren in New York und Los Angeles aus organisiert. Die dort ansässigen Bigbands hatten gegenüber regional agierenden Bands große Vorteile, da die Radio-Netzwerke ihre Auftritte in den Hotel-Ballrooms und großen Nachtclubs der Metropolen landesweit übertrugen. Durch diese Live-Sendungen wurden die Bigbands im ganzen Land bekannt und erhielten auf ihren Tourneen großen Publikumszuspruch. Unterstützt wurde die Popularität der Bigbands durch eine Promotion in den Medien, die vor allem die Bandleader ins Zentrum eines neuen Starkults rückte, wie er sich sonst nur um die Filmstars Hollywoods rankte. In der Rhythmusgestaltung der Swing-Rhythmusgruppe wird der Two Beat, also die Gruppierung von zwei Schlägen, durch ein 4er-Metrum abgelöst. Der Kontrabass, der in den 1930er Jahren die Tuba endgültig verdrängt, spielt nicht mehr nur auf 1 und 3, sondern durchgehend alle vier Viertel (sog. Walking Bass). Gitarristen spielen Akkorde auf allen vier Zählzeiten und betonen dabei den Backbeat (2 und 4). Im Spiel des Schlagzeugers entstand die typische Hi-Hat-Figur, bei der die Becken auf l und 3 leicht geöffnet werden; die Bass Drum spielt zur Unterstützung der Bassstimme durchgehend den Grundschlag (Abb. 40). Zusätzlich können durch Snare-Wirbel die Backbeats (2 und 4) betont werden. Der Gebrauch von Woodblocks und anderen Perkussionsinstrumenten geht dagegen in den 1930er Jahren zurück.
Abb. 40: Grundfigur der Schlagzeugbegleitung im Jazz der 1930er Jahre; das o kennzeichnet eine Öffnung der Hi-Hat via Fußpedal
Riffs und Offbeat-Phrasierung im Swing In der Bigband-Musik der Swing-Ära löst vielfach die sog. Riff-Technik sowohl herkömmliche Formen der Begleitung als auch die herkömmliche Melodiegestaltung ab. Ein Riff ist eine kurze und prägnante rhythmisch-
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melodische Figur, die in der Tonhöhengestalt weitgehend unverändert über verschiedene Harmonien hinweg wiederholt wird; einzelne Töne können jedoch den harmonischen Veränderungen angepasst werden.20 Für Middleton sind Riffs Musterbeispiele für das melodisch-rhythmische Gestaltungsprinzip einer "musematischen" Wiederholung (Middleton 1983, 1990, S. 267-290). Die Wiederholung von kleinen musikalischen Einheiten, den sog. Musemen21 , führt er auf afrikanische Musikpraktiken zurück und stellt sie einer Praxis der "diskursiven" Wiederholung längerer Phrasen gegenüber, wie sie in europäischer Musik verbreitet ist. Bei letzterer stehen die Phrasen durch Entwicklung und Kontrast miteinander in Verbindung und sind oft Bestandteil übergeordneter hierarchischer Gliederungsstrukturen. Dagegen konunt es bei der Wiederholung von kurzen Riffs zu Reihungsformen. Wechsel zwischen Fonnteilen erfolgen vergleichsweise abrupt; die Wechsel zwischen verschiedenen repetitiven Riffs oder Patterns werden in der afroamerikanischen Kultur auch als "Cut", also Schnitt, bezeichnet (vgl. Snead 1984). Anhand der Entwicklung des populären Lieds zeichnet Middleton die Tendenz von einer vorwiegend diskursiven Melodiegestaltung im 19. Jahrhundert über eine vermehrt anzutreffende Verwendung von melodischen Sequenzbildungen im populären Lied um 1900 hin zur Reihung von Riffs und Pattems in der populären Musik des 20. Jahrhunderts nach. Bereits im Bigband-Swing von Count Basie werden Riffs zur Grundlage ganzer Stücke? 2 So dienen in Basies "One o'Clock Jump" (1937) die Riffs der Bläser, die sich zumeist über zwei 4/4-Takte erstrecken, als rhythmisch-tonaler Bezugsrahmen für den jeweiligen Jnstrumentalsolisten. Dabei verzahnen sich die Riffs der verschiedenen Bläsergruppen zu einem rhythmisch-melodischen Geflecht. In dem folgenden Ausschnitt bilden die Einsätze von Posaunen und Trompeten ein gemeinsames Riff mit charakteristischen Offbeat-Akzenten; auff
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Abb. 72: Ray Charles" What J'd Say " (1959), Grundpattern, J = 187 bpm
Eine Habanera-Bassfigur wie in "What l'd Say" findet sich auch in Aufnahmen des Rock'n'Roll, so z.B. in Elvis Presleys Version von "Hound Dog" (1956). Spätestens seit den 1950er Jahren gehört der Habanera-Bass zum Standard-Repertoire der rhythmischen Muster in populärer Musik. 49 In der Musik des Sängers und Gitarristen Bo Diddley (Otha Ellas Bates), einem der bekanntesten afroamerikanischen Musiker aus dem Umfeld des Rock'n'Roll, nehmen die kubanischen Rhythmusmuster einen besonderen Stellenwert ein. Bo Diddley verwendet in seinen Aufuahmen der 1950er Jahre Maracas, die von Jerome Green gespielt werden. In "You Can't Judge a Book by Its Cover" (1962) deutet Diddley eine 2-3-Clave in der Gitarrenstimme an. In "Bo Diddley" und "Pretty Thing" (beide 1955) wird der Clave-Rhythmus auf der Snare Drum bzw. auf einer Standtrommel (Tom-Tom) gespielt. Die Gitarre setzt in einer eigenständigen rhythmischen Phrasierung Akkorde dagegen. Der Grundschlag wird von den Maracas gespielt (Abb. 73). Während Diddley mit den Maracas nach eigenen Angaben "that freight train sound" (Diddley 1990, S. 6) nachahmen wollte, kam er auf das Schlagzeug-Gitarren-Pattern, das er in zahlreichen Aufnahmen verwendet, angeblich durch ein in einem Indianer-Film gespieltes Trommelpattern (vgl. Diddley 1990, S. 7). Die Ähnlichkeit zur kubanischen Clave istjedoch 49 ln den 1990er Jahren wird der Tresillo-Bass in manchen populären Musikstilen regelrecht zu einer Alternative des Backbeat-Patterns. Sowohl im DancehallRagga als auch in der Rap Music und im R'n'B basieren viele Aufnahmen auf diesem Grundrhythmus.
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unverkennbar. Auffällig ist die Überlagerung zweier Tempoebenen in der langsamen Perkussionschicht und der doppelt so schnellen Gitarrenstimme. Ungewöhnlich ist zudem, dass sich die genannten Stücke auf ein einziges Pattern beschränken und ohne Harmoniewechsel auskommen.50
Maracas
Snare Drum
Abb. 73: Beg/eil-Pattern in Bo Diddleys ,.Bo Diddley" (1955), ~ = 100 bpm.
