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German Pages 338 Year 2017
Christian Helge Peters, Peter Schulz (Hg.) Resonanzen und Dissonanzen
Sozialtheorie
Christian Helge Peters, Peter Schulz (Hg.)
Resonanzen und Dissonanzen Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion
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Inhalt
Einleitung: Entwicklungslinien des Resonanzbegriffs im Werk von Hartmut Rosa Christian Helge Peters und Peter Schulz | 9
I. R esonanz als K ategorie der S ozialtheorie Zur Einleitung Christian Helge Peters | 29
Affektive Differenzen, oder: Zwischen Insonanz und Resonanz Bernd Bösel | 33
Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen Eine Auseinandersetzung mit Har tmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen aus Sicht des Critical Realism Lisa Waldenburger und Hannes Teutoburg-Weiss | 53
Resonante Leiber, stumme Körper? Har tmut Rosas Resonanztheorie aus Sicht der verkörper ten Soziologie Robert Gugutzer | 69
Resonanz in der Praxis – eine praxistheoretische Betrachtung Anna Daniel | 87
Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie Anna Henkel | 105
II. R esonanz als normativer M assstab Zur Einleitung Peter Schulz | 125
Resonanzverlangen oder Kampf um Anerkennung? Überlegungen zum normativen Gehalt der Resonanztheorie Sebastian Bandelin | 129
Ein anderes Subjekt ist möglich Kritische Soziologie und der Blick an den Grenzen Hanna Meißner | 145
»The World Kicks Back« Har tmut Rosas Soziologie der Weltbeziehung als »material turn« der Kritischen Theorie? Katharina Hoppe | 159
Bedürfnisentwicklung und Resonanz Vorbereitende Überlegungen zu einer kritischen Theorie der Bedür fnisse Sebastian Sevignani | 177
Erfahrung trifft auf Resonanz Ein Kommentar zu Har tmut Rosas Resonanztheorie aus der Perspektive der kritischen Theorie Adornos Christine Kirchhoff | 195
III. G rundl agen der R esonanz Zur Einleitung Peter Schulz | 213
Auf der Suche nach Dingresonanz Zum Verhältnis von Arbeit und Gesellschaftskritik in Har tmut Rosas kritischer Soziologie Tine Haubner | 217
Die ›wahre‹ Natur des vertikalen Resonanzversprechens Gianna Behrendt | 233
Resonanz und die Romantik Charles Taylor | 249
Welt-Bilder und Weltmodelle Resonanz als Metapherntechnik und Technikmetapher Christoph Görlich | 271
In Liebe gebor(g)en: Heilsversprechen der Resonanz als Symptom für das Unbehagen in der Kultur Psychoanalytisch-kultur theoretische Anmerkungen zu Har tmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen Sonja Witte | 291
R eply Für eine affirmative Revolution Eine Antwor t auf meine Kritiker_innen Hartmut Rosa | 311
Autor_innen | 331
Einleitung: Entwicklungslinien des Resonanzbegriffs im Werk von Hartmut Rosa Christian Helge Peters und Peter Schulz
1. E ine K ritische Theorie der B eschleunigung und R esonanz »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.« (Rosa 2016: 13) Mit diesem – schon jetzt viel zitierten – Satz beginnt Hartmut Rosa Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen (2016), seine dritte große Monographie nach seiner Dissertationsschrift Identität und kulturelle Praxis. Politische Philosophie nach Charles Taylor (1998) und seiner Habilitation Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne (2005). Hätte Rosa den Bogen von seiner Dissertation aus spannen wollen, hätte er schreiben können: Wenn Identitätslosigkeit das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung, diagnostiziert er doch bereits in seinem Taylor-Buch die identitätsgefährdenden Wirkungen der »ungeheuren kulturellen und technischen Akzelerationsprozesse der Gegenwart« (Rosa 1998: 206) und ist das Resonanzkonzept von ihm doch in Rückgriff auf Taylor entwickelt worden. Zugleich finden sich in Beschleunigung eine Reihe von Problematisierungen der (Spät-)Moderne, und nur für einige kommt Resonanz als Lösung in Betracht. Rosa ist durch seine Arbeiten neben Rahel Jaeggi (2016) zu einem zentralen Autor einer neuen, nunmehr vierten Generation der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule avanciert. Mit seinem 2016 erschienen Buch Resonanz verortet er sich noch stärker systematisch in dieser Tradition, knapp 25 Jahre nachdem 1992 das letzte zentrale Werk der neueren Kritischen Theorie von Axel Honneth (1994) erschien. Rosa selbst sucht jedoch einen noch früheren Anschluss an die erste Generation um Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse und Erich Fromm. Das Interesse an dieser (Re-)Aktualisierung der Kritischen Theorie ist ausschlaggebend für die Konzeption des vorliegenden Sammelbandes. Der Sammelband will die interdisziplinäre Diskussion um den Begriff ›Resonanz‹ eröffnen, indem er ausgehend von unterschiedlichen Perspekti-
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ven in der Soziologie, Sozialphilosophie und -psychologie diskutiert wird. Die grundsätzliche Idee hinter dem Sammelband ist, sich dem Begriff zu nähern, indem er von verschiedenen Forschungsperspektiven mit anderen zentralen Begriffen kontrastiert und dadurch konkretisiert wird. Auf diese Weise erhält der Begriff ein schärferes Profil für eine kommende soziologische und sozialphilosophische Diskussion. Der Sammelband ist also einerseits eine Ein- und Hinführung zum Begriffsfeld ›Resonanz‹; gleichzeitig ermöglicht der Sammelband eine Vertiefung und kritische Diskussion gegenwärtiger soziologischer Schlüsselbegriffe untereinander, die einen weiterführenden Beitrag für die Sozialwissenschaften haben bzw. leisten. Darüber hinaus besteht ein Ziel darin, zur Diskussion über die Bedeutung normativer Kategorien bzw. dichter ethischer Begriff für die Gesellschaftstheorie und Soziologie beizutragen. Der Sammelband ist dabei in drei Abschnitte gegliedert, um unterschiedliche Dimensionen des Begriffs hervorzuheben. Auf einen sozialtheoretischen ersten Abschnitt, der ›Resonanz‹ vorrangig in Abgrenzung zu deskriptiven Begriffen diskutiert und einen sozialphilosophischen zweiten Abschnitt, der die Normativität des ›Resonanz‹-Begriffs ins Zentrum rückt, folgt ein dritter Abschnitt, in dem Beiträge versammelt sind, die ›Resonanz‹ als Begriff, Metapher und Verlangen selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen und hinterfragen. Zu Beginn der thematischen Abschnitte gibt es kurze, separate Einleitungen zu den Beiträgen. Am Ende des Bandes nutzt Rosa selbst noch mal die Gelegenheit in einer Erwiderung verschiedene Fäden der vorangehenden Texte aufzugreifen, weiterzuführen, umzudeuten und auch zu kritisieren. Damit ergibt sich für ihn die Möglichkeit sogleich seinen Resonanzbegriff weiterzuentwickeln und zu fundieren. Um die Diskussion des Begriffs einzubetten und zu eröffnen werden wir zur Einleitung in diesen Sammelband die Entwicklung des Resonanzbegriffes im Werk von Rosa rekonstruieren, um damit die Frage zu erörtern, inwiefern ›Resonanz‹ ein Konzept zur Lösung von Problemen ist, die in Beschleunigung aufgeworfen wurden, und ob und inwiefern diese Probleme in Resonanz beantwortet und gelöst werden.
2. B eschleunigung als gesellschaf tstheore tische D iagnose der M oderne In Beschleunigung bestimmt Rosa soziale Beschleunigung sowohl als das Grundprinzip (vgl. Rosa 2005: 441) als auch als die Grunderfahrung der Moderne (vgl. ebd.: 51). Beschleunigung versteht er hierbei basal als »Mengenzunahme pro Zeiteinheit«, wobei als »Menge […] dabei der zurückgelegte Weg, die Anzahl der kommunizierten Zeichen, die produzierten Güter (Kategorie 1), aber auch die Zahl der Arbeitsstellen pro Erwerbsleben oder die Intimpart-
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nerwechsel pro Jahr (Kategorie 2) und ebenso die Handlungsepisoden pro Zeiteinheit (Kategorie 3) fungieren.« (Ebd.: 115) Beschleunigung ist – als gesellschaftliches Prinzip – also ein komplexes Phänomen, dass in drei Dimensionen unterteilt wird: erstens die technische Beschleunigung, zweitens die Beschleunigung des sozialen Wandels und drittens die Beschleunigung des Lebenstempos. Diese drei Dimensionen sind ineinander in einem »Akzelerationszirkel« (ebd.: 243) verwoben und stabilisieren sich gegenseitig. Zusätzlich zu diesem internen, sich selbst antreibenden Beschleunigungskreislauf wird jede Dimension durch äußere Faktoren, sogenannte Motoren, zusätzlich angetrieben. Rosa ordnet dabei in seiner Habilitationsschrift jeder dieser Dimensionen einen spezifischen Motor zu, eine Verbindung, die er später zugunsten zweier, nur lose mit den Dimensionen verknüpfter Motoren, aufgeben wird. Der technischen Beschleunigung, der laut Rosa »offensichtlichste[n] und folgenreichste[n] Gestalt moderner Beschleunigung« (ebd.: 124), die vor allem Transport- bzw. Fortbewegungsgeschwindigkeiten, Kommunikationsgeschwindigkeiten sowie die Abläufe innerhalb der Produktion und damit verbunden auch Geschwindigkeitssteigerungen in Distribution und Konsumtion der Waren umfasst, ordnet er als Motor das »System der kapitalistischen Wirtschaft« (ebd.: 257) zu. Den Kapitalismus versteht er hierbei vorrangig als System ökonomischer Konkurrenz, dass so Steigerungs- und Beschleunigungsprozesse bei den einzelnen Marktakteuren erzwingt (vgl. ebd.: 257ff.). Als zweite Dimension sozialer Beschleunigung identifiziert Rosa die Beschleunigung des sozialen Wandels. Darunter versteht er den Wandel von »Praxisformen und Handlungsorientierungen einerseits und Assoziationsstrukturen und Beziehungsmuster andererseits« (ebd.: 129). Entscheidend für die Erfassung der Beschleunigung dieses sozialen Wandels ist dabei das Konzept der »Gegenwartsschrumpfung« von Hermann Lübbe (1998). Gegenwart ist dabei der Zeitraum, innerhalb dessen »Erfahrungsraum und Erwartungshorizont« (ebd.: 131, Herv. i.O.) der Subjekte gleich bleiben, die Welt sich für sie also nicht grundlegend verändert. Rosa analysiert dieses Phänomen vorrangig am Verhältnis des Erwartungshorizontes zur Generationenfolge und liefert dabei gleichzeitig definitorische Kriterien für Moderne und Spätmoderne: Schrumpft der Erwartungshorizont auf die Dauer der einfachen Generationenfolge, findet eine grundlegende Veränderung in Hinblick auf das Selbstverhältnis, soziale Bindungen und Kontingenzerfahrungen statt – die Moderne beginnt. In ihr entspricht die Geschwindigkeit des sozialen Wandels etwa der Generationenfolge und es werden die Vorstellung des autonomen Selbst, die Kernfamilie inklusive ihrer Vorstellung romantischer Liebe und die Vorstellung der personalen, beständigen Identität (etwa über die Wahl eines persönlichen, nicht vererbten Berufs) vorherrschend. In der Spätmoderne beschleunigt sich der soziale Wandel so sehr, dass der Erwartungshorizont kürzer als die einfache Generationenfolge wird, als Folge geraten die genannten Vorstellungen in die
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Krise und neue Subjektivierungsformen entstehen (vgl. ebd.: 352ff.). Als Motor für diesen beschleunigten sozialen Wandel identifiziert Rosa die mit der funktionalen Differenzierung einhergehende steigende Komplexität und die mit ihr einhergehende Komplexitätsreduktion qua Verschiebung in die Zukunft. Eine Verschiebung, die die sozialen (Sub-)Systeme selbst dynamisiert, da die aufgeschobenen Möglichkeiten gewissermaßen eingeholt werden wollen und so die gesamte Gesellschaft in eine »transformative […] Unruhe« (ebd.: 176) zunehmender Geschwindigkeit setzen (vgl. ebd.: 296). Die dritte Dimension der Beschleunigung ist das beschleunigte Lebenstempo, das Rosa zweiseitig bestimmt: Objektive Komponente ist die messbare »Verkürzung oder Verdichtung von Handlungsepisoden« (ebd.: 198), subjektive Komponente die zunehmenden »Empfindungen der Zeitnot, des Zeitdrucks und des stressförmigen Beschleunigungszwangs« (ebd.: 136). Zentrale Ursache für beide Komponenten ist laut Rosa die Optionenvermehrung. Diese wird aber erst dann zu einer Ursache für Beschleunigung, wenn die Subjekte sich gezwungen sehen oder das Bedürfnis haben, die steigende Zahl der Optionen auch in steigender Zahl zu realisieren. Hier setzt der externe Motor der Beschleunigung des Lebenstempos ein, den Rosa in der Säkularisierung sieht. Durch sie wurde das Versprechen auf ein gutes Leben verinnerweltlicht, d.h. die Verheißung des ewigen Lebens im Jenseits wurde in die Verheißung einer Realisierung der eigenen Bedürfnisse im Diesseits transformiert. Weil im Diesseits der Tod eine natürliche Schranke der Bedürfnisrealisierung darstellt, bietet Beschleunigung die Möglichkeit, mehr Bedürfnisse in der vorhandenen diesseitigen Zeit zu realisieren. Für die säkularisierte Moderne gilt, so Rosa, »dass das gute Leben das erfüllte Leben sei« (ebd.: 290, Herv. i.O.) und somit Geld als universeller »Kontingenzbewältiger an die Stelle Gottes tritt« (ebd.: 285). Zum Problem wird diese Beschleunigung nun laut Rosa auf zwei Ebenen, zum einen auf einer gesellschaftlichen, gleichsam makrosoziologischen Ebene, zum anderen auf der Ebene der Subjektivierungsformen und Erfahrungen: Auf makrosoziologischer Ebene folgt der Beschleunigung des sozialen Wandels die drohende »Desynchronisation von Prozessen, System und Perspektiven infolge einseitiger« (ebd.: 44) – oder besser: unterschiedlich starker – Beschleunigung. Eine solche Desynchronisation der Eigengeschwindigkeiten tritt in der Spätmoderne laut Rosa zwischen allen Subsystemen auf, ist aber zeitdiagnostisch in der zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen demokratischem Gestaltungsimperativ und (scheinbaren) kapitalistischen Systemzwängen von besonderer Brisanz. Demokratie mit ihrem Anspruch auf informierte Beteiligung ist, so Rosa, nur »sehr beschränkt beschleunigungsfähig« (ebd.: 395) und gerät damit unter beschleunigten Bedingungen zunehmend unter Druck, sie »verliert dabei ihre Rolle als gestaltender Akteur und nimmt den
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Status eines überwiegend reaktiven Mitspielers ein.« (Ebd.: 410; vgl. Rosa 2007) In Reaktion darauf verliert die Politik zunehmend ihre Entscheidungsfunktion, wie Rosa zusammen mit Henning Laux an dem Umgang mit der Weltwirtschaftskrise ab 2008, im Spezifischen der Einrichtung der SoFFin (Finanzmarktstabilisierungsfonds), analysieren (vgl. Rosa/Laux 2009). Auf der mikrosoziologischen Ebene verändert die Beschleunigung die »Art und Weise, in der Subjekte ›in die Welt gestellt‹ sind« (Rosa 2005: 170) und zu sich selbst, der Umwelt und anderen in Beziehung treten. Diese Art der Beziehungen zu sich und zur Welt werden in zunehmend beschleunigten Verhältnissen durch die Desynchronisierung auch zwischen den Subjekten und ihrer Umwelt schwieriger, ihre Verknüpfung wie auch die Verknüpfung des Subjekts mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine Narration wird zunehmend erschwert (vgl. ebd.: 35). Dadurch werden Subjektivierungsformen und Identitäten zunehmend krisenhaft. Eine »Fragmentierung, Multiplizierung und Diffundierung sozialer Identitäten« (ebd.: 348) schlägt auf das einzelne Subjekt durch. An die Stelle der stabilen Identität, deren Narration die ›Normalbiographie‹ ist, tritt eine sogenannte situative Identität. Das Selbst schrumpft als solches tendenziell punktförmig zur bloßen »Flexibilität und Wandlungsbereitschaft« (ebd.: 379) zusammen. Derart fragmentiert, situativ und punktförmig, können sich die Subjekte nicht mehr auf Zukunft und Vergangenheit hin entwerfen, driften passiv dahin oder verfolgen zumindest »aus eigenem Antrieb Handlungslinien […], die sie aus einer zeitstabilen Perspektive nicht präferieren.« (Ebd.: 483) Die spätmoderne Form der Subjektivität unterminiert also die Autonomie der Subjekte in ihrem modernen Sinne und somit auch ihre eigenen Grundbedingungen. Ein Prozess, den Rosa als Entfremdung bestimmt, die er also als gestörte Selbst- und Weltbeziehung versteht, in der Narration – und damit stabile Identität und somit Autonomie – unmöglich wird. Ergänzend dazu erleben die Subjekte in der Spätmoderne die soziale Beschleunigung entsprechend der subjektiven Seite der dritten Dimension in steigendem Maße als Zeitnot und Stress und erfahren in ebenso zunehmendem Maße Verpassensängste und Anpassungszwänge. Sie reagieren darauf mit der Verdichtung ihrer Bedürfnisse, etwa mit verkürzten Schlafzeiten (vgl. ebd.: 210), mit einer zunehmenden »›Polarisierung‹ der Alltagszeit« (ebd.: 244) in aktive Stress- und passive Erholungsphasen oder durch krisenhafte Weltbezüge, etwa solche, die als Depressionen oder Burnout diagnostiziert werden (vgl. ebd.: 386f.). Beide Typen negativer Folgen der Beschleunigung wurden in der Habilitationsschrift in je einem Kapitel behandelt und entsprechend leitete Rosa ab 2012 mit Die desynchronisierte Gesellschaft und dem Jenaer Teil des Projekts Aporien der Perfektionierung in der beschleunigten Moderne Forschungsprojekte, die individuelle wie gesellschaftliche Krisenphänomene als Folgen der
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Beschleunigung analysierten. Parallel dazu setzte er seine Beschleunigungstheorie in Bezug zu den Arbeiten Klaus Dörres und Stefan Lessenichs, die zusammen 2009 den Diskussionsband Soziologie – Kapitalismus – Kritik veröffentlichten und im Anschluss erfolgreich eine DFG-Kolleg-Forschergruppe, das Kolleg »Postwachstumsgesellschaften« beantragten. Im Fazit des Bandes deutete sich schon die Arbeitsteilung an, die für die Kolleg-Forschergruppe beibehalten wurde, neben einer ökonomischen und einer politisch-staatlichen Dimension, die Dörre bzw. Lessenich zugeschrieben wurde, stand eine kulturelle Dimension, die das Aufgabengebiet Rosas werden sollte. »Nachdenken über die richtige Definition von Wohlstand und Lebensqualität jenseits ökonomischer und sozialkomparativer Steigerungsideen« (Dörre/Lessenich/Rosa 2009: 302, Herv. i.O.) kann als die Aufgabenbeschreibung für Rosas zukünftige Arbeiten gelten. Desynchronisierungsdiagnosen geraten damit aus dem Fokus, individuelle Folgen der Beschleunigung werden hingegen zentral und unter dem Begriff der ›Entfremdung‹ gebündelt. Desynchronisierung als Pathologie der Beschleunigungsgesellschaft verschwindet zwar nicht, ihre Kritik wird berechtigt als eine Teilkritik an der Moderne wahrgenommen. Als »funktionale Kritik« (Rosa 2013a: 99ff.) wird sie jedoch ebenso wie bloße Ideologiekritik (vgl. ebd.: 107) und Kritik, die am Maßstab der Autonomie orientiert ist (vgl. ebd.: 113), von Rosa als nicht hinreichend bestimmt. Stattdessen schlägt er eine »Neubestimmung von Entfremdung« (ebd.: 122) vor, mit der er in fünf Dimensionen (Raum, Dinge, Handlungen, Zeit und Beziehungen) die entfremdenden Effekte von Beschleunigung analysiert. Entsprechend der Umbewertung von Desynchronisationsgefahren verschwindet die funktionale Differenzierung als Motor und Wettbewerb als auch »die Verheißung der Ewigkeit« (ebd.: 39) werden von ihren zugeordneten Dimensionen getrennt und wirken generell auf den Beschleunigungszirkel. Beschleunigung wirkt nun negativ, vor allem als Hindernis für »Anverwandlung« (ebd.: 124), deren Zeitstruktur nicht beliebig beschleunigbar ist (vgl. Rosa 2009a). Als positiven Gegenbegriff und Maßstab für gelingende Aneignung schlägt Rosa »echte Resonanzbeziehungen im Sinne Charles Taylors« (Rosa 2013a: 142) vor, und schlägt damit den Bogen zu seiner Dissertation, ohne schon zu explizieren, was – außer der Möglichkeitsbedingung gelingender Identität – Resonanz ist.
3. D ie E nt wicklung des R esonanzbegriffs In den Arbeiten Rosas spielen die Fragen nach dem »guten Leben[…]« (Rosa 1999: 736, Herv. i.O.) bzw. gelingenden Leben und die politische Gestaltung eines Gemeinwesens schon immer eine wichtige Rolle. Rosa beschreibt am Anfang seiner wissenschaftlichen Arbeiten seinen Zugang zum Feld des Kapitalismus als eine »ethical perspective, i.e., from a perspective which takes
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conceptions of the good life as its starting point« (Rosa 1998b: 201). Er arbeitete daher heraus, inwiefern der Kapitalismus schon Momente des gelingenden Lebens verwirklicht hat und inwiefern sie gerade verhindert werden. Die Bedingungen dieser Momente werden in der gegenwärtigen Gesellschaft durch den Kapitalismus »kolonialisiert« (Rosa 1999: 751) und damit ihres Potentials als Bedingung eines guten Lebens beraubt. In ersten Versuchen wendet sich Rosa (1999; Rosa/Schrader 2004) hier den gesellschaftlichen Verhältnissen zu, die er als Ursache für die Probleme eines gelingenden Lebens ausmacht. Auf diese Weise findet schon früh eine Verknüpfung seiner politisch-philosophischen Gedanken mit seiner Gesellschaftstheorie statt, auf die er in Beschleunigung (Rosa 2005) auf baut: »Die Aufgabe der Zeitdiagnose besteht somit darin, aufzuzeigen, welche gesellschaftlichen Zustände dysfunktional sind im Hinblick auf die Ausübung individueller und kollektiver Autonomie« (Rosa/Schrader 2004: 330), also eines gelungenen Lebens. In seinem Buch Beschleunigung, dessen wesentliche Argumente bereits weiter oben ausgeführt wurden, legt Rosa eine ausführliche Analyse der Gesetze und (subjektiven) Folgen der Beschleunigung dar. Er betont dabei, dass dieses Buch als »Beitrag zu einer noch zu schreibenden ›Soziologie des guten Lebens‹« (Rosa 2005: 67) zu verstehen sei, die mit Resonanz nun vorliegt. Rosas Konzeption eines gelungenen Lebens bleibt in Beschleunigung am Ideal der Autonomie ausgerichtet, da »die stärkste Grundlage für eine kritische Theorie der Beschleunigung das gebrochene Autonomieversprechen der Neuzeit« (ebd.: 485f., Herv. i.O.) bleibe und er Entfremdung dort verortet, wo die »Zeitstrukturen der Beschleunigungsgesellschaft« die Subjekte dazu bringen »›zu wollen, was sie nicht wollen‹, d.h. aus eigenem Antrieb Handlungslinien zu verfolgen, die sie aus einer zeitstabilen Perspektive nicht präferieren.« (ebd.: 483, Herv. i.O.; vgl. auch Rosa 2013a: 120f.) Er fordert in seinem Buch über soziale Beschleunigung eine grundsätzliche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und im Speziellen zur Frage des Weltverhältnisses der Subjekte schlägt er ein »politisches Programm, das auf Entschleunigung« (Rosa 2007) zielt, vor. Das Festhalten am Autonomieversprechen der Moderne gestaltet sich für Rosa in den anschließenden Publikationen immer schwieriger. Vor dem Hintergrund der Beschleunigungstheorie ist Rosa auf der Suche nach einem neuen Maßstab der Kritik, weil das Versprechen der Moderne nach Autonomie in der Beschleunigungsgesellschaft selbst mit dem »Beschleunigungsprinzip inhärent verknüpft« (Rosa 2009b: 32) und zu sehr auf »materiellen Wohlstand und sozialer Optionenvielfalt« (ebd.) ausgerichtet sei (vgl. auch Rosa 2009c: 93). Stattdessen konzentriert sich Rosa auf das »Weltverhältnis« (Rosa 2009b: 33, Herv. i.O.) der Subjekte als Angelpunkt der Kritik. Rosa setzt weiter darauf, einen immanenten Maßstab der Kritik, der aus »der untersuchten Gesellschaft selbst« stammt, zu entwickeln; sein Ausgangspunkt sollen »die Lei-
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denserfahrungen der betroffenen Subjekte [sein], die […] die Kriterien für die Diagnosen der Soziologen liefern können« (ebd.: 28) – Beschleunigung und Entfremdung, wie gleich genauer gezeigt wird, bilden fortwährend die begriffliche Basis dieser immanenten Kritik. Das Weltverhältnis der Subjekte unterscheidet er dann nochmal mittels zwei exemplarischen Formen, die für seine weiteren Arbeiten zum Weltverhältnis und letztlich auch für sein Resonanzbuch bestimmend bleiben: »Responsiv tritt uns die Welt dann und dort gegenüber, wo sie mit uns gleichsam ›organisch‹ verbunden scheint, wo sie auf unsere Gedanken und Gefühle zu reagieren oder zu antworten scheint, wo ›Ich‹ und ›Welt‹ als in einer positiven Austauschbeziehung stehend erfahren werden. Umgekehrt kann die Welt auch als ›indifferent‹ oder sogar ›repulsiv‹ erfahren werden: Sie scheint dann aus kalten, starren, harten Oberflächen zu bestehen, die dem Subjekt gleichgültig oder ablehnend gegenübertreten. In der ›responsiven‹ Welt fühlen Subjekte sich tendenziell eher ›getragen‹, während sie sich in die indifferente oder ›repulsive‹ Welt eher hinein ›geworfen‹ fühlen.« (Ebd.: 34, Herv. Autoren)
Ersteres Verhältnis nennt Rosa hier schon eine »Antwort- oder Resonanzbeziehung« (ebd.: 35, Herv. i.O.). Resonanzbeziehungen entstünden durch »Prozesse der Anverwandlung oder des wechselseitigen ›Einschwingens‹« (ebd.: 36, Fußnote 21). Diese seien die Voraussetzung für ein gelingendes Leben (vgl. Rosa 2013a: 148). Die soziale Beschleunigung bleibt weiterhin ein Problem, denn die »›Anverwandlung‹ von Weltausschnitten« (Rosa 2012a: 418) brauche genug Zeit, die in einer beschleunigten Umgebung immer weniger werde. Nun verhindere aber gerade die Beschleunigungsgesellschaft zunehmend resonante Weltverhältnisse, weil sie zu Entfremdung führe: Als Entfremdung bezeichnet Rosa dann konsequenterweise »das Fehlen konstitutiver, ›responsiver‹ Beziehungen, fehlende Selbstwirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen und die Abwesenheit handlungsorientierender, positiver Bindungen zur subjektiven, objektiven oder sozialen Welt.« (Rosa 2009c: 121) Selbstwirksamkeit wird erstmals als zentrales Moment genannt, aber vorerst nicht weiter ausgeführt. Aus den »gestörten« und »entfremdeten« Weltverhältnissen resultierten nach Rosa individuelle Krankheiten wie Depressionen oder Burn-Out. Die betroffenen Subjekte erleben einen »Verlust von Selbstwirksamkeitserwartungen bzw. von Autonomieüberzeugungen« (ebd.: 114; vgl. auch Rosa 2005: 484). Die Depression sei ein »fundamentales Element des Beschleunigungsprozesses« und als Form der Erstarrung »paradoxe Kehrseite des Modernisierungsprozesses« (ebd.: 1053). Er geht sogar noch weiter und bezeichnet die Depression als »verbreitetste und charakteristischste Pathologie der Zeit« (ebd.: 1055), weil sie aus den Zeitstrukturen der Spätmoderne selbst resultiere. Das Thema der
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psychischen Folgen greift Rosa (2011a) im Anschluss wieder auf und wird es bis zum Resonanzbuch immer stärker ausarbeiten. Das Fundament für seine weiteren und vertiefenden Gedanken zum Weltverhältnis in der Spätmoderne legen zwei weitere Texte Rosas (2011b; 2011c), die schon die gesamten Konturen seines später systematisch ausgearbeiteten Resonanzbegriffs liefern. Dafür sucht er nochmal den tiefergehenden Anschluss an Taylor und deutet seine Arbeiten als einen dezidierten Beitrag zur »Frage nach der Weltbeziehung des Menschen« (Rosa 2011b: 15f.). Nach Taylor setzte sich in der Moderne eine Welterfahrung durch, in der das Subjekt sich »als abgetrennt und isoliert von einer Welt erfährt«; diese Welterfahrung bezeichnet Taylor, so Rosa, auch als »naturalistische (selbstzerstörerische)« (ebd.: 18). Ihr stellt er eine »romantisch-expressivistische« (ebd.: 17f.) Welterfahrung entgegen, die Taylor als gelingend versteht und die den normativen Maßstab seiner Ausführungen bilde. Letztere sei eine »resonierende« (ebd.: 29), antwortende sowie responsive und vibrierende Beziehung zwischen Subjekt und Welt. In einer resonierenden Beziehung gibt es für Rosa »Momente des Widerhalls und des affirmativen Einklangs, aber auch des widersprechenden Antwortens« (ebd.: 21) oder »Übereinstimmens« (Rosa 2011c), die für das Subjekt überlebensnotwendig sind. Die Subjekte müssen sich aber in ihren Handlungen »wiedererkennen« und »zum Ausdruck« (Rosa 2011b: 22) bringen können. Dies impliziere ein Moment der Selbstwirksamkeit. Besonders interessant ist hier, dass Rosa in beiden Texten schon unvorhersehbare »Erschütterungen« (ebd.: 21; 2011c) oder »widersprechende[s] Antworten[…]« (Rosa 2011b: 21) in resonanten Beziehungen hervorhebt, die ein instrumentelles Weltverhältnis verhinderten. Welche konzeptionellen Konsequenzen diese Erschütterungen und Widerstände haben, lässt Rosa vorerst noch unbeantwortet. Geleitet von einem harmonistischen Verständnis von Resonanzbeziehungen werden Entfremdung und Resonanz noch zu sehr als gegensätzlich und nicht als konstitutiv aufeinander verwiesen gedacht. Ab 2012 grenzt sich Rosa endgültig vom Begriff der Autonomie als Indikator oder möglichem Maßstab einer Kritischen Theorie ab, obwohl sie für die moralischen Landkarten der Subjekte weiterhin zentral bleiben (vgl. Rosa 2012b: 411f.). Stattdessen macht er nochmal klarer, dass entfremdete – »›stumme‹, das heißt rein kausale oder instrumentelle« (Rosa 2012a: 416) – Weltbeziehungen das Gegenkonzept und »Gegenteil« (Rosa 2013a: 147) von Resonanz sind. In resonanten Räumen hätten subjektive »Selbst- und Weltbeziehung im Ganzen eine konstitutive Bedeutung« (Rosa 2012a: 417) und die Teile der Welt ließen sich aneignen und antworten. Resonanz und Entfremdung stehen hier für Rosa weiterhin unversöhnlich und als gegensätzlich gegenüber: Entfremdung ist die »Negation des guten Lebens« – Resonanz ist ein »nichtentfremdetes
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Leben« (beide Rosa 2013a: 10). Erst im Buch über Resonanz wird Rosa ihre Beziehung systematisch einholen. Einer Soziologie der Weltbeziehungen, die die Bedingungen der Möglichkeit resonanter Weltverhältnisse untersucht, gibt Rosa (2012b) in Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung weitere Konturen. Nun nimmt er das Moment der Selbstwirksamkeit wieder auf und erweitert damit seinen Begriff von Weltbeziehung. Die Art, wie sich Subjekte »in die Welt gestellt erfahren […] umfasst sowohl die eher passive Seite der Welterfahrung als auch die aktive Weise des menschlichen Eingreifens in die Welt; mithin also sowohl die Beziehung zu dem, was den handelnden Subjekten ›entgegenkommt‹, als auch zu dem, was es ›zu tun gibt‹.« (Ebd.: 7, Herv. teilweise Autoren) Das eine resonante Weltbeziehung antwortend und tragend ist, eine nicht resonante »stumm, kalt und indifferent – oder sogar […] feindlich – erscheint« (ebd.: 8), behält Rosa über die Jahre bei. Letztere Beziehung bezeichnet er wie gehabt als entfremdet und misslingend (vgl. ebd.: 9f.). Eben weil die aktive Aneignung oder Anverwandlung Teil einer resonanten Weltbeziehung ist, bleiben die normativen Maßstäbe Autonomie, Verständigung und Anerkennung Momente seiner Theorie, aber nicht ihr zentraler Maßstab (vgl. ebd.: 10). Er grenzt sich nochmal explizit von Habermas, weil die Zeitstrukturen einer beschleunigten Gesellschaft Verständigung unterlaufen, und von Honneth ab, weil Anerkennung zwar wichtig für resonante Beziehungen ist, aber es auch Resonanz ohne Anerkennung geben kann. Stattdessen sucht er den Anschluss an die ältere Kritische Theorie, lehnt aber ihre rein negative Kritik ab, um ihr einen »positiven Begriff [wie den der Resonanz, d. Aut.] zur Verfügung zu stellen« (Rosa 2016: 74, Herv. i.O.; vgl. ebd.: 332ff., 597f., 624f., 2013a: 78ff.; 2012b: 269ff.). Weitere konzeptionelle Hinweise gibt es noch nicht, der Aufsatzband ist, so Rosa, eine »Vorstudie« (Rosa 2012b: 11) für eine umfassendere Theorie der Resonanz. Stattdessen unterfüttert er seinen schon bestehenden Resonanzbegriff empirisch. In seiner soziologischen Perspektive geht es Rosa in Abgrenzung zur Philosophie und Anthropologie gerade um die »Frage nach den kultur- und gesellschaftsspezifischen, den milieu-, alters- und geschlechtsspezifischen Differenzen in der Form solcher Weltbeziehungen.« (Ebd.: 8) Rosa arbeitet beispielsweise soziologisch vier verschiedene »Grundformen der Weltbeziehung« (ebd.: 383) bereits in seiner Antrittsvorlesung 2007 heraus, die in der Weltbeziehungen-Aufsatzsammlung veröffentlich werden. Die vier Formen differenziert Rosa anhand der Intensität ihrer Resonanz, ohne dass er schon von Resonanz spricht. Er unterscheidet eine Beziehung der »Getragenheit«, eine der »Geborgenheit« innerhalb bestimmter Grenzen, eine des »Ausgesetztseins« in einer »gefährliche[n] Welt« und eine »indifferente, kalte Welt«, die er als »Geworfenheit« (ebd.: 387ff.) fasst. Aufgegriffen werden diese Grundformen aber in Rosas weiteren Arbeiten nicht. Zudem führt er
Einleitung: Entwicklungslinien des Resonanzbegriffs im Werk von Har tmut Rosa
zwei Begriffe ein, die er erst in Resonanz wieder verwendet: Es handelt sich um »Selbstwirksamkeitserwartungen und Responsivitätsannahmen« (ebd.: 396), die für (resonante) Weltbeziehungen entscheidend seien. Beide hätten einen großen Anteil daran, wie sich ein Subjekt zur Welt verhält. Ein Subjekt in einer resonanten Weltbeziehung habe das Gefühl aktiv an der Welt teilzuhaben als auch sie verändern zu können und das diese wiederum auf die subjektiven »Bedürfnisse, Wünsche und Handlungen antwortet« (ebd.: 397, Herv. i.O.) sowie »von konstitutiver Bedeutung für uns« (ebd.: 398, Herv. i.O.) ist. In einer entfremdeten Weltbeziehung geht ein Subjekt nicht davon aus, dass es aktiv die Welt gestalten könnte; sie erscheint ihm feindlich, abwehrend und ohne Bedeutung. Erst später ergänzt Rosa neben der Selbstwirksamkeit die »intrinsische[n] Interessen« (Rosa 2013b), also eine interessierte, motivationale Bezogenheit auf die individuelle Umgebung als eine der Bedingungen von Resonanz. 2016 erscheint dann der von Rosa bereits Jahre vorher in Aussicht gestellte systematische Entwurf zum Begriff der Resonanz. Ausgangspunkt bleibt die beschleunigte Gesellschaft und die einhergehenden Veränderungen des subjektiven Weltverhältnisses, die gleichsam »Folge« und »Ursache« (Rosa 2016: 14, Herv. i.O.) der Beschleunigung seien. Resonanz wird dabei sowohl zu einem deskriptiven als auch normativen Begriff, der nicht nur eigene, bereits bestehende Momente subjektiver Weltbeziehungen aufzeigen und kritisieren kann, sondern auch als ein politisch-ethisches Programm gegen die Beschleunigungsgesellschaft stark gemacht wird: Die »Soziologie der Weltbeziehung« (ebd.: 20, Herv. i.O.) sei gleichermaßen eine »Soziologie des guten Lebens« (ebd.: 14, Herv. i.O.), die nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten für die »Qualität der Weltbeziehungen« (ebd.: 19, Herv. i.O.) fragt. Erstmals begründet Rosa die Realität und Möglichkeiten von Resonanz systematisch anthropologisch. Noch 2004 lehnt er jede anthropologische Begründungen ab (vgl. Rosa/Schrader 2004: 321f.), 2009 betont er dann ihre Notwendigkeit (vgl. Rosa 2009d: 166). Mit seinem Bezug auf die philosophische Anthropologie will er sichtbar machen, dass Resonanzbeziehungen zur Konstitution des Menschseins, seines In-der-Welt-Sein dazugehören. Damit relativiert Rosa frühere Aussagen, nachdem es keine ahistorischen Maßstäbe der Resonanz gäbe (vgl. Rosa 2009c: 90; 2011b: 15f.), fasst er doch Resonanz einerseits als transkulturell, weil in jeder menschlichen Gesellschaft gegenwärtig, andererseits ist aber die konkrete Formung der Resonanz kulturspezifisch (vgl. Rosa 2016: 255f.; auch 2009b: 38). Subjekte treten aufgrund ihrer Körperlichkeit in eine ständige Austauschbeziehung zur (Um-)Welt, durch ihre körperlichen Vorgänge wie Berührungen, Essen, Atmen, Trinken oder im Kontakt zu anderen Subjekten, beispielsweise in der Liebe, im Reden, Lachen, Weinen oder in gegenseitigen Blicken (vgl. Rosa 2016: 83ff.). All diese Momente seien
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konstitutiv für Subjekte. Darüber hinaus zieht er die Ergebnisse der Forschungen über Spiegelneuronen heran, um Resonanzverhältnisse zwischen Welt und Subjekt zu begründen und die anthropologische sowie biologische Basis des Resonanzgeschehens zu betonen (vgl. ebd.: 246ff.). Resonanz ist aber nicht nur als »deskriptives Konzept« für ein »menschliches Grundbedürfnis und eine Grundfähigkeit zu verstehen« (ebd.: 293, Herv. i.O.). Rosa will nicht sein Verständnis von Resonanz »naturalistisch kurz-[…] schließen« (ebd.: 255), sondern einen soziologischen Grundbegriff etablieren. Er bringt daher nun seine verstreuten Gedanken zur Resonanz aus früheren Texten zusammen. Eine resonante Beziehung ist nach Rosa »ein wechselseitiges Antwortverhältnis, bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich […] berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen.« (Ebd.: 270, Herv. i.O.) Den »aktiven« Teil einer resonanten Beziehung könne ein Subjekt erst dann einnehmen, wenn es über »Selbstwirksamkeitserwartung« (ebd., Herv. i.O.) verfüge. Es müsse sich zutrauen, in die Welt einzugreifen, sie anzuverwandeln und sie zu verändern, ohne sie beherrschen oder unterwerfen zu wollen. Gleichzeitig müsse die Weltbeziehung für das Subjekt »um ihrer selbst willen« (ebd.: 24) bedeutsam sein, es brauche »intrinsische Interessen« (ebd.: 273, Herv. i.O.) für eine Resonanzbeziehung. Für die Ausbildung beider Momente bleiben soziale Anerkennung und Autonomie wichtig (vgl. ebd.: 313). Eine weitere Bedingung ist die »Übereinstimmung« der »starken Wertungen« (ebd.: 291) der Subjekte mit ihren Handlungen. Die starken Wertungen – ein Konzept, das Rosa von Taylor übernimmt – geben Teilen der Welt erst eine Bedeutung und bestimmten einen »weltbejahenden und weltverneinenden« (ebd.: 220, Herv. i.O.) und »aktiven und eine[n] passiven« (ebd.: 221, Herv. i.O.) Weltzugang. Nur ein bejahender und aktiver Weltzugang eröffnet überhaupt die Möglichkeiten von Resonanz, ein »basale[s] Resonanzvertrauen« (ebd.: 324, Herv. i.O.) ist für Rosa die Grundlage für Resonanz. In einer resonanten Beziehung beeinflusst die Welt ein Subjekt und es beeinflusst die Welt. Dies ist »die Idee eines vibrierenden Drahtes« (ebd.: 279, Herv. i.O.), in dem Subjekt und Welt gegenseitig aufeinander einwirken. Das Subjekt wird von der Welt als ein passives affiziert, während es sich emotional nach Außen als ein aktives richtet und ausdrückt (vgl. ebd.: 279). Ob die Emotionen nun solche des Glücks oder der Trauer sind, ist für die Resonanz einer Situation dabei gleichgültig. Die wichtigste Erneuerung der Resonanztheorie ist die systematische Neubestimmung des Verhältnisses von Resonanz und Entfremdung. Zu Beginn des Buches wird das Verhältnis zwischen Resonanz und Entfremdung von Rosa noch nicht als dialektisch bestimmt (vgl. ebd.: 34f., 55, Ausnahme: 59). Es fällt auf, dass Entfremdung anfangs rein negativ verstanden und von ihm als dua-
Einleitung: Entwicklungslinien des Resonanzbegriffs im Werk von Har tmut Rosa
listischer Gegensatz zur Resonanz eingeführt wird – entweder eine Beziehung ist resonant oder sie ist entfremdet (vgl. ebd.: 163, 169, 178ff., 199). Am Ende des ersten Teil des Buches ändert sich das grundlegend, Rosa spricht nun von einer »Dialektik von Resonanz und Entfremdung« (ebd.: 316). Resonanz und Entfremdung sind hier konstitutiv aufeinander bezogen. In einer resonanten Beziehung sei niemals alles resonant, da »Resonanz nur möglich ist mit Bezug auf einen Weltausschnitt, der mit eigener Stimme spricht, und dass dies notwendig mit Momenten der Unverfügbarkeit und des Widerspruchs einhergeht. […] Resonanzfähigkeit gründet auf der vorgängigen Erfahrung von Fremden, Irritierendem und Nichtangeeigneten, vor allem aber von Nichtverfügbarem, sich dem Zugriff und der Erwartung Entziehendem.« (Ebd.: 317, Herv. i.O.)
Die Entfremdung ist dabei vorgängig, denn erst die Erfahrung von Entfremdung kann zur Entstehung von Resonanz führen (vgl. ebd.: 322). Rosas Resonanzverständnis ist damit eben keines reiner Harmonie oder der kompletten Anverwandlung der Welt, es bleiben Momente des »nicht Beherrsch- und Kontrollierbaren« (ebd.: 314). Das Gegenüber muss immer ein Gegenüber bleiben; eine Anverwandlung von Welt kann nur möglich bleiben, wenn immer noch etwas anzuverwandeln bleibt. Nicht alle Weltbeziehungen können dabei jemals resonant werden, es gäbe, so Rosa, Teile der Welt wie das Rechtssystem oder der überwiegende Teil des wirtschaftlichen Lebens, in dem sich eine solche Beziehung nicht etablieren könnte, andernfalls würde Resonanz zu einem totalitären Konzept (vgl. ebd.: 294f.). Diese Umwertung von Entfremdung verändert auch den Resonanzbegriff: Bis hierhin wurde mit Resonanz immer eine Form des gelingenden Lebens, mithin ein rein positiver Begriff genauer beschrieben, obwohl Rosa die Unterscheidung zwischen »guter Resonanz und schlechter Entfremdung« (ebd.: 72, Herv. i.O.) als zu einfach und schematisch kritisiert. Dagegen spricht Rosa nun erstmals auch von »instrumentelle[r] Resonanz«, »ideologischer Resonanz« oder »Resonanzsimulation« (ebd.: 319, Herv. i.O.), die einer rein positiven und progressiven Bestimmung von Resonanz entgegenstehen. Als Beziehungen »›negative[r]‹ Resonanz« (ebd.: 72f.) bezeichnet Rosa Beziehungen, die »entweder den Subjekten selbst abträglich sind oder aber normativ unerwünschte, ja verhängnisvolle ›Nebeneffekte‹ haben« (ebd.: 73). Was damit gemeint sein könnte, lässt sich besser verstehen, wenn die instrumentelle und simulierte Resonanz miteinbezogen werden. Instrumentell oder simuliert ist für Rosa ein Resonanzverhältnis, wenn »Resonanz zu einem Instrument ›erfolgreicher‹ Lebensführung im Sinne erfolgreicher Ressourcenakkumulation gemacht wird. Denn hier untergräbt sie ihre eigenen Konstitutionsbedingungen, weil sie gleichsam selbst verdinglicht und damit zu einem funktionalen Element entfremdeter Weltbeziehungen wird.« (Ebd.: 319) So wird Resonanz in Arbeitsver-
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hältnissen oder beim Konsum umfassend verdinglicht, um für diese verwertbar gemacht zu werden, verliert dabei aber ihre positiven Momente. Resonanz wird zum Mittel, Ressource oder Instrument für eine Reichweitenvergrößerung im Konkurrenzverhältnis (vgl. ebd.: 620ff., 734). Eine negative Resonanz trete beispielsweise auf, wenn der »unbedingte und kollektiv verstärkte Wille« (ebd.: 479) besteht, nun in genau diesem Moment zwanghaft eine Resonanzerfahrung machen zu wollen, aber nur eine »Echokammer erzeugt« (ebd.: 479, Herv. i.O.) wird, ohne dass es zu einer Antwort- und Anverwandlungsbeziehung kommt, weil die Subjekte zu sehr auf ihre Erwartungen konzentriert sind. Besonders entfremdet sei eine solche »Resonanz« dann, wenn die Entfremdungsmomente dieses Weltverhältnisse auch noch ausgeblendet werden (vgl. ebd.: 321). Zum Ende seines Buches distanziert Rosa sich jedoch wieder von der Unterscheidung zwischen »negativer und positiver Resonanz« (ebd.: 744) und schlägt stattdessen vor, dass Resonanzbeziehungen »immer als eine prinzipiell positive Form der Begegnung mit der Welt erfahren werden, und Entfremdungsbeziehung […] als Indifferenzerfahrungen oder als Repulsionserfahrungen« (ebd.: 744, Herv. i.O.) verstanden werden sollten. Eine rauschhafte Gewaltausübung ist dann letztlich Zeichen einer repulsiven und instrumentellen Weltbeziehung (vgl. ebd.: 452, 746). Oder der Nationalsozialismus etabliert eine »Scheinresonanz« (ebd.: 371), da er zwar an die »Resonanzsehnsucht« (ebd.) der Subjekte anschließt, aber eine »Resonanzpathologie« (ebd., Herv. i.O.) darstelle, wenn er eine repulsive Weltbeziehung auf baut und eben keine Antwortbeziehung gegenüber Subjekten außerhalb der Volksgemeinschaft. Das Verhältnis zwischen Resonanz und Entfremdung wie das Verhältnis zwischen Resonanz als anthropologische Grundlage und als Maßstab der Kritik bleibt so nicht gänzlich aufgeklärt in der Schwebe.
4. R esonanz als das uneingelöste V ersprechen der M oderne Um seinen eigenen Anspruch einer »Soziologie der Resonanzverhältnisse« (Rosa 2016: 186, Herv. i.O.) nachzukommen, erarbeitet Rosa eine ganze Systematik unterschiedlicher zeitgenössischer Resonanzsphären aus. Er unterscheidet eine »horizontale Dimension« (den zwischen-menschlichen Bereich) mit den Resonanzsphären Familie, Freundschaft und Politik, eine »diagonal[e]« Dimension, die die Beziehungen zu Dingen in Bereichen wie Arbeit, Schule, Sport oder Konsum umfasst und eine »vertikale Dimension« (alle ebd.: 331, Herv. i.O.), einer Beziehung zu der Welt, umfassender Ideen oder Leben als Ganzem mit den entsprechenden Dimensionen Religion, Natur, Kunst und Geschichte. Hier können die Dimensionen im Einzelnen nicht weiter aus-
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geführt werden, vermitteln aber einen Eindruck der Konzeption des Buches. In den Dimensionen arbeitet Rosa dann jeweils ihre je spezifischen »Resonanz- und Entfremdungspotentiale« (ebd.: 322) heraus. Dabei beansprucht er, dass diese Sphären spezifisch moderne Erscheinungen sind und ordnet sie so modernetheoretisch ein. Die Moderne bietet für Rosa einerseits die gesteigerte Möglichkeit der Resonanz, weil in ihr die Selbstwirksamkeit der Subjekte enorm gesteigert wurde – die Moderne als »Steigerung der Resonanzsensibilität« (Rosa 2016: 624, Herv. i.O.). Andererseits sind es aber gleichzeitig die (spät) modernen Verhältnisse einer beschleunigten Gesellschaft, die die Resonanz einschränken und verhindern (vgl. ebd.: 57) – die Moderne als »Geschichte der Resonanzkatastrophe« (ebd.: 624, Herv. i.O.). Als Material zur Unterstützung dieser These rezipiert Rosa viele Autoren der Philosophie, Literatur und Soziologie. Im Feld der Soziologie sucht er vor allem Anschluss an die Kritik der politischen Ökonomie (Marx, Lukács), die ältere Kritische Theorie (Benjamin, Marcuse, Fromm, Adorno) und weitere Klassiker der Soziologie (Durkheim, Simmel, Weber) (vgl. ebd.: 517ff.). Die »soziale […] Beschleunigung« ist dabei der »Kern der Moderne beziehungsweise der Modernisierung ein bis heute andauernder Prozess der Dynamisierung […] der materiellen, sozialen und geistigen Verhältnisse« (ebd.: 673, Herv. i.O.). Hiermit schließt sich wieder der Kreis zum Beginn dieser Einleitung. Rosa arbeitet heraus, dass es die Beschleunigung ist, die die Etablierung vielfältiger Resonanzbeziehung gegenwärtig systematisch untergräbt, und einen Zustand der »dynamischen Stabilisierung« (ebd.: 678) schafft, in dem die Subjekte nicht mehr die Zeit dafür haben, stabile und feste »Resonanzachsen« (ebd.: 692, Herv. i.O.) herzustellen, sondern sich stattdessen Resonanzerfahrungen nur temporär, momenthaft einstellen und sich sehr schnell wieder verändern oder gar nicht erst entstehen. Eine »Anverwandlung« sei eben zeitintensiv und »ereignet sich in der Regel prozesshaft und allmählich.« (Ebd.: 693, Herv. i.O.) Im Konkurrenzkampf kapitalistischer Wirtschaft sind instrumentelle Beziehungen gegenüber resonanten wichtiger, um sich durchzusetzen (vgl. ebd.: 695f.). In einer solchen Gesellschaft entstünden vermehrt Depression und Burnout als Phänomene des »Weltverstummen« (ebd.: 707), die auf eine »Psychokrise« (ebd.: 711ff., Herv. i.O.) verwiesen. Deshalb hält Rosa fest: »Resonanz bleibt das Versprechen der Moderne, Entfremdung aber ist ihre Realität.« (ebd.: 624, Herv. i.O.) Resonanz lässt sich jedoch niemals vollständig unterdrücken oder verdinglichen, weil es »ein primäres Weltverhältnis bezeichnet« (ebd., Herv. i.O.) und ein »überschießendes Moment« (ebd.: 626) beinhaltet. Wie vorherige Arbeiten beinhaltet auch Resonanz politische Perspektivierungen. In früheren Arbeiten favorisierte Rosa durchaus noch – obwohl er sich gegen die Unterstellung, er sei ein Entschleunigungstheoretiker, vehement wendet (vgl. ebd.: 13) – ein Programm der Entschleunigung (vgl. Rosa 2009c:
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109, auch noch Rosa 2012c: bes. 57ff.), problematisierte jedoch gleichzeitig Strategien der Entschleunigung entweder als antimodern oder als Moment sich für den Wettbewerb noch besser vorzubereiten (vgl. Rosa 2005: 146ff., 2013a: 46ff.). In seinem neuen Buch macht er hingegen deutlich, »die Lösung heißt nicht Entschleunigung« (Rosa 2016: 13, Herv. i.O.), sondern »Postwachstumsgesellschaft« (ebd.: 707). Rosa will in seinen geplanten Arbeiten nicht mehr die Zeitpolitik privilegieren, wie noch in früheren Arbeiten, sondern stärker den »(materielle[n]) Wachstumszwang moderner (kapitalistischer) Gesellschaften« (ebd.: 674) als Problem bestimmen. Dann ist es nur konsequent, dass er, wenn er sich der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft zuwendet, die Konturen einer Postwachstumsgesellschaft als Gegenmodell beschreibt. In ihr sollen die Beschleunigungsdynamiken und die dynamische Stabilisierung in allen gesellschaftlichen Feldern zurückgedrängt und beispielsweise »durch wirtschaftsdemokratische Institutionen« (ebd.: 726, Herv. i.O.) ersetzt werden, die den Maßstab ihres Handelns an die »Maßstäbe gelingenden Lebens« (ebd.) ausrichten (vgl. ebd.: 727). Eine solche Gesellschaft lasse Wachstum und Innovationen zu, ohne aber von diesen Dynamiken zwanghaft angetrieben zu werden. Als geeignete Strategie schlägt Rosa auch ein bedingungsloses Grundeinkommen vor oder verstärkte kollektive Gestaltungsmöglichkeiten in der Demokratie (vgl. ebd. 729ff.). Die Postwachstumsgesellschaft ermöglicht, unterstützt und erweitert nach Rosa resonante Weltbeziehungen als Bedingungen für ein gelingendes Leben. Die genannten Bestimmungen sind noch sehr unausgereift, weitere Ausarbeitungen der Beschleunigungs- und Resonanztheorien in Richtung Postwachstum sind zu erwarten.
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I. Resonanz als Kategorie der Sozialtheorie
Zur Einleitung Christian Helge Peters
Im folgenden ersten Abschnitt wird die Diskussion um den Resonanzbegriff eröffnet. Dieser wird im Verhältnis und Kontrast zu primär deskriptiven Begriffen aus verschiedenen Sozialtheorien diskutiert. Dabei stehen das Erklärungspotential des Resonanzbegriffs als auch Rosas Theorieverständnis im Vordergrund. Im folgenden zweiten Abschnitt des Sammelbands wird dann verstärkt die Normativität des Begriffs ›Resonanz‹ besprochen. Bernd Bösel eröffnet die Diskussion des Resonanzbegriffs mit seinem Beitrag Affektive Differenzen, oder: Zwischen Insonanz und Resonanz, in dem er den Resonanzbegriff mit der poststrukturalistischen Affekttheorie, wie er sie vor allem nach Gilles Deleuze und Brian Massumi entfaltet, diskutiert. Er bindet Resonanz wieder an die Insonanz, die zur Zeit der Renaissance noch der Gegenbegriff zu Resonanz war. Bezeichnet Resonanz in dieser Tradition einen Zustand, in dem das Bewusstsein von den ›eigenen Stimmen‹ beeinflusst wird, meint Insonanz den Einfluss ›fremder Stimmen‹. Das Subjekt wird hier medial konzipiert, da es durch die Spannungen zwischen eigenen und fremden Stimmen geprägt ist. Mit dem Aufkommen der Idee eines aufgeklärten, selbstbewussten und autonomen Subjekts in der Moderne wurde das Konzept der Insonanz fallen gelassen. Bösel hingegen arbeitet heraus, dass sich resonante Stimmen und letztlich Subjekte nur dann entwickeln, wenn das Subjekt immer auch von insonanten Stimmen geprägt ist. Der Affektbegriff von Deleuze und Massumi übernimmt für Bösel die Funktion der Insonanz. Ein Affekt ist hier ein unpersönliches und relationales Ereignis, das die Weltbeziehungen der Subjekte verändert und doch von ihnen anverwandelt werden kann. Aus einem Affekt wird dann eine Emotion, also ein persönliches Gefühl. An den Affekttheorien von Daniel Stern, Erving Goffman und Randall Collins verdeutlicht Bösel weitergehend, dass eine Abstimmung und ein Austausch von Affekten in zwischenmenschlichen Beziehungen eine Antwortbeziehung annehmen kann. In einer solchen Relation bleibt der Affekt aber immer zu einem gewissen Grad unverfügbar, es gibt immer einen affektiven Überschuss, der nicht vom Subjekt
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aneignet werden kann und mithin insonant bleibt. Ein Affekt markiert daher eine Position im Rhythmus von Resonanz und Entfremdung. Von Lisa Waldenburger und Hannes Teutoburg-Weiss wird in ihrem Text Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen. Eine Auseinandersetzung mit Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen aus Sicht des Critical Realism das kritische Potential von Rosas Resonanzbegriff aus der Perspektive des Critical Realism untersucht. Sie konzentrieren sich auf die anthropologischen und sozialtheoretischen Grundannahmen beider Theorien. Diese werden dabei auf mögliche Anschlüsse befragt und zugleich kontrastiert. Sie kritisieren Rosas Verständnis einer Weltbeziehung, das in seiner radikalsten Neukonzeption der Beziehungsidee Subjekt und Welt in einer flachen Ontologie eines Netzwerks im Sinne Latours auflöst, womit sie ihre abgrenzbaren Qualitäten und qualitativen Unterschiede verlieren. Nur die schwächere Fassung einer Weltbeziehung bei Rosa, in der Subjekt und Welt ko-konstitutiv füreinander sind, ist für Waldenburger und Teutoburg-Weiss kompatibel mit dem Critical Realism. In ihrer Abhängigkeit und Beziehung verändern sich für den Critical Realism Subjekt und Welt bzw. soziale Strukturen durch die Praxis der Subjekte. Praxis wird hier zur unhintergehbaren Beziehung und ist in diesem Sinne mit Rosas Begriff der Weltbeziehung kompatibel. Die Bedeutung von kognitiven Landkarten, die Berücksichtigung des Bezugs des Subjekts zu Dingen oder die Möglichkeit nicht aktiver Formen der Weltbeziehung hingegen sehen die Autor_innen als Aspekte der Verortung des Subjekts in der Welt, in denen der Critical Realism von Rosa profitieren würde. Kritisch hingegen stehen die Autor_innen zum analytischen Potential des Resonanz- und Entfremdungsbegriffs. Darüber hinaus diskutieren sie das Subjektverständnis beider Theorien und zeigen auf, dass zwar die Subjektkonzeptionen von Margaret Archer und Rosa eine konzeptionelle Nähe aufweisen, dass es für Archer aber einen externen normativen Maßstab geben müsste, um zwischen verschiedenen resonanten und nicht-resonanten Weltbeziehungen zu unterscheiden. Dazu müsste verstärkt die Rolle des Subjekts bei dieser Beurteilung herausgearbeitet werden, was Rosa nicht leitet. Robert Gugutzer liest in seinem Beitrag Resonante Leiber, stumme Körper? Hartmut Rosas Resonanztheorie aus Sicht der verkörperten Soziologie Rosas Resonanztheorie als Beitrag zur (phänomenologisch fundierten) Körpersoziologie oder – wie Gugutzer es nennt – der ›verkörperten Soziologie‹. Der Resonanzbegriff ist für ihn interessant, weil Rosa seine Resonanztheorie auf körperlichen und leiblichen Phänomenen auf baut. Gugutzer fasst Resonanzbeziehungen primär als leibliche Beziehungen, womit Leiblichkeit ein Moment des gelingenden Lebens wird. In seiner kritischen Diskussion des Resonanzbegriffs arbeitet er immer wieder das Potential der Resonanztheorie für die Körpersoziologie heraus. Der Autor vertieft die körperliche und leibliche Verortung des Subjekts in Resonanzbeziehungen im Verlauf seines Beitrags, indem er
Zur Einleitung
das Verhältnis von Resonanz zu Körper als auch Leib genauer herausarbeitet. Rosa selbst verzichtet nach Gugutzer auf eine klare Unterscheidung von Körper und Leib. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten, die Gugutzer in der Reproduktion des cartesianischen Dualismus und der Unbestimmtheit der leiblichen Dimension von Resonanzphänomenen sieht, werden vom Autor mit Hilfe der Leibphänomenologie von Hermann Schmitz insbesondere seines Begriffs der leiblichen Kommunikation revidiert und präzisiert. Diese eher sozialtheoretischen Schwierigkeiten setzen sich auch in Rosas Zeitdiagnose fort. Für Rosa scheint der Körper immer mehr ressourcenorientiert statt instrumentell in der gegenwärtigen Gesellschaft verfügbar gemacht zu werden, obwohl die Unterscheidung selbst ungenau ist und damit auch die Zeitdiagnose. Die Gegenwart zeichnet sich nach Gugutzer durch eine Gleichzeitigkeit von resonanten und stummen Körperverhältnissen aus. Rosas Theorieverständnis als auch einige sozialtheoretische Modelle in seiner Resonanztheorie werden von Anna Daniel in ihrem Beitrag Resonanz in der Praxis – eine praxistheoretische Betrachtung kritisch kommentiert. Daniel stellt in einem ersten Schritt zentrale Begriffe beider Theorieansätze, also auf der einen Seite das »Selbst-Welt-Verhältnis« und auf der anderen Seite die »Praxis«, gegenüber. Beide Ansätze teilten eine relationale Perspektive, die den Subjekt-Welt-Dualismus überwinden will. Doch für Rosa vermittelt der Körper zwischen Subjekt und Welt, während in der Praxistheorie die Praxis vermittelt und die Basis sozialer Beziehungen darstellt. Im Gegensatz zu Rosa jedoch gelingt es der Praxistheorie den Dualismus hinter sich zu lassen, wohingegen Rosa letztlich an der Unterscheidung festhält, so Daniel. Darüber hinaus denkt die Praxistheorie soziale Beziehungen viel stärker in ihrer Prozessualität. In einem zweiten Schritt kritisiert die Autorin Rosas Theorieverständnis: Der umfassende Erklärungsanspruch und die idealtypische Zuspitzung der Resonanztheorie sind mit der Praxistheorie nicht vereinbar. Der Abstand der Resonanztheorie vom eigenen Gegenstand wird so zu groß. Sie ist zu spekulativ und suggestiv, weil ihr eine methodisch abgesicherte Empirie und ein klarer Praxisbezug fehlen. Daraus resultiert für Daniel ein Folgeproblem in Rosas Zeitdiagnose, die trotz aller Verschiedenheiten auf nur einen zentralen Begriff gebracht wird und damit letztlich zu ungenau und unterkomplex bleibt. Rosas normativer Anspruch ist ebenfalls zu spekulativ, weil er eine konsequent soziologische Herangehensweise verlässt und stattdessen meint, die Kriterien des gelungenen Lebens bestimmen zu können. Eine weitere Theorieperspektive bringt der Beitrag Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie von Anna Henkel, in dem sie Systemtheorie und Kritische Theorie miteinander diskutiert und füreinander produktiv macht. Dabei entfaltet Henkel das Konzept der Resonanz in der Systemtheorie als Beziehung zwischen System und Umwelt, in der das System durch die Umwelt irritiert wird, um dieses Verständnis daraufhin Rosas Resonanzbegriff
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gegenüberzustellen und die Konsequenzen, die sich daraus für Rosas Begriff ergeben, zu bestimmen. Beide Ansätze verwenden physikalische Metaphern, sind auf Eigenfrequenzen angewiesen, sind prozessual und relational. Sie unterscheiden sich nach Henkel aber insofern, als dass bei Luhmann Systeme und Umwelt in einer Beziehung stehen, währenddessen bei Rosa heterogene Entitäten in Beziehung treten. Darüber hinaus wird der Begriff von Luhmann neutral als funktional für das System verwendet; Rosa hingegen versteht ›Resonanz‹ als zugleich normativen wie deskriptiven Begriff. Ein nicht resonantes Leben ist entfremdet und verdinglicht. Erst wenn gleichermaßen die funktionalistische Perspektive und die Perspektive auf Resonanz als normativer Maßstab der Kritik wie bei Rosa zusammen produktiv gemacht werden, lassen sich für die Autorin theoretische Antworten auf gegenwärtige theoretische Herausforderungen finden. Anschlussfähig ist Rosas Form der kritischen Theorie im Gegensatz zu älteren Formen besonders deshalb, weil sie einen material turn vollzieht und ihren normativen Maßstab an ihre Gesellschaftstheorie insbesondere eine Theorie der Resonanzachsen rückbindet. Für Henkel sind der aufklärerische Anspruch der Systemtheorie sowie die Kritik an der spezifischen Verwirklichung eines bereits in der Gesellschaft bestehenden normativen Maßstabes wie der Resonanz komplementär. Durch beide Ansätze zusammen lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur besser verstehen, sondern auch besser kritisieren.
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V orüberlegung Dass das Leben ungerecht ist, zeigt sich nicht nur in den Biographien empfindsamer Wesen, sondern auch in den Schicksalen von Wörtern und Begriffen. Wie konnte es zum Beispiel dazu kommen, dass die »Insonanz« – und zwar im schärfstem Gegensatz zu ihrer Schwester, der »Resonanz« – aus dem aktiven wie auch passiven Wortschatz der Wissenschaften verschwunden ist? Immerhin war sie in der Philosophie der Renaissance noch gebräuchlich, woran Elisabeth von Samsonow dankenswerterweise erinnert hat. Hintergrund war die Auseinandersetzung mit den neuplatonischen Dämonologien, konkret den Übersetzungen der Schriften des Byzantiners Michael Psellos aus dem 11. Jahrhundert. »Psellos spricht in betreff jenes inneren Hallraumes [des als Klangraum für dämonische Stimmen aufgefassten Bewusstseins, B.B.] von Insonanz, wenn der Verdacht überwiegt, die gehörte innere Stimme entstamme nicht dem eigenen Orchester, und von Resonanz im Falle des Gegenteils.« (von Samsonow 2001: 161; Herv. i.O.) Es wurde also ein dialogisch strukturierter »Sonanzraum« (ebd.: 162) konzipiert, der durch die Spannung von eigenen und fremden Stimmen charakterisiert war – mitsamt der konstitutiven Möglichkeit, dass ein solches mediales Subjekt von manchen dieser fremden Stimmen absichtlich manipuliert wird, wie auch, dass es seine eigene Einflüsterungskompetenz verfeinern kann. Die Renaissance-Kommentatoren waren sich, so von Samsonow, nun auffallenderweise alle darin einig, »dass es so gut wie unmöglich sei, die eigene Stimme von der Einflüsterung, also die Insonanz von der Resonanz zu unterscheiden« (ebd.: 162). Die Dämonologie sei von da an in eine Spätphase eingetreten, in der sich die Umstellung vom medialen zum autonomen Subjekt bereits angekündigt habe. Für das aufgeklärte Bewusstsein sei eine konstitutive Ungewissheit darüber, ob die inneren Weisungen unbemerkte Echos fremder Stimmen sein könnten, nicht länger tragbar
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gewesen – weshalb man den Begriff der Insonanz schließlich aufgegeben oder vielleicht auch schlicht vergessen habe. Es stellt sich demgegenüber aber die Frage, ob die resonanten Stimmen sich jemals zu Wort hätten melden können, wäre der eigene Sonanzraum nicht immer schon von fremden Stimmen heimgesucht worden. Für eine Subjektmetaphysik, die vom Primat des (Selbst-)Besitzes anstelle des (Fremd-)Besessenseins ausgeht, ist das eine skandalöse Vorstellung. Trotzdem ist sie die realistischere Vorstellung. Dementsprechend muss dem Resonanzbegriff etwas zur Seite stehen, das die Funktion des Insonanzbegriffs übernehmen kann. Dies kann aus guten Gründen für den Affektbegriff behauptet werden, insbesondere in der Fassung, die er in der poststrukturalistischen Philosophie erhalten hat. Nur dort nämlich wird der Affekt als ein Ereignis aufgefasst, das die Weltbeziehungen des von ihm Betroffenen durcheinander zu bringen imstande ist, das also (und sei es auch nur im Mikrobereich) zu einer Veränderung führt, die es sich im nächsten Schritt subjektiv anzuverwandeln gilt.
A ffective turn ≠ E motional turn So gerne heutzutage wissenschaftliche turns ausgerufen werden, ist man sich dabei doch nicht immer einig, wie man sie am besten bezeichnen sollte.1 So hat etwa der Sozialtheoretiker Rainer Schützeichel 2006 von einem »›emotional turn‹ in den Wissenschaften im Allgemeinen wie auch in den Sozialwissenschaften im Besonderen« (Schützeichel 2006: 7) gesprochen.2 Praktisch zur selben Zeit erschien der von Patricia Clough (2007) herausgegebene, international stark rezipierte Band The Affective Turn. Ein paar Jahre später schreibt der Historiker Jan Plemper: »Kein Wunder, dass in der Wissenschaft immer öfter von einem emotional turn oder affective turn die Rede ist.« (Plemper 2012: 75)3 Doch könnte es sich hier nicht um zwei Drehungen, um zwei Zuwendungen handeln? Nämlich einmal eine Zuwendung zum Affektiven und einmal eine Zuwendung zum Emotionalen? Aber wenn dem so ist, wo liegt dann der Unterschied zwischen dem Affekt und der Emotion? Dass dieser Unterschied überhaupt besteht und einer Theorie bedarf, darauf hat in den letzten Jahren wohl niemand so sehr insistiert wie der poststrukturalistische Philosoph Brian Massumi, der zunächst mit der englischen Über1 | Soll man die Wendung zum Räumlichen nun eher als spatial turn oder als topographical turn bezeichnen? Firmiert das neue Interesse am Bildlichen besser als pictorial, iconic, imagic oder als visualistic turn? 2 | Vgl. auch die Datierung des Einsetzens dieses turn auf die Mitte der 1990er Jahre in Europa bei Konstanze Senge (2013: 16). 3 | Mit einer ähnlichen Gleichsetzung operiert Andreas Reckwitz (2016: 101).
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setzung von Gilles Deleuze’ und Félix Guattaris Mille Plateaux bekannt wurde. In seinen Anmerkungen zur Übersetzung findet sich bereits die Keimzelle seiner späteren Ausführungen zur Differenz von Affekt und Emotion: »Affect/ Affection. Neither word denotes a personal feeling (sentiment in Deleuze and Guattari). L’affect (Spinoza’s affectus) is an ability to affect and be affected. It is a prepersonal intensity corresponding to the passage from one experiential state of the body to another and implying an augmentation or diminution in that body’s capacity to act.« (Deleuze/Guattari 1987: xvi, Herv. i.O.) Bis in seine jüngsten Publikationen ist Massumi dieser Beschreibung treu geblieben, die sich beim ersten Lesen allerdings kaum erschließt. Die Stelle braucht demnach Erläuterung. Es bietet sich der Ansatz beim »Persönlichen« an. Der Affekt (wie auch die Affektion) ist kein persönliches Gefühl (»feeling«, ein Begriff, den Massumi gerne mit »emotion« gleichsetzt), mehr noch, er gehört überhaupt nicht der Sphäre der Person an, sondern wird als »präpersonale Intensität« aufgefasst, die durch den Körper zieht und ihn einen Übergang erfahren lässt. (Dieser wird in Anlehnung an Spinozas klassische Definition des Affekts so verstanden, dass er mit der Vergrößerung oder Verkleinerung der Wirkungsmacht des Körpers einhergeht.) Die Emotion dagegen wird, wie aus dem Aufsatz The Autonomy of Affect hervorgeht, als persönliche Anerkennung und Aneignung des Affekts definiert: »An emotion is a subjective content, the sociolinguistic fixing of the quality of an experience which is from that point onward defined as personal. […] It is intensity owned and recognized.« (Massumi 2002: 28) Dies bedeutet zugleich eine Einhegung, Kodierung (»soziolinguistische Fixierung«, einfacher gesagt: sprachliche Identifizierung) und Handhabung des Affekts, der damit einen kognitiven Gehalt zugeschrieben bekommt. Das wird durch all jene Theorien bestätigt, die der Emotion einen intentionalen Inhalt zuschreiben: Liebe zu, Hass auf, Furcht vor, Verlangen nach, Freude wegen usw. Es sind vor allem die philosophischen Emotionstheorien, die sich bei allen Unterschieden in dieser Zentralstellung der Intentionalität einig sind (vgl. Döring 2009: 14f.; sowie Landweer 2007: 8). Damit wird zumeist auch ein Primat der Kognitivität und oft auch der Normativität verbunden, sodass viele der so gelagerten Emotionstheorien das eigentlich Affektive an den Emotionen aus dem Blick verlieren, wie etwa Peter Goldie kritisch anmerkt (vgl. Goldie 2000: 4, 40f.).4 Aber auch in den Sozialwissenschaften sowie der Psychologie werden Emotionen in diesem Sinn gehandhabt: Als bewusst gewordene Zustände einer Person, die dann zumeist auch in der Lage ist, sie im Rückgriff auf die geläufigen Emotionsausdrücke zu versprachlichen. Die Emotion wird hier auf nachträglich kaum noch aufzulösende Weise mit dem Semantischen verschmolzen. Wenn 4 | Goldie (2000) richtet sich gegen die kognitivistischen »add-on theories«, die das Emotionale erst nachträglich in ihre Erklärungen einfügen.
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man die neuere Zuwendung zu den Emotionen unter dem Label emotional turn versammeln will, dann ist nach dem Gesagten klar, dass es hier um semantifizierte Emotionen geht und nicht um affektive Phänomene, die sich einer sprachlichen Kategorisierung entziehen. Die Betonung der präpersonalen, körperlichen Affizierung räumt hingegen dem Affekt eine ontologische, physiologische wie auch pragmatische Vorrangstellung ein: Sein zeitlicher Primat wie auch die oft betonte Unmöglichkeit, ihn restlos zu kodieren und zu symbolisieren, sodass immer ein sich den Verfügungsmöglichkeiten entziehender affektiver Überschuss zurückbleibt, lässt den Affekt als eine zumindest potentiell subversive Kraft sichtbar werden. Während also uns Menschen Affekte nie ganz bewusst werden können, weil sie sich nicht restlos einhegen lassen, wird umgekehrt von Massumi ein Theorieangebot unterbreitet, wie sich menschliche Subjekte überhaupt konstituieren, nämlich genau über diese (unvollständige) Registrierung der Affekte. In jenen Momenten, da Affekte gefühlt werden, verdoppeln sie sich, wie Massumi gerne betont, und diese Verdoppelung lässt ein Selbst oder eine Subjektivität entstehen, das sich über diese Erfahrungen des Affekte-Fühlens generiert und anreichert: »incipient subjectivity« (Massumi 2002: 16).5 Wenn die Emotion untrennbar an Intentionalität gekoppelt wird, gibt es dann dafür eine Entsprechung auf Seiten des Affekts? Die gibt es, und zwar im Begriff der Relationalität. Affekte sind relationale Ereignisse, die das emergierende Subjekt und die Dinge und Geschehnisse in seiner Umwelt in Beziehung setzen. Sehr im Gegensatz zur Intentionalität besteht die Relationalität allerdings ohne Richtung. Der intentionale Bezug verlangt nach einem Zentrum, von dem aus der Bezug hergestellt wird. Intentionalität ist daher von der Subjekt-Objekt-Differenz als bereits bestehender bzw. reartikulierter nicht zu trennen. Sie ist zentristisch und zumeist auch hierarchisch verfasst. Relationalität kennt diese Bevorzugung einer zentralen oder höher stehenden Entität nicht. Im Affekt ist die Bezugsrichtung nicht festlegbar: Er ereignet sich zwischen zwei Entitäten, ohne dass der einen die aktive und der anderen die passive Rolle zugeordnet werden könnte. Relationalität ermöglicht damit Interferenz und Resonanz, ohne aber bereits eine Vorentscheidung zu inkludieren, wer hier aktiv ist und was passiv bleibt. Während der emotional turn die 5 | Diese konstitutive Verdopplung ist nicht weiter ungewöhnlich: Antonio Damasio (1999) etwa unterscheidet analog zwischen der körperlichen »emotion« und deren Registrierung als subjektives »feeling« (mit dem terminologisch höchst interessanten Unterschied, dass er eben der »emotion« das zuschreibt, was bei Massumi den »affect« auszeichnet). Dieser Analogie zum Trotz soll angemerkt werden, dass Massumi dem Affekt auch einen ontologischen Status zuschreibt – dieser Spur, die insbesondere zum Virtualitätsbegriff von Gilles Deleuze zurückweist, kann hier nicht nachgegangen werden.
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Subjektmetaphysik neuzeitlicher Prägung fortschreibt, unterläuft der affective turn diese fundamental. Massumi hat Recht: es ist entscheidend, diesen Unterschied theoretisch in den Blick zu bekommen. Auch Hartmut Rosa knüpft an Massumis Affektbegriff an und scheint sogar geneigt, seinen Resonanzbegriff mit ihm zu identifizieren: »Das, was Massumi Intensität nennt und ich als Resonanz verstehe, ist etwas kategorial anderes als die begleitende Emotion und verhält sich dieser gegenüber zunächst autonom. Daher lautet eine wichtige These meines Buches: Resonanz ist kein Gefühlszustand, sondern ein Beziehungsmodus.« (Rosa 2016: 288; Herv. i.O.) Diese Beziehung oder Relation verläuft über empfindsame Körper, die gleichermaßen affiziert werden, wie sie wiederum andere Körper affizieren. Dieser Chiasmus, der im poststrukturalistischen affect von Massumi und anderen Deleuzianer_innen fast schon mantraartig wiederholt wird – »an ability to affect and to be affected« – lässt sich im Deutschen allerdings nicht mit »Affekt«, sondern nur mit »Affizierung« wiedergeben, weil dieses Wort sowohl als passiver wie als aktiver Vorgang gelesen werden kann.6 Rosa wählt hingegen das Begriffspaar Affekt und Emotion, um die passive wie die aktive Seite dieses Chiasmus jeweils eindeutig zu belegen. Diese »doppelseitige Bewegung des Affiziertwerdens und der (aktiven) Bezugnahme« macht erst die Resonanzbeziehung eines Subjekts aus, wobei Rosa die Doppelrichtung in kreativer Orthographie als »Af←fekt und E→motion« (Rosa 2016: 296) wiedergibt. Damit weicht er freilich von Massumis Emotionsbegriff bereits so deutlich ab, dass die Bezugnahme fragwürdig, wenn nicht kritikwürdig wird (vgl. ebd.: 279 FN261). Zudem hält Rosa die hier behauptete Entkoppelung nicht durch. Das zeigt sich in seinem ständigen Changieren zwischen der Metaphorik des Berührtwerdens (und Berührens) und des Sich-Angesprochen-Fühlens (und des Antwortens), wenn er von Resonanzverhältnissen spricht. Das Berührtwerden entspricht dem Affiziertwerden im poststrukturalistischen Sinn nur dann, wenn es auch auf der metaphorischen Ebene von der Sprachlichkeit absieht. Sich-Angesprochen-Fühlen suggeriert Bedeutung und Sinn anstelle einer primordialen Sinnlichkeit oder Aisthesis. Weit mehr als von einer poststrukturalistischen Relationalität scheint Rosas Konzept daher von einer phänomenologischen Responsivität geprägt zu sein (vgl. ebd.: 67f., 132ff.). Ein konstitutiver Unterscheid scheint mir zudem in der Werthaftigkeit der Begriffe zu bestehen. Denn während Massumi eindeutig in Abrede stellt, dass Affizierung (affect) einfach als »gut« zu konzipieren wäre, ist für Rosa die Resonanz eben genau das, nämlich das (sozialphilosophisch) Gute schlechthin (vgl.
6 | Ein Umstand, der von Michaela Ott (2010) in ihrer ebenfalls deleuzianisch inspirierten affektphilosophischen Arbeit »Affizierung« schon im Titel berücksichtigt wurde.
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Massumi 2015: 209).7 Das Verhältnis der Resonanztheorie zur poststrukturalistischen Affekttheorie ist von daher ein noch unterbelichtetes Forschungsfeld. Eine große Parallele lässt sich aber doch noch benennen, und zwar im zentralen Status der Unverfügbarkeit. So wie Massumi den Affekt als etwas definiert, das sich trotz aller subjektiven oder auch medientechnischen Einhegungsversuche konstitutiv entzieht, so ist auch die Resonanz in Rosas Entwurf eine letztlich unverfügbare Größe (vgl. Rosa 2016: 278). Was die beiden oben skizzierten turns betrifft, fragt sich nun, was es bringen soll, einen der beiden gegen den anderen auszuspielen. Dem Emotionalen ist von seiten der neueren Affekttheorie viel Misstrauen entgegengebracht worden: Es handle sich um bloß subjektive, personale Aneignungen, die das Subjekt im privaten Raum verschließen und daher vom präpersonalen Geschehen entfremden. Dem lässt sich leicht entgegnen, dass einmal als subjektive Gefühle angeeignete Affekte keineswegs im Privaten verharren müssen. Ihre bewusste Anerkennung kann ja geradezu im Gegenteil als Anlass genommen werden, sich mit ihnen offen, wenn nicht gar öffentlich auseinandersetzen – sei es durch Regulationstechniken, sei es durch expressive Techniken, sei es durch narrative Techniken. Eine »Kulturpolitik der Emotionen«, etwa im Sinne von Sara Ahmed (2004), ist ja nur denkbar, wenn die Emotionen versprachlicht und kritisiert werden.8 Auch das »Public Feelings Project« von Ann Cvetkovich (2012) setzt das persönliche Hindurchgehen durch die Aneignung von Emotionen voraus, um dann gegenläufig zur psychologischen Privatisierungstendenz eine Verkettung von Betroffenen zu ermöglichen, die wiederum eine breitere Diskussion über die Abkünftigkeit dieser Gefühle von sozioökonomischen Prozessen in Gang bringen soll. Noch grundlegender aber ist die Einsicht, dass es ohne Aneignung und Symbolisierung ganz unmöglich wäre, über Affekte jenseits ihrer unmittelbaren Präsenz etwas in Erfahrung zu bringen. Dass das Emotionwerden des Affekts die Eröffnung der Möglichkeit ihrer Mediatisierung ist, räumt Massumi ja selbst ein, ebenso, dass die Versprachlichung nicht nur der Identifizierung und Stilllegung des Affekts zuarbeiten muss, sondern umgekehrt auch zu seiner Verstärkung im Sinne einer Resonanzbildung genutzt werden kann (vgl. Massumi 2011: 152f., 186).9 Seine Theorie ist allerdings zugleich eine großangelegte Erinnerung daran, dass dieser Mediatisierung notwendigerweise etwas entgeht, dass es also einen affektiven Überschuss gibt, der sich nicht einhegen lässt – und dass vor jeglicher Media7 | »Ein gutes Leben ist dann eines, das reich an Resonanzerfahrungen ist und über stabile Resonanzachsen verfügt« (Rosa 2016: 749). 8 | Ahmed (2004: 40) lehnt Massumis Leitdifferenz daher auch explizit ab. 9 | »The relationship between the levels of intensity [affect] and qualification [emotion] is not one of conformity or correspondence but rather of resonation or interference, amplification or dampening.« (Massumi 2002: 25)
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tisierung sich etwas ereignet haben muss, dass etwas hereingebrochen, vorgefallen sein muss, dass es, um in der Sprache der medialen Subjektivität zu sprechen, eine Insonanz gegeben haben muss.
A ffek tabstimmung ≠ E motionsansteckung Eine aufschlussreiche Quelle für die poststrukturalistischen Affekttheorien ist die Entwicklungspsychologie von Daniel N. Stern, der in The Interpersonal World of the Infant zwei hochrelevante Begriffe eingeführt hat: »Vitalitätsaffekt« und »Affektabstimmung«. Stern argumentiert, dass die klassischen »kategorialen Affekte«, wie er die Emotionen in der Tradition von Charles Darwin bis Paul Ekman nennt, nicht ausreichen, um das Affektgeschehen wiederzugeben, das sich schon bei Säuglingen beobachten lässt. Denn unabhängig davon, ob ein Mensch gleich welchen Alters gerade distinkte Emotionen empfindet, erfährt er unzählige Affekte, die sich herkömmlichen Taxonomien entziehen. Stern beschreibt sie als vitale Empfindungen wie »aufwallend«, »verblassend«, »flüchtig«, »explosionsartig«, »anschwellend«, »abklingend«, »berstend«, »sich hinziehend« (Stern 1996: 83) usw. Es handelt sich dabei also um Affekte, die mit basalen Vitalfunktionen in Verbindung stehen und von diesen mit ausgelöst werden.10 Vitalitätsaffekte können sowohl im Verband mit kategorialen Affekten, als auch unabhängig von diesen auftreten. Umgekehrt scheinen die kategorialen Affekte immer mit Vitalitätsaffekten einherzugehen. Stern schreibt diesen nicht nur Unhintergehbarkeit, sondern auch eine unerschöpfliche Vielfalt zu: »Es gibt tausend Arten, zu lächeln oder von einem Sessel aufzustehen, tausend Ausführungsvarianten jedes beliebigen Verhaltens, und jede verkörpert einen anderen Vitalitätsaffekt.« (Ebd.: 86) Den Vitalitätsaffekten liegen nun sogenannte »Aktivierungskonturen« (ebd.: 89) zugrunde. Diese können von völlig unterschiedlichen Ereignissen ausgelöst werden: von sinnlichen Beobachtungen, von Kognitionen und Erinnerungen, von körperinternen Empfindungen, vom Verhalten anderer Personen. In Massumis Stern-Lektüre werden die activation contours daher über die Neurophysiologie hinaus in das physikalische oder materielle Geschehen schlechthin übertragen und als ein »continuous rhythm of seamlessly linked accelerations and decelerations, increases and decreases in intensity, starts and stops« (Massumi 2011: 107, Herv. i.O.) definiert. Die activation contour kann bei ganz unterschiedlichen Dingen die gleiche sein: Billardkugeln, crashende 10 | Stern (1996: 84) bezieht sich auf die Philosophin Susanne Langer, die eine besondere Aufmerksamkeit für jene »forms of feelings« einforderte, die mit der Atmung, dem Einschlafen und Aufwachen, Hungrigwerden wie auch dem Kommen und Gehen von Emotionen und Gedanken einhergehen.
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Autos, Asteroiden etc. Insofern, als sie Vitalitätsaffekte auslösen, kann man sie von ihrer Funktion her als Nachfolger der Insonanzen betrachten. Der Vitalitätsaffekt wäre dann bereits eine erste Resonanz auf ein Ereignis in der (sei es äußeren oder auch inneren) Umwelt. Doch damit fangen die Möglichkeiten der Resonanzbildung erst an, denn: »Vitality affects give rise to forms of life that are fundamentally shared.« (Ebd.: 111, Herv. i.O.) Hier kommt der zweite von Stern geprägte Begriff ins Spiel, der für die Affekttheorie so bedeutsam ist: die »Affektabstimmung«. Damit beschreibt Stern ein etwa nach dem 9. Lebensmonat einsetzendes Verhalten, das gegenüber der Nachahmung eine Neuerung darstellt. Bei der für die ersten Lebensmonate prägenden Nachahmung wiederholt die Bezugsperson eine Äußerung des Säuglings in derselben Modalität (Stimme, Gesichtsausdruck, Geste) und tritt so in einen Dialog mit ihm ein. Nun aber, am Ende des ersten Lebensjahres, geht die Mutter immer öfter dazu über, auf eine Geste des Kindes mit einem Ausruf oder auf eine stimmliche Äußerung mit einem Gesichtsausdruck zu reagieren – sie wechselt die Modalität des Ausdrucks, achtet dabei aber darauf, dass dieser dem vorhergehenden Impuls in Intensität und Qualität entspricht. »Das Verhalten des Säuglings wird nicht exakt wiedergegeben, aber es liegt eine gewisse Entsprechung vor.« (Stern 1996: 202) Diese Entsprechung hat, wie Stern es nennt, einen überwiegend transmodalen Charakter – man könnte auch sagen, dass die Ausdrucksintensität transponiert wird. Indem sie nun auf einem anderen Kanal, aber in derselben Intensität antwortet, zeigt sie dem Säugling, dass sie dessen Zustand erfasst hat und ihn mit ihm teilen kann. »Die Affektabstimmung stellt folglich eine Ausführung von Verhaltensweisen dar, die die Gefühlsqualität eines gemeinsamen Affektzustands zum Ausdruck bringen, ohne die Verhaltensäußerung des inneren Zustands exakt zu imitieren.« (Ebd.: 203) Diese Abstimmung besteht aus wechselseitigen Einstimmungsvorgängen: Die Mutter stimmt sich in den Affekt des Kindes ein, dieses wiederum in den Affektausdruck der Mutter, sodass sich die beiden gegenseitig auf einen nunmehr geteilten Affekt einschwingen – die Nähe zur musikalischen Einstimmung ist kein Zufall. Was mit der Affektabstimmung einsetzt, ist demnach die Anerkennung des Säuglings als eines intersubjektiven Partners, dessen Gefühle nach Ausdruck und nach einer angemessenen Reaktion verlangen. Umgekehrt lernt der Säugling schrittweise, dass die Bezugsperson ihrerseits über ein Innenleben verfügt, das sich in einem gemeinsamen Einstimmungsverhalten zum Ausdruck bringt. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen den beiden Individuen gestiftet, die über das Nachahmungsverhalten und dessen mechanische Gesetze hinausgeht. Sie teilen einen gemeinsamen Affekt. In einer gelingenden Affektabstimmung wird eine affektive Sphäre geschaffen, die in ihrer Valenz kraft der fortlaufenden Interaktionen changiert. Nur diejenigen Affekte, die mit anderen Subjekten abgestimmt werden, können überhaupt als geteilte bzw. mitteilbare Affekte er-
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fahren werden. Für Affekte, bei denen das nicht zutrifft, gilt, dass sie privat bleiben müssen – sie sind ihrer Mitteilbarkeit beraubt, und je nachdem, wie sehr diese Beraubung reicht, können sich mehr oder weniger starke klinische Symptome herausbilden. Stern beschreibt die Affektabstimmung als einen dynamischen und vor allem differenziellen Vorgang. Die Bewegungen der Mutter und die des Kindes haben, wie wiederum Massumi betont, ihre je eigenen Aktivierungsprofile und die geteilte Erfahrung hat zudem ein umfassendes Aktivierungsprofil, das quasi kontrapunktisch zwischen den beiden hin- und herwandert: »The overall activation contour takes up the difference between the parent’s and the child’s movements into its own complex unity of orchestration.« (Massumi 2011: 112) Es gibt eine differenzielle Involviertheit in das geteilte Ereignis. Ohne auf Sterns Theorie Bezug zu nehmen, kommt Rosa zu einer sehr ähnlichen Definition der Resonanzbeziehung, die eben »keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung« sei, was voraussetze, »dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen« (Rosa 2016: 298, Herv. i.O.). Der Echobeziehung entspricht in Sterns Modell die Imitation; sie ist demnach ein Festhalten an einem Beziehungsmodus, der dem Entwicklungsstand von Neugeborenen entspricht, nach dem ersten Lebensjahr aber bereits nicht mehr ausreicht. Die Resonanztheorie könnte allerdings aus meiner Sicht von einer Auseinandersetzung mit Stern besonders dahingehend profitieren, dass dann ihr (auch im obigen Zitat deutliches) Festhalten an einer sprachlichen Resonanzbeziehung zugunsten einer differenzielleren Auffassung des Wechsels der Ausdrucksmodi aufgebrochen würde. Resonanz kann zwar, muss aber nicht sprachlich vermittelt sein.11 Das Modell der präverbalen Affektabstimmung verdeutlicht zudem, welch enormes Steuerungspotenzial in Interaktionen besteht, sofern eine der beteiligten Personen das Abstimmungsgeschehen intentional zu lenken beginnt. Die Bezugsperson kann auf Taktiken zurückgreifen, um entsprechende Aboder besser »Einstimmungen« beim Kind hervorzurufen. Das Interesse des Kindes wird durch Einstimmung verstärkt und erhalten, wenn es der Bezugsperson zielführend erscheint. Unerwünschte Verhaltensweisen können dagegen ohne explizite Verbote demotiviert werden, indem die Bezugsperson ihre affektive Einstimmung und damit Resonanz verweigert.12 Die Abstim11 | Das weiß natürlich auch Rosa – nicht umsonst widmet er den körperlichen Modi das zweite Kapitel seines Buchs (vgl. Rosa 2016: 83-143). Doch noch einmal soll auf das Vorherrschen der sprachlichen Metaphorik hingewiesen werden, das die körperlichmaterielle und damit affektive (nicht emotionale) Dimension des Resonanzbegriffs m.E. zu sehr überformt. 12 | Dieses Dämpfen oder auch Unterbrechen der Abstimmung findet sich indirekt bei Rosa wieder, wenn er von der Fähigkeit zur (und dem Recht auf) Resonanzunterbrechung spricht (vgl. Rosa 2016: 741f.).
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mung, Einstimmung und Umstimmung von Affekten wirkt aber freilich auch da fort, wo Erwachsene sich vorwiegend auf der verbalen Ebene austauschen. Dabei bleiben die Modi der Körpersprache, Gestik, Mimik und Sprachmelodik mitentscheidend für das Gelingen von Verständigungsprozessen. Sterns Entwicklungstheorie lässt sich daher nahtlos mit der Interaktionsritualtheorie Erving Goffmans verbinden, die ihrerseits die Durkheim’sche Ritualtheorie ins Mikrosoziologische überträgt, also in jene Situationen, in denen alle Beteiligten miteinander interagieren können. Goffman konzentriert sich dabei auf »Ereignisse, die im Verlauf und auf Grund des Zusammenseins von Leuten geschehen« und deren Grundelemente »Blicke, Gesten, Haltungen und sprachliche Äußerungen« sind, also »kleine Verhaltensmomente« (Goffman 1986: 7), für deren exakte Beschreibungen er bekannt wurde (und die auch in extrem ausgedehnten Formen wie den als »Interaktionsmonstren« bezeichneten wochenlangen Konferenzen die Basiseinheiten abgeben). Randall Collins spricht daran anknüpfend von »natürlichen Ritualen«, die sich ohne formell stereotypisierte Verfahren ergeben (vgl. Collins 2004: 49f.). Er definiert das Ritual als »a mechanism of mutually focused emotion and attention producing a momentarily shared reality, which thereby generates solidarity and symbols of group membership« (ebd.: 7). Wenn er mit Goffman das Primat der Situation oder Interaktion vor dem Individuum betont – wobei er den Merkspruch »not persons and their passions, but passions and their persons« (ebd.: 5) vorschlägt – dann nimmt er wie schon Stern und Massumi einen entwicklungstheoretischen Blick ein: die »passions« (bei ihm zumeist: »emotions«, in vorliegenden Kontext wäre freilich »Affekte« treffender) lassen Personen emergieren, wodurch die Interaktionen, in denen die Affekte strukturiert werden, als konstitutive Phänomene sichtbar werden.13 Collins arbeitet an den Ritualen den Mikroprozess des »emotional entrainment« heraus, welcher sich dann ereignet, wenn die Interaktionspartner in einen gemeinsamen Rhythmus fallen – auch hier ist die musikalische Parallele mehr als nur Metaphorik, sodass man eine Verwandtschaft zwischen »emotional entrainment« und »affect attunement« unterstellen kann.14 Eine Konversation folgt beispielsweise einer strikten Rhythmik, die den Sprecherwechsel im Zehntelsekundenbereich regelt – wer länger braucht, um in einem Gespräch den Faden aufzunehmen, schafft damit eine unbehagliche Situation (vgl. ebd.: 66ff.). Ein erfolgreiches Gesprächsritual ist strikt rhythmisiert, wie 13 | Collins taucht in Rosas Resonanztheorie an einer Stelle auf, um den Theorieumschwung hin zur »Priorisierung von Resonanzbeziehungen« (Rosa 2016: 248) zu untermauern. 14 | Collins verweist auf »affect attunement« bei Säuglingen und schreibt diesen dieselbe fein modulierte Rhythmik wie Gesprächen unter Erwachsenen zu. Er referenziert allerdings nicht Daniel Stern, sondern Michael Tomasello (vgl. Collins 2004: 79).
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es schon für die präverbalen Interaktionen von Säugling und Mutter gilt. Das Gefühl der Solidarität ist, so Collins, das fundamentalste Ergebnis eines gelingenden Interaktionsrituals, und dieses Gefühl hält nach der Interaktion für eine Weile an, es resoniert sozusagen (vgl. ebd.: 48).15 Damit es nicht völlig verklingt, muss es entweder regelmäßig erneuert oder durch die Schaffung eines Symbols auf Dauer gestellt werden. Scheitern Interaktionsrituale allerdings, treten negative Emotionen auf: Gefühle der Peinlichkeit, der Scham und im Fall fehlender Auflösung derselben auch Wut – woraus ein interaktionaler Teufelskreis resultieren kann (vgl. ebd.: 110f.).16 An dieses Modell könnte nebenbei gesagt eine Theorie des Ressentiments gut anknüpfen. Doch trotz dieser Parallelen fehlt bei Collins die Betonung der Differenzialität dieses affektiven Austausches. Das zeigt sich in seiner affirmativen Übernahme eines althergebrachten und in seiner Metaphorik problematischen Affizierungsbegriffs, nämlich dem der emotionalen Ansteckung (vgl. ebd.: 107). Zwar meint Collins, eine Erklärung für das »Faktum« (ebd.: 78) der Ansteckung gefunden zu haben: »The process of rhythmic entrainment of the ultra-micro aspects of interaction is the mechanism by which emotional contagion occurs within a successful interaction.« (Ebd.: 119) Doch kommt viel, wenn nicht alles, auf die Metaphorik an, die hier auf ein rein passives und erst symptomatisch zu erkennendes Geschehen verweist, deren Muster aus der Epidemiologie übernommen wurde. Es ist wohl kein Zufall, dass das Theorem der emotionalen Ansteckung, durch Gustave le Bon in die Soziologie eingebracht, nur kurze Zeit nach dem Durchbruch der Keimtheorien auftaucht und plausibel wird (vgl. Le Bon 2011: 118-120; vgl. Schützeichel 2013: 210). Die virale Ansteckung funktioniert durch die Verteilung desselben Virenstamms in verschiedenen Organismen, die dann an derselben Krankheit erkranken. Affekte als Viren aufzufassen bedeutet daher, sie unter das Diktat der Identität zu stellen. »Nuancierungen sind nicht möglich, sie können im Rahmen einer emotionalen Ansteckung nicht übertragen werden« (ebd.: 213). Dagegen stehe die emotionale Ansteckung in der von Durkheim geprägten Emotionssoziologie für »einen weitgehend unbewussten, automatischen Ablauf wechselseitiger, emotionaler Beeinflussung, der sich im Medium des vorsprachlichen, mimischen und gestischen Ausdrucksverhaltens vollzieht« (ebd.: 215). Durkheims Begriff für diese wechselseitige emotionale Beeinflussung lautet »kollektive Efferveszenz« (Rosa 2016: 562f.).17 Doch gerade der Aufweis der Gelingens15 | Was bei Collins »Solidarität« heißt, kann wohl weitgehend mit Rosas Resonanz gleichgesetzt werden. Vgl. Rosa 2016: 248. 16 | Collins bezieht sich auf Thomas Scheff, an anderer Stelle auf den klassischen Aufsatz von Erving Goffman (1986: 106-123) »Verlegenheit und soziale Organisation«. 17 | Die kollektive Efferveszenz wird als Phänomen interpretiert, das alle Resonanzachsen umfasst, sowohl die vertikale (religiöse), die horizontale (soziale) als auch die dia-
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bedingungen in der Ritualtheorie zeigt, dass der Ansteckungsbegriff falsche Assoziationen weckt. Die Aktivität der Teilnehmer_innen ist ja entscheidend für die Entstehung des solidarischen Gefühls. Interaktionen, wie Goffman und Collins sie beschreiben, zeichnen sich durch eine dynamische Ausverhandlung (im Gelingensfall: die Abstimmung, im Misslingensfall: die Verstimmung) affektiver Impulse aus. Das weiß auch Collins, wenn er schreibt, dass Rituale mit »emotional ingredients (which may be emotions of all sorts)« beginnen (hier lassen sich Sterns Vitalitätsaffekte wiedererkennen), die durch den Prozess des wechselseitigen »emotional entrainment« schließlich »other sorts of emotions as outcomes« (Collins 2004: 105) produzieren. Collins bleibt mit dem Ansteckungsbegriff hinter dieser differenziellen, dynamischen Beschreibung zurück und kontaminiert sein Modell mit einer Identitätslogik, die für das Interaktions-Geschehen nicht passt.18 Auch hier wäre es zweifellos ein Gewinn, Sterns Affektabstimmung zu adaptieren, denn: »Affect is not a contagious virus.« (Wetherell 2012: 141)19 So sucht etwa die kritische Psychologin Lisa Blackman nach Konzepten, mit denen sich die Übertragung von Affekten jenseits der Begriffe des 19. Jahrhunderts wie etwa »Suggestion«, »Hysterie« oder eben »Ansteckung« angemessen theoretisieren lässt. Blackman präferiert die Rede von »attunement« sowie von »entrainment« (Blackman 2012: 102), um der Komplexität des rhythmischen Übertragungsgeschehens gerecht zu werden.20 »It is not that affect or emotion is simply ›caught‹ or transmitted between subjects, but that subjects get ›caught up‹ in relational dynamics that exhibit a psychic or intensive pull.« (Ebd.) Um noch einmal Massumis Stern-Lektüre zu bemühen: Affektabstimmung wird der Komplexität kollektiver Situationen weitaus besser gerecht als Imitation oder Ansteckung, »because it finds difference in unison, and concertation in gonale (objekt- und ortsbezogene) Resonanz. Auch Rosa kritisiert dabei Durkheims Unterkonzeption von Differenzialität und Dynamik. 18 | Das heißt nun im Umkehrschluss nicht, dass es keinerlei Affektansteckung gibt. Es gibt zweifellos quasi-automatische Übertragungsprozesse, wie vor allem die Psychotherapieforschung zu berichten weiß (vgl. Hatfield/Cacioppo/Rapson 1994). Ebenso kann man an Massenpaniken (als Extremfällen von Vermassungsphänomenen) und andere, offenbar bloß physiologisch verursachte Verhaltensepidemien denken. Da es hier aber um Interaktionen mit wechselseitiger Aufmerksamkeit geht, ist die vorgeschlagene Differenzierung der Sache nach dringend notwendig. 19 | Das 7. Kapitel »Circulating Affect« (Whetherell 2012: 140-160) enthält eine erhellende Kritik am Ansteckungsparadigma. 20 | Blackman geht es darum, das Potenzial des Körpers für »psychic or psychological attunement« (Blackman 2012: xxv) adäquat zu theoretisieren. Die titelgebende Immaterialität wird hier als eben diese Abstimmung identifiziert, sodass das Buch auch »Psychologically Attuned Bodies« heißen könnte.
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difference«. Sie deckt damit die Variabilität des vorgeblich »selben« Affekts auf. »There is no sameness of affect. There is affective difference in the same event.« (Massumi 2015: 56)
A ffek tive A rbeit ≠ E motionsarbeit Der (sowohl poststrukturalistischen wie resonanzsoziologischen) Zentralstellung der Unverfügbarkeit zum Trotz soll nun die Frage nach Resonanzverhältnissen aus der Perspektive des Arbeitsbegriffs gestellt werden. Denn an Resonanz wird von uns allen tagtäglich gearbeitet, sowohl im privaten als auch beruflichen Umfeld und unabhängig davon, ob wir nur mit uns selbst oder mit einer Vielzahl anderer Menschen zu tun haben. Dass diese Verhältnisse unverfügbar sind, heißt ja keineswegs, dass nicht doch versucht wird, über sie zu verfügen. Gehen wir nun also von den spontanen zu jenen Interaktionen über, die man affektive Dienstleistungen nennen kann. Etwa um 1980 schlug Arlie Hochschild den Begriff der Emotionsarbeit (emotional labor) vor, um eine Kategorie für die in den Dienstleistungsberufen verbreitete Anforderung zur Affektsteuerung bei Klient_innen und Kund_innen zu etablieren (vgl. Hochschild 2006: 30).21 Während in den Psycho-Disziplinen vor allem an der Tiefendimension des Gefühlslebens gearbeitet wird, steht im Fokus der Emotionsarbeit, wie Hochschild es insbesondere bei Flugbegleiter_innen und Inkasso-Angestellt_innen untersucht hat, das sogenannte »Oberflächenhandeln«. Dieses reicht aber für bestimmte Emotionsleistungen nicht aus. Hochschild fand heraus, dass in der Ausbildung von Flugbegleiter_ innen mehr unterrichtet wird, als Gefühle nur vorzuspielen – die Auszubildenden wurden vielmehr angeleitet, die entsprechenden Gefühlsqualitäten in sich selbst durch psychotechnische Tricks zu erzeugen. Ein Verfahren bestand darin, Fluggäste mit den Eigenschaften von Verwandten zu überblenden. Es wurde also eine temporäre Übertragungssituation generiert, was sich offenbar ganz besonders bei schwierigen Fluggästen empfiehlt. Dies ging mit der Anweisung einher, sich die Flugkabine wie ein gemütliches Zuhause vorzustellen, in dem man nun eben eine Menge Gäste empfange (vgl. ebd.: 100). Auf diese Weise wird, so Hochschild, in ähnlicher Weise das »emotionale Gedächtnis« der Angestellten aktiviert, wie es die Methode von Konstantin Sta21 | Der deutsche Titel ist irreführend, die 1983 erschienene Originalausgabe heißt aus gutem Grund The Managed Heart, bezieht sich doch das Management nicht nur auf die Interaktion mit Kund_innen, sondern vor allem auch auf das Selbst-Management sowie auf das Emotionsmanagement im privaten, also unbezahlten Bereich. Ebenso weiche ich von der deutschen Ausgabe ab, wenn ich »emotional labor« mit »Emotionsarbeit« statt mit »Gefühlsarbeit« übersetze.