Lateinamerikanische Rhythmen im Soul und Rock der 1960er Jahre Die lateinamerikanisch beeinflussten Patternmodelle nn Rhythm'n'Blues und Soul zeichnen sich durch mehrere Eigenheiten aus: Prägnante Rhythmen, die von lateinamerikanischen Patterns abgeleitet oder ihnen nachempfunden sind, werden auf Komponenten des Schlagzeug-Sets übertragen oder auf lateinamerikanischen Perkussionsinstrumenten (Bongos, Congas, seltener Maracas, Güiro, Glocke) gespielt. Die binäre Phrasierung dieser Stücke steht dabei in auffälligem Kontrast zu den ansonsten vorherrschenden ternär phrasierten Swing- und Boogie-Rhythmen. Die Basslinien und die rhythmische Akkordbegleitung passen sich mitunter der Clave oder dem Habanera-Rhythmus an. Aufnahmen des Motown-Labels zeichnen sich in der Begleitung und in der Melodiegestaltung durch prägnante rhythmische Muster aus, unter denen sich auch viele Ieubanische Rhythmen befinden. Bereits in Aufnahmen zu Beginn der 1960er Jahre werden Congas mit dem charakteristischen Pattern (vgl. Abb. 71) eingesetzt, so in Mary Wells "You Beat Me to the Punch" (1962); der Bass deutet eine Habanera-Figur an. Einige Stücke beziehen sich auf den Chachacha-Rhyhtmus, z.B. "Jamie" (1961) von Eddie Holland oder "The One Who Really Loves You" (1962) von Mary Wells (mit Congas). "Mickey's Monkey" (1963) von den Miracles stellt die Clave, die erst vom Schlagzeug, dann von der gesamten Band (Bläser, Akkord50 Ähnlich wie bei anderen R'n'B-Musikern beschränkt sich die Verwendung von lateinamerikanischen Rhythmen bei Diddley auf einzelne Aufnahmen. Weitere Beispiele sind "Mona (I Need You Baby)" (1957) und "Say Man" (1958).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
instrumente) gespielt wird, in den Vordergrund, zusätzlich erklingen Claps (Händeklatschen) auf der 2 und 4 und das Conga-Pattern. Im Laufe der 1960er Jahren erreichten die Instrumente der Ieubanischen Musik und die entsprechenden Patterns auch den Rock. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist "Sympathy for the Devil" (1968) der Rolling Stones. Das Stück beginnt mit einem Schlagzeug-Pattern, das kurz darauf durch eine Conga ergänzt wird (Abb. 74). Außerdem erklingen Maracas und Güiro, bevor dann nach ca. 20 Sekunden mit dem Klavier und Gesang die erste Strophe des Songs beginnt. Den relativ schnellen Perkussionspatterns (leises Drumset und Conga-Figur), die vom Bass unterstützt werden und während des gesamten Stückes erklingen, wird beim Einsatz des Gesangs ein um die Hälfte langsameres Grundtempo gegenübergestellt.
Drums
Abb. 74: Rolling Stones .,Sympathy with the Devil" (1968), Perkussionspatterns am Anfang des Stückes, J = 113 bpm.
Eine Schlüsselfigur des lateinamerikanisch beeinflussten Rock ist der in Mexiko geborene Gitarrist Carlos Santana, der ab den späten 1960er Jahren Rock mit lateinamerikanischen Perkussionsinstrumenten und Rhythmen, aber auch mit Einflüssen aus afrikanischer Musik51 verbindet. So interpretiert er auf seiner Debut-Platte "Santana" ( 1969) das Stück "Jin-Go-Lo-Ba" des nigerianischen, in den 1950er Jahren in die USA emigrierten Trommlers Michael Babatunde Olantunji - ein Stück, das ein Jahrzehnt später in einer Version des Ieubanischen Perkussionisten Candido zur Grundlage eines Disco-Hits ("Jingo", 1979) des New Yorker Salsoul-Labels wurde. In den 1970er Jahren gehören lateinamerikanische Perkussionsinstrumente ("Latin Percussion"), vor allem Handtrommeln, Rasseln, Schlaghölzer und Glocken, zum festen Bestandteil der Ensembles in vielen Stilbereichen der populären Musik, vor allem im Funk und in der Disco Music; die entsprechenden Perkussionsklänge finden zugleich Eingang in die Rhythmusmaschinen, mit denen ab Anfang der 1980er Jahre elektronische Tanzmusik produziert wird (vgl. 7.3). 51 Vgl. hierzu die detaillierten Analysen der Stücke ,.Waiting" (1969), ,.lncident at Neshabur" (1969) und "Mother Africa" (1973) durch Christian Pfarr (1992).
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RHYTHMUS IM MODERNEN JAZZ
6.1 Rhythmus im modernen Jazz: Grund lagen, Gestaltungsfreiheiten, Meh rdeutigkeiten
Seit den 1940er Jahren hat der Jazz seine funktionelle Einbindung als Tanzund Unterhaltungsmusik weitgehend hinter sich gelassen und ist zu einer Musik geworden, deren Ziel in erster Linie der künstlerische Ausdruck der Musiker und der ästhetische Genuss der Hörer ist. Anfang der 1940er Jahre nutzten junge Jazzmusiker wie Dizzy Gillespie, Thelonious Monk oder Charlie Parker- aber ebenso Swing-Stars wie Coleman Hawkins oder Don Byas - die neuen Auftrittsmöglichkeiten in den kleinen Clubs der 52ten Straße in Manhattan, die aufgrund der Nachfrage nach öffentlichen Jam Sessions und Combo-Jazz entstanden waren, sowie die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten durch Plattenaufnahmen, die ihnen kleine Plattenfirmen boten, und schufen sich dadurch eine berufliche Alternative zum ungeliebten Arbeitsalltag in den Swing-Bigbands. Bereits die Jam Sessions in Harlem (Minton's Playhouse, Monroe's Uptown House) hatten den Musikern die Möglichkeit geboten, abseits der Öffentlichkeit neue musikalische Ideen zu entwickeln. Dabei wurde der Komplexitätsgrad der Musik durch schnelle Tempi und eine neuartige Schlagzeugbegleitung, durch ungewohnte Tonarten und Modulationen sowie durch ungewöhnliche Harmonieverbindungen und Melodien immer höher geschraubt. Dem neuen Jazzstil, der dabei entstand, dem Bebop, fehlten einige jener Eigenheiten, die den Swing in weiten Hörerkreisen populär gemacht hatten. Das Tempo vieler Stücke war zu schnell zum Tanzen, ihr formaler Aufbau wurde durch Introduktionen und Zwischenspiele unübersichtlich, viele Melodien ließen sich, anders als etwa die Riff-Themen eines Count Basie oder Lionel Hampton, nicht auf Anhieb mitsingen. Doch das störte die neuen Jazzhörer kaum, denn sie wollten ja weder tanzen noch einfach gestrickte Ohrwürmer präsentiert bekommen. Mit dem Bebop wurde der Jazz vielmehr zur Musik einer exklusiven Minderheit. Bebop und modemer Jazz sindjedoch zugleich Beispiele
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
dafür, dass auch relativ komplexe Musik unter bestimmten sozialen und ökonomischen Bedingungen sowohl interessierte Hörer als auch engagierte Plattenproduzenten und Konzertveranstalter findet (vgl. DeVeaux 1997). Die grundlegenden musikalischen Neuerungen des Bebop im Vergleich zu älteren Jazzstilen berühren vor allem die Rhythmusgestaltung im Spiel der Rhytlunusgruppe, also von Bass, Schlagzeug und Piano, seltener Gitarre (vgl. Owens 1995, S. 6ff). Aufgnmd des durchgehend gespielten Grundschlags (Walking Bass, Ride Cymbal-Figur) und der regelmäßigen Harmoniewechsel ist ein metrischer Bezugsrahmen stets präsent. Innerhalb dieses metrischen Bezugsrahmens bestehen jedoch zahlreiche Freiräume der rhythmischen Gestaltung- sowohl innerhalb des Spiels der Rhythmusgruppe als auch in der Melodiegestaltung der Solisten. Im Folgenden soll zunächst der zeitliche Bezugsrahmen des Jazz anhand des Repertoires und des Spiels der Rhythmusgruppe dargestellt werden. An ausgewählten Beispielen, die vorwiegend dem Jazz der 1940er und 1950er Jahre entstammen, werden sodann einige weitere improvisatorische und kompositorische Gestaltungsmittel dargestellt, die für den Rhythmus im modernen Jazz typisch sind. Abschnitt 6.2 widmet sich sodann Fragen der mikrorhythmischen Gestaltung sowie deren Auswirkungen auf den Bewegungscharakter im Jazz, der mit Ausdrücken wie "Swing", "Drive" oder "Lay Back" beschrieben wird. In Abschnitt 6.3 werden rhythmische Besonderheiten im Afro Cuban Jazz, in der BossaNova sowie im Hardbop und der sog. Fusion Music thematisiert, wo einerseits auf Riffs und Ostinatofiguren zurückgegriffen wird, und andererseits durch kreuzrhythmische Überlagerungen und unregelmäßige zyklische Muster verschiedene Grade von rhythmischer Komplexität erzeugt werden. In Abschnitt 6.4 werden schließlich frei rhythmische Gestaltungsweisen im Free Jazz dargestellt.