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nislawski in Bezug auf das überzeugende Schauspiel forderte – die Emotionsarbeiter_innen sind also in einem anderen, aber möglicherweise nicht weniger fordernden Sinn »method actors«.22 Hochschilds Befunde lassen sich auch auf das Privatleben sowie das öffentliche Leben außerhalb der Lohnarbeit anwenden, wofür sie den Begriff »emotion management« (ebd.: 30) vorschlägt – dieser ist für sie also der grundlegende Terminus für die gezielte Beeinflussung von Gefühlen in sozialen Interaktionen, während die Emotionsarbeit für deren berufliche Anwendung steht. Dass Hochschild ihre Analyse durchaus normativ wertend versteht, zeigt sich in ihren Beschreibungen vorgeblich authentischen Gefühlsausdrucks im Privatleben und ihrer Entfremdungsthese, die sie im Hinblick auf die natürliche Signalfunktion von Emotionen vorbringt. Demnach würde die Emotionsarbeit vermehrt dazu führen, dass das Gefühlsleben insgesamt kommerzialisiert werde, was die Menschen letztlich von ihren wahren Gefühlen dissoziiere. Die natürliche Signalfunktion der Gefühle werde beeinträchtigt, »wenn das persönliche Gefühlsmanagement sozialtechnisch genutzt und in bezahlte Gefühlsarbeit verwandelt wird.« (Ebd.: 11)23 Dass diese Einschätzung zumindest einseitig bleibt, weil sie die Ermächtigungsfunktion emotionaler Arbeit nicht berücksichtigt, räumt auch Sighard Neckel in der Einleitung zur deutschen Ausgabe ein (vgl. Neckel 2006: 22ff.). Die Kategorie der Entfremdung scheint hier jedenfalls weniger zu passen als diejenige der Erschöpfung. Darauf deutet jedenfalls die enorme Zunahme affektiver Anforderungen auf dem neoliberalen Arbeitsmarkt hin, der seit den 1990er-Jahren nicht zufällig massiv auf die berufsvorbereitende Erwerbung von social skills sowie die Erweiterung der »emotionalen Intelligenz« setzt. Diese erhöhte Anforderung hat einen Dienstleistungssektor zweiter Ordnung entstehen lassen, in dem Coaches mit besonderen Affektmodulationsfähigkeiten den zu Beratenden jene Qualifikationen vermitteln, die sie dann in ihren eigenen Berufsfeldern anwenden sollen. Zertifizierte Profis lehren also angehende Profis darin, zielsicher mit Kund_innen umzugehen, die in dieser Logik zu affektiven Endverbraucher_innen werden. Dass die massiven Verschiebungen in den Produktionsweisen und Arbeitsverhältnissen einen größer angelegten Referenzrahmen brauchen, als ihn Hochschild mit ihren emotionssoziologischen Forschungen bieten konnte, ist ein Ausgangspunkt des mit der Empire-Trilogie bekannt gewordenen Autoren22 | Die Analogie zur Schauspielkunst Stanislawskis wird von Hochschild ausführlich beschrieben und macht eine der Stärken ihres Buches aus – siehe Kapitel 3, »Die manipulierten Gefühle« (Hochschild 2006: 53-65). 23 | Vergleiche auch das Resümee: »Wir übertragen die Regeln und Muster unserer Gefühlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-marktförmigen Lebensbereiche. Wir leben unser nicht-marktförmiges Leben so, als ob wir einkaufen, Waren erwerben oder wegwerfen« (ebd.: 9; Herv. i.O.).
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duos Michael Hardt und Antonio Negri. Eine ihrer zentralen Thesen ist das Hegemonialwerden der sogenannten »biopolitischen Produktion«. Im Gegensatz zur industriellen Arbeit, die für das 19. Jahrhundert charakteristisch war, sei im späten 20. Jahrhundert die immaterielle Arbeit in den Vordergrund gerückt, »das heißt Arbeit, die so genannte immaterielle Produkte schafft, also Wissen, Information, Kommunikation, Beziehungen oder auch Gefühlsregungen« (Hardt/Negri 2004: 126). Diese immaterielle Arbeit wird in zwei Formen eingeteilt, deren erste »Ideen, Symbole, Codes, Texte, sprachliche Figuren, Bilder und Ähnliches« hervorbringt, weshalb sie als »kognitive Arbeit« bezeichnet wird. Die andere Hauptform nennen Hardt und Negri »affektive Arbeit« (affective labor); diese umfasst jede Tätigkeit, »die Affekte wie Behagen, Befriedigung, Erregung oder Leidenschaft hervorbringt oder manipuliert« (ebd.). Während Hardt und Negri zufolge die materielle Produktion die »Mittel des gesellschaftlichen Lebens« erzeugt, schafft die immaterielle Produktion, »zu der die Produktion von Ideen, Vorstellungen, Kommunikation, Kooperation und affektiven Beziehungen gehört, […] gesellschaftliches Leben als solches.« (Ebd.: 166f.; Herv. i.O.) Den Autoren ist bewusst, dass die biopolitische Produktion global gesehen weiterhin in der Minderheit ist; dennoch vertreten sie die Auffassung, dass sie »qualitativ hegemonial geworden ist und damit anderen Formen der Arbeit und der Gesellschaft selbst eine Tendenz vorgibt« (ebd.: 128; Herv. i.O.) – ähnlich wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts die industrielle Produktion, die damals auf dem Vormarsch war, eben in diesem Vormarsch die gesellschaftspolitische Richtung vorgab. Dieses Hegemonialwerden bringt eine Reihe von Verschiebungen mit sich, wie etwa die Auflösung klarer Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben, zwischen Arbeits- und Freizeit sowie zwischen Produktion und Reproduktion. Und doch wird die Zunahme der Emotionsarbeit nicht einfach als Entfremdung gedeutet; zwar bestätigen sie, dass auch in der biopolitischen Produktion neue Entfremdungsphänomene auftreten; zugleich aber bestehen sie darauf, dass sowohl die kognitive wie auch die Emotionsarbeit gemeinschaftlich organisierte Produktionsformen seien, die das gesellschaftliche Leben bereichern; immaterielle Arbeit sei daher intrinsisch auf ein geteiltes gutes Leben hin ausgerichtet. Die Ausbeutung durch das Kapital kommt hier allerdings durch die Enteignung gemeinschaftlich geschaffener Werte zurück ins Spiel. Sie gestaltet sich nun als »Expropriation des Gemeinsamen« (ebd.: 171). Dieser Enteignung etwas entgegenzusetzen ist das politische Ziel der Empire-Trilogie, die das Hegemonialwerden der immateriellen und damit auch der affektiven Arbeit mindestens so sehr begrüßen wie einst Marx und Engels das Hegemonialwerden der industriellen Arbeit. Es ist daher vielleicht kein Zufall, dass das, was Hochschild »emotional labor« nennt, bei Hardt und Negri »affective labor« heißt. Denn zumindest in den poststrukturalistischen Theorien trägt das Wortfeld der Emotion, wie gesehen, starke Konnotationen des Privaten, Individuellen und Konservativen
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mit sich, während dem Wortfeld des Affekts kommunitäre, verbindende und progressive Tendenzen zugeschrieben werden. Zwar rekurrieren beide Theoriestränge teilweise auf dieselben Fallbeispiele und meinen damit zumindest partiell dasselbe; doch in der evaluativen und soziopolitischen Tendenz gehen sie umso entschiedener auseinander. Hochschild sieht in der Kommodifizierung von emotionaler Arbeit per se den Entfremdungseffekt, während Hardt und Negri in der affektiven Arbeit einen Emanzipationseffekt entdecken. Das mag damit zu tun haben, dass Hochschilds Beispiele auf individuelle Dienstleistungen fokussieren, bei denen nur die Zahlenden zum emotionalen Genuss kommen, während die Arbeitenden von ihren wahren Gefühlen entfremdet werden. In dieser Lesart erzeugt und verstärkt emotionale Arbeit also das psychosoziale Gefälle zwischen den Beteiligten. Sie trennt diejenigen, die in der gekauften Interaktion bloß scheinbar verbunden sind. Hardt hingegen, der schon vor der Empire-Trilogie über »affective labor« gearbeitet hat, hält ihrer Kommodifizierung zum Trotz daran fest, dass die Produktion von Affekten und damit von Subjektivitäten und Lebensformen ein »enormes Potential für autonome Wertschöpfungskreise und vielleicht sogar für Befreiung bereitstellt« (Hardt 1999: 100). Nicht ohne optimistischen Ton, der ihre Trilogie ihrerseits als ein Beispiel affektiver Arbeit enthüllt, geben Hardt und Negri dem älteren, ideologiekritischen Konzept der emotionalen Arbeit dasjenige zurück, was inzwischen auch Massumi und co. der intentionalen und subjektivierten Emotion zurückzugeben versucht haben: nämlich den präpersonalen Affekt mit seiner nichthierarchischen Relationalität. Mag die Arbeit an den Gefühlen noch so sehr von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen geprägt sein, so kann doch niemand ausschließen, dass sich nicht doch im affektiven Austausch eine Solidarität herstellt, die an diesen Verhältnissen etwas ändern wird. Auf diese von Hardt und Negri vorgezeichnete Spur wechselt auch Encarnación Gutiérrez Rodríguez, wenn sie die vergeschlechtlichte Hausarbeit nicht mehr als »emotional«, sondern als »affective labor« fassen will – ihre theoretische Herleitung überzeugt dabei m.E. weniger als die Öffnung hin zur Hoffnungsfigur einer »transversalen Konvivialität«, die in der neuen affektiven Wertschöpfung als Potenzial verborgen liege: »Affect, while exploited as affective labor and extracted as affective value within the logic of capital accumulation, holds the potential of creating an alternative to this same logic.« (Gutiérrez Rodríguez 2010: 168)24 Es verwundert, dass ausgerechnet diese Debatten um affektive bzw. emotionale Arbeit in Rosas Resonanztheorie fehlen. Allerdings wird diese Thematik in der Erörterung der »Resonanzoasen« mitverhandelt, wenn Rosa diag24 | Eine Zusammenführung von Hochschild und Gutiérrez Rodríguez samt machttheoretischer Weiterführung findet sich bei Brigitte Bargetz (2013).
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nostiziert, dass die moderne Resonanzsensibilität nun auch in der Sphäre der Lohnarbeit angekommen sei (vgl. Rosa 2016: 616). Dass es sich dabei um bloße »Resonanzsimulationen« handle, wie die ältere kritische Theorie behauptet hätte, stellt er gerade in Abrede. Daraus folgt, dass auch die Entfremdungsthese nicht mehr einfach übernommen werden kann. Zwar gebe es durchaus eine »Kolonialisierung« der Resonanzsuche durch den Versuch einer umfassenden »Verfügbarmachung« (ebd.: 619) der Welt. Doch selbst die Kommodifizierung von Resonanzachsen könne nicht verhindern, dass »genuine Resonanz« sich eben doch zuweilen einstellt. Rosa dreht hier die Figur der Unverfügbarkeit in die umgekehrte Richtung: Gerade weil die Erfahrung von Resonanz unverfügbar bleibt, kann ihr selbst die kapitalistische Einhegung nicht wirklich etwas anhaben. Somit durchkreuzt er (wie schon Neckel) die einseitige Entfremdungsthese Hochschilds, um bei einem ähnlichen Emanzipationseffekt zu landen wie zuvor Hardt und Negri, insofern als die Verfügbarmachung der Welt als Bedingung der Möglichkeit reformuliert wird, sich auf die Suche nach resonanten Verhältnissen zu begeben (vgl. ebd.: 627). Die Entfremdung, verstanden als die episodische Verflüchtigung von Resonanz, wird dabei als kokonstitutiv für das Resonanzbegehren aufgefasst (vgl. ebd.: 750). Es gibt also in Rosas normativem Ansatz eine Art Dialektik von Resonanz und Entfremdung, die vielleicht noch treffender als eine Rhythmik auszuformulieren wäre. Anders könnte auch nicht sichergestellt werden, dass die resonanten Subjekte in dieser Theorie tatsächlich noch von Anderem angegangen und affiziert werden. Denn das Fremde löst zunächst und zumeist Gefühle der Be-fremdung, vielleicht auch Ent-fremdung aus, die alles andere als pathologisch sein müssen: Sie sind umgekehrt die Möglichkeitsbedingung, sich tatsächlich in einer unvorhersehbaren, ereignishaften Weise verändern zu lassen. So wie die Insonanz in der Renaissance als fremde Stimme konzipiert wurde, die den inneren Hallraum heimsucht, so ist auch der Affekt als das Ereignis der Be-fremdung dasjenige, was das Resonanzgefüge nicht so sehr bestätigt, als neu verfügt und stellenweise vielleicht sogar entfügt.
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Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen Eine Auseinandersetzung mit Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen aus Sicht des Critical Realism Lisa Waldenburger und Hannes Teutoburg-Weiss
1. E inleitung Kurze Zeit nach dem die Grundwidersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsformation in der Finanzkrise 2007 zu Tage getreten sind, verpflichteten sich Hartmut Rosa und zwei seiner Jenaer Kollegen auf einen »große[n] Akt der Erneuerung: die Rückkehr der Kritik in die Soziologie« (Dörre/Lessenich/Rosa 2009: 12). Die von Rosa (2016) mittlerweile vorgelegte Soziologie der Weltbeziehungen kann als ein Baustein eines solchen Aktes gelten, kulminiert sie doch in der Kritik der Resonanzverhältnisse oder vielmehr in der Kritik der Entfremdungsverhältnisse der (Spät-)Moderne.1 In Zeiten, in denen sich die Kritische Theorie in einem circulus vitiosus befindet und fortwährend über die Möglichkeitsbedingungen von sozialwissenschaftlicher Kritik streitet oder postmoderne Philosophien das Aufzeigen von Kontingenz mit substantieller Sozialkritik verwechseln, sind Rosas Ausführungen begrüßenswert anregend: Entfremdete Selbst-Welt-Verhältnisse sind das Problem; resonante Beziehungen die mögliche Lösung; die Analyse und Kritik der gegenwärtigen Formen der Vergesellschaftung der erste wichtige Schritt. Allein aus einem solchen Baustein heraus lässt sich allerdings noch kein Gewölbe errichten, in dem eine zeitgemäße, kritische Sozialwissenschaft beherbergt sein kann. Es scheint demnach unumgänglich den angesprochenen 1 | Peter Schulz weist pointiert und schlüssig darauf hin, dass sich der Bezugspunkt von Rosas Kritik in seiner Theorieentwicklung von einer genuin kapitalismuskritischen Betrachtung hin zu einer breiteren Modernekritik verschoben hat (vgl. Schulz 2015). Mit seiner Resonanztheorie ist er endgültig bei Letzterem angekommen.
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Erneuerungsakt als multidisziplinäres Gemeinschaftsprojekt zu verstehen. Wenn Rosa gewissermaßen die entsprechende Soziologie zu liefern vermag, könnte der Critical Realism (CR) – dem ein ähnlich emanzipativer Impetus innewohnt – eine philosophische und sozialtheoretische Grundlegung beisteuern. Roy Bhaskar schreibt dem CR in Hinblick auf wissenschaftliche Untersuchungen dabei explizit die Rolle einer Hebamme (midwife) oder einer Hilfsarbeiterin (underlabourer) zu (vgl. Bhaskar 2008: 254). Wichtig ist bei der Überprüfung der Kompatibilität der beiden Perspektiven aber in erster Linie nicht allein die Kongruenz ihrer normativen Anker, sondern die Vereinbarkeit ihrer anthropologischen und sozialtheoretischen Grundannahmen. Andrew R. Sayer führt zu Recht an, dass solche Annahmen zu jeder Zeit in jeglicher sozialwissenschaftlichen Tätigkeit gemacht werden: »It’s impossible to avoid making assumptions about human nature in social science – even those who believe we are purely socially or culturally determined presuppose that we are susceptible to such determination – so it’s better to make these assumptions explicit, rather than risk leaving them unexamined. We need a philosophical anthropology – not one that posits universal uniformities to the exclusion of difference, but one that identifies commonalities and sources of difference.« (Sayer 2011: 98-99)
Wir teilen an dieser Stelle Sayers Argument für die Notwendigkeit einer ausformulierten Anthropologie (und Sozialtheorie) und machen dies zur Ausgangsüberlegung unseres Beitrages. Nachfolgend soll dem Passungsverhältnis von Rosas Soziologie der Weltbeziehungen mit der Sozialtheorie des CR nachgespürt werden. Im Rahmen dieser Problemstellung rekurriert der Beitrag kaum auf Rosas Gesellschaftstheorie oder Zeitdiagnose, sondern versucht vielmehr die stellenweise nur implizit vorhandenen und dünn gestreuten Grundannahmen über Subjekt, Welt und deren Verhältnis mit denen des CR zu kontrastieren. Wir vertreten dabei die These, dass vor allem der Begriff der Weltbeziehung einen äußerst fruchtbaren Beitrag für eine zeitgemäße Sozialtheorie darstellt. Ambivalenter ist unsere Einschätzung bezüglich der analytischen Relevanz der Resonanz- und Entfremdungskategorien. Der Beitrag untergliedert sich in zwei Hauptteile: Im Ersten wird Rosas eigener Anspruch hinsichtlich einer Soziologie der Weltbeziehungen, welche die Beziehungsidee radikalisieren soll, besprochen und mit dem Praxis-Konzept des CR in Beziehung gesetzt. Im zweiten Teil soll überprüft werden, ob Rosas theoretische Ausführungen zu menschlicher Subjektivität im Rahmen von Margaret S. Archers Subjektkonzeption anschlussfähig sind.
Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen
2. D ie S elbst-W elt-B e ziehung – E ine R adik alisierung der B e ziehungsidee ? Zugleich Ausgangspunkt und ausweisbare Stärke von Rosas Erneuerungsbeitrag ist die Hinführung heterogener, aus Philosophie, Soziologie und Naturwissenschaft stammender Theoriefragmente auf einen Fokalpunkt: Eine Soziologie der Weltbeziehungen. Selbst wenn Rosa nachdrücklich betont, dass es ihm »entscheidend darauf ankommt, ihre [die der Weltbeziehungen] gesellschaftliche Prägung und damit auch ihre Variabilität und Veränderbarkeit zu untersuchen und herauszustellen« (Rosa 2016: 70, Anm. d.V.),2 so gründet sich seine Untersuchung dennoch in Evidenzen, Annahmen und Spekulationen über die conditio humana und die Verfasstheit der Welt, welche er aus eben diesen unterschiedlichen Bezugspunkten herausdestilliert (vgl. ebd.: Teil I). Als anthropologisches Grundpostulat kann dabei die immerwährende Bezogenheit des Subjekts auf die es umschließende Welt gelten. »Subjekte stehen der Welt also nicht gegenüber, sondern sie finden sich immer schon in einer Welt, mit der sie verknüpft und verwoben sind, der gegenüber sie je nach historischem und kulturellem Kontext fließende oder auch feste Grenzen haben, die sie fürchten oder lieben, in die sie sich geworfen oder in der sie sich getragen fühlen etc.« (Ebd.: 63)
Mit der Setzung einer formal ahistorischen Selbst-Welt-Bezogenheit postuliert Rosa gleichzeitig eine Radikalisierung der Beziehungsidee. Diese Radikalisierung ruft ein Grundproblem der bisherigen Sozialtheorie- bzw. Philosophiegeschichte in Erinnerung und soll es im selben Augenblick überwinden: Das konzeptionelle Problem der analytischen Trennung und Bestimmung von Subjekt und (sozialer) Welt (vgl. ebd.: 61). In Rosas konkreter Antwort begegnen Subjekt und Welt dann einander nicht mehr als vorbestimmte Entitäten, sondern ihre Haupteigenschaft besteht in der wechselseitigen Formbarkeit während gegenseitiger Bezugnahme (vgl. ebd.: 62-69). Nun lassen sich innerhalb Rosas Soziologie der Weltbeziehungen aber mindestens zwei unterschiedliche Betonungen dieser Radikalisierung der Beziehungsidee aufspüren. In der strikten Auslegung vollzieht Rosa einen Schulterschluss mit Bruno Latour (1991, 2005) als Vertreter einer Akteur-Netzwerk-Theorie. Entitäten besitzen dort keine abgrenzbare Qualität, vielmehr erscheinen sie als Knotenpunkte in heterogenen Netzwerken, die ihrerseits sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Aktanten einschließen. Diese Aktanten erhalten ihre konkreten Eigenschaften jedoch erst innerhalb des Konstitutionsprozesses eines bestimmten Netzwerkes. Auch wenn Rosa 2 | Siehe hierzu auch Rosa 2016: 753.
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vorrangig nicht der Netzwerkmetaphorik folgt, sondern an deren Stelle das Subjekt-Welt-Verhältnis stark macht, gibt es gerade in dem expliziter sozialtheoretischen Teil seines Entwurfes Fundstellen, die einer relationalen Ereignisontologie – wie sie u.a. Latour vertritt – sehr nahekommen.3 Aus Sicht des CR ist eine solche Grundlegung jedoch nicht haltbar, weil sie mit einer flachen Ontologie operiert und damit die Verfasstheit der Welt – als abgestuft stratifizierte Welt, in der Dinge zwar in Relationen stehen, sich aber niemals in diesen erschöpfen – nicht begreifen kann (vgl. Elder-Vass 2008: 465). Es ist danach unzulässig – wie die Resonanztheorie in dieser Auslegung es tut – von (beobachtbaren) Ereignissen auf strukturelle Eigenschaften von Dingen/Entitäten/Aktanten zu schließen (vgl. zur Kritik eines solchen Schlusses: ebd.: 465f.). Ebenso problematisch erscheint die theoretische Nivellierung der Mensch-Ding-Differenzierung sowie der Natur-Kultur-Unterscheidung. Auch wenn der CR eine prinzipiell ablehnende Position zum Natur-Kultur-Dualismus einnimmt, da Kultur immer als Teil von Welt begriffen werden sollte (vgl. Lindner 2014: 218), muss festgehalten werden, dass natürliche Strukturen im Gegensatz zu ihrem sozialen Pendant andere Eigenschaften besitzen und nicht auf die Reproduktion durch menschliches Handeln angewiesen sind (vgl. Bhaskar 1998: 42). Dies heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass menschliches Handeln in Bezug auf natürliche (Um-)Welt konsequenzlos ist.4 Über diese Fragen der ontologischen Basisannahmen hinaus, würde eine solch strikte Auslegung weitergehende Konsistenzprobleme für eine Soziologie der Weltbeziehungen im Sinne Rosas mit sich bringen:
3 | Vgl. bspw.: »[B]eide Seiten – Subjekt und Welt – [werden] in der und durch die wechselseitige Bezogenheit erst geformt, geprägt, ja mehr noch: konstituiert […].« (Rosa 2016: 62, A./Herv. d.V.) oder auch die affirmative Besprechung Latours symmetrischer Anthropologie (vgl. ebd.: 384f.). 4 | Ein verwandtes Problem findet sich in der Auslegung von Formulierungen, in denen die Welt von Rosa personifiziert wird. Ist dies reine Metaphorik oder geht Rosa wie zum Beispiel Michel Callon (1984) oder Latour (1996) von einer Artikulationsfähigkeit der nicht-menschlichen Welt aus? Dave Elder-Vass führt zu dieser Problematik der unterschiedlichen Eigenschaften von Dingen und ihrer kausalen Wirkmächtigkeit in Bezug zur Akteur-Netzwerk-Theorie aus: »For critical realists, scallops, motors, and other non-human objects are significant in sociological explanations because they have causal powers – just as human agents are significant in sociological explanations because they have causal powers. But scallops have different causal powers from humans, and different causal powers from motors. […] We achieve symmetry in the treatment of human and non-human actors, not by treating them all in the same terms, but by treating each in the terms that are appropriate to its own particular structure and properties« (Elder-Vass 2008: 469 Herv. i.O.).
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1. Biographische Historizität und Ausformung einer halbwegs geschlossenen Identität lassen sich nicht denken, weil es kein subjektives Narrativ gibt, welches außerhalb von externen Beziehungsprozessen steht. 2. Weiterführend: Die für die Kritische Theorie und auch Rosa so zentrale Kategorie der subjektiven Leid-Erfahrung – u.a. besprochen als Entfremdung – ist in der Theorietradition der Ereignisontologien unverständlich, weil es keine Differenz zwischen momentan subjektiver Interaktion mit Welt und nicht-situativ, intrinsisch leidendem Selbst geben kann. 3. Welt hat in dieser hochdynamischen Perspektive keine Historizität, da momenthafter Veränderung gegenüber dem andauernd Bestehenden eine signifikant höhere Bedeutung zukommt. Am Ende wird die Analyse und Kritik von (strukturellen) Möglichkeitsbedingungen subjektiver Handlungs-/Resonanzfähigkeit in einer solchen Perspektive gegenstands-, ziel- und sinnlos. Wir plädieren an dieser Stelle aufgrund der angeführten Aspekte für eine schwächere Auslegung der Radikalisierung der Beziehungsidee. Diese bricht sich vor allem in den beispielhaften Ausführungen und Erklärungen Rosas Bahn: Subjekte und soziale Welt gehen hier nicht aus jeder Beziehung neu hervor, sondern sie sind füreinander lediglich ko-konstitutiv und erst in ihrem Begegnen wandeln sich potentiell beide.5 Diese Auslegung wäre kompatibel mit der sozialtheoretischen Position und Tiefenontologie des CR. Welt und Selbst werden demnach nicht wechselseitig innerhalb eines spezifischen Verhältnisses konstruiert, sondern aufgrund eines Verhältnisses lagern sich neue Sedimente auf den bereits versteinerten Schichten der einzelnen Beziehungspartner ab oder es werden ältere Schichten abgetragen. Das Subjekt wird zum kognitiven Bastler, dessen Materialien von der Welt strukturell vorgegeben sind (vgl. Bhaskar 1998: 37). Subjekt und Welt erhalten damit gegenüber der strikten Auslegung eine gemeinsame Geschichte, die durch ihre jeweilig unterschiedlichen Eigenschaften mitgeschrieben wird. Diese Perspektive setzt einerseits Entitäten voraus, die sich aufeinander beziehen können – mit ihren jeweils spezifischen Vermögen und Eigenschaften. Andererseits wird aber der gegen-
5 | Für eine solche Auslegung sprechen beispielsweise Teile der Resonanz-Definition: »Resonanzbeziehungen setzen voraus, dass Subjekt und Welt hinreichend ›geschlossen‹ bzw. konsistent sind, um mit je eigener Stimme zu sprechen und offen genug um sich affizieren oder erreichen zu lassen« (Rosa 2016: 298, Herv. d.V.). Oder auch: »[…] Subjekte wie Welt [sind] in ihrer konkret gegebenen und erfahrbaren Gestalt immer schon das Ergebnis vorgängiger Beziehungsverhältnisse oder Relationen […]« (ebd.: 289, A./Herv. d.V.).
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seitigen Abhängig- und Wandelbarkeit Rechnung getragen.6 Mit anderen Worten ist hier im Sinne des CR von einer Scheidung zu sprechen, die auf einer ontologischen Differenz fußt: »Society produces us as the people that we are, ›out of‹ biologically given raw material, and it continues to transform us throughout our lives. We in turn make new societies out of old societies by our actions, whether intentionally or not and to whatever extent the new society either replicates the old one or is radically different.« (Collier 1994: 144f.)
Für die soziale Welt wird die weiter oben angesprochene, konzeptionelle Problematik bei Bhaskar (1998) und Archer (1995) explizit diskutiert und in einer doppelten Dualität aufgelöst: Soziale Strukturen sind gleichzeitig Voraussetzung und Ergebnis von Praxis; Praxis ist der ereignishaft erscheinende Vollzug der Vermittlung von structure and agency; dieser Vollzug schließt die bewusst intentionale Produktion sowie die meist unbewusste Reproduktion seiner eigenen Bedingungen mit ein (vgl. Bhaskar 1983: 84; 2009: 125-35; Archer 1995: 71-80).7 Strukturen und Akteure haben aber bereits spezifische Eigenschaften außerhalb einer konkreten Praxisbeziehung und sind damit vor dieser ontologisch unterscheidbar: Strukturen sind gegenüber handelnden Subjekten emergent. Beide werden jedoch erst in Praxis aufeinander bezogen und ›artikulieren‹ sozusagen erst dann ihre Eigenschaften. In der Konsequenz lassen sich mit der Sozialontologie des CR beidseitig transformative und reproduzierende Praxen gleichermaßen adäquat denken. Wie bereits umrissen kommt dem Praxisbegriff in der Sozialtheorie des CR eine zentrale Bedeutung zu, weil erst in ihm deutlich wird, dass Gesellschaft sich nur aktiv – das heißt durch handelnde Subjekte – reproduzieren kann und dass strukturelle Ermöglichungen und Einschränkungen für die Subjekte erst in eben dieser Auseinandersetzung mit sozialer Wirklichkeit deutlich werden 6 | Die potentiell offene Frage nach einer ursprünglichen Beziehung ist in einer (Sozial-)Ontologie, welche die Emergenz von Entitäten und ihre strukturellen Eigenschaften betont, geradezu nichtig. Die spezifischen Eigenschaften einer Entität lassen sich eben nicht allein durch die Summe ihrer in Relation stehenden Teile erklären. 7 | Bhaskar verdeutlicht diese konstitutive Bezogenheit von Selbst und sozialen Strukturen – entspricht der sozialen Welt bei Rosa – im Rahmen seines Transformational Model of Social Activity (vgl. Bhaskar 1998: Kap. 2). Archer greift diesen Ansatz auf und entwickelt ihn als Morphogenetic Approach weiter (vgl. Archer 1995: 137-160). Beide Versuche einer sozialontologischen Theoretisierung können als Antwort auf das von Rosa aufgeworfene konzeptionelle Grundproblem des Selbst-Welt-Verhältnisses gelesen werden. Ebenso wie Rosa lehnen Bhaskar und Archer sowohl einen methodologischen Individualismus als auch einen methodologischen Holismus ab (vgl. Bhaskar 1998: 33-35; Archer 1995: 81-89).
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(vgl. Bhaskar 1998: 39-45; Archer 1995: 195-200). Anders ausgedrückt ist Praxis hier als Beziehungskategorie unhintergehbar. Hinsichtlich des Begriffspaares Weltbeziehung (Rosa) und Praxis (CR) kann man im Ergebnis eine gewisse konzeptionelle Kompatibilität konstatieren. Problematisch erscheint im Falle des CR lediglich die Tendenz der (Über-) Betonung von aktiv intentionaler Gestaltung gegenüber ›passiver‹ Welteingebundenheit auf Subjekt-Seite. Rosa leistet hier einen aus unserer Sicht sozialtheoretisch wichtigen und vor allem anschlussfähigen Beitrag, indem er die Bezogenheit des Subjektes auf (soziale) Welt nicht von vorneherein als aktive Tätigkeit konzipiert.8 Eine Weltbeziehung ist demnach »[…] die Art und Weise, wie Menschen in die Welt gestellt sind oder, besser: in der sie sich als in die Welt gestellt erfahren. Diese Stellung oder auch Haltung der Welt gegenüber umfasst sowohl die eher passive Seite der Welterfahrung als auch die aktive Weise des menschlichen Eingreifens in die Welt […].« (Rosa 2012: 7)
Führt man die umrissenen Gedanken allerdings zu ihrem Endpunkt, ergibt sich mit dieser weicheren Auslegung ein neues konzeptionelles Problem für Rosa bezüglich der resonanten, respektiven stummen Beziehung zwischen Welt und Subjekt. Der CR geht davon aus, dass soziale Welt und Subjekt zwangsläufig in einer Beziehung stehen müssen, welche geradezu konstitutiv responsiv ist, weil jede Form von Praxis-Struktur reproduzierend respektive transformierend ist und damit die Bedingungen zukünftiger, subjektiver Handlungsfähigkeit durch sie erst gesichert werden. Es gibt analytisch auf dieser Ebene keine Form der Nicht-Responsivität. Das individuelle Handeln hat mit jedem ausgeführten Akt Konsequenzen. Wäre es nicht so, dann besäße das Subjekt keine Agency. Die relevante Frage ist vielmehr, ob das Subjekt diese Responsivität auch als solche wahrnimmt. Der einzige Moment, in dem man im Rahmen des CR von Resonanz als respektiver Entfremdung sprechen kann, wäre eine evaluative Dimension von Praxis (als Ereignis) qua Erfahrung oder Reflexion durch das Subjekt selbst. Damit bekommt das Resonanz- und Entfremdungskonzept allerdings eine subjektive Schlagrichtung, die Rosa bei seiner Besprechung von Erich Fromm ausdrücklich zurückweist (vgl. Rosa 2016: 565-573). Allerdings scheint Rosa an anderer Stelle bezeichnenderweise einen eben solchen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Rekurriert die Resonanzdefinition noch auf eine gegenseitige Antwortbeziehung: »Resonanz ist keine Echo-, 8 | Instruktiv ist an dieser Stelle die innerhalb des CR entbrannte Debatte hinsichtlich des Stellenwertes von Habitus gegenüber Reflexivität in der Subjektkonzeption Archers. Zur Habitus-versus-Reflexivitäts-Debatte vgl. auch Elder-Vass 2007, Fleetwood 2008, Sayer 2010 sowie Archer 2010.
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sondern eine Antwortbeziehung; sie setzt voraus, dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen« (ebd.: 298, Herv. i.O.), sodass sich Indizien für eine resonante Beziehung auf beiden Seiten finden lassen müssen, findet sich bei der Entfremdungsdefinition nur noch die subjektive Erfahrung: »Entfremdung definiert damit einen Zustand, in dem die ›Weltanverwandlung‹ misslingt, so dass die Welt stets kalt, starr, abweisend und nichtresponsiv erscheint« (ebd.: 316, Herv. d.V.). Mit anderen Worten wird aus der vormaligen Beschreibung einer objektivierbaren Subjekt-Welt-Beziehung (Resonanz) zwischen den Definitionen die Explikation einer subjektiven Wertung, welche über die wahrgenommene Beziehung richtet (Entfremdung). Erscheinen aus dieser ersten Perspektive des CR der Resonanz- und Entfremdungsbegriff als Beziehungsbegriffe analytisch redundant, so könnten sie womöglich ihre Potentiale dort entfalten, wo sie erfahrend respektive evaluativ gewendet in die Subjektkonzeption einfließen. Dies soll, neben dem Abgleich anderer Konzepte der subjektiven Seite der Weltbeziehung, nachfolgend überprüft werden.
3. D ie S ubjek tseite der W eltbe ziehungen – eine subjek tive W endung des R esonanzbegriffs ? Neben der (sozial-)ontologischen Unterscheidung von Mechanismen, Ereignissen und dem Erfahrbaren sowie der sozialtheoretischen Fundierung des structure-and-agency-Problems mittels des Transformational Model of Social Activity und des Morphogenetic Approach, ist die Subjekttheorie von Archer einer der wichtigsten Bestandteile des CR (vgl. Lindner 2014: 231). An anderer Stelle bereits als Konzeption einer situierten Reflexivität eingeführt (vgl. Waldenburger 2014), soll diese Subjekttheorie im Folgenden entlang ihrer Grundzüge dargestellt und mit dem von Rosa, im Rahmen seiner Resonanztheorie implizit entwickelten Verständnis von Subjektivität, ins Verhältnis gesetzt werden. Das kritisch-realistische Subjektverständnis Archers geht von einem stratifizierten Selbst aus, welches sich über vier Ebenen erstreckt: (1) Selbst und Welt, (2) soziale Identität, (3) innere Konversation und (4) Selbst als komplexes Ganzheitliches. Anhand der zwangsläufigen Verortung des Subjekts innerhalb von Welt, verfügt es nach Archer über grundlegende, personale emergente Eigenschaften (PEPs). Diese Eigenschaften sind eher als Dispositionen oder auch anthropologisch fundierte Potentiale zu verstehen, denn als unveränderliche Merkmale, die das Subjekt qua Geburt besitzt. Sie können sich demnach erst in der Beziehung zu und Interaktion mit der Welt entfalten (vgl. Archer 2000: 188f.).
Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen »She [Archer] argues that the properties and powers of human beings are neither pre-given, nor socially bestowed, but realised through (emergent from) our practical transactions and relations with natural, practical and social environment.« (Hartwig 2010: 80, Anm. d.V.)
Hartwig deutet hier an, wie genau subjektive Weltverortung analytisch nach Archer zu verstehen ist: Das Subjekt ist immer schon eingebettet in die Bereiche des Natürlichen, des Praktischen und des Sozialen. Der Bereich des Natürlichen umfasst all die körperlichen Beziehungen des Akteurs zu seiner Umwelt, was mit dem (somatischen) Wissen um die eigene Leiblichkeit einhergeht. Der Bereich des Praktischen konturiert einen Schnittpunkt zwischen natürlicher und sozialer Dimension und beinhaltet die gegenständlichen Beziehungen des Akteurs. Er ist durch praktisches Wissen im Umgang mit nicht-menschlichen Artefakten (material culture) gekennzeichnet. Der soziale Bereich wird durch die diskursiven Beziehungen des Akteurs gefüllt und enthält propositionales Wissen (vgl. Archer 2000: 162; Archer 2007: 8). Der Bereich des Sozialen gleicht nahezu der von Rosa beschriebenen, horizontalen Dimension der Weltbeziehungen. Diese horizontale Dimension umfasst »die sozialen Beziehungen zu anderen Menschen, also etwa Freundschaften oder Intimbeziehungen, oder auch politische Beziehungen« (Rosa 2016: 331). Auch der Bereich des Praktischen findet bei Rosa eine Entsprechung, wenn etwa von den »Beziehungen zur Dingwelt« (ebd.: 331) oder der diagonalen Weltbeziehungsdimension die Rede ist. Einzig der Bereich des Natürlichen unterscheidet sich deutlich in seiner Extension. In den Begrifflichkeiten Rosas kommt der subjektiven Erfahrung des Überindividuellen der Welt ein wichtiger Stellenwert zu (vgl. ebd.: 331) – ein Blickwinkel auf den Archer nicht zu sprechen kommt.9 Sowohl Archer als auch Rosa konzipieren die drei Bereiche/Dimensionen als überlappend mit mäandernden Demarkationslinien (vgl. Rosa 2016: 297, insbesondere in den Ausführungen zu Ritualen; Archer 2000: 162), sodass 9 | Hier zeigt sich bei Rosa deutlich das Vermächtnis der philosophischen Anthropologie. Max Scheler konzipiert den Umgang mit der Welt als Ganzem in ganz ähnlicher Art und Weise: »Nach dieser Entdeckung der Weltkontingenz und des seltsamen Zufalls seines nun weltexzentrisch gewordenen Seinskernes war dem Menschen noch ein doppeltes Verhalten möglich: Er konnte sich darüber verwundern (ϑαυμάζειν) und seinen erkennenden Geist in Bewegung setzen, das Absolute zu erfassen und sich in es einzugliedern – das ist der Ursprung der Metaphysik jeder Art; […] Er konnte aber auch aus dem unbezwinglichen Drang nach Bergung nicht nur seines Einzel-Seins, sondern zuvörderst seiner ganzen Gruppe, auf Grund und mit Hilfe des ungeheuren Phantasieüberschusses […] diese Seinssphäre mit beliebigen Gestalten bevölkern, um sich in deren Macht durch Kult und Ritus hineinzubergen« (Scheler 1991: 85, Herv. i.O.).
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die verschieden nuancierten Ausbuchstabierungen und Betonungen einzelner Elemente der Bereiche hier nicht weiter ins Gewicht fallen sollen. Gemeinsam ist beiden weltlichen Unterteilungen aber ihrer Definition nach der Anspruch auf Ausschließlichkeit. Es gibt keine (weiteren) Beziehungen oder Verortungen des Subjekts, die nicht von diesem aufgespannten Zelt der Dimensionen überdeckt werden. Ebenso verfolgen sowohl Rosa als auch Archer mit der Ausdifferenzierung ein gemeinsames Ziel: Eine realistische Anthropologie, die Subjekte nicht allein als soziale, gemeinschaftliche Wesen entwirft. Nach Archer ermöglicht es diese multiple Verortung, dass das Individuum überhaupt einen Einfluss auf die Formung des eigenen Selbst nehmen kann. In der Subjektkonzeption Archers nehmen individuelle concerns 10 der Subjekte eine bedeutende Rolle ein. Die grundlegenden concerns resultieren aus der fortwährenden Bezogenheit des Individuums auf die drei Bereiche von Welt. Sie stellen ihrerseits die Basis von Handlungsfähigkeit – im Sinne der angesprochenen PEPs – dar. »Thus, our physical well-being depends upon establishing successful practices in the natural world; our performative competence relies upon acquiring skilful practices in relation to material artefacts; and our self-worth hinges upon developing rewarding practices in society.« (Archer 2007: 8)
Konstitutiv für eine subjektiv verstandene Individualität sind folglich das Streben nach performativen Geschick und körperlichen Wohlergehen sowie der Erhalt des eigenen Selbstwertes. Die Befriedigung der grundlegenden concerns kann unterschiedliche Handlungsentwürfe und Praxen erfordern, die vom Individuum diskutiert und gewichtet werden müssen. Innerhalb dieser Abwägungs- und Tarierungsprozesse müssen jedoch stets alle Bereiche der Welt respektive die aus diesem Bezug resultierenden concerns Berücksichtigung erfahren. Erlangen bei Rosa Emotionen eine zentrale Funktion als Indikator für die genuine Resonanzfähigkeit des Individuums11, so dienen sie bei Archer als 10 | Concern kann in der englischen Verwendung ein Interesse oder Anliegen, ebenso aber auch ein Bedürfnis oder eine Sorge beschreiben. Die Begriffsverwendung im Englischen lässt sich damit nicht eindeutig ins Deutsche übertragen, da sowohl bewusst artikulierte Ziele und Bedürfnisse als auch unbewusste Regungen gemeint sind. Im Folgenden wird deshalb der Begriff concern unübersetzt beibehalten. 11 | »Wenn wir uns eine Welt (oder auch einen Menschen) ohne Lachen oder Weinen vorstellen, gewinnen wir eine ziemlich gute Vorstellung von einer – technisch, sozial, intellektuell sicher möglichen – Welt (oder einem Leben) in resonanzfreien Weltverhältnissen.« (Rosa 2016: 136f.) Sehr anschaulich wird die Bedeutung von Emotionen ebenfalls in den Ausführungen zu Musik und deren Wirkung. Siehe dazu auch ebd.: 163f.
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›Entscheidungshilfe‹ beim Abwegen der einzelnen concerns. Emotionen verstanden als »commentaries upon our concerns« (Archer 2000: 195) ermöglichen so eine – nicht nur rationale – Gewichtung und Beurteilung verschiedener Handlungsalternativen. Sie geben dem Akteur Auskunft darüber, wie ein entworfener Handlungsplan sich ›anfühlen‹ könnte. Auf bauend auf dieser Basis konzipiert Archer die Subjektbildung als Entwicklungsprozess, der die gängige, auch von Rosa kritisierte Natur-Kultur-Dichotomie unterläuft. Zunächst verfügt der Akteur über einen subjektiven Selbstsinn, der sich klar von einem sprachlich-grammatikalischen Konzept des Selbst abgrenzt. Der subjektive Selbstsinn wird als vorpersonales Bewusstsein des eigenen Selbst verstanden und rührt aus der Abgrenzung des eigenen Körpers von der ihn umgebenden (Um-)Welt her (vgl. ebd.: 130).12 Der subjektive Selbstsinn ist wiederrum die Basis für den Akteur sich als in die Welt gestellt zu erfahren. Archer buchstabiert die Verortung des Akteurs und die damit einhergehenden Einschränkungen und Ermöglichungen systematisch aus. Der Akteur erwirbt seine soziale Identität im Durchlaufen verschiedener Entwicklungsinstanzen: primary agents, corporate agents und actor. Primary agents bezeichnet die soziale Positionierung des Akteurs im Moment des Zur-Welt-Kommens, die Archer mit den Adverbien »involuntarily, unconsciously, but inexorably« (Archer 2000: 135) fasst. Diese Positionierung setzt dem Akteur bereits Grenzen und schreibt ihm spezifische Merkmale zu (z.B. Muttersprache). In diesem Stadium bildet sich das qua Menschsein vorhandene Potential zur Reflexion zur konkreten, nutzbaren Fähigkeit aus (vgl. ebd.: 263). Als Kollektivakteur (corporate agents) beginnt das Individuum sich als zugehörig zu Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen zu begreifen, indem es ein Wir-Gefühl entwickelt und lernt, kollektive Interessen zu formulieren und aktiv zu verteidigen. Rosa macht einen ähnlichen Punkt stark, wenn er auf die Arbeiten von Michael Tomasello verweist (vgl. Rosa 2016: 372), welcher eine 12 | »The human body is unique, because of its dual role as the sources of perception which is also able to sense itself. It is particularly in touching oneself, where there is only one sensation unlike touching a table when toucher and touched are distinct, that the self-consciousness which constitutes me as subject, rather than object, arises. Touched objects are thus established as not being part of myself, whereas in touching my own body I have a sensory experience which demarcates me from the rest of the world.« (Archer 2000: 130) Archer gründet ihre Überlegungen an dieser Stelle auf die theoretischen Ansätzen Maurice Merleau-Pontys, auf welche auch Rosa mehrfach verweist (vgl. bspw. Rosa 2016: 85). Bezeichnenderweise findet sich bei allen dreien eine sehr dichte Beschreibung eines ursprünglich nicht-kognitiven, auf unmittelbare somatische Erfahrungen beruhenden Weltbezugs. Interpretative und reflexive Fähigkeiten sind dann, obwohl bereits dispositional angelegt, ein zeitlich nachgeordnetes Entwicklungsprodukt.
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shared intentionality und eine sich durch Perspektivübernahme einstellende we-ness als Grundstein menschlich kooperativer Interaktion ansieht (vgl. Tomasello 2009). Aufgrund der Verortung in einer konkreten, historischen Gesellschaft verfügt der actor über ein Set an Rollen, welche für ihn potenziell besetzbar sind. Rollen sind, in Abgrenzung zu Goffmans Rollenbegriff, als elastisch zu verstehen, weil sie zwingend einer individuellen Personifizierung innerhalb eines strukturell vorgegebenen Rahmens bedürfen (vgl. Waldenburger 2014: 287). Der actor wählt die Rollen selbst, die er übernehmen möchte und verwandelt sich – um mit Rosas Begrifflichkeiten zu sprechen – im Prozess der Rollenausübung die Welt an. Aus den drei bis hierhin besprochenen Elementen bildet sich, so Archer, die soziale Identität des Individuums, welche gemeinsam mit der personalen Identität das Selbst als handlungsfähiges Subjekt konstituiert. Hier lässt sich das von Rosa verwendete Konzept der Kognitiven Landkarten als Vergleichsfolie heranziehen. Solche Landkarten zeigen dem Subjekt »was es gibt in der Welt und wie die Welt beschaffen ist« (Rosa 2016: 216). Mit anderen Worten: Die kognitiven Landkarten zeigen dem Subjekt genau die strukturellen Einschränkungen und Ermöglichungen auf, die es qua seiner immerwährenden Welt-Verortung erfährt. Strukturelle Einflüsse konditionieren, determinieren jedoch nicht. Rosa komplettiert seine Konzeption der Landkarten mit der Ergänzung, dass diese Landkarten »aber auch [aufzeigen]: worauf es dabei (für die Subjekte) jeweils ankommt, welche Haltung die jeweils richtige ist« (ebd.: 216, Anm. d.V.). Die subjektiv wertende Dimension ergibt sich bei Archer aus dem Zusammenwirken der sozialen und personalen Identität im Rahmen der inneren Konversation. Die innere Konversation ist einerseits eine Analyse des sozialen Selbst über die Potenziale und Verpflichtungen, die mit der sozialen Verortung und der Besetzung von Rollen einhergehen. Anderseits setzt das Subjekt in diesem Gespräch das eigene soziale Selbst mit den concerns aus den Bereichen des Natürlichen und des Gegenständlichen ins Verhältnis. Hierbei müssen, wie bereits weiter oben erläutert, alle grundlegenden concerns Berücksichtigung finden. Die Kernkompetenz der inneren Konversation ist die Fähigkeit zur Reflexivität. Mit dieser Fähigkeit wägt das Subjekt die Anliegen und dazugehörigen Emotionen gegeneinander ab, handelt Interessen aus und fasst abschließend eine prospektive Handlungsweise ins Auge. Dieser innere Prozess wird von Archer als Dialog konzipiert, indem das Selbst mit seinem zukünftigen Selbst diskutiert (vgl. Archer 2003: 57-78). Das (immer nur vorläufige) Ergebnis der inneren Konversation bezeichnet Archer als ultimate concerns, das heißt, jenes worauf es für das Subjekt letztlich ankommt. Die ultimate concerns müssen subjektiv lebenswert und in ihrer Ausführung objektiv funktionstüchtig sein (vgl. ebd.: 14). Sie setzen demnach nicht nur jenes, wonach das Subjekt
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strebt, sondern legen auch einen Pfad fest, wie es dazu kommt und wie sich alle anderen Anliegen in Relation zu diesen ultimate concerns verhalten. Die Resonanz- bzw. die Entfremdungskategorie Rosas sind subjektiv gewendet an dieser Stelle unter Umständen in zweifacher, analytischer Weise anschlussfähig. Zum einen könnte man Resonanz als einen spezifischen ultimate concern des Subjekts verstehen. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Bejahung von resonanten oder zumindest als resonant wahrgenommenen Weltbeziehungen in einer heterogenen Welt nur ein möglicher Modus von vielen ist. Vor allem ein analytisch gleichwertiger Modus unter vielen. Man müsste dann zur Beurteilung ein externes, normatives Kriterium anlegen, um zu zeigen, warum dieser Modus a priori besser ist als andere. Zum anderen wäre es möglich, Resonanz als ein subjektives Passungsverhältnis zwischen der Formulierung der ultimate concerns und deren Umsetzung zu recodieren. Die Welt würde dann als antwortend erscheinen, je nachdem wie ›erfolgreich‹ die Verwirklichung der eigenen ultimate concerns – der modus vivendi – ist (vgl. Archer 2000: 221).13 Auch in letzterer Variante bleibt allerdings ohne zusätzliches Kriterium offen, welche Art der Lebensführung – als modus vivendi – und Weltanverwandlung normativ erstrebenswert ist. Im Gegensatz zu Rosas Ausführungen (vgl. Rosa 2016: 27-34 – Geschichte von Adrian und Dorian) ließe sich hier nämlich nicht so einfach eine instrumentelle Weltbeziehung als zwangsläufig nicht-responsiv respektive entfremdet kennzeichnen. Aus unserer Sicht spricht in der Summe einiges dafür, eine gewisse konzeptionelle Nähe zwischen der Subjektkonzeption Archers und Rosas Ausführungen zu konstatieren. Allerdings betrifft diese Nähe gerade nicht die für Rosa so zentralen, normativen Aspekte des Entfremdungs- wie Resonanzbegriffes.
4. F a zit Wir haben im Rahmen des Beitrages versucht, die sozialtheoretische Kompatibilität von Rosas Soziologie der Weltbeziehung mit den entsprechenden Standpunkten des CR abzuklopfen. Dabei lässt sich zunächst festhalten, dass beide Perspektiven von einer Auseinandersetzung mit Konzepten des jeweils anderen Ansatzes profitieren können. Für den CR scheinen beispielsweise eine weiterführende Betrachtung des Konzepts der Weltbeziehung und die Ausbuchstabierung der Weltverortung des Subjektes äußerst fruchtbare Unter-
13 | Analog dazu beschreibt Entfremdung dann das Scheitern der Umsetzung der ultimate concerns. Auch Archer hat sich mit dem Scheitern der Umsetzung beschäftigt und ihn in Anschluss an Sennet als driften gelabelt (vgl. Archer 2000: 246-249).
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fangen darzustellen.14 Die Soziologie der Weltbeziehung würde aus unserer Sicht ihrerseits vor allem durch eine begrifflich schärfer gefasste Sozialtheorie gewinnen. Deutlich ambivalent fällt das Fazit hinsichtlich der bei Rosa zentralen Resonanz- bzw. Entfremdungsbegriffe aus. Zum einen erscheint ihre Konzeption selbst in Rosas Theorieentwurf nicht abschließend konsistent – was auch an der relativ offen gehaltenen sozialtheoretischen Einbettung liegt – und zum anderen ist zumindest diskutabel, ob sie auf den hier diskutierten Ebenen einen analytischen Mehrwert besitzen. Einzig und allein eine größere, theoretische Reformulierung – beispielsweise die im Beitrag vorgeschlagene subjektive Wendung – könnte aus der Sicht des CR eine produktive Integration gewährleisten.
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Von resonanten Subjekten und responsiven Strukturen
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Resonante Leiber, stumme Körper? Hartmut Rosas Resonanztheorie aus Sicht der verkörperten Soziologie Robert Gugutzer
Hartmut Rosas Buch Resonanz. Soziologie der Weltbeziehung (Rosa 2016) ist aus verschiedenen Gründen außergewöhnlich. Einer dieser Gründe ist, dass es eine auf der Leiblichkeit und Körperlichkeit menschlicher Akteure basierende Gesellschaftstheorie präsentiert. Die fundamentale Rolle von Leib und Körper zeigt sich daran, dass sie als »Grundelemente menschlicher Weltbeziehungen« den Ausgangspunkt der zu entwickelnden Soziologie der Weltbeziehungen markieren (und zudem einen fortlaufenden Referenzpunkt). So beginnt Teil I des Buchs mit Reflexionen über die Füße, auf die Menschen wortwörtlich in die Welt gestellt sind (ebd.: 81), und über die Haut, einschließlich der Gänsehaut (ebd.: 89); es folgen Abhandlungen über das Atmen und das Verdauungssystem, inklusive Verstopfung und Durchfall (ebd.: 105), über den Blick, die Stimme, das Gehen, Stehen und Werfen (ebd.: 124ff.), über Schlafstörungen (ebd.: 130), Lachen und Weinen oder den »Liebesakt« (ebd.: 137). Versteht man außerdem Angst und Begehren als leibliche – und nicht, wie Rosa (ebd.: 187ff.), als emotionale – Phänomene, dann sind es mehr als 100 Textseiten, auf denen gleich zu Anfang des Buchs deutlich gemacht wird, dass das Sinnlich-Spürbare und ›Fleischlich-Materielle‹ grundlegend ist für das menschliche Selbstund Weltverhältnis. Mehr noch, Leib und Körper sind entscheidende Elemente einer gelungenen, was heißt: resonanten menschlichen Weltbeziehung. Angesichts dieser konzeptionellen Anlage kann Rosas »Beitrag zu einer Soziologie des guten Lebens« (ebd.: 14) gleichermaßen als Beitrag zu einer verkörperten, leib- und körperbasierten Soziologie verstanden werden. Diesem vor allem im Kontext der Körpersoziologie seit einigen Jahren verfolgten Projekt geht es ebenfalls darum, ausgehend von und zurückkehrend auf die leiblich-körperliche Verfasstheit sozialer Akteure gesellschaftliche Prozesse und Strukturen zu analysieren (vgl. als Überblick Alkemeyer 2015; Gugutzer 2012a, 2015).
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Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Rosas Resonanztheorie und der verkörperten Soziologie besteht darin, dass ihre zentralen Begriffe Resonanz und Verkörperung sehr stark, wenn auch nicht ausschließlich, phänomenologisch fundiert sind. Zentraler Referenzautor für die Verkörperungssoziologie ist Maurice Merleau-Ponty, vor allem dessen Wahrnehmungsphänomenologie (Merleau-Ponty 1966). Rosa hingegen nutzt für seinen Resonanzbegriff primär die Leibphänomenologie von Bernhard Waldenfels (2000, 2007), daneben auch die phänomenologische Anthropologie von Thomas Fuchs (2000). Allen voran Waldenfels’ Entwurf des Menschen als »homo respondens« (Waldenfels 2015: 15ff.) und die damit verbundenen Konzepte des »Antwortens« bzw. der »Responsivität« sind für Rosas Resonanzverständnis sehr wichtig – sie sind mehr oder weniger Synonyme für Resonanz (vgl. Rosa 2016: 67f., 246). So bezeichnet Rosa Resonanz als ein »wechselseitiges Antwortverhältnis, bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich zu berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen.« (ebd., Herv. i.O.) Resonanz ist eine Beziehung zwischen Subjekt und Welt, die durch gegenseitige Antworten charakterisiert ist, wenn bzw. weil sich beide etwas »zu sagen« (ebd.: 305) haben. Resonanz ist eine Relation, die Subjekt und Welt wechselseitig tangiert, oder wie Rosa sagt, in der Subjekt und Welt einander berühren. Das Verb berühren darf hierbei wörtlich, nämlich in einem leiblichen Sinne verstanden werden: Resonanzverhältnisse gehen menschlichen Subjekten spürbar nahe. Weil Resonanzbeziehungen wesentlich leibliche Beziehungen sind, ist Leiblichkeit ein wichtiges empirisches Kriterium für gelingendes Leben (vgl. ebd.: 71f.). Wer sich und die Welt nicht spürt, lebt umgekehrt in »entfremdeten« oder »stummen« Weltverhältnissen. Für Rosas kritische Gesellschaftstheorie folgt daraus, dass der Kategorie Leiblichkeit eine zentrale Rolle zukommt. Denn mit seiner »Kritik spätmoderner Resonanzverhältnisse« (ebd.: 57) will Rosa zugleich Wege aufzeigen, wie der Vorherrschaft stummer Weltbeziehungen zu entkommen ist und alternative, eben leiblichresonante Weltbeziehungen aufgebaut, stabilisiert und gelebt werden können (vgl. ebd.: 739, 749). Aus Sicht der verkörperten Soziologie ist Rosas Resonanztheorie ein Gewinn, weil sie einen leibnahen Grundbegriff hat und leiblich-körperliche Phänomene in den Mittelpunkt der Gesellschaftsanalyse rückt. Wenn im Weiteren gleichwohl eine kritische Diskussion dieses Ansatzes und insbesondere des Resonanzbegriffs erfolgt, dann in konstruktiver Absicht: Vorhandene Ungenauigkeiten im Zusammenhang mit Leib, Körper und Resonanz sollen benannt und Korrekturvorschläge angebracht werden, um so das Potenzial des Resonanzbegriffs für die verkörperte Soziologie auszuloten. Hierfür stütze ich mich primär auf die Neue Phänomenologie von Hermann Schmitz (vgl. Schmitz 2003, 2009). Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht daher eine leibphänomenologische Revision von Rosas Resonanzbegriff (1.-3.). Dem
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folgen kritische Anmerkungen zu Rosas körpersoziologischer Zeitdiagnose (4.) sowie ein zusammenfassendes Fazit (5.).
1. K örper , L eib und der cartesianische D ualismus Angesichts der grundlegenden Bedeutung, die Körper und Leib für Rosas Soziologie der Weltbeziehung haben, ist zu fragen, in welchem Sinne die beiden Begriffe hier verwendet werden. Rosa merkt dazu an, dass er »darauf verzichtet habe, zwischen Leib und Körper eine systematische Trennlinie zu ziehen« (Rosa 2016: 144). Der Grund dafür sei, dass selbst in den dafür zuständigen wissenschaftlichen Disziplinen kein Konsens über deren Definition herrsche. Diese Einschätzung ist sicherlich zutreffend,1 zugleich ist Rosas daraus gezogene Konsequenz, in der eigenen Theorie auf eine klare begriffliche Abgrenzung zwischen Leib und Körper zu verzichten, keineswegs zwingend und auch nicht überzeugend. Letzteres allein deshalb, weil Rosa sich stark auf Waldenfels’ Phänomenologie stützt, und Waldenfels einer der entschiedensten Verfechter einer scharfen begrifflichen Trennung von Leib und Körper ist. So heißt es bei Waldenfels unzweideutig: »Die Ausdrücke ›Leib‹ und ›Körper‹ bilden ein sprachliches Kapital, das man nicht einfach verschleudern sollte, indem man vom ›Körper‹ spricht, wenn man den ›Leib‹ meint.« (Waldenfels 2000: 15; sinngleich Schmitz 2011: 5) Rosa verschleudert in weiten Teilen dieses »sprachliche Kapital«,2 da er Leib und Körper überwiegend synonym verwendet und damit die mit diesen Begriffen beschreibbaren phänomenalen Unterschiede übergeht. Diese Unterschiede werden deutlich, wenn man etwa mit Schmitz unter Leib das versteht, was man an sich selbst wahrnimmt, was einem merklich, das heißt spürbar widerfährt, Leib also in dem pathischen Sinne des affektiven Betroffenseins, unter Körper hingegen den äußerlich wahrnehmbaren, instrumentell einsetzbaren Körper wie auch den Körper im naturwissenschaftlichen Sinne (vgl. Schmitz 2011). Diese einfache begriffliche Differenzierung hilft zu erkennen, dass zum Beispiel die Füße, auf die der Mensch in die Welt gestellt ist, kein Beispiel für den Leib (Rosa 2016: 83) sind, sondern für den Körper; sie hilft zu sehen, dass Ernährung keine Form »leiblichen Prozessierens« (ebd.: 109), sondern ein körperlicher Prozess ist, wie auch nicht Körper auf die »Schwingungsimpulse« 1 | Zur Vielfalt philosophischer Leib-Begriffe vgl. bspw. Alloa et al. (2012), zur Pluralität soziologischer Körper-Verständnisse vgl. etwa Gugutzer (2015). 2 | Überdies tut Rosa Waldenfels Unrecht, wenn er mit Verweis auf diesen davon spricht, dass der »Körper als ›Medium‹ oder ›Vermittler‹ zwischen dem (reflexiven) Selbst und der Welt« erscheine (Rosa 2016: 145). Waldenfels würde hier sicherlich vom Leib als Medium zwischen Selbst und Welt sprechen.
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anderer Körper reagieren (ebd.: 283), sondern Leiber (Schwingungen nimmt man spürbar wahr). Eine systematische Verwendung der Begriffe Leib und Körper machte deutlich, dass die Rede vom Körper als Vermittler »zwischen Leib und psychisch konstituierter Person« (ebd.: 132) unangemessen und es verwirrend ist, einmal den Körper als Medium zwischen Selbst und Welt zu bezeichnen, dann aber zu sagen, subjektive Welterfahrung und Weltaneignung seien »leiblich vermittelt« (ebd.: 146). Die gleiche Ungenauigkeit liegt vor, wenn es mehr oder weniger im selben Atemzug heißt, es finde ein »Dialog zwischen Leib und Geist« sowie eine »Antwortbeziehung zwischen Geist und Körper« (ebd.: 421) statt. Was nun: Körper oder Leib? Dieser Frage und dem damit verbundenen Plädoyer, konsequent zwischen leiblichen und körperlichen Phänomenen zu differenzieren, könnte man aus soziologischer Perspektive entgegenhalten, dass die Phänomenolog_innen gern auf dieser begrifflichen Trennung herumreiten dürfen, doch soziologisch ist das einfach nicht (so) wichtig. Selbst wenn dem so wäre – was aus Sicht der verkörperten Soziologie, die Verkörperung als Dualität von Leib und Körper begreift (vgl. Gugutzer 2012a: 42ff.), zu bestreiten ist –, bliebe als Kritikpunkt immer noch der selbst formulierte Anspruch der Theorie. Im Fall von Rosas Resonanztheorie heißt das: Wenn sich die Soziologie der Weltbeziehung gegen den cartesianischen Dualismus stellt (Rosa 2016: 145), dann muss sie sich an diesem Anspruch messen lassen. Wenn der Körper-Geist- bzw. Leib-Seele-Dualismus überwunden werden soll, dann muss nicht nur deutlich werden, wie das gelingen kann, sondern ebenso, dass sich die Theorie selbst daran hält. Rosas Resonanztheorie aber reproduziert in weiten Teilen den cartesianischen Dualismus. So sagt Rosa zwar, dass das Subjekt (oder das Selbst, die Person, das Bewusstsein – bei Rosa erstaunlicherweise alles mehr oder weniger Synonyme) immer als leiblich (oder körperlich, verleiblicht, verkörpert – ebenfalls Synonyme) zu verstehen ist, oder dass ein »nichtleiblicher Weltbezug […] nicht denkbar [ist], weil auch die ›rein geistige‹ oder reflexive Intentionalität letztlich nur als verkörperte Intentionalität denkbar ist.« (ebd.: 146) Doch noch auf derselben Seite ist die Rede davon, dass die »Weltbeziehung als solche unaufhebbar kognitive, evaluative und reflexive Momente enthält, die per se gerade nicht leiblicher Natur sind.« (ebd., Herv. i.O.) Sätze wie dieser implizieren eine radikale Trennung zwischen Kognition, Evaluation und Reflexion einerseits, Leiblichkeit andererseits. Rosas Absicht ist es vermutlich, hier lediglich eine analytische und keine empirische Trennung vorzunehmen, da realiter jede Weltbeziehung »verkörpert« ist (ebd.). Nichtsdestotrotz steht hier die Aussage, dass Kognition, Evaluation und Reflexion »per se« leibfreie oder leiblose Phänomene sind, und das ist sachlich unzutreffend. Aus phänomenologischer Perspektive jedenfalls sind Wahrnehmung, Wertungen und Denken per se leibliche Ereignisse. So bezeichnet Schmitz »leibliche Kommunikation« als
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die »Grundform der Wahrnehmung« (Schmitz 2005: 147), und dass Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, Tasten leibliche Phänomene sind, sollte unstrittig sein. Ebenso haben Wertungen ein leibliches Fundament, allen voran »starke Wertungen« (Rosa 2016: 226), derer sich der Einzelne ganz besonders in Momenten »spürbarer Widerständigkeit« (Gugutzer 2012a: 54ff.) gewahr wird – dass Gerechtigkeit ein subjektiv wichtiger Wert ist, merkt man an der Wut, die man verspürt, wenn man Zeuge einer Situation wird, in der jemand ungerecht behandelt wird. Schließlich ist auch Denken leiblich (vgl. Rappe 2012: Kap. 8), was jeder spätestens dann realisiert, wenn das Denken anstrengend wird und man ermüdet oder Kopfweh bekommt. Die Reproduktion des cartesianischen Dualismus in Rosas Resonanztheorie lässt sich also daran festmachen, dass Körper bzw. Leib und Geist bzw. Seele/Psyche fast durchgängig als eigenständige, getrennte Entitäten behandelt werden, die in einem dialogischen Verhältnis zueinander stehen. Von einem verkörperten Selbst/Subjekt – als sprachlicher Ausdruck für die Überwindung des Leib/Körper-Seele/Geist-Dualismus’ – ist nur programmatisch die Rede, kaum jedoch in den konkreten Ausführungen. Hier rächt sich, dass Rosa das sprachliche Kapital, das die deutsche Sprache mit der Unterscheidung von Leib und Körper bietet, nicht konsequent nutzt. Dabei hätte es angesichts Rosas Kenntnissen von Waldenfels Phänomenologie auf der Hand gelegen, in Anlehnung an Waldenfels’ Interpretation der Leibphänomenologie Merleau-Pontys den Leib als jene »dritte Dimension« (Waldenfels 1976: IX), in der »der Gegensatz von Natur und Bewusstsein, Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Körper und Geist aufgehoben ist« (Gugutzer 2002: 76), stark zu machen. Die systematische Verwendung eines Leibbegriffs im Schmitz’schen Sinne wiederum hätte hilfreich sein können, um zu verdeutlichen, dass Leib und Körper zwei Perspektiven auf das menschliche Dasein sind, von denen die Leibperspektive für die Klärung des Resonanzbegriffs besonders nützlich ist.
2. L eibliche R esonanzen vs . » vibrierende D r ähte « Resonanz und insbesondere die »für die Soziologie der Weltbeziehung zentrale Kategorie der Resonanzerfahrung« (Rosa 2016: 290, Herv. i.O.) ist, so meine These, im Kern ein leibliches Phänomen. Das klingt bei Rosa zwar an, etwa wenn er sagt, dass das menschliche Selbst- und Weltverhältnis ein originär leibliches ist: »Die Vorgängigkeit und Unhintergehbarkeit einer Welt, auf die sich Subjektivität immer schon bezogen findet, ist dabei zuerst und zunächst eine leibliche« (ebd.: 66, Herv. i.O.). Und auch die Aussage, dass die »Präsenz
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von Welt […] grundsätzlich eine pathische [ist]« (ebd.: 188, Herv. i.O.),3 verweist auf das leibliche Fundament von Weltbeziehungen, ist Pathos doch ein eminent leibliches Phänomen bzw. Leiblichkeit ein pathisches Ereignis, nämlich das affektive Betroffensein von etwas oder jemanden (vgl. Schmitz 2009: 30ff.; Böhme 2003: 60ff.). Doch die Leiblichkeit von Resonanzerfahrungen gerät bei Rosa immer wieder aus dem Blick bzw. wird verschleiert, weil er für seine Theorie eine enorm metaphernreiche Sprache verwendet. So ist bereits der titelgebende Begriff seiner Soziologie der Weltbeziehung, Resonanz, eine Metapher. Daran anknüpfend nutzt Rosa nicht nur zahlreiche mit dem Substantiv Resonanz gebildete Nominalkompositiva – »Resonanzoasen«, »Resonanzsphären«, »Resonanzorte«, »Resonanzhafen«, »Resonanzsehnsüchte«, »Resonanzkanäle«, »Resonanzblockaden« etc. –, sondern viele weitere Ausdrücke, die in dieses Metaphernfeld fallen; die »Stimmgabel« (ebd.: 211) und der »vibrierende Draht« (ebd.: 279) zählen dabei zu den wichtigsten Metaphern. Rosas Metaphern-Feuerwerk kulminiert schließlich in seiner Umschreibung des dialektischen Verhältnisses von Resonanz und Entfremdung: »An der Wurzel der Resonanzerfahrung liegt der Schrei des Nichtversöhnten und der Schmerz des Entfremdeten. Sie hat ihre Mitte nicht im Leugnen oder Verdrängen des Widerstehenden, sondern in der momenthaften, nur erahnten Gewissheit eines aufhebenden ›Dennoch‹. […].« (ebd.: 322, Herv. i.O.)
Für die Formulierung einer Theorie auf Metaphern zurückzugreifen, ist selbstredend legitim. Die Theorie gewinnt dadurch an Lebendigkeit und entwickelt eine suggestive Kraft. Theorien allerdings brauchen klar definierte Begriffe. Das weiß natürlich auch Rosa, und so benennt er im »zentralen Kapitel V« (ebd.: 72) als Ziel seiner Arbeit, »Resonanz als einen sozialphilosophischen Grundbegriff und eine sozialwissenschaftliche Analysekategorie zu etablieren.« (Ebd.: 281) Die Quintessenz dieser Begriffsarbeit besteht dann darin, Resonanz als »strikt relationalen Begriff« zu bestimmen: »Resonanz beschreibt eine Beziehung zwischen zwei (oder mehreren) Objekten oder Körpern, die den aus der Physik gewonnenen Relationseigenschaften entspricht.« (Ebd.: 285) In Anlehnung an das physikalische Resonanzverständnis sei für den sozialwissenschaftlichen Resonanzbegriff kennzeichnend, dass »durch die Schwingung des einen Körpers die Eigenfrequenz des anderen angeregt wird«, wie zum Beispiel bei zwei »Stimmgabeln«; zentral ist dabei, dass »die beiden Körper eines Resonanzverhältnisses mit jeweils ›eigener‹ Stimme sprechen« (ebd.: 282, Herv. i.O.).
3 | Ganz ähnlich bzw. soziologisch sogar radikaler spricht Waldenfels von der »Geburt des Sozialen aus dem Pathos« (Waldenfels 2015: 76).
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Sieht man von dem Begriffsmerkmal Relationalität ab (und der Bestimmung von Entfremdung als Komplementärbegriff zu Resonanz), wird hier eine Definition und darauf auf bauend eine Theorie von Resonanz präsentiert, die entgegen Rosas Ankündigung nahezu ausschließlich metaphernbasiert ist. Problematisch daran ist, dass Metaphern keine präzisen Begriffe sind und ihr analytischer Wert daher gering ist. Metaphern regen die Phantasie an (bzw. setzen diese voraus), doch wörtlich nehmen darf man sie nicht. Weil Metaphern unscharf sind, bedrohen sie eher den mit der Theorie erhofften Erkenntnisgewinn als ihn zu fördern. Oder wie Dieter Thomä in seiner kritischen Besprechung von Rosas Resonanz-Buch sagt: »Wer mit Metaphern jongliert, dem rutschen also manchmal die Phänomene durch die Finger, die er erfassen will.« (Thomä 2016) In diesem Sinne ist es bei Rosa die leibliche Dimension von Resonanzphänomenen, die seine Resonanztheorie begrifflich nicht adäquat erfasst. Anders gesagt: Wenngleich Rosa reihenweise leibliche Resonanzphänomene anführt, bleibt die sozialwissenschaftliche Kategorie ›leibliche Resonanz‹ (vgl. dazu auch Eberlein 2011; Landweer 2016) in seiner Resonanztheorie »stumm«.
3. R esonanz als leibliche K ommunik ation Eine Möglichkeit, den Resonanzbegriff leibphänomenologisch zu unterfüttern, bietet Schmitz’ Konzept der leiblichen Kommunikation (vgl. Schmitz 1978: 75-109, 2011: 29-53), dessen Grundlage ein räumlich-dynamischer Leibbegriff ist (vgl. Schmitz 1965, 2011: 7-27). Kurz gesagt, ist damit folgendes gemeint: Der Leib ist eine räumliche Struktur, für deren Beschreibung Schmitz ein Kategoriensystem entwickelt hat, dessen basales Kategorienpaar »Enge« und »Weite« ist. Im Wachzustand befindet sich der Mensch leiblich stets zwischen diesen beiden Polen, wobei zum Beispiel im Erschrecken, in der Angst oder bei Hunger die »Engung« überwiegt, beim Einschlafen, entspannten Dösen oder nach dem Orgasmus die »Weitung«. Solange der Mensch bei Bewusstsein ist, stehen Enge und Weite in einem dynamischen Konkurrenzverhältnis, ohne dass diese sich je ganz voneinander lösten. Vermittelt wird der Dialog von Enge und Weite durch die »leibliche Richtung«, die unumkehrbar aus der Enge in die Weite führt, exemplarisch im Blick oder beim Ausatmen. Dieser innerleibliche Dialog zwischen Enge und Weite kann in einen zwischenleiblichen Dialog übergehen, wenn ein leibliches Wesen (neben Menschen auch Tiere, womöglich sogar Pflanzen) von Etwas oder Jemanden außerhalb seiner selbst affiziert wird. Für leibliche Kommunikation ist es also hinreichend, dass einer der Kommunikationspartner leiblich ist. In dem Fall, dass zwei oder mehrere leibliche Wesen miteinander interagieren, handelt es sich um »wechselseitige Einleibung«. Sie kann zwei Formen annehmen: »antago-
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nistisch«, wenn die Rolle der dominanten leiblichen Enge zwischen den Akteuren hin und her wechselt, etwa im Blickkontakt; »solidarisch«, wenn die leibliche Dominanzrolle der Enge nicht auf einen der Interaktionspartner verteilt ist, beispielsweise beim gemeinsamen Singen oder Rudern. Die wichtigsten Medien leiblicher Kommunikation sind »Bewegungssuggestionen« wie der (sicht- oder hörbare) Rhythmus als eine leiblich besonders nahegehende Bewegungszumutung sowie »synästhetische Charaktere«, das heißt, intermodale Qualitäten wie warm, kalt, weich, hart oder »sanft«, »heiter«, »sonnig«, »düster« (Rosa 2016: 639). Bewegungssuggestionen und synästhetische Charaktere sind sowohl in der wechselseitigen als auch in der »einseitigen Einleibung« wirkmächtig. Diese unterscheidet sich von jener dadurch, dass hier nur ein leiblicher Akteur involviert ist, der von Dingen (Bücher, Filme, Bälle, Briefmarken), »Halbdingen« (Wind, Stimmen, Melodien, Blicke) oder Atmosphären (Wetter, Landschaft, Räume, Gefühle) affiziert wird. Ob wechselseitig oder einseitig, kennzeichnend für leibliche Kommunikation ist, dass das, was man am eigenen Leib spürt, durch etwas oder jemand Anderen bedingt ist (vgl. zusammenfassend Gugutzer 2002: 88-108, 2012a: 42-52 und 58-63). Leibliche Kommunikation ist damit nicht nur die Grundform von Wahrnehmung, sondern gleichermaßen die »Urform von Sozialität« (Gugutzer/Holterman 2017: 271). Versteht man Resonanz in dem hier skizzierten Sinne als leibliche Kommunikation, dann gewinnt man bezüglich Rosas Resonanztheorie zweierlei: Man bekommt zum einen Resonanzphänomene zu Gesicht, die dort im Dunkeln liegen, zum anderen erhalten dort sichtbare Resonanzphänomene eine genauere Kontur. Das Konzept leibliche Kommunikation hat mit anderen Worten eine Entschleierungs- und eine Präzisierungsfunktion, aufgrund derer es dazu beiträgt, den Resonanzbegriff auf ein theoretisch stabile(re)s Fundament zu stellen. Die Entschleierungsfunktion des Konzepts leibliche Kommunikation besteht darin, deutlich zu machen, dass eine Resonanzbeziehung eine leibliche Beziehung ist, wo dies entweder durch Metaphern verschleiert oder der Blick generell verstellt ist, weil der Fokus auf etwas Anderem liegt. Ersteres betrifft all jene (und damit verwandte) Formulierungen, die im vorangegangen Kapitel aufgezählt wurden. Exemplarisch sei noch einmal eine der zentralen Metaphern in Rosas Buch herausgegriffen: Wenn wir »die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen und mit denen wir es zu tun haben […] lieben, entsteht so etwas wie ein vibrierender Draht zwischen uns und der Welt.« (Rosa 2016: 24, Herv. i.O.) Der »vibrierende Draht«, der zwischen einem Subjekt und der Welt entsteht, sofern es die ihm begegnenden Menschen, Dinge etc., also die Welt, liebt, ist konkret erfahrbar als wechselseitige Einleibung in dem Fall, dass die Welt ein anderer
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Mensch oder ein Tier4 ist, und als einseitige Einleibung, falls das Subjekt mit Ideen, Dingen etc. zu tun hat. Die Liebe zu einem Menschen oder einem Tier wie auch das Fasziniertsein von einer Landschaft oder einem Buch geht spürbar nahe. Dass die Leiblichkeit von Resonanzbeziehungen mitunter nicht in den Blick kommt, weil der resonanztheoretische Fokus auf etwas Anderem liegt, zeigt sich etwa an Rosas Auseinandersetzung mit »starken Wertungen«, die er als konstitutiv für Resonanzerfahrungen bezeichnet: Resonanzerfahrungen können nur dann und dort gemacht werden, »wo starke Wertungen involviert sind, denn erst sie (beziehungsweise die dahinter stehenden konstitutiven Güter) konfigurieren Weltausschnitte, die ›mit eigener Stimme sprechen‹, die uns antworten oder an uns appellieren (oder uns widersprechen) können.« (Ebd.: 229, Herv. i.O.)5 Was aber sind starke Wertungen? Beziehungsweise, wie zeigen sich starken Wertungen? Zweifelsohne doch daran, wie oben kurz angedeutet, dass der Weltausschnitt, der an das Subjekt appelliert oder sich als Widerspruch äußert, ihm leiblich nahe geht. Dass einem die Natur, Kunst oder Religion – Rosa zufolge die für die Moderne zentralen Resonanzsphären (ebd.) – wirklich 4 | Es ist durchaus bemerkenswert, dass Tiere in Rosas Resonanztheorie quasi keine Rolle spielen. Bemerkenswert ist das deshalb, weil Haustiere wie Hunde und Katzen als »Korrelate des Erlebens« (Hitzler 2017) gerade in spätmodernen, individualisierenden Gesellschaften für viele Menschen eine eminent wichtige Resonanzquelle darstellen. 5 | Rosas Behauptung, dass Resonanz nur dort möglich sei, »wo starke Wertungen berührt werden« (ebd.: 298), scheint mir selbst eine starke, persönliche Wertung zu sein. Warum Spaß »das Ergebnis der Befriedigung schwacher Wertungen (unserer Begehrungen und Wollungen)« (ebd.: 232) und deshalb keine Resonanzerfahrung sein soll, ist nicht einsichtig. Zu sagen, dass jemand, der mit seinen Freunden aufs Oktoberfest geht und dort eine ›riesen Gaudi‹ hat oder sich allein im Kino einen Film ansieht, bei dem er sich ›totlacht‹, danach ganz aufgedreht, beschwingt, beseelt, vergnügt nach Hause geht und sich noch tagegelang mit Freude an den Abend erinnert, dieser Jemand hätte keine Resonanzerfahrung gehabt, ist nur möglich auf der Grundlage einer wertenden Setzung; sachlich begründen lässt sich dies nicht. Das Argument, bei schwachen Wertungen wie jenen, die Spaß zugrunde liegen, fehle ein »mit eigener Stimme sprechendes Gegenüber« (ebd.) und deshalb könne keine Resonanzbeziehung vorliegen, überzeugt in dieser pauschalen Form nicht. Überdies ist die Frage, ob für starke Wertungen nicht dasselbe gilt: Wie ein Berg, ein Gemälde oder Gott »mit eigener Stimme spricht«, ist mir jedenfalls schleierhaft. Schließlich widerlegt Rosa selbst seine Aussage, Resonanzbeziehungen setzten starke Wertungen voraus, wenn er sagt, dass es ein »basales erstes Resonanzverhältnis zwischen Mutter und Fötus« gebe und die Geburt für den Fötus einen »Resonanzschock« (ebd.: 109) bedeute. Gemäß der präsentierten Resonanzdefinition müsste der Fötus starke Wertungen haben, andernfalls könnte er in keinem Resonanzverhältnis zu seiner Mutter stehen. Soll man das wirklich glauben?
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wichtig ist, äußert sich mit größter Evidenz als »spürbare Gewissheit« (Gugutzer 2012b: 7f.). Dabei ist die Gewissheit über die subjektiv hohe Wertigkeit von Etwas vermutlich im spürbaren Widerspruch noch eindeutiger als in einer zustimmenden Antwort. So realisiert der Einzelne, dass der Katholizismus für ihn von hoher Bedeutsamkeit ist, womöglich eher oder intensiver in den Gewissensbissen ob einer begangenen ›Sünde‹ als durch das Berührtwerden von einem feierlichen Gottesdienst mit Chorgesang und Weihrauch. Die Präzisierungsfunktion des Konzepts leibliche Kommunikation wiederum besteht darin, dass es aufgrund seiner begrifflichen Differenziertheit exakte Beschreibungen von Resonanzverhältnissen ermöglicht, die in Ermangelung einer genauen Begrifflichkeit in Rosas Resonanztheorie unscharf bleiben. Ein Beispiel dafür sind Rosas Ausführungen zum Blick (Rosa 2016: 115-122). Zur Beschreibung des Blicks bedient sich Rosa zweier für das Abendland charakteristischer Metaphern: Seele und Herz. Der Blick bzw. die Augen seien das »Seelenfenster« der Menschen, durch die »die Welt in die Seele hineinfällt« (ebd.: 115; Herv. weggel.); die Seele werde durch einen »Blick (oder auch einen Anblick) berührt« (ebd.: 118); durch den Blick »offenbart« sich »das ›Herz‹ eines Menschen« wie es »durch ebendiesen Blick auch berührt« werde (ebd.: 116). Aus phänomenologischer Sicht sind solche Formulierungen unzutreffend bzw. ungenau: Unzutreffend, weil der Blick kein körperliches Organ wie das Herz berühren kann; hier werden Körper und Leib verwechselt. Ungenau, weil die Seele ein metaphysisches Konstrukt ist, der damit gemeinte Sachverhalt aber leiblich erfahrbar und phänomenologisch beschreibbar ist (vgl. dazu Böhme 1985: 119). Nicht die Seele wird durch einen Blick berührt, sondern der Leib, denn der Blick ist eine »leibliche Regung« (Schmitz 1969: 378) – man spürt den Blick des Anderen am eigenen Leib. Mit Schmitz lässt sich der Blickkontakt genauer als wechselseitige antagonistische Einleibung beschreiben, womit zugleich gesagt ist, dass es sich dabei keineswegs um einen harmonischen Dialog handelt. Beim Blick handelt es sich vielmehr um einen leiblichen Widerstreit (vgl. Gugutzer/Holterman 2017: 270f.) oder »Ringkampf« (Schmitz 1990: 136), einerlei, ob es sich um Flirten oder einen ›strafenden‹ Blick handelt. Im Sich-Anblicken treten die betroffenen Subjekte in eine leibliche Kommunikation, und zwar, wie Rosa zu Recht anmerkt, »unwillkürlich, das heißt ohne Umweg über das Bewusstsein« (Rosa 2016: 120), sondern eben über die beteiligten Leiber.
4. »S tumme « K örper ? Par adoxe K örper! Aus der Sicht einer verkörperten, die Dualität von Leib und Körper in den Mittelpunkt rückenden Soziologie interessiert neben der leiblichen auch die körperliche Dimension von Resonanz. Welchen Stellenwert aber hat der Körper in
Resonante Leiber, stumme Körper?
Rosas Resonanztheorie? Die Antwort darauf ist relativ eindeutig: Im Hinblick auf den Resonanzbegriff spielt der Körper keine Rolle, bezüglich spätmoderner Resonanzverhältnisse hingegen eine umso bedeutendere. Das Bild, das Rosa dabei zeichnet, ist ziemlich düster (vgl. zu dem Folgenden ebd.: 164-179): Die körperlichen Weltbeziehungen in der Gegenwartsgesellschaft seien zuvorderst durch Verdinglichung und Entfremdung charakterisiert. Dies deshalb, weil der Körper in der Spätmoderne primär als »Ressource« und »Gestaltungsobjekt«, immer seltener hingegen als »Werkzeug oder Instrument« genutzt werde, weil er als Ressource fortdauernd dem Imperativ der Leistungssteigerung unterworfen werde, erkennbar an den zahlreichen Praktiken, den Körper von ›innen‹ »gefügig zu machen« und von ›außen‹ »zuzurichten«, während er als resonanter »Klangkörper« kaum mehr wahrgenommen werde. Das Körper-Signum der Spätmoderne sei daher der »stumme Körper«. Grundlage dieser Körpersoziologie der Spätmoderne ist ein theoretisch-begriffliches Modell, bestehend aus den Kategorien Körper, Selbst und Welt (ebd.: 147ff.). Als »stumme« Körper-Selbst-Weltverhältnisse bezeichnet Rosa Situationen, in denen der Körper als »Störquelle« (Hunger, Konditionsmangel), als »gestalteter Ausdruck« (Bodybuilding, Fitnesskult), als »Prozessor (Welt als Information)« (Verarbeitung von Nahrungsmitteln, Aufnahme von Medikamenten) oder als »Instrument der Welt« (Marathon, Anorexie) fungiert.6 Das verdinglichende Verhältnis zum Körper komme dabei ganz besonders in der willentlichen, disziplinierten und kontrollierten Gestaltung des eigenen Körpers sowie in der instrumentellen Handhabung des Körpers zum Ausdruck. »Eine Verbindung zwischen diesen beiden Seiten verdinglichender Körperverhältnisse besteht darin, dass wir […] den Wert unseres Körpers als einsetzbares Kapital, mithin als Ressource, steigern, wenn wir ihn attraktiv und leistungsfähig machen. » (ebd.: 165, Herv. i.O.) Problematisch an diesem Modell ist einerseits die ungenaue begriffliche Differenzierung zwischen Ressource und Instrument, andererseits die daraus folgende zeitdiagnostische Wertung. Zur begrifflichen Differenz zwischen dem Körper als Ressource und Instrument sagt Rosa folgendes: »Setzen wir den Körper als Werkzeug [= Instrument; RG] ein – etwa, um Steine zu transportieren oder Kartoffeln zu ernten –, so sind wir durch ihn hindurch intentional auf die Welt bezogen, der Körper ist dabei Teil unserer intentionalen Beziehung. Sitzen wir dagegen vor dem Computer [= Körper als Ressource; RG], benötigen wir die Sehkraft der Augen und die Konzentrationsfähigkeit des Gehirns als Voraussetzungen unseres intentionalen Handelns, nicht aber als dessen Elemente. Wir sind in diesem Sinne nicht6 | In »resonanten« Körper-Selbst-Weltbeziehungen erweist sich der Körper demgegenüber als »Inspirationsquelle« und unwillentliche »Ausdrucksgestalt«, als »Klangkörper (Welt als Inspiration)« und als »Partizipant an der Welt« (ebd.).
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Rober t Gugut zer intentional auf die Welt bezogen. Diese Differenz wird auch daran deutlich, dass die leibliche Beanspruchung vor dem PC oder an den Bildschirmen immer die gleiche ist – gleichgültig, ob wir im Netz surfen, arbeiten, chatten oder spielen.« (ebd.: 178, Herv. i.O.)
Der instrumentelle Körpergebrauch (Kartoffelernten) wird hier also von der Verwendung des Körpers als Ressource (PC-Arbeit) durch den unterschiedlichen Intentionalitätsgrad abgegrenzt. Dagegen lässt sich dreierlei einwenden: Erstens ist die Beteiligung von Augen und Gehirn an beiden Tätigkeiten dieselbe – in den Worten Rosas die »Voraussetzung« intentionalen Handelns. Zweitens wird hier ein falscher Vergleich gewählt. Das Pendant zum Körpereinsatz beim Kartoffelernten sind die Hände bzw. die Finger. Das Tippen auf der Tastatur und das Bewegen der Maus ist aber nichts Anderes als ein instrumenteller Gebrauch des Körpers. Drittens ist zu bezweifeln, dass die »leibliche Beanspruchung vor dem PC […] immer die gleiche« ist. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass PC-Arbeit eher ermüdet oder langweilt als Chatten oder PCSpiele, die mit viel mehr Freude, Lust, Auf- oder Erregung einhergehen als jene. Die Differenz von Ressource und Instrument als Grundmodi der Körpernutzung erweist sich damit als nicht trennscharf.7 Diese begriffliche Ungenauigkeit hat Folgen für Rosas körpersoziologische Zeitdiagnose, lautet deren zentrales Argument doch, dass es in der Moderne zu einer kontinuierlichen »Verschiebung im Körperverhältnis von der instrumentellen zur ressourcenorientierten Seite« gekommen ist (ebd.: 178). Da die Differenz zwischen Ressource und Instrument jedoch nicht trennscharf ist, wird die Zeitdiagnose schwammig. Beziehungsweise, sie wird einseitig, denn Rosas körpersoziologische Beobachtungen sind keineswegs falsch, sie sind nur nicht die ganze Wahrheit. So gehört zur Körpergeschichte der Moderne zweifelsohne eine zunehmende Disziplinierung, Zivilisierung, Rationalisierung, Beherrschung des Körpers; in der Spätmoderne hat sich diese Entwicklung durch Technologisierung, Medikamentalisierung, Virtualisierung etc. ausgeweitet, vielleicht ›verfeinert‹, auf jeden Fall fortgesetzt. Indem Rosa seinen Fokus auf solche Verdinglichungsprozesse richtet, thematisiert er jedoch allein die »unterirdische« Geschichte des Körpers in der Moderne (Horkheimer/Adorno 1997: 246). Die Folge davon ist, wie man mit Karl-Heinrich Bette sagen kann, dass Rosa »ihr 7 | Aus körpersoziologischer Sicht ist die analytische Differenzierung des Körpers in Ressource, Instrument und Objekt etwas ›grobschlächtig‹. Eine feinere Differenzierung wäre zum Beispiel, den Körper als Objekt von Strukturen, Praktiken und Diskursen, Träger von Zeichen und Zuschreibungen, Thema subsystemischer Kommunikation, Ort von Leiberfahrungen, Medium für routinierte und strategische Handlungen sowie als Subjekt eigensinnigen Handelns zu betrachten (vgl. Gugutzer 2006: 14-20).
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oberirdisches Korrelat […] vernachlässigt, einseitig behandelt oder nur flüchtig zur Kenntnis« (Bette 1989: 16) nimmt. Wirft man einen Blick auf die oberirdische Seite der Moderne, erkennt man, dass der Körper hier nicht nur verdinglicht wurde, sondern zugleich eine historisch wohl einmalige individuelle und gesellschaftliche Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Fürsorge erhalten hat. In diesem Sinne spricht Bette von einer »gleichzeitigen Steigerung von Körperdistanzierung und Körperaufwertung« (ebd.: 18) in der Moderne. Die gegenwärtige Körperthematisierung ist, mit anderen Worten, durch eine »Paradoxie der Gleichzeitigkeit« (ebd.: 40) gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund dieser empirischen Diagnose ist nicht der stumme, sondern der »paradoxe Körper« (Gugutzer 2015: 97) das Signum unserer Zeit. Im paradoxen Körper ist die zeitgenössische Simultaneität von stummem und resonantem Körper auf den Begriff gebracht. Das paradigmatische Beispiel für diese Simultaneität von stummem und resonantem Körper ist der moderne Sport. Rosa setzt sich mit dem Sport bemerkenswert viel auseinander, allerdings betont er zu sehr dessen Entfremdungsaspekte – eine bevorzugte Zielscheibe hierfür ist der freizeitsportliche Marathon (z.B. Rosa 2016: 177, 225) – und übergeht dessen Resonanzpotenzial. Mehr noch, übersieht Rosa, dass der Sport aufgrund seines Konkurrenz- und Wettkampfprinzips ein ausgezeichnetes Beispiel für die positive Dialektik von Resonanz und Entfremdung ist. Nach Rosa sind Konkurrenz und Wettbewerb Entfremdungsphänomene, Resonanz und Konkurrenz daher »zwei inkompatible Welthaltungen« (ebd.: 695). Dementsprechend basierten die Resonanzerfahrungen in sportlichen Wettkämpfen nicht auf dem Konkurrenzverhältnis der Athleten, sondern darauf, dass diese in einen »gemeinsamen Resonanzraum« eingespannt sind. »Konkurrenz ist dann gleichsam nur das Mittel zur Erzeugung des Resonanzraumes, dieser aber befindet sich außerhalb der Sphäre der Konkurrenz.« (Ebd.: 696) Diese Interpretation des Sports hat mit dessen empirischer Realität wenig zu tun. Wer je Wettkampfsport betrieben hat, weiß, dass das Resonanzerleben im Sport ausschließlich konkurrenzbasiert ist. Wenn es den Anderen nicht gäbe (der kein real vorhandenes Gegenüber sein muss und auch meine eigene Leistung von gestern sein kann), den ich besiegen oder an dem ich mich zumindest messen möchte, wäre Sport nicht nur langweilig (im Sinne Rosas: bliebe er »stumm«), es wäre mithin gar kein Sport. Denn Sport ist konstitutiv eine kompetitive Angelegenheit und damit ein Beispiel für die Dialektik von Resonanz und Konkurrenz.
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5. F a zit Der vorliegende Beitrag hatte das Ziel, Hartmut Rosas Resonanztheorie aus leibphänomenologischer und körpersoziologischer Sicht zu diskutieren und herauszuarbeiten, inwiefern der Resonanzbegriff als Grundbegriff einer verkörperten Soziologie geeignet ist. Mit Blick auf dessen leibliche Dimension konnte gezeigt werden, dass Resonanz ein Begriff von hohem analytischem Wert ist, er gleichwohl einer weiteren leibphänomenologischen Fundierung bedarf. Hierfür bietet es sich an, Resonanz im Schmitz’schen Sinne als leibliche Kommunikation zu konzipieren. Das hat den Vorteil, Resonanz als begrifflich differenziert ausgearbeitete sozialwissenschaftliche Kategorie zur Verfügung zu haben anstatt als begrifflich unscharfe Metapher. Hinsichtlich der körperlichen Dimension von Resonanz wiederum wurde deutlich, dass der Körper bei Rosa primär Gegenstand von Verdinglichungspraktiken ist und als »stummes« Objekt beschrieben wird, kaum jedoch in seinen resonanten Qualitäten. Ein theoretischer Ansatzpunkt für Letztere wäre, die nur bedingt überzeugenden analytischen Körperdimensionen (Ressource, Instrument, Objekt) durch weitere Dimensionen zu ergänzen bzw. zu ersetzen (Medium, Träger, Ort, Subjekt, Agens). In dem Sinne wäre dann auch Rosas einseitige körpersoziologische Zeitdiagnose zu korrigieren und die paradoxe Gleichzeitigkeit von entfremdeten und resonanten körperlichen Selbst- und Weltbeziehungen auszuarbeiten. Für die verkörperte Soziologie ist der Resonanzbegriff ungeachtet der hier formulierten Kritikpunkte eine wichtige Ergänzung. Weder in der gegenwärtigen Körpersoziologie (vgl. Gugutzer/Klein/Meuser 2017) noch in der embodied oder carnal sociology (vgl. Crossley 2006; Shilling 2007; Wacquant 2015) spielt der Resonanzbegriff eine nennenswerte Rolle. Das könnte sich in Zukunft ändern, da die große Stärke des Resonanzbegriffs nicht nur in seiner basalen leiblich-körperlichen Dimension liegt, sondern ebenso darin, die Trennung von Subjektivismus und Objektivismus zu überwinden. Der verkörperten Soziologie nämlich ist es darum zu tun, neben dem Leib-Körper- auch den Subjekt-Objekt-Dualismus zu überwinden. Rosas Resonanzbegriff ist hierfür prädestiniert, weil er, vergleichbar mit Bourdieus Habitusbegriff (vgl. Bourdieu 1987), eine Scharnierfunktion zwischen Subjekt und Objekt bzw. Welt erfüllt. Die verkörperte Soziologie profitiert damit von Rosas Soziologie der Weltbeziehung in der Hinsicht, dass mit ihr der Anschluss an die (nicht notwendigerweise kritische) Gesellschaftstheorie möglich wird, ist die verkörperte Soziologie bis dato doch primär Sozialtheorie.
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Resonanz in der Praxis – eine praxistheoretische Betrachtung Anna Daniel
Obwohl sich die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Praxistheorien sehr vielgestaltig ausbuchstabieren, gründen sie alle in der Einsicht, dass das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis durch ein nicht auflösbares Spannungsverhältnis gekennzeichnet ist (vgl. Hillebrandt 2014: 9; vgl. auch Reckwitz 2003; Schmidt 2012; Alkemeyer/Schürmann/Volbers 2015; Schäfer 2016a). Bereits Pierre Bourdieu hat darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Praxis des wissenschaftlichen Theoretisierens von der Alltagspraxis fundamental unterscheidet (vgl. Bourdieu 1987: 147ff.). Während eine wissenschaftliche Fragestellung die sozialen Prozesse, die es zu analysieren gilt, von der Alltagspraxis isoliert, also aus ihrer spezifischen ökonomischen, sozialen und insbesondere zeitlichen Verhaftetheit löst, um sie erklären zu können, zeichne sich die Alltagspraxis durch eine Form des praktischen Sinns aus: »Das Eigentümliche der Praxis ist gerade, dass sie diese Frage [nach Begründung und Daseinsgrund der Praxis, A.D.] gar nicht zulässt« (Bourdieu, 1987: 165). Dies werde in der Praxis der soziologischen Theoriebildung zu selten reflektiert. Vielmehr wird den sozialen Prozessen seitens der Theorien häufig eine ganz eigene Logik zugesprochen, indem etwa den Handelnden per se ein rationales Vorgehen unterstellt wird oder sie lediglich als Effekte gesamtgesellschaftlicher Prozesse betrachtet werden. Sowohl handlungstheoretische als auch strukturalistische Ansätze sprechen den theoretischen Grundannahmen somit jedoch einen höheren Stellenwert zu als dem, was in der Praxis geschieht. Laut Bourdieu besteht der theoretische Fehler darin, »die theoretische Sicht der Praxis für das praktische Verhältnis zur Praxis auszugeben, genauer noch darin, der Praxis das Modell zugrunde zu legen, das man zu ihrer Erklärung erst konstruieren muss« (Bourdieu 1987: 148; vgl. auch Bourdieu 2001a: 67). Um dieser Problematik zu begegnen, dürfe man nun nicht die falsche Schlussfolgerung ziehen, auf Theorien über das Soziale gänzlich verzichten zu wollen. Allerdings sollte soziologische Theorie in den Augen von Praxistheoretiker_innen den Anspruch haben, dem Gegenstand in seiner eigenen
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Logik und Komplexität gerecht werden zu wollen. Dementsprechend müssen nicht nur Unschärfen und Unklarheiten in Kauf genommen, die theoretischen Hilfsmittel müssen zudem fortlaufend an der Praxis gemessen werden (vgl. Bourdieu 1991: 282f.; Hillebrandt 2014: 7ff.). In diesem Sinne sollte eine praxistheoretische Analyseperspektive nicht auf Theorien zurückgreifen, »die Gegenstände aus dem situativen Kontext ihres Gebrauchs herausnehmen, die mit Idealtypen, Tiefenstrukturen, Wesenheiten und kontrafaktischen Unterstellungen arbeiten, die dezidiert Vorstellungen davon hegen, was Gesellschaftsmitglieder tun können, sollen oder angeblich eigentlich wollen, und […] die Gesellschaftsmitglieder als (Sozial-)Wissenschaftler minderer Qualität behandeln« (Wolff 2008: 251; vgl. auch Schmidt 2016: 245). Vielmehr wollen soziologische Praxistheorien neue Formen der empirischen Wissenschaft praktizieren, »die sich zugunsten der angemessenen Erforschung der Praxis nicht mehr primär um eine abgeschlossene Systematik der Theorie bemüht«, sondern die sich »in Begriffen und Schlussfolgerungen an der Praxis orientiert und dadurch der empirischen Praxisforschung die Richtung weist« (Hillebrandt 2014: 9). Der weitreichende Erklärungsanspruch, den Hartmut Rosa mit seiner Soziologie der Weltbeziehung vertritt sowie die idealtypische Vorgehensweise, die er hierbei u.a. verfolgt, stehen dem Anliegen einer Soziologie der Praxis diametral entgegen. Dennoch weisen insbesondere Rosas sozialtheoretische Überlegungen Gemeinsamkeiten mit einer Soziologie der Praxis auf. Rosas Soziologie der Weltbeziehung – so wird zu zeigen sein – könnte durch einen stärkeren Praxisbezug jedoch in verschiedener Hinsicht durchaus noch gewinnen. Im Folgenden werde ich Rosas Ansatz aus einer praxistheoretischen Perspektive kommentieren, wobei ich zunächst die sozialtheoretische Ebene in den Blick nehme und die zentralen Theoriefiguren der beiden Ansätze – die des SelbstWelt-Verhältnisses und die der Praxis – einander vergleichend gegenüberstelle, um zunächst die hier zu findenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verdeutlichen. In Auseinandersetzung mit dem Theoriekonzept der Resonanz werde ich sodann die unterschiedlichen Vorgehensweisen erläutern und die sich aus Sicht der Praxistheorien ergebenden Schwierigkeiten aufzeigen. Auf dieser Basis befasse ich mich im Weiteren mit Rosas Konzept der Resonanzachsen, der Modernerekonstruktion sowie der Gesellschaftskritik und diskutiere den hier zu findenden Modus der Vergesellschaftung aus praxistheoretischer Perspektive.
Resonanz in der Praxis
S elbst-W elt-V erhältnis und P r a xis Praxistheorien und Rosas Soziologie der Weltbeziehung teilen einen gemeinsamen Anspruch: Beide Theorieansätze vertreten eine relationale Analyseperspektive und wollen insbesondere den Dualismus zwischen methodologischem Subjektivismus und methodologischem Objektivismus bzw. Selbst und Welt hinter sich lassen. Aufgrund ihres spezifischen Analyseblickwinkels, den ich im Folgenden nun erläutern werde, unterscheidet sich jedoch die Art und Weise der relationalen Perspektive sowie die jeweiligen theoriearchitektonischen Bauweisen. Indem Rosa sich im Anschluss an die Phänomenologie insbesondere für das In-die-Welt-Gestelltsein der menschlichen Akteure interessiert, sucht er den Dualismus durch die Radikalisierung der Beziehungsidee zu überwinden und geht davon aus, »dass beide Seiten – Subjekt und Welt – in der und durch die wechselseitige Bezogenheit erst geformt, geprägt, ja mehr noch: konstituiert werden« (Rosa 2016: 62).1 Die zentrale Theoriefigur, in welche bei Rosa der relationale Anspruch eingegossen ist, ist das Selbst-Welt-Verhältnis, wobei der menschliche Körper die Schnittstelle zwischen Selbst und Welt, bzw. Leib und Welt bildet: »[D]er menschliche Organismus [ist] als Leib Teil des Subjekts, als Körper aber auch Gegenstand der Welt […]. Aus dieser Perspektive kann dann der Körper als ›Medium‹ oder ›Vermittler‹ zwischen dem Selbst und der Welt erscheinen« (Rosa 2016: 144f.). Der menschliche Körper ist somit gleichermaßen das Medium der Weltaneignung sowie der Welterfahrung. Durch ihn erfährt das Subjekt die Welt und durch ihn ist es in der Lage auf die Welt Bezug zu nehmen. Da das Subjekt die es umgebende Welt immer nur als eine gesamte wahrnimmt und gerade diese Gesamtheit des begegnenden Weltausschnitts das In-die-Welt-Gestelltsein der menschlichen Subjekte ausmacht, hält Rosa in Anschluss an die Phänomenologie zunächst an dem allgemeinen Begriff der Welt fest, obgleich es im Grunde immer nur Weltausschnitte sind, die den Weltbezug des Einzelnen prägen. Analytisch differenziert Rosa den Begriff der Welt noch weiter aus und unterscheidet zwischen der objektiven Welt der Dinge, der sozialen Welt der Menschen und der subjektiven Innenwelt der Gefühle, Wünsche und Empfindungen (vgl. ebd.: 69).
1 | Anknüpfungspunkte für dieses Vorhaben findet Rosa neben der Phänomenologie bei Charles Taylor und in der Philosophischen Anthropologie, wobei er in Anschluss an Maurice Merleau-Ponty annimmt, dass das Subjekt immer zunächst leiblich auf die Welt bezogen ist. Im Unterschied zur Phänomenologie und philosophischen Anthropologie erhebt er jedoch den Anspruch, in erster Linie nach den sozialen und nicht nach anthropologisch generalisierbaren Bedingungen der menschlichen Weltbeziehung zu fragen (vgl. Rosa 2016: 70).
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Während bei Rosa der menschliche Körper also das entscheidende Vermittlungsorgan zwischen Selbst und Welt bzw. Subjekt und Welt ist und dieser somit den Ausgangspunkt der Analyse bildet, ist es in praxistheoretischen Ansätzen der Praxisbegriff, der auf die relationale Ebene verweist. Der Begriff der Praxis ermöglicht es nicht nur, die gängigen Dichotomien und Hierarchisierungen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung wie etwa die Unterscheidung zwischen Handlung und Struktur, Mikro und Makro, Gesellschaft und Individuum hinter sich zu lassen. Indem der Vollzug der Praxis den Ansatzpunkt der Analyse bildet, wird zudem gewährleistet, dass die multidimensionale Verfasstheit der Praxis Berücksichtigung findet und sowohl die sozialisierten Körper, aber auch die Dinge, Diskurse und Symbole in die Analyse einbezogen werden, da all diese Elemente den Praxisvollzug wesentlich bestimmen. Somit wird das gemeinsame Zusammenwirken der vielfältigen Praxiselemente in den Blick genommen, ohne einem Praxiselement vorab einen gesonderten Status zuzusprechen. Der sozialisierte menschliche Körper ist in dieser Konzeption also nur ein Element unter vielen, welches für den Vollzug der Praxis eine Bedeutung hat. Relationen bilden sich immer erst in der Praxis, also im Zusammenkommen und Zusammenwirken ganz unterschiedlicher Elemente. Gerade die sich in den Praktiken mannigfaltig und sehr dynamisch zwischen den einzelnen Praxiselementen vollziehenden unterschiedlichen Relationen und Zusammenhänge sind es, die die besondere Qualität der Praxis ausmachen. Um der eigenen Qualität der Praxis gerecht zu werden, richten die Praxistheorien ihren Fokus zunächst auf die situativen Bedingungen des Zustandekommens des Praxisvollzugs und fragen danach, wie sich in diesem Zusammenwirken der unterschiedlichen Praxiselemente praktischer Sinn materialisiert. Wie Frank Hillebrandt in Anlehnung an Theodor Schatzki schreibt, können Praktiken somit »nicht nur als Sprechakte (sayings), sondern müssen vielmehr als eine Kombination aus Sprechakten, körperlichen Bewegungen (doings) und einer durch Assoziation zwischen sozialisierten Körpern und materiellen Artefakten ermöglichte Handhabe der Dinge gefasst werden« (Hillebrandt 2014: 11; vgl. auch Schatzki 2002: 73).2 Praktiken sind dabei sowohl kulturell als auch materiell verfasst, sie sind zudem nur als Folgepraktiken vorstellbar, d.h. sie ereignen sich immer in Anschluss an vorausgegangene Praktiken und entstehen somit niemals voraussetzungslos, sondern bilden Verkettungen von Einzelpraktiken, die stets auch übersituativ Wirkung entfalten. Es reicht somit nicht aus, allein den situativen Praxisvollzug in den analytischen Blick zu nehmen, vielmehr müssen die Forschenden den Spuren 2 | Auch praxistheoretische Ansätze nehmen die physische Dimension der Praxis analytisch ernst und greifen hierbei ebenfalls auf Merleau-Pontys Leibphänomenologie zurück, um den cartesianischen Dualismus zwischen Körper und Geist zu überwinden (vgl. Bourdieu 1987: 122ff.; Prinz 2014: 169f.; Hillebrandt 2014: 64).
Resonanz in der Praxis
und Verkettungen durch Raum und Zeit folgen, um Aufschluss über das historische Gewordensein der Praxisformen sowie deren raumzeitliche Verbreitung zu erhalten.3 Der Begriff der Praktiken fungiert somit als Basis jedweder Sozialität und kann dadurch für die Analyse jeglichen Phänomens fruchtbar gemacht werden, sei es das familiale Frühstück oder die Handelsbeziehungen eines weltweit agierenden Unternehmens. Indem Praktiken als das zentrale Element der Konstitution sozialer Phänomene begriffen werden, liegt praxistheoretischen Ansätzen, mit Schatzki gesprochen, eine »flache Ontologie« (Schatzki 2016: 32) zugrunde, da davon ausgegangen wird, dass sich Praktiken nur auf einer einzigen Ebene erstrecken und sich in ihrer Vernetzung lediglich hinsichtlich ihrer Größe bzw. raumzeitlichen Ausbreitung unterscheiden (vgl. ebd.: 38).4 In einer solchen Konzeption kommt der Praxis also nicht, wie bei Rosa dem menschlichen Körper, eine Mittlerrolle zwischen Selbst und Welt zu, vielmehr wird jegliche Sozialität, sei es der einzelne Akteur oder die Gesellschaft erst in und durch die Praxis erzeugt. Während Praxistheoretiker_innen die Unterscheidung zwischen Akteursebene und Gesellschaftsebene auch begrifflich hinter sich lassen, bleibt der Dualismus bei Rosa durch die verwendete Terminologie von Selbst und Welt nicht nur begrifflich weiterhin präsent, vielmehr kommt der Unterscheidung trotz der sich im menschlichen Körper manifestierenden relationalen Bezogenheit von Selbst und Welt für die gesamte Theorieanlage eine konstitutive und – wie sich noch zeigen wird – folgenreiche Rolle zu. Zwar lässt sich in der Unterscheidung von Selbst und Welt durchaus eine Ähnlichkeit zu Bourdieus zentralem Begriffspaar Habitus und Feld ausmachen. Denn Rosas Konzeption des menschlichen Beziehungsmodus weist sehr deutliche Parallelen zu dem von Bourdieu geprägten Habitusbegriff auf, den dieser bekanntlich als durch Sozialisation erworbenes relativ dauerhaftes Dispositionssystem fasst, was sich quasi in den Körper eingeschrieben hat und die Praxis sowohl strukturiert als auch anleitet, und welches für Praxistheorien ein wichtiges Konzept ist, um die menschlichen Körper als ›Produkt der
3 | Allerdings unterscheiden sich die unterschiedlichen Spielarten der Praxistheorie insofern, als sie entweder die relative Stabilität oder die Dynamik der sozialen Praktiken betonen (vgl. Schäfer 2013; 2016: 137ff.). 4 | Hillebrandt unterscheidet in diesem Sinne zwischen Praktiken und relativ stabilen Praxisformen, wie etwa der Unterrichtsstunde, dem Konzert, dem Einkaufen etc., die sich wiederum zu auf Dauer gestellten Praxisformationen – der Schulbildung, der Popmusik, einem kapitalistischen Wirtschaftssystem – verdichten.
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Geschichte‹ aber ebenso als ›Quelle der Praxis‹ ausmachen zu können (vgl. Bourdieu 1987: 97ff.).5 Der entscheidende Unterschied zwischen Rosas Konzeption und einer Soziologie der Praxis ist, dass letztere den Habitus aber auch das Feld konsequent in actu denkt und somit »die Praxis der Ort der Dialektik von opus operandum und modus operandi, von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Praxis, von Strukturen und Habitusformen ist« (Bourdieu 1987: 98, Herv. i.O.). Die Praxis ins Zentrum des Interesses zu stellen, folgt nicht zuletzt der Prämisse, stets empiriegestützt zu arbeiten, um den Fallstricken des scholastischen Theoretisierens zu entgehen. Obgleich in der phänomenologischen Tradition der Praxisgedanke durchaus angelegt ist und das In-der-Welt-Sein im Modus der Praxis gedacht wird (vgl. Merleau-Ponty 2007: 70; Prinz 2014: 183; Bedorf 2015: 144f.), spielt er in Rosas Theoriekonzeption der Weltbeziehung keine systematische Rolle. Zwar ist im Konzept des In-die-Welt-Gestelltseins immer auch eine doppelte aktive Komponente im Sinne der Welterfahrung und Weltaneignung enthalten. Und mit der Konstruktion der Idealtypen und den zahlreichen Beispielen, die Rosa nicht müde wird anzuführen, versucht er gerade auch dem Aspekt der praktischen Ausgestaltung der Beziehungsmodi Rechnung zu tragen.6 Er verzichtet hierbei jedoch sowohl auf eine methodisch abgesicherte Empiriegewinnung als auch lässt er die Akteure nicht selbst sprechen, wie sich dies bei einer phänomenologischen Analyseperspektive anbieten würde. Insbesondere die idealtypischen Konstruktionen sind nicht nur aufgrund ihrer scholastischen Konstruktion, sondern ebenso wegen ihres isolativen und spekulativ-suggestiven Charakters aus praxissoziologischer Perspektive problematisch. Zwischen den Modi der Weltaneignung und Welterfahrung zu unterscheiden, wie Rosa dies mit den idealtypischen Charakteren Anna und Hannah (Welterfahrung) und Adrian und Dorian (Weltaneignung) tut, macht aus praxistheoretischer Perspektive ebenso wenig Sinn, wie das In-der-Welt-Sein unabhängig von den soziokulturellen und situativen Zusammenhängen zu betrachten. Obgleich die Geschichten von Anna und Hannah so lebensnah erzählt werden, sind 5 | In ähnlicher Weise heißt es bei Rosa: »Im Sinne eines heuristischen Modells lässt sich damit der Körper gleichsam als ›Membran‹ konzeptualisieren, in die sich die Welt einerseits ›von außen einschreibt‹ (Inskription), auf der sie ihre Spuren hinterlässt, während sie andererseits auch das subjektive und reflexive Selbstverständnis und die psychischen Regungen des Subjekts (›die Persönlichkeit‹) zum Ausdruck bringt (Expression). Über den Körper schreibt sich die Welt in das Subjekt (verstanden als Einheit von Leib und reflexivem Selbst) ein, über ihn bringt sich das Subjekt in der Welt aber auch zum Ausdruck« (Rosa 2016: 146, Herv. i.O.). 6 | Dörre hat bezüglich der vielfältigen Beispiele, die Rosa anführt, sehr treffend das Bild des Jägers und Sammlers bemüht (vgl. Dörre 2009: 185).
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sie meines Erachtens eher Ausdruck der großen Distanz, die Rosa zu seinem Untersuchungsgegenstand hat, als dass sie etwas über das praktische In-dieWelt-Gestelltseins spätmoderner Subjekte aussagen (vgl. auch Lessenich 2009: 239). Eine Soziologie der Weltbeziehung – so soll im Folgenden durch die praxistheoretische Auseinandersetzung mit dem zentralen Begriff der Resonanz gezeigt werden – könnte von einer konsequenten Berücksichtigung des Praxisbezugs sowie einer stärkeren Fokussierung auf den Prozesscharakter des Inder-Welt-Seins jedoch durchaus profitieren.
D ie Q ualität des resonanten und die Q ualität der P r a xis
B e ziehungsmodus
Bekanntlich hat Rosa Großes vor mit seinem Konzept der Resonanz, möchte er dieses doch als mögliche Lösung des von ihm diagnostizierten Problems der zunehmenden Beschleunigung der Gegenwartsgesellschaft (vgl. Rosa 2005) in die Diskussion einbringen. In diesem Sinne nimmt er nicht nur eine sozialtheoretische Fundierung des Resonanzkonzepts vor, er baut zudem sein Moderneverständnis resonanztechnisch weiter aus und erzählt die Geschichte der Moderne nun als eine dialektische, indem diese sich sowohl als eine Resonanzkatastrophe erweise, sich aber ebenso durch eine bisher nicht gekannte Steigerung der Resonanzsensibilität auszeichne. Das in der Romantik formulierte Resonanzversprechen werde durch die Beschleunigungsdynamik der modernen Gesellschaft jedoch nicht nur zunehmend untergraben, diese verändere – so lautet Rosas zentrale These – auch unser In-die-Welt-Gestelltsein in negativer Weise. Im Gegensatz zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule begnügt sich Rosas Soziologie der Weltbeziehung jedoch nicht mit einer negativen Dialektik, sondern versteht sich vielmehr als eine Soziologie des guten Lebens. Den zentralen Begriff der Resonanz konturiert er hierbei als einen Beziehungsmodus, der gegenüber anderen Beziehungsmodi nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Selbst-Welt-Beziehung insgesamt von qualitativ hohem Wert sei. Deshalb muss er in normativer Weise nach den Bedingungsfaktoren eines resonanten Weltverhältnisses fragen. Damit begibt er sich – wie im Folgenden aufgezeigt wird – jedoch gleich in zweifacher Hinsicht in soziologisch schwieriges Fahrwasser, denn er muss zum einen bestimmen, was er für einen qualitativ wertvollen Beziehungsmodus hält. Durch seine Hervorhebung des menschlichen Körpers als zentraler Mittlerinstanz zwischen Selbst und Welt läuft er zudem Gefahr, die sozialen Komponenten eines qualitativen Selbst-Welt-Verhältnisses zunächst außen vor zu lassen, und vielmehr die körperlich verankerten Bedingungsfaktoren für ein gelingendes Selbst-Welt-Verhältnis in den Blick zu nehmen, was sich in
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einer soziologischen Perspektive jedoch als nicht minder problematisch erweist. Aus diesen Gründen kommt Rosa auch nicht umhin, die Qualität des Resonanzverhältnisses zunächst anthropologisch zu begründen: Er geht davon aus, dass sich Angst und Begehren »als die grundlegenden Triebkräfte und existentiellen Seinsweisen des Menschen begreifen lassen, wenn sie als Angst vor Entfremdung, das heißt vor einem Stumm- und/oder Feindlichwerden der Welt und vor einem korrespondierenden Beziehungsverlust, und als Resonanzbegehren gedeutet werden« (Rosa 2016: 194, Herv. i.O.). Obgleich Rosa annimmt, dass sich Angst und Begehren kulturell unterschiedlich ausbuchstabieren und er mit den Resonanzachsen später auch die spezifisch spätmodernen, europäischen Resonanzsphären zu beschreiben sucht, fasst er diese Seinsweisen als Grundmodi der menschlichen Existenz, also als ahistorische Gegebenheit auf. Anstatt bereits auf sozialtheoretischer Ebene systematisch zu ergründen, wie sich ein resonantes Selbst-Welt-Verhältnis gegenwärtig ausgestaltet oder aber verhindert wird, geht Rosa – und hier kommt meines Erachtens seine Fokussierung auf den menschlichen Körper als zentralen Mittler zwischen Selbst und Welt ins Spiel – zunächst in allgemeiner Weise darauf ein, welche emotionalen, kognitiven und leiblichen Bedingungen eine resonante Bezugnahme auf die Welt ermöglichen. Zwar führt er an einigen Stellen durchaus interessante Überlegungen darüber an, wie sich ein spezifisch spätmoderner Beziehungsmodus ausgestaltet, das Zentrum seiner Bemühungen bildet jedoch der Versuch, die affektiven, emotionalen, evaluativen und kognitiven Bedingungsfaktoren eines gelingenden Selbstverhältnisses in allgemeiner Weise aufzuzeigen, wohingegen deren spezifische soziokulturelle und historische Verfasstheit oder etwa die Bedeutung des sozioökonomischen Status für eine gelingende Resonanzbeziehung kaum Erwähnung finden. Resonanz ist für ihn vielmehr ein mehrdimensionaler Prozess, in dem es eben nicht nur zwischen Selbst und Welt, sondern ebenfalls zwischen innerpsychischen Ebenen und zwischen leiblicher und geistiger Ebene zum Klingen kommt (vgl. Rosa 2016: 269). Auch in Praxistheorien kommt den Körpern hinsichtlich des Selbst-WeltVerhältnisses natürlich eine zentrale Rolle zu. Da Rosa jedoch die körperliche verankerten Bedingungsfaktoren für ein gelingendes Selbst-Welt-Verhältnis in den Blick nimmt und nicht so sehr auf die Eingebundenheit der Körper in den praktischen Vollzug des Selbst-Welt-Verhältnisses abstellt, handelt er sich das Problem ein, Aussagen über die psychischen, kognitiven und emotionalen Prozesse treffen zu müssen, die hier im Einzelnen zusammenwirken, was aus soziologischer Perspektive nur schwerlich möglich ist.7 Zwar ist sich Rosa be7 | Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Rosa hier zunächst auf Studien aus dem Bereich der positiven Psychologie, der Empathie- und Persönlichkeitsforschung sowie der Neurowissenschaften zurückgreift.
Resonanz in der Praxis
wusst, dass er mit seinen Ausführungen eine geschlossene, jedoch »hochspekulative Kette der Weltbeziehung« generiert, »die von der leiblichen Weltbezogenheit über Spiegelneuronen, Empathiefähigkeit, Sprache und Narration bis zur reflexiven Ebene der kognitiv-evaluativen Landkarten reicht« (Rosa 2016: 268). Aufgrund der vorgenommenen, allerdings keineswegs zwangsläufigen theoretischen Schwerpunktlegung scheint eine weniger spekulative Vorgehensweise an dieser Stelle jedoch kaum möglich zu sein. Indem eine praxistheoretische Perspektive am Vollzug der Praxis ansetzt, gelingt es ihr, diese Schwierigkeiten zu umgehen: Emotionen werden hier nicht als etwas in erster Linie subjektives verstanden, sondern ebenfalls als Dimension des Praxisvollzugs gedacht. Somit wird eine konsequent soziologische Herangehensweise verfolgt, wie am Beispiel des Affiziertwerdens – dem praxistheoretischen Pendant zu Rosas Resonanzbegriff, welches zudem ohne normative Unterfütterung auskommt – aufgezeigt werden soll: Andreas Reckwitz geht davon aus, dass zu jeder Praktik immer auch eine affektuelle Gestimmtheit gehört (vgl Reckwitz 2016: 170), welche sich auch auf das Subjekt übertragen kann. Er zieht den Begriff der Affekte dem der Emotionen oder Gefühle vor, da letztere eher auf der individuellen Ebene verortet werden, während Affekte immer schon durch die Bezogenheit auf etwas auf ihren sozialen Charakter verweisen. Affektivität beispielsweise ist insofern immer in Praktiken angelegt, als dass die Subjekte zum einen affektiv motiviert werden, an einer bestimmten Praxis teilzunehmen. Zum anderen ist auch die sinnliche Wahrnehmung eng mit Affekten verbunden bzw. wird auf diese Weise organisiert, d.h. erst durch diese Verbindung entsteht eine Gerichtetheit der Wahrnehmung (vgl. ebd.: 172). Diese kann nun auf andere Subjekte, Dinge oder Vorstellungen gerichtet sein, die ein Subjekt entweder sehr stark oder weniger stark affizieren (vgl. ebd.: 172). Das Ergriffenwerden wird hier also weniger als persönliches Erleben, sondern als Praxisvollzug und somit stets als sozialer Prozess gedacht. Natürlich ist Resonanz auch bei Rosa als sozialer Prozess angelegt: In Rückgriff auf das Bild zweier korrespondierender Stimmgabeln definiert Rosa Resonanz als eine Antwortbeziehung, »in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren« (Rosa 2016: 298), was voraussetzt, »dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen« (ebd., Herv. i.O.). Lässt man einmal die Bedenken hinsichtlich der bidirektionalen Anlage des Resonanzkonzepts, die Rosa selbst umtreiben (vgl. ebd: 289), außen vor, springt aus einem praxistheoretischen Blickwinkel jedoch die Gefahr einer solchen Konzeption unmittelbar ins Auge: Es ist in erster Linie dem Bild der eigenen Stimme geschuldet, dass Rosa die Dinge und die das Subjekt umgebende Welt nicht mehr in ihrer materiellen, klangarchitektonischen, olfaktorischen oder visuellen Beschaffenheit wahrnehmen kann, wenn er von resonanten Weltbeziehungen spricht. Diese werden vielmehr – wenn auch im
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übertragenen Sinne – in erster Linie als stimmlich bzw. sprachlich vermittelte Weltbeziehungen gefasst. Obgleich Rosa in Anschluss an Merleau-Ponty die leibliche Dimension der Weltbeziehungen selbst betont, erfolgt in einer solchen Konzeption das Ergriffenwerden durch die Natur oder die Musik erst dann, wenn diese mit je eigener Stimme zu uns sprechen. Durch das Bild der eigenen Stimme ist das Resonanzkonzept durch eine theoretische Engführung geprägt, denn sowohl die materielle Verfasstheit der Welt als auch die sinnlichen Wahrnehmung, die das Selbst-Welt-Verhältnis in entscheidender Weise prägen und Einfluss auf den unmittelbaren vorsprachlichen Weltbezug nehmen, finden in dieser Konzeption nicht genügend Berücksichtigung.8 Insofern kann aus praxistheoretischer Perspektive das Resonanzkonzept auch in deskriptiver Hinsicht nicht überzeugen. Während im Spätwerk Merleau-Pontys bereits die Bedeutung der materiellen Beschaffenheit der Dinge für den praktischen Weltbezug Erwähnung, aber hinsichtlich ihrer kulturellen Dimension und ihrer wahrnehmungs- und praxiskonstitutiven Wirkung noch keine systematische Beachtung finden (vgl. Prinz 2014: 200f.), haben praxistheoretische Arbeiten in jüngerer Vergangenheit gerade auf die soziale Dimension der sinnlichen Wahrnehmung und der Körper-Ding-Beziehungen etc. hingewiesen (vgl. Prinz/Göbel 2015): Der durch die sinnliche Wahrnehmung des Sehens vermittelte Weltbezug stellt sich nicht allein durch kognitive Landkarten und intersubjektive Lernprozesse ein, sondern ist immer auch durch die spezifischen Konstellationen und Ordnungen der die Subjekte situativ umgebenden Dinge, Räume und Bilder geprägt: ›Das Sichtbare‹, also dasjenige, was Menschen in ihrer Umgebung wahrnehmen, steht somit in einem konstitutiven Zusammenhang mit der ›visuellen Ordnung der Dinge‹, wie etwa Sophia Prinz herausarbeitet (vgl. Prinz 2014). Aufgrund der theoretischen Engführung des Resonanzkonzepts kann Rosa diese Aspekte nicht berücksichtigen, obgleich sie den unmittelbaren Weltbezug entscheidend zu prägen scheinen. Wie aufgezeigt, könnte Rosa nicht nur durch die Berücksichtigung praxistheoretischer Studien profitieren, sondern auch ein methodisch abgesicherter Praxisbezug hinsichtlich der Theoriegewinnung sowie eine Fokussierung auf den Praxisvollzug könnten sich für eine Soziologie der Weltbeziehung von Vorteil erweisen.
8 | So ist es offenbar kein Zufall, dass Rosa diesen Faktoren nicht in dem Abschnitt zu den Resonanzachsen, sondern erst im Kapitel Kontextuelle Faktoren: Von Atmosphären und Stimmungen nähere Aufmerksamkeit schenkt.
Resonanz in der Praxis
M it den Z auberworten der R omantik im gegen die E nt z auberung der W elt
K ampf
Es ist durchaus im Sinne der Praxistheorien, dass Rosa mit seiner kritischen Zeitdiagnose wieder verstärkt affektive Aspekte ins Zentrum seiner Analyse rückt, ist diesen in der Soziologie doch sehr lange zu wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden (vgl. Reckwitz 2016: 167).9 Allerdings zeigt sich eine Praxistheorie, wie sie hier vertreten wird, skeptisch gegenüber Bemühungen, eine über Jahrhunderte währende Zeitphase auf eine einfache Formel bringen zu wollen. Solche Anstrengungen laufen nicht nur Gefahr, die Gesellschaftsentwicklungen lediglich durch die Brille der dynamischen Stabilisierung bzw. des Resonanzversprechens der Moderne zu betrachten und die Komplexität und Hybridität gesellschaftlicher Wandlungsprozesse nicht zur Kenntnis zu nehmen, sie verleiten vielmehr dazu, die gesellschaftlichen Prozesse gar nicht mehr in den Blick nehmen zu müssen, wurde das die Gesellschaft prägende Prinzip doch bereits auf den Punkt gebracht. Einen entsprechenden Vorwurf muss sich auch Rosa gefallen lassen, nimmt dieser doch an, dass die moderne Gesellschaft wesentlich durch das Prinzip der dynamischen Stabilisierung gekennzeichnet ist (vgl. Rosa 2016: 673), die das Resonanzversprechen der Romantik immer mehr unterminiere. Diese der modernen Beschleunigungsdynamik zugrundeliegende, »unaufhebbare Eskalationstendenz« beeinflusse das spätmoderne In-der-Welt-Sein in problematischer und häufig sogar pathologischer Weise. In den Augen Rosas sind sowohl die ökologische als auch die demokratische Krise, ebenso wie die zunehmenden Burn-out-Erkrankungen Ausdruck eines gestörten Selbst-WeltVerhältnisses (vgl. ebd.: 14). Anstatt diesen vielfältigen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen in ihrer weitreichenden Komplexität im Einzelnen nachzugehen, werden sie alle in ein entsprechendes Narrativ eingebettet bzw. als Zeugnis des totalitären Prinzips 9 | Eine solche ›antiaffektive Haltung‹, die bereits das Werk der Klassiker kennzeichnet, sich aber ebenso in den Arbeiten Parsons’, Habermas’, Foucaults, Bourdieus und Luhmanns finden lässt, sieht Reckwitz zum einen in der Konzentration auf normative und später dann diskursive Ordnungen in soziologischen Analysen begründet. Affektiven Aspekten wird dabei der soziale Status eher abgesprochen. Zum anderen hänge dies aber auch mit der durch Weber geprägten Zeitdiagnose der Rationalisierung zusammen, wird doch hier prinzipiell davon ausgegangen, dass die Moderne durch eine zunehmende ›Affektneutralität‹ gekennzeichnet ist (vgl. Reckwitz 2016: 167f.). Dass Postulat der Affektneutralität der Moderne hält Reckwitz aber nun für eine »fundamentale Fehleinschätzung« (ebd.: 196), da sich Affekte auch durch eine vermeintliche ›Rationalisierung der Lebensführung‹ nicht verdrängen lassen (vgl. auch Reckwitz 2012: 30).
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der Reichweitenvergrößerung gewertet, welches das Verhältnis des Menschen zur Natur, die politische Praxis sowie das Selbstverhältnis entscheidend beeinflusse. Auch die von Rosa ausgemachten modernen Resonanzachsen bzw. -sphären geraten jeweils in sehr spezifischer Weise in den Blick, wie am Beispiel der Familie veranschaulicht werden soll: Diese wird als wohl letzter Resonanzhafen in einer von Konkurrenz und Gewinnstreben geprägten Welt stilisiert, wobei einerseits das in der Tradition der Romantik stehende partnerschaftliche Liebesverhältnis und andererseits die spätmodernen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in den Blick genommen werden. Dass auch innerfamiliale Beziehungen von Konkurrenz geprägt sein können, findet in dieser Betrachtung ebenso wenig Berücksichtigung, wie die Tatsache, dass das Aufkommen der modernen Kleinfamilie in engem Zusammenhang mit den veränderten kapitalistischen Produktionsprozessen und Arbeitsverhältnissen steht. Die Familie wird dadurch auch als ein sozialer Raum institutionalisiert, der wiederum mit vielen Begehrlichkeiten – Eigenheim, Auto, gesunder Ernährung, erlebnisreicher Freizeitgestaltung, der besten Ausbildung für Kinder etc. – verknüpft wird. Rosa rekonstruiert die Familie aber recht einseitig als in erster Linie positiven bzw. resonanten Sozialraum, was nicht zuletzt aufgrund des normativen Anspruchs zu problematisieren ist. Indem er die Moderne zudem als endogene europäische Kulturgeschichte anlegt, verfolgt er außerdem eine dezidiert eurozentrische Erzählstrategie, da die globalen Verflechtungs- und Ausbeutungsprozesse, die das Aufkommen der Moderne wesentlich geprägt haben und bis heute prägen – wie insbesondere durch die Arbeiten der Postcolonial Studies aufgezeigt wird – in einer solchen Perspektive keinerlei Berücksichtigung finden (vgl. Chakrabarty 2000; Bhambra 2007).10 Praxistheoretisch ansetzende Wissenschaftler_innen sprechen sich demgegenüber für eine historische Fundierung von Zeitdiagnosen im Sinne einer ›Genealogie der Gegenwart‹ aus (vgl. Reckwitz 2012; Hillebrandt 2016; vgl. auch Foucault 1987). Eine solche Vorgehensweise ermöglicht es nicht nur zu untersuchen, wie etwas in die Welt gekommen ist, wobei die verschiedenen Elemente, Dimensionen und Zusammenhänge, die dafür konstituierend waren, möglichst umfassend untersucht werden sollen. Auch wie etwas in Raum und Zeit Verbreitung finden konnte, lässt sich mit dieser Analyseperspektive nachzeichnen. Dieser Vorgehensweise liegt die Annahme zugrunde, dass sich eine Praxisform oder eine spezifische Form des praktischen Weltbezugs immer wieder vollziehen muss, um praxisrelevant und wirksam zu bleiben. 10 | Auch Rosas Kulturverständnis erweist sich aus einer postkolonialen Perspektive als problematisch, scheint er Kulturen nicht nur als relativ homogene, sondern weitestgehend geschlossene Einheiten zu betrachten.
Resonanz in der Praxis
In diesem Sinne müssen Praxisforschende auf eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen (Bilddokumente, Textdokumente, Erinnerungen, Artefakte, Filmdokumente etc.) zurückgreifen und den jeweiligen Spuren durch Raum und Zeit folgen, um ein dichtes Bild der mannigfaltigen Elemente und Dimensionen des praktischen Vollzugs zeichnen zu können (vgl. Schäfer/Daniel 2015). Die von Rosa herangezogenen Quellen erweisen sich demgegenüber als recht einseitiges Datenmaterial, greift er doch lediglich auf ein sehr spezifisches Quellenmaterial – nämlich Gedichte, philosophische Texte, Romane und Songtexte – zurück, um die Geschichte der Moderne als dialektische Geschichte des Resonanzversprechens und der Resonanzkatastrophe erzählen zu können. Ein Eichendorff-Gedicht, von Rosa als Beleg für seine Thesen angeführt, entstammt jedoch nicht nur einem bestimmten literarischen Genre, sondern repräsentiert wenn überhaupt eine sehr kleine Bevölkerungsgruppe und sagt demnach noch nichts über die in der Gesellschaft vorherrschenden Sehnsüchte oder Formen des Weltbezugs aus. Die den jeweiligen Entstehungszusammenhängen der Texte zugrundeliegenden ganz eigenen Bedingungsfaktoren folgen zudem anderen Regeln als die Alltagspraxis und haben somit für Rosas Thesen eine geringere Aussagekraft. Nun sind diese Punkte für die gesellschaftliche Reichweite des Resonanzversprechens und somit für Rosas Modernerekonstruktion nicht ganz unerheblich. Dass sie bei Rosa keine Beachtung finden, ist nicht zuletzt auf die fehlende gesellschaftstheoretische Fundierung seiner Zeitdiagnose zurückzuführen. Während Bourdieu mit seiner Ausdifferenzierung des Kapitalbegriffs in ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital sowie seinem Konzept des sozialen Raumes ein Analysewerkzeug für die Untersuchung der gesellschaftlichen Sozialstruktur zur Verfügung steht (vgl. Bourdieu 2001b; Bourdieu 1987: 205) und sich mit der Konzeption der Felder auch eine differenzierungstheoretische Perspektive finden lässt, finden bei Rosa diese Zusammenhänge zwar sporadische, jedoch keine systematische Erwähnung. Obgleich Rosa die spätmoderne Gesellschaft etwa als eine differenzierte – im Sinne divergierender Weltbezüge in den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen – begreift, findet diese Perspektive keine weitere systematische Ausformulierung. Zwar geht er kurz darauf ein, wie sich die Weltbezüge in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen durch das Prinzip der Reichweitenvergrößerung seines Erachtens wandeln (vgl. Rosa 2016: 676), die Rekonstruktion erfolgt jedoch kursorisch und nimmt keinen zentralen Platz in seiner Moderneerzählung ein.11 Vielmehr 11 | Neueren praxissoziologischen Ansätzen geht es mit ihren begrifflichen Differenzierungen in Praktiken, Praxisformen und Praxisformationen (vgl. Hillebrandt 2014) nicht zuletzt darum, ein differenzierungstheoretisches Denken hinter sich zu lassen. Obgleich davon ausgegangen wird, dass sich Praxisformationen auch um sachliche Themen bilden können, werden diese nicht als reine Sphären begriffen, in denen alle Prakti-
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bringt Rosa das alles determinierende Prinzip der dynamischen Steigerung in allgemeiner Weise in Position. Hier gerät der relationale Anspruch, den Rosa in Bezug auf das Selbst-WeltVerhältnis formuliert, aber spätestens an seine Grenzen. Denn damit nimmt er sehr eindeutig eine Priorisierung zugunsten der gesellschaftlichen Strukturen vor. Während in einer praxistheoretischen Perspektive Akteure und soziale Strukturen durch den Praxisbegriff unmittelbar aufeinander bezogen sind bzw. aufgrund ihrer flachen Ontologie ineinandergreifen und sich erst gegenseitig konstituieren und ein solch relationaler Anspruch beispielsweise in das Habitus-Feld-Konzept oder die Aufteilung in Praktiken, Praxisformen und Praxisformationen, Praxisbündel etc. eingegossen ist, geht Rosa offensichtlich von einer Prädeterminierung der sozialen Subjekte durch die gesellschaftlichen Strukturen aus. Dies ist insofern problematisch, als dass er einen solch strukturellen Determinismus nicht mit seiner auf der sozialtheoretischen Ebene eingenommenen phänomenologischen Perspektive in ein Verhältnis setzt und die einzelnen Teilkapitel des Buches in der Folge recht unvermittelt nebeneinanderstehen. Auch für den kritischen Standpunkt, den Rosa für seine Gesellschaftsanalyse beansprucht, hat eine solche Priorisierung der Strukturebene Konsequenzen: Denn von welchem Standpunkt aus ist es noch möglich Kritik zu üben, wenn die Gesellschaft durch ein alles determinierendes Prinzip geprägt ist? Und welche Akteure können einen möglichen Wandel forcieren, wenn ihnen doch letzten Endes die Möglichkeit abgesprochen wird, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen beizutragen? Ganz offensichtlich nimmt Rosa diesbezüglich eine herausragende Position für sich in Anspruch. Denn er belässt es nicht allein bei der Formulierung einer Gesellschaftskritik, sondern will darüber hinaus eine ›Soziologie des guten Lebens‹ formulieren. Seine Form der Kritik gleicht dabei dem, was Boltanski und Chiapello als Künstlerkritik bezeichnet haben (vgl. Boltanski/ Chiapello 2003). Zwar hat bereits der hohepriesterliche Impetus, der nicht nur Rosas Soziologie der Weltbeziehung, sondern auch der kritischen Soziologie Bourdieus zugrunde liegt (vgl. Boltanski 2010: 38ff.), neuere praxissoziologische Perspektiven vielfach bewogen, von einem dezidiert kritischen Analyseanspruch Abstand zu nehmen. Gleichwohl soll an dieser Stelle die ungleichheitstheoretische Perspektive Bourdieus gegenüber Rosas Kritik verteidigt werden, lehnt Rosa eine ungleichheitstheoretische Analyse aus dem meines Erachtens verkürzten Grund ab, dass diese auf dem Prinzip der dynamischen Steigerung auf baue (vgl. Rosa 2016: 48f.). Eine ungleichheitstheoretische Perken einer klar definierbaren Funktion oder Logik folgen. Vielmehr treten die vielfältigen Verknüpfungen erst durch die Analyse der Formation der Praktiken und Praxisformen zutage, die somit eine notwendige Voraussetzung praxissoziologischer Untersuchungen ist (vgl. Hillebrandt 2014: 115).
Resonanz in der Praxis
spektive darf jedoch in einer kritischen Gesellschaftsanalyse nicht fehlen bzw. sollte nicht darauf beschränkt sein, lediglich die ungleiche Verteilung von Resonanzachsen kritisieren zu wollen (vgl. ebd.: 754), da sich dadurch Phänomene wie etwa ungleiche Bildungschancen nur auf unzureichende Weise untersuchen lassen (vgl. ebd.: 417ff.). Dass es sich bei der Aufteilung in Sozialkritik und Künstlerkritik zudem um keine zwangsläufige, sondern vielmehr um eine falsche Alternative handele, hat nicht zuletzt Stephan Lessenich verdeutlicht (vgl. Lessenich 2008: 224ff.).
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Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie Anna Henkel
1. O pposition oder resonante G espr ächspartner ? Systemtheorie und Kritische Theorie stehen im Ruf einer Opposition. Dies mag zunächst theoriegeschichtliche Gründe haben. In seiner die Soziologie der 1950er und 1960er Jahre dominierenden Theorie der Handlungssysteme integriert Talcott Parsons mit Max Webers Handlungsbegriff und Émile Durkheims Strukturbegriff zwar gegensätzliche Ansätze soziologischer Theoriebildung; doch er lässt mit Karl Marx und Georg Lukács eben jene kritisch auf gesellschaftlichen Wandel ausgerichteten Autoren außen vor, die prägend für die Kritische Theorie sind. So bringt sich die Kritische Theorie mit dem Aufbrechen der strukturalistisch-systemtheoretischen Hegemonie in den 1960er Jahren gegen die Parson’sche Systemtheorie ›in Position‹, neben paradigmatisch ausgeschlossenen Ansätzen wie etwa denjenigen der Phänomenologie und des Pragmatismus. In der weiteren soziologischen Theorieentwicklung sind die Protagonisten der nächsten Generation an einer Kontinuierung von Positionen nicht unbeteiligt. Der bei Suhrkamp erschienene Habermas-Luhmann Band von 1971 trägt die Alternativstellung bereits im Titel: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie? (Habermas/Luhmann 1971). Obwohl darin, gewissermaßen dialektisch, der Beginn eines Resonanzverhältnisses zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie im Sinne einer wechselseitigen theoretischen Selbstirritation durchaus angelegt ist, geht dieses Potenzial in reflexhaften Abwehrreaktionen späterer Vertreter_innen beider Positionen verloren: »Nur Glasperlenspielerei« als Wiedererzählung von Bekanntem in unbekannten Begriffen lautet der Vorwurf der kritischen Theoretiker_innen an die Systemtheorie; »nur Sozialphilosophie« als philosophischer Drahtseilakt ohne empirischen Bodenkontakt lautet der Vorwurf der Systemtheoretiker_innen an die Kritische Theorie. Unterdessen haben sich gesellschaftliche und wissenschaftliche Konstellation gewandelt. In Zeiten von Drittmittelorientierung, high-impact-peer-revie-
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wed-articles und indikatorenbasierter Wissenschaftsbewertung sieht sich jede sozialtheoretisch angeleitete Gesellschaftstheorie konfrontiert mit potenziell technokratischer Wissenschaftspolitik sowie daraufhin optimierter, verwertungsorientierter Forschung (dazu aktuell Schmoll 2016). Dies zu kritisieren – und schon Beobachtung ist in diesem Fall eine Form der Kritik –, wird tendenziell und theorieunabhängig schwieriger. Statt primär eine Opposition der 1960er Jahre fortzuführen, mag Anfang des 21. Jahrhunderts eine Stärkung theoretisch reflektierter Gesellschaftsbeobachtung umso bedenkenswerter erscheinen. Die Wendung, die die Kritische Theorie mit der Einführung des Konzepts der Resonanz nimmt, bietet Anlass, in diesem Sinne habituell Tradiertes (endlich) aufzugeben und für eine kritisch-beobachtende Sozialwissenschaft gemeinsam produktiv zu wenden. Mit Blick auf die beiden großen gesellschaftstheoretischen Angebote der Systemtheorie und der Kritischen Theorie liegt dies besonders nahe. Die ›funktions-strukturalistische‹ Systemtheorie Luhmanns setzte sich von der strukturalistischen Systemtheorie Parsons ebenso ab, wie dies Phänomenologie, Pragmatismus oder eben die Kritische Theorie getan haben (Luhmann 1984; Luhmann 2005a). Denn anders als der Parsons’sche Strukturalismus geht die Systemtheorie Luhmanns gerade nicht davon aus, dass bestimmte Funktionen immer strukturell abgedeckt sein müssen; stattdessen gilt jede Strukturbildung zunächst als unwahrscheinlich und legt die Frage nahe, welche Funktion eben diese Struktur erfüllt (Luhmann 1984; Luhmann 2005b). Diese Umstellung von Strukturalismus auf ›Funktions-Strukturalismus‹ resultiert aus einer zentralen Prämisse, die die Systemtheorie mit der Kritischen Theorie teilt: der Annahme gesellschaftlicher Entwicklung und damit einer genuin zeitlichen Perspektive, die auf der Ebene übergeordneter gesellschaftlicher Strukturen unterschiedliche Ergebnisse für möglich hält und nach gerade diesen fragt. Es führte an dieser Stelle zu weit, die Systemtheorie (die allein schon bei Luhmann mindestens drei Phasen impliziert) mit der Kritischen Theorie (die ihre Genealogie weitaus pfleglicher behandelt) zu vergleichen. Stattdessen sollen mit Blick auf eine Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie als Achse sozialtheoretisch fundierter Gesellschaftstheorie in einer genauso beobachtungs- wie kritikbedürftiger Gesellschaft im Folgenden in Schlaglichtern drei Schritte vollzogen werden: Im ersten Abschnitt wird das Konzept der Resonanz diskutiert, wie es Luhmann in der Systemtheorie verwendet. Im zweiten Abschnitt wird dem das in diesem Sammelband fokussierte Konzept der Resonanz Rosas gegenübergestellt, wobei die aus Sicht der Systemtheorie interessanten Konsequenzen für die Kritische Theorie im Vordergrund stehen. Der dritte Abschnitt fragt nach einer Resonanz zwischen beiden Ansätzen, verstanden als Selbstirritation ausgehend von der jeweiligen theoretischen Eigenfrequenz, und Konsequenzen für Gesellschaftstheorie so-
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wie gesellschaftstheoretische Gegenwartsdiagnose, um die es beiden Ansätzen geht. Differenzierung einerseits zu akzeptieren und andererseits normativ in den Blick zu nehmen, legt analytisch die Frage nach Resonanzmedien nahe. In diesem Sinne sind Diskurse wie etwa um Nachhaltigkeit, aber auch um Verantwortung oder Sorge gesellschaftstheoretisch neu in den Blick zu nehmen, um unter Bedingung ›entfremdender‹ Partikularisierung soziologische Gesellschaftstheorie gerade in ihrer Pluralität in Stellung zu bringen.
2. D as K onzep t der R esonanz in der S ystemtheorie Resonanz findet sich als Begriff in der Systemtheorie Luhmanns an durchaus zentraler Stelle, nämlich bei der Analyse des Verhältnisses von System und Umwelt: »Der Begriff Resonanz weist darauf hin, dass Systeme nur nach Maßgabe ihrer eigenen Struktur auf Umweltereignisse reagieren können« (Luhmann 1986: 269). Gleichwohl wird Resonanz zur Bezeichnung dieses Verhältnisses relativ spät in der Theorieentwicklung stark gemacht – erst Ende der 1980er Jahre – und tritt in den späteren Schriften als Begriff, und zwar nur als Begriff, eher wieder zurück. Das damit bezeichnete analytische Problem (System-Umwelt-Verhältnisse) war vorher und bleibt auch später relevant, nur wird dafür statt des Begriffs der Resonanz eher der Begriff »Kopplung« verwendet. Luhmann optiert begriffsstrategisch also insgesamt mehr für eine biologische anstelle einer physikalischen Terminologie (zu dieser inhaltlichen Analogie vgl. Luhmann 1986: 41). Warum dann aber überhaupt der Begriff der Resonanz? Eine erste Annäherung an eine Antwort vermittelt die Erkenntnis, dass Luhmann den Begriff der Resonanz, wenn passim auch an anderen Stellen verwendet, nur in einer einzigen Schrift prominent platziert und ausarbeitet, nämlich in der Ökologischen Kommunikation von 1986. Resonanz wird für Luhmann also im Zusammenhang mit einem spezifischen Problem relevant, das ihn vorher und nachher eher weniger beschäftigt, nämlich dem an sich »unkommunikativen« Problem ökologischer Gefährdung, bei dem sich Gesellschaft damit konfrontiert sieht, dass ihre Welt als Gesamtheit sinnhafter Interpretationen (Luhmann 1971: 11) durch von diesem Interpretationsrahmen unerwartete (und unerwünschte) Ereignisse erschüttert wird. Gesellschaft erwartet Fortschritt, Wachstum, Naturbeherrschung – und trifft seinerzeit auf Waldsterben, tote Fische, Ozonloch und versauerte Böden. Obwohl zur Beschreibung von System-Umwelt-Verhältnissen der Begriff der Resonanz bei Luhmann theoriekonzeptionell gleichgesetzt ist mit dem sich insgesamt durchsetzenden Begriff der Kopplung, so reagiert Resonanz doch vor allem auf das spezifische Problem der gesellschaftlichen Bearbeitung nicht-sinnhafter, aber gesellschaftlich zwangsläufig sinnhaft zu fassender Umweltveränderun-
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gen, die zugleich drohen, der Gesellschaft ihr vor-sinnhaftes Fundament zu entziehen. Im Bemühen um eine Antwort auf die zuvor gestellte Frage sei zunächst erläutert, an welcher Stelle Resonanz (= Kopplung) in der Systemtheorie relevant wird; im Anschluss wird die spezifische ökologische Problematik erneut aufgegriffen: Der zentrale analytische Begriff der Systemtheorie ist der des »Sinns« (Luhmann 1971; Luhmann 1999; Henkel 2016c). Sinn ist in Anlehnung an Husserl definiert als Einheit der Differenz von Aktualität und Potenzialität: Indem eine Sinnform aktualisiert wird, bleibt der »Horizont« (Husserl) anderer Möglichkeiten erhalten und kann in der nächsten Sequenz potenziell aktualisiert werden. Kommunikation (egal ob als Interaktion unter Anwesenden, organisationale Entscheidung oder thematisch wirtschaftliche, wissenschaftliche, religiöse etc. Kommunikation) operiert in dem so verstandenen Medium des Sinns. Diese Grundprämisse hat zwei zentrale Implikationen: Erstens ist Kommunikation notwendig als zeitlicher Prozess angelegt, in dem es stets anders als erwartet weitergehen kann – denn der Sinnhorizont anderer Möglichkeiten ist stets mitpräsent, und er kann aktualisiert werden (es ist daher eher überraschend, wenn etwas so bleibt, wie es ist). Zweitens besteht stets die Notwendigkeit der Selektion – der Horizont bleibt erhalten, aber aktualisiert werden kann nur jeweils eine Sinnform. Gesellschaft wird in der Systemtheorie verstanden als die Gesamtheit von Kommunikation. Damit ist nicht nur gemeint, dass jede Interaktion Gesellschaft reproduziert (auch der »Fluch des Sklaven auf der Galeere«, Luhmann 1980: 19), sondern zugleich, dass Gesellschaft zu verstehen ist als die Gesamtheit der Sinnformen, die einer je spezifischen Gesellschaft zur Erfassung und damit auch Erschaffung von Welt zur Verfügung stehen (Luhmann 1971: 34ff.). Gesellschaft als spezifische Form der Welterfassung ist – wie Sinn insgesamt – notwendig ebenfalls selektiv. So unterscheidet sich die Welterfassung einer alteuropäischen Kosmologie, die von einer Lehre der vier Elemente und einem Ideal des gleichgewichtigen Kosmos ausgeht, fundamental von einer modernspätmodernen Kosmologie, die eine scharfe Differenz von Sozialität und Materialität einführt und dabei naturwissenschaftliche Kausalgesetzmäßigkeiten annimmt (Luhmann 1999: Kapitel 5, vgl. auch Henkel 2011). Für beide Formen der Welterfassung gilt, dass Kommunikation nur innerhalb ihrer Sinnformen stattfinden kann – es gibt keine Kommunikation außerhalb von Gesellschaft. Mit dieser apodiktischen Aussage (»es gibt keine Kommunikation außerhalb von Gesellschaft«), die ausgehend von einem anderen Kommunikations- und/ oder Gesellschaftsbegriff seltsam anmuten mag, ist zugleich die nach dem Sinnbegriff zweite zentrale Annahme der Systemtheorie bezeichnet: Systeme – und Kommunikation ist ein System – reproduzieren sich selbst aufgrund ihrer spezifischen Selektivität (es kann nur Kommunikation aneinander an-
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schließen, nicht etwa Kommunikation an z.B. Zellteilung). Durch diese Selbstreproduktion entstehen zugleich System und Umwelt. Ein System ist also immer ein System in einer Umwelt. Zur Bezeichnung dieser systemischen Selbstreproduktion verwendet Luhmann mehrere Begriffe, neben u.a. Selbstreferenz, Eigenoperativität, Autopoiesis auch den Begriff der »Eigenfrequenz« (Luhmann 1986: 41). Diese systemische Eigenfrequenz ist zunächst neutral zu sehen – sie ist schlicht die Voraussetzung für die Existenz des Systems. Ein System existiert nur, solange seine Eigenfrequenz (oder Selbstreferenz usw.) fortgesetzt wird. Dies gilt für biologische Systeme ebenso wie für die verschiedenen sozialen Systeme (also Interaktion, Organisation und Gesellschaft) sowie für alle Binnensystemdifferenzierungen (in der modernen Gesellschaft vor allem die sogenannten Funktionssysteme, deren – bereits kommunikative – Eigenfrequenz etwa spezifisch wirtschaftliche, rechtliche oder wissenschaftliche Selektionen reproduziert). Der Begriff der Resonanz – oder analog: der Kopplung – bezieht sich nun auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen System und Umwelt, wobei System und Umwelt beide gleichzeitig entstehen, wenn sich durch operative Ausdifferenzierung eines spezifischen Selektionstyps eine systemische Eigenfrequenz bildet. Dabei ist zunächst wichtig, dass die Selbstreferenzialität des Systems durch das Verhältnis zur Umwelt nicht in Frage gestellt wird. Im Gegenteil ist sie gerade Voraussetzung für eine Irritierbarkeit durch die Umwelt (»schon die Physik kann uns belehren: ein ausdifferenziertes System kann nur aufgrund seiner Eigenfrequenzen zur Resonanz gebracht werden«, Luhmann 1986: 41). Irritierbarkeit heißt, dass das System auf seine eigene Selbstreferenzialität reflektiert und in der Art und Weise seines Operierens sich wandelt. Die Codierung bleibt zwar dieselbe – aber wie, das heißt aufgrund welcher Kriterien, die Codewerte zugewiesen werden, verändert sich. Beispielsweise ist die Codierung des gesellschaftlichen Funktionssystems Wissenschaft die Unterscheidung von wahr und unwahr. Ausgehend von Theorien und Methoden werden die Code-Werte zugewiesen. Ein Ereignis, wie beispielsweise Missbildungen am ungeborenen Leben, kann eine Selbstirritation des Wissenschaftssystems bewirken, sodass nun systematisch Nebenwirkungen von Medikamenten theoretisch und methodisch in Rechnung gestellt werden. Dies gelingt gerade wegen der Geschlossenheit des Systems aufgrund der Code-Orientierung an wahr/unwahr. Das System »schließt seine Selbstreproduktion durch intern zirkuläre Strukturen gegen die Umwelt ab«, aber es wird »durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt« (ebd.: 40), was eben der Fall ist, den Luhmann als Resonanz bezeichnet. Resonanz als derartiges ›Selbstirritationsverhältnis des Systems zu seiner Umwelt‹ bezieht sich dabei auf zwei sehr verschiedene Fälle: Erstens gibt es eine ›innersystemische Resonanz‹ zwischen den verschiedenen sozialen Systemen einer Gesellschaft. Wirtschaft und Recht stehen in einem Resonanzver-
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hältnis (die berühmte Rechtssicherheit, die ein gutes Investitionsklima schafft; die wirtschaftlichen Transaktionen, die Rechtslücken offenbaren und entsprechenden Regelungsbedarf schaffen) ebenso wie etwa die formale Organisation und die Interaktion in der Kaffeepause (als Verhältnis von formaler und informaler Organisation ein weithin beachtetes Resonanzverhältnis). Davon zu unterscheiden ist zweitens der Fall einer Resonanz zwischen Gesellschaft und »natürlicher« Umwelt, also der nicht-sinnhaften Umwelt, die entsteht, wenn sich ein System durch die Selbstreferenzialität sinnhaften Prozessierens operativ schließt (zur Unterscheidung der beiden Fälle u.a. Luhmann 1986: 98ff. sowie 220ff.). Für beide Fälle gilt, dass Resonanz stets selektiv erfolgt. Da das System auf den Erhalt seiner Eigenfrequenz angewiesen ist (»wäre diese Selektivität der Resonanz oder der Kopplung nicht gegeben, würde das System sich nicht von seiner Umwelt unterscheiden, es würde nicht als System existieren«, Luhmann 1986: 41), kann es gar nicht anders, als lediglich innerhalb seiner selektiven Selektionen sich selbst selektiv zu irritieren. Damit geht die Gefahr sowohl eines »Zuviel« als auch eines »Zuwenig« von Resonanz einher: ein Zuviel, indem es an Selbstüberforderung »zerspringt« (ebd.: 220), ein Zuwenig, indem »was immer an Umweltverschmutzungen auftritt, […] nur nach Maßgabe des einen oder des anderen Codes wirkungsvoll behandelt werden« (ebd.: 218) kann. Es besteht also, so Luhmanns Schlussfolgerung, »keine Garantie, dass Gesellschaft auf etwaige ökologische Gefährdungen reagieren kann« (ebd.: 220). Hält man fest, dass der Begriff der Resonanz theoriekonzeptionell zum Begriff der Kopplung äquivalent ist, dass sich beide auf die Frage des Verhältnisses von System und Umwelt beziehen, dass beide auf die Erforderlichkeit der Eigenfrequenz und damit verbunden auf die Selbstirritation als einzige Möglichkeit der Resonanz bzw. Kopplung verweisen, wobei dennoch bestimmte Irritationskanäle (»strukturelle Kopplungen«) beobachtet werden können, so verwendet Luhmann dennoch an eben maßgeblich dem einen Punkt, dem Problem der »Umweltverschmutzung« (Luhmann 1986: 218), der »ökologischen Gefährdung (ebd.: 220), den Begriff der Resonanz. Meine Vermutung ist, dass Luhmann hier eine Problematik aufspürt, die seinen Begriffsapparat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringt: Denn die »ökologische Herausforderung« unterscheidet sich von innerkommunikativen System-Umwelt-Verhältnissen dadurch, dass Irritationen erfolgen, die nicht selbst bereits sprachhaft vorliegen. Es handelt sich vielmehr um im weitesten Sinne »materielle« Irritationen, die zwar gesellschaftlich in sprachhaften Sinn übersetzt werden, aber eine »spezifische Gefährdung« eben deshalb darstellen, weil sie, im ›Systemtheorie-Sprech‹, die Emergenzebene unterhalb von Sinn betreffen. Mit dem Begriff der Resonanz führt Luhmann physikalisch konnotierte Assoziationen wie »Schwingungen« ein, die seiner Theorie insgesamt fremd sind und die – zaghaft – ein Resonanzverhältnis von sprachhaft verfasster Gesell-
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schaft und materiell verfasster Umwelt jedenfalls andeuten (es muss deshalb kein Zufall sein, dass der Begriff der Resonanz bei der Verhandlung eines Materialität involvierenden empirischen Falles auch in der Systemtheorie aktuell wieder aufgenommen wird, vgl. dazu Opitz 2014). Luhmann bleibt bei der Andeutung, vielleicht auch nur der Intuition, die sich darin manifestiert, für einen spezifisch anderen Fall auch einen anderen Begriff zu verwenden, der entsprechende Assoziationen ermöglicht. Davon abgesehen fokussiert die Systemtheorie Luhmanns zuvor und auch in der Folge auf sprachhaften Sinn prozessierende Soziale Systeme; ihr material turn erfolgt erst später (Fuchs 2014; Goeke/Lippuner/Wirths 2015; Henkel 2015; Henkel 2016c). Umso interessanter und vielversprechender scheint es mir, dass Rosa ebenfalls auf den Begriff der Resonanz rekurriert, um subkutan einen material turn in der Kritischen Theorie vorzunehmen.
3. D as K onzep t der R esonanz in der K ritischen Theorie im V ergleich In den 1980er Jahren haben die Systemtheorie mit Soziale Systeme (Luhmann 1984) und die Kritische Theorie mit der Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas 1981) gleichermaßen ihren linguistic turn vollzogen. Es geht um Kommunikation (mit Fokus auf kommunikativem Handeln respektive Prozessieren sinnhafter Kommunikation), und auch wo zu Umwelt oder Technik etwas gesagt wird, geschieht dies aus dieser kommunikationsorientierten Perspektive. Gerade am Begriff der Verdinglichung wird dies deutlich: War bei Marx und Lukács ein Materialitätsbezug zumindest noch angelegt, so ist Verdinglichung bei Honneth ein rein kommunikatives Anerkennungsproblem (Honneth 2015: 61ff.). Mit dieser Fokussierung auf Kommunikation sind beide Theorien relativ sprachlos angesichts eines neuen Interesses an Materialität, das seit den 1980er Jahren aus eben jenen ökologischen Problemen hervorgeht, die Luhmann dazu veranlassen, mit dem Begriff der Resonanz zu experimentieren. Aus der Wissenschafts- und Technikforschung heraus entsteht mit den Laborstudien, den Science and Technology Studies und insgesamt der Actor-Network-Theory eine sozialwissenschaftliche Forschungslinie, die sich von den klassischen Ansätzen der soziologischen Theorie – eingeschlossen Systemtheorie und genauso Kritische Theorie – absetzt und einen eigenen, auch disziplinären Ansatz begründet (als Überblick vgl. etwa Belliger/Krieger 2006). Damit gehen aber, bei aller Relevanz jedes quergedachten Ansatzes, das Analysepotenzial und die Einsichten eben jener klassischen gesellschaftstheoretischen Ansätze weithin verloren.
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Um – sowohl aus Sicht der Kritischen Theorie als auch der Systemtheorie – hier gegenzusteuern, ist also ein material turn auch in diesen beiden großen gesellschaftstheoretischen Ansätzen der Soziologie erforderlich, um einer vor allem ethnographisch orientierten Materialitäts-Sozialitätsforschung die Perspektive gesellschaftlichen Strukturwandels zur Seite zu stellen. Dies ist vor allem deshalb erforderlich, weil die moderne Gesellschaft offensichtlich mit Problemen konfrontiert ist, die Materialität zentral involvieren: Bodendegradation, Klimawandel, Gentechnologie oder Luftverschmutzung erfordern eine Interaktion symbolischer und materieller Kategorien jedenfalls potenziell in Rechnung zu stellen – einschließlich der Möglichkeit der Auflösung dieser Unterscheidung. Gerade dies bedarf jedoch einer gesellschaftstheoretischen, nicht allein ethnographischen Perspektive. Es besteht mithin ein wechselseitiger Bedarf: ein Bedarf der Gesellschaft nach Materialität einbeziehender Gesellschaftstheorie – und ein Bedarf der gegenwartsanalytisch relevant sein wollender Gesellschaftstheorie nach einem Materialität einbeziehenden analytischen Zugang. Mit der Rosa’schen Resonanztheorie liegt in diesem Sinne für die Kritische Theorie jedenfalls ein Entwicklungspotenzial vor, das, vielleicht nicht zufällig, sich wiederum auf die ökologische Gefährdung bezieht, hier mit einem Plädoyer in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft (Rosa 2016: 722ff.). Es kann bei den Leser_innen dieses Bandes davon ausgegangen werden, dass die Rosa’sche Resonanztheorie bekannt und eine Zusammenfassung (vgl. dazu etwa Henkel 2016b) hier verzichtbar ist. Es sei stattdessen gleich auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede zum systemtheoretischen Resonanzkonzept eingegangen, bevor jenes Potenzial eines material turn der Kritischen Theorie wieder aufgegriffen wird. Zunächst kann man feststellen, dass neben dem Rekurs auf dieselbe physikalische Metapher Ähnlichkeiten zwischen dem Resonanzbegriff bei Luhmann und bei Rosa bestehen: Beide Begriffe setzen eine Eigenfrequenz voraus; beide Begriffe sind genuin prozesshaft gedacht; und in beiden Fällen handelt es sich um einen strikt relationalen Begriff. Man könnte noch hinzufügen, dass beide ein resonanzfähiges Medium verlangen – wobei dies bei Rosa generell und definitorisch der Fall ist, wohingegen es sich bei Luhmann eher vage und keineswegs durchgehend im Konzept der strukturellen Kopplung findet. Trotz dieser Ähnlichkeiten bestehen zumindest zwei grundsätzliche Unterschiede. Der erste Unterschied liegt in der Bestimmung der beiden potenziell miteinander in Resonanz tretenden Entitäten: Bei Luhmann entstehen durch die selbstreferenzielle Schließung eines Systems zugleich System und Umwelt – aber selbstreferenziell ist zunächst nur das System. Zwar gibt es den Sonderfall der Binnensystemdifferenzierung, bei dem innerhalb von Gesellschaft mehrere selbstreferenzielle Systeme potenziell in Resonanz treten. Aber für die konzeptionelle Anlage des Resonanzkonzepts als System-Umwelt-Verhält-
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nis geht Luhmann von einem selbstreferenziellen System in seiner an sich unstrukturierten Umwelt aus. Bei Rosa hingegen treten grundsätzlich zwei Entitäten mit Eigenfrequenz miteinander potenziell in Resonanz (Rosa 2016: passim, v.a. 281ff.). Auch wenn es sich dabei grundsätzlich um ebenso heterogene Entitäten wie bei Luhmann handelt (Menschen, Tiere, Religion, Natur, Familie, Gott), sind diese von vorn herein als selbst eigenschwingend gedacht. Luhmann geht zwar auch davon aus, dass die Umwelt irgendwie ist, wie sie ist, und sie daher ein System zur Selbstirritation bringen kann; aber die Umwelt ist gerade nicht in demselben selektiven Sinne selbstreferenziell gedacht, wie dies im Falle des Systems der Fall ist. Der zweite grundsätzliche Unterschied besteht in der Bewertung des Gegenwerts zur Resonanz: Bei Luhmann ist mit seinem Fokus auf die Selbstreferenz des jeweiligen Systems diese Selbstreferenz nämlich zunächst neutral-funktional. Selbstreferenz ist die Voraussetzung für das Bestehen des Systems. Resonanz ist so betrachtet eher etwas, das beobachtbar ist und daher analytisch relevant wird, aber keineswegs bereits selbst positiv zu bewerten wäre. Nicht-Resonanz ist hier lediglich Selbstreferenz ohne Selbstirritation durch die Umwelt, was zwar eine Zerstörung des Systems mit sich bringen kann (wie oben zitiert: nach Luhmann besteht keine Garantie, dass Gesellschaft adäquat oder auch überhaupt auf ökologische Gefährdung reagiert), aber jedenfalls ermöglicht Selbstreferenz gerade ohne Selbstirritation Systembildung und Komplexitätssteigerung. Bei Rosa hingegen ist das Gegenstück zur Resonanz das stumme, entfremdete und verdinglichende Weltverhältnis (Rosa 2016: passim, v.a. 299ff.). Jenes wird nicht nur vom kritischen Theoretiker kritisiert; vielmehr kann beobachtet werden, dass die moderne Gesellschaft selbst auf der Suche nach Resonanz ist, also selbst von der Entfremdung loszukommen trachtet (so Rosas gesellschaftstheoretische These, vgl. v.a. Rosa 2016: 517ff.). Indem Rosa davon ausgeht, dass Subjekt und Welt – beide potenziell resonanzfähige Entitäten – »mit eigener Stimme sprechen« (Rosa 2016: 229), wird eine Beziehung der Resonanz zum anzustrebenden Verhältnis. Zwar wären sich Luhmann und Rosa dann schon wieder darin einig, dass es stets ein Element des Unverfügbaren gibt – aber Luhmann würde sagen, dass diese Unverfügbarkeit ohnehin unvermeidlich da sei, für Rosa hingegen werden Subjekt und Welt erst durch dieses Element des Unverfügbaren, auf das sie konstitutiv angewiesen sind. In der Systemtheorie sind Weltverhältnisse also entweder resonant, oder es gibt sie nicht, dann ist das System unirritiert im Modus der Selbstreferenz; bei Rosa hingegen werden zwei Formen der Weltverhältnisse unterschieden, nämlich solche, bei denen beide Einheiten in Schwingungen geraten (Resonanz) und solche, bei denen eins dem anderen seine Schwingung aufzwingt (Entfremdung).
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Genau in dieser Differenz liegen die je verschiedenen Vorzüge, die diese beiden Ansätze miteinander verbinden sollten: Die Kritische Theorie hat den Vorzug, mit dem Konzept der Resonanz einen normativen Kritikmaßstab zu begründen, der dabei zugleich über Charles Taylors Konzept der starken Wertungen gesellschaftstheoretisch rückgebunden ist. Die Systemtheorie hingegen hat den Vorzug, dass sie die Funktionalität bestimmter Strukturen in den Blick nehmen kann, die unter Umständen unhintergehbar sind. Für den Umgang mit den Herausforderungen der modernen Gesellschaft gilt es, diese beiden Vorzüge produktiv miteinander zu verbinden. Solche potenziellen Resonanzen zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie für gesellschaftliche Gestaltung auszuarbeiten, bietet sich auch deshalb an, weil mit der Einführung des Konzepts der Resonanz in die Kritische Theorie zwei Umstellungen, oder doch Erweiterungen, erfolgen, die die Kritische Theorie aus Sicht der Systemtheorie über den gemeinsamen gesellschaftstheoretischen Fokus und die zeitlich-evolutionäre Perspektive hinaus anschlussfähig macht. Es handelt sich dabei erstens um den oben bereits angedeuteten material turn, den die Kritische Theorie vollzieht, sowie zweitens um die gesellschaftstheoretische Rückkopplung der Formulierung des normativen Maßstabs der Kritischen Theorie. Während die Kritische Theorie bei Habermas über die Sprechakttheorie im kommunikativen Handeln sozialtheoretisch fundiert wird und auch bei Honneth diesen kommunikativen Fokus beibehält, geht Rosa hinsichtlich der Grundelemente menschlicher Weltbeziehungen vom Körper aus (Rosa 2016: 144ff.). Körperliche Weltbeziehungen sind der anthropologisch-phänomenologische Ausgangspunkt seiner Überlegungen; Welterfahrung geschehe daher immer durch eine Amalgamierung von Körper und Sinn. Dieser erweiterte Ausgangspunkt hat zur Konsequenz, dass die Beziehung zum eigenen Leib als kulturelles Phänomen mit in den Blick gerät. Und mit dem Körper wird folglich auch die Materialität relevant (Bildschirme etwa als materielle Basis der Symbolverarbeitung; Objektbeziehungen in Arbeit oder Konsum; schließlich ganz generell die Unterscheidung von Natur und Kultur als ebenso spezifische wie historisch kontingente Form neuzeitlicher Weltbeziehungen). Die Dimensionen der Weltbeziehung werden gleichfalls ausgehend von dieser Prämisse entfaltet. So ergeben sich die verschiedenen von Rosa diskutierten Resonanzachsen aus der heuristischen Anlehnung an Helmut Plessners Unterscheidung von Mitwelt, Außenwelt und Innenwelt – eine Differenzierung, die stringent vom exzentrisch positionalen Selbst als reflexionsfähigem, lebenden Ding ausgeht (vgl. Plessner 1975) und insofern genuin nicht-kommunikativ, sondern leib-körperhaft ansetzt (vgl. auch Lindemann 2009 sowie mit Bezug zur Rosa’schen Resonanztheorie Block 2016). In Verbindung mit dem gesellschaftstheoretischen Interesse Rosas ergeben sich daraus: horizontale Resonanzachsen, die mit Familie, Freundschaft und Politik die soziale
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Welt betreffen; diagonale Resonanzachsen, die mit Objekten, Arbeit, Schule, Sport und Konsum wesentlich die Außenwelt, also Materialität und Körper, betreffen; sowie schließlich vertikale Resonanzachsen, die mit Religion, Natur, Kunst und Geschichte die Affektionen der Innenwelt betreffen. Materialität wird auf diese Weise als sozialtheoretische Prämisse zentral eingeführt und für gesellschaftstheoretische Analyse fruchtbar gemacht. Zugleich geht mit der Rosa’schen Resonanztheorie eine Umstellung hinsichtlich des Maßstabs normativer Kritik einher. Einer der wesentlichen Konfliktpunkte zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie war vermutlich der Stellenwert von Kritik. Die Systemtheorie legt in der Regel Wert darauf, »nur« zu beobachten, während die Kritische Theorie eben »kritisch ist«. Bei näherer Betrachtung reduziert sich diese Differenz darauf, dass die Kritische Theorie einen Maßstab für Kritik theorieimmanent begründet, während die Systemtheorie sich auf »Aufklärung« verlegt. Solche Aufklärung kann zwar durchaus als recht kritisch ankommen, je nachdem, was da wie beobachtet wird; aber die Bewertung liegt außerhalb der Theorie. Um dies an einem eigenen Beispiel zu verdeutlichen: Man kann systemtheoretisch beobachten, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen und Konsequenzen die sogenannte Liberalisierung des Arzneimittelmarktes hat. Um aber gesellschaftliche Konsequenzen (etwa hinsichtlich Patient_innenverantwortung oder Versorgungsdichte) zu beurteilen, bedarf es systemtheoretisch gedacht eines theorieexternen Maßstabs. Kritik nimmt so die Form einer Wenn-Dann-Formulierung an: Wenn man gesundheitliche Versorgungsgerechtigkeit will, dann sollte man entsprechend (anders) regulieren (vgl. Henkel 2011). Zwischen den beiden Polen einer theorieimmanenten Kritik einerseits und einer Kritikabstinenz andererseits entwickelt Rosa einen gewissermaßen dritten Weg. Auch wenn Resonanz durchaus zur Verwendung als normatives Konzept bestimmt ist, indem sie als Maßstab eines gelingenden Lebens und damit als Kriterium einer normativ orientierten Sozialphilosophie etabliert wird (vgl. Rosa 2016: 294f.), werden keine konkreten Praktiken, Maßstäbe oder Resonanzachsen normativ aufgewertet. Zwar beschreibt Rosa im zweiten Teil bestimmte Resonanzsphären und -achsen, die der dritte Teil geschichtlich in der westlichen Moderne situiert, betont aber explizit die Möglichkeit der Konfiguration anderer Resonanzbeziehungen (vgl. ebd.: 296f.). Diese Relativierung – oder Abstrahierung – des normativen Maßstabs gehört zum konzeptionellen Kern, ist Resonanz doch wesentlich durch das Moment der Unverfügbarkeit und Veränderlichkeit definiert. Die »Soziologie der Weltbeziehung« ist daher eine Kritik historisch realisierter Resonanzverhältnisse; sie betrachtet Weltbeziehungen aber als historisch und kulturell genuin variable Gesamtkonfiguration, in der Resonanzbeziehungen nur möglich sind, wenn im Sinne von Taylor starke Wertungen involviert sind – und die moralischen Landkarten, die sich daraus ergeben, sind potenziell ebenso wandelbar wie unterschiedlich.
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Mit dieser historisch-kulturellen Abstrahierung des normativen Maßstabs bewahrt die kritische Theorie ihren normativen Anspruch, den sie der Systemtheorie insofern voraus ist. Zugleich nähern sich die beiden Positionen jedoch an, indem nun in beiden Fällen darauf verzichtet wird, aus einer – notwendig selbst historisch kontingenten – Theorieposition heraus einen historisch und kulturell universalen Maßstab normativer Kritik zu formulieren. Daraus entsteht die Möglichkeit, gerade danach zu fragen, was denn die starken Werte einer Gesellschaft sind und welchen Maßstab der Kritik eine Gesellschaft sich daher normativ gefallen lassen muss. Gesellschaft über sich selbst aufzuklären und Gesellschaft anhand ihrer eigenen Werte normativ zu beurteilen, sind daher zwei Ansprüche, die komplementär, nicht oppositional, zueinanderstehen.
4. A usblick auf R esonanzmedien als gesellschaf tstheore tische A nalyserichtung Die voranstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass sowohl die Systemtheorie als auch die Kritische Theorie auf den Begriff der Resonanz rekurriert, um nicht zuletzt die Problematik ökologischer Gefährdung gesellschaftstheoretisch adäquat behandeln zu können. Beide definieren Resonanz zudem überraschend analog über Begriffe wie Eigenfrequenz oder Schwingung. Es bestehen Unterschiede hinsichtlich der Bestimmung der beiden resonanten Entitäten und hinsichtlich der Bewertung von Resonanz: Während bei Luhmann Resonanz auf das Verhältnis von System und Umwelt abzielt, wobei nur vom System sicher bekannt ist, dass es selbstreferenziell operiert, und Irritation immer als Selbstirritation beobachtet wird, zeichnet sich Rosas Konzept der Resonanz durch eine konzeptionelle Selbstfrequenz beider in einer Beziehung stehenden Entitäten aus. Entsprechend ist bei Luhmann Resonanz ein neutraler Begriff, mit dem er lediglich das Phänomen einer kontingenten Selbstirritation des Systems durch die Umwelt bezeichnet; bei Rosa hingegen ist Resonanz als Anzustrebendes, normativ positiv besetztes Beziehungsverhältnis bestimmt, dem ein entfremdetes, die Eigenschwingung einer der Entitäten unterdrückendes Verhältnis gegenübersteht. Trotz solcher Unterschiede sind sich Kritische Theorie und Systemtheorie allein schon durch den Begriff der Resonanz und das damit aufgeworfene Problem eines Verhältnisses von Gesellschaft und Welt bzw. von Sozialität und Umwelt in gewisser Weise nähergekommen, zumal beide in diesem Zusammenhang einen material turn vollziehen und Rosa die Kritische Theorie mit Taylor kulturell und historisch rückbettet. Auf dieser Grundlage soll abschließend erörtert werden, inwieweit ausgehend vom Begriff der Resonanz Resonanzpotenziale zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie bestehen.
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Der Ansatz der Systemtheorie ist stets, ausgehend vom Bestehen einer sozialen Tatsache, nach deren Funktion zu fragen. Im Falle der Selbstreferenz von Kommunikation führt dies zu der Überlegung, dass durch systemische Selbstreferenz eine Entkopplung aus einer Umwelt heraus erfolgt, die Eigenkomplexität und damit gesellschaftliche Entwicklung ermöglicht: »Die soziokulturelle Evolution beruht darauf, dass die Gesellschaft nicht auf ihre Umwelt reagieren muss und dass sie uns anders gar nicht dorthin gebracht hätte, wo wir uns befinden. Die Landwirtschaft beginnt mit der Vernichtung von allem, was vorher da wuchs« (Luhmann 1986: 42). Mit der Frage nach der Funktionalität geht also gerade keine Bewertung einher – Selbstreferenz ist Voraussetzung sozio-kultureller Evolution, aber auch Ausgangspunkt von Umweltzerstörung. Mit diesem vielleicht etwas kühl wirkenden Ansatz kann gesellschaftstheoretisch nachvollzogen werden, wie die Entfremdungs- und Verdinglichungstendenz der modernen Gesellschaft entsteht, die Rosa als Spezifikum der Moderne aufzeigt: Selbstreferenz und mit der funktionalen Differenzierung funktionsspezifische innergesellschaftliche Selbstreferenz bietet Komplexitätsvorteile und damit eine Überlegenheit gegenüber gesellschaftlichen Gesamtformationen, in denen kommunikative Strukturen stärker miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Ökonomisierung, Verrechtlichung, Verwissenschaftlichung – all dies lässt sich beobachten und in seiner innersystemischen, funktionalen Logik sehr detailliert nachzeichnen. Was die Systemtheorie nicht kann oder jedenfalls selten tut, ist jedoch, solche Entwicklungen jedenfalls in ihren Auswirkungen zu kritisieren. Zwar ist mit der Bestimmung einer Funktion keine positive Bewertung verbunden, sondern vielmehr eine neutrale analytische Beschreibung, doch bleibt es eben vielfach bei der Beschreibung. Dies kann aufschlussreich sein, etwa wenn sich Luhmann über die Anspruchsinflation im Krankheitssystem äußert (Luhmann 1983). Auch hier bleibt es aber bei einer Auf klärung, in der Kritik bestenfalls implizit mitschwingt. Wenn Gesellschaft jedoch an einen Punkt kommt, an dem systemische Selbstreferenzialität zu offensichtlichen Missverhältnissen führt, die mit einem Begriff wie dem der sozialen Ungleichheit nur unvollkommen beschrieben werden können, weil sie zum Teil eben subtiler an Partizipationschancen, Motivation oder, um einen Begriff Rosas zu verwenden, dem Gefühl der Selbstwirksamkeit ansetzen, dann ist soziologische Gesellschaftstheorie nicht nur zur Aufklärung aufgerufen, sondern auch dazu, Gesellschaft an ihren eigenen Werten zu messen. Indem die beiden Dimensionen einer Gesellschaftstheorie der Resonanz – einer funktions-strukturalistischen einerseits, einer gesellschaftlich rückgebettet kritischen andererseits – zusammengenommen werden, kann eine sozialtheoretisch angeleitete, gesellschaftstheoretischen Perspektive als Beitrag zu gesellschaftlicher Gestaltung aus der Diagnose einer Resonanzsehnsucht
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als Motor von Entfremdung bzw. funktionaler Differenzierung entwickelt werden: Mit der Systemtheorie ist eine Selbstreferenzialität der Funktionssysteme zunächst einmal hinzunehmen. Als Spezifikum der modernen Gesellschaft bringt funktionssystemische Selbstreferenz die zentralen Werte hervor, die moderne Gesellschaft auszeichnet. Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung, generell Menschenrechte – all dies basiert zentral auf funktionaler Differenzierung und funktionssystemischer Leistung. Mit der Rosa’schen Resonanztheorie ist jedoch komplementär zu beobachten, dass das Streben nach positiven und aufrechtzuerhaltenden Werten eben jene Entfremdung mit sich bringt, die dann wiederum mit noch mehr Selbstreferenz beantwortet wird. Die moderne Gesellschaft steht so vor dem Dilemma, Herausforderungen zwar funktionssystemisch zu prozessieren, dabei aber auf die Mechanismen zurückgreifen zu müssen, die Ursache des Problems sind (zu dieser Problematik auch mit Bezug auf Verantwortung vgl. Henkel 2013/2014). Angesichts dieses Dilemmas kann als gesellschaftstheoretische Forschungsrichtung eine Analyse von Resonanzmedien fruchtbar sein: Resonanzmedien sind abstrakt bestimmt als jene Medien, in denen zwischen zwei selbstschwingenden Entitäten eine Resonanz, also eine wechselseitige Anverwandlung, erfolgt. Gesellschaftstheoretisch gewendet entspricht dem die heuristische Analysefrage, welche sozialen Diskurse als Resonanzmedien insofern fungieren, als sie eine wechselseitige Anverwandlung unterschiedlicher, an sich selbstreferenzieller Systeme nahelegen. Der eher vage Begriff der strukturellen Kopplung in der Systemtheorie wird dadurch gewissermaßen »umgepolt«: Während Luhmann mit seinem Fokus auf innersystemische Selbstirritation selbst bei der Frage nach System-Umwelt-Verhältnissen das System zentral stellt, fokussiert das Konzept des Resonanzmediums auf das Medium zwischen notwendig mindestens zwei selbstreferenziellen Entitäten. Systemische Selbstreferenzialität ist zu akzeptieren, das kann man von der Systemtheorie lernen; aber im Sinne gesellschaftlicher Gestaltung muss damit die Frage einhergehen, was Resonanzmedien als die Autonomie beider Systeme wahrende Irritationskanäle sind (und als solche möglicherweise gestärkt werden können), die moderne Gesellschaft in die Lage versetzen, mit negativen Effekten von Selbstreferenzialität umzugehen. Es mag dies gar an eine Seitenüberlegung von Luhmann anschließen, nach der es eine sinnvolle Frage sei, »ob wir den Resonanzverzicht, der in der funktionalen Spezifikation unvermeidlich liegt, besser nutzen könnten als bisher« (Luhmann 1986: 219). Die Herausforderung für eine sozialtheoretisch reflektierte Gesellschaftstheorie ist daher, ein Konzept des Resonanzmediums auszuarbeiten und empirisch als Suchheuristik anzuwenden, mit der zwischen Funktionslogiken angesiedelte Diskurse aufgefunden und auf ihr Potenzial der Resonanzverstärkung oder -dämpfung hin untersucht werden können. Exemplarisch seien
Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie
abschließend drei mögliche Beispiele solcher Resonanzmedien kurz angesprochen: Angesichts des Fokus auf ökologische Gefährdung bzw. Postwachstumsgesellschaft, die in beiden Theorien im Kontext des Resonanzkonzepts stehen, ist es naheliegend, in diesem Bereich nach Kandidaten für Resonanzmedien zu fragen. Gerade in seiner Heterogenität und vielseitigen Anschlussfähigkeit (vgl. Henkel 2016a) kann der Diskurs um Nachhaltigkeit derart als Beispiel eines Resonanzmediums untersucht werden. Keinem Funktionssystem zugeordnet, und doch in allen potenziell anschlussfähig, fungiert Nachhaltigkeit möglicherweise als Diskurs, der ökonomische, politische, zivilgesellschaftliche oder auch religiöse Selbstreferenzialitäten in Richtung einer wechselseitigen Anverwandlung prägt oder zu prägen geeignet ist. Ein weiteres Beispiel für mögliche Resonanzmedien kann der vielfältige Diskurs der Sorge sein. Anders als etwa eine konkrete Zielvorgabe, rekurriert »Sorge« (etwa in der aktuellen Debatte um care ethics) auf einen gegenwärtigen Zukunftsbezug, der eben nicht schon sachlich partikularisiert auf ein konkretes Ziel gerichtet ist, sondern sich offen gegenwärtig auf Zukunft richtet (vgl. Henkel 2016d). Dies bietet potenziell die Grundlage für Anverwandlungen zwischen ökonomischen, emotionalen oder auch altruistischen Rationalitäten. Schließlich liegt auch Verantwortung als möglicher Fall eines Resonanzmediums nahe. Indem Verantwortung an sich bereits normativ konnotiert ist, lässt sich fragen, mit welchen starken Werten Verantwortung jeweils verbunden ist und wie unter Umständen eine wirtschaftliche, rechtliche, politische, wissenschaftliche oder zivilgesellschaftliche Verantwortung sich wechselseitig prägen. Zudem liegt gerade hier ein konkretes Gestaltungspotenzial, ist Verantwortung doch stets mit konkreten Zurechnungskonstellationen verbunden (vgl. Henkel/Åkerstrøm-Andersen 2013/2014). Die »ökologische Gefährdung«, die sich heute als Klimawandel, Bodenerosion und nach wie vor als Selbstgefährdung der Risikogesellschaft darstellt; spezifisch spätmoderne gesellschaftlichen Herausforderungen wie Burnout, Integration oder gesellschaftlicher Teilhabe; aber auch ein Bedeutungszuwachs von Indikatorenorientierung, Evaluation und Messbarkeit, stellt die soziologische Gesellschaftstheorie vor die Herausforderung sowohl die Bedingungen der Entstehung solcher sozialer Phänomene zu verstehen als auch möglicherweise deren Implikationen zu kritisieren. Dabei kann es nicht darum gehen, die verschiedenen Ansätze soziologischer Theorie gegeneinander auszuspielen. Vielmehr gilt es zu fragen, was die Stärken dieser verschiedenen Ansätze sind und wie sie möglicherweise gerade in ihrer Verbindung zu starken soziologischen Aussagen und gesellschaftlichen Empfehlungen kommen. Soziale Tatsachen in ihrer Funktionalität zu verstehen, zugleich aber Gesellschaft an ihren eigenen Werten zu messen und insofern zu kritisieren, schließt sich gerade nicht aus. Die konzeptionelle und empirische Untersuchung von
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Resonanzmedien mag geeignet sein, derart unterschiedliche gesellschaftstheoretische Stärken mit Blick auf eine positive gesellschaftliche Gestaltung zu verbinden.
L iter atur Belliger, Andréa/Krieger, David J. (Hg.) (2006): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript. Block, Katharina (2016): Von der Umwelt zur Welt. Der Weltbegriff in der Umweltsoziologie. Bielefeld: transcript. Fuchs, Peter (2015): »Die Materialität der Sinnsysteme«, in: Goeke/Lippuner/ Wirths, Konstruktion und Kontrolle, S. 205-222. Goeke, Pascal/Lippuner, Roland/Wirths, Johannes (2015): Konstruktion und Kontrolle. Zur Raumordnung sozialer Systeme. Wiesbaden: Springer VS. Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. I und II, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Habermas, Jürgen/Luhmann, Niklas (Hg.) (1971): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Henkel, Anna (2011): Soziologie des Pharmazeutischen, Baden-Baden: Nomos. Henkel, Anna (2013/2014): »Gesellschaftstheorie der Verantwortung. Funktion und Folgen eines Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität«, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie, Sonderhaft »Precarious Responsibility« 19 (2), S. 471-501. Henkel, Anna (2015): »Gesellschaftliche Konstruktion und Kontrolle von Dinglichkeit«, in: Goeke/Lippuner/Wirths, Konstruktion und Kontrolle, S. 223243. Henkel, Anna (2016a): »Natur, Wandel, Wissen. Beiträge der Soziologie zur Debatte um nachhaltige Entwicklung«, in: Soziologie und Nachhaltigkeit. Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung 2 (1), https:// www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/sun/article/view/1675/1616. Henkel, Anna (2016b): »Positive Dialektik. Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehung«, in: Soziopolis. Gesellschaft beobachten, www.soziopolis.de/ lesen/buecher/artikel/positive-dialektik. Henkel, Anna (2016c): »Posthumanism, the Social and the Dynamics of Material Systems«, in: Theory, Culture & Society, S. 1-25, Online first: DOI: 10.1177/0263276415625334. Henkel, Anna (2016d): »Zukunftsbewältigung. Dimensionen der Sorge als Analyseperspektive moderner Gesellschaften«, in: Dies. et al. (Hg.), Dimensionen der Sorge. Soziologische, philosophische und theologische Perspektiven, Baden-Baden: Nomos, S. 35-61.
Resonanz zwischen Systemtheorie und Kritischer Theorie
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II. Resonanz als normativer Maßstab
Zur Einleitung Peter Schulz
Während im ersten Abschnitt dieses Buchs Beiträge versammelt sind, die das Konzept der Resonanz als sozialtheoretischen – und daher zentral deskriptiven – Grundlagenbegriff diskutieren, zielt der folgende zweite Abschnitt auf die Bestimmung von dem, was Hartmut Rosa gelingende Weltbeziehungen oder auch gelingendes Leben nennt. Resonanz wird von ihm als normativer Maßstab dieses Gelingens in Anschlag gebracht und explizit gegen andere Maßstäbe wie etwa Autonomie abgegrenzt. Sebastian Bandelins Beitrag Resonanzverlangen oder Kampf um Anerkennung? Überlegungen zum normativen Gehalt der Resonanztheorie setzt genau an dieser Kritik der Autonomie bei Rosa an. Auf der Basis einer Rekonstruktion der Autonomie bei Immanuel Kant und der Anerkennung bei G.W.F. Hegel zeigt Bandelin auf, dass Autonomie als normativer Anspruch notwendig mit einer Dezentrierung der je eigenen Perspektive zugunsten einer Einbeziehung des Anderen verbunden ist. Anerkennung ist dementsprechend die soziale Praxis, in der diese Einbeziehung realisiert wird. Soziale Kämpfe um Anerkennung sind damit Praktiken der kollektiven Realisierung von Autonomie, die aufgrund des transformativen Charakters von Anerkennung gerade kein unberührtes, vereinzeltes Selbst der Autonomie voraussetzen können. Anerkennung und Autonomie bilden also notwendig aufeinander verwiesene Konzepte, die dabei zugleich einen differenzierteren Blick auf ihre eigene Realisierung bieten. Während, so Bandelin, das Konzept der Resonanz es zwar erlaube, auch Beziehungen zum Körper, zu Dingen oder zur Welt als ganzer einzugedenken, verliere sie durch diese Ausdehnung andererseits ihre Differenzierungsfähigkeit. Er expliziert dies an Rosas Auseinandersetzungen mit aktuellen Protestbewegungen – die Chiffren sind Occupy, Stuttgart 21, Pegida, Indignados, Maidan – die dieser als Bewegungen der Resonanzforderung versteht. Gegen diese monistische Deutung richtet sich Bandelin und verdeutlicht, dass es sich etwa bei den Indignados um eine Bewegung handelt, die mit dem zentralen Stellenwert, den Demokratie als Praxis und Forderung aufweist, als sozialen Kampf
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Peter Schulz
um Anerkennung zu verstehen ist. Sie ist mit dem normativen Maßstab der Autonomie besser zu fassen als mit dem der Resonanz. Ebenfalls von Rosas Autonomieverständnis geht Hanna Meißner im Beitrag Ein anderes Subjekt ist möglich – Kritische Soziologie und der Blick an den Grenzen aus. Anders als bei Bandelin zielt Meißners Kritik an Resonanz als Maßstab des gelingenden Lebens aber nicht auf eine vorschnelle Verabschiedung von Autonomie, sondern auf die Nichtreflexion der Verwurzelung der Resonanz in den Grundlagen der Autonomiekonzeption selbst, wie im Beitrag insbesondere an Rosas Subjektbegriff ausgeführt wird. Meißner stellt einerseits dar, dass Resonanz das moderne Subjekt voraussetzt, dass »hinreichend« von der Welt abgegrenzt sei und »mit eigener Stimme« spreche, und andererseits, dass genau diese Subjektvorstellung nicht nur spezifisch modern, sondern auch weiß-männlich-bürgerlich ist. Daraus ergibt sich, dass Resonanz zum einen derzeit ein Privileg bestimmter Subjektpositionen ist und zum anderen – und entscheidender – dass mit Resonanz als normativem Maßstab auch die »subjektivierende Einbindung in Herrschaftsverhältnisse« vorausgesetzt und als normativ wertvoll angesehen wird. Als Alternative zu dieser Form einer letztlich in den Bedingungen der Moderne verhafteten Kritik schlägt Meißner mit Michel Foucault eine Kritik im Modus der »Grenzhaltung« vor. Um diese Grenzhaltung einzunehmen, kann die Kritik von Erfahrungen derjenigen ausgehen, die an den Grenzen der herrschenden Subjektivität positioniert sind. Meißner schlägt die feministische Grenzhaltung vor, die von den Erfahrungen von Frauen ausgeht, insbesondere deren Erfahrung der Abwertung und Unsichtbarmachung von Sorgetätigkeiten, von denen das männliche Subjekt unabhängig zu sein scheint. Darüber hinaus wird, mit Verweis auf Sylvia Wynter, auf »das kritische Potenzial der Grenzfigur des (post-)kolonialen Subjekts« verwiesen, das aufgrund seiner in sich widersprüchlichen Situation nicht unmittelbar in Resonanz treten kann. Diese Grenzhaltung würde es, so Meißner, der Resonanztheorie auch erlauben, auf ihre eigene Bedingtheit zu reflektieren. Die folgenden drei Beiträge entfalten ihre Auseinandersetzung mit Resonanz als normativem Maßstab von je unterschiedlichen Ebenen der Sozialtheorie Rosas. Katharina Hoppe geht in ihrem Beitrag »The World Kicks Back« – Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen als »material turn« der Kritischen Theorie? vom Begriff der Relationalität als Basiskategorie der Resonanztheorie aus. Um den Status der Relationalität bei Rosa zu erschließen, will sie seinen »Ansatz mit den Ansprüchen neomaterialistischen Denkens […] kontrastieren und [ihn] irritieren«, hierzu bezieht sie sich vorrangig auf Karen Barads Konzept des agentiellen Realismus und dessen radikale Relationalität. Hoppe rekonstruiert zunächst Rosas Verständnis der Relationalität und Barads Begriff der Intraaktion, um von dort aus die Rolle der Welt in der Resonanzrelation zu erschließen: Welt erscheint bei Rosa trotz seines Postulats der Relationalität
Zur Einleitung
und Symmetrie als »passive Ressource der Anverwandlung«, sodass Resonanz »klar subjektzentriert« bleibe. Die Welt als eigenmächtiger Ausgangspunkt »der Irritation und des Eigensinns« ist damit aus der Theorie ausgeschlossen und die angestrebte Harmonie, die laut Hoppe im Konzept der Resonanz verankert ist, wird vom Subjekt und seinen Ansprüchen her gedacht. Der normative Maßstab der Resonanz ist damit ebenfalls subjektzentriert anthropozentristisch, während aus Barads Konzept der Intraaktion ein posthumanistischer, »ethische[r] Verantwortungserwartungshorizont« erwachse. Gemäß diesem Konzept der Verantwortung ist die Beziehung, die zwischen dem Subjekt und seinem Anderen, die Rosa als Antwortbeziehung versteht, nicht erst herzustellen, sondern Intraaktion verweist darauf, dass diese Beziehung immer schon vorhanden ist. Barads neomaterialistischer agentieller Realismus formuliert also Verantwortung als normativen Maßstab, die aus der immer schon vorhandenen Beziehung resultiert. Gleichzeitig verweist Resonanz darauf, dass »Barads Konzept der Verantwortungsbeziehung tendenziell unterbestimmt« ist. Letztlich, so Hoppe, bilden Rosas und Barads Ansätze ein wechselseitiges Irritationsverhältnis, da es sich bei der Resonanztheorie um Moral, bei Barads Konzept der Verantwortung um eine Ethik handle, die selbst zueinander in einer Ver-Antwortungsbeziehung stehen. Auf der Seite des Subjekts der Resonanz setzt Sebastian Sevignanis Beitrag Bedürfnisentwicklung und Resonanz: Vorbereitende Überlegungen zu einer kritischen Theorie der Bedürfnisse an. Seine Fragestellung ist, wie sich das von Rosa postulierte Verlangen nach Resonanz in normative Theorien der Bedürfnisse einpasst, also welchen Stellenwert ein Bedürfnis nach Resonanz im Verhältnis zu anderen Bedürfnissen einnimmt. Hierzu setzt er das Resonanzkonzept in Bezug zu einer kritischen Theorie der Bedürfnisse, die er auf die Kritische Psychologie von Klaus Holzkamp und Ute Osterkamp einerseits und den ethischen Perfektionismus Christoph Hennings andererseits auf baut, wobei er beide Theoriestränge im »Paradigma historisch-materialistischer Theorietradition im Anschluss an Karl Marx verortet«. Sein vorausgesetzter normativer Maßstab, zu dem er Resonanz in Bezug setzt, ist also die Realisierung und Entfaltung der menschlichen Bedürfnisse. Hierzu diskutiert er die Fragen, ob das Resonanzverlangen ein Bedürfnis ist und von welcher Art dieses Bedürfnis sei. Sevignani kommt zu dem Schluss, dass Resonanz ein Bedürfnis ist, welches zwar in den jeweiligen Resonanzsphären eine gesellschaftliche Form ähnlich den produktiven Bedürfnissen der Kritischen Psychologie gewinnt. Das Resonanzverlangen aber wird von Rosa als »menschliches Grundbedürfnis« eingeführt und weißt in seinem Charakter »einen homöostatischen-zyklischen Charakter« auf, es tritt also momenthaft auf und wird momenthaft befriedigt – ein Kennzeichen der Grundbedürfnisse, die in der Kritischen Psychologie als sinnlich-vitale Bedürfnisse gefasst und von den produktiven Bedürfnissen abgegrenzt werden. Von dieser Bestimmung gelangt Sevignani
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zu Rosas Kritik der Weltreichweitenvergrößerung, deren unzureichende Differenzierung zwischen individueller und kollektiver Weltreichweite auf einer Ausblendung der gesellschaftlichen Verhältnisse beruhe. An die Stelle der Ablehnung der Weltreichweitenvergrößerung tritt für Sevignani die Kritik der mangelnden kollektiv-demokratischen Verfügung über Weltreichweite, die für die Befriedigung produktiver Bedürfnisse nötig ist. In Erfahrung trifft auf Resonanz. Ein Kommentar zu Hartmut Rosas Resonanztheorie aus der Perspektive der kritischen Theorie Adornos von Christine Kirchhoff bildet schließlich die Resonanzerfahrung den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Rosas Theorie. Kirchhoffs Fokus ist dabei die »Resonanzverdinglichung«, die laut Rosa etwa in der Werbung auftritt und die eine Instrumentalisierung des Resonanzversprechens bedeutet und zugleich zu einer Entfremdungs- statt zu einer Resonanzerfahrung führt. Diese Diagnose ähnle auf den ersten Blick der Kritik der Kulturindustrie bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, und daher ist die Frage zu stellen, ob das Konzept der Resonanz dem Begriff der Erfahrung bei Adorno entspricht. In einer Rekonstruktion des Erfahrungsbegriffs bei Adorno werden jedoch zentrale Unterschiede in der Bestimmung des jeweiligen Subjekts der Resonanz bzw. der Erfahrung deutlich: »Das resonante Subjekte […] ist hohl«, d.h. es verfügt über kein bestimmtes Innenleben, anders als das Subjekt der Erfahrung bei Adorno, der an die Psychoanalyse Sigmund Freuds anschließt. Dieser geschärfte Blick auf das Subjekt der Resonanz erlaubt es Kirchhoff, die »marginale Rolle [der] Sexualität in der Theorie Rosas« zu fokussieren und von dort einen entscheidenden Unterschied zwischen Resonanz und Erfahrung im Sinne Adornos benennen: Das Konzept der Resonanz beharre, trotz der postulierten Unverfügbarkeit des Anderen, auf der Macht des Subjekts und versteht Ohnmachtserfahrungen als Entfremdung, während Ohnmacht und Passivität unter dem Chiffre des ›Vorrang des Objekts‹ konstitutiv für Erfahrung sind. Resonanz und Erfahrung stellen somit, in ihrem gegensätzlichen Bezug auf die drohende Überwältigung des Subjekts in der Erfahrung, zwei unvereinbare normative Maßstäbe dar.
Resonanzverlangen oder Kampf um Anerkennung? Überlegungen zum normativen Gehalt der Resonanztheorie Sebastian Bandelin
I. E ine K ritische Theorie der R esonanz verhältnisse In unserer Gegenwart erleben wir eine Häufung und Verdichtung verschiedener Krisenprozesse: Eine Krise der Demokratie und den Aufstieg neuer rechtspopulistischer Bewegungen in Europa, eine ökonomische Krise, die durch die herrschenden Formen der Liberalisierungs- und Austeritätspolitik noch verschärft wird und ökologische Krisen, die die Grenzen des bestehenden Wachstumsmodells und Ressourcenverbrauchs aufzeigen. Diese Krisen verdichten sich nicht nur, sie sind auch intern miteinander verkettet: Ökologische Krise, Staatszerfall und Bürgerkrieg sowie ökonomische Krisen entziehen Millionen von Menschen die Lebensgrundlagen und zwingen sie zur Flucht; dies befördert, etwa in den Staaten der europäischen Union, den Aufstieg rechtspopulistischer, demokratiefeindlicher Bewegungen und, unter dem Vorzeichen neoliberaler Sparpolitik, Verteilungskämpfe entlang rassistischer Spaltungslinien. Eine kritische Soziologie, die beansprucht, die bestehenden Verhältnisse begreifen und beurteilen zu können, kann sich vor diesem Hintergrund nicht auf die Analyse einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche beschränken, sondern muss auch das gesellschaftliche Ganze in den Blick nehmen. Diesem Anspruch stellt sich Hartmut Rosa: »Eben deshalb bewahrt meine Version Kritischer Theorie […] auch den Anspruch, Gesellschaft als eine Totalität im Sinne einer Gesamtformation des sozialen Lebens zu begreifen.« (Rosa 2013: 75) Er stellt sich damit in eine Tradition klassischer Kritischer Theorie, die zu zeigen beansprucht, auf welchen Begriff eines guten oder gelingenden Lebens sie sich als normative Grundlage des eigenen kritischen Anspruchs bezieht und wie dessen soziale Voraussetzungen zu bestimmen sind, welche gesellschaftlichen Ursachen für die Nichtrealisierung dieser Formen guten oder gelingenden Lebens bestehen und inwiefern sich dies auch in konkreten Erfah-
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rungen sozialen Leidens niederschlägt (vgl. Honneth 2007). Dieser Anspruch konnte jedoch, so Rosas Vorwurf, von den bisherigen Modellen kritischer Theoriebildung nur unzureichend eingelöst werden. »Wie diese [Konzepte gelingenden Lebens, S.B.] aussehen könnten, bleibt letztlich völlig unklar.« (Rosa 2016: 597) Doch nicht nur der Begriff des gelingenden Lebens selbst, auch die Analyse der sozialen Ursachen seiner Nichtrealisierung bleibt nach Rosa unscharf (vgl. ebd.: 596). Das Konzept der Resonanz soll hier Abhilfe schaffen: »Der Begriff der Resonanz, so die Hoffnung dieses Buches, könnte vielleicht die Antwort auf die […] Frage liefern, was es denn war, das wir suchten […] und so als Kompass dafür dienen, jenes Meer zu suchen und zu finden, das allen menschlichen Hoffnungen seit jeher zugrunde liegt.« (Ebd.: 737) Der Anspruch ist also durchaus weitreichend. Wenn ich mir die Schwierigkeiten vergegenwärtige, die ich habe, auch nur meine eigenen gegenwärtigen Hoffnungen auch nur halbwegs umfassend auszudrücken, sehe ich mich nicht in der Lage, einen solchen umfassenden Anspruch zu prüfen. Daher möchte ich in diesem Aufsatz zunächst nur die Einwände diskutieren, die Hartmut Rosa vor dem Hintergrund dieser generellen Kritik gegenüber der Anerkennungstheorie als einer Version Kritischer Theorie formuliert. Dabei werde ich so vorgehen, dass ich zunächst Rosas Konzept der Resonanz als umfassenden Begriff gelingender Weltbeziehungen sowie sein Konzept der Moderne als Epoche gesteigerter Resonanzsensibilität und zugleich als Epoche des Scheiterns dieses Resonanzversprechens erläutere (I). Werden Anerkennungsverhältnisse und Kämpfe um Anerkennung als die intersubjektiven Bedingungen der Realisierung und Konkretisierung des Autonomieanspruchs verstanden,1 so erscheint dies aus der Perspektive des Resonanzkonzepts in mindestens zweierlei Hinsicht als problematisch. Nach Rosa ist zum einen die einseitige Bezugnahme auf den Autonomiebegriff deshalb zu kritisieren, weil er dem Resonanzversprechen der Moderne nicht gerecht würde und allein die Erweiterung der instrumentellen Verfügungsgewalt des einzelnen Subjekts legitimieren könne. Zum anderen könne eine Anerkennungstheorie, die sich auf die Bestimmung der intersubjektiven Bedingungen eines guten Lebens beschränke, nicht das Ganze gelingender Weltbeziehungen thematisieren (II). In den darauf folgenden Abschnitten möchte ich diese beiden Einwände diskutieren. Dabei werde ich zu zeigen versuchen, dass Rosa mit diesem Vor1 | Ich folge hier in erster Linie einem Anerkennungsverständnis, das sich aus den pragmatistischen Hegelinterpretationen Brandoms (2002) und Pinkwards (2004) gewinnen lässt. Der Anerkennungsbegriff klärt demnach, wie es möglich ist, sich selbst in seinem Handeln an allgemeine Gesetze zu binden. Insofern steht das Autonomiekonzept auch nicht, wie von Rosa angenommen, »in einer unübersehbaren Spannung zu anerkennungstheoretischen Ansätzen […]« (Rosa 2012: 415).
Resonanzverlangen oder Kampf um Anerkennung?
wurf den kritischen Gehalt des Autonomiebegriffs verfehlt, weil dieser gerade darin besteht, einen normativen Maßstab für die Beurteilung der Zwecksetzungen und Handlungsprinzipien von Einzelnen und sozialen Institutionen zu bestimmen und dass die Realisierung eines solchen Autonomieverständnisses von wechselseitigen Anerkennungsverhältnissen und damit auch vom Einbezug der Antworten Anderer abhängig ist (III). Das Problem, dass ein so verstandener Anerkennungsbegriff nicht sämtliche Dimensionen gelingender Weltbeziehungen einzubeziehen vermag, bleibt dann zwar bestehen, nur glaube ich, dass eine solche Einschränkung des Geltungsbereichs angesichts des Verlustes an Differenzierungsfähigkeit, die Rosas allgemeine Soziologie der Weltbeziehungen in Kauf nehmen muss, gerechtfertigt werden kann (IV).
II. D as S cheitern des R esonanz versprechens »Der Begriff wird dürr und beginnt sich zu entziehen, wenn man ihn philosophisch festzunageln versucht.« (Rosa 2016: 761)
Vor dem Hintergrund der im obigen Abschnitt skizzierten Kritik Rosas an den klassischen Entwürfen Kritischer Theorie versucht er zu konkretisieren, was ein gutes oder gelingendes Leben ausmacht. Der Begriff der Resonanz soll nicht nur klarer fassen, was von diesen Entwürfen bisher nur erahnt und vage umrissen war, sondern auch die Beschränkung auf die Selbstbestimmung des Einzelnen, einen rationalen verständigungsorientierten Diskurs oder Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit überwinden.2 Das Konzept der Resonanz fokussiert gegenüber solchen Versuchen nicht nur auf die Selbstbestimmung des Subjekts, sondern auf das wechselseitige Beziehungsverhältnis zwischen Subjekt und Welt, es bezieht nicht nur Formen rationaler Verständigung, sondern auch die leibliche, affektive und emotionale Dimension der Subjekte ein und es fragt nicht nur nach den Ressourcen, die den Subjekten für die Realisierung ihrer Handlungspläne zur Verfügung stehen, sondern nach der Qualität der Weltbeziehungen, die über diese Ressourcen und die Formen ihres Erwerbs gestiftet werden. Insofern muss, so der von Rosa formulierte Anspruch, die Kritik der Resonanzverhältnisse als umfassendste Form der Gesellschaftskritik gelten (vgl. ebd.: 70). Resonanz meint dabei einen Beziehungsmodus, ein Interaktionsgeschehen zwischen Subjekt und Welt, in dem sich beide Pole der Beziehung berühren, aufeinander antworten und sich darin auch verändern. »Als Kernmoment lässt sich dabei die Idee isolieren, dass sich die beiden Entitäten der Beziehung in einem schwingungsfähigem Medium (oder Resonanzraum) wechselseitig 2 | Einige dieser Zielsetzungen teilt Rosa durchaus mit der Theorie der Anerkennung.