Formmodelle im Jazzrepertoire Das Repertoire des Jazz bilden seit den 1930er Jahren Stücke aus zwei Traditionslinien: dem American Popular Song der Tin Pan Alley-Ära und dem Blues. Beide Traditionen prägen darüber hinaus zahlreiche Kompositionen von Jazzmusikern, zumindest in formaler und harmonischer, nicht selten auch in melodischer Hinsicht (vgl. Bickl2000). Populäre Tin Pan Alley-Songs bilden den formalen und harmonischen Rahmen vieler Jazzstücke, indem sie sowohl die Themenmelodie, die vom Ensemble zu Beginn und zum Schluss vorgetragen wird, als auch die zumeist 32taktige harmonische Struktur vorgeben, die unablässig wiederholt wird und den Solisten als harmonischer Rahmen ihrer Improvisationen dient. Mitunter komponierten Bebop-Musiker über die Hannoniegerüste bekannter Songs neue Melodien, deren melodische und rhythmische Ei-
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RHYTHMUS IM MODERNEN JAZZ
genheiten stark durch den Improvisationsstil der Musiker geprägt sind (vgl. Tirro 1967). Neben den Tin Pan Alley Songs dient der Blues als ein weiteres Formmodell des modernen Jazz. Allerdings sind hier weniger die Formen des Downhome Blues als vielmehr des Vaudeville Blues prägend. Im Vaudeville Blues der 1920er Jahre wurden zumeist Sängerinnen von kleinen Ensembles begleitet, in denen auch zahlreiche Jazzmusiker mitwirkten. Sowohl hier als auch im populären Boogie Woogie-Blues vollzog sich eine harmonische und metrische Standardisierung der zuvor oftmals improvisatorisch gestalteten Bluesformen auf eine regelmäßige 12taktige Form, die ich im Folgenden als "Jazzblues" bezeichnen möchte. Anders als beim American Popular Song lässt sich die Harmonik des Jazzblues aufgrundder Tonika- und Subdominant-Akkorde mit kleiner Septime nur bedingt funktionshannonisch deuten (Moore 1995); immerhin vollzieht sich in den letzten vier Takten des Schemas eine eindeutige funktionshannonische Bewegung von der zweiten Stufe (Subdominantparalle1e) über die Dominante zurück zur Tonika (Abb. 75).
Abb. 75: Schematische Funktionsstufen-Darstellung eines 12taktigen Jazzblues; jedes Funktionsstufensymbol entspricht einem Takt; der letzte Dominantseptakkord wird am Schluss des Stückes nicht mehr gespielt.
Neben der harmonisch-metrischen Gliederung ist die fonnale und melodische Gliederung des Jazzblues-Chorusses wichtig für die melodische Gestaltung der Solisten. Mitunter gliedern die Jazzmusiker ihre Improvisationen in drei Phrasen, die voneinander durch Pausen getrennt sind. Sowohl beim 32taktigen Tin Pan Alley-Song als auch beim 12taktigen Jazzblues wird somit die metrische Gliederung der Jazzstücke eindeutig durch die hannonische Vorlage bestimmt. Harmoniewechsel erfolgen zumeist regelmäßig im Abstand von vier oder zwei Grundschlägen; eine Notation im 4/4-Takt ist daher weitgehend üblich und wird in den folgenden Notenbeispielen durch Taktstriche angedeutet. Stücke im 3/4-Takt, sog. Jazz Waltzes, die meist im mittleren Tempo stehen, sind im Jazz eher selten, nehmen jedoch seit den 1950er Jahren Einzug ins Jazz-Repertoire (z.B. bei Sonny Rollins oder Kenny Dorham). 1
Vgl. dazu Kernfeld 1988, S. 85. Bereits bei Fats Waller und im Swing finden sich vereinzelt Jazz-Walzer.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Die Rhythmusgruppe: Bass, Schlagzeug, Piano Im Laufe der 1930er Jahre nimmt das Spiel der Jazzrhythmusgruppe jene Gestalt an, die seither im modernen Jazz die Regel ist. Noch im Swing spielen die Pianisten vielfach mit Akkorden den Grundschlag durch oder verwenden in der linken Hand eine auch im Marsch und Ragtime übliche Begleittechnik, bei der abwechselnd Harmoniegrundton und Akkord gespielt werden (sog. Stride Piano oder "Oom-pah"-Begleitung). Der Bassist folgt im Swing der Hannoniebewegung im halben Tempo des Grundschlags (deshalb auch: Two Beat), wobei er in erster Linie Grundton und Quinte der jeweiligen Hannonie spielt. Der Schlagzeuger betont durchgehend Viertel oder Halbe auf der Bass Drum. Zusätzlich spielt er in einzelnen Formteilen feststehende Patterns auf den verschiedenen Schlagzeugkomponenten (Becken, Snare Drum, Woodblocks, Tom-toms); außerdem markiert er mit bestimmten Figuren das Ende von Formteilen, unterstützt die Akzentuierungen des Arrangements oder spielt Fills in dessen Leerstellen (sog. Breaks). In den 1930er Jahren beginnen Swing-Bassisten wie Walter Page (bei Count Basie) oder Jimmy Blauton (bei Duke Ellington), Basslinien im Tempo des Grundschlags zu spielen. Der sog. Walking Bass bildet seither das Rückgrat der Jazz-Rhythmusgruppe. Vor dem Hintergrund der Walking Bass-Linie spielen Pianisten nun zunehmend rhythmisch flexible AldmrdInterpunktionen, die oft zwischen die Grundschläge fallen (Offbeat-Akzentuierungen). Die Anfänge dieses "comping" (von: accompany) genannten Begleitstils liegen bereits bei Earl Hines, Duke Ellington und Count Basie, aber erst Bebop-Pianisten geben das Stride Piano-Spiel völlig auf. Darüber hinaus tendieren sie dazu, Akkorde ohne Grundton im höheren Register zu spielen, wobei sie den Grundton dem Bassisten überlassen. Zentral für die rhythmische Konzeption des modernen Jazz ist jedoch die veränderte Spielweise des Schlagzeugs. Viele Schlagzeugkomponenten, wie sie von Schlagzeugern des älteren Jazz verwendet werden, z.B. Woodblocks und Kuhglocken, die in den Swing-Bigbands eingesetzt wurden, verschwinden aus dem modernen Schlagzeugset Das Drumset besteht im Jazz nach 1940 nur noch aus den Grundkomponenten: Bass Drum mit Fußpedal, Hi-Hat mit Fußpedal, Snare Drum und großes Becken (Ride Cymbal); diese Grundausstattung kann durch weitere Komponenten ergänzt werden, z.B. durch Standtrommeln (Tom-toms) und weitere Becken (z.B. Crash Becken). Im modernen Jazz wird der Grundschlag vom Schlagzeuger nicht mehr auf den Trommeln, sondern auf den Becken gespielt. Der tiefe Klang der Walking Bass-Linie wird somit durch die hohen Frequenzen der Beckenklänge ergänzt; dies trägt zum charakteristischen "leichten" Bewegungs-
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RHYTHMUS IM MODERNEN JAZZ
charakter des Jazz bei. Der Grundschlag wird dabei nur selten einfach auf einem Becken durchgeschlagen, vielmehr wird der Beat durch einen zusätzlichen Offbeat-Impuls auf dem großen Becken (Ride Cymbal) ergänzt? Um welchen Teil des Grundschlags dieser Impuls gegenüber dem folgenden Schlag vorgezogen ist, variiert dabei von Schlagzeuger zu Schlagzeuger und in Abhängigkeit des Tempos (vgl. 6.2). Im folgenden Notenbeispiel (Abb 76) ist der Impuls der Einfachheit halber als Achtelnote notiert. Die Hi-Hat betont den Backbeat, also die metrisch-hannonisch unbetonte Zählzeit
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RideCymbal
0
J
Hi-Hat
J
J
J
Abb. 76: Ride Cymbal-Figur im modernen Jazz.
Allerdings ist diese Ride Cymbai-Figur lange nicht so bindend wie etwa die Two Beat-Spielweise im älteren Jazz. Der improvisatorische Charakter der Schlagzeugbegleitung lässt eine Variation der Ride Cymbai-Figur oder eine Anreicherung durch Akzente der Snare Drum oder Bass Drum zu (Abb. 77). Dabei wird jedoch die Hi-Hat in der Regel auf dem Backbeat durchgeschlagen; erklingt die Hi-Hat in Ausnahmefällen auf jedem Schlag, so führt dies zu einer besonderen Intensivierung des Spielgeschehens. Der Schlagzeuger Kenny Clarke gilt als der Irrnovator des Schlagzeugspiels im Bebop. Bei Clarke löst sich die Bass Drum vom Grundschlag und spielt, ebenso wie die Snare Drum, gezielte Offbeat-Akzente, sog. Bombs, wodurch die Rhythmik der melodischen Linien unterstützt oder konterkariert wird. Grundlage dieser Spieltechnik ist eine koordinierte Unabhängigkeit der vier Gliedmaßen und der verschiedenen Schlagzeugkomponenten. Andere wichtige Bebop-Schlagzeuger, vor allem Max Roach und Art Blakey, haben diese Spieltechnik von Clarke übernommen. Clarke erinnert sich in einem Interview mit der französischen Zeitschrift Jazz magazine:
2
Der Schlagzeuger Jo Jones begann bereits in den 1930er Jahren in manchen Aufnahmen der Count Basie-Bigband, das standardisierte Hi·Hat-Pattern des Swing (vgl. Abb. 40) auf dem Ride Cymbal zu spielen. Jo Jones verzichtete zugleich in seinen Soli auf den Einsatz von Woodblocks, Kuhglocke und Tom-toms; er setzte die Bass Drum unabhängig ein, erzeugte mit Bass Drum und Snare Drum polyrhythmische Strukturen und brach so das typische 2- und 4taktige Phrasenmuster auf (vgl. Paczynski 1999, S. 229ff).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Abb. 77: Variationen der Ride Cymbal-Figur (vgl. Berliner 1994, S. 617/).
,.J'ai longtemps joue avec Diz, de 1938-1942. Apres, je suis parti pour l'armee et, pendant mon absence, Dizzy qui joue bien de la batterie, enseigna
a tous
les batteurs ma maniere de jouer. ll leur disait: ,ll faut faire comme Klook [Kenny Clarke]. Faites quelque chose avec votre main gauche, n'importe quoi, mais il faut faire quelque chose!"' (zit. nach Paczynski 2000, 5. 50). 3
Die folgende Transkription soll die Gestaltungsfreiheiten im Spiel der Rhythmusgruppe im modernen Jazz veranschaulichen (Abb. 78). Es handelt sich um den Ausschnitt aus einer Partiturtranskription der Aufnahme "Blues By Five" (1956) des Miles Davis-Quartetts4 mit Miles Davis, Trompete, Red Garland, Piano, Paul Chambers, Bass, und "Philly" Joe Jones, Schlagzeug (Berliner 1994, S. 732-757); das Stück basiert auf dem Hannoniemodell des 12taktigen Jazzblues. Red Garlands Piano-Voicings stehen größtenteils im Offbeat; außerdem akzentuiert er an einigen Stellen den Backbeat (T. 3 und 8). In den Takten 11 und 12 markiert er mit einer kontinuierlicheren Akkordbewegung in Vierteln das Ende des Chorus, gemeinsam mit dem Schlagzeug-Fill von Philly Joe Jones. Jones spielt fast durchweg die Ride Cymbal-Figur; allerdings setzt er zusätzliche Akzente auf der Snare Drum und der Standtrommel (Tom-tom), die in den meisten Fällen Offbeats betonen. Diese Offbeat- Akzente fallen in vielen Fällen mit den Offbeat-Akzenten des Pia-
3
4
,.Ich habe lange Zeit mit Diz gespielt, von 1938-42. Danach bin ich zur Armee gegangen. Während meiner Abwesenheit zeigte Dizzy, der gut Schlagzeug spielt, allen Schlagzeugern meine Art zu spielen. Er sagte Ihnen: ,Man muss es wie Klook [Kenny Clarke] machen. Macht irgendetwas mit eurer linken Hand, egal was, aber macht irgendetwas I'" Aus der LP ,.Cookin"' (Prestige 1512).
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Abb. 78: Miles Davis-Quartett "Blues By Five" (1956), 3. Chorus; die durchweg triofische Phrasierung ist in binären Achteln notiert (aus Berliner 1994, S. 742-44).
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J
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nos zusammen; in den Takten 2, 4, 6, 8, 9 und 10 erfolgt zwischen Piano und Snare Drum vennutlich spontan eine weitgehende Synchronisierung der Offbeat-Akzente auf die 4und. Die interaktive Ausgestaltung des metrischen Bezugsrahmens durch Piano und Schlagzeug lässt demnach eine synchronisierte rhythmische Gestaltung, z.B. durch gemeinsame Offbeat-Akzentuierungen, zu. Im folgenden Musikbeispiel kommt es zu einer besonders ausgeprägten Fonn der Synchronisierung (Abb. 79). Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der Aufnahme "Softly as in a Moming Sunrise" (1961) des John Coltraue Quartetts5 mit Coltraue am Sopransaxophon, McCoy Tyner am Piano, Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones am Schlagzeug.