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so berühren, dass sie als aufeinander antwortend, zugleich aber auch mit eigener Stimme sprechend […] begriffen werden können.« (Ebd.: 285) Als Resonanzerfahrungen sollen dann die Erfahrungen gelten, in denen das Subjekt einerseits von der Welt affiziert und damit auch transformiert wird, zugleich aber auch aktiv auf die Welt Bezug nimmt (vgl. ebd.: 279). Das eigenständige Antworten des Anderen, das für eine gelingende Resonanzerfahrung notwendig ist, bleibt dabei notwendig unverfügbar. Es kann auch ausbleiben oder den eigenen Erwartungen widersprechen. Insofern kann auch das Erreichen von Resonanz nicht geplant oder erzwungen werden. Werden Weltbeziehungen resonanztheoretisch beurteilt, so geht es nicht darum, ob zuvor festgelegte Ziele im Handeln erreicht werden, sondern um die sich in diesem Prozess des gegenseitigen Antwortens ergebenden Wechselwirkungen. Mit dem so gefassten Begriff der Resonanz soll es nun möglich sein, nicht nur intersubjektive Verhältnisse, sondern auch Verhältnisse zur belebten und unbelebten Umwelt, zu Kunst und Religion, sowie zwischen Geist und Leib zu erfassen und zu beurteilen. Resonanz ist hierbei einerseits ein grundlegendes anthropologisches Konzept, da sich menschliche Subjektivität und Intersubjektivität erst auf der Grundlage stabiler Resonanzbeziehungen herausbilden kann und menschliches Begehren schlechthin als Resonanzbegehren verstanden werden soll (vgl. ebd.: 293f.). Zugleich ist Resonanz aber andererseits auch ein soziologisches Konzept, weil sich Resonanzverhältnisse nur entlang institutionell und kulturell geprägter Resonanzachsen bilden lassen und somit Gesellschaften danach unterschieden werden können, welche Resonanzachsen in ihnen etabliert werden und welche Weltverhältnisse – und damit auch welche Bestimmungen von Subjekt und Welt – in ihnen möglich sind (vgl. ebd.: 671). Erst auf dieser Grundlage ist eine Kritik der Resonanzverhältnisse möglich. Die Moderne unterscheidet sich von anderen sozialen Formationen nicht nur hinsichtlich der in ihr ausgebildeten Resonanzachsen, sondern insbesondere auch durch eine gesteigerte Resonanzsensibilität, ein spezifisches Resonanzversprechen. Denn indem in ihr die Subjekte aus ständischen Beschränkungen herausgelöst werden, über die immer schon festgelegt war, welche Weltbeziehungen sie ausbilden können, ermöglicht sie ihnen eine eigene, ihren je individuellen Dispositionen entsprechende Festlegung auf bestimmte Resonanzachsen bzw. bestimmte Resonanzverhältnisse (vgl. ebd.: 607). Jedoch scheitert, so Rosa, die Einlösung dieses spezifischen Resonanzversprechens auf eine eigentümliche Weise. Denn die Strategie, über die in der Moderne Resonanzverhältnisse etabliert werden sollen, ist eine der instrumentellen Verfügbarmachung. Rosa selbst spricht hier von einer Strategie der »Weltreichweitenvergrößerung«, die auf Ressourcenmaximierung und die Beherrschung des Anderen zielt und damit dessen je eigenes und unverfügbares Antwortverhalten, das für die Realisierung gelingender Resonanzverhältnisse notwendig
Resonanzverlangen oder Kampf um Anerkennung?
ist, zum Verstummen bringt. Eine solche Strategie ist nun aber nicht auf ein individuelles Fehlverhalten der Subjekte zurückzuführen, sondern in der institutionellen Ordnung der Moderne selbst angelegt. Derselbe Prozess, der die Individuen aus ständischen Abhängigkeiten herauslöst, führt auch zur Ausbildung einer institutionellen Ordnung, die sich, nur dynamisch zu stabilisieren vermag. »Moderne Gesellschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Teilbereiche und ihre Sozialstruktur nur noch dynamisch zu stabilisieren und zu reproduzieren vermögen.« (ebd.: 673) Mit der Grundthese, dass die zentralen Institutionen strukturell einer verselbstständigten Steigerungslogik unterliegen, versucht Rosa, seinen zweiten eigenen Anspruch gegenüber bisherigen Entwürfen kritischer Theorie einzulösen, nämlich den, die umfassenden sozialen Ursachen für das Scheitern eines guten oder gelingenden Lebens angeben zu können. Ob es ihm gelingt zu zeigen, dass moderne Gesellschaften tatsächlich in all ihren Basisinstitutionen auf »Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung« (Rosa 2016: 673) angewiesen sind, muss ich hier offen lassen: Zwar kann dies im Hinblick auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung überzeugen, weil die Verwertungslogik des Kapitals tatsächlich zu beständigen Versuchen der Optimierung und Effizienzsteigerung zwingt. Aber schon für die Wissenschaft oder das politische System verliert diese These an Plausibilität, weil Rosa zwar zeigen kann, dass in einem modernen Wissenschaftsverständnis der Forschungsprozess als unabschließbar und jede These als falsifizierbar gilt und dass innerhalb des politischen Systems Legitimität durch Verfahren und nicht durch Bezugnahme auf feste, unveränderbare Fundamente erzeugt wird (vgl. ebd: 681ff.), aber von der Dynamik und Prozesshaftigkeit, die damit diesen Institutionen innewohnt, kann eben noch nicht ohne weiteres auf eine verselbständigte Steigerungsdynamik geschlossen werden. Entscheidend für den weiteren Argumentationsgang ist dann die These, dass sich diese verselbstständigte Steigerungsdynamik der modernen Institutionen unmittelbar auf die Weltbeziehungen auswirkt, die die Subjekte eingehen können. Weil die notwendigen Steigerungsleistungen durch die Subjekte erbracht werden müssen und weil sie sich ihre Position innerhalb der unterschiedlichen sozialen Felder erst in einer leistungsbasierten Konkurrenz gegen Andere erarbeiten müssen, wird in der Moderne mit der sozialen Ordnung auch das Selbst dynamisiert. »Ohne die Bereitschaft zur Veränderung der je eigenen beruflichen und familialen, religiösen und politischen, ehrenamtlichen und ästhetischen Position laufen Individuen stets Gefahr, ihren Platz in der Sozialordnung zu verlieren« (ebd.: 691). Die Ausbildung von Resonanzbeziehungen ist jedoch, so das Argument, zeitintensiv und kann sich unter Konkurrenzbedingungen prinzipiell nicht einstellen, weil diese dazu zwingen, Andere oder Anderes als Gegner oder Hindernis zu behandeln. Die Subjekte sind somit aus institutionellen Gründen zu Strategien der Ressourcenmaximierung und der Vergrößerung ihrer instrumentellen Verfügungsgewalt gezwungen. Und
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dies verhindert gerade die Ausbildung gelingender Resonanzbeziehungen (vgl. ebd.: 692). Die Moderne kann somit ihr Resonanzversprechen nicht einlösen, sondern führt zur Ausbildung stummer oder repulsiver, kurz: entfremdeter Weltbeziehungen. »Als Grundwiderspruch der institutionellen Ordnung der Spätmoderne bleibt damit die Diskrepanz zwischen der verdinglichenden Steigerungslogik dieser Ordnung einerseits und der ebenfalls in ihr und durch sie erzeugten Sehnsucht nach Resonanzbeziehungen andererseits bestehen.« (Ebd.: 668) Damit soll es nach Rosa gelingen, an den eingangs zitierten Anspruch Kritischer Theorie anzuschließen, innerhalb der bestehenden sozialen Verhältnisse ein Moment innerweltlicher Transzendenz auszumachen, an das die eigene Theoriebildung anzuschließen vermag (vgl. Rosa 2013: 74). Aus den damit skizzierten Grundzügen einer Kritik der Resonanzverhältnisse ergibt sich auch, inwiefern nach Rosa die Theorie der Anerkennung weder den Begriff noch die sozialen Voraussetzungen eines guten oder gelingenden Lebens zureichend zu bestimmen vermag. Liegt der Anspruch von Anerkennungstheorien in der Bestimmung der »interindividuellen Bedingungen individueller Selbstbestimmung« (Honneth 1994: 276), so lassen sich daran auf der Grundlage von Rosas Argumentationsgang insbesondere zwei Kritikvarianten entwickeln, denen ich im Folgenden nachgehen möchte: die Kritik an der mangelnden Reichweite der Anerkennungstheorie (1) und eine Kritikvariante, die den Kampf um Anerkennung letztlich selbst unter Ideologieverdacht stellt (2). Beide Kritikvarianten weisen in unterschiedliche Richtungen bzw. formulieren den Gegensatz zur Theorie der Anerkennung in unterschiedlicher Schärfe: Während sie in der ersten Variante nur als ergänzungsbedürftig erscheint, um das Ganze gelingender Weltbeziehungen thematisieren zu können, erscheinen in der zweiten Variante auch ihre zentralen Grundbegriffe selbst als revisionsbedürftig. 1. Das Problem der mangelnden Reichweite stellt sich selbst in doppelter Hinsicht: Indem die Anerkennungstheorie auch Liebes- und persönliche Nahbeziehungen wie Freundschaften einbezieht, über die die Individuen erst ein Vertrauen in den Wert ihrer eigenen Bedürfnisse ausbilden können, gelingt es ihr zwar, auch ihrer leiblich-affektiven Dimension gerecht zu werden (vgl. Rosa 2016: 591); indem sie sich jedoch, so der Vorwurf, auf die intersubjektiven Bedingungen individueller Selbstbestimmung beschränkt, gerät ihr das Ganze von Weltbeziehungen, in denen die Subjekte Resonanz oder aber Entfremdung erfahren können, aus dem Blick. »Die Resonanztheorie geht […] in ihrem Erklärungsanspruch über die Anerkennungstheorie hinaus, weil sie auch diejenigen Hoffnungen, Bedürfnisse, Sehnsüchte, aber auch die Entfremdungs- und Frustrationserfahrungen zu erfassen und zu erklären vermag, die Menschen jenseits der Sozialsphäre haben oder machen.« (Ebd.: 333) So hatte Rosa u.a. versucht zu zeigen, wie die technische Beschleunigung, die Beschleunigung des sozialen Wandels und die Beschleunigung des Lebenstempos nicht nur
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soziale Beziehungen gefährden, sondern uns auch von den uns umgebenden Dingen, dem Raum und selbst unseren eigenen Handlungen entfremden, weil die zeitintensive Ausbildung von Resonanzbeziehungen unter diesen Bedingungen grundsätzlich nicht mehr möglich ist (vgl. Rosa 2013: 122ff.). Diese Aspekte entfremdeter Weltbeziehungen kann, so der Vorwurf, die Anerkennungstheorie nicht erfassen. Jedoch selbst für den Bereich intersubjektiver Beziehungen vermag die Anerkennungstheorie, so Rosa, nicht die Gesamtheit möglicher Entfremdungserfahrungen zu bestimmen. »Dass ein Mensch […] oder ein Handlungsgeschehen uns plötzlich nichts mehr sagt, […] kann geschehen, obwohl oder gerade wenn wir Anerkennung erfahren.« (Rosa 2014: 305) Dies lässt sich ebenfalls an Rosas Analyse der Veränderung der Zeitverhältnisse verdeutlichen: Weil in der Spätmoderne die Beschleunigung des sozialen Wandels eine intragenerationale Veränderungsgeschwindigkeit erreicht hat und weil sich deshalb die Herausforderungen, an denen sich die Subjekte zu bewähren haben und die Kriterien, nach denen ihre Leistungen beurteilt werden, sich beständig wandeln, ist die Anerkennung, die sie erfahren »in zunehmenden Maße Spiegel des täglichen Konkurrenzkampfs.« (Rosa 2013: 86) Selbst die, die diese wechselnden Herausforderungen erfolgreich bewältigen und insofern soziale Anerkennung erhalten, sind unter diesen Umständen beständig von der Angst getrieben, im Konkurrenzkampf zurückzufallen und nicht in der Lage, sich langfristig und bindend auf bestimmte Beziehungen einzulassen, weshalb ihnen die Ausbildung resonanter Weltverhältnisse misslingt. Sie erfahren sich trotz Anerkennung als entfremdet. 2. Indem die Anerkennungstheorie die interindividuellen Bedingungen individueller Selbstbestimmung zu thematisieren sucht, kann sie zwar zeigen, inwiefern die Individuen in ihrer Selbstbestimmung konstitutiv auf antwortende Andere angewiesen bleiben, indem sie jedoch zugleich das normative Kriterium, nach dem soziale Verhältnisse beurteilt werden sollen, auf die Selbstbestimmung der Einzelnen beschränkt, droht sie die Bedeutung von Prozessen der wechselseitigen Beeinflussung und der wechselseitigen Selbsttransformation zu unterschätzen, die ein zentrales Element gelingender Weltbeziehungen bilden. »Autonomie […] taugt nicht als Gegenbegriff zu dem der Entfremdung, weil er das ›Selbst‹ (autos) überbetont und zugleich den transformativen Aspekt gelingender Weltbeziehungen unterschätzt.« (Rosa 2016: 303)3 Der Begriff der Autonomie formuliert deshalb auch keine Alternative zur Steigerungsdynamik der Moderne; vielmehr erweisen sich »Autonomie, Wachstum und Beschleu3 | Diesen Vorwurf richtet Rosa selbst nicht explizit gegen die Anerkennungstheorie. In dem Maße, in dem jedoch der Autonomiebegriff zu ihrem zentralen normativen Leitbegriff gemacht wird, wie ich das im Folgenden versuchen möchte, ist er jedoch auch auf sie zu beziehen.
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nigung als intrinsisch verbunden und just deshalb auch einen ›Entfremdungszusammenhang‹ bildend […].« (Rosa 2012: 414)4 Unter diesen Vorzeichen aber droht nach Rosa die Gefahr, dass Anerkennungsbeziehungen als Ressource und somit auch als knappes Gut erscheinen, um das die einzelnen Subjekte konkurrieren (vgl. Rosa 2016: 595). Der Kampf um Anerkennung bildet dann, zugespitzt formuliert, keine Alternative zu den Entfremdungserfahrungen der Moderne; vielmehr teilt er ihr zentrales Selbstmissverständnis, Resonanzbeziehungen durch die Verfügbarmachung von Welt durchsetzen zu wollen. »Der Kampf um Anerkennung ist essentiell und substantiell eingebunden in und wird geführt als Kampf um Weltreichweite […].« (Ebd.) Weil Resonanz hingegen als ein dynamisches Geschehen und wechselseitiges Antwortverhältnis verstanden werden muss, in dem die Antwort des jeweils anderen immer auch ausbleiben oder den eigenen Erwartungen widersprechen kann und somit unverfügbar bleibt, lässt sich um sie gerade nicht kämpfen (vgl. ebd.: 333).
III. A nerkennung und A utonomie »Das Individuum kann daher nicht wissen, was es ist, eh es sich durch das Tun zur Wirklichkeit gebracht hat.« (Hegel 1980: 218)
Ich werde mich zunächst der zweiten Kritikvariante zuwenden. Im Gegensatz zu dem der Resonanz ist der Autonomiebegriff nach Rosa gerade kein Beziehungsbegriff, sondern thematisiert allein die Handlungsmöglichkeiten oder die Verfügungsgewalt des einzelnen Subjekts. »Der Autonomiebegriff fokussiert meines Erachtens nur auf das Subjekt-Ende des Resonanzdrahtes. Und weil das so ist, stellt das Autonomieverlangen der Moderne nicht die Lösung für ihre Entfremdungserfahrungen dar, sondern bildet eher eine ihrer Ursachen, insoweit es dem Bestreben, immer mehr Welt in Reichweite und unter Kontrolle zu bringen, zugrunde liegt.« (Rosa 2016: 314) Ich glaube, dass die Behauptung, der Autonomiebegriff würde das Resonanzversprechen der Moderne gewissermaßen halbieren und allein die instrumentelle Verfügung über Andere und Anderes legitimieren, schlicht falsch ist und den Gehalt des Autonomiebegriffs verfehlt. Und ich glaube, dass sich das gerade dann zeigen lässt, wenn der Zusammenhang von Autonomie, Anerkennung und Kämpfen um Anerkennung untersucht wird. Denn das Vermögen, 4 | In früheren Schriften hatte Rosa noch den zentralen Grundwiderspruch der gegenwärtigen Gesellschaft in dem Gegensatz zwischen dem Autonomieversprechen der Moderne und ihren verselbstständigten Steigerungsprozessen verortet. Mit der Hinwendung zum Resonanzbegriff scheint er von einer solchen Konzeption abgerückt zu sein (vgl. Rosa 2009a: 93).
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autonom zu handeln, ermöglicht es uns gerade, die Regeln, unter die wir unser Handeln stellen, nicht nur durch die eigenen Interessen oder Neigungen bestimmen zu lassen, sondern danach zu beurteilen, inwiefern diese Regeln oder praktischen Prinzipien als allgemeine Gesetze gelten können.5 In diesem Sinne impliziert Autonomie eine Dezentrierung der eigenen Perspektive und ermöglicht es die Regeln der Willensbestimmung davon abhängig zu machen, inwiefern der »vereinigte Wille Aller« (Kant 1968a: 314) ihre allgemeine Befolgung erlauben würde (vgl. Willaschek 1992: 260). Insofern hat der Autonomiebegriff eine normativ-kritische Bedeutung. Autonomie ermöglicht gerade die Einbeziehung des Anderen, weil sie es erlaubt, danach zu fragen, inwiefern Andere als freie Vernunftwesen den eigenen Handlungsregeln als einem allgemeinen Gesetz haben zustimmen können. Das gerade heißt, sie als Zwecke an sich zu achten und gerade nicht nur als Mittel zur Realisierung der eigenen Interessen zu behandeln (vgl. Kant 1968b: 421). Die These, die ich nun entwickeln und verteidigen möchte, ist die, dass sich das Vermögen autonom, also unter selbst gegebenen Gesetzen zu handeln, erst in Verhältnissen wechselseitigen Anerkennens realisieren und erst vermittelt über soziale Kämpfe um Anerkennung konkretisieren lässt. Das ist deshalb der Fall, weil eine Entscheidung über die Frage, ob der Einzelne in seinem Handeln tatsächlich den Regeln folgt, die als allgemeine Gesetze gelten können, nur innerhalb einer Anerkennungsgemeinschaft möglich ist, deren Mitglieder sich in dem Sinne als sich anerkennend anerkennen, als sie sich wechselseitig des normativen Status zubilligen, die Erfüllung selbst gesetzter Regeln im Handeln beurteilen zu können. »Hegel’s idea is that the determinacy of the content of what you have committed yourself to […] is secured by the attitude of others, to whom one has least implicitly granted that authority. […] I commit myself, but they hold me to it.« (Brandom 2002: 220) Ob der Einzelne die Regeln oder Normen, denen er sich verpflichtet sieht, tatsächlich erfüllt, kann nur innerhalb einer durch Beziehungen wechselseitiger Anerkennung konstituierten Gemeinschaft entschieden werden. Andernfalls entspräche der Glaube, eine Norm zu erfüllen, unmittelbar dem Erfüllen der Norm und das aber hieße, dass von einer Norm, auf deren Grundlage zwischen einem ihr entsprechendem und einem ihr widersprechenden Handeln unterschieden werden muss, nicht mehr gesprochen werden kann (vgl. Wittgenstein 1984: 362, § 258). Denn weil den Subjekten hinsichtlich ihrer Motive aber auch hinsichtlich 5 | Ich beziehe mich hier auf die Kantische Theorietradition. Gerade in ihrem Rahmen sind Selbstbestimmung und Autonomie, anders als von Rosa nahegelegt, auch zu unterscheiden. Selbstbestimmung lässt sich als die Fähigkeit verstehen, den eigenen Willen überhaupt nach der Vorstellung von Regeln bestimmen zu können. Autonomie ist demgegenüber insofern anspruchsvoller, als sie es ermöglicht, diese Regeln im Hinblick auf ihre Verallgemeinerbarkeit zu beurteilen.
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des Gehalts und der Konsequenzen der Regeln, denen sie sich in ihrem Selbstdeutungen unterstellen, immer auch Fehldeutungen unterlaufen können, ist erst an den öffentlich beurteilbaren Handlungen ablesbar, welchen Regeln sie tatsächlich folgen. »Das bedeutet […] die Reinheit und Gewissheit (und damit die Sicherheit) des eigenen Selbstverständnisses zu opfern und sich den Reaktionen, Gegenansprüchen und Herausforderungen der anderen zu unterwerfen.« (Pippin 2008: 28) Die Frage nach der Erfüllung allgemein akzeptierter Normen im Handeln unterliegt also der öffentlichen Beurteilung innerhalb einer Anerkennungsgemeinschaft. Hegels Überlegungen zum Anerkennungsbegriff sind hier für mich aber nicht nur deshalb interessant, weil auf ihrer Grundlage gezeigt werden kann, inwiefern die Erfüllung von selbst gesetzten Handlungsregeln von Verhältnissen wechselseitigen Anerkennens abhängig ist, sondern auch, weil er mit den Kämpfen um Anerkennung auch die sozialen Dynamiken und Prozesse untersucht, in denen das, was als allgemeines Gesetz des Handelns gelten kann, auch inhaltlich erst bestimmt und konkretisiert wird. In der Phänomenologie des Geistes diskutiert er verschiedene Formen, in denen die Subjekte das, was ihnen als verallgemeinerbare Handlungsregel gilt, gerade auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen sozialen Handlungskontexte, in die sie eingebunden sind, unterschiedlich bestimmen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Bestimmungen wird es dann möglich, dass sie ein und denselben Fall auf gegensätzliche Weise beurteilen. Hegel erläutert dies am Drama der Antigone. Hier wird ein und derselbe Fall, der Tod des Polyneikes, durch die Protagonist_innen der beiden Bereiche, in die sich das Gemeinwesen gliedert – die öffentliche Ordnung und den privaten Bereich der Familie – unterschiedlich beurteilt und dies legt ihnen auch ein unterschiedliches Vorgehen nahe: Das Begräbnis des Toten oder dessen Verweigerung. Das Begräbnis des Bruders wird von Antigone deshalb gefordert, weil der Tote als ein Mitglied der Familie angesehen werden muss; Kreon verweigert diese Forderung, weil dieser ihm als Aufständischer wider das Königshaus gilt. Was aus der Perspektive des einen als Pflicht gilt, erscheint aus der des anderen als Unrecht (vgl. Schlösser 2008: 449). Der Gegensatz erscheint somit beiden als Gegensatz von Pflicht und rechtloser Wirklichkeit (vgl. Hegel 1980: 252). Beide abstrahieren hier von den Folgen ihres Tuns für Andere und können diese dann auch nicht mehr kontrollieren. Antigone begeht, indem sie den entsprechenden Verpflichtungen nachgeht, einen politischen Akt der Rebellion. Kreon versteht sich selbst als Vertreter der öffentlichen Ordnung, will den Staat schützen, und verletzt damit den Bereich der familiären Beziehungen. Sie verletzen durch die Orientierung an dem, was ihnen jeweils als Pflicht gilt, jedoch nicht nur die Handlungsregeln des jeweils anderen, sondern damit auch den selbst gesetzten Anspruch, im eigenen Handeln verallgemeinerbaren Prinzipien zu folgen. So
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scheitert Kreon gerade auch im Bereich der öffentlichen Ordnung: Er erweist sich nicht als guter König, sondern als Tyrann. An diesen Fällen, in denen sich die Subjekte an unterschiedlichen praktischen Prinzipien orientieren, aus denen sich jeweils unterschiedliche Handlungsweisen und damit auch Konflikte ergeben, werden nun in mindestens dreierlei Hinsicht Erfahrungsprozesse möglich: In diesen Fällen wird für die Subjekte 1. erfahrbar, dass sie den Anspruch auf Allgemeinheit, den sie ihn ihrem Handeln verfolgen, bisher nicht einlösen konnten; sie lernen, dass sie etwas anderes taten, als sie meinten und werden so zur Selbstreflexion und Veränderung ihrer handlungsleitenden Prinzipien gezwungen. Diese durch Kämpfe um Anerkennung vermittelten Erfahrungsprozesse sind also zugleich auch Prozesse der Selbsttransformation. Was es heißt, als Selbst autonom zu handeln, kann also nicht vorausgesetzt werden, sondern wird erst an den Widersprüchen und Widerständen Anderer erfahrbar. Aus dieser Selbstreflexion, in der die bisherigen handlungsleitenden Prinzipien überprüft und reformuliert werden, können dann 2. neue Handlungsregeln generiert werden, die insofern dem Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit besser gerecht werden können, als sie die Ansprüche und Perspektiven der jeweiligen Konfliktparteien zu integrieren vermögen (vgl. Mead 1980). Das autonome Selbst ist also nicht schlicht gegeben, sondern selbst erzeugt und eine solche Erzeugung wird dann möglich, wenn es sich unter den Anspruch stellt autonom zu handeln. »Es gibt ›die Freiheit‹ nur, wenn wir von dieser unserer Möglichkeit zur theoretischen und praktischen Selbstorientierung Gebrauch machen, wenn wir tatsächlich unter der Idee der Freiheit handeln und sie dadurch verwirklichen.« (Esser 2009: 326) 3. Erfahren die Beteiligten an diesen Konflikten immer auch etwas über die Logik dieser Konflikte selbst. Sie werden damit in die Lage versetzt, die gemeinsamen Institutionen und die eigenen Selbstverständnisse so auszugestalten, dass diese die Möglichkeit einbeziehen, dass der Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit institutionalisierter oder individueller Handlungsregeln angesichts nicht berücksichtigter Folgen eines entsprechenden Handelns für Andere immer auch scheitern kann. Diese Erfahrungsprozesse sind nun aber notwendig durch Konflikte, durch Kämpfe um Anerkennung vermittelt, weil in ihnen etablierte Selbstdeutungen und Praktiken aufgebrochen werden müssen. Kämpfe um Anerkennung widersprechen ausgehend von moralischen Verletzungserfahrungen den herrschenden praktischen Prinzipien und Selbstverständnissen. Sie werden dadurch provoziert, dass sich Individuen oder soziale Gruppen in ihrem Selbstverständnis durch die bestehenden praktischen Prinzipien nicht geachtet sehen. Sie erfahren sich als Regeln unterworfen, als deren Autor_innen sie sich nicht verstehen können.
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Genau eine solche positive Bezugnahme auf soziale Kämpfe hatte Rosa jedoch der Anerkennungstheorie zum Vorwurf gemacht: »Es ist deshalb kein Zufall, dass Honneth das Anerkennungsgeschehen schon im Titel seines Hauptwerkes als ›Kampf‹ auffasst. Der Kampf aber gehört zur Sphäre der Repulsion […].« (Rosa 2016: 595) Für eine solche pessimistische Deutung besteht jedoch kein Grund. Kämpfe um Anerkennung in dem erläuterten Sinne sind gerade nicht, wie von Rosa unterstellt, Konkurrenzkämpfe um knappe Güter (vgl. ebd.), sondern Kämpfe um soziale Deutungen, um die Neugestaltung etablierter praktischer Prinzipien und damit auch Kämpfe darum, was überhaupt als soziales Gut gelten soll. Um die Überlegungen dieses Abschnitts zusammenzufassen: Autonomie legitimiert gerade nicht die Erweiterung der instrumentellen Verfügungsgewalt des Selbst, sondern sie ermöglicht einen kritischen Maßstab der Selbstkorrektur. Die Erfüllung des Autonomieanspruchs ist dabei notwendig auf die Antworten – die Zustimmungen und Widersprüche – Anderer angewiesen, denn erst auf ihrer Grundlage kann die allgemeine Verbindlichkeit der Prinzipien des individuellen und kollektiven Handelns geprüft und konkretisiert werden. Autonomie ist außerdem in diesem Sinne nicht gegeben, sondern wird erst durch soziale Kämpfe realisiert.
IV. S oziale K ämpfe um A nerkennung als S uchbe wegungen Bleibt das Problem der geringeren Reichweite. Tatsächlich lässt sich ein so rekonstruiertes Anerkennungsverständnis nur auf intersubjektive Verhältnisse beziehen, während der Anspruch des Resonanzkonzepts gerade darin gelegen hatte, auch das Verhältnis von Geist und Körper und die Verhältnisse zu Dingen und zur Welt im Ganzen einbeziehen und so in einem umfassenden Sinne die Bedingungen und Vollzüge gelingender Weltbeziehungen thematisieren zu können. Dieser umfassende Anspruch, mit dem Begriff der Resonanz den Grundbegriff der Sozialkritik oder für sämtliche Dimensionen gelingender Weltbeziehungen zu bestimmen, führt jedoch auch zu einer mangelnden Differenzierungsfähigkeit auf den einzelnen Ebenen. Dies will ich kurz anhand Rosas Diskussion aktueller politischer Protestbewegungen zeigen. So unterscheidet Rosa nicht zwischen den Protestbewegungen Occupy, den Indignados oder den Maidan-Protesten bzw. für Deutschland zwischen dem Protest gegen Stuttgart 21, Protesten gegen die Olympischen Spiele oder Pegida (vgl. ebd.: 377). Ihnen allen sei gemeinsam, dass sie sich jenseits klassischer politischer Programmatiken – etwa der links-rechts Unterscheidung – bewegen und in erster Linie als Ausdruck des Resonanzverlangens der Bürger gelten müssen. Als Proteste und damit als Formen des sozialen Kampfes treten sie Anderen
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zudem in einem »repulsiven Beziehungsmodus« entgegen und zeigen insgesamt an, »dass der Resonanzdraht zwischen Bürgern und Politik gerissen ist.« (Ebd.: 375) Zwar mag es richtig sein, dass alle diese Protestbewegungen auf die Erfahrung reagieren, dass ihre Stimme innerhalb der politischen Sphäre kein Gehör findet, dass ihnen die Politik nicht mehr antwortet – ebenso wie es in allgemeinen Sinne richtig sein mag, dass Menschen überhaupt auf eine antwortende, ihnen entgegenkommende und eben nicht feindlich-repulsive Welt angewiesen sind – nur ist doch für eine kritische Soziologie gerade die Frage interessant, wie sich diese Bewegungen unterscheiden und normativ beurteilen lassen, also welche Antworten sie erwarten, wie sie das Ausbleiben dieser Antworten interpretieren, wie sie vorgehen, um ihre Situation zu verändern und auf welche Ziele sie sich ausrichten. Diese mangelnde Unterscheidungsfähigkeit scheint mir daran zu liegen, dass der Begriff der Resonanz am Beispiel physikalischer Körper, etwa zweier Stimmgabeln, eingeführt wird, bei denen die Eigenschwingung des einen die Eigenschwingung des anderen anregt (vgl. ebd.: 282), ohne dann aber begrifflich klar zu bestimmen, wie sich die spezifischen Resonanzverhältnisse auf den unterschiedlichen Ebenen der Weltbeziehung voneinander unterscheiden lassen, was also etwa menschliches Antwortverhalten von anderen Resonanzbeziehungen unterscheidet.6 Und ebenso bleibt offen, wie unterschiedliche Weisen des Antwortens in normativer Hinsicht unterschieden und beurteilt werden sollen. Ein »normativer Monismus« (ebd.: 756) des Resonanzkonzepts, den Rosa anstrebt, ist aber unter diesen Vorzeichen problematisch. Ein anerkennungstheoretisch rekonstruiertes Verständnis von Autonomie, das die intersubjektiven Voraussetzungen des Handelns unter selbst gegebenen Gesetzen freilegt, kann sich selbst als Versuch der Selbstreflexion der sozialen Kämpfe um Anerkennung begreifen, in denen die, die von den Folgen institutionalisierter Handlungsregeln betroffen und in ihrem Selbstverständnis verletzt sehen, deren Reformulierung und die Einlösung ihres Anspruchs auf allgemeine Verbindlichkeit einklagen. Die Neubesetzung des Demokratiebegriffs in den Assambleas der Indignados, die gegen die Sachverwalter der Austeritätspolitik in Stellung gebracht wurde, die solidarischen Netzwerke, die in den südeuropäischen Krisenstaaten Unterstützung gegen Prekarisierung und Enteignung organisieren, und die Schaffung neuer Formen des Gemeinsamen, die Isolierung und Angst überwinden, zielen insgesamt, als eine Erweiterung demokratischer Praktiken, darauf, dass für jeden gesellschaftlichen Bereich, auch den der Ökonomie, gelten muss, dass alle, die von kollektiven 6 | Auch dort, wo sich Rosa positiv auf den Begriff der Selbstbestimmung als Voraussetzung von Resonanzbeziehungen bezieht, dieser allein als »freie Schwingungsfähigkeit« (ebd.: 755) etc. bestimmt.
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Regelungen betroffen sind, über diese auch mitentscheiden können müssen. Dass sie dabei häufig, worauf Rosa richtig verweist, nicht von feststehenden politischen Programmatiken ausgehen, sondern diese im Verlauf eines gemeinsamen Organisierungs- und Verständigungsprozesses erst schaffen wollen, reagiert auf den Umstand, dass die Formen der Gegenöffentlichkeit, in denen individuelle Erfahrungen sozialen Leidens erst artikuliert, als gemeinsame erkannt und auf ihre sozialen Ursachen bezogen werden können, durch die Prekarisierungsprozesse und die neoliberale Enteignungspolitik der vergangenen Jahrzehnte weitestgehend zerstört sind und erst neu erzeugt werden müssen. In ihren Praktiken reflektiert sich also der Widerspruch, dass das, was für alle gelten soll, nicht nur durch wenige bestimmt werden kann. Sollte diese Einschätzung zutreffen, dann wäre eine kritische Theorie heute nur als Selbstkritik denkbar; sie hätte sich zu verstehen als Reflexion der eigenen Erfahrungslosigkeit, als Versuch, schrittweise ein Wissen um das eigene Nichtwissen zu gewinnen und die Grenzen der eigenen Erfahrungsfähigkeit zu bestimmen. Indem sie sich darum bemüht, die Beschränkungen der eigenen Erfahrungsfähigkeit aufzuklären, ist sie auch nicht als Entdeckung einer verborgenen Wirklichkeit, sondern nur als Reflexion auf eine verlorene Möglichkeit zu fassen. Wir wissen heute nicht, wie wir leben sollen. Allenfalls lässt sich bestimmen, was uns hindert, die für ein solches Wissen notwendigen Suchbewegungen zu vollziehen.7 Die Orientierung auf die Verwirklichung von Autonomie als Zielpunkt dieser Suchbewegungen kann dabei jedoch nicht aufgegeben werden.
L iter atur Brandom, Robert B. (2002): »Some Pragmatist Themes in Hegel’s Idealism: Negotiation and Administration in Hegel’s Account of the Structure and Content of Conceptual Norms«, in: Ders., Tales of the Mighty Dead, Cambridge: Harvard University Press, S. 210-234.
7 | Dafür ist, und hier scheint mir Rosas Argumentation zutreffend zu sein, auch der gegenwärtige Wandel der Zeitnormen einzubeziehen: Der Übergang des ökonomischen Wettbewerbs von einem »Positionskampf« zu einem »Kampf um Performanz«, durch den nicht mehr in der Vergangenheit erarbeitete Positionen, sondern die situative Bewältigung aktueller Arbeitsanforderungen zur Grundlage der Leistungsbemessung wird, zeigt, dass die Anerkennungstheorie auch die sich wandelnden Zeitnormen einbeziehen muss, will sie gegenwärtige Missachtungserfahrungen innerhalb der kapitalistischen Wettbewerbsordnung zureichend beschreiben können (vgl. Rosa 2009b).
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Ein anderes Subjekt ist möglich Kritische Soziologie und der Blick an den Grenzen Hanna Meißner
Hartmut Rosas Theorie und Gegenwartsdiagnose versteht sich als Beitrag zur aktuellen »Rückkehr der Kritik in die Soziologie« und insofern als ein »Akt der ›Erneuerung‹« (Dörre/Lessenich/Rosa 2009: 12) der Soziologie, der kritische Analysen der Gegenwart mit der (normativen) Frage nach Möglichkeiten einer anderen (besseren) Welt verbindet. Die Aufgabe sozialwissenschaftlicher Kritik erschöpfe sich nicht in der Analyse von Problemen, sondern sie habe einen Schritt weiterzugehen und nach den Bedingungen eines guten Lebens zu fragen (vgl. Rosa 2013). Wie Rosa in dem jüngst erschienenen Band Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung gleich im ersten Satz zum Ausdruck bringt, geht es ihm darum, seiner systemisch angelegte Problemdiagnose (Beschleunigung) als Kritik der Gegenwart eine normative Antwort (Resonanz) als Vision eines guten Lebens entgegenzuhalten: »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.« (Rosa 2016: 13) Meine kritischen Überlegungen zu diesem Anliegen, (Gesellschafts‑)Kritik mit Visionen anderer Möglichkeiten zu verbinden, setzen mit einem Einwand ein, der sich aus der nicht zuletzt an langen Auseinandersetzungen um Haupt- und Nebenwidersprüche geschärften feministischen Erkenntnis speist, dass die neue alte Systemfrage nicht in nostalgischer Sehnsucht nach einer umfassenden Problemdiagnose formuliert werden sollte (vgl. Meißner 2015a). Wenngleich ich es für sinnvoll (und in unserer historischen Gegenwart für notwendig) halte, den kritischen Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge zu richten, so stellt sich dies jedoch insofern als spannungsreiches Unterfangen dar, als diese Zusammenhänge zwar globale Dimensionen aufweisen, zugleich aber keineswegs eine für alle subjektiv in gleicher Weise erfahrbare grundlegende Problematik hervorbringen. Globale Zusammenhänge sind als solche gerade nicht unmittelbar erfahrbar und daher nicht in einer allgemeinen erfahrungsbezogenen Problemdiagnose erfassbar – eine wichtige Herausforderung besteht vielmehr darin, über sehr unterschiedliche Erfahrungen hinweg Gemeinsamkeit erkennbar zu machen und damit geteilte Verände-
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rungsperspektiven herzustellen. Aufgabe sozialwissenschaftlicher Rekonstruktion ist es in diesem Sinne, theoretisch begreif bar zu machen, inwiefern sehr heterogene und widersprüchliche Problemerfahrungen (etwa Beschleunigung für die einen und Stillstand für die anderen, oder auch individuell als widersprüchliche erlebte Zeiterfahrung, in der Beschleunigung in manchen Aspekte als positiv in anderen als negativ erscheinen kann) durch spezifische strukturelle Dynamiken systematisch miteinander verbundenen sind. Rosa erhebt nicht den Anspruch, eine allgemeingültige Antwort auf die Frage zu geben, was ein gutes Leben im Detail sein könnte; sein Anliegen ist es, mit der Metapher der Resonanz eine grundlegende Analysedimension für Gesellschaftskritik auszuweisen, die an der Qualität der subjektiv erfahrenen Weltbeziehung ansetzt, ohne sich dabei auf substanzielle anthropologische Setzungen zu berufen. Mit dem Begriff der Weltbeziehung soll die je besondere sozio-kulturelle Konstellation von subjektiver, objektiver und sozialer Welt gefasst werden (vgl. Rosa 2016: 69); die Stoßrichtung der Kritik beruht auf der Annahme der historischen Variabilität und Veränderbarkeit von Weltbeziehungen: »Wenn und sofern es richtig ist, dass sich die menschlichen Daseinsformen über die Art und Weise ihrer Weltbeziehung erschließen lassen, und wenn es zutrifft, dass sich diese Weltbeziehungen grundlegend über Resonanzbeziehungen und Resonanzsensibilitäten etablieren, deren Ausbildung (und/oder Verhinderung) ihrerseits wiederum sozial organisiert wird, dann erscheint eine Kritik der Resonanzverhältnisse als die elementarste und zugleich umfassendste Form der Gesellschaftskritik.« (Rosa 2016: 70)
Meine Vermutung, der ich im Folgenden nachgehen will, ist, dass Resonanz als Metapher zwar auf eine für kritische Gesellschaftstheorie wichtige Frage verweist: nämlich die Qualität der Weltbeziehung/en, dass sie in ihrer abstrakten Allgemeinheit als Gegenmittel gegen ›Beschleunigung‹ jedoch die Heterogenität und Un/Bestimmtheit (systematisch) unterschiedlicher, aber zeitgenössisch miteinander ko-existierender (und ko-konstitutiver) Weltbeziehungen gerade nicht thematisierbar macht und wichtige herrschaftskritische Momente auf diese Weise eher ausblendet. Normative Antworten, die von einer umfassenden Problemanalyse auf der Ebene des individuellen (Er‑)Lebens ausgehen, bleiben dem Erleben derjenigen verhaftet, die Probleme in dieser Weise als solche erleben. Wie Rosas Zeitdiagnose deutlich macht, ist subjektiv empfundenes Leid an den Verhältnissen gewissermaßen in der ›Mitte der Gesellschaft‹ angekommen; seine Analysen der Beschleunigung lesen sich gerade in ihren anekdotischen Illustrationen (auch) als Erfahrung derjenigen, die professionell Soziologie betreiben und ihre Arbeit im Zuge des strukturellen Umbaus akademischer Institutionen, der technologischen Entwicklungen und
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spezifischer Kriterien managerialer Effizienz gerade in ihrer vermeintlichen Selbstbestimmtheit zunehmend als entfremdet erleben: »Just in diesem Sinn mögen wir uns entfremdet fühlen, wenn wir den ganzen Tag bis Mitternacht arbeiten, ohne dass uns dies jemand vorschreibt – und obwohl wir wirklich früh nach Hause gehen ›wollten‹ (und wir vielleicht unserer Familie versprochen haben, dies zu tun). Gleichermaßen mag es als ›Entfremdung‹ erfahren werden, wenn wir neue Bildungs- oder Wirtschaftsreformen oder Management-Richtlinien erlassen, die wir nicht ›wirklich‹ gutheißen, oder wenn wir Mitarbeitern kündigen, um größere Profite oder Konkurrenzfähigkeit zu erreichen.« (Rosa 2013: 120)
Aus diesen Erfahrungen kann sich die Frage nach der Qualität der Weltverhältnisse als soziologische Frage nach deren Gewordenheit und Variabilität aufdrängen und dies kann durchaus zu Erkenntnissen führen, die über diese situierten Erfahrungen hinausgehende verallgemeinerbare transformatorische Perspektiven bieten. Dafür ist es allerdings notwendig, die selbstverständliche Beiläufigkeit des verallgemeinerten ›wir‹ systematisch zu hinterfragen und zum Bezugspunkt von Kritik zu machen. Da die Erfahrung des Subjekts in ihrer vermeintlichen Evidenz durch dessen Situiertheit in gesellschaftlichen Verhältnissen konfiguriert ist, die in unserer historischen Gegenwart von Heterogenität und Ungleichheit geprägt sind, ist sie in ihrer Verallgemeinerbarkeit als geteilte Problembeschreibung begrenzt: »Each group […] is limited to the experience of its local, its specific situation. It is this local situation that then provides both the specific terrain and the specific ›motive for combat‹, which determines the form of struggle of each such group« (Wynter in Scott 2000: 187). Die je spezifische Erfahrung von Problemen kann Ausgangspunkt kritischer Reflexion über die Qualität von Weltbeziehungen sein, diese Reflexion muss sich jedoch zu ihrer spezifischen Situiertheit, zu den Bedingungen ihrer Möglichkeit, ins Verhältnis setzen und darum ringen, die eigene (notwendige) Begrenztheit in den Blick zu bekommen. Eine Soziologie der Weltbeziehungen schreibt sich sonst in die alte Problematik der Soziologie ein, dass unreflektiert aus eine bestimmte gesellschaftlichen Situierung heraus entwickelte normierende Setzungen als allgemeingültige Begriffe der Analyse und Kritik verwendet werden. Für ›uns‹, die aus soziologischer Perspektive eine Kritik der Weltbeziehungen anstreben, ist es wichtig, »die von uns notgedrungen als Erkenntnismittel verwendeten, aber herrschaftlich verfassten Wahrnehmungs- und Denkkategorien […] rigoros auch als Erkenntnisgegenstände zu behandeln« (Hark/Völker 2010: 43). Ein ganz zentraler Ansatzpunkt einer solchen selbstreflexiven Perspektive ist die Aufmerksamkeit für das, was Neel Ahuja als »effortless use of the ›we‹« (Ahuja 2010: 131) bezeichnet. Der unproblematisierte Bezug auf ein ›wir‹ beruht auf analytischen Leerstellen, die letztlich dazu führen können, dass Ge-
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sellschaftskritik insofern an Schärfe einbüßt, insofern, als das Subjekt dieser Kritik aus seiner (privilegierten) Situierung heraus auf Versöhnung innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse hoffen kann.
W eltbeziehungen als E ffek te von G renz ziehungen Das moderne Versprechen, dass eine andere – bessere – Welt machbar ist, beruht auf der Annahme, dass ›wir‹ als menschliche Subjekte gestaltend in die Welt eingreifen können. Die Sozialwissenschaften beanspruchen wiederum, für ein solches Eigreifen wichtige Erkenntnisse bereitstellen zu können, da die Möglichkeiten des gestaltenden Eingreifens auf einer spezifischen Vorstellung des Sozialen als Horizont politischer Handlungsfähigkeit beruhen: Weil und insofern bestimmte Dimensionen der Wirklichkeit als Effekte menschlicher Tätigkeit (das heißt als sozial bedingt) bestimmt und analysiert werden, erscheinen sie einer bewusst transformativen Gestaltung zugänglich. Eine zentrale Prämisse ist in diesem Kontext, dass Menschen soziale Wesen sind, die selbst in ihren vermeintlich unmittelbaren Emotionen und Wahrnehmungen, ihren Wünsche und ihrem Begehren, durch ihre je spezifische historischkulturelle Situierung geprägt sind. Erst vor dem Hintergrund einer solchen Annahme können Weltbeziehungen als gestaltbar erscheinen und damit zum Ansatzpunkt kritischer Analysen werden: »Weltbeziehungen und Weltverhältnisse [sind] im Ganzen immer auch und in einem erheblichen Maße kollektive soziale Verhältnisse […]; sie bilden sich in Institutionen und Praktiken heraus und sind in den vorherrschenden Weisen des Seins, Denkens und Handelns im Sinne dispositiver Formationen tief verankert.« (Rosa 2016: 33f.) Rosas Überlegungen zur Möglichkeit einer normativen Antwort auf zeitdiagnostisch beschriebene Probleme sind insofern situiert, als er die Hoffnung, durch eingreifendes Handeln die Welt gestalten zu können in einer spezifischen Konstellation von Weltverhältnissen und Weltbeziehungen verortet: Die Moderne lässt sich als historische Konstellation beschreiben, in der Stabilität und angemessenes Verhalten nicht durch eine äußerlich gegebene Ordnung garantiert werden, in der Wirklichkeit daher als kontingent erlebt und diese Kontingenz zugleich als Gestaltungsaufgabe erscheint. Der Mensch der Moderne konstituiert sich insofern als freies und autonomes Subjekt, das seine Weltbeziehungen nicht seinem Stand begründet oder als göttliches Schicksal begreift. Dieses Subjekt ist vielmehr aufgefordert, sich als eigenständiges Wesen mit innerer Tiefe zu begreifen, die es (mit ›eigener Stimme‹) zum Ausdruck bringen kann (und muss) und die von anderen gehört und anerkannt werden muss. Es steht also vor der Aufgabe, seine individuelle Persönlichkeit zu ergründen, seine Neigungen zu erkennen, seine Potenziale optimal auszuschöpfen, um auf diese Weise einen Platz in der Welt einzunehmen, für sich
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selbst zu sorgen, seine Weltbeziehung zu gestalten und in verantwortungsvoller Weise zur Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung beizutragen. Dieses Subjekt kann auch – und das ist im Hinblick auf die historische Möglichkeit von (Gesellschafts‑)Kritik ein wesentliches Moment – die bestehende Ordnung hinterfragen und sie als unangemessen oder gar schädlich im Hinblick auf die Qualität der eigenen Weltbeziehung/en kritisieren. Subjekte, die sich zur Welt, zu den Verhältnissen unter denen sie leben, in Beziehung setzen können (und müssen), die sich zu diesen Verhältnissen verhalten können (und sollen), sind eine Voraussetzung dafür, dass Weltbeziehungen als kontingent erscheinen: Die Frage, wie zu leben sei, kann auf diese Weise zum Gegenstand ethischer Verhandlungen und politischer Gestaltung werden, die Qualität der Weltbeziehung wird zu einer Frage menschlicher Verantwortung. Bei Rosa ist diese historische Situierung einer spezifischen Subjektivierung mit der Annahme verbunden, dass sich die Frage, wie ein gutes Leben aussieht, mit Bezug auf Resonanz (als Qualitätsmerkmal gelingender Weltbeziehungen) beantworten lässt und dass resonante Weltbeziehungen wiederum die historische Existenz ›hinreichend‹ von ihrer Welt abgegrenzter Subjekte voraussetzen. Allerdings bleibt die Bestimmung dessen, was in dieser Hinsicht ›hinreichend‹ ist, vage: Um Resonanz zu ermöglichen seien Körper notwendig, die »einerseits offen genug für eine Beziehung sind, andererseits aber hinreichend stabil und geschlossen bleiben, um in einer Eigenfrequenz ›zu tönen‹ beziehungsweise um ›mit eigener Stimme zu sprechen‹« (Rosa 2016: 191). Die moderne Figur des Subjekts als in spezifischer Weise der Welt gegenüberstehendes Individuum wird von Rosa als Voraussetzung für resonante Weltbeziehungen begriffen, zugleich setzt er Resonanz und damit eine ›hinreichende‹ Individuierung als normativen Standard einer guten Weltbeziehung fest. Resonanz erscheint als eigentümlich hybride Metapher, die das historische Versprechen ihres kritischen Potentials in einer »primordialen Resonanzfähigkeit des Menschen« (Rosa 2016: 582) verankert. In diesem Schwanken zwischen einer anthropologischen Bestimmung und einer historisch spezifischen Form der Subjektivierung zeigt sich die Problematik der Metapher, die hier sowohl als normativer Bezugspunkt als auch als Analysedimension erscheint. Was dabei nicht wirklich in den Blick kommt, ist die Frage, inwiefern resonante Weltbeziehungen (in der historischen Konstellation der kapitalistischen Moderne) die subjektivierende Einbindung in Herrschaftsverhältnisse voraussetzen und ein nicht einfach verallgemeinerbares (und daher immer bedrohtes) Privileg darstellen. Um das kritische Potential, das in der Frage nach der spezifischen Qualität von Weltbeziehungen steckt, weiter erschließen zu können, scheint es mir daher hilfreich, den Blick genauer auf die Art der Grenzziehungen zu richten, die diese individuierende Abgegrenztheit autonomer Subjekte herstellen und aufrechterhalten, sich also den »verschiedenen Verfahren […], durch die in unserer
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Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden« (Foucault 1994: 243) detaillierter zuzuwenden. Auf diese Weise lässt sich der unbefangene Umgang mit dem verallgemeinerten ›wir‹ durchbrechen und ein differenzierter und herrschaftskritischer Fokus auf die historischen Verfahren der Subjektivierung im Hinblick auf die spezifische Ordnung der Wahrheit, die Machtpraktiken und ‑strukturen sowie die spezifischen ethischen Formen legen: Das autonome Subjekt, das frei und rational Entscheidungen trifft und für diese Entscheidungen Verantwortung zu tragen hat, ist die historische Figur des (bürgerlichen, weißen, körperlich befähigten, heterosexuellen) Mannes*1, der von geistigen und körperlichen Abhängigkeiten befreit ist und daher den Anspruch erheben kann, selbstbestimmt auf der Basis innerer Relevanzstrukturen zu handeln (vgl. Campbell 2012; Stoler 2002; Venn 1997; Yeğenoğlu 1997). Die Prozesse moderner Individualisierung erscheinen auf diese Weise nicht als Herauslösung vorgängiger Einzelner aus traditionalen Abhängigkeitsverhältnissen, sondern als Konstituierung von spezifisch figurierten Individuen in historischen Machtverhältnissen: als bürgerliche Subjekte, die eine ›eigene Stimme‹ in ganz spezifischer Weise erlangen und die so mit ihren historischen Bedingungen Resonanzen erzeugen können. Die Perspektive auf eine Kritik der Weltverhältnisse erweitert sich damit um zwei miteinander verwobene Dimensionen. Erstens stellt sich die Frage, inwiefern dieses Subjekt als konstitutives Moment spezifischer Weltverhältnisse überhaupt über die Standards und Modalitäten seiner Weltbeziehungen verfügen kann. Dies spricht die von Rosa aufgeworfene Problematik der Entfremdung an, bindet diese aber ausdrücklich an eine Analyse historisch spezifischer (strukturell bedingter) Muster von Weltbeziehungen als (versachlichte) Herrschaftsverhältnisse zurück. Die – gerade auch bei der älteren Kritischen Theorie im Fokus stehende – theoretische Rekonstruktion der strukturell bedingten Ohnmacht der Einzelnen gegenüber den verdinglichten gesellschaftlichen Verhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise lässt problematisieren, dass Resonanz nicht per se emanzipatorisch ist, sondern durchaus auch Ausdruck einer individualisierten Einbindung in unverfügbare Verhältnisse sein kann (vgl. Schulz 2015), die zudem auf der (illusionären) Erfahrung individueller Bedeutsamkeit beruht: »die Dinge schwingen mehr, als daß sie unterdrücken, und sie schwingen das mensch1 | Das * soll darauf verweisen, dass der Mann* eine bestimmte Figur des Menschen ist, die nur in der Relation eines Dominanzverhältnisses bestimmbar ist (so gibt es den Mann* nur in der Relation zur Frau* als seiner minderen Anderen). Solche Figuren des Menschlichen haben keine einheitliche, endgültig festlegbare Bedeutung; diese variiert in verschiedenen Epochen und historischen Kontexten und ist zudem im Zusammenhang mit anderen, sie durchquerenden Figurierungen zu bestimmen (etwa: Oriental_innen* oder Schwarze* oder Behinderte* und deren – meist als unmarkierte Norm verschwiegenen – dominanten Gegenstücken: Europäer_innen*, Weiße*, körperlich Befähigte*).
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liche Instrument – nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist und sogar seine Seele« (Marcuse, zitiert nach Schulz 2015: 113). Zweitens erscheint die historische Figur des (bürgerlichen) Subjekts insofern als problematisch, als es sich über die Ausgrenzung oder gar Verwerfung (notwendiger) Anderer konstituiert, die als dessen konstitutive Grenzfiguren (vgl. Purtschert 2006) nie (völlig) den privilegierten Status des modernen Subjekts erlangen können.2 Daraus folgt die erweiterte Kritikperspektive, dass dieses Subjekt nicht einfach Probleme mit den Dynamiken spätmoderner Gesellschaften hat, sondern dass es als spezifische Figur der (Spät‑)Moderne selbst konstitutives Moment dieser problematischen Weltverhältnisse ist.
K ritik als ›G renzhaltung ‹ Das moderne (individualisierte) Subjekt erscheint also zugleich als Voraussetzung und als Gegenstand von (sozialwissenschaftlicher) Kritik. Dies verkompliziert die Suche nach normativen Maßstäben und emanzipatorischen Visionen insofern, als die Frage virulent wird, wer ›wir‹, die wir gesellschaftliche Verhältnisse in kritischer Absicht analysieren und emanzipatorische Hoffnungen artikulieren, sind, wie wir zu diesen Subjekten geworden sind, was wir wahrnehmen und wollen können, was wir hoffen können – und um welchen Preis, auf wessen Kosten. Die Möglichkeit von Kritik lässt sich vor diesem Hintergrund als »Grenzhaltung« (Foucault 1990: 48) bestimmen, die mittels archäologischer und genealogischer Verfahren darauf zielt, historische Praktiken erkennbar zu machen, die Grenzziehungen (etwa zwischen Individuum und Welt, zwischen Sagbarem und Unsagbarem) in spezifischer Weise hervorbringen. Kritik befasst sich in diesem Verständnis mit Grenzziehungen nicht, weil diese normative Maßstäbe bereitstellen, sondern weil sie Hinweise auf andere Möglichkeiten geben können. Grenzziehungen können insofern auch nicht einfach als richtig oder falsch bestimmt werden, sondern müssen 2 | Auch diese Analyse verbindet sich mit der Rekonstruktion spezifischer Strukturen kapitalistischer Vergesellschaftungen. Das Individuum wird zum (Arbeitskraft‑ und Rechts‑)Subjekt, indem seine Abhängigkeiten und Sorgebedürfnisse in einer (historischen) heteronormativen Geschlechterordnung als individualisierte Eigenschaften und Schwächen konfiguriert und an Andere (Frauen*) ausgelagert werden (vgl. Hausen 1976). Seine Konstituierung als freies Besitzindividuum beruht wiederum auf dem Ausschluss verworfener Anderer als nicht (ganz) menschlich. Historisch materialisierte sich dieser Ausschluss als rassistische Figurierung der extremen Verdinglichung menschlicher Arbeitskraft als Handelsware und setzt sich in der Gegenwart in der systematischen Hervorbringung von rassistisch markierten Menschen als (wertlosem) Überschuss der kapitalistischen Produktionsweise fort (vgl. Mbembe 2014).
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auf ihre Prämissen und Machteffekte befragt werden: Was schließen sie aus und welche Bedeutung hat das Ausgeschlossene als konstitutives Außen für das, was als wirklich und normal erfahren wird? Eine solche Haltung fundamentaler Selbstkritik fragt also nach den Bedingungen, die uns in spezifischer Weise als Subjekte hervorbringen, und eröffnet dadurch die Möglichkeit, auch die Ausschlüsse, Verwerfungen und Verluste, die mit dieser Subjektivierung verbunden sind, wahrnehmbar zu machen. Die mit diesem Verständnis von Kritik verbundene emanzipatorische Hoffnung richtet sich darauf, Entfremdung in bestehenden Weltbeziehungen überhaupt erst erfahrbar zu machen. Von dieser theoretisch-analytisch vermittelten Erfahrbarkeit lässt sich nach systemischen Bedingungen fragen, die Möglichkeiten anderer, weniger entfremdeter Weltbeziehungen entgegenstehen. Dieses Verständnis einer kritischen Haltung trägt der Verstrickung des Subjekts der Kritik in die Verhältnisse, gegen die es sich richtet, insofern Rechnung, als sie zunächst als negativer Impetus auftritt, »nicht auf diese Weise und nicht um diesen Preis regiert zu werden« (Foucault 1992: 12). In gewisser Weise kommt Michel Foucault hinsichtlich der subjektivierenden Einbindung der Individuen in die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu ähnlichen Ergebnissen wie die (ältere) Kritische Theorie, nämlich dass wir uns in einer »Art von politischem ›double-bind‹« befinden, »der in der gleichzeitigen Individualisierung und Totalisierung durch moderne Machtstrukturen besteht« (Foucault 1994: 225). Aus einer solchen Perspektive lassen sich emanzipatorische Visionen nicht (unmittelbar) aus dem Gegebenen entwickeln, sondern sind als (kollektive) Erfindungsarbeit zu begreifen, die sich aus einer geteilten Ablehnung des Gegebenen speist: »Wir müssen neue Formen der Subjektivierung zustandebringen, indem wir die Art von Individualität, die man uns jahrhundertelang auferlegt hat, zurückweisen.« (Foucault 1994: 225) Die Möglichkeit einer anderen Welt wird damit untrennbar an die Möglichkeit (und Notwendigkeit) anderer Formen der Subjektivierung gebunden. Mit Foucault lässt sich das konstitutive Muster ›unserer‹ Weltbeziehungen als spezifisches Individualitätsdispositiv rekonstruieren, als eine historische Matrix, die Handlungsfähigkeit an individuell zugeschriebene Fähigkeiten bindet und zugleich normierende und normalisierende Maßstäbe und Parameter vorgibt, an denen Subjekte die Optimierung ihrer Potenziale auszurichten und ihre Leistungen zu messen haben. ›Wir‹ sind in diesem Kontext also Individuen, die anhand individualisiert zugerechneter Potenziale und Fähigkeiten in einer Rangordnung meritokratischer Normalität stehen, über die wir individuell nicht verfügen können und die uns zudem immer in mehr oder weniger ausgeprägter Weise in Abgrenzung und Konkurrenz zu anderen setzt. Diese, für einzelne Individuen unverfügbaren, Parameter sind in wesentlichen Aspekten auf systemische Dynamiken der kapitalistischen Produktionsweise zurückzuführen, die ihre (unmittelbare) Unverfügbarkeit dadurch verschär-
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fen, dass sie Subjektivierungsweisen erfordern, die solidarische und kooperative Verhaltensweisen erschweren oder behindern. In Weltverhältnissen, in denen Erfolge und Misserfolge als Ergebnis individueller Entscheidungen erscheinen, sind die Subjekte darauf verwiesen, ihre individuelle Besonderheit zu kultivieren und als eigene Potenziale und Leistungen hervorzuheben. Individualität wird zu einem Distinktionsmittel in der Konkurrenz zu Anderen und die Besonderheit Anderer kann insofern immer auch als potenzielle Bedrohung erscheinen. Die Qualität der Weltbeziehung des (spät‑)modernen Subjekts ist insofern durch eine spezifische Verleugnung und Verhinderung von Verbindungen konfiguriert, die in strukturellen Bedingungen begründet sind und die spezifische Parameter vorgeben, unter denen Resonanz möglich ist. Rosas weitgehend unbestimmt bleibende Annahme, dass resonante Weltbeziehungen ein ›hinreichend‹ von der Welt abgegrenztes Subjekt voraussetzen, lässt sich an dieser Stelle nochmal aufgreifen. Rosa bezieht sich auf die von Charles Taylor vorgeschlagene historische Bestimmung einer seit etwa 1500 stattfindenden Schließung des Subjekts, das von einer porösen Subjektform, bei der »die Grenzen zwischen Selbst und Welt sowohl in den materiellen als auch in den immateriellen Dimensionen in beiden Richtungen durchlässig waren« (Rosa 2016: 651) zu einem abgepufferten Selbst wird, dass »geradezu dazu gezwungen [sei], sich die Welt auf Distanz zu halten« (Rosa 2016: 64). Diese Metaphorik von ›Porosität‹ und ›Abgepuffertheit‹ verengt jedoch die Problematisierung der spezifischen Qualität von Weltbeziehungen auf historische Zustände eines ›Selbst‹. Etwas andere Nuancierungen nimmt eine dekonstruktiv angelegte Subjektkritik vor, die auf die Gleichursprünglichkeit von Ein- und Ausschlüssen verweist: Ein individualisiertes (›abgepuffertes‹) Subjekt wird nur über die Disartikulation (vgl. Butler 1993: 44) seiner konstitutiven Bedingungen, über die Verleugnung seiner Verbundenheit, überhaupt erst in einem vermeintlich äußerlichen und abgegrenzten Verhältnis zur Welt hervorgebracht. Die fundamentale Angewiesenheit des Individuums auf sozio-materielle Existenzbedingungen wird in dieser Figurierung eines abgegrenzten Subjekts in herrschaftsförmigen Strukturen in Form individueller Stärken und Schwächen materialisiert und muss weitgehend eigenverantwortlich unter Einsatz privatisierter Ressourcen reguliert und nach außen (an Andere) verlagert werden. Dieses Subjekt ist insofern zutiefst instabil; in seiner konstitutiven Abhängigkeit von Anderen ist sein Subjektstatus immer ein prekäres Privileg, das beständig abgesichert und mit unterschiedlichen Formen der Gewalt verteidigt werden muss und dabei selbst wiederum gewaltsamer Disziplinierung ausgesetzt ist. Erfahrungen von Brüchen sind aufgrund dieser Instabilität unvermeidlich. Dass im Zuge der neoliberalen Zuspitzung individualisierter Responsibilisierung (vgl. Brown 2015; Lessenich 2008) auch privilegierte Subjekte, die den Autonomieanforderungen (vermeintlich) entsprechen können,
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zunehmend an der Gewaltsamkeit und Überforderung dieser Subjektivierung leiden, wird in wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten etwa um das »erschöpfte Selbst« (Ehrenberg 2008) oder die Zumutungen der »Beschleunigung« (Rosa 2005) deutlich. Für eine (radikale, in ihrem Anspruch verallgemeinerbare) Gesellschaftskritik ist es wichtig, diese Probleme als Effekte einer spezifischen, systemisch bedingten, vereinzelnden Subjektivierung zu thematisieren: als ›Systemfrage‹ kapitalistischer Vergesellschaftung. Wenn das (spät‑)moderne Subjekt als konstitutives Moment dieses problematischen Systems zu begreifen ist, dann bedeutet dies, dass es zum einen keine verallgemeinerbare emanzipatorische Versöhnung innerhalb dieses Systems geben kann und dass zum anderen auch die Hoffnung dieses Subjekts auf die Möglichkeit von ›Resonanzinseln‹ im Gegebenen – aufgrund seiner exklusiven Formierung – eine trügerische, beständige bedrohte (und daher mit gewaltsamen Effekten behaftete) Hoffnung bleiben wird.
G renzfiguren : S törung der R esonanz Kritik als Grenzhaltung zu verstehen, greift die Herausforderung auf, Räume für Erzählungen und praktische Materialisierungen zu eröffnen, die dem herrschenden Individualitätsdispositiv andere Möglichkeiten entgegensetzen und auf diese Weise der trügerischen Hoffnung auf Versöhnung in den bestehenden Verhältnissen die Vision anderer Weltverhältnisse entgegenhalten. Impulse zu einer solchen Kritik gehen zunächst vor allem von denen aus, die die Positionen der Grenzfiguren moderner Subjektivität bevölkern. Sie partizipieren als outsider within (vgl. Collins 1986) am modernen Versprechen von Kontingenz und Gestaltbarkeit und können zugleich nie unhinterfragt am darin implizierten Subjektstatus teilhaben. Dies ermöglicht eine spezifische epistemologische Perspektive, die als Grenzhaltung aus der Positionierung eines konstitutiven Anderen die Begrenzung der historischen Figur des Menschlichen auslotet. Zugleich ist eine solche Grenzhaltung aufmerksam für das, was in dieser Figuration (noch) nicht wirklich sein kann, was aber im (falschen) Hier-und-Jetzt Möglichkeiten eines besseren Lebens aufscheinen lässt. So kann eine feministische Grenzhaltung von der Erfahrung von Frauen* ausgehen, die als mindere Andere des (sorgelosen) Arbeitskraftsubjekts die Abwertung und Unterdrückung von (Für‑)Sorge in kapitalistischen Verhältnissen als individualisierte Zuschreibung von Abhängigkeit und Verbundenheit als Beschränkung und zugleich als menschliche Potenzialität erleben. Die spezifische Einsicht, die aus der Erfahrung einer solchen Grenzfigur möglich wird, ist, dass eine emanzipatorische Perspektive weder in einer allgemeinen Befreiung des Menschen von Sorgeverantwortung noch in der Aufwertung von (Für‑)Sorge in bestehenden Verhältnissen liegen kann. Vielmehr sind
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ganz andere Möglichkeitshorizonte zu entwickeln, die auf einer Aufwertung und Reorganisation von (Für‑)Sorge als wichtige und erfüllende Notwendigkeit menschlichen Daseins zielen und als solche das bestehende System der Konfiguration von (Un-)Abhängigkeit in Frage stellen (müssen) (vgl. Winker 2015). Sylvia Wynter verweist auf das kritische Potenzial der Grenzfigur des (post‑) kolonialen Subjekts, das als »self-questioning heuristic of mistrust« (Wynter/McKittrik 2015: 52) ermöglicht, das eigene Bewusstsein, die eigenen Erfahrungen kritisch in ihrer doppelten Bestimmtheit als Subjekt und zugleich verworfenes Anderes zu reflektieren: »The ultimate periphery slave/ex-slave archipelago’s underside of the Western world system, together with its black African-descended men and women (all generically classified as Negroes and/ or as colonial natives), has […] been made to function, over several centuries, as that of the ultimate embodiment of symbolic death – as wholly human Other to symbolic life.« (Winter/McKittrik 2015: 47, Herv. i.O.) Wie Wynter mit Bezug auf W.E.B. DuBois argumentiert, ermöglicht dessen Grenz-Positionierung als akademisch gebildetes Subjekt und als rassistisch markierter Anderer eine widersprüchliche Verdoppelung des Bewusstseins – »to be a professional middle-class American, with a doctorate from Harvard (perhaps the first such), DuBois would have to be anti-Negro!« (Ebd.) Diese Positionierung könne ein kritisch-reflexives Ringen mit deren unversöhnlicher Widersprüchlichkeit hervorbringen und auf diese Weise spezifische Erkenntnismöglichkeiten eröffnen: »This struggle would therefore make apparent to him his reflexively subjective experience of being both positively a middle-class American (and implicitly, therefore, of also being normally fully human) and negatively a Negro (the abnormal human Other to his normal middle-class self). He experienced this doubleness in the very terms of his own ostensibly autonomous individual order of consciousness.« (Winter/McKittrik 2015: 47f.; Herv. i.O.)
Was Wynter hier beschreibt, lässt sich gewissermaßen als Störung von Resonanz verstehen: Ein unproblematisches Mitschwingen des Subjekts mit seiner Welt ist aufgrund seiner widersprüchlichen Grenzhaltung nicht möglich. Zugleich ist in der bestehenden Verfasstheit dieser Welt keine Auflösung dieser Störung denkbar: »[DuBois] cannot trust his own normative middle class American consciousness, structured as it is by ›the tape of a world that looks on in amused contempt and pity.‹« (Winter/McKittrik 2015: 47, Herv. i.O.) Als normativer Bezugspunkt stößt die Metapher der Resonanz hier an Grenzen, da sie diese spezifische Widersprüchlichkeit der Ko-Konstituierung von Selbst und Weltverhältnissen nicht erfassen und zum Gegenstand kritischer Urteile machen kann. Normative Bezugspunkte eröffnen sich dann eher über den Blick auf die historische Bedingtheit der Qualität von Weltbeziehungen, über die
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Frage, inwiefern diese in Macht- und Herrschaftsverhältnissen auf verleugneten Verbindungen beruhen und Resonanzen insofern als (prekäre) Privilegien ermöglicht werden. Emanzipatorisch produktiv erscheinen dann unter Umständen vielmehr Störungen von Resonanz sofern sie das kritische Potenzial eröffnen, nach anderen – inklusiveren, weniger gewaltsamen – Möglichkeiten des Mensch-Seins zu fragen und dies im Sinne des modernen Versprechens von Kontingenz und Gestaltbarkeit als Frage der Umgestaltung und Reorganisation von Sozialität zu stellen. Diese Verweise auf Heterogenität und Situiertheit von Erfahrung widersprechen also keineswegs prinzipiell dem Anliegen, systematische Strukturen und Dynamiken als gemeinsame Bezugspunkte unterschiedlicher Leiderfahrungen zu rekonstruieren. Vielmehr besteht eine wichtige Aufgabe kritischer Sozialwissenschaften darin, durch Heterogenität hindurch Gemeinsamkeit erkennbar zu machen. Diese Gemeinsamkeit lässt sich zunächst jedoch vermutlich allein negativ bestimmen: als geteilte Verhinderungsbedingungen, die unsere Weltverhältnisse und Weltbeziehungen systematisch in gewaltsamen und verletzenden Konstellationen hervorbringen. Diese zu rekonstruieren und mit der Kraft theoretischer Visualisierung (vgl. Castree 1996) als systemische gesellschaftliche Verhältnisse und damit als Gegenstand kollektiver Gestaltungsarbeit erfahrbar zu machen, ist ein wichtiges Moment sozialwissenschaftlicher Wissensproduktion (vgl. Meißner 2015b). Zugleich ist die Aufmerksamkeit für Unbehagen und Brüche, für Überforderung und unlösbare Widersprüche – als methodologisch verankerte und reflektiere Grenzhaltung – eine Herausforderung, die von den Grenzen des modernen Subjekts an die Soziologie gestellt werden.
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»The World Kicks Back« Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehung als »material turn« der Kritischen Theorie? Katharina Hoppe1
Hartmut Rosa bestimmt sein unter dem Stichwort Resonanz geführtes Programm einer Kritischen Theorie der Gesellschaft näher als eine »Soziologie der Weltbeziehung«. In dieser geht es ihm darum, Beziehungen zwischen Subjekten und der Welt soziologisch in den Blick zu nehmen und danach zu fragen, wie gelingende von misslingenden Weltbeziehungen unterschieden werden können. Resonanzbeziehungen, die er als Chiffre für gelingende Weltverhältnisse einführt, entfalten sich Rosa zufolge durch ein wechselseitiges In-Schwingung-Versetzen der Pole einer Beziehung. Diese spielen sich nicht ausschließlich zwischen Subjekten ab. Vielmehr öffnet Rosa den Weltbegriff, der soziologisch wohl eher mit einer symbolisch vermittelten Lebenswelt im Sinne von Jürgen Habermas (1981) oder mit sozialen Welten im Sinne Anselm Strauss’ (1993) assoziiert ist: Es geht auch um Beziehungen zur Welt in ihrer Materialität. Etwa spielt es für Rosa eine Rolle, wie Natur erlebt wird und es ist ein erklärtes Ziel seiner Theoriebildung auch leibliche Erfahrungen ernst zu nehmen. Welt ist demnach nicht auf Interaktionen sozialer Akteur_innen reduziert: Resonanzen werden in und mit der Welt erzeugt und sind nicht nur eine intersubjektive Angelegenheit. Vor dem Hintergrund dieses Fokus ist bereits argumentiert worden, Rosa vollziehe mit Resonanz den »material turn« für die Kritische Theorie (Henkel 2016). Diesem »Turn« werden in der rezenten theoretischen Diskussion vor allen Dingen jene Ansätze zugeordnet, die als »Neuer Materialismus« oder new materialism bezeichnet werden (Alaimo/Hekman 2008; Braun/Whatmore 2010; Coole/Frost 2010; Dolphijn/van der Tuin 2012). Trotz ihrer Heterogenität ist den unter diesem Label verorteten Positionen gemeinsam, dass sie durch1 | Für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anmerkungen danke ich Jonas Heller, Andreas Folkers, Thomas Lemke und Esther Neuhann.
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gehend die Fixierung sozialkonstruktivistischer Ansätze auf Sprache zu überwinden und den ontologischen, epistemologischen sowie ethisch-politischen Status des Materiellen zu überdenken versuchen. Ziel ist es, Materialität als eigensinnig und wirkmächtig im Hinblick auf die Konstitution der Welt – auch dessen, was als Sozialwelt bezeichnet wird – zu denken, ohne sie als substantielle Basis zu setzen oder als Effekt diskursiver Praktiken aufzufassen.2 Neomaterialistische Theoriebildung zeichnet sich neben diesem Anspruch einer Theoretisierung des Materiellen jenseits von essentialistischer Festschreibung und sozialkonstruktivistischer Hervorbringung besonders durch zwei Aspekte aus. Erstens wird mit relationalen Ontologien operiert, das heißt, es wird davon ausgegangen, dass die Entitäten, die ›Welt‹ ausmachen, in ihren mannigfaltigen Materialisierungen nur in Beziehungen entstehen. Damit werden die konstitutiven Relationen von Phänomenen in den Mittelpunkt der Analyse gestellt und etwa ›Natur‹ erscheint nicht länger als passive Gegenspielerin zu ›Kultur‹, sondern wird in ihren situativen, historisch spezifischen Bedingungen selbst zum Gegenstand der Analyse. Zweitens erlauben solch relationale Entwürfe ein Überdenken von Ethiken. Statt moralisch handelnder, isolierter Akteur_innen kommen die komplexen und konstitutiv wirkmächtigen Verwobenheiten in und mit der Welt in den Blick, wodurch eine Öffnung und Erweiterung des Begriffs der Verantwortung in Richtung nicht-menschlicher Entitäten ermöglicht wird. In Rosas Kritischer Theorie der Resonanz spielen beide Aspekte eine zentrale Rolle: Sowohl die grundlegende Relationalität von Subjekt und Welt, als auch der Entwurf einer Ethik als Soziologie des guten Lebens. Daher scheint es sinnvoll Rosas Ansatz mit den Ansprüchen neomaterialistischen Denkens zu kontrastieren und – so mein Vorhaben – zu irritieren. Eine der wichtigsten Vertreter_innen neomaterialistischen Denkens ist die US-amerikanische feministische Technowissenschaftsforscherin und theoretische Physikerin Karen Barad, die in ihrem Theorieentwurf eines agentiellen Realismus das »Werden der Welt« (Barad 2012a: 95) konzeptionalisiert. Ähnlich wie Rosa will auch Barad mit ihrem Programm ein unverfügbares Moment der Welt jenseits menschlichen Zugriffs in die Theorie einschreiben. Bei ihr ist die Theoretisierung dieses unverfügbar Ereignishaften vor allen Dingen an eine Reformulierung des Materialitätsbegriffs geknüpft. Bei Rosa findet sich demgegenüber der Versuch das unverfügbare, störende, mithin »entfremdete« Moment von Weltbeziehungen als konstitutiv für – gelingende – Weltbeziehungen zu begreifen. 2 | Verortungen der »Neuen Materialismen« in aktuellen Theoriedebatten finden sich etwa bei Folkers 2013 und 2015. Unter dem Dachbegriff »Neuer Materialismus« werden in der Theoriediskussion sehr unterschiedliche Positionen versammelt, sodass es mir sinnvoll erscheint, von »Neuen Materialismen« im Plural oder von neomaterialistischen Positionen zu sprechen.
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Im Folgenden möchte ich diskutieren, inwieweit Rosas Kritische Theorie der Resonanz eine über gemeinsame Grundintuitionen hinausgehende neomaterialistische Orientierung aufweist, indem ich seinen Ansatz agentiell-realistisch, das heißt, mit den Grundbegriffen von Barads Theorie, irritiere. Hierfür führe ich in einem ersten Schritt Rosas Begriff der Resonanz ein (1), um anschließend Barads Theorieprogramm mit einem Fokus auf ihren Grundbegriff der Intraaktion vorzustellen (2). In einem nächsten Schritt werde ich Rosas Resonanzbegriff in Bezug auf die zwei genannten Merkmale neomaterialistischer Theoriebildung vor dem Hintergrund des agentiell-realistischen Rahmens befragen. Zunächst interessiert mich, inwieweit Rosas Resonanzbegriff eine radikal relationale Perspektive ermöglicht (3). Daraufhin diskutiere ich die in Barads wie Rosas Entwurf präsente ethische Problematisierung und arbeite deren Bedeutung für sozialtheoretische Diskussionen heraus (4). Es wird sich abschließend zeigen, dass eine Deklarierung Rosas als Neomaterialisten etwas vorschnell ist und die Diskussion seines Programms mit Impulsen von Barads agentiellem Realismus zugleich auf bedeutsame blinde Flecken seines Entwurfs hinweist. Schließlich eröffnet diese Perspektive Potentiale einer (neomaterialistischen) Ethik als kritischer Praxis (5).
1. H artmut R osa : W eltbe ziehungen und R esonanz Hartmut Rosas Überlegungen zu einer Soziologie der Weltbeziehung verfolgen das Anliegen, Beziehungen des Subjekts zur Welt ernst zu nehmen. In der Konsequenz bricht dieser Fokus mit einem auf intersubjektiven Verständigungsprozessen, Kommunikation oder sozialem Handeln basierten soziologischen Paradigma. Es ist sein Ziel über traditionelle soziologische Ansätze hinauszugehen, indem leibliche Erfahrungen und die Welt in ihrer Unverfügbarkeit in den Blick kommen. Schlüsselbegriff für seine – damit auch deutlich als ethisches Projekt markierte – »Soziologie des guten Lebens« (Rosa 2016: 37, Herv. i.O.) ist der Begriff der Resonanz, der eine neue Form der Gesellschaftskritik ermöglichen soll. Rosa zufolge ist es entscheidend, die Qualität menschlichen Lebens ins Zentrum der soziologischen Analyse und Gesellschaftskritik zu stellen. Hierbei sollte jedoch Lebensqualität jenseits der Annahme operationalisiert werden, ein gelingendes Leben ließe sich an der Fülle von Optionen und Ressourcen messen. Eine solche Orientierung beruhe auf der modernen Steigerungslogik und würde die problematische Ressourcenfixierung gegenwärtiger kapitalistischer Vergesellschaftung noch einmal sozialtheoretisch wiederholen (vgl. ebd.: 18-23; 49ff.). Rosa plädiert vor diesem Hintergrund für die soziologische Untersuchung von Weltbeziehungen, die er sehr allgemein »als historisch und kulturell variable Gesamtkonfigurationen [versteht], die nicht nur ein be-
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stimmtes Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt definieren, sondern die de facto jene Subjekte und Objekte selbst mit hervorbringen« (ebd.: 36). Demnach beschreibt er zunächst eine grundlegende Relationalität: Subjekte und Objekte existieren nicht unabhängig von Weltverhältnissen. Seine Weltbeziehungstheorie sei daher auch eher der Metapher des Netzes, denn derjenigen des Akteurs verpflichtet (vgl. ebd.: 60f., 68). Subjekte und Objekte bilden konstitutive Netze und stehen der Welt nicht einfach gegenüber, »sondern sie finden sich immer schon in einer Welt, mit der sie verknüpft und verwoben sind« (ebd.: 63, Herv. i.O.). Mit dieser »Grundbezogenheit als dem Urgrund für Weltpräsenz und subjektive Erfahrung« (ebd.: 66, Herv. i.O.) umschreibt Rosa gleichzeitig die erste von drei Bedeutungen, die er seinem Konzept der ›Resonanz‹ gibt. Weltbeziehungen als Resonanzbeziehungen sind jene ermöglichenden Beziehungen, die Subjekt und Welt erst entstehen lassen. In diesem ersten, deskriptiven Sinne steht Resonanz für ein quasi-ontologisches, radikal relationales In-der-WeltSein als »primäre Form unserer Weltbeziehung« (ebd.: 747). Die grundlegende – das »Anfangsgeschehen« (ebd.: 68) von Welt wie Subjekt ausmachende – Relationalität setzt menschliche Subjekte als resonanzfähige Wesen in Kraft, indem diese als der Welt antwortende, offene Subjekte konstituiert werden (vgl. ebd.: 67f.). Ohne diese fundamentale Fähigkeit zur Resonanz können keine Weltbeziehungen – und damit weder Subjekt noch Welt – zustande kommen. Das Relationalitätsfaktum ist zweitens begleitet von einem Resonanzverlangen, das Rosa zufolge zentrale Triebfeder gesellschaftlicher Entwicklungen ist, denn mit ihm geht die »charakteristische Angst vor einem umfassenden Resonanzverlust, vor dem Verstummen der Welt« einher, die sich als »existentielle Grundangst« (ebd.: 269, Herv. i.O.) entpuppt, von der eine Kritik der Resonanzverhältnisse ihren Ausgangspunkt zu nehmen hat. Die zweite – ebenfalls deskriptive – Aussage über Resonanz liegt demnach in der Einsicht, dass das Verlangen nach Resonanz Antrieb menschlichen Handelns ist (vgl. ebd.: 293f., 747ff.). Resonanz ist aber zugleich und drittens auch der normative Grundbegriff, ja das Kriterium für ein gutes Leben und damit der Ansatzpunkt für Rosas Kritische Theorie (vgl. ebd.: 294, 748f.). In Anlehnung an das physikalische Phänomen begreift er eine Beziehung als resonant, wenn die »Schwingung des einen Körpers die ›Eigentätigkeit‹ […] des anderen anregt« (ebd.: 282). Hierbei kann – muss es aber nicht, wie Rosa nicht müde wird zu betonen – ein aufeinander Einschwingen stattfinden, es kann sich aber auch um eine in Differenz verbleibende Antwort handeln. Wichtig ist, dass die Resonanzbeziehung ein »wechselseitiges ›Berühren und Berührtwerden‹« (ebd.: 284) ermöglicht und eine Antwort auf die Welt provoziert. Hierbei unterstreicht Rosa, dass Subjekt und Welt auch in resonanten Antwortbeziehungen – in dem, was er Prozesse der »Anverwandlung« der Welt statt ihrer »Aneignung« nennt – ihre je eige-
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ne Stimme behalten. Keinesfalls gehe es ihm um eine ›Gleichschaltung‹ der Welt in perfekter Resonanz (vgl. ebd.: 59f., 294f.): Eine komplett anverwandelte Welt »[widerspräche] der inneren Natur von Resonanzerfahrungen« (ebd.: 295). Denn diese seien gerade auch auf Begegnungen mit der Welt als fremd und stumm angewiesen. Hier führt Rosa das unverfügbare Element in Weltbeziehungen (als Resonanzbeziehungen) ein und stellt dieses Unverfügbare als Fremdes und Anderes in einen engen Zusammenhang mit seinem Begriff von Entfremdung (vgl. ebd.: 298, 317). Entfremdung ist das Gegenteil von Resonanz und zugleich ihre Voraussetzung. Diese Dialektik von Resonanz und Entfremdung macht gelingende Weltbeziehung in ihrer normativen Qualität aus. Entfremdung meint in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Bestimmung des Begriffs bei Rahel Jaeggi (2005) ›Beziehungen der Beziehungslosigkeit‹ (vgl. Rosa 2016: 305). In entfremdeten Weltbeziehungen stehen sich Subjekt und Welt ›indifferent‹ oder ›repulsiv‹, also mithin feindlich gegenüber: eine »Anverwandlung« (ebd.: 316) der Welt gelingt nicht mehr. Die Dialektik von Resonanz und Entfremdung weist nun darauf hin, dass »Resonanz […] die Existenz von Nichtanverwandeltem, Fremdem und sogar Stummem« (ebd.: 317) voraussetzt. Ohne eine Erfahrung des Fremden der Welt als Unverfügbarem ergibt sich kein antwortender Prozess in und mit der Welt. In diesem Sinne braucht es Entfremdung für Resonanzerfahrungen: »An der Wurzel der Resonanzerfahrung liegt der Schrei des Nichtversöhnten und der Schmerz des Entfremdeten […], so dass die Tiefe der Repulsionserfahrung oder des Leidens an Indifferenz gleichsam die mögliche Verflüssigungstiefe der Resonanzbeziehung bestimmt« (ebd.: 322, Herv. i.O.).3 Im Entfremdungsbegriff als Gegenspieler zur Resonanz sieht Rosa eine elementare »Widerspruchsfähigkeit und -bereitschaft« (ebd.: 327), die Antwortbeziehungen als gelingende Weltbeziehungen erst ermöglicht, indem das Unverfügbare der Welt konstitutiv einbezogen wird. Hier zeigt sich eine doppelte Qualität von Entfremdung: Einerseits sind ›Beziehungen der Beziehungslosigkeit‹ Indikator für die Kritikwürdigkeit der Welt, andererseits ist sie als Fremdes und Unverfügbares die Möglichkeitsbedingung für Resonanz und damit deren Motor – ja, die Ressource für Anverwandlungen. Mit dem Ent3 | Dieses Motiv rückt das Resonanzkonzept in die Richtung eines (deutlich männlich konnotierten) Geniekults, den Rosa denn auch benennt, indem er die Werke von »Komponisten, Schriftsteller[n], Philosophen und oft auch Soziologen (von Beethoven bis zu den Beatles, von Hesse bis Horvath und von Habermas bis Honneth, aber auch von Sartre bis Camus)« als Ergebnis »schmerzhafter und tiefer biographischer Entfremdungsbzw. Repulsionserfahrungen« bezeichnet. Die genannten Männer, so Rosa, »reagieren mit ihren Versuchen schöpferischer Etablierung und Artikulierung von Resonanzbeziehungen auf oftmals tiefgreifende und anhaltende Entfremdungserfahrungen« (alle Zitate Rosa 2016: 324).
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fremdungsbegriff sucht Rosa der Unverfügbarkeit der Welt habhaft zu werden. Im Folgenden werde ich zunächst Barads neomaterialistischen Ansatz vorstellen, um darauf auf bauend Rosas Auffassungen von Relationalität und Ethik mit ihren agentiell-realistischen Begriffen zu irritieren.
2. K aren B ar ad : D ie E thiko - onto - epistemo - logie der I ntr a ak tion Karen Barad hat in ihren Arbeiten seit Mitte der 1990er Jahre eine wissenschafts- und sozialtheoretische Position entwickelt (vgl. Barad 1996), die nun auch im deutschsprachigen Raum vermehrt rezipiert wird (vgl. etwa Bath et al. 2013; Barla 2013; Fitsch 2014; Hoppe/Lemke 2015). Ihr Beitrag zu den Science & Technology Studies (STS) und der feministischen Wissenschaftskritik in Tradition von Theoremen »Situierten Wissens« (vgl. Haraway 1995; Harding 2004) verbindet Aspekte der Quantenmechanik Niels Bohrs mit poststrukturalistischen Ansätzen, insbesondere den Arbeiten von Foucault, Butler und Derrida. Produkt dieser Synthese ist ihr Vorschlag eines »agentiellen Realismus«, den sie prominent in ihrer Studie Meeting the Universe Halfway (2007) expliziert hat. Dass Barad ihr Programm ausgerechnet als Realismus bezeichnet – gegen dessen Ontologie vorgängiger Entitäten in der Welt sie vehement anzuschreiben versucht –, hat einen begriffsstrategischen Grund. Das widersprüchlich anmutende Begriffspaar eines »agentiellen« Realismus hilft ihr eine bedeutsame Differenz zu markieren und zu betonen, dass es zentral ist, wie Realität, auch jenseits menschlicher und sozialer ›Konstruktion‹, theoretisiert wird: »How reality is understood matters« (Barad 2007: 205, Herv. i.O.). Das Oxymoron eines ›agentiellen Realismus‹ steht bereits für den Entwurf einer radikal relationalen Ontologie, die eine realistische Ontologie im oben genannten Sinne zu unterlaufen versucht. Hierbei soll die Materialität der Welt in ihrer Unverfügbarkeit und Wirkmächtigkeit theoretisiert und eine Revision der traditionellen Auffassung von Ontologie und Epistemologie ermöglicht werden. Barad versucht damit eine dreifache Abgrenzungsbewegung: »The ontology I propose does not posit some fixed notion of being that is prior to signification (as the classical realist assumes), but neither is being completely inaccessible to language (as in Kantian transcendentialism), nor completely of language (as in linguisitc monism).« (Ebd.: 205)
In Barads ›Realismus‹ ist dieser also nicht an ein Verständnis vorgängiger Entitäten in der Welt gebunden; vielmehr weist das Attribut ›agentiell‹ aus, dass sie die Welt als etwas versteht, das in Beziehungen erst entsteht.
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Barads Anspruch liegt darin, eine Ontologie zu entwerfen, die der Gewichtigkeit der Welt Rechnung trägt, diese aber gleichzeitig nicht als stabiles Fundament setzt. Realität ist in einem solchen Rahmen keine fixe Substanz, die auf Praktiken des menschlichen Erkennens, der Wahrnehmung oder Bearbeitung wartet und unabhängig von diesen existiert, sondern ihrerseits ›agentieller‹ Teil der unterschiedlichen Prozesse ihres Werdens (vgl. ebd.: 43f.). Die für die Realität konstitutiven Beziehungen sind in Barads Terminologie die bereits erwähnten Intraaktionen. Sie machen Realität als dynamischen Prozess aus, sind ihre Ontologie: »Reality is an ongoing dynamic of intra-activity« (ebd.: 206, Herv. i.O.). Wenn Barad von einer agentiellen Realität spricht, lässt sich ›agentiell‹ meiner Lesart nach auch mit ›intraaktiv‹ ersetzen. Der Neologismus der Intraaktion verweist eben darauf, dass die Pole einer Beziehung dieser nicht vorausgehen, sondern immer erst darin entstehen: »Der Begriff ›Intraaktion‹ bedeutet die wechselseitige Konstitution von Relata innerhalb von Phänomenen (im Gegensatz zum Begriff der ›Interaktion‹, der die vorgängige Existenz verschiedener Entitäten voraussetzt)« (Barad 2012a: 105, Herv. i.O., Übersetzung leicht modifiziert K.H.). Erst Beziehungen setzen situativ ›Subjekt‹ und ›Objekt‹, ›Natur‹ und ›Kultur‹, Entitäten und Körper in Kraft. Auf einer epistemologischen Ebene weist der Begriff der Intraaktion aus, dass Messungen und Beschreibungen – ja, Wahrnehmungen – niemals von außen auf Welt-Phänomene zugreifen, sondern diese konstitutiv mit ausmachen, mit ihnen verschränkt sind. Intraaktionen oder Sets von Intraaktionen setzen so beständig Bestimmtheit und notwendig auch Ausschlüsse in Kraft.4 Mit dieser relationalen Ontologie macht Barad eine immanente Perspektive stark. Intraaktionen sind zwar vor allen Dingen auch grenzziehende Praktiken und erzeugen etwas wie Äußerlichkeit, das ›Außen‹ wird aber gleichsam nach ›Innen‹ versetzt (vgl. ebd.: 20). Die Dynamik der Intraaktion entfaltet ein Spiel der (Un-)Bestimmtheit, das heißt ein dauerndes Oszillieren zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit, in dem Kausalstrukturen und Differenzen immer wieder in Kraft gesetzt werden. Der Prozess ist ein differenzieller: »The world is intraactivity in its differential mattering« (Barad 2003: 817). Es gibt in diesem Sinne nicht ›das Subjekt‹ und ›die Welt‹, sondern Subjekte wie Objekte werden erst in und durch Intraaktionen: Sie sind weder in der Welt, noch der Welt gegenüber, sondern in einem radikalen – im ontologischen – Sinne von der Welt, sie vollziehen Welt (vgl. ebd.: 829). In der beständigen Rekonfiguration von Möglichkeitsräumen sind Subjekt und Welt nicht trennbar und auch Ontologie und Epistemologie fallen daher immer schon zusammen: In4 | Ich fokussiere in diesem Artikel Barads Begriff der Intraaktion. Sets von Intraaktionen theoretisiert sie insbesondere als Apparate. Für eine ausführlichere Rekonstruktion der Barad’schen Grundbegriffe vgl. Hoppe/Lemke 2015 und speziell zum Apparatbegriff auch den hilfreichen Artikel von Hinton 2014.
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traaktionen als Erkenntnispraktiken sind materielle Verwobenheiten, das heißt Weltvollzüge, die Möglichkeiten der Entwicklung, Festschreibung oder Transformation der Welt ebenso in Kraft setzen, wie lokal und temporär wirksame Kausalitätsbeziehungen. Das Zusammenfallen von Ontologie und Epistemologie wird von Barad auch durch eine ethische Problematisierung erweitert, sodass der Begriff der Intraaktion zugleich ontologisch, epistemologisch und ethisch relevant wird. Der zentrale Punkt der Barad’schen Ethik basiert auf dem erwähnten Modus radikaler Immanenz, dem gemäß es in einer agentiell-realistischen Perspektive »only intra-acting from within« (Barad 2007: 396) gibt. Eine Distanzierungsbewegung gegenüber der Welt ist nicht möglich, sondern nur die Anerkennung des eigenen radikalen Zusammenhängens mit ihr. Durch die konstitutive Verwobenheit mit dem Anderen ergibt sich auch eine ethische Verpflichtung zur Antwort auf das jeweils als anders Ausgeschlossene. Ihre ethischen Überlegungen schließen hierbei lose an die Existenzphilosophie von Emmanuel Lévinas (1987) an, in der die Antwort auf die Epiphanie des Antlitzes des Anderen eine entscheidende Rolle spielt (vgl. Barad 2007: 391-396; 2012c). Allerdings zielt Barad auf eine Dezentrierung des Menschlichen ab und erweitert die Konzeption, insofern Verantwortungsbeziehungen auch nicht-menschliche Entitäten und Materialität angehen.5 Verantwortung kommt ihrerseits ein ontologischer Status zu: »Each of ›us‹ is constituted in response-ability. Each of ›us‹ is constituted as responsible for the other, as the other« (Barad 2012c: 215, Herv. i.O.). Intraaktionen sind konstitutiv für Realität und ihre Kausalstrukturen und setzen die Welt als Korrelat von Verantwortungsbeziehungen in Kraft. Demnach »brauchen [wir] so etwas wie eine Ethico-onto-epistemo-logie – das Ernstnehmen der Verflechtung von Ethik, Erkenntnis und Sein – da jede Intraaktion wichtig ist, da die Möglichkeiten dafür, was die Welt werden mag, in der Pause ausgerufen werden, die jedem Atemzug vorangeht, bevor ein Augenblick ins Sein tritt und die Welt neu gemacht wird, weil das Werden der Welt etwas zutiefst Ethisches ist.« (Barad 2012a: 100f., Herv. i.O.)
Ähnlich Rosas Begriff der Resonanz betont das Konzept der Intraaktion also eine radikal relationale Verfasstheit der Welt und koppelt diese an eine Ethik 5 | Barads Perspektive lässt sich daher auch als posthumanistisch bezeichnen, wobei in einer solchen Perspektive Posthumanismus »die Praxis der Zurechnung für die Grenzen erzeugenden Praktiken [markiert], durch die das ›Menschliche‹ und dessen jeweiliges Anderes voneinander abgegrenzt und definiert werden« (Barad 2012a: 13; Übersetzung modifiziert K.H.). Wiederum sollen also die spezifischen Grenzziehungen und die ihnen impliziten Ausschlüsse in den Blick kommen.
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des Antwortens. Diese beiden Aspekte werde ich im Folgenden mit einem Fokus auf die Frage diskutieren, inwieweit Rosa eine neomaterialistische Position in die Kritische Theorie einbringt.
3. D er W elt R echnung tr agen : R adik ale R el ationalität Eine neomaterialistische Orientierung, wie sie etwa in Barads Intraaktionsbegriff deutlich wird, stellt jene Relationen ins Zentrum der Untersuchung, die ein Phänomen konstituieren. Die so inspirierte soziologische Analyse nimmt weniger klare Trennungen an, beispielsweise zwischen Natur und Gesellschaft, und sucht keine vorgängige Entitäten oder Akteur_innen vorauszusetzen, sondern analysiert deren Konstitutionsbedingungen empirisch. Beispielsweise werden Natur oder Materialität weder als stabil und natürlich noch als sozial überformt gesetzt. Für eine solche Orientierung ist es entscheidend, wie Welt theoretisiert wird. Während Rosas Begriff der Resonanz als konstitutives, relationales Konzept von Weltbeziehungen, in denen Subjekt und Welt erst hervorgebracht werden, dem Anspruch nach sehr nah an Barads intraaktiver, relationaler Ontologie steht, führt Rosa jedoch in seiner näheren, normativen Bestimmung von Resonanz eine ambivalente Konzeption von Welt ein, die auch für seine Auffassung von Relationalität nicht folgenlos bleibt und diese sogar unterläuft. In der normativen Ausführung von Resonanz als einer »spezifische[n] Art des Auf-die-Welt-Bezogenseins, welche diese Welt beziehungsweise das entsprechende Weltsegment als responsiv erfährt«, weist Rosa eigens auf die Frage hin, inwieweit »die Welt […] wirklich antwortet« (beide Zitate Rosa 2016: 289, Herv. i.O.). Er kommt sodann aber zu dem Schluss, eine Soziologie der Weltbeziehung könne hier »getrost agnostisch sein« (ebd.). Und zwar aufgrund der radikalen Relationalität: Werden Subjekt und Welt als Ergebnis von Beziehungen konzipiert, sei die Explikation »eine[r] von den erfahrenen Subjekten unabhängige[n] Wirklichkeit [ganz unerheblich]« (ebd.). Was eine so verstandene weltbeziehungstheoretische Soziologie allerdings nicht in den Blick bekommt, ist die radikal relationale Verfasstheit von Realität jenseits des Menschlichen. Die in Bezug auf die ›Welt‹ agnostische Soziologie wiederholt ein soziologisches Desinteresse an allem, was (vermeintlich) jenseits des Sozialen liegt. Auf diese Weise wird Welt auch als eine Quelle der Irritation und des Eigensinns weitgehend aus der Theoriebildung getilgt, obwohl eben Entfremdungsmomente als konstitutiv für Resonanzerfahrungen gedacht werden. Das macht auch das Bild stummer Weltverhältnisse deutlich: »Ein Weltverhältnis, das keine Störungen und Unterbrechungen, keine Begegnungen mit dem Fremden und Unvertrauten, keine Phasen des Fremdwerdens von Selbst und
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Katharina Hoppe Welt kennte und zuließe, wäre […] nicht nur tendenziell flach und, im Verdrängen des Nichtidentischen oder Nichtharmonischen, zugleich potentiell totalitär, sondern es verwandelte sich am Ende und unter der Hand in ein stummes Weltverhältnis, weil die Welt ihr Unverfügbares, ihre eigene Stimme und damit ihre Antwortqualität verlöre – und das Subjekt seine Fähigkeit zur Anverwandlung des Fremden, in deren Verlauf es sich verwandelt.« (Ebd.: 59f., Herv. i.O.)
Das störende und unterbrechende Moment der Welt wird gerade unterlaufen, wenn Welt immer schon das »Anzuverwandelnde« in ihrem Verhältnis zum Subjekt ist; denn erstere existiert dann – zumindest für die Soziolog_innen – nicht jenseits eines Zugriffs durch das handelnde Subjekt. Damit wird die Welt als passive Ressource der Anverwandlung in Resonanzbeziehungen festgeschrieben.6 Aus Perspektive eines agentiellen Realismus, wie ihn Barad vertritt, ist die Welt in ihrer Andersheit nicht stumm: Weltverhältnisse stehen nicht still und spielen sich nicht nur ausgehend von Subjekten ab – »the world kicks back« (Barad 1998: 112). Bei Rosa sind Welt und Subjekt als Relata der Weltbeziehungen gesetzt und kommen zwar in ihrer historischen Spezifizität in den Blick, bleiben aber unhinterfragte Pole der Resonanzbeziehungen, die Welt ausmachen. In einer solchen Konzeption ist einer Eigendynamik der Welt kaum Rechnung zu tragen. Gerade im Anspruch, die Wirkmächtigkeit des Materiellen und der Welt zu theoretisieren, liegt ein Hauptanliegen neomaterialistischer Positionen. Doch auch wenn Rosa durchaus den Anspruch erhebt, eine relationale Ontologie an den Beginn seines Nachdenkens zu stellen, indem er Resonanz als Beziehung denkt, in der Subjekt und Welt konstituiert werden, ist Resonanz als normativer Begriff klar subjektzentriert. Letztlich geht es bei Resonanzbeziehungen, die gelingen, um subjektive Erfahrungen, um den »vibrierenden Draht zwischen uns und der Welt« (Rosa 2016: 24). Das menschliche Subjekt steht ›der Welt‹ gegenüber. Daran vermag auch die Berücksichtigung spezifisch kultureller Einbettungen und historischer Situierung nichts zu ändern. In Resonanzbeziehungen geht es dann darum, Welt subjektiv anzuverwandeln, ihr aber dabei eine entfremdende Qualität – etwas Unverfügbares – zu lassen. Die Welt ist für den Menschen: Programme gegen den Klimawandel beispielsweise ließen sich in einem solchen Rahmen immer nur von den gelingenden Resonanzerfahrungen der Subjekte ausgehend begründen. Die Welt ist dann der ultimative Resonanzraum für den Menschen – nicht mehr und nicht weniger. 6 | Rosa unterscheidet zwischen Anverwandlung und Aneignung, um zu unterstreichen, dass in den Beziehungen Subjekt und Welt transformiert werden. Dadurch, dass Anverwandlung aber vom Subjekt ausgehen muss, wird der Welt-Seite gerade keine eigene Wirkmächtigkeit zugestanden – vielmehr lässt das Subjekt – im Fall gelingender Resonanz – die Welt auf sich wirken (vgl. dazu Rosa 2016: 326).
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Dazu passt, dass Rosa zufolge die Welt so eingerichtet werden muss, dass möglichst viele Resonanzbeziehungen für menschliche Subjekte möglich werden. Die Einrichtung der Welt als Resonanzraum suggeriert hierbei eine Distanz, die es im agentiellen Realismus nicht geben kann: Während Rosa davon ausgeht, dass Subjekte in der Welt sind und sich intentional zu dieser verhalten müssen (vgl. ebd.: 65), geht Barad konsequent davon aus, dass ›wir‹ – was auch immer sich situativ als ein solches ›wir‹ materialisiert – von der Welt sind. Eine Distanznahme ist unmöglich und anders als bei Rosa prozessiert die Welt auch nicht einfach »durch uns« etwa im Essen und Atmen (vgl. ebd.: 92-109), sondern sie wird in einem differentiellen Prozess, der menschliche und nichtmenschliche Entitäten als intraaktiv – als radikal ko-emergierend – aufgefasst. Dieser differentielle Prozess zeichnet sich dadurch aus, dass es Unverfügbares gibt, das sich gerade nicht anverwandeln lässt, sondern sich ereignet. Den Aspekt des Unverfügbaren in seiner Unkontrollierbarkeit hat Georg Lukács in einem Essay in »Die Seele und die Formen« (1971) hervorgehoben. Hier beschreibt er eine Welt permanenter Resonanzerzeugung, die sich der Verfügung oder auch nur kompletten Analyse durch den Menschen systematisch entzieht. Resonanzen kommen weniger als stimmige Beziehungen denn als Relationen in ihrer (auch) bedrohlichen Materialität von Effekten in den Blick: »Das Gefühl, dass ich nichts tun kann, ohne überall tausende Resonanzen zu erwecken, deren größten Teil ich nicht kenne und nicht zu kennen vermag und dass so auch jede meiner Handlungen – ob ich es weiß oder nicht – die Folge von tausend und abertausend Wellen ist, die sich in mir trafen und von mir wieder zum Anderen gehen.« (Ebd.: 162)
Für Barad folgt aus der grundlegenden intraaktiven Verwobenheit, die Lukács hier so eindringlich mit der Resonanzmetapher umschreibt, gerade auch Verantwortlichkeit für jene Grenzziehungen, die sich ›uns‹ scheinbar entziehen. Auf diese Weise rückt die grundlegende Ambivalenz von Intraaktionen in den Vordergrund, denn in diesen werden beständig konstitutive Ausschlüsse als »konstitutive Verschränkungen« (Barad 2012a: 53) hervorgebracht. Grenzziehungen fungieren so weniger als Abtrennungen, denn als eine permanente Gleichzeitigkeit von Ein- und Ausschluss. In Barads Realismus geht es denn auch nicht um eine romantische Versöhnung von Gegensätzen, wie sie Rosa für seine Position reklamiert: »Insofern es das Grundanliegen der Romantik darstellt, ebendiese Gegensätze und Trennungen miteinander zu versöhnen, lässt sich Resonanz als ein romantisches Konzept verstehen« (Rosa 2016: 293). Im Gegenteil weist Barad darauf hin, dass die großen Trennungen, auf die Rosa hier anspielt, weniger zu versöhnen denn zu transformieren sind. ›Unsere‹ Beteiligung an den Differenzierungsprozessen ist hierbei von Belang, denn ›wir‹ können Grenzen verschieben. Entscheidend ist es für Barad zu betonen,
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dass das als anders Ausgeschlossene intraaktiv an ›uns‹ gebunden bleibt. Es ist diese relational ontologische und deshalb immanente Bestimmung von Grenzziehungen, die auch Barads Ethik begründet: Die Verwobenheiten konstituieren einen ethischen Verantwortungserwartungshorizont. Diese Bestimmung einer Ethik möchte ich im Folgenden mit Rosas Reformulierung von Ethik mit seinem Konzept des Anverwandelns kontrastieren.
4. D er W elt ant worten : E thische P erspek tiven Mit dem Begriff der Verantwortung bringt Barads Neomaterialismus eine ethische Problematisierung ein und stellt die Forderung, in einer verwobenen Welt zu antworten, in den Mittelpunkt. Demgegenüber führt Rosa Antwortbeziehungen als Verwirklichung menschlicher Resonanzsehnsucht und damit gelingende Weltbeziehungen ein (vgl. Rosa 2016: 312f.). Voraussetzung für Resonanzbeziehungen ist hierbei, wie ich gezeigt habe, das Fremde und Stumme, das Rosa als Entfremdung konzipiert: »Dialektik von Resonanz und Entfremdung meint hier also, dass einerseits Resonanz nur möglich ist, vor dem Hintergrund eines fremd und stumm bleibenden Anderen, während sich umgekehrt das Noch-Stumme erst anverwandeln oder ›berühren‹ lässt auf der Basis eines vorgängigen oder tiefgründigen, dispositionalen Resonanzvertrauens, aus dem sich die Hoffnung und (Selbstwirksamkeits-)Erwartung speist, die Dinge beziehungsweise den betreffenden Weltausschnitt zum Sprechen bringen zu können. Tiefenresonanz oder basale Getragenheit in diesem Sinne ist die Voraussetzung für einen nicht aneignend nostrifizierenden, sondern anverwandelnden Umgang mit dem zunächst als stumm und repulsiv Erscheinenden.« (Ebd.: 325, Herv. i.O.)
Zunächst begegnen diejenigen, die mit ›Resonanzvertrauen‹ ausgestattet sind, nach Rosa also dem stummen Anderen, einer fremden und tendenziell bedrohlichen Welt. Antwortbeziehungen nun sind jene, die nicht aneignend, sondern anverwandelnd einen Weltausschnitt zum Sprechen bringen, das heißt, diesen aus seiner Fremdheit heraus in ein antwortendes Verhältnis setzen, ohne dieses ›Andere‹ komplett zu vereinnahmen. Ein gutes Leben ist eines, in dem Anverwandlungen möglich sind und sich Resonanzachsen stabilisieren. Ethik wird bei Rosa mit dem Begriff der Anverwandlung reformuliert und mit dem Postulat in Verbindung gebracht, dass Subjekte ihre Beziehungen zur Welt möglichst so gestalten sollen, dass sie Resonanzen »erzeugen wie erfahren« (ebd.: 270, Herv. i.O.). Bei Barad ist es die relationale Reformulierung des Verantwortungsbegriffs, mit der eine ethische Perspektive Einzug in die Theorie hält. Ihr geht es nicht um den Entwurf eines guten Lebens oder die Entwicklung eines nor-
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mativen Maßstabes für Weltbeziehungen, sondern um den Nachweis, dass das Von-der-Welt-Sein immer schon Beziehungen des Antwortens impliziert: »We (but not only ›we humans‹) are always already responsible to the others with whom or which we are entangled, not through conscious intent but through the various ontological entanglements that materiality entails. What is on the other side of the agential cut is not separate from us – agential separability is not individuation. Ethics is therefore not about right response to a radically exterior/ized other, but about responsibility and accountability for the lively relationalities of becoming of which we are a part.« (Barad 2007: 393)
Das Andere ist kein radikales Außen, dem es zu antworten gilt; vielmehr sind die Verantwortungsbeziehungen unbeschränkt ausgedehnt, da jede Intraaktion auch eine Beziehung des Verantwortens von und Antwortens auf Ausschlüsse ist. Der normativ stark aufgeladene Begriff der Verantwortung bleibt bei Barad so aber seltsam leer und es wird kaum deutlich, wie sich Antworten auf das Andere gestaltet. In beiden relationalen Ethiken wird der Anspruch formuliert, dass das Andere nie ganz erkannt werden kann oder komplett angeeignet werden darf. Es bleibt immer ein Rest und ethisch ist es von Belang, dass dieser Rest bestehen bleibt. Bei Rosa wird dieses Andere, das uns als mithin stummer Weltausschnitt begegnet, uns verunsichert und in Resonanzbeziehungen eingestimmt werden kann, über das Konzept der Entfremdung bestimmt. Als Möglichkeitsbedingung für Resonanzerfahrungen werden Stummheit und Entfremdung anverwandelt: Es bleibt darum hier gerade kein ›Rest‹ der Andersheit, sondern alles ist potentiell anverwandelbar und Motor von Resonanzerzeugung. Die Bestimmung von Resonanz als normativem Konzept führt darüber hinaus konkrete Vorstellungen von jenen Beziehungen mit sich, die ein gelingendes Leben ausmachen. Resonanz ist nicht nur der Schlüssel für das Verständnis noch der heterogensten Phänomene (von der Essstörung über Asthma bis hin zur Ehe- und Demokratiekrise), sondern steht auch dafür ein, dass es resonanter werden kann und muss – der vibrierende Draht zur Welt ist unendlich ausbaubar und »[w]ir können an der Qualität unserer Weltbeziehungen noch heute zu arbeiten beginnen« (Rosa 2016: 762). Deutlich wird hier ein individualisierender Zug des Resonanzkonzeptes. Entscheidender scheint mir aber an dieser Stelle ein anderer Aspekt: Während Rosa mit dem Resonanzkriterium eine universale (freilich situativ auszugestaltende) Bestimmung des guten Lebens nahelegt, bleibt Barads Konzept von Verantwortungsbeziehungen tendenziell unterbestimmt. Auf der einen Seite steht demnach eine Über- auf der anderen eine Unterbestimmung des Ethischen. Wenn wir mit Niklas Luhmann davon ausgehen, dass Ethik »als Reflexionstheorie der Moral« insbesondere die Aufgabe hat »vor Moral zu warnen«
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(2008: 41), lässt sich das Verhältnis von Rosas und Barads Entwurf zur Ethik aber noch einmal in anderer Weise aufrollen. Luhmann denkt über Ethik gewissermaßen als dasjenige nach, was auf Moral, die in der Gesellschaft stattfindet, beobachtbar ist und den Code gut/schlecht prozessiert, antwortet. Ethik sei es als so verstandener Reflexionsinstanz zuzumuten, soziale Strukturen einzubeziehen, die von der Moral verdeckt werden. Damit ist die Ethik noch keine Soziologie, die die gesellschaftlichen Bedingungen der Moral ausarbeitet: Auch sie muss nach Luhmann Gegenstand soziologischer Aufklärung sein, sie kann aber in ihrer »Kontrollfunktion« als eine Irritationsinstanz für moralisierende Debatten und für festgeschriebene moralische Codes und Maßstäbe gelesen werden. Vor dieser Folie erscheint »Resonanz« als ein zu irritierender Begriff, da er aufgrund seines universalen Anspruchs eher im Sinne von Moral operiert.7 Dem steht Barads Konzept der Verantwortung als Antworten auf das Andere gegenüber, das auf die Spezifizität von Entstehungszusammenhängen abzielt und konsequent – möglicherweise gerade aufgrund seiner Offenheit und relativen Unbestimmtheit – gegen die Universalisierung von Konzepten und Begriffen andenkt. Denn es geht Barad nicht darum, ihre Begriffe zu universalisieren, sondern von ihnen ausgehend müssen »Bündnisse geschlossen werden […], die die Natur ›bis ganz hinab‹ in ihrer Natürlichkeit stören« (Barad 2015: 191). Barad versteht Ethik in diesem Sinne als Störfaktor. Vielleicht muss eine Ethik nicht nur vor Moral warnen, sondern auf sie antworten: Dies wäre aber eine Antwort, die nicht abschließt, sondern öffnet; sie wäre irritierend und störend im Gegensatz zu anverwandelnd und versöhnend.
5. S chluss : N eomaterialistische K ritik und normativistische S oziologie Im Vorangegangenen habe ich Rosas Entwurf mit Barads Begriffen irritiert und so auf neomaterialistische Potentiale hingewiesen, die dessen Theoriebildung bislang nicht ausschöpft. In solchen Irritationen sehe ich zugleich das kritische Potential einer Soziologie, die sich an neomaterialistischen Ansätzen, wie jenem Barads ausrichtet. Wenn Barad konstatiert »I am not interested in critique« (Barad 2012b: 49) tut sie dies, weil sie eine bestimmte Form der Kritik ablehnt und zwar destruktive Kritik, die über Praktiken der Distanzierung und des Ausschlusses, wie auch des Festschreibens verfährt. Barads Kritikbegriff versteht sich daher als dekonstruktiv. Eine in ihrem Sinne dekonstruk7 | Dem Resonanzbegriff, der mit moralischer Gewissheit auftritt, fehlt die Fähigkeit, sich irritieren zu lassen: Er spaltet sich damit von der Welt ab. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Luhmann den Begriff der Resonanz gerade als »Irritabilität« (1995: 425) versteht.
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tive kritische Praxis ist dabei immer auch eine ethische Praxis: Im skizzierten Modus radikaler Immanenz geht es darum, für Materialisierungen responsiv zu sein und selbstkritisch nach den »constitutive exclusions of those ideas we cannot do without« (ebd.) zu suchen. Rosas Kritikbegriff lässt sich weder in die destruktive noch dekonstruktive Beschreibung einpassen: Er scheint eine Spielart konstruktiver Kritik zu verfolgen, die weniger negativistisch als normativistisch verfährt, indem Resonanz als Maßstab für ein gelingendes Leben gesetzt wird. Eine neomaterialistische Ethik als kritische Praxis versteht sich als Störfaktor solch normativer Gewissheiten und Maßstäbe und versucht deren Konstitutionsbedingungen umfassend zu kartieren. Auf solchen ›Karten‹ lassen sich dann kreativ und spekulativ Nischen für Transformationsmöglichkeiten ausmachen.
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Bedürfnisentwicklung und Resonanz Vorbereitende Überlegungen zu einer kritischen Theorie der Bedürfnisse Sebastian Sevignani
In meinem Beitrag diskutiere ich Rosas »Resonanz-Konzept« vor dem Hintergrund meines aktuellen Forschungsinteresses, welches sich um die Aktualisierung einer kritischen Theorie der Bedürfnisse bemüht. Ich beziehe mich dabei auf Ideen der Kritische Psychologie (vgl. Holzkamp 1983) und des ethischen Perfektionismus (vgl. Henning 2010; 2015), die im Paradigma historisch-materialistischer Theorietradition im Anschluss an Karl Marx verortet werden können. Die Diskussion bleibt jedoch auf den Bereich der Sozialtheorie beschränkt, d.h. ich klammere eine Analyse konkreter gesellschaftlicher Formationen (des Kapitalismus und seiner Dynamik – Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose) weitgehend aus. Da es mir insgesamt um die Vorbereitung einer »kritischen« Theorie der Bedürfnisse geht, erstreckt sich die folgende Diskussion auch auf normative Fragen des gelingenden Lebens. Dementsprechend bezieht sich meine Diskussion der Rosa’schen Theorie auch auf diese zwei Ebenen (Sozialtheorie und Ethik), im Besonderen auf die Verhältnisbestimmung zwischen Weltreichweite und Resonanz und inwieweit Resonanz so etwas wie ein menschliches (Grund-)Bedürfnis ist.
G egenständliches G at tungswesen und menschliche B edürfnisse
Menschliche Bedürfnisse sind für viele gesellschaftstheoretische Entwürfe ein fester oft unhinterfragter Bezugspunkt. Allerdings sind sie kompliziert zu theoretisieren (vgl. Fracchia 2005: 34), weil sie im Schnittpunkt einer Reihe sozialtheoretischer Grundunterscheidungen und Verhältnisbestimmungen liegen, dabei aber dennoch einen subjekttheoretischen Fokus vorgeben (ein Bedürfnis nach Gesellschaft wird häufig attestiert, dass Gesellschaften Bedürfnisse
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haben, leuchtet aber nicht unmittelbar ein). Das Bedürfnis ist ähnlich dem Trieb ein »Grenzbegriff« (Freud 1955: 410f.), allerdings sind Bedürfnisse näher am Bewusstsein und näher an der Gesellschaft als die Triebe. Innerhalb des Subjektes situiert, verlangt die Rede von Bedürfnissen sofort eine sozialtheoretische Verhältnisbestimmung des Einzelnen zur Gesellschaft und zur Natur (z.B. wird häufig zwischen universellen primären »Grundbedürfnissen« und kulturspezifischen sekundären Bedürfnissen unterschieden). Bedürfnisse können generell als Spannungszustände beschrieben werden, die nach der Auflösung dieser Spannung streben. Bedürfniswesen sind Wesen, die diese Spannung verspüren und die Fähigkeit haben eine Spannungserleichterung herbeizuführen. Für Marx (vgl. Marx/Engels 1958: 423) liegt die menschliche Spezifik in der Beziehung zwischen Mangel, Trieb bzw. Bedürfnis und den Gegenständen der Befriedigung, die als Vergegenständlichung bzw. Aneignung durch Arbeit verstanden werden kann. Michael Quante (2013: 76ff.) rekonstruiert die Marx’sche Vorstellung vom Wesen des Menschen als ›Gegenständliches Gattungswesen‹: Damit ist erstens gemeint, dass Selbstbestimmung nur in sozialen Interaktionsverhältnissen denkbar ist. Zweitens gelingt Selbstbestimmung nur durch einen Prozess entäußernder und aneignender Tätigkeit. Indem sich das Subjektive (z.B. die menschliche Arbeitskraft) in ein Objektives (z.B. ein Arbeitsprodukt) in aneignender Auseinandersetzung mit der äußeren Natur (z.B. dem Arbeitsobjekt und dem Arbeitsmittel) vermittelt, erfahren beide Pole eine Transformation. Vergegenständlichtes geht erneut in den Prozess ein. Durch Naturbearbeitung entwickeln sich also nicht nur die Natur, sondern auch das Subjekt und seine Bedürfnisse. Drittens zeigt sich die Gegenständlichkeit des Menschen als bedürftiges Naturwesen primär in materiellen Prozessen der Produktion des Lebens und der Lebensmittel. Der Ansatz der Kritischen Psychologie holt diese von Hegel herkommende Marx’sche philosophische Konzeption des Menschen phylogenetisch ein, gibt also eine an empirisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geschulte Erklärung für das Marx’sche Menschenbild. Mit der Entstehung des Psychischen treten Bedeutung und Emotionalität zwischen Bedarf und Befriedigungsaktivität. Der Organismus hat einen Bedarf und es existieren in der Natur Möglichkeiten diesen Bedarf zu befriedigen, der Organismus hat die kognitiven Fähigkeiten diese zu erkennen, d.h. die äußeren Dinge erlangen eine Bedeutung für ihn. Die Kognition bzw. die Bedeutung wird emotional am Maßstab des Bedarfs bewertet, so wird die Bedeutung aktualisiert und es kommt zu einer (Nicht-)Aktivität (vgl. Holzkamp 1983: 98). Wie verändert sich dieses Motivationssystem aus Bedürfnis, Bedeutung, emotionaler Bewertung in der Entwicklung des Menschen? Das in diesem Zusammenhang relevante Mensch-Tier-Übergangsfeld, also die Entwicklung vom Primaten über Hominiden hin zum Menschen, ist ge-
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kennzeichnet durch zwei qualitative Sprünge (vgl. Holzkamp 1983: 162-184). Der erste Sprung beschreibt den Funktionswechsel vom Tier zum Frühmenschen: Die Mittel zur Bedarfssicherung verkehren sich gegenüber ihren Zwecken. Ein Arbeitsmittel, wie z.B. eine Axt, wird nicht länger zur unmittelbaren Bedarfsbefriedigung benutzt, sondern trägt ihren Zweck als Mittel der Bedürfnisbefriedigung in sich und enthält eine verallgemeinerte soziale Bedeutung. Die Werkzeugherstellung und -nutzung bezieht sich nun auf eine vorsorgende Veränderung der Umwelt. Der zweite Entwicklungssprung markiert den Übergang von der im Funktionswechsel angelegten neuen zu einer bestimmenden Qualität und die Ablösung der Dominanz evolutionärer Logik in der Entwicklung des Menschen durch ›Arbeit‹ bzw. Vergegenständlichung und Aneignung (vgl. Holzkamp 1983: 176). Die Übergangsphase zum Menschen ist dann vollendet, wenn den Überlebensanforderungen nicht passiv, sondern aktiv und in gesellschaftlicher Vorsorge begegnet wird. Gesellschaftliche Vorsorge bedeutet, dass der einzelne nicht selbst und auch nicht unmittelbar kooperierend für die Mittel seines Überlebens sorgen muss, sondern, dass dafür gesellschaftliche Institutionen zur Verfügung stehen (vgl. Osterkamp 1990: 18). Dies geht einher mit einer »Unmittelbarkeits-Durchbrechung« (Holzkamp 1983: 193), d.h. der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Produktion der Mittel zum Überleben und ihrer individuellen Nutzung ist durchbrochen und nur vermittelt über eine je spezifische gesellschaftliche Position und Lage hergestellt. Position und Lebenslage sind Vermittlungskategorien zwischen dem Individuum und der Gesellschaft nach der Unmittelbarkeits-Durchbrechung. Menschen stehen damit in einer Möglichkeitsbeziehung zur Realität, d.h. die objektiven Bedingungen determinieren sie nicht und sie werden frei universell zu produzieren. Der durchschnittlich notwendige individuelle Beitrag zur Reproduktion der Gesellschaft steht nach der Unmittelbarkeits-Durchbrechung »zunächst in keinerlei Beziehung zu seiner aktuellen Bedürfnislage […]. Das gesellschaftliche Ziel ist dem Individuum vor jeder Motivation als objektive Anforderung vorgegeben, unabhängig von seinen aktuellen Bedürfnissen« (Osterkamp 1990: 59). Das Individuum kann sich zum gesellschaftlichen Ziel bewusst verhalten und es vor dem Hintergrund seiner eigenen Bedürfnisse emotional beurteilen. Das Ergebnis dieser Wertung kann je unterschiedlich einen Widerspruch zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen auslösen, wobei aber letztere als Bedingungen zur Erhaltung des individuellen Lebens bewusst sind.
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K ategorien einer kritischen Theorie der B edürfnisse : G rundbedürfnisse , S oziale B edürfnisse und P roduk tive B edürfnisse Eine Grundannahme des historischen Materialismus ist es, dass Menschen, um Geschichte machen zu können, ihr Überleben sichern müssen (vgl. Marx/ Engels 1958: 28). Hieraus kann abgeleitet werden, dass sich eine kritische Theorie der Bedürfnisse mit menschlichen Grundbedürfnissen beschäftigen sollte. Die entscheidende Frage ist in diesem Zusammenhang, ob zusätzlich zur Bedürftigkeit des Menschen noch ein Inhalt, also spezielle Bedürfnisse, eben grundlegende oder absolute Bedürfnisse, für eine Wesensbestimmung des Menschen herangezogen werden kann und soll. Zwei Ansätze können hier zunächst unterschieden werden: Entweder bezeichnen Grundbedürfnisse jene Bedürfnisse, die zuerst befriedigt werden müssen, um »menschlich« sein zu können, also jene Bedürfnisse, die auch andere lebende Organismen, vor allem auch die höchsten Tiere haben, oder der Begriff der Grundbedürfnisse bildet auch schon die menschliche Spezifität ab. Die Kritische Psychologie spricht von ›sinnlich-vitalen Bedürfnissen‹, eine Gruppe, die aus den organischen und sexuellen Bedürfnissen gebildet wird. Sie zeichnen sich einerseits durch einen homöostatischen-zyklischen Charakter aus, d.h. diese Bedürfnisse führen zu Spannungszuständen, die durch Befriedigung gelöst werden, dann aber erneut auftreten. Andererseits qualifiziert sie eine hohe Objektfixierung, d.h., dass »bereits auf organismischer Ebene eine relativ feste Zuordnung zwischen der Art der einzelnen Bedürfnisse und den Objekten ihrer Befriedigung gegeben ist« (Osterkamp 1990: 53). Die Befriedigung von Grundbedürfnissen in einem engen Sinn (Hunger, Durst, Wohnen etc.) ist unerlässlich für das individuelle Leben und physische Gesundheit des Körpers, sie sind aufgrund ihrer organischen Herkunft eine kulturunspezifische Realität (vgl. Assiter/Noonan 2007; Doyal/Gough 1991). Diese enge Konzeption von Grundbedürfnissen ist deshalb bedeutungsvoll, weil global gesehen selbst diese Standards nicht für alle Menschen erreicht werden (vgl. Assiter/Noonan 2007: 183). In der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide (vgl. Maslow 1981) finden sich die beiden eingeführten Ansätze einer Theorie der Grundbedürfnisse (Ermöglichungsbedingung des Menschlichen und Ausdruck des spezifisch Menschlichen) in einem hierarchischen Verhältnis abgebildet: Die Befriedigung der organischen Bedürfnisse ist die Voraussetzung für die Befriedigung höherer, d.h. »menschlicherer« Bedürfnisse, wie z.B. Autonomie. Martha Nussbaum (1993) verzichtet weitgehend auf eine Hierarchisierung der Bedürfnisse, obwohl auch bei ihr bestimmten Fähigkeiten »architektonische Funktionen« (Nussbaum 1999: 59) zukommen, nämlich der praktischen Vernunft und der sozialen Bindung, d.h. entscheiden, planen und kooperieren zu können (vgl. Nussbaum 1993: 340). Sie versucht auf einer ers-
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ten Ebene zu identifizieren, welche Funktionen eine menschliche Lebensform ausmachen und leitet dann auf einer zweiten Ebene daraus Befähigungen ab, die der menschlichen Lebensform entsprechen, d.h. ihre Funktionen ausführen zu können. Aus der Tatsache, dass Menschen um ihre Sterblichkeit wissen und unter normalen Umständen eine Abneigung gegen den Tod zeigen, leitet sie z.B. die Fähigkeit ein lebenswertes Leben zu leben und nicht vorzeitig sterben zu müssen ab. Marx argumentiert, dass die »Erzeugung neuer Bedürfnisse [...] die erste geschichtliche Tat [ist]« (Marx/Engels 1958: 28). Die Historizität und Sozialität von menschlichen Bedürfnissen ist daher ein weiteres wichtiges Problem einer kritischen Theorie der Bedürfnisse. Dies wird zudem deutlich, wenn Grundbedürfnisse sozial überformt werden. Pierre Bourdieus (1987) Habitus- und Inkorporierungstheorie sozialer Strukturen ist ein geeigneter Extremfall zum Verständnis dieser Problematik. Auf die Spitze getrieben ist Bourdieu als soziologisierende Gegenposition zur Grundbedürfnisannahme zu lesen: Gesellschaftliche Bedingungen werden bei ihm zu Bedürfnissen. Sinnlich-vitale Bedürfnisse sind ebenfalls gesellschaftlich und zwar in einem doppelten Sinn (vgl. Osterkamp 1990: 25): Die Ziele der Befriedigung individueller Mangel- oder Spannungszustände entwickeln sich historisch-gesellschaftlich und ihre Befriedigung benötigt gesellschaftlich bereitgestellte Befriedigungsobjekte. Die wichtigste Frage aber, die die Kritische Psychologie für die Entwicklung einer kritischen Theorie der Bedürfnisse stellt, ist, wie die Existenz von Gesellschaftlichkeit motivationstheoretisch zu erklären sei (vgl. Osterkamp 1990: 18). Die Antwort ist, dass der Mensch »seiner Natur nach auch die Bereitschaft, d.h. das in emotionalen Wertungen gegründete Bedürfnis zur Vergesellschaftung (als Moment seiner Befähigung) haben [muss], was zwingend eine phylogenetisch gewordene Bedürfnisgrundlage nicht nur für Aktivitäten zur Reduzierung individueller Mangel- und Spannungszustände, sondern auch für seine produktiven Beitrage zur gesellschaftlichen Lebenssicherung voraussetzt« (Osterkamp 1990: 18).
Dies geht über die bereits bei Marx angelegte Bedürfnistheorie (Grundbedürfnisse und soziale Bedürfnisse) hinaus und klärt gleichzeitig jene BedürfnisFähigkeiten-Komplexe historisch-materialistisch weiter auf, denen Nussbaum »architektonische Funktionen« zuschreibt (praktische Vernunft und Kooperation). Die für den Menschen typische Bedürfnisgrundlage nennt die Kritische Psychologie ›produktive Bedürfnisse‹, eine zweite Form der sozialen Bedürfnisse, die an der »gesellschaftlichen Natur« des Menschen hängt. Marx hat zwar die Gesellschaftlichkeit sinnlich-vitaler Bedürfnisse beschrieben, aber keinen Begriff der produktiven Bedürfnisse gehabt. Bei ihm ist die Konsumption das subjektive Motiv für die Produktion, einen subjektiven Beweggrund
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für die Produktion gibt es aber nicht und so muss bei ihm »die Entstehung der gesellschaftlichen Form der Lebenssicherung wegen Unterbestimmtheit ihrer subjektiven Beweggründe unbegreiflich bleiben« (Osterkamp 1990: 32). Wenn der Mensch aber von Natur aus gesellschaftlich ist, dann ist es verkürzt die Bedürfnisproblematik erstens auf einen Widerstreit zwischen individuellem Bedürfnis und gesellschaftlicher Entsagung festzulegen (vgl. hierfür die Kritik der Kritischen Psychologie an der Psychoanalyse durch Osterkamp 1990). Zweitens wird man der Gesellschaftlichkeit von Bedürfnissen nicht alleine gerecht, indem man ihre soziale Überformung oder Gerichtetheit untersucht. Vielmehr gibt es Bedürfnisse, die zu keinem Zeitpunkt in Gegensatz zur Gesellschaft gesehen werden können. Geht es bei den sozial überformten Grundbedürfnissen und bei den sozialen Bedürfnissen um das Problem individueller Mangel- und Spannungszuständen beziehen sich produktive Bedürfnisse auf die Teilhabe an der Absicherung der individuellen Existenzerhaltung (vgl. Osterkamp 1990: 23). Was wird genau unter solchen Bedürfnissen verstanden? Produktive Bedürfnisse haben keinen homöostatischen-zyklischen Charakter, d.h. sie bewegen sich nicht im permanenten Wechselspiel zwischen Spannung, Spannungserleichterung und erneut auftretender Spannung, denn es fehlt ihnen sowohl an einer Objektfixierung als auch an unvermittelten Zielen. Die Gegenstände und Ziele, auf die sie sich beziehen, bestehen »nicht in ›natürlichen‹, sachlichen oder sozialen, ›Reizkonstellationen‹ der individuellen Umwelt, sondern in den objektiven Produktionsbedingungen als Voraussetzung der Sicherung und Entwicklung gesellschaftlicher und individueller Lebensmöglichkeiten« (Osterkamp 1990: 56). Der erlebte Mangel ist nicht direkte Nicht-Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern ein Mangel an über die Gesellschaft vermittelte Kontrolle der individuellen Lebenssicherung. Das Ausgeliefert-Sein an Umstände, über die man keine Verfügung hat, ist das »›Leidensmoment‹, d.h. das passive Moment […] der ›produktiven‹ Bedürfnisse« (Osterkamp 1990: 34). Zunächst sind sinnlich-vitale, d.h. sowohl Grundbedürfnisse als auch soziale Bedürfnisse, über die Vorsorge für die Befriedigung in die produktiven Bedürfnisse integriert. Diese Integration wurde als spezifisch menschliche Qualität der Bedürfnisse aufgezeigt. So dann verändert sich, wenn gleichzeitig produktive Bedürfnisse befriedigt werden, auch die Erlebnisfähigkeit bei der Befriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse. Es macht einen Unterschied, ob Brot im Zustand unmittelbaren Mangels konsumiert wird oder ob es konsumiert wird im Wissen, das vorgesorgt ist, d.h. auch morgen wieder Brot zur Verfügung steht (vgl. Osterkamp 1987: 223f.). Gesellschaftlichkeit der sinnlich-vitalen Bedürfnisse besteht demnach nicht nur in der Dynamik der Bedürfnisobjekte und der Bedürfnissituationen, sondern auch und entscheidend in einer Modifikation der Bedürfnisqualität: »die Notwendigkeit der jeweils
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direkten Befriedigung aktuell entstandener sinnlich-vitaler Bedürfnisspannungen ist unmenschlich, einerlei, wie verfeinert die Befriedigungsqualität immer ist« (Osterkamp 1990: 36).
B edürfnisent wicklung als normative P erspek tive Der Ansatz des ethischen Perfektionismus zielt auf ein langfristiges Blühen (›flourishing‹) der Menschen ab, d.h. sie sollen ihre natürlichen Anlagen bestmöglich entwickeln und Politik und Gesellschaft für dieses Ziel förderlich eingerichtet sein. Perfektionierung ist in diesem Zusammenhang einerseits von einer Pathologie und einem »Habitus des Nie-Zufrieden-Seins« (Henning 2010: 2) abzugrenzen, denn dort hätte das Gelingen und der Genuss am Erreichten keinen Platz, sondern stände stetig unter dem Schatten des zu Erreichenden (vgl. Henning 2015: 26). Andererseits bedeutet langfristiges Blühen etwas anderes als kurzfristige Befriedigung und subjektive Wunscherfüllung, denn »blühen« orientiert sich an den natürlich vorhandenen menschlichen Anlagen. Diese normative Zielperspektive ist dann mit einer von Marx herkommenden kritischen Theorie vereinbar (vgl. Henning 2010: 3-10), wenn sie erstens egalitär ist, d.h. alle Menschen und nicht nur eine Elite sollen sich in diesem Sinn entwickeln können. Zweitens liberal ist, d.h. Förderungen bzw. politische Vorgaben müssen »autonomiefunktional« (Henning 2010: 8) in dem Sinne sein, dass Eingriffe in die negative Freiheit des Individuums nachweislich oder vernünftigerweise angenommen langfristig zu einem höheren Grad der Selbstverwirklichung führt und dies vor allem auch vom Individuum so anerkannt werden kann. Drittens muss die menschliche Natur als in ihrer Anlage bestimmt, gleichzeitig aber in der Richtung ihrer Entwicklung weitgehend offen gefasst werden, denn aus der Konzeption des gegenständlichen Gattungswesen folgt nicht der eine beste Weg zur menschlichen Entwicklung, »sondern eine Plastizität des Potentials und eine Pluralität von Entwicklungsmöglichkeiten« (Henning 2009: 701). Aus meiner Sicht, kann das kritisch psychologische Konzept der ›Handlungsfähigkeit‹ im Rahmen eines ethischen Perfektionismus situiert werden. Handlungsfähigkeit bedeutet die »gesamtgesellschaftlich vermittelte Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen« (Holzkamp 1983: 239). Motivation, Emotion, Bedürfnisse sind wie gesehen Funktionsaspekte der Handlungsfähigkeit. Vermittelt über Position und Lebenslage nimmt das Individuum einen Ausschnitt gesellschaftlicher Realität war, dabei erlangen Behinderungen und Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung Bedeutung für das Individuum und es sieht sich jeweils vor die doppelte Möglichkeit gestellt: Einmal werden vorgegebene Möglichkeiten genutzt oder es werden vorhandene Möglichkeiten ggf. im Zusammenschluss mit anderen erweitert. Im ersten Fall wird restriktive
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Handlungsfähigkeit und im zweiten Fall erweiterte Handlungsfähigkeit erlangt und das Individuum kann seine Anlagen, zu denen auch die produktiven Bedürfnisse gehören, entwickeln. Hier ist die Marx’sche egalitär-perfektionistische Perspektive, wonach »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Marx 1973: 482), enthalten. Die erste Option ist hingegen widersprüchlich, d.h. sie untergräbt Handlungsfähigkeit und menschliche Entwicklung letztlich, indem eine Komplizenschaft mit den herrschenden Umständen eingegangen wird: »Indem man jedoch die eigene Position zu Lasten Anderer abzusichern sucht, untergräbt man zugleich die Möglichkeit des gemeinsamen Widerstands gegen Verhältnisse, die diese entfremdeten Beziehungen und selbst-entmächtigenden Verhaltensweisen aufnötigen« (Osterkamp 2003: 182).
Im Kapitalismus geschieht dies vor allem durch Konkurrenzverhältnisse und den drohenden Verlust des Einkommens, d.h. der Versagung von Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung. Menschen können und sollen ihre Bedürfnisse über arbeitende Tätigkeit entwickeln, weil dies Teil eines individuell gelingenden Lebens ist, dabei sind sie aber aufeinander angewiesen. Im Prozess der Vergegenständlichung (Bedürfnis-Arbeits-Zusammenhang) und der Aneignung (Befriedigung) können und sollen Menschen ihre Anlagen entwickeln und verfeinern. Dies ist die bedürfnistheoretisch reformulierte Grundannahme des egalitären und liberalen politischen Perfektionismus. Dabei ist immer zunächst das der Möglichkeit nach Erreichbare das Entwicklungsziel, welches sich aber historisch durch Arbeit verschiebt (vgl. Osterkamp 1990: 30). Erweiterte Handlungsfähigkeit ist angewiesen auf Befriedigung und Entwicklung produktiver Bedürfnisse. Wenn man, wie Osterkamp (1990: 39f.), von einer stärkeren Begrenztheit, weil größeren inhaltlichen Bestimmung von sinnlich-vitalen Bedürfnissen gegenüber produktiven Bedürfnissen ausgeht, dann sind produktive Bedürfnisse geradezu ein prädestiniertes Ziel von Verfeinerung und Perfektionierung, denn sie gründen sich weder in organismischen Zuständen noch sind sie auf bestimmte Objekte bezogen (vgl. Osterkamp 1990: 41). Dies hat, wie bereits bemerkt, Auswirkungen auf das Gelingen anderer Bedürfnisbefriedigung, denn erst wenn der Zustand des Ausgeliefertseins an bestehende Befriedigungsmöglichkeiten durch kollektive Vorsorge überwunden wird, kann Bedürfnisbefriedigung »den gesellschaftlich möglichen Grad ihrer individuellen Entwickelbarkeit erreichen« (Osterkamp 1990: 45). Aus kritisch theoretischer Perspektive impliziert Bedürfnisreichtum »stets nur in dem Maße Glück, wie die Möglichkeiten zur Befriedigung der Bedürfnisse abgesichert sind, jedoch potentiell verstärkte Abhängigkeit und erhöhtes Leiden, so-
Bedür fnisentwicklung und Resonanz fern der Mensch aus dem Zusammenhang bewußt-vorsorgender Lebensführung auf das bloß organismische Niveau von Bedürfnissen, d.h. der Abhängigkeit ihrer Befriedigung von ungeplant zufälligen Lebensumständen zurückgeworfen ist« (Osterkamp 1990: 44).
Vor diesem normativen, sozialtheoretisch fundierten Hintergrund können nun prinzipiell gesellschaftliche Entwicklungen kritisiert werden. Eine kritische Theorie der Bedürfnisse soll in der Lage sein, die zwei zusammenhängenden Zentralprobleme des Kapitalismus, Ausbeutung und Entfremdung, so zu thematisieren, dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden können (vgl. die Debatte zwischen Rosa und Dörre in Dörre/Lessenich/Rosa 2009). Die Idee ist, dass dies mit dem Bezug auf menschliche Bedürfnisentwicklung gut funktioniert, da damit eine direkte Verbindung zum Leiden der Menschen hergestellt ist. ›Verelendung‹ ist somit das Problem sowohl der Entfremdung als auch der strukturellen Ungleichheit (vgl. Fracchia 2005; Lindner 2013: 349).
R esonanz und B edürfnisent wicklung Hier soll nun vor dem entwickelten sozialtheoretischen und normativen Hintergrund auf Hartmut Rosas Resonanztheorie eingegangen werden und zwar gleitet von zwei Fragen: Kann dem Resonanzkonzept Bedürfnischarakter zugeschrieben werden? Und wie ist die Dialektik von Weltreichweite und Resonanz vor dem Hintergrund der ethischen Prämisse der Bedürfnisentwicklung zu bewerten? Zunächst muss jedoch das Resonanzkonzept eingeführt werden, welches Hartmut Rosa von der Physik in die Sozialwissenschaft transferiert. Resonanz entsteht demnach dann, wenn »durch die Schwingung des einen Körpers die Eigenfrequenz des anderen angeregt wird« (Rosa 2016: 282, Herv. i.O.). Dieses Bild wird nun auf Weltbeziehungen übertragen, die aus einem Subjekt, einem Objekt und deren Verbindung bestehen. Gelingende Weltbeziehungen hängen davon ab, »auf welche Weise Welt (passiv) erfahren und (aktiv) angeeignet oder anverwandelt wird und werden kann.« (Ebd.: 2016: 53). Idealerweise besteht ein »›vibrierender Draht‹« (ebd.: 279) zwischen Subjekt und Welt, d.h. beide antworten einander als eigenständige Größen. Die Eigenständigkeit ist zu betonen, denn Resonanz stellt sich nur ein, weil die Beziehung auf einem »Moment der Unverfügbarkeit« (Rosa 2016: 295, Herv. i.O.) beruht. Weil Resonanzerfahrungen »Erfahrungen der Antwort sind und ein Antwortverhältnis konstituieren, setzen sie nicht nur voraus, dass beide Pole der Beziehung mit eigener (und oft irritierender) Stimme sprechen, also nicht beliebig manipulierbar sind, sondern sie sind konstitutiv auch da-
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Sebastian Sevignani durch charakterisiert, dass die Antwort auch ausbleiben kann, dass die Stimme nicht ertönen kann« (ebd.: 295, Herv. i.O.).
Es ist die Betonung des Pathischen und des Unverfügbaren in der Resonanz, was dieses Konzept von (negativen) Autonomievorstellungen abgrenzt, denn Resonanz bleibt so »konstitutiv auf eine erfahrbare Begrenzung von Autonomie angewiesen« (ebd.: 314, Herv. i.O.). Ein Scheitern einer solchen Weltbeziehung ist an allen drei beteiligten Momenten möglich, das menschliche Subjekt kann unempfänglich für Schwingungen sein, die entgegentretende Welt kann ›stumm‹ bleiben und es kann zu Passungsproblemen kommen, etwa wenn zwar das Subjekt empfänglich für Schwingungen ist, die Welt, z.B. in Gestalt bürokratischer Institutionen aber nicht schwingungsfähig eingerichtet ist. Resonanztheoretisch heißen diese Möglichkeiten Indifferenz (ebd.: 306), d.h. Welt und Subjekt begegnen sich gleichgültig, Repulsion (ebd.: 292), d.h. die Pole schließen sich gegeneinander ab und es findet keine Affizierung statt und Echo (ebd.: 298), d.h. der Eigenwille oder das Unverfügbare verschwindet in einer (Über-)Affizierung und Indifferenz. Das Fehlen von Resonanz kennzeichnet eine entfremdete Weltbeziehung (vgl. ebd.: 749): Es kommt zwar eine Weltbeziehung zustande, aber jene wird nicht als gelungen erfahren. Dabei ist »nicht die Reichweite, sondern die Qualität der Weltbeziehung […] Maßstab politischen wie individuellen Handelns« (ebd.: 725, Herv. i.O.). Entfremdung und Verdinglichung werden als zwei Seiten des gleichen nicht-resonanten Vorgangs beschrieben: »Verdinglichung beschreibt damit die Bewegung aus dem Subjekt heraus: Die Welt wird als stummes Ding behandelt, während Entfremdung die Art und Weise angibt, in der die Welt begegnet oder erfahren wird. Verdinglichung betont mithin die intentionalistische Seite einer problematischen Weltbeziehung, während Entfremdung deren pathische Kehrseite (und Konsequenz) hervorhebt« (ebd.: 307, Herv. i.O.).
Hier wird deutlich, dass Resonanz als deskriptives und normatives Konzept zugleich angelegt ist (vgl. ebd.: 293). Zunächst, im Rückgriff u.a. auf die Spiegel-Neuronenforschung, argumentiert Rosa für eine »anthropologische Verankerung der menschlichen Resonanzfähigkeit« (ebd.: 256). Nicht nur gebe es »eine mögliche neuronale Basis und Verankerung für Resonanzphänomene« (ebd.: 255), sondern Weltbeziehungen entwickelten sich auch überhaupt nur in Resonanzprozessen. Sie seien so das ›primäre Weltverhältnis‹ und Entfremdungserfahrungen seien demgegenüber sekundäre Kulturtechnik (vgl. ebd.: 624, 741, 747f.). Resonanzerfahrungen sind also etwas ursprüngliches, sie wirken dann im menschlichen Leben des Subjekts weiter als Resonanzsuche. Wird das Subjekt nicht fündig, entsteht dem Menschen Leiden.
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Die Sache ist jedoch nicht so einfach, denn Resonanz, angewiesen auf ein Moment des Unverfügbaren, des eigenständig antwortenden Weltausschnittes, entziehe sich der Dauerhaftigkeit. Nicht das Erreichen totaler Resonanz ist damit der normative Fluchtpunkt, sondern eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von momenthafter Resonanz als Kulturaufgabe (vgl. ebd.: 750). Die Menschen sollen sich bemühen Resonanzerfahrungen wahrscheinlich und wiederholbar zu machen, indem sie individuelle und gesellschaftliche Resonanzachsen etablieren und um diese herum Resonanzräume schaffen (vgl. ebd.: 296). Einerseits meint dies die entsprechende Einrichtung gesellschaftlicher Basisinstitutionen in den verschiedenen Dimensionen (horizontal, vertikal, diagonal), in denen gelungene Weltbeziehungen etabliert werden können, andererseits und mit ersterem wechselseitig zusammenhängend, soll, vor allem vermittelt über die Basisinstitutionen der Familie, Erziehung und Ausbildung, eine Art ›Tiefenresonanz‹ oder »dispositionale Resonanzfähigkeit« (ebd.: 325, 744) in den heranwachsenden Subjekten entwickelt werden. Arbeit ist nach Rosa eine zentrale Resonanzsphäre, allerdings wird sie nur im Bereich der diagonalen Dimension von Weltbeziehungen, d.h. menschlicher Beziehungen zu Gegenständen, behandelt (vgl. ebd.: 393-401). Das hier vertretene Verständnis von Arbeit als Bestandteil des gegenständlichen Gattungswesens des Menschen ist demgegenüber umfassender und enthält sowohl die horizontale (Sozialbeziehungen) als auch die vertikale Ebene (vor allem Geschichte) möglicher Weltbeziehungen. Arbeit ist hier nicht nur eine, sondern die zentrale Art der Weltbeziehung, die menschliche Entwicklung vielleicht nicht motivierend begründet, die sie aber ermöglicht. Es scheint so, dass das hier vorgeschlagene deskriptive Arbeits- und Tätigkeitkonzept mit den aufeinander angewiesenen Prozessen der Vergegenständlichung und der Aneignung dem nahe kommt, was Rosa als Resonanzbeziehung beschreibt. Pathische und intentionalistische Momente sind im Tätigkeitskonzept aufgehoben, nicht die Subjekte machen sich die Welt untertan, sondern in der Bearbeitung der Welt verändern sich auch die Subjekte (vgl. ebd.: 394). Rosa betont aber die Unverfügbarkeit des Objektes, ein Arbeitsgegenstand kann z.B. nicht beliebig bearbeitet werden, er gibt Möglichkeiten und Grenzen der Bearbeitung vor. Diese Unverfügbarkeit will Rosa durch eine Differenzierung zwischen den Begriffen ›Anverwandlung‹ und ›Aneignung‹ deutlich machen: Ersteres beschreibt eine Beziehungsqualität, die das Anzuverwandelnde als Eigenes gelten lässt, letzteres lösche genau diesen Moment aus (vgl. ebd.: 326). Eine kritische Theorie der Bedürfnisse sollte diesen Hinweis aufnehmen und deutlich machen, inwiefern der grundlegende Prozess von Vergegenständlichung und Aneignung dieses Moment integrieren kann. Zudem ist die von diesem Prozess angetriebene Bedürfnisentwicklung nicht auf quantitative Bedürfnisvermehrung zu begrenzen. Eine solche Dynamik kann sogar mit ›Ent-
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wicklung‹ in Widerspruch geraten. Bedürfnisverfeinerung statt -vermehrung ist demnach die normative Zielperspektive. Wenden wir uns nun der Frage nach dem Bedürfnisstatus des Resonanzkonzeptes zu. Die kritische Theorie der Bedürfnisse unterscheidet bisher zwischen Inhalt und Form in doppelter Weise: Erstens werden Grundbedürfnisse (Inhalt 1) sozial geformt und ausdifferenziert; sie sind in sozialen Bedürfnissen aufgehoben (Form 1.1), aber so, dass sie noch erkennbar bleiben und einen Maßstab gelingenden Lebens abgeben. Zudem entstehen produktive Bedürfnisse nach der Unmittelbarkeitsdurchbrechung an deren Befriedigung die Bedürfnisbefriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse fortan gekoppelt ist; mit der regressiven Möglichkeit, dass die spezifische Menschlichkeit der Bedürfnisbefriedigung nicht erreicht wird (Form 1.2). Zweitens kann die Befriedigung produktiver Bedürfnisse und damit nachhaltig der sinnlich-vitalen Bedürfnisse zwei Formen annehmen, eine verallgemeinerte und eine restriktive (Form 2) und sich so entweder perfektionieren oder nicht. Resonanz ist das Bedürfnis nach einer spezifischen Form der Beziehung und dies macht es schwierig, hier zwischen Inhalt und Form zu unterscheiden. Inhalt und Form fallen im Resonanzbegriff zusammen. Rosa beschreibt Resonanz zunächst deskriptiv »als ein menschliches Grundbedürfnis und eine Grundfähigkeit« (ebd.: 293), die allen Menschen zukommt und deshalb auch einen perfektionistischen Maßstab abgeben kann (Inhalt). Hierzu wird im zweiten Teil seines Buches Resonanz als ursprünglich konstruiert, sie ist sowohl Entwicklungsnotwendigkeit für Subjektivität als auch Intersubjektivität, sie ist Antrieb, Verlangen, dass auch sozial versagt werden kann. Das Resonanzbedürfnis erlangt seine gesellschaftliche Form jedoch in partikularen Resonanzverhältnissen und Resonanzachsen, es drückt sich sozial z.B. in gelungener Arbeit, d.h. Tätigkeit in der ich mich selbstverwirkliche und in Auseinandersetzung mit dem Arbeitsmittel und -gegenstand auch bilden, verbessern kann, aus (vgl. ebd.: 395). Ein Bedürfnis nach partikularen Resonanzachsen und -räumen, z.B. nach handwerklicher Tätigkeit, wäre also ein soziales Bedürfnis. (Grund-)Bedürfnisse können und sollen in resonanter Form befriedigt werden (Form 1.1). Liegt es dann nahe, das Resonanzbedürfnis in die Nähe produktiver Bedürfnisse zu rücken (Form 1.2)? Hier kann erstens eingewandt werden, dass das Bedürfnis nach resonanter Bedürfnisbefriedigung nicht wie bei den produktiven Bedürfnissen unmittelbar notwendig mit der Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess gekoppelt ist. Auch die individuelle Beziehung zu einem Sternenhimmel, etwa vermittelt über ein Teleskop, kann diagonal oder vertikal resonant sein. Das Resonanzbedürfnis orientiert nicht sofort auf gesellschaftliche Teilhabe, vielmehr handelt es sich bei gesellschaftlicher Teilhabe um eine eigene horizontale Resonanzachse. Allerdings sollen für sich wiederholende Resonanzerfahrungen, Resonanzachsen und -räume gesellschaftlich einge-
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richtet werden. Dennoch führt das vertikale oder diagonale Resonanzbedürfnis nicht unmittelbar zur Gesellschaftlichkeit: Nicht als Ermöglichungsgrund für gelingende Bedürfnisbefriedigung, sondern als Voraussetzung der wahrscheinlichen Wiederholung von Resonanzerfahrungen kommt Gesellschaftlichkeit ins Spiel. Davon bleibt unberührt, dass die Teilhabe selbst resonant oder entfremdet sein kann, wie Rosa am Beispiel des demokratischen poltischen Prozess ausführt (vgl. ebd.: 362-380). Rosa beschreibt das Problem, dass kollektive Selbstwirksamkeitserfahrungen, gemeinsames Gestaltenkönnen in der kapitalistischen Moderne unter den Bedingungen der Arbeitsteilung und vor allem der Privatproduktion verhindert werden. Die Frage der Entfremdung oder Resonanz in der horizontalen Achse der Weltbeziehung würde dann der restriktiven oder verallgemeinerten Befriedigung produktiver Bedürfnisse entsprechen (Form 2). Ein zweiter Punkt, der gegen eine Gleichsetzung produktiver Bedürfnisse mit dem Resonanzbedürfnis spricht, liegt in der Qualität des Bedürfnisses selbst. Resonanz- und produktive Bedürfnisse sind beide unbegrenzt verfeinerbar, allerdings hat das Resonanzbedürfnis gewissermaßen einen homöostatischen-zyklischen Charakter, ähnlich einem sinnlich-vitalen Bedürfnis. Es ist momenthaft, ein Spanungszustand wird befriedigt und tritt dann erneut auf. Gerade in der Momenthaftigkeit von Resonanz liegt ihre Qualität: »Leben ist in diesem Sinne Suche nach Resonanz und Streben nach der Vermeidung von dauerhafter Entfremdung.« (ebd.: 747f.) Die Klärung des Bedürfnisstatus von Resonanz hat uns somit auf das Feld der Dialektik von Resonanz und Entfremdung geführt. Etwas ›anzueignen‹ war für Rosa, im Gegensatz zur ›Anverwandlung‹ von Gegenständen, problematisch, da damit eine nicht-resonant verdinglichende Weltbeziehung eingegangen wird. Das intentionalistische Moment triumphiert in der Moderne über das pathische: »Unter dem Schlagwort der Weltreichweitenvergrößerung lassen sich das strukturelle Programm und das kulturelle Projekt der Moderne zusammenfassen, hier liegt daher auch der Ansatzpunkt für ein adäquates Verständnis der modernen Weltbeziehung als solcher« (ebd.: 521, Herv. i.O.).
Diese instrumentelle Logik liegt noch der Suche nach Autonomie zugrunde, d.h. die Welt unter Kontrolle und in Reichweite zu bringen. Selbstwirksamkeit wird als die instrumentelle Umsetzung von Absichten zum Beispiel im Prozess der Vergegenständlichung gesehen. Demgegenüber seien »[n]icht die bewirkten Ergebnisse […] das Entscheidende, sondern die Erfahrung der sich im Prozess ergebenden Wechselwirkung.« (ebd.: 274, Herv. i.O.) Hintergrund für Kontroll- und (falsch verstandenes) Autonomiestreben, Reichweitenvergrößerung ist die »Grundangst« (ebd.: 522) vor Resonanzverlust. Zu dieser modernen Grundangst gehört aber als ermöglichendes Moment auch die Sen-
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sibilisierung für Resonanz. Die Moderne ist Resonanzsensibilisierung, Resonanzbefähigung sowie Resonanzkatastrophe zugleich (vgl. ebd.: 596, 602). Weltreichweitenvergrößerung ist als Strategie der Resonanzsuche zu interpretieren (vgl. ebd.: 278). Für Rosa ergeben sich verschiedene Ausgänge aus der Dialektik von Weltreichweitenvergrößerung und Resonanz und er reflektiert diese auch auf die Wahrscheinlichkeit und Wirkmächtigkeit für Menschen in Abhängig zu ihrer gesellschaftlichen Klassenpositionen hin. Einmal in optimistischer Weise: Das Streben nach Weltreichweite hat Resonanzorientierung erst hervorgebracht und ist Bedingung ihrer Ermöglichung. Sodann den Optimismus dämpfend, weil diese Option nur für Mittel- und Oberklassen wahrscheinlich scheint (ebd.: 627). Meist aber pessimistisch: Resonanzsensibilisierung wird, wie hauptsächlich argumentiert wird, in eine instrumentelle Logik integriert. Aus Sicht einer kritischen Theorie der Bedürfnisse liegt hier ein Problem fehlender Differenzierung vor, denn die Widersprüchlichkeit individueller und kollektiver Reichweitenvergrößerung oder zwischen deren Inhalt und gesellschaftlicher Form wird sozialtheoretisch nicht genügend beachtet. Reichweitenvergrößerung wird als solche dem problematischen widersprüchlichen Programm des Resonanz-motivierten aber Resonanz-verhindernden Programms der Moderne zugeschlagen. Zwar ist Rosa sensibel für das Problem einer kompensatorischen Wendung der Dialektik von Weltreichweite und Resonanz, wonach es in den dominanten institutionellen Sphären gegenwärtiger Gesellschaft z.B. durch eine Logik des Sachzwangs am Moment der Affizierung fehlt, während in resonanzorientierten Gegensphären, wie in einigen Freizeitaktivitäten »kaum oder keine weltgestaltende beziehungsweise welterreichende Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht werden können.« (ebd.: 733; vgl. auch ebd.: 724) Dies bleibt aber Zeitdiagnose und das Ausspielen der gesellschaftlich bedeutsamen (z.B. wer unter welchen Bedingungen produziert), gegen weniger bedeutsame Sphären gehört nicht zum Kern der Resonanztheorie. Die Bedürfnisbefriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse verändert sich auf menschlicher Stufe, die Absicherung der zukünftigen Bedürfnisbefriedigung wird zum (produktiven) Bedürfnis. Können letztere nicht befriedigt werden, wird »der aktuelle Genuß in solchen Notsituationen durch das Wissen überschattet, damit prinzipiell gegen die langfristigen Interessen zu verstoßen« (Osterkamp 1987: 224). Es ist typisch-menschliche Entwicklungsaufgabe die Problematik von unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und gesellschaftlicher Vorsorge zu bearbeiteten. Gelingt dies ungenügend, wie im Kapitalismus, drängt sich ein individuelles Kontrollbedürfnis in den Vordergrund und der Andere wird als Schranke und Konkurrenz der eigenen Entwicklung erlebt. Ein individuelles Kontrollbedürfnis tritt dann in den Vordergrund,
Bedür fnisentwicklung und Resonanz »wie die Menschen auf dem Niveau der defensiven Existenzsicherung zurückgehalten sind, d.h. entweder die Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen insgesamt gefährdet ist oder einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen von der Bestimmung der gesellschaftlichen und damit individuellen Lebensbedingungen ausgeschlossen sind« (Osterkamp 1987: 224).
Die erste im Zitat angesprochene Option entspricht der Entfremdungsdiagnose, die alle Menschen im Kapitalismus betrifft, also z.B. seine strukturelle Krisenanfälligkeit und die Unterordnung unter Beschleunigungs- und Wachstumsimperative. Das zweite Problem betrifft Ausbeutungsverhältnisse, deren Folge erhöhte Verunsicherung über die Chancen der Bedürfnisbefriedigung ist. Diese Verunsicherung »wird über die ›Selbstkontrolle‹, die Perfektionierung der eigenen Verwertbarkeit innerhalb der bestehenden Machtverhältnisse, d.h. die Entwicklung möglichst umfangreicher Kompetenzen und Fertigkeiten zu kompensieren gesucht« (Osterkamp 1987: 224). In kapitalistischen Gesellschaften existiert ein klassenspezifisch ausdifferenziertes »Zurückgeworfensein auf den Status der unmittelbaren Existenzsicherung« (Osterkamp 1987: 225). Für eine kritische Theorie der Bedürfnisse ist so nicht ein »Zu-viel« und Weltreichweitenvergrößerung, sondern eher die zu geringen Möglichkeiten dieser Art das Problem. In einer Situation, in der sich Vergesellschaftung »hinter dem Rücken« (Marx 1962: 59) der Menschen vollzieht, diese nicht bewusst geplant wird und sich somit der Reichweite der Menschen entzieht, ist das Individuum auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung zurückgeworfen bzw., um dennoch produktive Bedürfnisse zu befriedigen und in die gesellschaftliche Vorsorge eingebunden zu sein, wählt es die Alternative der restriktiven Handlungsfähigkeit. In diesem Zustand triumphiert die von Rosa kritisierte entfremdende nicht-resonante Logik. Demgegenüber ginge es darum verallgemeinernd in Kooperation statt in Konkurrenz die Lebensbedingungen für alle zu erweitern (vgl. Osterkamp 1987: 226). Das Problem ist also, erstens, dass die gesellschaftliche Kontrolle insgesamt zu gering ist und, zweitens, die gesellschaftliche Form, in der sich Weltreichweitenvergrößerung in Konkurrenz durchsetzen muss und so den ersten Aspekt verstärkt. Erst wenn gesellschaftliche Kontrolle erhöht werden kann, besteht die Möglichkeit, dass Weltreichweitenvergrößerung im Sinne Rosas als Projekt weniger wichtig wird und Resonanzerfahrungen wahrscheinlicher werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Projekt der Aktualisierung einer kritischen Theorie der Bedürfnisse von der Resonanztheorie lernen kann, dass ein Moment der Unverfügbarkeit in der Konzeption des gegenständlichen Gattungswesen und dem Prozess der Aneignung/Anverwandlung und Vergegenständlichung einen Platz haben muss. Sowie damit verbunden, dass Bedürfnisentwicklung als normative Zielperspektive nicht den wohl
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pathologischen Zustandes eines ›Nie-zu-Ende-Kommens‹, sondern die Verfeinerung von Bedürfnissen und deren Befriedigungen in gesellschaftlicher Vorsorge bedeutet. Schwierigkeiten entstehen für eine kritische Theorie der Bedürfnisse, wenn die Resonanztheorie eine Unterscheidung zwischen Inhalt (Grundbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, produktive Bedürfnisse) und Form (verallgemeinerte versus restriktive Handlungsfähigkeit bzw. Bedürfnisbefriedigung) verwischt. Worüber die Resonanztheorie deshalb nachdenken kann, ist der Wert einer solcher Differenzierung und damit verbunden die Einsicht, dass nicht Weltreichweitenvergrößerung als solche ein Problem darstellt, sondern, dass diese möglicherweise gesellschaftlich gesehen defizitär ist und deshalb individuell in einer restriktiven Form ausgelebt werden muss.
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Erfahrung trifft auf Resonanz Ein Kommentar zu Hartmut Rosas Resonanztheorie aus der Perspektive der kritischen Theorie Adornos Christine Kirchhoff
E inleitung Hartmut Rosa knüpft mit seiner Soziologie, die er um die Frage nach der Möglichkeit von Resonanzerfahrungen in der heutigen Gesellschaft herum aufbaut, an die von ihm diagnostizierte Beschleunigung der Gesellschaft an: »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung.« (Rosa 2016: 13) Von einer Lösung zu sprechen heißt hier auch, auf die Kritik zu antworten, dass die Diagnose der Beschleunigung zwangsläufig die Frage aufwerfe, welches Tempo denn angemessen wäre, oder andersherum, aus der historischen Perspektive: Von welchem – guten – Tempo aus wurde so beschleunigt, dass dies problematisch ist oder zumindest als problematisch erlebt werden kann? Rosa spricht hier ein Erleben an, mit dem fast jeder etwas anfangen zu können scheint, nämlich das Gefühl, dass es ein noch als angemessen erlebtes Tempo gibt und dass manchmal einfach alles zu schnell geht. Dies reflektiert sich zum Beispiel in der Popularität der Geschichte vom American Native, der das Reisetempo der Weißen nicht mitgehen mag, weil seine Seele dabei auf der Strecke bleibe. In der Version von Rafik Schami lautet diese Geschichte folgendermaßen: »Eine Geschichte fiel ihm ein, von einem Indianer, der mit einem weißen Amerikaner Auto fuhr. Der Weiße fuhr sehr schnell. Plötzlich rief der Indianer: ›Halt!‹ Der Fahrer erschrak und bremste, da stieg der Indianer gemächlich aus und setzte sich an den Straßenrand. ›Was machst Du?‹ fragte der Weiße. ›Ich warte auf meine Seele, sie kann nicht so schnell wandern‹.« (Schami 2015: 178f.)
Die Geschichte ist anschaulich und sie scheint eine tiefe Sehnsucht zu treffen, die Sehnsucht, nur so schnell zu müssen, wie man auch kann, so schnell,
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Christine Kirchhoff
dass die Seele mitkommt. So sehr sich Leser_innen sich an dieser Stelle verstanden fühlen mögen, für eine Theorie der guten Geschwindigkeit genügt das subjektive Zeiterleben nicht. Der Stand der Subjektivität sollte nicht vom Stand der Vergesellschaftung getrennt werden; das heißt: Die Menschen und ihr Erleben verändern sich – ob zum Guten oder zum Schlechten, das sei erst einmal dahingestellt – mit der Geschichte. Auch die subjektive Erfahrung von Geschwindigkeit etwa, die Fähigkeit, damit zurechtzukommen, darunter zu leiden oder sie gar als lustvoll zu erleben, hat also einen Zeitkern. Auch dies wiederum ist gut nachvollziehbar, wenn man sich an einem anderen Beispiel diese Erfahrung vergegenwärtigt, wenn man sich also überlegt, wie unterschiedlich man selbst und die vorhergehende wie die nachfolgende Generation mit den Möglichkeiten von Internet- und Handykommunikation umgeht, diese nutzt und erlebt bzw. dies noch gar nicht getan hat oder gar nicht erst anfängt. Um nun also die Frage nach der guten Geschwindigkeit nicht allein auf der Ebene des Tempos beantworten zu müssen, zentriert Rosa seine Theorie um das Problem des Resonanzerlebens herum neu. Damit führt er eine Möglichkeit ein, ein gutes Tempo zu bestimmen, die die hier skizzierten Probleme umgeht: Ein Tempo ist gut, so Rosa, wenn es Resonanzerfahrungen möglich macht und befördert und das wird erschwert, wenn alles zu schnell gehen muss. Indem Rosa hier auf die Resonanz kommt, löst er zwar elegant das Problem rückwärtsgewandter Sehnsucht – nicht umsonst ist es ein »Indianer«, ein amerikanischer Ureinwohner, der den Weißen als Vertreter einer rationalistischen, entfremdeten Lebensweise belehrt. Gleichzeitig weicht Rosa an dieser Stelle aus, indem er die Frage nach den Verhältnissen, die einen Umgang mit Zeit hervorbringen und erzwingen, der dann als »Beschleunigung« imponiert, hier nicht weiterführt. Stattdessen schreibt er eine Ethik des guten, weil resonanten Lebens, was ja auch erstmal sehr sympathisch ist, vor allem da seine Theorie bzw. deren Darstellung ihr Thema inszeniert: Das Lesen von Rosas Buch ermöglicht, so man sich denn darauf einlässt, Resonanzerfahrungen: es antwortet. Damit hebt es eigene Erfahrungen auf, man fühlt sich verstanden, z.B. in der Freude an den schönen Schächtelchen im Badezimmer und auch bezüglich der leisen Ahnung, dass es das allein auch nicht sein kann, dass man vielleicht etwas aufsitzt. Rosas Argumentation setzt darauf, dass der Leser nachfühlt und unterscheiden kann zwischen einer resonanten Beziehung zur Welt und Zuständen oder Bedingungen, in bzw. unter denen die Welt nicht antwortet oder man selber nicht in der Lage ist, dies zu tun, also in Schwingung zu geraten. Es ist zu vermuten, dass ein Leser, den Rosas Emphase für die Resonanz kalt lässt, auch mit seiner Theorie schwerlich etwas anfangen können wird. Rosa zeigt in seiner umfangreichen Abhandlung sein Gespür dafür, dass »Resonanzinseln« wie die oben genannte Verschachtelung des Badezimmers, das Angedrehte und Schale solcher Erfahrungen, weniger mit den individu-
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ellen Voraussetzungen als mit den gesellschaftlichen Möglichkeiten zu tun haben, dass die Gründe für die von ihm konstatierte Entfremdung eine gesellschaftliche sein könnte. Da er dieses Thema immer wieder einkreist, stellt sich die Frage, ob das Zentrieren einer Gesellschaftstheorie um den Begriff Resonanz eine Diagnose bietet oder selbst als Symptom zu begreifen ist, falls sich dies überhaupt so trennscharf scheiden lässt. Rosa zeigt detailliert die Entfremdung innerhalb der als resonant beschreibbaren Phänomene und sieht sehr genau, dass das Resonanzversprechen prominent in der Werbung ist. Hier werden dann, so ließe sich in der Sprache der kritischen Theorie Adornos sagen, die Dinge, die man, so seine Utopie, einmal, genau wie die Menschen, um ihrer selbst werde lieben können, projektiv zu menschlichen Objekten verdinglicht. Ist also, so ließe sich weiter fragen, Resonanz tatsächlich das Versprechen der Moderne oder der Umstand, dass man auf diese Idee kommen kann, ein Symptom für das Unbehagen an der Spätmoderne?
V on der D ialek tik der A ufkl ärung zur D ialek tik der R esonanz ? O der : D ie M oderne und ihre V ersprechen Hartmut Rosa sieht die Dialektik der Entwicklung der modernen Gesellschaft als Dialektik der Resonanz: Die moderne Geschichte lasse sich als Geschichte der »Resonanzkatastrophe« und zugleich als »Geschichte der historisch beispielslosen Steigerung der Resonanzsensibilität« zugleich erzählen (Rosa 2016: 624, Herv. i.O.). Indem Rosa hier einen Mangel kritisiert, der auf einem nicht eingelösten Versprechen beruht, reiht er sich in die kritische Theorie ein, die die Wirklichkeit an dem misst, was sie verspricht. Die normative Konsequenz seiner am Erleben der empirischen, in Zeit und Raum verorteten Subjekte ansetzenden Theorie ist, dass eine gute Gesellschaft so eingerichtet sein sollte, dass sie Resonanz nicht nur versprechen, sondern dieses Versprechen auch einlösen kann, indem sie Möglichkeiten von Resonanzerfahrungen bietet und befördert anstatt diese zu unterminieren. Dies sei, so Rosa, allerdings bei Weitem nicht der Fall: »Resonanz bleibt das Versprechen der Moderne, Entfremdung aber ihre Realität.« (ebd.: 624, Herv. i.O.) Hier knüpft Rosa nicht nur in Auf bau und Wortwahl sondern auch explizit sowohl an Karl Marx (vgl. ebd.: 623) als auch an die »Dialektik der Aufklärung« (Horkheimer/Adorno 1981) und damit an die kritische Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos an, kritisiert aber deren Annahme, dass »sich das Subjekt-Welt-Verhältnis restlos verdinglichen« lasse (ebd., Herv. i.O.). Bezüglich dieser Frage zeigt sich, dass die kritische Theorie Horkheimers und Adornos und die Rosas auf unterschiedlichen Ebenen argumentieren: Horkheimer und Adorno geht es darum zu zeigen, dass die kapitalistische Gesellschaft
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ihrem Begriff nach alles verdinglicht, verkehrt und entfremdet, in diesem Sinne total ist. Zugleich sind insbesondere Adornos Arbeiten davon getrieben, dem Nicht-Identischen nachzuspüren, er bezeichnet Philosophie als »die Anstrengung des Begriffes, die Wunden zu heilen, die der Begriff notwendig schlägt« (Adorno 1973: 55). Nur im Medium des Begriffs – denn etwas anderes hat man innerhalb der Sprache nicht zur Verfügung – kann das Nichtbegriffliche aufscheinen. Programmatisch heißt es dazu in der Negativen Dialektik: »Womit negative Dialektik ihre verhärteten Gegenstände durchdringt, ist die Möglichkeit, um die ihre Wirklichkeit betrogen hat und die doch aus einem jeden blickt. Doch selbst bei äußerster Anstrengung, solche in den Sachen geronnene Geschichte sprachlich auszudrücken, bleiben die verwendeten Worte Begriffe« (Adorno 2003a: 63). Adornos Philosophie ist eine Entfaltung dieses Widerspruches. Rosa springt an dieser Stelle unvermittelt in die Empirie: Völlig zurecht betont er, dass Resonanzerfahrungen auch dort möglich seien, wo man sie zumal als Kulturkritiker der Form nach vielleicht nicht vermuten würde, etwa bei einer durchorganisierten Pauschalreise. Damit vermeidet er die nicht gerade seltene Fehlrezeption insbesondere der Kulturindustriethesen aus der »Dialektik der Aufklärung«, die deren Ausführungen als dem Narzissmus dienendes Distinktionsmittel guter und schlechter Kultur missversteht. Den Autoren der »Dialektik der Aufklärung« ging es jedoch um eine Formbestimmung, nämlich darum, dass jede Form der Kultur insofern zur Industrie wird (auch hier wieder eine Totalität des Begriffes, nicht der Empirie), als dass sie marktförmig wird, was weder ihren Inhalt noch dessen Rezeption unberührt lässt (vgl. Horkheimer/Adorno 1981: 141-191). Rosa zählt detailliert und mit Humor auf, wie der Wunsch des Menschen, dass die Welt antworten möge, zur Persiflage wird, wenn schon das morgendliche Aufsuchen des Badezimmers zum Resonanzerlebnis werden soll. Resonanz sei der »implizite Lockruf nahezu aller Werbestrategien« (Rosa 2016: 620). Die »Resonanzverdinglichung« bewirke, dass sich das Resonanzversprechen gegen die Menschen kehre, indem Resonanz zum »Mittel der Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit« und damit zu einem »Instrument« werde (ebd.: 622). Dies lasse auch die Subjekte nicht unberührt; auch für diese werde Resonanz zum Instrument der Selbstvermarktung und -verwertung: »Spätmoderne Akteure« hätten längst erkannt, dass ein »resonantes Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Psyche« (ebd.) unabdingbar für Erfolg sei. Wie verhält sich nun das von Rosa postulierte Versprechen der Moderne, Resonanz, zu den Versprechen, die üblicherweise der Moderne zugeschrieben werden, wie etwa Fortschritt? Oder wie verhält sich das Resonanzversprechen zu dem in »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« liegendem Versprechen, dass alle Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit die gleichen Möglichkeiten und Rechte haben sollten, dass niemand aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Ge-
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schlecht oder sexueller Orientierung davon ausgeschlossen sei? Adorno riet der Politik, der es »um die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen« ginge, den »besseren Zustand« zu denken, »als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann« (Adorno 1980: 116). »Auf die Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft«, erhalte man, so Adorno, »Antworten wie die Erfüllung der menschlichen Möglichkeiten oder den Reichtum des Lebens« (ebd.: 178) – viele resonante Erfahrungen, das ließe sich hier ergänzen. Er wendet gegen die Illegitimität der Frage und das »Abstoßende, Auftrumpfende« der Antwort ein, dass »zart« einzig »das Gröbste« wäre: »dass keiner mehr Hungern soll« (ebd.). Nun ist dies sicherlich eine der fast zu Tode zitierten Formulierungen Adornos. In Bezug auf Rosas Resonanztheorie lässt sich allerdings gut verdeutlichen, was hier in der Gegenüberstellung von Zart und Grob, in der beide sich in ihrer jeweiligen Bedeutung verkehren gemeint ist, und im Rest des Aphorismus entfaltet wird: Nicht die Verfeinerung der Interessen, das Eintreten für die Möglichkeiten von deren Entfaltung kann das Ziel einer emanzipierten Gesellschaft sein, sondern dass das noch immer andauernde Elend, die blanke Not, auf hört. Hinsichtlich der Ausgestaltung eines gelingenden Lebens bleibt Adorno bewusst negativ, merkt nur an, dass auch der Genuss davon betroffen wäre, wenn die »Menschheit, die Not nicht mehr kennt« (ebd.: 179), die herrschende Dauerbetriebsamkeit mit Abstand betrachten könnte. Vermutlich wäre diese Welt auch Resonanzerfahrungen, wie Rosa sie beschreibt, zuträglicher. All dies lässt sich, wenn es nicht schon explizit auftaucht, in Rosas Theorie einfügen bzw. diese lässt sich dementsprechend ergänzen. Rosa findet einen eleganten Weg, die Gesellschaft zu thematisieren, und mit der Frage nach der Reproduktion nicht nur das Thema Eigentum zu vermeiden, sondern sich auch eine genauere Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie zu ersparen. Die Dynamik kapitalistischer Vergesellschaftung beschreibt er als den Hintergrund der von ihm diagnostizierten Entfremdung: Moderne Weltbeziehungen, so Rosa, seien bestimmt durch den Modus der »dynamische[re]n Stabilisierung« (Rosa, 2016: 634): »Aus dessen unerbittlicher, eskalativer Steigerungslogik ergibt sich ein nahezu unausweichlicher Zwang zur Verdinglichung, das heißt zur Etablierung stummer Weltbeziehungen, in dessen Licht sich die Krisentendenzen spätmoderner Gesellschaften als umfassende Resonanzkrisen verstehen lassen. Die Überwindung dieses Steigerungsmodus, so wird das Fazit meiner Analyse lauten, ist eine Voraussetzung für die Erhaltung der Resonanzsphären.« (Ebd.)
Resonanzsphären, so ließe sich zurückübersetzen, lassen sich nur erhalten, wenn die Steigerungslogik (des Kapitals?) überwunden würde. Resonanz stehe der Logik der »Verfügbarmachung, Steigerung und Akkumulation«, »Formen
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der Bezugnahme auf Welt, die einem Modus stummer Beziehungen folgen« entgegen (ebd.: 619). Resonanz lasse sich nicht steigern und nicht akkumulieren, sie sei »ihrem Wesen nach die Begegnung mit dem Unverfügbaren, das mit eigener Stimme spricht und als Quelle starker Wertung erfahren wird« (ebd.). Dabei betont er, dass Resonanz kein »Gefühlszustand«, sondern ein »Beziehungsmodus« sei (ebd.: 288, Herv. i.O.). Es fällt immer wieder auf, dass Rosa Härten vermeidet, er hat eine ausgesprochen freundliche Theorie geschrieben. Das zeigt sich auch, wenn er auf die »Weltbeziehung ›bürgerlicher Kälte‹ (Adorno)« (ebd.: 223) zu sprechen kommt. Woher diese Kälte kommt, darauf geht Rosa nicht weiter ein. Um zu überleben, so Adorno, bedürfe es der »Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität« (Adorno 1990: 356). Kalt müsse das Subjekt sein, so Adorno, um überhaupt eines sein zu können. Die Bedingung der Möglichkeit bürgerlicher Subjektivität in all ihrem Reichtum – Resonanzbeziehungen sind dafür konstitutiv – ist hier, dass einen das Elend der Welt zumindest meist kalt lässt. Dies lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man nur für einen Moment versucht, sich in Flüchtlinge, Kriegs-, Hunger- oder Folteropfer tatsächlich einzufühlen, sie wirklich als Menschen zu sehen und zugleich das eigene Privileg als das anzuerkennen, was es ist: Zufall. Vor dem Abgrund, der sich dann auftut, dreht man sich schnell wieder weg. Zu fragen wäre, ob es nicht genau dieser Aspekt der Vergesellschaftung ist, der zu einer Weltbeziehung beiträgt, die nicht auf Resonanz aus ist bzw. sich schwer damit tut, diese zu erleben oder zu priorisieren bzw. die sich mit den von Rosa so genau beschrieben Resonanzsurrogaten zufrieden gibt.
E rfahrung bei A dorno Ein erster Leseeindruck könnte nahelegen, dass der Erfahrungsbegriff Adornos dem der Resonanz Rosas sehr ähnlich ist. Adorno geht es mit seinem Erfahrungsbegriff1 um die Bedingungen der Erkenntnis und um die Erfahrung der Gesellschaft, um ein Konstituens kritischer Theorie. Erfahrung ist ein Moment der Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie, deren Selbstreflexion und die Öffnung zum Empirischen. Gesellschaft, so Adorno, sei erfahrbar. In den Vorlesungen zur »Einleitung in die Soziologie« fasst er dies folgendermaßen: »Also Gesellschaft als Erfahrung, das wäre […] das, worauf man stößt und was man gleichzeitig erkennt als die Bedingung der kritisierten und unzulänglichen, auch in einem ganz schlichten, immanenten Sinn, unzulänglichen Momente, was aber dann doch verhindert, daß diese Momente wirksam und wirklich abgeändert werden« (Adorno 1993: 90f., Herv. Ch.K.). Erfahren 1 | Zum Erfahrungsbegriff Adornos vgl. Kirchhoff 2004.
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werden also nicht allein die unzulänglichen Momente selber, sondern auch die Bedingungen, die zugleich diese Momente hervorbringen und verhindern, dass sie wirklich geändert würden. Gesellschaft, so Adorno, bekomme man »›auf der Haut zu spüren‹, wenn man auf irgendwelche kollektiven Verhaltensweisen stößt, die das Moment der Unansprechbarkeit haben und die vor allem unvergleichlich viel stärker sind, als die einzelnen Individuen es sind, die diese Verhaltensweisen an den Tag legen, so daß man […] sagen kann, daß Gesellschaft unmittelbar da fühlbar wird, wo es weh tut« (ebd.: 65). Mit dem Begriff der Erfahrung, so meine These, versucht er Probleme zu lösen, vor die ihn sein Gesellschaftsbegriff stellt. Adorno versucht zu zeigen, dass seine Theorie die Erfahrung der Gesellschaft zu artikulieren versucht, so als würde er ausrufen: Da, die Gesellschaft, sie ist erfahrbar! Dies ginge nicht, wenn die Menschen identisch mit der Gesellschaft wären. Der Einwand, dass die Theorie zu pessimistisch sei, da sie keine Lücke lasse, trifft daher nicht. Im Gegenteil: Ist es nicht ein Zeichen von Optimismus, nicht scheinbar realistisch die eine Welt als die einzig mögliche anzunehmen, sondern im Angesicht des Elends nach dem zu suchen, was nicht darin aufgeht und auf die Möglichkeiten verweist, die im Gegenwärtigen nicht verwirklich sind? Dass es eine Lücke gibt, ist zwingende Voraussetzung für eine Kritik der Gesellschaft – denn wer sollte sie sonst artikulieren – und zugleich das Aufweisen der Nichtidentität der Einzelnen mit der Gesellschaft, da die Erfahrung der Gesellschaft eine Differenz zur Voraussetzung hat. Zugleich versucht Adorno mit dem Erfahrungsbegriff, das Moment der Spontanität und Nicht-Identität theoretisch zu fassen, wohl wissend, dass dies nicht möglich ist, da, wie schon oben zitiert, die verwendeten Worte Begriffe bleiben, also nicht an das Nicht-Begriffliche heranreichen können. Aber was ist das für eine Gesellschaft, die hier erfahren wird? Ausgehend von Marx’ Kritik der politischen Ökonomie fasst Adorno Gesellschaft als Objektivität: Von Menschen geschaffene Verkehrsformen haben sich denjenigen gegenüber, die sie hervorgebracht haben, verselbständigt, sodass sie ihnen als Objektivität, d.h. als Vorausgesetztes und – bei Strafe des ökonomischen Unterganges – als Vorauszusetzendes entgegenkommen, als »zweite Natur«2 . Verselbständigung ist also einmal Kritik an einer stillschweigenden Naturalisierung und Enthistorisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, da etwas Verselbständigtes zumindest der Möglichkeit nach auch zurückgenommen werden könnte. Verselbständigung heißt auch, dass die Gesellschaft 2 | Vgl. Lukács 1963: 61ff. und Adorno 1973: 355f. Hier bezieht sich Adorno explizit auf Georg Lukács: Dieser verwende den Begriff »zweite Natur« für die »Welt der von Menschen geschaffenen und ihm verlorenen Dinge«, »der uns fremd gewordenen Dinge, die nicht entziffert werden können«; Problem der Naturgeschichte sei dann »wie es möglich ist, diese entfremdete, dinghafte, gestorbene Welt zu erkennen, zu deuten« (ebd.).
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entsprungen ist; und damit ist auch gemeint, dass man es mit einem qualitativen Sprung zu tun hat. Bei aller Fortdauer von Herrschaft, die für die kritische Theorie Adornos, und auch hier folgt er Marx, die bisherige Geschichte der Menschheit ausmacht, ist mit der Moderne etwas qualitativ Neues in die Welt gekommen: Die Herrschaft eines abstrakten Verhältnisses, die des Kapitals. Dieses kommt zwar auch nicht ohne Herrschende aus, diese sind aber nicht diejenigen, welche die Regeln festsetzen: Marx spricht in diesem Zusammenhang von »Charaktermasken« (Marx 1990a: 91f.). Subjekt der Verhältnisse ist das »automatische Subjekt« (ebd.: 168f.), die Selbstverwertung des Wertes oder das Funktionieren von Geld als Kapital. Nicht ein möglichst gutes Leben für alle Menschen ist das Ziel der Gesellschaft, sondern, aus Geld mehr Geld zu machen. Die Einzelnen werden davon mitgeschleift, ihre Reproduktion ist mehr oder weniger notwendig und daher sehen die Lebensverhältnisse auch entsprechend aus. Als verkehrt 3 zu bezeichnen ist diese Welt, weil etwas, was den Interessen der Menschen dienen sollte – Vergesellschaftung – sich gegen diejenigen stellt, die diese Verhältnisse geschaffen haben und sie durch ihr Handeln reproduzieren:4 »Stets noch sind die Menschen, was sie nach der Marxschen Analyse um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren: Anhängsel an die Maschinerie, nicht mehr bloß buchstäblich Arbeiter, welche nach der Beschaffenheit der Maschinen sich einzurichten haben, die sie bedienen, sondern weit darüber hinaus metaphorisch, bis in ihre intimsten Regungen hinein, dem Gesellschaftsmechanismus als Rollenträger sich einzuordnen und ohne Reservat nach ihm sich zu modeln. Produziert wird heute wie ehedem um des Profits willen. Über alles zur Zeit von Marx Absehbare hinaus sind die Bedürfnisse, die es potentiell längst waren, vollends zur Funktion des Produktionsapparates geworden, nicht umgekehrt.« (Adorno 2003a: 361, Herv. Ch.K.) 5
Die Erfahrung der Gesellschaft, setzt bei Adorno an einer Irritation an: Etwas läuft viel schlechter als man eigentlich erwarten könnte, nimmt man alles zu-
3 | Der Gedanke einer verkehrten Welt geht auf Marx’ Formulierung zurück, der im dritten Band des Kapitals von der »verzauberte[n], verkehrte[n] und auf den Kopf gestellte[n] Welt« schreibt (Marx 1990b: 848). 4 | Zum Verhältnis von Handlung und Struktur vgl.: Reichelt/Pahl/Heitmann 2009 sowie Reichelt 2008. 5 | Und auch hier: »Ohne Reservat«, »vollends« heißt bei Adorno nicht, dass empirisch alle Einzelnen genau so sind oder seien müssten, sondern dass sie ihrem Begriff und ihrer Funktion nach so sind, der Möglichkeit nach aber noch etwas ganz anderes und darum geht es der kritischen Theorie. »Die Utopie von Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit dem Begriff aufzuschließen, ohne es ihm gleichzumachen.« (Adorno 2003b: 230)
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sammen, was man über die Situation weiß.6 Erfahrung setzt also voraus, sich irritieren zu lassen. Erfahrung der Gesellschaft setzt am Empfinden an, bleibt aber dort nicht stehen: »Idee der Philosophie« sei es, so Adorno in den »Vorlesungen über Negative Dialektik«, »über den Begriff mit dem Begriff hinauszugelangen« (Adorno 2003b: 140). Die Philosophie wolle »den Schmerz in das Medium des Begriffs übersetzen« (Adorno 1973: 83) und es sei das »Element des Wunsches, das, antithetisch, Denken als Denken« konstituiere (Adorno 1980: 264). Adorno greift Hegels Bestimmung der Erfahrung aus der »Phänomenologie des Geistes« auf (vgl. Adorno 1973: 295) und macht es zum Modell der Erfahrung. Bei Hegel heißt es: »Diese dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstande ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird« (Hegel 1970: 78). Erfahrung wird hier dargestellt als eine dialektische Bewegung, als ein Prozess der Reflexion, in dem sich sowohl das Bewusstsein als auch sein Gegenstand verändern. Dieser Prozess wird nun von Hegel genauer erläutert: Er bestehe darin, dass »das, was zuerst als der Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt und das Ansich zu einem Für-das-Bewußtsein des Ansich wird, dies der neue Gegenstand ist, womit auch eine neue Gestalt des Bewußtseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist als der vorhergehenden« (ebd.: 80). Das Bewusstsein nimmt in dem von Hegel beschriebenen Prozess immer mehr vom Gegenstand in sich auf (für-das-Bewusstsein). Indem es den Gegenstand erfährt, entsteht das Bewusstsein des Gegenstandes und in diesem Prozess – dem der Vermittlung – verändern sich beide. Adorno liest Hegels Philosophie selbst als eine Philosophie der Erfahrung: »Noch dort, wo er der Erfahrung, auch der seine Philosophie selbst motivierenden ins Gesicht schlägt, spricht Erfahrung aus ihm. Ist jenes Subjekt-Objekt, zu dem seine Philosophie sich entwickelt, kein System des versöhnten absoluten Geistes, so erfährt der Geist doch die Welt als System« (Adorno 1973: 324). So habe Hegel, selbst wenn er das Unversöhnliche versöhnen will, indem er seine Philosophie auf einen Fluchtpunkt ausrichtet, in dem dann der von ihm dargestellte Widerspruch aufgehoben ist, Adorno zufolge eine zutreffende Erfahrung formuliert: die Erfahrung der Gesellschaft als eines vorrangigen Systems, das eine Synthese herstellt, aber keine den Beteiligten bewusste. Dass der Geist die Welt als System erfahre, liege aber (und hier wendet sich Adorno gegen den Hegel’schen Idealismus), nicht in dessen exklusiven Verantwor6 | Die Beispiele, die Adorno dafür anführt, sind rar. Er erwähnt akademische Sitzungen, bei denen regelmäßig ein schlechteres Ergebnis herauskomme als dem Verstand aller Einzelnen zuzutrauen wäre und Arbeitssuchende, die als Exemplare behandelt würden (vgl. Adorno 1993: 65).
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tung. An dieser Stelle zeigt sich auch, warum für Adorno Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie nicht zu trennen sind. Das »Objekt der geistigen Erfahrung«, also das Objekt, an dem der Geist die Erfahrung der Systemhaftigkeit machen könne, sei »an sich höchst real, antagonistisches System […], nicht erst vermöge seiner Vermittlung zum erkennenden Subjekt, das sich darin wiederfindet. Die zwanghafte Verfassung der Realität, welche der Idealismus in die Region von Subjekt und Geist projiziert hatte, ist aus ihr zurückzuübersetzen« (Adorno 1990: 22). Mit dem Erfahrungsbegriff wird bei Adorno das empirische, nicht spekulative Moment der Begriffsbildung reflektiert. Erfahrung markiert, dass Denken nicht ohne Kontakt mit der Empirie auskommt, dass es kein Denken gäbe, ohne dass darin etwas Empirisches aufgenommen würde. Hier schließt Adorno unmittelbar an Kants »Kritik der reinen Vernunft« an,7 konzentriert sich dann aber darauf, dass Erfahrung immer die Erfahrung eines empirischen Subjekts ist, die eines Individuums: »Durch ihre Teilhabe am diskursiven Medium ist sie [die individuelle Erfahrung, Ch.K.] der eigenen Bestimmung nach immer zugleich mehr als nur individuell. Zum Subjekt wird das Individuum, insofern es kraft seines individuellen Bewußtseins sich objektiviert, in der Einheit seiner selbst wie in der seiner Erfahrung: Tieren dürfte beides versagt sein. Weil sie in sich allgemein ist, und soweit sie es ist, reicht individuelle Erfahrung auch ans Allgemeine heran« (Adorno 1990: 56).
Es taucht also in der individuellen Erfahrung etwas Allgemeines auf, da die Erfahrung im »diskursiven Medium« stattfindet, wenn sie sich artikuliert, also mehr ist als vorsprachliches Fühlen. In seiner Kritik am Unmittelbarkeitsdenken stellt Adorno das Subjekt in den Mittelpunkt, das nicht dem Schein von Unmittelbarkeit aufsitzen dürfe, eben gerade deswegen Subjekt sei, weil es der Möglichkeit nach dazu in der Lage sei, das, was an der Erfahrung unmittelbar wirkt, das, was über das Bekannte hinausreicht, noch als Vermitteltes zu erkennen und zu reflektieren: »Was am Objekt dessen vom Denken ihm auferlegten Bestimmungen übersteigt, kehrt es dem Subjekt erst einmal als Unmittelbares zu; wo das Subjekt seiner selbst ganz gewiß sich fühlt, in der primären Erfahrung, ist es wiederum am wenigsten Subjekt. […] Unmittelbarkeit bleibt der Dialektik nicht, als was sie unmittelbar sich gibt. Sie wird zum Moment anstatt des Grundes« (Adorno 1990: 50).
7 | »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« (Kant 1956: 98).
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Wohlgemerkt geht es hier nicht darum zu negieren, dass sich individuelle Erfahrung unmittelbar und ganz unvermittelt anfühlen kann und so einzigartige wie unteilbare Momente hat. Da es Adorno hier aber um das Moment der Erfahrung im Erkenntnisprozess geht, kann hier die Reflexion nicht vor dieser gefühlten Unmittelbarkeit haltmachen. Bezogen auf die Erfahrung der Gesellschaft liegt der berühmte Unterschied ums Ganze nun darin, wie das Individuum das, was es an gesellschaftlicher Objektivität erfahren muss, sich zu erklären versucht. Vom antisemitischen Wahn jüdischer Weltherrschaft über Schicksal, Gottes Wille oder Natur bis hin zum Begriff der Gesellschaft ist alles möglich. Hier liegt die Grenze der Erfahrung in der Begründung von Totalität: Wahrheit sei Index ihrer selbst und ihres Gegenteils, so Adorno; sie könne sich aber nicht auf die Erfahrung herausreden, der sie sich verdanke, sondern müsse sich auf »Konfigurationen und Begründungszusammenhänge« (Adorno 1990: 52) einlassen, die ihr zur Evidenz verhülfen oder sie ihrer Mängel überführten. Was Adorno geistige Erfahrung nennt, markiert den fragilen Versuch, den Gedanken gegen das Bedürfnis nach einem Letzten und Ursprünglichen in der Schwebe zu halten. Nur Erfahrung, die um ihre Bedingung und um ihre Beschränktheit wüsste, die sich nicht als etwas Ursprüngliches und Unvermitteltes missverstehen würde, hätte die Chance, sich selbst zu begreifen. Dies wäre, Adorno zufolge, Philosophie. Aufgabe der Philosophie, die Adorno, auf Hegel verweisend, die »Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins« (Adorno 1990: 302) nennt, sei es, diese Erfahrung des Bewusstseins, d.h. das sich seiner selbst bewusst werden, zu entfalten und zu reflektieren. Diese Philosophie nennt Adorno »geistige Erfahrung« (Adorno 2003b: 135). »Solche Philosophie wäre nichts anderes als die volle unreduzierte Erfahrung im Medium begrifflicher Reflexion, während sogar die ›Wissenschaft von der Erfahrung‹ des Bewußtseins die Inhalte der Erfahrung zu Exempeln der Kategorien degradierte« (ebd.: 231). Um den Idealismus zu überwinden, müsse man »nur diesem Begriff der geistigen Erfahrung nachgehen […], um auf diese Weise aus der idealistischen Sphäre hinauszukommen. Die Inhalte einer solchen Erfahrung sind keine Exempel für Kategorien, sondern sie werden gerade dadurch relevant, daß an ihnen jeweils ein Neues aufgeht« (ebd.: 123). Dies schließe in einer »vertrackten, dialektischen Weise auch eine Rettung des Empirismus« (ebd.: 122) ein, da ja die Erfahrung stets eine Erfahrung des Objekts ist. Adornos Erfahrungsbegriff geht davon aus, dass die Möglichkeit eine Erfahrung im emphatischen Sinne zu machen, in der gegenwärtigen Gesellschaft, freundlich gesprochen, mühsam und nicht wahrscheinlich ist. Philosophie als »volle unreduzierte Erfahrung im Medium begrifflicher Reflexion« (ebd.: 231) verdanke sich dem Zufall, sei ein Privileg, zugleich aber auch die Möglichkeit das schlechte Allgemeine zu überwinden: »In ihr [der philosophischen
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Erfahrung, Ch.K.] wenden sich Chancen, die das Allgemeine Einzelnen desultorisch gewährt, gegen das Allgemeine, das solche Erfahrungen sabotiert. Wäre diese Allgemeinheit hergestellt, so veränderte damit sich die Erfahrung aller Einzelnen und würfe vieles ab von der Zufälligkeit, die bis dahin unheilbar sie entstellt, auch wo noch sie sich regt« (Adorno 1990: 52). Das Subjekt, das Erfahrungen im hier dargestellten Sinn machen kann, ist also privilegiert; Dieses Privileg bedingt die Erfahrung und droht sie zu entstellen.
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Lassen wir nun das Subjekt der Erfahrung auf das Subjekt der Resonanz treffen: Wie ist nun das resonante Subjekt beschaffen? Rosa erläutert dies wie folgt: Ein Körper werde erst dann zu einem »resonanten Klangkörper, wenn seine Poren fest geschlossen sind und er nur noch über spezifische, vorgeformte Öffnungen verfügt. […] Übertragen aus dem Feld der Akustik in den Bereich subjektiver Weltbeziehungen bedeutet dies: Das moderne Subjekt musste gegenüber seiner Umwelt erst ›geschlossen‹ werden, um seine eigene Stimme zu entfalten und die Weltausschnitte, in denen es sich bewegt, als von ihm getrennte Andere erfahren zu können.« (Rosa, 2016: 650)
Ein vormodernes »poröses Selbst« (ebd.: 651) hätte nicht so zum Klingen gebracht werden können. Das resonante Subjekt, so lässt sich daraus schließen, ist hohl. Insofern ist es konsequent, dass Rosas Theorie weitgehend ohne eine dezidierte, etwa psychoanalytische Fassung des Innenlebens der Subjekte auskommt. Hier zeigt sich eine Schwäche des resonanztheoretischen Ansatzes, der sich ansonsten dadurch empfiehlt, dass er – den lingusitic turn in den Sozialwissenschaften konsequent ignorierend – mit seiner Theorie an der leiblichen Erfahrung ansetzt: Da Menschen, als »leibliche Wesen« ihre »Weltbeziehungen« stets in einem »physischen und sozialen Raum« entwickelten (ebd.: 635), sei Resonanz nicht zu denken ohne den »eigene[n] Leib« und den »umgebende[n] Raum« (ebd.: 639), sowie die »leibliche Verfassung« (ebd.: 642). So nachvollziehbar und richtig es ist, dass Rosa das »identitäre[] Echo-Konzept von Resonanz« (ebd.: 370, Herv. i.O.), durch das sich etwa Nationalsozialismus8 oder Faschismus auszeichnen, als »Resonanzpathologie« (ebd.: 371, 8 | Es ist vielleicht symptomatisch, dass im Index das Stichwort »Nationalsozialismus« auf das Stichwort »Faschismus« verweist, und dort dann »siehe auch: Totalitarismus« steht – so verdünnen sich Begriffe, dass die Formulierung »inbesondere der National-
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Herv. i.O.) oder »Scheinresonanz« (ebd.) beschreibt und darauf hinweist, dass die »Politik der Nazis« keine »Antwortbeziehungen zur Welt« stifte, sondern nur eine »Echokammer für die imaginierte Volksgemeinschaft« inszeniere (ebd.), so wenig kann er mit seiner Konzeption begrifflich fassen, wieso »Resonanz« nicht mit »Konsonanz« verwechselt werden dürfe und die »Begegnung mit einem anderen als Anderen« meine, »nicht die Verschmelzung zu einer Einheit« (ebd.: 743). »Faschistische Vergemeinschaftung« verwechsle »Resonanzbeziehungen mit Echobeziehungen« (ebd.) – um dies begrifflich zu fassen und kritisieren zu können, bräuchte es eine Theorie, die das Innenleben der Subjekte zu fassen bekommt, sie wären dann nicht mehr hohl – würden nicht mehr klingen. Dieses Problem lässt sich an einem Beispiel Rosas erläutern: Wie lässt sich anhand der beiden ob ihres geteilten Antisemitismus sich zustimmend zunickenden Nachbarn (ebd.: 742) entscheiden, ob diese das als Resonanz erleben oder nicht? Gar nicht. Rosa führt zu diesem Beispiel an, dass Entfremdung, hier: »die feindliche Abwehr gegen andere Nachbarn als Teil der eigenen Weltbeziehung zu affirmieren«, »Ausdruck eines sozialen Repulsionsverhältnisses« sei (ebd.). Hier zeigt sich, dass es problematisch ist, dass der Begriff der Resonanz, nimmt man seine Herkunft ernst, den Gleichklang impliziert. Die Differenz zwischen »Resonanz« und »Konsonanz« lässt sich so nur von außen an den Begriff herantragen. Interessant ist, zumindest aus der Perspektive von Psychoanalyse und kritischer Theorie, was für eine marginale Rolle Sexualität in der Theorie Rosas spielt. Sexualität bzw. Erotik – Rosa sieht in Sexualität die verdinglichte und in Erotik die resonante Variante – ist nur eine mögliche Resonanzerfahrung unter vielen, wenn auch eine besonders intensive, die einen »vibrierenden Draht« (ebd.: 139) zur Welt stiften könne bzw. in der erotischen Form eine »gleichsam verflüssigende[n] Beziehung« (ebd.: 141) zur Welt darstelle. An dieser Stelle gibt es einen Hinweis darauf, dass das Subjekt sich gehen lassen muss bzw. aus den Fugen gehen muss, um Erfahrungen machen zu können, ein Thema, das für den Erfahrungsbegriff Adornos zentral ist. Das Subjekt, so Adorno, müsse »alle Innervation und Erfahrung in die Betrachtung der Sache hineinnehmen, um, dem Ideal nach, in ihr zu verschwinden« (Adorno 1997: 602f.). Die Herausforderung dabei sei, nicht etwas zu tun, sondern möglichst wenig zu tun, wie Adorno in einer Diskussion anmerkt: »Ich brauche eigentlich meine ganze Spontaneität, um nichts zu tun, sondern nur zu sehen, was eigentlich ist. Ich muss mich mehr anstrengen, das zu tun, was ich nicht tue, sondern was getan wird […]. Die Subjektivität steckt in der Erkenntnis in Form ihrer eigenen Negation.« (Adorno 1986: 521) Clemens Nachtmann hat dies bezüglich der ästhetischen Erfahrung pointiert gefasst: sozialismus« (Rosa 2016: 370) eine Differenz anzeigt, die nicht mehr begründet werden kann.
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Christine Kirchhoff »Vor der ›begrifflichen Auseinandersetzung‹ mit dem Kunstwerk […] steht unabdingbar die Erfahrung des Kunstwerks – und die ist, darin dem sexuellen Begehren verwandt, gerade kein logisch geordneter und streng reglementierter Vorgang, sondern einer, bei dem es einem erst einmal die Sprache und die eingeschliffenen Begriffe verschlägt, nämlich ein Überfallen- und Überwältigtwerden des Subjekts, in dem seine konstitutive Illusion, es verfüge über die Welt und seine Erfahrung wie über einen Besitz, im Nu zerbricht, plötzlich etwas vom ›Vorrang des Objekts‹ aufscheint und die Perspektive sich eröffnet, dass das Subjekt seine identifizierende und subsumierende Tätigkeit gegen diese selbst kehrt und an das verschwendet, woran es seine verleugnete Substanz hat: die äußere wie die eigene (Trieb)-Natur.« (Nachtmann 2014)
Die Versuche, Erfahrung zu fassen, also zur Sprache zu bringen, werden so zu dem »Versuch des Einzelnen, der Überwältigung und damit der Ohnmacht, der er ausgesetzt ist, sprachlichen Ausdruck zu verleihen und ihr zugleich standzuhalten, indem man sie begrifflich zu durchdringen unternimmt.« (Ebd.) Ist das Vermögen, sich überwältigen zu lassen, hier konstitutiv für Erfahrung, sieht Rosa hingegen Überwältigung vor allem im Kontext der Gefahr »sensueller Überwältigung«, etwa bei Musicalshows (Rosa 2016: 498). »Die Überwältigung gleicht insofern eher der Verletzung als der Resonanz, als sie entgegenkommende, antwortende Selbstverwirklichung gerade verhindert und so eher eine Schließung des Subjekts bewirkt als eine Weltanverwandlung. Hier begegnet ihm nicht die Kraft der Kunst, sondern die Gewalt der Unterhaltungstechnik.« (Ebd.) Dem letzten Satz hätte Adorno vermutlich umstandslos zugestimmt. Dennoch mag es sein, und Rosas Theorie zufolge müsste dies möglich sein, dass ein begeisterter Besucher eines Musicals die Überflutung mit Musik, Licht und Special-Effects als lustvoll-resonant erlebt; hier bleibt der Kritik mit der Resonanztheorie nur die normative Wertung von Außen. Interessanter wäre es, an dieser Stelle zu fragen: Auf was antwortet der Besuch eines solchen Musicals und womöglich noch das lustvolle Erleben eines solchen Spektakels? Deutlich wird hier, dass diese Frage ohne eine Theorie des Subjekts, in der das Innenleben keine konzeptionelle Leerstelle darstellt, nicht zu beantworten ist. Zudem zeigt sich hier eine entscheidende Differenz zwischen dem Begriff der Erfahrung (Adorno) und dem der Resonanz (Rosa). Überwältigung taucht bei Rosa als Gewalt von außen auf, der gegenüber sich das Subjekt nur verschließen kann, um nicht zu zerspringen. Adornos Begriff der Erfahrung hingegen, nimmt dieses Moment des aus der Fassung-Gehens in die Theorie auf: Um (von Kunst) sich ergreifen zu lassen, und nicht unberührt zu bleiben, um also insbesondere ästhetische Erfahrungen machen zu können, muss das Subjekt sich überwältigen lassen können, Passivität aushalten, genießen und nutzen können.
Er fahrung triff t auf Resonanz
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Christine Kirchhoff
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III. Grundlagen der Resonanz
Zur Einleitung Peter Schulz
Im dritten und letzten Abschnitt dieses Sammelbands sind Beiträge versammelt, die anders als die bisherigen das Konzept der Resonanz nicht gleichsam symmetrisch in Beziehung zu anderen Konzepten der Sozialtheorie oder -philosophie setzen, sondern Resonanz als Begriff, Metapher und Verlangen selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen und hinterfragen. Den Beginn dieses Abschnitts bilden zwei Beiträge, die die für das Resonanzkonzept aufschlussreichen Begriffe Arbeit und Natur erörtern, welche beide zugleich spezifisch moderne Resonanzachsen darstellen. Im ersten Beitrag Auf der Suche nach Dingresonanz: Zum Verhältnis von Arbeit und Gesellschaftskritik in Hartmut Rosas kritischer Soziologie wirft Tine Haubner ausgehend von Erkenntnissen der Arbeitssoziologie einen Blick auf den Arbeitsbegriff bei Hartmut Rosa. Zunächst rekonstruiert sie dafür ebendiesen, um anschließend auf drei Probleme hinzuweisen, die sich im Zusammenhang zwischen zu kritisierenden Arbeitsbedingungen und Resonanz ergeben. Haubner stellt heraus, wie Rosas Arbeitsbegriff an die »Entfremdungskonzeption des frühen Marx« der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte anknüpft, dabei aber dessen systematischen Bezug der Arbeit auf die kapitalistische Produktionsweise fallen lässt. Rosas Vorstellung guter Arbeit nähert sich so einem »Handwerksideal« an, dass Haubner auch bei Hannah Arendt, Christian von Ferber und André Gorz identifiziert. Anders als bei Marx wird »Arbeit […] unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung bei Rosa eben nicht als grundlegend entfremdet aufgefasst«, sondern kann eine Resonanzsphäre sein, sofern sie in ihrer konkreten Form bestimmten Kriterien entspricht, die bei Rosa zwar »seltsam undeutlich« bleiben, aber – so Haubner – »deren Vorbild eher eskapistische Basteleien im Hobbykeller als erwerbsförmige Arbeit zu sein scheinen.« Im zweiten Teil stellt sie anhand von drei Aspekten die Probleme dieses Arbeitsbegriffs für Resonanz als normativen Maßstab heraus. Erstens zeigt sie auf, inwiefern Resonanz bei der Lohnarbeit passförmig zu postfordistischen Aktivierungsstrategien ist, zweitens, dass diese Resonanz »als Transmissionsriemen kapitalistischer Marktökonomie gelten« kann, da
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produktiver Eigensinn und Bereitschaft zu unbezahlten Zuarbeit ihre motivationale Quelle in der Resonanz haben können und schließlich drittens, dass die von Rosa normativ wertgeschätzte gute Arbeit strukturell darauf beruht, dass anderenorts und von anderen Menschen schlecht bezahlte Arbeit unter resonanzfeindlichen Bedingungen geleistet wird. Gianna Behrendt setzt sich in ihrem Beitrag Die ›wahre‹ Natur des vertikalen Resonanzverspechens mit dem Naturbegriff der Resonanztheorie auseinander. Auch ihr Beitrag teilt sich in zwei Teile: Zunächst zeigt sie auf, inwiefern ein Begriff singulärer Natur, wie ihn Rosa vertritt, spezifisch modern ist, um anschließend darzustellen, wie diese Natur als Subjekt mit eigenem moralischem Anspruch imaginiert wird und so Naturresonanz als »zuweilen autoritatives Beziehungsideal« erscheine. Behrendt stellt dazu dar, wie mit dem Entstehen der Vorstellung einer singulären Natur die Dichotomien von Natur und dem Natürlichen und Kultur und dem Künstlichen die Natur als Gegenwelt entstanden ist. Sie erlaubte erst die Verallgemeinerung der instrumentellen Vernunft für den Bereich der Kultur und damit des menschlichen Zusammenlebens. Vorstellungen von der Natur (als Singular) erlaubten es, das einzelne »Landschaftsausschnitte gezielt ästhetisiert und konsumierbar gemacht werden« und als Natur gelten, während der ästhetische Bezug zur Natur aus unseren Alltagsvollzügen ausgeschlossen bleibt. Darüber hinaus tritt, wie im zweiten Teil ihres Beitrags ausgeführt ist, die Natur bei Rosa nicht nur als Subjekt, sondern auch als strafender Akteur auf, der mittels »Unwettern und Klimakatastrophen« auf die Menschen antwortet. Behrendt stellt die Frage »ob das Erscheinen einer verdinglichten, moralisch-autoritären Stimme der Natur oder Gottes auf die Grenzkonstruktion zwischen einer gemachten Kultur und einer feststehenden Natur zurückzuführen ist« und konstatiert in der Suche einer Antwort, dass die Resonanzbeziehungen der vertikalen Achse, die Beziehungen zu einer transzendenten Totalität sind, keine symmetrische Beziehung ermöglichen. Die subjektive Selbstwirksamkeit tritt in dieser einseitigen Beziehung zurück, Resonanz im komplexen Sinne, den Rosa beansprucht, ist nicht möglich. Daher spricht sich Behrendt dafür aus, dass »[i]m Interesse der Resonanz selbst« der »ideologisch überhöhte[] Naturbegriff als idealisiertes Gegenüber« fallen gelassen wird. Die folgenden zwei Beiträge betrachten explizite und implizite Quellen und Vorgänger des Konzepts der Resonanz bei Rosa. In seinem Beitrag Resonanz und Romantik untersucht Charles Taylor das Verständnis von Sprache der romantischen Dichtung als einen Ursprung der Resonanztheorie. Dazu rekonstruiert er die antike bis frühneuzeitliche Korrespondenztheorie der Sprache und das instrumentelle Sprachverständnis der Aufklärung als ihr Gegenstück, um dann die Sprachtheorie der Romantik als Aufhebung dieser beiden zu verstehen. Ausgehend von dem Buch Genesis und der Benennung der Tiere durch Adam, der kabbalistischen Zahlenmystik und der Philosophie Platons besteht
Zur Einleitung
im Mittelalter und der frühen Neuzeit die Vorstellung, so Taylor, dass die richtige Sprache die Wirklichkeit korrekt zum Ausdruck bringt und als solche selbst »die Natur eines Gegenstands zu enthüllen« vermag. Unter anderem gegen dieses Konzept richtete sich die subjektzentrierte Philosophie der Aufklärung, die Freiheit von der Außenbestimmtheit, die diese Sprachvorstellung mit sich bringt, postulierte. In der Romantik schließlich versuchten Dichter die Korrespondenztheorie der Sprache mit der modernen Vorstellung menschlicher Freiheit zu versöhnen, indem sie den Ausdruck der Welt als transformativen Akt verstanden. Sie machten sich dementsprechend auf die Suche nach einer Sprache, die die Welt zum Ausdruck bringen kann und darin die Welt und den Sprecher verändert – Dichtung. Taylor betont dabei, dass diese Suche als subjektive und notwendig unvollendete Bewegung verstanden wurde, so dass nicht eine »perfekte Sprache«, sondern je eigene »subtile Sprachen« das Ziel waren. Seinen Beitrag schließt Taylor mit der Frage ab, ob und inwiefern das derart durch Dichtung zum Ausdruck gebrachte einen nicht bloß subjektiven Wahrheitswert hat und sieht in Rosas Konzept der Resonanz einen geeigneten Weg, diese Frage zu beantworten. Im Beitrag Welt-Bilder und Weltmodelle: Resonanz als Metapherntechnik und Technikmetapher betrachtet Christoph Görlich die historische Entwicklung des Resonanz-Konzepts, dass er orientiert an Hans Blumenberg als Metapher versteht, deren zentrale Funktion es ist, das Verhältnis des Subjekts zu seiner Umwelt zu erhellen und zugleich zu kritisieren. An Rosas Resonanzbegriff problematisiert er, dass dieser Resonanz nicht als Metapher versteht und somit ontologisiert. Hierzu rekonstruiert er drei Etappen der Verwendung der Resonanz-Metapher: Den »Diskurs um den Ort der Seele in der Welt, wie er um 1800 geführt wurde«, den »Psychophysik-Diskurs im 19. Jahrhundert« sowie die »Radiophonie-Diskurse der zwanziger und dreißer Jahre« des 20. Jahrhunderts. In allen drei Etappen lässt sich aufzeigen, dass die technische bzw. technizistische Seite der Resonanz-Metapher die jeweiligen Konzeptionen der subjektiven Freiheit, des Verhältnisses von Geist und Körper sowie des Verhältnisses des Individuums zur Gesellschaft geprägt hat. Zentral hierbei sind die in der Resonanz-Metapher enthaltene Ausrichtung auf »große Wirkung (Energieübertragung) und […] der Gleichheit (Erreichen der Eigenfrequenz des Resonanzkörpers, um ein Maximum an Amplitude zu erhalten).« Da in Rosas Konzept der Resonanz nicht auf den metaphorischen Charakter der Resonanz Bezug genommen wird, sondern Rosa vielmehr »davon auszugehen scheint, man habe es von vornherein mit einem ›Begriff‹ zu tun«, reflektiert Rosa diesen Bedeutungsgehalt nicht. Er betont zwar, so Görlich, die Eigenschwingung, die in der Resonanz ertönt, beachtet aber nicht, dass es sich dabei um erzwungene Schwingung handle. Als Alternative schlägt Görlich einen bewussten theoretischen Umgang mit Metaphern vor.