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c.J. 4.3, s. auch---> Aksak,---> Metrum). Afro Cuban Jazz (auch: Cubop). Verbindung von ---> Bebop und kubanischen Rhythmen (---> 6.3). Afterbeat (wörtl.: nach dem Schlag). (1)---> Offbeat (Schlag nach einem---> Beat). (2) ---> Backbeat (Schlag nach einem ---> Downbeat). Aksak (türk.: humpeln). Sammelbegriff für eine Vielzahl von zeitlichen Bezugssystemen in der Musik der Türkei und des Balkans; im engeren Sinne ein ---> additives Metrum in der türkischen Volksmusik, das aus dem 4/4Metrum durch Verlängerung der letzten Zählzeit entsteht (2 + 2 + 2 + 3) (---> 4.3, 6.3). Akzent, Akzentuierung Stärkere Gewichtung eines Klanges im Vergleich zu den umgebenden Klangereignissen (---> 3.2).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Akzentstufentakt, Akzentstufenmetrik Bezeichnung für eine metrische Ordnung in abendländisch-tonaler Musik, in welcher der ~ Takt bzw. das ~ Metrum als Ordnung von abgestuften Akzentuierungen aufgefasst wird (nach Besseler 1954, ~ 4.1). Asymmetrie, mikrorhythmische Mikrorhythmische Abweichungen von der gleichmäßigen (symmetrischen) Unterteilung einer Ebene der metrischen Hierarchie (~ Metrum), z.B. des ~ Grundschlags bei sog.~ Swing-Achteln ( ~ 3.4). Backbeat Zweiter, vierter, sechster usw. Schlag der Grundschlagfolge innerhalb einer binären metrischen Hierarchie (z.B. eines 4er-Metrums). Backbeat-Pattern Standardisiertes Begleitpattern im Rhythm'n'Blues, Rock, Pop usw., bei dem der ~ Backbeat in der Regel durch Snare Drum-Schläge akzentuiert wird c~ 5.5). Back Phrasing Interpretationsweise von melodischen Phrasen, bei der eine Verzögerung des Phrasenanfangs zum Schluss der Phrase wieder eingeholt wird (nach Ashley 2002, ~ 5.2, 6.2). Baiao Afrobrasilianischer Rhythmus aus dem Nordosten Brasiliens. Bass Drum Große Trommel bei Marschkapellen und im modernen Drumset; dort seit den 1920er Jahren mit Fußpedal (~ 5.3). Beat (1) ~Schlag. (2) ~ Schlagfolge, ~ Grundschlag, Pulsfolge, Pulsation. (3) Patternmodell der Begleitung, s. auch~ Groove (2). (4) Stilbezeichnung für britische Rockmusik der 1960er Jahre ("Mersey Beat"). Bebop Stilrichtung im Jazz zu Beginn des sog. modernen Jazz in den 1940er Jahren c~ 6.1).
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GLOSSAR
binäre Phrasierung Unterteilung des ---> Grundschlags in zwei gleich lange Teile (im Unterschied zur ---> ternären und ---> quaternären Phrasierung). Black Bottom (engl.: "schwarzes Hinterteil"). Afroamerikanischer Tanz(---> 5.2). Blues (I) Genre afroamerikanischer Musik(---> 5.4). (2) Gefühlszustand oder Stimmung, die u.a. im Blues (1) zum Ausdruck kommt. Bomb Gestaltungsmittel des Schlagzeugs im ---> Bebop und modernen Jazz; ein kräftiger Akzent (zumeist Offbeat) auf der Bass Drum (---> 6.1 ). Bongo Kleines kuhanisehe Handtrommelpaar; wird beim Spielen zwischen den Beinen gehalten. Boogie W oogie Blues-Pianostil in der 12taktigen Bluesform, mit charakteristischer AchtelBasslinie (--->Walking Bass (1 ), "eight to the floor") (---> 5.4). BossaNova (portug.: neue Welle). Verbindung von brasilianischem Baiao und Samba mit Elementen des Cool Jazz. BossaNova entstand um 1960 in Rio de Janeiro, wurde sodann von Jazzmusikern aufgegriffen und seit den 1960er Jahren im Westen sehr populär (---> 6.3). Break Ein- oder mehrtaktige Pause am Schluss einer Melodiephrase, die durch eine solistische Einlage gefüllt wird; dabei laufen Grundschlag bzw. Metrum implizit weiter. Breakbeat (1) Ein Schlagzeug-Pattern, das auf einem solistischen ---> Break des Schlagzeugs basiert. (2) Stilrichtung aus dem Umfeld von Drum'n'Bass und Hip-Hop, in der Breakbeats (1) verwendet werden(---> 7.4).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Bridge Formteil in populären Liedern; zumeist Übergangsteil ( ~ 5.2). Cake Walk Tanz aus der (afro-)amerikanischen -> Minstrelsy. Geht auf einen Tanzwettbewerb zurück, bei dem die Tänzer mit einem Eimer Wasser auf dem Kopf eine mit Kreide gezeichnete Linie entlangtanzen mussten ("chalk line walk"). Der beste Tänzer erhielt zur Belohnung eine Torte ( ~ 5.2). Chachacha Kuhaniseher Tanz- und Musikstil (um 1953 entstanden), der Mitte der 1950er Jahre in den USA populär wurde ( ~ 5.6). Chanking Gitarrenspieltechnik im Funk, bei der nur die hohen Akkordtöne gespielt werden c~ 7.1). Charleston Tanzstil mit einem charakteristischen synkopierten Rhythmus, der durch das Musical "Running Wild" (1923) populär wurde(~ 5.2). Cinquillo (von span. "cinco" : fünf). Kubanische Bezeichnung für folgenden Rhythmus: j Ji..l .~.I c~ 5.6). Clave Rhythmische Grundfigur, die in kuhaniseher Musik als zeitliches Bezugssystem (~ Time Line) verwendet wird. Unterschieden wird zwischen der älteren Rumba-Clave und zwei Versionen der Son-Clave: l .I .I l .J. .J. • (2-3-Clave) bzw . .J. •· .I l .! • l (3-2-Clave) (~ 5.6). Claves Schlaghölzer in kuhaniseher Musik. Conga Große kuhanisehe Handtrommeln in drei Größen: Quinto (klein), Conga (mittel) und Tumbadem (groß). Coon Song Liedgenre der amerikanischen -> Minstrelsy, das den afroamerikanischen Großstadt-Dandy ("Zip Coon") karikiert.
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GLOSSAR
Crooner, Crooning Bezeichnung für Sänger bzw. für das Singen von Balladen und sentimentalen Liedern.
Dancehall, Dancehall Reggae Stilrichtung populärer jamaikanischer Musik (----> 7 .2).
Disco (von Diskothek, daher auch: Disko). Bezeichnung für ein Tanzlokal, in dem zur Musik von Schallplatten getanzt wird, sowie für einen dort in den 1970er entstandenen Musikstil (auch: Disco Music) (----> 7.3).
Double Time Im Jazz: Verdopplung des Grundtempos bei gleich bleibender Geschwindigkeit der harmonischen Bewegung (----> 6.1 ).
Downbeat (1) Schlag der----> Grundschlagfolge (im Gegensatz zum----> Offbeat). (2) metrisch akzentuierter Schlag der Grundschlagfolge (im Gegensatz zu ----> Backbeat und----> Afterbeat).
Drive Subjektiver Eindruck des Schnellerwerdens.
Drum'n'Bass Stilrichtung der Dance Music seit den 1990er Jahren; basiert auf den digitalen Sampies von----> Breakbeats (1) (----> 7.4).
Dub, Dub Reggae Durch klangliche Nachbearbeitungen (Ausblenden einzelner Tonspuren, Hall, Echo) gekennzeichnete Stilrichtung des Reggae (----> 7 .2).
FreeJazz Stilrichtung des Jazz seit den 1960er Jahren, in der tonale und metrische Bezugssysteme tendenziell außer Kraft gesetzt werden (----> 6.4).
Funk Stilrichtung der afroamerikanischen Musik seit den 1960er Jahren (----> 7.1 ).
Fusion Music Stilrichtung des Jazz seit den 1970er Jahren, die als eine Fusion von Gestaltungsmitteln des Jazz und des Soul, Funk und Rock entstand (----> 6.3).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Gegenschlagfolge (auch: counterbeats, ---> 4.2, 4.3) ( 1) Schlagfolge, die phasenverschoben zum Grundschlag ist (---> OffbeatPhrasierung); (2) ---> Kreuzpulsation. Gospel Music (gospel engl. für: Evangelium) (1) Religiöse Gesänge der amerikanischen Erweckungsbewegung. (2) Seit den 1920er Jahren Bezeichnung für afroamerikanische religiöse Musik, die sich an Stilentwicklungen der populären Musik (Blues, Rbythm'n 'Blues) anlehnt. Groove (auch: Feel, Feeling oder---> Beat, 3) (---> 7.1) (1) Umgangssprachliche Beschreibung einer musikalisch-rhythmischen Qualität, die zu Körperbewegung und Tanzen animiert und ein Gefühl von Ausgelassenheit, Freude und Eins-Sein (mit der Musik, dem eigenen Körper, dem sozialen Kontext) hervorruft. (2) Fachausdruck für bestimmte rhythmische Patterns und Strukturen, die der als Groove (1) empfundenen Musik zugrunde liegen. Als Kriterien werden u.a. genannt: Isochrone Schlagfolgen, zyklische Patterns, rhythmisch-metrische Spannungen, bestimmte mikrorhythmische Gestaltungsweisen. Grundpuls ---> Grundschlag Grundschlag (auch: Grundpuls, ---> Tactus, ---> Beat, Main Beat, Fundamental Beat, Steuerungspuls ). Die Schlagfolge, die als Orientierungsebene bevorzugt wird (z.B. beim Mitklopfen und Tanzen); normalerweise im Bereich von 60 bis 140 bpm (---> 3.1 ). Gruppierung (für engl.: grouping). Musikalische Einheiten, zu denen Klangereignisse aufgrund der Gesetzmäßigkeiteil der Gestaltwahrnehmung (Nähe, Ähnlichkeit u.a.) zusammengefasst werden (auch: Segmentierung; vgl. ---> Rhythmusgestalt, ---> Phrase,---> Pattern; ---> 3.2). Laut Lerdahl/Jackendoff (1983) erfolgt die Gruppierung hierarchisch in Einheiten immer größerer zeitlicher Ausdehnung, z.B. in Motive, Phrasen, Perioden, Abschnitte(---> 4.1).
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GLOSSAR
Güiro Lateinamerikanisches Perkussionsinstrument Länglicher geriffelter Kürbis, über den mit einem Stöckchen gestrichen bzw. gekratzt wird (---+ 5.6). Hardbop Jazzstil der 1950er Jahre, der an den ---+ Bebop anknüpft und zugleich Einflüsse aus Gospel und R'n' B aufnimmt(---+ 6.3). Hardcore Bezeichnung für den "harten Kern" eines Musikstils. In jüngerer Zeit: (1) Hardeare in der Nachfolge des Punk (auch: American Hardcore); (2) Hardeare im Hip-Hop; (3) Hardeare in der (britischen) Rave Music der 1990er Jahre. Hierarchie, metrische ---+ Metrum Hi-Hat Beckenpaar, das durch ein Fußpedal geöffnet und geschlossen werden kann. Hip-Hop Kulturelle Ausdrucksfenn seit den 1970er Jahren, ursprünglich afroamerikanisch; umfasst u.a. ---+ Rap Music, Graffiti und Breakdance. Homophonie (wörtl.: Einklang). Mehrstimmigkeit mit paralleler (akkordischer) Führung der einzelnen Stinunen; aldmrdische Melodiebegleitung. Hook, Hookline (von eng!. hook, to hook: Haken, einhaken). Bezeichnung ftir jene musikalischen Phrasen oder Zellen innerhalb eines Musikstückes, die im Gedächtnis der Hörer "hängen bleiben" (---+ 5.5). House Elektronisch produzierte Tanzmusik seit den 1980er Jahren, in der Folge von Disco und Funk. Der Name leitet sich von dem Tanzclub "Warehouse" in Chicago ab(---+ 7.3). lnteronsetintervall (101) Das Zeitintervall zwischen den Anfangspunkten (Onsets, Attack Points) zwei er aufeinander folgender Klangereignisse (---+ 3.1 ).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
isochron In gleich großen zeitlichen Abständen. Juba Afroamerikanischer Tanz, bei dem die Teilnehmer einen Kreis bilden, in dessen Mitte ein Solotänzer sein tänzerisches Können präsentiert (---> 5.2). Jig Irischer Volkstanz. Jitterbug ---> Lindy Hop Jump (auch: Jump Blues, Harlem Jump). Stilrichtung des Rhythm'n'Blues; um 1940 aus---> Swing und---> Boogie Woogie hervorgegangen(---> 5.5). Jungte Bezeichnung für eine vom jamaikanischen ---> Ragga beeinflusste Richtung des ---> Drum'n'Bass. konmetrisch Klangfolgen, deren Akzentuierungen mit dem Grundschlag zusammenfallen (nach Kolinski 1973,---> 4.2). kontrametrisch Klangfolgen, deren Akzentuierungen nicht mit dem Grundschlag zusammenfallen (nach Kolinski 1973, ---> 4.2). Kreuzpulsation Zwei oder mehr simultan erklingende isochrone Schlagfolgen unterschiedlicher Geschwindigkeit, deren Tempi sich nicht durch Multiplikation mit einer kleinen natürlichen Zahl, z.B. 2 oder 3, ineinander überführen lassen (---> 4.2, 4.3). Kreuzrhythmus Zwei oder mehr simultan erklingende Rhythmen mit voneinander abweichenden Akzentstrukturen oder Hauptakzenten (---> 4.2, 4.3). Lay Back (auch: Laid Back). Spielweise, bei der die Töne etwas hinter dem metrisch exakten Zeitpunkt gespielt werden bzw. bei der Phrasen etwas verzögert erklingen (---> 6.2).
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GLOSSAR
Lindy Hop (auch: Jitterbug). Tanzstil des Swing, der sich durch Wurffiguren auszeichnet; benannt nach dem Flugpiloten und Atlantiküberquerer Charles Lindbergh. Mambo Kubanische Tanzmusik der 1940er I 1950er Jahre in Bigband-Besetzung. Maracas Paarweise gespielte Rasseln in kuhaniseher Musik. Marsch Funktionelle Musik zum Marschieren; seit dem 19. Jahrhundert ein Genre der populären Unterhaltungsmusik(----+ 5.1). Mento Populäre Musikrichtung in Jamaika(----+ 7.3). Metrum, metrisch Periodische Abfolge von schweren und leichten Zeitpunkten (oder Schlägen), die Erwartungen über die zeitliche Position und die Stärke der Akzentuierung von zukünftigen Klangereignissen hervorruft. Eine metrische Hierarchie umfasst mehrere regelmäßige Schlagfolgen oder metrische Ebenen, deren Tempi in einem ganzzahligen, daher "ineinander geschachtelten" Verhältnis zueinander stehen(----+ 3.3, ----+ 4). MIDI (Abk. für: Musical Instrument Digital Interface). Eine zu Anfang der 1980er Jahre entwickelte digitale Schnittstelle, die den Datenaustausch zwischen vorwiegend elektronischen Instrumenten und audiotechnischen Geräten (z.B.----+ Sequencem und----+ Sampling-Geräten) ermöglicht. Mikrotiming ----+ Mikrorhythmus Mikrorhythmus, mikrorhythmisch Zeitliche Struktur eines Rhythmus in einer Dimension unterhalb der kleinsten Grundschlagsunterteilung; Timing-Abweichungen vom isochronen Zeitraster des Grundschlages bzw. der Grundschlagsunterteilung. Minstrelsy Reisende Unterhaltungsmusiker; mobiles Musiktheater in den USA vor allem in 19. Jahrhundert.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Press Roll (auch: Buzzling Roll, Buzz, Crash Roll). Trommelwirbel auf der Snare Drum. Offbeat (1) Bezeiclmung für alle Schläge oder Zeitpunkte, die nicht mit dem Grundschlag zusammenfallen (--> 4.2, 4.3). (2) -->Offbeat-Akzent. Offbeat-Akzent Akzentuierung eines --> Offbeats (1) (--> 4.2, 4.3). Offbeat-Phrasierung Kontinuierliche Akzentuierungen der Offbeats, wodurch eine gegenüber dem Grundschlag phasenverschobene Schlagfolge entsteht (--> Gegenschlagfolge (1)--> 4.2, 4.3). Ostinato Mehrfach wiederholte rhythmisch-melodische Gestalt, vorwiegend in Begleitstimmen. Pattern (engl.: Muster, Modell, Schablone). Verschiedene Arten von musikalischen Klanggestalten oder Klangmustern, die in der Regel wiederholt und dabei bisweilen leicht variiert werden. Periode (1) Melodische Gruppierung auf einer Ebene oberhalb der --> Phrase.