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In Liebe gebor(g)en: Heilsversprechen der Resonanz als Symptom für das Unbehagen in der Kultur. Psychoanalytisch-kulturtheoretische Anmerkungen zu Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen heißt der letzte Beitrag dieses Abschnitts. In ihm betrachtet Sonja Witte Resonanz »als ein theoretisches Symptom«, das ein Heilsversprechen zum Ausdruck bringt. Im Fokus stehen in ihrer psychoanalytisch fundierten Untersuchung drei Versprechen der Resonanz: »Rückkehr zum Ursprung, Ganzheit, Unversehrtheit«. Diese diskutiert sie mit Bezug auf Sigmund Freuds Das Unbehagen in der Kultur und insbesondere auf den Begriff des Ozeanischen Gefühls hin. Rosas Darstellung der Resonanz als pränatale Urbeziehung zwischen werdender Mutter und Fötus versteht sie so als nachträglichen Wunsch einer konfliktfreien, ursprünglichen Einheit, verweist dabei aber auf die Ambivalenzen und Widersprüche in Rosas Resonanzkonzeption. Ambivalent sei ebenfalls das Ganzheitsversprechen der Resonanz, in der die Hoffnung auf eine Überwindung der theoretischen wie praktischen Unverfügbarkeit von Teilen der Welt ausgedrückt ist – gegen die sich Rosa aber auch explizit wendet. Schließlich identifiziert Witte im Konzept der Resonanz ein Versprechen auf Unversehrtheit, auf harmonische Integration von scheinbaren Widersprüchen in ein positives Ganzes. Anders als die Kritische Theorie Adornos, die das Negative betont, und in expliziter Abgrenzung zu ihr ziele Rosas Konzept der Resonanz auf den »Ausschluss […] feindliche[r] Weltsicht« und als Verbannung der Negativität aus der Theorie.
Auf der Suche nach Dingresonanz Zum Verhältnis von Arbeit und Gesellschaftskritik in Hartmut Rosas kritischer Soziologie Tine Haubner
Das Vorhaben, aus einer arbeitssoziologischen Forschungsperspektive nach der Bedeutung des Resonanzbegriffes zu fragen, sieht sich mit einigen Herausforderungen konfrontiert, erweist sich Resonanz doch als begrifflicher Tausendsassa, dessen vielfältige gesellschaftsanalytische Anschlussmöglichkeiten sich einem hohen theoretischen Abstraktionsniveau verdanken und forschungsspezifische Anschlüsse nicht gerade erleichtern. In diesem Beitrag soll aus einer im weitesten Sinne arbeitssoziologischen Perspektive zum einen nach der Bedeutung des Resonanzbegriffes für die Analyse und Deutung von Arbeitsverhältnissen gefragt werden. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob der Resonanzbegriff einen geeigneten normativen Maßstab zur Kritik von Arbeitsverhältnissen abgibt. Soviel sei hier schon vorweggenommen: Die »Soziologie der Weltbeziehung« stellt fraglos einen überfälligen und herausragenden, sowohl gesellschaftsanalytischen wie -kritischen Bezug von Soziologie und der Frage nach dem guten Leben her. Der Resonanzbegriff erscheint aber dennoch als nur begrenzt vorteilhaft, wenn es um die Analyse, Klärung und Kritik konkreter Arbeitsverhältnisse geht. Dabei werden zwei Thesen entwickelt: Erstens ist eine stoffliche Engführung des Arbeitsbegriffes problematisch, wenn es um die Analyse von Erwerbsarbeitsverhältnissen geht. Zweitens birgt Resonanz auch in Bezug auf eine Kritik von Arbeitsverhältnissen Schwächen, die sich u.a. an einer mangelnden Transparenz hinsichtlich der Kriterien für resonante (Ding-)Beziehungen festmachen. Wie aber hängen Resonanz und Arbeit nun eigentlich zusammen? Befragen wir dazu zunächst Rosas Arbeitsbegriff.
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I. »S prechende D inge «: A rbeit als H andwerk Arbeit stellt nach Rosa eine, wenn nicht gar die zentrale, »diagonale Resonanzachse« und Sinnsphäre moderner Gesellschaften schlechthin dar (Rosa 2016: 74, 399).1 Es geht dabei jedoch weder um die genuin moderne Verbindung aus Berufsarbeit und religiöser Prädestination (vgl. Voswinkel 2000) oder eine arbeitssoziologisch-gegenwartsanalytische Identifikation von Arbeit und institutionalisierten betrieblichen Erwerbsarbeitsverhältnissen, sondern in einem viel umfassenderen »existentiellen Sinne« um Arbeit als einer »primäre(n) Form der menschlichen Weltbeziehung« (Rosa 2016: 394). Arbeit wird dabei nach dem Vorbild des Handwerks als »engagiertes Tun«, bei dem einer Arbeit mit Hingabe nachgegangen und sie um ihrer selbst willen gut gemacht werden soll (Sennett 2008: 32), primär als materiell-stofflich vermittelte Dingbeziehung konzipiert, mit der Folge, dass auch Menschen, etwa im Rahmen personenbezogener Dienstleistungsarbeiten, zu widerspenstigem »Material« avancieren (Rosa 2016: 398). Der Resonanzbegriff – und dies scheint einen Bedeutungsmehrwert gegenüber dem benachbarten Begriff Anerkennung darzustellen – berücksichtigt dabei nicht allein die konfliktreiche Sozialität der Beziehungen, die sich in der Arbeit ausbilden. Gedanken der monistischen Anthropologie Latours u.a. aufnehmend, adressiert der Begriff zudem zentral die »Materialität« von Arbeitsgegenständen, die sogenannte »Dingresonanz […] wenn das Material zu antworten beginnt.« (ebd.: 393f.) Rosa grenzt sich damit von einer modernen »Verdinglichung der Dinge« ab und votiert stattdessen dafür, die »Modi der Dingbeziehungen« gleichberechtigt mit intersubjektiven Sozialbeziehungen zu integrieren und so auch die »Resonanzqualitäten der Dinge« in den Blick zu bekommen (ebd.: 388). Arbeit wird infolge (dabei wesentlich von der Sozialphilosophie Hegels und des frühen Marx inspiriert) als doppelseitige Transformation von Stoff und Habitus begriffen,2 die, wie Engels es einst formulierte, »den Menschen selbst schafft« (Engels 1986: 3). Das Material spiegelt demnach nicht allein die Fähigkeiten und Geschicke der
1 | »Die Erwerbsarbeit bildet auch und vermutlich sogar gerade für spätmoderne Subjekte eine essentielle Resonanzsphäre. Das hängt meines Erachtens nicht zuletzt damit zusammen, dass die Arbeitssphäre von den starken, vielleicht sogar den stärksten Wertungen der Moderne aufgeladen ist.« (Rosa 2016: 397) Dieser zentrale Stellenwert schlägt sich allerdings nicht im Aufbau des Buches nieder, wird Arbeit doch auf gerade einmal neun von 800 Seiten behandelt. 2 | »So wie sich die Hand und der Kopf – oder der Habitus und damit: die Weltbeziehung – des Subjekts durch den Erwerb und die Ausübung einer Fähigkeit verändern, verwandelt sich auch der bearbeitete Stoff, und diese zweifache Veränderung ist eine wechselseitige, […]« (Rosa 2016: 396).
Auf der Suche nach Dingresonanz
Arbeitenden wider, sondern stifte Gemeinwohl und stelle den Bezug der Einzelnen zur Gattungsgeschichte her (vgl. Rosa 2016: 398).3 Dingresonanz, wenn Stoff und Mensch in der Arbeit eine prozessierende »genuine« Antwortbeziehung ausbilden (gewissermaßen das Intimverhältnis mit dem Arbeitsgegenstand) wird nun aber, so Rosa, im Zuge der Kommodifizierung von Arbeit jäh gestört, droht doch »[…] das Verkaufen der Arbeit im Sinne der Lohnarbeit die Resonanzbeziehung in eine entfremdete Beziehung zu transformieren. […] Indem der Lohnarbeiter seine Arbeit verkauft, ist er gezwungen, ein instrumentelles Verhältnis zu ihr und zum bearbeiteten Stoff sowie zu den Arbeitsmitteln einzunehmen.« (Rosa 2016: 397) Die »Resonanzoase« (ebd.: 402) der Arbeit oder (marxistisch gewendet) das »lebendige Arbeitsvermögen« werden demnach, ähnlich wie Honneth es in Bezug auf Marx’ Arbeitskritik formuliert, »durch die Verselbständigung des Kapitals« vereinnahmt (Honneth 1980: 190). Aus dem Umstand, dass Resonanz in der Arbeit primär als Dingresonanz konzipiert wird und dem Ziel, mit Resonanz sowohl eine gesellschaftsanalytische Kategorie als auch einen sozialkritischen Maßstab zu etablieren, resultiert nun allerdings eine spezifisch-stoffliche Engführung des Arbeitsbegriffes, welche sich primär an einem, vom frühen Marx inspirierten, normativen Handwerksideal orientiert, der Analyse konkreter sozialer Beziehungen im Feld gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse vergleichsweise wenig Bedeutung beimisst und dabei auch die gesellschaftliche Formbestimmtheit von Arbeitsverhältnissen tendenziell vernachlässigt.4
3 | Oder um es mit Richard Sennett zu sagen: »Handwerkliches Können hält zwei emotionale Belohnungen für den Erwerb von Fähigkeiten bereit: eine Verankerung in der greifbaren Realität und Stolz auf die eigene Arbeit.« (Sennett 2008: 33) 4 | Die historisch-soziale Formbestimmung nach Marx ist »[…] die ökonomische Bestimmung, die Bestimmung, worin sie [die Individuen, T.H.] in dem Verkehrsverhältnis zueinander stehn; der indicator ihrer gesellschaftlichen Funktion oder gesellschaftlichen Beziehung zueinander.« (MEW 42: 167) Der Marx’sche Begriff der Formbestimmtheit bezieht sich demzufolge darauf, »[…] daß es in verschiedenen historischen Epochen und gesellschaftlichen Ordnungen soziale Sachverhalte wie z.B. Beziehungsmuster, Normen, Institutionen, Regulative etc. gibt, die die je gleiche […] Funktion erfüllen, die jedoch je historisch-gesellschaftlich besondere Formen aufweisen.« (Conert 2002: 14)
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II. G uter S toff, schlechte F orm : »I m A rbeiten fühlen sich M enschen tatsächlich mit der W elt verbunden .« Wie bereits genannt, markieren für Rosa die Überführung des Arbeitsvermögens in die Warenform und die damit einhergehenden Abhängigkeiten und kompetitiven Arbeitsbedingungen tendenziell den Eintritt in die Welt der Entfremdung.5 Wenn das Material aufhört zu antworten, es nicht länger »anverwandelt« werden kann, verstummt demnach die Resonanzachse der Arbeit (vgl. Rosa 2016: 397ff.). Die nunmehr entfremdete Arbeit zeitigt Frustration, Resignation und zieht die psychische Widerstandsfähigkeit in Mitleidenschaft. Entfremdung liegt folglich dann vor, wenn die stofflich vermittelte Dingbeziehung in der Arbeit (in ihrem Charakter einer doppelten Transformation von Stoff und Habitus) – die Kommunikation an beiden Enden dieser Transformation – gestört und unterbrochen ist. Die Störfaktoren übernimmt Rosa dabei jedoch weder der »besonderen«, auf Arbeit bezogenen, Entfremdungskonzeption des frühen Marx (vgl. Hofmann 1970), noch dessen kritischer Analyse des politökonomischen Spätwerks. Während bei Marx »nationalökonomische Voraussetzungen« (MEW 40: 511) einer kritisch-darstellenden Prüfung unterzogen werden, gelten bei Rosa eher schlaglichtartig und nur andeutungsweise die Herrschaft betrieblicher Kennziffern, mangelnde Anerkennung, Konkurrenzverhalten und Erholungsmangel als Ursachen (oder vielmehr Symptome) entfremdeter Arbeitsverhältnisse (vgl. Rosa 2016: 399ff.). Eine gelingende »diagonale« Resonanzbeziehung in der Arbeit repräsentiert umgekehrt – um es wie Rosa mit dem Leitbild deutscher Gewerkschaften zu sagen – den Maßstab »guter Arbeit« (ebd.: 398). Das Vorgehen, kapitalistisch entfremdete Lohnarbeit mit einem kontrafaktischen, am Handwerk (oder vielmehr dessen ahistorischer Idealisierung) geschulten, Arbeitsideal kontrastierend abzugleichen, stellt derweil eine durchaus gängige Praxis nicht allein arbeitsanthropologischer und sozialphilosophischer Arbeitskritik dar. Ähnliche Denkfiguren und Argumentationsweisen finden wir, neben dem »Herstellen« bei Hannah Arendt (vgl. Arendt 2003), auch in frühen arbeitssoziologischen Beiträgen, etwa in Gestalt der »Arbeits-
5 | »Wenn aufgrund von Wettbewerb- und Optimierungszwängen der über den Austausch von Informationen und die funktionale Kooperation hinausgehende Kontakt zur Arbeit, zu den Kollegen und/oder zu den Klienten verlorengeht, wenn das Gefühl für die Qualität der Arbeit unter dem Duck der Kennziffern verschwindet und keine Zeit für das Genießen von und die Erholung nach Erfolgen bleibt, während Anerkennungssignale durch Vorgesetzte nur noch als strategisch, zur Aktivierung noch größerer Anstrengungen wahrgenommen werden, droht für die Betroffenen in der Tat eine zentrale Resonanzachse des modernen Lebens zu versiegen.« (Rosa 2016: 399)
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freude« Christian von Ferbers6, dem »Materialgefühl« Georges Friedmanns (vgl. Friedmann 1959: 12) oder der arbeitsbezogenen Sinnlichkeitserfahrung bei André Gorz (vgl. Gorz 1989). Und auch beim frühen Marx bildet ein Handwerksideal den Maßstab der Entfremdungskritik, welches die »lebendige Arbeit« als einen emanzipatorisch-anthropologischen Bildungsprozess auffasst (vgl. Honneth 1980: 191ff.) und der Arbeit zuweilen sogar einen »Kunstcharakter« attestiert (MEW 42: 218). Der doppelten Transformation von Stoff und Habitus bei Rosa korrespondiert bei Marx, so gesehen, ein Entfremdungspendant, wonach gilt: »wenn es kein wahres Leben im falschen gibt, dann auch kein gutes Leben auf der Grundlage entfremdeter Arbeit.« (Kocyba 2000: 128) Eben dies markiert aber nun eine entscheidende Differenz zwischen Marx und Rosa, denn Arbeit wird unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung bei Rosa eben nicht als grundlegend entfremdet aufgefasst, sondern bleibt »essentielle« (spät-)moderne Sinnsphäre und Sehnsuchtsort. Und das hat seinen Grund, denn andernfalls müsste die geschilderte Resonanzbeziehung in der Arbeit, wenn »der Teig, das Motorrad, aber auch der Text, den ich zu schreiben versuche […] mit eigener Stimme [sprechen]« (Rosa 2016: 396) als gesellschaftsimmanenter normativer Maßstab »guter Arbeit« preisgegeben werden. Das normative Handwerksideal, an welchem sich Rosas »Dingresonanz« orientiert, stellt damit auch keinen kontrafaktischen Fluchtpunkt der Kritik dar, sondern ist hienieden durchaus aufzufinden, wenn sich Menschen im Arbeiten »tatsächlich mit der Welt verbunden [fühlen]« (ebd.: 397f.) und sich zwischen »Pflanzen und Gärtner, zwischen Büchern und Gelehrtem, zwischen Brettern und Schreiner, Teig und Bäcker […] genuine Antwortbeziehungen« (ebd.: 395) ausbilden. Auch Kommerz und Kommodifizierung verunmöglichen Resonanzerfahrungen in der Arbeit demnach nicht per se, wenngleich sie deren Auftreten erschweren (vgl. ebd.: 625). Und nicht allein der Rigorismus in Bezug auf entfremdete Arbeit trennt Marx von Rosa. Wichtiger noch (insbesondere für eine arbeitssoziologische Perspektive) ist, dass Rosa über das normative Handwerksideal des frühen Marx auch nicht hinausgeht und damit keine historisch spezifische Formbe6 | »Die ›Arbeitsfreude‹ des deutschen Arbeiters schließt offenbar zahlreiche Momente spezifisch deutscher Arbeitsverhältnisse ein: handwerkliche Tradition, Berufs- und Arbeitsethos des Kleinbürgers […]. Die deutsche ›Arbeitszufriedenheit‹, die sich in der betriebssoziologischen Literatur seit 1945 – […] durchsetzt, vermag zumindest die Bedeutung von ›job‹ nicht adäquat widerzugeben;.« (Ferber 1959: 1) Bezeichnenderweise räumt Ferber bei diesem Arbeitsbegriff, »der einseitig an handwerklicher bzw. künstlerischer und geistiger Produktion orientiert ist und seine Herkunft aus dem Deutschen Idealismus nicht verleugnen kann«, ein, er habe die empirischen Erhebungen des deutschen Vereins für Sozialpolitik belastet (ebd.: 16).
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stimmtheit der kapitalistisch organisierten Arbeit für seine Kritik zugrunde legt. Stattdessen erscheint der soziologisch unterbestimmte »Zwang der Kapitalakkumulation« als bloß äußerlich-abstrakter Gegenspieler eines damit unvermittelten, intim-stofflichen Gegenstandsbezuges und Arbeit dementsprechend als kolonisierte und beschädigte »Resonanzoase« inmitten einer »erbarmungslos kompetitiven Welt« (Rosa 2016: 402). Und auch dies ist theoretisch konsequent: Der gute Stoff, die Dingresonanz, wird und muss gegen die spezifisch kapitalistische Vereinnahmung verteidigt werden, um den Anspruch auf aufscheinende Resonanzbeziehungen im Rahmen entfremdeter Lohnarbeit aufrechtzuerhalten. Damit wird und muss zugleich der stoffliche Fokus auf Arbeit gegenüber einer Formbestimmung konkreter Arbeitsverhältnisse konzeptuell priorisiert werden: »Wenngleich diese Standards (für gutes Brot, für erstklassige Schreinerarbeit, für große Literatur oder exzellente Wissenschaft) ihrerseits immer auch sozial definiert sind, ist es doch primär der Stoff, mit dem das arbeitende Subjekt in Wechselwirkung tritt und an dem es sich selbst formt, so dass sich eine diagonale Resonanzachse erst herausbilden kann […].« (ebd.: 395)7 Dass, wenn Resonanz als Gegenstück zu instrumentellem Handeln gedacht werden muss, die Sozialbeziehungen in der auf wertförmiges Wachstum abzielenden Erwerbsarbeit unter dem Verdacht stehen, instrumentell zu sein, leuchtet ein. Weshalb allerdings ein ebenfalls instrumenteller Gegenstandsbezug (wie im Handwerk) davon potenziell ausgenommen sein soll, nicht. Die Kriterien dafür, unter welchen Bedingungen bestimmte Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel beim Zustandekommen von Resonanzerfahrungen behilflich sind und wann nicht, bleiben zudem seltsam undeutlich. Während etwa das Fließband Rosa als »Ort radikaler Verdinglichung« (ebd.: 664) gilt, sind der Teig des Bäckers oder die Pflanzen des Gärtners davon ausgenommen (ebd.: 625), obgleich massenindustriell erzeugte Backwaren oder die pestizidbeschwerte Blumenindustrie wohl schwerlich als Orte gelingender Dingresonanzen vorstellbar sind. Während die Arbeitssoziologie, wie Rosa ein wenig spöttisch bemerkt, die Liebe zur einfachen Arbeit »oftmals mit Verwunderung« konstatiere (ebd.: 23), – weil sie, soweit sie mit gesellschaftskritischer Intention betrieben wird, zwischen empirisch aufgefundener Arbeitsfreude unter Entfremdungsbedingungen als »Wirklichkeit und Ideologie« (Ferber 1959) schwankt – scheint sich die stoffliche Dingresonanz Rosas aus dieser theoretischen Zwickmühle herauswinden zu wollen. Dingresonanz scheint auch dann möglich »[…] solange wir in einer Welt asymmetrischer Beziehungen leben […]« (Rosa 2016: 7 | Den gewerkschaftlichen Kampf für »gute Arbeit« interpretiert Rosa denn auch konsequent als »das Verlangen, die stoffliche Resonanzbeziehung gegen die unterminierenden Imperative der Ökonomisierung zu verteidigen.« (Rosa 2016: 398)
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393). Dass es demnach weniger die sozialen Beziehungen in der Arbeit und stattdessen die stofflichen Gegenstandsbezüge sind, auf die diese immanente Gesellschaftskritik baut, unterscheidet eine »Soziologie der Weltbeziehung« von anerkennungstheoretischen aber auch vielen arbeitssoziologischen Herangehensweisen, die sich der empirischen Analyse und Kritik gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse verpflichtet sehen. Und obgleich der Begriff der Dingresonanz eine fraglos humanistische Arbeitskritik enthält, schafft Rosa damit zugleich eine innergesellschaftliche Enklave unverfügbaren Glücks (ebd.: 321), deren Vorbild eher eskapistische Basteleien im Hobbykeller als erwerbsförmige Arbeit zu sein scheinen. Und das nicht zufällig, denn wenn Menschen sich »im Arbeiten […] tatsächlich mit der Welt verbunden [fühlen]« (ebd.: 397f.) sollen, stellt sich die alte Frage, wie Arbeitsfreude unter Entfremdungsbedingungen möglich sein kann. Rosa liefert mit der Antwortbeziehung zwischen Stoff und Habitus zwar eine Antwort, die jedoch unbefriedigend bleibt. Entfremdete Arbeit, so scheint es, muss hier zwangsläufig zum Kunsthandwerk geadelt werden, die ein »Heilsversprechen« als »Versprechen auf eine andere Form der Weltbeziehung« (ebd.: 317) birgt, um als Resonanzoase gelten zu können.
III. R esonanz und der » eigentümliche S ieg über den T aylorismus « Ob Resonanz einen geeigneten Maßstab zur Kritik von Arbeitsverhältnissen darstellt, kann auch in dem Versuch »getestet« werden, das Gegenteil zu plausibilisieren. Es müsste zu diesem Zweck gezeigt werden, dass Resonanz nicht zwingend Gegenstück, sondern vielmehr Korrelat entfremdeter Arbeit sein kann. Dies soll an drei Beispielen in geboten kurzer Form durchgespielt werden. Demnach könnte Resonanz 1. als eine postfordistische Strategie der Arbeitskraftnutzung, 2. als Vehikel oder vielmehr strukturell notwendige Bedingung der Warenproduktion oder schließlich 3. als ungleich verteilte Ressource oder Kapital konzipiert werden. Im Fordismus erschien die Subjektivität der Beschäftigten aus Sicht der wissenschaftlichen Betriebsführung als potenzielle Störquelle und verdächtige, erratische Abweichung vom »one best way« (Kocyba 2000: 127ff.). Diese »Rationalisierung des Persönlichen« (Ferber 1959: 5) strebte an, »die Bedeutung der Geschicklichkeit so weit als möglich zu verringern.« (Friedmann 1959: 7) Und wie Kocyba resümiert, galt Arbeit im Fordismus keineswegs als Resonanzoase, sondern »Idealtypisch betrachtet […] per se nicht [als] Sphäre der Selbstentfaltung.« (Kocyba 2000: 128) Resonanztheoretisch gewendet, hat die fordistische Produktionsperiode wohl am konsequentesten dafür gesorgt, erlebte Dingresonanzen zu unterbinden und an ihre Stelle unterbrochene, kleinteilige, hoch repetitive und fremd kontrollierte Fertigungsteilschritte zu setzen. Doch spätes-
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tens seit den ausgehenden 1990er Jahren ist in der Arbeits- und Industriesoziologie nun schon die Rede von einem »neuen Steuerungsdispositiv« und einer »partizipativen Wende im Management« (Kocyba 2000: 130f.). Die arbeitssoziologische Diagnose einer »zunehmenden normativen Subjektivierung des unmittelbaren Arbeitsprozesses« (Baethge 1991: 6), die auch als erklärter Wunsch der Beschäftigten nach Resonanzerfahrungen in der Arbeit gedeutet werden könnte, markiert demnach einen Bruch mit der rigiden Verhaltensnormierung des fordistischen Produktionsparadigmas. »Der Ruf nach Selbstverwirklichung in der Arbeit wurde inzwischen gehört« (Kocyba 2000: 130), Subjektivität avanciert nun zum Produktionsfaktor: Statt strikter Trennung von Belegschaft und Management, nun flache Hierarchien, teilautonome Teamarbeit, flexible Arbeitszeitmodelle und Beteiligungsorientierung (ebd.: 131). Arbeitssoziolog_ innen zeichnen das Bild eines neuen Typus der Arbeitskraftnutzung, welcher auf die Selbstorganisation, Kreativität und Handlungsautonomie des ehemals »verberuflichten Arbeitnehmers« (Voß/Pongratz 1998: 131) setze. »An die Stelle von Hierarchie und Kommando treten kommunikative Aushandlungsprozesse« (Kocyba 2000: 132). Resonanz, so könnte erstens analogisiert werden, wird zur Produktivitätsressource, probaten Lösungsstrategie des betrieblichen Transformationsproblems (vgl. Marrs 2010) – und muss auch strategisch zunehmend performt werden: »Arbeit muss in wachsendem Maße als ›Berufung‹ erlebt oder zumindest kommuniziert werden.« (Kocyba 2000: 132) Dagegen würde Rosa nun einwenden, dass diese strategisch genutzte Resonanz keine wirkliche Resonanz ist, allenfalls handelt es sich hier um »Resonanzsimulation« (Rosa 2016: 319). Der »eigentümliche Sieg über den Taylorismus« (Kocyba 2000: 133), habe nämlich weder Konkurrenz und Wettbewerb abgelöst, noch Angstfreiheit oder Vertrauen hergestellt oder der Ausbildung von Resonanzachsen Zeit verschafft – also die Voraussetzungen zur Etablierung von Resonanzachsen bereitgestellt (vgl. Rosa 2016: 692ff.) – im Gegenteil. Vielmehr, so würde Rosa vermutlich entgegnen, erzeugen hier tatsächlich »sinnhaft-subjektbezogene Ansprüche« an Erwerbsarbeit (Baethge et al. 1988: 166ff.) den »kollektiv verstärkte[n] Willen[n]« gewissermaßen auch in der Arbeit »ergriffen zu sein« (Rosa 2016: 479), welcher das faktische Unvermögen der Beschäftigten, sich die konkreten Arbeitsbedingungen selbstbestimmt und transformativ anzuverwandeln, überdeckt.8 Die postfordistische Arbeitskraftnutzung scheint überdies gar Sinnbild betrieblicher Entfremdung für Rosa zu sein, wenn von Wettbewerbs- und Optimierungszwängen, vom Druck der Kennziffern und Burnoutkliniken als Insignien der neuen Arbeits8 | »[…] während Resonanzsimulation insbesondere dort auftritt, wo der unbedingte und kollektiv verstärkte Wille, ergriffen zu sein, […], eine Echokammer erzeugt, welche das Ausbleiben von Verflüssigung und transformativer Anverwandlung überdeckt.« (Rosa 2016: 479, Herv. i.O.)
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welt die Rede ist (vgl. Rosa 2016: 399) und vor deren Kontrastfolie dem fordistischen Produktionsmodell ein retronormativer Charme anhaftet (vgl. Schulz 2015: 112). Nichtsdestotrotz – dies gilt es hier festzuhalten – bleibt »genuine« Resonanz auch unter entfremdeten Umständen eine Möglichkeit9: Um die Annahme von Resonanzerfahrungen selbst im nachfordistischen Zeitalter theoretisch zu rechtfertigen, nutzt Rosa (neben einem Handwerksideal ursprünglich nicht entfremdeter Arbeit) ein graduelles Verständnis von Entfremdung in der Arbeit, was sich u.a. an der Verwendung des Begriffes »Umschlagspunkte« (Rosa 2016: 399) festmachen lässt.10 Wenn der Verdacht, bei gegenwärtigen Strategien der Arbeitskraftnutzung handele es sich um die gezielte Ausbeutung von Resonanzfähigkeit, nun mit dem Verweis auf eine betriebliche Spielart bloß »simulierter« Resonanz ausgeräumt wird, bleibt dennoch zweitens einzuwenden, dass Resonanz und Resonanzfähigkeit durchaus als Transmissionsriemen kapitalistischer Marktökonomie gelten können. Auch die fordistische Arbeitsteilung ging nicht allein mit einem Anwachsen bürokratischer Verwaltungs- und Kontrollerfordernisse einher: Der Eigensinn der Beschäftigten, ihre »informelle Zusatzleistung« und »Gewährleistungsarbeit«, vom Management unberücksichtigte aber notwendige Zwischenschritte in den engen Zeittakt einzubauen, gilt der Industriesoziologie als eigentliche Ermöglichungsbedingung fordistischer Massenproduktion (vgl. Deutschmann 2002: 36f.). Darüber hinaus, so kann ergänzt werden, funktionieren kapitalistische Wettbewerbsmärkte nicht ohne Resonanz: »Funktionierende Konkurrenz setzt in gewisser Weise ihr Gegenteil voraus. Die Ausdehnung und Verallgemeinerung von Warenbeziehungen und Konkurrenz erzeugt auf ihrer Kehrseite einen systemischen Bedarf an nicht-marktförmigen, gleichwohl Märkte stabilisierenden Institutionen und Verhaltensweisen.« (Dörre 2009: 188) Resonanz als intrinsisch motivierter, nicht-instrumentalistischer Beziehungsmodus kann so als Voraussetzung kapitalistischer Marktgesellschaften gelten, ohne dessen systematische Ausbeutung (ob in der als »Oase« geltenden bürgerlichen Familie, in Liebe und Fürsorge oder im intimen Gegenstandsbezug), die Vergesellschaftung durch bornierten Warentausch unmöglich 9 | »Dass genuine Resonanz eine Möglichkeit bleibt, gilt sogar für die zweite Seite der Verdinglichung, wo Resonanz zu einer Erfolgsstrategie wird. So richtig es ist, dass berufliche Begeisterung, dass Leidenschaft und Engagement Erfolgsfaktoren geworden sind und in den Dient der Kapitalzirkulation genommen werden, so wenig kann dies a priori verhindern, dass sich den Arbeitenden in der Auseinandersetzung mit dem Material […] diagonale Resonanzachsen eröffnen […]« (Rosa 2016: 625). 10 | An anderer Stelle heißt es dementsprechend: »Dabei wird sich zeigen, dass die Sphären der Arbeit […] typischerweise als moderne Resonanzräume fungieren können, dass aber insbesondere Beschleunigungszwänge und Konkurrenzdruck tendenziell zunehmende Resonanzblockaden erzeugen.« (ebd.: 294).
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wäre. Ein weiteres Beispiel für den Nexus zwischen Resonanz und Marktvergesellschaftung stellt in berufssoziologischer Hinsicht auch der »subjektivierte[n] Taylorismus« personenbezogener Dienstleistungsarbeiten dar (Nowak et al. 2012: 275; vgl. Matuschek et al. 2008: 330ff.), bei welchen Resonanz als Dienstleistungsmentalität entweder simuliert werden muss oder (wie im Feld der Gesundheits- und Pflegeberufe) in Gestalt tatsächlich vorhandener (Resonanz- oder) Empathiefähigkeit der Beschäftigten strategisch ausgenutzt wird. So werden etwa Aspekte »weiblichen Arbeitsvermögens« (vgl. Ostner 1978: 191ff.) gezielt instrumentalisiert, um die Einseitigkeit berufsförmiger Arbeit zu kompensieren. Die vorhandene Resonanzfähigkeit der Beschäftigten (inklusive ihrer Resonanzbedürfnisse) gibt, so besehen, erst die Ermöglichungsbedingung vereinseitigter Berufsarbeit ab, die gerade nicht-verberuflichte Tätigkeitsprofile als funktionales Pendant benötigt.11 Drittens legen einige Passagen in »Resonanz« nahe, dass Resonanzerfahrungen doch nicht so unabhängig von den Fragen einer vielgescholtenen »ressourcenfixierten« Ungleichheitsforschung sind (Rosa 2016: 23). Resonanzfähigkeit könne nämlich einerseits als Ermöglichungsbedingung für die Akkumulierung ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals verstanden werden (vgl. Rosa 2016: 58; vgl. Brumlik 2016: 122). Angeborene oder sozial erlernte Resonanzfähigkeit biete andererseits ohne ausreichende Kapitalausstattung geringere Chancen auf ein glückliches Leben als Resonanzfähigkeit bei auskömmlicher Kapitalausstattung.12 Wenn Rosa Resonanzfähigkeit »(auch) als Ursache für das Vermögen, soziales, ökonomisches, kulturelles und Körperkapital zu akkumulieren« anerkennt (Rosa 2016: 58) um eigentlich zu demonstrieren, dass ungleich verteilte Resonanzerfahrungen und Lebensglück »quer« zur Ressourcenausstattung moderner Subjekte liegen, bewegt er sich dennoch im Wirkungskreis des kritisierten Wachstumsimperativs. Wenn Resonanzfähigkeit zu Sympathie und Attraktivität verhilft, kann sie darüber hinaus als Ressource von »Netzwerkopportunisten« etwa zur Maximierung von »Reputationsgewinnen« gelten (Boltanski/Chiapello 2003: 394ff.), die »ökonomische[n], technische[n] und kulturelle[n] Reichweitenvergrößerung« betreiben (Rosa 2016: 661) und ihre Netzwerke ausdehnen.13 Das wiederum 11 | »Weil sich berufliche Arbeit als naturbeherrschende Arbeit begreift, ihr Wissen dementsprechend abstrakt bleibt, braucht sie Rekonstruktionen des verdrängten, aber nicht aufhebbaren Naturbezugs der Arbeit.« (Ostner/Beck-Gernsheim 1979: 68) 12 | »Denn es fällt gewiss leichter, sich in der Welt getragen zu fühlen, wenn die Kapitalausstattung stimmt, während sich eher in sie geworfen oder ihr ausgesetzt fühlt, wer unter Mangel und Knappheit und infolgedessen unter Ausgrenzung, Diskriminierung und Missachtung leidet.« (Rosa 2016: 57f.) 13 | Dass die individuelle Kapitalausstattung wiederum auch Voraussetzung für Resonanzerfahrungen sein kann, räumt Rosa auch ein: »Eine Geige wird in der Regel erst
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»sichert nicht per se ein glückliches Leben, verbessert aber die Ausgangsbedingungen dafür, es zu erreichen.« (Rosa 2016: 45) Das lässt nun die ausbeutungstheoretische Schlussfolgerung zu, dass sich, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello in Bezug auf »Egoistisches Handeln in einer konnexionistischen Welt« zu zeigen versuchen (Boltanski/Chiapello 2003: 391ff.), Resonanzerfahrungen bestimmter Akteure durchaus auf Kosten anderer Akteure realisieren lassen. Der scheinbar bescheidene Lebensstil von »Dorian«, welcher in freiwilligem Engagement, Naturerlebnis und Meditation Resonanzerfahrungen ermöglicht (Rosa 2016: 27ff.), verdankt sich aus dieser Perspektive womöglich der unermüdlichen Arbeit »geringer Wertigkeitsträger« (Boltanski/Chiapello 2003: 398ff.), die für eben jenen Luxus und Zeitwohlstand (etwa in anderen Weltteilen) permanent Sorge tragen. Resonanz kann demnach als Heilsversprechen einer Gesellschaft betrachtet werden, welche die Voraussetzungen und Kosten immanenter Resonanzerfahrungen (etwa in Gestalt niedrig entlohnter »Gewährleistungsarbeiten«) »externalisiert« (vgl. Lessenich 2016). Sicherlich würde Rosa nun einwenden, dass mit Resonanz umgekehrt gerade gezeigt werden könne, dass eher die »geringen Wertigkeitsträger« Boltanskis und Chiapellos aufgrund ihrer mangelnden Mobilität und kleinen Netzwerke Resonanz erfahren können als jene »flüchtigen« und »geschmeidigen« Netzwerkopportunisten (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 397), die primär an Weltreichweitenvergrößerung interessiert sind. Das Problem ist hier nur, dass eben die konträre Interpretation auch eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen kann. Die drei kurzen Gedankenexperimente sollten somit zeigen, dass, ähnlich wie Dörre bemerkt, »die vermeintlich größte Stärke des Rosa’schen Ansatzes, nahezu jedes Alltagsphänomen deuten und gegebenenfalls auch kritisieren zu können« (Dörre 2009: 185) eben auch eine Schwäche des Ansatzes markiert, wenn Resonanz sowohl als kritischer Maßstab gelingenden Lebens als auch durchaus funktionaler Bestandteil beschleunigter und kompetitiver Wachstumsgesellschaften gedeutet werden kann. Die analytische Omnipotenz des Resonanzbegriffes rächt sich so gewissermaßen mit Arbitrarität: Dem einen ist das Schwingen von Himmelskörpern und der »(Lock-) Ruf des Meeres« (Rosa 2016: 457) Inbegriff guten Lebens, anderen hingegen gilt der natürliche Kreislauf als unterschieds- und ergebnislose Gleichförmigkeit »einer von Menschenhand unberührten Natur, deren überwältigende Elementargewalt ihn [den Menschen, T.H.] im Gegenteil […] in die umgreifend kreisende Bewegung zwingt und einfügt, in der alles Natürliche schwingt.« (Arendt 2003: 162)
nach langem Geigenunterricht resonant, und lateinische Verse können nur zu dem sprechen, der Latein gelernt hat.« (Rosa 2016: 661)
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IV. R esonanz als » affirmative K ultur « Problematisch ist zudem, dass der Resonanzbegriff, einem wahren Superlativ der Erklärungskraft entsprechend, sämtliche gesellschaftstheoretische Potentiale abzudecken versucht, die man sich vorstellen kann: Resonanz soll gleichsam »sozialphilosophischer Grundbegriff und eine sozialwissenschaftliche Analysekategorie«, »sozialtheoretische Kategorie« (Rosa 2016: 281) sowie »normative[s] Konzept« (ebd.: 294) in einem sein. Resonanz soll nicht nur erklären, warum Menschen an Arbeitslosigkeit leiden (vgl. ebd.: 401), sondern auch, warum Lächeln neuropsychologisch ansteckend wirkt (vgl. ebd.: 253), Augen leuchten (vgl. ebd.: 751) oder Bildungsprozesse gelingen (vgl. ebd.: 417). Aus diesem Anspruch resultiert mitunter ein begriffliches Schillern und Changieren, das auch dann deutlich wird, wenn zum einen die Ausbildung von Resonanzachsen allgemein als notwendige Bedingung einer gelingenden Weltbeziehung formuliert wird (vgl. ebd.: 70)14, an anderer Stelle vielmehr nur bestimmte Resonanzerfahrungen für ein gutes Leben relevant sind (vgl. ebd.: 72). Gilt daneben einmal, dass »ohne Liebe, Achtung und Wertschätzung« der »Draht zur Welt stumm [bleibt]« (Rosa 2016: 25), heißt es an anderer Stelle, Resonanz sei »gegenüber dem emotionalen Inhalt [des Beziehungsmodus, T.H.] neutral« (ebd.: 298). Auch bleibt so die Frage offen, ob es bei Rosas Gesellschaftskritik letztlich um die Möglichkeit »stabiler« Resonanzerfahrungen überhaupt (vgl. ebd.: 295f.) um die Kritik »historisch realisierter Resonanzverhältnisse« (ebd.: 36) oder um das Erfahren spezifischer »Beziehungsqualitäten« (ebd.: 281) geht, ein Umstand, den der Autor sehr wohl reflektiert (vgl. ebd.: 72), dem er jedoch nicht konsequent Rechnung trägt. Weil Resonanz beides, sowohl »deskriptiver« Begriff zur Beschreibung von Subjekt-Weltbeziehungen als auch normativ-gesellschaftskritischer Maßstab, zu sein beansprucht (vgl. ebd.: 747), sieht sich Rosa gezwungen, Resonanz von deren Simulation abzugrenzen (vgl. ebd.: 319). Daraus folgt jedoch auch, dass der sozialkritische Anspruch des Begriffes mitunter gegen den Autor selbst gewendet werden kann. Denn wenn Vertrauen, Angstfreiheit, die Abwesenheit von Konkurrenz, instrumentelle Verfügbarmachung und Zeitdruck zu den Bedingungen gehören, unter denen sich Resonanzbeziehungen in der Arbeit erst ausbilden können (vgl. ebd.: 691ff.), wird deutlich, dass Erwerbsarbeit vermutlich weder unter gegenwärtigen, noch vergangenen Bedingun14 | »Intakte und scheiternde Weltverhältnisse bilden, so die Ausgangshypothese des Buches, die Basis für gelingendes und misslingendes Leben und liefern daher den unhintergehbaren Maßstab für eine Soziologie des guten Lebens.« (Rosa 2016: 58) »Eine Kritik der Resonanzverhältnisse nimmt daher weniger die Resonanzerfahrungen als einzelne als vielmehr die Bedingungen für die Etablierung von stabilen Resonanzachsen in den Blick.« (Ebd.: 295f.)
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gen wirklich eine »Resonanzoase« abgeben kann. Wenn Resonanz »eine durch intrinsisches Interesse und Selbstwirksamkeitserwartungen gebildete Form der Weltbeziehung« (ebd.: 298) ist, stellt sich folglich die Frage, ob nicht derlei Voraussetzungen im Kontext abhängiger Erwerbsarbeit als stets uneingelöst zu betrachten sind und nicht erst dann, wenn der Druck der Kennziffern und Optimierungszwänge greifen (vgl. ebd.: 399). Wenn das »instrumentelle Verfügbarmachen von Welt« prinzipiell »in die Kategorie stummer Weltbeziehungen fällt« (ebd.: 618), stellt sich außerdem ganz allgemein die Frage, inwiefern Arbeit als »Gewaltsamkeit« (Negt/Kluge 1981: 20) und gesellschaftsübergreifende Existenzbedingung (vgl. MEW 23: 57) nicht immer schon (notwendig) einer instrumentellen Verfügbarmachung von Welt dient. Kein Wunder also, dass Rosas Beispiele für Dingresonanz demgegenüber eher den Charakter selbstgenügsamen Kunsthandwerks aufweisen. Schließlich bleibt unklar, ob es Rosa in gesellschaftskritischer Absicht grundlegend um das moderne Glückversprechen in und durch Arbeit und dessen Einlösung geht. Oder ob primär die Rettung von Dingresonanz angestrebt wird und damit ein quasi vorkapitalistisches Handwerksideal den normativen Maßstab abgibt, an dem gegenwärtige Arbeitsbeziehungen blamiert werden sollen. In Bezug auf Arbeit und Sozialkritik ist schließlich auch der Umstand interessant, dass Arbeit als »kapitalnegatorische Produktivkraft der Emanzipation« (Krahl 1971: 387) keinerlei Berücksichtigung mehr findet. Statt Arbeitskampf und Revolution erscheint nunmehr (Ding-)Resonanz in der Arbeit als der eigentliche emanzipatorische Aspekt (vgl. Rosa 2016: 395), der in der Arbeit gleichsam aufleuchtet (vgl. ebd.: 295). Damit jedoch »[…] leistet der Resonanzbegriff eine Kultur- und Modernekritik, die nicht auf die Überwindung des Kapitalismus, sondern auf die Integration von Resonanz in den Kapitalismus« (Schulz 2015: 103), etwa im Kontext der »Resonanzoase« Arbeit, abzielt. Resonanz sorgt so gleichzeitig für eine, wie Marcuse es in seinem Aufsatz »Über den affirmativen Charakter der Kultur« schrieb, sozial befriedende Transzendierung gesellschaftlicher Faktizität: Vermeintliche »Resonanzoasen«, wie Familie oder Arbeit, erscheinen demnach als Orte innerweltlicher Transzendenz.15 So wie die »affirmative Kultur« nach Marcuse »Auf die Not des isolierten Individuums […] mit der allgemeinen Menschlichkeit, auf das leibliche Elend mit der Schönheit der Seele, auf die äußere Knechtschaft mit der inneren Freiheit, [antwortet]« (Marcuse 1967: 66) – so ließe sich weiter formulieren – antwortet Resonanz auf die multiplen Zumutungen der Spätmoderne. Resonanz sieht damit »durch die ökonomischen Verhältnisse hindurch die Menschen selbst« 15 | »Sofern die Philosophie um das Glück der Menschen besorgt ist – und die klassische antike Theorie hält an der Eudämonie als dem höchsten Gut fest – kann sie es nicht in der bestehenden materiellen Lebensgestaltung finden: sie muss deren Faktizität transzendieren.« (Marcuse 1967: 57)
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und »[…] entfaltet sich, trotz aller sozialen Hemmnisse und Verkümmerungen, im Innern des Individuums […].« (ebd.: 78)16 Und so, wie sich affirmative Kultur als Gegenkultur zur kapitalistischen Zumutung inszeniert (und inszenieren muss), täuscht sich vielleicht auch Resonanz (notwendig) über ihren Zusammenhang mit kapitalistischer Vergesellschaftung. Damit aber hat tatsächlich »[…] diese letztmögliche Form einer Kritischen Theorie ihren Frieden mit den Verhältnissen gemacht.« (Brumlik 2016: 123)
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16 | »Wer auf die Seele sieht, sieht durch die ökonomischen Verhältnisse hindurch die Menschen selbst. Wo die Seele spricht, da wird die zufällige Stellung und Wertung der Menschen im Gesellschaftsprozess transzendiert. Liebe durchbricht die Schranken zwischen reich und arm, hoch und niedrig. Freundschaft hält selbst den Verstoßenen und Verachteten die Treue, und die Wahrheit erhebt noch vor dem Thron des Tyrannen die Stimme. Die Seele entfaltet sich, trotz aller sozialen Hemmnisse und Verkümmerungen, im Innern des Individuums […]« (Marcuse 1967: 78).
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Die ›wahre‹ Natur des vertikalen Resonanzversprechens Gianna Behrendt
»Ach, das Meer. Schon einfach immer wieder die Antwort auf alles. Man schaut drauf und wird ganz ruhig. Wald dagegen nervt ja mit seinem ewigen Geraschel und Geschmatze, die Waldgeräusche sagen: Ich war, ich bin, ich werde – das an den Strand klatschende Meer aber sagt immer nur: Mir egal, mir egal, mir egal. Das Meer ist in der Natur eindeutig der Punk.« (von Stuckrad-Barre 2016: 180)
Der Wald nervt, das Meer ist Punk. Die spontan empfundene Antwortqualität – oder Gleichgültigkeit – nichtmenschlicher Umwelt ist auf eine spezifisch moderne Vorstellung eines weltdurchwaltenden, subjektinneren und -äußeren Gegenübers zurückzuführen: die Natur. Als eine der zentralen Resonanzkategorien spätmoderner Erfahrung stellt Hartmut Rosa (vgl. 2016: 457) sie an die Seite von Religion und Ästhetik. Naturerfahrungen liefern der Theorie starke, intuitive Beispiele für idealtypische Resonanzmomente des Affiziertwerdens und der Selbstwirksamkeit, zugleich reiben sie sich augenscheinlich am rational-instrumentellen Denken der Gegenwart (vgl. Adorno/Horkheimer 2008; Taylor 2012a, 2012b). Das »gesellschaftliche Naturverhältnis« (Rosa 2016: 711) stellt eine geradezu paradigmatische Sphäre dar, auf die sich Rosas Kritik an den ambivalenten Resonanzverhältnissen zwischen Kontemplation und rational-instrumentellem Zugriff richtet. Betrachtet man die einer hochtechnisierten Um- und Lebenswelt scheinbar entgegenstehende Natürlichkeitssemantik (vgl. Birnbacher 2006), schwanken die Zugriffe auf subjektinnere und -äußere Natur jedoch nicht nur zwischen intrinsischer Wertung und instrumenteller Verfügung. Impfskepsis und Naturkosmetik, alternativmedizinische Heilmethoden, Ernährungskonzepte, Yoga- und Meditationspraktiken treten geradezu als Mischformen und hybride Praktiken auf, die in der Berufung auf eine originäre Natur wiederum mithilfe instrumenteller Techniken die Verbindung zu dieser herzustellen versprechen – und zugleich subjektive Grenzen erfahrbar machen sollen. Maßgeblich gestalten Tourismus- und Outdoorindustrie durch Infrastruktur und Ausrüstung, aber auch in gezielter Landschaftsgestal-
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tung die Art und Weise, auf die in der abendländischen Moderne Naturerfahrungen gemacht werden. Auch ökologische Selbstwirksamkeit kann geradezu erworben werden: Der ›Atmosfair‹-Beitrag bietet »Kompensation« (Atmosfair o.J.) für exorbitante CO²-Ausstöße durch einen Langstreckenflug (womöglich in die Resonanzoase der abgeschiedenen Wildnis) und der saisonal angepasste Konsum regional und biologisch erzeugter Lebensmittel wird zur ökologischen Handlung (vgl. AG Kritischer Konsum 2016). Die Sehnsüchte, mit ›der‹ Natur in Beziehung zu treten, finden hier einen ungelenken, zweckrationalen und partikularisierten, ja kommodifizierten Ausdruck. Wird ›die‹ Natur dabei als Ressource vereinnahmt, so macht es die Resonanztheorie plausibel (vgl. Rosa 2016: 461), kann sie nicht mit eigener Stimme sprechen. Die Beziehungssehnsucht indessen bleibt wirksam. Der physikalischen Resonanzmetapher entsprechend wird die Natur als kulturpraktisch wirkmächtiges Gegenüber ebenso wie das den eigenen Grenzen mächtige Subjekt erst als abgeschlossene Entität schwingungsfähig. Diese Vorstellungen sind Rosa zufolge auf eine »in ihrem Ursprung romantische Idee einer heimlichen Korrespondenz und Resonanz zwischen innerer und äußerer Natur« (2016: 456) zurückzuführen (vgl. auch Taylor 2012a). Das Emporkommen einer singulären Natur als dem Menschen gegenüberstehende Sphäre entsteht so erst infolge einer Kulturleistung, die terrestrische Gegebenheiten zum Kollektivsingular und Quasisubjekt ›Natur‹ zusammenschließt und sie epistemologisch von einer kontingenten Kultur abgrenzt (vgl. Rosa 2016: 452f.). Nicht nur Resonanzsehnsucht und -verlust sind also modernespezifische Phänomene, sondern auch das mit eigener Stimme sprechende Gegenüber, auf das die Resonanzbeziehung angewiesen ist. Unter die Kategorie vertikaler Resonanzachsen subsumiert Rosa die Natur als resonanzfunktionales Äquivalent religiöser Beziehungen. Deren Charakteristikum besteht darin, dass Resonanz »zu einer unmittelbar leiblich-sinnlichen, kognitiv abgesicherten und legitimierten und zugleich Transzendenz erzeugenden Erfahrung« (Rosa 2016: 758f.) wird. Darüber hinaus jedoch wird das transzendente Resonanzgegenüber gleichsam kulturell mit feststehenden Gesetzmäßigkeiten und einer intrinsisch guten Vorsehung behaftet: An sich gut (getan zu werden) wie unhintergehbar ist demnach, was die Natur vorgesehen bzw. eingerichtet habe. Dem Verdacht folgend, dass genuine Resonanz in einem hierauf basierenden, von vornherein asymmetrischen Verhältnis problematisch wird, soll es an dieser Stelle nicht nur um die Resonanzhoffnungen der Natur gegenüber, sondern um das vertikale Resonanzversprechen selbst gehen. Der Beitrag widmet sich deshalb den lebensweltlichen Explikationen einer Reso-
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nanzsehnsucht, die sich auf die Natur als transzendenten Akteur mit moralischer Weisungsbefugnis richtet.1 Im Folgenden werden dazu zunächst zwei von Rosa selbst herangezogene Problemdiagnosen der verstellten Resonanz in Naturbeziehungen diskutiert. Geht das erste Argument jener ambivalenten Kulturpraxis nach, in deren Zuge romantisch motivierte Sehnsüchte durch zweckrationale Zugänge vereinnahmt werden, führt das zweite, theorieimmanente Argument die spezifische Problematik vertikaler Resonanz ins Feld. An jene als vertikale charakterisierte, religiöse und naturgebundene Beziehungen anknüpfend soll anschließend eine dritte Vermutung in Anschlag gebracht werden, die die spezifische Erscheinung der Natur als kollektivsinguläres Resonanzgegenüber und handelndes Quasisubjekt problematisiert. Mit der übergreifenden Frage, inwiefern den vermeintlich intrinsischen oder »starken Wertungen« (Taylor 2012a: 666) einer solchen Natur selbst resonanzfeindliche Tendenzen innewohnen, will der Beitrag das zweifelsohne kulturell wirksame Empfinden gegenüber Wald oder Meer nicht diskreditieren, sondern vielmehr die Kritik der Resonanzverhältnisse auf ihr ideengeschichtlich begründetes Narrativ der Natur ausweiten.
1. N atursehnsüchte z wischen K ontempl ation und instrumenteller V erfügung In ihrer Entwicklung ist die Resonanztheorie maßgeblich von Charles Taylors moralischer Phänomenologie geprägt, die die magische Weltbeziehung des ›porösen‹ Selbst des Mittelalters der des ›abgepufferten‹ Subjekts der desengagierten Vernunft kontrastierend gegenüberstellt (vgl. Taylor, 508ff.; Rosa 2011: 35ff.). Wie Taylor (2012a: 556ff.) in seiner ideengeschichtlichen Begründung der neuzeitlichen, moralischen ›Quellen des Selbst‹ hervorhebt, tritt ein romantisch-expressivistisches Paradigma, das der Natur einen Selbstzweck einräumt, als identitätskonstitutive Haltung in Reaktion auf den anthropozentrischen und rational-instrumentellen Aufklärungsnaturalismus hervor.2 1 | Zielt Rosas Kritik der Resonanzverhältnisse auf eine »Analyse der kulturell und institutionell etablierten Weltbeziehungen im Hinblick auf ihre Resonanzqualität« (Rosa 2016: 749), so visiert auch dieser Beitrag eine immanente Form der Kritik an, die sich »orientiert an der inneren Widersprüchlichkeit der Realität und der diese konstituierenden Normen« (Jaeggi 2013: 287). So soll nicht lediglich überprüft werden, inwiefern die Lebenswelt ihren moralischen Grundlagen gerecht wird (etwa, ob die Moderne ihre eigenen Versprechen einlöst), sondern vielmehr die Wechselwirkungen selbst in den Fokus rücken, in denen diese Realität mit ihren normativen Voraussetzungen steht. 2 | Mit seiner Verankerung moralischer Güter und starker Wertungen im Prozess der personalen Identität stellt Taylor einen Nexus zwischen Ideengeschichte und Zeitdiagnose
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In seiner an konstitutiven Wertungen orientierten, prozessualen Konstitution personaler Identität ist das neuzeitliche Subjekt demnach einem Widerstreit zwischen diesen zwei wesentlich wirkmächtigen Haltungen ausgesetzt: »Die eine verknüpft ein lebendiges Gefühl für die Kräfte unserer desengagierten Vernunft mit einer instrumentellen Deutung der Natur, während sich die andere auf die Kräfte unserer schöpferischen Phantasie konzentriert und diese in einen Zusammenhang bringt mit einem Gefühl für die Natur als innerer Moralquelle. Diese Formen rivalisieren miteinander, und die Spannung zwischen ihnen ist eines der beherrschenden Merkmale der modernen Kultur.« (Taylor 2012a: 564)
Hieran anschließend erzählt auch Rosa (vgl. 2011: 42) die Moderne als Geschichte der Resonanzgefährdung und zugleich zunehmender Resonanzsensibilisierung eines so emanzipierten wie abgeschotteten Subjekts. Dessen empfundene, ästhetisch-kontemplative Sehnsüchte nach »einem psychoemotionalen Naturverhältnis, in dem Natur als primordiale Resonanzsphäre fungiert« (Rosa 2016: 467), stehen im Widerspruch zum institutionell dominanten, vernunftzentrierten Paradigma, das jene intrinsischen Wertungen nicht vorsieht. Diese Ambivalenz, so Taylor, wird aktuell in lebenspraktischen und semantischen Bezugnahmen auf die Natur kulturpraktisch reproduziert.3 Dabei werden romantisch-expressivistische Sehnsüchte in neuzeitliche Formen übersetzt und entfernen sich gleichsam von ihrem originären Beziehungsideal. Eine Naturerfahrung etwa, die im 18. Jahrhundert als das ›Erhabene‹ bezeichnet wird (vgl. Taylor 2012b: 562, 588; Latour 2012: 166), richtet sich auf eine majestätische und fremde Natur, die unabhängig waltet und deren Kräfte dennoch auf den menschlichen Geist, Gedanken und Leidenschaften wirken. Man fährt also in die Berge, um sich mit ihrem unermesslichen Ursprung zu konfrontieren her. Die rational-instrumentelle Haltung einer desengagierten Vernunft produziert demnach (vgl. Taylor 2012a: 180) ein subjektivistisches Vorurteil, das den genuinen Bezug auf intrinsische Güter a priori verstellt. Hiervon zeugen nicht zuletzt anthropozentrische Formulierungen ökologischer Argumente, die Umweltschutz im Sinne des gesicherten Fortbestehens der Menschheit auf Erden begründen. Auch das beispielhaft zum Motiv der Selbstverwirklichung pervertierte Ideal der Authentizität (als dem Gerechtwerden einer inneren Natur) findet seine Letztbegründung nunmehr in der ichbezogenen Erfüllung (vgl. auch Schulze 2000; Reckwitz 2012). 3 | Von der Annahme ausgehend, dass jeder Akt des kommunikativen Ausdrucks eine Erzählung ist, über die Grundmuster kultureller Sinnerzeugung erkennbar werden, umfasst der Begriff der kulturellen Praxis hierbei sämtliche alltagsphänomenale Formen. Eine solche an der Praxisdimension ausgerichtete Kritik der Lebensformen (vgl. Jaeggi 2012: 222f.) rückt die subjektive Welterfahrung in den Vordergrund, im Zuge derer erzählte Naturbegriffe kohärent werden.
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und ihrer Übermacht auszusetzen, kurz – um sich zu gruseln. Das romantische Motiv der Erhabenheit, das eine Resonanzerfahrung par excellence beschreibt, wird gegenwärtig von der Tourismusindustrie bedient. Indem Landschaftsausschnitte gezielt ästhetisiert und konsumierbar gemacht werden, verflachen Tiefe, Widerspenstigkeit und Unverfügbarkeit der verwandten wie sonderbaren, zuweilen als feindselig empfundenen Naturfigur (vgl. Taylor 2012b: 580). Die Logik der vorherrschenden, naturalistischen Welthaltung scheint sich hier über eine überkommene Kulturpraxis zu legen, deren Ursprünge in diesem Zuge verblassen. Intrinsische Natursehnsüchte werden vom instrumentellen Zugriff nicht nur überlagert, sondern geradezu vereinnahmt.4 Damit »scheitert die Etablierung einer Resonanzbeziehung […] an dem Versuch, Natur verfügbar zu machen und Resonanz zu kommodifizieren« (Rosa 2016: 469). Denn die Unverfügbarkeit sowohl des Gegenübers als auch des Sicheinstellens der Resonanzempfindung selber sind konstitutiv für deren Gelingen. Ein weiterer, geradezu prädestinierter Bereich für naturbezogene, ja esoterische Ausdeutungen ist die Ernährung: Von Vorstellungen der leiblichen Wechselwirkung zwischen Subjekt und Welt beeinflusst, gilt die Aufnahme ›biologisch‹ angebauter, gleichsam mit Ursprünglichkeit behafteter Nahrung in den eigenen Körper als unbedingt gesünder und hochwertiger als ›künstlich‹ und industriell bearbeitete oder gentechnisch veränderte Lebensmittel. Dabei wird ein Natürlichkeitsbegriff originärer Heilsamkeit beschworen, der ignoriert, dass Landwirtschaft und Pflanzenzucht immer schon eine kulturelle Bearbeitung der natürlichen Umwelt darstellen.5 Auch als ökologisches Ansinnen widerspricht der Gedanke, zu einer ursprünglichen Natur zurückkehren zu können, dem komplexen und dynamischen Wirken der Ökosysteme (vgl. Urry 2003). Er ignoriert die kulturellen Entstehungsgeschichten von ›Landschaften‹6 in untrennbarer Wechselwirkung mit Viehzucht, Ackerbau 4 | Diese Kritik entspricht dem maßgeblich von Luc Boltanski und Ève Chiapello (vgl. 2006) etablierten Argument einer Vereinnahmungsbewegung durch den sich durch Kritik stärkenden, kapitalistischen Geist. 5 | Im Bereich der Ernährung kulminiert das Ursprünglichkeitsethos im Trend der so genannten ›Steinzeitdiät‹, die eine dem Leben der Jäger und Sammler nachempfundene ›Paleo‹-Ernährung als natürlich und deshalb richtig und gesund propagiert (vgl. Fisch 2013). Mit der buchstäblichen Idealisierung einer vorzivilisatorischen Ernährung und Lebensweise zielt der ›Paleo‹-Trend auf eine offenkundige Sehnsucht des sich vom reinen, richtigen Leben im Einklang mit der unbearbeiteten Umwelt entfremdeten Subjekts der Spätmoderne. 6 | Im Rückgriff auf die Komplexitätstheorie der Physik verdeutlicht John Urry (vgl. 2003: 31f.), dass die Effekte menschlichen Handelns unwiderruflich in ›Landschaften‹ eingeschrieben sind und enttarnt somit die Vorstellung einer uranfänglichen Balance der Natur, die nur durch das Eindringen der Menschheit aus dem Gleichgewicht geraten
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und Wanderbewegungen und bagatellisiert potenziell katastrophale und irreversible Effekte anthropogenen Wirkens (vgl. Žižek 2008). Auch in den Formulierungen, die das Wirken der Natur im Subjektinneren aufgreifen, äußert sich ein kulturell überformter und tendenziell deterministischer Naturbegriff: Im Namen des Einklangs mit der natürlichen Ordnung werden Imperative dessen gebildet, was dieses Natursubjekt vorherbestimmt oder gar ›eingerichtet‹ habe: Im biologisch vorteilhaften Lebensalter Kinder (selbstverständlich auf ›natürlichem‹ Wege) zur Welt zu bringen, sie zu stillen und Krankheiten ausstehen zu lassen, anstatt sie durch Impfungen zu schützen. Es scheinen diesen vorreflexiven Deutungen zufolge insbesondere die unverfügbaren und potenziell krisenhaften Momente der Biografie zu sein, in denen subjektive Selbstbestimmung einem festen Muster und Programm der Natur weichen muss. Ein Verstoß gegen diese Vorgaben mithilfe kulturell hervorgebrachter Technologien kommt einem Eingriff in die ›heilige‹ Schöpfung gleich (vgl. auch Rosa 2009: 172f.). Besonders anschaulich wird dies am Beispiel des Desiderats einer ›natürlichen‹ Geburt. Vor dem Hintergrund, dass Geburten (und Schwangerschaften) heutzutage zumeist in hochtechnisierten Krankenhausumgebungen stattfinden und nach Möglichkeit jede Eventualität antizipiert wird, manifestiert sich der Imperativ des Gebärens ›wie die Natur es eingerichtet hat‹ geradezu als Antithese des rationalistischen Verkennens einer heilsamen Natur. Die Broschüre einer Hebammenpraxis etwa beteuert: Die Natur habe das Ereignis der Geburt als wunderschöne und friedliche Erfahrung vorgesehen, die mithilfe von Hypnosetechniken (also sowohl introspektiv als auch mechanistisch) erfahrbar werde (vgl. Vorhölter o.J.). So genannte alternativmedizinische Ansätze, die ein solches, wohlwollendes Natursubjekt und dessen planvolle Vorsehung beschreiben, erfahren in Konkurrenz zur suspekt gewordenen Schulmedizin großen Zulauf. Das große Missverständnis scheint hier in der radikalen Ablehnung verdinglichender Weltzugänge zu liegen, obgleich der naturwissenschaftlich-medizinische Status Quo (als Ergebnis instrumentell-rationaler Welthaltung) bestimmte resonante Erfahrungen erst ermöglicht (vgl. Rosa 2016: 741). So eröffnet der Hintergrund einer ›sichernden‹ Schulmedizin erst den Möglichkeitshorizont, krisenhafte Grenzmomente wie die Geburt überhaupt zu romantisierten Erlebnissen werden zu lassen. Die Gefahr, die von den ›natürlichen‹ Kräften ausgeht, und damit das resonanzkonstitutive, unverfügbare Moment aber ist gebannt. Die romantisch anmutenden Überzeugungen, dass sich das Gute als natürlicher Elan in inneren Empfindungen zugänglich wird, verselbstständigen sich so zu moralisch überhöhten Naturformulierungen, die Grundlage des Ideals vertikaler Resoist, als Ideologie. Auch die ästhetische Hervorhebung sowie das Identifizieren schützenswerter Umweltgebiete offenbart die diesen Praktiken zugrundeliegenden, kulturellen Zuschreibungen (vgl. Schama 1996).
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nanz bleiben und zugleich nicht im Rahmen dieser erfahrbar sind. Ganz abgesehen davon ist es nicht im Interesse der Subjekte, werden ihnen qua Natur bestimmte Eigenschaften unterstellt, denen sie selbsterfüllend gerecht werden müssen. Gelten Frauen etwa natürlicherweise als kompetent in reproduktiven und fürsorglichen Bereichen, so wird diese Natur zum rhetorischen Aufgebot gegen weibliche Selbstbestimmung. ›Die‹ Natur wird somit zum rhetorischen Aufgebot gegen die weibliche Autonomie. Die Kritik der Resonanzverhältnisse, auf die Rosa zielt, identifiziert die gegenwärtigen Erscheinungen entfremdeter Naturverhältnisse primär als Ergebnis des Zwiespalts zwischen kontemplativer Sehnsucht und instrumenteller Verfügbarmachung. Wie sich zeigt, fungiert die romantische Naturverherrlichung hier jedoch keineswegs als Quelle der idealen Resonanzbeziehung, die der instrumentellen Vernunft schlicht zum Opfer fällt. Vielmehr hat das romantisch-expressivistische Paradigma selbst »zur Entwicklung einer kulturellen Haltung beigetragen, in der Naturerfahrung zu einem Refugium der (nur) außeralltäglichen und (nur) kontemplativen Weltbeziehung wurde« (ebd.: 471). Da in dieser Erfahrung »ein naturästhetisch-rezeptiver oder romantisch-kontemplativer Wahrnehmungsmodus« (ebd.: 468) dominiert, bleibt die Beziehung einseitig und gelingende Resonanz verstellt. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die genannten kulturpraktischen Beispiele einer semantischen und symbolischen Berufung auf die Natur, so erscheinen diese als Vermittlungsleistungen zwischen einem responsivitätssuchenden Subjekt und der stummen Natur. Sie sind durchzogen von Ausdrücken, die dem, was ›die Natur eingerichtet hat‹, moralische Qualität und imperativen Charakter zuschreiben: Was die harmonische und ursprüngliche, ja wahrhaftige und intrinsisch gute Natur vorherbestimmt hat, wird zur lebensweltlichen Orientierung, zum transzendenten Legitimationshorizont und zum moralischen Gesetz. So schleichen sich kulturelle Einschreibungen in die als feststehend formulierte Naturordnung ein.7 Dass diese vorbehaltlos als gut gelten muss, während ihre Quelle selbst nicht als konstitutives Gut erfahren werden kann, entpuppt sich so als folgenreicher Widerspruch. In der Ausgestaltung von Resonanzverhältnissen, so wird hier umso deutlicher, ist die Frage nach hegemonialer Bedingtheit unverzichtbar (vgl. Rosa 2016: 757ff.). Vor dem Hintergrund einer sozialwissenschaftlich bereits etablierten (Ideologie-)Kritik an essentialistischen und deterministischen Naturnarrationen (vgl. u.a. Butler 2014; Nussbaum 2002) darf die Resonanztheorie den Zusammenhang zwischen diesen problematischen ›Naturalisierungsphänomenen‹ (vgl. Jaeggi 2013: 269) 7 | So wird etwa die Geburt übergangsrituell begleitet (vgl. Villa et al. 2011) und obliegt der symbolischen, kulturellen gewachsenen Deutung durch Expertenwissen befähigter Personen.
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und dem Resonanzimpetus nicht ignorieren. Wie Rosa einräumt, eignet sich »[d]ie wahre menschliche Natur […] nicht zur Bestimmung des ›Anderen‹ der Entfremdung« (2016: 301), also als fundamentale Resonanzkategorie. Widersprüchlich bleibt daher, warum ebendiese kulturpraktisch erzählte Natur als Gegenüber der gelingenden Resonanzbeziehung gleichwohl affirmiert und aus der Kritik der Resonanzverhältnisse ausgenommen wird.
2. D ie N atur als mor alische A utorität Um der subjektiven Empfänglichkeit für ideologische Festschreibungen vermeintlicher Naturvorgaben auf den Grund zu gehen, ist die Erklärung einer durch instrumentelles Denken überschriebene Mensch-Natur-Beziehung offenbar unzureichend. Vielmehr wird das beziehungstheoretische Motiv interessant, das die Vorstellungen einer nicht nur antwortenden, sondern auch vorschreibenden und strafenden Natur in der subjektiven, moralisch-spirituellen Orientierung vorreflexiv kohärent macht. Mit der resonanzfunktionalen Äquivalenz von Natur und Religion führt Rosa (vgl. 2016: 452) ein solches Argument ins Feld. So verweisen die Formulierungen einer vorsehungsreichen Natur, die sämtliche Okkasionen des Lebens vorherbestimmt und das Leben der Menschen auf harmonische Weise eingerichtet habe, auf eine transzendente Verortung dieser Natursphäre. Schon den von Charles Taylor identifizierten, ideengeschichtlichen Quellen neuzeitlicher Identität zufolge tritt die Idee der Natur strukturähnlich zur Religion als Gegensphäre des anthropozentrischen und profanen Aufklärungsrationalismus hervor: »Die moralische Ausdeutung des Erhabenen und große Teile des nach dem achtzehnten Jahrhundert entstandenen kosmischen Vorstellungsschemas können als Reaktion auf Seichtheit und Anthropozentrismus verstanden werden. […] Das Übermenschliche in Gott zu finden, ist nicht mehr ohne weiteres möglich, aber es zeigt sich in der furchterregenden Andersheit riesiger Gebirge und tosender Ströme. Diese können ihrerseits unter Bezugnahme auf Gott und die Schöpfung verstanden werden, aber solche Erlebnisse können auch in andere Richtungen geleitet werden.« (Taylor 2012b: 576)
Mit diesem Verweis auf die Deutungsoffenheit transzendenter Moralquellen verdeutlicht Taylor die Priorität der spirituellen Erfahrung vor dem spezifischen Bezug. Gleichzeitig geht die Erfahrung von Transzendenz erst in konstitutiven Gütern auf, »insofern wir uns zur moralischen Stärkung in der ihnen jeweils angemessenen Weise auf sie beziehen, sei es durch Kontemplation, Beschwörung, Gebet oder sonst ein Verfahren« (Taylor 2012a: 549). Auch die Stimme der Natur kann demnach durch eine dem Gebet äquivalente Beziehungspraxis von Introspektion und Transzendenz zugänglich werden (vgl.
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Rosa 2016: 441f., 457ff.) und ist an bestimmte Vorstellungen von Ursprung und Tiefe gekoppelt: Die resonante Naturerfahrung »erwächst aus der Überzeugung, dass ›tief in uns‹, an der Wurzel unserer Existenz und damit aller Sozialisation und Zivilisation vorgelagert etwas ist (unsere innere Natur), das mit der äußeren Natur oder den Elementen verbunden ist und das auf diese reagiert und antwortet« (Rosa 2016: 460).
Eines der aussagekräftigsten Beispiele quasi-religiöser Naturbeschwörung führt Rosa (vgl. 2016: 464f.) mit den Beschreibungen eines strafenden Naturakteurs im Falle von Unwettern und Klimakatastrophen an, die Zusammenhänge zwischen menschenverursachten Umweltsünden und einer antwortenden Natur herstellen. Ähnlich erscheint die Natur in Umweltschutzkampagnen als eine wahrhaftige, authentische und sich eigenständig sowohl dem Menschen gegenüber als auch in ihm selbst äußernde Kraft: Der Kurzfilm »I am Nature« (WWF o.J.) verfolgt einen Anzugträger vom nackten, ursprünglichen Leben im Wald ins Großraumbüro. »Nature is Speaking« (2014) setzt sich aus einer Reihe stellvertretend eingesprochenen Plädoyers der Luft, des Wassers, des Feuers, des Waldes u.a. zusammen, die an ein inneres, ökologisches Bewusstsein appellieren. Aus dem melodramatischen Pathos spricht mit aufdringlicher Deutlichkeit das romantische Motiv der Erhabenheit, das ebenso überwältigen wie berühren soll. Dennoch bleibt die hier vorgetragene, vermeintliche Stimme der Natur eine stellvertretende Formulierung der DrehbuchautorInnen. Das subjektive Empfinden, das sie auslösen soll, gleicht deshalb vielmehr einer sekundären Folgung der transzendenten Idee, anstelle einer der genuinen Resonanz entsprungenen Einsicht. Durch den intuitiven Konsens begründet, sich mit dem ausschließlich instrumentellen Zugriff am heiligen Natursubjekt versündigt zu haben, scheint diese Natur nun zurückzuschlagen und ökologische Zurückhaltung zu gebieten. Verkörpert Religiosität die subjekttranszendierende Weltbeziehung par excellence, so ist das Verharren in einer entfremdeten Haltung zur Welt, in der der Mensch die ihn umgebenden Naturdinge als erforschbare Ressourcen und formbare Objekte behandelt, Sünde (vgl. Rosa 2014: 8; 2016: 447). Das vorreflexive Gefühl der Heiligkeit der Wildgebiete und der Versündigung an ihnen, aber auch die Vorbehalte gegenüber der Entwicklung gentechnischer Eingriffsmöglichkeiten zeugen von dem Eindruck, etwas ›Heiliges‹ werde berührt, das Demut verlange (vgl. Rosa 2009: 172f.). Beim Erscheinen der Natur als sanktionierender Akteur handelt es sich deshalb um eine Antwort, die grausam und zugleich nicht sinnlos ist. Ihr entspricht Bruno Latours (2012: 181ff.) postnatürlicher Begriff von »Gaia« als multiaktive Komposition wissenschaftlich erzeugter Phänomene, die der Menschheit gegenübersteht und sie geopolitisch herausfordert. »Gaia« agiert nicht gleichgültig, sondern vielmehr empfindlich
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auf den menschlichen Eingriff, gleichwohl ist sie auf keine ontologische Einheit angewiesen. Sie ist »nichts weiter als eine Menge kontingenter, positiver und negativer kybernetischer Schleifen« (Latour 2012: 184). Vorstellungen von teleologischer Handlungsträgerschaft oder gar geordneter Vorsehung finden hier keinen Platz. In der tiefenresonanten Naturerfahrung indessen, in der religiöse und ästhetische Empfindungen miteinander verschmelzen (vgl. Rosa 2016: 197), gehen sowohl die natürliche als auch die göttliche Ordnung auf eine intrinsisch gute Vorsehung zurück. Von der Ernährung und der Gestaltung des Körpers über die Impfverweigerung bis zur ›natürlichen‹ Geburt erstrecken sich Beispiele moralisierender Deutungsangebote, die sich auf eine solche, vermeintliche Vorsehung berufen. Die im Zuge ihrer quasi-religiösen Beschwörung festgeschriebene Natur (vgl. Rosa 1998: 388f.) ist keine deutungsoffene Moralquelle, die sich im spontanen, expressiv-schöpferischen Ausdruck verwirklicht. Vielmehr kann ihre Formulierung als feststehende Ordnung und Kraft geradezu beliebig vereinnahmt und somit zum Gegenstand übersetzender Instanzen werden. Als resonanzfunktionales Äquivalent der Religion scheint der Legitimationshorizont der Natur somit deren Schicksal zu teilen: In verweltlichten Übersetzungen verkommt die Sinnstiftung zur reinen Rhetorik und zum Gegenstand individualistischen Wählens, wie Thomas Luckmann in seinem einschlägigen, religionssoziologischen Werk ›Die unsichtbare Religion‹ (1991) beschreibt: Demnach führt der Bedeutungsverlust einer modernen, institutionell-spezialisierten Form der Religion zu einer neuen, synkretistischen Sozialform von privatisierter Religiosität. Was zuvor durch kollektiv und institutionell verbindliche Ordnungen bestimmt war, wird nun offen für sekundäre Deutungen und zuletzt geradezu beliebig und privat gewählt. Die kulturpraktisch fortgetragene »Vorstellung von der Natur als Gegensphäre zur Gesellschaft« (Rosa 2016: 470) verdeutlicht, inwiefern auch den romantisch-expressivistischen Figuren eine Kulturleistung der Grenzkonstruktion zwischen der Menschheit und einer unabhängig waltenden, ontologisch eingegrenzten Sphäre der Natur innewohnt, indem sie ihnen schlicht vorausgeht. So liegt auch dem normativen Anliegen, den Dualismus zu überwinden, ein Beharren auf seinen Bewusstseinskategorien zugrunde. Wie Rosa deutlich macht, wird die Natur erst als eine dem Subjekt gegenüberstehende, unverfügbare und widerständige Entität zur zentralen Resonanzsachse der Moderne – »eine Kulturleistung, die sich vermutlich erst vollziehen konnte, nachdem sich das kulturelle Leben von den Naturrhythmen und (den je lokalen) Naturgegebenheiten weitgehend emanzipiert hatte« (ebd.: 455). Die Ermächtigung des Subjekts über die eigenen Grenzen und seine Emanzipation über die es durchdringenden Kräfte und Mächte, denen es sich zuvor als ausgeliefert empfand, sind somit Grundlage für das Resonanzideal. In den gegenwärtigen, alltagsphänomenalen Explikationen offenbart sich jedoch vielmehr eine Regres-
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sion zur symbolischen Unterordnung unter die Vorgaben dieser Natur. Das ontologisierte Gegenüber als handelndes Subjekt evoziert gleichsam zu einer autoritären, moralischen Instanz. Es scheint, als weite sich in diesem Zuge der Bereich einer als gegeben empfundenen Natur zunehmend auf das kulturell hervorgebrachte aus. Entgegen dem Eindruck, dass sich die Welt unter dem naturalistischen Paradigma zunehmend in bearbeitbare Einzelteile auflöst, ordnen diese Formulierungen immer mehr gesellschaftliche Bereiche vermeintlich feststehenden Naturgesetzen unter und ›naturalisieren‹ sie gleichsam zu äußeren Sachzwängen (vgl. Rosa 1998: 409). Diese Problematisierung der vertikalen Resonanzsphären von Natur und Religion wirft schließlich die Frage auf, ob das Erscheinen einer verdinglichten, moralisch-autoritären Stimme der Natur oder Gottes auf die Grenzkonstruktion zwischen einer gemachten Kultur und der feststehenden Natur zurückzuführen ist. Da sowohl religiöse als auch naturlegitimierte Sinnsysteme sedimentierten Traditionsbeständen und metaphysischen Vorstellungen in Form von ontologisierten Gütern moralische Bedeutung verleihen (vgl. Rosa 1998: 392), liegt es nahe, diese Entwicklung als eine spezifisch vertikale Problematik zu betrachten. Den transzendenten Konzeptionen vertikaler Resonanzgegenüber wohnen also selbst Tendenzen inne, eine genuine Antwortbeziehung zu verunmöglichen oder zumindest zu erschweren. Dabei tritt indes nicht nur die historische Plastizität des Naturbegriffs als ideengeschichtliches Ergebnis in den Hintergrund. Vielmehr gelten alle aus dieser essenzialistischen Natur hervorgehenden Gesetze als unverrückbar und können dennoch, bleibt das intendierte Verhältnis stumm, beliebig formuliert werden: Was die Natur eingerichtet hat, wird nicht in kontemplativer Resonanz vernommen, sondern entspringt spirituellen, esoterischen, medizinischen, meteorologischen Deutungen Dritter. Gleichzeitig ist es nicht nur das beschworene Naturgegenüber, das nicht ›mit eigener Stimme spricht‹: Aufgrund der fragilen Selbstwirksamkeitserwartungen im Modus des passiven Affiziertwerdens bleibt auch das neuzeitliche Subjekt der Natur gegenüber sprachlos, wie Rosa (vgl. 2016: 467ff.) explizit macht. Erhält die Welt in vertikalen Beziehungsmomenten an unterschiedliche konstitutive Bezüge gekoppelt – an Gott, die Natur, das Leben oder die Geschichte – als umfassendes Gegenüber eine Stimme (vgl. Rosa 2016: 331), so lässt sich diesem transzendenten Gegenüber kaum subjektive Selbstwirksamkeit entgegensetzen. Der Eindruck des Gehörtwerdens und damit das transformative Element genuiner Resonanz bleiben tendenziell aus (vgl. Rosa 2016: 451f.). In der Sprachlosigkeit fallen die Kerndimensionen der gelingenden Resonanzbeziehung – »des pathischen Berührtwerdens und des selbstwirksamen, intentionalen Handelns« (ebd.: 467) – auseinander.8 8 | In dieser Kluft erblickt Rosa die Wurzel unbeholfenen Umwelthandelns und religiös motivierter Gewalt (vgl. ebd.: 451, 461).
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Rosa zeigt hiermit durchaus ein kritisches Gespür für die Tendenzen der romantischen Naturnarrative, ein »(politisch durchaus gefährliches) romantisches Sehnsuchtskonzept« (Rosa 2016: 298) zu werden. So wittert die Resonanztheorie selbst die Gefahren eines einseitigen, pathischen und zuweilen autoritativen Beziehungsideals, nutzt dieses Potenzial jedoch nicht im eigenen Interesse. Derselbe Bestand romantisch-expressivistischer Figuren wird zum Gegenstand jener Resonanzempfindungen, die Rosa aufgrund ihrer kulturellen Wirksamkeit als Ideale übernimmt.9 Zwar wird das Problem der stummen Resonanzachse durch die beziehungstheoretisch in Anschlag gebrachte Ambivalenz im Zugriff auf die Natur verständlich. Lösbar wird es jedoch nicht durch eine Kritik an ebendiesem Zwiespalt bzw. am Übergewicht der einen oder anderen Seite, sondern vielmehr durch ein Überdenken des affirmativ als Ideal übernommenen Naturbegriffs selbst.
3. B r aucht R esonanz einen romantischen N aturbegriff ? »Der Fehler des dualistischen Paradigmas liegt in der Definition der menschlichen Natur« wie Bruno Latour (2002: 262) seinen Versuch begründet, die Selbstverständlichkeiten des modernen Vorstellungsschemas von Natur und Kultur aufzubrechen und die hybride Verfasstheit der sozialen Welt zu enttarnen. Rosa erachtet die eine solche Kritik am Natur-Kultur-Dualismus und an der Idee der ursprünglichen Natur als wenig hilfreich, da sich Resonanzbeziehungen aus »praktisch-tätigen und emotional bedeutsamen Erfahrungen« (ebd.: 461) statt aus kognitiven Lernprozessen etablieren. Entscheidend ist ihm zufolge vielmehr, dass die Idee einer »Korrespondenz und Resonanz zwischen innerer und äußerer Natur« (Rosa 2009: 172) in der moralischen Orientierung und Selbstbeschreibung des modernen Subjekts lebendig ist. Der Anspruch Latours ist jedoch gerade eine Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs, indem er dafür plädiert, nicht-menschliche Akteure qua Handlungsträgerschaft zu sozial relevanten Entitäten zu erheben.10 Das Aufscheinen romantischer Figuren in der spezifischen Konstruktion des Naturgegenübers zeigt unterdessen, inwiefern kulturpraktisch perpetuierte Resonanzempfindungen immer schon durch kulturelle Narrative, Imaginationen und somit durch hegemoniale Weltauffassungen vorstrukturiert sind (vgl. 9 | Ganz im Sinne Taylors bleibt es die Rückbesinnung auf freigelegte, moralische Quellen und spirituelle Narrative, die den identitätsbegründeten Impetus gegen subjektive Leidens- bzw. Entfremdungserfahrungen liefert. 10 | Sowohl das Programm Latours wie auch die Arbeit Philippe Descolas (vgl. 2013) zielen auf eine Ökologie ab, die sich von jenen epistemologischen Selbstverständlichkeiten löst..
Die ›wahre‹ Natur des ver tikalen Resonanzversprechens
Schama 1996).11 Zwar veranschaulichen insbesondere die Auswüchse der kommodifizierten ökologischen Handlung einen solchen kulturell hervorgebrachten Mechanismus, einer Unbeholfenheit, ja Sprachlosigkeit gegenüber der Natur in Form von sekundär formulierten Deutungsangeboten zu begegnen. Darüber hinaus allerdings spricht vor allem das religiös anmutende Ursprünglichkeitsnarrativ der wahren Natur für eine Problematik, die nicht nur dramatischere (bio-)politische Auswirkungen zeitigen, als dass Resonanzerfahrungen verstellt bleiben. Zugleich weist die ihnen zugrunde liegende, strukturell religiöse Anrufung auf einen dem Ideal selbst innewohnenden Widerspruch hin, der sich nicht erschöpft im Drama einer schweigenden Natur ob der gleichzeitigen Überzeugung, dass diese doch etwas zu sagen haben müsse. »[N]ature tinkers and improvises, with great losses and catastrophes accompanying every limited success […]. [C]atastrophes, broken equilibriums, are part of natural history; at numerous points in the past, life could have turned into an entirely different direction. […] ›nature‹ qua the domain of balanced reproduction, of organic deployment into which humanity intervenes with its hubris, brutally throwing off the rails its circular motion, is man’s fantasy.« (Žižek 2008: I)
Die Natur, so verdeutlicht diese Beschreibung des darwinistischen Chaos’ und Prinzips von ›Trial and Error‹ hat nicht alles zu einem ausgewogenen System des Wohlgefallens eingerichtet.12 Diese Vorstellungen sind ideologisch, deterministisch, mitunter anti-feministisch und bagatellisieren die potenzielle Umweltkatastrophe. Was ihrer Wirksamkeit indessen immer wieder zugrunde liegt, ist ein Resonanzstreben, das auf eine romantisch idealisierte, stumme Natur trifft. Im Interesse der Resonanz selbst, für die die nichtmenschliche Umwelt zweifelsohne ein zentraler Erfahrungsraum ist, lohnt es sich deshalb möglicherweise, den ideologisch überhöhten Naturbegriff als idealisiertes Gegenüber preiszugeben. Inwiefern also, so ließe sich mutmaßen, muss der ideengeschichtlich gewachsene Kollektivsingular ›der Natur‹ ein Quasisubjekt 11 | Simon Schama (vgl. 1996: 16, 20ff.) demonstriert in seinen Schilderungen originärer Naturerzählungen, -mythen und -bilder, »daß die kulturellen Gewohnheiten der Menschheit immer Platz für die Heiligung der Natur gelassen haben« (ebd.: 28). Der Naturbegriff entpuppt sich hier als Kulturleistung der Imaginationen und Erinnerungen, die sich an Ausschnitte der nichtmenschlichen Umwelt haften. 12 | Es liegt auf der Hand, dass die Identitätsfrage für die Formulierung von Handlungszielen, für die Ethik und die praktische Philosophie im Allgemeinen unverzichtbar ist: Werden alle Begriffe erkenntnistheoretisch unterhöhlt und die gesamte Biosphäre, den Menschen inbegriffen, nur mehr als komplexes Konglomerat einer chaotischen und unvorhersehbaren Dynamik abgehandelt, so droht die Frage, wie das zukünftige Leben auf Erden gesellschaftlich (mit-)gestaltet werden kann, gleichsam unartikulierbar zu werden.
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sein, damit Resonanzerfahrungen mit terrestrischen Einzeldingen möglich sind? Die Vermutung, dass auch die Ambivalenz zwischen einem instrumentellen und einem kontemplativen Naturverhältnis immer wieder auf die epistemischen Widersprüchlichkeiten eines romantisch-expressivistischen Naturbegriffs selbst zurückzuführen sein könnte, vermöchte so den Kritikmaßstab der resonanten Weltbeziehung für ein gelingendes Leben womöglich zu retten.
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Resonanz und die Romantik 1 Charles Taylor
1 In diesem Beitrag möchte ich einen Aspekt Hartmut Rosas fruchtbarer Idee der Resonanztheorie untersuchen, nämlich, dass das Gute Leben ohne Resonanzbeziehung zwischen dem Selbst und der Welt unmöglich ist. Zunächst eine Charakterisierung dieser Beziehung: »In diesem Modus [der Resonanz, Ch.T.] erlebt das Subjekt die Welt […] als ›antwortend‹, entgegenkommend und tragend. Die Verbindung ist hier von intrinsischer Natur und Bedeutung, nicht kausal und instrumentell, sondern konstitutiv. In diesem Modus vermag das Subjekt, sich die Welt auf eine Art und Weise ›anzuverwandeln‹, die das Wesen des Selbst in dieser ›Verbundenheit‹ verändert (Anverwandlung anstelle simpler instrumenteller Aneignung). So kann der Resonanzmodus als ein Modus definiert werden, in dem das Selbst bewegt und berührt wird, sich als ›für etwas bestimmt‹ oder ›angesprochen‹ erlebt, aber sich auch selbst in der Lage fühlt, die äußere Welt zu erreichen, sie zu berühren oder zu bewegen.« (Rosa 2014: 2f.)
Ich bin der Ansicht, dass es überaus lohnenswert ist, das Verhältnis des Resonanzkonzepts zur Epoche der Romantik zu untersuchen, weil es erstens dort seinen Ursprung hat; und zweitens weil das romantische Gedankengut uns noch immer viel über die Natur und Bedeutung des Resonanzkonzepts lehren kann. Das Konzept der Resonanz ist auf mehrere Arten auf den Menschen anwendbar. In anderen Worten: Es gibt viele Facetten des menschlichen Lebens, bei denen wir über »Resonanz« sprechen könnten. Wir können dem Konzept in Bezug auf unsere Jobs oder unser Berufsleben, in Bezug auf unser Liebesleben, aber auch in Bezug auf Natur, Kunst und Religion Bedeutung verleihen. Diese stellen, in Rosas Terminologie gesprochen, verschiedene »Resonanzachsen« dar.
1 | Übersetzt von Hanna Ketterer.
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Wenn ich im Folgenden den Ursprung des Konzepts in der Epoche der Romantik diskutiere, werde ich mich auf unsere Beziehung zur Natur und zur Kunst konzentrieren; und darüber hinaus zeigen, dass die beiden Beziehungen aufs Engste miteinander verbunden und verschränkt sind.
2 Aber zunächst ein Satz dazu, was ich unter der Epoche der Romantik verstehe. Ich konzentriere mich hier hauptsächlich auf deutsche Schriftsteller_innen der 1790er Jahre, weil ich glaube, dass diese Generation unser Verständnis von Sprache, Kunst und unser Verhältnis zur Natur wahrhaftig revolutioniert hat. Damit möchte ich andere nationale Literaturen der Zeit keineswegs vernachlässigen oder missachten: selbstverständlich leisteten englische, französische, italienische und andere europäische Autor_innen ihren Beitrag zur romantischen Transformation im Denken und Fühlen; ein vollständigerer Beitrag würde auch Musik, Bildmalerei und andere Künste in die Betrachtung miteinbeziehen. Aber ich meine, dass die deutschen Autor_innen dieser Zeit einige Schlüsselideen ausarbeiteten, die sich später in anderen Nationen und deren Literaturen verbreiteten, indem sie ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich der Dichtung 2 (verstanden in einem weiteren Sinn) widmeten. Deshalb mag es hilfreich sein, das Denken – man könnte auch sagen die Ontologie – der Generation der Romantiker_innen der 1790er darzustellen. Ich werde dies in aller Knappheit in sieben ineinandergreifenden Thesen darlegen. Die erste These (1) ist, dass die Romantiker_innen, inspiriert durch Johann Wolfgang von Goethe, einen von Baruch Spinoza abgeleiteten Pantheismus vertraten. Die Leser_innen, die Spinoza beim Wort nehmen, wären erschrocken, weil diese Sichtweise den Denker des 17. Jahrhunderts vollständig von seinen cartesianischen Wurzeln trennte. Natur sollte nicht mechanistisch, sondern vielmehr als lebendiger Organismus verstanden werden. Die Romantiker_innen rebellierten gegen eine tote, mechanische Auffassung von Natur, und sie rebellierten auch gegen den Geist-Körper-Dualismus sowie gegen einen rein instrumentellen Zugang zur Natur. Sie lehnten (a) disziplinierende Strukturen ab, welche Impulse, insbesondere erotische, kontrollierten; insbesondere (b) die Disziplin, welche auf effektive Bearbeitung der Welt abzielt; auch lehnten sie (c) Schuldzuweisungen ab, dass störende, besonders erotische Impulse (a) und (b) durcheinanderbrächten. Sie sehnten sich stattdessen nach einer Einswerdung des Selbst mit sich selbst, einer Einheit mit seinen Emotionen, mit der Natur in uns und mit der Natur als Ganzem. In dieser Hinsicht war Goethe 2 | Deutsch im Original.
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eine ihrer Hauptinspirationsquellen (auch wenn ihm ihre rebellischeren Positionen eher unbehaglich waren). So lautet die zweite These (2), dass unsere Seele mit dieser Gesamtheit, der Natur, kommuniziert. Die Natur resoniert in uns und wir steigern diese Resonanz durch unseren Ausdruck und durch Kunst. Aber, so die dritte These (3), erfuhr die gesamte Naturvorstellung eine moderne Wende: Die Natur ist nicht nur ein statisches Set oder ein geordneter Kosmos schöner Formen, vielmehr arbeitet sie, entwickelt sich, produziert immer höhere Formen. Spinozas natura naturans wird als etwas in Bewegung, in einem Prozess der Entfaltung Befindliches betrachtet, in dem sie ihre adäquate Form sucht. Darüber hinaus, so die vierte These (4), entspricht das dem, was auch wir Menschen tun. Auch wir sind bestrebt, unsere wahre Form durch kreativen Ausdruck zu ergründen. In der Tat ist es diese neue Anthropologie, die hinter der neuen Auffassung von Natur (und vielleicht umgekehrt) liegt. Diese Idee des Ausdrückens ist verbunden mit einem neuen Ideal der Freiheit (5); es ist eine Facette der neuen Auffassung von Freiheit als vollkommener Autonomie, die zugleich ein ethisches und politisches Ideal darstellte. Immanuel Kant ist der bedeutendste Vertreter dieses Ideals, gefolgt von Johann Gottlieb Fichte, F.W.J. Schelling und G.W.F. Hegel. Die Thesen (3) und (4) legen in Verbindung mit These (5) nun die sechste These (6) nahe: Das Ideal einer vollkommenen Versöhnung von Freiheit und Einheit mit der inneren und äußeren Natur. Der Fortschritt findet seinen Ausdruck in einem Geschichtsnarrativ, die sogenannte ekzentrische Bahn (vgl. Hölderlin 1994): Ein Anfangsstadium der harmonischen Einheit von Freiheit und Natur wird verlassen, sodann gehen wir durch eine Phase der Opposition von Freiheit und Natur, um anschließend zu einer höheren Einheit zurückzukehren. (Dieses Ziel wurde häufig knapp als die Kombination von Fichte und Spinoza verstanden.) Die letzte These (7) zur Ironie: Der Weg zur vollkommenen Versöhnung (6) ist wahrscheinlich nie vollständig; möglicherweise werden wir immer streben und einen Abstand aushalten müssen. Ironische Gefühle indes drücken diese Diskrepanz aus, indem sie zeigen wonach wir streben (vgl. Richards 2002; Beiser 2003). Aus dieser Ontologie ergibt sich der Versuch, eine ursprüngliche Sprache wiederherzustellen, die ihre Gegenstände versteht. Wir Menschen entwickeln uns wie die Natur sich entwickelt und tatsächlich entspricht unsere eigene gelingende Entwicklung derjenigen der Natur: sie bringt sich zu Bewusstsein und vereint sich mit der Freiheit. Im Grunde nehmen wir an der Entwicklung der Natur teil, die einen bewussten Ausdruck verlangt, damit ihr Endpunkt verwirklicht wird. Wir sind der Ort, an dem sich die Natur über sich selbst bewusst wird. Viele der romantischen Autor_innen der 1790er Jahre teilten
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die später bei Schelling (und in einer rationalistischeren Variante bei Hegel) entfaltete Sichtweise, dass die volle Verwirklichung der Natur eines bewussten Ausdrucks bedarf, die nur der Geist ihr geben kann. Kunst (oder Philosophie) und Natur kommen in Einklang, weil sie gemeinsam zur Erfüllung gelangen. Wir finden unsere eigenen Zwecke in der Natur, die deswegen richtig gelesen werden muss. Aber unsere ekzentrische Bahn hat uns aus der unmittelbaren Einheit mit der Natur herausgerissen und wir können sie nicht mehr einfach so verstehen. Was romantische Kunst und Dichtung zu leisten versucht, ist die Wiederherstellung eines adäquaten Verständnisses der Natur und dies bedeutete notwendigerweise, eine Form des symbolischen Zugangs zu schaffen. An dieser Stelle erscheint es hilfreich, die romantische Idee des Symbols zu erläutern (verwirrenderweise von manchen Autor_innen auch als ›Allegorie‹ bezeichnet, obwohl das Konzept sich eindeutig vom gewöhnlichen Gebrauch des letzteren unterscheidet). Wie kann das Unendliche an die Oberfläche, zur Erscheinung 3 gebracht werden?, fragt August Wilhelm Schlegel. »Nur symbolisch, in Bildern und Zeichen«, antwortet er. Dichtung erreicht genau dies: »Dichten […] ist nichts anderes als ein ewiges Symbolisieren: wir suchen entweder für etwas Geistiges eine äußere Hülle oder wir beziehen ein Äußeres auf ein unsichtbares Inneres.« (Schlegel 1963: 81f.)
3 In den vorhergehenden Ausführungen zeichnet sich bereits ab, dass die romantische Bewegung der Ursprung (oder zumindest einer der Ursprünge) unserer heutigen Idee der Resonanz ist. Gewissermaßen geht die Geschichtsauffassung der Romantiker_innen davon aus, dass wir als Preis für unser Verständnis und für die Entwicklung rationaler Freiheit ein ursprünglich resonantes Verhältnis zur Natur verloren haben; und dass wir auf einer höheren Ebene eine neue Resonanzbeziehung wiederherstellen müssen, welche es ermöglicht, diese Freiheit miteinzubeziehen. Darüber hinaus wird deutlich, wie die Resonanzachsen der Kunst und der Natur für die Romantiker_innen ineinander verschränkt sind. Um jedoch (a) jene Auffassung von Sprache, Natur und Kunst zu klären, und (b) die Leser_innenschaft zu überzeugen, dass diese Theorien für uns heute noch immer relevant sind, muss noch einiges mehr ausgeführt werden. Diese beiden Ziele stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander; man könnte sogar glauben, sie seien widersprüchlich. Ausgehend vom bisher Gesagten könnten viele Leser_innen schließen, dass die romantische 3 | Deutsch im Original.
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Perspektive eine Metaphysik einschließlich einer teleologischen und den modernen Naturwissenschaften widersprechenden Naturauffassung beinhaltet, die für sie als moderne Leser_innen nicht akzeptabel erscheint. Die reine Erläuterung der romantischen Perspektive wird also wenig hilfreich sein, wenn es darum geht, jene Menschen von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Wir werden später zu diesem Aspekt zurückkommen. Zunächst (a) möchte ich aber eine umfassendere Betrachtung des romantischen Verständnisses von Sprache und Natur anstellen. Sprache, die richtige Sprache, jene der Dichtung4 (in einem weiteren Sinn), ist unser Mittel, den verlorenen Kontakt mit der Natur wiederherzustellen. Dies geschieht, indem wir Dimensionen der Natur enthüllen; und der Modus der Enthüllung ist das Symbol. Daher hat die erfolgreiche dichterische Schöpfung immer zwei Seiten: Sie macht uns gegenüber einer Wirklichkeit empfänglich, die wir zuvor nicht wahrnehmen konnten, und zugleich verbindet sie uns wieder mit dieser Wirklichkeit. Hinzu kommt eine Auffassung von Sprache, die ich die ›Zwei-SprachenThese‹ nennen möchte. Sprache kann schlichtweg ein Mittel zum Kodieren und Austauschen von Informationen sein, welche die bereits offen vor uns liegende Realität beschreibt. Es gibt jedoch Ebenen der Sprache, die sehr viel mehr leisten als das: Ebenen, in denen unsere Ausdrücke die Enthüllung und Verbindung erzeugen, die wir im Symbol finden. Diese Unterscheidung zwischen einer höheren, kreativen, und einer niedrigeren, rein instrumentellen Sprache ist eines der noch nachwirkenden Vermächtnisse der Romantik. Um diese höhere Rolle der Sprache zu verstehen, müssen wir zu einer wirklichkeitsimpliziten Sprache des Mittelalters und der Renaissance zurückgehen, von denen sich der Romantizismus über einer Vielzahl entscheidender Transpositionen ableitet. Die Idee, dass die perfekte Sprache bereits im Paradies existiert hatte, wurde durch eine Passage im Buch Genesis bekräftigt: »Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen« (Gen 2,19). Dies schien eine Überlegenheit der Sprache Adams nahezulegen: Die Dinge sollten die vom Menschen ausgewählten Namen tragen. Diese sich offenbarende Richtigkeit konnte ihrerseits unterschiedlich verstanden werden. Auf der einfachsten Ebene besagt die kratylische Hypothese: Das Wort oder das phonetische Element imitiert qua seines Klangs den Gegenstand; was eindeutig zutrifft für Worte wie »Kuckuck« oder »Miau«. Aber die Enthüllung, um die es hier geht, kann auf einer tieferliegenderen Ebene angesiedelt werden – sie zeigt etwas der inneren Natur des Gegenstands auf. 4 | Deutsch im Original.
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Die Idee der immanenten Natur verdankt dem Erbe der griechischen Philosophie viel, besonders der Ideenlehren von Platon und Aristoteles. Ihr Grundschema wird in den nachfolgenden Traditionen auf vielfältige Weise angewandt und erscheint in verschiedenen Variationen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Das Hauptmerkmal dieses Schemas, das man bereits bei Platon findet, ist die Idee einer sich selbst-verwirklichenden Ordnung. Diese präsentiert Platon in der Politeia (1990a): Die Dinge, die wir über uns in der Welt sehen, sind bestrebt die Idee oder den Archetyp zu verwirklichen, zu dem sie gehören; und die kosmische Ordnung selbst, in der diese Dinge ihren Platz haben, erhält ihre Form durch die architektonische Idee, der Idee des Guten. Die christliche Theologie folgt dem Platon des Timaios (1990b) und übernimmt diese Idee, welche die platonischen Ideen als die Gedanken Gottes auffasste, denen er Wirksamkeit verlieh als er die Welt erschuf. In jeder dieser Varianten werden der Kosmos und alles, was er umfasst, als die Verwirklichung eines Plans verstanden, der seine Entwicklung leitet. Dieses Grundschema wurde im NeoPlatonismus weiterentwickelt, nur dass hier der sich entfaltende Plan nun vielmehr als eine Art Ausströmen aus dem Einen verstanden wurde denn als eine Schöpfung ex nihilo. Die Idee eines göttlichen Plans kann jedoch auch auf andere Art und Weise konzipiert werden. Beispielsweise in der Numerologie der Kabbala, die davon ausgeht, dass im Hebräischen Zahlen mit Buchstaben angegeben werden und jedem Wort durch Addition seiner Buchstaben eine Zahl zugewiesen werden kann. Dies erlaubt es, eine mystische Beziehung zwischen Worten derselben Summe, jedoch mit unterschiedlichen Bedeutungen freizulegen. Das Gebet Moses kann als eine Vorhersage des Messias betrachtet werden, weil beide sich zur Zahl 358 (vgl. Eco 1995: 28) addieren. Umgekehrt kann die gesamte Schöpfung als von Gott aus bestimmten Gründungsbuchstaben zusammengesetzt betrachtet werden. Die Grundidee des Kosmos als der Verwirklichung eines Plans ermöglicht andere Verknüpfungen, etwa die Korrespondenztheorie der Renaissance: Der König im Königreich entspricht dem Löwen unter den Tieren, dem Adler unter den Vögeln, dem Delphin unter den Fischen, weil wir es in jedem Bereich mit dem höchsten, herrschenden Geschöpf zu tun haben. Analoge Verbindungen liegen der Idee der Schöpfung als ein Zeichen enthaltendes Buch zugrunde. Eine andere einflussreiche Quelle für Ideen von Ordnung und Verbundenheit zwischen den Dingen während der Renaissance war die hermetische Tradition, von der angenommen wird, dass sie sich auf das Denken von Hermes Trismegistos, einem antiken ägyptischen Weisen, stützt. Himmlische Wesen beeinflussen Dinge auf der Erde, es gibt Sympathiebeziehungen zwischen dem Makrokosmos und dem menschlichen Mikrokosmos und zwischen Himmels- und Erdenwesen. Wir können diesen Verbindungen nachgehen, indem
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wir ihre ›Signaturen‹ in materiellen Dingen erkennen, die – nach den Theorien von Paracelsus (ebd.: 118; vgl. auch Yates 1964) – Spuren der himmlischen Wesen sind. Im 17. Jahrhundert übernahm der Mystiker Jakob Böhme diesen Begriff und betrachtete ›Signaturen‹ in Dingen als den Schlüssel zum Verständnis der Natursprache, der Sprache, in der Adam die Tiere und andere Wesen zu Anfang benannt hatte (ebd.: 182f.). Diese Verbindungen waren für die Denker_innen der Renaissance außerordentlich wichtig, da sie nicht bloß theoretische Relevanz entfalteten. Die Sympathien zwischen Höherem und Niederem zu erkennen, ermöglicht die Nutzung astraler Kräfte, um Dinge zu verändern, z.B. durch Alchemie. Hermetische und kabbalistische Forschung war zunächst verbunden mit dem, was sich später als orthodoxe post-galileische Naturwissenschaft abspaltete. All dies bildet den Hintergrund für ein tieferes Verständnis dessen, was es bedeuten kann, ›die Natur eines Gegenstands zu enthüllen‹. In dieser Sichtweise macht die perfekte Sprache gewissermaßen den Ort und die Verbindungen, den die Dinge im Plan selbst haben, deutlich. An dieser Stelle haben wir Sprache als einfache Angelegenheiten akustischer Imitation weit hinter uns gelassen. Die perfekte Sprache kann jedoch verhüllt, versteckt oder fast unwiederbringlich verloren sein. Wenn wir uns das Wörterbuch als etwas vorstellen, das aus Worten besteht, wobei eines nach dem anderen eingeführt wurde, um von uns wahrgenommene Dinge zu benennen, so fällt es schwer sich vorzustellen, wie die Geräusche, die wir prägen, einen Einblick in deren Designata geben können (außer vielleicht beim außergewöhnlichen, aber trivialen Fall der Onomatopoesie). Es ist jedoch klar, dass die Formen perfekter Sprache, basierend auf der Vorstellung der Realisierung eines kosmischen Plans, die man in der Renaissance und davor vor Augen hatte, den Anspruch erhoben, nicht zur Erkenntnis individueller Gegenstände, sondern zur Erkenntnis von deren Verbindungen untereinander sowie zum Ganzen, sei dies durch Korrespondenzen, kabbalistische Numerologie oder durch Signaturen in Dingen, beizutragen. Und dies gibt uns auch Einblick in die entscheidende ethische Bedeutung des Freilegens dieser Erkenntnis, die als einzige in der Lage ist, uns zu zeigen, wie ein Leben in Einklang mit dieser Ordnung möglich sein kann. Daher ist es nicht überraschend, dass sich derlei Theorien bei den Romantiker_innen großer Beliebtheit erfreuten. Die Bezugnahme auf die Kabbala stellte demnach eine Form der Rebellion gegen die reduktionistische Konzeption von Sprache als rein instrumentelle dar. Die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie Novalis erwähnen die Kabbala in ihren Werken. Die Bezugnahme auf die Kabbala endete auch nicht mit den Romantiker_innen: Im vergangenen Jahrhundert tat Walter Benjamin es ihnen gleich und bezog sich auf sie. Novalis umgekehrt bezieht sich auf die De Signatura Rerum Böhmes (vgl. Novalis 1977: 411ff.).