(2) Bei zyklischen Abläufen: Zeitdauer zwischen einem Ereignis und seinem erneuten Auftreten (--> 4.2). Periodizität Regelmäßigkeit von Ereignissen oder Ereignisfolgen. Phrase, musikalische Eine in sich geschlossene Klanggestalt mit einer Dauer von ca. einer Atemlänge oder bis ca. fünf Sekunden (--> 3.2). Phrasierung Eigenheiten einer musikalischen--> Phrase, insbesondere: Wahl der Klangdauern, der Unterteilung des Grundschlags in zwei, drei oder vier gleiche Teile (binär, ternär, quaternär) sowie der mikrorhythmischen Gestaltung.
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GLOSSAR
Polka Aus Böhmen stammender, lebhafter Paartanz im 2/4-Takt (---+ 5.1 ). Polymetren, polymetrisch ---+ Polyrhythmen, die mehrere metrische Strukturierungsmöglichkeiten implizieren (z.B. mehrere mögliche Grundschlagfolgen unterschiedlicher Phase oder Geschwindigkeit). Polyphonie, polyphon (wörtl.: Mehrstimmigkeit, mehrstimmig). Mehrstimmigkeit mit eigenständigen Bewegungen der Einzelstimmen. Polyrhythmus, polyrhythmisch Mehrstimmigkeit (---+ Polyphonie) mit eigenständigen rhythmischer Strukturen der Einzelstimmen, wobei die Einzelstimmen nicht notwendig aus Klängen mit Tonhöhen bestehen, sondern auch aus perkussiven Klängen bestehen können(---+ 4.2). Progressive Rock Anfang der 1970er Jahre Bezeichnung für verschiedene Stilrichtungen der Rockmusik, die sich durch eine im Kontext populärer Musik ungewohnte Gestaltung auszeichnen. Puls ---+ Schlag Pulsation, Pulsfolge ---+ Schlagfolge Punk Stilrichtung des Rock; in den 1970er Jahre in England entstanden. quaternäre Phrasierung Unterteilung des Grundschlags in vier gleich lange Teile (im Unterschied zur---+ ternären und ---+ binären Phrasierung). Ragga NeuereForm des---+ Dancehall Reggae mit Sprechgesang(---+ 7.2). Ragtime Ende des 19. Jahrhunderts in den USA entstandene Musikrichtung (Lieder und Instrumentalmusik), die sich insbesondere durch synkopierte Rhythmen auszeichnet (---+ 5.2).
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Rap Music Musikrichtung mit Sprechgesang (Rap); in den 1970er Jahren im Kontext der afroamerikanischen----> Hip-Hop-Kultur entstanden (----> 7.4). Reggae Afrojamaikanischer Musikstil (----> 7 .2). Rhythm'n'Blues (auch: R'n'B, R&B). Sammetbezeichnung für verschiedene Genres der afroamerikanischen Musik seit den späten 1940er Jahren(----> 5.5). Rhythmus, emergenter (auch: resultierender Rhythmus). Wahrgenommener Rhythmus, der aufgrund des Zusammenspiels mehrerer bzw. aller Einzelstimmen entsteht (----> 3.2, 4.2). Rhythmus, musikalischer(----> 1, 3.1 , 4) (von griech.: rhei, fließen bzw. Ordnung des Fließens) (1) Oberbegriff für alle Phänomene, welche die zeitliche Organisation der Musik innerhalb einer kürzeren, unmittelbar wahrnehmbaren Zeitdimension betreffen. (2) Zeitliche Struktur der Zeitpunkte aller Klanganfänge oder aber der Anfänge von Klängen mit bestimmten Akzentoierungen oder bestimmten Klangqualitäten innerhalb einer Klanggestalt oder Klangtextur (auch: Rhythmuskomponente, Rhythmusschicht). (3) Klanggestalt mit einer bestimmten Akzentstruktur und Regelmäßigkeit innerhalb der Grenzen der psychologischen Gegenwart; nicht notwendigerweise mit unterschiedlichen Tonhöhen (auch: Rhythmusgestalt). Rhythmusgestalt----> Rhythmus (3) Rhythmuskomponente ----> Rhythmus (2) Rhythmusschicht ----> Rhythmus (2) Ride Cymbal-Pattern Typisches Begleit-Patteru im modernen Jazz, das auf der Ride Cymbal (großes Becken) gespielt wird (----> 6.1 ). Riff Kurze rhythmisch-melodische Figur, die wiederholt wird ("riffing") (----> 5.3).