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Nur was geschieht hier genau? Auf einer Ebene könnten wir meinen, dass diese Autor_innen die Bedeutung eines symbolischen Zugangs, allgemeiner gesagt des Zugangs zu A durch B, einfach betonten, weil dies tatsächliche Figurationen beinhaltet. Anders gesagt, Symbole entsprechen den Besonderheiten der ursprünglichen Adamitischen Sprache. Sie sind die richtigen Begriffe, da sie enthüllen, was sie bedeuten. Sie zu verwenden heißt zur Erkenntnis zu gelangen; setzt man irgendetwas Anderes an ihre Stelle, verliert man die Erkenntnis. Eine Facette unserer moralischen Auffassungen zeigt sich in der Sprache der Erhöhung: wir sprechen von ›höheren‹ Lebensweisen; und in manchen amerikanischen Dialekten wird auf schlechter gestellte Menschen als ›low life‹ (›niedereres Leben‹) verwiesen. Derartige Ausdrücke sind in ihrer Kraft nahezu einzigartig. Diese Art des indirekten Zugangs ist auch nicht auf Sprache begrenzt. Wir können ihn generell in Kunstwerken finden. Ludwig van Beethovens 5. Symphonie transportiert Mut und Bestimmtheit wie kein anderes Stück. Ähnliches können wir auch in einigen Formen menschlichen Auftretens und Gebahrens beobachten: Der herausstechende swagger, der im Zusammenspiel entsteht und eine neue Art des Machismo entwickelt, ist ein treffendes Beispiel dafür – der Ausdruck und die Ausführung der Bewegung ist weit entfernt von einem ›willkürlich auferlegten‹ Zeichen; auch sie enthüllt ihre Bedeutung. Aber selbstverständlich vertraten die Romantiker_innen eine stärkere These. Ihre Argumentation zielte darauf, dass Zeichen tatsächlich Dingen inne wohnen, und dass wir die Fähigkeit sie zu verstehen verloren haben.
4 Daher zeigt die Beschäftigung mit (a), dass die Romantiker_innen eine Verbindung wiederherstellten und auf den frühzeitlichen Sprachtheorien auf bauten, von denen angenommen wurde, dass sie uns wahrhaftige Erkenntnisse über die Wirklichkeit geben und uns auf diese Art mit ihr in Kontakt brächten, es also bspw. ermöglichten, an der Welt teilzuhaben und sie zu verändern (zum Beispiel durch Alchemie). Aber gefährdet diese Betrachtung nicht bereits unser Ziel (b), nämlich die Relevanz des romantischen Denkens für uns heute aufzuzeigen? Müssen wir die Adamitische Sprache als Ganze hinnehmen und dabei den offensichtlichen Fortschritt der post-galileischen Naturwissenschaft verwerfen? Ja und Nein. Ja, wenn wir bei der ursprünglichen Rezeption dieser Sprachtheorien der Renaissance bleiben; nein, wenn wir berücksichtigen, wie die Denker_innen der Romantik begannen, quasi auf einmal die ursprünglichen ontologischen Annahmen aus dem Weg zu räumen. Für die Romantiker_innen war, wie wir gesehen haben, unsere Kraft der symbolischen Enthüllung ontisch begründet. Sie leitete sich von den Zeichen und Symbolen ab,
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die bereits im Universum, der Schöpfung Gottes, im Geist bzw. in der Natur vorhanden waren. Da Johann Georg Hamann gewissermaßen den Ausgangspunkt dieser gesamten Perspektive bzw. seine ursprüngliche Inspiration darstellt, können wir seine Formulierungen übernehmen: »Jede Erscheinung der Natur war ein Wort, – das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigern Vereinigung, Mittheilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen« (Hamann 1999b: 32). Sein Verständnis des Universums als Körper von Zeichen geht auf die kabbalistische Tradition zurück. Dieser Punkt ist es, der die falsche Vorstellung hervorrufen kann, dass die Romantiker_innen schlicht Reaktionäre seien, die versuchen, die Zeit vor die Entzauberung der Welt zurückzudrehen. Tatsächlich machen die Romantiker_innen hieran Anleihen, es gibt jedoch auch einen entscheidenden Unterschied. Wie ich oben bereits ausgeführt habe, hielten vormoderne Vorstellungen das Universum für die Manifestation einer Idee, eines Plans oder Zwecks. In einer Variante dieser Vorstellung soll das Universum wie ein Text gelesen werden; in einer anderen stehen die Bezüge zwischen den Elementen gemäß der durch die Leitidee bestimmten Korrespondenzen im Vordergrund. Diese Verbindungen sind schwer zu greifen, teilweise weil unser gefallener Zustand uns schwach und unverständig macht; aber (in manchen Varianten) auch, weil der Sündenfall die Welt selbst verändert hat. Anders gesagt sind nicht nur unsere Augen schwach, sondern der Text selbst hat Schaden genommen. Eine weitere Möglichkeit, die diese Sichtweise eröffnete, war, dass die Genesung des Augenlichts helfen konnte, den Text wiederherzustellen. All dies übernahmen die Romantiker_innen. Hamann spricht über die Schöpfung als etwas, dass durch unseren Sündenfall Schaden genommen hat. »Noch war keine Creatur, wider ihren Willen, der Eitelkeit und Knechtschaft des vergänglichen Systems unterworfen, worunter sie gegenwärtig gähnt, seufzet und verstummt« (ebd., siehe auch Hamann 1999a: 206). Der Unterschied liegt in der Vorstellung vom Zugang zu dieser Ordnung der Zeichen. In der ursprünglichen Variante dieser Vorstellung mag unser Zugang tatsächlich aufgrund unseres Unvermögens und der Verzerrungen in der Natur unvollkommen gewesen sein, aber was es bedeutete, dieses Ordnungssystem zu verstehen, konnte aus einer einfachen Korrespondenzperspektive der Wahrheit begriffen werden. Es gibt einen Code, der den Verbindungen zugrunde liegt. Den Text zu verstehen, bedeutet den Code zu begreifen. Die Rede von einer aus Zeichen bestehenden Welt geht davon aus, dass es für jedes Element eine Bedeutung gab, wie für Wörter in einem Wörterbuch oder Zeichen in einer Geheimschrift. Im Wissen darum knüpfte man sozusagen dieselben Verbindungen in unseren Köpfen, wie sie in der Realität vorkamen.
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Hamann vertrat eine andere Sichtweise. Wir können uns die Zeichen der Natur nicht aneignen, indem wir sie in unseren Köpfen erfassen, das heißt, Wissen über sie gemäß der einfachen Korrespondenztheorie des Wissens zu erlangen. Vielmehr beginnen wir die Zeichen der Natur zu verstehen, indem wir sie wiederherstellen bzw. wieder ausdrücken. Das Wort, das Hamann hierfür verwendet, ist ›Übersetzung‹. Unsere Antwort auf Gottes Zeichen in der Welt ist es, diese in unsere eigenen zu übersetzen. Und auf diese Weise sei die menschliche Sprache tatsächlich entstanden. Diese Übersetzung ist menschliche Sprache: »Reden ist übersetzen« (Hamann 1999a: 199). Die symbolische Beziehung – mit der Distanz, die sie zwischen den Bereichen impliziert, das A und das B, durch die sie erscheint – trifft nicht nur für die Dinge in der Welt zu, sondern auch für die Verbindung zwischen unseren Zeichen und denjenigen der Natur oder Gottes (›Übersetzung‹ wird zu einem Schlüsselbegriff, der unter anderem bei Novalis und Benjamin wiederauftaucht). Warum diese Veränderung und was bedeutet sie? Zuerst zum ›warum‹: Wir können diese Veränderung im Licht der gesamten Bewegung der modernen Kultur hin zu Verinnerlichung oder zum Anthropozentrismus sehen. Eine Facette davon entfaltet sich darin, dass die Freiheit eine zentrale Stellung einnimmt. Menschen finden ihre Zwecke in sich selbst, anstatt sie aus einer größeren autoritären, sozialen oder kosmischen Ordnung abzuleiten. Eine weitere Facette ist das neue Verständnis eines naturgemäßen Lebens. Wo dieses Konzept in der traditionellen Sichtweise ein von den alten Römern und Griechen abgeleitetes hierarchisches Verhältnis transportierte, entweder eine kosmische Ordnung oder eine Hierarchie menschlicher Zwecke oder eine Verbindung von beidem, sehen wir in der sich im 18. Jahrhundert entwickelnden modernen Anrufung – in solchen Formen wie der Theorie der moralischen Vernunft und dem Empfindungskult, der seinen Höhepunkt vielleicht bei Jean-Jacques Rousseau hatte – eine Hinwendung zur inneren Stimme. Die Romantiker_innen gehörten zu diesen beiden Strömungen des Anthropozentrismus: der Strömung der Freiheit und der der Stimme der inneren Natur. Tatsächlich waren sie bestrebt, diese beiden von zeitgenössischen Narrativen auseinandergerissenen Strömungen wieder zusammenzubringen. Die Romantiker_innen waren hoch sensibel gegenüber den Verbindungen zwischen beiden, mehr noch, sie sahen ihre Aufgabe darin, beide in einer neuen Einheit zu versöhnen. Ihr Protest richtete sich gegen die Auffassungen von Freiheit und einem naturgemäßen Leben, die im Aufklärungsnaturalismus am Weitesten ausgeführt wurden – bspw. bei Claude Adrien Helvétius, Paul-Henry T. d’Holbach, Jeremy Bentham –, die aber auch weniger ausgeprägt z.B. bei Voltaire zu finden waren.
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Eine bestimmte Konzeption der Freiheit entsteht unter anderem bei John Locke, in der das Recht und die Fähigkeit des Individuums, sein eigenes Leben zu führen und Kontrolle über die Welt um es herum auszuüben, betont wird. In der banalisiertesten Form – z.B. bei Helvétius – schien dies Freiheit zur Begierde zu fordern, bot jedoch keinen Platz für Freiheit von Begierde. Das menschliche Subjekt ging in seinen Begierden auf. Auf zweierlei Weise konnte man sich damit unwohl fühlen: Eine fokussierte die Tatsache, dass diese Sicht keinen Platz für höhere Bestrebungen bot, nicht einmal für Bestrebungen jenseits des Lebens und menschlicher Entfaltung; die andere griff das naturalistische Bild der ›Heteronomie‹ an. Von einem radikaleren Standpunkt aus machte sie Menschen zu Sklaven ihrer Gefühle, unfähig ihre Ziele zu beurteilen oder selbst zu wählen. Diese Kritik entwickelte sich zu einem Konzept der Freiheit als Selbstbestimmung im Sinne des Sich-selbst-Gesetze-Gebens, das bei Rousseau ausgearbeitet und in seiner eindrucksvollsten Äußerung bei Kant zu finden ist. Mit Fichte schließlich, für den die Selbstbestimmung des Subjekts ontologische Vervollkommnung bedeutete, nahm dieses Konzept seine weitreichendste und ehrgeizigste Form an. Die Denker_innen der romantischen Generation waren Erben dieser Kritik und somit zutiefst beeinflusst von Fichte. Aber sie waren ihm gegenüber auch kritisch, denn das Bestreben, im Einklang mit der Natur zu sein, war ihnen ebenso wichtig. An der dominanten Position der Auf klärung kritisierten sie, dass diese die Umsetzung eines naturgemäßen Lebens im Einsatz instrumenteller Vernunft zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse erfüllt sah. Dies führte zur Trennung von Vernunft und Natur und zur Behandlung letzterer, sowohl der Natur in uns als auch der uns umgebenden Natur, als einen instrumentell zu bearbeitenden und zu manipulierenden Bereich. Die Romantiker_innen sehnten sich nach einer Wieder-Vereinigung in uns selbst, von Vernunft und Begierde, zwischen uns und der weiteren natürlichen Welt, und zwischen Individuen in der Gesellschaft. Diese Kritik, dass die Vernunft uns von der Natur trenne, wurde auch gegen Kant und die Kritiker, die den Aufklärungsnaturalismus vertraten, angeführt; vielleicht aber noch eindeutiger gegen Kant, denn diese Trennung wurde in seiner Philosophie besonders deutlich. So konnte auch Fichte die Romantiker_innen nicht zufriedenstellen. Die Romantiker_innen wollten Fichtes Philosophie mit einer Vision von Mensch und Natur als Einheit verbinden, was uns nicht – in dem Versuch, sie dem Diktat der Vernunft zu unterwerfen – über eine widerspenstige Natur stellte, sondern den Menschen vielmehr als Teil eines größeren Lebensflusses betrachtete. Spinoza, der gewissermaßen idiosynkratrisch von Goethe gelesen wurde, galt oft als philosophischer Exponent dieser Sichtweise. Wie ich oben angedeutet habe, ist das Ziel der Romantiker_innen häufig als Vereinigung von Fichte und Spinoza bezeichnet worden.
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Aus dieser Suche nach der Einheit mit dem Fluss der Natur wandten sich die Romantiker_innen zurück und schöpften aus den früheren Theorien des ontischen Logos, der Welt als dem Ort des lebendigen Zweckes, die zu uns in Symbolen spricht. Jedoch rekonzipierten sie als Erb_innen des modernen Anthropozentrismus, was es hieß, zum Einklang mit diesem Fluss zurückzugelangen: Wir erfassen nicht einfach nur, sondern wir stellen die Bedeutung von Dingen wieder her. Und indem wir das tun, gelangen wir zu unseren eigenen spezifischen Kräften, denen der symbolischen Enthüllung (oder der Dichtung). Wir erhalten nicht einfach die Antwort, sondern wirken zusammen, um sie zu bestimmen. Hier sehen wir eine Spur der modernen Zentralität der Freiheit. Sie ist eine Variante, die sich von derjenigen unterscheidet, die Autonomie im Gegensatz zu allem Anderen, zu Gott und dem Kosmos definiert, stellt aber nichtsdestotrotz eine Konzeption von Freiheit dar. Was uns laut Hamann von den Tieren unterscheidet, ist die Freiheit, die bei ihm bedeutet das Recht zu haben, in unserer Selbstbestimmung mitzuwirken. »Zur Freyheit gehören aber nicht nur unbestimmte Kräfte sondern auch das republicanische Vorrecht zu ihrer Bestimmung mitwirken zu können.« (Hamann 1999c: 38) Dieses Konzept liegt der neuen Auffassung davon zugrunde, was es bedeutet, die Zeichen der Natur zu begreifen und uns nach ihnen auszurichten; nicht nur als ein Erfassen ihrer Bedeutung und ein Befolgen derselben, sondern als ein gemeinsam bewirkter Wieder-Ausdruck. Genau das drückt sich in der Idee aus, dass der Prozess unseres Verstehens der Zeichen eine Übersetzung ist. Hamann interpretiert die viel rezipierte Geschichte aus dem Buch Genesis neu, um den menschlichen Beitrag zu unterstreichen. Er spricht davon, dass »GOTT sie [die Thiere, Ch. T.] zu dem Menschen brachte, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen« (Hamann 1999a: 206). Aufgrund derselben Idee, sowohl in der Kunst als auch in der Entwicklung der Sprache, lehnten die Romantiker_innen ein Model des simplen Nachbildens ab. Wenn wir nachbilden, tun wir dies in einer kreativen, verändernden Weise; wir sind selbsttätig 5 in unserer Nachahmung, so A.W. Schlegel (1971: 151). Was bedeutet dies für die romantische Theorie des Symbolischen? Ich möchte drei Dinge nennen. Erstens: Symbolische Enthüllung umfasst einen Abstand, eine Vermittlung, einen Zugang zu A durch B. Nun können wir sehen, dass dieser Abstand nicht nur negativ als Resultat unseres Unvermögens, als Blick »in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse« (1Kor 13,12) aufzufassen ist. Er hat auch eine positive Bedeutung. Unsere Übersetzung ist nicht einfach eine unvollständige Annäherung an die Bedeutung, sie ist auch
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unser Beitrag zur gemeinsamen Arbeit an der Wiederherstellung des Kontakts, der Verbundenheit zwischen uns und der Welt. Zweitens: Ich benutze das Wort Verbundenheit. ›Mitteilung‹ taucht oft in romantischen Werken auf. In dem Zitat von Hamann, auf das ich mich oben bezogen habe, in dem er sagt, dass im Anfang jede Erscheinung der Natur ein Wort ist, wird dies als ein »Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigern Bereinigung, Mittheilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen« (Hamann 1999b: 32) beschrieben. Dieses Bild der Eschatologie in Vorstellungen der Mitteilung wird von Novalis in seinem Bild der »goldenen Zukunft aller Dinge« aufgegriffen, als eine Zeit wenn »Menschen, Thiere, Pflanzen, Steine und Gestirne, Elemente, Töne, Farben […] handeln und sprechen wie Ein Geschlecht.« (Novalis 1977)6 Wir können hier die volle ethische Kraft des romantischen Antriebs zu dichterischem Ausdruck spüren. Die Romantiker_innen bewegten sich in der Tat auf ein dialogisches Verständnis von Sprache zu, das sie sich schließlich zu Eigen machten und welches sich bei Wilhelm von Humboldt vollständig entfaltete. Hamanns besondere Position bezüglich des Ursprungs der Sprache spiegelt dies wider. Johann Gottfried von Herder schrieb seinen berühmten Aufsatz über den Ursprung der Sprache als Kritik an den ›orthodoxen‹ Theorien von Johann Peter Süßmilch und Anderen, die davon ausgingen, dass Gott den Menschen Sprache lehrte. Er stellt Sprache als ein menschliches Potential dar, das wir selbst entwickeln. Während Hamann das allzu simplizistische Bild Süßmilchs von Gott als einem Sprachenlehrer nicht akzeptieren konnte, fühlte er sich trotzdem mit Herders Fassung nicht wohl. Gott lehrte uns Sprache nicht, wie wir uns untereinander Dinge lehren, sondern unsere Sprache ist eine Antwort auf die Sprache Gottes, die Sprache der Zeichen in der Welt. Wir entwickeln Sprache nicht vollständig ohne Hilfe, wie die Standardtheorie der Aufklärung behauptete, und wie Herder auf seine eigene Art und Weise zu sagen schien. Unsere Sprache ist bereits eine Antwort auf eine Botschaft, die an uns gerichtet ist, eine Antwort, die in einer Übersetzung besteht. Sprache ist daher in ihrem Ursprung dialogisch und wird im Austausch zwischen Menschen weiterentwickelt. In gewisser Weise ist die gesamte romantische Auffassung von Freiheit der dialogischen Konzipierung gegenüber aufgeschlossen. Freiheit leitet nicht alles aus einem selbst heraus ab, aus dem Ego in Fichtes Worten; sie ist eine gemeinsam bewirkte Antwort, jeweils seinen Teil in einer Unterhaltung beitragend. Das ist der Grund, weshalb die romantische Eschatologie auf eine universale Gemeinschaft verweist. 6 | Vgl. auch Novalis (1960: 594): »Alles, was wir erfahren ist eine Mittheilung. So ist die Welt in der That eine Mittheilung – Offenbarung des Geistes.«
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Drittens: Aus dieser Auffassung ist ein neues Verständnis der Natur der dichterischen Sprache entstanden, das noch heute prägend ist. Wie Earl R. Wasserman (1968) argumentiert hat, gab es in der Romantik eine grundlegende Verschiebung weg von einer tausendjährigen Auffassung, welche die Kette des Lebens, die göttliche Geschichte und die antike Mythologie als Schätze gemeinsamer Referenzpunkte betrachtete, auf die sich Dichtung und Malerei stützen konnten. Ihr entsprach eine Sicht auf diese Ordnung als etwas, das ein einheitliches Repertoire an Bedeutungen widerspiegelte, welche öffentlich verzeichnet und dokumentiert werden konnten. Die Auflösung dieses öffentlich zugänglichen Feldes an Referenzpunkten führte uns in ein Zeitalter, in dem jeder Dichter kämpfen sollte, um seine eigene Sprache, ja sogar seine eigene Mythologie, zu schaffen. Friedrich Hölderlins ›Götter‹, Rainer Maria Rilkes ›Engel‹, William Butler Yeats ›Byzantium‹ gehören zu keiner öffentlich anerkannten Geschichte oder Doktrin, obschon sie sich auf bestimmte Resonanzen stützen, welche frühere Geschichten und Doktrinen zurückgelassenen haben. Was half, die früheren öffentlichen Sprachen unverfügbar zu machen, war Entzauberung, und die subtileren Sprachen waren teils eine Antwort darauf. Aber das ist nur die negative Seite; es gibt auch eine positive Seite, wie ich oben über den Zusammenhang von symbolischer Enthüllung und Abstand argumentiert habe. Die Idee von der Dichtung als etwas, das eine endlose Serie subtilerer Sprachen hervorbringt und jegliche neue, öffentlich begründete Bezugspunkte ablehnt, ist eine Konsequenz, die mit einer weiteren plausiblen Annahme aus der romantischen Idee der symbolischen Enthüllung gezogen werden kann. Die Welt des ›Unsichtbaren‹ oder des ›Spirituellen‹ zu enthüllen, ist nie eine Angelegenheit des Erfassens der Verbindungen dieser Welt alleine, sondern des Wiederübersetzens dieser Verbindungen in ›Bilder und Zeichen‹, um zu der Aussage A.W. Schlegels zurückzukehren, bei der wir begannen. Im Verständlich-Machen dieser Welt wirken wir gemeinsam und leisten einen Beitrag. Wir müssen nur hinzufügen, dass wir uns voneinander unterscheiden, dass es mehr als eine Art gibt, gemeinsam zu wirken und einen Beitrag zu leisten, und subtilere Sprachen scheinen unsere einzige Zuflucht zu sein. Bereits die romantische ›symbolische‹ Theorie der Dichtung zeigt, wie subtilere Sprachen entstehen können. Tatsächlich ist die symbolische Theorie eine Ermahnung zu frischer Neuschöpfung, um Fülle in eine ausgetrocknete Welt zu bringen. Fügt man die Prämisse menschlicher Diversität hinzu, verschwindet die Aussicht, dass diese Neuschöpfung eine neue etablierte öffentliche Sprache wird. Diese Schlussfolgerung wurde nicht sofort gezogen. Hier der junge Friedrich Schlegel, wie er das Phänomen beschreibt: »Aus dem Innern herausarbeiten das alles muss der moderne Dichter, und viele haben es herrlich getan, aber bis jetzt nur jeder allein, jedes Werk wie eine neue Schöpfung von vorn an aus Nichts.« (Schlegel 1967: 312) Das »bis jetzt« verrät die Hoffnung, dass eine neue
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Mythologie 7 diesen Zustand der Zerstreuung korrigieren kann. Aber in der romantischen Verehrung von Diversität existierten die Grundlagen dafür, anzuerkennen, dass sie unausweichlich ist und nicht nur ein Defizit, sondern auch einen Reichtum darstellt. Die gesamte romantische Theorie des Symbols muss in diesem doppelten Sinn verstanden werden. Auf der einen Seite ist sie eine Antwort auf Entzauberung, Verflachung, auf Visionsverlust. Sie ist eine Arbeit, die in »dürftiger Zeit« ausgeführt wird. Der Abstand des Symbols ist zum Teil ein Verlust. Aber auf der anderen Seite bestätigt sie unsere Kraft, unsere nicht zu vernachlässigende, gemeinsame Rolle in der Wiederherstellung von Bedeutung und Verbundenheit. In beiden Aspekten ist die romantische Theorie im Kern modern: Sie beginnt bei der Entzauberung und räumt menschlicher Freiheit und Kreativität einen wesentlichen Platz ein.
5 So können wir zwei große ontologische Veränderungen darin erkennen, wie die Romantiker_innen frühere Theorien einer Sprache aufnehmen, welche die Natur der Dinge enthüllt. Die erste vollzog sich ganz zu Beginn mit Hamanns ›Reden ist übersetzen‹: Wir haben keinen direkten Kontakt mit den Archetypen; wir können sie nicht in einem genauen Wörterbuch abbilden. Die zweite folgte (so könnte man meinen) fast unvermeidlich aus diesem ersten Schritt. Wenn wir keinen direkten Kontakt mit der Sprache der Dinge haben, wenn wir also unsere eigenen Übersetzungen ableiten müssen, dann haben wir es mit den ›subtileren Sprachen‹ zu tun, die jeder Dichter erfinden oder transponieren muss, um seine Arbeit zu schaffen. Der ontische Status der Wirklichkeiten, die er hervorruft, sei es die große Kraft, die ›durch alle Dinge waltet‹ von William Wordsworth, oder Hölderlins ›Götter‹ oder Rilkes ›Engel‹, bleibt unabänderlich unbestimmt. Sollten diese Begriffe wörtlich genommen werden? Hat diese Frage überhaupt eine Bedeutung? Die entscheidende Veränderung im Verständnis dessen, was es bedeutet, die Ordnung im Kosmos zu verstehen, kann folgendermaßen beschrieben werden: In der traditionellen Version nahm das Verständnis die Form eines Codes an, in welchem den Elementen Bedeutungen zugeschrieben wurden, die unabhängig voneinander identifiziert werden konnten. Die Bedeutung von Moses eherner Schlange wird in der kabbalistischen Zahl 358 ausgedrückt, die hinter ihrer Schaffung liegt (und so ihre Verbindung mit dem Messias offenbart); die Bedeutung des Adlers wird in seiner Rolle als Verkörperung des Höchsten, als herrschendes Element in seinem Reich, demjenigen der Vögel (wie Löwen unter Tieren, Delphine unter Fischen, Könige in Königreichen) 7 | Deutsch im Original.
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deutlich. Aber die Bedeutung eines Symbols (im Sinn von Schlegel oder Paul Ricœur) kann nicht unabhängig erschlossen werden, sie muss im Symbol selbst erkannt werden. Dies bedeutet zweierlei: negativ ausgedrückt, dass seine Bedeutung nie abschließend erschlossen werden kann. Es gibt eine Ungewissheit, eine Unvollkommenheit in der ›Übersetzung‹, eine Möglichkeit, eine bessere Übersetzung anzufertigen. Diese Möglichkeit kann nie vollkommen erfüllt sein und macht alle zukünftigen Versuche, sie zu vervollkommnen, unmöglich. Die Bedeutung eines Symbols ist nie vollkommen und abschließend beschrieben. Aber zugleich, positiv ausgedrückt, leiht sie dem Symbol eine Art Tiefe oder »Semi-Transparenz.« (McGilchrist 2009) Die Bedeutung erscheint in dem Symbol; wir sehen sie ›durch‹ das Symbol.8 Und diese Bedeutung resoniert in uns. Dies ist wahr, unabhängig davon, ob das Symbol eine Wirklichkeit ist, die an sich einen Zweck hat (Sich beflecken in Bezug auf Sünde, Ungebrochenheit in Bezug auf Integrität) oder ob es in einem Kunstwerk besteht. Gewiss bleibt eine wichtige Frage ungeklärt: Was liegt der Kraft dieser Werke zugrunde, durch die sie uns tiefere Wirklichkeiten zu offenbaren scheinen und uns mit diesen verbinden? Sind wir ohne eine Antwort auf diese tieferliegende Frage auf die Idee zurückgeworfen, dass die Erkenntnis, die uns ein gegebenes Werk bietet, alleine im Auge des Betrachters liegt, dass alles einfach »subjektiv« ist? Die Frage ist, ob die Resonanzthese eine ontologische oder eine psychologische These ist. Aber vielleicht gibt es hier auch eine unaufgeteilte Mitte. Es gibt rein psychologische Bedeutungen: Ich mag Rosen und keine Pfingstrosen. Das könnte sich leicht ändern, du könntest mich sogar überreden, damit sich das ändert, und: wir stimmen alle überein, dass es hier kein richtig und kein falsch gibt; du könntest mich nicht stichhaltig überzeugen, meine Position zu ändern. Anders bei dem für das Leben Bedeutsame: Ich brauche Luft, Wasser, Nahrung. Dies ist nicht eine mich alleine betreffende Tatsache, sondern alle Menschen brauchen Luft, Wasser und Nahrung. Und es ist nicht ausschließlich eine Menschen betreffende Tatsache, Tiere benötigen diese Dinge ebenfalls. Auch wenn ich mir darüber hinaus in den Kopf setzen würde, dass ich Luft, Wasser und Nahrung nicht brauche, würde ich einfach falsch liegen – beweisbar falsch. Wir könnten diese Differenz in der Bedeutungsart als eine Differenz des Standpunktes betrachten. Rosen zu mögen ist subjektiv, wohingegen biologische Bedürfnisse Tatsachen sind, die den Raum zwischen Tier und ökologischer Nische betreffen. Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied. Die 8 | Dieses ›Durchsehen‹ liegt der Kraft eines Portraits einer Alltagszene in der Kunst, einem Gedicht oder Gemälde zugrunde, um unsere Wahrnehmung dieser Wirklichkeit im Alltag zu verändern. Siehe Merleau-Ponty (2003) über Cézanne.
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biologischen Bedürfnisse sind bestimmbar durch harte Naturwissenschaft – Mögen und Nichtmögen sind dies nicht, es handelt sich um menschliche Bedeutungen. Nun die Frage: Gibt es menschliche Bedeutungen, die sich auf Tatsachen über den Raum zwischen menschlichen Wesen und ihrer ökologischen Nische stützen und zwar von ihnen verschieden, aber vergleichbar ›objektiv‹ sind wie die Tatsachen, die das für das Leben Bedeutsame begründen? Es scheint sie zu geben. Zum Beispiel die Freude, die wir im Frühling haben, am Leben, an der Natur unsere Empfindung, dass uns das Leben um uns herum nährt. Aber können wir das Bedürfnis/die Bedeutung hier vollständiger bestimmen? Dies ist etwas, das wir mit dem Begriff »Resonanz« versuchen könnten: eine Bewegung der Sympathie zwischen uns und unserer Nische. Natürlich könnten wir dies versuchen, indem wir ontologische Thesen über das Universum aufstellen. Gott hat es als Zeichen geschaffen, es gibt hier eine Sprache, mit der wir uns verbinden müssen. Aber der Versuch, etwas von der zugrundeliegenden Geschichte entlang dieses Weges aufzudecken, scheint uns verschlossen. Gibt es hingegen eine andere Art vorzugehen, die nicht unmittelbar solche ontischen Thesen mit sich bringt, obgleich unsere schlussendliche Erklärung unserer Erfahrung einige solcher Thesen erfordern könnte? Anders gesagt, können wir hier Thesen über menschliche Bedeutungen aufstellen, so, dass es ein Richtig und ein Falsch, ein Begründet und ein Unbegründet, gäbe, ohne in einem ersten Schritt eine ontische These über die Natur aufzustellen? Betrachten wir gewisse romantische Dichter_innen, zum Beispiel Hölderlin: Dichtung 9 bringt ans Licht und verbindet uns mit einer Regung in der Natur. Dies bedeutet eine Intensivierung des Lebens und zeigt uns eine Bedeutung dieser Regungen in der Natur und unserer Verbindung zu ihnen, die einen Anspruch auf uns erhebt. Es gibt hier eine starke Wertung: Dies nicht zu sehen bedeutet etwas Wahres und Wichtiges zu versäumen. Nun kann dies aber nicht biologisch belegt werden, wie das für das Leben Bedeutsame. Aber wie das für das Leben Bedeutsame ist es in dem ›Zwischenraum‹ situiert. Dieser ist die unaufgeteilte Mitte zwischen ›dem Ontologischen‹ und ›dem Psychologischen‹ – zumindest bis wir zu einer tieferen Erklärung gelangen können, was ontische Thesen über die Natur mit sich bringen könnte – oder zu einer Erklärung, die einfach diese Bedeutung als einen Reflex des Biologischen oder des Psychologischen aufzeigt, das hieße, es wird im Individuum erzeugt, obgleich es vielleicht in Allem präsent ist (wie Ablehnung gegenüber bestimmten Inhaltsstoffen). Bringen Wordsworth und Hölderlin etwas in der Natur und in unserer Beziehung zur Natur ans Licht, das wir alle erkennen sollten, eine intensiver belebende Bedeutung? Obwohl jeder von uns eine andere Interpretation davon 9 | Deutsch im Original.
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anbieten kann oder etwas Ähnliches in doch unterschiedlichen Gegenständen finden kann, behaupten Menschen dies in der Tat für manche Formen von Kunst; egal ob sie Resonanz hervorrufen mit der Natur oder beispielsweise mit Musik, obschon wir uns darin unterscheiden, von welcher Musik wir uns bewegen lassen. Wir haben es hier mit einer menschlichen Bedeutung zu tun, die wir für begründet halten, aber nicht biologisch begründen konnten (oder zumindest nicht mit der existierenden Biologie). Das Kriterium des ›Ontologischen‹ könnte in etwas begründet sein, das völlig unabhängig von menschlichen Wesen ist, etwas, das in der Welt existierte, auch wenn Menschen verschwinden würden. Wir haben oben von Tatsachen über den ›Zwischenraum‹ zwischen Menschen und der Welt gesprochen, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Nahrung (biologisch bzw. das für das Leben Bedeutsame) oder das Empfinden einer starken Verbindung mit der Natur (menschliche Bedeutungen). Bezeichnen wir diese als ›menschenbezogene‹ Wirklichkeiten, weil sie nicht existent wären, wenn es keine Menschen gäbe. Jetzt beziehen sich aber die meisten tieferliegenden Geschichten auf Wirklichkeiten, die nicht-menschenbezogen sind: Gott, die Lebenskraft, der Schopenhauer’sche Wille etc. Aber wenn wir unsere Frage nach den menschlichen Bedeutungen stellen, haben wir es eindeutig mit Dingen zu tun, die menschenbezogen sind. Sie existieren nur im Zwischenraum, der durch Menschen und ihre Nische in der Welt bestimmt wird. Wenn wir deshalb ›ontologisch‹ als nicht-menschenbezogen verstehen, dann müssen diese Bedeutungen ›psychologisch‹ sein. Sie werden unabhängig davon, wie wir uns zufällig fühlen, als gültig erfahren, das heißt, sie werden als starke Wertungen erlebt. Können wir in unserer Ontologie eine Art objektive Gültigkeit zulassen, die wir nicht biologisch, oder genereller, in naturwissenschaftlichen Begriffen begründen können? Viele Denker, die eine reduktive Position zur Erklärung einnehmen, wollen diese Frage mit ›Nein‹ beantworten. Aber unsere tatsächliche menschliche Erfahrung behandelt diese Bedeutungen unausweichlich als objektiv. Moralisch richtig oder nicht, große Kunst oder Naturwunder erscheinen uns nicht als eine sich verändernde Geschmacksache. Die Ungewissheit um diese Dichotomie ist folgende: Die Unterscheidung zwischen ontologisch oder psychologisch verschleiert die Tatsache, dass es hier zwei Probleme gibt. Eines ist die Erzählung, die unserer Erfahrung zugrunde liegt, die fraglos nicht-menschenbezogene Wirklichkeiten umfasst; das andere betrifft die Erfahrungen selbst, ihre objektive Gültigkeit oder das Fehlen davon. Die subtileren Sprachen romantischer Dichtung treffen Aussagen in diesem zweiten Bereich. Es stimmt, dass Bezüge zu einer Kraft gemacht werden, ›die durch alle Dinge waltet‹ (Wordsworth), oder zu ›Göttern‹ (Hölderlin) oder zu ›Engeln‹ (Rilke), aber es ist allenfalls fraglich, welche (nicht-menschenbezogenen) ontischen Bezüge diese Bilder hervorrufen, ob sie tatsächlich über-
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haupt irgendetwas Bestimmtes über zugrundeliegende Wirklichkeiten bestätigen sollen. Dies sagt natürlich nichts darüber aus, was ein beliebiger Dichter glaubte oder als zugrundeliegende Geschichte akzeptieren würde. In vielen Fällen würde der Dichter nicht einmal eine Unterscheidung zwischen dichterischer Kraft und zugrundeliegender Wahrheit treffen; würde er jedoch dazu gedrängt, so würde er Ersteres (die dichterische Kraft) als eine erste Annäherung oder Manifestation des Zweiten (der zugrundeliegenden Wahrheit) akzeptieren (Wordsworth, Gerald Manley Hopkins). Hierin würden ihnen ihre skeptischeren Bewunderer nicht folgen, die hingegen die enthüllende, ja sogar wiederverbindende Kraft ihrer Arbeit enthusiastisch anerkennen würden. Die obige Diskussion zeigt einen weiteren möglichen blinden Fleck. Es ist ein Faktum, dass unsere Überzeugungen über diese Dinge zwei Quellen haben oder zweierlei Formen annehmen können. Wir antworten auf die Dichtung von Hölderlin oder Wordsworth mit der Überzeugung, dass eine entscheidende menschliche Erfüllung oder Verwirklichung im Erkennen und Wiederentdecken unserer Beziehung zur Natur liegt. Aber diese Überzeugung unterscheidet sich von den Ideen, die wir möglicherweise über eine zugrundeliegende Geschichte haben. Sie liegt in der Kraft der Erfahrung begründet, wohingegen die zugrundeliegende Geschichte sich auf Ideen über das Universum, Gott, die Lebenskraft, oder die menschliche Tiefenpsychologie oder was auch immer stützen muss, die andere Fundamente, andere Quellen, andere Grundlagen haben. Subtilere Sprachen in der post-romantischen Periode zeugen gewöhnlich von ihren eigenen Limitierungen; die implizite Metaphysik ist entweder zu oberflächlich und partiell (Wordsworths ›Kraft‹), oder zu paradox (Hölderlins ›Götter‹), oder wird von Anfang an als vorläufig präsentiert (Keats ›Schönheit‹). Dies ist der Grund weshalb subtilere Sprachen eine gewisse Unabhängigkeit von Überzeugungen über zugrundeliegende Wirklichkeiten genießen und warum Menschen von solch unterschiedlicher theologischer und anthropologischer Überzeugung das Gefühl der offenbarenden Kraft Wordsworths Dichtung teilen können.10 Man wäre versucht zu sagen: Die Überzeugung, welche diese Dichtung leitet, sei rein ästhetisch, im Gegensatz zu den intellektuell begründeten Theo10 | Dies liegt dem bedeutenden Unterschied zwischen dem späten Hegel und den restlichen Romantiker_innen der 1790er Generation zugrunde, mit denen er aufwuchs und die er dann ablehnte. Hegel war der Meinung, dass er eine vollkommen adäquate, da in der Vernunft begründete, zugrundeliegende Geschichte anbot. Er lehnte es ab, sich mit einem teilweise ›symbolischen‹ Beitrag durch die Kunst zufrieden zu geben, was sogar sein enger Kollege Schelling für unvermeidbar hielt. Die Beiträge der Kunst oder Religion sollten sich in einem vollends konzeptuellen Medium aufheben.
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rien der Theologie oder Anthropologie. Aber dies stimmt nicht ganz, weil intellektuelle Reflexion, zum Beispiel in der Kritik, die tatsächliche Erfahrung verändern, schärfen und entwickeln kann. Was entscheidend ist, ist die Erdung der intellektuellen Reflexion in dieser Erfahrung.
6 Die Fragen, die ich behandelt habe, betreffen eine der Resonanzachsen aus Rosas Theorie. Die Verbindung zur Natur sei eine der wichtigsten dieser Achsen. Es ist offensichtlich, dass wir die Achsen besser definieren müssen, die uns mit der Natur verbinden, oder weiter gefasst, mit der gesamten Umwelt, der natürlichen und menschengemachten. Stellen wir uns ein dystopisches Science-Fiction-Szenario vor: Wir leben in einer Betonwüste oder einer Umgebung, die nur aus Flughafenlounges besteht (in Marc Augés (2010) Worten non-lieus oder Nicht-Orte). Wir würden William Shakespeare, Goethe, Keats, Hölderlin, ganz zu schweigen von Pink-Floyd-Aufnahmen, für umso unersetzlicher halten; wir würden uns an sie klammern wie schiff brüchige Seemänner an schwimmende Planken. Aber wäre das ausreichend, damit wir nach nichts Anderem mehr fragen müssten? Gewiss nicht. Und natürlich hätten wir an diesen Nicht-Orten immer noch unsere Beziehung zu den geliebten Menschen. Hätten wir dann genug? Wiederum nein. Wir brauchen eine Beziehung zur Welt, zum Universum, zu den Dingen, Wäldern, Feldern, Bergen, Meeren, analog zu derjenigen, die wir zu Menschen und Kunstwerken haben, die wir lieben; wo wir uns angesprochen und aufgefordert fühlen zu antworten. Wie sollen wir dies nun untersuchen? Es gibt zwei mögliche Richtungen: Die erste wäre unser Verhalten anzuschauen, die Art und Weise, auf welche Menschen das Land, die Wildnis, Gärten aufsuchen, um diese zu besuchen, aber auch zu bepflanzen; die Art und Weise, auf die sie zu den Denkmälern der Vergangenheit zurückkehren wollen und so weiter. Es gibt hier tiefe Sehnsüchte. Wir könnten dies um hermeneutische Arbeiten komplementieren, wie zum Beispiel Robert Pigue Harrisons (2013) Arbeit über Wälder, welche versucht, deren Bedeutungen für Menschen herauszuarbeiten, um ein wenig zu erklären, warum sich Menschen immer wieder in die Wildnis begeben. Die zweite wäre den dichterischen Entdeckungen/Erfindungen der Sprachen der Epiphanie zu folgen, die infolge der romantischen Epoche entstanden sind. Der Vorschlag, der mir in den Sinn kommt und durch das Lesen der Arbeit Rosas geschärft wurde, besteht darin, diese beiden Wege zu explorieren, sie als komplementäre Perspektiven auf das zu betrachten, was wir definieren und artikulieren wollen. Das komplementäre Verhältnis könnte folgendermaßen beschrieben werden: Die Untersuchung unserer Bedürfnisse und unseres Verhaltens sagt uns ungefähr, wozu wir uns in dieser Welt in Verbindung zu set-
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zen versuchen, während die verschiedenen Formen dichterischer Antwort, die aus der Romantik entstanden, Definitionen anbieten, was diese Beziehungen für uns bedeuten.
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Welt-Bilder und Weltmodelle Resonanz als Metapherntechnik und Technikmetapher Christoph Görlich
»Die Wahrheit der Metapher ist eine vérité à faire.« (Blumenberg 1998: 25)
1 Zur Hälfte seines Lebens, an einem Apriltag des Jahres 1335, bricht Francesco Petrarca mit seinem jüngeren Bruder auf, den Mont Ventoux, einen Zweitausender nahe seiner Wahlheimat Avignon, zu besteigen. Als Motiv darf vordergründig Neugier gelten, letztlich wohl aber auch (zumindest als Entschuldigung) das für seine Zeit nicht mehr unübliche Thema, Gott in der Fülle seiner Schöpfung, der Landschaft, nahe zu sein. Auf dem Gipfel angekommen wird aus dem Transzendenz-Raum der Landschaft eine Art Resonanz-Raum: Petrarca lässt den Blick schweifen, sieht nach der Richtung Italiens hin und rekapituliert unweigerlich sein bisheriges Leben, das Verlassen seiner florentinischen Heimat und die Bildung seines Charakters. Von dort holt ihn wiederum die Landschaft zurück: »Diese und ähnliche Betrachtungen […] kehrten in meiner Brust immer wieder. Ich freute mich über meinen Fortschritt, beweinte, was ich noch unvollendet gelassen, und bejammerte die allgemeine Wandelbarkeit des menschlichen Tuns; und so schien ich gewissermaßen vergessen zu haben, an welch einen Ort ich gekommen sei und zu welchem Zweck. Endlich aber verabschiedete ich meine Sorgen, für die ja ein anderer Ort passender sein mochte, schaute um mich und sah nun wirklich das, was zu sehen ich hergekommen war.« (Petrarca 1996: 26f.)
Landschaft, das ist das Bild der Natur als Ganzes, bildet hier das Medium einer Form von Selbst-Sorge. Aus dem Blickwinkel der Resonanz-Theorie, wie sie Hartmut Rosa in seinem Buch entwickelt, könnte man hier wohl von einer Form von Resonanz-Er-
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fahrung sprechen: Die Welt, empfunden in einer Ganzheits-Erfahrung (Landschaft), rahmt und motiviert direkt eine Erfahrung und Reflexion des Selbst. In seinem berühmten Landschafts-Aufsatz schlägt Joachim Ritter eine andere Bedeutung für das Landschafts-Phänomen in Petrarcas Bericht vor. Er führt das hier zum Tragen kommende Motiv der dem Subjekt unmittelbaren Naturganzheit einer anderen, bei Petrarca vorweggenommenen Bedeutung zu. Landschaft, so Ritter, ist das Produkt einer spezifisch modernen Funktion der Ästhetik, die darin liegt, die freiheitsverbürgende Emanzipation von der Natur in Technik und Wissenschaft, d.h. Entfremdung, durch den Vorstellungsraum einer Rückkehr in die Naturunmittelbarkeit zu kompensieren: »Wo die Entzweiung der Gesellschaft und ihrer ›objektiven‹ Natur von der ›umruhenden‹ Natur die Bedingung der Freiheit ist, da hat die ästhetische Einholung und Vergegenwärtigung der Natur als Landschaft die positive Funktion, den Zusammenhang des Menschen mit der umruhenden Natur offen zu halten und ihm Sprache und Sichtbarkeit zu verleihen.« (Ritter 1974: 161)
2 Ich habe das Petrarca-Beispiel und die davon ausgehenden Betrachtungen Ritters als Einstieg gewählt, weil sie den Kern meiner Problematisierung des Resonanzbegriffs bei Hartmut Rosa treffen. Denn, so meine Grundannahme, auch die Resonanz-Vorstellung ist eine Kompensationstechnik. Meine Ausgangshypothese ist dabei, dass bei Rosa kein Begriff ausgearbeitet, sondern eigentlich und unbemerkt eine Metapher entfaltet wird, die wiederum für den Vorstellungshintergrund »Welt« steht und diesen handhabbar zu machen versucht.1 Metaphern prägen und ›verwenden‹ heißt dann folgerichtig, ein Instrument auszubilden, mit dem ein historisch spezifisches Orientierungsbedürfnis, hier das nach »Welt«, befriedigt werden kann. Konkret auf die Metapher der »Resonanz« bezogen: Die Vorstellung »gelingende[r] und misslingende[r] Weltbeziehungen« (Rosa 2016: 52) ist selbst ein Mittel, die Vorstellung des1 | Blumenberg unterscheidet zwischen Metaphern als »Restbestände« und »absoluten Metaphern« als »Grundbestände«: »Zunächst können Metaphern Restbestände sein, Rudimente auf dem Wege vom Mythos zum Logos; […] Dann aber können Metaphern, zunächst rein hypothetisch, auch Grundbestände der philosophischen Sprache sein, »Übertragungen«, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen. Wenn sich zeigen läßt, daß es solche Übertragungen gibt, die man »absolute Metaphern« nennen müßte, dann wäre die Feststellung und Analyse ihrer begrifflich nicht ablösbaren Aussagefunktion ein essentielles Stück der Begriffsgeschichte (in dem so erweiterten Sinne).« (Blumenberg 1998: 10, Herv. i.O.)
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sen, was ›Welt‹ bedeuten könnte, jeweils, d.h. in den ›Anwendungsgebieten‹ bzw. Beispielen von »Resonanz«, überhaupt erst zu prägen. Die Bezeichnung »Resonanz« bildet also eine Technik, von der man (etwas gewagt) sagen könnte, dass sie eine Wahrheits-Technik, d.h. ein Versuch ist, die Anschauung, die einer solchen Absolutheit wie »Welt« fehlt (die ihr fehlen muss), durch eine ›anschauliche‹ Vorstellung zu kompensieren. Das gesagt, scheint Resonanz freilich nicht so sehr dem verschieden, was Rosa ihr selbst zuschreibt, nämlich Herstellung eines »Drahts« zur Welt zu sein, allerdings nicht eines »vibrierenden« (ebd.: 139), sondern eher eines künstlichen. Resonanz, als Metapher verstanden, ist eine Pragmatik der WeltOrientierung, eine geistige Technik, wenn man so will. Ihr eingebaut ist stets die Mitkonstitution der Welt, auf die sie sich nur zu beziehen vorgibt, was bedeutet, dass ihr Erklärungs- und gar Therapievermögen in Bezug auf die soziale Welt auch auf jene inhärente Konstruktionsleistung beschränkt werden müsste. Resonanz bildet ein Welt-Bild, kein Weltbild und längst kein Weltmodell. Es handelt sich um eine Technik des »Halbzeugs«, wie ich es im Anschluss an Rüdiger Campe formulieren möchte: Sie zieht etwas aus dem Nicht-Handhabbaren ins Handhabbare, belässt es dabei aber im Unklaren und gewährt keinesfalls so etwas wie Eigentlichkeit (vgl. Campe, 2009: 285f.). Dass Resonanz etwas in diesem Sinne Technisches hat, zeigt sich auch von anderer Seite: Wie ich entlang einiger, recht lose aneinandergefügter Beispiele zeigen möchte, hat Resonanz eine recht lange Geschichte als Vorstellungshintergrund für in klassischerem Sinne technische Formen des ›Weltbezugs‹. So begegnet die Resonanz-Vorstellung etwa im Diskurs um den Ort der Seele in der Welt, wie er um 1800 geführt wurde. Sie taucht wiederum auf im damit verbunden Psychophysik-Diskurs im 19. Jahrhundert und später dann in den, wiederum hiermit in engem Zusammenhang stehenden, RadiophonieDiskurse der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In Zusammenschau mit dem physikalisch-technischen Begriff von »Resonanz« tauchen hier technizistische Fantasien eines Seele-Welt-Kontakts auf, die in auffälliger Nähe zur metaphorischen Funktion von »Resonanz« stehen. Dies skizzierend möchte ich nicht behaupten, dass Hartmut Rosas Ansatz bereits einen inhärenten Technizismus trägt oder gar, dass von der ResonanzIdee eine dementsprechende ›Gefahr‹ ausgeht. Ich denke aber, dass eine Reflexion des doppelten Technisierungs-Kontextes, in dem die Idee der Resonanz steht, für die Selbstverortung einer daran anschließenden ›Soziologie des gelingenden Lebens‹ nicht ganz unwichtig ist.
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3 Zunächst also zur Frage der Pragmatik und Technisierung. In den Paradigmen zu einer Metaphorologie schreibt Hans Blumenberg zur Frage nach der Verweisungskraft von Metaphern: »Ihre Wahrheit ist, in einem sehr weiten Verstande, pragmatisch. Ihre Gestalt bestimmt als Anhat von Orientierungen ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität. Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten. […] [Es] kommt hier ein implikatives Wissensbedürfnis zum Vorschein, das sich im Wie eines Verhaltens auf das Was eines umfassenden und tragenden Ganzen angewiesen weiß und sein Sich-einrichten zu orientieren sucht. […] Die Wahrheit der Metapher ist eine vérité à faire.« (Blumenberg, 1998: 25)
Die absolute Metapher, von der Blumenberg hier schreibt und die er strikt von der rhetorischen Figur selben Namens unterscheidet, darf somit verstanden werden als eine Art Technik, Ganzheiten, die der Verstand nur erahnen oder voraussetzen, nicht aber umfassen kann, dem Begreifen dennoch so nahe zu bringen, wie es für eine lebensweltliche Orientierung notwendig ist. Dies besorgt die Metapher, indem sie für das Unbegriffliche, d.h. nicht in Begriffe Überführbare, Vorstellungswelten praktischer Art einsetzt (und etabliert), die aufgrund ihres epochenspezifisch ausgerichteten Sinnüberhangs über ein Maximum an Erklärungs- und Orientierungspotenzial verfügen:2 die Metapher des Lichts für Wahrheit, jene des Schiffs für das Verhältnis von Freiheit, Notwendigkeit und Kontingenz, jene des Buches für das sinnhafte Ganze der Welt und die Möglichkeit von dessen Erfahrung usw. Die Pragmatik der Metapher ist also von jener des Begriffs zu unterscheiden und bildet vielmehr ein Substitut dort, wo der Begriff versagt (vgl. ebd.: 12). Was ist es aber, vor dem der Begriff versagt? Die oben genannte Charakterisierung der Metapher bei Blumenberg gibt dazu eine nicht nur exemplarisch zu sehende Antwort: Die Metaphern geben »einer Welt Struktur«. Das muss durchaus wörtlich genommen werden: Die vor allem bei Martin Heidegger und Edmund Husserl zentrale Frage »Was Welt eigentlich sei« ist nämlich nicht nur eine, wie Campe schreibt, »für Heidegger- und Husserl-Leser am Anfang jeder Begriffserläuterung« stehende Frage (Campe, 2009: 286), bzw. 2 | Vgl. zur Frage des Verhältnisses von Begriffs- und Metapherngeschichte Mende 2009: 88f.
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sie ist es gerade deswegen, weil hier vermutlich der zentrale Begriff für das moderne, im Kontingenzbewusstsein stehende, Orientierungsverlangen angesprochen wird. Ob es sich hierbei in der Tat um einen zentralen Vorstellungshintergrund handelt, muss spekulativ bleiben. Für das hiesige Interesse an der instrumentellen Rolle der Resonanz-Idee ausschlaggebend ist nur, dass ja eben auch dieses Konzept maßgeblich auf der Annahme eines Orientierungs-Bedürfnisses nach Welt beruht. Die Resonanz-Theorie trägt den Anspruch im Untertitel eine »Soziologie der Weltbeziehung« zu sein, die ihr zugrundeliegende Logik ist diejenige »gelingender und misslingender Weltbeziehungen« (Rosa 2016: 52). Das Projekt ist dasjenige »Form und Gehalt eines solchen anderen Weltverhältnisses herauszuarbeiten«, eines anderen »In-der-Welt-Seins« (ebd.: 56), eines gelingenden nämlich. Die Pointe ist es dabei, dass die Resonanz-Theorie in der Orientierung am Weltbegriff nicht nur die Herausforderung von Ganzheitlichkeit aufnimmt und in diesem Sinne in der Tat eine umfassende Gesellschaftstheorie zu sein beansprucht, sondern es geht dabei insbesondere darum, eine solche Theorie nicht auf die Frage der Ressourcen zu vereinseitigen: »Der Ausgangspunkt des vorliegenden Buches ist die Überzeugung, dass die Qualität des menschlichen Lebens (und der sozialen Verhältnisse) nicht einfach an den Optionen und Ressourcen gemessen werden kann, die zur Verfügung stehen, sondern einer Untersuchung der Art des Weltverhältnisses oder der Weltbeziehung bedarf, die für dieses Leben prägend sind.« (ebd.: 52)
Eine Auseinandersetzung mit dem »Welt«-Begriff scheut Rosa dabei nicht. Das Problem identifiziert er hierbei in der wechselseitigen Setzung von Subjekt und Welt, die Lösung darin, das Problem dahingehend umzumünzen, dass sich beide gegenseitig konstituieren und dabei in historisch und kultureller Perspektive ko-variieren (vgl. ebd.: 63). Damit ist allerdings nur die Frage angegangen, wie Welt ›entstehen‹ kann, nicht aber, was überhaupt darunter verstanden werden kann und wie dies möglich ist. Subjekt und Welt sind weiterhin als für sich seiende Begriffe vorgestellt, sie lassen sich, wenn auch heuristisch, phänomenal unterscheiden. Die Idee von »Welt« bleibt als Voraussetzung, über die »Bezogenheit« von Subjekt und Welt aufeinander nachzudenken, unhinterfragt (ebd.: 62, Herv. i.O.). Rosa nimmt denn auch konsequenterweise Bezug auf Heidegger, wenn er schreibt, dass »Subjekte [sich] immer schon eingelassen in oder umhüllt von und bezogen auf eine Welt als Ganzes [finden].« (ebd.: 66, Herv. i.O.) »Die Welt wiederum lässt sich dann konzeptualisieren als alles, was begegnet (oder auch: was begegnen kann), sie erscheint als der ultimative Horizont [sic.!], in dem sich Dinge
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ereignen können und Objekte auffinden lassen, oder, im Sinne Blumenbergs, als ›Metapher für das Ganze der Erfahrbarkeit‹.« (Ebd.: 65, Herv. i.O.) Ich denke, der Umstand, dass Rosa in diesem einen Satz sowohl die Eigentlichkeit von Welt im Sinne Heideggers anspricht und sich zugleich auf Blumenberg bezieht, trifft das Grundproblem, das sich mit der unerkannten Metaphorik von »Resonanz« ergibt. Selbstverständlich geht es mir dabei nicht um die Frage, ob man beide Autoren in einem Atemzug nennen kann oder wie es um die Blumenberg-Rezeption bei Rosa steht. Sondern darum, dass hier symptomatisch die Vergessenheit der Bedeutungsfrage bei Rosa auftaucht. Die Metapher nämlich, die Blumenberg hier anspricht, ist nicht die der »Welt« – wo sollte hier die Metapher sein? –, sondern die der »Lesbarkeit«, d.h. eines spezifischen Modus des Versuchs, das (partiell) vor sich hin zu stellen, was man dann »Welt« nennt. Diese Technik der Metapher gilt es nach Blumenberg sodann zu problematisieren: »Nicht darum kann es gehen, die Welt als Lesbarkeit freundlicher oder unwilliger, drohender oder günstiger Mitteilungen an den Menschen zu restituieren.« (Blumenberg 1986: 11) Es geht also nicht um eine Phänomenologie der Weltbeziehung(en). »Aber doch darum, die Auszeichnung einer bestimmten, unter dem Aspekt von Zwecken nicht der Weltvertrautheit, sondern der Weltverfügung einzigen Art der Erfahrung, wenn nicht zu vermeiden, so doch als das nicht Selbstverständliche, als das geschichtlich kontingente erkennbar zu machen.« (Ebd.) Die Metapher der Lesbarkeit und wiederum deren jeweilige, historisch variable Variationen, heißt das, haben die Funktion eines Zugriffs auf »Welt« und d.h.: sie konstituieren zugleich Welt. ›Welt‹ ist hier also nicht die Metapher, sondern die unentscheidbare, doch nach dem oben Gesagten schon immer beantwortete Frage. Die Metapher ist das jeweils variierende und sich stetig erweiternde Arsenal der ›Stellen‹ (vgl. Campe, 2009: 286f.), d.h. der Bilder und Auslöser von Vorstellungen, die die Frage und die Antwort zugleich besorgen. Zumindest auf der Oberfläche dessen, was Rosas Text benennt, scheint mir der Begriff der Resonanz ›eigentlich‹ gerade die Sammelstelle, d.h. der Topos eines solchen ›Arsenals‹ zu sein. Rosa deutet die Idee der Resonanz im Verlaufe seines Buches mit verschiedenen Metaphern aus: Da ist die Rede vom »Resonanzdraht« (Rosa 2016: 292) – Rosa beschreibt sie selbst als »metaphorisch« (ebd.) –, der stumm oder beredt sein kann; oder es geht um die Psychoanalyse als »Resonanzecholot« (ebd.: 613), es gibt »Resonanzsphären« (ebd.: 73) und »Resonanzachsen« (ebd.: 331), einen »Resonanzschock« (ebd.: 109), einen »Resonanzblitz« (ebd.: 119), einen möglichen »Resonanzhafen« – »Die Familie als Resonanzhafen in stürmischer See« (ebd.: 341) –, aber auch »Resonanzblockaden« (ebd.: 158) bzw. »Resonanz- oder Strömungsblockaden« (ebd.: 118), ebenso »Resonanzverlangen« (ebd.: 138) und »Resonanzfreiheit« (ebd.); der Uterus der
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Mutter kann ein »Resonanzraum« (ebd.: 85) sein, die Stimme ist »das zentrale Resonanzorgan des Menschen« (ebd.: 114), die Haut eine »Resonanzmembran« (89); etc.3 Die Bilder, an denen der vermeintliche Begriff »Resonanz« hierbei andockt und ohne die ihm keine oder nur wenig Intension und Exstension zuteil werden würde, sie puzzeln erst eine Welt zusammen, die es ohne diese Bilder und über diese hinaus ebenso wenig geben würde. Es ist ein wenig wie beim modernen Konsum: Erst das Angebot, die Ware, produziert das Bedürfnis danach – hier: erst das Bild produziert in der verknüpften Vorstellung das, wovon es Bild ist und zudem: wofür es auf eine Lösung hindeutet. Hier wird auf der Ebene des ›Wissens um…‹ eine Welt puzzleartig hergestellt, zu der das Motiv der Herstellung, die Metapher der Resonanz, gleichzeitig auch die Verbindung herstellen soll. Das ist einerseits deswegen noch nicht problematisch, weil darin keine Ideologie liegt, sondern eher ein jeweiliges Angebot dahingehend, das Bedürfnis nach Weltkontakt in den aufgezeigten Momenten zu finden und ggf. gelöst zu sehen. Darin liegt außerdem auch kein Problem, weil das Moment dieser Bedürfnis-Thematisierung, will man Blumenberg folgen, nichts außergewöhnliches, vielmehr ein der Lebenswelt, für die Rosa hier ja eine Therapieform entwirft, gänzlich inhärentes, d.h. letztlich konstitutives Moment ist. In seiner Betrachtung von Husserls Krisis-Schrift in Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie (Blumenberg 1981) arbeitet Blumenberg heraus, dass beides, Lebenswelt und Technisierung, eine Einheit bildet. Denn indem Lebenswelt das »Universum der Selbstverständlichkeiten« (ebd.: 37, Husserl paraphrasierend), d.h. Ressource für gesicherte »Welt«-Orientierung ist, muss sie auf die Technik der Selbstverständlichmachung zurückgreifen, muss sie, mit Husserl, auf einen »zu jeder Zeit unerschöpflichen Vorrat des fraglos Vorhandenen, Vertrauten und gerade in diesem Vertrautsein Unbekannten« zurückgreifen (Husserl, 1976: 183). Der Welt muss durch Selbstverständlichmachung von Teilaspekten stets Orientierung abgetrotzt werden, wobei eben im Sinne des ›Selbstverständlichen‹ die Rückfrage nach der Begründung dieser Aspekte des Selbstverständlichen nicht notwendig sein soll. Lebenswelt ist in diesem Sinne Technisierung: Sie sedimentiert Teile der, ›als solcher‹ eben nie gewussten, Welt in Selbstverständlichkeiten und (wissenschaftshistorisch gesehen) Methoden (in soziologischer Perspektive ließe sich hinzufügen: In-
3 | Auffällig gehäuft kommen solche Wortkreationen im Kapitel »Körperliche Weltbeziehungen« vor, in jenem Teil also, der sich dem existenziellen »In-die-Welt-Gestelltsein« (Rosa 2016: 83) widmet. Etwas salopp formuliert: der Metapherndruck war hier besonders groß.
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stitutionen) und manifestiert so die Bereiche, auf die eben nicht stets zurückgegangen werden muss.4 In der Fluchtlinie einer solchermaßen verstandenen ›lebensweltlichen‹ Technisierung können wir eben auch Metaphern betrachten: Durch eine schon immer vorhandene Menge an, dennoch produzierten, Bildern machen sie selbstverständlich, was als solches der Verständlichkeit entbehrt und gar entbehren muss, da es keinen Begriff hat (»Welt« zum Beispiel). Metapherngeschichte ist Technisierungsgeschichte, sofern Technisierung wie oben skizziert verstanden wird (vgl. Mende 2009: 106f.). So gesehen erfüllt die Resonanz-Metapher bei Rosa zunächst eine für solche Metaphern ganz charakteristische Funktion: Im Lichte der Resonanz lassen sich scheinbar, sofern ihre Bilder treffen, wichtige Aspekte eines Verhältnisses der Subjekte zu ihrer Umwelt ausmachen. Was hier bisher einzig gesagt ist, ist das dem nun eben eine Technizität inhärent ist, d.h. dass ›Resonanz‹ nicht auf Eigentlichkeiten Bezug nimmt oder gar reagiert, sondern dass sie Instrument zur Herstellung der Welt-Orientierungsform ist, die solche ›Eigentlichkeiten‹ ausmachen. Auf einen Punkt gebracht: Die Idee der Resonanz hat als Metapher ihren legitimen Kern in einer Pragmatik der Weltorientierung äquivalent zu dem, was sich als inhärente Technisierungs-Tendenz der Lebenswelt bezeichnen lässt. Rosa scheint dies auf den ersten Blick auch so zu sehen, wenn er im zu Ende des letzten Kapitels schreibt: »Der Begriff der Resonanz, so die Hoffnung dieses Buches, könnte vielleicht die Antwort auf die von Blumenberg aufgeworfene verwunderte Frage liefern, was es denn war, das wir suchten, und was es denn gewesen sei, das wir erhofften, und so als ein Kompass dafür dienen, jenes Meer zu suchen und zu finden, das allen menschlichen Hoffnungen seit jeher zugrunde liegt.« (Rosa 2016: 737) Schaut man aber genauer hin, dann enthält dieser Satz das, was hier als Überspringen der Metapher in Eigentlichkeit kritisiert werden soll: Resonanz steht dort nämlich nicht für einen Kompass allein, sondern eben für etwas, das umfassend und primordial, ja existenziell, ist. Dementsprechend wird auch wiederum Blumenbergs Anliegen missinterpretiert, denn hier geht es ja gerade nicht darum, einen letzten Grund zu suchen – in aller Konsequenz des Arguments von Der Lesbarkeit der Welt ist so etwas hier nicht auffindbar 4 | Blumenberg: »[W]enn die gegebene Welt nur ein zufälliger Ausschnitt aus dem unendlichen Spielraum des Möglichen ist, wenn die Sphäre der natürlichen Fakten keine höhere Rechtfertigung und Sanktion mehr ausstrahlt, dann wird die Faktizität der Welt zum bohrenden Antrieb, nicht nur das Wirkliche vom Möglichen her zu beurteilen und zu kritisieren, sondern auch durch Realisierung des Möglichen, durch Ausschöpfung des Spielraums der Erfindung und Konstruktion das nur Faktische aufzufüllen zu einer in sich konsistenten, aus Notwendigkeit zu rechtfertigenden Kulturwelt.« (ebd.: 47).
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–, sondern es geht, wenn man so will, um die inhärente Dynamik der Suche (Blumenberg spricht von »Metakinetik«, 1998: 13).
4 Man muss einräumen, dass Rosas Idee der Resonanz in dem Bestreben formuliert ist, eben keine Essentialisierung vorzunehmen. Der Autor wird nicht müde zu bemerken, dass es sich hier um ein geschichtlich und kulturell relatives Phänomen handelt (vgl. ebd.: 62f.). Doch in dem Bestreben, mit einer »Soziologie der Weltbeziehung« über die tendenzielle Ressourcenfixiertheit bisheriger Ansätze kritischer Theorie hinauszugehen, wird diese Beschränkung wieder kassiert. Wie oben bereits angedeutet, ist die Resonanztheorie stattdessen von dem Anspruch getragen, eine Soziologie zu sein, die auf existenzielle Grundfaktoren Bezug nimmt. Grundlage dessen ist eben jene Idee von Weltbeziehung als eine (unter anderem an Heidegger anschließende) These des jeweils schon »Auf-die-Welt-Bezogenseins«, ja »In-die-Welt-Gestelltseins« (ebd.: 289, Herv. i.O.). Daraus bezieht die Theorie auch das Selbstbewusstsein, »Soziologie des gelingenden Lebens«, wenn auch nicht dogmatisch (vgl. ebd.: 37), zu sein: »Intakte und scheiternde Weltverhältnisse bilden, so die Ausgangshypothese des Buches, die Basis für gelingendes und misslingendes Leben und liefern daher den unhintergehbaren Maßstab für eine Soziologie des guten Lebens.« (Ebd.: 58)
Sie beansprucht dabei, nicht nur Sozialontologie, sondern auch Leitfaden sozialer Entwürfe zu sein – »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung« (ebd.: 13). Aus der bisher skizzierten Perspektive bzw. der entfalteten These betrachtet, nach der ›Resonanz‹ stets als Metapher behandelt werden sollte, stellt sich dieser Anspruch der Resonanztheorie als Überspringen der Metapher nicht nur in den Begriff, sondern auch in die Praxis dar – will man im Bild bleiben: aus lebensweltlicher könnte hier soziale Technik werden. Das muss zwar im Konjunktiv belassen und es sollte deutlich zugegeben werden, dass der Resonanztheorie nach bisherigem Entwurf solche Allüren in der Tat fremd sind. Doch es bleibt ein Unbehagen mit dem Sprung von der Metapher – sofern man zugeben will, dass Resonanz eine solche ist – in die soziale Praxis. Dieses Unbehagen speist sich, soziale Technik hin oder her, aus dem allgemeinen Risiko des Instrumentell-Werdens solcher Begriff gewordener Vorstellungen. Sei es letztlich auch nur zum Zwecke kulturgeschichtlicher Selbstverortung der Resonanzidee, es scheint bezüglich solcher Risiken geboten, einen Blick auf das zu werfen, was man das »Phantasma« der Resonanz nennen
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kann, d.h. in all jene Entwürfe, die sich – zum Teil unter zentraler Verwendung der Bezeichnung »Resonanz« – der Verknüpfung von Selbst und Welt in der Moderne widmen. Da es sich hierbei um ein sehr weites und sicher schwer aufzubereitendes Feld handelt, soll hier, und dies auch nur skizzenhaft, ein historischer Strang herausgenommen werden, den man mit reichlich begrifflicher Unschärfe als »psychophysischen« bezeichnen könnte. In dieser Entwicklung des Phantasmas geht es im Prinzip um die materielle Verbindung bzw. Versöhnung zwischen Seele und Welt seit der Zeit um 1800. Grob lassen sich folgende Stationen ausmachen, die im Anschluss im Einzelnen skizziert werden sollen: 1. Die Versuche der Überwindung des Leib-Seele-Dualismus in nachkantischer Zeit und der Übergang zum psychophysischen Paradigma um 1800/ im frühen 19. Jahrhundert. 2. Die Manifestation der Psychophysik im späten 19. Jahrhundert. 3. Das Phantasma um Fernwirkungen im Gefolge der Psychophysik und der Wellen- und Feldtheorien; insbesondere zeigt sich dies im RadiophonieDiskurs der 1920er und 1930er Jahre. 1.) Wie Michael Hagner beschreibt, kommt es um 1800 zu einem umfassenden Wandel in der Betrachtung von Gehirn und Seele (vgl. Hagner 2008: 58ff.): Wo zuvor eine klare, auf das »Seelenorgan« zugeschnittene Hierarchisierung des Gehirns vorherrschend war, kommt es nun zur cerebralen Lokalisierung und Differenzierung sowie im Allgemeinen zu einer »Fragmentierung des Geistes« (ebd.: 20) und damit des Ichs. Hiermit ergab sich, wie Olaf Breidbach darlegt, eine recht paradoxe Situation, war es doch gerade der Kern der mit Kant auf den Höhepunkt gelangten Philosophie der Aufklärung, ja scheinbar auch historisches Charakteristikum der Epoche, das Ich als Einheit als Basis und Bürgschaft der Vernunft zu setzen (vgl. Breidbach 1997: 45f.). Die Gleichzeitigkeit dessen mit der Fragmentierung des Denkens in seinem materiellen Substrat, mit der »Verabschiedung des Seelenorgans« (Hagner 2009: 14) führte wiederum zu Rettungsversuchen, die gewissermaßen einen Ausgleich zwischen Seele und Gehirn suchten. Hier kam – in enger Verbindung mit musik- und akustiktheoretischen Reflexionen (vgl. Auhagen 2009) – u.a. auch der Gedanke der Resonanz zum Tragen. Wesentlicher Vordenker einer resonanztheoretischen Einbettung der Seele im Gehirn war dabei Leonhard Euler, jener Mathematiker, der auch für seine trigonometrische Harmonielehre, der ersten Methodik zur Berechnung von Klangreihen, bekannt ist (vgl. Velminski 2009a: 150-171). War er bereits hier zu einer Form der Technisierung bzw. Methodisierung des Phänomens des Gleichklanges gelangt, so übertrug sich der Gedanke nun auch auf die Frage des Seele-Hirn- und damit Seele-WeltDualismus.
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Den Raum des Bewusstseins, in dem sich nach seiner Vorstellung die Seele aufhält, beschreibt Eule als camera obscura und verwendet dabei ein Bild, das dem technischen Zeitgeist zu entsprechen bestimmt war (vgl. Welsh 2010). Die Logik dieser Technik wird wie folgt übertragen: Die Seele ist der dunkle Raum im Inneren der Kamera, durch den über ein Loch Licht, d.h. Empfindungen, aus der Außenwelt – d.h. aus dem Gehirn, das aber nur Reizübertragung aus der Außenwelt ist – auf einem Schirm trifft, auf dem die Empfindungen zu Bildern, Bildern der Seele, d.h. Vorstellungen, werden. Verbunden mit der Wellenanalyse Eulers heißt das: Es gibt einen Mechanismus, bei dem bestimmte Empfindungen bestimmte seelenhafte Reaktionen auslösen, in dem also ein spezifisches Entsprechungsverhältnis von Seelenstoff und Empfindungsübertragung Bilder erzeugt (vgl. Welsh 2003: 21ff.). Die allgemeine Idee eines solchen Modells ist die eines Resonanzverhältnisses zwischen Seele und Welt (vgl. Welsh 2009). Interessant, weil symptomatisch für die Zeit und das Fortleben des Resonanz-Phantasmas, ist die offenkundige Funktion des Rückgriffs auf den Resonanz-Mechanismus, denn dieser macht es möglich, die Freiheit und Einheit der Seele im Kontext eines davon zu unterscheidenden, weil fragmentierten, Gehirnorgans zu denken (vgl. Welsh 2003: 22). Symptomatisch ist das Bild einerseits, weil es einen charakteristischen Versuch darstellt, diesen Spagat zu vollführen und sich dabei offenkundig als nur Bild bzw. Metapher zu präsentieren. Andererseits deutet sich hier eben jenes Phantasma einer irgendwie nicht-materiellen Fernübertragung an. 2.) Der Topos der (Äther-)Wellen (des Lichts oder der Akustik) und jener des Mechanismus wird die Resonanztheorie der Seele bzw., später, der Psyche über die folgenden zwei Jahrhunderte weiter begleiten und in jene feste Trias aus Psyche, Physis und Technik eingehen, die das Kernstück der Psychophysik ausmacht. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entfaltet sich zunächst vollends die Idee einer, jetzt explizit so bezeichneten, ›Resonanz‹ oder ›Sympathie‹ zwischen Seele und Körper. Vollends bedeutet hierbei aber zweierlei: Erstens wird Eulers Versuch, der Seele Autonomie einzuräumen, zugunsten der Vorstellung eines Mitschwingens von Seele und Körper, einer Abhängigkeitsbeziehung also, fallengelassen. Zweitens wird dadurch zwar das Bild schärfer, aber nur um den Preis einer Verabsolutierung der Metapher. Hatte der Begründer der Assoziationspsychologie, David Hartley, die Analogie von Nerven zu den schwingenden Saiten noch als absurd betrachtet, entwickelte sich selbige nun zu einem »ganzen Metaphernbereich, in dem Gemütsstimmungen als gute Stimmungen, schlechte Stimmungen, Verstimmungen und überspannte Nerven beschrieben werden« (Welsh, 2003: 31).
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Es kommt also gleichzeitig zur Verabsolutierung und dabei steigenden Technizität der Metapher der Resonanz und der im Kontext stehenden Idee der »Stimmung« – die Metapher »nimmt hier das Wort beim Wort« (Blumenberg 1998: 117). Damit vollzieht sich ein Wechsel vom Bild zum Modell insofern, als dass Resonanz hier nicht mehr Illustration eines Prozesses, sondern dessen reales Modell, nämlich dasjenige der direkten Affektion der Sinne und Reizmuster ist (vgl. Welsh 2003: 35). Je mehr sich dabei die Analogie zur Metapher und von der Metapher zum Modell umformt – Metapher als »Halbzeug« – desto mechanistischer und automatischer scheint auch das Ergebnis gedacht zu sein und desto weniger Autonomie ist der Seele bzw. dem Ich eingeräumt. Hatten schon der Anatom Samuel Thomas von Soemmering und der Mediziner Johann Christian Reil in ihrer Vibrationslehre davon geträumt, komplexe Gedanken durch Vibrationsmuster erzeugen zu können (vgl. ebd.: 44), so entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Windschatten der Psychophysik, der Lehre vom Verhältnis von Seele und leiblicher Materie, ein ganzes, vom Resonanz-Modell geprägtes, Phantasma der Seelentechnik (vgl. Marshall 1982). Am deutlichsten zeigt sich dies bei Gustav Theodor Fechner, der zugleich als zentrale Figur des psychophysischen Paradigmas im 19. Jahrhundert gelten kann und unter anderem bekannt für das von Ernst Heinrich Weber begründete und durch ihn erweiterte Gesetz zur Berechnung der subjektiv empfunden Stärke von Sinneseindrücken (= proportional zum Logarithmus des objektiven physikalischen Reizes) ist. Komplementär zu diesen und weiteren Arbeiten zur objektiven Betrachtung von Sinneseindrücken und Assoziationen steht bei Fechner eine »esoterische Psychophysik« (Erdbeer/ Wessely 2009: 146), in welcher Resonanz zur Leitfigur des Lebens schlechthin gemacht wird (vgl. ebd.: 144). Bei Fechner ändert sich die interne Logik der Resonanz-Metaphorik, insofern hier zwischen somatischen und seelischen Prozessen nicht mehr wie dort eine hierarchische Kausalbeziehung, sondern eine Gleichursprünglichkeit seelischer und körperlicher Resonanz postuliert wird, die Resonanz zur Leitfigur des Lebens schlechthin macht (vgl. ebd.: 144). In der »Wissenschaftssatire« (ebd.: 146), betitelt Vergleichende Anatomie der Engel (1825) und in seinem esoterischen Hauptwerk Zend-Avesta (1851) entwickelt Fechner ausgehend von seiner Grund-Hypothese eines ›psycho-physischen Parallelismus‹ eine absolute Kommunikations-›Theorie‹, nach der somatische und seelische Prozesse derart prästabilisiert und gleichursprünglich sind, dass der Prozess des Lebens »als vitale Resonanz« (ebd.) beschrieben werden kann, die über den Tod hinausgehend zu einer Resonanz der Geister wird (vgl. ebd.: 153). Grundannahme dieses Phantasmas ist nicht nur eine Verabsolutierung der Resonanz, sondern auch eine Radikalisierung des Resonanzgedankens: »absolute Resonanz« (ebd.: 146) meint hier auch abweichungsfreie Resonanz, d.h. Seele und Leib stehen in einem störungsfreien Gleichklang ohne Freiheitsgraden. Dass Fech-
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ner diese absolute Resonanz in einer kosmischen, einer Resonanz eben der Geister bzw. Engel im Jenseits bzw. im übermenschlichen Kosmos verortet, bedeutet zugleich, dass hier dem Phantasma einer absoluten, reibungsfreien Kommunikation – die damit zugleich keine Kommunikation im eigentlichen Sinne ist – das Ideal des Übermenschen, d.h. des absoluten Mediums kosmischer Kommunikation zur Seite gestellt ist (vgl. ebd.: 155). 3.) Diese esoterische Verabsolutierung des Resonanz-Paradigmas – in dem Resonanz im Sinne absoluten Gleichschwingens ebenso verschwindet wie Kommunikation – steht exemplarisch für einen ganzen Bereich von ähnlich strukturierten Kommunikations-Phantasmen, deren einer Fixpunkt der lange Äther-Diskurs, deren anderer die heraufziehenden Wellen- und Feldtheorien sind. Verschwindet bei Fechner das Steuerungsphantasma noch in den esoterischen Ganzheitsphantasien, so taucht es im Windschatten dieser Diskurse wiederum da auf, wo der Mystizismus und die Esoterik der Kommunikation und des (Geister-)Mediums ab der Jahrhundertwende in konkrete, technologische Ideen übergehen. So etwa in den noch stark esoterisch geprägten TeleDiskursen rund um Telefonie und Radiophonie und sodann in den Radiodiskursen der 20er und 30er Jahre. Signifikant ist hierbei jener Diskurs, den Dominik Schrage unter dem Titel Psychotechnik und Radiophonie analysiert: In dichter Fortschreibung der referierten Psychophysik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts kehrt die Idee der Subjektivierungstechniken mittels Resonanzmechanismen im Rahmen der Radiophonie-Diskurse in den 1920er Jahren wieder (vgl. Schrage 2001). Dem sich zur Idee einer »funktionalen Selbsterkenntnis« (Schrage 2002: 31) gewandelten Subjektivierungsregime stellt sich hier nun die erste ResonanzTechnologie par excellence, das Radio, hinzu. Die Technik des Radios ebenso wie die (Neuauflage der) Technologie der Psychotechnik, so Schrage, unterläuft den bisher (und heute noch) geläufigen Hiatus zwischen Innen- und Außenwelt, indem beide in der Idee der Subjektivierung qua Fernwirkung verschmelzen (vgl. Schrage 2001: 8). Die Unterscheidung beider Technologien kann dabei folgendermaßen gesehen werden: Psychotechnik ist der Versuch der Quantifizierung, Radiotechnik der Versuch der operativen Manipulation subjektiver Erfahrung mittels Ausweitung des Nahraumes (vgl. ebd.: 9). Die in Analogie zum Ingenieurswissen und in der Fluchtlinie der Vergemeinschaftung gedachten radiophonen Subjektivierungstechniken verlaufen in ihrem inhärenten Phantasma eines steuernden Zugriffs auf das Radiopublikum u.a. nach dem Prinzip der Resonanz: Eine harmonisierende Simultanisierung von Programm und hörendem Individuum gilt den frühen Pionieren des Hörspiels, z.B. dem später im Dritten Reich als Intendant tätigen Richard Kolb, als Grundlage für eine Sinn-Induktion beim Zuschauer (vgl. Schrage 2002: 46). Doch auch in weniger extremen Ausformungen ist die Idee eine ähnliche,
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nämlich die Ausprägung von Subjektidentitäten in artifiziellen Wirklichkeiten mit dem Ziel funktionierender Einpassung des Einzelnen in die Gemeinschaft, mithin eine im Lichte des Wertes der Vergemeinschaftung funktionierende Selbst-Welt-Beziehung. Der Resonanzmechanismus spielt als Mittelpunkt der Psychophysik natürlich auch hier eine wichtige Rolle, wie etwa Kolb beweist: »Der über die Erde hinausgeschleuderte freie Strom der Funkwellen erhält die Modulation durch das vom Hörspieler erzeugte Wort, das Sinn und Richtung durch den Dichter erhielt. Die elektrischen Wellen treffen den Menschen, gehen durch ihn hindurch, und es wäre nicht absurd zu denken, dass der Mensch Nerven hätte, die die Wellen unmittelbar aufnähmen und im Gehirn zur Wahrnehmung brächten« (Kolb, 1932: 53).
Damit kommt in den Radiophonie-Diskursen das Phantasma der Resonanz mit dem technologischen Begriff der Resonanz in unmittelbaren Kontakt: Die Steuerung von Subjektivitäten, die sich dem psychophysisch gedachten Apparat der (Radio-)Wellen-Nerven-Verbindung bedient, bedient sich der Resonanz-Technik Radio. Dass man hierbei freilich die Unterscheidung zwischen Metapher bzw. metaphorisch inspirierter Vorstellung des Ersteren von der konkreten physikalisch angeleiteten Technologie des Letzteren zu trennen hat, muss unterstrichen werden. Das Zusammentreten beider Momente darf als nichts weiter denn ein historisches gedacht werden – hier kommt also gerade kein Bild zu seinem technologischen Eigentlichen. Dennoch illustriert die Szene sehr gut das Problem des Übersprungs – des Übersprungs einer Metapher nicht nur in einen weiterhin ungedeckten Begriff, sondern zudem in einen konkreten Mechanismus, des Übersprungs von sprachlicher Orientierungsleistung in reale Konstruktion, von der Metapher als Welt-Bild in Weltbild und Weltmodell. Es lohnt sich dazu noch einmal auf die eben erbrachte kurze Skizze zurückzublicken: Es zeigte sich erstens, dass mit zunehmender Manifestierung der Resonanz-Metapher vom Diskurs der Seelenverortung über die Psychophysik bis hin zur Radiophonie eine steigende Technizität des Phantasmas einhergeht, bis dahin dass »Resonanz« ein unmittelbares Doppelleben von Vorstellungsbild und physikalisch-technischem Terminus zu führen beginnt. Dabei kommt es zweitens zu einer stetigen Verbindung des Resonanz-Phantasmas mit einem Kontrollparadigma, das zunehmend die Züge einer Seelenführung bis hin zur Subjektivierung annimmt. Man kann sich dabei in der Tat des Eindruckes nicht entledigen, dass die Intention der Metapher bzw. des Modells der Resonanz sich dem Bedeutungsgehalt des physikalischen terminus technicus annähert. Laut Physik-Handbuch bezeichnet der Begriff die Funktionsweise »erzwungener Schwingungen« und ist dabei auf das Maximum an Auslenkung
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der Schwingung, d.h. der Beschleunigung der Schwingungsbewegung ausgerichtet, was wiederum bei größtmöglicher Äquivalenz der Frequenzeigenschaften gegeben ist (vgl. Tipler/Mosca/Wagner 2015: 413). Der physikalische Begriff ist somit ausgerichtet auf zwei Werte: jenen der großen Wirkung (Energieübertragung) und von diesem abgeleitet den der Gleichheit (Erreichen der Eigenfrequenz des Resonanzkörpers, um ein Maximum an Amplitude zu erhalten). Ähnlich die Genese des modernen Resonanzbegriffs: Von der Idee (1) des bei Rosa präferierten »re-sonare« im Sinne von »widerhallen, ertönen«, im Sinne also eines freien Mitschwingens und Antwortens – wir finden diese Idee in der Auseinandersetzung mit dem Leib-Seele-Dualismus um 1800 –, über das Phantasma (2) einer reibungslosen Energie- bzw. Kommunikationsübertragung – etwa in Fechners Esoterik – zum schon viel weniger phantasmagorischen Projekt (3) einer Subjektivierung mittels elektronischer Medien, etwa dem Radio, und damit einer maximalen Anregung der »Eigenfrequenz« der Subjekte. An diesem exemplarischen Strang der Entwicklung einer Metapher zeigt sich also, welch zum Teil kritischen Bedeutungswandel – man könnte auch von einem Wandel der Intentionalität sprechen – eine Metapher wie die der Resonanz erleben kann, ohne dass sich die Funktion, also die »Technizität« derselben sehr ändert. Die Frage ist dann, welchen Anteil die Metapher an solchen diskursiven Bewegungen hat. Hier ist von Bedeutung, in welchem Maße Metaphern zu Weltbildern werden, inwiefern sie also in den Rang gefestigter oder geschlossener Auslegungen der Wirklichkeit gelangen – und inwiefern sie auf diesem Wege dann gar für nicht mehr so interpretatorische Modelle der Realität, Weltmodelle, stehen (vgl. Blumenberg 2015).
5 Die vorangegangene Skizze soll (und kann) nicht implizieren, dass auf die Metapher unweigerlich etwas von ihrem technizistischen Gegenstück überspringt. Wenn in diesem Aufsatz von der ›technischen‹ Bedeutung der Metapher im Sinne des Gedankens einer der Lebenswelt inhärenten Technisierungs-Tendenz die Rede war, dann sollte dies nicht unumwunden mit Technologie gleichgesetzt werden. Vom »Wesen« her ist beides verschieden. Allein, im Falle einer Metapher wie der der Resonanz, in deren Vorstellungsgehalt Technologie zumindest am Horizont steht, ist es durchaus möglich, dass es zu einer solchen Sinnübertragung kommt – wenn, und das ist ebenso wichtig, es zu einer Übertragung der Metapher in den Begriff kommt.
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Letzteres ist bei Rosa das explizite Anliegen: Eine »metaphorische Verwendung des Begriffs« genügt für das intendierte Projekt nicht, »Resonanz als sozialtheoretische Kategorie« zu begründen (Rosa 2016: 281). Problematisch ist hierbei schon, dass Rosa überhaupt davon auszugehen scheint, man habe es von vornherein mit einem »Begriff« zu tun, zu dem es eine metaphorische »Verwendung« gibt. Er setzt, das zeigt seine Auseinandersetzung mit dem Terminus »Resonanz« (vgl. ebd.: 281-298), vor aller Geltung ein Eigentliches des Begriffs – Resonanz ist ein generelles Phänomen, zu der die metaphorische Verwendung sekundär ist und das einen Bedeutungskern, denjenigen des »aufeinander Einschwingen[s]« (ebd.: 283, Herv. i.O.), hat. Dass dem schon von dem Begriff der Resonanz her nicht der Fall ist, das legt Rosa unabsichtlich selbst in einem kleinen Beispiel nahe. Bezugnehmend auf die mit Autonomie und Freiheit konnotierte lateinische Wortbedeutung des resonare schreibt Rosa, den physikalischen Begriff verwendend: »Von Resonanz lässt sich dabei allerdings nur sprechen, wenn die beiden Körper nicht so miteinander verkoppelt sind, dass die Bewegungen des einen mechanisch-lineare Reaktionen des anderen erzwingen (etwa indem die beiden Stimmgabeln miteinander verleimt oder verklammert werden). Resonanz entsteht also nur, wenn durch die Schwingung des einen Körpers die Eigenfrequenz des anderen angeregt wird.« (ebd.: 282, Herv. i.O.)
Dass es sich dabei aber dennoch, »Eigenfrequenz« hin oder her, um eine erzwungene Schwingung handelt, wird dabei freilich außer Acht gelassen. Der Grund für diese Glättung des physikalischen Bedeutungsgehalts ist, dass die Funktion von »Resonanz«, die eben doch eine metaphorische ist, als solche nicht mehr reflektiert wird, dass also Eigenfrequenz im Sinne des der lateinischen Wortbedeutung entlehnten Sinns von »widerhallen« (ebd.), sowie in Konsequenz des weiteren metaphorischen Feldes im Sinne von »aufeinander Einschwingen«, »Gleichschwingen« etc. gelesen wird. Wichtig für diesen Mechanismus der Bedeutungsgenerierung ist übrigens die ganze »Stellensammlung«, die insgesamt das »Paradigma« (Campe 2009: 287) namens Resonanz bildet, d.h. das Spiel aller Aussagen des Buches (bzw. der Theorie), die charakterisieren sollen, was Resonanz ist und sich dabei gegenseitig verstärken, gewisse Bedeutungen neutralisieren bzw. anpassen. Die Eigentlichkeit des »Begriffs« Resonanz wird hier erst produziert, wobei gegensätzliche Bedeutungen zunächst nivelliert werden. Im Übrigen ist es durchaus konsequent, dass Rosa von einem klaren sozialtheoretischen Begriff, der eine eigentliche Bedeutung hat, ausgeht, ist doch die Heidegger’sche Ausgangsvermutung die, dass es eigentlich, vor aller weiteren Bedeutung, schon immer Weltbeziehung und das heißt auch Welt gibt. Von der Eigentlichkeit der
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Welt und der Weltbeziehung her ergibt sich, dass es einen eigentlichen Bedeutungskern für »Resonanz« gibt. Das alles soll hier nicht weiter angefochten werden (bejaht aber auch nicht). Wie oben dargelegt, erfüllt der Begriff auch als Metapher vieles von dem, was Rosa ihm zutraut: »Resonanz« bietet einen Katalog und eine sinnhafte Verknüpfung möglicher Stellen, an denen Entfremdung und Beschleunigung vermieden werden können. So gesehen, ließe sich die Metapher in der Tat als eine Art »Echolot« (›Detektor‹) und »Kompass« für jene Phänomene verstehen, die – je nach kulturellem, epistemischem und geschichtlichem Kontext – für besonders bedeutsam und sensibel gelten, gewissermaßen ›eigentliche Geltung‹ besitzen. Mehr aber wäre mit einer Metapher in sozialtheoretischer Hinsicht wohl nicht zu machen und daher die Rede von der »Resonanz« auch darauf zu beschränken. Das heißt: Die Metapher müsste als solche reflektiert werden. Tut man dies nicht und lässt »Resonanz« damit die Bedeutung von Eigentlichkeiten angedeihen, die es zu beachten, zu schützen, wiederherzustellen etc. gilt, dann birgt dies durchaus auch das Risiko, dass das Eigenleben der Metapher zurückschlägt, dass also bisher ignorierte Bedeutungskeime (bereits vorhandene oder mögliche) im Vorstellunghorizont auftauchen und am Eigentlichkeitsgedanken partizipieren. Auf einen exemplarischen Fall für das Eigenleben nicht weiter als solcher reflektierter Metaphern verweist die obige Skizze. Der Resonanztheorie, wie sie Rosa zum jetzigen Zeitpunkt erdacht hat, wohnt eine solche Tendenz nicht notwendig inne und eine Fundamentalkritik am Konzept kann und soll sich daraus auch nicht ergeben. Geht man aber mit der hier angesetzten Grundannahme, dass es sich bei »Resonanz« letztlich um eine Metapher handelt, mit, dann, so das Fazit, ist es notwendig, solche Risiken als Möglichkeit stets mit zu reflektieren und das Konzept in seiner Geltung dementsprechend zu begrenzen.
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In Liebe gebor(g)en: Heilsversprechen der Resonanz als Symptom für das Unbehagen in der Kultur Psychoanalytisch-kulturtheoretische Anmerkungen zu Hartmut Rosas Soziologie der Weltbeziehungen1 Sonja Witte
Resonanzerfahrungen, so schreibt Hartmut Rosa in Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (Rosa 2016)2, sind erfüllt von Sehnsucht und »bergen das Versprechen auf eine andere Form der Weltbeziehung – in gewisser Weise lässt sich vielleicht sogar sagen: ein Heilsversprechen« (ebd.: 317). In der Spätmoderne, so seine These, mache sich eine – mit dem »Strukturimperativ« der Beschleunigung verbundene – »Eskalationstendenz« geltend (ebd.: 44), aus der das Resonanzkonzept einen »Ausweg« (ebd.: 756) weisen soll: »Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung« (ebd.: 13). Auch wenn die Resonanztheorie in einem »optimistischen Credo« (ebd.: 739) darauf ausgerichtet ist »das Andere von Entfremdung und Verdinglichung zu fassen und als […] Sehnsuchtsanker fruchtbar zu machen« (ebd.), möchte Rosa diese gleichwohl nicht als »Heilslehre« (ebd.: 750) missverstanden wissen. Vielmehr sollen Hoffnungen auf eine »bessere Welt« (ebd.: 762) ein wissenschaftliches Fundament gegeben werden. Nicht als Heilslehre also charakterisiert Rosa seine Auffassung von Resonanz, wohl aber als wissenschaftlich begründete theoretische Artikulation eines Heilsversprechens. Diese möchte ich im Folgenden aus psychoanalytisch-kulturtheoretischer Perspektive ausleuchten.
1 | Vielen Dank an Johanna M. Müller, Melanie Ratzek und Christine Zunke für die Diskussion. 2 | Im Folgenden kurz: »Resonanz«.
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Mein Ausgangspunkt ist dabei die Kritik von Dieter Thomä, der Resonanzbegriff bleibe letztlich unschlüssig und sei von verschiedenen Widersprüchen durchzogen – ungeklärt bleibe unter anderem die Frage: »Soll die Resonanz nun Kennzeichen einer anderen, besseren Welt sein – oder ein Sahnehäubchen, das den kalten Kaffee von Kapitalismus und Hightech verziert?« (Thomä 2016) Wenn auch ich im Folgenden Unstimmigkeiten und Ambivalenzen der Konzeption besondere Aufmerksamkeit widme, so verfolge ich damit jedoch nicht das Ziel, diese zu korrigieren oder zu bereinigen. Vielmehr werde ich diese mithilfe der Psychoanalyse als ein theoretisches Symptom betrachten.3 In Anknüpfung an Freuds Auseinandersetzung mit verschiedenen »Bedrohungsund Heilsphantasmen« (Rath 2009: 237) in »Das Unbehagen in der Kultur« (1930a) werde ich dabei einen der Resonanztheorie eigenen Zug der Aggressionsvermeidung in den Blick nehmen, die m.E. als ein Antrieb des Schwankens der Bestimmungen in »Resonanz« verstanden werden kann. Der Ausgangspunkt meiner Frage nach der Heildimension in Rosas Konzeption ist, als was und wie Heil gegenwärtig in vorrangig sozial-, kultur- und religionswissenschaftlicher Literatur jüngeren Datums verhandelt wird. Es ist zunächst festzustellen, dass Heil und Heilsversprechen kaum explizite Untersuchungsgegenstände sind. Der Begriff fällt meist – wie auch in »Resonanz« – beiläufig, der Anwendungsbereich ist kaum umgrenzt und es sind unterschiedlichste Felder, in denen derzeit Heilsversprechen aufgefunden werden. So werden neben den traditionellen der Religion (z.B. Riesebrodt 2007) auch Heilsversprechen u.a. der Popkultur (z.B. Böhm 2011), der Ernährung (z.B. Diezemann 2005), des Tourismus (z.B. Nüchtern 2001) oder eben der Wissenschaft (z.B. Achenbach/Macho 1985) genannt. Dieser Verstreutheit korrespondieren Befunde einer Ortlosigkeit, Vielfältigkeit und Unbestimmtheit (vgl. Pollack 2013) spätmoderner Heilsversprechen (vgl. Hempelmann/Dehn/Fincke et al. 2001). In der Zusammenschau ergibt sich aber auch: Die inhaltlichen Bedeutungen, die dem Heil zugewiesen werden, sind dessen verstreuten und zersplitterten Aspekten in den wissenschaftlichen Verhandlungen gerade entgegengerichtet – es sind hier zentral die Motive Unversehrtheit, Ganzheit, Vervollkommnung, Gesundheit, Erlösung, Sicherheit, Sinnstiftung, Rückkehr zum Ur3 | Meine Vorgehensweise geht dabei von der grundlegenden psychoanalytischen Annahme der »Triebbegründetheit aller intellektuellen, moralischen und künstlerischen Leistungen sowie aller augenscheinlich über jeden Zweifel erhabenen Ausdrucksformen« (Gast 2011: 329) aus. Alles Denken, schreibt der Ethnopsychoanalytiker George Devereux, »[a]uch das logischste und wissenschaftlichste Gedankensystem« (Devereux 1973: 41), steht in Beziehung zu unbewussten Prozessen. Denken ist, wie Freud schreibt, ein »notwendig gewordene[r] Umweg zur Wunscherfüllung« (Freud 1900a: 572).
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sprung, die das Bedeutungsfeld von Heil bilden. Wie ich im Folgenden zeigen werde, sind auch in Rosas Resonanzkonzeption die Heils-Motive von Gegenläufigkeiten durchzogen, wobei ich drei näher in den Blick nehmen werde: Rückkehr zum Ursprung, Ganzheit, Unversehrtheit.
R ückkehr zum U rsprung – D ie R esonanz wird im M ut terleib geboren Das Heils-Motiv Rückkehr zum Ursprung findet sich besonders plastisch in Rosas Darstellung der »erste[n] und konstitutive[n] Resonanzerfahrung« (Rosa 2016: 86) im Mutterleib im Kontext seiner Analyse, »wie Körper und Welt immer schon ineinander verschlungen und miteinander verwoben sind« (ebd.: 71; vgl. ebd.: 83-328). Die Gebärmutter wird hier beschrieben als ein Ort unentfremdeten Lebens, wie er übrigens häufig in Beschreibungen des Heils anzutreffen ist (vgl. Nüchtern 1997): Ein umschließender, schützender, versorgender Ursprungsraum, der (noch) vor den Fährnissen der Welt abschirmt. In einem solchen verortet Rosa den Ursprung von Resonanz selbst. So spricht der Autor von »gute[n] Gründen« zu vermuten »dass ein Embryo ein Resonanzsystem mit seiner Mutter bildet: Im Mutterleib befindet er sich in einem umhüllenden, tragenden und ›bergenden‹ Resonanzraum, […] Mutter und Kind können gar nicht umhin, leiblich, in einem physischen ›Antwortverhältnis‹ aufeinander zu reagieren.« (Rosa 2016: 85f.). Von einer »Urimpression«, die »in dieser Gegenwart der Wärme, des Strömens, des Austausches liegt« (ebd.: 86) und vom »Urgrund menschlichen Daseins« (ebd. Fn. 6) ist die Rede. Zeitlich ist der Aufenthalt im Mutterleib vor Entfremdung situiert, die sich erst nach der Geburt geltend mache: Resonanz bezeichnet somit ein »primäres Weltverhältnis […], während Entfremdung sich […] immer erst prozessual als Sozialisationseffekt und Kulturwirkung einstellt« (ebd.: 624). Die Geburt ist dementsprechend beschrieben als Verlust einer »warmen, weichen, dunklen und responsiven Umwelt« (ebd.: 109), mit der das Neugeborene »den harten, äußerlichen (und oft kalten) Flächen einer nichtresponsiven und nichtelastischen Umwelt unmittelbar ausgesetzt« (ebd.: 88) wird. Das hier entworfene leibliche ›Antwortverhältnis‹ zwischen Mutter und Fötus beinhaltet dabei nicht nur die Darstellung des Anfangsgeschehens von Resonanz, sondern ist Denkmodell für die Konzeption von Resonanz als Anfangsgeschehen, wenn z.B. festgehalten wird: Resonanz bezeichnet eine »der Trennung von Subjekt und Objekt vorausgehende[] Grundbezogenheit als dem Urgrund für Weltpräsenz und subjektive Erfahrung« und somit etwas, was sich nicht »erst zwischen einem seiner selbst bewusst gewordenen Subjekt und einer ›fertigen‹ Welt herausbildet, sondern als deren Anfangsgeschehen« (ebd.: 66).
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Nachfolgende Resonanzbeziehungen stellen Rosa zufolge Versuche dar, »die Resonanzachse zur Mutter […] auf einer neuen Ebene« (ebd.: 88) wiederaufzubauen, die angetrieben sind von der Sehnsucht nach »(Wieder-)Herstellung einer ursprünglichen Antwortbeziehung« (ebd.: 85). Ist der Ursprung von Resonanz das Ziel, so ist dieses hier somit als Rückkehr in eben den Ursprungs-Modus gefasst, den das ›Antwortverhältnis‹ zwischen Mutter und Fötus charakterisiert: »Das Besondere an der fötalen Weise des In-der-Welt-Seins im Sinne des In-der-Mutter-Seins ist indessen, dass das Resonanzverhältnis nicht zwischen einem Subjekt und einem Objekt (oder zwischen zwei Subjekten) besteht, sondern eine zunächst untrennbare, bipolare Einheit beschreibt.« (Ebd.: 86) Rosa bezeichnet »Momente des umfassenden Aufgehobenseins« (ebd.: 198) auch als ozeanisch (vgl. ebd.), was im nächsten Abschnitt zentrales Thema sein wird. Diese Konzeption eines Resonanzverhältnisses jenseits einer Alterität von Subjekt und Objekt ergibt sich in auffälliger Weise aus der Perspektive der hier entworfenen Situation des Fötus. So gesehen reproduziert die theoretische Darstellung, was als Ursprungssituation beschrieben wird. Denn allein aus der uteralen Binnenperspektive eines Noch-Nicht-Subjekts lässt sich davon sprechen, dass hier kein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt bestehe. So könnte man z.B. dem Rechnung tragen, dass die Mutter ja durchaus Subjekt und der Fötus Objekt ihrer Vorstellungen, Wünsche, Phantasien und Ängste ist und dass »Kind und Mutter einander zunächst fremd sind, und sich durch komplizierte Prozesse miteinander vertraut machen müssen« (Erdheim 2002: 43). Jedoch ergeben sich im Text Kollisionen mit eben diesen Formulierungen des ungestörten Aufgehoben-Seins im ursprünglichen Zustand einer Ungetrenntheit – so heißt es an anderer Stelle: Resonanzfähigkeit könne erst dann entstehen, wenn das Subjekt »nicht mehr symbiotisch mit der Welt verbunden [ist], sondern der Welt als einem Anderen« (Rosa 2016: 567) begegnet. Das Wechselverhältnis von Resonanzbeziehungen lasse »die beiden Pole (Subjekt und Objekt) gerade nicht verschmelzen« (ebd.: 638). Resonanz bezeichne gerade keine »Fusion« (ebd.: 743), sondern »die Begegnung mit einem anderen als Anderem« (ebd.). Der Text weist somit Unstimmigkeiten in den Annahmen über das Anfangsgeschehen von Resonanz auf und für die Leser_innen ist damit nicht zuletzt die Frage aufgeworfen, ob nun der Uterus als Paradigma unmittelbarer Einheit als Denkmodell von Resonanz gelten kann oder gerade nicht. Es zeigt sich hier ein Dilemma, welches sich Thomä zufolge durch die gesamte Darstellung zieht: Einerseits bediene Rosa einen »aktuell besonders beliebten Einheits- und Echotraum, in dem alle Unterschiede abgebügelt werden« (Thomä 2016) – andererseits wende sich dieser gleichzeitig entschieden gegen eine solche Auffassung. Einerseits wird somit der Ursprung von Resonanz als ein »archaische[r] Zustand realer Identität« beschrieben und damit als ein Zu-
Heilsversprechen der Resonanz als Symptom für das Unbehagen in der Kultur
stand, der nicht Gegenstand der Erfahrung »für ein Ich« sein kann, »denn dieses Ich ist, wie das Objekt auch, erst Folge des trennenden Traumas« (Knellessen/Passett/Schneider 2003: 71, i.a. Zshg.) – wobei andererseits wiederum die Erfahrung von Alterität als wesentliche Bedingung von Resonanz gilt. Es zeigt sich darin eine Ambivalenz der theoretischen Darstellung gegenüber einer Ursprungsidee, die Freud als ozeanisches Gefühl zu Beginn von »Das Unbehagen in der Kultur« (1930a) verhandelt.