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GLOSSAR
Rim Shot Schlagzeugspieltechnik: Schlag auf den Rahmen der Snare Drum. Ring Shout (auch: Shout). Religiöser afroamerikanischer Tanz (--> 5.2). Ritardando Verlangsamung des Tempos(--> 3.5). Rock Stilbereich der populären Musik in der Folge des--> Rock'n ' Roll (--> 5.5). Rock'n'Roll Bezeichnung für einen Mitte der 1950er Jahre aus--> Rhythm'n'Blues und CountryMusic entstandenen Musikstil (--> 5.5). Rubato--> Tempo Rubato Rumba (1) Afrokubanisches Musikgenre; (2) Seit den 1920er Jahren fälschlicherweise Bezeichnung für den kubanischen --> Son. Salsa Seit den 1960er Jahren Sammelbezeichnung für populäre kubanische, dann allgemein für populäre lateinamerikanisch-karibische Musikstile. Sampling, Sampier Bezeichnung für die Umwandlung analoger in digitale Signale sowie für die Geräte, mit denen diese weiter bearbeitet werden können. Schlag (--> Beat). (1) Zeitpunkt. (2) Eine körperliche Bewegung, die zu einem Klangereignis führt. Schlagfolge (auch: --> Beat, Pulsfolge, Pulsation). Folge von Schlägen (Zeitpunkten), deren Abstände gerrau gleich groß (--> isochron) sind.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Scratching (1) Perkussive Gitarrenspieltechnik im ---+ Funk, bei der die Saiten mit der Griffhand abgedämpft werden. (2) Technik des DJs in der ---+ Rap Music. Sequencer Programmierbare Steuereinrichtung zur Koordination mehrerer synthetischer Klangerzeuger oder mehrerer Aufnahmespuren. Shimmy (auch: Jimmy). Tanzstil mit afroamerikanischen Ursprüngen; wurde nach dem ersten Weltkrieg populär. Shuffle (wörtl.: schieben, schlurfen). (1) Afroamerikanischer Tanzstil, bei dem die Füße auf dem Boden entlangschlurfen. (2) Begleitrhythmus mit einer Folge von langen und kurzen Achteln (---+ 5.5). Ska Jamaikanischer Musikstil der 1960er Jahre (---+ 7.3). Slap Bass Spieltechnik der elektrischen Bassgitarre, bei der die Saiten in einer Drehbewegung des Handgelenks mit dem Daumen geschlagen und mit dem Zeigefinger gezupft werden. SnareDrum Kleine Trommel, bei der unter dem Fell gespannte Metallsaiten einen schnarrenden Klang erzeugen können. Son (von span.: Klang). Populärer kuhaniseher Musikstil; Vorläufer von---+ Salsa(---+ 5.6). Soul Afroamerikanischer Musikstil der 1960er Jahre(---+ 5.5). Stop Time Ensemble-Spieltechnik, bei der jeweils nur der erste Schlag (oder die ersten Schläge) eines Taktes bzw. einer 2- oder 4-Taktgruppe synchron vom En-
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GLOSSAR
semble gespielt wird, während die dazwischen liegenden Pausen durch den Solisten gefüllt werden. Stride Piano Piano-Begleittechnik im Ragtime und frühen Jazz, bei der in der linken Hand abwechselnd Grundton und Akkorde gespielt werden; wird auch lautmalerisch als "oom pah" bezeichnet. Swing (1) Stilrichtung des Jazz(---> 5.3). (2) rhythmische Qualität im Jazz (---> 6.2). Swing-Ach tel Achtelfolge, bei der Töne verlängert werden, die auf dem ---> Beat (1) liegen, und---> Offbeat-Töne verkürzt werden (---> Swing Ratio, ---> 6.2). Swing Ratio Verhältnis der ---> lnteronsetintervalle zwischen der längeren und der kürzeren ---> Swing-Achtel (nach Friberg/Sundström 2002, ---> 6.2). Synkopierung, Synkope Allgemein: Divergenz zwischen zwei Rhythmusschichten oder Rhythmuskomponenten (vgl. Yeston 1976) bzw. das Ergebnis dieser Divergenz. Innerhalb eines bereits etablierten metrischen Rahmens: (1) Akzentuierung eines Klanges auf einem metrisch schwachen Zeitpunkt. (2) Verschiebung eines Klanges von einem metrisch stärkeren auf einen metrisch schwächeren Zeitpunkt. Tactus (von lat. tangere: berühren).---> Grundschlag (---> 3.1, 4.1). Takt Musikalische Gliederungseinheit, die durch Taktstriche gekennzeichnet wird; hinter dem Taktstrich erklingt in der Regel ein akzentuiertes Klangereignis (---> Akzentstufentakt) (---> 4.1 ). Techno (---> 7 .3) (1) Bezeichnung für einen Stilbereiche der elektronischen Tanzmusik aus Detroit (Detroit-Techno). (2) Sammelbezeichnung für verschiedene Stile der elektronischen Tanzmusik seit den späten 1980er Jahren.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Tempo (von lat. tempus: Zeit, Zeitdauer). Angabe der Häufigkeit von Schlägen einer isochronen Schlagfolge innerhalb einer bestimmten Dauer (z.B. innerhalb einer Minute: beats per minute, bpm). Tempo Rubato (wörtl.: gestohlene Zeit). Verlängerung oder Verkürzung von~ Interonsetintervallen auf Kosten der benachbarten Interonsetintervalle. Es kann zwischen zwei Arten des Tempo Rubato unterschieden werden ( ~ 3.4): (1) gebundenes Tempo Rubato: Freie rhythmische Gestaltung der Melodiestimme bei metrisch gebundenen Begleitstimmen. (2) freies Tempo Rubato: gemeinsame lokale Temposchwankungen aller Stimmen. Time Line Rhythmisches Muster in westafrikanischer und lateinamerikanischer Musik, das zugleich als zeitliches Bezugssystem für alle Musiker eines Ensembles fungiert; oft wird die Time Line von einer Glocke gespielt (~ 4.2). Timing Bezeichnung für die zeitlichen Aspekte der rhythmischen Gestaltung (nach Handel 1989): die Reihenfolge von Ereignissen, die Dauer der Ereignisse, die Dauer von Pausen zwischen den Ereignissen; die letzten beiden Aspekte werden oft als Einheit betrachtet und ~ Interonsetintervall genannt ( ~ 3.1). ternäre Phrasierung Unterteilung des Grundschlags in drei Einheiten bzw. in eine Länge und eine Kürze, wobei die Länge doppelt so lang ist wie die Kürze (2 : 1, daher auch triolisches Achtelverhältnis, ~ Swing-Achtel). Toasting Sprechgesang im ~ Reggae. tonal In Bezug auf~ Tonalität (im Gegensatz zu atonal). Tonalität Bezugssystem der tonalen Organisation von Tonhöhen, zumeist im Verhältnis zu einem Grundton oder der harmonischen Bewegung.
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Tresillo (von spanisch "tres": drei). Kubanische Bezeichnung fiir ein DreitonPattern ( •· J. •), das spanischen und lateinamerikanischen Tänzen wie der Habanera (daher auch: Habanera-Rhythmus) oder der Danza sowie der----> Clave zugrunde liegt. Two Beat Regelmäßige Gruppierung von je zwei Grundschlägen; Bezeichnung fiir eine schematisierte Begleitung im älteren Jazz (----> 5.3). Voicing Auswahl und Platzierung der einzelnen Töne einer Akkordfolge. Walking Bass (wörtl.: gehender Bass). 1) Im----> Boogie-Woogie ein Begleitpattern in der linken Hand. 2) Im Jazz eine in Viertelnoten gespielte Basslinie, die sich vorwiegend in Tonschritten voranbewegt Walzer Populärer Tanzstil im 3/4-Takt (----> 5.1 ). Wechselbass Schematische Begleitung, bei welcher der Bass zwischen dem Grundton und zumeist der Quinte wechselt (----> Two Beat). Zyklus Ein Durchgang eines mehrmals wiederholten zeitlichen Patterns.
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RHYTHMUS. ASPEKTE POPULÄRER MUSIK
Tabelle zur Umrechnung von Tempoangaben Schläge pro Minute [bpm i M.M.]
Interonsetintervall (101) zwischen den Schlägen [Millisekunden]
Schläge pro Sekunde [Hertz]
50 bpm
1200 ms
0,83 Hz
60bpm
1000 ms
1Hz
70 bpm
857 ms
1,17 Hz
80 bpm
750ms
1,33 Hz
90 bpm
667 ms
1,5 Hz
100 bpm
600ms
1,67 Hz
110 bpm
545,5 ms
1,83 Hz
120 bpm
500ms
2Hz
130 bpm
461 ,5 ms
2,17 Hz
140 bpm
428,6 ms
2,33 Hz
150 bpm
400ms
2,5 Hz
160 bpm
375 ms
2,67 Hz
180 bpm
333 ms
3Hz
200 bpm
300ms
3,33 Hz
250 bpm
240ms
4,17 Hz
300 bpm
200ms
5Hz
350 bpm
171 ms
5,83 Hz
400 bpm
150 ms
6,67 Hz
500 bpm
120 ms
8,33 Hz
600 bpm
100 ms
10Hz
Umrechenformeln: x [bpm] = 60 000 I y [ms] = 60 · z [Hz] y [ms]
=
60 000 I x [bpm]
=
1000 I z [Hz]
z [Hz] = x [bpm] I 60 = 1000 I y [ ms]
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