Z um A uf tak t von »D as U nbehagen in der K ultur «: E ine F ehlstelle im O ze anischen Die Vorstellung eines »intrauterinen Zustandes, in dem Wünsche schon erfüllt sind, bevor sie entstehen, einer Einheit zwischen Ich und Außenwelt«, stellt den »Inbegriff des grenzenlosen Wohlbefindens« dar, welches Freud in »Das Unbehagen in der Kultur« als ozeanisches Gefühl diskutiert (Skale 2016: 7). Anlass ist Freud ein Schreiben Romain Rollands, der kritisiert, Freud habe in seinen bisherigen Schriften das Gefühl von »etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam ›Ozeanischem‹« (Freud 1930a: 422) als »die eigentliche Quelle der Religiosität« (ebd.: 421) nicht genügend gewürdigt. Freud macht an dieser Stelle keinen Hehl aus seiner Ablehnung der »Idee, daß der Mensch durch ein unmittelbares, von Anfang an hierauf gerichtetes Gefühl Kunde von seinem Zusammenhang mit der Umwelt erhalten sollte« (ebd.: 423). Es folgt eine »breite[] Diskussion« (Schneider 1995: 91), in der Freud Rollands Erklärung des Ursprungs der Religion den Status einer Deutung gibt, die »ihrerseits der Deutung sowohl fähig als auch bedürftig« (ebd.: 134, i.a. Zshg.) ist. Wie also deutet Freud Rollands Deutung, der religiöse Glaube entspringe einem ozeanischen Gefühl? Freud spekuliert, »[d]ies Ein-sein mit dem All, was als Gedankeninhalt ihm zugehört, spricht uns ja an wie ein erster Versuch einer religiösen Tröstung, wie ein anderer Weg zur Ableugnung der Gefahr, die das Kind als von der Außenwelt drohend erkennt« (Freud 1930a: 430). Freud macht hier eine Fehlstelle in Rollands Idee des Ursprungs aus (es fehlt in Rollands Idee: eine bedrohliche Außenwelt) und sagt damit zugleich: die Vorstellung vom Ozeanischen ist als eine nachträgliche Vorstellung zu betrachten, die eine Art wunschgemäße Schutzmaßnahme gegen eine anhaltend bedrohliche Erfahrung der Kluft zwischen menschlichem Wesen und Außenwelt darstellt. Dies verweist auf die – von der Psychoanalyse angenommene – Kluft im Subjekt selbst. Die »triebhafte Verwiesenheit« (Knellessen/Passett/Schneider 2003: 66) auf »fremde Hilfeleistung« (Freud 1900a: 571) zu Beginn des Lebens schlägt demnach auf »die Subjektivität in Form einer inneren Spaltung« (Knellessen/Passett/Schneider 2003: 66) zurück. Und eben jener Nicht-Identität kann nicht zuletzt »eine unstillbare Sehnsucht nach mit sich identischer
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Autonomie, nach dem Zustand idealer Selbstgenügsamkeit« (Knellessen/ Passett/Schneider 2003: 66) entspringen, die die Form von Vorstellungen ursprünglicher Unmittelbarkeit oder die eines »Traum[s] von einem störungsfreien Leben« (Hock 2000: 18) annimmt. Jedenfalls deutet Freud Rollands Ursprungsgeschichten in diese Richtung, nämlich als eine Art Heilungsversuch. Seine Deutung des Ozeanischen verschiebt dabei den von Rolland angegeben Ursprung (Identität) auf einen anderen (Nicht-Identität), wenn er die Vorstellung unmittelbarer Einheit als Ursprung als nachträgliche Antwort auf die Frage aller Fragen »nach dem Ursprung des eigenen in der Welt-seins« (Gast 2006: 18, i.a. Zshg.) rekonstruiert. Von Freud aus gesehen, entspringt Rollands Vorstellung der »Kluft zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich, zwischen der Innenwelt und der Außenwelt« (ebd.: 20) und impliziert Tröstung gegenüber einem anhaltenden »Moment der Einsamkeit« (ebd.), in dem sich die anfängliche triebhafte Verwiesenheit auf einen Anderen geltend macht. Die Frage nach dem eigenen Ursprung birgt stets, so Gast, »in sich das Skandalon einer Welt davor, also die eigene Nicht-Existenz« (ebd.: 18), mit dem nicht zuletzt in Form von Ursprungserzählungen gerungen wird. Im Unterschied zu Rollands recht eindeutiger Überzeugung (zumindest wie Freud sie referiert) verhält sich Rosas Konzept, wie gesehen, auffällig ambivalent in puncto Ursprung der Resonanz – ein Schwanken zwischen zwei möglichen Sichtweisen zeichnet sich ab: Einerseits wird das Ozeanische als Primäres bestimmt, andererseits Entfremdung als Voraussetzung von Resonanz. Während Rolland mit der Vorstellung des Ozeanischen Tröstung – im wahrsten Sinne des Wortes – annimmt, Freud diese wiederum vehement ablehnt, ist Rosas Argumentation gegenüber diesem Heilungsversuch zwiegespalten. Im Bereich des Heils-Motivs »Rückkehr zum Ursprung« zeichnet sich ein unabgeschlossenes Oszillieren ab. Ambivalenz, so Olaf Knellessen, verweist stets auf einen Rest. Angesprochen ist damit ein in jedem Versuch der (auch begrifflichen) Vermittlung wirksames Moment des Unauflösbaren, welches demnach u.a. als Oszillieren Gestalt annehmen kann und zugleich als dessen Antrieb wirkt. »Ambivalenz verweist immer auch auf diesen Rest […] und setzt ihn in Szene. Als Rest, der nicht aufgeht, der die Ambivalenz von Liebe und Hass, von Erfüllung und Nicht-Erfüllung, von flüssigem Oszillieren und quälendem, blockiertem Stillstand und lähmender Agonie auch immer weiter treibt, der die Vermittlung immer wieder sucht und herstellt und gleichzeitig an ihr scheitert.« (Knellessen 2011: 335) Auch im Bereich des Motivs Ganzheit finden sich, wie ich nun zeigen werde, gegenläufige Formulierungen. Dieses ist, wie sich bereits angedeutet haben wird, mit dem Motiv Rückkehr zum Ursprung eng verschachtelt, und ist verbunden mit einem Hinweis auf eine Art Rest, der sich der Theoretisierung entzieht.
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G anzheit – G anz umfassend und doch gar nicht Für Norbert Bolz ist das Motiv Ganzheit das Zentrum aller bisherigen weltlichen Heilsversprechen (z.B. des Fortschritts, des Humanismus, der Demokratie oder der Menschenrechte): »Heil hieß und heißt hier immer Ganzheit« (Bolz 1998: 9). In Rosas Theorie findet sich auch das Motiv Ganzheit u.a. bezogen auf den Mutterleib, der eben – wie von feministischer Seite verschiedentlich gezeigt – in Theorien häufig als ein partiales Körperteil einsteht »für das Phantasma einer Ganzheitlichkeit« (Brauerhoch 1996: 42). In »Resonanz« wird dies z.B. deutlich an der weltumspannenden Qualität, die dem Intrauterinen zugesprochen wird. Zustimmend zitiert Rosa Martin Bubers Beschreibung eines das »vorgeburtliche Leben des Kindes« auszeichnenden »Zueinanderfließen[s]« (Buber 1994: 28f., zit.n. Rosa 2016: 86f., Fn. 6) von allesüberströmender Qualität: Der »Lebenshorizont des werdenden Wesens« erscheine – so wird Buber zustimmend zitiert – »in den des tragenden eingezeichnet und doch auch wieder nicht eingezeichnet […]; denn es ruht nicht im Schoß der Menschenmutter allein« (ebd.). Weit über die Gebärmutter hinaus nämlich reiche das hier ansässige Wissen, sodass gesagt werden könne, »im Mutterleib wisse der Mensch das All, in der Geburt vergesse er es« (ebd., Herv. Hartmut Rosa). Dies All-umfassende Wissen verweist nicht zuletzt auf den Gegenstandsbereich der Resonanztheorie selbst. Welt-Beziehungen können per definitionem Alles betreffen, wenn Welt gefasst ist als »alles, was begegnet (oder auch: was begegnen kann)« (ebd.: 65). Der in »Resonanz« vollzogene theoretische Akt des Begreifens muss gemessen daran eine weitreichende Spanne beanspruchen, letztlich bis zu dem »ultimative[n] Horizont, in dem sich Dinge ereignen können und Objekte auffinden lassen« (ebd.).4 Diese Ganzheitlichkeit des Erkenntnishorizonts wird den Leser_innen im Verlauf der Darstellung ab und an ins Gedächtnis gerufen – wenn etwa betont wird, es gelte »die Weltbeziehungen beziehungsweise Resonanzverhältnisse als ganze in den Blick zu nehmen« (ebd.: 309), mit denen »stets alles zugleich gemeint« sei: »die subjektive, die objektive und die soziale Welt« (ebd.: 69). Mit der Resonanztheorie sei somit »die elementarste und zugleich umfassendste Form der Gesellschaftskritik« (ebd.: 70) vorgelegt. Ebenso wie das Ursprungs-Motiv ist aber auch das Ganzheits-Motiv keineswegs einstimmig formuliert. So heißt es zugleich gegenläufig, »die hier formulierte Resonanztheorie« versuche lediglich »einen kleinen Baustein« 4 | Rosa, so merkt Thomä an, beweist in »Resonanz« ein weiteres Mal seinen »Mut zum großen Wurf, zur umfassenden Gesellschaftstheorie« (Thomä 2016) und damit auch, sich nicht von »jener Seriosität lahmlegen« zu lassen, »die zur sorgfältigsten Bearbeitung kleinstmöglicher Fragen verpflichtet – einer Seriosität, hinter der oft nur Feigheit steckt« (ebd.).
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zu liefern, um »einen anderen Modus des auf Welt und Leben Bezogenseins wenigstens wieder erahnbar« zu machen (ebd.). Solcherart Relativierung der gleichzeitig beanspruchten All-Umfänglichkeit findet sich an vielen Stellen. Etwa, wenn der Autor eine »geschlossene, wenngleich hochspekulative Kette der Weltbeziehungen« (ebd.: 268; vgl. z.B. auch ebd.: 640) präsentiert oder der willkürliche Wert zentraler Unterscheidungen betont wird (vgl. ebd.: 339f.), die »tastend« und »notwendig unvollständig« (ebd.: 332) blieben. Es zeichnet sich somit im Text eine weitere Unstimmigkeit in Formulierungen einer Theorie ab, die die Welt als Ganze und zugleich diese nicht ganz und gar theoretisch erfasst. Die in einigen Passagen unterstrichene unvollständige Erfassung der Welt durch die Theorie wird u.a. auf eine zentrale Bestimmung von Resonanzbeziehungen selbst bezogen, die den oben erwähnten unvermittelten Rest betrifft: die für Resonanz konstitutive »prinzipielle Unverfügbarkeit« (ebd.: 761). Als momenthafte Erfahrung lässt sich Resonanz, so der Gedanke hier, »nicht erzwingen und nicht festhalten« (ebd.: 750)5 – was Rosa auch auf eine Grenze der Theoretisierung bezieht. So erwägt er z.B., ob das Unverfügbare »[v]ielleicht […] tatsächlich« auch impliziere, dass man der Resonanz »theoretisch niemals völlig und erschöpfend habhaft werden kann« (ebd.: 761). Dem konstatierten Unverfügbaren in Resonanzbeziehungen korrespondiert auch Rosas Kritik an Herrschaftsdenken: Zunehmend werde dem modernen Menschen die Welt zum »wissenschaftlich und technisch attackierte[n] Gegner« (ebd.: 702), d.h. zum Objekt von Ausbeutung und Kontrolle und zum »Angriffspunkt für Bearbeitung und Beherrschung« (ebd.: 704). Demgegenüber, so lässt es sich verstehen, steht die Resonanztheorie für einen ›nicht-versehrenden‹ Zugang zur Welt, welcher Bedingungen für ein »anschmiegsame[s] Weltverhältnis« (ebd.: 25) erschließt und eben keinen gewaltsamen Zugriff anstrebt. Diese Formulierungen sind gegenläufig zu den Artikulationen des Anspruchs, die Resonanzverhältnisse als Ganze (s.o.) zu erfassen. Das Moment des Einhalts vor dem Unverfügbaren (und damit eben verbunden der Betonung der Partikularität der eigenen Erkenntnis) geht an diesem Punkt in das Motiv Unversehrtheit über. Mit diesem kommt im Folgenden nun zum Tragen, dass – wie Thomä bemerkt – der Resonanzbegriff einerseits einen Traum von Einheit bediene (s.o.), dieser aber zugleich »vor Gleichmacherei in Schutz« (Thomä 2016) genommen werde. Im Folgenden wird eine bestimmte Variante dieserart Schutzmaßnahmen Thema sein, wie sie sich im Rahmen des Heils-Motivs Unversehrtheit ausgestaltet. 5 | Es kommt in diesem Zusammenhang wieder die Annahme zum Tragen, jene bestünden gerade nicht in einer symbiotischen Verschmelzung zwischen Subjekt und Welt, sondern ermöglichten eine reziproke Begegnung von Subjekt und Welt als voneinander Unterschiedenen (s.o.).
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U nversehrtheit – N icht vom S chlimmsten ausgehen Reinhard Hempelmann sieht in gegenwärtigen »optimistische[n] Visionen von einer heilen Welt und einem unbeschädigten« Leben einen »romantischen Gegenschlag«, der von der »Herrschaft der instrumentellen Vernunft mit ihrer Verdinglichungssucht« (Hempelmann 2001: 16) provoziert würde. Auch Rosas Resonanztheorie, die explizit als ein »romantisches Konzept« (Rosa 2016: 293) vorgestellt wird, lässt sich durchaus als ein Heilungsversuch der Wunden der Moderne verstehen. Denn verbunden ist mit dieser das Anliegen »schroffe Dualismen zu überbrücken«, »Gegensätze und Trennungen miteinander zu versöhnen« und damit eine »Verbindung zwischen den im aufklärerisch-rationalistischen oder naturalistischen Weltkonzept strikt getrennten Momenten von Geist und Körper (oder Leib und Seele), Gefühl und Verstand, Individuum und Gemeinschaft und schließlich Geist und Natur« (ebd.) zu schaffen. Die Resonanztheorie widersetze sich »sowohl metaphorisch als auch begrifflich einer Parzellierung der Selbst-Welt-Beziehung« (ebd.: 339). Nicht nur in dieser Hinsicht macht diese Theorie einen betont freundlichen Eindruck – sie scheint sich nicht auf eine Seite zu schlagen oder eine andere zu vernachlässigen. Auch für die Theorie selbst scheint in dieser Hinsicht gegeben, was Rosa als »elementare Bedingungen der menschlichen Resonanzfähigkeit« benennt: In Abgrenzung zu der »durch Kälte und Gleichgültigkeit bestimmten stummen Weltbeziehung« (ebd.) der Spätmoderne beruhe diese maßgeblich auf »Konzepte[n] des Vergebens und des Verzeihens« (ebd.: 361). In Korrespondenz dazu steht nicht zuletzt die Bezugnahme auf andere Theorien, die nur selten abgrenzend, ablehnend oder distanzierend ist. Rosa bezeichnet Resonanz auch als Metakriterium eines gelingenden Lebens, welche andere kritische Ansätze, »immer schon integriert« (ebd.: 749; vgl. z.B. auch ebd.: 312). Weniger Zwist als Bejahung ist hier das Medium der Argumentationsentwicklung und die Bibliographie ein Fundus, aus dem ein Chor der Zustimmung von Theodor W. Adorno über Bruno Latour oder Martin Heidegger und Carl Schmitt bis Stefan Zweig gebildet wird. Umso mehr sticht eine wiederholt benannte Unvereinbarkeit hervor: Reiht Rosa die Resonanztheorie ein in die Tradition der älteren Kritischen Theorie, so stellt die Abgrenzung gegenüber dem von ihm sogenannten ›Pessimismus‹ Adornos6 nicht weniger ein Herzstück seiner Konzeption dar. Wenngleich sich Adorno stellenweise »fast schon resonanztheoretischen Vokabulars« (ebd.: 581) 6 | Mit dem Schlagwort Pessimismus bedient Rosa eine eingeschliffene, wenngleich keineswegs selbstverständliche und auf bestimmten Tickets beruhende Rezeptionstradition von Adornos Texten (vgl. exemplarisch Prokop 2005), die – wie u a. Ritsert kritisiert – »wie Spielmarken beim akademischen Geschäft in Umlauf« (Ritsert 2014: 1) sind (vgl. dazu auch Witte 2017).
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bediene, so betont Rosa zugleich eine für ihn grundlegende Unstimmigkeit: Im Unterschied zu ihm selbst verstünde Adorno die Moderne einzig »als Entfaltung einer nahezu totalen Verdinglichungskatastrophe« (ebd.: 585) und erweise sich hierin als »radikaler Pessimist« ohne Aussicht auf einen »Weg in ein mimetisches gesellschaftliches Weltverhältnis« (ebd.). Adornos »düstere Diagnose« (ebd.: 578) eines »endgültigen Verstummens der Welt« (ebd.) bezeichnet Rosa als »unbefriedigend und einseitig« (ebd.: 624). Die Resonanztheorie hingegen könne einen »Ausweg aus der von Adorno und Horkheimer in so düsteren Farben gezeichneten Gefahr« (ebd.: 756) der »Vernichtung der Bedingungen der Möglichkeit gelingenden Lebens« (ebd.: 757) weisen. Wer nicht allein Unheil im Blick habe könne erkennen: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch« (ebd.: 78). Im Kontrast zu Adornos ›Pessimismus‹ wird die Resonanztheorie als eine ›ausgewogenere Sicht‹ angeboten, in der sich Kritik und Hoffnung – wie es heißt – ›dialektisch‹ (vgl. v.a. ebd.: 315-328) verbinden. Betont Rosa wiederholt den spekulativen Charakter seiner Theorie, so wird in diesem Zusammenhang deren Verwurzelung auf empirischem Boden unterstrichen – wiederum in Abgrenzung zu Adorno: Dessen reduzierte Sicht auf die Welt als totalem Unheil sei ohne »zureichenden theoretischen oder empirischen Grund« (ebd.: 624), hingegen die Resonanztheorie berücksichtige die »Erfahrungswirklichkeit der Subjekte« (ebd.). Diese sei – gemäß der Einsicht in die Unverfügbarkeit der Resonanz – nicht ein- sondern zweidimensional: Neben Entfremdung könne stets auch Resonanz entstehen. Es heißt etwa: »Wie jeder Konzertgänger, Theater- oder Museumsbesucher, Schallplatten- oder Buchkäufer weiß, kann das erworbene Produkt bei ihm etwas auslösen oder auch nicht« (ebd.: 625). Von einer »Verletzung« der Subjekte durch »die Gewalt der Unterhaltungstechnik« (ebd.: 498) ist die Rede, festgehalten wird aber auch: »Unverfügbar bleibt die Erfahrung ja ganz unbeschadet ihrer Kommodifizierung« (ebd.: 625). Demgemäß wird z.B. in positiver Anknüpfung an und zugleich »ganz gegen« Adornos »Intention und Überzeugung« (ebd.: 495) eine zwei-Seitenberücksichtigende resonanztheoreische Interpretation von Heavy Metal und Punkrock vorgeschlagen: Zwar spiegele deren »oft übermäßig brutale Ästhetik, die düsteren […] Text […] zunächst nur stumme, kalte und repulsive Weltverhältnisse wider – bei genauerem Hinhören offenbaren sich jedoch hinter dem ›Lärm‹ nicht selten altehrwürdige, klassische Harmonien und Akkordfolgen« und somit »noch immer die Idee, das Versprechen anderer Beziehungsformen« (ebd.), »so etwas wie ein Heilsversprechen« (ebd.: 496). Adornos ›Pessimismus‹ steht in diesem Zusammenhang für ein Überhören dieses Heilsversprechen, demgegenüber die Resonanztheorie für ein genaueres Hinhören steht, welches in den ›Verstimmungen‹ der Moderne (vgl. ebd.: 739) auch Resonantes vernimmt. So gesehen, nimmt Rosas Konzeption die Welt vor allzu pessimistischen Anfeindungen seiner Vordenker in Schutz.
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In dieser Hinsicht korrespondiert hier Rosas Beschreibung von Adornos Theorie mit seiner Auffassung von Entfremdungserfahrung »als Begegnungen des feindlichen, verletzenden Widerfahrens« (ebd.: 744). Demgegenüber entspricht die ›zweiseitige Perspektive‹ der Resonanztheorie eben den Bestimmungen einer resonanten Weltbeziehung selbst, die ohne entfremdete Formen der Weltbeziehung auszublenden (vgl. ebd.: 319) über eine »libidinöse Bindung« (ebd.: 24) verfüge als Basis ›intakter Resonanzachsen‹ (vgl. ebd.). So gründe die Resonanztheorie »nicht auf der Behauptung, stumme oder verdinglichende Weltbeziehungen seien grundsätzlich und im Ganzen zu verwerfen«, vielmehr laute die Kritik »nur, dass die Balance zwischen stummen und resonanten Weltbeziehungen fundamental gestört ist« (ebd.: 733). Die geforderte »Zähmung« (ebd.: 726) kapitalistischer Beschleunigungsdynamiken zugunsten einer angestrebten Balance scheint hier eine Entsprechung in der Idee einer gemäßigten Kritik zu haben, die nicht in einseitige Annahmen des Unheils ausschlägt, sondern in einer – empirisch und theoretisch fundierten – ›ausgewogenen Perspektive‹ das Heilversprechen der Resonanz nicht ausschlägt. In diesem Sinne gelänge nicht nur das Leben, sondern auch Kritische Theorie – wie das »optimistisch[e] Credo« (ebd.: 739; s.o.) lautet – »wenn wir es lieben. […] Es, das sind dabei die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen und mit denen wir es zu tun haben.« (Ebd.: 24). Inmitten der oszillierenden Bestimmungen taucht mit diesem Credo also ein scheinbar eindeutig und verlässliches, auch als »banal, ja tautologisch« (ebd.) bezeichnetes Gebot der Liebe auf – welches in bestimmten Punkten auch auf die Praxis kritischen Denkens bezogen zu sein scheint. Dieses Gebot aber ist, wie nun in weiterer Anknüpfung an Freuds »Das Unbehagen in der Kultur« angemerkt werden soll, keineswegs banal, sondern lässt sich als eine Kulturtechnik der Entwaffnung der Aggressionslust beschreiben (vgl. Freud 1930a: 483), die – als Kultursymptom betrachtet – ein konflikthaftes Ineinander von Liebe und Hass involviert.
F reuds U nbehagen mit der N ächstenliebe Die Diskussion des ozeanischen Gefühls bildet in »Das Unbehagen in der Kultur« den Auftakt von Freuds Auseinandersetzung mit einer Reihe von »Kulturphänomene[n]« als »Kultursymptome[n]« (Rath 2009: 237). Wobei dem christlichen Gebot der Nächstenliebe besondere Aufmerksamkeit gezollt wird. Dieses Gebot, das Freud als »großartige Inflation der Liebe« (Freud 1930a: 503) bezeichnet, lässt sich als eine Reaktionsbildung beschreiben, die eine spezifische Ausgestaltung eines Ambivalenzkonflikts bezeichnet (vgl. Laplanche/ Pontalis 1972: 424): »Bei diesem wird die eine der beiden miteinander ringenden Regungen, in der Regel die zärtliche, enorm verstärkt, die andere ver-
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schwindet. Nur das Übermaß der Zärtlichkeit verrät uns, daß diese Einstellung nicht die einzig vorhandene ist, daß sie ständig auf der Hut ist, ihr Gegenteil in Unterdrückung zu halten« (Freud 1926d: 130). So gesehen, birgt das Gebot der Nächstenliebe Aggression als ihre »Abseite« (Gast 2011: 329; s.o.), auf die die Forderung nach »Weltliebe« (Freud 1930a: 469) negativ verweist. Wende sich die Ethik – etwa eben das Gebot der Nächstenliebe – in dieser Form der »gefährliche[n] Aggressionslust« (ebd.: 483) zu, so damit dem Punkt, der »als die wundeste Stelle jeder Kultur leicht kenntlich ist« (ebd. 503). Das Gebot der Nächstenliebe stellt eine mögliche gesellschaftliche Spielregel auf, die Mario Erdheim zufolge stets zwei Seiten hat: »Einerseits umschreiben sie, was richtiges Verhalten sein soll, und andererseits sind es zugleich Vermeidungsstrategien, Negationen möglicher anderer Verhaltensweisen. Diese Negation gibt sich absolut – jedes andere Verhalten ist ›unmöglich‹, nicht ausführbar. Vom Tabu gehen also die Prozesse der Unbewußtmachung aus, und zwar, indem sie das Individuum daran hindern, überhaupt andere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen.« (Erdheim 1988: 294) Im Tabu wird diesem Verständnis zufolge ein Berührungsverbot festgehalten, es geht dabei auch um Berührungen von Gedanken, von Erwägungen, wie Erdheim hier schreibt. Tabus institutionalisieren und fordern »Isolierungsarbeit« (Freud 1926d: 151) seitens des Ichs, mit der – wie Freud es an anderer Stelle formuliert – »das unpassende Gegensätzliche« (ebd.) vom bewussten Gedankengang ferngehalten wird. Freud bezeichnet in diesem Zusammenhang als das »Störendste« die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem selbst: »die Äußerungen der Ambivalenz« (ebd.). Was in Form der Konzentration und begrifflichen Differenzierungen zu den alltäglichen Techniken wissenschaftlichen Denkens gehört, ist demnach verzahnt mit Abwehrvorgängen gegenüber Einmischungen dieses ›Störendsten‹ in die »Denkarbeit« (ebd.) und wird zugleich von diesen angetrieben. Freud macht hier darauf aufmerksam, dass auch der »ganz normale[n] Vorgang der Konzentration« (ebd.) von einem der »ältesten und fundamentalsten Gebote der Zwangsneurose, d[em] Tabu der Berührung« (ebd.) affiziert ist. Das Tabu ist diesem Verständnis zufolge »ein zwanghaft wirkendes Verbot« (Erdheim 1988: 294), welches über das »nächste Ziel sowohl der aggressiven wie der zärtlichen Objektbesetzung« (Freud 19999c: 152) verhängt ist: »Berührung, der körperliche Kontakt« (ebd.). In diesem Ziel treffen zwei Triebstrebungen zusammen: »[D]er Eros will die Berührung, denn er strebt nach Vereinigung, Aufhebung der Raumgrenzen zwischen Ich und geliebtem Objekt. Aber auch die Destruktion, die vor der Erfindung der Fernwaffe nur aus der Nähe erfolgen konnte, muß die körperliche Berührung, das Handauflegen voraussetzen.« (Ebd.) Im Ausgerichtet-Sein von Denkprozessen darauf, Gegenstände zu erfassen, wirkt demnach unweigerlich Ambivalenz mit, welches die Denkarbeit unter Spannung setzt.
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Schützt das Berührungsverbot »äußere Objekte und ihre Repräsentanten vor den Folgen innerer wie äußerer Zerstörung« (Ebrecht 2000: 47), so handelt es sich hierbei nicht um eine Aufhebung, sondern um eine Umwandlung des hier angenommenen Ambivalenzkonflikts. Gegenüber dem Tabu besteht Freud zufolge stets eine »ambivalente Einstellung« (Freud 1912-13a: 42). Bezogen auf das »Benehmen primitiver Völker gegen ihre Häuptlinge« heißt es, dieses werde von zwei Grundsätzen regiert: »Man muß sich vor ihnen hüten und man muß sie behüten. Beides geschieht vermittels einer Unzahl von Tabuvorschriften.« (Ebd.: 53) Das im Tabu festgehaltene Berührungsverbot ist damit eine Schutzmaßnahme, in der zweierlei miteinander verzahnt ist: Schutz vor wird im Schutz der herrschenden Gewalt gesucht – thematisiert ist hiermit eine inhärente Konflikthaftigkeit, mit der auch die resonanztheoretische Fragestellung »Steht mir die Welt als etwas Antwortendes, Gütiges gegenüber? Oder als etwas Feindliches?« (Rosa in Thöne 2016) ringt. Besteht eine Antwort der Resonanztheorie im Gebot der Liebe, so kann Freuds – sicherlich nicht ohne Weiteres auf die spätkapitalistische Gesellschaft übertragbare – Auffassung der Funktion des Tabus im Kulturprozess hier einen Hinweis auf eine der »fundamentalen[n] Implikationen der Liebe als eines ideologischen Mechanismus« (Dolar 1991: 20) geben, auf den auch Adorno an einer Stelle hinweist: »Daß etwas geliebt wird, nur weil es einmal existiert, folgt daraus, daß man dem einmal Vorhandenen, Unausweichlichen gehorcht; solchen Gehorsam bringt man psychisch nur zustande durch Liebe. […] Der blinde Fleck unbefragter Hinnahme eines Bestehenden, an seinem Platz Befindlichen, ist eine von den Invarianten der bürgerlichen Gesellschaft.« (Adorno 2003a: 222) Demnach ist es dieser blinde Fleck, durch den sich der »Vergesellschaftungsprozess« (Adorno 2003b 14) eines Jeden und einer Jeden vollzieht und das Gebot der Liebe ist insofern auch als eine mögliche Variante eines Berührungsverbot eben dieses blinden Flecks zu verstehen. In der Wissenschaft kann z.B., wie Erdheim anmerkt, »Aggressionsverdrängung« Formen »ungefährlich[er]« Theoriebildung hervorbringen (Erdheim 1988: 115), für die »Starrheit« und »Lebensfremdheit« (ebd.: 103) charakteristisch sein können. Es handelt sich in diesen Fällen um theoretische Inszenierungen einer Nicht-Berührung mit Konflikten, eben weil wissenschaftliche Theoriebildung von diesen nicht unberührt bleibt.
Z wiespalt im D enken Auf eine Tendenz zur »Starrheit« (Erdheim 1988: 103; s.o.) weist auch Rosa an einer Stelle hin: Der Begriff der Resonanz werde »dürr« und begänne »sich zu entziehen, wenn man ihn philosophisch festzunageln versucht« (Rosa 2016: 761). Vor dem Hintergrund des Vorhergehenden ließe sich der hier festgehal-
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tene Eindruck einer ›Dürrheit‹ oder die von Thomä konstatierte »Unkenntlichkeit« (Thomä 2016) auch als Effekte einer Aggressionsvermeidung verstehen, die sich in der Forderung nach einer ›ausbalancierten Haltung‹ geltend macht. Die Entwicklung der Argumentation jedoch ist demgegenüber auffällig schwankend. Wie ich anhand der Ausgestaltung der Motive Rückkehr und Ursprung und Ganzheit gezeigt habe, ploppen sowohl in Gegenstandsbeschreibungen sowie in Anmerkungen zur resonanztheoretischen Vorgehensweise unvermittelte Gegensätze auf, der Text involviert ein Schwanken zwischen gegensätzlichen Beschreibungen. Auf der Bühne dieser Heils-Motive werden diese Heilsversprechen zersplittert formuliert (was insgesamt den gegenwärtigen Bezügen auf Heilsversprechen im akademischen Diskurs abzulesen ist; s.o.). Das Heils-Motiv »Rückkehr zum Ursprung« figuriert in widersprüchlichen Annahmen bezüglich unvermittelter Einheit; das Heils-Motiv Ganzheit ist eine ›positive Größe‹ und tritt in Einschränkungen zugleich parzelliert auf. Stellt nicht gerade gegenüber diesen sich zwiespältig präsentierenden HeilsMotiven jener – im Bereich des Heils-Motivs Unversehrtheit sich geltend machende – Ausschluss einer feindlichen Weltsicht ein heilsames Gegengewicht dar? Ich denke, es ist an dieser Stelle wichtig zu fragen: Mit welcher Beschränkung gegenwärtiger Kritischer Theorie geht dieses Heilsversprechen einher? Was wäre, wenn sich dieserart Aggressionsverzicht als Spielregel (weiter) durchsetzt? Ich bin hier pessimistisch – zu befürchten wäre ein Berührungsverbot mit dem, was die Psychoanalyse und die Kritische Theorie Adornos untereinander verbindet und was diese ermöglichen: Kritische Erkenntnis, die sich Phänomenen als Produkten des Prozesses »gesellschaftliche[r] Verdrängung« (Adorno 2003b: 105) zuwendet im Wissen darum, dass das Denken »genau von dem angezogen« (ebd.) wird. Dem nachzugehen bedeutet für Adorno eine Gegenbewegung des Denkens zum »herrschenden Sekuritätsbedürfnis, nach dem auch alle Modi der Erkenntnis mehr oder minder zurechtgeschustert sind« (ebd.: 127), wenn diese »hinausschießt über das, was sie als ganz Sicheres hat« (ebd.: 133) und einsieht, dass »eine Erkenntnis, die nicht gefährlich ist, nicht wert ist, gedacht zu werden« (ebd.: 127). Als gefährlich erscheinen die blinden Flecken, die auf die »wundeste Stelle« (Freud 1930a: 503; s.o.) verweisen, und die wohl stets Ambivalenzen entfachen – ob in Liebe zum ›Altehrwürdigen‹ (vgl. Rosa 2016: 495; s.o.) oder nicht.
Heilsversprechen der Resonanz als Symptom für das Unbehagen in der Kultur
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Für eine affirmative Revolution Eine Antwort auf meine Kritiker_innen Hartmut Rosa
Nach der Lektüre der überaus heterogenen und ebenso engagierten wie tiefschürfenden Beiträge in diesem Band bin ich einerseits sehr erstaunt und erfreut über das, was man mit der und aus der Soziologie der Weltbeziehung und der Resonanztheorie alles machen und sehen kann – aber zugleich ebenso beunruhigt und ein wenig betrübt darüber, was man mit ihr alles nicht machen und sehen kann. Die Aufsätze machen oft sehr scharfsinnig und einfallsreich die Probleme und Fehlstellen der Resonanztheorie sichtbar, sie zeigen, wo es Ergänzungs-, Überarbeitungs- und Korrekturbedarf gibt, aber auch, wo noch Potenzial liegt, das ich bisher gar nicht gesehen habe und das es noch zu entwickeln gilt. Damit erweist sich das Konzept der Herausgeber, die Resonanztheorie mit allen möglichen kontrastierenden oder auch konkurrierenden Ansätzen in Dialog zu bringen, als sehr fruchtbar. Allerdings geht damit auch ein Problem einher, das die Gesamtschau der Texte ebenfalls deutlich werden lässt: Die Idee, die Soziologie der Weltbeziehung vergleichend zum je eigenen Ansatz in Beziehung zu setzen, verleitet die Autoren_innen dazu, diese Aufgabe im Sinne einer ›Abstandsvermessung‹ anzugehen. Die Resonanztheorie wird dann für all das gelobt, was sie mit der eigenen Position und Herangehensweise teilt, und getadelt für alles, was sie anders macht. Differenz wird dann nahezu automatisch zur methodischen, konzeptuellen oder normativen Devianz: Wo immer sich zeigt, dass die Resonanztheorie eben keine Systemtheorie, Praxistheorie, Anerkennungstheorie, Ausbeutungstheorie, Körpersoziologie etc. ist, wird sie genau dafür getadelt – dabei will sie all das ja gar nicht sein. Die Gefahr dabei liegt darin, dass das genuin eigene Anliegen der Soziologie der Weltbeziehung – das, was sie selbst tun, sehen und erklären will – ganz aus dem Blick gerät. Zugrunde gelegt wird nicht die Perspektive und Fragestellung der Resonanztheorie, sondern als Ausgangspunkt und Maßstab dient jedes Mal die Perspektive des anderen Ansatzes. Im Ergebnis lesen sich die Beiträge dann bisweilen wie eine endlose Aneinanderreihung von als Defizite erscheinenden Differenzen.
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Im Durchgang durch die Beiträge wird aber zugleich deutlich, wie sehr sich die Resonanztheorie offenbar als Projektionsschirm für Ängste und Befürchtungen eignet, die der je eigene Ansatz generiert. Dem Autor des Beschleunigungsbuches vorzuwerfen, er versuche gleichsam zwangsneurotisch ein ›Pessimismusverbot‹ in die Theorie und die Wissenschaft überhaupt einzuführen, wie das Sonja Witte tut, erscheint mir beispielsweise nachgerade tolldreist. Immerhin behauptet jenes Buch, und expliziter noch der nachfolgende ebenfalls in Buchform publizierte Essay Beschleunigung und Entfremdung, die Beschleunigungszwänge seien dabei, sich hinter dem Rücken der Akteure zu einer im wahrsten Sinne des Wortes totalitären Herrschaft zu verselbständigen; und das hier verhandelte Resonanzbuch nimmt davon keinen Jota zurück, sondern systematisiert den Verdacht einer totalitären Schließung noch weiter unter dem Begriff der dynamischen Stabilisierung, der einen eskalatorischen Steigerungszwang als strukturellen Kern der gesellschaftlichen Formation ausmacht. Dieser Steigerungszwang findet sein notwendiges kulturelles Korrelat, das heißt seine motivationale Triebfeder, in der normativen Orientierung am Maßstab der (Welt-)Reichweitenvergrößerung. Damit bewegt sich diese Theorie meines Erachtens weit näher an dem von der älteren Kritischen Theorie, insbesondere von Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, postulierten ›totalen Verblendungszusammenhang‹ als etwa die Ansätze der dritten Generation, insbesondere Jürgen Habermas’, Axel Honneths oder auch Rainer Forsts, für welche sich die Geschichte der Moderne noch immer als Fortschrittsgeschichte begreifen lässt, die nur einiger Korrekturen bedarf. Daraus einen zwanghaften Optimismus konstruieren zu wollen könnte selbst als – nun ja, irgendwie zwanghaft erscheinen. Richtig ist allerdings, dass sich die Resonanztheorie nicht mit einem endgültigen und gleichsam apriorischen Pessimismus und dem Sieg der totalen Verblendung abfinden will, sondern an der Idee festhält, dass eine Kritische Theorie das Bewusstsein für und die Hoffnung auf die Möglichkeit eines anderen In-der-Weltseins, und damit einer alternativen gesellschaftlichen Formation, aufrechterhalten muss, wenn sie ihr eigenes Projekt nicht verraten will. Das pure Begnügen mit der Unversöhnlichkeit gegenüber den bestehenden Verhältnissen reicht nämlich nach meiner Überzeugung keineswegs aus für jene Aufgabe.1 Ganz im Gegenteil: Es gibt keine wirksamere Affirmation des Bestehenden als die Behauptung, die Verhältnisse seien so schlecht, dass sich sowieso nichts ändern ließe, weil alles, was wir versuchen, was wir hoffen und an was wir anzuknüpfen vermöchten, ohnehin schon von den herrschenden Kräften verdorben und daher wertlos und verloren sei. Tatsächlich scheint mir 1 | Micha Brumlik hat in seiner ansonsten sehr wohlwollenden Besprechung des Resonanz-Buches eben diese Unversöhnlichkeit zum ›Besten‹ der Kritischen Theorie erklärt (vgl. Brumlik 2016).
Für eine affirmative Revolution – Eine Antwor t auf meine Kritiker_innen
in einer solchen Position weit eher eine zwanghafte psychische Negationsdisposition verborgen als in dem Versuch, innerweltliche Ansatzpunkte für eine Transzendierung des Bestehenden zu finden. Immerhin lässt sich ja mit guten Gründen argumentieren, dass die Idee der innerweltlichen Transzendenz, das heißt des Aufscheinens der Möglichkeit eines anderen In-der-Welt-Seins auch unter den Bedingungen radikal entfremdeter Verhältnisse (vgl. dazu etwa Fink-Eitel 1993), ebenfalls zu den konstituierenden Merkmalen Kritischer Theorie gehört. Tatsächlich wird der auch schon von Micha Brumlik (2016) nahegelegte Verdacht oder Vorwurf, dass die Resonanztheorie im Grunde eine affirmative Theorie und Rechtfertigung bestehender Verhältnisse betreibe, in mehreren Beiträgen formuliert (vgl. insbesondere auch die Texte von Tine Haubner, Christine Kirchhoff und Hanna Meißner). Diese Auffassung beruht meines Erachtens erstens auf einem fundamentalen Missverständnis hinsichtlich der Bedeutung des Resonanzbegriffs; auf einem Missverständnis, das im Kern darin liegt, Resonanz mit Gleichklang, Harmonie, Konsonanz und daher mit Affirmation, Identität und Reifizierung gleichzusetzen. Zum Zweiten aber ergibt sie sich aus einer theoretischen Grundüberzeugung heraus, die ich tatsächlich für problematisch, ja für falsch halte – nämlich aus der Überzeugung, dass alle positiven Erfahrungen, die Subjekte in einer kapitalistischen Gesellschaft (etwa in ihrer Arbeit, in der Familie, im Konsum etc.) machen können, per se illusionär, ideologisch, falsch, reifizierend etc. sein müssen und daher keinesfalls als Anker- und Ausgangspunkt für eine grundlegende Veränderung dienen können. Ich werde nun im Folgenden zunächst und vor allem versuchen, den Begriff der Resonanz noch einmal und vielleicht präziser zu bestimmen, als mir das im Resonanzbuch gelungen ist, und dabei auf eine ganze Reihe von Einwänden oder Überlegungen eingehen, welche die Beiträge im vorliegenden Band formulieren. Abschließend will ich mich dann noch einmal auf jene grundsätzliche Diskussion einlassen, welche mir für die Klärung dessen, was Kritische Theorie heute leisten kann und muss, am vielversprechendsten erscheint und in die sich ebenfalls eine ganze Reihe an interessanten Überlegungen der Autor_innen einbeziehen lässt. Ich will dabei versuchen, gleichsam ›unterwegs‹ noch einige lose Enden aufzugreifen, die sich aus der Lektüre der Beiträge als Fragen, Aufgaben und Herausforderungen ergeben haben. Selbstredend kann ich das nicht erschöpfend tun – jeder einzelne der Texte verdient eine viel umfassendere Würdigung, als ich sie hier leisten kann, sodass die Auswahl der Diskussionspunkte notgedrungen selektiv bleiben muss. Für den Autor ist es verblüffend und irritierend zugleich zu sehen, wie unterschiedlich das Kernkonzept der Soziologie der Weltbeziehung – Resonanz – von den Autor_innen dieses Bandes aufgefasst und gedeutet wird. Vermutlich hängt dies vor allem damit zusammen, dass der Begriff dazu einlädt,
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ihn einfach als mehr oder minder deutungsoffene Metapher zu nehmen (wie selbst immer wieder konstatiert). So versucht etwa Bernd Bösel, Resonanz als Affizierung zu deuten, während Anna Henkel den ebenso interessanten Versuch unternimmt, Resonanz mit dem (systemtheoretischen) Begriff der Kopplung zu identifizieren,2 und Witte darin einfach ein Heilsversprechen, einen Einheitstraum und ein Ganzheitsversprechen erblickt. Am häufigsten findet sich indes die ausgesprochene oder unausgesprochene Vorstellung, Resonanz bedeute ›völligen Gleichklang‹ (wie Kirchhoff meint) oder einfach Konsonanz, sodass Dissonanz als ihr Gegenteil erscheint. Wie ich gleich darlegen möchte, geht insbesondere diese letzte Auffassung völlig an dem vorbei, was mit meiner Verwendung jenes Begriffes zumindest intendiert ist. Tatsächlich erhebe ich den Anspruch, dass Resonanz deutlich mehr als eine Metapher ist, weil sie eine Form der Beziehung bezeichnet (vgl. Rosa 2016: 281298). Gemeint ist damit also nicht irgendeine Beziehung, sodass jede Form der Wechselwirkung (insbesondere auch kausale Wechselwirkung) als Resonanz beschrieben werden könnte, wie das etwa Robert Gugutzer und zum Teil auch Katharina Hoppe nahelegen, sondern eine durch fünf Kernelemente kategorial eindeutig bestimmte Beziehung darstellt. Diese Form lässt sich vielleicht an einem illustrativen Beispiel aus der Physik am schnellsten ›handfest‹ identifizieren – so problematisch alle solche Illustrationsversuche (auch das machen die hier versammelten Beiträge deutlich) notgedrungen auch immer sein mögen. Stellt man zwei Metronome, die mit leicht unterschiedlichen Tempi laufen, auf einer schwingungsresistenten Steinplatte nebeneinander, so schlagen sie unabhängig voneinander fort und gleichsam aneinander vorbei, ohne aufeinander einen Einfluss auszuüben. Das schnellere wird das langsame Metronom bald einholen, sodass es kurzzeitig so scheint, als befänden sich die beiden Instrumente im Gleichklang, dann sich aber rasch überholen, sodass sich die Pendel wieder auseinanderbewegen. Setzt man die Metronome jedoch auf eine elastische, schwingungsfähige Unterlage (beispielsweise ein dünnes Holzbrett) und platziert diese auf zwei leeren, parallel ausgerichteten (liegenden) Getränkedosen, so bildet sich 2 | Insbesondere Henkels bemerkenswerter Versuch, die ›verfeindeten‹ Theoriestränge der Systemtheorie und der Kritischen Theorie just über den Begriff der Resonanz und einen damit zusammenhängenden ›material turn‹ zu einer gleichsam zweidimensionalen ›Gesellschaftstheorie der Resonanz‹ zu (ver-)koppeln, hätte eine ausführlichere eigenständige Diskussion verdient, die ich jedoch an dieser Stelle schuldig bleiben muss. Ich begnüge mich hier daher mit dem Hinweis, dass ich die Idee, den Maßstab für Gesellschaftskritik materialiter aus den starken Wertungen der Gesellschaft bzw. der Akteure selbst zu gewinnen, in der Soziologie der Weltbeziehung preisgegeben habe. Eine Kritik der Resonanzverhältnisse, wie ich sie anstrebe, richtet sich auf die kulturell und institutionell verankerte Beziehungsqualität.
Für eine affirmative Revolution – Eine Antwor t auf meine Kritiker_innen
zwischen den beiden Metronomen ein ›Resonanzraum‹: Brett und Dosen beginnen sich leicht zu bewegen, und in überraschend kurzer Zeit pendeln sich die beiden Metronome aufeinander ein – um fortan tatsächlich im Gleichklang zu schwingen.3 Die Beziehung zwischen den Metronomen erfüllt damit genau die Kriterien, welche Resonanz definieren: Sie werden vom jeweils anderen Metronom ›berührt‹ (affiziert), vermögen es aber auch, selbst einen entsprechenden Einfluss auszuüben (also gleichsam ›selbstwirksam‹ zu sein), was zur Folge hat, dass sich beide in ihrer Frequenz transformieren, ohne ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu verlieren. Bei der kleinsten Geschwindigkeitsveränderung des einen der beiden Metronome, oder bei der kleinsten Störung bzw. Veränderung des Resonanzraumes, tritt die Differenz sofort wieder zutage; es handelt sich also keineswegs um eine lineare Kopplung oder um ein Dominanzverhältnis. Physikalisch lässt sich hier zwischen einer Response-Resonanz, welche das Verhältnis wechselseitiger Einwirkung beschreibt, und einer Synchronresonanz als deren Endergebnis (dem Gleichklang) unterscheiden; für die Soziologie der Weltbeziehung maßgebend ist jedoch allein die erstere: Ein Gleichklang zwischen Selbst und Welt ist nicht nur unmöglich, sondern unterläuft kategorial die Bedingungen von Resonanz, weil er die Begegnung mit einem differenten Anderen ausschließt. Resonanz setzt aber kategorial nicht nur diese Begegnung voraus, sondern auch, dass dieses oder dieser Andere mit unverfügbarer, eigener Stimme spricht. Die fünf Kernmerkmale der Resonanzbeziehung sind damit die folgenden: 1) Affizierung im Sinne der Fähigkeit und Erfahrung eines ›Berührtwerdens‹ durch ein Anderes, ohne durch dieses Andere dominiert oder fremdbestimmt zu werden. 2) Selbstwirksamkeit im Sinne der Fähigkeit und Erfahrung, ein Anderes zu berühren oder zu erreichen, ohne über dieses zu verfügen oder es zu beherrschen. 3) Wechselseitige Anverwandlung nicht im Sinne einer Aneignung, einer Einverleibung oder einer Nostrifizierung, sondern im Sinne einer SelbstTransformation (in ein sich eröffnendes Gemeinsames hin). 4) Unverfügbarkeit in einem doppelten Sinne: Zum einen lässt sich Resonanz nicht und niemals erzwingen (und ebenso wenig absolut ausschließen), weshalb sie in ihrem Auftreten, ihrer Intensität und ihrer Dauer nicht kontrollierbar ist, und zum anderen – was vielleicht noch wichtiger ist – lässt sich niemals vorhersagen, was das Ergebnis der Transformation sein wird. Eine Resonanzbeziehung ist grundsätzlich ergebnisoffen. In diesem vierten Punkt weicht die Definition von Resonanz als sozialtheoretischer 3 | Für eine Videodokumentation des Metronomexperimentes vgl.: https://www.you tube.com/watch?v=yysnkY4WHyM.
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Kategorie augenscheinlich vom Metronom-Beispiel ab – allerdings lässt sich auch bei letzterem nicht genau vorhersagen, auf welche Frequenz sich die beiden Metronome einpendeln, und vor allem bleibt Unverfügbarkeit insofern erhalten, als jede Manipulation entweder (der Geschwindigkeit) eines Metronoms oder der Anordnung als Ganzer sofort dazu führt, dass die beiden Metronome wieder auseinanderlaufen und eigenständig weiterschlagen: Sie haben ihre Eigenfrequenz (oder ihre eigene Stimme) und ihre Unabhängigkeit nicht aufgegeben. 5) Ein entgegenkommender Resonanzraum im Sinne resonanzaffiner Kontextbedingungen: Das Zustandekommen der Resonanzbeziehung hängt nicht nur von der Art und Beschaffenheit der beteiligten Körper oder Entitäten ab (die ihrerseits offen genug sein müssen, um sich affizieren zu lassen, aber hinreichend geschlossen, um eine wirksame Eigenfrequenz zu entwickeln), sondern auch von der Qualität eines entgegenkommenden Resonanzraumes (die Brett-und-Dosen-Konstruktion im Beispiel bzw. resonanzermöglichende räumliche, zeitliche, physische, psychische und soziale Bedingungen, die ich in meinem Buch zu explizieren versuche). Legt man diese Bestimmung von Resonanz zugrunde, so lassen sich rasch eine ganze Reihe von Einwänden oder Bedenken entkräften, die darauf beruhen, dass stillschweigend oder explizit andere Beziehungsformen (z.B. nostrifizierende oder manipulierende oder linear-kausale) verhandelt werden. Wenn Christoph Görlich beispielsweise zeigt, dass es gleichsam eine Jahrhunderte alte Geschichte von ›Resonanzphantasien‹ gibt, welche Resonanz im Sinne erzwungener Resonanz als Kontroll-, Steuerungs- und Manipulationschance begreift, dann legt er einen Resonanzbegriff zugrunde, der von einem Dominanzverhältnis ausgeht und deshalb zumindest die von mir formulierten Kriterien 3) und 4) unterläuft: Zum Ersten gehen jene Phantasien von einer asymmetrischen Beziehung aus, in der sich nur eine, nämlich die manipulierte, Seite verändert, und zum Zweiten geht es in diesen Phantasien gerade darum, Verfügbarkeit herzustellen. Jene Phantasien eignen sich daher meines Erachtens nicht dazu, das Resonanzkonzept der Soziologie der Weltbeziehung zu kritisieren. Dessen ungeachtet ist allerdings die von Görlich aufgeworfene Frage nach der Rolle der Technik als Ermöglichungsbedingung von Resonanzverhältnissen hoch interessant und es sicher wert, weiter verfolgt zu werden. Ebenso zeigt sich, dass Anna Daniels Vorschlag, den Resonanzbegriff durch den (Reckwitz’schen) Affizierungsbegriff zu ersetzen, auf einem sehr reduktiven Verständnis der Resonanzidee beruht, und auch Gugutzers Vorschlag, Resonanz einfach als leibliche Kommunikation zu verstehen, greift aus mindestens zwei Gründen zu kurz. Zum einen lassen sich, wie Gugutzer selbst einräumt, ohne Zweifel Resonanzen beobachten, die ihren Ausgang nicht von leiblichen Empfindungen oder Affizierungen nehmen, sondern von
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kognitiver ›Berührung‹, beispielsweise durch eine Idee, die wir lesen oder hören. Daran sind die Augen oder Ohren in der Tat beteiligt, aber sie sind nicht die Quelle der Resonanz. Dass der Leib hier involviert ist (auch in der spürbaren Antwort auf die Berührung), präzisiert oder entschleiert nichts und erklärt schon gar nichts. Vor allem aber kann, zum Zweiten, auch die leibliche Kommunikation ganz unterschiedliche Beziehungsformen bezeichnen, die nicht immer als Resonanz im Sinne der hier zugrunde gelegten Kernmerkmale gelten können. Das zeigt sich etwa in Gugutzers Diskussion des Blicks: Hier fehlen ihm die differenzierenden Mittel, um etwa zwischen einem stumpf-ausdruckslosen, einem hasserfüllt-feindlichen und einem responsivresonanten Blick zu unterscheiden. »Man spürt den Blick des Anderen am eigenen Leib«, bemerkt er stattdessen pauschal – aber auch auf der Seite des Angeblickten lassen sich unterschiedliche Reaktionsformen unterscheiden, die ich mit den Begriffen der Indifferenz, der Repulsion und der Resonanz zu fassen versuche. Die durch Blicke hergestellte Beziehung mag in jedem Fall leibliche Kommunikation sein – aber diese erfüllt nicht grundsätzlich oder ›immer schon‹ die Resonanzkriterien. Und nur weil Gugutzer jede Form der Beziehung oder Zuwendung umstandslos als Resonanz im Sinne leiblicher Kommunikation begreift, kann er dann im zeitdiagnostischen Blick auf aktuelle Körperpraktiken zu der Auffassung gelangen, die Aufwertung des Körpers und die verstärkte Aufmerksamkeit und Pflege, welche die Subjekte ihm in der Spätmoderne zugedeihen lassen, signalisierten eine Intensivierung der Resonanzbeziehung zum eigenen Körper. Demgegenüber beharre ich auf meiner Lesart, dass es sich dabei eher um eine soziale Aufwertung der Bedeutung des Körperkapitals handelt, welche aus jener Aufmerksamkeit und Pflege eine verdinglichte und gerade keine resonante Form der selbstoptimierenden Körperpraxis macht. Auf das von Gugutzer darüber hinaus formulierte Desideratum, die phänomenologische Unterscheidung zwischen Leib und Körper systematischer einzuführen und durchzuhalten, kann ich an dieser Stelle nicht ausführlich eingehen. Ich sehe einerseits zwar den Sinn dieser Forderung und auch die kategoriale Unschärfe, die mein Buch an dieser Stelle erzeugt, doch überzeugen mich selbst die von ihm angeführten ›klaren‹ Beispiele nicht davon, dass die Unterscheidung sich resonanztheoretisch konsistent durchhalten lässt: Wieso sollte die Tatsache, dass wir zunächst und zuerst mit den Füßen in die Welt gestellt sind, nur eine körperliche und keine leibliche Beziehung beschreiben? Und wieso sind Essen und Trinken nur körperliche, aber keine leiblichen Beziehungen? Ein besonders interessanter Fall sind hier die von Bösel ins Spiel gebrachten ›Insonanzen‹, die ›Stimmen‹, die Subjekte in sich (zu) hören (glauben): Handelt es sich dabei um körperliche oder leibliche Phänomene? Tatsächlich scheint es mir, dass der Versuch, körperliche und leibliche Selbstverhältnisse mit Hilfe des Resonanzkonzeptes zu analysieren, es erlaubt,
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beide Dimensionen zugleich in den Blick zu nehmen und ihre Verwobenheit deutlich werden zu lassen. Bemerkenswert ist, dass die Dimension der Affizierung (des Berührwerdens; Merkmal 1) zwar in mehreren Beiträgen auf unterschiedliche Weise immer wieder thematisiert wird, die komplementäre Erfahrung der Selbstwirksamkeit dagegen vergleichsweise vernachlässigt wird. Dabei stellt sie aus meiner Sicht ein ebenso unverzichtbares Merkmal dar: Die Fähigkeit, auf eine Affizierung selbstwirksam zu antworten (und nicht etwa sich nur verletzt zu verschließen, was wir beispielsweise tun, wenn uns ein Ziegel auf dem Kopf fällt), ist eine Voraussetzung für das, was ich mit dem Prozess der Anverwandlung zu beschreiben versuche. Diese meint niemals eine erzwungene Veränderung, sondern eine auch eigentätige Transformation des Selbst. Dies wirft die auf komplementäre Weise von Sebastian Bandelin und von Meißner gestellte notorische Frage nach dem Verhältnis von Autonomie und Resonanz auf. Während Bandelin versucht, Autonomie als normativen Kernbegriff gegen die resonanztheoretische Kritik zu verteidigen, legt Meißner umgekehrt nahe, die Resonanztheorie verabsolutiere den männlich-weißen-heterosexuellen und bürgerlichen Autonomieanspruch – auf Kosten anderer. Beide nehmen dabei interessanterweise für sich in Anspruch, im Namen der Emanzipation zu argumentieren. Was ist darauf zu entgegnen? Zunächst einmal, dass es gewiss möglich ist, den Autonomiebegriff so zu dehnen, dass er deckungsgleich wird mit dem, was Resonanz meint. Aber diese Dehnung hat ihren Preis im Verlust begrifflicher Schärfe. Autonomie bedeutet vor aller philosophischer Diskussion zunächst einfach Selbst-Bestimmung, oder genauer: Selbst-Gesetzgebung. Als solche Selbstgesetzgebung definiert ja auch Bandelin explizit sein Verständnis von Autonomie. Meines Erachtens lassen sich hiergegen an beiden Enden resonanztheoretische Bedenken erheben, die sich aus den Merkmalen 3) und 4) ergeben: Wer ist das Selbst, das sich hier Gesetze gibt oder bestimmt, wenn es sich im Zuge von Resonanzprozessen fortwährend transformiert? Wenn der Kern der Resonanzerfahrung gerade darin besteht, dabei ein anderer zu werden? Und steht nicht die Idee der Gesetzgebung (Bandelin spricht ganz zu Recht auch von Zwecksetzungen und Handlungsprinzipien) – sei sie auch noch so reflektiert und demokratisiert – in einer unüberbrückbaren Spannung zum Moment der Unverfügbarkeit? Interessanterweise ist es gerade Adornos Erfahrungsbegriff, mit dessen Hilfe sich verdeutlichen lässt, wieso Resonanz nicht einfach in Autonomie aufgeht (oder umgekehrt): Genuine Erfahrung, so konstatiert Kirchhoff im Anschluss an Clemens Nachtmann, bedeute, sich dem Überfallen- und Überwältigt-Werden durch ein Anderes auszusetzen, sodass es dem Subjekt Sprache und Begriffe verschlägt, dass es »aus den Fugen geht«. Ganz anders als Kirchhoff denkt, die kurioserweise dieses Moment von Erfahrung gegen die Resonanztheorie in Anschlag zu bringen versucht, dient mir eben diese Argumentationsfigur
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schon im Resonanzbuch als Argument gegen eine einseitige normative Priorisierung der Autonomie (vgl. Rosa 2016: 313-315, 755-757): Mit Adorno scheint es mir unabweisbar, dass Resonanzerfahrungen mit einem Moment der Ohnmacht und damit des Autonomieverlustes einhergehen. Allerdings – ich habe das schon gesagt – mit einem Autonomieverlust, der uns vielleicht vorübergehend die Sprache und Begriffe raubt, aber nicht die eigene Stimme: Es handelt sich dabei nicht um eine erzwungene Transformation im Sinne einer repulsiven Verletzung, sondern um eine (allerdings unverfügbare und das heißt: nicht vorherbestimmbare, nicht prinzipienfeste) Selbsttransformation. Wenn Kirchhoff damit endet, dass Subjekte in ästhetischen Erfahrungen »Passivität aushalten, genießen und nutzen können«, dann scheint sie mir die transformative Gewalt, die mit genuinen (Resonanz-)Erfahrungen einhergeht, gewaltig zu unterschätzen. Dies tut auch Hoppe, wenn sie Resonanz einfach als ›Anverwandlung‹ im Sinne der nostrifizierenden Aneignung begreift und gegen die Idee der ›Irritabilität‹ setzt: Durchaus in Konvergenz mit Hoppes (und Karen Barads) Anliegen meint Resonanz in der Soziologie der Weltbeziehung essentielle und existentielle Transformation und in diesem Sinne Negation der Identität. Tatsächlich hege ich die Hoffnung, mit dieser Beziehungskonzeption die im sozialphilosophischen Denken seit dem 18. Jahrhundert als unüberbrückbarer Graben erscheinende, aporetische Konfrontation zwischen Identitätstheorien und Differenztheorien konzeptuell überwinden zu können, weil Resonanz die Hoffnung auf (immer nur partielle) Anverwandlung des Differenten als transformatives Geschehen denken lässt. Das aber bedeutet, dass sich Resonanz konzeptuell zwischen Konsonanz und Dissonanz bewegt, oder genauer: dass sie Konsonanz und Dissonanz und damit zugleich Identität und Differenz gleichsam dialektisch in sich ›aufhebt‹. Denn Resonanz bedeutet, einem genuin Anderen als Anderem zu begegnen. Der völlige Einklang macht es unmöglich, eine andere Stimme zu hören – was zur Folge hat, dass auch die eigene Stimme nicht mehr als solche identifiziert werden kann.4 In einer Atmosphäre der (völligen) Harmonie oder Konsonanz finden weder eine Berührung noch eine selbstwirksame Antwort und erst recht keine Transformation statt. Diese ereignen sich allerdings auch in einer entgegengesetzten Beziehung der radikalen Dissonanz nicht: Wo sich das begegnende Andere ausschließlich widersetzt und auf keine Weise erreichen lässt, ist kein resonantes In-BeziehungTreten möglich, wohl aber ein (wechselseitig) verletzendes, das sich gegenüber der Berührung gerade zu verschließen sucht. Resonanz bezeichnet damit ein Geschehen, welches sich zwischen den Polen radikaler Dissonanz und reiner 4 | Daher erscheint mir Sevignanis Vorschlag, solche ›Echobeziehungen‹ als dritte Form der Entfremdung bzw. der misslingenden Weltbeziehung (neben indifferenten und repulsiven Beziehungen) zu begreifen, sehr überzeugend.
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Konsonanz ereignet; es setzt Differenz notwendig und unaufhebbar voraus, erlaubt aber die Hoffnung auf, und impliziert die Möglichkeit von, ›anverwandelnder‹ Transformation, die eben nicht einseitige Aneignung, Assimilation oder Nostrifizierung meint, sondern nur um den Preis der Veränderung des Eigenen zu haben ist. Sowohl bei Kirchhoff als tendenziell auch bei Adorno wird jedoch das Moment der Selbstwirksamkeit, der (aktiven) Antwortfähigkeit als dem zweiten Kernelement von Resonanz konzeptuell vernachlässigt. Die Erfahrung von Ohnmacht und Überwältigung alleine konstituiert gewiss noch keine Resonanzerfahrung. Dies scheint mir der Ort zu sein, an dem Autonomie als normatives Kriterium seinen Platz hat. Autonomie im Sinne von Selbstwirksamkeit bezeichnet die andere unverzichtbare Seite von Resonanzbeziehungen. Eben deshalb beharre ich darauf, dass Resonanz nur möglich ist, wo beide Seiten ›mit eigener Stimme‹ sprechen. Wenn Meißner darin ein Festhalten am bürgerlich-männlich-weißen Individualitätsdispositiv erblickt, so verkennt sie nicht nur die Natur von Resonanzbeziehungen, indem sie sie im Sinne des einseitigen Autonomiekonzepts missversteht, sondern auch die der Resonanztheorie zugrundeliegende normative Absicht: Diese besteht geradewegs darin, dem und den jeweils Ausgeschlossenen, Anderen, Differenten, und das bedeutet auch: den (ganz) anderen Existenz- und Erfahrungsweisen eine vernehmbare Stimme zu geben – nur das kann doch der Sinn von ›Emanzipation‹ sein, wie Meißner sie selbst immer wieder als normatives Kriterium ins Spiel bringt. Deshalb möchte ich an meiner Überzeugung festhalten: Resonanz hebt die beiden gegensätzlichen Momente von Autonomie und transformativer Überwältigung in sich auf, ohne ihre Gegensätze zu verwischen. Sowohl Meißners als auch Kirchhoffs Beitrag (und darüber hinaus auch der Text von Lisa Waldenburger und Hannes Teutoburg-Weiss) werfen indessen berechtigterweise die Frage nach der der Resonanztheorie zugrundeliegenden Subjekttheorie auf. Die einfachste Antwort hierauf lautet, dass die Resonanz keine Subjekttheorie voraussetzt, weil sie nicht subjektphilosophisch, sondern radikal-relationistisch (durchaus im Sinne Hoppes) angelegt ist. Subjekte sind demnach immer schon das Ergebnis von je spezifischen Weltbeziehungen – was explizit die Möglichkeit offen lässt, dass das Subjekt von Resonanzerfahrungen auch Dyaden, Triaden oder Kollektive sein können (vgl. Rosa 2016: 651-655). Besonders aufschlussreich scheint mir in diesem Zusammenhang die von Bösel thematisierte Umstellung vom ›medialen‹ Subjekt etwa der Renaissance (das dem von Charles Taylor konzipierten ›porösen Selbst‹ der Vormoderne stark ähnelt) zum autonomen Subjekt der Moderne. Bösel zeigt in seinem Beitrag, dass die Vorstellung, ein Subjekt sei ›geschlossen‹ und spreche mit einer ›je eigenen Stimme‹, durchaus voraussetzungsreich und nicht alternativlos ist: Bis zur Renaissance war es eine ›Erfahrungstatsache‹, dass die in sich vernommenen Stimmen anderen (z.B. Dämonen) gehören konnten, so-
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dass Individuen dem für Resonanzbeziehungen konstitutiven Anderen in sich selbst begegnen konnten (Freilich konnte sich dieses Andere jederzeit auch als repulsiv oder indifferent erweisen). Die Resonanzkonzeption selbst postuliert lediglich die begriffliche Notwendigkeit zweier (oder mehrerer) unabhängiger Stimmen, die in ein spezifisches Antwortverhältnis treten – sie verlangt nicht unvermeidlich nach der autonomen Subjektkonzeption der Moderne. Eben deshalb, so hoffe ich, erweist sie sich als offen und anschlussfähig für die in postkolonialen Theorien und Studien (zu Recht) immer wieder eingeforderte theoretische Öffnung für andere Möglichkeiten des Subjektseins und des Inund-von-der-Weltseins (vgl. die Beiträge von Meißner und Daniel). Dennoch stellt sich an diesem Punkt erneut die von Peter Schulz und Christian Helge Peters schon in der Einleitung zu diesem Band scharfsinnig herausgearbeitete Frage, ob Resonanz gleichsam als ›anthropologische Konstante‹ oder aber als historisch spezifisches (und insbesondere modernes) Phänomen zu verstehen ist. Sind Menschen immer und stets gleichermaßen resonanzfähig, oder sind Resonanzfähigkeit und ‑verlangen spezifisch moderne Phänomene, sind sie womöglich sogar Herrschaftseffekte? Und als wäre diese Frage nicht schon schwierig genug, wird sie überlagert von einer gleichsam parallellaufenden zweiten Fragestellung, welche ihren Niederschlag an zahllosen Stellen dieses Buches findet: Handelt es sich bei Resonanz um ein ontologisches oder (nur) um ein psychologisches Phänomen? Zunächst verstehe ich Resonanzfähigkeit in der Tat als eine essentielle menschliche Eigenschaft und als ein menschliches Grundbedürfnis im Sinne Sebastian Sevignanis. Allerdings interpretiere ich das nicht so, dass Menschen resonanzfähig werden, weil sie Subjekte sind, sondern anders herum: Sie werden zu Subjekten, weil sie (vermutlich schon als Föten) resonanzfähig sind. Welche Subjektform sie dann aus den Resonanzprozessen gewinnen, ist dabei nicht a priori festgelegt, sondern hängt von den jeweils gegebenen historischen Umständen ab, und hier sind die Varianzen vermutlich weit größer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. So gehen Waldenburger und Teutoburg-Weiss mit den Vertreter_innen des Critical Realism einfach davon aus, dass Menschen ›immer schon‹ in die Bereiche des Natürlichen, des Praktischen und des Sozialen eingebettet sind und als handelnde Akteure den sozialen Strukturen gegenüberstehen. Tatsächlich aber, so zeigt schon Bösels Beispiel, ist weder die Schließung des Subjekts noch jene Bereichstrennung einfach ›naturgegeben‹. In diesem Sinne ist auch meine eigene Unterscheidung von horizontalen, diagonalen und vertikalen Resonanzachsen historisch gewiss nicht alternativlos – auch das macht Bösels Beispiel deutlich, das nahelegt, zumindest eine vierte Resonanzachse, nämlich die der Selbstbeziehung, einzuführen. Dieser Vorschlag scheint mir aus einer ganzen Reihe von Gründen plausibel. Aber selbst dann, wenn wir es weder mit monadischen Subjekten noch mit einer entsprechend drei- oder viergeteilten Welt zu tun haben, lassen sich Resonanz-
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beziehungen (und insbesondere rituelle Praktiken) beobachten, aus welchen Akteure und ihre Welt hervorgehen. Für die moderne Form von Resonanzbeziehungen und Resonanzsensibilitäten scheint mir hingegen die Gestalt weitgehend geschlossener (›autonomer‹) Subjekte empirisch (nicht normativ) grundlegend zu sein. Sie ist, wie ich im Resonanzbuch zu zeigen versucht habe, die Voraussetzung dafür, dass sich die Vorstellung ›der‹ Natur als eigenständiger, resonanter Ganzheit, die den Subjekten gegenübersteht, überhaupt erst entwickeln konnte, und für ›die‹ Kunst oder ›die‹ Geschichte gilt ähnliches. Resonanzachsen sind daher stets als historisch spezifische und damit als variable Phänomene zu verstehen und zu interpretieren, und sie sind mit jeweils spezifischen Subjekt- und ›Welt‹formen korreliert. Dies aber bedeutet in der Tat: Die Herausbildung von Resonanzachsen ist durchdrungen und durchzogen von Herrschaftsbeziehungen und Machteffekten, und ich stimme Gianna Behrendts Vermutung zu, dass diese sich insbesondere in der Konstitution der vertikalen Resonanzachsen zeigen. Was uns ›die‹ Natur oder ›die‹ Geschichte oder ›die Religion/Gott‹ jeweils zu sagen haben, verknüpft sich eben nicht erst dann und dort mit Herrschaftsinteressen, wenn entsprechende Autoritäten ihre Interpretationen einfach durchsetzen. In diesem letzteren Fall haben wir es immer schon mit Beziehungen des Resonanzverlustes zu tun, weil der Modus des transformationsoffenen Hörens und Antwortens zugunsten eines reifizierenden und verfügbarmachenden Erzwingens verlassen wird. Hier wirkt Macht einfach repressiv und damit resonanzvernichtend – die Stimme der Natur, der Geschichte oder Gottes soll verfügbar gemacht und die der ›ge-horchenden‹ Subjekte zum Schweigen gebracht werden. Aber Macht wirkt eben, wie Behrendt zeigt, auch schon dort, wo es sich wirklich um transformationsoffenes Hören und Antworten handelt, weil jede Konzeption des sprechenden Anderen wie des antwortenden Eigenen auch Ergebnis von Herrschaftsverhältnissen oder zumindest von Machtwirkungen ist. Hier zeigt sich, dass eine Subjekt- und Weltkonstitution frei von Machteffekten kaum denkbar ist. Machtkritik kann und sollte meines Erachtens aber – durchaus so, wie Behrendt dies vorführt – auf die reifizierenden, resonanzvernichtenden Aspekte von Herrschaft zielen, welche eine Verfügbarmachung des Anderen zum Ziel und eine Versteinerung und Erstarrung der Verhältnisse (und damit die Stillstellung der Prozesse des Anverwandelns) zur Folge haben. Ich werde darauf gleich noch einmal zurückkommen. Die Frage nach der Anthropologie wird indessen zu einer Frage der Ontologie, wenn zur Disposition steht, ob Resonanzbeziehungen jenseits intersubjektiver Beziehungen als symmetrisch oder als asymmetrisch zu denken sind. Ich habe Resonanz so definiert, dass beide Seiten durch die und in der Begegnung transformiert werden. Aber gilt das denn für Resonanzbeziehungen zwischen Mensch und Stein, oder zwischen Mensch und Berg? Oder noch radikaler ge-
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fragt: Können Objekt-Objekt-Beziehungen, kann die Begegnung zwischen Stein und Berg als Resonanzverhältnis gedacht werden? Und in der radikalsten Fassung: Können Stein und Berg voneinander entfremdet sein, wenn man Entfremdung als Resonanzlosigkeit bzw. als stummes Weltverhältnis versteht? Tatsächlich scheint mir diese Frage das schwierigste, zugleich aber auch das vielleicht spannendste konzeptuelle Problem der Resonanztheorie zu sein. Eine Reihe von Autor_innen wie etwa Waldenburger und Teutoburg-Weiss oder Gugutzer halten die letztere Annahme für schlicht absurd; resonanzfähig erscheinen ihnen nur menschliche Subjekte. Resonanz beschreibt in ihrem Sinne tendenziell keine ontologische (Beziehungs-)Wirklichkeit, sondern eine psychologische, oder psychophysische, Reaktion. Einige andere Autor_innen, insbesondere Taylor und Hoppe, zeigen dagegen, dass sie es sich damit zu einfach machen. Wie ich in dem hier zugrunde gelegten Buch ausgeführt habe, resultiert die für uns nahezu unhintergehbare Überzeugung, dass einzig andere Menschen (oder höchstens noch Tiere) resonanzfähig sein können und eine Stimme haben, aus dem spezifischen (szientistisch-rationalistischen) Weltverhältnis der Moderne, dem gemäß wir in einem schweigenden, letztlich toten Universum leben, mit dem wir lediglich in kausalen oder instrumentellen Wechselwirkungen stehen. Dieses Weltverhältnis ist aber ebenso wenig – oder noch weniger – voraussetzungs- und alternativlos wie die Konzeption des geschlossenen Subjekts. Taylor rekonstruiert in seinem Beitrag eine lange, transhistorische Reihe von Weltbildern und Weltpraktiken, in denen Subjekt und Welt in ein responsives Beziehungsverhältnis gesetzt werden. Diese reicht von Plato über kabbalistische Traditionen und die Konzeption von Korrespondenz-Ketten in der Renaissance bis zu Spinoza und in die Romantik und schließlich bis in die jüngste Gegenwart hinein, in der etwa stringtheoretische Weltdeutungen oder aber Versuche, ›symmetrischer Anthropologien‹ zu formulieren, wie sie bei Bruno Latour oder Philippe Descola zu finden sind (vgl. dazu Rosa 2016: 381393, 461-468), just darum bemüht sind, die in der modernen Alltagsevidenz so unverrückbar erscheinende Überzeugung, dass einzig Menschen handeln und antworten können, theoretisch zu unterlaufen.5 Wie Taylor zeigt, liegt der spezifische Beitrag der Romantik zu dieser Traditionslinie darin, dass die Natur in ihren philosophischen und poetischen Entwürfen nicht mehr wie ein festgelegtes ›Buch‹ gelesen werden kann, sondern als eigentätig und ›lebendig‹ konzipiert wird, sodass die erfahrbare Welt ihrer Essenz nach als Kollaboration 5 | Allerdings gilt diese Alltagsevidenz nicht für alle Kontexte: In der ubiquitären Ästhetisierung der Alltagspraxis findet sich eine komplementäre (oder kompensatorische) Form der Alltagspraxis, die auf nichts anderes abzielt als darauf, selbst noch die profansten Dinge, etwa das Badezimmer, ›ansprechend‹ und ›berührend‹ zu machen (Rosa 2016: 615-630).
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zwischen Mensch und Natur und damit als genuines ›Antwortgeschehen‹ im Sinne der Resonanztheorie verstanden werden kann. Taylor verortet daher Resonanz in einem ›Zwischenraum‹ im doppelten Sinne: Sie ereignet sich zwischen Mensch und Natur einerseits, andererseits aber ist sie kategorial genau zwischen Ontologie und Psychologie anzusiedeln. Dies deckt sich im Ergebnis mit der von mir selbst ursprünglich vorgeschlagenen phänomenologischen Lösung des Problems, nach der wir auch mit wissenschaftlichen Mitteln nichts über das Wesen oder Verhalten des ›Steins an sich‹ aussagen können, sondern uns mit einer Analyse der Beziehung zwischen dem erfahrenden Subjekt und dem begegnenden Stein begnügen müssen – und diese Beziehung kann so konzipiert sein, dass Steine und Berge etc. als unveränderlich schweigend und stumm oder aber als resonant erfahren werden. Überaus bemerkenswert erscheint mir vor diesem Hintergrund nun aber die von Hoppe im Anschluss an und in Auseinandersetzung mit der Feministin, Physikerin und Wissenschaftstheoretikerin Barad entwickelte Konzeption eines ›New Materialism‹ zu sein, nach der sich Resonanz gleichsam in einem ontologisch-epistemologisch-ethischen Zwischenraum ereignet. Meeting the Universe Halfway lautet bezeichnenderweise einer der zentralen Titel Barads (1996) – sie trifft damit ziemlich genau das, was auch Taylors Rekonstruktion der Romantik nahelegt: Erkenntnis ist selbst ein Resonanzprozess, er ko-konstruiert die erkannte Wirklichkeit, aber eben nicht einseitig, sondern in einem fortwährenden, unverfügbaren Transformationsgeschehen. Und weil es dabei auch für Barad nicht zuletzt um die Natur der Beziehung geht, verweben sich hier die ontologische und epistemologische Dimension mit der ethischen: Responsibility und Responsability gehen Hand in Hand, und Barad zögert nicht (vielleicht noch radikaler als Latour in seiner symmetrischen Anthropologie), der Materie selbst ethische und sensitive Qualitäten zuzuschreiben: Matter feels, converses, suffers, desires, yearns and remembers (Barad 2012) ist ebenso bezeichnenderweise ein Interview mit ihr überschrieben,6 womit sie eine Position vertritt, die kurioserweise durchaus an Arthur Schopenhauers Konzeption des Willens erinnert. Barads Konzeption des agentiellen Realismus und der Intraaktion scheinen mir daher näher an meinem eigenen Resonanzkonzept zu sein, als Hoppe denkt, weil sie dazu tendiert, meinen Begriff der ›Anverwandlung‹ als Nostrifizierung zu begreifen und dabei die Aspekte der Transformation und der Unverfügbarkeit zu unterschätzen. Allein, wie Hoppe selbst bemerkt, ist Barads ethische Konzeption dramatisch unterbestimmt, um nicht zu sagen leer und letztlich sogar inkonsistent, weil in ihr jede Art der Wechselwirkung als Antwort und jede Antwort als Resonanz erscheint. Was soll es denn heißen, wenn man mit Georg Lukács davon ausgeht, dass jede Handlung »tausende von Resonanzen« erweckt, »deren 6 | Diesen Literaturhinweis verdanke ich Hoppe.
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größten Teil« wir nicht kennen und nicht zu kennen vermögen? Und vor allem: In welchem Sinne könnten wir für diese tausenden von Resonanzen Verantwortung tragen? Mehr noch: Zumindest in der Rekonstruktion Hoppes gibt es keine kategoriale Möglichkeit dafür, etwa Donald Trumps Mauerbau gegen mexikanische Einwander_innen nicht als Antwort (und damit als Resonanz) auf die Immigrationsproblematik zu begreifen. Und um eine Antwort handelt es sich ja auch zweifellos, aber eben nicht um eine resonante. Hier zeigt sich erneut, dass es eben nicht ausreicht, beim Begriff der Beziehung oder Wechselwirkung stehen zu bleiben, sondern dass es entscheidend darauf ankommt, die Natur der Beziehung genau zu erfassen. Die Mauerbaupolitik ist resonanzfeindlich und repulsiv, weil es ihr Ziel ist, die Stimme der Anderen (Mexikaner, Muslime etc.) auszuschließen und zum Schweigen zu bringen und das Eigene vor Berührung, Transformation und Veränderung zu schützen, zu konservieren. Hier aber liegt der Kern dessen, was ich als Resonanzethik bezeichnen möchte: Es ist eine Haltung des Hörens und Antwortens, welche auf der Bereitschaft und Fähigkeit beruht, sich berühren und verändern zu lassen, oder genauer: sich durch die doppelseitige Bewegung von Affekt und Emotion in der Begegnung mit einem eigentätig und unverfügbar Anderen zu verändern. Ein Antworten, dass auf Durchsetzen, Verfügen, Beherrschen und Erreichen ausgerichtet ist, ist deshalb per se kein resonantes, sondern ein ›stummes‹ Handeln – was freilich nicht ausschließt, dass es resonanzethisch motiviert und gerechtfertigt sein kann. Dies führt nun wieder zu jener eingangs gestellten Frage zurück, welche Form der Kritik, oder der Kritischen Theorie, heute normativ und politisch angemessen und rechtfertigbar ist. Einige Autor_innen wie Haubner, Meißner, Kirchhoff oder Daniel werfen mir implizit oder explizit vor, letztlich die Augen von den bestehenden gravierenden Ungerechtigkeiten im Blick auf die Klassen- und Geschlechterverhältnisse und auf die fortdauernden postkolonialen Ausbeutungsbedingungen im Nord-Süd-Verhältnis (und im Blick auf ökologische Verhältnisse) zu verschließen und deshalb ebendiese Verhältnisse zu affirmieren, indem ich den Mittelschichtssubjekten nahelege, ihre Arbeit, die Natur und die Kunst zu genießen, sonntags Resonanzerfahrungen in der Kirche zu suchen und sich darüber hinaus sichere Resonanzhäfen in Form traditioneller Kernfamilien zu bauen. In keinem Punkt fühle ich mich so sehr missverstanden wie in diesem. Meine soziologische Analyse lautet: Die moderne kapitalistische Gesellschaft vermag ihre Strukturen nur im Modus dynamischer Stabilisierung, das heißt durch (Kapital-)Akkumulation und Steigerung zu reproduzieren, und dies führt strukturell zu Desynchronisation, wie sie sich etwa in der ökologischen Krise zeigt, sozioökonomisch zu einer Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse und kulturell zum Resonanzverlust führt. Die Frage lautet daher: Wie erhält sich eine derart unplausible oder irrationale (weil selbstzerstörerische) Formation – und wie wäre sie zu überwinden? Meines Erachtens
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greifen Ansätze, welche das Problem einfach nur ›da draußen‹, bei den ›Gewinner_innen‹ und Profiteur_innen der Verhältnisse oder in einem abstrakten Wertgesetz (oder Wertabspaltungsgesetz) verorten, schon in der Diagnose dramatisch zu kurz – erst Recht aber in der Suche nach Veränderungsstrategien. Denn der Antrieb zur Kontinuierung der Formationslogik liegt eben nicht nur ›da draußen‹, in den ungerechten Verhältnissen, gegen die wir kämpfen müssen, sondern auch in den Subjekten, in jedem und jeder von uns selbst. Er liegt auch und vielleicht entscheidend in der kulturellen Grunddisposition der Reichweitenvergrößerung, in einem Modus des In-der-Welt-Seins, der die Welt im Sinne Max Schelers und Marcuses zum ›Aggressionspunkt des Handelns‹ macht. Dieser Modus wird strukturell durch die Steigerungszwänge dynamischer Stabilisierung erzwungen, kulturell aber durch die Verheißung der Reichweitenvergrößerung reproduziert. Das Kapital kann nicht aus sich selbst Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung realisieren, es bedarf dazu des korrespondierenden Begehrens und Verlangens der Subjekte. Wenn man das eine als das Korrelat des anderen betrachtet, dann lässt sich sagen: Der Kapitalismus ist eben nicht nur dort draußen in den institutionellen Strukturen oder im abstrakten Wertgesetz, er ist auch in uns drinnen, und das gewiss nicht nur in Form der Besitzgier der Profiteur_innen. Eine Revolution muss daher auf beides zielen: Auf eine Überwindung der institutionellen Strukturen kapitalistischer Ordnung und ebenso sehr auf eine Veränderung der kulturellen Dispositionen. Wer ›die Schuld‹ einfach einer abstrakten Kapitallogik und/oder den einschlägigen Profiteur_innen zuschiebt, nimmt sich selbst zu schnell aus dem Spiel. Mehr noch: Wer darauf beharrt, dass die für positiv und wertvoll gehaltenen Erfahrungen, welche Subjekte in der Arbeit, in der Natur, in der Familie oder im Konsum machen, ›immer schon‹ wertlos und entfremdet, weil ›kapitalistisch konstitutiert‹ sind und deshalb als ideologisch entlarvt werden müssen, und mehr noch: dass auch das, was ihnen problematisch und kritikwürdig erscheint und gegen das sie in ihrem Alltag kämpfen, die ganz falschen Ziele sind, sodass ihr Versuch, Dinge zu verbessern, zur sinnlosen oder schädlichen ›Folk Politics‹ wird (vgl. etwa Smicek/Williams 2016), der verhält sich erstens selbst in höchstem Maße nicht-resonant: Er hört und antwortet nicht, schon gar nicht will er sich berühren und transformieren lassen, sondern er weiß ja schon. Die Subjekte werden, entgegen aller Beteuerungen, eben gerade nicht ernst genommen, sondern theoretisch radikal verdinglicht. Eure Hoffnungen und Sehnsüchte sind kleinbürgerlich und ideologisch, und Eure Kritik und Euer Widerstand sind zwecklos und reifizierend. Lernt erst einmal unser abstraktes Sprachspiel, das von jeder realen Erfahrung absieht, dann dürft ihr mitreden. Eine solche Position scheint mir entgegen aller philanthropischen Beteuerungen radikal exkludierend zu sein, sie vollzieht einen intellektuellen Mauerbau gegen jede andere Stimme, der als theoretische Gewalt den hand-
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festeren sicherheitspolitischen Plänen der Rechtspopulisten auf fatale Weise gleicht. Mehr noch und zweitens: Diese Position nimmt den Subjekten jede Hoffnung und jeden Ansatzpunkt zur Veränderung, weil sie jede praktische Selbstwirksamkeitserfahrung negiert. Dies zeigt sich besonders deutlich im Blick auf die von Haubner und Sevignani diskutierten Arbeitsverhältnisse. Richtig ist, dass meine Darstellung der Arbeit als Resonanzsphäre insofern problematisch ist, als sie nahelegt, Arbeit sei nur oder zumindest vor allem anderen ein stoffliches oder materiales Weltverhältnis, ein Ding-Verhältnis. Dies hängt mit der Anlage des zweiten Teils meines Buches zusammen, in dem ich versuche, die drei Dimensionen sozialer, materialer und vertikaler Resonanzachsen einzeln zu analysieren. Allerdings konstatiere ich dabei explizit, dass bei allen Resonanzbeziehungen stets alle drei Dimensionen involviert sind: Natürlich ist Arbeit auch ein soziales Verhältnis und überdies ein Modus, mit dem Ganzen der Welt oder des Lebens in Verbindung zu treten. Aber der Versuch, für die Analyse der konkreten Arbeitserfahrung allein die ›abstrakte Formbestimmung‹ des sozialen Lohnarbeitsverhältnisses in Anschlag zu bringen, erscheint mir radikal falsch zu sein. Das gilt auch und sogar im Blick auf das durch die Arbeit gestiftete Sozialverhältnis: Die Erfahrung der gemeinsamen Produktion von Gütern und Dienstleistungen birgt ein Resonanzpotenzial für die Zusammenarbeitenden, das durch die historisch spezifische Form der privaten Verfügung über die Produktionsmittel und durch die ebenso private Aneignung des Produzierten nicht einfach umstandslos nullifziert wird. Und es gilt erst Recht für das Ding-Verhältnis. Ich behaupte in der Tat: Auch unter kapitalistischen Ausbeutungsbedingungen machen arbeitende Menschen konkrete und intensive Erfahrungen mit dem materialen (und bisweilen lebendigen) ›Weltstoff‹, und ich meine sogar, dass diese Erfahrung als die primäre bezeichnet werden kann, wenngleich sie natürlich auch ihrerseits immer schon sozial vermittelt ist: Auch der ausgebeutete Krankenpfleger begegnet am Krankenbett noch einem resonanzfähigen Menschen, auch die am Rande des Burnout operierende Lehrerin begegnet dem Resonanzverlangen ihrer Schüler_innen, der Fernfahrer entwickelt einen Sinn für Fahrzeug und Straße, die Programmiererin für den Programmcode und die Lackiererin für Lack und Pinsel. Und sie erfahren völlig zu Recht Selbstwirksamkeit, indem was sie tun, auch in der Fabrikhalle und auch, wenn sie es unter den Bedingungen sozioökonomischer Fremdbestimmung tun. Und es ist diese Erfahrung von Resonanz und Selbstwirksamkeit, aus der der Impuls und Funke zum Widerstand gegen jene Fremdbestimmung nur entspringen kann – und handle es sich auch nur um passiven Widerstand. Wie ich in meinem Buch dargelegt habe, scheint mir die auffällige Häufung von Burnoutdiagnosen in Pflege- und Erziehungsinstitutionen just daraus zu resultieren, dass manifeste beidseitige Resonanzerwartungen (zwischen Kranken und Pflegenden bzw. zwischen
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Lernenden und Lehrenden) permanent geweckt und wahrgenommen, aber nicht erfüllt werden können. Alltagserfahrungen stellen aber nach meiner Überzeugung nicht nur den Ort dar, aus dem der Impuls für und der Wunsch nach Veränderung entsteht, sondern auch die motivationale Quelle für ein entsprechendes Handeln. Deshalb scheint mir der in diesem Sammelband immer wieder implizit oder explizit aufscheinende Vorwurf, die Resonanztheorie übersehe, oder nehme billigend in Kauf, dass die von mir als positiv dargestellten Resonanzerfahrungen auf Kosten der Ausgebeuteten insbesondere des globalen Südens gemacht werden und nur um den Preis massiver Externalisierung von Folgekosten möglich sind, ganz und gar nicht triftig zu sein. Mein Kernargument lautet hier: Eine Resonanzorientierung und ‑sensibilisierung ist die zentrale Voraussetzung dafür, jenen Folgekosten nicht länger gleichgültig gegenüber zu stehen. Die entscheidende Frage lautet dabei: Welche der von mir als Idealtypen entworfenen Figuren (die entfremdete Hannah oder die ›resonante‹ Anna, der Reichweitenvergrößerer Adrian oder der Beziehungsintensivierer Dorian) wird sich eher für Flüchtlinge oder gegen Massentierhaltung und Atomkraft engagieren? Wie ist die dispositionale Welthaltung beschaffen, die auf die andrängenden Flüchtlingsströme nicht mit dem Wunsch nach Mauer und Zaun und auf das Schmelzen der Gletscher nicht mit einem Schulterzucken reagiert, sondern sie gleichsam als ›Anruf‹ mit Aufforderungscharakter wahrnimmt? Ausbeutung und Externalisierung sind nicht der Preis von Resonanzbeziehungen, wie Haubner meint, sondern die Folge einer radikalen, erzwungenen Steigerungsorientierung, die zu stummen, indifferenten, verdinglichenden Weltbeziehungen führt; und Resonanz ist das Einfallstor, von dem aus die institutionell und kulturell eingeschriebene Welthaltung des Verfügbarmachens in der und aus der Erfahrung in Frage gestellt wird. Je mehr der Grundmodus des In-derWelt-Seins auf Resonanz geeicht ist, umso mehr gewinnt das Leid der Produzierenden in Bangladesh oder die extraktive Naturzerstörung in Chile an hautnaher Relevanz – und aus der in jeder resonanten Begegnung implizierten Selbstwirksamkeitserfahrung entsteht die Motivation, jene Relevanz in eigenes und kollektives Handeln zu übersetzen. Freilich mag es hier so scheinen, als sei meine Position an dieser Stelle insofern hoffnungslos inkonsistent, als ich einerseits behaupte, wir seien als Subjekte in unseren Begehrungen und Wünschen viel stärker kapitalistisch konstituiert, als es den Kritiker_innen erscheine, während ich andererseits gleichzeitig darauf beharre, dass die Alltagserfahrungen ebendieser Subjekte als Ausgangspunkt für Veränderung dienen könnten. In der Tat will ich an beiden Thesen festhalten: Das Letztere ist möglich, weil nach meiner Konzeption Resonanz kategorial dem Subjekt vorausliegt, oder anders formuliert: Weil ich Resonanzfähigkeit für ein anthropologisches Bedürfnis und eine anthropologische Fähigkeit zugleich halte – sie kann vielleicht (individuell und/
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oder strukturell) verkümmern und beschädigt werden, aber sie kann nicht gänzlich und auf allen Ebenen zum Verschwinden gebracht werden. Nur weil und insofern Menschen resonanzfähig sind, können sie zu Subjekten werden. Das schließt nicht aus, dass sie als formierte Subjekte in eine Welthaltung gebracht (oder gezwungen) werden, die resonanzfeindlich ist, oder mehr noch: dass sich ihre Resonanzfähigkeit und -sehnsucht missbrauchen lässt. Eine Kernthese der Soziologie der Weltbeziehung lautet daher, dass selbst noch das Programm der Weltreichweitenvergrößerung in letzter Instanz von einer unausgesprochenen Resonanzhoffnung und einem Resonanzbegehren getrieben ist, welches unter den Bedingungen der kapitalistischen Moderne in ein Objekt- und Dominanzbegehren ›übersetzt‹ wird, das jene Hoffnung am Ende untergräbt. Max Weber legt in seiner bahnbrechenden Studie zum Geist des Kapitalismus auf brillante Weise nahe, dass jene Übersetzung Ergebnis einer ebenso resonanzfeindlichen wie weltverneinenden und letztlich ›irrationalen‹ Haltung ist, welche dem Programm der systematischen Reichweitenvergrößerung kulturell zugrunde liegt und das kapitalistische Weltverhältnis prägt. Deshalb liegt in der Affirmation jenes ursprünglichen Begehrens der Ansatzpunkt für eine Revolution, die weit radikaler ist als die bloße Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln.
L iter atur Barad, Karen (1996): »Meeting the Universe Halfway. Realism and Social Constructivism without Contradiction«, in: Hankinson, Lynn/Nelson, Jack (Hg.), Feminism, Science, and the Philosophy of Science, Dordrecht: Kluver Press, S. 161-194. Barad, Karen (2012): »Matter feels, converses, suffers, desires, yearns and remembers«, in: Rick Dolphin/Iris van der Tuin (Hg.), New Materialsm. Interviews and Cartographies, Ann Arbor: Open Humanities Press, S. 4870. Brumlik, Micha (2016): »Resonanz oder: Das Ende der Kritischen Theorie«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5 (2016), S. 120-123. Fink-Eitel, Hinrich (1993): »Innerweltliche Transzendenz. Zum gegenwärtigen Stand kritischer Gesellschaftstheorie«, in: Merkur 47 (528), S. 237-245. Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin: Suhrkamp. Smicek, Nick/Williams, Alex (2016): Inventing the Future: Postcapitalism and A World Without Work, London: Verso.
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Autor_innen
Sebastian Bandelin, Dr. phil., arbeitet als Lehrbeauftragter in Jena und als Sozialarbeiter in Weißenfels. Er beschäftigt sich mit Anerkennungstheorie, kritischer Theorie und Pragmatismus. Gegenwärtig forscht er zu einer pragmatistischen Theorie von Erfahrungsblockierungen. Wichtige Publikationen: Anerkennung als Erfahrungsprozess. Überlegungen zu einer pragmatischkritischen Theorie. Bielefeld: transcript 2015; »Der Neopragmatismus und das Eichhörnchen. Überlegungen zur Demokratietheorie von John Dewey«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 6 (63), S. 1076-1098, 2015. Gianna Behrendt ist Promotionsstipendiatin am Forschungsschwerpunkt »Dimensionen der Sorge« des Evangelischen Studienwerks Villigst und Lehrbeauftrage am Institut für Soziologie und Kulturorganisation der Leuphana Universität Lüneburg. Arbeitsbereiche: Gesellschaftstheorie und Kritische Theorie, Natur- und Weltverhältnisse, Ideengeschichte und Zeitdiagnose, kritische Diskursanalyse. Publikation: »Moderne Naturerzählungen als strukturell religiöse Legitimationsmuster vor dem Hintergrund ambivalenter Weltbeziehungen«, in: Henkel, Anna et al. (Hg.): Dimensionen der Sorge. Soziologische, philosophische und theologische Perspektiven. Baden-Baden: Nomos 2016, S. 241-256. Bernd Bösel, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam und Koordinator des DFG-Netzwerks »Affect- and Psychotechnology Studies«. Arbeitsschwerpunkte: Affekt- und Emotionstheorien, Kultur- und Mediengeschichte der Affektregulation, Philosophie als Lebens- und Affizierungsform. Publikationen u.a.: »Immunisierung der Psyche, Maschinisierung der Affekte – Neue Paradigmen der Affektverfügung«, in: Schlünder, Susanne/Stahl, Andrea (Hg.): Affektökonomien. Konzepte und Kodierungen im 18. und 19. Jahrhundert, München: Wilhelm Fink 2017; Timing of Affect. Epistemologies, Aesthetics, Politics, Zürich/Berlin: Diaphanes 2014 (hg. mit Marie-Luise Angerer und Michaela Ott); Philo-
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Resonanzen und Dissonanzen
sophie und Enthusiasmus. Studien zu einem umstrittenen Verhältnis, Wien: Passagen 2008. Anna Daniel, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrgebiet Allgemeine Soziologie und soziologische Theorie an der FernUniversität in Hagen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Postkolonialen Soziologie, der Praxissoziologie und der Popkultur-Forschung. Ihre wichtigsten Veröffentlichungen sind: Die Grenzen des Religionsbegriffs. Eine postkoloniale Konfrontation des religionssoziologischen Diskurses, Bielefeld: transcript 2016; Methoden einer Soziologie der Praxis, Bielefeld: transcript 2015 (hg. mit Franka Schäfer und Frank Hillebrandt). Christoph Görlich ist Stipendiat der Fakultät für Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg und promoviert zur Frage einer Geistesgeschichte der Kybernetik im Anschluss an das Werk Gotthard Günthers. Forschungsschwerpunkte: Geistesgeschichte der Technik, insbesondere Kybernetik; Wissensgeschichte, Medienphilosophie. Publikationen: zusammen mit Christian Helge Peters: »Die Kraft der Empörung. Affekte als anti-moderne Entladungsphantasien«, in: body politics. Zeitschrift für Körpergeschichte. Themenheft »Affektkontrolle und Affektregime«, im Erscheinen. Robert Gugutzer, Prof. Dr. phil., ist Leiter der Abteilung Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Forschungsschwerpunkte: Körper- und Sportsoziologie, Filmsoziologie, Neophänomenologische Soziologie. Buchpublikationen: Handbuch Körpersoziologie (2 Bde.), Wiesbaden: Springer VS 2017 (hg. mit Gabriele Klein und Michael Meuser); Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Selbstoptimierungsprojekt? Bielefeld: transcript 2016 (hg. mit Stefanie Duttweiler, Jan-Hendrik Passoth, Jörg Strübing); Soziologie des Körpers, Bielefeld: transcript 2015; Verkörperungen des Sozialen. Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen, Bielefeld: transcript 2012. Tine Haubner, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie in Jena. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Krise von Sorgeund Reproduktionsarbeiten, Arbeitssoziologie, Wohlfahrtsstaatsanalyse und Ungleichheitsforschung. Ausgewählte Publikationen: Die Ausbeutung der sorgenden Gemeinschaft. Laienpflege in Deutschland. Frankfurt a.M.: Campus (i.E.); zusammen mit Klaus Dörre, Martin Ehrlich: »Landnahmen im Feld der Sorgearbeit«, in: Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit/Theobald, Hildegard (Hg.): Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime. Care: Work, Relations, Regimes. Baden-Baden: Nomos, S. 107-124.
Autor_innen
Anna Henkel, Prof. Dr. phil, ist Professorin für Kultur- und Mediensoziologie an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsfelder: Sozial- und Gesellschaftstheorie in ihrer Verbindung mit empirischer Forschung, Einbeziehung von Materialität und Dingen in soziologische Untersuchungen sowie empirische Fragestellungen um Nachhaltigkeit, Gesundheit, Verantwortung und Organisation. Aktuelle Publikationen: »Posthumanism, the Social and the Dynamics of Material Systems«, in: Theory, Culture & Society, 5 (33), S. 65-89, 2016; Dimensionen der Sorge, Baden-Baden: Nomos 2016 (hg. mit Isolde Karle, Gesa Lindemann, Micha Werner); »Natur, Wandel, Wissen: Beiträge der Soziologie zur Debatte um nachhaltige Entwicklung«, in: Soziologie und Nachhaltigkeit, 1 (2), S. 1-23, 2016. Katharina Hoppe, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich »Biotechnologie, Natur und Gesellschaft« am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der feministischen und politischen Theorie, der Sozialtheorie, der feministischen Wissenschaftskritik und dem Feld der Biopolitik. Zuletzt erschien ihr gemeinsam mit Thomas Lemke verfasster Aufsatz »Die Macht der Materie. Grundlagen und Grenzen des agentiellen Realismus von Karen Barad«, in: Soziale Welt 66 (3), S. 261-280. Christine Kirchhoff, Prof. Dr. phil., Dipl.-Psych., ist Juniorprofessorin für Psychologie mit Schwerpunkt psychoanalytische Kulturwissenschaften an der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Psychoanalytische Subjekt- und Kulturtheorie, Psychoanalyse und Kritische Theorie, Prokrastination. Aktuelle Publikationen: »Unterschied mit Folgen. Identität und Differenz in der freudschen Psychoanalyse«, in: Mende, Janne/ Müller, Stefan (Hg.): Identität und Differenz. Konstellationen der Kritik, Weinheim: Beltz Juventa, 2016; »Irritierende Erkenntnis. Zum Stellenwert der Irritation in der Psychoanalyse«, in: supervision, 1 (33), S. 17-23, 2015; Adorno und Freud. Zur Urgeschichte der Moderne, Berlin: Kadmos 2014 (hg. mit Falko Schmieder). Hanna Meißner, Dr. phil., arbeitet am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) der TU Berlin; Schwerpunkte: Gesellschaftstheorie, Feministische Theorie, Wissenschaftsforschung, Organisationssoziologie. Veröffentlichungen: »Gesellschaftstheoretische Wissensproduktion: Performative Visualisierungen und das Denken des Un/Möglichen«, in: Völker, Susanne/Amacker, Michèle (Hg.): Prekarisierungen. Arbeit, Sorge und Politik, Weinheim: Beltz Juventa 2015; zusammen mit Sabine Hark: »Das Denken des Möglichen. Kritische Theorie als Projekt des Zusammenhangs von Erkenntniskritik und Gesellschaftskritik – Feministische Reartikulationen«, in: Britt-
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Resonanzen und Dissonanzen
lingmeyer, Uwe et al. (Hg.): Handbuch Kritische Theorie, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 1-24, 2016. Christian Helge Peters ist Promotionsstipendiat am Graduiertenkolleg »Lose Verbindungen« an der Universität Hamburg. Er forscht zu affektiven Prozessen im Sozialen und neuen Kontrollformen. Seine wichtigsten Veröffentlichungen sind: zusammen mit Christoph Görlich: »Die Kraft der Empörung. Affekte als anti-moderne Entladungs-Phantasie«, in: Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte, im Erscheinen; Souveränität in der Kontrollgesellschaft: Souveräne Vergesellschaftung krimineller Abweichung, Berlin/Münster: LIT Verlag 2015; »Die Logik souveräner Vergesellschaftung: Ein theoretischer Rahmen für Analysen gegenwärtiger (Kriminal-)Politiken«, in: Kriminologisches Journal 3 (47), S. 191-207, 2015. Hartmut Rosa ist seit 2005 Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und seit 2013 zugleich Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt. 2016 erhielt er den Tractatus Preis für philosophische Essayistik. Er leitet mehrere Forschungsprojekte, darunter die von der DFG-geförderte Kollegforschergruppe »Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften«. Zu den wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin: Suhrkamp 2016; Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005; sowie zusammen mit David Strecker und Andrea Kottmann: Soziologische Theorien, Konstanz: UVK/UTB 2007. Peter Schulz arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für allgemeine und theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Kapitalismus- und Subjektivationstheorien, Kritische Theorie, Techniksoziologie und Rechtsextremismusforschung. Zuletzt erschienen sind: zusammen mit Jörg Oberthür: »Nach dem Maschinensturm. Überlegungen zu einer Erweiterung der Technologiekritik in der Postwachstumsdebatte«, in: AK Postwachstum (Hg.): Wachstum – Krise und Kritik. Frankfurt a.M./New York: Campus 2016, S. 159-177; »Lifelogging – Projekt der Befreiung oder Quelle der Verdinglichung?«, in: Selke, Stefan (Hg.): Lifelogging, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 45-64. Sebastian Sevignani, Dr. phil, hat Kommunikationswissenschaft, Theologie und Philosophie an der Universität Salzburg studiert und dort 2016 mit einer Arbeit über »Privacy and Capitalism in the Age of Social Media« promoviert. Derzeit ist er Habilitant am Arbeitsbereich allgemeine und theoretische Soziologie am Soziologischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine
Autor_innen
Forschungsschwerpunkte sind die kritische politische Ökonomie der Medien und der Kommunikation, die Theorie des informationellen Kapitalismus, Privatheit, Überwachung, und eine kritische Theorie der menschlichen Bedürfnisse. Charles Taylor, Prof. DPhil., ist Professor emeritus an der McGill University Montreal. Er gehört zu den führenden Philosophen unserer Zeit und arbeitet unter anderem zu Hegel, zur Moderne, zur Moralphilosophie, Identitätstheorie und Sozialphilosophie und bekam 2016 den neu geschaffenen, hochdotierten Berggruen Prize for Philosophy für sein Lebenswerk. Aktuelle Veröffentlichungen: The Language Animal. The Full Shape of the Human Linguistic Capacity. Cambridge: Harvard Universitiy Press 2016; zusammen mit Hubert Dreyfus: Retrieving Realism. Cambrigde: Harvard University Press 2015. Hannes Teutoburg-Weiss war bis zum März 2017 Master-Student an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit dem Schwerpunkt »Sozialer Wandel und soziologische Zeitdiagnose«. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Soziologie zu einer grundlegenden Sozialtheorie sowie Anthropologie (inklusive der Theoretisierung der Selbst-Welt-Beziehungen), structureagency-Debatte, der Stellenwert von Kritik in den Sozialwissenschaften, und Theorien des Öffentlichen/Privaten. Seine Masterarbeit schrieb er zur sozialtheoretischen Konturierung eines übermodernen Begriffes von Öffentlichkeit. Lisa Waldenburger ist seit 2015 Projektleiterin und Doktorandin im Projekt »Intimisierung des Öffentlichen« (SNF) am Fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die theoretische und empirische Bearbeitung (spät-)moderner Formen der Subjekt-Welt-Beziehung. Der Fokus liegt dabei auf Subjektbildung/-werdung, Zusammenwirken von structure und agency – insbesondere aus Sicht des Critical Realism – sowie die Beschäftigung mit Fragen des guten Lebens respektive Entfremdung. Aktuell forscht sie qualitativ zur Bedeutung von social media für spätmoderne Subjekte und deren (gelingende) Welterfahrung. Sonja Witte, Dr. phil., hat Kulturwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert und zum Unbewussten in der Kulturindustrie promoviert. Sie arbeitet zu: Kritische Theorie des Unbewussten, psychoanalytische Kulturtheorie, Postnazismus, Alltagskultur, Sexualitätsforschung. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin. Zuletzt erschienen: »Vom Klassenkampf zum ›Kinderschänder‹ – Anmerkungen zu wechselnden Vorzeichen von kindlicher Unschuld und Störgeräuschen«, in: Freie Assoziation – Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie, 1 (19), S. 83-89, 2016.
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Soziologie Uwe Becker
Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3056-5 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5
Gabriele Winker
Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart. 11,99 E (DE), 978-3-8376-3040-4 E-Book PDF: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4
Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)
Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Carlo Bordoni
Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7
Sybille Bauriedl (Hg.)
Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9
Mathias Fiedler, Fabian Georgi, Lee Hielscher, Philipp Ratfisch, Lisa Riedner, Veit Schwab, Simon Sontowski (Hg.)
movements. Journal für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Jg. 3, Heft 1/2017: Umkämpfte Bewegungen nach und durch EUropa April 2017, 236 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3571-3
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